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German Pages 1348 Year 2018
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 3
Überindividueller Umweltrechtsschutz am Beispiel der altruistischen Verbandsklage in der deutschen, griechischen und europäischen Rechtsordnung Teilband I
Von
Eleftherios Dikaios
Duncker & Humblot · Berlin
ELEFTHERIOS DIKAIOS
Überindividueller Umweltrechtsschutz am Beispiel der altruistischen Verbandsklage in der deutschen, griechischen und europäischen Rechtsordnung
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 3
Überindividueller Umweltrechtsschutz am Beispiel der altruistischen Verbandsklage in der deutschen, griechischen und europäischen Rechtsordnung Teilband I
Von
Eleftherios Dikaios
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.
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© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany
ISSN 2511-9648 ISBN 978-3-428-15250-6 (Print) ISBN 978-3-428-55250-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85250-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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¹KaÍ ælabe Kýrioò QeÎò tÎn ånqrwpon, ân æplase, kaÍ æqeto atÎn n tÃw~ paradeßsÃw tò truò, rgÜzesqai atÎn kaÍ ulÜssein.ª (Gen, 2,15) „Gott, der Herr, nahm den Menschen, den Er erschuf, und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“ (Gen. 2,15)
Danksagung Ohne die unschätzbare Hilfe von verschiedenen Personen wäre die Anfertigung dieser Promotionsschrift nicht möglich gewesen. An dieser Stelle möchte ich daher meinen besonderen Dank nachstehenden Personen entgegenbringen. Für die fruchtbare, hilfsbereite Betreuung und Beratung gilt mein herzlicher Dank zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wilfried Berg, sowie Herrn Prof. Dr. Markus Möstl, der Zweitgutachter dieser Arbeit war. Mein spezieller Dank gebührt Frau Dorothea Wischnat, ohne deren generöse Unterstützung in dieser beschwerlichen Zeit ein solcher Arbeitsumfang nicht hätte bewältigt werden können. Ich möchte auch Herrn Stephan Ruhland, Herrn Aurel Satlow, Herrn Markos Schinas sowie Herrn Steffen Hahn, Peter Medick und Frau Julia Spaderna danken für ihren hilfreichen Beitrag hinsichtlich der Durchsicht dieser Arbeit, vor allem aber für ihren freundlichen Beistand. Kraft und Mut zur Anfertigung und Vollendung dieses Werks haben mir bewusst und unbewusst zahlreiche Personen gegeben, wie Herr Assist. Prof. Dr. Thomas Papanastasiou und zahlreiche andere Personen, deren Namen es unmöglich wäre hier einzeln zu nennen. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern, Panagiotis und Dimitra, sowie meiner Großmutter Panagiota, die mich trotz aller Hindernisse bis zum Ende dieser Strecke bedingungslos unterstützt haben. Brüssel, im Januar 2018
Eleftherios Dikaios
Inhaltsübersicht Band I Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im deutschen Recht Einleitung: Zur Problematik der Rechtsschutzdefizite im deutschen Umweltrecht .
13 15
1. Kapitel Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht und seine Schwachstellen im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes
27
A. Konzeptionen der Funktion der Rechtskontrolle in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . .
31
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems . . . . . . . .
81
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
E. Die Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts . . 113 F. Die Rechtsschutzproblematik im Bereich des umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Kapitel Umweltrechtsschutz duch die altruistische Verbandsklage des Bundesnaturschutzgesetzes
232
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 B. Formen der Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage im deutschen Recht vor der Einführung des neuen BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene . . . . . . . . . . . 273
X
Inhaltsübersicht 3. Kapitel Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
309
A. Zur Entstehung des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 C. Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK gem. § 2 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 D. Zur Anerkennung von Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG . . . . . . . . 415 E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG vom 21.01.2013) . . . . . . 486 G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik . . . . . . . . . . . . . . . 534 J. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 4. Kapitel Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser für die Erweiterung des nationalen überindividuellen Umweltrechtsschutzes
557
A. Das Trianel-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 5. Kapitel Tendenzen der deutschen Rechtsprechung zur Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes
626
A. Unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Umfangs der Verbandsklagerechte 627 B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 . . . . . . . . . . . . . . 631 6. Kapitel Wege zum effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
662
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
Inhaltsübersicht
XI
Band II 2. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Recht
689
Einleitung: Ausgedehnter Umweltrechtsschutz als rechtliche Reaktion auf Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 1. Kapitel Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechtsschutzes und des Umweltschutzes
696
A. Der Art. 20 gr. V. als verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsschutzes im griechischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes im Rahmen der griechischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 2. Kapitel Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
735
A. Allgemeines zu den Rechtsbehelfen der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen und Unterlassungen in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 C. Das rechtliche Interesse im Rahmen des umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 D. Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 3. Kapitel Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
811
A. Würdigung und Verbesserungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 B. Rechtsvergleichende Anmerkungen zwischen deutschem und griechischem Recht bezüglich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . 817 3. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im EU-Recht
829
Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831
XII
Inhaltsübersicht 1. Kapitel Grundlagen des Umweltschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts
835
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 B. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 2. Kapitel Grundlagen und Defizite des Rechtsschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts
852
A. Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auf unionaler Ebene 852 B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 C. Zur Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger . 896 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917 3. Kapitel Die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der EU-Rechtsprechung
922
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922 B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen aus der europäischen Rechtsprechung vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags . . . . . . 930 C. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 4. Kapitel Versuche des EU-Gesetzgebers zur Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
975
A. Reaktion des europäischen Vertragsgebers durch den Abschluss des LissabonVertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 B. Die europäischen Rechtsakte nach dem Lissabon-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986 C. Stellungnahme zum Streit hinsichtlich der Rechtsakte mit Verordnungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
Inhaltsübersicht
XIII
5. Kapitel Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
1001
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV anhand von Beispielen aus der unionalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 B. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 C. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044 6. Kapitel Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
1048
A. Entstehungsgeschichte der AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1048 B. Zweck der AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051 C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054 D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor den EU-Gerichten gegen Beschlüsse der Kommission bezüglich des internen Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1115 7. Kapitel Würdigung
1119
4. Teil Rückblick und Ausblick
1129
A. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1131 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1165 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1174 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1280
Inhaltsverzeichnis Band I Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Umriss und Bedeutung der Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Zielsetzung und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im deutschen Recht Einleitung: Zur Problematik der Rechtsschutzdefizite im deutschen Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
15
1. Kapitel Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht und seine Schwachstellen im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes A. Konzeptionen der Funktion der Rechtskontrolle in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Konzeption der objektiven Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . I. Rechtshistorische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Definition des subjektiven öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Begründung der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Analyse der Voraussetzungen eines subjektiven öffentlichen Rechts . . . . . V. Unterscheidung zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und Rechtsreflexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Problematik der Abgrenzung von Allgemein- und Individualinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kritik an der Schutznormtheorie in Bezug auf den Umweltschutz . . . . . . . 1. Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes . . . . . . . . . 2. Mangelhafte gerichtliche Kontrolle des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
27 28 29 31 32 42 43 44 50 51 60 61 62
XVI
Inhaltsverzeichnis
3. Prozessuales Ungleichgewicht zwischen dem Umweltschutz und der Umweltnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einschränkung der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Lösungsansätze der Theorie für eine Neukonzeption der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Abbau der Schutznormtheorie durch Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Abbau der Schutznormtheorie durch geeignete Auslegung des einfachen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Einführung von Eigenrechten der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems . . . . . I. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG – Auswirkungen auf den Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltungsrechtliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems (§42 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO, § 47 VwGO) – Auswirkungen auf den Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 68 68 69 72 75 78 81 81
89 96
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kein Grundrecht auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der ökologische Umweltbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eingeschränkter Abwehranspruch gegen Umweltbelastungen im Rahmen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Umweltstaatsziel gem. Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die anthropozentrische Perspektive des Umweltstaatsziels . . . . . . . . . . .
98 98 101 102 105 108
E. Die Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum Drittschutz im Immissions- und Emissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . 1. Zu den Begriffen der „Gefahr“ und der „Vorsorge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Drittschützende und nichtdrittschützende Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedenken gegen die Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin . . . . . . . . . . 4. Zur Modifizierung der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin . . . . . . . . III. Zum Drittschutz im Klimaschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zum Drittschutz im Atom- und Strahlenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zum Drittschutz im Gentechnikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zum Drittschutz im Wasserrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zum Drittschutz im Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zum Drittschutz im Bergrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zum Drittschutz im Bodenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Zum Drittschutz im Natur- und Landschaftsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 113 114 117 125 134 138 140 144 146 149 151 151 152
Inhaltsverzeichnis XI. Zur Problematik der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das USchadG als Mittel zur Bekämpfung der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über die Umwelthaftungs-Richtlinie 2004/35/EG . . . . . . b) Umweltvereinigungen als Klagebefugte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hauptmerkmale des USchadG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrags- und Klagebefugnis von Drittbetroffenen und Umweltvereinigungen durch das USchadG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Drittschutz der Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Rechtsschutzproblematik im Bereich des umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Problematik der Einklagbarkeit von Verfahrensvorschriften . . . . . . . . 1. Abwägungsfehler bei umweltbezogenen Ermessensentscheidungen . . 2. Beachtlichkeit der Heilungsmöglichkeiten von Verfahrensfehlern . . . . 3. Auswirkungen auf den Bereich des Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . a) Zur Problematik des Drittschutzes im UVP-Verfahren . . . . . . . . . . . III. Weitere Rechtsschutzhindernisse im Rahmen des „beschleunigten“ Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verkürzung der Antragsfrist gem. § 47 Abs. 2 VwGO . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschärfung der Präklusionsvorschrift des § 47 Abs. 2a VwGO . . . . . 3. Regelfallzuständigkeit und Verkürzung des Instanzenzuges . . . . . . . . . 4. Erschwerung der Zulassungsberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einschränkung des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Enge Rüge- bzw. Einwendungsfristen gegen umweltbelastende Vorhaben im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Eingeschränkte aufschiebende Wirkung von Klagen gegen umweltbelastende Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Liberalisierung“ des gerichtlichen Zugangs in Umweltangelegenheiten auf staatlicher Ebene als Vorläufer von völkerrechtlichen Umweltverbandsklagerechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Unterzeichnung der Aarhus-Konvention und ihre Bedeutung . . . . . . . IV. Zugang zu Rechtsschutzverfahren im Rahmen der Aarhus-Konvention . . V. Umsetzung der Aarhus-Konvention auf europäischer und nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
153 154 155 156 158 160 165 169 174 174 176 181 182 183 184 188 189 190 191 192 193 193 195 198 201 201
209 212 216 224 228
XVIII
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Umweltrechtsschutz duch die altruistische Verbandsklage des Bundesnaturschutzgesetzes
232
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 B. Formen der Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Verbandsverletzte Verbandsklage – Die Problematik der Sperrgrundstücksklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Egoistische Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Altruistische Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage im deutschen Recht vor der Einführung des neuen BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 I. Staatsrechtliche und rechtspolitische Auseinandersetzungen hinsichtlich der Einführung der altruistischen Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Bedenken gegen die altruistische Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Begründung der altruistischen Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Zur Sonderstellung der Umweltschutzvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. III. IV.
Landesrechtliche VK vor der Einführung der bundesweiten VK . . . . . . . . . 259 Zur Funktion der naturschützenden VK anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene . . . . . . . . 273 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 II.
Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Befreiungen von Ge- und Verboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Planfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Plangenehmigungen, die an die Stelle einer Planfeststellung treten . . . 288
III. IV.
4. Weitere Klagemöglichkeiten nach Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Mögliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Geltendmachung eines Widerspruchs gegen naturschutzrelevante Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Berührung von satzungsmäßigen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Beteiligung im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4. Präklusionsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
V.
Prüfungsmaßstab bei naturschützender Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VI. Übergangsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Inhaltsverzeichnis
XIX
3. Kapitel Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
309
A. Zur Entstehung des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussichtliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des UmwRG . . . II. Zum Verhältnis des UmwRG zur Verbandsklage gem. § 64 BNatSchG . . III. Unionsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK gem. § 2 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhaltliche Bestimmung von „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können“ gem. § 2 Abs. 1 UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Eingrenzung der „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ im Rahmen des UmwRG (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG) . . . . . . . . . . 2. Umweltschützende Rechtsvorschriften, die „für die Entscheidung von Bedeutung sein können“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Völker- bzw. unionsrechtliche Bedenken gegen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auswirkungen von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . 1. Zur Frage der Anwendung des UmwRG auf unionsrechtliche und rein nationalrechtliche umweltbezogene Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . 2. Objektivrechtliche umweltbezogene Rechtsvorschriften und Vorsorgenormen zum ersten Mal einklagbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Berührung einer Umweltschutzvereinigung im satzungsgemäßen Aufgabenbereich (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG vom 21.01.2013) . . . . . . . . . . . . . VI. Die Präklusionsvorschriften des UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beteiligungspflicht einer Vereinigung am Verwaltungsverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen für den Ausschluss von Einwendungen der Umweltschutzvereinigungen bei umweltbezogenen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur unionsrechtlichen Konformität der Präklusionsvorschriften . . . . . . a) Argumente für die unionsrechtliche Konformität der Präklusionsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Argumente gegen die unionsrechtliche Konformität der Präklusionsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Vorlagebeschluss Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd . . . . . . . . . . . . .
319 333 333 337 340 340 340
346 347 353 354 356 357 360 362 365 365 368 375 379 379 384 393
XX
Inhaltsverzeichnis d) Der EuGH verwirft deutsche Präklusionsregelungen . . . . . . . . . . . . . e) Rechtliche und praktische Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Längere Widerspruchs- und Klagefrist für besondere Fälle (§ 2 Abs. 4 UmwRG vom 21.01.2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Begründetheit eines umweltschützenden Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründetheitsvoraussetzungen für Entscheidungen im Rahmen des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründetheitsvoraussetzungen für UVP-pflichtige Bebauungspläne . . a) Verwaltungs- und unionsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
395 398 400 403 406 406 407 409 411
D. Zur Anerkennung von Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG . . . . . 415 I. Zur unionsrechtlichen Konformität der Anerkennungsnormen von Umweltschutzvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Verfahrensfehler gem. der Novelle des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Verfahrensfehlerkataloges des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Urteil des EuGH im Fall „Altrip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtbarkeit von UVP-Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Billigung der Kausalitätsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schweregrad des geltend gemachten Fehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umkehrung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der EuGH verwirft den Verfahrensfehlerkatalog des UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Verletzung von subjektiv-öffentlichen Rechten des individuellen Klägers als Voraussetzung für die Anfechtung von UVP-Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Umfang von Verfahrensfehlern im Rahmen des UmwRG . . . . . . . 3. Zur Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . V. Die Novelle des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtung von absoluten Verfahrensfehlern gem. § 4 Abs. 1 UmwRG vom 20.11.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung von relativen Verfahrensfehlern gem. § 4 Abs. 1a UmwRG vom 20.11.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 4 Abs. 1b UmwRG vom 20.11.2015: Vorschriften zur Heilung von Verfahrensfehlern bleiben unberührt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
424 424 425 433 438 450 452 454 456 457 459
460 462 463 467 468 471 473
Inhaltsverzeichnis 4. § 4 Abs. 2 UmwRG vom 20.11.2015: Nichtanwendung des § 4 Abs. 1 bis Abs. 1b UmwRG bei UVP-pflichtigen Bebauungsplänen . . . . . . . . 5. § 4 Abs. 3 UmwRG vom 20.11.2015: Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO (§ 4 Abs. 3 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . a) Zu einer erweiternden Auslegung der subjektiv-öffentlichen Rechte im umweltbezogenen Verfahrensrecht für Privatkläger . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
473 475 479 481
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG vom 21.01.2013) . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Klagebegründungsfrist und die gerichtliche Zurückweisungsmöglichkeit von Erklärungen und Beweismitteln (§ 4a Abs. 1 UmwRG) . . . . . . . . 1. Rechtliche und rechtspolitische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtliche Kontrolle bei Beurteilungsermächtigung der Behörde (§ 4a Abs. 2 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonderregelung zum einstweiligen Rechtsschutz im umweltbezogenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 4a Abs. 3 UmwRG) . . . . . . . . . . . . 1. Zum Ungleichgewicht des § 4a Abs. 3 UmwRG in Bezug auf die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zur Geltung des § 4a Abs. 1–3 UmwRG auch für Beteiligte nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO (§ 4a Abs. 4 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
486 486
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . . I. Zeitliche Geltung des UmwRG gem. § 5 Abs. 1 und 4 UmwRG a. F. vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das EuGH-Urteil „Altrip“ zur Frage der zeitlichen Anwendbarkeit des § 10a UVP-RL a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 zur Frage des zeitlichen Geltungsbereichs des UmwRG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Fassung des § 5 UmwRG vom 20.11.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
505
H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erweiterter Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 29.05.2017 – Fragen hinsichtlich Unions- und Völkerrechtskonformität . . . . . . . . . . . . . III. Die problematische Beschränkung der Rügebefugnis und des Kontrollumfangs auf umweltbezogene Rechtsvorschriften gem. § 2 UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aufhebung materieller Präklusionsvorschriften – Beibehaltung formeller Präklusionsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
518 518
488 490 494 496 499 501 501 504
506 509 512 514 516 517
519
524 525
XXII
Inhaltsverzeichnis
V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII.
Verlängerung der Widerspruchs- und Klagefrist für bestimmte Fälle (§ 2 Abs. 3 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterte Verfahrensfehler gem. § 4 vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Präklusionsvorschrift gem. § 5 UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . Aufhebung des § 4a UmwRG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlängerung der Klagebegründungsfrist gem. § 6 UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausweitung der Heilungsmöglichkeiten bei materiellen Rechtsverstößen gem. § 7 UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überleitungsvorschrift gem. § 8 UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
526 527 528 529 530 531 532 533
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik . . . . . . . . . . . 534 I. Zur besonderen Frage der Reichweite der Kontrolldichte in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 II. Abschrecken von Investoren durch Erweiterung der Klagerechte der Umweltschutzvereinigungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 J. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 4. Kapitel Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser für die Erweiterung des nationalen überindividuellen Umweltrechtsschutzes A. Das Trianel-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Vorlagebeschluss des OVG Münster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Argumentation für ein erweitertes Verbandsklagerecht . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt der Vorlagefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europarechtswidrigkeit der einschränkenden Klagerechte der Umweltschutzvereinigungen im Rahmen des UmwRG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Argumentation für eine objektivrechtliche Kontrolle von Umweltbelangen durch Umweltschutzvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß der eingeschränkten nationalen Rügebefugnis gegen den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz des EU-Rechts . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkung eines Umweltverbandsklagerechts nur auf unionale umweltbezogene Rechtsvorschriften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unmittelbare Anwendbarkeit des § 10a UVP-RL a. F. . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 2 AK in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
557 558 558 558 559 562 563 566 571 575 576 583 587
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
Inhaltsverzeichnis
XXIII
1. Die Vorlagefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aarhus-Konvention als Unionsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage der unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . Zum eigenständigen Funktionswert des Art. 9 Abs. 3 AK gegenüber Art. 9 Abs. 2 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auslegungsgrenzen der Aarhus-Konvention im Rahmen des EU-Rechts . 1. Zielvorgaben des effektiven Umweltschutzes bzw. Umweltrechtsschutzes im Rahmen der AK als innerstaatliche Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 9 Abs. 3 AK als Annex zur umweltrechtlichen Kompetenzgrundlage der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erweiterte innerstaatliche Verbandsklagemöglichkeiten gem. Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingrenzung der Verbandsklagemöglichkeiten gem. Art. 9 Abs. 3 AK aus der Sicht des Aarhus Compliance Committee . . . . . . . . . . . 4. Keine vorbehaltlose Öffnung des Umweltrechtsschutzes gem. Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das slowakische Braunbären II-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. III. IV.
590 592 597 599 602
604 610 613 616 618 622 623
5. Kapitel Tendenzen der deutschen Rechtsprechung zur Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes
626
A. Unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Umfangs der Verbandsklagerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 . . . . . . . . . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Ableitung einer Verbandsklagebefugnis aus § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ableitung einer Verbandsklagebefugnis aus § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO 3. Klagebefugte Umweltschutzvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eine Umweltvereinigung darf ein fremdes Interesse zum eigenen Anliegen machen – Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zur Frage der Beschränkung der Umweltverbandsklage auf die Verletzung unionsrechtlich begründeter umweltbezogener Vorschriften . . III. Auswirkungen des BVerwG-Urteils vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 auf das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwächung der Strukturfunktion der Schutznormdoktrin . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Erweiterung des Anwendungsbereichs von Verbandsklagen und Vereinfachung der Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
631 631 633 634 635 638 641 648 650 651 652
XXIV
IV.
Inhaltsverzeichnis 3. Rechtliche Inkonsistenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorrang der Rechtsbehelfe nach § 2 Abs. 1 UmwRG und § 64 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übertragung der erweiterten Umweltverbandsklage auf die Normenkontrollbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Keine zwingende Beseitigung des Individualrechtsschutzsystems . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
654 655 656 657 659
6. Kapitel Wege zum effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
662
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erforderliche Unterscheidung von Umweltverbands- und Individualklage durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Einführung eines allgemeinen umweltschutzrechtlichen Verbandsklagerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur fortzusetzenden Erweiterung der Klagebefugnis für Private und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur fortzusetzenden Erweiterung der Klagebefugnis für Private . . . . . . 2. Zur fortzusetzenden Erweiterung der umweltschützenden Klagebefugnis für Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
663 664 665 672 675 678 683 686
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Zahl der Klagen und Entscheidungen (Verfahren) nach Ländern und insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
Tabelle 2: Erfolgsquote der Klagen im Zeitraum 2002 bis 2006 . . . . . . . . . . . . . . .
255
Tabelle 3: Erfolgsbilanz nach Klagegegenständen für den Zeitraum 2002–2006 (1997–1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
Tabelle 4: Zahl der Klagen und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
542
Tabelle 5: Klagen mit Verfahren über ein oder mehrere Instanzen . . . . . . . . . . . . .
544
Tabelle 6: Ergebnisse der Klagen im Zeitraum 2007 bis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . .
548
Tabelle 7: Ergebnisse der gerichtlichen Entscheidungen (Verfahren) 2007 bis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
548
Tabelle 8: Erfolgsbilanz nach Klagegenständen für den Zeitraum 2007–2010 (2002–2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
550
Abkürzungsverzeichnis I. Abkürzungen von grundlegenden deutschen und englischen Termini a. A. a. a. O. AAR AbfallR AbfG ABl. ABl. EG ABl. EU Abs. ACCC AEG AEUV a. F. AGBG AgrarR AJP AK AO AöR ARSP Art. Ausg. A-VK AVR AWZ Az. BArtSchVO BauR BayAGVwGO BayNatSchG BayVBl BayVerf. BB
andere Ansicht am angegebenen Ort Journal of the American Academy of Religion Zeitschrift für das Recht der Abfallwirtschaft Abfallgesetz Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Aarhus Convention Compliance Committee Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Gesetz über die allgemeinen Geschäftsbedingungen Agrar- und Umweltrecht, Zeitschrift für das Gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes Aktuelle Juristische Praxis Aarhus-Konvention Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Ausgabe Aufhebungsantragsverbandsklage Archiv des Völkerrechts Ausschließliche Wirtschaftszone Aktenzeichen Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten Baurecht Bayerisches Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Bayerisches Naturschutzgesetz Bayerische Verwaltungsblätter Bayerische Verfassung Betriebs-Berater
Abkürzungsverzeichnis BbgNatSchG BBodSchG BDVR Beih. BfN BGBl. BGleiG BGStG BImSchG BImSchV BlnNatSchG BNatNeuReg BNatSchG BRAK BR-Drs. BremNatSchG BT-Drs. BThZ Buchst. BUND BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVerwGG CDE CLJ CML Rev. DAR DB ders. d.h. dies. DJT DÖV DV DVBl DVP EAG-Vertrag ECHA Ed.
XXVII
Brandenburgisches Naturschutzgesetz Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung der Altlasten Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen Beiheft Bundesamt für Naturschutz Bundesgesetzblatt Bundesgleichstellungsgesetz Bundesbehindertengleichstellungsgesetz Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnungen Berliner Naturschutzgesetz Bundes-Natur-Neuregelungsgesetz Bundes-Naturschutzgesetz Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrats-Drucksache Bremisches Naturschutzgesetz Bundestags-Drucksache Berliner Theologische Zeitschrift Buchstabe Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e. V. Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht Cahiers de droit européen The Cambridge Law Journal Common Market Law Review Deutsches Autorecht Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Die Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungspraxis Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) European Chemical Agency Edition
XXVIII EEA EEB EEELR EELR EG EGGVG EGKSV EGMR EGPA EGV EJIL EL ELJ ELNI ELR E.L.Rev EMRK ENV L REV EnWG EPAW E.P.L. EU EuG EuGH EU-GRCh EuGRZ EuR EUV EuZW EWG EWGV EWIV EWS FEE FFH-Gebiet FFH-Richtlinie Fn. FoR FS FStrG
Abkürzungsverzeichnis European Environmental Agency European Environmental Bureau European Energy and Environmental Law Review European Environmental Law Review Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Group of Public Administration Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Journal of International Law Ergänzungslieferung European Law Journal Environmental Law Network International Environmental Law Review European Law Review Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Environmental Law Review Energiewirtschaftsgesetz European Platform Against Windfarms European Public Law Europäische Union Europäisches Gericht Europäischer Gerichtshof Grundrechte-Charta der Europäischen Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Friends of the Earth Europe Flora-Fauna-Habitat-Gebiet Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildleben den Tiere und Pflanzen Fußnote Forum Recht Festschrift Bundesfernstraßengesetz
Abkürzungsverzeichnis GA/GAin GALA GATT GbR gem. GenTG GenTSV Gez. g. F. GG ggf. gr. gr. BGB gr. V. gr. Zeitschr. gr. ZPO GS GVBl. GVO Ha HandwO HARV.INT’L J.J. HdUR HENatG HessAGVwGO HFR h. L. h. M. HmbNatSchG Hrsg. HS ICLQ i. d. R. i. d. S. IDUR I+E IEEP IE-RL IFG inkl. insb.
XXIX
Generalanwalt/Generalanwältin General Administrative Law Act of the Netherlands Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Gesetz zur Regelung der Gentechnik Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen Gesetz geänderte Fassung Grundgesetz gegebenenfalls griechisch griechisches bürgerliches Gesetzbuch griechische Verfassung griechische Zeitschrift griechische Zivilprozessordnung Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt gentechnisch veränderter Organismus Hektar Handwerksordnung Harvard International Law Journal Handwörterbuch des Umweltrechts Hessisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege Hessisches Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung Humboldt Forum Recht herrschende Lehre herrschende Meinung Hamburgisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege v. 2.7.1981 Herausgeber Halbsatz The International and Comparative Law Quarterly in der Regel in dem Sinne Informationsdienst Umweltrecht e. V., Schnellbrief Zeitschrift für Immissionsschutzrecht und Emissionshandel Institute for European Environmental Policy Industrieemissions-Richtlinie Informationsfreiheitsgesetz inklusive insbesondere
XXX insg. IPCC i. S. d. IslR i. S. v. IUR i.V. m. IVU-RL IWF JA JEEPL JEL JöR JPL jurOP JuS JZ Kap. KG KJ KommJUR krit. KrWG KStG Lfg. LG LG NRW LIEI lit. LKV LMRR LMuR LNatG M-V LNatSchG-NW LNatSchG S-H LPflG Ls. LTO LuftVG LZG m
Abkürzungsverzeichnis insgesamt Intergovernmental Panel on Climate Change im Sinne des bzw. der Irish Student Law Review im Sinne von Informationsdienst für Umweltrecht in Verbindung mit Richtlinie des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 96/61 EG Internationaler Währungsfond Juristische Arbeitsblätter Journal for European Environmental and Planning Law Journal of Environmental Law Jahrbuch des öffentlichen Rechts Journal of Planning & Environment Law Offenes juristisches Informationsprojekt Juristische Schulung Juristen-Zeitschrift Kapitel Kommanditgesellschaft Kritische Justiz Kommunaljurist kritisch Kreislaufwirtschaftsgesetz Körperschaftsteuergesetz Lieferung Landesgericht Gesetz zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft von Nordrhein-Westfalen Legal Issues of Economic Integration Littera Landes- und Kommunalverwaltung Lebensmittelrecht Rechtsprechung Lebensmittel und Recht Naturschutzgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern Naturschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Naturschutzgesetz des Landes Schleswig-Holstein Landespflegegesetz Leitsatz Legal Tribune Online Luftverkehrsgesetz Landeszivilgericht Meter
Abkürzungsverzeichnis MBPlG MDR m. E. MJ m.w. N. NABEG NABU NAGBNatSchG NatSchG Bln NatSchG LSA n. F. NGO NJ NJOZ NJW NNatG NordÖR Nr. NRO NRPO NS-RAC NS-Zeit NuL NuR NVwZ NVwZ-RR NZA ÖBG ÖB-RL O.E.C.D. Ofo OHG OJLS OLAF OLG OVG OWiG PAN PDS PersV PG
XXXI
Magnetschwebebahnplanungsgesetz Monatsschrift des deutschen Rechts meines Erachtens Maastricht Journal of European and Comparative Law mit weiteren Nachweisen Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz Naturschutzbund Deutschland e. V. Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege von Berlin (v. 10.07.1999) Naturschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt neue Fassung Non-governmental organisation Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Niedersächsisches Gesetz zum Naturschutz Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer Nichtregierungsorganisation Naturschutz in Recht und Praxis-Online North-Sea Regional Advisory Council Nationalsozialismus-Zeit Natur und Landschaft Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie Organization for Economic Co-Operation and Development Orthodoxes Forum Offene Handelsgesellschaft Oxford Journal of Legal Studies Office Européen de Lutte Anti-Fraude Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Pesticide Action Network Partei des Demokratischen Sozialismus Die Personalvertretung Patrologia Graeca
XXXII PM PÖ PrOVG PVO REACH-VO REALaw RECIEL Reg.Bl. RegE RL Rn. ROG Rspr. S. s. SächsNatSchG SächsVBl SE SeeAnlV Slg. SNG s. o. SSRN STAGE StandAG s. u. SUP-RL T. TAC TA-Luft TEHG ThürVBl TierSchG u. a. UAbs. UBA übers. UfU
Abkürzungsverzeichnis Partikel (Particulate Matter) Politische Ökologie Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes Präsidialverordnung Verordnung für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (EG-VO Nr. 1907/2006) Review of European Administrative Law Review of European Community & International Environmental Law Regierungsblatt Regierungs-Entwurf Richtlinie Randnummer Raumordnungsgesetz Rechtsprechung Satz bzw. Seite siehe Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege im Freistaat Sachsen Sächsische Verwaltungsblätter Europäische Aktiengesellschaft-Societas Europaea Seeanlagenverordnung Sammlung Gesetz zum Schutz der Natur und Heimat im Saarland – Saarländisches Naturschutzgesetz siehe oben Social Science Research Network Science, Technology and Governance in Europe Standortauswahlgesetz siehe unter Strategische Umweltprüfung Richtlinie Teil Total Allowable Catch Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz Thüringer Verwaltungsblätter Tierschutzgesetz und andere bzw. unter anderem Unterabsatz Umweltbundesamt übersetzt Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V.
Abkürzungsverzeichnis UGB-KomE mg/m3 UH-RL UIG UI-RL UKlaG UmwRG UmwRGÄndG UNCHE UNECE UPR USchadG UTR UVP UVPG UV-Vorprüfung UWG VA VBlBW VerfO/EuGH VerwArch VG VGH vgl. VK VO Vorb. VorlThürNatG VR VVDStRL VVE VwGO VwVfG VwZG WaStrG
XXXIII
Entwurf eines Umweltgesetzbuches der unabhängigen Sachverständigenkommission micrograms per cubic meter of air/Mikrogramm pro Kubikmeter Luft Richtlinie über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung der Umweltschäden Umweltinformationsgesetz Richtlinie über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt Unterlassungsklagengesetz Umweltrechtsbehelfsgesetz Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften United Nations Conference on the Human Environment United Nations Economic Commission for Europe Umwelt und Planungsrecht Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden Schriftenreihe des Instituts für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier Umweltverträglichkeitsprüfung Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz Umweltverträglichkeitsvorprüfung Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verbandsklage Verordnung Vorbemerkung Vorläufiges Thüringer Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigungen der Deutschen Staatsrechtslehrer Vertrag über eine Verfassung für Europa Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Bundeswasserstraßengesetz
XXXIV WECF WHG W.P. WTO WVRK WWF YEEL YEL ZaöRV ZAU z. B. ZeuS ZfB ZfBR ZfRV ZfU ZG Ziff. zit. ZRP ZsfgRw ZUR zust.
Abkürzungsverzeichnis Women in Europe for a Common Future Wasserhaushaltsgesetz Working Paper World Trade Organisation (Welthandelsorganisation) Wiener Vertragskonvention World Wildlife Fund Yearbook of European Environmental Law Yearbook of European Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für angewandte Umweltforschung zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für Baurecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Zeitschrift für Umweltrecht zustimmend
II. Abkürzungen von grundlegenden griechischen Termini Armen. D DiDik (gr. Zeitschr.) DtA
Armenüpouloò Dßkh DisikhtikÞ Dßkh Dikaiþmata tou Anqrþpou
Armenopoulos Gerichtsprozess Verwaltungsgerichtsprozess Zeitschrift für Menschenrechte EA-StE EpitropÞ Anastolþn. StE Aussetzungsausschuss des Staatsrates EEN (gr. Zeitschr.) Ehmerßò EllÞnwn Nomikþn Zeitschrift der griechischen Juristen EDD (gr. Zeitschr.) EarmogÝò Dhmosßou Dikaßou Zeitschrift für die Anwendung des öffentlichen Rechts EDDD (gr. Zeitschr.) Epiqeþrhsh Dhmosßou kai Rundschau des öffentlichen Dioikhtikoý Dikaßou und Verwaltungsrechts EDKA Epiqeþrhsh Dikaßou Rundschau des SozialverKoinwnikþn Asalßsewn sicherungsrechts EllDnh (gr. Zeitschr.) EllhnikÞ Dikaiosýnh Hellenische Justiz
Abkürzungsverzeichnis
XXXV
EOT
Ellhnikoò Organismüò Tourismoý EhmDD (gr. Zeitschr.) Ehmerßda Dioikhtikoý Dikaßou K.U.A. KoinÞ UpourgikÞ Apüash
Hellenische Tourismusorganisation Zeitschrift für Verwaltungsrecht Gemeinsame Ministerialentscheidung p.d. (zit. PVO) proedrikü diÜtagma Präsidialverordnung Nümoò kai Fýsh Gesetz und Natur NkF (gr. Zeitschr.)1 n.d. (zit. GVO) nomoqetikü diÜtagma Gesetzesverordnung NoB (gr. Zeitschr.) Nomikü BÞma Juristisches Tribunal PerDik (gr. Zeitschr.) PeribÜllon kai Dßkaio Umwelt und Recht StE Sumboýlio thò Epikrateßaò griechischer Staatsrat TAIPED Tameßo Aciopoßhshò IdiwtikÞò Kasse für die Verwertung Periousßaò tou Dhmosßou des privatrechtlichen Vermögens des öffentlichen Staates ToS (gr. Zeitschr.) To Sýntagma Die Verfassung FEK Fýllo Ehmerßdaò thò Griechisches Amtsblatt KubernÞsewò
1 Seit April 1994 als elektronische Zeitschrift zugänglich unter: http://www.nomos physis.org.gr.
Vorbemerkung I. Umriss und Bedeutung der Thematik Dieses Werk befasst sich überwiegend mit der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der deutschen, griechischen und europäischen öffentlichen Rechtsordnung am Beispiel der altruistischen Verbandsklage. Es besteht aus vier Teilen. In den ersten drei Teilen wird die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in den einzelnen Rechtsordnungen des deutschen (Teil 1), griechischen (Teil 2) und europäischen Rechts (Teil 3) analysiert. Jeder von diesen Teilen beinhaltet eine eigene Einleitung hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands und des Stands der Diskussion.1 An dieser Stelle dagegen folgen allgemeine Vorbemerkungen hinsichtlich des Umrisses des in der vorliegenden Arbeit behandelten Themas sowie ihrer Methodik und Ziele. Der letzte Teil (Teil 4) enthält einen zusammenfassenden Rückblick auf die abgehandelte Thematik sowie einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft. Aufgrund des Umfangs dieser Arbeit ist sie in zwei Bände aufgeteilt. Band I befasst sich mit dem oben genannten Teil 1, während Band II die oben genannten Teile 2, 3 und 4 umfasst. Am Ende des Bandes II befindet sich das Literaturverzeichnis für die gesamte Arbeit. Unter dem Begriff „überindividueller Umweltrechtsschutz“ wird im Rahmen des hier zu untersuchenden Themas der gerichtliche Schutz umweltbezogener öffentlicher Interessen verstanden.2 Diese sind die öffentlichen Interessen, die die umweltbezogenen Belange der Allgemeinheit (etwa den Schutz der Umweltmedien wie Boden, Luft, Wasser, klimatische Bedingungen, Biosphäre)3 betreffen. Der Begriff „überindividueller Rechtsschutz“ betrifft die Interessen, die nicht auf ein Individuum beschränkt sind.4 Dieser Begriff dient somit der Abgrenzung zum „individuellen Rechtsschutz“, der den Rechtsschutz von rein subjektiven Interessen, also Interessen, die sich ausschließlich auf ein Individuum beschränken, umfasst (sog. Individualinteressen). 1
s. u. 1. Teil, Einleitung; 2. Teil, Einleitung; 3. Teil, Einleitung. Vor allem im zeitgenössischen pluralistischen Staatswesen ist allerdings immer wieder fraglich, was zu den öffentlichen Interessen gehört. Denn sie liegen nicht ein für allemal fest, sondern sie sind eher dem Wandel der Zeit unterworfen. Vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2011, § 1, Rn. 10; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 2006, S. 32 ff., m.w. N. 3 Mehr zum Umweltbegriff s. u. 1. Teil, 1. Kap., D., II. 4 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 10, m.w. N. 2
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Vorbemerkung
Je nach Fall können sich die öffentlichen Interessen mit Individualinteressen ganz oder teilweise decken, sie können aber auch den Individualinteressen entgegenstehen. Dies geschieht häufig im Rechtsgebiet des Umweltrechts, wobei regelmäßig der Schutz von umweltbezogenen öffentlichen Interessen (etwa der Schutz der Flora und Fauna) mit der Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen konkurriert. Demzufolge ist eine absolute Differenzierung zwischen privaten und öffentlichen Interessen abzulehnen. Überindividueller Rechtsschutz ist somit eher ein Komplementärmodell zum subjektiven Rechtsschutz, der durch überindividuelle Rechtsbehelfe auf die Beseitigung rechtlich oder faktisch bedingter Durchsetzungsschwächen nicht rein subjektiver Interessen abzielt.5 Im Vordergrund des Begriffs des „überindividuellen Umweltrechtsschutzes“ stehen also beeinträchtigte umweltrechtliche öffentliche Interessen, die der Allgemeinheit dienen und regelmäßig dem objektiven Recht zuzuordnen sind.6 Es muss beachtet werden, dass dieser Begriff Verfahrensgestaltungen nicht ausschließt, die für den Zugang zu Gerichten eine subjektive Rechtsverletzung voraussetzen, gleichwohl aber schwerpunktmäßig eine objektive und damit eine überindividuelle Rechtskontrolle bezwecken.7 Dazu gehören insbesondere Fallkonstellationen, bei denen der Kläger drittbetroffen ist, d.h., dass er von einem belastenden Verwaltungsakt, der Umweltgüter beeinträchtigt, faktisch betroffen ist, ohne aber Adressat dieses Verwaltungsaktes zu sein.8 Die Analyse des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im deutschen Recht wird prinzipiell auf verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeiten (vor allem Anfechtungsklagen) von Drittklägern in Umweltangelegenheiten begrenzt. Andererseits beschränkt sich die Analyse der gleichen Thematik im griechischen Recht auf verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeiten (vor allem Aufhebungsklagen) von Dritten. Weitere Rechtsmittel wie Normenkontrolle oder Anordnung des sofortigen Vollzugs werden berücksichtigt, soweit sich für sie gesonderte Konsequenzen ergeben. Es muss unterstrichen werden, dass dem Referenzgebiet des nationalen und europäischen Umweltrechts gerade für die Entwicklung überindividueller Klagebefugnisse eine herausragende Bedeutung zukommt. Angesichts der Tatsache, dass das Umweltrecht grundsätzlich durch Rechtsnormen objektiven Charakters geprägt ist, gilt es als Prototyp eines Rechtsgebiets überindividueller Interessen und Rechte, zumal es für deren gerichtliche Durchsetzung prädestiniert ist. Dabei wirken im Sachgebiet Umweltrecht häufig voneinander unabhängige völkerrecht5 S. Schlacke, § 42 VwGO, in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm., 2013, S. 247 ff., Rn. 1 ff., m.w. N. zu M. Capelletti, General Report, in: J. A. Jolowicz (Hrsg.), Public Interest Parties and the Active Role of the Judge in Civil Litigation, 1975, S. 22 ff. 6 W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 219. 7 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 10. 8 K.-F. Gärditz, § 42 VwGO, in: ders. (Hrsg,), VwGO-Komm., 2013, Rn. 74.
I. Umriss und Bedeutung der Thematik
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liche, unionsrechtliche und nationale Rechtsentwicklungen zusammen, die insgesamt auf die Einführung überindividueller Klagebefugnisse abzielen.9 Denn für einen effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz sind vor allem die umweltrechtlichen überindividuellen Klagebefugnisse bzw. Rechtsbehelfe maßgeblich.10 Da das Rechtsgebiet des Umweltrechts die längste öffentlich-rechtliche Tradition überindividueller Klagebefugnisse aufweist, auf dem spezielle Rechtsschutzformen und Rechtsschutzinstrumente (wie die hier zu untersuchende altruistische Verbandsklage) erkennbar werden, ähnelt es einem Laboratorium, in welchem die Grenzen des Umfangs des überindividuellen Rechtsschutzes ständig geprüft und verarbeitet werden.11 Denn die Rechtspraxis zeigt bisher, dass die Reichweite des überindividuellen Umweltrechtsschutzes nicht immer eindeutig festgelegt ist. Vielmehr hängt sie von der sich wandelnden Entwicklung des Rechts ab, die wesentlich von der Entwicklung der Technik und der Technologie beeinflusst und geprägt ist.12 Infolgedessen erweist sich die Bestimmung und Abgrenzung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im nationalen, unionalen und völkerrechtlichen Recht als besonders problematisch. Insbesondere in Rechtsordnungen, die sich für ein Individualrechtsschutzsystem entschieden haben (z. B. die hier zu untersuchende deutsche öffentliche Rechtsordnung), bleiben objektive umweltrelevante Rechte und Interessen, soweit deren Beeinträchtigung nicht auch subjektive Rechte und Interessen verletzt, weitgehend ohne gerichtlichen Schutz (Verletztenklagemodell). Denn die Kontrolle der Einhaltung objektiver Rechtsnormen obliegt in diesen Fällen der Exekutive und nicht der Judikative.13 Offensichtlich weisen die Umweltmedien unter dem bisher geltenden anthropozentrischen Verständnis des Rechts keine rechtliche Persönlichkeit auf. Sie können daher nicht klagebefugt sein.14 Aber auch in Rechtsordnungen (etwa der hier zu untersuchenden griechischen Rechtsordnung15), die dem Rechtsschutzmodell der objektiven Rechtskontrolle (Interessentenklagemodell) folgen, oder in Rechtsordnungen, die einem Mittelweg zwischen dem Modell des Individualrechtsschutzes und der objektiven Rechtkontrolle folgen (etwa die ebenfalls hier zu untersuchende unionale Rechts9
S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 10. Ebd., S. 11. 11 Ebd., S. 20. 12 Vgl. u. a. D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 71 ff.; W. Berg, JZ 1985, S. 401 ff.; ders., GewArch 1978, S. 281 ff.; S. Schaltegger/R. Frey, ZfU 2001, S. 341 ff. 13 Mehr zum Individualrechtsschutzsystem der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung s. u. 1. Teil, 1. Kap., B. ff. 14 Vgl. u. a. M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 24 ff. 15 Mehr dazu s. u. 2. Teil, 1. Kap., A. ff. 10
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Vorbemerkung
ordnung)16 ist der Rechtsschutz überindividueller Rechte und Interessen zwar flexibler und umfangreicher. Aber auch hier ergeben sich Schwierigkeiten bezüglich der Bestimmung, Abgrenzung und Verwirklichung des überindividuellen Rechtsschutzes (insb. die Problematik der Abgrenzung der Reichweite der Klagebefugnis von Drittklägern im griechischen und im EU-Recht).17 Hauptgrund dafür ist, dass auch diese Konzeption von Rechtsschutzsystemen (sog. Interessentenschutzsysteme) von einem Individualrechtsschutz ausgeht. Ein solches Rechtsschutzsystem zielt somit nicht auf eine rein objektive Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns, weil die klägerische Legitimation auf einer Beziehung zum Klagegegenstand beruht, d. h., dass die Klagebefugnis des Rechtssubjekts grundsätzlich aus Normen abgeleitet wird, die dem Schutz des Einzelnen dienen. Zweck eines solchen Rechtsschutzsystems ist vielmehr die Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns und der Schutz subjektiver Rechte. Denn auch solche Rechtsordnungen geben letztlich dem Rechtsschutz des öffentlichen Interesses bzw. des Gemeinwohls gegenüber dem Rechtsschutz individueller Rechte und Interessen keinen Vorrang. Daher ist auch in diesen Rechtsordnungen eine Popularklage ausgeschlossen.18 Gleichwohl muss aber angemerkt werden, dass die objektivrechtliche Kontrollfunktion jedem subjektiven Rechtsschutzsystem ebenfalls innewohnt.19 Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass der Rechtsschutz objektiver Rechte und Interessen im Vergleich zum Rechtsschutz subjektiver Rechte und Interessen nachteilig ist. Es handelt sich um eine auffallende Rechtsschutzlücke, die nicht nur negative Konsequenzen im Umweltschutz verursacht, sondern auch zulasten des Rechtsstaats und der Demokratie wirkt. Denn gerechter Rechtsschutz bildet ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie.20 Diese Problematik verstärkt sich auch durch die Tendenz zur Durchsetzung eigennütziger wirtschaftsbezogener Interessen und Rechte gegen gemeinnützige, objektive umweltbezogene Interessen und Rechte, die im Vergleich zu subjektiven Wirtschaftsinteressen schwieriger identifizierbar und bestimmbar sind.21 16
Mehr dazu s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., III. Mehr dazu s. u. entsprechend 2. Teil, 2. Kap., C. ff.; 3. Teil, 2. Kap., B., IV., 2 ff. 18 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 6, m.w. N. 19 Mehr zu allgemeinen Eigenschaften des Individualrechtsschutzsystems und des Rechtsschutzsystems der objektiven Rechtskontrolle s. u. 1. Teil, 1. Kap. A., I.–II. Für einen weltweiten rechtsvergleichenden Überblick staatlicher Rechtsschutzsysteme s. etwa: A. Bleckmann, in: Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Judicial Protection against the Executive, Bd. 3, 1971, S. 19 ff., m.w. N. 20 Vgl. u. a. N. Weiß, in: ders. (Hrsg.), Rechtsschutz als Element von Rechtsstaatlichkeit, 2011, S. 9 ff., m.w. N. 21 Vgl. u. a. G. Hager, UTR 2001, S. 7 ff.; L. Knopp, ZUR 2009, S. 409 ff. 17
I. Umriss und Bedeutung der Thematik
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Dieses Phänomen hat den Gesetzgeber auf internationaler, unionaler und letztlich auf nationaler Ebene dazu geführt, moderne Rechtsbehelfe zu konstruieren, um diese Rechtsschutzlücke so gut wie möglich abzubauen. Der Gesetzgeber erkannte somit die Notwendigkeit, Bürgern und Nichtregierungsorganisationen zumindest teilweise eine stärkere Kontrollfunktion für den Vollzug des Rechts zuzuweisen. In diesem Zusammenhang und nach langjährigen rechtspolitischen Auseinandersetzungen (insbesondere im deutschen Recht)22 ist vor allem die Einführung des Rechtsbehelfes der altruistischen Verbandsklage in Umweltangelegenheiten beachtenswert. Damit wurde versucht, den Umfang des überindividuellen Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten zu erweitern, um Umweltvollzugsdefiziten befriedigend zu begegnen. Dieser Rechtsbehelf wurde vor allem anerkannten Umweltschutzvereinigungen eingeräumt. Damit können diese Rechtssubjekte losgelöst von einer Verletzung ihrer subjektiven Rechte diesen Rechtsbehelf zum Schutz bestimmter, überindividueller Umweltangelegenheiten einlegen.23 Auf diese Weise gewinnt die Bürgergesellschaft eine zunehmende Rolle hinsichtlich des Schutzes von umweltbezogenen Gemeinwohlinteressen. Denn dieses Rechtsmittel ermöglicht es zumindest einem qualifizierten Teil der Bürgergesellschaft, neben der Verwaltung als Sachwalter der oben genannten Interessen aufzutreten. Damit wird die Einbindung der Bürgergesellschaft in staatliche Überwachungsaufgaben intensiviert. Gerade wegen der zentralen Rolle des relativ neu gestalteten und voraussichtlich immer noch in Entwicklung stehenden Rechtsbehelfs der umweltschützenden altruistischen Verbandsklage für die Etablierung eines weiten überindividuellen Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten der deutschen und der griechischen Rechtsordnung beschäftigt sich diese Arbeit prinzipiell mit den rechtlichen Grundlagen der altruistischen Verbandsklage im deutschen und griechischen Recht sowie mit ihrem Inhalt, ihrer Funktion und Entwicklung, aber auch mit ihrer Vereinbarkeit mit dem EU- und Völkerrecht und zwar ebenfalls im Rahmen der oben genannten Rechtsordnungen. Um die Entstehung und Entwicklung des Phänomens der altruistischen Verbandsklage im Umweltrecht sowie die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in beiden Ländern besser zu verstehen, werden die Grundlagen des deutschen und griechischen öffentlichen Rechtsschutzsystems präsentiert. Diese sind maßgeblich, denn sie setzen die äußeren Grenzen des überindividuellen Umweltrechtsschutzes, dessen Reichweite nicht unumstritten ist. Sie bilden aber auch den institutionellen Rahmen, von dem die Funktionsweise der altruistischen Verbandsklage im Umweltrecht zum großen Teil abhängt. 22
s. u. 1. Teil, 3. Kap. A. ff. Zur Definition des Begriffs der altruistischen VK im deutschen Umweltrecht s. u. 1. Teil, 2. Kap., C., III. ff.; zur Definition des Begriffs der altruistischen VK im griechischen Umweltrecht s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., VI. 23
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Vorbemerkung
Dass beide zu untersuchende Rechtsordnungen unterschiedlichen Rechtsschutzmodellen dienen, ist von rechtswissenschaftlicher Relevanz. Denn durch die getrennte Analyse der unterschiedlichen Rechtsschutzkonzeptionen im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes können hilfreiche Schlussfolgerungen hinsichtlich der Effektivität jedes Rechtsschutzmodells herausdestilliert werden, die zum Abbau bestehender Umweltrechtsschutzdefizite beitragen können. Außerdem muss beachtet werden, dass der Rechtsbehelf der altruistischen Verbandsklage im Umweltrecht durch das Inkrafttreten der sog. Aarhus-Konvention (nachfolgend AK) „über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten“ 24 im Jahr 2001 auf völkerrechtlicher Ebene gefordert wurde. Denn gem. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 AK haben anerkannte Umweltschutzvereinigungen ein Recht auf Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle, um die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der AK anzufechten. Dies gilt sogar unabhängig davon, welche Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen ein Mitgliedstaat wählt.25 Da die EU sowie alle EU-Mitgliedstaaten Vertragsparteien der AK sind, sind sie zur Umsetzung auch dieser Anforderung (nämlich die Einführung überindividueller Kontrollbefugnisse zugunsten von staatlich anerkannten umweltschützenden Nichtregierungsorganisationen in Umweltangelegenheiten) verpflichtet. Zu diesem Zweck hat der europäische Gesetzgeber überindividuelle Klagebefugnisse zugunsten von Nichtregierungsorganisationen für Teilbereiche des Umweltrechts durch den Erlass von bestimmten Richtlinien (etwa Öffentlichkeitsbeteiligungs- bzw. Umweltinformations-RL) statuiert. Problematisch bleibt allerdings, dass die sogenannte dritte Säule der AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten bisher nur teilweise auf unionaler Ebene umgesetzt wurde.26 Diese Verzögerung durch die europäische Gesetzgebung beeinflusst aber in der Folge die Entwicklung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes sowohl auf mitgliedstaatlicher als auch auf unionaler Ebene. Die europäische Rechtsprechung tendiert jedoch dazu, diesem Mangel durch die weite Auslegung der relevanten Bestimmungen der AK (insb. Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK) zu begegnen. Die vorantreibende Wirkung dieser Rechtspre24 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17.02.2005 (ABl. EG 2005, Nr. L 124, S. 1). 25 Mehr dazu s. u. 1. Teil, 1. Kap., G., IV, 1. Teil, 4. Kap., A., II., 1. 26 Mehr zur Umsetzung der AK auf europäischer Ebene s. u. 1. Teil, 1. Kap., G., V.
I. Umriss und Bedeutung der Thematik
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chung des EuGH auf die Entwicklung des überindividuellen Rechtsschutzes auf mitgliedstaatlicher Ebene (und insbesondere im deutschen Recht) wird in der vorliegenden Arbeit präsentiert und diskutiert werden.27 Dies ist deshalb von rechtswissenschaftlichem Interesse, da die rechtlichen Auswirkungen des völkerrechtlichen Aarhus-Übereinkommens (insb. des Art. 9 Abs. 3 AK) auf das europäische Recht bisher von der Rechtsprechung und der Literatur weitgehend unterschätzt wurden.28 Insbesondere in Zeiten der wachsenden Europäisierung des (Umwelt-)Verwaltungsrechts und sogar des verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes29 erhält das EU-Recht eine leitende Rolle in der Ausformung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im europäischen Mehrebenensystem, d. h. sowohl auf der zentralen europäischen als auch auf der dezentralen mitgliedstaatlichen Ebene. Schließlich wird heutzutage überwiegend angenommen, dass die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts nicht allein von dem jeweiligen nationalen Prozessrecht abhängig sein kann. Denn angesichts der weitgehenden Unterschiede in den nationalen Rechtsschutzkonzeptionen könnte ihre unbesehene Anwendung erhebliche Gefahren für die einheitliche Durchsetzung des unionalen Umweltrechts in den Mitgliedstaaten verursachen.30 Im Ergebnis können somit der Zustand und die Entwicklung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im EU-Recht nicht unberücksichtigt bleiben. Aus diesen Gründen beschäftigt sich diese Arbeit auch mit dem üiberindividuellen Umweltrechtsschutz im EU-Recht. Die Rechtsschutzsysteme der Mitgliedstaaten und der EU-Rechtsordnung agieren letztlich wechselwirkend. Hinzu kommt, dass die aktuelle Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf der Ebene des deutschen, griechischen und unionalen Verwaltungsrechts bislang nicht hinreichend systematisch untersucht worden ist.31 Was die Betrachtung des EU-Rechtsschutzsystems anbelangt, verleiht diese Arbeit der Untersuchung der umweltschützenden überindividuellen Klagemöglichkeiten nicht privilegierter Klageberechtigter vor allem im Rahmen der europäischen Nichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 4 AEUV) Nachdruck.32 Denn das EU27
s. u. 1. Teil, 4. Kap. Vgl. z. B. R. Breuer, DV 2012, S. 171 ff. 29 Vgl. u. a. C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 10 ff.; F. Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 2000, S. 24 ff.; P. Huber, BayVBl 2001, S. 577 ff.; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 223 ff.; G. Sydow, JuS 2005, S. 97 ff.; C. Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2010, S. 1233 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 41 ff.; J. Kokott, DV 1998, S. 335 ff.; T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1345 ff.; D. Triantafyllou, EuR 2014, S. 458 ff.; jeweils m.w. N. 30 Vgl. u. a. B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 82 ff., m.w. N.; ders., ZUR 2009, S. 461. 31 Vgl. indizierend dazu S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 24, m.w. N. 32 s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., I., 2. 28
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Vorbemerkung
Recht kennt bisher keine altruistische Verbandsklage. Parallel dazu werden auf sekundärrechtlicher Ebene auch die überindividuellen Rechtsschutzmöglichkeiten der sog. Aarhus-Verordnung (nachfolgend AK-VO) Nr. 1367/200633, die ein internes EU-verwaltungsgerichtliches Überprüfungsvorverfahren normiert, mithilfe dessen Umweltverbände Verstöße gegen unionsrechtliches Umweltrecht gegenüber EU-Institutionen rügen können, kritisch dargestellt werden.34 Im Anschluss daran wird auch der bisher immer noch nicht realisierte Entwurf einer europäischen Richtlinie für den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten als einer der Lösungsansätze der hier zu untersuchenden Problematik dargestellt werden.35 Die Strukturen und Funktionsweisen der hier zu erörternden Rechtsschutzsysteme bilden einen entscheidenden Faktor zur Entstehung oder möglicherweise auch zum Abbau von materiell- und verfahrensrechtlichen Umweltrechtsschutzdefiziten. Daher werden in dieser Arbeit nicht nur Facetten der materiell- und verfahrensrechtlichen Umweltrechtsschutzdefizite (vor allem in Bezug auf den überindividuellen Umweltrechtsschutz des besonders problematischen deutschen, aber auch des EU-Rechts) dargelegt. Vielmehr sollen auch die rechtlichen Hintergründe der Rechtsschutzstrukturen der hier zu untersuchenden Rechtsordnungen skizziert werden, um kausale Zusammenhänge der vorhandenen verwaltungsrechtlichen Umweltrechtsschutzdefizite mit den dazugehörigen rechtlichen Hintergründen aufzuspüren und nachweisgestützt zu erläutern. Angesichts der Tatsache, dass die Begründung der Korrelation der Rechtsschutzsystemgefüge der hier zu untersuchenden Rechtsordnungen mit den Umweltrechtsschutzdefiziten sowie ihre praktische Auswirkung auf die Gestaltung und Funktion des überindividuellen Rechtsschutzes bisher nicht ausreichend erforscht ist, soll die hier unternommene Analyse der Erleuchtung der behandelten Problematik dienlich sein. Erkennt und versteht der Gesetzgeber die rechtlichen Hintergründe sowie die entsprechenden kausalen Zusammenhänge, die zu Umweltrechtsschutzdefiziten führen, dann kann er gegen solche Phänomene effizienter agieren und geeignete, realisierbare Lösungsansätze zur Beseitigung von systemischen Friktionen und Inkohärenzen konzipieren und effektiver durchführen.
33 EG-VO Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.9.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 v. 25.09.2006, S. 13. Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. Zu beachten ist, dass die EG-Verordnung Nr. 1049/2001 und ergänzend Art. 4–9 der AK-VO den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten regeln. 34 s. u. 3. Teil, 6. Kap., A.–D., III., 2. 35 s. u. 3. Teil, 6. Kap., E., III., 3. ff.
II. Zielsetzung und Methodik
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Kurzgefasst soll die parallele Darstellung und Analyse der Thematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes der deutschen, griechischen und unionalen Verwaltungsrechtsordnung einen eindeutigen, systematischen Vergleich der dogmatischen Strukturentwicklungen überindividueller Klagebefugnisse und Rechtsbehelfe erleichtern. Gleichzeitig sollen dadurch übergreifende und möglicherweise hilfreiche Anmerkungen, Anregungen und Lösungskonzepte geschaffen werden, die einen Beitrag zur Erweiterung des rechtswissenschaftlichen Kenntnishorizonts, zur Festigung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, aber auch zu einer möglichst angemessenen, umweltfreundlichen und bürgerfreundlichen Harmonisierung bzw. Vereinheitlichung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes zumindest auf europäischer Ebene leisten.
II. Zielsetzung und Methodik Es ist vor allem aus rechtsphilosophischer Sicht anzunehmen, dass es die oberste Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, der Gerechtigkeit möglichst optimal zu dienen.36 Unter dem Begriff der „Gerechtigkeit“ im heutigen Sinn versteht man nicht nur die Gerechtigkeit im zwischenmenschlichen Verhältnis, sondern auch die Gerechtigkeit des Menschen gegenüber seiner natürlichen Umwelt.37 Gerade diese Facette des modernen Rechtsverständnisses ist heutzutage besonders wichtig. Denn aus der allgemein-anerkannten Begrenztheit der natürlichen Ressourcen sowie aus der durch den Menschen vorgenommenen massiven Ausbeutung dieser Ressourcen ergeben sich in der modernen Risikogesellschaft38
36 Aus rechtsphilosophischer Sicht wird unter dem Begriff „Gerechtigkeit“ das zeitlos gültige Maß richtigen Verhaltens, das im jeweils geltenden positiven Recht verwirklicht werden soll, verstanden. Vgl. z. B. Aristoteles, Nikomachische Ethik (Hrsg. und übers. v. U. Wolf), 2011 1106b 3–4 sowie 1130b 31–32; O. Höffe, Gerechtigkeit, 2004, S. 26 ff.; K. Larenz, in: FS für C. Tsatsos, 1980, S. 303 ff.; A. Manessis, in: FS für C. Tsatsos, 1980, S. 319 ff. (auf griechisch); mehr in: H. Dreier, JuS 1996, S. 580 ff.; krit. dazu H. Kelsen in seiner Abhandlung „Das Problem der Gerechtigkeit“, die als Anhang zur 2. Aufl. seines Werkes Reine Rechtslehre, 1960 erscheint. Er behauptet: „Ein allgemeiner Begriff der Gerechtigkeit kann in Bezug auf die entscheidende Frage: [sic!] Wie Menschen behandelt werden sollen, wenn die Behandlung als gerecht gelten soll, nur völlig leer sein.“ 37 Vgl. C. Sening, BayVBl 1981, S. 174 ff. 38 Gemeint ist vor allem der unverhältnismäßige Fortschritt der Industrie- und Wirtschaftsgesellschaft, die ungewöhnlich große soziale, politische, ökologische, wirtschaftliche und individuelle Risiken herbeiführt. Dieser radikale Fortschritt hat zur Folge, dass sich die Rechtfertigung zunehmend den herkömmlichen Kontroll- und Sicherungsvorkehrungen dieser Gesellschaft bzw. der sog. Risikogesellschaft entzieht; als charakteristische Beispiele sind die Risiken der Atom- und Gentechnik sowie die globalen Umweltprobleme zu erwähnen. Insofern hat diese Entwicklung zu gesellschaftspolitischen sowie wirtschaftlichen Änderungen geführt. Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft 1986, S. 25 ff., S. 48 ff.; I. Majewski, Die ökologische Krise zeitigt sich als die Krise unseres Denkens, 1989, S. 51 ff.
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Vorbemerkung
ständig wachsende Gerechtigkeitsaufgaben.39 Dazu gehört auch die rechtsstaatliche Aufgabe des Umweltrechtsschutzes als Gegengewicht zu der unverhältnismäßigen Umweltnutzung. Vor diesem Hintergrund bezweckt diese Arbeit, der Gerechtigkeit im prekären Sonderbereich des Umweltrechtsschutzes (insbesondere in den drei oben genannten Rechtsordnungen) konsequent zu dienen. Durch die kritische Darlegung der Umweltrechtsschutzdefizite und ihrer rechtlichen kausalen Faktoren zielt diese Arbeit auf eine Systematisierung der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf deutscher, griechischer und unionaler Ebene ab. Zu diesem Zweck sollen auch die hierfür relevanten neuesten Entwicklungen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Literatur mitberücksichtigt werden. Aus der Analyse der Problematik lassen sich Befunde ableiten, die möglicherweise den Aufbau eines eigenständigen, effektiven und kohärenten überindividuellen Umweltrechtsschutzsystems erleichtern können. Dergestalt soll diese Arbeit einen Beitrag zur Beseitigung von Ungereimtheiten und Inkonsistenzen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen leisten und damit zu einer möglichst optimalen Anpassung der hier zu untersuchenden nationalen Rechtsschutzsysteme an die völker- und europarechtlichen Anforderungen im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes führen. In diesem Zusammenhang wird auch angestrebt, die Notwendigkeit einer angemessenen Ausweitung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes durch kreative Fortentwicklung der teilweise mangelhaften mitgliedstaatlichen und unionalen Strukturen systematisch aufzuzeigen und argumentativ zu begründen. Auf diese Weise soll die Rechtskonformität der mitgliedstaatlichen Regelungen mit den aus der dritten Säule hervorgegangenen Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens gewährleistet werden. Was die Methodik der Arbeit betrifft, wurde eine deduktive Vorgehensweise gewählt. Diese geht von allgemeinen Grundlagen des jeweils zu untersuchenden Rechtsschutzsystems aus und erstreckt sich stufenweise vertiefend auf die spezielleren Normen, Strukturen, rechtlichen Phänomene und Entwicklungen, die die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in den oben genannten Rechtsschutzsystemen betreffen und prägen. Auf diese Weise sollen das Gefüge und die Formen überindividueller Klagebefugnisse sowie ihre Defizite im Sonderrechtsgebiet des Umweltrechts auf den Ebenen des deutschen, griechischen und unionalen Rechts systematisch ermittelt, kritisch analysiert und miteinander verglichen werden. Im Hinblick darauf muss unterstrichen werden, dass in dieser Arbeit kein klassischer gegenüberstellender Rechtsvergleich der Rechtsgrundlagen sowie der spe39 Vgl. C. Stone, IUR 1992, S. 147 ff.; P. Wenz, Environmental Justice, 1988, S. 19 ff.; W. Berg, JZ 1985, S. 404.
II. Zielsetzung und Methodik
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ziellen Normen und Strukturen in Bezug auf die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes der drei zu untersuchenden Rechtsordnungen durchgeführt wird. Grund dafür ist, dass jede dieser Rechtsordnungen von unterschiedlichen Rechtsdogmatiken geprägt ist und insofern auf unterschiedlichen Rechtsschutzkonzeptionen und verschiedenartiger überindividueller Rechtsschutzlogik basiert. Daher sind sie auch von unterschiedlichen verwaltungsgerichtlichen Entwicklungsausformungen überindividueller Klagebefugnisse und Rechtsbehelfe im Rechtsgebiet des Umweltrechtsschutzes gekennzeichnet. Demzufolge gestattet jede Rechtsordnung unterschiedliche Rechtsmittel zum überindividuellen Umweltrechtsschutz, so dass ein klassischer Rechtsvergleich erschwert wird. Infolgedessen soll hier auch aus Gründen der Übersichtlichkeit für jede Rechtsordnung eine eigenständige Darstellung der Thematik unternommen werden. An einzelnen Stellen wird dann ein synoptischer, rechtsvergleichender Überblick der hier zu untersuchenden Rechtsordnungen durchgeführt, um vor allem wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen.40 Da in der deutschen sowie in der unionalen Rechtsordnung eine größere Anzahl an Fragen hinsichtlich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auftaucht als in der griechischen Rechtsordnung, wird der Analyse der Problematik der zwei erstgenannten Rechtsordnungen deutlich mehr Raum gewidmet. Da eine bedeutsame Änderung des UmwRG durch die Novelle des UmwRG vom 29.05. 2017 nach der Verteidigung dieser Dissertation erfolgte, wurde das ursprüngliche Werk nachträglich aktualisiert, sodass nun auch die wichtigsten aktuellen Änderungen dieser Novelle sowie ihre Rechtsproblematik zusammengefasst dargestellt werden.41 Die Darstellung der Situation und der Entwicklung des besonders weiten überindividuellen Umweltrechtsschutzes im griechischen Recht ist ebenfalls von rechtswissenschaftlichem Interesse. Denn im Rahmen des rechtsvergleichenden Instrumentariums können auch aus dem griechischen Recht nutzbringende Erfahrungen gewonnen werden, die das deutsche und unionale Rechtsschutzsystem fruchtbar bereichern können.
40 41
Vgl. u. a. 2. Teil, 3. Kap., B. und 3. Teil, 2. Kap., B., III. s. u. insbesondere 1. Teil, 3. Kap., H. ff.
1.Teil
Überindividueller Umweltrechtsschutz im deutschen Recht
Einleitung: Zur Problematik der Rechtsschutzdefizite im deutschen Umweltrecht Angesichts der Tatsache, dass die Effektivität des Rechts in jeder modernen Rechtsordnung zu einem überwiegenden Teil von seiner gerichtlichen Durchsetzbarkeit und Kontrolle abhängt, ist anzunehmen, dass auch der Umweltrechtsschutz eine zentrale Rolle für die gerichtliche Durchsetzung des Umweltrechts sowie für die Kontrolle der Einhaltung der umweltrechtlichen Vorschriften spielt. Mangelnde Kapazitäten und mangelnde Handlungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten seitens der Behörden1 stehen einer zufriedenstellenden Kontrolle der Ein1 Zu erwähnen sind vor allem die Verwaltungs- bzw. Steuerungsdefizite (z. B. mangelnde Neutralität bei Interessenkonflikten, mangelhafte Organisation der Verwaltung, unzureichende personelle und finanzielle Ausstattung der Behörden, Zuständigkeits- und Verfahrensdefizite u. a.) sowie Defizite der Umweltgesetzgebung, insbesondere Regelungs- und Vollzugsdefizite (symbolische Gesetzgebung, erhebliche Normenkomplexität, Übernormierung, Flucht in Formelkompromisse, normative Inkonsequenzen, Verwendung von unbestimmten Gesetzebegriffen und Abwägungsklauseln, Verzahnungsdefizite zwischen funktional interdependenten Vorschriften und Gesetzen, unvollständige Harmonisierung nationaler Vorschriften mit EU-Vorschriften u. a.). Als Ursachen des Vollzugsdefizits werden zusammengefasst genannt: die wirtschaftlichen Prioritäten in den für den Vollzug verantwortlichen mitgliedstaatlichen Verwaltungen, die begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen der Umweltverwaltungen in den Mitgliedstaaten, der oftmals erhebliche finanzielle Aufwand, der infolge des Vollzugs des EU-Umweltrechts entsteht, die mangelnde Transparenz der Regelsetzung und des Umsetzungsverfahrens sowie die Tatsache, dass Umweltrecht nicht auf die spezifischen (und damit i. d. R. subjektivierten) Interessen einer Personengruppe und ihrer Organisationen abzielt, sondern auf das – nicht selten von schwach organisierten Umweltvereinigungen repräsentierte – Allgemeininteresse, das im pluralistischen Wettstreit der Vereinigungen schnell ins Hintertreffen gerät. Hinzu kommen oftmals aber auch Schwierigkeiten bei der Auslegung des unionalen Umweltrechts, Probleme beim Zusammenspiel von unionsrechtlichen Vorgaben und nationalen (Ausführungs-)Bestimmungen sowie durch die innerstaatliche Kompetenzverteilung verursachte Reibungsverluste. Vgl. dazu T. Schomerus, Defizite in Naturschutzrecht, 1987, insb. S. 174 ff.; F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 19 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 36 ff.; L. Krämer, in: G. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 14 ff., S. 28 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht 2004, § 8, Rn. 1 ff.; F. Ekardt, NuR 2005, S. 215 ff.; F. Ekardt/A. Heym/J. Seidel, ZUR 2008, S. 169 ff.; R. Mayntz/ J. Hucke, ZfU 1978, S. 217 ff.; U. Hampicke, ZAU, Sonderheft (15), 2005, S. 162 ff.; A. Lorenz, UPR 1991, S. 253 ff.; W. Rüther, IUR 1992, S. 152 ff.; A. Schink, ZUR 1993, S. 1 ff.; U. Lahl, ZUR 1993, S. 249 ff.; G. Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 ff.; K. Hansmann, NVwZ 1995, S. 320 ff.; R. Steinberg, AöR 1995, S. 549 ff.; ders., ZUR 1999, S. 126 ff.; J. Wolf, UTR 2004, S. 87 ff. In diese Richtung auch M. Keller, ZUR 2004, S. 184 ff.; R. Sparwasser, NVwZ 2006, S. 369 ff.; K. Sauerborn/C. Muschwiz/
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1. Teil, Einleitung
haltung umweltrechtlicher Standards im Wege.2 Einen entscheidenden Grund für das Vollzugsdefizit insbesondere im überindividuellen Umweltrecht stellt der Mangel an Rechtsschutzgewährung dar.3 Bereits in den 70er Jahren wurde etwas systematischer (allerdings bisher nicht ganz vollständig) erklärt, warum gerade das Umweltrecht an Rechtsschutzdefiziten leidet. Danach darf der Staat sich nicht darauf beschränken, materielles Recht zu setzen. Ebenso wichtig ist es, dass Verwaltungen die Gesetze rechtmäßig vollziehen und der Vollzug – letztlich auch gerichtlich – kontrollierbar ist.4 Denn bereits die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle diszipliniert grundsätzlich die Verwaltung.5 Im Hinblick darauf ist zu beachten, dass, obwohl das materielle und prozedurale Umweltrecht sich seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts rasant entwickelte, dem Mehr an materiellen und Verfahrensvorschriften im Umweltrecht lange Zeit keine auf das überindividuelle Umweltrecht zugeschnittenen Klagemöglichkeiten gegenüberstanden. Vielmehr lässt das klassische deutsche Rechtsschutzsystem und vor allem die sog. Schutznormtheorie die Umwelt häufig im Stich.6 Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die in diesem Teil der Arbeit behandelten Fragen einführend gestellt werden.
R. Becker, ZAU 2001, S. 370 ff.; E. Gawel, ZAU, Sonderheft (15), 2005, S. 125 ff.; A. Bönsel/D. Hönig, ZAU 2001, S. 268 ff.; V. Brandl/R. Coenen/J. Kopfmüller, ZAU 2005, Sonderheft (15), S. 45 ff. Speziell über die Defizite der Eingriffsregelung im Naturschutzrecht: vgl. D. Berchter, Die Eingriffsregelung im Naturschutzrecht, 2007, S. 21 ff.; C. Anger, UPR 2004, S. 7 ff.; M. Ronellenfitsch, NuR 1986, S. 284 ff.; H. Wagener, NuR 1988, S. 71 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410 ff.; D. Scheuing, NVwZ 1999, S. 475 ff.; P. Mentzinis, Die Durchführbarkeit des europäischen Umweltrechts: gemeinschaftsrechtliche Ursachen des Vollzugsdefizits im Anlagenzulassungsrecht, 2000, S. 193 ff.; U. Lahl, ZUR 1993, S. 249 ff.; A. Lorenz, UPR 1991, S. 253 ff. 2 Vgl. R. Sparwasser, Gerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1022. 3 Vgl. E. Gassner, in: F. Kopp, Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 4 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 36 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht 2004, § 8, Rn. 1 ff. 4 Vgl. R. Breuer, NJW 1978, S. 1559; M. Marty, ZUR 2009, S. 115. Vor diesem Hintergrund wurden unterschiedliche Rechtsschutzmodelle als rechtspolitisch mögliche Lösungsansätze für die vorhandenen Rechtsschutzdefizite im Bereich des Umweltrechts vorgeschlagen. Eine solche ist vor allem die aus dem US-amerikanischen Recht entliehene Bürgerklage (vgl. J. Kokott/L.-F. Lee, in: UTR 1998, S. 215 ff.; D. Ehlers, VerwArch 1993, S. 139 ff.; L. Tribe, The Yale Law Journal 1974, S. 1315 ff.; C. Stone, Southern California Law Review, S. 450 ff.; C. Strünk, Gibt es ein Recht auf Gemeinwohl?, 2014, S. 17 ff.; jeweils m.w. N.), das Ombudsmann-Modell (vgl. T. Schomerus, NuR 1989, S. 171 ff., m.w. N.) sowie die Einführung einer altruistischen Verbandsklage (vgl. E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 157 ff.; C. Stone, Umwelt vor Gericht – Die Eigenrechte der Natur (übers. v. H. Blume), 1987, S. 25 ff.). 5 Vgl. SRU, Rechtsschutz für die Umwelt, 2005, Rn. 11; ders., Umweltverwaltungen unter Reformdruck, 2007, Rn. 319, Rn. 323; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 369. 6 M. Marty, ZUR 2009, S. 115.
1. Teil, Einleitung
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Problematisch ist vor allem im deutschen Individualrechtsschutzsystem7, welches stark von der sog. Schutznormtheorie geprägt wird,8 dass sich – unter deren Einfluss – Umweltbelange häufig vor Gericht als wenig durchsetzungsstark erweisen. Denn insbesondere im Bereich des Umweltschutzes fehlt es bisher an einem vollständig ausbalancierten System der subjektiven Rechte.9 Das deutsche Recht kennt keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch auf behördliche Befolgung aller Vorschriften. Die deutsche Verwaltungsgerichtsordnung bestimmt insb. gem. § 42 Abs. 2 i.V. m. Art. 19 Abs. 4 GG, dass vor den Verwaltungsgerichten nur klagen kann, wer die Verletzung in eigenen, also subjektiven öffentlichen Rechten geltend machen kann. Dies bedeutet, dass schließlich nur die vom Gesetzgeber als gerichtlich geschützt anerkannten subjektiven öffentlichen Rechte bzw. Interessen einklagbar sind.10 Eine nicht vollzogene Vorschrift muss daher „drittschützend“ sein, um eingeklagt werden zu können.11 Denkbar ist dies insbesondere im Bereich von Eigentums- und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Umweltbelastungen. Wo aber kein eigenes Recht eines Rechtssubjekts vorliegt, findet kein gerichtlicher Rechtsschutz statt.12 Gerade im speziellen Bereich des Umweltschutzes besteht somit ein mangelhafter Rechtsschutz.13 Es ist dort festgelegt, dass den umweltrechtlichen Objekten bzw. Elementen wie Tieren, Pflanzen, Landschaft, Luft, Wasser, Boden offenbar keine Rechtspersönlichkeit sowie kein eigenes Recht zuerkannt wird, um ihnen widerfahrene Beeinträchtigungen vor Gericht zu vertreten. Das bedeutet in der Praxis, dass objektivrechtliche Rechtsnormen, die solche Rechtsgüter und Interessen schützen, nicht einklagbar sind.14 Dies gilt vor allem, wenn Umweltbelange in unbewohnten Gebieten betroffen sind (etwa sich im Außenbereich befindende Umweltrechtsgüter oder bei weit von der Zivilisation entfernt liegen-
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s. 1. Teil, 1. Kap., A., II. ff. s. 1. Teil, 1. Kap., B., III. ff. 9 Vgl. M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 516; T. Brönneke, ZUR 1993, S. 154 ff. 10 s. 1. Teil, 1. Kap., C., II. ff. 11 Vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, § 8, Rn. 1 ff., Rn. 6; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 110 ff., m.w. N. s. 1. Teil, 1. Kap., B., VI. 12 Vgl. u. a. C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; A. Tryjanowski/M. Zschiesche, Umwelt Aktuell, Dezember 2011/Januar 2012, S. 36: Es gilt somit der Grundsatz: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ 13 C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 19 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C S. 84 ff. 14 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 16 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 243 ff.; H. Jarass, Drittschutz im Umweltrecht, in: H. Leßmann/B. Großfeld/L. Vollmer (Hrsg.), FS für R. Lukes zum 65. Geburtstag, 1989, S. 57 ff.; B. Wiegand, BayVBl 1994, S. 609 ff., S. 647 ff.; M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 381 ff. 8
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den Wäldern, Gewässern sowie der Atmosphäre usw.).15 Außerdem besteht auf grundgesetzlicher Ebene kein Umweltgrundrecht, sondern nur eine Umweltstaatszielbestimmung gem. 20a GG, so dass nach dem herrschenden Grundrechtsverständnis nur ein Abwehranspruch gegen schädliche Umwelteingriffe besteht, soweit sie sich nachweislich auf die individuelle Sphäre eines Rechtssubjekts negativ auswirken.16 Diese juristische Engführung des deutschen Individualrechtsschutzes mittels restriktiver Klagebefugnis schränkt den Bereich des Umwelt- und Nachbarschutzes so ein, dass dessen räumliche und sachliche Reichweite hinter der faktischen, durch Beeinträchtigungen oder Risiken bewirkten Betroffenheit zurückbleibt.17 Das Rechtsschutzsystem der deutschen Verwaltungsordnung kann insofern nur im Nahbereich seine Aufgabe erfüllen.18 Selbst bei eklatanten Beeinträchtigungen des objektiven Umweltrechts wird grundsätzlich dem Drittbetroffenen keine Klagebefugnis zuerkannt, weil er kein „rechtlich geschütztes“ Interesse bzw. kein subjektives öffentliches Recht auf Nichtverletzung der fraglichen Rechtsvorschriften habe, sondern ihm nur ein nicht rechtsschützender Rechtsreflex zukomme.19 Indizierend dazu ist der restriktive Drittschutz in wichtigen Rechtsbereichen wie dem Immissions- und Emissionsschutzrecht, dem Klimaschutzrecht, dem Gentechnikrecht, dem Wasserschutzrecht, dem Abfallrecht, dem Bodenschutzrecht, dem Bergrecht sowie dem Landschafts- und Naturschutzrecht, aber auch teilweise dem Gemeinderecht (insb. Rechtsschutz der Gemeinden).20 In diesem Zusammenhang sind auch die Klagemöglichkeiten gegen Fehler in umweltrelevanten Verfahren (etwa Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren) restriktiv.21 Die deutsche Verfahrensfehlerlehre, die sich aus der sog. Kausalitätsrechtsprechung22 ergibt, sieht bei Anfechtungen durch Einzelne die Aufhebung 15 Vgl. u. a. C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; A. Tryjanowski/M. Zschiesche, Umwelt Aktuell, Dezember 2011/Januar 2012, S. 36. 16 s. 1. Teil, 1. Kap., D. ff. 17 R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 318; M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 381 ff. 18 Vgl. H. Jarass, in: FS für R. Lukes, 1989, S. 60 ff. 19 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.5.1998 – 1 BvR 180/88 (Entschädigung für Waldschäden infolge Luftverschmutzung), NJW 1998, S. 3264 ff.; S. Braun, AgrarR 2001, S. 45 ff.; K. Ladeur, DÖV 1986, S. 445; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 150; P. C. MayerTasch, NuR 1991, S. 157; O. Bühler, Die subjektiven-öffentlichen Rechte und ihr Schutz, 1914, S. 226 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 289; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 42 ff.; F. Schoch NVwZ 1999, S. 457 ff.; M. Ronellenfitsch/R. Wolf, NJW 1986, S. 1955 ff.; R. Scholz, ZG 2003, S. 248 ff. 20 Für die Problematik des Drittschutzes im Umweltrecht s. 1. Teil, 1. Kap., E. ff. 21 s. 1. Teil, 1. Kap., G. ff.
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einer verfahrensrechtlich rechtswidrigen verwaltungsrechtlichen Entscheidung (etwa einer Umweltverträglichkeitsprüfungsentscheidung) gem. § 46 VwVfG nur dann vor, wenn der Kläger konkret darlege, dass diese ohne Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre und der Verfahrensfehler eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betreffe.23 Das bedeutet aber in der Praxis, dass Drittbetroffene die Aufhebung etwa einer umweltbezogenen Verwaltungsentscheidung nicht bereits auf Grund des Verfahrensverstoßes verlangen, sondern nur die Verletzung drittschützender materieller Vorschriften geltend machen können.24 Dabei kommen weitere Rechtsschutzhindernisse im Rahmen des „beschleunigten“ Verwaltungsverfahrens vor.25 Obwohl die Frage des Rechtsschutzes im Umweltrecht zu den am intensivsten diskutierten Problemkreisen gehört, ist gleichzeitig festzustellen, dass der Grundsatz des Rechts auf ein faires Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie die zugrunde liegende Zielsetzung der objektiven Kontrolle behördlicher Entscheidungen insbesondere in Umweltangelegenheiten noch nicht ausreichend erkennbar bzw. erforscht sind.26 Gegenüber der Ansicht eines umfangreicheren Rechtsschutzes im Umweltrecht, der auf die Verbesserung der Durchsetzung umweltrechtlicher Vorschriften abzielt27, werden Befürchtungen um eine zunehmend hypertrophe Entwicklung des Rechtsschutzsystems angebracht, die nicht nur den traditionellen Rechtsgrundlagen des Individualrechtsschutzsystems widerspricht, sondern auch zur Blockierung wichtiger Vorhaben führe.28 Angesichts dieser 22 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95,6 NVwZ 1997, S. 788 ff.; BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, BVerwGE 98, S. 339, S. 361 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 – 7 C 55 und 56/89, BVerwGE 85, S. 368, S. 373 ff.; BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, BVerwGE 69, S. 256, S. 269 ff.; BVerwG, 08.02.1967, BVerwG V C 167/65, BVerwGE 26, S. 145, S. 148; BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 2/97, NVwZ 1999, S. 67; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, NVwZ 2008, S. 563 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff., m.w. N. 23 M. Sachs, § 46 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfG-Komm., 2014, Rn. 8 ff., m.w. N.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff. 24 Ebd. 25 Vgl. W. Ewer, NJW 2007, S. 3171; s. 1. Teil, 1. Kap., F., V. ff.; vgl. F. Ekardt/ K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059, m.w. N.; vgl. W. Ewer, NJW 2007, S. 3171. 26 Vgl. u. a. SRU, Sondergutachten, Februar 2007, S. 174 ff., m.w. N. 27 Vgl. G. Hünnekens/A. Wittmann, UPR 2007, S. 91 ff.; M. Möller/M. Raschke/ A. Fisahn, EurUP 2006, S. 203. ff.; S. Schlacke, ZUR 2004, S. 129 ff.; dies., NuR 2004, S. 629 ff.; dies., UVP-report 2005, S. 67 ff.; F. Ekardt, NVwZ 2006, S. 55 ff.; ders./ K. Pöhlmann, EurUP 2004, S. 128 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; G. Winter, NVwZ 1999, S. 467 ff.; A. Schmidt/M. Zchiesche, NuR 2003, S. 22; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1033 ff. Vgl. auch im Allgemeinen: H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2007, S. 40 ff.; J. F. Lindner, JuS 2008, S. 1 ff. 28 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15 ff.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4 ff.; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff.; E. Schmidt-Aßmann, DÖV 1975, S. 743; W. Valendar, UPR 2008, S. 1; T. v. Danwitz, Rechtsgutachten erstattet dem VDEW e. V., 2005; ders., UTR 2007, Bd. 93, S. 31 ff., m.w. N.
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Problematik wird auch darüber diskutiert, inwieweit das deutsche Recht die Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes der Umweltbelange erfüllt.29 Angesichts der Umweltrechtsschutzdefizite auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene wurde inzwischen die sog. Aarhus-Konvention (AK) „über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten“,30 die auch den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten betrifft, auf völkerrechtlicher Ebene am 25.06.1998 unterzeichnet.31 Dieses Übereinkommen wurde von der EU und den EU-Mitgliedstaaten ratifiziert. Vor diesem Hintergrund verpflichtete der europäische Gesetzgeber vor allem mit der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL 2003/35/EG (nachfolgend ÖB-RL) und teilweise mit der Umwelthaftungs-RL 2004/35/EG (nachfolgend UH-RL)32 die Mitgliedstaaten, eine überindividuelle Klagebefugnis vor allem zugunsten von nichtstaatlichen Umweltschutzvereinigungen einzuführen, die die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Verletzungen des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) des Industrieanlagenrechts und des Umwelthaftungsrechts gerichtlich oder außergerichtlich überprüfen zu lassen.33 Die AK hat sich (insb. gem. Art. 9 Abs. 2 und 3 AK) als wichtiger Beschleuniger einer europaweiten Ausweitung des Rechtsschutzes im Umweltrecht erwiesen. Sie hat vor allem die Grundlage zu der Erweiterung der umweltrechtlichen Klagemöglichkeiten der anerkannten Umweltschutzvereinigungen gelegt.34 In diesem Rahmen hat der deutsche Gesetzgeber das Instrument der sog. altruistischen Verbandsklage (nachfolgend VK) stufenweise entwickelt. Gemeint ist damit die Befugnis von Umweltschutzvereinigungen, ohne die Geltendmachung einer Verletzung eigener Mitwirkungsrechte oder materieller Rechtspositionen die Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu rügen, die ausschließlich umweltbezogenen Allgemeininteressen, nicht aber auch Individualinteressen dienen.35 29
s. insb. 1. Teil, 1. Kap., C. ff., aber auch 1. Teil, 2. und 3. Kap. Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17.02.2005 (ABl. EG 2005, Nr. L 124, S. 1). Der Text der AK ist abrufbar unter: http://www.unece.org/env/pp/treatytext.htm. 31 M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff. 32 RL 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 „über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden“ ABl. EU Nr. L 143 S. 56. Vgl. C. Palme/A. Schumacher/J. Schumacher, EurUP 2004, 261 ff.; G. Hager, ZEuP 2006, S. 21 ff. 33 Vgl. u. a. S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410 ff.; T. v. Danwitz, in: UTR 2007, S. 31 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, ZEuS 2007, S. 93 ff.; jeweils m.w. N.; s. u. 1. Teil, 1. Kap., G., III. ff. 34 B. Wegener, EurUP 2014, S. 226 ff., m.w. N. 35 J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 485, m.w. N.; B. Bender/R. Sparwasser/R. Engel, Umweltrecht, 1995, S. 190, Rn. 257; s. u. 1. Teil, 2. Kap., B. ff. 30
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Dadurch bezweckte der Gesetzgeber den Abbau der dargestellten Rechtsschutzdefizite vor allem im Bereich des überindividuellen Umweltrechts. Am Anfang wurde dieses Klageinstrument von einigen Bundesländern nur in bestimmten Bereichen des Naturschutzes erlassen. Erst im Jahr 2002 wurde eine naturschutzrechtliche altruistische VK auf Bundesebene durch das BNatSchG eingeführt (§ 61 BNatSchG a. F.).36 Ihre Tragweite erstreckte sich aber nur auf den Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes und ihr Inhalt war durchaus restriktiv ausgestaltet.37 Eine altruistische umweltbezogene VK wurde schließlich im Jahr 2006 durch den Erlass des UmwRG auch in bestimmten Bereichen des umweltverträglichkeitsprüfungspflichtigen Umweltrechts eingeführt.38 Mit der Einführung des UmwRG hat der deutsche Gesetzgeber versucht, die dritte Säule der AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten teilweise umzusetzen.39 Da aber – laut dem sog. Trianel-Urteil des EuGH40 – der restriktive Umfang der Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen gem. dem UmwRG a. F. nicht in Einklang mit dem EU-Recht war, musste das UmwRG wesentlich modifiziert werden. Laut diesem Urteil müssten die zur Umsetzung der ÖB-RL ergangenen nationalen Vorschriften es anerkannten Umweltschutzvereinigungen ermöglichen, auch solche umweltschützenden Vorschriften des Unionsrechts geltend zu machen, die nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützen. Die klagerechtsbegründenden Vorschriften der ÖB-RL sollten somit durch die nationalen Gerichte zugänglich sein. Sie haben somit unmittelbare Wirkung, denn sie sind hinreichend klar und unbedingt.41 Dieses Urteil hat offenbar zu der dahingehenden Gesetzesänderung des UmwRG vom 21.01. 201342 geführt.43 Im Rahmen der Fassung des UmwRG vom 21.01.2013 bestehen aber immer noch offene Fragen darüber, ob bestimmte materiell- und verfahrensrechtliche Vorschriften dieses Gesetzes in Einklang mit dem Unionsrecht stehen. Denn 36 Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchNeuregG v. 25.02.2002), BGBl. I, S. 1193, das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986), geändert worden ist. 37 s. 1. Teil, 2. Kap. 38 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-RL 2003/35/EG – sog. Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) vom 7. Dezember 2006, vgl. BGBl. I, S. 2816; BT-Drs. 16/2495 vom 04.09.2006. 39 1. Teil, 1. Kap., G., III. ff. 40 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff. 41 B. Wegener, EurUP 2014, S. 227, m.w. N. 42 BGBl. I, S. 95. Dieses Gesetz wurde am 29.01.2013 in Kraft gesetzt. 43 s. 1. Teil, 4. Kap., A. ff.
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1. Teil, Einleitung
auch die Fassung des UmwRG vom 21.01.2013 ist von erheblichen Einschränkungen gekennzeichnet, deren Vereinbarkeit mit den Zielen der AK sowie mit den zu ihrer Umsetzung dienenden europarechtlichen Bestimmungen des Art. 11 UVP-RL n. F.44 und Art. 25 IE-RL45, einen weiten Rechtsschutz zu gewähren, zweifelhaft ist.46 Auch nach dieser Gesetzesänderung beschränkt die deutsche Rechtsordnung beim Rechtsschutz Einzelner die gerichtliche Überprüfung nach wie vor auf die Einhaltung von Vorschriften, die subjektive öffentliche Rechte im Sinne der sogenannten Schutznormtheorie vermitteln.47 Noch konkreter ist in diesem Zusammenhang vor allem die Vereinbarkeit des umweltrechtlichen Rechtsschutzumfangs im Rahmen des Anwendungsbereichs des UmwRG (gem. § 1 UmwRG) mit dem EU-Recht fraglich.48 Gleiches gilt auch für die gem. § 2 Abs. 3 UmwRG vorgesehene Präklusion der Einwendungen von anerkannten Umweltschutzvereinigungen im gerichtlichen Verfahren, sofern diese nicht bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht wurden.49 Dies wurde letztlich durch das EuGH-Urteil vom 15.10.2015 bestätigt, wonach die unionsrechtlichen Vorschriften des Art. 11 UVP-RL50 und des Art. 25 IE-RL51 es 44 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EU L 26/1 vom 28.01.2012. Diese Richtlinie wurde durch die Änderungsrichtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten geändert; ABl. 2014, L 124, S. 1 ff. Art. 11 UVP-RL blieb allerdings unberührt. Zur Änderungen der UVP-RL s. J. Wagner, EurUP 2014, S. 122 ff. Ursprünglich handelte es sich um Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 05.07.1985, S. 40; geändert durch Richtlinie 97/11/EG, ABl. L 73 vom 14.03.1997, S. 5. 45 Richtlinie 2010/75/EU (nachfolgend IE-RL) v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 06.01. 2011, ABl. L 334/17, 17.12.2010). Ursprünglich handelte es sich um Art. 15a der Richtlinie 96/61/EG vom 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 257 vom 10.10.1996, S. 26. 46 s. insb. 1. Teil, 3. Kap., B., III.; 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 1.; 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 2. a); 1. Teil, 3. Kap., E., V.; 1. Teil, 3. Kap., F., VI.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 1. 47 Vgl. etwa die Klage der Kommission gegen Deutschland vor dem EuGH, eingereicht am 20.03.2014, Rs. C-137/14 (Kommission/Deutschland). 48 s. 1. Teil, 3. Kap., B., III. 49 Vgl. u. a. A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 167 ff., m.w. N.; s. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 3. ff. 50 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26/1 vom 28.01.2012. Diese Richtlinie wurde durch die Änderungsrichtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten geändert; ABl. 2014, L 124, S. 1 ff. Art. 11 UVPRL blieb allerdings unberührt. Zur Änderungen der UVP-RL s. J. Wagner, EurUP 2014, S. 122 ff.
1. Teil, Einleitung
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grundsätzlich nicht zulassen, die Gründe, auf die der Rechtsbehelfsführer einen gerichtlichen Rechtsbehelf stützen kann, zu beschränken.52 Auch die Vorschriften hinsichtlich der Klagemöglichkeiten von Umweltschutzvereinigungen gegen Verfahrensfehler gem. § 4 UmwRG vom 21.01.2013 scheinen europarechtlich problematisch zu sein. Denn trotz geringfügiger Verbesserungen lässt die neue Fassung des UmwRG die Aufhebung von UVP-bedürftigen Genehmigungsentscheidungen grundsätzlich nur bei ausgebliebener Umweltverträglichkeitsprüfung (nachfolgend UVP) zu, nicht jedoch, wenn diese mangelhaft durchgeführt wurde. Dafür spricht auch das sog. Altrip-Urteil des EuGH53 sowie das EuGH-Urteil vom 15.10.2015.54 Zwar hat der EuGH im Altrip-Urteil die Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems bezüglich des Hinweises auf die Notwendigkeit der Verletzung einer materiellen Rechtsposition nicht aufgegriffen. Er hat aber grundsätzlich festgestellt, dass der Ausschluss der Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 in dem Fall, dass eine UVP zwar durchgeführt worden, aber mit einem schwerwiegenden Verfahrensfehler behaftet sei, dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot widerspreche.55 Gerade diese Rechtsprechung hat den deutschen Gesetzgeber zu einer entscheidenden Änderung des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 geführt. Aus diesem Anlass wurde daher das Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des EuGH vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 verabschiedet.56 Die Fassung des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 durch die Absätze 1 bis 1b dient der gesetzlichen Klarstellung mit Blick auf die Aussagen insbesondere des Altrip-Urteils und soll zugleich durch die Gliederung desn § 4 UmwRG vom 21.01.2013 die Rechtsanwendung erleichtern und erweitern, um eine Unionsrechtswidrigkeit zu vermeiden.57 Dabei erweisen sich die enge sechswöchige Klagebegründungsfrist, die gerichtliche Zurückweisungsmöglichkeit von Erklärungen und Beweismitteln gem. § 4a Abs. 1 UmwRG sowie die Sonderregelung zum einstweiligen Rechtsschutz im umweltbezogenen verwal51 Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – Neufassung der Industrieemissions-RL 2010/75/EU) ABl. v. 17.12.2010, L 334/17. 52 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 77 ff. (Kommission/Deutschland), juris, NuR 2015, S. 765 ff.; mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., d). 53 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; s. 1. Teil, 3. Kap., V., 3. ff. 54 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 50 (Kommission/Deutschland), juris (sowie NuR 2015, S. 765 ff.); mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., IV. ff. 55 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 37 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 81 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 233. 56 Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015. 57 BT-Drs. 18/5927, S. 9; mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., V. ff.
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1. Teil, Einleitung
tungsgerichtlichen Verfahren gem. § 4a Abs. 3 UmwRG als überflüssig und rechtsproblematisch.58 Es war fraglich, ob sie dem aus der AK hervorgegangenen Grundsatz eines weiten Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten rechtmäßig dienen. Zudem bildete die Tatsache, dass § 5 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 aus seinem zeitlichen Geltungsbereich umweltschutzrelevante Verfahren ausnimmt, die vor Inkrafttreten der UVP-RL eingeleitet wurden, noch ein europarechtlich fragliches Rechtsschutzhindernis.59 Auch unter dem Einfluss des Altrip Urteils, das für die Unionsrechtswidrigkeit der oben genannten Vorschrift argumentierte,60 hat der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des EuGH vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 diese problematische Norm des § 5 UmwRG vom 20.11.2015 geändert.61 Vor dem Hintergrund, dass der EuGH62 sowie die Stellungnahme des Aarhus Compliance Committees63 entschieden haben, dass die Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Umweltverbände nicht vollständig den europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben entsprechen,64 wurde am 29.05.2017 durch das „Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europaund völkerrechtliche Vorgaben“ die bisher letzte Novelle des UmwRG erlassen.65 Dieses Gesetz trat am 02.06.2017 in Kraft. Damit wird erneut versucht, den Umweltrechtsschutz völker- und unionsrechtskonform auszugestalten.66 Trotz einiger positiver Bestimmungen weist auch diese Novelle rechtlich problematische Elemente hinsichtlich ihrer unions- und völkerrechtlichen Konformität auf.67
58
s. 1. Teil, 3. Kap., F., I. ff. 1. Teil, 3. Kap., F. ff. 60 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 28 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 38 ff.; mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., G., I., 2., 7. 61 Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015; mehr zu § 5 UmwRG vom 20.11.2015, s. u.1. Teil, 3. Kap., H., II. 62 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris. 63 Vgl. Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/ 2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 86 ff. 1. Teil, 4. Kap, B., V., 3., a). 64 Vgl. 1. Teil, 4. Kap, B., V., 3., a); 2. Teil, 3. Kap., C., IV. 65 BGBl. I 2017, Nr. 32, S. 1298; BT-Drs. 18/9526, 18/9909; siehe auch Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben (Stand 19.04.2016); BT-Drs. 18/9526 vom 05.09.2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 66 Vgl. BT-Drs. 18/12146, vom 26.04.2017 S. 6 ff.; BT-Drs. 18/9526 vom 05.09. 2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 67 s. 1. Teil, 3. Kap., H., I. ff. 59
1. Teil, Einleitung
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Außerdem geben verschiedene weitere aktuelle Urteile des EuGH dem nationalen Gesetzgeber kreative Impulse für eine Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes. Zu erwähnen ist etwa das sog. Braunbären-Urteil des EuGH68, das aus dem unionsrechtlichen Grundsatz des Effektivitätsgebots und des Äquivalenzgebots eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erweiterung des Zugangs zum Rechtsschutz für Umweltschutzvereinigungen, jedenfalls für Verletzungen von nationalem Umweltrecht, das aus dem EU-Recht hervorgeht, ableitet.69 Auch das sog Braunbären-Urteil II des EuGH hat entschieden, dass Umweltschutzvereinigungen und unmittelbar betroffene Einzelne jeden Verstoß gegen umweltschützende Vorschriften des Unionsrechts (einschließlich Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL), egal ob sie dem Schutz des Menschen oder der Natur dienen, gerichtlich rügen können müssen.70 Im Anschluss daran sollte nicht übersehen werden, dass auch die deutsche Rechtsprechung mit dem Grundsatz-Urteil des BVerwG vom 05.09.201371 versucht hat, Feststellungen der oben genannten umweltbezogenen EuGH-Rechtsprechung auf die deutsche Rechtsordnung zugunsten eines erweiterten Umweltrechtsschutzes anzuwenden. In Einklang mit der Lesart des EuGH im Braunbären-Urteil hat das BVerwG festgestellt, dass das Unionsrecht eine weite Auslegung auch der aus dem Luftqualitätsrecht folgenden subjektiven Rechtspositionen gebiete.72 Im Interesse vor allem des aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Grundsatzes des Effektivitätsgebots sei daher die Pflicht der zuständigen Behörden zur Aufstellung eines Luftreinhalteplanes gem. § 47 Abs. 1 BImSchG als subjektives Recht Drittbetroffener anzuerkennen. Daraus folgt eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven öffentlichen Rechts in der deutschen Rechtsordnung. Dies kann zu einer Resubjektivierung der Umweltverbandsklage führen, die sich nun anlässlich der relevanten Rechtsprechung des EuGH zwischen prozessualem Vorbehalt der VwGO und unionsrechtlicher Rechtsschutzeffektuierung ausrichtet.73 Diese Rechtsprechung stellt einen wichtigen Ausgangspunkt dar, der als Basis für eine Modifizierung des traditionellen Individualrechtsschutzsystems bzw. der 68 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 69 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; s. 1. Teil, 4. Kap., B. ff. 70 EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), Rn. 44 ff., ZUR 2017, S. 88 ff.; s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., VI. 71 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff. 72 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 43 ff., ZUR 2014, S. 52 ff. 73 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; s. 1. Teil, 5. Kap., B. ff.
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1. Teil, Einleitung
Schutznormtheorie zugunsten eines effektiveren überindividuellen Umweltrechtsschutzes im deutschen Recht genutzt werden könnte. Die Bedeutung, der Inhalt und die Auswirkungen der oben zusammengefasst dargestellten Fragen und Thematiken bezüglich der Problematik des deutschen überindividuellen Umweltrechtsschutzes sollen in den folgenden Kapiteln des Teils I dieser Arbeit detailliert erörtert, analysiert und erläutert werden. Aus einer dahingehenden Analyse können instruktive Lösungsansätze gewonnen werden, die eventuell zu einer effektiven Beseitigung vorhandener Umweltrechtsschutzdefizite auch des deutschen Rechts beitragen könnten.74
74
s. 1. Teil, 6. Kap., A. ff.
1. Kapitel
Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht und seine Schwachstellen im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes Um die besondere Problematik des überindividuellen Rechtsschutzes im deutschen Umweltrecht besser zu verstehen, wäre es plausibel, zunächst die rechtlichen Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems und seine Schwachstellen zusammengefasst darzustellen. Denn es scheint, wie gezeigt werden soll, dass sich die in der Einführung dargestellte Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im deutschen Recht überwiegend aus den Schwachstellen des deutschen Individualrechtsschutzsystems ergibt.
A. Konzeptionen der Funktion der Rechtskontrolle in der deutschen Rechtsordnung Es gibt zwei herrschende Konzeptionen, die die Funktion einer Rechtskontrolle bzw. des Rechtsschutzes des modernen Staatshandelns grundsätzlich bezeichnen und bestimmen: die Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes (contentieux subjectif) und die Konzeption der objektiven Rechtskontrolle (contentieux objectif).1 In der Regel bezweckt der Verwaltungsprozess eines modernen Staates – in Einklang mit seiner jeweiligen traditionellen, historischen Rechtsentwicklung – überwiegend entweder eine objektiv gerichtete Kontrolle des Verwaltungshandelns oder er gewährt einen Rechtsschutz für subjektive Rechte der Rechtsgenossen.2 Diese Unterscheidung, die namentlich von Léon Duguit entwickelt worden ist,3 prägt entscheidend den Umfang sowie die Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit eines Rechtsstaates.4 Bezweckt das jeweilige verwaltungsprozes1 Vgl. F. Kopp, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 11 ff.; C.-D. Classen, NJW 1995, S. 2457 ff.; J. Schwarze, NVwZ 1996, S. 22 ff.; J.-W. Woehrling, NVwZ 1998, S. 462 ff. 2 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 26 ff.; C.-F. Menger, DÖV 1955, S. 591 ff. 3 L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, 1923, S. 308 ff. 4 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 26 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
suale System, die objektive Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme zu überprüfen, handelt es sich um die Konzeption einer objektiven Rechtskontrolle. Hat das jeweilige verwaltungsprozessuale System den Schutz subjektiver Rechte zum Ziel (d. h., in ihm wird festgestellt, ob es zu einer Verletzung eines Individualrechts gekommen ist und wie diese Verletzung ausgeglichen werden soll), handelt es sich dann um die Konzeption eines subjektiven Rechtsschutzes.5
I. Zur Konzeption der objektiven Rechtskontrolle Der Schutz objektiven Rechts meint Vorkehrungen gegen die Verletzung von Rechtssätzen. Soweit dieser Schutz wirkt, kommt er mittelbar geschützten öffentlichen wie privaten Interessen zugute, unabhängig davon, ob sie zugleich subjektive Rechte darstellen.6 Insofern ist Aufgabe einer objektiven Rechtskontrolle die Bewahrung der Rechtsordnung. Denn in einem Rechtsstaat ist es notwendig, den Schutz des objektiven Rechts gegenüber dem Verhalten der Staatsorgane zu sichern. Die objektive Rechtskontrolle zielt prinzipiell auf die (Wieder-)Herstellung (rechts-)richtiger staatlicher Entscheidungen. Sie ist daher ihrer Funktion nach eine Entscheidungshilfe für die Verwaltung.7 Es muss aber beachtet werden, dass Zweck dieses Rechtsschutzmodells nicht nur die Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns, sondern auch der Schutz subjektiver Interessen ist.8 Denn der Pflicht zum Gesetzesgehorsam unterliegen auch Private.9 Es handelt sich somit nicht um eine rein objektive Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns, weil die klägerische Legitimation auf einer Beziehung zum Klagegegenstand beruht und gerade keine Popularklagebefugnis eingeräumt wird.10 Dieses Rechtsschutzkonzept ist gekennzeichnet durch einen Prozess, in dem, neben der Einhaltung materieller Normen, der Befolgung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine große Bedeutung beigemessen wird. Hauptgrund dafür ist, dass der Klageberechtigte dem Gericht eher als Informant denn als subjektiv Verletzter gegenübertritt. Daraus folgt, dass der Prüfmaßstab in solchen Rechtsschutzsystemen nicht so eindeutig wie bei den subjektiven Rechtsschutzkonzeptionen ist, in denen das subjektive Recht auch die Begründetheitsprüfung bestimmt.11 5 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 26. 6 Vgl. M. Sachs, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 19. 7 Vgl. W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 192. 8 R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, 2013, Rn. 32 ff. 9 Normativ ist dies in Art. 20 Abs. 3 GG an zentraler Stelle festgelegt; M. Sachs, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 19. 10 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 6. 11 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 6; R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, 2013, Rn. 32 ff.
A. Funktion der Rechtskontrolle in der deutschen Rechtsordnung
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Bei verwaltungsprozessualen Systemen, deren Grundlage von einer objektiven Rechtskontrolle ausgeht, übernimmt der klagende Bürger die Rolle eines Funktionärs der Verwaltungskontrolle. Verbandsklagen sowie Klagen von Bürgerinitiativen erfüllen hier ihre Funktion als Klage des Vertreters des öffentlichen Interesses.12 Charakteristisches Merkmal bei einer objektiven Rechtskontrolle ist somit die möglichst eingeschränkte Dispositionsbefugnis der Parteien über den Verfahrensgegenstand sowie eine weit über „inter partes“ hinausgehende Bindungswirkung der Kontrollentscheidung.13
II. Zur Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes Im Gegensatz zu der Konzeption der objektiven Rechtskontrolle ist die subjektive Rechtskontrolle im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass das subjektive Recht zum Selektionskriterium für die Kontrollmaßstäbe und -gegenstände wird. Objektivrechtliche Rechtsnormen sind Kontrollmaßstäbe nur insoweit, als sie auch subjektive Rechte gewähren oder zumindest mit ihnen einen Funktionszusammenhang bilden. Dergestalt sind bei der Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes nicht mehr alle Rechtsverstöße kontrollrelevant.14 Zwar leistet das System des subjektiven Rechtsschutzes auch eine objektive Rechtskontrolle und erfüllt auch deren Funktion,15 dies ist aber lediglich eine vom Gesetzgeber erwünschte Nebenfolge und prägt nicht entscheidend die Ausgestaltung dieses Kontrollsystems.16 Das System des subjektiven Rechtsschutzes bietet daher einen restriktiveren Rechtsschutz als das System der objektiven Rechtskontrolle. Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die Kontrollgegenstände. Die Bindungswirkung der Kontrollentscheidung bei der Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes auf die Streitbeteiligten ist durchaus „inter partes“ beschränkt.17 Vor diesem Hintergrund kann i. d. R. ein System, das den subjektiven Rechtsschutz bezweckt, nicht vor einer Gefährdung des subjektiven Rechts „vorsorglich“ einsetzen, da subjektiver Rechtsschutz in der Regel erst bei eingetretener 12
Vgl. F. Kopp, BayVBl 1980, S. 271 ff. Vgl. W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 192. Das System der objektiven Rechtskontrolle birgt in sich die Gefahr, entweder die Distanz der objektiven Rechtskontrolle zur aktiven Verwaltung aufzugeben oder der Hypertrophie von Klagen zu erliegen. Daher ist oftmals die Beschränkung der Kontrollinitiative durch ein Enumerationsprinzip oder ein Vorprüfungsverfahren eine systemkonforme Konsequenz objektiver gerichtlicher Rechtskontrollen. 14 Vgl. W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 193 ff. 15 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, NJW 1982, S. 2425 ff.; W. Berg, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 542 ff., m.w. N. 16 Vgl. C.-F. Menger, DÖV 1955, S. 591 ff. 17 Vgl. W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 193 ff. 13
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Rechtsverletzung eingreifen wird. Eine Kontrolle des subjektiven Rechtsschutzes ist insofern „reaktiv“ und rückt damit auf Distanz zum „aktiven“ Verwaltungsgeschehen.18 Es ist aber anzunehmen, dass der begrenzte Kontrollumfang des subjektiven Rechtsschutzes nicht alle Kontrollbedürfnisse einer objektiven Rechtskontrolle befriedigen kann. Er verweist insoweit auf seine Ergänzungsbedürftigkeit durch andere Staatskontrollen.19 Obwohl subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle unterschiedliche Funktionen einer Rechtskontrolle des Staatshandelns bezeichnen, muss aber unterstrichen werden, dass subjektive Rechte nicht ohne die objektive Rechtsordnung denkbar sind. Die Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes schließt zumindest teilweise objektive Rechtskontrolle ein, wie umgekehrt eine auf die Einhaltung der objektiven Rechtsordnung gerichtete Kontrolle notwendig auch einen Schutz für subjektive Rechte leistet.20 Das herrschende Verständnis des subjektiven öffentlichen Rechts stellt somit nicht auf eine strenge Dichotomie zwischen Individual- und Allgemeinheitsinteressen ab, sondern vielmehr auf die dem Einzelnen objektivrechtlich verliehene Befugnis, in individualschützenden Normen verankerte Positionen geltend zu machen und durchzusetzen.21 Vor diesem Hintergrund hat auch das subjektive Rechtsschutzverfahren den Schutz der objektiven Rechtsordnung zum Ziel; nur wird dieser über den natürlichen Egoismus der in ihren Rechten betroffenen Kläger vermittelt.22 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive wird allerdings kritisiert, dass dieses Verständnis zu kurz greift. Dies gilt vor allem, da es die Rechtspositionen von Hoheitsträgern (z. B. Körperschaften, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts), die dem Staat in einzelnen Beziehungen ähnlich gegenüberstehen wie Private, nicht umfasst.23 18 Vgl. ebd., S. 194. Diese Umstände drängen folglich auf organisatorische Unabhängigkeit zwischen dem staatlichen Entscheider und seinem gerichtlichen Kontrolleur, denn die unterschiedliche Perspektive beider bei Betrachtung desselben Gegenstandes prägt unvermeidlich ihre jeweilige Rolle. 19 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, VVDStRL, 1976, S. 266 ff. Trotzdem ist aber die Festlegung einer Rechtskontrolle auf die eine oder andere Funktion im Hinblick auf deren Umfang, Verfahren, Organisation und Wirkung so folgenreich, dass die Entscheidung einer Rechtsordnung für das eine oder das andere System nicht ohne Konsequenzen bleibt. 20 Vgl. W. Jellinek, VVDStRL 1925, S. 48 ff.; M. Herdegen, in: D. Heckmann/ K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 161 ff. 21 Vgl. H. Jarass, Art. 19 GG Abs. 4, in: GG-Komm., 2007, Rn. 32; M. Herdegen, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 161 ff.; O. Bachof, GS für W. Jellinek, 1955, S. 287 ff.; U. Ramsauer, AöR 1986, S. 506 ff. 22 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 38 ff.; M. Sachs, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 19. – Unter dem Begriff des Schutzes der objektiven Interessen wird das Ergreifen von Vorkehrungen gegen die Verletzung von Rechtssätzen verstanden.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Individualinteresse und Allgemeininteresse schließen einander somit durchaus nicht aus. Vielmehr finden Individualinteressen rechtliche Anerkennung, soweit sie nicht dem Allgemeininteresse zuwiderlaufen. Auf der anderen Seite liegt die Befriedigung von Allgemeininteressen mittelbar auch im Interesse der die Gemeinschaft bildenden Individuen.24 Letztlich dient die Anerkennung subjektiver Rechte ebenso wie deren Durchsetzung der Wahrung objektiven Rechts und sichert damit die Normativität der positiven Rechtsordnung insgesamt.25 Infolgedessen stellt das herrschende Verständnis des subjektiven öffentlichen Rechts nicht auf eine strenge Dichotomie zwischen Individual- und Allgemeininteresse, sondern vielmehr auf die dem Einzelnen verliehene Befugnis ab, in individualschützenden Normen verankerte Positionen geltend zu machen und durchzusetzen.26 Trotzdem ist aber die Festlegung einer Rechtskontrolle auf die eine oder die andere Funktion im Hinblick auf deren Umfang, Verfahren, Organisation und Wirkung so folgenreich, dass die Entscheidung einer Rechtsordnung für das eine oder das andere System nicht ohne Konsequenzen bleibt.27
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung Die moderne deutsche Rechtsordnung entschied sich vor allem gem. Art. 19 Abs. 4 GG sowie gem. Art. 42 Abs. 2 VwGO letztlich für die letzte Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechtsschutzes, die sich prinzipiell am Schutz von subjektiven öffentlichen Rechten des Einzelnen ausrichtet. Dadurch wird aber im deutschen Individualrechtsschutzsystem gleichzeitig auch der Schutz der objektiven Rechtsordnung bezweckt.28 Es bleibt aber aktuell immer noch insbesondere im kritischen Bereich des Umweltrechts die Frage zweifelhaft, wie viel objektive Rechtskontrolle eine subjektivrechtlich ausgerichtete verwaltungsgerichtliche Rechtskontrolle leisten muss und kann, insbesondere dort, wo es keinen individuellen Kläger gibt. Im Hinblick darauf müssen auch die Vorgaben des europäi23 Vgl. M. Herdegen, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 162; D. Suhr, Immissionsschäden vor Gericht, 1986, S. 110 ff. 24 Ebd. 25 Vgl. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 68 ff.; M. Herdegen, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 162 ff. 26 Vgl. O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 287 ff.; U. Ramsauer, AÖR 1986, S. 503 ff., S. 509 ff.; M. Herdegen, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 161 ff. 27 Vgl. W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 192. 28 Vgl. P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GGKomm., 2005, Rn. 344; H. Jarass, Art. 19 GG Abs. 4, in: GG-Komm., 2007, Rn. 32.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
schen Umweltrechtsschutzes berücksichtigt werden. Denn sie beeinflussen ausschlaggebend auch die Gestaltung des staatlichen Umweltrechtsschutzes, speziell in Gebieten, in denen keine Verletzung von eigenen Rechten vorliegt, nämlich im Bereich des Umweltrechtsschutzes von kollektiven Rechtsgütern.29 Bevor aber diese Frage mit ausdrücklichem Augenmerk auf das deutsche Umweltrecht untersucht wird, sollen zusammenfassend die rechtshistorischen Hintergründe der Entstehung des deutschen Rechtsschutzsystems dargestellt werden. Dadurch können nicht nur die Gestaltung, sondern auch die Schwachstellen des deutschen Rechtsschutzsystems gerade im speziellen Bereich des kollektiven Umweltrechtsschutzes besser verstanden werden. Damit könnte auch die Tendenz bzw. das Beharren des deutschen Gesetzgebers, dieses System grundsätzlich unverändert dauerhaft beizubehalten, besser erklärt werden.
I. Rechtshistorische Grundlagen Das System einer objektiven Rechtskontrolle sowie das System des subjektiven Rechtsschutzes haben in Deutschland historische Vorbilder. Einerseits wies das preußische System der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich charakteristische Kennzeichen einer objektiven Selbstkontrolle der Verwaltung auf.30 Die Verwaltungsjurisdiktion sollte als objektives Verfahren dem Ausgleich der im konstitutionellen Staat parteiisch gewordenen Verwaltung und der Integration der Gesellschaft in Verwaltung und Rechtsprechung dienen.31 Erforderliche Voraussetzungen für die Legitimation der Kontrollverfahren waren somit Rechtswidrigkeit und Ungleichheit – „iniquitas“ – der Verwaltungsentscheidungen, nicht aber die Verletzung subjektiver Rechte des Bürgers, dessen Kontrollinitiative im Dienst der gesetz- und ordnungsgemäßen Verwaltung stand.32 29
s. u. 3. Teil, 1. Kap., A. ff. „Es handelt sich im Verwaltungsrecht um eine objektive Rechtsordnung, welche auch unabhängig von Parteianträgen und über die Parteianträge hinaus, um des öffentlichen Rechts und Wohles willen, zu handhaben ist.“, R. v. Gneist, Verhandlungen 12. DJT 1875, Bd. 3, S. 232; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, 1997, S. 77 ff.; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 87 ff.; W. Rüfner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 1984, S. 910 ff. Die objektive Rechtskontrolle durch die ordentlichen Gerichte wurde nach 1808 stufenweise abgebaut. Diese Entwicklung vollzog sich in Preußen sowie in anderen norddeutschen Ländern langsam und ohne einen ausgeprägten Bruch der Tradition im Gegensatz zu den süddeutschen Ländern, die besonders unter napoleonischem Einfluss gestanden hatten. 31 Vgl. R. v. Gneist, Verhandlungen 12. DJT 1875, Bd. 3, S. 225 ff.; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 195 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, 2003, Rn. 11 ff. 32 R. v. Gneist, Verhandlungen 12. DJT 1875, Bd. 3, S. 233, S. 238. Es handelt sich im Ergebnis um die Initiative für eine Korrektur der Behördentätigkeit, welche geeignetenfalls auch von Amtswegen eintreten könnte und sollte. Der Verbund zwischen Verwaltung und „Verwaltungsjurisdiction“ sei eine „jurisdiction attributive“. 30
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Die preußische Rechtsschutzkonzeption der objektiven Rechtskontrolle wurde grundsätzlich durch die Lehre von Rudolf von Gneist beeinflusst. Für ihn stand – im Einklang mit den Liberalismustheorien – die strikte Trennung von Staat und Gesellschaft im Vordergrund. Es ging somit weniger um den Schutz subjektiver Rechte und Interessen als vielmehr um objektive Rechtskontrolle, ausgerichtet am Maßstab des öffentlichen Rechts. Als „bürgerliche Gerichte“ waren für ihn die ordentlichen Gerichte zur Kontrolle der Verwaltung, zur Verwirklichung des Gemeinwohls33 und zur Anwendung des öffentlichen Rechts nicht geeignet.34 Dazu bildeten gegenüber der preußischen Konzeption der objektiven Rechtskontrolle das süddeutsche und insbesondere das württembergische System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes den größten Gegensatz. Die Entwicklung der württembergischen Administrativjustiz war schon früh durch eine restriktive Rechtskontrolle gekennzeichnet.35 Diese Tendenz zeigt schon das württembergische Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (16.12.1876).36 Neben einer enumerativen Aufzählung von Verwaltungsstreitsachen enthielt Art. 13 Abs. 1 des oben genannten Gesetzes eine Generalklausel, die die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde zum württembergischen VGH auch von der Behauptung einer Verletzung subjektiven Rechts abhängig machte. Darüber hinaus schloss Art. 13 Abs. 2 dieses Gesetzes diese Beschwerde bei Ermessensentscheidungen aus. Das württembergische Rechtsschutzsystem der subjektiven Rechtskontrolle wurde insbesondere durch die Lehre von Otto Bähr ausgeprägt. In seiner Schrift „Der Rechtsstaat“ (1864) sah er den Staat gleichsam als oberste der genossenschaftlichen Organisationen der Gesellschaft. Von diesem Ausgangspunkt aus hat er den Schutz der individuellen Rechtssphäre durch die öffentliche Gerichtsbarkeit befürwortet.37 In dieselbe Richtung hat auch die Ansicht Otto von Sarweys mitgewirkt, dass Verwaltungskontrolle um des Schutzes subjektiver Rechte willen bestehe.38 33 Der Begriff des Gemeinwohls umschreibt die Sache des ganzen Gemeinwesens im Unterschied zu den Sonder- und Eigenbelangen seiner Glieder, sowohl der Individuen als auch der Gruppen. Das „Gemeinwohl“ ist überwiegend mit dem Begriff des „öffentlichen Interesses“ gleichzusetzen. Vgl. dazu C. Calliess, ZUR 2000, S. 246 ff.; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 2006, S. 32 ff., m.w. N. 34 Vgl. R. v. Gneist, Verhandlungen 12. DJT 1875, Bd. 3, S. 220 ff.; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2008, S. 26 ff., m.w. N. Die Lehre Gneists setzte sich im Hinblick auf die Eigenständigkeit der Verwaltungsgerichte durch. Infolgedessen entstand in Preußen eine eigenständige Verwaltungsgerichtsbarkeit, die verhinderte, dass sich der Staat für sein hoheitliches Tätigwerden wie der Bürger vor dem ordentlichen Gericht zu verantworten hatte. 35 Vgl. W. Rüfner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 1984, S. 910 ff., m.w. N.; R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, 2013, Rn. 11 ff. 36 Reg.Bl. S. 485 ff. 37 Vgl. F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2008, S. 26 ff. 38 Vgl. O. v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 73 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Von Bedeutung ist, dass das subjektive öffentliche Recht um die Wende des 19. Jahrhunderts vor allem von G. Jellinek und O. Bühler in Anlehnung an das zuvor im Privatrecht entwickelte Rechtsinstitut des „subjektiven Rechts“ begründet wurde. Es handelt sich in der Praxis um die partielle Subjektivierung des objektiven Rechts.39 Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts ist vor allem das Ergebnis eines ideen- und dogmengeschichtlichen Ringens um die Begründung und die Bestimmung der Rechtsstellung des Individuums im Rechtsstaat,40 das seine entscheidenden Impulse grundsätzlich durch F.-C. v. Savignys Fundierung der individuellen Berechtigung41 in der Freiheitslehre des kantianischen Idealismus,42 B. Windscheids Abkehr von aktionenrechtlichem Denken aufgrund der sog. Willenstheorie,43 C.-F.-W. v. Gerbers Lehre hinsichtlich der
39 Vgl. M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002, S. 145 ff.; H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 104 ff.; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 24 ff. 40 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 87 ff. 41 Die Doppelnatur (subjektive und objektive Natur) des Rechts tritt in F.-C. Savignys berühmter Definition des „Rechts im subjektiven Sinne“ hervor: „Betrachten wir den Rechtszustand, so wie er uns im wirklichen Leben von allen Seiten umgibt und durchdringt, so erscheint uns darin zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unserer Einstimmung herrscht.“ F.-C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1840, Bd. 1, S. 7; K. Günther, Rechtshistorisches Journal 1992, S. 476 ff. 42 Insbesondere habe die kantianische Kritik der Vernunft gezeigt, „dass die Vernunft nicht ein Arsenal fertiger theoretischer Erkenntnisse, anwendungsreifer ethisch und ästhetischer Normen sei, vielmehr ist nur das Vermögen, zu solchen Erkenntnissen und Normen zu gelangen, ein Inbegriff nicht von Antworten, sondern von Fragen, von Gesichtspunkten, mit denen man an die Gegebenheit herantritt, von Formen, die erst durch die Aufnahme eines gegebenen Stoffes, von Kategorien, die erst durch die Anwendung auf ein gegebenes Material Urteile oder Beurteilungen bestimmten Inhalts zu liefern vermögen, die niemals das Produkt reiner Vernunft, sondern immer nur ihre Anwendung auf bestimmte Gegebenheiten – und deshalb niemals allgemein, sondern immer nur für diese Gegebenheit gültig seien“. Savignys Definition reflektiert im subjektiven Sinne wohl die ausgeführte kantianische Auffassung. Vgl. G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 1999, S. 21. 43 Vgl. B. Windscheid, Die Actio des römischen Zivilrechts, 1856, S. 1 ff.; ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1906, S. 155 ff.; B. Windscheid unterscheidet subjektive Rechte auf eigenes Verhalten und Rechte auf ein Verhalten anderer Personen. Beide Arten von subjektiven Rechten soll die Definition umfassen „Recht ist eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft“. Zu den juristischen Errungenschaften Windscheids gehört u. a. die Etablierung des materiell-rechtlichen Anspruchs in seiner heutigen Form in Abgrenzung zur römisch-rechtlichen Actio als reiner Klageformel. Unter dem Anspruch im materiell-rechtlichen Sinne des Zivilrechts wird das Recht eines Einzelnen (subjektives Recht) verstanden, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Vgl. dazu D. Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 2002, S. 86, S. 90 ff., m.w. N.; kritisch zur Willenstheorie: H. Kelsen, in: M. Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Hbd. Bd. 2.2, 2008, S. 739 ff.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Abgrenzung des Staatsrechts vom Zivilrecht44 und R. v. Jherings funktionaler Strukturbestimmung des Rechts, die sich in der jheringschen Zweck- oder Interessentheorie widerspiegelt,45 erhielt.46 Durch eine Kombination der Zweck- oder Interessentheorie und der Willenstheorie entstand die heute herrschende sog. Kombinationstheorie. Danach ist vom Vorliegen eines subjektiven Rechts dann auszugehen, wenn die Norm ein Interesse eines Rechtssubjekts schützen soll und diesem zur Durchsetzung dieses Interesses eine Rechts- oder Willensmacht eingeräumt wird. Diese Theorie vereinigt im Begriffe des subjektiven Rechts sowohl das Zweck- als auch das Willensmoment, wobei das Hauptgewicht bald auf den einen, bald auf den anderen der beiden Faktoren gelegt wird.47 Trotz der ausgeübten Kritik48 hat diese Theorie entscheidend die inhaltliche Gestaltung des Begriffs des subjektiven öffentlichen Rechts geprägt.49 Vor diesem Hintergrund erkannte beispielsweise O. v. Sarwey die Existenz von subjektiven öffentlichen Rechten an und definierte sie als ein rechtlich geschütz44 Vgl. C.-F.-W. v. Gerber, Über öffentliche Rechte, 1968, S. 10 ff., S. 24. Gerber hatte eine spezifisch rechtswissenschaftliche Behandlung des Staatsrechts in Abgrenzung zum Privatrecht zum Ziel, obwohl er die erforderlichen staatsrechtlichen Prinzipien vom Privatrecht ausgehend bildete. Grundlegend für seine Darstellung des Staatsrechts waren die subjektiven öffentlichen Rechte von Monarchen, Beamten und Untertanen, die er erstmals im Wesentlichen ohne Rückgriffe auf außerjuristische Prinzipien darstellte. Der Ansicht Gerbers nach sei z. B. das subjektive öffentliche Recht der Beamten auf Gehorsam und Anerkennung ihrer Verfügungen und Anordnungen lediglich das Recht des Monarchen, das diese als vollziehende Organe wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund hat Gerber die Entstehung des subjektiven öffentlichen Rechts wesentlich beeinflusst. In dieselbe Richtung auch G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 193 ff.; vgl. ausführlich: B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 65 ff. 45 Vgl. R. v. Jhering, Geist des Römischen Rechts, 1865, S. 327 ff.; Jhering definiert das subjektive Recht als „rechtlich geschütztes Interesse“, weil nur um des Interesses willen die Rechtsordnung subjektive Rechte gewähre. Insofern diene das subjektive Recht nur dem Schutz individueller Interessen. Das konstituierende Merkmal dieser Definition bildet daher der Zweck. Krit. dazu H. Kelsen, in: M. Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Hbd., Bd. 2.2, 2008, S. 725 ff. Er argumentiert damit, dass das materielle Zweckmoment niemals Bestandteil eines formalen Rechtsbegriffs sein kann. Dahingehend erscheint diese Theorie in sich widersprüchlich. 46 Vgl. konkreter: B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 49 ff.; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 56 ff.; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 73 ff.; A. Scherzberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 1. 47 Vgl. O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 288 ff.; R.-W. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2005, Rn. 496; B. Wiegand, BayVBl 1994, S. 609 ff., S. 647 ff.; H. Bauer, AöR 1988, S. 582 ff., S. 287 ff.; vgl. auch E. Bernatzik, Kritische Studien über den Begriff der juristischen Person, 1996, S. 12 ff. 48 Vgl. H. Kelsen, in: M. Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Hbd., Bd. 2, 2008, S. 750 ff. 49 Vgl. R.-W. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2005, Rn. 496, m.w. N.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
tes Interesse.50 Auch O. Mayer erkannte subjektive öffentliche Rechte der Untertanen an. Seiner Ansicht nach seien diese die Macht über die öffentliche Gewalt, die einem Untertanen zustehe, „um seines eigenen Vorteils willen“.51 Grundlegende Marksteine der Rechtsentwicklung hinsichtlich der Begründung der Lehre von subjektiven öffentlichen Rechten sind unter anderem die Deutung des Staates als „juristische Person“ – die als Träger der nunmehr einheitlich verstandenen Staatsgewalt dem eingeebneten Untertanenverband gegenübergestellt wurde, die Gewährung von Grundrechten, die in der zweiten Jahrhunderthälfte in eine Frontstellung gegen den Staat gebracht wurden, weil sie den Nutzungsinteressen tendenziell einen Vorrang vor Schutzinteressen einräumen –, aber auch die Entwicklung liberal-rechtsstaatlicher Prinzipien, die Rechtswegspaltung von öffentlichem und privatem Recht sowie die Hinwendung zur positivistischen Methode im Staats- und Verwaltungsrecht.52 Kurzgefasst ist die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht insoweit Produkt des historischen Kompromisses im 19. Jahrhundert zwischen Bürgertum und Monarchie im deutschen Konstitutionalismus.53 Eine Rolle dabei hat auch der um 1848/49 verlorene Kampf des aufstrebenden Bürgertums um die Übernahme der Macht im Staat gespielt.54 Einerseits wurde teilweise die Freiheit des Privaten und der Privatinitiative garantiert. Dadurch suchte das Bürgertum seine erste Emanzipationsstufe abzusichern.55 Andererseits blieb die Sorge um das Gemeinwohl, also das öffentliche Interesse bzw. das Interesse des Ganzen der bürgerlichen Gesellschaft,56 sowie das Gemeinwesen „des Kaisers“, nämlich der Verwaltung. Die Bewältigung einer an rechtlichen Maßstäben orientierten Kontrolle durch den einzelnen Bürger und die von ihm anzurufenden Gerichte wurde somit grundsätzlich entzogen. Der Bürger hatte sich somit ausschließlich um seine An50
Vgl. O. v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1887, S. 120. Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1924, S. 110 ff.; eindeutiger: ders., Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bd. 1, 1924, S. 106 ff. In dieselbe Richtung auch F. F. Mayer, Karl Freiherr von Strengel, G. Meyer u. a. Mehr in: B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 71 ff. 52 Vgl. H. Bauer, DVBl 1986, S. 209, m.w. N.; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224; ders., Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, § 18, m.w. N. 53 Vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 83 ff.; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 49 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 101 ff.; B. Wegener, ZEuS 1998, S. 184 ff.; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224; P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 157. 54 Vgl. B. Wegener, HFR 2000, S. 7, m.w. N. Ausführlich zum Thema der deutschen Revolution von 1848/49 s. u. a. W. Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, 1985, S. 18 ff., m.w. N. 55 Vgl. P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 157. 56 Mehr dazu u. a. in G. Schuppert, Gemeinwohl, 2002, S. 21 ff.; H. Anheier/V. Then, in: dies. (Hrsg.), Zwischen Eigennutz und Gemeinwohl, 2004, S. 11 ff.; C. Strünk, Gibt es ein Recht auf Gemeinwohl?, 2014, S. 2 ff.; jeweils m.w. N. 51
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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gelegenheiten zu kümmern.57 Die Alleinzuständigkeit der Verwaltung für die Wahrung des Gemeinwohls war der Preis, der für den erkämpften Schutz der Privatsphäre zu entrichten war.58 Ihre Entstehung läßt sich somit grundsätzlich historisch erklären und diese historische Erklärung stützt ihrerseits die These, nach der die Beschränkung auf den Individualrechtsschutz im öffentlichen Recht auch in ihrer heutigen Gestalt der Trostpreis aus einem verlorenen Kampf um politische Teilhabe und Demokratie ist.59 Diese im Konstitutionalismus wurzelnde Tradition des deutschen Rechts wirkt nach, anders als etwa in Frankreich, Spanien, Portugal, Luxemburg, Belgien, Griechenland und anderen Ländern60, um den Zugang zu den Verwaltungsgerichten relativ eng zu handhaben.61 Denn Leitbild im deutschen Rechtsschutzsystem ist der „persönlich Betroffene“, nicht etwa der sozial, kulturell oder politisch Engagierte, der schlicht die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns überprüfen lassen will.62 Als Surrogat für die in Relation zu Frankreich, England und den Vereinigten Staaten unterbliebene Demokratisierung wurde dem aufstrebenden Bürgertum seinerzeit die Rechtsstaatlichkeit „gewährt“; zumal im Interesse ungestörter wirtschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten der „bourgeois“ Rechtssicherheit genießen sollte, ohne jedoch an der Staatsgewalt zu partizipieren und zum „citoyen“ zu werden.63 Dem entsprach ein Klagerecht allein bei unmittelbaren und rechtsförmigen (Grund-)Rechtseingriffen durch die Verwaltung, was den Einzelnen darauf verwies, sich um seine ganz privaten Angelegenheiten zu kümmern – aber nicht 57 Vgl. F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224 ff.; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 83 ff. 58 Vgl. P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 157. 59 Vgl. B. Wegener, HFR 2000, S. 6. 60 Über die rechtlichen Voraussetzungen des Zugangs zu Gerichten insbesondere in Umweltangelegenheiten in Frankreich vgl.: J.-M. Woehrling, VBlBW 2008, S. 1 ff., m.w. N.; in Spanien vgl.: A. Herrero de la Fuente, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 421 ff., m.w. N.; in Portugal vgl.: J. Pereira Reis/M. de Andrade Neves, in: J. Ebbesson (Hrsg.), 2002, S. 399 ff., m.w. N.; in Luxemburg vgl.: G. Dauphine, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 347 ff., m.w. N.; in Belgien vgl.: P. Moërynck/S. Nicolas, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 121 ff., m.w. N.; in Griechenland vgl.: G. Siouti/G. Gerapetritis, Greece, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 267 ff., m.w. N. 61 Vgl. H. Bauer, AöR 1988, S. 592 ff.; G. Winter, NVwZ 1999, S. 468; M. SchmidtPreuß, in: FS für H. Maurer, 2001, S. 791 ff.; M. Böhm, DÖV 2000, S. 991 ff.; dies./ N. Okubo, 2007, S. 827 ff.; C.-D. Classen, NJW 1995, S. 2457 ff.; A. Epiney, EurUP 2006, S. 242 ff.; M. Reiling, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 412 ff., S. 524 ff. 62 Vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, 1997, S. 83 ff.; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 5 ff. 63 Vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, 1997, S. 55 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 5 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
etwa die Rechtmäßigkeit öffentlichen Handelns sicherstellen zu wollen, die ihn nichts „anging“. In diesem Rahmen war das subjektive öffentliche Recht des einzelnen Klägers gegenüber der im Einzelfall tätig werdenden Exekutive das Vehikel für die Entwicklung des Untertans zum Bürger.64 Der entsprechende Vergleich mit der französischen Entwicklung – die unter anderem auch die griechische Rechtsschutzordnung weitgehend beeinflusst hat65 –, welche historisch die Idee der Demokratie nicht durch die Rechtsstaatlichkeit substituierte, unterstreicht insbesondere, wie die Verfassungs- und Verwaltungsrechtsgeschichte offenbar in der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht nachwirkt.66 Denn anders als im deutschen Konstitutionalismus war in Frankreich seit 1789 – von Restaurationsphasen abgesehen – eine unpolitische und dem Bürger gegenüber nicht verantwortliche Administration kein Thema; während in Deutschland der Bürger mit dem subjektiven öffentlichen Recht eben nicht die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, sondern seinen Anspruch auf Privatheit geltend machte und macht.67 Obwohl zwar anfangs die subjektiven öffentlichen Rechte des Monarchen im Vordergrund standen, rückten seit Ende des 19. Jahrhunderts schrittweise die subjektiven öffentlichen Rechten des Einzelnen in den Vordergrund, insbesondere nach der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Bundesländern. Eine entscheidende Rolle hierfür spielte insbesondere die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte.68 Das Ende der Monarchie in der Novemberrevolution von 1918 und der Übergang zur demokratischen Republik brachten für die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht und das Modell des reinen Individualrechtsschutzes eher Konsolidierung als Wandel.69 Zu sehr erschienen Rechtsstaat, Verwaltungsrechtsschutz und subjektiv öffentliches Recht als zentrale Errungenschaften des Bürgertums, als dass ihre prinzipiellen Beschränkungen unter ohnehin nur wenig entwickelten demokratietheoretischen Gesichtspunkten hätten in Frage gestellt werden können.70 64 Vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers 1997, S. 83; N. Weiß, in: ders. (Hrsg.), Rechtsschutz als Element von Rechtsstaatlichkeit, 2011, S. 13 ff. 65 Mehr zum griechischen Rechtsschutzsystem s. u. in 2. Teil, 2. Kap. 66 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 24; C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996; J.-M. Woehrling, NVwZ 1998, S. 462 ff. 67 J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, 1997, S. 88. 68 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 49 ff., S. 246 ff., m.w. N.; W.-R. Schenke, Art. 19 Abs. 4 GG, in: BK, 1982, Rn. 7 ff. 69 Vgl. H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 84 ff. 70 B. Wegener, HFR 2000, S. 7, m.w. N.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Im Hinblick darauf wurde unter dem Einfluss der Weimarer Reichsverfassung das subjektive öffentliche Recht des Einzelnen gegenüber dem subjektiven öffentlichen Recht des Staates in den Vordergrund gestellt. Grundsätzlich wurden subjektive öffentliche Rechte des Einzelnen anerkannt. Trotzdem gab es deutliche Unterschiede bei den Voraussetzungen, und insbesondere bei den Grundrechten war streitig, ob diese subjektive öffentliche Rechte sein könnten.71 Während der NS-Zeit wurde allerdings die Lehre der subjektiven öffentlichen Rechte grundsätzlich verdrängt.72 Auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde in den Jahren von 1933 bis 1939 durch Abschaffung des Gerichts erster Instanz und Zulassung eines Rekurses an die Oberverwaltungsgerichte durch die Verwaltung ersetzt. Im Jahr 1939 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit weitgehend beseitigt und durch eine Beschwerdemöglichkeit bei den zuständigen Verwaltungsbehörden ersetzt.73 Dem aufziehenden Geist der NS-Zeit und der ihn nachfolgend umsetzenden nationalsozialistischen „Rechtserneuerung“ ging es aber nicht um eine demokratisch motivierte Ausdehnung. Denn Ziel und Aufgabe dieser Initiative war die praktische und theoretische Entrechtung des Individuums und seine Eingliederung in die „völkischen Gemeinschaft“ bzw. für andere die Ausgrenzung aus der „völkischen Gemeinschaft“.74 Die schmerzhaften Konsequenzen der auf Entrechtung und Ausgrenzung gerichteten nationalsozialistischen Ideologie prägten später die Rechtsordnung der Nachkriegszeit und wirken fort, wie sich gerade an der nachkriegszeitlichen Wiederherstellung des Individualrechtsschutzsystems bzw. an der fortbestehenden Zurückhaltung gegenüber der Klagebefugnis Drittbetroffener bzw. dem Gemeinwohlbegriff zeigen läßt. Denn im Grunde genommen war und ist die aktuelle grundrechtliche Garantie des individuellen Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG die notwendige Antwort auf den im Namen der Volksgemeinschaft gegen den Einzelnen gerichteten Terror.75 In der DDR wurde – bis zur Wiedervereinigung – das Wesen der subjektiven öffentlichen Rechte grundsätzlich geändert. Denn die subjektiven Rechte des Staats- und Verwaltungsrechts wurden als Einheit mit den diesen Rechten entsprechenden Pflichten angesehen. Schon im Jahr 1952 wurden die Verwaltungs-
71 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 149 ff.; W.-R. Schenke, Art. 19 Abs. 4 GG, in: BK, 1982, Rn. 16 ff. 72 Vgl. G. Christonakis, Das verwaltungsprozessuale Rechtsschutzinteresse, 2004, S. 50; B. Wegener, HFR 2000, Beitrag 3; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 165 ff. Das totalitaristische Regierungsmodell des Dritten Reiches hat eindeutig die Volksgemeinschaft zulasten der subjektiven Rechte des Einzelnen gefördert. Charakteristisch dafür sind Formeln wie z. B. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, „Volksgemeinschaft statt subjektiver Rechte“ u. a. 73 Vgl. W.-R. Schenke, Art. 19 Abs. 4 GG, in: BK, 1982, Rn. 22 ff.; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 165 ff. 74 B. Wegener, HFR 2000, S. 7, m.w. N. 75 Ebd.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
gerichte mit der Abschaffung der Länder aufgelöst.76 Dem Einzelnen wurde eine Obliegenheit zur Mitwirkung im Staat durch die einheitliche Rechte- und Pflichtenstellung auferlegt. Infolgedessen hatten der sozialistische Staat und seine Bürger nicht gegenteiligen Interessen.77 Erst nach der Wiedervereinigung wurde unter der Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG in den neuen Ländern eine Verwaltungsgerichtsbarkeit wieder aufgebaut.78 Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Umfeld der öffentlichen subjektiven Rechte durch rechtliche und gleichwohl gesellschaftspolitische Änderungen erheblich erweitert.79 Die alte elementare Vorstellung der Lehre von subjektiven öffentlichen Rechten, dass jeder Staatsbürger Rechte gegen die öffentliche Gewalt haben und dass jeder Staat, der auf den Namen Rechtsstaat Anspruch erhebt, die Möglichkeit der Verteidigung dieser Rechte vor einem unabhängigen Gericht schaffen müsse, hat schließlich in Art. 19 Abs. 4 GG80 des Bonner Grundgesetzes81 ihre Erfüllung gefunden. Diese Vorschrift als prozessuales Grundrecht war zu diesem Zeitpunkt ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte und ohne Vorbild in ausländischen Verfassungsordnungen.82 Damit endete der rechtspolitische Kampf um die Einführung eines spezifisch gerichtlichen Schutzes gegen das Verwaltungshandeln.83 In Art. 19 Abs. 4 GG liegt ein Hauptfortschritt der modernen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der allgemein durchgedrungen ist und schließlich auf die wichtigste der einschlägigen bundesgesetzlichen Regelungen Einfluss genommen hat.84 Art. 19 Abs. 4 S. 3 wurde erst 1968 im Rahmen der Notstandsgesetzgebung in
76 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 5. 77 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 49 ff., S. 190 ff.; W.-R. Schenke, Art. 19 IV GG, in: BK, 1982, Rn. 31 ff. 78 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 5. 79 Vgl. ausführlich: B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 189 ff. 80 Art. 19 des Bonner-GG lautete: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.“ 81 Das Bonner Grundgesetz wurde am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat mehrheitlich angenommen. Am 12. Mai 1949 wurde es mit einigen Vorbehalten von den Militärgouverneuren der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone genehmigt. Es ist schließlich am 24. Mai 1949 in Kraft getreten. 82 Vgl. W.-R. Schenke, Art. 19 IV GG, in: BK, 1982, Rn. 24 ff.; H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 1. 83 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 2. 84 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 10 ff.; W.-R. Schenke, Art. 19 IV GG, in: BK, 1982, S. 3 ff.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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das Grundgesetz eingefügt, um eine Durchbrechung des neu eingefügten Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG zu ermöglichen.85 Im Anschluss daran lautete § 19 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGG) vom 23.09.1952: „Die Anfechtungsklage kann nur erheben, wer behauptet, durch einen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.“86
Nach heftigen Kontroversen87 zwischen Bundesregierung und Bundesrat trat § 42 Abs. 2 VwGO am 01.04.1960 in seiner heutigen Gestalt in Kraft.88 Wie schon die Formulierung der oben angesprochenen, grundlegenden Vorschriften deutlich zeigt, hat mit der Entwicklung der Lehre von den subjektiven öffentlichen Rechten die deutsche Rechtsordnung stufenweise auf die umstrittene Frage nach dem Hauptzweck der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit Stellung genommen. Sie hat sich vorwiegend – im Gegensatz zu einer objektiven Rechtsmäßigkeitskontrolle – für den Schutz subjektiver Rechte als Bezugspunkt der Verwaltungskontrolle entschieden.89 Sie hat damit das bis heute geltende Individualrechtsschutzsystem des deutschen Rechts gegründet.90 Der deutsche Gesetzgeber hat somit prinzipiell den Grundrechten die Funktion, die Wahrung und Sicherung privater Interessen zu höchstrangigen öffentlichen Anliegen zu bestimmen und dem Staat nur die Rolle des Instruments, die eines Ziels der Gemeinwohlverwirklichung, zugewiesen.91
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Ebd., S. 7 ff. Vgl. O. Bühler, GS für W. Jellinek, 1955, S. 269. 87 Der Ansicht der Regierung nach sollte die Klage zulässig sein, „wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung beschwert zu sein“. Dieser Fassung widersprach aber der Bundesrat, der die Zulässigkeit der Klage von der klägerischen Behauptung abhängig gemacht zu sehen wünschte, „durch Verletzung seiner Rechte oder durch rechtswidrige Ermessensausübung beschwert“ zu sein. Der zuständige Rechtsauschuss hielt es für erforderlich, deutlicher zum Ausdruck zu bringen, dass die Anfechtungsklage nur bei Rechtsverletzung zum Erfolg führen solle. Vgl. BT-Drs. I/4278, Anl. 1, S. 9, S. 35, Anl. 2, S. 61; BT-Drs. II/ 55, Anl. 2, S. 7, S. 54. 88 Gesetz vom 21.01.1960, BGBl. I, S. 17. 89 Vgl. P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GGKomm., 2005, Rn. 344 ff.; H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 2. 90 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 8 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 42 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 288 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C S. 16 ff.; M. Ronellenfitsch/ R. Wolf, NJW 1986, S. 1955 ff.; R. Scholz, ZG 2003, S. 248 ff.; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 197 ff. 91 Vgl. R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2013, Rn. 11 ff. 86
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Aber auch nach dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes war die Diskussion um den Zweck der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht ganz beendet. Geltung hat sich dennoch die Ansicht verschafft, wonach der Verwaltungsprozess ursprünglich dem Schutz subjektiver öffentlicher Rechte dient, während die notwendig damit verbundene objektive Rechtskontrolle sich als ein bloßer Nebeneffekt erweist.92 Der rechtsvergleichende und rechtshistorische Blick lehrt indes, wie wenig selbstverständlich ebenjene Festlegung auf die grundsätzliche Privatbezogenheit des Rechtsschutzes ist.93
II. Zur Definition des subjektiven öffentlichen Rechts Die traditionelle und bis heute wirksame Definition des subjektiven öffentlichen Rechts stammt vor allem von O. Bühler. Danach „ist ein subjektives öffentliches Recht diejenige rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat, in der er auf Grund eines Rechtsgeschäfts oder eines zwingenden zum Schutz seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf“.94
Infolgedessen geht das Verhältnis der modernen aktiven Verwaltung – trotz der Weiterentwicklung und der graduellen Ausweitung ihrer einzelnen Kriterien95 – grundsätzlich von dem durch die rechtsstaatliche Verfassung gebändigten deutschen konstitutionellen Staat des 19. Jahrhunderts aus.96 92
Vgl. ebd., Rn. 13. Vgl. F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 14 ff. 94 Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 224; ders., in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 274; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 287 ff.; W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968; M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509 ff.; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 73 ff.; ders., AöR 1988, S. 582 ff.; A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9. Der Begriff sowie die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts sind allerdings nicht in allen Einzelfragen geklärt. Die Doppelnatur (subjektive und objektive Natur) des Rechts tritt in F.-C. Savignys berühmter Rechtsschutzdogmatik auf. 95 Vgl. ausführlich: B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 198 ff., m.w. N.; C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 13; A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 10; M. Reiling, DÖV 2004, S. 181; H. Lecheler, GewArch 2005, S. 305 ff.; M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645 ff.; R. Steinberg, AöR 1995, S. 549 ff.; D. Triantafyllou, DÖV 1997, S. 192 ff.; R. Wahl, Der Staat 1999, S. 495 ff. Mehr dazu s. u. 1. Teil, 1. Kap., G. ff. s. auch 1. Teil, 1. Kap., G. ff. 96 Auch in der modernen Verwaltung – der h. M. nach – lebt ebenso wie in der Dynastie und im Heer der alte Wunschtraum des mit polizeistaatlichen und staatlichen Mitteln wirkenden und sich verwirklichenden konstitutionellen Wohlfahrtstaates fort. Vgl. C.-F. Menger, DÖV 1955, S. 587. In dieselbe Richtung auch M. Reiling, DÖV 2004, S. 181 ff.; A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9. Was die 93
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Subjektives Recht ist somit seinem Inhalt nach eine dem Einzelnen durch das objektive Recht zuerkannte Willensmacht oder Rechtsmacht und seinem Zweck nach ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Interessen und zwar grundsätzlich der eigenen Interessen des Inhabers jener Willensmacht bzw. Rechtsmacht. Anders ausgedrückt bezeichnet das subjektive öffentliche Recht die dem Einzelnen kraft öffentlichen Rechts verliehene Rechtsmacht, vom Staat zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können.97 Ferner muss unterstrichen werden, dass erst durch die beiderseitige Würdigung seines Wesens (Inhalt und Zweck) das subjektive Recht voll zuerkannt werden kann.98 Der Umstand, dass ein Bürger von einer staatlichen Entscheidung rein tatsächlich nachteilig betroffen ist, ermöglicht ihm also noch nicht, diese gerichtlich überprüfen zu lassen99, denn eine Beeinträchtigung lediglich objektiver Rechte Privater genügt nicht für die Zulässigkeit der Klagebefugnis.100 Das subjektive öffentliche Recht ist von besonderer Bedeutung, da nur aus diesem Berechtigungen und Verpflichtungen für den Träger der Staatsgewalt abgeleitet werden können. Im subjektiven öffentlichen Recht verwirklicht sich die Subjektstellung des Bürgers, der nicht nur dem Recht unterworfen und durch das Recht verpflichtet sein soll, sondern sich auch auf das Recht berufen und aus ihm Befugnisse ableiten kann.101 Die Gewährleistung subjektiver Rechte ist eine der Grundbedingungen eines freiheitlichen, demokratischen, sozialen und rechtsstaatlich orientierten Staatswesens. Deshalb findet das subjektive Recht seinen besonderen Ausdruck in den Grundrechten.102
III. Die Begründung der Schutznormtheorie Aufgrund der Definition Bühlers hinsichtlich der subjektiven öffentlichen Rechte und im Rahmen der sog. Kombinationstheorie wurde die noch aktuelle Rechtsprechung betrifft, vgl. u. a. VGH Stuttgart, Urt. v. 05.03.1954 – 2 S 122/53, NJW 1954, S. 1623; VGH Kassel, Beschl. v. 12.07.1966 – B IV 32/66, NJW 1966, S. 2183; BVerwG, Beschl. v. 10.09.1981 – 4 B 114/81 (Lüneburg), NJW 1982, S. 348; BVerwG, Urt. v. 30.03.1995 – 3 C 8/94 (München), NJW 1996, S. 334; OVG Lüneburg, Urt. v. 17.08.2006 – 7 KS 81/03, BeckRS 2006, 26621; BVerwG, Urt. v. 07.12.2006 – 4 C 16/ 04, ZUR 2007, S. 160; BVerwG, Urt. v. 16.10.2008 – 4 C 3/07, BeckRS 2009, 30598. 97 Vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, S. 160; W. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozessrecht, 2000, Rn. 157, m.w. N. 98 Vgl. O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 292; W. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozessrecht, 2000, Rn. 157, m.w. N. 99 Vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 06.04.1994 – 10 S 405/94, NJW 1994, S. 2372; C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 39 ff. 100 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 GG, 2008, Rn. 134; D. Ehlers, Verw. Arch 1993, S. 144 ff.; W. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozessrecht, 2000, Rn. 157. 101 Vgl. A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 6 ff. 102 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.06.1954 – BVerwG V C 78/54, BVerwGE 1, S. 159; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 200.
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sog. Schutznormtheorie begründet.103 Um konkreter zu werden, ist die Schutznormtheorie die Bezeichnung für die Theorie, der gemäß eine Norm drittschützend ist, wenn sie neben dem Schutz öffentlich-rechtlicher Interessen zumindest auch dazu bestimmt ist, dem Interesse einzelner Personen oder Personengruppen zu dienen, und diesen die Rechtsmacht zur Durchsetzung dieser Interessen verleiht.104 Mit der Einführung der Schutznormtheorie wird versucht, die Tragweite der verwaltungsgerichtlichen Klagebefugnis zu bestimmen. Die sog. Schutznormlehre wirkt somit als Abgrenzungskriterium für die Feststellung, ob eine Betroffenheit in eigenen Angelegenheiten bzw. Rechten vorliegt und nicht nur Angelegenheiten der Allgemeinheit tangiert werden.105 Die Schutznormtheorie bezweckt letztlich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine objektive Norm subjektive Rechte vermittelt, eine Antwort zu geben. Diese Antwort ist entscheidend für den Rechtsschutz von Rechtssubjekten und beeinflusst auch die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe, die insbesondere dritte Akteure gegen belastende Verwaltungsmaßnahmen ergreifen können. Kurz gefasst bestimmt die Schutznormtheorie die Subjektivierung öffentlich-rechtlicher Normen nach deren Schutzrichtung und gilt daher als Maßstab für die Abgrenzung von subjektiven öffentlichen Rechten.106
IV. Analyse der Voraussetzungen eines subjektiven öffentlichen Rechts Im Rahmen der Schutznormtheorie ist das subjektive öffentliche Recht bislang eng auf den individualen Status Einzelner und auf personale Interessen und Rechtspositionen sowie auf deren Schutz ausgerichtet.107 Deswegen, auch um 103 Vgl. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 41 ff.; O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 9 ff., S. 224; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 75 ff., m.w. N.; ders., AöR 1988, S. 582 ff.; ders., in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 113 ff.; B. Wiegand, BayVBl 1994, S. 609 ff., S. 647 ff.; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 84 ff., S. 247 ff.; P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 28 ff.; R.-W. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2005, Rn. 496; M. Hong, JZ 2012, S. 380 ff. 104 F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224; A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 296 ff. 105 F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 224; A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 296 ff. 106 Vgl. M. Reiling, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 82 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 76 ff.; O. Bühler, GS für W. Jellinek, 1955, S. 269, S. 272; A. Scherzberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9; R.-W. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2005, Rn. 497.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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den Umfang des Rechtsschutzes im öffentlichen Recht eindeutig zu bestimmen, sollte zunächst geklärt werden, unter welchen konkreten Voraussetzungen und zu wessen Gunsten im Einzelfall ein subjektives öffentliches Recht im deutschen Rechtsschutzsystem entsteht. Zusammengefasst ist vom Vorliegen eines öffentlichen subjektiven Rechts gemäß der herrschenden Schutznormtheorie auszugehen, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ gelten: 1. Wenn ein bestimmtes Interesse eines Rechtsträgers überhaupt rechtlichen Schutz genießt. Dies geschieht, wenn die Norm ein Interesse eines Rechtssubjekts schützt. Das bedeutet, dass zur Aktualisierung einer Schutznorm in eigener Person der Einzelne, der ihre Verletzung rügt, vom Schutzzweck der Schutznorm erfasst sein muss.108 Für den Bestand subjektiver öffentlicher Rechte des Einzelnen soll der gesetzlich bezweckte Interessenschutz maßgebend sein. Ist der jeweilige Rechtssatz zumindest auch zum Schutz der Individualinteressen des Bürgers erlassen, so begründet er für ihn subjektive öffentliche Rechte, während er bei einer ausschließlich auf öffentliches Interesse109 bezogenen Schutzrichtung den Einzelnen allenfalls nur reflexartig110 begünstigt und daher dem Rechtssubjekt kein entsprechendes Recht bietet.111 2. Wenn die in Frage stellende Vorschrift einen bestimmbaren, d. h. von der Allgemeinheit unterscheidbaren Kreis von begünstigten Rechtsträgern erkennen lässt. Dabei ist dann zu fragen, ob das Interesse durch staatliches Handeln oder Unterlassen in hinreichendem Maße beeinträchtigt wird. Nur wenn es nicht um die Allgemeinheit, sondern um einen abgrenzbaren Kreis besonders Betroffener geht, ist von der Existenz subjektiver Rechte auszugehen.112 Dies bedeutet, dass die jeweilige Schutznorm nicht ausschließlich Belange der Allgemeinheit wahren soll, sondern zumindest auch Belange, die in dem individuellen bzw. Sonderinteresse der jeweiligen Rechtssuchenden erlassen worden sind.113 Die Beurtei107 Vgl. M. Reiling, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 412 ff., S. 524 ff.; H. Bauer, AöR 1988, S. 592 ff.; G. Winter, NVwZ 1999, S. 468; M. Schmidt-Preuß, in: FS für H. Maurer, 2001, S. 791 ff.; M. Böhm, DÖV 2000, S. 991 ff.; dies./N. Okubo, 2007, S. 827 ff.; C.-D. Classen, NJW 1995, S. 2457 ff.; A. Epiney, EurUP 2006, S. 242 ff. 108 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 161; P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 157 ff. 109 Ausführlich zu Begriff und Problematik der Rechtsfigur des öffentlichen Interesses s. P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 2006, S. 32 ff., m.w. N. 110 Vgl. O. Bühler, GS für W. Jellinek, 1955, S. 269 ff., m.w. N. 111 Vgl. H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 114; R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm. 2013, Rn. 95, m.w. N. 112 Vgl. M. Nettesheim, AöR 2007, S. 355; S. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, S. 372 ff. 113 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 161; P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 157 ff.
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lung der Schutzwürdigkeit eines individuellen Interesses sollte aber eine wertende Tätigkeit sein, die in erster Linie dem Gesetzgeber obliegt.114 Dies wird zumeist dann angenommen, wenn der Rechtssatz den Kreis der Begünstigten hinreichend individualisiert. Für die Abgrenzung der Individualinteressen von den Allgemeininteressen ist es vor allem erforderlich, dass der Kreis der Interessenten hinreichend bestimmt ist. Verbleibt insofern der Behörde eine Auswahlmöglichkeit innerhalb einer größeren genannten Gruppe von Begünstigten, dann fehlt es der Behörde an einer die Gruppenangehörigen treffenden Rechtspflicht. Insofern kann bei solchen Fällen i. d. R. der einzelne Gruppenangehörige kein subjektives öffentliches Recht auf Verwirklichung der Begünstigung besitzen. Im Allgemeinen kann es nur von Fall zu Fall nach der Logik der Vorschrift entschieden werden, ob eine Norm allein einem Gemeininteresse oder wenigstens auch einem Individualinteresse zu dienen bestimmt ist.115 Auf der Basis der Schutznormtheorie entfaltete die deutsche Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik, welchen Normen Drittschutzqualität zukommen solle,116 die an dieser Stelle nur eingeschränkt für den Bereich des Umweltschutzes dargestellt werden kann.117 Dabei lassen sich verschiedene Kategorien typisierend unterscheiden. Die Ausformungen der Schutznormlehre sind im Bereich einzelner Rechtsgebiete inzwischen fallbezogen außerordentlich detailliert, in anderen dagegen erst rudimentär entwickelt.118 Beispielhaft zeigt sich dies im speziellen Bereich des Bau- und Umweltrechts: Dort werden subjektive öffentliche Rechte regelmäßig dann angenommen, wenn eine Norm einem begrenzten Kreis von „Nachbarn“ und damit Individualinteressen zugutekommen soll. Dient eine Norm hingegen dem Allgemeininteresse, also dem Interesse eines unbestimmten Personenkreises, werden regelmäßig keine subjektiven öffentlichen Rechte begründet. Diese rechtliche Trennung zwischen Individual- und Allgemeininteresse bildet somit die Basis der Schutznormtheorie.119 114 Im Allgemeinen sollte aber das „rechtlich geschützte“ nicht mit dem „schutzwürdigen“ Interesse gleichgesetzt werden. Vgl. O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 296; A. Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte, in: H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11. 115 Vgl. E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., 1973, S. 189; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 297 ff. 116 Vgl. ausführlich: P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 22 ff., C 54 ff., C 77 ff., 81 ff.; M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, 1987, S. 166 ff. 117 s. auch 1. Teil, 1. Kap., G., II. 118 Z. B. im Wirtschaftsverwaltungsrecht stehen je nach Sachgebiet Kriterien wie Chancengleichheit im Wettbewerb, Kontrolle von Marktmacht oder Ähnliches im Vordergrund. Solche Kriterien haben z. B. in den erst in den letzten Jahren regulierten Märkten wie Telekommunikation oder Energie Gewicht. T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 156. 119 Ebd.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Gerade dieses Erfordernis statuiert eindeutig die Gesetzesabhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts.120 Denn es unterfällt innerhalb des durch die Verfassung gezogenen Rahmens durchaus der Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers, ob und in welchem Umfange er die Verwaltung überhaupt zugunsten bestimmter Personen binden oder ihnen Ermessensfreiheit einräumen oder wenigstens hinsichtlich der Voraussetzungen ihres Handelns einen gewissen Beurteilungsspielraum zugestehen will.121 3. Die dritte kumulative Voraussetzung für die Begründung eines öffentlichen subjektiven Rechts liegt schließlich vor, wenn die Norm dem Rechtssubjekt zur Durchsetzung dieses Interesses eine Rechts- oder Willensmacht einräumt, die normgeschützten Interessen gegenüber dem Verpflichteten durchzusetzen (Rechtsmachtzuweisung). D. h., dass diese Norm mit der Wirkung erlassen ist, dass die Interessenten sich auf sie berufen sollen.122 Die Norm sollte somit bestimmte Individuen (Personen oder Personenkreise) nicht nur tatsächlich begünstigen, sondern ihnen eine individualisierte Rechtsmacht zur Durchsetzung des objektiven Normbefehls verleihen (Durchsetzungsordnung).123 Insofern genügt es nach der Schutznormtheorie nicht, dass eine Norm einen Bürger begünstigt und diese Begünstigung auch bezweckt ist. Hinzukommen muss stets der objektiv erkennbare Wille des Gesetzgebers, dass der Begünstigte die Einhaltung des Rechtssatzes auch verlangen kann, d. h., dass die jeweilige Schutznorm gerade dem Kläger eine einklagbare Position einräumen will.124 Im Lauf der Zeit wurde dieses Kriterium wesentlich erweitert, so dass Normen, die früher als Rechtsreflexe anzusehen waren, inzwischen als subjektive öffentliche Rechte beurteilt werden.125 Relativ neu anerkannt sind z. B. das Recht auf Fürsorge,126 das Recht auf polizeiliches Einschreiten,127 während parallel zunehmend Drittklagen direkt auf Grundrechte gestützt werden können.128
120 E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 GG, 2008, Rn. 133; D. Ehlers, DVBl 1993, S. 139. 121 H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 77; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 305. 122 Vgl. A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9. 123 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 GG, 2008, Rn. 136; D. Ehlers, DVBl 1993, S. 139; A. Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte, in: H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9; B. Remmert, DV 1996, S. 465 ff. 124 Vgl. S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1427 m. N. auf BVerwG, Urt. v. 17.06. 1993, 3 C 3/89, NJW 1994, S. 1603. 125 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 233 ff.; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 13 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 42, 2005, Rn. 91 ff. 126 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.06.1954 – V C 78/54, NJW 1954, S. 1541 ff. 127 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.08.1960 – I C 42/59, NJW 1961, S. 793 ff.
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Dabei ist die Rechtsmacht von der Gewährung von Klage- oder Beschwerdebefugnissen zu unterscheiden.129 Obwohl die Einräumung der Klagbarkeit bzw. der gerichtlichen Verfolgbarkeit eines rechtlich geschützten Interesses keine wesentliche Voraussetzung des subjektiven öffentlichen Rechts ist,130 bedeutet aber eine solche Einräumung stets die Ausgestaltung und Erhebung des rechtlich geschützten Interesses zum subjektiven öffentlichen Recht.131 Insofern kann nur dort – trotz bestehender Klagemöglichkeit – ein subjektives öffentliches Recht i. d. R. verneint werden, wo der Klageberechtigte kein Eigeninteresse wahrnimmt, sondern – z. B. im Wege einer Popularklage – sich zum Sachwalter fremder Interessen und insbesondere des Gemeininteresses aufzuwerfen ermächtigt ist.132 Obwohl die praktische Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte offensichtlich in der Möglichkeit ihrer gerichtlichen Durchsetzbarkeit liegt, muss aber betont werden, dass Rechtsschutz das rechtstechnische Mittel zur Durchsetzung des subjektiven öffentlichen Rechts ist und nicht der Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts.133 Nicht zu verkennen ist auch, dass die ersten beiden Voraussetzungen dann nicht untersucht zu werden brauchen, wenn die dritte Voraussetzung, d. h. die Berufungsmöglichkeit, vom Gesetz eingeräumt wird.134 In aller Regel ist anzunehmen, dass bislang im deutschen Recht Klagebefugnis und Aktivlegitimation eines Rechtssubjekts an die Betroffenheit eines subjektiven öffentlichen Rechts geknüpft ist.135 Würde man jede, auch nur entfernte faktische Bedeutsamkeit eines hoheitlichen Handelns für eine Person bereits als subjektivrechtlich relevant bewerten, so käme es zwangsläufig zu einer Inflationierung subjektiver Rechte.136 Es muss berücksichtigt werden, dass sich die Begründung von subjektiven öffentlichen Rechten im Rahmen der Schutznormtheorie zwei verschiedenen ideal128 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.1959 – VII C 62/59, BVerwGE 10, S. 93 ff.; BVerwG, Urt. v. 01.12.1982 – 7 C 111/81, NVwZ 1983, S. 151. 129 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 12 ff., m.w. N. 130 Vgl. G. Christonakis, Das verwaltungsprozessuale Rechtsschutzinteresse, 2004, S. 52, m.w. N. 131 Vgl. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 101. 132 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15 ff.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4 ff.; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff.; E. Schmidt-Aßmann, FS für J. Ipsen, 2000, S. 306 ff.; krit.: F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; D. Murswiek, DVBl 1994, S. 88 ff. 133 Vgl. R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO; R. Wahl, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 45. 134 O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 294 ff. 135 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 75; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; F. Ekardt, ThurVBl. 2001, S. 224. 136 Vgl. R.-W. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2005, Rn. 497.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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typischen Grundpolen zuordnen lässt.137 Den ersten Pol bildet der Zweck, das Interesse der Einzelnen an der Bewahrung ihrer personalen Rechtsgüter, etwa Leben, Gesundheit, Eigentum, zu schützen – sei es abwehrrechtlich (status negativus) oder sei es schützend und gewährleistend (status positivus). Man kann insoweit von einem Individualinteresse im engeren Sinne sprechen.138 Den zweiten Pol der Rechtsbegründung bildet die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts durch funktionale Subjektivierung.139 Rechte können somit auch geschaffen werden, um das Interesse Einzelner am Schutz von Allgemeininteressen anzuerkennen und sie zu deren Durchsetzung zu ermächtigen. Im Rahmen der funktionalen Subjektivierung fungiert das Individualrecht bei einem solchen Interesse als Mittel zur Förderung der verfolgten Allgemeininteressen. Es handelt sich somit um eine Instrumentalisierung des Einzelnen.140 Man kann daher von einem Individualinteresse im weiteren Sinn sprechen.141 Letztlich ist das Recht, sich Allgemeininteressen zu eigen zu machen, ein zentraler Bestandteil der individuellen Freiheit. Mit dem Individualinteresse am Gemeinwohl schützt die gemeinwohlbezogene Rechtsbegründung also nichts anderes als die traditionelle Begründung subjektiver Rechte.142 Es ist generell zu beachten, dass diesem Verständnis subjektiver Rechte eine Konzeption der Stellung Einzelner im politischen Gemeinwesen zugrunde liegt. Daraus folgt, dass Einzelne bzw. Private sich zwar als Hüter und Wahrer ihrer Interessen begreifen können, die Förderung und der Schutz öffentlicher Güter aber jenseits ihrer rechtlichen Kompetenzen liegt. Gleiches gilt für die Beeinträchtigung eigener Rechtsgüter, wenn sie alle gleichermaßen trifft. Vor diesem Hintergrund ist es dem Bürger verwehrt, sich im Prozess der Rechtsanwendung zum Sachwalter von Allgemeininteressen zu machen. Vielmehr wird er auf den allgemeinen demokratischen Prozess der parlamentarischen Steuerung und Kontrolle verwiesen.143 Im demokratischen Verfassungsstaat konnte somit die Schutznormtheorie fortleben, weil hier angenommen werden konnte, dass die Entscheidung darüber, inwieweit staatliche Maßnahmen mit Beeinträchtigungswirkung für die Allgemein-
137 M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 220 ff.; M. Hong, JZ 2012, S. 381 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 263; jeweils m.w. N. 138 Ebd. 139 Ebd. 140 M. Hong, JZ 2012, S. 381 ff., m.w. N. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Vgl. M. Nettesheim. AöR 2007, S. 356; H. Bauer, AöR 1988, S. 582; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger 1985, S. 191; P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes, 1992.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
heit Bestand haben sollten, nicht dem Rechtsdiskurs und der Gerichtsbarkeit, sondern prinzipiell dem politischen Prozess überlassen bleiben sollten.144
V. Unterscheidung zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und Rechtsreflexen Um ungewollte Missverständnisse zu vermeiden, ist bei den subjektiven öffentlichen Rechten – anders als im Zivilrecht – eine Abgrenzung zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und Rechtsreflexen bzw. Reflexwirkungen145 des objektiven Rechts erforderlich.146 Rechtsreflexe sind somit solche Wirkungen einer objektiven Rechtsnorm (z. B. die Eingriffsregelung des BNatSchG gem. §§ 14, 15) – sei es der Norm selbst, sei es einer kraft der Norm rechtlich relevanten Handlung –, die eine Person faktisch begünstigen oder belasten, ohne ihren Bestand an Rechten und Pflichten unmittelbar zu verändern. Ein Rechtsreflex beruht auf Normen, die ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienen und lediglich rein tatsächlich in der Nebenwirkung auch dem Individualinteresse zugutekommen, ohne dass die jeweilige Norm in ihrer Zwecksetzung diese Nebenwirkung mitumfasst.147 Diese Unterscheidung ist wichtig, denn Rechtsreflexe sind grundsätzlich nicht mit entsprechenden Reflexpflichten und Reflexlasten verbunden. Daher räumen die oben genannten Normen dem Einzelnen keinen Anspruch gegen den Staat oder einen anderen Kläger ein. Insofern sind sie in der Regel nicht einklagbar.148
144 Vgl. M. Nettesheim, AöR 2007, S. 356; M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509 ff.; B. Wegener, HFR 2000, Beitrag 3, S. 1 ff. 145 Der Begriff der Reflexwirkungen geht auf Rudolf von Jhering zurück. Seiner Ansicht nach ist eine Reflexwirkung „[d]ie Rückwirkung, welche eine rechtliche oder ökonomische Tatsache über ihre eigentliche, durch das Gesetz oder die Absicht des Handelnden oder Berechtigten gesetzte Wirkungssphäre hinaus für dritte Personen äußert“, R. v. Jhering, Geist des Römischen Rechts, 1865, S. 327. 146 Vgl. H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 222. 147 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.1985 – 8C 43/83, DVBl 1986, S. 559; BVerfG, Urt. v. 27.04.1971 – 2 BvR 708/65, BVerfGE 31, S. 33 ff.; BVerfG, Urt. v. 09.01.1991 – 1 BvR 207/87, NJW 1991, S. 1878 ff.; OVG Münster, Urt. v. 11.08.1964 – II A 192/64, MDR 1965, S. 162; K. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, 2000, Rn. 453; R. Wahl, DVBl 1996, S. 641 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 288. 148 O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 226 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 289; C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 8 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 42 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 16 ff.; M. Ronellenfitsch/R. Wolf, NJW 1986, S. 1955 ff.; R. Scholz, ZG 2003, S. 248 ff.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Zur Abgrenzung von Rechten und Rechtsreflexen wird auch weiterhin das Kriterium des Schutzes von Individualinteressen verwendet.149 Die Zielsetzung aber, dem Interessenschutz Einzelner zu dienen, geht aus den Rechtssätzen zumeist nicht eindeutig hervor.150 Obwohl über die Voraussetzungen eines subjektiven Rechts und über die aus seinem Vorhandensein zu ziehenden Folgerungen weitgehend grundsätzliche Einigkeit besteht, trifft der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts auf besondere Schwierigkeiten, die zum großen Teil auf die Belastung dieses Begriffs mit historischen Vorstellungen beruhen, denen zufolge nur bestimmte Arten der im öffentlichen Recht begründeten subjektiven Rechte als subjektive öffentliche Rechte anerkannt werden.151 Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte bieten dabei wegen ihres anerkannten subjektiven Rechtscharakters die wenigsten Probleme.152 Schwierigkeiten bereitet aber das einfache Recht. Welches Interesse geschützt wird, wird aufgrund der sog. Schutznormtheorie entschieden. Ausschlaggebend dafür sind vor allem der Zweck der Vorschrift, sein systematischer Zusammenhang sowie sein Wortlaut.153
VI. Die Problematik der Abgrenzung von Allgemein- und Individualinteressen Die Klagebefugnis wird überwiegend als unproblematisch angesehen, wenn der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes die Anfechtungsklage erhebt oder wenn der Antragsteller mit der Verpflichtungsklage eine ihm verweigerte Begünstigung einklagt.154 Mit dem Aufkommen der sog. Adressatentheorie, nach der bei den Adressaten belastender Verwaltungsakte (Gebote/Verbote) aufgrund der allgemeinen Freiheitsvermutung (Art. 2 Abs. 1 GG)155 stets die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen subjektiven Rechten besteht,156 so dass regelmäßig 149 B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 206 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 291; O. Bühler, GS für W. Jellinek, 1955, S. 269. 150 O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 294. 151 O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 292; K. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2000, S. 199. 152 Vgl. P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 30 ff.; K. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlichrechtlichen Arbeit, 2000, S. 201. 153 Vgl. K. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2000, S. 201. 154 N. Achtenberg, DVBl 1981, S. 278 ff.; BVerwG, Urt. v. 23.03.1982 – 1 C 157/79, NJW 1982, S. 2513 ff.; Urt. v. 09.12.1983 – 4 C 44/80, NJW 1984, S. 1474 ff. 155 Vgl. BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, S. 32, S. 41. 156 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2005, Rn. 69; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 115 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
und ohne weiteres von ihrer Klagebefugnis ausgegangen werden kann,157 hat sich die Problematik der Schutznormtheorie fast exklusiv auf den Bereich der Drittklagen verlagert.158 Grund dafür ist, dass es sich bei Adressatenklagen um ein vertikales Verhältnis handelt, wobei der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes stets Träger des Freiheitsinteresses ist, um dessentwillen die staatliche Machtausübung rechtsstaatlicher Bindung unterworfen wird.159 Demgegenüber handelt es sich bei Drittklagen um ein horizontales Verhältnis, wobei der Dritte (Nichtadressat) durch einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt mittelbar betroffen ist.160 Im Hinblick auf den Rechtsschutz im Umweltrecht handelt es sich insbesondere um die Rechtsschutzmöglichkeiten sogenannter Drittbetroffener, d. h. Personen, die zwar nicht selber Adressaten umweltrechtlicher Verwaltungsakte sind, aber von den Auswirkungen solcher Verwaltungsakte (z. B. einer Anlagegenehmigung) betroffen sind.161 Unter Drittschutz ist daher der öffentlich-rechtliche Rechtsschutz des Nichtadressaten behördlicher Entscheidungen zu verstehen.162 Das ist insbesondere im Umweltrecht der Fall, weil i. d. R. Auswirkungen von Verwaltungsakten an Umweltgütern eine relativ große Zahl von Nicht-Adressaten (Dritten) betreffen. Der Umstand aber, dass ein Bürger von einer staatlichen Entscheidung nachteilig betroffen ist, ermöglicht ihm noch nicht, diese gerichtlich anzufechten bzw. überprüfen zu lassen.163 Voraussetzung dafür ist, dass die Drittbetroffenen sich dabei auf eine Regelung berufen, die auch ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach herrschender Auffassung nach der sog. Schutznormtheorie.164 Vor diesem Hintergrund erfolgt somit die Ermittlung des hierfür tatsächlichen Vorbringens einer relevanten Norm nicht anhand einer konturenlosen Prüfung faktischer Beeinträchtigung, sondern sie ergibt sich aus dem sachlichen und personellen Schutzzweck der Schutznorm.
157
BVerwG, Urt. v. 21.08.2003 – 3 C 15/03 (OVG Hamburg), NJW 2004, S. 698. Vgl. R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 95 ff. 159 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 51 ff. 160 Vgl. über das Dreiecksverhältnis: P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 33 ff. 161 M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 382. 162 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 110 ff., m.w. N.; R. Brauner, VR 1994, S. 387 ff. 163 Vgl. z. B. VGH Mannheim, Beschl. v. 06.04.1994 – 10 S 405/94, NJW 1994, S. 2372 ff. 164 Vgl. T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, Rn. 151, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009; T. Schomerus, Defizite im Naturschutzrecht, 1987, S. 174; K.-H. Ladeur, UPR 1984, S. 1 ff. 158
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Insofern bedarf im Bereich des Drittschutzes die Frage nach der sachlichen und personellen Reichweite des Rechtsschutzes besonderer Erwägungen.165 Denn dem Wortlaut einer Norm ist nicht immer eindeutig zu entnehmen, ob und wem sie die Rechtsmacht zur Durchsetzung ihr Inhalts einräumt.166 Zahlreiche Rechtssätze lassen weder erkennen, ob sie der Befriedigung von Individualinteressen dienen, noch ob sie, bei Bejahung dieser Voraussetzung, die Berufungsmöglichkeit gegenüber der Verwaltung in sich einschließen sollen, weil oftmals ein gesetzlich bezweckter Interessenschutz nicht eindeutig ist.167 Sofern die einschlägige Norm nicht ausdrücklich bzw. eindeutig ein subjektives Recht zuweist, ist deren Schutzrichtung wiederum im Wege der Auslegung vorrangig nach Maßgabe ihres objektiven Regelungsgehaltes, also objektivrechtlich zu bestimmen.168 Besondere Probleme bereitet somit die Abgrenzung von Allgemein- und Individualinteressen in bestimmten Fällen, in denen es i. d. R. schwierig ist festzustellen, ob die Zielsetzung einer Norm dem Interessenschutz Einzelner oder der Allgemeinheit dient. Obwohl Individual- und Allgemeininteresse einander nicht unbedingt ausschließen, steht aber entweder das eine oder das andere stark im Vordergrund.169 Nicht selten ist somit zweifelhaft, ob eine Norm des öffentlichen Rechts stärker unter dem Gesichtspunkt des Allgemeininteresses oder unter demjenigen des Schutzes von Individualinteressen steht. Dies gilt insbesondere im Bereich des Baurechts, des Immissionsschutzrechts, des Naturschutzrechts und des Umweltrechts im Allgemeinen, wobei häufig Individual- und Allgemeininteresse gleichzeitig geschützt werden sollen.170 Die Schwierigkeiten bei der umweltbezogenen Drittklage hängen vor allem damit zusammen, dass trotz des konstatierten Siegeszuges des seit langem aner-
165 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 52. 166 Z. B. ist eindeutig anzunehmen, dass § 2 II BauGB keinen Anspruch verleiht; B. Remmert, DV 1996, S. 465 ff.; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 151 ff. 167 Vgl. H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988 S. 114 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 289 ff.; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 209 ff. 168 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 23; M. Kloepfer, Umweltrecht, § 8, Rn. 14, 2004. 169 Staatliche Organisationsnormen dienen z. B. keinen speziellen Individualinteressen, während andererseits die freiheitsverbürgenden Grundrechte ganz überwiegend solche Interessen zu schützen bestimmt sind. Vgl. O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 290. 170 Vgl. C. Calliess, NJW 2003, S. 100, m.w. N.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 227; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 290.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
kannten öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes171 Grundfragen des subjektiven öffentlichen Rechts auch hier noch nicht ganz geklärt sind. Die Hauptschwierigkeit bei der Bestimmung des subjektiven Gehalts von Rechtsnormen besteht somit im Drittschutzbereich bei der grundrechtsgeprägten Ausgestaltung des horizontalen Konfliktverhältnisses zwischen Privaten (d. h. bei den Dreiecksverhältnissen zwischen Behörden, Adressaten/Investoren und Drittbetroffenen oder anders ausgedrückt bei Dreiecksverhältnissen zwischen Staat, Störer und Gefährdetem).172 Akteure dieser Rechtsverhältnisse sind i. d. R. die öffentliche Behörde, die nicht selbst Verursacher der Umweltbelastungen ist, der (potentielle) Umweltbelaster als Störer sowie Adressat des einschlägig erteilten Verwaltungsaktes und der (potentiell) Umweltbelastete als mittelbar betroffener Dritter.173 Die Schutzrichtung einer Vorschrift ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln, dessen Grenzen von Natur aus nicht ganz konkret sind. Der Ansicht Bühlers nach orientiert sich diese Auslegung vor allem am Willen des historischen Gesetzgebers, wie er sich aus den Materialien erschließt.174 Hierbei verfährt die Rechtsprechung tendenziell großzügig.175 Danach entfällt eine subjektive Schutzfunktion einer Vorschrift, wenn „offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können“.176 Die prinzipielle Grenze der Schutznormen in diesem Sinne ist erreicht, wenn zwar eine Rechtsnorm existiert, diese aber rein objektiven Charakters ist. Daher entbehrt sie einer personalisierten Rechtsmacht.177 Darüber hinaus 171 Vgl. u. a. E. Beckmann, DVP 1997, S. 413 ff.; T. Spiegels, NVwZ 2003, S. 1091 ff.; jeweils m.w. N. 172 R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGOKomm., 2005, Rn. 66 ff. 173 Vgl. M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 11. 174 Danach hat der Richter, immer wenn der Wortlaut einer Norm und der geäußerte Wille des Gesetzgebers über ihren Rechtscharakter nichts aussagen, zwei Aufgaben zu erfüllen: Erstens muss er durch Auslegung aus anderen Quellen den drittschützenden Charakter der jeweiligen Norm mithilfe von einem Kanon von Regeln und Methoden erschließen. Gleichzeitig muss er aber darauf achten, dass subjektivrechtliche Lücken, die auch nach einer verfassungsorientierten Auslegung verbleiben, kraft Richterrechts geschlossen werden. Vgl. O. Bühler, GS für W. Jellinek, 1955, S. 269 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2005, Rn. 95; M. Schmidt-Preuß, in: FS für H. Maurer, 2001, S. 791 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2005, Rn. 95. Vgl. R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGOKomm., 2005, Rn. 95; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2007, Rn. 83; A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 12 ff.; a. A. P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 281 ff.; ders., Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GG-Komm., 2005, Rn. 361 ff., Rn. 385 ff., insb. 401 ff., m.w. N., der für eine noch stärkere grundrechtliche Ausrichtung des Drittschutzes plädiert. 175 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16, m.w. N. 176 BVerwG, Urt. v. 30.10.1963 – V C 219.62 –, DVBl 1964, S. 191 ff. 177 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16, m.w. N.
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ist zu beachten, dass das deutsche Rechtsschutzsystem aufgrund der Schutznormtheorie nicht nur auf Seiten des Berechtigten eine subjektivrechtliche fundierte Individualisierung verlangt, sondern auch eine individualisierbare Störung auf Seiten des Störers voraussetzt.178 Für die Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts eines Rechtssubjekts ist vor allem sein „qualifiziertes Betroffensein“ erforderlich. Das klagende Rechtssubjekt kann nur als Betroffener betrachtet werden, wenn sein „Betroffensein“ sich deutlich von den Auswirkungen abhebt, die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können.179 Infolgedessen setzt ein subjektives öffentliches Recht des Klägers im Interesse klarer und überschaubarer Konturen und damit der Rechtssicherheit ein besonderes Verhältnis zu der umweltschädlichen Anlage im Sinne einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung des betroffenen Rechtssubjekts mit der Störungsquelle.180 Dritte können somit nur ihre eigene Beeinträchtigung als Einzelne geltend machen. Dabei muss ihre Beeinträchtigung erheblich sein. Denn niemand habe ein Recht darauf, „an sich zumutbare Lebensverhältnisse . . . risikoloser oder angenehmer zu machen“.181 Insbesondere im Bereich des öffentlichen Baurechts sowie des Bauordnungsrechts, aber auch des Umweltrechts ist der Drittschutz im Wesentlichen durch den Begriff des „Nachbarn“ gekennzeichnet.182 Für ihn hat die Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten ein komplexes System zur Bestimmung subjektiver Rechte entwickelt.183 Problematisch ist vor allem, dass der Nachbarbegriff
178 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 161; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 14 ff. 179 Vgl. BVerwG, NJW 1983, S. 1508; BVerfG, Beschl. v. 21.01.2009 – 1 BvR 2524/ 06, ZUR 2009, S. 138 ff. 180 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, NJW 1983, S. 1508; BVerfG, Beschl. v. 21.01.2009 – 1 BvR 2524/06, ZUR 2009, S. 138 ff.; ZUR 2009, S. 138 ff. 181 BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 43.80, NJW 1983, S. 242 ff.; kritisch dazu G. Winter, in: Festgabe, 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1035 ff. 182 Vgl. dazu F. Schoch, Jura 2004, S. 317 ff.; E. Beckmann, DVP 1997, S. 413 ff.; U. Hösch, GewArch 1999, S. 402 ff.; B. Zimmermann, VR 1999, S. 268 ff. 183 Vgl. B. Zimmermann, VR 1999, S. 268 ff.; G. Gaentzsch, NVwZ 2000, S. 993 ff. Im Baurecht und im Bauordnungsrecht finden sich die klassischen Anwendungsfälle des Drittschutzes, so die Abstandsflächenvorschriften, Brandschutzbestimmungen oder immissionsschutzrechtliche Maßgaben. Rechtsnormen des Bauplanungsrechts dienen im Grundsatz zunächst dem öffentlichen Interesse an der städtebaulichen Bodenordnung und Gestaltung. Die Bestimmungen der §§ 30 BauGB ff. vermitteln z. B. nur in besonderen Fällen Nachbarschutz, wobei die Rechtsprechung in langjähriger Entscheidungspraxis sehr detaillierte Kategorien zur Abgrenzung entwickelt hat. Im Bereich der §§ 30, 31 BauGB i.V. m. Aufstellung und Inhalt von Bauleitplänen räumt die Rechtsprechung in differenzierter Form, grundsätzlich allerdings zurückhaltend Nachbarschutz ein. Ansätze für nachbarschützende Regelungen können im Bereich der Festsetzung von Baugebieten (BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 – 4 C 28/91, NJW 1994, S. 1546 ff.) oder Einzelfestsetzungen wie Baugrenzen, Baulinien oder immissionsschutzrechtlicher In-
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nicht allgemeingültig definiert ist. Vielmehr muss er jeweils nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt werden. Dazu bedarf es einer räumlichen und einer normativen bzw. personellen Betrachtungsweise, die nicht immer eindeutig ist.184 Was beispielsweise das räumliche Merkmal betrifft, gilt als Nachbar nicht nur der unmittelbare Angrenzer, sondern jeder, der von dem jeweils umstrittenen Vorhaben betroffen ist und von dem Schutzzweck der jeweils relevanten Norm erfasst wird.185 Zu beachten ist auch, dass insbesondere im Umweltrecht das Kriterium der räumlichen Nähe jedoch je nach sachlichem Schutzzweck der Rechtsnorm eine Bedeutung hat. So ergibt sich in Rechtsbereichen, in denen der Situationsbezug eine größere Rolle spielt (z. B. in Anlagengenehmigungsverfahren), der besondere personale Bezug aus einer engen räumlichen und zeitlichen Beziehung zum Genehmigungsgegenstand.186 Andererseits ist im Rahmen der personellen Bestimmung des Nachbarbegriffes zu beachten, dass im Rechtsgebiet des Baurechts nur der dinglich Berechtigte (also in erster Linie der Eigentümer) unter den Nachbarbegriff fällt.187 Denn insbesondere das öffentliche Baurecht ist nicht personenbezogen, sondern grundhaltsbestimmungen liegen. Im Bereich des § 34 BauGB wurde der Nachbarschutz über lange Zeit von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Gebot der Rücksichtnahme behandelt (BVerwG, Beschl. v. 13.02.1981, NJW 1981, S. 1973), in jüngerer Zeit allerdings der Drittschutz ähnlich wie in § 30 BauGB auf den Gebietserhaltungsanspruch gestützt (BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 – 4 C 28/91, NJW 1994, S. 1546; BVerwG, Beschl. v. 13.12.1995 – 4 B 245/95, NVwZ 1996, S. 787; BVerwG, Urt. v. 26.09.1991 – 4 C 5/87, BVerwGE 89, S. 78). Das Rücksichtnahmegebot hat demgegenüber im Bauplanungsrecht an Bedeutung verloren (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.01.1999 – 4 B 128/98, NVwZ 1999, S. 879). Keinen Nachbarschutz gewähren Vorschriften im Rahmen städtebaulicher Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahmen (BVerwG, Urt. v. 26.06.1997 – 7 C 11/96, NVwZ 1997, S. 991); ebenso wenig dem „Milieuschutz“ zuzuordnende Normen (Urt. v. 14.12.2000 – 3 K 25/99, NVwZ-RR 2001, S. 719 zu § 172 BauGB). Der früher geforderte besondere räumliche Bezug (z. B. durch Bezeichnung eines Gebietes) ist nicht erforderlich für den Drittschutz im Baurecht. Vgl. im Allgemeinen T. SchmidtKötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 157 ff. 184 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 143 ff.; S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 204 ff.; jeweils m.w. N. 185 In dieser Hinsicht vermitteln z. B. planerische Abwägungsgebote Drittschutz, soweit konkrete und individualisierbare Belange in die Abwägung einzubeziehen sind. Insbesondere § 1 Abs. 7 BauGB vermittelt ein subjektives Recht auf fehlerfreie Abwägung privater Belange. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 143 ff.; S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 204 ff.; K.-F. Gärditz, § 42 VwGO, in: ders. (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 14; jeweils m.w. N. 186 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, NJW 1983, S. 1507; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 106 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht 2004, § 8, Rn. 27 ff. 187 Vgl. BVerwG, 11.07.1989 – 4 B 33.89, NJW 1989, S. 2766 ff.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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stücksbezogen angelegt.188 Im Gegensatz dazu kann aber im Rechtsgebiet des Immissionsschutzrechts als Nachbar nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Mieter, Pächter oder auch der auf dem betroffenen Grundstück beschäftigte Arbeitnehmer betrachtet werden. Dies kann beispielsweise gelten, wenn die Gesundheit dieser Personen i. S. v. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch Immissionen beeinträchtigt wird.189 Daraus folgt aber, dass wenn kein Nachbar entweder im Sinne des Baurechts oder im Sinne des Immissionsschutzrechts existiert, nicht gegen eine gesetzwidrige, umweltschädliche Maßnahme geklagt werden kann. Im Rahmen der Schutznormtheorie können durchaus subjektive öffentliche Interessen nur gewichtete und aggregierte Individualinteressen sein. Daher kann aber die Anknüpfung der Schutznormlehre an die Schutzrichtung des jeweiligen Rechtssatzes keinen wirkungsvollen bzw. umfangreichen Rechtsschutz anbieten.190 Denn anders als im Zivilrecht191 folgt im öffentlichen Recht nicht aus jeder Pflicht auch ein Recht eines Einzelnen. Im allgemeinen Interesse bestehen viele Pflichten, die keine Berechtigung eines Einzelnen begründen sollen, denn Normen des öffentlichen Rechts dienen zum erheblichen Teil nicht der Befriedigung von Individualinteressen, sondern vorwiegend dem Allgemeininteresse.192 Problematisch ist vor allem im Bereich des Umweltrechts, dass das Individualrechtsschutzsystem der deutschen Rechtsordnung unter dem Einfluss der Schutznormtheorie den Rechtsschutz von kollektiven Rechtsgütern, die über die Privatsphäre des Klägers hinausgehen, versagt. Denn eine Klage gegen umweltrechtliche Entscheidungen ist nur dann zulässig und begründet, wenn und soweit der Kläger in eigenen Rechten verletzt ist (gem. §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1, S. 1, 5 VwGO).193 Daher kommt im deutschen Recht grundsätzlich dem Staat die Monopolaufgabe zu, das Gemeinwohl zu schützen und zu verwirklichen.194 Dabei sind kollektive bzw. öffentliche Güter wie die öffentliche Gesundheit, die Natur, die Landschaft, die Qualität von Umweltmedien und das Klima zu ihrem Schutz 188 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 143; S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 204. 189 S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 205 ff., m.w. N. 190 Vgl. A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 9; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 296 ff. 191 Das bürgerliche Recht dient dem Ausgleich individueller Interessen. Verpflichtungen, die hier der einen Person auferlegt werden, obliegen ihr gerade deshalb, weil dadurch das Interesse einer bestimmten anderen Person befriedigt werden soll. Vgl. O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 290. 192 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 206 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 290. 193 Vgl. u. a. W. Porsch, NVwZ 2013, S. 1393, m.w. N. 194 BVerfG, Beschl. v. 09.05.1972 – 1 BvR 518/62 u. 308/64, NJW 1972, S. 1504; C. Calliess, NJW 2003, S. 100, m.w. N.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 227; mehr zu dieser Problematik s. u. in 1. Teil, 1. Kap., B., VII., 2. ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
auf den Staat angewiesen. Auf diese Weise wird aber der Staat monopolistisch zum „Hüter“ bzw. „Treuhänder“ der kollektiven Gemeinwohlgüter bzw. Umweltgüter.195 Kollektive Interessen können primär politisch durchgesetzt werden. Bei Individualinteressen ist dies aber anders, weil diese als solche kaum politische Durchsetzungschancen haben. Die politische Schwäche der Interessenvereinzelung wird durch ihre Geltendmachung im Rechtsschutz gewissermaßen ausgeglichen.196 Diese Rechtfertigung scheint allerdings nicht ausreichend überzeugend zu sein. Insbesondere zu Zeiten der aktuellen regionalen197 und globalen ökologi195
Vgl. C. Calliess, NJW 2003, S. 100, m.w. N. Vgl. M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 387. 197 Die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen in Deutschland (aber auch global) nimmt nicht ab, sondern in vielerlei Hinsicht eher zu (vgl. F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 16 ff.; T. Möllers, in: FS für W. Fikentscher, 1998, S. 144 ff., m.w. N.). Indizien hinsichtlich der Defizite des Rechtsschutzes im deutschen Recht kann man eindeutig herausfinden, wenn man den aktuellen Forschungsstand zum Zustand der natürlichen Umwelt in Deutschland betrachtet. Als entsprechender Indikator dient z. B. die durchschnittliche tägliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Betrachtet man die letzten Erhebungszyklen, so stieg diese Größe von 120 ha/Tag (durchschnittlich von 1993–1996) auf 129 ha/Tag (1997–2000) an und ging dann im Zeitraum 2001–2004 wieder auf 115 ha/Tag leicht zurück, während sie im Zeitraum 2005–2008 auf 103,8 ha/Tag und im Zeitraum 2009–2012 auf 74,4 ha/Tag weiter zurückging. Vor diesem Hintergrund fühlen sich ca. 50% der Bundesbürger durch Lärm beeinträchtigt (vgl. Statistische Ämter der Länder, Fläche und Raum, Berechnungsstand: Herbst 2013; abrufbar unter: http://www.ugrdl.de/tab52.htm). Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie ist jedoch eine allmähliche Reduktion des täglichen Zuwachses der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf 30 ha/Tag im Jahr 2020 (vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Datenreport 2006, Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, 19. Umwelt, S. 387 ff.). Bis heute aber besteht kein positives Ergebnis. Darüber hinaus führt die Nutzung und Zerschneidung der Landschaft durch Verkehrsstraßen und eine intensive Bebauung sowie die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch den Menschen zum Aussterben bzw. zur Gefährdung zahlreicher Arten. Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (vgl. SRU, Sondergutachten, Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume, 1996, S. 9 ff., Rn. 229 mit Tabelle 117) hat in seinem Umweltgutachten (1996) darauf aufmerksam gemacht, dass die veröffentlichte Rote Liste der in Deutschland gefährdeten Biotoptypen eine ernüchternde Bilanz ergab: 69,4 % der 509 Biotoptypen in Deutschland wurden als gefährdet eingestuft. Dabei sind 15,4 % der Biotoptypen von vollständiger Vernichtung bedroht. Ferner gelten von den Farn- und Blütenpflanzen 27 % als bestandsgefährdet, von den Moosen und Algen 35%, Flechten sind zu 44% im Bestand gefährdet. Die Rote Liste der gefährdeten Tierarten in Deutschland ergibt keine bessere Bilanz. Nur mit 54% gelten etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Tiergruppen als nicht gefährdet. 3 % sind ausgestorben oder verschollen, 36 % gelten als gefährdet und 3% stehen auf einer Vorwarnliste. Weitere 4 % sind generell sehr selten anzutreffen. In diesem Rahmen sind Brutvögel (27 %), Säugetiere (33 %) und vor allem Kriechtiere (79 %), Lurche (62 %), aber auch Süßwasserfische (64 %) gefährdet [vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Datenreport 2006, Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, S. 19; Bundesamt für Naturschutz (BfN), Daten zur Natur 2004, S. 401. Als Bezug und Vergleichsmaßstab für die Bewertung der aktuellen Gefährdung dienen die Artenvorkommen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Entsprechend vgl. auch O.E.C.D., Environmental Perform196
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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schen Krise198 sowie im Rahmen der zeitgenössischen Risikogesellschaft199 klingt es nicht sachgerecht, wenn gerade Allgemeinheitsinteressen grundsätzlich keinen gerichtlichen Rechtsschutz genießen. Auch in dieser Hinsicht wurde die Schutznormtheorie von einem Teil der Theorie scharf kritisiert. Im Allgemeinen erweist sich die deutsche Rechtspraxis bezüglich des Rechtsschutzes von Drittklägern im internationalen Vergleich als ausgesprochen „kleinlich“.200 Es ist beachtenswert, dass in den meisten Mitgliedstaaten wie etwa Belgien,201 Luxemburg,202 Griechenland203 Portugal,204 Frankreich205 die Klagebefugnis Drittkläger deutlich weiter gefasst ist. Dort ist es grundsätzlich ausreichend, wenn der Kläger in seinen individuellen Interessen betroffen ist.206 Die ance Reviews, 2000, S. 187 ff.]. Es wird geschätzt, dass allein in Deutschland jährlich 90 Tierarten aussterben. Darüber hinaus produziert jeder Bundesbürger durchschnittlich ca. 11 Tonnen Kohlendioxid jährlich und damit etwa fünfmal mehr, als das Klimasystem auf lange Sicht vertragen kann. Vgl. u. a. T. Möllers, in: FS für W. Fikentscher, 1998, S. 144 ff.; A. Hurrelmann, Verfassung und ökologische Krise, Verfassungstheoretische Lösungsansätze für Umweltprobleme, 2000, S. 23 ff.; jeweils m.w. N.). 198 Vgl. A. Gore, An Inconvenient Truth, 2006, S. 42 ff.; U. Beck, Risikogesellschaft 1986, S. 25 ff., S. 48 ff.; B. Bierhoff, in: M. Ferst (Hrsg.), Erich Fromm als Vordenker; M. Ferst, in: ders. (Hrsg.), Erich Fromm als Vordenker, „Haben oder Sein“ im Zeitalter der ökologischen Krise, 2002, S. 40 ff.; H. Friedgood, in: E. Weizsäcker (Hrsg.), Humanökologie und Umweltschutz, Studien zur Friedensforschung, Bd. 8, 1972, S. 13 ff.; A. Hurrelmann, Verfassung und ökologische Krise, Verfassungstheoretische Lösungsansätze für Umweltprobleme, 2000, S. 23 ff.; L. Knopp/I. Piroch, ZUR 2009, S. 409 ff.; C. Schütze, der Überblick 1994, S. 41 ff.; C. Wiemeyer, Die ökologische Krise und die Umweltpolitik der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 17 ff.; IPCC, The physical science basis, February 2007, abrufbar unter: www.who.int/features/2003/04.fr. 199 Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft 1986, S. 25 ff., S. 48 ff.; I. Petrou, OFo 2001, S. 41 ff.; I. Majewski, Die ökologische Krise zeitigt sich als die Krise unseres Denkens, 1989, S. 51 ff. 200 Vgl. u. a. A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 230; S. Schlacke, UVP-Report 2005, S. 67 ff.; dies., ZUR 2004, S. 129 ff.; N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/0030, Final Report, 2003, S. 166 ff. 201 Vgl. P. Moërynck/S. Nicolas, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 121 ff., m.w. N. 202 Vgl. G. Dauphine, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 347 ff., m.w. N. 203 Vgl. G. Siouti/G. Gerapetritis, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 267 ff., m.w. N. 204 Vgl. J. Pereira Reis/M. de Andrade Neves, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 399 ff., m.w. N. 205 Vgl. J.-M. Woehrling, NVwZ 1998, S. 462 ff. 206 Vgl. W. Frenz, DVBl 2012, S. 820, m.w. N. Demgegenüber fordern insbesondere die Rechtsschutzsysteme Österreichs [vgl. O. Dietrich/M. Reiterer, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 101 ff.] und Italiens [vgl. A. Zito/M. D’Orsogna/C. F. Giordano, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 347 ff.], ebenfalls in der Richtung des deutschen Rechtsschutzsystems, die Verletzung eines subjektiven Rechts, um eine Klagebefugnis zu begründen.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
deutsche Rechtsordnung trifft aber häufig auf normative Schwierigkeiten den Rechtsschutz Dritter angemessen zu bewältigen, sowie den, mit modernem staatlichen Handeln vielfach verbundenen Breitenwirkung des Rechtsschutzes auch auf überindividuelle Rechte anzupassen.207
VII. Kritik an der Schutznormtheorie in Bezug auf den Umweltschutz Vor diesem Hintergrund wurde die herkömmliche Lehre der subjektiven öffentlichen Rechte sowie die darauf aufbauende Schutznormtheorie wiederholt kritisiert.208 Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren wurde oftmals für einen „Abschied von der Schutznormtheorie“ plädiert.209 Die Abkehr von der Schutznormtheorie wurde sogar als ein Gebot des Grundgesetzes angesehen.210 Mitte der achtziger Jahre und später ist jedoch eine gewisse Wiedergeburt des Schutznormdenkens festzustellen.211 Obwohl die Schutznormtheorie sich grundsätzlich bewährt hat,212 waren aber immerhin bei einem Teil des Schrifttums im Laufe der Zeit größere oder kleinere Korrekturen innerhalb der Schutznormlehre erforderlich.213 207 Vgl. C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 116 ff.; D. Ehlers, VerwArch 1993, S. 139 ff.; F. Kopp, in: F. Kopp, Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren,1987, S. 10 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 29 ff.; A. Epiney, EurUP 2006, S. 242 ff.; W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, eine rechtsvergleichende Studie zur Anfechtungslegitimation des Bürgers, 1979. Mehr dazu s. u. 1. Teil, 1. Kap., E. ff. 208 Vgl. F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622 ff.; P. Huber, BayVBl 2001, S. 577; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; D. Murswiek, DVBl 1994, S. 77 ff.; F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 42 ff.; E. Schwerdtner, NVwZ 1990, S. 630 ff.; H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 113 ff.; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 200 ff.; C. Sailer, DVBl 1976, S. 521; ders., BayVBl 1980, S. 275; ders., DVBl 1982, S. 144; C. Sening, NuR 1980, S. 102 ff.; ders., BayVBl 1981, S. 176 ff.; O. Schlichter, NVwZ 1983, S. 641; W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 72 ff.; H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 148 ff. 209 Vgl. R. Bernhardt, JZ 1963, S. 302 ff.; R. Schmidt, NJW 1967, S. 1635; W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 72 ff.; R. Bartlsperger, DVBl 1971, S. 729 ff.; M. Bothe, JZ 1975, S. 399 ff.; C. Sailer, DVBl 1976, S. 521 ff.; M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509 ff. 210 Vgl. M. Bothe, JZ 1975, S. 399 ff. 211 Vgl. C. Sening, BayVBl 1982, S. 428 ff.; K.-H. Ladeur, UPR 1984, S. 1 ff.; H.-J. Keller, BayVBl 1981, S. 681 ff. 212 Vgl. P. Marbuger, Gutachten C zum 56. DJT. 1986, S. 9 ff.; Sitzungsbericht L zum 56. DJT, 1986, S. 263 ff.; H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 113 ff.; T. v. Danwitz, UTR 2007, S. 31 ff.; ders., DVBl 2008, S. 537 ff. 213 Vgl. H. Bauer, AöR 1988, S. 607 ff.; P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichrechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 125 ff., S. 213 ff.; M. Schmidt-Preuß, Kol-
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Die Schutznormlehre wird unter anderem als „Relikt“ des verwaltungsgerichtlichen Denkens der kaiserlichen/konstitutionalistischen und Weimarer Zeit angesehen. Sie wurde ursprünglich als Mittel zur Erweiterung und Sicherung der Freiheit des Bürgers entwickelt. Dies geschah in einer historischen Periode, in der es keine Grundrechte und insbesondere noch nicht das Grundrecht der allgemeinen Freiheit gab. Die Schutznormtheorie bezweckte grundsätzlich, die Stellung des Bürgers über den schmalen Bereich landesrechtlicher Grundrechte hinaus zu verbessern. Obwohl der entsprechende Ansatz Bühlers den Kreis der klagebefugten Rechtssubjekte sowie den Umfang der subjektiven öffentlichen Rechte erweitern wollte, werde er zweckentfremdet, wenn er in der aktuellen Rechtsordnung, in der die Grundrechtsfreiheiten gewährleistet werden, zu deren Einschränkung benutzt werde.214 1. Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes In diesem Zusammenhang wird kritisiert, dass die Schutznormtheorie in der Praxis die Einführung eines „verkappten Enumerationsprinzips“ für verwaltungsgerichtliche Klagen bedeute. Dies führt aber zu einer deutlichen Einschränkung des Systems des grundgesetzlich gewährten Rechtsschutzes der deutschen Rechtsordnung. Denn angesichts der Grundentscheidung der Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 GG215 bleibt es nicht dem auf historischem oder objektivteleologischem Wege zu ermittelnden Willen des Gesetzgebers überlassen, ob er dem Bürger eine Klagemöglichkeit einräumt oder nicht.216 Die der Schutznormtheorie zugrundeliegende Rechtssatzabhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts wurde somit als problematisch beurteilt. Dieser Ansatz wird insofern als zu eng angesehen, als nur auf die jeweils maßgeblichen gesetzlichen Regelungen abgestellt und die verfassungsrechtlichen Direktiven nicht hinreichend berücksichtigt würden.217 Im Hinblick darauf wurde auch zum Teil die Meinung vertreten, dass subjektives öffentliches Recht überflüssig sei, da an seine Stelle die Grundrechte getreten seien.218 Vor diesem Hintergrund ist lidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 17 ff., S. 247 ff.; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, 1997, S. 114 ff.; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 198 ff. 214 Vgl. C. Sening, NuR 1980, S. 102, S. 105; ders., BayVBl 1982, S. 428 ff.; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 223 ff.; ders., Der Staat 2005, S. 622 ff. 215 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 1. Kap., C., I. 216 Vgl. M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509 ff.; M. Bothe, JZ 1975, S. 399 ff.; R. Bartlsperger, DVBl 1971, S. 729 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 96. 217 Vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, S. 166 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2013, Rn. 96. 218 Vgl. M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509 ff.; R. Schmidt, NJW 1967, S. 1635; R. Bernhardt, JZ 1963, S. 306. In diese Richtung auch F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 625 ff.; ders., Zukunft in Freiheit, 2004.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
auch die Schwierigkeit bzw. die Unmöglichkeit einer eindeutigen Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Interessen erkennbar, da eine zwangsläufige und unentwirrbare Verflechtung von öffentlichen und privaten Interessen vorliegt.219 Fragwürdig erscheint zu Recht auch die Tatsache, dass die Chance, sich auf eine Norm zu berufen, umso geringer ausfällt, je größer der Kreis derjenigen ist, der von der Beachtung dieser Norm profitiert. Je mehr eine Umweltvorschrift das öffentliche Interesse repräsentiert, d. h. zum Schutz von Natur und Landschaft, Klima, Luft und Wasser erlassen wird, desto schwieriger ist es, sie als subjektives öffentliches Recht zur Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Klage heranzuziehen.220 Wenn eine Norm in diesem Rahmen nur die Allgemeinheit schützt und nicht individuell Betroffene, dann können Rechtssubjekte bzw. Kläger zwar möglicherweise individuell betroffen sein, sie haben aber i. d. R. nach deutschem Recht keine Möglichkeit zu klagen. Objektivrechtliche Vorschriften bleiben daher häufig „auf der Strecke“. Im Ergebnis wird somit weniger Umweltrecht praktisch umgesetzt, als in den Gesetzen an sich materiell angelegt ist. Vor diesem Hintergrund entsteht unvermeidlich ein Zwei-Klassen-System der Rechtsvorschriften.221 Insofern wandelt sich die Schutznormtheorie zur „Schutzverhinderungstheorie“.222 2. Mangelhafte gerichtliche Kontrolle des Staates Unter dem Einfluss der Schutznormtheorie muss auch nicht verachtet werden, dass grundsätzlich dem Staat die Aufgabe, das Gemeinwohl (d. h. u. a. kollektive Güter wie Klima, Luft, Wasser, Boden, öffentliche Gesundheit) zu verwirklichen zukommt.223 Der Staat muss somit als „Treuhänder“ der Gemeinwohlbelange größtmögliche Objektivität und Neutralität wahren. In vielen Fällen in der Praxis kann der Staat aber, dem im zunehmenden Maße eine Art Globalverantwortung für die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Entwicklung zugewachsen ist, nicht immer als neutraler Konfliktmittler betrachtet werden. Viel-
219 Vgl. W. Henke, DÖV 1980, S. 626; H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 126; K.-H. Ladeur, UPR 1984, S. 5; G. Christonakis, Das verwaltungsprozessuale Rechtsschutzinteresse, 2004, S. 33 ff.; D. Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 69 ff.; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 631 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 96. 220 Vgl. G. Oestreich, DV 2006, S. 33 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 308 ff. 221 BT-Drs. 14/5766, S. 44. 222 H. Sendler, Zeitschrift des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen, 2/2002, S. 28. 223 Vgl. P. Häberle, Europäische Rechtskultur, 1994, S. 337 ff., m.w. N.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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mehr wird er zum Interessenten, ja manchmal sogar zur Partei, insbesondere da, wo er selbst Vorhabenträger ist (z. B. bei Infrastrukturvorhaben).224 Es ist nach E. Rehbinder „ein vielfach belegtes Phänomen des Umweltrechts, dass die Behörden bei der Ausfüllung vorhandener Interpretations- und Entscheidungsspielräume entgegen den Absichten der jeweils anwendbaren Gesetze Belangen des Umweltschutzes vielfach zu wenig Gewicht geben, und dass die bestehenden umweltrechtlichen Vorschriften von den Behörden der Umwelt- und Fachverwaltung nicht in ausreichendem Maße vollzogen werden“.225
Es ist anzumerken, dass selbst in Fällen, in denen der Staat nicht unmittelbar Partei ist, er mit Blick auf die ihm zugewachsene soziale Globalverantwortung vom wirtschaftlichen Wachstum abhängig ist. Denn er ist verpflichtet, die Rahmenbedingungen für die ökonomische Entwicklung selbständig zu verbessern bzw. sie im Interesse der „Wachstumsvorsorge“ zu fördern.226 Grund dafür ist unter anderem die mangelhafte gerichtliche Kontrolle des Staates, die auf die Schutznormtheorie zurückzuführen ist. Hierbei besteht die Gefahr, dass die dem Staat zugewiesene Schutzaufgabe gegenüber Gemeinwohl- und Individualgütern unterlaufen wird. Denn „wer selbst Störer sein kann, ist als Polizist wenig geeignet“.227 In der Folge gerät der Staat in eine Abhängigkeit von der Folgebereitschaft der Steuerungsadressaten. Auf diese Weise besteht die latente Gefahr, dass z. B. beim Vollzug des Umweltrechts Gemeinwohlbelange zu einer Verhandlungsposition werden und somit missbraucht werden.228 Da die Lücken im Rechtsschutz gegenüber naturschutzrechtlichen Verletzungen selbstverständlich dort größer sind, wo es überhaupt keine Anwohner und Nachbarn geben kann, z. B. in größeren Gewässern bzw. auf dem Meer, generell im Außenbereich,229 können somit Behör224 Vgl. M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 378; C. Calliess, ZUR 2000, S. 242 ff.; F. Ekardt, EurUP 2012, S. 130; R. Breuer, in: FS für Kloepfer, 2013, S. 328. Die Tatsache dass die Verwaltung nicht selten bereit ist, die Grenzen des geltenden Rechts auszuschöpfen und auch zu überschreiten im Zusammenhang mit den Durchsetzungsschwächen des Individualrechtsschutzes führen vielmals zur Ohnmacht des Bürgers, so dass er trotz realer Betroffenheit seiner Interessen um die Zuerkennung der Klagebefugnis häufig intensiv ringen muss. 225 E. Rehbinder, HdUR 1994, Rn. 2560 ff. 226 Vgl. D. Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1994, S. 204 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 7 ff.; D. Bollier/ B. H. Weston, in: S. Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, 2014, S. 417 ff.; jeweils m.w. N. 227 Vgl. C. Calliess, NJW 2003, S. 100 ff., m.w. N. 228 Vgl. D. Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1994, S. 246 ff. 229 Vgl. J. Leimbacher, Die Rechte der Natur, 1988, S. 29 ff. So kann z. B. die ökologische Zerstörung eines Meeres erst dann zu einer zulässigen Klage führen, wenn nicht nur der Fischbestand vernichtet, sondern auch das Fanggeschirr eines etablierten Fischerbetriebes beschädigt wird.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
denentscheidungen, z. B. über die Zerstörung eines Biotops oder des Lebensraums einer seltenen Tier- oder Pflanzenart, von niemandem außer dem Nutznießer zum Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle gemacht werden.230 Aber auch Ansässige von umweltbeeinträchtigten Gebieten (z. B. Landwirt, Bauherr, Anlagenbetreiber u. a.) verfolgen meistens andere Interessen als den Naturschutz. Insofern ist die gerichtliche Überprüfung eines Natureingriffs durch die Einlegung einer Klage nur dann zu erwarten, wenn das Interesse an der Grundstücksnutzung zufällig mit dem Naturschutzinteresse übereinstimmt, etwa bei einem Straßenbauvorhaben, durch das sowohl Biotope zerstört als auch Immissionen produziert und Grundstückswerte gemindert werden und die Betroffenen folglich nicht das Risiko einer Klage scheuen.231 Zudem ist die gestiegene Verantwortung des Staates nicht mit einer entsprechenden Vergrößerung seiner Machtmittel einhergegangen. Es darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Verwaltungsbehörden die Beachtung aller nicht drittschützenden Normen nicht sicherstellen können. Es ist eine inzwischen schon alte Erkenntnis, dass die Umweltbehörden aus verschiedenen Gründen, zu denen etwa eine zu knappe Personalausstattung, Interessenskonflikte sowie gewisse Eigengesetzlichkeiten der öffentlichen Verwaltung gehören, nicht in der Lage sind, in allen Fällen für eine effektive Einhaltung des Umweltrechts zu sorgen.232 Unter solchen Bedingungen werden Exekutive, Legislative und Judikative ihrer (gem. Art. 20a GG) Aufgabe, die Umwelt zu schützen nicht hinreichend gerecht. Einerseits kann diese Aufgabe durch die zuständigen Verwaltungsbehörden nicht vollständig durchgesetzt werden. Andererseits kann die Gesetzgebung und Rechtsprechung wegen der restriktiven Schutznormtheorie nicht ausreichend die Umweltbelange schützen.233 3. Prozessuales Ungleichgewicht zwischen dem Umweltschutz und der Umweltnutzung Angesichts der Tatsache, dass das Umweltschutzrecht besonders häufig Entscheidungen betrifft, die große Räume, lange Zeitspannen und die Lebensbedin230 Vgl. C. Sailer, NuR 1987, S. 207 ff. – er beschäftigt sich mit konkreten Beispielen. C. Senig, NuR 1979, S. 10 ff. 231 Vgl. F. Kopp, NuR 1994, S. 77 ff.; J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 29 ff. 232 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532; A. Schmidt, ZUR 2012, S. 210 ff.; jeweils m.w. N. 233 Vgl. A. Lorenz, UPR 1991, S. 253 ff.; G. Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 219 ff.; J. Wolf, UTR 2004, S. 87 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 36 ff.; B. Berkemann, in: F. Kopp (Hrsg.), Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 83 ff. in diese Richtung auch C. Sailer, in: F. Kopp (Hrsg.), Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 36 ff.; C. Heitsch, JA 2001, S. 258 ff.; R. Brauner, VR 1994, S. 386 ff.; M. Sachs, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 27 ff.
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gungen eines weiten Personenkreises beeinflussen, erweist sich im Rahmen der Schutznormtheorie der Rechtsschutz von überindividuellen Umweltgütern als besonders problematisch. Denn gerade in diesem Rechtsgebiet ist der Schutznormtheorie nach die Klage von unterlegenen Konkurrenten oder Nachbarn nur zulässig, wenn die als verletzt gerügte Norm nach ihrem Schutzzweck einen Personenkreis schützen soll, der sich durch individualisierende Tatbestandsmerkmale aus der Allgemeinheit heraushebt. Vor diesem Hintergrund genießen überindividuelle Umweltgüter (z. B. Wasser, Luft, Boden, Wälder u. a.) kein selbstständiges Recht auf Rechtsschutz, da sie offensichtlich keine natürliche oder juristische Person darstellen. Umweltgüter können grundsätzlich nur im Zusammenhang mit einer Verletzung von subjektiven öffentlichen Rechten von natürlichen oder juristischen Personen gerichtlich geschützt werden.234 Das hat zur Folge, dass betroffene überindividuelle Umweltgüter (etwa fern von bewohnten Gebieten liegende, aber z. B. wegen Verschmutzung beeinträchtigte Wälder, Gewässer u. a.), die keinen Zusammenhang zur Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte aufweisen, nicht gerichtlich geschützt werden können.235 Umweltbezogene Allgemeingüter haben somit kein selbstständiges Recht auf Rechtsschutz. Im Hinblick darauf wird eingewandt, dass die Schutznormtheorie in einer nicht zu rechtfertigenden Weise den „Störer“ privilegiere. Grund dafür ist, dass er keine Einschränkung seiner Klagemöglichkeiten hinnehmen müsse, wenn seine Tätigkeiten vom Staat gestört oder gehindert werden, während oftmals der von den Tätigkeiten des Begünstigten Drittbetroffene nicht gegen ihn klagen kann. Während grundsätzlich der Vorhabenträger stets klagen kann, wenn beispielsweise die Behörde ein „Mikrogramm“ zu viel an Umweltschutz verordnet, sind der Klagebefugnis des Drittbetroffenen deutliche Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, einen unzureichenden Vollzug des Umweltrechts geltend zu machen.236 Daraus ergibt sich eine eklatante Asymmetrie zwischen den Rechtsschutzmöglichkeiten ökonomischer Akteure und der an der Erhaltung des Umweltrechts interessierten Einzelnen. Diese besteht meistens im kollektiven Umweltrecht (etwa Naturschutzrecht), wobei dem Bürger i. d. R. kein subjektives öffentliches Recht eingeräumt wird. Es wird daher argumentiert, dass die Schutznormtheorie im Er-
234 Vgl. K. Bosselmann, NuR 1987, S. 5 ff.; K. Heinz, Der Staat 1990, S. 415 ff.; H. v. Lersner, NVwZ 1988, S. 988 ff.; C. Sening, NuR 1989, S. 327 ff.; vgl. auch C. Stone, (übers. v. H. Blume), Umwelt vor Gericht, 1987, der für die Einführung eines Eigenrechtes der Natur plädiert. 235 C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 16 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 243 ff.; ders., DVBl 1994, S. 88 ff.; H. Jarass, in: H. Leßmann/B. Großfeld/L. Vollmer (Hrsg.), FS für R. Lukes zum 65. Geburtstag, 1989, S. 57 ff.; B. Wiegand, BayVBl 1994, S. 609 ff., S. 647 ff.; M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 381 ff. 236 G. Oestreich, DV 2006, S. 33 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
gebnis „Betätigungsinteressen“ höher als die „Schutzinteressen“ der Bürger bewertet.237 Daher scheint die Schutznormtheorie für die Ausbalancierung multipolarer Konfliktlagen zwischen kollidierenden Privatinteressen und öffentlichen, kollektiven Interessen im Umweltrecht nicht tauglich zu sein.238 Aus verwaltungsprozessualer Sicht führt die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts im Ergebnis zu einem prozessualen Ungleichgewicht der Teilinteressen der vertretenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte, die sich auch rechtlich miteinander auseinandersetzen. Insbesondere im Rechtsbereich des Umweltschutzes handelt es sich um ein prozessuales Ungleichgewicht zwischen dem Umweltschutz und der Umweltnutzung. Es geht nämlich um ein nicht tragbares Ungleichgewicht der Teilinteressen zwischen den Umweltnutzern und den Umweltschützern, das zu einem unzulänglichen Rechtsschutz insb. der kollektiven Umweltgüter führt.239 Angesichts der Tatsache, dass nicht jeder belastenden Umweltnutzung einklagbare Rechtspositionen Dritter gegenüberstehen, kann somit i. d. R. die von der Umweltnutzung verursachte Belastung der Natur bzw. der Umwelt nicht von Dritten angefochten werden, weil die Dritten nicht gem. § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sind. Daher haben es Umweltnutzer offensichtlich vor Gericht erheblich leichter als Umweltschützer.240 Dies ist zutreffend, denn während der Umweltnutzer gegen alle behördlichen Maßnahmen, die seine Umweltnutzung betreffen, ohne weiteres rechtlich vorgehen kann, ist derjenige, der einen Rechtsbehelf zugunsten des Umweltschutzes einlegen will, von dem prozessualen „Nadelöhr der 237 Vgl. C. Sening, NuR 1980, S. 102, S. 104; M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, 1987, S. 178; C. Sailer, BayVBl 1980, S. 275; ders., NuR 1987, S. 207 ff.; dagegen: H.-J. Keller, BayVBl 1981, S. 682 ff.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 35 ff. 238 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, UmweltR, 2003, § 5, Rn. 9 ff., S. 1024 ff. 239 SRU, 2005, S. 2 ff.; C. Sening, AgrarR 1980, S. 63 ff.; B Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 36 ff.; E. Rehbinder, Verbandsklage, in: O. Kimminich/H. Lersner/ P.-C. Storm (Hrsg.), HdUR, Bd. II, 1994, Sp. 2563 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; L. Krämer, JEEPL 2009, S. 15 ff. 240 SRU, 2005, S. 2 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 36 ff.; E. Rehbinder, Verbandsklage, in: O. Kimminich/H. Lersner/P.-C. Storm (Hrsg.), HdUR, Bd. II, 1994, Sp. 2563 ff.; R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2013, Rn. 69; T. Schomerus, Defizite im Naturschutzrecht, 1987, S. 82 ff. R. Wolf, ZUR 1994, S. 2 ff.; E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 161 ff.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 362 ff. D. Bruch, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 333 ff.; jeweils m.w. N. Dazu tragen auch restriktive Verfahrensvorschriften bei, die beispielsweise kurzfristige Einwendungen gegen umweltbelastende Vorhaben im Verwaltungsverfahren (§ 73 Abs. 4 S. 2 VwVfG, § 10 Abs. 3 S. 2 BImSchG) oder eine Verschärfung der formellen sowie der materiellen Präklusion im umweltschutzrechtlichen Verwaltungsverfahren (§ 10 Abs. 3 S. 2 und 3 BImSchG, § 8 WHG a. F. i.V. m. § 108 WG Baden-Württemberg, § 73 Abs. 3a, 4 S. 3, 4 VwVfG) bestimmen. Vgl. C. Sening, AgrarR 1980, S. 63 ff.; F. Ekardt/A. Heym/J. Seidel, ZUR 2008, S. 169 ff.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Schutznormtheorie“ abhängig.241 In diesem Rahmen sind potentiell umweltfeindliche Interessen (gewerbliche Wirtschaft, Forst- und Landwirtschaft, Gewerkschaften usw.) de jure oder de facto allemal stärker als die umweltfreundlichen Interessen repräsentiert.242 Während z. B. der Genehmigungsinhaber Abwehrrechte gegen ihn betreffende behördliche umweltrechtliche Umweltschutzmaßnahmen ohne weiteres geltend machen kann, müssen die Drittkläger die Hürde des subjektiven Rechts überwinden. Hinzu kommt, dass eine Umweltbelastung relevant ist, soweit sie einer bestimmten Störungsquelle zugerechnet werden kann.243 Ebenso kann ein Grundstückseigentümer gegen die staatliche Verschmutzung seines Trinkwasserbrunnens klagen. Wird demgegenüber das Trinkwasser einer Region vergiftet, haben die Bürger keinen Rechtsschutz, weil nur die Allgemeinheit betroffen ist.244 Zudem kann auch beispielsweise die Genehmigung einer umweltbelastenden Anlage selbst bei großzügigster Interpretation nicht als Satzung oder Rechtsverordnung bewertet und deshalb auch nicht über den Umweg des § 47 VwGO dem Gericht zur vollen Überprüfung der Gemeinschädlichkeit des Unternehmens am Maßstab des objektiven Rechts zugeführt werden. Gleichwohl betrifft eine solche Genehmigung zur Errichtung und Funktion einer Anlage – entsprechend einer Rechtsnorm – eine große Anzahl von noch nicht im Einzelnen bestimmbaren Personen.245 In diesem Zusammenhang wird – aus rechtspolitischer Sicht – auch die scharf kritische Auffassung gestützt, dass Befürworter der Schutznormtheorie das ökonomische System mit seinen Machtstrukturen, wozu auch die Schutznormtheorie als Faktum zählt, verteidigen wollen. „Denn die Bewahrung der klassischen Schutznormlehre begünstigt entscheidend Wirtschaftsinteressen, häufig wird die rechtliche Argumentation für die unentbehrliche Aufrechterhaltung der Schutznormtheorie zum Erfüllungsgehilfen von Zielen, die von wirtschaftlichen und politischen Macht- und Einflusssphären bedient werden, die man weder klar darlegt noch auf ihre Richtigkeit hin überprüft.“ 246 241 E. Rehbinder, in: O. Kimminich/H. Lersner/P.-C. Storm (Hrsg.), HdUR, Bd. II, 1994, Sp. 2563 ff.; C. Sening, NuR 1980, S. 102 ff.; C. Sailer, NuR 1987, S. 207 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 458; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 150. 242 Vgl. R. Wolf, ZUR 1994, S. 2 ff.; E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 161 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff. 243 Vgl. VGH München, Urt. v. 08.06.1988 – 22 B 83 A. 1681, NVwZ 1989, S. 484; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 150. 244 F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622. 245 Vgl. H. H. Rupp, ZRP 1972, S. 33; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622 ff. 246 Vgl. C. Sening, BayVBl 1981, S. 176. In dieselbe Richtung auch C. Calliess, NVwZ 2006, S. 1; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 164 ff.
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4. Einschränkung der Rechtssicherheit Vor diesem Hintergrund wird zu Recht vorgebracht, dass die Schutznormlehre zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führe.247 Grund dafür ist die sehr differenzierte Kasuistik drittschützender Normen (insb. im Nachbarrecht), die sich hauptsächlich durch die Rechtsprechung entwickelte, und zu einem diffusen Meinungskonglomerat hinsichtlich der zentralen Frage nach der Subjektivierung einer Schutznorm geführt hat.248 Diese Kasuistik ist aber praktisch kaum mehr überschaubar und teilweise widersprüchlich. Deswegen werde eine schwer erträgliche Rechtsunsicherheit herbeigeführt.249 Im Anschluss daran wird auch vorgetragen, dass die Schutznormtheorie sich zu einer „Geheimwissenschaft richterlicher Rechtsfortbildung“ entwickelt habe, sowie dass ihr „oft nur spekulativer“ Ansatz zu einem „Irrgarten des Rechts“ führe.250
VIII. Lösungsansätze der Theorie für eine Neukonzeption der Schutznormtheorie Trotz all dieser Kritik hat sich die Schutznormtheorie bislang im Wesentlichen als tragfähig erwiesen. Insbesondere in der Rechtsprechung des BVerwG gilt sie als „unangefochten“.251 Kurzgefasst wird diese Lehre grundsätzlich mit zwei Hauptargumenten verteidigt: mit der Verteidigung der Parlaments- und nicht der Gerichtsherrschaft in der Gewaltenteilung sowie mit der Vermeidung einer drohenden Klageflut, die angeblich auftreten würde, wenn jedermann jederzeit die Angelegenheiten eines anderen zum Klagegegenstand machen könnte.252 Parallel aber wurde und wird von der Rechtswissenschaft versucht, die Schwäche dieser Theorie zu beseitigen. Es sind daher unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt worden, die zu einer neuen verbesserten Konzeption der Schutznormtheorie – meistens aber ohne sichtbaren Erfolg – beitragen sollten. 247 Vgl. W. Henke, DÖV 1980, S. 626; H. H. Rupp, DVBl 1982, S. 146; M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 631 ff. Diese Kritik übersieht allerdings, dass Konkretisierungen zur Ausfüllung der Schutznormlehre erforderlich sind, sowie dass Unschärfen in den modernen Ansätzen dieser Lehre aufgefangen oder zur Weiterentwicklung der Schutznormlehre genutzt werden können. s. H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 128. 248 Vgl. H. Bauer, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 128; mehr dazu s. u. in 1. Teil, 1. Kap., B., VIII. ff. 249 Vgl. W. Henke, DÖV 1980, S. 626; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 163. 250 Vgl. F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 53 ff. 251 Vgl. M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 382; H. Sendler, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 487 ff. 252 BVerwG, Beschl. v. 10.01.1995 – 7 B 112/94, NVwZ 1995, S. 995; M. Kloepfer, Umweltrecht, 1998, § 4, Rn. 13 ff.; R. Bender/R. Sparwasser/A. Engel, Umweltrecht, 2000, VIII, Rn. 144; m.w. N.; H. Sander, MDR 1986, S. 12.
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung
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Zur Überwindung der Schwäche der Schutznormtheorie hinsichtlich des Rechtsschutzes Dritter sind im Schrifttum bereits zahlreiche Ansätze unternommen worden, nach denen die Schutznormlehre mehr oder weniger ausgeweitet werden soll. Diese Ansätze werden allerdings an dieser Stelle nur indizierend dargestellt. Zusammengefasst lassen sich nachfolgend geschilderte, bisher von der Lehre vorgebrachte, aber nicht durchgesetzte Lösungsansätze zum Abbau der Schutznormtheorie unterscheiden. 1. Zum Abbau der Schutznormtheorie durch Grundrechte Zunächst wird die Auffassung vertreten, dass ein subjektives öffentliches Recht immer dann anzunehmen sei, wenn ein gesetzwidriges Verhalten den Bürger in „seinen Angelegenheiten“ betrifft. Zur Begründung wird teilweise auf Art. 19 Abs. 4 GG verwiesen, dessen Grundentscheidung für eine eigene Rechtssphäre des Bürgers nicht durch einfaches Gesetzesrecht entwertet werden dürfe.253 Zu den Vertretern dieser Auffassung gehört vor allem W. Henke. Der Ansicht Henkes nach soll das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts nicht danach bestimmt werden, ob das Gesetz dem Schutz der Interessen Einzelner diene. Entscheidend sei vielmehr, dass der Einzelne in „seinen eigenen Angelegenheiten“ durch die Verletzung eines Gesetzes betroffen sei.254 In ähnlicher Weise will R. Bartlsperger die individuelle Betroffenheit durch den Vollzug einer Norm als subjektives öffentliches Recht anerkennen. Dazu muss die Norm den Einzelnen direkt oder durch ihren Vollzug in seinen eigenen Angelegenheiten betreffen.255 Wenn eine Gesetzverletzung die Freiheit des Einzelnen als Status verletze, müsse aus dieser Verletzung ein individuelles, subjektives öffentliches Recht gegen den Staat folgen.256 Damit wird die Frage des subjektiven öffentlichen Rechts von der normativen Entscheidung des Gesetzgebers getrennt und in den Bereich der „Faktizität“ verlagert.257 Dieser Ansatz wurde allerdings schließlich abgelehnt. Denn in der Praxis wäre es unmöglich, den Begriff „der eigenen Angelegenheiten“ ohne Zuhilfenahme der zugrundeliegenden Regelungen näher zu konkretisieren.258 253
Vgl. D. Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973,
S. 60. 254
Vgl. W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 72. Vgl. R. Bartlsperger, DVBl 1971, S. 723. 256 Vgl. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 215 ff.; W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 60 ff., S. 72, S. 176. Dieser Reaktionsanspruch entstehe aber unter der Voraussetzung, dass neben der Verletzung einer Rechtsnorm durch die Verwaltung der Status individualisiert sei. Dadurch müsse der Bürger durch den Gesetzesverstoß in seinen eigenen Angelegenheiten betroffen sein, wobei die tatsächliche, nicht die rechtliche Betroffenheit maßgeblich sei. 257 Vgl. R. Bartlsperger, DVBl 1971, S. 723. 258 Vgl. D. Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 62; F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 55 ff. 255
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Parallel dazu wird auch vertreten, dass sich das Rechtssubjekt grundsätzlich auf die Grundrechte berufen könne, um subjektive öffentliche Rechte herzuleiten. Daher sei i. d. R. der Rückgriff auf einfachgesetzliche subjektive Rechte entbehrlich. Im Hinblick darauf vertritt M. Zuleeg die Auffassung, dass die Grundrechte als Abwehrrechte dazu führen sollen, dass alle belastenden Maßnahmen des Staates ihre Grundlage in einer gemäß der Verfassung zustande gekommenen Rechtsnorm finden müssten. Vor diesem Hintergrund bedürfe es eines subjektiven öffentlichen Rechts nicht mehr, denn das Grundrecht als Abwehrrecht sei an seine Stelle getreten. Insofern sei für die Klagebefugnis lediglich eine konkrete und wesentliche Betroffenheit notwendig.259 Im Anschluss daran betont D. Lorenz, dass das Grundgesetz die Basis zur Bestimmung der subjektiven Qualität einer Regelung bildet. Insofern habe das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 1 GG eine grundsätzliche Entscheidung dahingehend getroffen, das Individuum als Rechtssubjekt in den Vordergrund zu stellen.260 In Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 4 GG folge daraus, dass dem Einzelnen jedes Mal dann, wenn er durch staatliches Handeln in seinem Eigenbereich bzw. in seinen eigenen Angelegenheiten berührt sei, ein subjektives öffentliches Recht zur Seite stehen müsse. Infolgedessen könnten weder das faktische Betroffensein noch der Wille des Gesetzgebers dafür maßgeblich sein, wann eigene Interessen des Bürgers beeinträchtigt seien.261 Infolgedessen bewirkt diese Ausweitung der Schutznormtheorie, dass jede Norm als subjektives öffentliches Recht auszulegen wäre, sofern der Einzelne in seinen faktischen Belangen betroffen ist. An dieser Ansicht wurde aber kritisiert, dass die Schutznormlehre letztendlich ihres zur Abgrenzung erforderlichen Inhalts beraubt werde.262 Auch diese Konzeption sieht sich dem Vorwurf der allzu großen Vagheit ausgesetzt.263 Im Allgemeinen fanden die oben dargestellten Auffassungen wenig Gefolgschaft. Demgegenüber wurde vor allem vorgetragen, dass der Kreis eigener Angelegenheiten des Bürgers durch die Grenzen der grundrechtlichen Entfaltungsfreiheit bestimmt wird. Die Begründung eines subjektiven Rechts soll nicht im Belieben der Betroffenen stehen. Daher bedarf es einer rechtlichen Eingrenzung der Sphäre individueller Zuständigkeit, die Art. 19 Abs. 4 GG selbst nicht erbringt.264 Beachtenswert ist auch die vorgeschlagene Konzeption von C. Sening und C. Sailer, mit Hilfe welcher sie insbesondere die Problematik der Umweltrechtsschutzdefizite im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems lösen 259 260 261 262 263 264
M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 509, S. 515. D. Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 51 ff. Ebd. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, 1997, S. 114 ff. Vgl. C. Sailer, DVBl 1976, S. 525. Vgl. A. Scherzberg, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, S. 339, § 11, Rn. 10.
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wollten. C. Sening und C. Sailer wollen nämlich nicht nur von Adressaten, sondern auch von Dritten bei einer Berührung von deren Rechten eine Klagebefugnis aus Art. 2 Abs. 1 GG zulassen.265 Eine Zusammenschau verschiedener grundrechtlicher Entwicklungsrichtlinien, wie die institutionelle Seite der Grundrechte, die von den Grundrechten geschaffene objektive Wertordnung und eine sozialstaatliche Grundrechtsinterpretation, bewirke einen umfassenden Schutz positiver Freiheit. Insofern führten das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips dazu, dass jede faktische Beeinträchtigung des Bürgers auch zur Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts führen müsse.266 Einfaches Recht, das diesen grundrechtlichen Funktionen entspreche, sei drittschützend. Den Umweltschutz betreffend betonen beide Autoren, dass – angesichts des engen Zusammenhanges des Naturschutzes bzw. des Naturerlebens mit der menschlichen Gesundheit sowie mit der Persönlichkeit als zentraler Bestandteil des menschlichen Daseins – diese Rechte über Art. 2 Abs. 1 GG mit einem umfassenden Anspruch auf Freiheit von gesetzeswidrigen Beeinträchtigungen verbunden seien. Dadurch erhielten alle Normen des Naturschutzrechts drittschützenden Charakter. Mit anderen Worten – auch angesichts der immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen – müssten auch in den Vorschriften zu Naturschutz und Landschaftspflege die Rechtsgüter Natur und Landschaft als subjektive öffentliche Rechte angesehen werden.267 Auch diese Konzeption wurde (bislang) nicht von der bisherigen Rechtspraxis angewandt. Denn das vorgeschlagene grundrechtliche Fundament bleibt diffus und erscheint vor der zumutbaren Gefahr einer Klageflut bzw. der Einführung einer unzulässigen Popularklage im Bereich des Umweltschutzes nicht tragfähig genug. Außerdem werden ganz unterschiedliche verfassungsrechtliche Anknüpfungen zu einer recht inhomogenen Begründungseinheit zusammengezogen.268 Daneben kann angesichts der Uferlosigkeit von Folge- und Nebenwirkungen staatlichen Handelns auf die tatsächlichen Entfaltungschancen des Einzelnen den Grundrechten kein striktes Unterlassungsgebot, sondern lediglich ein Verfas265 Vgl. C. Sening, BayVBl 1978, S. 205 ff., NuR 1980, S. 102 ff.; C. Sailer, DVBl 1976, S. 521 ff.; ders., NuR 1987, S. 207 ff. 266 Vgl. C. Sening, NuR 1980, S. 102 ff.; ders., NuR 1979, S. 9 ff.; C. Sailer, DVBl 1976, S. 521 ff.; ders., BayVBl 1980, S. 272 ff. 267 Vgl. C. Sailer, DVBl 1976, S. 521 ff.; ders., BayVBl 1980, S. 272 ff.; ders., in: F. Kopp (Hrsg.), Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 83 ff.; ders., NuR 1987, S. 207 ff.; C. Sening, BayVBl 1978, S. 205 ff.; ders., NuR 1979, S. 9 ff.; ders., NuR 1980, S. 102 ff.; ders., AgrarR 1980, S. 63 ff.; ders., BayVBl 1981, S. 174 ff.; ders., BayVBl 1982, S. 428 ff.; ders., NuR 1983, S. 18 ff.; ders., NuR 1989, S. 327 ff. 268 Vgl. F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 61 ff. Darüber hinaus wird der Schutz materieller Freiheitspositionen durch Art. 2 I GG mit der formellen Eingriffsfreiheit im Sinne der Freiheit von gesetzwidrigem Zwang verquickt.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
sungsauftrag an den Gesetzgeber zur Herstellung und Sicherung angemessener Voraussetzungen der Grundrechtsausübung entnommen werden. Denn der Gesetzgeber gestaltet die Rechtssphäre des Einzelnen aus und bestimmt dabei auch, in welchem Umfang diesem ein Recht auf Normvollzug gegenüber der Verwaltung zusteht.269 Letztlich bestimmt der Gesetzgeber das Ausmaß der staatlichen Grundrechtsvorsorge und grenzt auch den Bereich des von jedem selbst zu bewältigenden allgemeinen Lebensrisikos ab.270 Insofern haben sich auch diese Auffassungen nicht durchgesetzt. 2. Zum Abbau der Schutznormtheorie durch geeignete Auslegung des einfachen Gesetzes Von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Begründung subjektiver öffentlicher Rechte sind auch Auffassungen, die ein subjektives öffentliches Recht mehr oder weniger am einfachen Gesetz anknüpfen. Einerseits gibt es Ansichten, die dem Grundgesetz Vorrang geben, ohne aber gleichzeitig die Anknüpfung des subjektiven öffentlichen Rechts am einfachen Gesetz abzulehnen. In dieser Richtung nimmt vor allem P.-M. Huber überall dort eine „potentielle Schutznorm“ an, wo eine gesetzliche Begründung vorliegt, die den Schutzbereich von Grundrechten des Dritten berührt. Insofern setzt er die grundrechtliche Fundierung subjektiver öffentlicher Rechte in den Mittelpunkt, ohne aber die einfachgesetzlichen subjektiven Rechte für entbehrlich zu halten. Angesichts des weiten Umfangs solcher potentieller Schutznormen werden die für § 42 Abs. 2 und § 113 Abs. 1 VwGO maßgeblichen Schutznormen immer dann angenommen, wenn sich die Regelung im Einzelfall freiheitsverkürzend auswirkt. Spielraum bei der Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte gibt es für den einfachen Gesetzgeber nur da, wo grundrechtliche Implikationen nicht bestehen.271 In Bezug auf diese Ansicht wird jedoch dagegen überzeugend argumentiert, dass sie die Grundrechtsgebundenheit übermäßig betont, dabei aber weitgehend den Ausformulierungsspielraum des Gesetzgebers unterschätzt.272 Demgegenüber geben die meisten Ansichten dem einfachen Gesetz Vorrang. Sie berücksichtigen aber gleichzeitig die Funktion der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte, denn sie bezwecken überwiegend eine verfassungskonforme Auslegung des einfachen Gesetzes. Ein Teil der Theorie ver269 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 196 ff.; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 37 ff. 270 Vgl. W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 206 ff.; U. Ramsauer, AÖR 1986, S. 506 ff.; A. Scherzberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, S. 338 ff., § 11, Rn. 10. 271 P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 281 ff.; ders., Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GG-Komm., 2005, Rn. 401 ff. 272 R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGOKomm., 2005, Rn. 100.
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sucht, das Bestehen eines subjektiven öffentlichen Rechts aus einer Gesamtbetrachtung der jeweiligen Rechtsbeziehung, mithin aus dem zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis herzuleiten.273 In diesem Rahmen will vor allem H. Bauer durch Berücksichtigung des Verwaltungsrechtsverhältnisses auf die Schutznormtheorie verzichten. Ob subjektive öffentliche Rechte vorliegen, sei nach den speziell auf das konkrete Rechtsverhältnis anwendbaren Normen zu bestimmen. Die Berechtigung sei den vielen geschriebenen und ungeschriebenen Normen des Rechtsverhältnisses zu entnehmen. Verfassungs- und Verwaltungsrecht können zusammen betrachtet werden, ohne dass das Verfassungsrecht nur zweitrangige Berücksichtigung finde. Zudem sollen die tatsächlichen Lebensverhältnisse auf die Rechtsanwendung einwirken.274 Aufgrund dieser Auffassung wird jedoch die Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte nicht hinreichend deutlich. Aus der Qualifizierung eines Beziehungsgefüges als Rechtsverhältnis lassen sich keine neuen, normativ nicht fundierten Rechtsfolgen herleiten. Denn die Grundlage eines subjektiven öffentlichen Rechts ist letztlich nicht das Rechtsverhältnis, sondern dieses ein Entstehungsgrund für jenes.275 H. Bauer stellt eigentlich nur auf die durch Grundrechte geschützte Freiheit ab, ohne konkret auf die einschlägigen Grundrechte einzugehen.276 Die Forderung nach Einführung alternativer Rechtsschutzsysteme wie der Rechtsverhältnislehre277 ist somit von geringer Bedeutung für die Praxis. Ihr Schwerpunkt liegt vielmehr in der akademischen Auseinandersetzung.278 Parallel dazu schlägt P. Preu folgende Ergänzung der Schutznormtheorie vor: Um festzustellen, ob eine Norm eine subjektive Regelung bezwecke und Rechtsmacht gewähre, sei eine Auslegung der Norm nicht hinreichend. Der Ansicht Preus nach sei dafür nicht entscheidend, ob die jeweilige Norm drittschützend sei.279 Es komme aber darauf an, ob die durch die Norm festgelegte Pflicht diese Eigenschaft hätte. Ob diese Pflicht zugunsten des Einzelnen bestehe, sei bei jeder konkreten Pflichtverletzung nach dem Regelungsziel der Norm unter Berücksichtigung der Grundrechte zu bestimmen.280 Es ist aber fraglich, ob der von Preu 273 H. Bauer, AöR 1988, S. 612 ff.; W. Henke, DÖV 1980, S. 623. Henke bezeichnet das Rechtverhältnis als Grundlage aller subjektiven Rechte. 274 H. Bauer, AöR 1988, S. 612 ff. 275 A. Scherzberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, S. 339, § 11, Rn. 10. 276 B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 214 ff. 277 H. Bauer, AöR 1988, S. 610 ff., m.w. N. 278 T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 163 ff. 279 P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 192, S. 124 ff. 280 P. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 192, S. 230 ff. Etwas abweichend, aber in dieselbe Richtung A. Bleckmann, VBlBW 1985, S. 362 ff.
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vorgeschlagene Ansatz zu einer effizienteren Aufklärung der subjektiven öffentlichen Normen in Vergleich zur Schutznormtheorie führt, unter anderem auch weil die Kriterien, die den subjektiven öffentlichen Charakter der durch die Norm festgelegten Pflicht bestimmen sollen, nicht ausreichend eindeutig sind.281 Darüber hinaus hält M. Schmidt-Preuß 282 hinsichtlich der Einordnung einer Norm als subjektives öffentliches Recht bei multipolaren Konfliktlagen grundsätzlich für entscheidend, wie der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die Schlichtung des Konflikts zwischen Privaten (d. h. zwischen dem Adressaten und dem Dritten) tatbestandlich ausgeprägt und damit die gegenseitige Rechtszuweisung vorgenommen hat.283 Ausgangspunkt der Drittschutzexegese von SchmidtPreuß ist somit die einfachgesetzliche Ordnungsnorm. Aufgrund dieser Konzeption müssen allerdings die vom multipolaren Umfeld der Ordnungsnorm umfassten Grundrechte beachtet werden. Denn sie sind zur Ausdeutung des einfachgesetzlichen Konfliktschlichtungsprogramms klärend und bekräftigend in norminterner Wirkung heranzuziehen. In normexterner Wirkung kommen Grundrechte in multipolaren Konfliktlagen zum Zuge, wenn der Gesetzgeber gänzlich untätig bleibt bzw. den grundrechtlichen Mindeststandard verfehlt.284 Der sog. Konfliktschlichtungsformel von Schmidt-Preuß nach ist eine Norm dann drittschützend, wenn sie „die kollidierenden Privatinteressen in ihre[r] Gegensätzlichkeit und Verflochtenheit wertet, begrenzt untereinander gewichtet und derart in ein normatives Konfliktschlichtungsprogramm einordnet, dass die Verwirklichung der Interessen des einen Privaten notwendig auf Kosten des anderen geht“ (Horizontalverhältnis der Kehrseitigkeit und der Wechselbezüglichkeit).285 281 Unabhängig davon überzeugt auch die Feststellung Preus, dass aufgrund der Schutznormtheorie ein Schutz von Individualinteressen nur durch eine objektive Kontrolle nicht denkbar sei, weil eine Individualinteressen schützende Norm immer ein subjektives Recht sei. Grund dafür ist, dass für das Bestehen eines subjektiven Rechts nicht nur der Schutzzweck der Norm relevant ist, sondern zudem die Kriterien der Rechtsmacht und der Durchsetzbarkeit erfüllt sein müssen. B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 208. 282 M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, 248 ff.; ders., in: FS für H. Maurer, 2001, S. 791 ff., m.w. N. 283 In diesem Sinne betrachtet das BVerwG als Aufgabe des Gesetzgebers, „gegenläufige Privatinteressen auf horizontale[r] Ebene gleichgeordneter Interessen auszugleichen“. BVerwG, Urt. v. 23.08.1996 – 4 C 13/9, BVerwGE 101, S. 364, S. 371 ff., UPR 1997, S. 39 ff. 284 Vgl. M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 31 ff. 285 Vgl. M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 31 ff., S. 210 ff., S. 723 ff.; ders., in: FS für H. Maurer, 2001, S. 791 ff. Vgl. aber die abweichende Auffassung Wahls: R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2005, Rn. 99; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 198 ff., S. 212. Vor diesem Hintergrund lehnt M. Schmidt-Preuß die Anwendung des klassischen Rücksicht-
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Auch dieser Ansatz bleibt nicht ohne Kritik. Er erweist sich insofern als zu einseitig, als die Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts von gesetzlichen Rechtssätzen betont wird. Infolgedessen geht das Element der Gebundenheit verloren, denn es wird nicht ausreichend die Grundrechtsordnung berücksichtigt.286 3. Zur Einführung von Eigenrechten der Natur Um die Problematik der restriktiven Klagebefugnis von Nichtadressaten im Bereich des Umweltschutzes zu beheben und gleichzeitig als Gegenreaktion auf die von Menschen ausgehende unverhältnismäßige Umweltzerstörung287, wurde vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Westeuropa über die Möglichkeit gesprochen, der Natur subjektive Rechte zuzuerkennen.288 Es wurde insofern nahmegebots, das insbesondere im Bereich des baurechtlichen und wasserrechtlichen Drittschutzes entwickelt wurde, ab, denn es findet in den Tatbeständen der Einzelnormen keinen direkten Eingang. M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 720 ff. 286 R. Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGOKomm., 2005, Rn. 99 ff. 287 Vgl. z. B. die darauf bezogene Kritik von K.-M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, 1984, S. 19 ff.: „[. . .] wir verhalten uns gegenüber der natürlichen Mitwelt so, als ob wir keine Menschen wären. [. . .] Wir verhalten uns in der Natur so, als sei der Rest der Welt nichts als für uns da [. . .] Die ganze Welt ist dann bloß noch Umwelt des Menschen und sonst nichts. Wir stehen in der Mitte und alles andere steht um uns herum, mehr oder weniger griffbereit. Dies aber [. . .] ist eine ganz verfehlte Selbsteinschätzung, Überheblichkeit und Hybris.“ Im Rahmen der anthropozentrischen Auffassung handelt der Mensch regelmäßig eigennützig im Selbstinteresse vorrangig um eine Existenzsicherung. Die Rücksicht auf die natürliche Umwelt spielt somit eine untergeordnete Rolle (vgl. T. Möllers, in: FS für W. Fikentscher, 1998, S. 158 ff., m.w. N.). Diese Art des menschlichen Verhaltens hat schrittweise zu der heutigen schweren Umweltkrise geführt, die nicht nur die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigt, sondern auch die existenziellen Lebensgrundlagen der Menschheit erheblich bedroht. Vgl. u. a. N. Stern, Review of the economics of climate change, 30.10.2006, Intergovernmental Panel on climate change 2007, The physical science basis, Summary of policymakers, Contribution of working group I to the 4th assessment Report, February 2007; H. Kempf, Comment les riches detruisent la planète, 2007; A. Gore, An Inconvenient Truth, 2006, S. 25 ff. Insofern könnte man behaupten, dass hinter der Umweltkrise vor allem die moralische, gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Krise der Menschheit als tiefere Ursache steht. Kurzgefasst könnte man die Umweltkrise als Konsequenz der gewinnorientierten Gesellschaft und Wirtschaft sowie der verantwortungslosen Politik und Wissenschaft betrachten. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine vielschichtige Krise der Institutionen. Vgl. dazu G. Hager, JZ 1998, S. 222 ff.; ders., UTR 2001, S. 7 ff.; M. v. Klipstein/B. Strümpel, Der Überdruß am Überfluß – Die Deutschen nach dem Wirtschaftswunder, 1984, S. 75 ff.; J. R. Ravetz, Die Krise der Wissenschaft, Probleme der industrialisierten Forschung, 1973, S. 35 ff., S. 332 ff.; J. Mittelstraß, in: H.-P. Dürr (Hrsg.), Wirklichkeit, Wahrheit, Werte und die Wissenschaft, 2003, S. 105 ff.; B. Glaeser, Gaia 1992, S. 195 ff.; I. Majewski, Die ökologische Krise zeitigt sich als die Krise unseres Denkens, 1989, S. 9 ff. 288 Vgl. z. B. C. Stone, Southern California Law Review, 1972, S. 450 ff.; B. Callicott, Beyond the land ethic, 1999, S. 59; K. Goodpaster, On being morally considerable, S. 324, Journal of Philosophy, 1978, S. 306 ff.; T. Regan, Does environmental ethics
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vorgeschlagen, der natürlichen Umwelt (Wäldern, Gewässern usw.) als ganzer eigene Rechte zuzugestehen, wobei Abgrenzungsschwierigkeiten auftauchen. Dabei fordert dieser Vorschlag keine absoluten Rechte zugunsten der Natur, sondern nur solche, die gegenüber anderen Interessen abwägbar sind. Mensch und Natur sollen also nicht pauschal gleichgestellt werden, und auch innerhalb der Natur dürfe es Unterschiede geben. Die rechtliche Umsetzung der Eigenrechte der Natur soll durch Rechtsvertreter nach Art einer Prozessstandschaft erfolgen. Klagebefugt sollte „ein Freund des natürlichen Gegenstands“ (etwa die Umweltverbände) sein.289 In diesem Zusammenhang werden in der Leidensfähigkeit sowie im zumindest rudimentär vorhandenen Unterscheidungsvermögen Gleichartigkeiten zwischen Menschen und Tieren sowie Pflanzen erblickt.290 Es ergebe sich daher eine in rechtlicher Hinsicht gebotene Gleichbehandlung der Lebewesen sowie ihrer natürlichen Umwelt bzw. Lebensgrundlagen (Gewässer, Landschaften usw.), soweit sie ihr Leben gewährleisten. Eine Einschränkung der Eigenrechte der Natur sollte nur da gelten, wo der Mensch auf den Verzehr von Pflanzen und Tieren angewiesen ist.291 Angesichts der Tatsache, dass mit dem herkömmlichen Instrumentarium des individuellen Rechtsschutzes im deutschen Recht die umweltbezogenen Kollektive bzw. die Allgemeinheit nicht ausreichend geschützt werden kann,292 sollten gerade in diesem Bereich Eigenrechte der Natur eingeführt werden. In Anlehnung an das kollektive Arbeitsrecht sollte somit ein „kollektives Umweltrecht“ geschaffen werden, in dem gesellschaftliche Organisationsformen mit Rechtsträgerschaft kollektive Interessen wahrnehmen und so die Wirkungsmöglichkeiten des Umweltschutzes verbessern sollen.293 Diese Auffassungen wollen somit von der traditionellen Rechtsdogmatik Abstand nehmen und auch der Natur auf die eine oder andere Weise Rechtssubjektivität beimessen.294
rest on mistake?, The Monist, The intrinsic value of nature 1992, S. 161 ff.; P. Singer, Practical ethics, 1979, S. 19 ff. 289 C. Stone, Southern California Law Review, 1972, S. 464 ff.; ders., Umwelt vor Gericht, 1987, S. 330 ff.; in diese Richtung auch L. Tribe, The Yale Law Journal 1974, S. 1315 ff.; dagegen: M. Sagoff, Yale Law Journal, S. 205 ff., S. 221. 290 K.-M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, 1984, S. 31 ff., S. 177 ff. 291 Ebd., S. 166 ff. 292 Vgl. S. Langer, NuR 1986, S. 270 ff.; K. Bosselmann, NuR 1987, S. 1; ders., KJ 1985, S. 346 ff.; ders., KJ 1986, S. 1 ff.; C. Sening, NuR 1989, S. 326 ff. 293 S. Langer, NuR 1986, S. 270 ff.; K. Bosselmann, NuR 1987, S. 1 ff. 294 Vgl. J. Leimbacher/P. Saladin, Die Natur – und damit der Boden – als Rechtssubjekt, S. 198; J. Reiche/G. Fülgraff, ZfU 236 ff.; G. Stutzin, Rechtstheorie, 1980, S. 344 ff.; J. Weber, IUR 1991, S. 81 ff.; C. Sening, NuR 1989, S. 325 ff.; K. Heinz, Der Staat 1990, S. 415 ff.; H. v. Lersner, NVwZ 1988, S. 988 ff.; G. Frank, DVBl 1989 ff.; S. 693 ff.; S. Langer, NuR 1986, S. 270 ff.; K. Bosselmann, NuR 1987, S. 1 ff.; M. Sagoff, Yale Law Journal 1974, S. 221 ff.
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Diese ökozentrischen bzw. biozentrischen295 Ansätze sind allerdings nicht überzeugend genug. Denn sie führen unter anderem zu einer willkürlichen Gleichstellung der Tiere, Pflanzen und ihrer natürlichen Umwelt (z. B. Flüsse, Wald, Luft u. a.) mit den Menschen.296 Eine solche Lehre weist aber unüberwindbare Schwierigkeiten auf. Damit ist der Mensch durch eine unbestimmte Zahl von gleichsetzenden natürlichen und unpersönlichen Werten willkürlich ersetzt.297 Dabei muss berücksichtigt werden, dass es zweifelhaft ist, ob der Mensch die Rechte der Natur überhaupt vollständig begreifen kann. Denn im Ergebnis ist der Ausgangspunkt des Menschen notwendigerweise von der Natur der Sache her anthropozentrisch. Schließlich ist der Mensch derjenige, der die Rechte der Natur bestimmt. Der Mensch bleibt somit stets Normadressat. Der ursprüngliche Begriff des Rechtssubjekts fällt somit unvermeidlich mit dem Begriff des Menschen zusammen.298 Ausschlaggebend ist insofern das wohlverstandene Interesse der Menschheit in Form eines verantwortungsbewussten Nachweltschutzes.299 Aus einer anderen realistischen Sicht verspricht sich K. Bosselmann hiervon ein um die Eigenbelange der Natur „erweitertes Abwägungsmaterial“.300 Dazu bedarf es allerdings nicht unbedingt der Aufwertung der Natur zum Rechtssubjekt. Es ist vielmehr ausreichend, wenn die Belange der Natur hinreichend vorgetragen (z. B. durch Umweltverbände) und damit zu Bewusstsein gebracht werden.301 Insofern wird hierfür die Ausweitung der naturschutzrechtlichen Ver295 Der Ökozentrismus ist ein ethisches Modell, das allem „Lebendigen“ einen ethischen Eigenwert zuordnet. Ist dieser Eigenwert für alle Entitäten derselbe, also ohne Abstufung, spricht man von einem radikalen Biozentrismus oder egalitärem Biozentrismus, sonst von einem hierarchischen beziehungsweise schwachen Biozentrismus. Vgl. M.-A. Hermitte, Le concept de diversité biologique et la création d’un statut de la nature, in: B. Edelman/M.-A. Hermitte (Hrsg.), L’homme, la nature et le droit 1988, S. 257 ff.; H. Rolston, Conserving natural value, 1994, S. 173; P. Taylor, Respect for nature: A theory of environmental ethics, 1986, S. 71 ff. 296 Vgl. J. Petersen, ARSP 1997, S. 366 f., m.w. N. 297 Vgl. B. Callicott, Beyond the land ethic, 1999, S. 59; K. Goodpaster, On being morally considerable, S. 324, Journal of Philosophy, 1978, S. 306 ff.; T. Regan, Does environmental ethics rest on mistake?, The Monist, The intrinsic value of nature 1992, S. 161 ff.; P. Singer, Practical ethics, 1979, S. 19 ff.; M. Chaidarlis (auf griechisch), NkF 1999, S. 691 ff.; J. Petersen, ARSP 1997, S. 366 f., m.w. N.; M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 12 ff. 298 Vgl. J. Petersen, ARSP 1997, S. 365 ff.; M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 27; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 431 ff.; J. Leimbacher/P. Saladin, in: H. Däubler-Gmelin/W. Adlerstein (Hrsg.), Menschengerecht, 6. Rechtspolitischer Kongreß der SPD, 1986, S. 81 ff.; jeweils m.w. N. 299 Vgl. E. Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft, 1984, S. 53 ff. 300 Vgl. K. Bosselmann, KJ 1986, S. 346 ff.; ders., KJ 1985, S. 346 ff.; ders., KJ 1986, S. 1 ff.; dagegen K. Keller, KJ 1986, S. 339 ff. 301 G. Hager, JZ 1998, S. 227 ff.
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bandsklage durch treuhänderische Interessenwahrnehmung gefordert, wobei die Verbände als „Anwälte der Natur“ auftreten.302 Insbesondere diese letzten Gedanken haben letztlich den Weg für die Einführung der altruistischen naturschützenden Verbandsklage vor allem in der deutschen Rechtsordnung geebnet, deren Problematik an einer weiteren Stelle erörtert wird.303 Es muss aber gleichzeitig unterstrichen werden, dass sich die anthropozentrische Weltansicht im Bereich des Rechtes durchgesetzt hat. Das Umweltrecht ist ein charakteristisches Beispiel dafür304, da den Umweltmedien bislang kein Eigenwert bzw. Eigenrecht von dem Gesetzgeber zuerkannt ist.305 In diesem Rahmen steuert überwiegend das anthropozentrische Prinzip die Gesetzgebung, nach der der Umgang eines Rechtssubjekts mit der Umwelt geregelt ist.306
IX. Fazit Was das Rechtsschutzmodell des deutschen Rechts anbelangt, entschied sich der deutsche Gesetzgeber nicht für die Konzeption einer objektiven Rechtskontrolle, sondern für die Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechtsschutzes, der sich prinzipiell auf den Schutz von subjektiven öffentlichen Rechten des Einzelnen ausrichtet. Dieses Modell ist vor allem Produkt des historischen Kompromisses im 19. Jahrhundert hinsichtlich der Gewaltenteilung zwischen Bürgertum und Monarchie im deutschen Konstitutionalismus, der nicht die vor allem aus der französischen Revolution hervorgegangenen Anforderungen an objektive Rechtkontrolle adoptiert hat. Leitbild im deutschen Rechtsschutzsystem ist somit der persönlich Betroffene, nicht etwa der de facto oder der objektiv Betroffene, sowie der sozial, kulturell oder politisch Engagierte, der schlicht die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns überprüfen lassen will. Danach finden Individualinteressen rechtliche Anerkennung, soweit sie nicht dem Allgemeininteresse zuwiderlaufen. Außerdem liegt die Befriedigung von Allgemeininteressen mittelbar auch im Interesse der die Gemeinschaft bildenden Individuen. In diesem Zusammenhang wurde die sog. Schutznormtheorie entwickelt, die als Abgrenzungskrite302 Vgl. insb. C. Sening, NuR 1989, S. 325 ff.; K. Bosselmann, NuR 1987, S. 5 ff.; G. Frank, DVBl 1989, S. 697 ff. 303 Ausführlich dazu in 1. Teil, 2. Kap. 304 S. Langer, NuR 1986, S. 271 ff.; J. Petersen, ARSP 1997, S. 361 ff. 305 G. Stutzin, Rechtstheorie 1980, S. 344 ff.; K. Bosselmann, KJ 1985, S. 346 ff.; ders., KJ 1986, S. 1 ff.; J. Reiche/G. Fülgraff, ZfU 1987, S. 231 ff.; H. v. Lersner, NVwZ 1988, S. 988 ff.; C. Sening, NuR 1989, S. 325 ff.; K. Heinz, Der Staat 1990, S. 415 ff.; J. Weber, IUR 1991, S. 81 ff. 306 Vgl. K.-M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, 1984, S. 52 ff., S. 163 ff.; M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 13 ff.
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rium für die Feststellung wirkt, ob eine Betroffenheit in eigenen Rechten und nicht nur in Rechten der Allgemeinheit eines Rechtssubjekts vorliegt. Vor diesem Hintergrund stellt die Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich auf drei grundlegende Voraussetzungen ab, nämlich (1) dass ein bestimmtes Interesse eines Rechtsträgers überhaupt rechtlichen Schutz genießt, (2) dass die es in Frage stellende Vorschrift einen bestimmbaren, d. h. von der Allgemeinheit unterscheidbaren Kreis von begünstigten Rechtsträgern erkennen lässt, soweit das Interesse durch staatliches Handeln oder Unterlassen in hinreichendem Maße beeinträchtigt wird, sowie (3) dass die Norm dem Rechtssubjekt zur Durchsetzung dieses Interesses eine Rechts- oder Willensmacht einräumt, die normgeschützten Interessen gegenüber dem Verpflichteten durchzusetzen. Diese Tradition des deutschen Rechts wirkt, anders als in anderen Ländern (etwa Frankreich, Spanien, Portugal, Luxemburg, Belgien, Griechenland u. a.), die die Rechtsschutzkonzeption der objektiven Rechtskontrolle adoptiert haben, restriktiv hinsichtlich der Klagebefugnis der nicht in eigenen subjektiven öffentlichen Rechten betroffenen Rechtssubjekte. Denn nicht selten ist es zweifelhaft, ob eine Norm des öffentlichen Rechts stärker unter dem Gesichtspunkt des Allgemeininteresses oder demjenigen des Schutzes von Individualinteressen steht. Dies gilt insbesondere im Bereich des Baurechts, des Immissionsschutzrechts, des Naturschutzrechts und des Umweltrechts im Allgemeinen, wobei häufig Individual- und Allgemeinheitsinteresse gleichzeitig geschützt werden sollen. Wie zu Recht verschiedene Autoren betont haben, wirkt dieser Zustand negativ auf die Rechtssicherheit. Diese restriktive Rechtsschutzkonzeption des deutschen Rechts führt auch zu einer unvermeidlichen Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes sowie zu einem prozessualen Ungleichgewicht zwischen dem Umweltschutz und der Umweltnutzung. Denn umweltbezogene Rechte der Allgemeinheit können dadurch nicht gerichtlich geschützt werden. Insofern kommt es tatsächlich bei verschiedenen umweltbeeinträchtigenden wirtschaftlichen Aktivitäten zu einer Asymmetrie im Rechtsschutz zwischen Betreiber und Drittbetroffenen. Daraus folgt eine zuweilen mangelhafte gerichtliche Kontrolle des Staates. Denn beim Abwägen zwischen seinen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Aufgaben kann der Staat sich entweder aufgrund wirtschaftspolitischer Faktoren oder durch die Tatsache beeinflusst, dass er selbst Partei sein kann (insbesondere als Vorhabenträger bei Infrastrukturvorhaben), zu Ungunsten des Umweltschutzes entscheiden. Die bisherigen Lösungsansätze zum Abbau der Schutznormtheorie entweder auf der Ebene einer fortschreitenden Auslegung der einschlägigen Grundrechte oder durch progressive Auslegung des einfachen Gesetzes wurden als nicht ausreichend erachtet und daher vom deutschen Gesetzgeber grundsätzlich abgelehnt.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Aus der dargestellten Analyse zeigt sich bereits, wie schwer es ist, Abschied von der Schutznormtheorie zu nehmen. Das Konzept der Schutznormtheorie für sich genommen erweist sich im Ergebnis als hoch flexibel. Denn es hat bisher in der deutschen öffentlichen Rechtsordnung einen historischen Wandel ermöglicht, der von der weitestgehenden Nichtexistenz subjektiver Rechte unter monarchischen Vorzeichen bis zur heutigen demokratisch rechtsstaatlich erweiterten Zuerkennung individueller Rechte reicht. Trotz scharfer Kritik und zahlreicher Modifizierungsversuche bleibt das deutsche Individualrechtsschutzsystem sowie die Schutznormlehre immer noch in ihrem Kern weitgehend unverändert, denn sie beschränkt sich auf die oben skizzierte traditionelle deutsche Rechtsschutzkonzeption der Durchsetzung subjektiver öffentlicher Rechte. Es gibt daher in der deutschen Rechtsordnung eine weitgehende Unterscheidung zwischen dem Rechtsschutz individueller Rechte bzw. Interessen und dem Rechtsschutz überindividueller Rechte oder Interessen der Allgemeinheit. Während bei den ersteren ein gerichtlicher Rechtsschutz laut Gesetz stattfindet, ist bei letzterer ein entsprechender Rechtsschutz grundsätzlich zu verneinen. Diese Unterscheidung manifestiert sich besonders charakteristisch im Bereich des Umweltrechts, da Rechte, die aus Vorschriften des natürlichen Umweltschutzes abgeleitet werden (etwa des BNatSchG), i. d. R. dem Allgemeininteresse zuzuordnen sind, weil sie grundsätzlich nicht dem individuellen, sondern nur dem öffentlichen Interesse dienen. Was insbesondere den Rechtsschutz von umweltbezogenen Allgemeinheitsrechten betrifft, muss Folgendes unterstrichen werden: Zwar ist die deutsche Rechtsordnung auf den Schutz nicht bloß von individuellen, sondern auch von objektiven Rechten angelegt; die Durchsetzung jener fällt jedoch schwerer. Die Konzeption des aus der Schutznormtheorie hervorgegangenen Individualrechtsschutzes führt aber dazu, dass insbesondere der Rechtsschutz kollektiver Interessen häufig legitimerweise vernachlässigt werden können. Überindividuelle bzw. kollektive umweltbezogene Interessen können i. d. R. nur dann gelegentlich von Einzelnen angefochten werden, wenn klagefähige subjektive öffentliche Rechte auch überindividuelle bzw. kollektive Rechte einschließen. Jenseits der akademischen Diskussion in Bezug auf die Frage des Abbaus oder der Einhaltung der Schutznormtheorie muss immer beachtet werden, dass schließlich der Gesetzgeber das letzte Wort auch hinsichtlich der Grenzsetzung des Rechtsschutzsystems hat. Er ist somit unter anderem ermächtigt, auch die geeigneten Rechtsschutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Umweltrechtsschutzdefizite zu treffen. Der deutsche Gesetzgeber hat jedenfalls die Macht – auch im Rahmen der Schutznormtheorie – den Rechtsschutz auf umweltbezogene Allgemeininteressen zu erweitern. Denn es geht eigentlich von dem Gesetzgeber aus, zu bestimmen, welche Interessen die jeweilige Norm schützen soll, sowie inwiefern er dem jeweiligen subjektiven Recht eine Rechts- oder Willensmacht zur
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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Durchsetzung einräumt. Diese Möglichkeit kann der deutsche Gesetzgeber somit ausnutzen, um die dargestellten Umweltrechtsschutzdefizite möglichst effektiv zu beseitigen.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems Trotz der Weiterentwicklung und Veränderung des deutschen Rechtsschutzsystems im Laufe der Zeit lebt der traditionelle repressive Charakter der Alleinzuständigkeit der deutschen Verwaltung bislang im deutschen Individualrechtsschutzsystem weiter. In Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sowie §§ 42 Abs. 2, 47 Abs. 2 S. 1, 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO liegt die Strukturentscheidung zugunsten des deutschen Individualrechtsschutzsystems.307 Diese Vorschriften stellen die gesetzlichen Grundlagen dieses Systems dar. Insbesondere Art. 19 Abs. 4 sowie § 42 Abs. 2 i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 VwGO werden als Meilensteine des deutschen Individualrechtsschutzsystems betrachtet. Diese gesetzlichen Grundlagen im Zusammenhang mit ihren Auswirkungen auf den Sonderbereich des überindividuellen Rechtsschutzes sollten an dieser Stelle skizziert werden. Eine solche Analyse bietet einen hilfreichen Ausgangspunkt, mit dem die Problematik des überindividuellen Rechtsschutzes im Bereich des Umweltschutzrechts besser erleuchtet werden könnte.
I. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG – Auswirkungen auf den Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes Ausgehend von der Schutznormtheorie bestimmt Art. 19 Abs. 4 GG als Voraussetzung für die Eröffnung des Rechtswegs gegenüber der öffentlichen Gewalt, die Verletzung einer natürlichen oder juristischen Person in seinen Rechten (Individualrechtsschutz).308 Es ist allgemein anerkannt, dass der aufgrund des 307 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 8 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 42 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 288 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 16 ff.; M. Ronellenfitsch/ R. Wolf, NJW 1986, S. 1955 ff.; R. Scholz, ZG 2003, S. 248 ff.; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 197 ff. Vgl. H. Jarass, Art. 19 IV GG, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG-Komm., 2007, Rn. 32; R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm. 2003, Rn. 14 ff.; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 197 ff.; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 149. 308 E. Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., 2008, Rn. 7; C. Enders, Art. 19 Abs. 4, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOKGG, 2008, Rn. 51 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Art. 19 Abs. 4 GG geschuldeten Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes309 eine Umsetzung des materiellen Rechts in soziale Wirklichkeit fordert. Das Recht soll somit durch den effektiven Rechtsschutz real werden können (Effektivitätsgrundsatz).310 Es wird somit durchweg angenommen, dass das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, garantiert, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle.311 Art. 19 Abs. 4 GG setzt subjektive Rechte voraus, begründet diese aber nicht.312 Er statuiert ein echtes subjektives Grundrecht des „status positivus“,313 das dem Einzelnen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist, die Möglichkeit einen Anspruch auf Gewährung möglichst wirkungsvollen effektiven Rechtsschutzes verleiht (Rechtsschutzgarantie).314 Diese Vorschrift verpflichtet somit den Staat durch die öffentliche Gewalt zur Gewährleistung von effektivem gerichtlichem Individualrechtsschutz gegen subjektive Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Sie begründet nämlich ein eigenständiges Recht auf gerichtlichen Individualrechtsschutz.315 Das Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG zielt allerdings prinzipiell auf den Grad der Verwirklichung des angestrebten Rechtsschutzziels insgesamt. Daher wird zu Recht kritisiert, dass Art. 19 Abs. 4 GG nicht auf das tatsächliche Ergebnis des Rechtsschutzes in jedem Einzelfall abzielt, so dass sich häufig das Postulat der Effektivität eher als eine rhetorische Bekräftigung des Geltungsanspruchs erweist.316
309 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.03.1976 – 2 BvR 804/75, NJW 1976, S. 1391; BVerfG, Beschl. v. 27.09.1978 – 1 BvR 361/78; BVerfG, Beschl. v. 24.04.1979, BVerfG 1 BvR 787/78, BVerfGE 51, S. 150. 310 M. Kloepfer, VerwArch, 1985, S. 373. 311 Vgl. BVerfG, Urt. v. 19.06.1973 – 1 BvL 39/69, BVerfGE 35, S. 275. 312 Vgl. BVerfG, Urt. v. 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173; BVerfG, Urt. v. 24.04.1985 – 2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84, NJW 1985, S. 519 ff.; BVerfG, Urt. v. 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 und 213/83, NJW 1991, S. 2005; BVerfG, Urt. v. 20.02. 2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, S. 1121 ff. 313 Vgl. BVerfG, Urt. v. 27.10.1999 – 1 BvR 385/90, NJW 2000, S. 1175 ff.; H. Schulze-Fielitz, Art. 19 IV GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG- Komm., 2004, Rn. 39. 314 Vgl. W. Berg, Staatsrecht, 2011, S. 78; C. Enders, Art. 19 Abs. 4, in: V. Epping/ C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2008, Rn. 51; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 197; jeweils m.w. N. 315 Vgl. B. Remmert, Vorb. Art. 19 GG, Rn. 6 ff., in: T. Maunz/G. Dürig, GGKomm., 2008. 316 Vgl. M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002, S. 246 ff., m.w. N.; M. Sachs, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 24 ff. In diesselbe Richtung auch Streinz, VVDStL 2002, S. 311, der die Forderung des EGMR nach „faktischer Effizienz“ mit der Forderung nach „Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes“ gleichsetzt.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG gehört zu den grundlegenden Elementen des Rechtsstaates. Denn dem Rechtsstaatsprinzip lässt sich als objektiver Verfassungsgrundsatz eine Justizgewährungspflicht entnehmen, mit der ein auch aus dem Art. 19 Abs. 4 GG hervorgehender Justizgewährungsanspruch korrespondiert.317 Diese Vorschrift setzt somit die materiellen Grund- und einfachrechtlichen Rechte voraus und gewährleistet, dass ihre rechtliche Geltung im gerichtlichen Verfahren zu tatsächlicher Wirksamkeit gebracht wird.318 Schon aus der Formulierung des Art. 19 Abs. 4 GG geht hervor, dass diese Vorschrift keine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle bezweckt.319 In Bezugnahme auf das Verhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG zu materiellen Grundrechten ist hervorzuheben, dass das BVerfG Ansprüche auf gerichtlichen Rechtsschutz beinahe flächendeckend unmittelbar aus den materiellen Grundrechten selbst ableitet. In diesem Zusammenhang hat das BVerfG auch darauf hingewiesen, dass diese Ansprüche den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Individualrechtsschutz ergänzen.320 Dies aber führt in der Praxis dazu, dass sich Art. 19 Abs. 4 GG dann grundsätzlich auf die Gewährleistung von Rechtsschutz nur für die kraft einfachgesetzlicher Entscheidung zuerkannten Ansprüche gegenüber der öffentlichen Gewalt beschränkt.321 Insofern verliert Art. 19 Abs. 4 GG jede Bedeutung als Individualgrundrecht für alle grundrechtlich radizierten subjektiven öffentlichen Rechte.322 Der Begriff der öffentlichen Gewalt – nach überwiegender Auffassung – ist hier eng im Sinne der vollziehenden Gewalt (Exekutive) zu verstehen.323 Er kommt somit in verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten zum Tragen.324 Allerdings soll nach der Rechtsprechung des BVerfG der Begriff der öffentlichen Gewalt dabei nicht auf die Exekutive im organisatorischen Sinne eingeschränkt sein, sondern alle Tätigkeiten staatlicher Organe einbeziehen, die sich außerhalb der rechtsprechungstypischen (neutralen) Streitschlichtung auf (mit Duldungs- oder 317 Vgl. P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GGKomm., 2005, Rn. 352 ff., m.w. N. 318 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 2002, Rn. 1006 ff.; krit.: P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GG-Komm., 2005, Rn. 369 ff. 319 Vgl. B. Remmert, Vorb. Art. 19 GG, Rn. 6 ff., in: T. Maunz/G. Dürig, GGKomm., 2008. 320 BVerfG, Beschl. v. 10.10.1978 – 1 BvR 475/78, NJW 1979, S. 538 ff.; vgl. auch M. Möstl, Die staatliche Garantie, 2002, S. 442. 321 Vgl. P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GGKomm., 2005, Rn. 363 ff. 322 Ebd. 323 Vgl. C. Enders, Art. 19 Abs. 4 GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOKGG, 2013, Rn. 57. 324 Vgl. H. Jarass, Art. 19 IV GG, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG-Komm., 2007, Rn. 34; C. Enders, Art. 19 IV, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2008, Rn. 51.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Befolgungspflichten verbundene) Maßnahmen im Außenverhältnis zum Bürger richten.325 Unter diesen – im Interesse eines lückenlosen Schutzes des Einzelnen vor der „Selbstherrlichkeit“ des Staates funktional aufgefassten – Begriff der vollziehenden Gewalt fallen Maßnahmen des Rechtspflegers, Anordnungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Strafverfolgung, aber auch Justizverwaltungsakte (vgl. §§ 23 ff. EGGVG), etwa von Kostenbeamten der Geschäftsstellen der Gerichte.326 Da sich Art. 19 Abs. 4 GG auf die Gewährung von Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt beschränkt, findet der Rechtsschutz in zivilrechtlichen Streitigkeiten – mangels Ausübung öffentlicher Gewalt – keine Grundlage in Art. 19 Abs. 4 GG. Auch die Rechtsprechung, die den Rechtsschutz bewirkt und deren spezifische Funktion in der Wahrung des Rechts um seiner selbst willen – darum in ausschließlicher Bindung an das Gesetz – liegt, ist nicht Teil der öffentlichen Gewalt i. S. v. Art. 19 Abs. 4 GG.327 Gleiches gilt für die formelle Gesetzgebung, die auch nicht vom Schutzbereich dieser Grundnorm erfasst ist. Insofern ist sein Anwendungsbereich weitgehend eingeschränkt.328 Aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG wird der Rechtsschutz des einzelnen Individuums (natürlicher oder juristischer Person) vorrangig gegenüber dem Rechtsschutz der objektiven Rechtsordnung, nämlich dem Recht der Allgemeinheit, gewährleistet. Durch Art. 19 Abs. 4 GG wird somit auch grundgesetzlich ausgedrückt und festgesetzt, dass das deutsche Rechtsschutzsystem vom Bürger und nicht vom Staat bzw. der Verwaltung ausgeht. Rechtsschutz wird nicht um des Staates, sondern vor allem um des Einzelnen willen gewährt.329 Daraus ergibt sich, dass nicht schon der Verstoß gegen objektives Recht, sondern erst die dadurch begründete Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts zum Klageerfolg führen kann.330 Zu beachten ist aber, dass trotz der Grundorientierung der deutschen Rechtsordnung am Schutz subjektiver Rechte der deutsche Gesetzge325 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.04. 2003 – 1 PBvU 1/02 107, NJW 2003, S. 1924 ff.; C. Enders, Art. 19 Abs. 4 GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2013, Rn. 55, m.w. N. 326 Vgl. C. Enders, Art. 19 Abs. 4 GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOKGG, 2013, Rn. 55, m.w. N. 327 Vgl. ebd., Rn. 57. 328 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 2002, Rn. 1009 ff., m.w. N.; W.-R. Schenke, Art. 19 Abs. 4 GG, in: BK, 1982, Rn. 249 ff. 329 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 38 ff.; M. Herdegen, in: D. Heckmann/ K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 161 ff.; J. Schwarze, NVwZ 1996, S. 23; J.-M. Woehrling, NVwZ 1998, S. 463; dies., VBlBW 2008, S. 1 ff.; E. Schmidt-Aßmann (übers. P.-M. Efstratiou), ToS 1990, S. 415 ff. Daher sind die Anforderungen, welche die einzelnen Klageverfahren an das individuelle Vorbringen des Klägers stellen nicht einheitlich. In diesem Rahmen bilden die Klagearten je nach Maßgabe des mit ihnen zu erreichenden Zwecks unterschiedliche Bindungen an das Klageinteresse des Einzelnen aus.
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ber mit der Geltendmachung eines subjektiven Rechts immer auch die Bewährung der objektiven Rechtsordnung bezweckt und damit die Normativität der positiven Rechtsordnung insgesamt sichert.331 Der Ansicht der deutschen Rechtsordnung nach tritt damit der Staat als Friedensordnung hinter individuellen Lebensgestaltungswünschen oder Gruppeninteressen zurück.332 Im Zusammenhang mit der dargestellten Lehre der subjektiven öffentlichen Rechte sowie der Schutznormtheorie beabsichtigt Art. 19 Abs. 4 GG einen umfassenden Rechtsschutz überall dort, wo eine der Befriedigung von Individualinteressen dienende Rechtsnorm ein bestimmtes Verhalten der öffentlichen Gewalt verlangt, dem Interessenten die bisher fehlende Rechtsmacht zur Herbeiführung dieses Verhaltens verleiht und ihm damit ein subjektives Recht einräumt.333 Ob und in welchem Umfang das einzelne Rechtssubjekt als Kläger Verwaltungsentscheidungen vor Gericht bringen kann, hängt davon ab, ob und inwieweit er „in seinen Rechten verletzt ist“. Im Einklang mit der Schutznormtheorie garantiert insofern Art. 19 Abs. 4 GG keine allumfassende Prüfung behördlicher Entscheidungen, sondern nur eine gerichtliche Prüfung im Hinblick auf eine subjektive Rechtsverletzung.334 Er kommt nämlich nur dort zum Tragen, wo die einschlägigen Normen dem Betroffenen ein geschütztes subjektives Recht einräumen.335 Die Verletzung bloßer rechtlich nicht geschützter Interessen genügt somit nicht für die Begründung eines gerichtlichen Rechtsschutzes im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG.336 Es ist daher offensichtlich, dass Art. 19 Abs. 4 GG ein verwaltungsgerichtliches Instrumentarium bietet, das die Durchsetzung von Individualinteressen vor den Allgemeinheitsinteressen begünstigt. Im Hinblick darauf sind die Popularklage, mit der jeglicher Rechtsverstoß von jedermann gerügt werden kann sowie die altruistische umweltbezogene VK337 nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG garantiert.338 Dies gilt, weil hier jeweils ohne ei330 H. Schulze-Fielitz, Art. 19 IV GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 76 ff. 331 Vgl. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 68 ff.; M. Herdegen, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 162 ff. 332 Ebd. 333 O. Bachof, GS für W. Jellinek, 1955, S. 301. 334 Vgl. W. Berg, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 541 ff., m.w. N. 335 H. Schulze-Fielitz, Art. 19 IV GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 60 ff. 336 Vgl. W. Schmitt Glaeser (übers. v. I. Gortzila), ToS (gr. Zeitschr.) 1981, S. 553; K. Beys, in: G. Kassimatis/K. Mavrias, gr. Verf. – Komm., Art. 21 gr. Verf., 2003, S. 45 ff. Vgl. H. Jarass, Art. 19 GG Abs. 4, in: GG-Komm., 2007, Rn. 36. 337 Vgl. F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2008, S. 248 ff., m.w. N.; mehr dazu in 1. Teil. 2. Kap., B., III. ff. 338 Ausnahmsweise kennt demgegenüber das bayrische Recht eine Popularbeschwerde. Gem. Art. 98. BayLVerf. i.V. m. § 53 Abs. 1 S. 1 1 BayVerfGHG kann die
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
gene Rechtsbetroffenheit Rechte Dritter oder Interessen der Allgemeinheit geltend gemacht werden.339 In diesem Rahmen ist es dem Gesetzgeber durch die einschränkende Formulierung des Art. 19 Abs. 4 GG verboten, dem Einzelnen (natürlicher oder juristischer Person) auch gänzlich jenseits eines rechtlich geschützten Individualinteresses an der Verfolgung eigener (gesetzlich anerkannter) Rechte prozessrechtlich (Verfahrens-) Initiativbefugnisse einzuräumen, aufgrund deren er einen Gerichtsprozess in Gang setzen kann. Ungeachtet der je unterschiedlichen, einmal materiellrechtlichen, einmal prozessrechtlichen Perspektive und Regelungstechnik steht am Ende eine Befugnis, die jedenfalls die Wirkung eines subjektiven Rechts hat.340 Im Anschluss daran gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG nicht selbst den sachlichen Bestand oder den Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung.341 Auch dadurch ist insbesondere der Versuch von Umweltvereinigungen, eine generelle Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleiten, zum Scheitern verurteilt.342 Da Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG das Bestehen eines vom Gesetzgeber eingeräumten subjektiven Rechts voraussetzt, kann aus diesem Grundrecht kein allgemeines Verbandsklagerecht für den umweltrechtlichen Bereich abgeleitet werden.343 Auch aus dem Grundrecht der Vereinsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 1 GG lässt sich ebenfalls kein Recht einer Vereinigung zur gerichtlichen Geltendmachung ausschließlich objektivrechtlicher geschützter Interessen ableiten. Dies gilt auch, wenn die Verfolgung dieser Interessen dem autonom bestimmten Vereinszweck entspricht.344 Im Bereich des Rechtsschutzes von umweltbezogenen Allgemeinheitsinteressen bzw. Rechten erweist sich im Ergebnis der Rechtsschutzgrundsatz des Art. 19 Abs. 4 GG und insbesondere das daraus ausfließende Gebot der Effektivität des
Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer Verordnung wegen unzulässiger Eingrenzung eines Grundrechts von jedermann geltend gemacht werden. Vgl. R. Wahl/ P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGOKomm., 2005, Rn. 7, m.w. N. 339 C. Enders, Art. 19 IV, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2008, Rn. 66. 340 C. Enders, Art. 19 IV, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2008, Rn. 66. 341 Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481/01 u. 1 BvR 518/01, NVwZ 2001, S. 1150. 342 Vgl. S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 27 ff., m.w. N. 343 Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481/01 u. 1 BvR 518/01, NVwZ 2001, S. 1150; F. Fellenberg/G. Schiller, Vorb. UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35, m.w. N. 344 BVerwG, Urt. v. 29.07.1977 – IV C 51/75, NJW 1978, S. 554 ff.; BVerfG, Urt. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481/01 u. 1 BvR 518/01, NVwZ 2001, S. 1150; F. Fellenberg/ G. Schiller, Vorb. UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35, m.w. N.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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Rechtsschutzes eher als symbolischer als praktischer Natur.345 Dies ergibt sich vor allem aus der relativen Schwäche von Allgemeinheitsinteressen in der Konkurrenz zu Individualinteressen.346 Denn obwohl Art. 19 Abs. 4 GG die Verfolgung eines dem Bürger eingeräumten Rechts gewährleistet, bestimmt er aber nicht, welche Rechte dem Bürger zukommen.347 Dies ist prinzipielle Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, der durch materielles Recht festlegt, ob eine Vorschrift subjektive Rechte verleiht. Dabei ist festzustellen, dass nur bestimmte umweltrechtliche Vorschriften subjektiv einklagbare Rechtspositionen unmittelbar begründen, und die auf dem Wege der Auslegung zu leistende Grenzziehung zwischen individual- und lediglich allgemeinschützenden Tatbeständen zuweilen schwierig ausfällt.348 Dadurch aber werden umweltrechtliche Allgemeinheitsinteressen vernachlässigt, denn ihre Verletzungen können in der Regel nicht aufgrund Art. 19 Abs. 4 GG angefochten werden.349 Vor diesem Hintergrund ist eine weitgehende Erosion der dogmatischen Grundlagen gerichtlichen Rechtsschutzes zu befürchten, die den gerichtlichen Rechtsschutz, insbesondere den Schutz der umweltbezogenen Allgemeinheitsinteressen erheblich beeinträchtigt.350 Dies führt unvermeidlich zu einem Spannungsverhältnis hinsichtlich des Rechtsschutzes zwischen individuellen und überindividuellen Interessen.351 Es muss aber gleichzeitig unterstrichen werden, dass die Einführung eines objektiven Verbandklagerechts zum Schutz von umweltbezogenen überindividuellen Rechten nicht der Gewährleistung des Rechtsschutzgrundsatzes des Art. 19
345 Vgl. M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002, S. 244 ff., S. 258 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 4 ff., in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., 2008. 346 1. Teil, 1. Kap., B., VII., 2. 347 Vgl. ständige Rechtsprechung des BVerfG: BVerfG, Beschl. v. 31.05.1988 – 1 BvR 520/83, NJW 1989, S. 666; BVerfG, Beschl. v. 09.01.1991 – 1 BvR 207/87, NJW 1991, S. 1878; BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 20.02.2001 – 2 BvR 1444/00, NVwZ 2002, S. 852 ff. 348 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1346 ff. Anschaulich zuletzt der Streit über die subjektivrechtliche Qualität von § 47 Abs. 1 BImSchG (Luftreinhaltepläne); hier bedurfte es – bis zu dessen Bejahung – eines Instanzenstreits bis hin zur EuGH Vorlage durch das BVerwG, Vorlagebeschluss v. 29.03.2007 – C 9/06, NVwZ 2007, S. 695 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff.; Anm. dazu A. Scheidler, NVwZ 2008, S. 1083 ff.; E. Dikaios, NkF, Januar 2009 (auf griechisch). s. auch R. Kugler, NVwZ 2010, S. 279 ff.; C. F. Fonk, NVwZ 2009, S. 69 ff. 349 R. Scholz, ZG 2003, S. 256 ff., S. 263; R. Steinberg, ZUR 1999, S. 127. 350 Vgl. P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GGKomm., 2005, Rn. 363 ff. 351 Vgl. R. Scholz, ZG 2003, S. 248 ff.; R. Wolf, ARSP-Beiheft (56), 1994, S. 163 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 458 ff.; C. Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes im europäischen Justizraum, 2007.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Abs. 4 GG widerspricht. Zwar fordert Art. 19 Abs. 4 GG einen Individualrechtsschutz ein, erhebt aber eindeutig keinen Anspruch auf Exklusivität.352 Obwohl überindividuelle Rechtsbehelfe vom Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erfasst werden, werden sie aber gleichzeitig verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Denn diese Grundrechtsnorm bestimmt eher einen verfassungsrechtlichen Mindeststandard individuellen Rechtsschutzes. Gerade deswegen kann aus dieser Norm keine Institutsgarantie für ein ausschließlich individualrechtlich geprägtes Rechtsschutzsystem abgeleitet werden.353 Die Einführung überindividueller Rechtsbehelfe ist somit verfassungsrechtlich nicht verboten und zugleich nicht geboten.354 Der Gesetzgeber hat es somit in der Hand, den Kreis der schutzfähigen subjektiven Rechte über das von den Grundrechten bezeichnete materiellrechtliche Minimum hinaus zu erweitern,355 so dass dann Art. 19 Abs. 4 GG den gerichtsförmigen Schutz dieser Rechtspositionen gewährleistet.356 Dies betrifft auch den Sonderbereich der umweltbezogenen überindividuellen Rechte bzw. Umweltgüter, die de lege ferenda z. B. durch die Einführung einer allgemeinen umweltbezogenen altruistischen VK grundsätzlich subjektiviert werden könnten.357 Die Einführung der altruistischen VK ist somit verfassungsrechtlich möglich,358 solange der Zuwachs an Aufgaben objektiver Verwaltungskontrolle den von Art. 19 Abs. 4 GG geforderten Individualrechtsschutz nicht aushöhlt.359
352 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1351; H. Jarass, Art. 19 Abs. 4 GG, in: ders./ B. Pieroth (Hrsg.), GG-Komm., 2011, Rn. 58; M. Kment, UPR 2013, S. 44; jeweils m.w. N. 353 S. Schlacke, § 42 VwGO (Überindividueller Rechtsschutz im Verwaltungsprozess), in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 18; L. Michael, DV 2004, S. 37. 354 S. Schlacke, § 42 VwGO (Überindividueller Rechtsschutz im Verwaltungsprozess), in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 19. 355 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481/01 u. 1 BvR 518/01, NVwZ 2001, S. 1148 ff.; S. Schlacke, § 42 VwGO (Überindividueller Rechtsschutz im Verwaltungsprozess), in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 18, m.w. N. 356 C. Enders, Art. 19 IV, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2008, Rn. 66. 357 Ausführlich dazu s. u. in 1. Teil, 6. Kap., B., II. ff. 358 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88 (Mannheim), NVwZ 1991, S. 162 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 101, m.w. N. 359 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88 (Mannheim), NVwZ 1991, S. 162 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., 2001, Rn. 9, S. 270 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 7. Aufl., 2002, Rn. 240 ff.; R. Wolf, ZUR 1994, S. 2, m.w. N.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
89
II. Verwaltungsrechtliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems (§ 42 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO, § 47 VwGO) – Auswirkungen auf den Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes Art. 19 Abs. 4 GG wird durch die VwGO konkretisiert und realisiert. In § 42 Abs. 2 VwGO findet die Ausrichtung des deutschen Verwaltungsprozesses auf den Individualrechtsschutz ihren Ausdruck.360 Es handelt sich um die zentrale einfachgesetzliche Bestimmung des Verwaltungsrechtsschutzes der deutschen Rechtsordnung.361 Diese Vorschrift koppelt offensichtlich die verwaltungsrechtliche Klagebefugnis an die Möglichkeit einer Rechtsverletzung. Danach muss – vor dem Hintergrund der Schutznormtheorie – jeder, der Zugang zu Verwaltungsgerichten sucht, gem. § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, dass er durch einen Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen subjektiven öffentlichen Rechten verletzt ist.362 Die Klage ist nur unzulässig, wenn unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die von ihm behaupteten subjektiven Rechte verletzt sein oder ihm zustehen können363 oder wenn eine Verletzung der Rechte des Klägers ausgeschlossen erscheint.364 Da subjektive öffentliche Rechte sich auf Normen stützen, die nicht nur im öffentlichen Interesse erlassen wurden, sondern zumindest auch dem Schutz der Interessen einzelner Bürger bestimmt sind,365 ist laut § 42 Abs. 2 VwGO i.V. m. 360 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 6; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16. 361 J. v. Albedyll, § 42 VwGO, in: J. Bader/M. Funke-Kaiser/S. Kuntze/J. v. Albedyll, VwGO-Komm. 2007, Rn. 2. 362 Vgl. BVerwG, 20.04.1994 – 11 C 17/936, NVwZ 1995, S. 165 ff.; H. Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 2002, S. 162 ff.; C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 4 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 90 ff.; E. Schwerdtner, NVwZ 1990, S. 632; H. H. Rupp, DVBl 1982, S. 145 ff.; C. Enders, Art. 19 IV, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2008, Rn. 64 ff. Zwar genügt eine bloß verbale Behauptung der Rechtsverletzung nicht, aber zu deren Bejahung ist ausreichend, wenn nach dem substanziierten Vortrag des Klägers eine Verletzung seiner Rechte möglich ist. 363 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.2003 – 3 C 15/03, NJW 2004, S. 698 ff.; BVerwG, Urt. v. 23.03.1982 – 1 C 157/79, NJW 1982, S. 2513 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.12.1983 – 4 C 44/80, NJW 1984, S. 1474 ff.; M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im raumbedeutsamen Umweltrecht, 1987, S. 68 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2007, Rn. 66, Rn. 68; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 67 ff. 364 BVerwG, Urt. v. 09.08.1983 – 1 C 38/79, BayVBl 1984, S. 248; M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im raumbedeutsamen Umweltrecht, 1987, S. 68 ff. 365 Vgl. ständ. Rechtsprechung BVerwG, Urt. v. 25.02.1954, BVerwGE 1, S. 83 ff., NJW 1954, S. 1214 ff.; BVerwG, Urt. v. 28.04.1967, NJW 1967, S. 1770 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.11.1985, NJW 1986, S. 1628 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO für die Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage die tatsächliche Verletzung eigener Rechte des Klägers erforderlich.366 Eine solche Norm im Bereich des Umweltrechts ist beispielsweise § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, weil von ihrem Schutzumfang ausdrücklich nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch die Allgemeinheit erfasst ist. Insofern kann im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzes i. d. R. ein Individuum gegen staatliche Entscheidungen erfolgreich klagen, soweit es sich auf Vorschriften beruft, die gerade dem Schutz seiner Rechte (insbesondere der Grundrechte und der aus ihnen ableitbaren Rechte) zu dienen bestimmt sind. Das wird von der Rechtsprechung bejaht, wenn ein abgrenzbarer bzw. aus der Allgemeinheit herausgehobener Personenkreis durch eine Vorschrift geschützt wird. Im Hintergrund steht die Annahme, man könne einen Unterschied zwischen „öffentlichen“ und „privaten“ Interessen machen und jeder Kläger dürfe stets nur seine „privaten“ Belange einklagen.367 Objektive Rechtswidrigkeit oder bloß faktische Betroffenheit rechtlich nicht geschützter Interessen eines Rechtssubjekts begründet von vornherein keine Rechtsverletzung.368 Aber auch die in der Sache missbräuchliche Behauptung einer formal anerkannten Rechtsposition schließt deren materielle Berechtigung aus und disqualifiziert sie als rechtlich nicht (mehr) geschütztes Interesse.369 Dass es im Rahmen der VwGO erforderlich für die Zulassung der Klagebefugnis des Klägers ist, dass die entsprechende umweltrechtliche Vorschrift zumindest auch dem rechtlichen Schutz der Individualinteressen dient, führt insbesondere im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes dazu, dass eine faktische
366 BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 – IV C 22/75 (Lüneburg), NJW 1978, S. 62; BVerwG, Urt. v. 23.03.1982 – 1 C 157/79, NJW 1982, S. 2513; BVerwG, Beschl. v. 19.01.1996 – 11 B 90/95, NJW 1996, S. 1297 ff.; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 143 ff.; A. Decker, § 113 I, 1, V 1 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2008, Rn. 16 ff., Rn. 18 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 113 VwGO, VwGO-Komm., 2014, Rn. 15 ff. 367 BVerwG, DVBl 1997, S. 52; B. M. v. Nieding, Die Grundlagen des Rechtsschutzes Dritter im französischen und deutschen Umweltverwaltungsrecht, 1995, S. 19 ff.; J. Seidel, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Nachbarschutz, 2000. 368 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.06.1969 – IV C 234/656, NJW 1969, S. 1787 ff.; BVerfG, Urt. v. 27.04.1971 – 2 BvR 708/65, BVerfGE 31, S. 33 ff.; BVerfG, Beschl. v. 18.06.1997 – 2 BvR 483/95, 2 BvR 2501/95 und 2 BvR 2990/95, NJW 1997, S. 3013; BVerfG, Beschl. v. 18.07.2005 – 2 BvR 2236/04, NJW 2005, S. 2289; T. Maunz/G. Dürig/E. Schmidt-Aßmann, GG-Komm., Art. 19 IV GG, 2003, Rn. 120; O. Schlichter, NVwZ 1983, S. 641; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 144 ff.; O. Bachof, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 296; O. Bühler, in: GS für W. Jellinek, 1955, S. 274; H. Jarass, Drittschutz, in: H. Leßmann/B. Großfeld/L. Vollmer (Hrsg.), FS für R. Lukes, 1989, S. 60. 369 Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.02.1992 – 1 C 7/90, NVwZ 1992, S. 886; BVerwG, Urt. v. 24.09.1992 – 7 C 6/926, NJW 1993, S. 342; OVG Münster, Beschl. v. 17.03.2008 – 8 A 929/07, BeckRS 2008, 35099.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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Beeinträchtigung von kollektiven Rechtsgütern (etwa die Verschmutzung eines FFH-Schutzgebiets durch eine Immissionsanlage) nicht zu einer verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeit führt, soweit die verletzte Vorschrift kein Individualinteresse schützt.370 Die §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 VwGO gelten zwar unmittelbar nur für die (verwaltungsaktbezogene) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sind aber auch für die allgemeine Leistungsklage sowie bei der Feststellungsklage – wie die Rechtsprechung,371 anders als die überwiegende Ansicht im Schrifttum,372 befürwortet – entsprechend anzuwenden.373 Damit ist in erster Linie die Reichweite des subjektiven Rechtsschutzes gegenüber belastenden Verwaltungsakten thematisiert.374 Insbesondere aber in Fällen, in denen Drittbetroffene ihr Begehren mithilfe der allgemeinen Leistungsklage durchzusetzen versuchen (z. B. eine Leistungsklage, die beispielsweise auf die Vornahme eines schlicht hoheitlichen Handelns, etwa eines Luftreinhalteplanes, gerichtet ist),375 ist die Auslegungsbedürtigkeit des deutschen Rechts offenkundig. Denn die allgemeine Leistungsklage ist in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt. Der Wortlaut des § 42 Abs. 2 VwGO verlangt eigentlich das Bestehen eines subjektiven öffentlichen Rechts bei allgemeinen Leistungsklagen gerade nicht.376 Der h. M. nach aber erfordert eine Klagebefugnis analog des § 42 Abs. 2 VwGO dies auch für die allgemeine Leistungsklage.377 Aber auch die Antragsbefugnis der Normenkontrolle des § 47 VwGO ist durch die Individualrechtsschutzfunktion vergleichbar oder ähnlich wie bei der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ausgeprägt.378 § 47 370
Vgl. u. a. C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff. Vgl. BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 – 5 C 40/84; BVerwG, Urt. v. 26.01.1996 – 8 C 19/64, NJW 1996, S. 2046 ff.; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 143 ff. 372 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 23 ff., m.w. N. 373 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 5; H. Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 2002, S. 162. 374 Vgl. M. Gerhardt, § 113 VwGO, Fn. 9, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2008. 375 Vgl. P. Terchechte, § 43 VwGO, in: M. Fehling/B. Kastner, VerwaltungsrechtHd.Komm., 2010, Rn. 88. 376 Vgl. R. Klinger, EurUP 2013, S. 97, m.w. N. 377 K.-F. Gärditz, § 42 VwGO, in: ders. (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 149, m.w. N.; obwohl das Erfordernis des subjektiven öffentlichen Rechts für eine Klagebefugnis i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO allgemein anerkannt wird, besteht dieses Erfordernis jedoch nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben, sondern wurde durch die Rechtsprechung entwickelt, die diese durch Auslegung gewann. Vgl. etwa: BVerwG, Beschl. v. 05.02. 1992 – 7 B 15/92, NVwZ-RR 1992, S. 371 ff. 378 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 5; E. Schwerdtner, NVwZ 1990, S. 632, m.w. N.; auch der An371
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
VwGO trägt dem Individualrechtsschutz seit dem sechsten Änderungsgesetz zur VwGO379 Rechnung, selbst wenn die Begründetheitsprüfung auf eine objektive Rechtskontrolle zielt.380 Zwar können im Normkontrollverfahren nach § 47 VwGO nur untergesetzliche bzw. nichtformelle Gesetze angegriffen werden, aber der Sache nach bestehen im Vergleich zu einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage keine wesentlichen Unterschiede mehr.381 Gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 VwGO, ist ein Antrag einer natürlichen oder juristischen Person auf Normenkontrolle zulässig, soweit der jeweilige Kläger geltend macht, dass durch eine bestimmte Vorschrift gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO oder deren Anwendung in seinen subjektiven Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zuwerden.382 Mit der eindeutigen Anknüpfung der Antragsbefugnis an subjektives Recht gelten somit entsprechende Grundsätze wie für die Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO. Ein auffallender Unterschied besteht hier nur insofern, als es für § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO genügt, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Vorschrift oder deren Anwendung in absehbarer Zeit verletzt zu sein.383 Dies bedeutet, dass die Antragsbefugnis auch dann gegeben ist, wenn der Vollzug der angegriffenen Vorschrift den Antragsteller möglicherweise in seinen Rechten verletzt. D.h. eigentlich, dass die Antragstellung schon jetzt als vernünftig erscheint, wenn die Rechtsverletzung bei dem vorhersehbaren Entwicklungsverlauf in der nächsten Zeit zu erwarten ist.384 Obwohl in dieser Hinsicht die subjektive Verletzung des Klägers gem. § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 VwGO der h. M. unterhalb der Schwelle einer Beeinträchtigung von subjektiven Rechten im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO gegeben sein kann,385 wird die Normenkontrolle des § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 im Ergebnis als „Antizipation“ der Anfechtungsklage im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems angesehen.386 tragsteller im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gem. §§ 80 V, 80a III und 123 I VwGO muss analog § 42 Abs. 2 VwGO eine Verletzung eigener Rechte dartun können. 379 BGBl. I, S. 1626 (01.11.1996). 380 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 104 ff., m.w. N. 381 S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2014, Rn. 1406 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 47 VwGO, VwGO-Komm., 2014, Rn. 30 ff.; jeweils m.w. N. 382 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 – 4 CN 2/98, NJW 1999, S. 592; BVerwG, Urt. v. 17.12.1998 – 1 CN 1/986, NJW 1999, S. 1567; BVerwG, Urt. v. 30.04.2004 – 4 CN 1/ 03, NVwZ 2004, S. 1120; L. Giesberts, § 47 II VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2008, Rn. 34 ff.; S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2014, Rn. 1406 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 47 VwGO, VwGO-Komm., 2014, Rn. 30 ff.; jeweils m.w. N. 383 S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2014, Rn. 1413 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 47 VwGO, VwGO-Komm., 2014, Rn. 46 ff.; jeweils m.w. N. 384 Ebd. 385 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 47 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2008, Rn. 8; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 199, m.w. N.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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Als einer der Hauptzwecke der Vorschriften von § 42 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aber auch nach § 47 Abs. 2 VwGO wird oft der Ausschluss der Popularklage genannt.387 Entscheidend ist prinzipiell der Ausschluss desjenigen von den Gerichtsverfahren, der keine Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Insbesondere § 42 Abs. 2 VwGO enthält auch dem nur nachteilig Betroffenen, der keine Rechtsverletzung, sondern lediglich ein wirtschaftliches, kulturelles oder ideelles Interesse vorzubringen vermag, eine gerichtliche Entscheidung in der Sache vor.388 Dieser Kläger kann nicht mit dem gar nicht selbst betroffenen Wahrer der Gemeinbelange („quivis ex populo“) gleichgestellt werden.389 In diesem Rahmen muss aber betont werden, dass die Berufung auf rein wirtschaftliche, kulturelle, ideelle oder politische Interessen (z. B. der landschaftlich schöne Ausblick, der Anblick von Kulturdenkmälern) oder eine allgemeine Betroffenheit (z. B. Waldschaden durch Auswirkungen der Luftverschmutzung bzw. Klimawandel usw.) grundsätzlich verwehrt ist.390 Ebenso wenig kann das Rechtssubjekt sich auf Rechtsreflexe berufen.391 In diesem Kontext dient § 42 Abs. 2 VwGO dem Ausschluss der Interessentenklage, der grundsätzlich auch den Ausschluss der Popularklage mitumfasst.392 Sie schließt auch Klagen aus, mit Hilfe derer lediglich die Beeinträchtigung individueller Interessen, die nicht von einem Rechtssatz geschützt werden, geltend 386 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 10.10.1980 – 10 a NE 42/78, DÖV 1981, S. 467; VGH Kassel, Beschl. v. 03.11.1980 – VIII N 2/79, NJW 1981, S. 779; M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, 1987, S. 81. 387 Vgl. BT-Drs. I/4278, Anl. 1, S. 35 und III/55, S. 32; K. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2000, S. 157; C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 5; E. Schwerdtner, NVwZ 1990, S. 630. 388 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.07.1992 – 7 B 186/91, NVwZ 1993, S. 63; BVerwG, Urt. v. 27.01.1993 – 11 C 35/92 (Kassel), NJW 1993, S. 1729 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 16.01.1990 – 5 S 2525/89, DÖV 1990, S. 981 ff.; VGH Mannheim, Beschl. v. 06.04.1994 – 10 S 405/94, NJW 1994, S. 2372 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 07.01.1986 – 2 UE 2855/84, NVwZ 1986, S. 680 ff.; VGH München, Beschl. v. 19.02.1988 – 8 B 8601328, BayVBl 1988, S. 496 ff. 389 Vgl. M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, 1992, S. 552 ff.; W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 8; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 141; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 192. 390 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78, BVerwGE 61, S. 262 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., Art. 19 IV GG, 2008, Rn. 120; W. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozessrecht, 2000, Rn. 157; m.w. N. 391 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2005, Rn. 50. 392 BVerfG, Beschl. v. 09.01.1991 – 1 BvR 207/87, NJW 1991, S. 1878; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 141; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 8; R. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 2006, Rn. 134; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 10; R. Breuer, NJW 1978, S. 156; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 141; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 91.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
gemacht werden.393 Durch das Erfordernis der Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO werden Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen als Verletztenklagen und nicht als Interessentenklagen ausgestaltet.394 § 42 Abs. 2 VwGO bildet somit die gesetzgeberische Manifestierung des Verletztenklagemodells. 395 Es muss aber klargestellt werden, dass Ausschluss in dem oben genannten Sinne nicht bedeutet, dass gar kein Prozessrechtsverhältnis zustande käme. Ausgeschlossen wird lediglich die sachliche Überprüfung des hoheitlichen Handelns.396 Vielmehr erfüllen die Erfordernisse der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO eine Filterfunktion. Denn sie unterscheiden zulässige Verletztenklagen von unzulässigen bloßen Interessenten-, Betroffenen- oder Popularklagen.397 Die Klagebefugnis von § 42 Abs. 2 VwGO sowie die Antragsbefugnis von § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO kennzeichnet die Grenze zwischen einem potenziell Verletzten und einem Verteidiger des Gemeinwohls.398 Im Allgemeinen muss berücksichtigt werden, dass die Wirkung der Anfechtungsklage insbesondere im Bereich der Umweltangelegenheiten399 effektiver und geeigneter als die Feststellungsklage (§ 43 VwGO) erscheint. Denn mit einer Feststellungsklage kann allenfalls erreicht werden, dass die mögliche Unrechtsmäßigkeit eines umweltbelastenden Zustandes festgestellt wird. Demgegenüber kann eine Anfechtungsklage zur Einstellung einer umweltbelastenden Tätigkeit bzw. behördlichen Autorisierung führen, wenn es einem in Bezug auf die Belange des Umweltschutzes gelingt, den entsprechenden, umweltbelastenden Verwaltungsakt zu beseitigen. Darüber hinaus ist die Anfechtungsklage gem. § 42 VwGO in der Praxis wirksamer als der Versuch, die Behörden über die Leistungsklage zum Eingreifen zu bewegen. Denn die Leistungsklagen bedürfen 393 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16; G. Winter, NVwZ 1999, S. 467 ff.; D. Ehlers, VerwArch. 1993, S. 141. 394 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2008, Rn. 9. 395 Vgl. R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 318 ff. 396 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2005, Rn. 8, m.w. N.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, S. 162. 397 Vgl. M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 381. 398 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14, m.w. N. 399 Im Hinblick darauf muss berücksichtigt werden, dass das deutsche Umweltrecht in weiten Bereichen durch die Institution der behördlichen Autorisierung geprägt ist, in dem Sinne, dass ein Großteil umweltbelastender Tätigkeiten, sei es die Errichtung einer Anlage oder die Vornahme einzelner Tätigkeiten, wie z. B. die Beseitigung von Abfällen in einer Mülldeponie oder die Einleitung von Abwasser in einem Fluss, nur nach behördlicher Eröffnungskontrolle zulässig ist. Die Akte der Autorisierung stellen in der Regel einen Verwaltungsakt dar. Sie reichen vom Planfeststellungsbeschluss über Erlaubnis und Bewilligung bis zur Genehmigung. Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 41 ff.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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i. d. R. einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die im Bereich des Umweltschutzes, wenn sie normiert wurde, meist im öffentlichen Interesse – und nicht als subjektiver öffentlicher Leistungsanspruch – erlassen ist. In diesem Rahmen steht der Rechtsbehelf der Anfechtungsklage im Mittelpunkt des deutschen Umweltrechts.400 Zu beachten ist, dass § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO dem Gesetzgeber die Befugnis erteilt, objektive Verwaltungskontrollinstrumente einzuführen.401 Von Bedeutung ist, dass der Vorbehalt in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO („soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt wird“), sowohl den Bundesgesetzgeber als auch die Länder ermächtigt, durch Gesetz von der Prozessvoraussetzung der Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte abzusehen.402 Der h. M. nach verstößt eine solche Möglichkeit auch nicht gegen § 113 VwGO.403 Es kommt jedoch wohl entscheidend darauf an, dass nach dem System der § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO die Aufhebung eines objektiv rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur in dem Umfang in Betracht kommt, in dem eine Klagebefugnis gegeben ist.404 Das Verbot einer Popularklage aufgrund des deutschen Individualrechtsschutzsystems darf aber nicht unterlaufen werden, da eine unbegrenzte Ausweitung der Klagebefugnisse in mehrpoligen Rechtsverhältnissen dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entgegensteht.405Daher kann die Vorbehaltsklausel des § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO nur Ausnahmen zulassen. Die Schutznormtheorie kommt somit ausnahmsweise dort nicht zum Tragen, wo kraft gesetzlicher Regelung ein Dritter auch ohne subjektive Rechtsbeeinträchtigung klagen kann.406 Der deutsche Gesetzgeber kann somit diesen Gesetzesvorbehalt hinsichtlich des Zugangs zu Ver400 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 41 ff. 401 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16. 402 Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.1970 – VIII C 97/70, DVBl 1987, S. 1278; BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86 (Berlin), NVwZ 1988, S. 528; VGH Kassel, Entsch. v. 21.12.1984 – II OE 99/83, NuR 1985, S. 154; W. Skouris, NVwZ 1982, S. 234; P. Stelkens, DVBl 1975, S. 137; U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 189 ff. 403 Vgl. H. Jarass, in: FS für R. Lukes, 1989, S. 59; U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 191. Daher stellt es keinen Verstoß gegen § 113 Abs. 1,5 VwGO dar, wenn im Rahmen der Verbandsklage der gerichtliche Prüfungsumfang auf die Beanstandungsbefugnis beschränkt wird, sondern dies entspricht gerade der Systematik des Prozessrechts. 404 Vgl. K.-H. Ladeur, DVBl 1984, S. 1184; U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 191; E. Rehbinder, NVwZ 1982, S. 667. 405 Vgl. M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 382; a. A. S. Schlacke, § 42 VwGO (Überindividueller Rechtsschutz im Verwaltungsprozess), in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGOKomm. 2013, Rn. 20. Schlacke vertritt die Ansicht – ohne eigentlich ausreichende bzw. überzeugende Begründung –, dass der deutsche Gesetzgeber Popularklagen zugunsten jedermanns eröffnen kann, ohne dass ein Bezug zum Klagegegenstand hergestellt werden muss. 406 Vgl. K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 80 ff.; H. Jarass, in: FS für R. Lukes, 1989, S. 59.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
waltungsgerichten auf verschiedene Weise umsetzen. So kann er beispielsweise im Sinne des Modells der Interessentenklage von einer subjektiven Rechtsverletzung absehen und den Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit von einer Betroffenheit in Interessen des Klägers abhängig machen.407 Eine solche Möglichkeit verstieße nicht gegen § 113 Abs. 1, 5 VwGO.408 Es kommt jedoch wohl entscheidend darauf an, dass nach dem System der §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1, 5 VwGO die Aufhebung eines objektiv rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur in dem Umfang in Betracht kommt, in dem eine Klagebefugnis gegeben ist.409 Die oben genannte Vorbehaltsklausel räumt somit dem deutschen Gesetzgeber die Möglichkeit eines ausgedehnten Rechtsschutzes auch im Bereich des überindividuellen Umweltrechts ein. Insofern ist die Einführung einer umweltrechtlichen altruistischen VK gem. § 42 Abs. 2 VwGO nicht ausgeschlossen. Die altruistische VK ist allerdings nicht mit der Popularklage gleichzustellen. Da vor allem die altruistische VK nicht von jeder Person oder von jedem Zusammenschluss von Personen gegen jede Vorschrift erhoben werden kann, sondern nur von den gesetzlich anerkannten Verbänden gegen bestimmte Vorschriften.410 Diese Möglichkeit wurde allerdings bisher nur eingeschränkt vom deutschen Gesetzgeber genutzt.411
III. Fazit Die Grundsatzentscheidung des deutschen Gesetzgebers für ein Individualrechtsschutzsystem manifestiert sich eindeutig in den oben dargestellten Vorschriften des Grundgesetzes sowie der VwGO. Im Einklang mit der Schutznormtheorie garantiert Art. 19 Abs. 4 GG keine allumfassende Prüfung behördlicher Entscheidungen, sondern nur eine gerichtliche Prüfung im Hinblick auf eine subjektive Rechtsverletzung. Durch Art. 19 Abs. 4 GG wird somit auch grundgesetzlich ausgedrückt, dass das deutsche Rechtsschutzsystem vom Bürger und nicht vom Staat bzw. der Verwaltung ausgeht. Rechtsschutz wird nicht um des Staates, sondern vor allem um des Einzelnen willen gewährt. Daraus ergibt sich, dass
407 S. Schlacke, § 42 VwGO (Überindividueller Rechtsschutz im Verwaltungsprozess), in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 20. 408 U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 191. Daher stellt es keinen Verstoß gegen § 113 Abs. 1,5 VwGO dar, wenn im Rahmen der Verbandsklage der gerichtliche Prüfungsumfang auf die Beanstandungsbefugnis beschränkt wird, sondern dies entspricht gerade der Systematik des Prozessrechts. 409 Vgl. K.-H. Ladeur, DVBl 1984, S. 1184; U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 191; E. Rehbinder, NVwZ 1982, S. 667. 410 Vgl. E. Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft, 1984, S. 21 ff., S. 34 ff.; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 81. 411 s. ausführlich zu der relevanten Problematik der umweltbezogenen altruistischen VK in 1. Teil, 2. und 3. Kap.
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems
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nicht schon der Verstoß gegen objektives Recht, sondern erst die dadurch begründete Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts zum Klageerfolg führen kann. Diese Norm statuiert somit ein echtes subjektives Grundrecht des „status positivus“, das dem Einzelnen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist, die Möglichkeit eines Anspruchs auf Gewährung möglichst wirkungsvollen effektiven Rechtsschutzes verleiht. Obwohl überindividuelle Rechtsbehelfe vom Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erfasst werden, werden sie aber gleichzeitig verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Die Einführung überindividueller Rechtsbehelfe ist somit verfassungsrechtlich nicht geboten aber auch nicht verboten. Auch im Bereich des Verwaltungsrechts muss gem. § 42 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO jeder, der Zugang zu Verwaltungsgerichten sucht, geltend machen, dass er durch einen Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen subjektiven öffentlichen Rechten verletzt ist. Objektive Rechtswidrigkeit oder bloß faktische Betroffenheit rechtlich nicht geschützter Interessen eines Rechtssubjekts begründet von vornherein keine Rechtsverletzung. Entsprechendes gilt auch für die Normenkontrolle des § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 VwGO. Die Antragsbefugnis für die Normenkontrolle wird grundsätzlich als „Antizipation“ der Anfechtungsklage im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems angesehen. Durch das Erfordernis der Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO werden Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen als Verletztenklagen und nicht als Interessentenklagen ausgestaltet. § 42 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO erfüllt somit eine Filterfunktion. Diese Norm dient im Ergebnis dem Ausschluss der Interessentenklage. Im Allgemeinen sind dadurch Klagen ausgeschlossen, mit Hilfe derer lediglich die Beeinträchtigung individueller Interessen, die nicht von einem Rechtssatz geschützt werden, geltend gemacht werden. Von Bedeutung ist, dass § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO dem Gesetzgeber die Befugnis erteilt, objektive Verwaltungskontrollinstrumente einzuführen. Denn der Vorbehalt in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO („soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt wird“) ermächtigt sowohl den Bundesgesetzgeber als auch die Länder, durch Gesetz von der Prozessvoraussetzung der Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte abzusehen. Im Rahmen dieses Gesetzesvorbehalts kann der deutsche Gesetzgeber i. S. d. Modells der Interessentenklage von einer subjektiven Rechtsverletzung absehen und den Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit von einer Betroffenheit in Interessen des Klägers abhängig machen. Die Vorbehaltsklausel des § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO räumt somit dem deutschen Gesetzgeber die Möglichkeit eines erweiterbaren Rechtsschutzes auch im Bereich des überindividuellen Umweltrechts ein. Insofern ist die Einführung einer umweltrechtlichen altruistischen VK gem. § 42 Abs. 2 VwGO nicht ausgeschlossen. Die Schutznormtheorie kommt somit ausnahmsweise dort nicht zum Tragen, wo kraft ge-
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
setzlicher Regelung ein Dritter auch ohne subjektive Rechtsbeeinträchtigung klagen kann. Dies steht in Einklang auch mit dem dargestellten Inhalt des Art. 19 Abs. 4 GG, der es grundsätzlich dem Gesetzgeber erlaubt, den Kreis der schutzfähigen subjektiven Rechte über das von den Grundrechten bezeichnete materiellrechtliche Minimum hinaus zu erweitern. Angesichts der Tatsache, dass die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts gesetzlich unvollkommen und eher offen gefasst ist, hat es somit der Gesetzgeber in der Hand, auch im Rahmen des aktuellen Individualrechtsschutzsystems den Rechtsschutz überindividueller Umweltrechte wesentlich zu erweitern. Dies hat er aber bisher offenbar nicht wirklich gewollt.
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz Die Zurückhaltung des Gesetzgebers hinsichtlich des Rechtsschutzes überindividueller Umweltrechte spiegelt sich auch in dem relativ begrenzten Umfang des Umweltschutzes im deutschen Grundgesetz wider. Vor dem Hintergrund und unter dem Einfluss der herrschenden Schutznormlehre ist es kein Zufall, dass nach dem deutschen Grundgesetz – im Gegensatz zu verschiedenen anderen Ländern weltweit412, einschließlich Griechenland413 – kein eigenes Grundrecht auf Umweltschutz besteht.414
I. Kein Grundrecht auf Umweltschutz Die noch in den 70er Jahren favorisierte Lösung eines Umweltgrundrechts415 wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung abgelehnt, ohne dass auf Abstufungen hinsichtlich eines möglichen subjektiv-rechtlichen Charakters eines Umweltgrundrechts bzw. einer Umweltverfassung eingegangen wird.416 Dabei wurden auch unternommene Versuche der Rechtswissenschaft, aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG 412 Ein erleuchternder Überblick der Länder weltweit, die die Umweltrechte als fundamentale Rechte in ihren Verfassungen verankern, s. in: J. R. May, Pace Environmental Law Review 2006, S. 113 ff.; A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 477 ff.; jeweils m.w. N. 413 Ausführlich zu dem griechischen Grundrecht auf Umweltschutz s. u. 2. Teil, 1. Kap., B., III. ff. 414 Vgl. R. Steinberg, NJW 1996, S. 1986 ff.; T. Brönneke, ZUR 1993, S. 153 ff.; M. Kotulla, KJ 2000, S. 22; R. Schmidt, in: FS für H. Zacher, 1998, S. 947 ff., m.w. N. 415 Vgl. SRU, Umweltgutachten, 1974, Rn. 634 ff.; H. Dellmann, DÖV 1975, S. 588; ablehnend aber: M. Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 38 ff. 416 Vgl. B. Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1990, S. 233 ff.; F. Klein, DVBl 1991, S. 733 ff.; H. H. Rupp, DVBl 1985, S. 990 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.07.1977 – IV C 51.75, NJW 1978, S. 554 ff.
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
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(Recht auf menschenwürdiges Leben) ein allgemeines Recht auf eine menschenwürdige Umwelt herzuleiten,417 weitgehend abgelehnt.418 Auch die Konzeption einiger Autoren, die die Einführung eines „Grundrechts auf ein ökologisches Existenzminimum“ vorgeschlagen haben419, konnte nicht durchgesetzt werden. Es sind Zweifel angebracht, vor allem da sich prinzipiell aus dem GG keine konkreten Belastungsschwellen herleiten lassen.420 Mehrere Anläufe der Bundestagsfraktion der Grünen Mitte der 1980er Jahre, ein derartiges Grundrecht in der Verfassung zu verankern, scheiterten.421 Das BVerwG stellte bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1977 klar, dass es bundesverfassungsrechtlich kein „Umweltgrundrecht“ gibt, das subjektivrechtlich einen weiter gehenden Schutz verleiht, als es die hier relevanten Grundgesetzvorschriften (insb. Art. 2 ff.) GG zu Gunsten jeweils bestimmter Schutzgüter tun.422 Auch im Bereich des Landesrechts stellte der BayVerfGH – trotz der Tatsache, dass Art. 141 Abs. 1 S. 1 BayVerf der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen „der besonderen Fürsorge jedes Einzelnen und der staatlichen Gemeinschaft“ anvertraut wird und Art. 141 Abs. 3 S. 1 BayVerf ausdrücklich jedermann den Genuss der (bayerischen) Naturschönheiten gestattet423 – fest, dass Art. 141 BayVerf kein allgemeines Umweltgrundrecht auf Landesebene normiert.424 Die von D. Murswiek geforderte sog. „Umweltgrundsatznorm“ 425 und entsprechend die sog. „objektive Umweltpflicht“ 426 von M. Kloepfer sollen gerade nicht vom Einzelnen einforderbar sein. Grund dafür ist unter anderem427, dass die Ein417 Vgl. C. Sailer, DVBl 1976, S. 521 ff.; ders., BayVBl 1980, S. 272 ff.; ders., in: F. Kopp (Hrsg.), Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 83 ff.; W. Maus, JA 1979, S. 287 ff.; C. Sening, BayVBl 1978, S. 205 ff.; ders., NuR 1979, S. 9 ff.; ders., NuR 1980, S. 102 ff.; ders., AgrarR 1980, S. 63 ff.; ders., BayVBl 1981, S. 174 ff.; ders., BayVBl 1982, S. 428 ff.; ders., NuR 1983, S. 18 ff.; ders., NuR 1989, S. 327 ff.; J. Lücke, DÖV 1976, S. 289 ff. 418 Vgl. BT-Drs. 10/1990; 11/604; 11/663; T.-J. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltpflicht des Staates, 1996, S. 56 ff., m.w. N.; M. Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 38; R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 2006, § 2, Rn. 3. 419 Vgl. C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 300 ff., m.w. N. 420 Vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 1, Rn. 156 ff. 421 Vgl. BT-Drs. 10/990, 11/604 und BT-Dr 11/663. 422 BVerwG, Urt. v. 29.07.1977 – IV C 51.75 (Ls. 5), NJW 1978, S. 554 ff. 423 Außerdem gehört gem.Art. 131 Abs. 2 BayVerf „Verantwortungsbewußstsein für Natur und Umwelt“ zu den obersten Bildungszielen, die in den Schulen zu vermitteln sind. Vgl. W. Berg, in: W. Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 437. 424 BayVerfGH, Entsch. v. 27.07.2011, Vf. 5-VII-10, Rn. 46, NVwZ-RR 2011, S. 794 ff.; zur bayerischen Popularklage s. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 154 ff., m.w. N. 425 D. Murswiek, ZRP 1988, S. 18 ff. 426 M. Kloepfer, Umweltrecht 1989, S. 49. 427 Zu den allgemeinen Argumenten über die Einführung der Umweltstaatszielbestimmung im GG, vgl.: R. Scholz, Art. 20a GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm.,
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
führung eines Grundrechts auf Umweltschutz dem traditionellen deutschen Individualrechtsschutzsystem zuwiderliefe.428 Denn insbesondere im Bereich des Umweltrechts stößt das subjektivrechtlich konzipierte Rechtsschutzsystem an seine Grenzen. Da es stets begrenzend auf die rechtlich geschützten Interessen des Einzelnen, aber nicht auf die rechtlich geschützten Interessen der Allgemeinheit zurückweist.429 Die verfassungsrechtliche Verankerung eines Grundrechts auf Umweltschutz wäre daher schwer in das grundgesetzliche Gewährleistungssystem einzufügen. Denn die natürliche Umwelt sowie Umweltgüter (wie Wasser, Luft, Boden, Landschaft u. a.) sind keine Individualgüter und daher der Individualsphäre und der hieran anknüpfenden individuellen Erzwingbarkeit grundsätzlich nicht zuzuordnen. Demnach wäre die subjektive Betroffenheit, die für einen subjektiven Anspruch unentbehrlich ist, auch schwerlich zu bestimmen.430 Insofern sollte die praktische Auswirkung der Schutzpflichtendogmatik insbesondere im Bereich des kollektiven Umweltrechts431 nicht überschätzt werden.432 Denn angesichts der Tatsache, dass bisher kein Umweltgrundrecht im GG vorhanden ist, stellt die Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten in der Pra2002, Rn. 19 ff.; T.-J. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltpflicht des Staates, 1996, S. 48 ff. 428 Vgl. T.-J. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltpflicht des Staates, 1996, S. 56. 429 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 166. 430 Vgl. BT-Drs. 8/1938 v. 19.09.1978, Abschn. 1945; T.-J. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltpflicht des Staates, 1996, S. 56 ff.; M. Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 31; mehr dazu R. Scholz, Art. 20a GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., 2002, Rn. 12 ff.; H. Schulz-Fielitz, Art. 20a GG, in: H. Dreier, GGKomm., 2006, Rn. 4 ff.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 105, m.w. N.; H.-K. Heinz, in: D. Heckmann/K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 181 ff., S. 187 ff. 431 Für den Bereich des Umweltrechts hat das BVerfG die Schutzpflichtdogmatik erstmals in der Kalkar-I-Entscheidung aus dem Jahr 1978 fruchtbar gemacht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77E, NJW 1979, S. 359 ff.). In anderen Urteilen zog das BVerfG das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit heran, um eine Pflicht des Staates zum Schutz der Bürger vor den Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie aufzuerlegen (vgl. BVerfG, Urt. v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/ 77, NJW 1980, S. 759 ff. – Mülheim-Kärlich). Entsprechende Urteile entstanden auch im Bereich des Gesundheitschutzes in Sachen Fluglärm (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.01.1981 – 1 BvR 612/72, NJW 1981, S. 1655 ff. – Flughafen Düsseldorf-Lohausen), Straßenverkehrslärm (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84, NJW 1989, S. 1271 ff.), Aussetzung von Ozon (BVerfG, Beschl. v. 29.11.1995 – 1 BvR 2203/95, NJW 1996, S. 651 ff.) und Elektrosmog (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.02.1997 – 1 BvR 1658/96, NJW 1997, S. 2509 ff.; BVerfG, Beschl. v. 28.02.2002 – 1 BvR 1676/01, NJW 2002, S. 1638 ff.). Auch in einem Verfahren, das die Entschädigung für Waldschäden infolge von Luftverschmutzung betraf, bejahte das BVerfG eine Schutzpflicht auf Grund des Eigentumsgrundrechts gem. Art. 14 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschl. v. 26.05. 1998 – 1 BvR 180/88, NJW 1998, S. 3264 ff.). 432 A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 7, m.w. N.
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
101
xis keinen dahingehenden Ersatz dar. Über sie kann Umweltschutz nur dann bewirkt werden, wenn grundrechtlich geschützte Individualgüter wie Leben, Gesundheit oder Eigentum konkret gefährdet werden. Der Maßstab des BVerfG für die Annahme eines Schutzpflichtverstoßes bleibt insofern restriktiv.433 Es ist charakteristisch, dass bislang das BVerfG noch in keinem umweltrechtlichen Fall einen Schutzpflichtverstoß des Staates angenommen hat.434
II. Der ökologische Umweltbegriff Vor diesem Hintergrund – und im Gegensatz zum Verständnis des Umweltbegriffs in der griechischen Verfassung435 – ist anzumerken, dass im deutschen GG das restriktive Verständnis des ökologischen Umweltbegriffs, der den Zustand der „natürlichen Umwelt“ beschreibt, dominiert. Der Begriff „natürliche Lebensgrundlagen des Menschen“ (Art. 20a GG) wird grundsätzlich als synonym zum Begriff „Umwelt“ gebraucht. Mit dem Begriff „Umwelt“ sind somit die Umweltmedien Boden und Bodenschätze, Luft und Wasser, die klimatischen Bedingungen, die Biosphäre und deren Beziehungen untereinander sowie zu den Menschen gemeint. Als „natürliche Umwelt“ im juristischen Sinne ist somit die biologischphysische Lebenssphäre des Menschen, sowohl in ihrer von ihm unberührten wie auch in ihrer vom ihm gestalteten Form zu verstehen, die für die Erhaltung des menschlichen Lebens notwendig ist.436 Kurzgefasst zählen zu den natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen: Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft und die Wechselbeziehungen zwischen ihnen. Soziale, kulturelle und politische Einrichtungen sowie die von Menschen hergestellten Gegenstände, wie z. B. Wohngebäude, bleiben hiervon weiterhin ausgeschlossen. Allerdings umfasst der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen mehr als die Sicherung des ökologischen Existenzminimums, denn sonst würde Art. 20a GG einen Rückschritt im Umweltrecht bedeuten.437
433
Ebd. Ebd. 435 s. ausführlich dazu in 2. Teil, 1. Kap., B. III. ff. 436 D. Hömig, Art. 20a GG, in: K.-H. Seifert/ders., GG-Komm., 2007, Rn. 1a ff.; BVerfG, Urt. v. 17.01.1996 – BvR 589/92, NVwZ 1997, S. 159 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.09.1995 – 4 B 263/94, NJW 1996, S. 1163 ff. Da das menschliche Leben im naturwissenschaftlichen Sinne einen Teil der Gesamtheit der von Lebewesen besiedelten Schichten der Erde darstellt, bietet es sich an, als dessen „Grundlagen“ zunächst das biologisch-physische Umfeld zu bezeichnen, das für seine Erhaltung notwendig ist. 437 M. Kloepfer, Art. 20a GG, in: BK für das GG, 2005, Rn. 50 ff., Rn. 62 ff.; zur Entstehungsgeschichte und zur Debatte des Umweltbegriffs s. u. a. C. Katsos, Nachhaltiger Schutz des kulturellen Erbes. Zur ökologischen Dimension des Kulturgüterschutzes, 2011, S. 441 ff., m.w. N. Ausführlich zur Bestimmung des Begriffs „Umweltschutz“ im Rahmen des UmwRG s. in: 1. Teil, 3. Kap., C., II., 1. 434
102
1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
III. Eingeschränkter Abwehranspruch gegen Umweltbelastungen im Rahmen des Grundgesetzes Die durch das GG gewährleisteten Grundrechte räumen für den Umweltschutz grundsätzlich keine bedeutsame Rechtsposition ein, deren subjektiv-rechtlicher Schutz über die im GG genannten Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum u. a.) hinausgeht.438 Obwohl Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG zum Teil daran denken ließen, ein allgemeines Grundrecht auf „saubere bzw. menschenwürdige Umwelt“ im deutschen Recht zu begründen,439 könnte nach dem herrschenden Grundrechtsverständnis nur ein Abwehranspruch gegen schädliche Umwelteingriffe bestehen, die sich auf die individuelle Sphäre eines Rechtssubjekts negativ auswirken.440 Ein entsprechendes soziales, anspruchsbegründetes Recht ist daher nicht anzunehmen.441 Infolgedessen wird durch das GG nur ein eingeschränkter Kernbereich vor umweltbeeinträchtigenden Maßnahmen geschützt.442 Umweltgüter bzw. Auswirkungen auf Umweltgüter werden ausnahmsweise von den grundrechtlichen Schutzpflichten erfasst, soweit sie mit individuellen Schutzinteressen von Grundrechtsträgern zusammenfallen; also wenn es sich bei ihnen um Individualrechtsgüter handelt.443 Daher werden damit Umweltgüter wie Flora, Fauna, Klima, an denen Menschen bisher keine Rechte haben oder die keinen Vermögenswert aufweisen, nicht erfasst. Dasselbe gilt für die Natur und Landschaft als solche sowie für die Umweltmedien (Wasser, Grundwasser, Boden, Luft) – es sei denn, an ihnen bestünden Nutzungsrechte – und für Einwirkungen auf das Klima oder die Luft, solange dadurch keine Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit oder Sacheigentum beeinträchtigt werden.444
438 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1977 – IV C 51/75, NJW 1978, S. 554; M. Kotulla, KJ 2000, S. 22 ff.; A. Uhle, JuS 1996, S. 96 ff.; R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 2006, § 2, Rn. 3. 439 M. Kloepfer, Umweltrecht 2004, § 3, Rn. 7. 440 Vgl. OVG Berlin, Urt. v. 02.05.1977 – II B 2/77, NJW 1977, S. 2283 ff.; Vorbeugender Rechtsschutz gegen Großkraftwerke im Landschaftsschutzgebiet „Oberjägerweg“. Etwas abweichend: BayVerfGH, Entsch. v. 21.02.1986 – Vf. 6, 7-VII/85, NVwZ 1986, S. 633 ff. 441 B. Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1990, S. 170 ff.; R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 2006, S. 56 ff.; E. Benda, UPR 1982, S. 242 ff. 442 R. Schmidt, in: FS für J. Zacher, 1998, S. 947 ff.; J. Lücke, DÖV 1976, S. 287 ff.; M. Kotulla, KJ 2000, S. 22 ff.; R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 2006, S. 56 ff. 443 Vgl. M. Kotulla, KJ 2000, S. 22 ff.; R. Steinberg, NJW 1996, S. 1986 ff.; M. Möstl, Die staatliche Garantie, 2002, S. 61; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 431 ff.; ausführlich zur Klagebefugnis aufgrund verfassungsrechtlicher Normen: F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2013, Rn. 117 ff., m.w. N. 444 M. Kotulla, KJ 2000, S. 22 ff.; R. Steinberg, NJW 1996 S. 1987; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 431 ff.; R. Klinger, ZUR 2010, S. 169 ff.
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
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Hervorzuheben ist, dass insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht alle Freiheiten schützt.445 Er wird als grundrechtliche Verbürgung der allgemeinen Handlungsfreiheit verstanden. Damit sind alle menschlichen Aktivitäten im Grundsatz grundrechtlich gewährleistet, auch wenn sie Umweltgüter in Anspruch nehmen oder wenn sie mit Umweltnutzung und Umweltverschmutzung einhergehen.446 Fällt somit eine umweltbelastende Tätigkeit (etwa eine umweltbelastende Nutzung von Umweltgütern) nicht in den Schutzbereich eines thematisch benannten Grundrechts, so kann die Generalklausel des Art. 2 Abs. 1 GG eingreifen. Auf diese Weise wirkt Art. 2 Abs. 1 GG auch als allgemeine Umweltverschmutzungsfreiheit.447 Dabei sollte nicht vernachlässigt werden, dass die Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG auch eine individualisierbare und konkrete Betroffenheit, die der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen entgegensteht, voraussetzt. Auch im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG ist diese Voraussetzung aber insbesondere bei Umweltbeeinträchtigungen nur selten erfüllt. Denn bei solchen Fällen handelt es sich grundsätzlich um negative Umweltauswirkungen, die das Dasein des Einzelnen nicht speziell, sondern nur allgemein und unbestimmt betreffen. Daher begründet Art. 2 Abs. 1 GG kein umfassendes Recht auf Umweltschutz zugunsten des Bürgers.448 Vor diesem Hintergrund ist auch ein historisches Urteil des OVG Berlin aus dem Jahr 1977,449 wonach das Abholzen von etwa 50.000 Bäumen in einem Landschaftsschutzgebiet den einzelnen Bürger von Berlin-West in seinen durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. § 1 BNatSchG a. F. geschützten rechtlichen Interessen treffe, weil er auf Grund der Insellage Berlins stärker auf das Vorhandensein und die Erhaltung von Erholungsgebieten angewiesen sei als in anderen Gegenden, als überholt und dogmatisch fragwürdig zu betrachten.450 Demgegenüber kann ein Abwehranspruch des Bürgers gegen gesundheitsgefährdende Umweltbelastungen, die ihrerseits von hinnehmbaren Belästigungen abzugrenzen sind, sich aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergeben. Auch dieser Abwehranspruch scheint aber keinen vollständigen bzw. ausreichenden Schutz insbesondere der kollektiven Güter zu bieten. Da sich dieser Abwehranspruch i. d. R. nur gegen den Staat richtet, während Umweltverschmutzungen regelmäßig auf ein Handeln Privater zurückzuführen
445 Vgl. BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56, NJW 1957, S. 297 ff.; BVerfG, Beschl. v. 06.06.1989 – 1 BvR 921/85, NJW 1989, S. 2525 ff. 446 R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 116 ff., m.w. N. 447 D. Murswiek, DVBl 1994, S. 77 ff.; R. Schmidt, FS für H. Zacher, 1998, S. 948. 448 BVerwG, Urt. v. 29.07.1977 – IV C 51/75 (München), JuS 1978, S. 626. 449 OVG Berlin, Urt. v. 02.05.1977 – II B 2/77, NJW 1977, S. 2283 ff. 450 A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 7, m.w. N.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
sind, läuft die Abwehrfunktion der Grundrechte im Umweltschutz weitgehend leer.451 Art. 2 Abs. 2 GG schützt unter anderem auch ein „ökologisches Existenzminimum“ als Grundrechtsvoraussetzung für den Schutz des menschlichen Lebens sowie der körperlichen Unversehrtheit. Die staatliche Schutzpflicht schlägt sich auch in verfahrensrechtlichen Sicherungen nieder.452 Auch in dieser Hinsicht sind allerdings laut Art. 2 Abs. 2 GG keineswegs alle Umweltveränderungen abwehrbar, die das individuelle Wohlbefinden beeinträchtigen, sondern nur die extrem umweltfeindlichen Staatseingriffe, die ihrer unmittelbaren Wirkung nach körperlichen Schmerzen nahe kommen.453 In diesem Zusammenhang hält auch die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG bislang daran fest, dass der Bürger ein Restrisiko, das mit der Nutzung heutiger Technologien verbunden ist, als sozialadäquat hinzunehmen hat. Demzufolge besteht ein grundrechtlich verbürgter Anspruch auf „Restrisikominimierung“ nicht.454 Schließlich können auch aufgrund Art. 14 GG Umweltbelange nur reflexartig in den Eigentumsschutz einbezogen werden, etwa wenn Umweltschäden reflexiv wegen Verletzungen von Eigentumsrechten entstehen.455 Wenn aber beispielsweise eine unversehrte Landschaft verbaut wird oder eine Pflanzen- oder Tierart verschwindet, sind ihre Auswirkungen auf das Leben des einzelnen nicht unmittelbar spürbar und sogar kaum messbar und bewertbar, und kann daher auch kein Abwehrgrundrecht aufgrund Art. 2 Abs. 1, 2 GG bzw. Art. 1 Abs. 1 GG zugunsten des Bürgers begründet werden.456 Umweltbelange erweisen sich daher vor Gericht i. d. R. als wenig durchsetzungsstark. Denn belastete Dritte, die eine Klage anstreben, müssen oft feststellen, dass nicht um die eigentliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer umweltbelastenden Anlage oder Maßnahme gestritten wird. Im Bereich der Umweltbelange fehlt es offensichtlich an einem ausbalancierten System der subjektiven Rechte.457 Durchsetzungsstarken Einzelinteressen, die zumeist kurz- oder mittelfristig die kollektiven Umweltgüter nutzen bzw. belasten wollen, stehen aufgrund des Individualrechtsschutzsystems „Nichtrechte“ derjenigen gegenüber, 451
R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 1, Rn. 141 ff. M. Kloepfer, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 758 ff. 453 H. Schulze-Fielitz, Art. 2 Abs. 2 GG in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 1998, Rn. 20. 454 BVerfG, Beschl. v. 12.11.2008 – 1 BvR 2456/06, NVwZ 2009, S. 171 ff. 455 Vgl. B. Söhnlein, NuR 2008, S. 254. Über die Grenzen des Haftungsrechts des Eigentums, vgl. K.-H. Ladeur, DÖV 1986, S. 445 ff.; S. Braun, AgrarR 2001, S. 45 ff.; OVG Hamburg, Urt. v. 19.05.1981, OVG Bf VI 76/81, NuR 1982, S. 24 ff. 456 Vgl. M. Kloepfer, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 749. 457 Vgl. M. Zuleeg, DVBl 1976, S. 516; T. Brönneke, ZUR 1993, S. 154 ff. 452
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
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die am langfristigen Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen interessiert sind. Dadurch wird es i. d. R. beispielsweise unmöglich, gesetzlich fixierte Vorsorgestandards gerichtlich einzuordnen.458 So wurde die Klage von einer Reihe von Naturschutzverbänden, mit der mehrere Genehmigungen der Dünnsäureverklappung in der Nordsee, die die Seehunde bzw. Robben in der Nordsee beeinträchtigt haben, angegriffen wurden, als unzulässig abgewiesen.459 Grund für die Zurückweisung dieses „in Geschäftsführung ohne Auftrag“ für die Robben gestellten Antrags war, dass die „Seehunde in der Nordsee“ nicht beteiligungsfähig waren. Es wurde daher ironisch angemerkt, „die Robben haben schlicht keine Vollmacht unterschrieben“. Damit wurde zutreffend auf offenkundige Lücken des Rechtsschutzes aufmerksam gemacht.460 Grund für die Zurückhaltung des Grundgesetzes mag vor allem der Verzicht auf ein ausdrückliches Grundrecht auf Umweltschutz sein. Trotz gewaltiger ökologischer und technischer Entwicklungen, die auch umweltbezogene Gefahren einschließen, sieht der deutsche Gesetzgeber sowie die herrschende deutsche Rechtsprechung immer noch offensichtlich keine Veranlassung, ein solches Recht aus dem Grundgesetz abzuleiten. Zudem enthält das Grundgesetz lediglich eine schwache objektive staatliche Handlungsverpflichtung für den Bereich des Umweltschutzes. Wie gezeigt werden soll, ist die Staatszielbestimmung in Art. 20a GG offen formuliert und überlässt dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Umsetzung dieses Verfassungsauftrags.461
IV. Das Umweltstaatsziel gem. Art. 20a GG Mit der Einführung des Art. 20a GG („Umweltstaatszielbestimmung“) 462 in das Grundgesetz im Jahr 1994 wurde nach langer Diskussion463 bewusst auf die Verankerung eines „Umweltgrundrechts“ verzichtet. Das Umweltstaatsprinzip des Art. 20a GG begründet nur ein reines Staatsziel, das die Umweltgrundlagen unter den besonderen Schutz des Staates stellt, ohne dass der Bürger hieraus i. d. R. einen unmittelbaren Anspruch herleiten kann. Dadurch wurde der Um458
Vgl. T. Brönneke, ZUR 1993, S. 155. Vgl. VG Hamburg, Urt. v. 22.09.1988 – 7 VG 2499/88 (nicht rechtskräftig), NVwZ 1988, S. 1058 ff. 460 Vgl. R. Klinger, ZUR 2010, S. 169 ff. 461 Vgl. A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 7; W. Berg, in: W. Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 427 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 91 ff.; jeweils m.w. N. 462 Gesetz vom 27.10.1994, BGBl. 1, S. 3146 (in Kraft getreten 15.11.1994). 463 Vgl. R. Scholz, Art. 20a, in: G. Dürig/T. Maunz (Hrsg.), GG-Komm., Lfg. 40, 2002; Rn. 44 ff., R. Schmidt/A. Wassiliewski, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 30, m.w. N.; K. Meyer-Teschendorf, ZRP 1994, S. 73 ff.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 104 ff.; T.-J. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltpflicht des Staates, 1996, S. 48 ff. 459
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
weltschutz an prominenter Stelle hinter den Strukturprinzipien der Verfassung in Art. 20 GG positioniert. Insofern kann sich der einzelne Dritte bei der Anfechtung von umweltbelastenden Verwaltungsakten nicht auf Art. 20a GG berufen.464 Aus den Staatszielbestimmungen ergibt sich die Pflicht des Staates, ein effektives und praktisch wirksames Umweltschutzkonzept zu entwickeln.465 Art. 20a GG gewährleistet, dass kollektive Umweltgüter wie Wasser, Luft und Pflanzen, die auf Grund der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik bis dahin nur mittelbar durch das Grundgesetz geschützt wurden, von dem Grundgesetz als Schutzobjekte erfasst werden.466 Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG gibt der Exekutive und Legislative einen Handlungsauftrag zur grundsätzlichen Beachtung und Förderung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere.467 Art. 20a GG fördert den sog. Umweltstaat. Unter dem Begriff des Umweltstaates des Art. 20a GG soll ein Staat verstanden werden, der die Unversehrtheit der Umwelt zu einem wesentlichen Ziel, Maßstab und zur Direktive seiner Entscheidungen macht.468 Dass dieser Umweltstaat unter dem Grundgesetz rechtstaatlich, demokratisch, bundes- und sozialstaatlich strukturiert sein muss, versteht sich dabei von selbst.469 In diesem Zusammenhang richtet sich die Staatszielbestimmung in erster Linie an den Gesetzgeber, der die Aufgabe hat, den in dieser Bestimmung enthaltenen Schutzauftrag in Bezug auf die Umweltgrundlagen zu konkretisieren.470 Dem 464 Vgl. H. Jarass, Art. 20a GG, Rn. 2 ff., in: H. Jarass/B. Pieroth (Hrsg.), GGKomm., 2007; H. Schulze-Fielitz, Art. 20a GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2006, Rn. 23 ff., m.w. N.; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 430 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 4; R. Schmidt, in: FS für H. Zacher, 1998, S. 947 ff.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 104 ff.; D. Murswiek, NVwZ 1996, S. 222 ff.; V. Petersen, UTR 2001, S. 65 ff.; A. Uhle, JuS 1997, S. 97 ff.; S. Westphal, JuS 2000, S. 339 ff.; vgl. dagegen BayVerfGH, Urt. v. 31.05.2006 – Vf. 1-VII-05, BeckRS 2006, 24395; VG München, Urt. v. 31.05.2007 – M 11 K 06.4129, NuR 2007, S. 764 ff.; M. Kloepfer, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 749 ff.; K. Meyer-Teschendorf, ZRP 1994, S. 77 ff.; W. Berg, Staatsrecht, 2011, S. 85 ff.; jeweils m.w. N. 465 Vgl. T. Brönneke, Umweltverfassungsrecht, 1999, S. 228. 466 Vgl. R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 81, S. 83 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 4. 467 Vgl. S. Huster/J. Rux, Art. 20a GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 3. Aufl., 2009, Rn. 27 ff. 468 Vgl. M. Kloepfer, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 747 ff.; D. Murswiek, NVwZ 1996, S. 222 ff.; R. Scholz, Art. 20a GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Komm., 2002, Rn. 32 ff.; W. Berg, in: W. Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 426 ff.; jeweils m.w. N. 469 Vgl. W. Berg, in: W. Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 426, m.w. N. 470 Vgl. W. Berg, Staatsrecht, 2011, S. 86, m.w. N. Zur Kritik einer bisher unzureichenden Umsetzung der Umweltstaatszielbestimmung durch den Gesetzgeber, vgl. V. Petersen, UTR 2001, S. 77 ff.
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
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Gesetzgeber steht aber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dieser Gestaltungsspielraum bezieht sich prinzipiell auf die Wahl der Schutzinstrumente.471 So z. B. ist der Gesetzgeber gerade in Bezug auf das Nachhaltigkeitsprinzip gehalten, weitere Reduktionen beim Treibhausgasausstoß zu erreichen.472 Auch die Rechtsprechung des BVerfG macht eigentlich keine konkreten Vorgaben hinsichtlich des materiellen Schutzniveaus und der Art der durch den Gesetzgeber zu wählenden Steuerungsinstrumente. Ohne daraus detaillierte Handlungspflichten des Gesetzgebers abzuleiten, wies das BVerfG lediglich darauf hin, dass es erforderlich sei, Anreize für Modernisierungsmaßnahmen zu setzen.473 Dadurch scheint es allerdings, dass das BVerfG nicht Vordenker eines konkreten Umweltschutzprogramms sein will.474 Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber die Möglichkeit – nicht aber die Verpflichtung – die Umweltstaatszielsetzung auch durch überindividuelle Rechtsbehelfe zu realisieren.475 Die Funktion der Staatsziele des Art. 20a GG besteht somit nicht zuletzt in der Legitimation von Grundrechtseingriffen aus Gründen des Umwelt- oder Tierschutzes. Dabei ist es primär Aufgabe des Gesetzgebers, die einschlägigen Rechtsbeschränkungen vorzunehmen.476 In der Praxis kommt der Umweltstaatszielbestimmung auch bei der Rechtsanwendung Bedeutung zu, da die Verwaltungsbehörden und die Gerichte sowohl bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe als auch bei der Ermessensausübung und ähnlichen Abwägungsvorgängen dazu verpflichtet sind, die Belange des Umwelt- und Tierschutzes angemessen zu berücksichtigen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn diese Belange vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich für abwägungsrelevant erklärt wurden. Hieraus ergibt sich allerdings kein genereller Vorrang des Art. 20a GG.477
471 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05, NVwZ 2007, S. 937 ff.; BVerfG, Beschl. v. 25.07. 2007 – 1 BvR 1031/07, NVwZ 2007, S. 1168 ff. 472 BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05, NVwZ 2007, S. 937 ff. 473 BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05, NVwZ 2007, S. 941 ff.; s. auch dazu A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 4; so z. B. (laut BVerfG, Beschl. v. 25.07. 2007 – 1 BvR 1031/07, NVwZ 2007, S. 1168 ff.) kann der Gesetzgeber Umweltpolitik ebenso durch eine Beimischungspflicht wie durch Steuersubventionen betreiben. 474 Vgl. A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 4. 475 Vgl. BVerwG, Urt. v. 06.11.1997 – 4 A 16/97, NVwZ 1998, S. 398 ff.; T. Brönneke, Umweltverfassungsrecht, 1999, S. 228 ff.; S. Schlacke, § 42 VwGO (Überindividueller Rechtsschutz im Verwaltungsprozess), in: K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm. 2013, Rn. 20. 476 Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.2006 – 8 C 13/05, NVwZ 2006, S. 690; vgl. auch BayVerfGH, Urt. v. 31.5.2006 – Vf. 1-VII-05, Anm. B. Söhnlein, NuR 2008, S. 251 ff. 477 Vgl. R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 2006, § 2, Rn. 3; S. Huster/J. Rux, Art. 20a GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 3. Aufl., 2009, Rn. 31 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Im Allgemeinen muss auch berücksichtigt werden, dass die in Art. 20a GG enthaltene Staatszielbestimmung des Schutzes natürlicher Lebensgrundlagen keinesfalls zur Einführung einer umweltrechtlichen VK verpflichtet. Es bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten, über die Zulassung einer umweltschützenden VK im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben eigenständig zu befinden.478 Problematisch erweist sich zudem die Tatsache, dass die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zur Förderung des Umweltschutzes im Interesse auch der künftigen Generationen bislang eines verwaltungsgerichtlichen Unterbaus entbehrt. Denn diese Vorschrift geht praktisch weitgehend ins Leere, weil sie von einzelnen Rechtspersonen nicht geltend gemacht werden kann. Daher ist sie seit ihrer Einführung in jeder Hinsicht bedeutungslos geblieben.479 1. Die anthropozentrische Perspektive des Umweltstaatsziels Bei einer näheren Betrachtung wird deutlich, dass dem Grundgesetz im Allgemeinen und dem Art. 20a GG im Besonderen eine anthropozentrische Perspektive zugrunde liegt.480 Denn die Verfassungsordnung und die Tätigkeit der 478 BVerfG, Beschl. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481 und 518/01, NVwZ 2001, S. 1149; BVerwG, Urt. v. 18.04.1996 – 11 A 86.95; VG Berlin, Urt. v. 06.05.2004 – 14 A 17.04, NuR 2005, S. 129); J. Ziekow/Seelig, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, S. 28; W. Berg, Staatsrecht, 2011 S. 86; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1035; R. Steinberg, DÖV 2000, S. 94; F. Fellenberg/G. Schiller, Vorb. UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35, m.w. N.; weitergehend auch S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 65 ff., die aus Art. 20a GG ein Gebot der effektiven Ausgestaltung überindividueller Klagebefugnisse ableitet. 479 Vgl. Gesetzentwurf der Abgeordneten E.-M. Bulling-Schröter, K. Naumann, R. Neuhäuser, W. Wolf, R. Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege (sog. Alternativentwurf), BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 45 ff. 480 Anthropozentrik ist eine ideologische Anschauung, nach welcher der Mensch Mittelpunkt der Welt und Zweck des Weltgeschehens ist. Nach dieser Denkform prägt die Subjektivität des Menschen die leitende Seinsvorstellung, von der her alle anderen Seinsweisen abgeleitet werden (J. Petersen, ARSP 1997, S. 361; S. Daecke, in: Ökologische Theologie, 1989, S. 277 ff.; M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 27 ff.). Wurzeln der anthropozentrischen Lehre kann man schon in der antiken Lehre von Platon [vgl. Platon, Werke/Bd. 7 – Timaios (herausgegeben und überarbeitet von G. Eigler), 1990, 28 ff., 30 c, d; ders., Werke/ Bd. 4 – Politeia (Der Staat) (herausgegeben und überarbeitet von G. Eigler), 1990, 510d; G. Hager, JZ 1998, S. 225; W. Beierwaltes, Identität und Differenz, 1980, S. 142) und Aristoteles (Aristoteles, Metaphysik (Hrsg. und Übers. von F. Schwarz), 2000, 1072 b 15; P. Kondylis, Die Aufklärung, 1981, S. 65 ff.; U. Krolzik, Säkularisierung der Natur, 1988, S. 42; G. Hager, JZ 1998, S. 225)] entdecken. Relevant dazu ist auch die Lehre von St. Augustinus von Hippo (353–430 n. Chr.) und Boethius (480–524 n. Chr.), wonach der Mensch das Zentrum des Ganzen und daher der Natur übergeordnet ist (A. Kesselopoulos, in: Umweltpolitik in Griechenland, 1998, S. 294 ff.; R. Gkekas/ C. Kandilapti/K. Tsakiris, Eýploia (auf griechisch), Januar 2008 (Heft 18); J. Zizioulas, King’s Theological Review, Spring 1989, S. 3.). Im späteren Mittelalter,
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
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unter dem Einfluss der Lehre der Scholastik (einer ihrer großen Lehrmeister war Thomas von Aquin 1225–1274 n. Chr.), wurde die Anthropozentrik systematisch theologisch-philosophisch erarbeitet und begründet. Ausgangspunkt der anthropozentrischen Lehre war vor allem der biblische Abschnitt aus der Genesis: „Macht Euch die Erde Untertan“ (Gen. 1, 28). Das besagt zusammengefasst der herrschenden scholastischen Ansicht der thomanischen Lehre nach, dass kraft der Vollmacht Gottes die nichtmenschliche, „unbeseelte“ Natur dem Befehl des Menschen unterzuordnen ist. Die Anthropozentrik der thomanischen Denkform erkennt und betont somit einen sachlichen Vorrang des Menschseins gegenüber dem welthaft-gegenständlichen Vorhandensein. Gleichwohl bleibt die Natur bei der scholastischen Lehre immer noch Produkt des einen Gottes, ist aber als etwas Nicht-Gottgleiches abgewertet. (Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden, Bd. III, 1996, 22, 2030d; G. Picht, Der Begriff der Natur und seine Geschichte, 1989, S. 58; O. Kimminich, Umweltschutz, 1987, S. 39 ff.; J. Zizioulas, King’s Theological Review, Spring 1989, S. 3; J.-B. Metz, Christliche Anthropozentrik, 1962, S. 43 ff., S. 62 ff., s. dazu auch J. S. Eriugena, Über die Einteilung der Natur, 1983; A. Fremantle, in: The Great Ages of Western Philosophy vol. 1, 1962, S. 57 ff.). Zwar betont die thomanische Lehre der Scholastik den Vorrang des Menschen gegenüber der gegenständlichen Umwelt sowie die Verantwortung des Menschen hinsichtlich einer vernünftigen Verwaltung der natürlichen Umwelt, weil der Vorrang des Menschen gegenüber der Welt nicht ausbeuterisch, sondern ein Gestalten, Bebauen und Hüten zum Wohl der Menschen und der Natur sei. Schließlich aber hat diese Ansicht im Ergebnis den strengen Dualismus zwischen beseeltem Geist und unbeseelter Materie gefördert. (H. Münk, in: FS für F. Furger, 1995, S. 385 ff.; J.-B. Metz, Christliche Anthropozentrik, 1962, S. 50 ff.; O. Kimminich, Umweltschutz, 1987, S. 41 ff.). Daraus folgte eine strenge Trennung zwischen Geist und Materie, die die vollständige Autonomie des beseelten Menschen von der unbeseelten Natur förderte. In diesem Rahmen hat Barlaam von Kalabrien (1250 bis 1348 n. Chr.) als Träger der scholastischen Lehre unterschätzt, dass die wissenschaftliche Kenntnis reicht, damit das wissenschaftlich ausgebildete Individuum Gott transzendieren kann (J. Kuhlmann, Geist und Leben 1984, S. 352 ff.; H. Vlachos, Orthodox Psychotherapy, 2006, S. 152; U. Krolzik, Säkularisierung der Natur, 1988, S. 52 ff.). Entgegen dieser Lehre hat die ostkirchliche orthodoxe Theologie Einwände gegen die Idee der Unterordnung der Natur unter den Befehl des Menschen erhoben. Denn aufgrund deren theozentrischer Lehre besagt die überragende Stelle des Menschen in der gänzlichen Schöpfung keineswegs eine strenge Trennung des Menschseins von der natürlichen Umwelt oder des Geistes von der Materie. Vielmehr handelt es sich um ein triadisches Verhältnis zwischen Gott, Menschen und natürlicher Umwelt, dessen oberster Zweck die Union – als perfekte Vollendung – der Schöpfung mit Gott ist. [G. Palamas, Triads (übers. v. N. Gendle), 1983, S. 1, S. 6 ff., S. 25 ff., S. 29 ff.; J. Zizioulas, Die Schöpfung als Eucharistie (auf griechisch), 1998, S. 115 ff.; A. Kesselopoulos, in: Umweltpolitik in Griechenland, 1998, S. 299 ff.; Johannes von Damaskus, Adversus eos qui sacras imagines abiciunt, oratio II, in: J.-P. Migne (Hrsg.), Patrologia Greaca, Bd. 94, 1864, S. 1300AB]. Insofern kann der Mensch nicht autonom von der natürlichen Umwelt existieren und gedacht werden. Je nachdem, wie der Mensch die natürliche Umwelt nutzt, zeigt dies entsprechend seine Tugend oder seine Verderbtheit vor Gott auf. [Vgl. Maximus der Bekenner, in: J.-P. Migne (Hrsg.), Patrologia Greaca, Bd. 90, 1865, S. 981B; Anm. dazu K. Zachos, Das verlorene Anvertrauen, 1998, S. 48 ff.; J. Zizioulas, Die Schöpfung als Eucharistie, 1998, S. 111 ff. (auf griechisch); R. Gkekas/C. Kandilapti/K. Tsakiris, Eýploia (gr. Zeitschr.; auf griechisch), Januar 2008. Allerdings wurde die ostkirchliche Lehre hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur grundsätzlich unterschätzt. Die abendländische Skepsis hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur wurde im Zeitpunkt der Renaissance
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
weiterentwickelt, während die entsprechende ostkirchliche orthodoxe Lehre unter der osmanischen Herrschaft, obwohl sie in ihrer Basis prinzipiell unverändert blieb, grundsätzlich ihren Einfluss an das Abendland verlor (vgl. P. Gregorius, The human presence. An orthodox view of nature 1977, S. 72 ff.; S. Runciman, The Orthodox Churches and the Secular State, 1971, S. 26 ff.; T. Ware, The Orthodox Church, 1997, S. 87 ff.). Auch unter dem Einfluss der scholastischen dualistischen Lehre vertrat Francis Bacon (1561–1626) die Ansicht, dass die Natur die „Sklavin“ des Menschen sei, die zum Gehorsam gezwungen werden müsse, denn „die Natur nämlich läßt sich nur durch Unterwerfung erzwingen“ [F. Bacon, Das neue Organon (Novum Organon), M. Buhr (Hrsg.), 1982, II, 3; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, § 14, S. 277 ff.; C. Whitney, Francis Bacon, 1989, S. 10 ff.; S. Rappel, „Macht euch die Erde untertan“, 1996, S. 287 ff.]. Dabei ging René Descartes von einem strengen Dualismus (Geist/Materie) aus. Selbst der menschliche Körper hat einen niedrigeren Rang als der menschliche Geist. Seiner Auffassung nach wären der menschliche Körper, Tiere, Pflanzen, Steine, Wasser usw. Materie, die nach rein mechanischen und berechenbaren Gesetzen funktionieren. Der freie Geist demgegenüber wäre spezifisch menschlich. Allein der menschliche freie Geist sei somit das zweifelnde Subjekt. Daraus ergibt sich, dass die materiellen, nicht denkenden Geschöpfe (d. h. auch die natürliche Umwelt) einen niedrigen Wert haben und den denkenden Geschöpfen, also den menschlichen Zwecken, unterzuordnen sind (R. Descartes, Meditationes de Prima Philosophia, 1994, II, 7 ff., S. 82 ff.; ders., Discours de la Méthode, 1948, V, S. 129 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, § 14, S. 273 ff.; G. Hager, JZ 1998, S. 225). Ausgehend von der Trennung des „Beseelten“ vom „Unbeseelten“ formulierten Bacon und Descartes emphatisch und begründeten durch ihre philosophische Lehre den Anspruch der Herrschaft des Menschen über die Natur im Interesse des menschlichen, subjektiven Fortschritts. Infolgedessen wurde der Mensch als grenzenloser Herrscher der natürlichen Umwelt gedacht; eine Ansicht, die offensichtlich prinzipiell den sozialpolitischen sowie wirtschaftlichen Interessen der jeweils machthabenden Sozialklasse diente (vgl. J. Reiche/G. Fülgraff, ZfU 1987, S. 234; S. Rappel, „Macht euch die Erde untertan“, 1996, S. 301 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 239 ff., S. 278 ff.; G. Hager, JZ 1998, S. 225 ff.; H. Kempf, Comment les riches detruisent la planète, 2007, S. 58 ff.; W. Lepenies, in: Natur und Geschichte, 1983, S. 263 ff.; L. White, Science 1967, S. 1206). Der entsprechenden Lehre von John Locke (1632–1702 n. Chr.) nach, die von puritanischen Gedanken der calvinistischen Arbeitsethik (s. dazu P. Himanen, Die HackerEthik, 2001, S. 27; M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 2004, S. 152 ff., S. 182 ff.; R. H. Tawney, Religion and the Rise of Capitalism, 1977, S. 271 ff.; W. Sombart, Der moderne Kapitalismus, 1916, S. 24 ff.) stark beeinflusst war, ist das bloße Dasein an sich völlig wertlos. Daher ist die Nicht-Nutzung von Vermögen bzw. Eigentum ein verfehltes Verhalten, das sich dem Naturgesetz widersetzt. Die Natur ist somit gar nichts von alleine. Sie bekommt einen Wert für das Individuum nur in den durch Menschen bearbeiteten und für den Menschen nützlichen Formen (J. Locke, Two Treatises of Government, 1698, Book II, Ch. 5, § 25 ff.). Im Anschluss daran hat die ethische Lehre des Immanuel Kant (1724–1804) den Menschen als „Subjekt der Moralität“ und „Endzweck der Natur“ qualifiziert. Daraus folgte, dass der Mensch sittliche Verpflichtungen nur gegen sich selbst und andere haben kann, die selbst wiederum „Subjekt der Moralität“ und „Endzweck der Natur“ sind. Gegenüber der Natur ist der Mensch aber nur indirekt verpflichtet, denn durch die Rücksicht auf die natürliche Umwelt erfüllt er im Ergebnis bloß seine Pflicht gegen sich selbst (I. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, § 17 A 106 ff.; dagegen: W. J. von Schelling, Sämtliche Werke, 1. Bd., 1967, S. 47.). Ferner war man in der sog. utilitaristischen Lehre von Jeremy Bentham (1748–1832 n. Chr.) und John S. Mill (1806–1873
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz
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Staatsorgane sind ihrer ganzen Natur nach auf den Menschen und auf die künftigen Generationen ausgerichtet.481 Dieser Ausgangspunkt schließt allerdings nicht notwendigerweise aus, dass die Natur auch um ihrer selbst willen und unabhängig von den Interessen und Bedürfnissen der Menschen geschützt wird.482 Diese Ansicht geht offensichtlich von den Grundlagen des traditionellen Individualrechtsschutzsystems aus und ist mit ihm vereinbar. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen im Ergebnis zumindest eine anthropozentrische Tendenz aufweist, muss dieser Begriff weit verstanden werden. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nach Art. 20a GG hat auch globale Wirkungszusammenhänge zu beachten und ebenso dient er auch dem Nachweltschutz („Verantwortung für die künftigen Generationen“). Er umfasst nicht nur das ökologische Existenzminimum für das n. Chr.) der Überzeugung, dass das Erreichen von Glück oder Lust das Hauptziel des menschlichen Lebens sei, denn angeblich streben alle Menschen (von Natur aus) danach, Lust zu gewinnen und Unlust zu vermeiden. Um das zu verwirklichen, müsse der Mensch seinen Willen und seine Wünsche ausreichend befriedigen (J. S. Mill, Der Utilitarismus, 1985; in diese Richtung auch J.-B. Say, Cours complet d’économie pratique politique, 1844, S. 36 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht 2001, S. 239 ff.; P. Wenz, Environmental Justice, 1988, S. 158 ff., m.w. N.). Vor diesem Hintergrund wurden bei der utilitaristischen Theorie künstliche und irrationale Präferenzen, die häufig mit der Erzeugung und dem Konsum von Produkten zu tun hatten, natürlichen und rationalen Präferenzen gleichgestellt und daher gleich gewichtet. Dies aber führte gerade zu einer irrationalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (P. Wenz, Environmental Justice, 1988, S. 211 ff., m.w. N.). Vor diesen prägenden historischen ideologischen Hintergründen hat der Mensch einen Eigenwert herausgebildet, der relativ unabhängig von der restlichen Umwelt ist. Dabei wurde die Auffassung der Trennung des Menschen von der Natur während der Zeit der Industrialisierung bis zur aktuellen postmodernen Gesellschaft in der Praxis durchgesetzt. All dies – in Verbindung mit weiteren wirtschaftspolitischen und sozialen Faktoren – hat schließlich zu der heutigen Etablierung der anthropozentrischen Gesetzgebung auch hinsichtlich des Rechtsschutzes der natürlichen Lebensgrundlagen wesentlich beigetragen, wie sie trotz Differenzierungen und Abweichungen in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen sowie im EU-Recht prinzipiell besteht (J. Weber, IUR 1991, S. 81 ff.; H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1984, S. 57; G. Hager, JZ 1998, S. 227 ff.; M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 27, m.w. N.). Denn letztlich sind Gesetze eine präskriptive Formulierung der Moral und der Ethik einer Kultur. Insofern hat das Konzept für die Natur offensichtliche Auswirkungen auf die Gründe der Formulierung der umweltrechtlichen Gesetzgebung, sowohl national als auch international (vgl. R. Kennedy, ISLR 1998, http://www. islr.ie/Reviews/1998/environment.php, m.w. N.; K. Heinz, Der Staat 1990, S. 416 ff.). 481 Diese Einstellung des Gesetzgebers wurde offensichtlich auch von der Argumentation von Hans Jonas beeinflusst. Jonas hat charakteristisch darauf hingewiesen, dass der Mensch so handeln soll, dass die Folgen seines Tuns mit einem künftigen menschenwürdigen Dasein vereinbar sind, d. h. mit dem Anspruch der Menschheit, auf unbeschränkte Zeit zu leben. Vgl. dazu H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1984. 482 Vgl. R. Scholz, Art. 20a, in: G. Dürig/T. Maunz (Hrsg.), GG-Komm., Lfg. 40, 2002; Rn. 38 ff.; S. Huster/J. Rux, Art. 20a GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 3. Aufl., 2009, Rn. 11 ff.; M. Möstl, Die staatliche Garantie, 2002, S. 62; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 430 ff., S. 440 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Überleben von Menschen im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, sondern alle natürlichen, also nicht vom Menschen geschaffenen Grundlagen des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens (Luft, Wasser, Boden sowie lebende Organismen, Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen). Dabei sind auch die jeweiligen Wechselbeziehungen zu beachten. Insofern werden nicht nur einzelne Organismen oder Phänomene, sondern ganze Ökosysteme geschützt. Um festzustellen, ob und inwieweit sich die Aktivitäten des Staates auf die natürlichen Lebensgrundlagen auswirken, ist somit ggf. eine Gesamtbetrachtung erforderlich.483 Da es jedoch keine übergeordnete Instanz gibt, die das Schutzniveau definieren könnte, geschieht eine eher ökozentrische Gesamtbetrachtung der natürlichen Lebensgrundlagen wiederum nur dann, wenn und insoweit die Menschen – im Rahmen demokratisch organisierter Entscheidungsprozesse – zu dem Ergebnis kommen, dass ein solcher Schutz notwendig sei.484 In einer Rechtsordnung, die von Menschen gebildet wurde, ist es logisch, dass allein der Mensch nach seinem Verständnis Schutzgüter benennt und bestimmt. Deswegen liegt es in der Natur der Sache, dass die anthropozentrische Perspektive auch dem Grundgesetz inhärent ist.485 Letztlich wird die normative Grenze der menschlichen Eingriffe in die natürliche Umwelt nicht von der Natur gesetzt, sondern durch die zur Rücksichtnahme gegenüber der Natur verpflichtete Gesellschaft.486 Die anthropozentrische Perspektive des Umweltstaatsziels im Individualrechtsschutzsystem der deutschen Rechtsordnung bildet somit noch eine Konzeption i.V. m. der herrschenden Schutznormlehre, die den Weg zu einem umfangreichen Rechtsschutz zugunsten der kollektiven Umweltgüter erschwert. Das Grundgesetz enthält kein Grundrecht auf Umweltschutz, sondern nur eine Staatszielbestimmung bezüglich des Umweltschutzes (Art. 20a GG), die auch vom anthropozentrischen Denken geprägt ist. Dabei steht vor allem der Legislative und Exekutive ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Art und Weise des Umweltschutzes zur Verfügung. Aus den Grundrechten kann somit nur eingeschränkt ein Abwehranspruch zugunsten der Umwelt abgeleitet werden, soweit eine Umweltbelastung die individuelle Sphäre eines Rechtssubjekts betrifft. Dies bedeutet, dass kollektive umweltbezogene Rechte insb. im Außenbereich i. d. R. keinen Rechtsschutz im Rahmen des Grundgesetzes genießen können, es sei denn, dass die Verletzung von überindividuellen umweltbezogenen Rechten gleichzeitig ein subjektives öffentliches Recht eines Rechtssubjekts beeinträchtigt. Es muss aber gleichwohl unterstrichen werden, dass das Umweltstaatsziel 483 Vgl. S. Huster/J. Rux, Art. 20a GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 2009, Rn. 11 ff.; M. Möstl, Die staatliche Garantie, 2002, S. 62. 484 Ebd. 485 Vgl. M. Kloepfer, Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 27; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 431 ff. 486 Vgl. R. Wolf, ARSP, 1994, S. 178.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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des Art. 20a GG dem Gesetzgeber nicht verbietet, die Umweltstaatszielsetzung auch durch überindividuelle Rechtsbehelfe zu realisieren. Diese soll allerdings eher eine Möglichkeit sein, nicht aber eine Verpflichtung.
E. Die Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts I. Allgemeines Die oben dargestellten grundlegenden Normen des deutschen Individualrechtsschutzsystems wirken entsprechend restriktiv auch auf den Rechtsschutz mittelbar betroffener Dritter im Sonderbereich des materiellen Umweltrechts. Diese Problematik soll an dieser Stelle skizziert werden mit der Hoffnung, dass ein besseres Verständnis dieser zu einem effektiven Umgang mit ihr führen könnte. Wie schon gezeigt wurde, hat die restriktive Klagebefugnis des deutschen Individualrechtsschutzsystems im Zusammenhang mit der Einhaltung der Grundsätze der traditionellen Schutznormtheorie zur Folge, dass nur eine geringe Zahl umweltrechtlicher Normen drittschützende Wirkung aufweist.487 Auf die Verletzung solcher Normen kann sich ein Kläger deshalb nur in Ausnahmefällen berufen, wenn er durch umweltbelastende Taten oder Unterlassungen in seinen Rechten unmittelbar verletzt wird.488 Im Hinblick darauf hat auch die deutsche Rechtsprechung in einem mühevollen Prozess eine umfassende und komplexe Kasuistik für die Zuerkennung drittschützender umweltrechtlicher Normen geschaffen, die grundsätzlich die restriktive Funktion der Schutznormtheorie auch im Bereich des Umweltschutzrechts gewährt.
II. Zum Drittschutz im Immissions- und Emissionsschutzrecht Zunächst ist im zentralen umweltschützenden Bereich des Immissions- und Emissionsschutzrechts die restriktive rechtsschützende Wirkung des deutschen Individualrechtsschutzsystems aufzuspüren. Dies liegt prinzipiell an der speziellen Doktrin der sog. Gefahr-Vorsorge-Dichotomie, die unter dem Einfluss der 487 M. Kloepfer, Umweltrecht, § 8, Rn. 16 ff., 2004; ders., VerwArch 1985, S. 371 ff.; H. Jarass, in: FS für R. Lukes, 1989, S. 58. 488 Daher werden Umweltschutzbelange nur berücksichtigt, soweit sie an individuellen Rechtspositionen festgemacht werden können. Vgl. ständige Rechtsprechung VGH München, Urt. v. 08.06.1988 – 22 B 83 A. 1681, NVwZ 1989, S. 484; BVerwG, Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47/96, NuR 2000, S. 628 ff.; C. Heitsch, JA 2001, S. 258 ff.; B. Söhnlein, NuR 2008, S. 253; K. Ladeur, DÖV 1986, S. 445; C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht, 2005, S. 22 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 150; R. Steinberg, UPR 1984, S. 350 ff.; C. Sailer, DVBl 1976, S. 521 ff.; R. Breuer, DVBl 1986, S. 849 ff.; M. Ronellenfitsch/R. Wolf, NJW 1986, S. 1955 ff.; S. Langer, NuR 1986, S. 272 ff.; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Schutznormlehre in der deutschen Rechtsordnung entwickelt wurde. Daraus ergibt sich ein Katalog von drittschützenden und nichtdrittschützenden Normen, dessen Problematik im Folgenden zusammenfassend erörtert werden soll. 1. Zu den Begriffen der „Gefahr“ und der „Vorsorge“ Vor dem Hintergrund des strikt individuell ausgerichteten deutschen Rechtsschutzsystems formuliert die deutsche Judikatur im Umweltrecht die sog. Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin. Dadurch spiegelt sich im Ergebnis die Rechtsschutzproblematik des deutschen Individualrechtsschutzsystems wider. Die sog. Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin sieht die staatliche Vorsorge für Leben und Gesundheit Dritter gegenüber nur vielleicht schädlichen Handlungen der Mitbürger als bloß öffentliches Interesse und erkennt grundsätzlich nur eine Einklagbarkeit der Gefahrenabwehr, also der direkten Abwehr offenkundig kurzfristig schädigenden Tuns der Mitbürger durch den Staat, an. Die Vorsorge sei allenfalls durch eine „objektivrechtliche“ Garantie (z. B. aufgrund Art. 2 Abs. 2 GG) gewährleistet.489 In diesem Rahmen sind Normen, die der Gefahrenabwehr dienen, drittschützend, während Vorschriften, die der Vorsorge dienen, von den Drittbetroffenen grundsätzlich nicht einklagbar sind.490 Begründet wird dies vor allem damit, dass die Vorsorge nicht auf einen greifbaren Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Schaden in Bezug auf einzelne Personen und einen abgrenzbaren Personenkreis ziele, sondern der Schaffung von Sicherheitsabständen diene. Damit sei niemand aus der „Allgemeinheit“ herausgehoben und folglich auch keine Klagebefugnis gegeben, weil kein Recht i. S. v. Art. 19 Abs. 4 GG und § 42 Abs. 2 VwGO betroffen sei.491 Um konkreter zu werden, liegt im Hinblick auf die Doktrin der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie eine Gefahr dann vor, wenn es bei einem objektiv zu erwartenden, ungehinderten Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nach dem Gesetz der Kausalität zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung (also zu einem Schaden) eines rechtlich geschützten Gutes kommt.492 Die Rechtspre489 BVerwG, Beschl. v. 10.01.1995 – 7 B 112/94 (Münster), NVwZ 1995, S. 995. Modifiziert unterstützt wird die deutsche Judikatur z. T. im Schrifttum, das den Grundrechtsschutz „vor den Mitbürgern“ als prinzipiell subjektiv-rechtlich ansieht, aber gleichwohl die Vorsorgeeinklagbarkeit negiert. Vgl. P. Kunig, Jura 1991, S. 417 ff.; W. Rüfner in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. V 2000, § 116, Rn. 17, m.w. N.; J. Isensee, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. V 2000, § 111, Rn. 183 m.w. N. 490 Vgl. D. Murswiek, DV 2005, S. 245, m.w. N.; M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 382; ders., Umweltrecht 2004, § 3, Rn. 18; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 151. 491 F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 623 ff.; m.w. N. 492 Vgl. PrOVGE 67, S. 334; BVerwG, Urt. v. 13.12.1967 – IV C 146/65, NJW 1968, S. 764; BVerwG, Urt. v. 17.03.1981 – 1 C 74/76, BVerwGE 62, S. 36 ff., DVBl 1981,
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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chung des BVerwG493 hat durchaus festgestellt, dass es sich dann um eine Gefahr handeln könne, wenn der Kausalzusammenhang zwischen Anlagenbetrieb und möglichem Schaden eindeutig nachgewiesen ist. Bei einem durch bestehende Unsicherheiten über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gekennzeichneten Gefahrenverdacht fehle hingegen die Schutzpflicht des Staates.494 Im Anschluss daran soll sich somit die (immissionsschutzrechtliche) Schutzpflicht zur Gefahrenabwehr nach herkömmlichem Verständnis auf Handlungen beziehen, die in absehbarer Zeit bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit unmittelbar einen Schaden herbeiführen.495 Sie diene der Abwehr erkannter Gefahren und der Vorbeugung gegenüber künftigen Schäden, die durch solche Gefahren hervorgerufen werden können.496 Zum Schutzbereich der Gefahrenabwehr stehen grundsätzlich Immissionen im Vordergrund, also die auf die Rechtssphäre des Einzelnen einwirkenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen u. a. (vgl. § 3 Abs. 2 BImSchG).497 Parallel dazu liegt beim Gefahrenverdacht i. d. R. dann ein Risiko vor, das als Gefahr zu qualifizieren ist, wenn auf der Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse die Wahrscheinlichkeit hinreichend groß ist oder sein wird, dass der prognostizierte Kausalverlauf zu einem Schaden führen wird.498 Hier findet beispielsweise die Problematik des „Waldsterbens“ ihren Ansatzpunkt. Da die Ursachen und Wirkungszusammenhänge des „Waldsterbens“ bisher naturwissenschaftlich nicht hinreichend geklärt sind, ist es bislang auch nicht möglich, die Kausalität bestimmter Emissionen für diese Schäden mit einer, für den Nachweis
S. 769 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 83; ders., DV 2005, S. 245 ff.; W. Martens, DVBl 1981, S. 597 ff. 493 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02, NVwZ 2004, S. 610 (Nanopartikel); J. Gantzer, VBlBW 2004, S. 174 ff. 494 R. Breuer, NJW 1986, S. 847 ff.; W. Martens, DVBl 1981, S. 600. Kritisch dazu E. Kutscheidt, in: FS für K. Redeker, 1993, S. 446; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 10, Rn. 153. 495 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, NVwZ 1986, S. 208 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.2.1984 – 7 C 8/82 (Mannheim), BVerwGE 69, S. 37, S. 42 ff.; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 628; M. Möstl, in: U. Hösch (Hrsg.), Zeit und Ungewissheit im Recht, Liber amicorum zum 70. Geburtstag von W. Berg, Staatsrecht 2011, S. 270 ff. 496 Vgl. E. Kutscheidt, in: FS für K. Redeker, 1993, S. 444, S. 449; R. Wahl/ P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGOKomm., 2013, Rn. 153; ausführlich über die Rechtsfigur der Gefahr und das Gefahrenvorfeld in der Rechtsprechung s. M. Möstl, DVBl 2007, S. 581 ff., S. 587 ff.; ders., in: U. Hösch (Hrsg.), Zeit und Ungewissheit im Recht, Liber amicorum zum 70. Geburtstag von W. Berg, 2011, S. 268 ff., S. 282 ff. 497 Vgl. P. Huber, AöR 1989, S. 290; R. Breuer, DVBl 1986, S. 855. 498 F. Ekardt/D. Susnjar, ZG 2007, S. 146 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 382 ff., S. 386; ders., DV 2005, S. 246, m.w. N.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
einer Gefahr zu fordernden Sicherheit festzustellen.499 Gleiches könnte bei entsprechenden Fällen gelten, z. B. bei der Anwendung von dubiosen Gentechnikmethoden oder ungewissen Produktionsmethoden. Demgegenüber ist nach Auffassung der Europäischen Kommission ein Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip dann möglich, wenn ein Phänomen, Produkt oder Verfahren potenzielle Gefahren birgt, die durch eine objektive wissenschaftliche Bewertung ermittelt wurden, und wenn sich das Risiko nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen lässt. Der Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip erfolgt somit im Rahmen der allgemeinen Risikoanalyse (die außer der Risikobewertung auch das Risikomanagement und die Information über die Risiken umfasst), und zwar konkret im Rahmen des Risikomanagements, d. h. des Entscheidungsfindungsprozesses. Der Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip ist somit nur gerechtfertigt, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind: a) Ermittlung der möglichen negativen Folgen; b) Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Daten; c) Bewertung des Grades der wissenschaftlichen Unsicherheit.500 Zweck der Vorsorge ist es vor allem, die Emissionen aufgrund des jeweiligen Standes der Technik zu begrenzen sowie den Schutz der natürlichen Umwelt und der menschlichen Gesundheit dort zu verbessern, wo Gefahrenabwehr wegen Erkenntnisdefiziten, wie sie insbesondere bei neuen Stoffen und neuen Technologien bestehen, zum effektiven Rechtsgüterschutz nicht ausreicht.501 Unter dem Begriff Emissionen der Anlagen sind die von Anlagen ausgehenden Umweltbelastungen, unabhängig davon, ob sie sich im Einzelfall unmittelbar auf die Rechtssphären Dritter auswirken, zu verstehen.502 Kurzgefasst bezweckt die Vorsorgepflicht die Schaffung von Sicherheitsabständen unterhalb der Gefahrenschwelle.503 Die Vorsorgepflicht dient somit der Reduzierung des Risikos, das nicht mehr als Gefahr erkannt oder bewertet wird. 499 Vgl. BVerfG, Urt. v. 26.05.1998 – 1 BvR 180/88, NVwZ 1998, S. 1285; BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 – 7 C 8/82, NVwZ 1984, S. 373 ff. 500 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung v. 02.02 2000, KOM (2000) 1, S. 15 ff. Analyse dazu I. Appel, NVwZ 2001, S. 395 ff.; W. Sascha, UPR 2001, S. 335 ff.; W. M. Kühn, ZEuS 2006, S. 496 ff. Im Ergebnis gehören zum Vorsorgegebot einerseits Fälle, in denen auf Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse das Risiko nicht hinreichend groß ist, weil in Zusammenhang mit der Größe des potenziellen Schadens die Eintrittswahrscheinlichkeit zu gering ist, andererseits Fälle, in denen das empirische Material nicht ausreicht, um darauf überhaupt eine Aussage über die ungefähre Größe der Wahrscheinlichkeit stützen zu können, angeführt werden. s. auch E. Kutscheidt, in: FS für K. Redeker, 1993, S. 444, S. 449; D. Murswiek, DV 2005, S. 247. 501 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung v. 02.02 2000, KOM (2000) 1, S. 2; I. Appel, NVwZ 2001, S. 396 ff.; W. M. Kühn, ZEuS 2006, S. 496 ff.; E. Kutscheidt, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 440; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 10, Rn. 153; M. Pütz, Immissionsschutz, 1998, S. 124 ff. 502 Vgl. § 3 Abs. 3 BImSchG; s. u. a. VGH Mannheim, Urt. v. 05.02.1980 – X 1909/ 77, GewArch 1980, S. 197 ff.; P. Huber, AöR 1989, S. 290. 503 D. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 163 ff.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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Vorsorgemaßnahmen sollen danach insbesondere einem Besorgnispotential Rechnung tragen, welches daraus resultiert, dass schädliche Wirkungen von Immissionen auf Grund von Unsicherheiten über Eigenschaften von Stoffen und Wirkungszusammenhängen nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zwar möglich, aber nicht – wie für die Annahme einer Gefahr erforderlich – hinreichend wahrscheinlich sind.504 Daher unterscheidet sich die Zielsetzung des Vorsorgekonzepts von derjenigen des Gefahrenabwehrkonzepts. Insofern gehört das Risiko zum Bereich der „Noch-nicht-Gefahr“, denn beim Risiko liegt die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts unter derjenigen bei der Gefahr.505 Unter dem Blickwinkel des Individualrechtsschutzsystems sind somit i. d. R. Vorschriften im Rahmen der Vorsorge auf den Schutz der Allgemeinheit, nicht aber auf die Berücksichtigung der Belange individualisierbarer Dritter ausgerichtet.506 Aus diesem Grund können somit Vorsorgevorschriften nicht als drittschützend zuerkannt werden. Die Notwendigkeit einer trennscharfen Abgrenzung von Gefahrenabwehr und Vorsorge ergibt sich im Rahmen der herrschenden Schutznormlehre daraus, dass man dem Vorsorgeprinzip eine individualschützende Wirkung abspricht und damit das Vorsorgegebot der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugunsten Drittbetroffener entzieht. Denn die Einklagbarkeit von nicht konkret zurechenbaren und nicht ausreichend individualisierbaren Schutzpflichten (beispielsweise bezüglich luftbelastender Stoffe des Ferntransports oder der Industrie) würde das Individualrechtsschutzsystem des deutschen Rechts in Frage stellen.507 2. Drittschützende und nichtdrittschützende Normen In diesem Rahmen hat beispielsweise das BVerwG eine drittschützende Wirkung der Pflicht zur Gefahrenabwehr aufgrund von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG508 sowie aufgrund § 5 Abs. 3 Nr. 1 BImSchG (Nachbetriebspflicht) bejaht.509 Denn dieser Auffassung nach bezweckt § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sowie § 5 Abs. 1 504
D. Murswiek, JuS 2004, S. 1026. M. Kloepfer, Umweltrecht 2004, § 3, Rn. 18; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 153. 506 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, BVerwGE 65, S. 313, S. 320; BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 – 7 C 8/82, BVerwGE 69, S. 37, S. 42 ff.; F. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 161 ff.; A. Scherzberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 11, Rn. 20. 507 Vgl. E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991, S. 249 ff. 508 BVerwG, Urt. v. 30.09.1983 – 4 C 74/78 (Lüneburg), BVerwGE 68, S. 58 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.04.1988 – 7 C 33/87, NJW 1988, S. 2396. 509 Vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.1988 – 4 N 1/87, NJW 1989, S. 467; BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02, NVwZ 2004, S. 610; H. Jarass, § 5 BImSchG, in: ders. (Hrsg.), BImSchG-Komm. 2007, Rn. 119 ff., Rn. 125; G. Oestreich, DV 2006, S. 35. 505
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Nr. 3 BImSchG nicht allein den Schutz der Allgemeinheit, sondern regelt auch die immissionsschutzrechtliche Konfliktlage zwischen den Interessen des Anlagenbetreibers und den Interessen der immissionsbetroffenen Nachbarschaft dahingehend. Diese Vorschriften bezeichnen die Grenze, bis zu der ein Anlagenbetreiber seine Interessen gegenüber der Nachbarschaft wahrnehmen kann.510 Auf der anderen Seite soll § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG als Vorsorgegebot keine drittschützende Wirkung aufweisen, weil diese Vorschrift der herrschenden, aber nicht unumstrittenen Auffassung nach nicht der Begünstigung eines individualisierbaren Personenkreises, sondern dem Interesse der Allgemeinheit dazu dient, potenziell schädlichen Umwelteinwirkungen generell und auch dort vorzubeugen, wo sie keinem bestimmten Emittenten zuzuordnen sind.511 Dasselbe gilt somit auch für die Pflicht der Reststoffvermeidung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG sowie für die Pflicht zur sparsamen und effizienten Energieverwendung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG.512 Grundlage dieser Einschätzung ist vor allem die Annahme, dass die Interessen Dritter durch die Schutzpflichten dieser Vorschriften hinreichend geschützt seien. Die Vorsorgepflichten seien demgegenüber unterhalb der Schwelle einer Schädlichkeit für Dritte angesiedelt und sollen nur ein Kollektivrisiko mindern.513 Liege ein Rechtsgut ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit und nicht im individuellen Interesse eines begrenzten Personenkreises, könne kein Rechtsschutz vermittelt werden, auch nicht zugunsten von anerkannten Umweltschutzvereinigungen. Denn der Drittschutz müsse sich nur auf die Fälle einer qualifi-
510 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, NJW 1983, S. 1507 ff. In dieselbe Richtung auch BVerfG, Urt. v. 21.01.2009 – 1 BvR 2524/06, ZUR 2009, S. 138 ff., S. 140 (Rs. 41); R. Breuer, DVBl 1986, S. 855; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 278 ff. 511 BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, BVerwGE 65, S. 313, S. 320; BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 – 7 C 8/82, BVerwGE 69, S. 37, S. 42 ff.; BVerwG, Urt. v. 11.12. 2003 – 7 C 19/02, NJW 2004, S. 2033 ff.; Anm. D. Murswiek, JuS 2004, S. 1026 ff.; BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 42/80, NVwZ 1983, S. 32 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 – 7 C 8/82, NVwZ 1984, S. 371 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.04.2008 – 7 B 2/08, NVwZ 2008, S. 789 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.01.2009 – 7 B 47/08, AbfallR 2009, S. 93. Vgl. D. Murswiek, DV 2005, S. 245, m.w. N.; G. Winter, in: Festgabe, 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1035; M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 382; ders., Umweltrecht 2004, § 3, Rn. 18. „Dass ,Vorsorge‘ nicht etwa mit Gefahrenabwehr zusammenfällt, verdeutlicht der Gesetzgeber im BImSchG, das beide Bereiche ausdrücklich unterscheidet (in §§ 5 I Nr. 1 und 2 BImSchG).“ 512 Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 38, Urt. v. 06.04.1984, S. 419 ff., S. 424 ff., DVBl 1984, S. 893; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 291 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. SchmidtAßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 171; H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, Rn. 124, m.w. N.; R. Klinger, ZUR 2010, S. 169. 513 Vgl. J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltRKomm., Bd. III, 2014, Rn. 163; R. Klinger, EurUP 2014, S. 182; jeweils m.w. N.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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zierten Betroffenheit begrenzen, um eine nicht von dem Verwaltungsrecht vorgesehene Popularklage zu vermeiden.514 Außer der Nachbetriebs-Schutzpflicht in § 5 Abs. 3 Nr. 1 BImSchG, die drittschützend ist,515 sind alle anderen immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten der Vorsorge zuzuordnen und daher nicht drittschützend.516 Es sei denn, bei der Pflicht zur Abfallbeseitigung und -verwertung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BImSchG oder bei der Nachsorgepflicht aus § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG würde es im konkreten Fall auch um die Abwehr von schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder Belästigungen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG gehen.517 Soweit diese Vorschriften auf andere drittschützende Rechtsvorschriften verweisen, können sich daraus durchsetzbare Rechtspositionen betroffener Dritter ergeben.518 Dabei dienen – laut herrschender Auffassung – grundsätzlich die Emissionsgrenzwerte als Vorsorgeinstrumente dem Vorsorgeprinzip der Bundesimmissionsschutzverordnungen wie: 2. BImSchV (Verordnung zur Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen halogenierten organischen Verbindungen), 20. BImSchG (Verordnung zur Begrenzung der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen beim Umfüllen und Lagern von Ottokraftstoffen), 13. BImSchV (Großfeuerungsanlagen), 30. BImSchV (über Anlagen zur biologischen Behandlung von Abfällen), 25. BImSchV (Verordnung zur Begrenzung von Emissionen aus der Titandioxid-Industrie), 31. BImSchV (Lösemittelverordnung), 17. BImSchV (Verbrennungsanlagen für Abfälle, insb. § 5 Abs. 1 Nr. 2). Sie sind daher nicht drittschützend. Hier fehlt es der h. M. nach am normativen Ausgleich konkreter nachbarlicher Verschonungsinteressen gegenüber dem Interesse des Anlagenbetreibers.519 514
Ebd. Vgl. H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, Rn. 125; J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 232; A. Roßnagel, § 5 BImSchG, in: GK-BImSchG9, 2007, Rn. 868. 516 BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 42/80, BVerwGE 65, NVwZ 1983, S. 23; BVerwG, Urt. v. 20.12.1999 – 7 C 15/98, NVwZ 2000, S. 440; 2201, S. 1565; D. Sellner, NJW 1980, S. 1255, S. 1261; T. Schmidt-Kötters, § 5 BImSchG, in: L. Giesberts/ M. Reinhardt, BImSchG-BeckOK, 2009, Rn. 121 ff. 517 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.07.1989 – 7 B 50/89, UA, S. 7 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 01.09.1998 – 7 UE 2170/95, NVwZ-RR 1999, S. 304; A. Roßnagel, in: GK-BImSchG 1997, § 5, Rn. 864. 518 H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm. 2007, Rn. 125; T. Schmidt-Kötters, § 5 III BImSchG, in: L. Giesberts/M. Reinhardt (Hrsg.), BImSchG-BeckOK, 2009, Rn. 184. 519 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 06.04.1984 – 7 OVG B 16/83, DVBl 1984, S. 893; R. Breuer, DVBl 1986, S. 855; E. Kutscheidt, NVwZ 1984, S. 410 ff.; M. SchmidtPreuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 285 ff.; Kritik dazu vgl. J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 118, Rn. 166; H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, 515
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Auf der anderen Seite ist beispielsweise die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) – mit der Ausnahme von Nr. 3.3 (Prüfung der Einhaltung der Vorsorgepflicht) – drittschützend, weil sie grundsätzlich Immissionsgrenzwerte enthält und sie sich überwiegend mit der Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen durch Geräusche befasst. Demgegenüber enthält die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft 2002) relativ wenige Immissionswerte (insb. unter Nr. 4 – Anforderungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen). Dies hat wiederum zur Folge, dass nur begrenzte Anforderungen zur Luftreinhaltung einklagbar sind.520 Im Hinblick darauf ist hervorzuheben, dass sich im Rahmen der Schutznormlehre eine nachbarschützende Wirkung der Emissionsgrenzwerte ausnahmsweise dann ergibt, wenn die emissionsbegrenzende Vorschrift nach der Intention des Normgebers auch der Immissionsminderung in der Nachbarschaft und nicht nur der großräumigen, regelmäßig nicht nachbarschützenden Vorsorge dienen soll. Indiz für eine intendierte „individualbezogene“ Immissionsminderung kann insbesondere das Fehlen von Immissionswerten mangels geeigneter Methoden zur Ermittlung der Immissionsbelastung sein. Wenn somit konkretisierende Regelungen mit Immissionswerten zum Schutz der Gesundheit in Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften fehlen, wohl aber entsprechende Vorsorgewerte festgelegt wurden, ist eine Auslegung nicht ausgeschlossen, die den Emissionswerten subjektivrechtlichen Gehalt beimisst.521 In diesem Fall können somit Drittbetroffene die Einhaltung der Vorsorgewerte als Ersatz für die fehlenden Schutzwerte verlangen.522 Ist allerdings der Mitverursachungsanteil irrelevant, scheidet eine Drittklage aus.523 Damit beantwortet das BVerwG verneinend die Rn. 121 ff., m.w. N.; zur Kritik an der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie s. u. in 1. Teil, 1. Kap., E., II., 3. ff. 520 Vgl. G. Oestreich, DV 2006, S. 37. 521 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02 (VGH Mannheim), NJW 2004, S. 2033 ff.; in diesem Rahmen vertritt das BVerwG folgende Auffassung: „Solange auf der Grundlage des § 48 BImSchG keine Immissionswerte bestimmt worden sind, dienen solche Minimierungsgebote (Emissionsgrenzwerte) nicht nur der allgemeinen Verbesserung der Umweltverhältnisse, sondern auch dem Schutz eines individualisierbaren Personenkreises im Einwirkungsbereich der Anlage. Unter diesen Voraussetzungen kann der Betroffene mit Rechtsmitteln gegen die Genehmigung geltend machen, dass im Rahmen des Vorsorgegebots erlassene Emissionsgrenzwerte zur Minimierung seines Gesundheitsrisikos eingehalten werden.“ Anm. dazu D. Murswiek, JuS 2004, S. 1026 ff.; J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 119. 522 BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02, NVwZ 2004, S. 611; BVerwG, Urt. v. 29.03.2007 – 7 C 9/06, NVwZ 2007, S. 697; BayVerfGH, Urt. v. 30.11.1998 – 20 A 86.40030, BayVBl 1989, S. 530 ff.; E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler, 1991, S. 282; J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 119. 523 BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02, NVwz 2004, S. 610 ff.; D. Murswiek, NVwZ 2004, S. 1026 ff. Laut diesem Urteil findet die Schutzpflicht des BImSchG dort
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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umstrittene Frage, ob auch sehr geringe Zusatzbelastungsbeiträge als im Rechtssinne kausal für schädliche Umwelteinwirkungen anzusehen sind.524 Das Schutzprinzip scheint insbesondere auf der Ebene der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG (allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des BImSchG) eine bedeutende Rolle zu spielen. Im Gegensatz dazu sind emissionsbegrenzende Anforderungen von Bundesimmissionsschutzverordnungen (BImSchV), die grundsätzlich auf die Konkretisierung des Standes der Technik gerichtet sind, dem Vorsorgeprinzip des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zuzuordnen.525 Als Ausnahme bezeichnet sich die 22. BImSchV (über Immissionsgrenzwerte für Schadstoffe in der Luft), die drittschützend ist, da sie Immissionsgrenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor möglichen Schäden durch bestimmte Luftschadstoffe enthält.526 Die aktuelle Rechtsprechung des BVerwG stellt aber fest, dass i. d. R. die dort festgesetzten Immissionsgrenzwerte von einzelnen Vorhaben nicht strikt einzuhalten, sondern primär mit den Mitteln der Luftreinhaltung zu erreichen sind.527 Ferner erweist sich auch die 12. BImSchV (Störfall-Verordnung, insb. § 3 Abs. 1, 3 i.V. m. §§ 5, 6 der 12. BImSchV) im Hinblick auf die Verpflichtung, Störfälle vorbeugend zu verhindern, als drittschützend. Diese Normen treffen letztlich im Gefahrenbereich eine Interessenbewertung.528 Drittschützend ist auch der überwiegenden Auffassung nach § 2 der 16. BImSchV (Verkehrslärmschutzverordnung).529 ihre Grenze, „wo auf Grund einer sachverständigen Risikoabschätzung anzunehmen ist, dass das durch den emittierenden Betrieb verursachte Gesundheitsrisiko angesichts der bestehenden Vorbelastung irrelevant ist“. 524 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02 (Nanopulver), NJW 2004, S. 2033 ff.; Anm. D. Murswiek, JuS 2004, S. 1028 ff. 525 Vgl. G. Oestreich, DV 2006, S. 36 ff.; D. Sellner/O. Reidt/M. Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 2006, Rn. 213. 526 Vgl. K. Hansmann/M. Röckinghausen, Vorb. 22. BImSchV, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. II, 2008, Rn. 1; G. Oestreich, DV 2006, S. 35. 527 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.05.2004 – 9 A 6/03, NVwZ 2004, S. 1237 ff. Eine Überschreitung von Grenzwerten der 22. BImSchV liegt jedoch nicht erst dann vor, wenn die Grenzwerte in einem Gebiet oder Ballungsraum flächendeckend oder im Durchschnitt überschritten werden; s. auch VGH Mannheim, Urt. v. 18.07.2003 – 5 S 723/02, ZUR 2004, S. 173 ff. 528 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 06.04.1984 – 7 OVG B 16/83, DVBl 1984, S. 893; R. Breuer, NVwZ 1990, S. 220 ff.; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 291 ff.; K. Hansmann, § 3 12. BImSchV, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, Umweltrecht, Bd. II, 2008, Rn. 34. Dagegen: R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 170; G. Oestreich, DV 2006, S. 35 ff. Der Autor behauptet, dass § 3 IV 12. BImSchV mit der Forderung nach Einhaltung des „Standes der Sicherheitstechnik“ dem Vorsorgeprinzip dienen dürfte. 529 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 285.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Im Anschluss daran nimmt die deutsche Rechtsprechung an, dass Emissionsgrenzwerte für kanzerogene (hochtoxische), erbgutverändernde sowie fortpflanzungsgefährdende Stoffe in § 2 der 2. BImSchV, § 2 Abs. 2 der 31. BImSchV und in Nr. 2.2.1.5, 2.3 und 2.4 der TA-Luft ausnahmsweise drittschützend sind.530 Die Sonderstellung dieser Emissionsgrenzwerte im Vergleich zu anderen Emissionsgrenzwerten, die im Gegensatz dazu keinen subjektivrechtlichen Charakter haben,531 erklärt sich vor allem aus Gründen der im Grundgesetz verankerten staatlichen Pflicht der Erhaltung von Leben und Gesundheit. Gleichzeitig erklärt sich auch aus der Tatsache, dass bei krebserzeugenden Luftverunreinigungen – nach heutigem Erkenntnisstand – keine Schwellenwerte der Konzentration in der Atemluft angegeben werden können, die ausreichend gewährleisten können, dass bei deren Unterschreiten keine Gesundheitsschäden auftreten können.532 Es ist schon nachgewiesen, dass bereits die Aufnahme kleinster Mengen dieser Stoffe unter bestimmten Bedingungen – wenn auch mit relativ niedriger Wahrscheinlichkeit – eine Krebserkrankung auslösen oder verstärken kann.533 Diese Sonderstellung in Zusammenhang mit den oben dargestellten drittschützenden Ausnahmen des Emissionsschutzrechts kann aber zu einem systematischen Bruch im Bereich des Rechtsschutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen des BImSchG führen, der rechtssystematische Divergenzen verursachen kann.534 Denn eine solche funktionale Unterscheidung bei dem Rechtsschutz zur Einhaltung von Emissionsgrenzwerten ist nicht gesetzlich verankert. Vielmehr muss eine risikobezogene Vorsorge in der Form von Emissionsgrenzwerten für krebserzeugende sowie für andere Stoffe ohne identifizierbare Wirkungsschwelle jedenfalls dann als drittschützende Vorsorge für die im Einwirkungsbereich der Anlage Lebenden qualifiziert werden, wenn der Gesetzgeber für diese Stoffe eine Festlegung des zumutbaren Risikos in Form von Luftqualitätsnormen getroffen hat.535
530 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 11.06.1990 – 7 B 10809/90, NVwZ 1991, S. 87; OVG Münster, Urt. v. 27.04.1992 – 21 A 800/88, NVwZ 1993, S. 385 ff.; OVG Münster, Urt. v. 07.06.1990 – 20 AK 25/87, NVwZ 1991, S. 1200 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 29.06.1994 – 10 S 2510/93, NVwZ 1995, S. 296; in diese Richtung auch BVerfG, Urt. v. 24.11.2010 – 1 BvF 2/05, Rn. 142, NVwZ 2011, S. 99 ff.; s. u. a. H. Jarass, § 48 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, Rn. 57; G. Oestreich, DV 2005, S. 36 ff.; A. Roßnagel, in: GK-BImSchG 2007, § 5, Rn. 363 ff.; P. Huber, AöR 1989, S. 295. 531 Vgl. G. Lübbe-Wolff, NuR 2000, S. 19 ff.; W. Köck, ZUR 2006, S. 479 ff. 532 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 168; P. Huber, AöR 1989, S. 496 ff. 533 Vgl. A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, 1997, § 5, Rn. 192, S. 363 ff., m.w. N.; D. Murswiek, JuS 2004, S. 1027 ff.; P. Huber, AöR 1989, S. 496 ff. 534 Ähnliches gilt auch bei bestimmten Konstellationen des Atomrechts, s. u. 1. Teil, 1. Kap., E., IV. 535 W. Köck, ZUR 2006, S. 481 ff.; G. Lübbe-Wolff, NuR 2000, S. 19 ff.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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Abgesehen von den oben dargestellten Konstellationen soll auch betont werden, dass unter dem Einfluss der sog. Schutznormtheorie zahlreiche weitere Normen des Immissionsschutzrechts nicht drittschützend sind. Beispielsweise ist auffallend, dass der h. M. der Rechtsprechung nach § 4 BImSchG (Genehmigung) – unabhängig von einer konkreten materiellrechtlichen Betroffenheit – dem Genehmigungsvorbehalt keine drittschützende Wirkung zukommt.536 Insofern können Drittbetroffene keine Klage erheben, wenn z. B. statt eines vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wurde. Diese Judikatur ist zu Recht nicht ohne Kritik geblieben.537 Denn wer eine Anlage in einer nicht durch die Genehmigung gedeckten Weise errichte oder betreibe, verstoße daher gegen das den Schutz der Nachbarn bezweckende Errichtungs- und Betriebsverbot. Vor diesem Hintergrund sollte § 4 BImSchG als drittschützende Norm betrachtet werden, so dass die Nichtbeachtung der Genehmigungserfordernis auch seitens potenziell betroffener Dritter geltend gemacht werden kann.538 Zu erwähnen ist auch, dass allein durch die Verfahrensvorschrift des § 10 BImSchG hinsichtlich der Genehmigungsverfahren kein Drittschutz begründet wird.539 Dasselbe gilt auch für die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des BImSchG über das vereinfachte Genehmigungsverfahren gem. § 19 BImSchG.540 Parallel dazu ist § 20 Abs. 2 BImSchG, der die Stilllegung einer formell illegalen Anlage bestimmt, nur dann drittschützend, wenn der drittbetroffene Kläger materielle Rechtspositionen geltend machen kann, die im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen gewesen wären.541 Dies gilt z. B., wenn der drittbetroffene Nachbar sich bei ordnungsgemäßer Durchführung eines Genehmigungsverfahrens gem. §§ 4 ff. BImSchG gegen die Genehmigung hätte zur Wehr setzen können.542 Ferner ist der h. M. nach auch § 20 Abs. 3 S. 1 BImSchG nachbarschützend, wenn sich die Untersagung einer Anlage wegen Unzuverlässigkeit des
536 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 – 7 C 55 und 56/89, NVwZ 1991, S. 369 ff.; OVG Münster, Urt. v. 01.07.2002 – 10 B 788/02, NVwZ 2003, S. 361 ff.; J. Dietlein, § 4 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 105; K. Hansmann, § 20 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltRKomm., Bd. I, 2008, Rn. 90; H. Jarass, § 4 BImSchG, in: BImSchG-Komm. 2007, Rn. 47 b. 537 Vgl. T. Spiegels, NVwZ 2003, S. 1091 ff.; J. Dietlein, § 4 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 105; T. Spiegels, NVwZ 2003, S. 1091 ff., jeweils m.w. N. 538 Ebd. 539 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 07.01.2004 – 22 B 1288/03, NVwZ-RR 2004, S. 408; H. Lecheler, NVwZ 2005, S. 1156 ff. 540 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 01.02.2002 – 10 B 788/02, NVwZ 2003, S. 361 ff. 541 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 173 ff. 542 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 105.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Betreibers oder eines vom Betreiber Beauftragten auf die Nichteinhaltung von Rechtsvorschriften zum Schutze vor schädlichen Umwelteinwirkungen stützt.543 Zudem ist, was nicht genehmigungsbedürftige Anlagen betrifft (§ 22 BImSchG), festzustellen, dass § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG (Pflichten des Betreibers nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen) insgesamt dem Schutz des Nachbarn dient und daher drittschützend ist.544 Hinsichtlich immissionsschutzrechtlicher Vorschriften, die die Einhaltung anderer Normen sicherstellen sollen, ist für die Frage nach subjektiven öffentlichen Rechten deren materieller Regelungsgehalt maßgeblich. So dienen beispielsweise die §§ 17 und 20 Abs. 1 sowie die §§ 21 und 24 und 25 Abs. 1 BImSchG teils der Einhaltung drittschützender, teils der Einhaltung nicht drittschützender Vorschriften.545 Das soll die Rechtsprechung je nach Fall beurteilen. Insbesondere bei Fällen, in denen eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte (etwa der Feinstaubgrenzwerte) geschieht, ist zu beachten, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des BVerwG i.V. m. der Rechtsprechung des EuGH546 sowohl der Anspruch auf Aufstellung von Aktionsplänen nach § 47 Abs. 2 BImSchG, als auch der Anspruch auf Durchführung von planunabhängigen Maßnahmen (z. B. verkehrsbeschränkende Maßnahmen) für die Einhaltung der Feinstaubimmissionsgrenzwerte grundsätzlich als drittschützend anerkannt sind.547 543 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 174; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 105, m.w. N. 544 Vgl. BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 31/84, NJW 1987, S. 1713; BVerwG, Urt. v. 29.04.1988 – 7 C 33/87, NJW 1988, S. 236 ff.; BVerwG, Urt. v. 07.05.1996 – 1 C 10/ 95, NVwZ 1997, S. 276; OVG Hamburg, Urt. v. 13.10.1989 – Bs II 44/89, NVwZ 1990, S. 379; H. Jarass, § 22 BImSchG, in: BImSchG-Komm. 2007, Rn. 69 ff. 545 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 172, m.w. N. 546 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff.; in diesem Urteil stellte der EuGH fest, dass die Luftreinhalterichtlinie [damals RL 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. Nr. L 296, S. 55), jetzt RL 2008/ 50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. Nr. L 152, S. 1)] im Fall der Gefahr, dass dort festgelegte Grenzwerte oder Alarmschwellen überschritten werden könnten, unmittelbar betroffenen Individuen (auch juristischen Personen) einen Anspruch auf Erstellung eines Luftreinhalteplans gewähre. 547 Vgl. VGH München, Urt. v. 18.05.2006 – 22 BV 052461, NVwZ 2007, S. 230 ff.; BVerwG, Urt. v. 27.09.2007 – 7 C 36/07, DVBl 2007, S. 1497 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07. 2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern); Anm. D. Murswiek, JuS 2009, S. 74 ff.; E. Dikaios, NkF, Jan. 2009. Ausführlich über die Problematik des Rechtsschutzes vor Feinstaubimmissionen sowie dessen Entfaltung bzw. Entwicklung in der deutschen Rechtsprechung und Theorie vgl. VG München, Beschl. v. 27.04.2005, ZUR 2005, S. 369 ff.; VG Berlin, 11.05.2005 – 11 A 226/05, becklink 147418; VG Berlin, Beschl. v. 01.06.2005 – 10 A 75/05, BeckRS 2007, 23398; VGH München, Beschl. v. 30.06.2005 – 22 CE 051196, NVwZ 2005, S. 1096 ff.; VG Stuttgart, Urt. v. 31.05.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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Der Ansicht des EuGH nach sei es mit dem zwingenden Charakter der Luftqualitätsrahmenrichtlinie 96/62/EG (insb. Art. 7 Abs. 3) unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit ihr auferlegte Verpflichtung von den betroffenen Personen geltend gemacht werden kann.548 Vor diesem Hintergrund sind auch die deutschen Behörden und Gerichte verpflichtet, die Planungspflicht in § 47 Abs. 2 BImSchG richtlinienkonform und damit drittschützend auszulegen. Solche unionsrechtlichen Anforderungen führen zu einer Ausdehnung des Drittrechtsschutzes im deutschen Umweltrecht durch Erweiterung des Kreises potentieller Kläger und somit zu einer Fortentwicklung der traditionellen Schutznormtheorie.549 Parallel dazu ist aber anzumerken, dass Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und Rechte Einzelner begründen, nicht durch Auslegung aller materiellrechtlichen oder jedenfalls aller umweltschützenden Vorschriften, sondern nur der schutznormfähigen Vorschriften geltend gemacht werden können. In diesem Rahmen hat der EuGH bei der sog. „Feinstaub-Entscheidung“ 550 dem betreffenden Kläger das Recht, die Einhaltung der Feinstaub-RL (RL 96/62/EG) zu fordern, deshalb zuerkannt, weil diese Richtlinie nicht nur dem Schutz der Umwelt insgesamt, sondern auch dem Schutz der menschlichen Gesundheit und damit auch dem Schutz des unmittelbar betroffenen Einzelnen dient. Es handelte sich somit um schutznormfähige Vorgaben.551 3. Bedenken gegen die Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin Aufgrund der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin wird nur die Verhütung von hinreichend wahrscheinlichen Fernschäden gewährleistet, während nicht hin2005 – 16 K 1121/05 (nicht rechtskräftig), NVwZ 2005, S. 971 ff.; indirekt auch BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 3 C 25/98, NVwZ 1999, S. 1234 ff.; C. Zeiss, UPR 2005, S. 253 ff.; M. Brenner, DAR 2005, S. 426 ff.; C. Calliess, NVwZ 2006, S. 1 ff.; H. Jarass, Rechtsfragen des neuen Luftqualitätsrechts, VerwArch 2006, S. 429 ff.; A. Willand/G. Buchholz, NJW 2005, S. 2641 ff.; dies., NVwZ 2007, S. 171 ff.; A. Scheidler, BayVBl 2006, S. 656 ff.; ders., LKV 2008, S. 55 ff.; T. Streppel, EurUP 2006, S. 191 ff.; ders., ZUR 2008, S. 23 ff.; R. Sparwasser, NVwZ 2006, S. 369 ff. 548 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern). Anm. D. Murswiek, JuS 20095, S. 745 ff. 549 Vgl. D. Murswiek, JuS 2009, S. 75 ff.; D. Couzinet, DVBl 2008, S. 760 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 465 ff. 550 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern), NuR 2008, S. 630; Anm. D. Murswiek, JuS 2009, S. 74 ff. 551 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern), NuR 2008, S. 630; Anm. D. Murswiek, JuS 2009, S. 74 ff.; OVG SchleswigHolstein, Urt. v. 12.03.2009 – KN 12/08, NordÖR 2010, S. 351. Dieser unmittelbar auf den Einzelnen bezogene Schutzzweck fehlt aber den Vorschriften des Natur- und Habitatschutzrechts durchaus. Dass Natur und Landschaft letztlich die Lebensgrundlagen des Menschen sind (vgl. § 1 BNatSchG), reicht daher zur Begründung der individuellen Schutzwirkung nicht aus. s. mehr dazu in 1. Teil, 1. Kap., E., X., 10.; 1. Teil, 2. Kap., C.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
reichend wahrscheinliche Schäden kaum gerichtlich geschützt werden können.552 Aus der Tatsache, dass die detailliert definierten Vorsorgepflichten dem Drittbetroffenen nicht als Basis für eine verwaltungsrechtliche Klage zur Verfügung stehen, ergibt sich, dass keine ausreichende Kontrolle des Behördenhandels stattfindet.553 Wie schon dargestellt wurde, sind zudem die Grenzen zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge häufig verschwommen. Denn beispielsweise die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG lässt sich i. d. R. nur unter Schwierigkeiten ermitteln, während sich die Einhaltung der der Vorsorge zugeordneten Emissionswerte sehr viel leichter feststellen lässt.554 Der fehlende Drittschutz des Vorsorgeprinzips führt daher offensichtlich zu Vollzugsdefiziten.555 Es scheint, dass die herrschende Gefahr-Vorsorge-Dichotomie nicht der modernen Entwicklung der Naturwissenschaften sowie der Technologie entspricht, die heutzutage überwiegend als Risikoquelle zu betrachten ist.556 Wissenschaft selbst ist auf Unabgeschlossenheit angelegt.557 Denn es ist für die Wissenschaft nicht selten unmöglich, die Gesamtwirkungen z. B. eines Stoffes in einem Ökosystem vollständig vorauszusehen. Grund dafür ist, dass sich die übrigen belastenden Faktoren in ihrer Kombination, Konzentration, Intensität, aber auch die einzelnen Organismen und das gesamte Biosystem immer wieder verändern und zum Teil nicht vorhersehbar zusammenwirken.558 Dabei basieren heutzutage die neuen Technologien (z. B. Technologien im Bereich der Energie, der Gentechnik, der Medizin, der Materialwissenschaften u. a.) überwiegend auf einem von der traditionellen (mit-) teilbaren praktischen Erfahrung weitgehend abgekoppelten naturwissenschaftlichen Denken, das nicht mehr primär auf die Formulierung von allgemeinen Kausalgesetzen, sondern auf die
552 E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991, S. 250; O. Lepsius, VVDStRL 2004, S. 283 ff. 553 Vgl. G. Oestreich, DV 2006, S. 40; in diese Richtung auch W. Köck, ZUR 2006, S. 481 ff.; G. Lübbe-Wolff, NuR 2000, S. 19 ff.; H. Wagener, NuR 1988, S. 71 ff. 554 Vgl. H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, Rn. 123; H. Wagener, NuR 1988, S. 72 ff.; H. Jarass, DVBl 1985, S. 196; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 628 ff. 555 Vgl. H. Jarass, NJW 1983, S. 2845 ff.; G. Lübbe-Wolff, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 186. 556 Vgl. R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 12 ff.; M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, 1982; U. Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 50 ff. 557 Vgl. H. Wagener, NuR 1988, S. 72 ff.; H. Jarass, DVBl 1985, S. 197; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 11 ff. Z. B. sind bestimmte Stoffe, die vor einigen Jahren für unschädlich gehalten wurden, als krebserregend nachgewiesen worden. Dasselbe gilt auch bei gefährlichen Langzeitwirkungen, die erst später deutlich werden. 558 Vgl. H. Wagener, NuR 1988, S. 72 ff.; A. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 493 ff., m.w. N.
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methodische Relationierung von Parametern und Variablen zielt.559 Insofern sollte die Rechtsordnung die Eigenständigkeit der Risikobewertung unter Ungewissheitsbedingungen gegenüber der von der Erfahrung abgestützten Gefahrenabwehr beachten und in verfahrensrechtlichen Anforderungen verarbeiten.560 Daher sollte eine drittschützende Wirkung des Vorsorgegebots nicht völlig ausgeschlossen werden.561 Denn angesichts der Unerforschtheit vieler Risikoursachen und Schadensmöglichkeiten neuer Produktionsverfahren und Schadstoffe wird bei der Beurteilung von Anlagen- und Stoffrisiken oft nur eine unsichere, nicht auf Erfahrung beruhende Prognose möglich sein.562 Insbesondere im Immissionsschutzrecht kann die Abwehr möglicher Schäden nicht immer auf die letzte Gewissheit eines schädigenden Kausalverlaufs warten, sondern muss vorbeugend auch auf der Basis eines begründeten Verdachts erfolgen.563 Auch ein aufgrund einer konkreten Wahrscheinlichkeitsbeurteilung bestehender Gefahrenverdacht, der i. d. R. der Risikovorsorge und nicht der Gefahr zugeordnet wird,564 dessen Tatbestand aber aufgrund der aktuellen Wissenschaftskenntnis nicht hinreichend bewiesen werden kann, könnte in der Realität erhebliche Beeinträchtigungen von rechtsschützenden Rechtsgütern verursachen.565 In diesem Rahmen ist es aber umstritten, welche selbständige Bedeutung der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG neben der Schutzpflicht der Gefahrenabwehr nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG noch zukommt. Wenn man davon ausgeht, dass die Vorsorge eine spezielle, mildere Gefahrenschwelle darstellt, könnte man wohl zu dem Ergebnis kommen, dass sowohl die Gefahrenabwehr als auch die vorbeugende Vermeidung von Schäden schon durch die Schutzpflicht von § 5 559 Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 50 ff.; R. Ravetz, Die Krise der Wissenschaft, Probleme der industrialisierten Forschung, 1973, S. 35 ff., S. 338; J. Mittelstraß, in: H.-P. Dürr (Hrsg.), Wirklichkeit, Wahrheit, Werte und die Wissenschaft, 2003, S. 105 ff.; K.-H. Ladeur, NVwZ 1992, S. 949 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 11 ff.; K. Buchner/M. Schwab, ZUR 2013, S. 212 ff. 560 Vgl. R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 12 ff.; X. Contiades, ZÖR 2005, S. 27 ff.; K.-H. Ladeur, NVwZ 1992, S. 949 ff. 561 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2012, 534 ff., s. auch BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, NVwZ 1986, S. 208; BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, BVerwGE 65, S. 313, S. 320; R. Breuer, NVwZ 1990, S. 211, S. 214 ff.; VG Neustadt, Urt. v. 16.12. 1991 – 7 L 1319/91, NVwZ 1992, S. 1008; K.-H. Ladeur, NVwZ 1992, S. 948 ff. 562 Vgl. A. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 496; A. Roßnagel, § 5 BImSchG, in: GKBImSchG, 2007, Rn. 158. 563 Vgl. A. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 496; E. v. Hippel, ZRP 2001, S. 145 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 152 ff. 564 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 57 C 84/786, NJW 1981, S. 1393 ff.; F. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 166; P. Huber, AöR 1989, S. 294. 565 Vgl. E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler, 1991, S. 282; G. Lübbe-Wolff, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 181.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erfasst sind.566 Die Versagung des Drittschutzes durch fiktive Zuordnung von Emissionsbegrenzungen zum Vorsorgeprinzip, an der die Rechtsprechung festhält,567 scheint m. E. das Gefahrenabwehrgebot gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG sowie der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie aufgrund Art. 19 Abs. 4 GG zu widersprechen, da sie Rechtsschutz ohne überzeugende Begründung (mangels hinreichender wissenschaftlicher Kenntnis) dort versagt, wo er am dringlichsten sein könnte.568 In Wirklichkeit lassen sich Risiko und Gefahr nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Wie zu Recht festgestellt wurde, geht es im Grunde auch bei dem an Emissionen anknüpfenden Vorsorgegrundsatz um die Verhinderung von schädlichen Umwelteinwirkungen, was nach § 3 Abs. 1 BImSchG auch Schutz vor Gefahren durch Immissionen ist. Es sei lediglich auf die Gefahren- bzw. Schädlichkeitsgrenze verzichtet worden.569 Es muss nicht unberücksichtigt bleiben, dass in der Praxis Vorsorge auch bei Immissionsbegrenzungen und Gefahrenabwehr auch durch Emissionsbeschränkungen gewährleistet werden.570 Die Vorsorgeanforderungen (einschließlich der Emissionsgrenzwerte) haben schließlich eine individuelle Schutzfunktion, sofern sie den Schutz der menschlichen Gesundheit bezwecken.571 Außerdem soll beachtet werden, dass in der Praxis jede Entscheidung über das Vorliegen einer Gefahr prognostischen, also nicht eindeutig nachweisbaren Charakter hat und daher auch mit Ungewissheiten belastet ist.572 Obwohl beim Gefahrenverdacht die Unsicherheitsebene lediglich in der unvollständigen Tatsa566
Ebd. Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 – 7 C 8/82, NVwZ 1984, S. 371 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.12.1999 – 7 C 15/98, NVwZ 2000, S. 440 ff.; BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02 (VGH Mannheim), NJW 2004, S. 2033 ff. 568 Vgl. E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler, 1991, S. 282; G. Lübbe-Wolff, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 181. 569 Vgl. H. J. Papier, DVBl 1979, S. 162; P. Huber, AöR 1989, S. 294; G. LübbeWolff, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 181. 570 Vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht 2003, S. 237. 571 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung v. 02.02.2000, KOM (2000) 1, S. 2; W. M. Kühn, ZeuS 2006, S. 498 ff.; W. Köck, ZUR 2006, S. 482. 572 A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, 2007, § 5, Rn. 158; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 628 ff. Es wird ausgeführt, dass regelmäßig unterschiedliche Schadstoffe, aber auch andere Faktoren zusammenwirken werden, wenn Gesundheitsschäden oder Todesfälle auftreten. Daher ist z. B. unmöglich festzustellen, dass gerade eine Belastung mit Dioxin u. a. die „Gefahrenschwelle“ zum Krebs ausgelöst hat oder ob z. B. eine Industrieanlage für ihr Umfeld eine „hinreichend wahrscheinliche“ oder eine „mögliche Gefährdung“ darstellt. Ausführlich zum rechtlichen Umgang mit fachwissenschaftlichen Erkenntnissen und Erkenntnislücken, dargestellt am Beispiel des Naturschutzrechts in der Planfeststellung s. S. Kautz, in: U. Hösch (Hrsg.), Zeit und Ungewissheit im Recht, Liber amicorum zum 70. Geburtstag von W. Berg, 2011, S. 160 ff. 567
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chenbasis liegt, sollte dies aber nicht dazu berechtigen, sie anders zu behandeln als Unsicherheiten im prognostischen Bereich. Da letztlich jede Prognose der Natur der Sache nach mit Ungewissheiten belastet ist, sollte der Verdacht einer Gefahr nicht immer ein aliud sein.573 Dies spricht gegen eine absolute, trennscharfe Ausgrenzung des Gefahrenverdachts aus der Schutzpflicht. Aus diesen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Vorsorgegebot gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zugleich den Interessen der betroffenen Nachbarn und nicht bloß den Allgemeinheitsinteressen dient.574 Hier liegt die Frage nahe, weshalb bezüglich des Schutznormcharakters der Gefahrenabwehrnormen sowie der Vorsorgenormen eine so klare Trennung möglich sein soll, wo sich ihre Anwendungsbereiche doch weitgehend überschneiden.575 Vor diesem Hintergrund ist aber die selbständige Bedeutung und trennscharfe Funktion des Vorsorgegebots im Verhältnis zu der Schutzpflicht der Gefahrenabwehr fraglich.576 Außerdem könnte das Beharren auf der Durchführung der Vorsorge ausschließlich durch den Staat Grundlagen des Rechtsstaates gefährden. Denn mangels einer Einklagbarkeit der Vorsorgenormen kann die Bindung der Verwaltung an das Gesetz ausgehöhlt werden. Dadurch könnte auch jede menschliche Verhaltensweise, die in den Bereich der Vorsorge fällt, unter strenge staatliche Aufsicht gestellt werden.577 Daneben wurde zu Recht vorgetragen, dass die GefahrVorsorge-Dichotomie-Doktrin, insbesondere ihre Auswirkungen im Bereich des Rechtsschutzes, nicht dem in § 1 BImSchG ausgesprochenen Zweck eines effektiven Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen entspricht.578 In diesem Zusammenhang sollte die Tatsache, dass die gerichtliche Kontrolldichte bei planerischen umweltbezogenen Abwägungsentscheidungen i. d. R. eingeschränkt ist,579 nicht außer Acht bleiben. Denn es ist anzunehmen, dass, wenn 573
Vgl. A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, 2007, § 5, Rn. 158. Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 03.10.1979, GewArch 1980, S. 203 ff.; P. Huber, AöR 1989, S. 294 ff. 575 Vgl. P. Huber, AöR 1989, S. 294 ff.; E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler, 1991, S. 282; E. Kutscheidt, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 440. 576 Vgl. G. Lübbe-Wolff, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 181; H. Wagener, NuR 1988, S. 72; A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, 2007, § 5, Rn. 158. 577 W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 424, m.w. N. 578 G. Lübbe-Wolff, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 181. 579 H.-P. Michler, NuR 2013, S. 23 NVwZ 2012, S. 532 ff.; S. Schlacke, in: dies./ C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 21 ff.; jeweils m.w. N. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Einhaltung der einschlägigen Verwaltungsverfahrensvorschriften gerichtlich umso intensiver überprüft werden muss, je weiter die behördliche Gestaltungskompetenz (Ermessen, Beurteilungsermächtigung) reicht und um574
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
der Verwaltung ein weitgehender Beurteilungsspielraum eingeräumt wird (wie z. B. bei relevanten Fällen der Sicherungsprüfung eines Planfeststellungsbeschlusses von umweltbezogenen Großprojekten), die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte deutlich zurückgenommen wird.580 Eröffnet das Gesetz der Verwaltung einen Ermessensspielraum oder einen Abwägungsspielraum reduziert sich die Kontrolle der Verwaltungsentscheidung auf Ermessens- bzw. Abwägungsfehler. Dies bedeutet, dass die Verwaltungsgerichte nur kontrollieren dürfen, ob die vom Gesetzgeber der Verwaltung zugewiesenen Grenzen ihres Gestaltungsspielraums eingehalten wurden. Innerhalb dieses Entscheidungsraums kann somit die Verwaltung gerichtlich kontrollfrei agieren.581 Bei solchen oder entsprechenden umweltbezogenen Fällen weisen regelmäßig die Gerichte den Behörden die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung zu. Begründet wird dies mit der Überlegung, dass der Gesetzgeber mit der Verwendung des Ausdrucks „Stand der Wissenschaft und Technik“ die Behörden zur Gefahrenabwehr und Risikovorsorge verpflichtet habe.582 Infolgedessen seien die Gerichte mangels Expertise häufig nicht in der Lage, eigene Bewertungen an die Stelle der Einschätzungen der Verwaltung zu setzen. Ihnen obliege es lediglich, die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums zu überprüfen.583 Im Einzelnen kontrollieren die Gerichte nur, gekehrt. Vgl. dazu E. Pache, DVBl 1998, S. 385; F. Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 2000, S. 41; E. Schmidt-Aßmann, DVBl 1997, S. 288; R. Sparwasser, in: Umweltrecht im Wandel 2001, S. 1032; jeweils m.w. N. 580 BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 7 B 278/98, NVwZ 1999, S. 1232; vgl. J. Berkemann, EurUP 2014, S. 155, m.w. N. 581 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 21 ff., m.w. N. Einen „Vollüberprüfungsanspruch einer umweltrechtlichen Entscheidung auf ihre objektive Rechtmäßigkeit haben ausnahmsweise nur die Kläger, die von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschslusses betroffen sind und auch nur insoweit, als der Rechtsverstoß kausal für die behauptete Eigentumsinanspruchnahme geworden ist (BVerwG, Urt. v. 30.05.2012 – 9 A 35/10, NVwZ 2013, S. 147 ff.). Nicht von einer Enteignung betroffene Kläger können demgegenüber nur eine Verletzung eigener Rechte durch die Entscheidung rügen. W. Porsch, NVwZ 2013, S. 1393. 582 BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 7 B 278/98, NVwZ 1999, S. 1232. Mangels Expertise seien die Gerichte nicht in der Lage, eigene Bewertungen an die Stelle der Einschätzungen der Verwaltung zu setzen. Ihnen obliege es lediglich, die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums zu überprüfen. Im Einzelnen kontrollieren die Gerichte nur, ob die Genehmigungsbehörde die relevanten Tatsachen ermittelt hat und ihre Beurteilungsmaßstäbe und Risikobewertungen als willkürfrei gelten können. Aus der Perspektive der Kläger bedeutet dies, dass sie der Verwaltung Ermittlungsund Bewertungsdefizite nachweisen müssen. 583 BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 7 B 278/98, NVwZ 1999, S. 1232. Im Hinblick darauf ist charakteristisch, dass das BVerwG die Figur der umwelt- bzw. naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogativen in einer großen Breite zugrunde legt (BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11/03, NVwZ 2004, S. 1486 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.06.2006 – 9 A 28/05, Rn. 44, NVwZ 2006, S. 1407 ff.; BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3/06, ZUR
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ob die Genehmigungsbehörde die relevanten Tatsachen ermittelt hat und ihre Beurteilungsmaßstäbe und Risikobewertungen als willkürfrei gelten können. Aus der Perspektive der Kläger bedeutet dies, dass sie der Verwaltung Ermittlungsund Bewertungsdefizite nachweisen müssen,584 was aber in der Praxis nur selten erfolgreich gelingen dürfte.585 Demzufolge sind auch Erfolgsaussichten von relevanten Klagen gering. Obwohl wissenschaftliche Studien zeigen, dass die gerichtliche Kontrolldichte gegenüber Verwaltungsmaßnahmen in Deutschland größer ist als in anderen europäischen Staaten oder im Rechtssystem der EU,586 darf man im Sonderbereich des Umweltverwaltungsrechts das eingeschränkte Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle auch aufgrund des Strebens für ein „beschleunigtes“ Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrecht587 nicht übersehen.588 Unabhängig davon ist im Allgemeinen bemerkenswert, dass die ausdrückliche Unterscheidung zwischen (vorbeugendem) Gefahrenschutz und Vorsorge im internationalen Rechtsvergleich bisher keine Parallele findet.589 Selbst in Staaten (wie z. B. in der Schweiz u. a.), in denen eine solche Unterscheidung an sich be2008, S. 1238 ff.). Grund dafür ist, dass im Bereich des Naturschutzes bzw. des Umweltschutzes regelmäßig normkonkretisierende Maßstäbe sowie gewisse wissenschaftliche Kenntnisse fehlen, um ökologische oder umweltrelevante Bewertungen und Einschätzungen zu überprüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, NVwZ 2009, S. 302 ff.; BVerwG, Beschl. v. 27.06.2013, 4 B 37.12, Rn. 15, BeckRS 2013, 53008). Da bei zahlreichen Fragestellungen jeweils vertretbare umweltfachliche Einschätzung gegen umweltfachliche Einschätzung stehe, ohne dass sich eine gesicherte Erkenntnislage und anerkannte Standards herauskristallisiert hätten, fehle es den Gerichten an der auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis, eine umweltschutzfachliche Einschätzung der sachverständig beratenen Planfeststellungsbehörde als „nicht rechtens“ zu beanstanden. Die Einräumung einer solchen umwelt- bzw. naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative führt somit zu einer Rücknahme gerichtlicher Kontrolldichte. J. Berkemann, EurUP 2014, S. 155, m.w. N. 584 OVG Berlin, Urt. v. 29.03.1994 – 1 S 45/93, NVwZ 1995, S. 1023 ff. 585 F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059. 586 Vgl. F. Ekardt, EurUP 2012, S. 64 ff.; E. Hien, DVBl 2007, S. 393 ff.; C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 119 ff.; F. Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 2000, S. 40, m.w. N. Ursachen hierfür sind, abgesehen von einem präsumtiven Misstrauen gegenüber der Exekutive in Deutschland, das unausgewogene Verhältnis zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und materiellem Recht, das Fehlen einer abgestuften Kontrollsystematik und vor allem die Unterscheidung zwischen gerichtlich grundsätzlich voll nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsseite einer Rechtsnorm und dem auf der Rechtsfolgenseite angesiedelten, nur auf die Einhaltung bestimmter Grenzen nachprüfbaren Ermessen. 587 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 1. Kap., F., V. ff. 588 Vgl. C. Meissner, VBlBW 1997, S. 84 ff.; L. Knopp, BB 1997, S. 1002; E. Hien, BVerwG-Jahres-Pressegespräch, 29.11.2006; J. Meyer-Ladewig, NJW 1985, S. 1986; F. Ekardt, EurUP 2012, S. 64 ff. 589 Vgl. E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991, S. 249 ff.
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kannt ist, hat man sich bisher nicht um eine solche trennscharfe Abgrenzung bemüht. Dieser Befund spricht eher dafür, dass die markante Differenzierung zwischen Vorsorge und Gefahrenabwehr nicht in der Eigenart des Vorsorgeprinzips und den mit dem Vorsorgeanlass ausgelösten staatlichen Pflichten begründet ist. Vielmehr hängt dies mit Besonderheiten des deutschen Individualrechtsschutzsystems zusammen.590 Eine solche Unterscheidung zwischen drittschützenden, die Klagebefugnis vermittelnden Normen der Gefahrenabwehr einerseits und nicht drittschützenden, ausschließlich im Interesse des Gemeinwohls geschaffenen Normen (wie Vorsorgenormen oder sogar Verfahrensregelungen im Rahmen der UVP591) andererseits kennt das EU-Recht nicht.592 Daher muss die mitgliedstaatliche Umsetzung von EU-Richtlinien gewährleisten, dass dem Einzelnen ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Einhaltung von in Richtlinien festgeschriebenen Grenzwerten zukommt, auch wenn deren Schutz lediglich auf die Gesundheit des Volkes und nicht auf spezifische Rechte Dritter gerichtet ist.593 Aus europarechtlicher Sicht ist, insbesondere angesichts des Effektivitätsgebots („effet-utile“)594, die Ablehnung eines subjektiven Rechts auf Vorsorge durch die deutsche Rechtsprechung fraglich, denn dadurch kann dieses Gebot verletzt werden.595 Zwar liegt die Ausgestaltung des Verfahrens des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vor allem in den Händen der EU-Mitgliedstaaten („Verwaltungsautonomie“).596 Diese haben aber die Grundsätze der Effektivität des Rechtsschutzes zu beachten. Die Anwendung der nationalen Vorschriften
590
Ebd. Ausführlich zur Problematik des Drittschutzes im UVP-Verfahren s. u. 1. Teil, 1. Kap., F., II., 3., a). 592 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 18, m.w. N. 593 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff.; EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I02567 (Kommission/Deutschland); S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, AarhusHdb., 2010, § 3, Rn. 18, m.w. N. 594 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.12.1997, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959, Rn. 56 (Kommission/Frankreich), NJW 1998, S. 1933 ff.; EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 336; C. Calliess, NJW 2002, S. 3578. Nach diesem Grundsatz muss ein EU-Staat diejenige Form der Umsetzung wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien am besten geeignet ist. Die staatlichen Verfahrensmodalitäten für Kläger dürfen somit die Ausübung der durch die EU-Rechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. 595 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2006, S. 55; T. v. Danwitz, DVBl 2008, S. 540 ff. 596 Vgl. V. Götz, DVBl 2002, S. 1; G. Oestreich, DV 2006, S. 46. 591
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darf somit nicht dazu führen, „dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsordnung einräumt, praktisch unmöglich macht“.597 Vor diesem Hintergrund kommt die EuGH-Rechtsprechung ständig zu dem Ergebnis, dass eine Klagebefugnis immer dann gewährt wird, wenn eine EU-Norm personenbezogene Interessen des Einzelnen und insbesondere die menschliche Gesundheit berührt.598 Darüber hinaus müssen diese Bestimmungen entweder selbst bereits hinreichend genaue Verpflichtungen für den Anlagenbetreiber entfalten oder aber es lässt sich aus ihnen zumindest eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten herleiten, klare Ge- und Verbote für den jeweiligen Anlagenbetreiber zu erlassen, um für einzelne Umweltmedien Qualitätsziele zu garantieren.599 Daraus folgt, dass unter anderem aus dem EU-Recht hervorgegangene Normen, die insbesondere die Konkretisierung der Schutz- bzw. Vorsorgepflicht sowie die Festlegung von Erfordernissen der Vorsorge bezwecken, grundsätzlich von Drittbetroffenen einklagbar sein müssen. Bezieht sich die Vorsorge auf Umweltstandards des EU-Rechts, werden die daraus folgenden Pflichten als drittschützend angesehen.600 Insbesondere seit der Umsetzung der in der IVU-RL 2001 enthaltenen Vorsorgepflicht (Art. 3 S. 1 Buchst. a), die die Einhaltung der 597 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.07.1991, Rs. C-87/90, C-88/90 und C-89/90, Slg. 1991, I03757, Tz. 24 (Verholen u. a./Sociale Verzekeringbank), BeckRS 2004, 77858. 598 Relevant dazu sind z. B. die Vorgaben der Luftreinhalterichtlinie RL 2008/50/EG (ABl. Nr. L 152, S. 1) hinsichtlich der Aufstellung von Aktionsplänen und der Durchführung von planunabhängigen Maßnahmen für die Einhaltung der Feinstaubimmissionsgrenzwerte. Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 908 ff.; Anm. D. Murswiek, JuS 2009, S. 74 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 332 ff. 599 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567, Rn. 16 (Kommission/Deutschland, zur SO2-RL), NVwZ 1991, S. 866 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-04983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland, zur TrinkwasserRL), NVwZ 1992, S. 459 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I06747 (Kommission/Deutschland), NJW 1997, S. 2668 ff. In Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des EuGH kommt es für die gemeinschaftsrechtliche Begründung individueller Rechte entscheidend darauf an, ob Ziel einer Richtlinie die Verleihung von Rechten an Individuen ist; C. Calliess, NVwZ 2006, S. 3; J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2008, Rn. 118, Rn. 166; H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, Rn. 121 ff.; G. Oestreich, DV 2006, S. 56 ff. 600 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 10, Rn. 159; J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2014, Rn. 166; R. Klinger, EurUP 2014, S. 183; jeweils m.w. N. Das ist z. B. der Fall, wenn die Grenzen zwischen zumutbaren und unzumutbaren Immissionen (noch) nicht beschrieben werden können (z. B. bei kanzerogenen Stoffen) oder lückenhaften Kenntnissen im Hinblick auf die Schädlichkeit bestimmter Immissionen oder vermuteter Synergismen kleinräumig vorgebeugt werden soll. Vgl. auch E. Kutscheid, in: FS für K. Redeker, 1993, S. 453 ff., E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler 1991, S. 282; A. Roßnagel, § 5 BImSchG, in: H.-J. Koch/D. Scheuing/E. Pache (Hrsg.), GK-BImSchG, 2007, Rn. 849 ff., jeweils m.w. N.
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in den unterschiedlichen EU-Richtlinien vorgesehenen Standards gebietet, ist die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG jedenfalls insoweit als drittschützend zu betrachten, als sie solche unionsrechtlichen Standards sichern soll.601 Das Gegenteil wäre mit dem EU-Recht und insbesondere mit dem Effektivitätsgebot nicht vereinbar. In dieser Hinsicht sind dem Einzelnen im Bereich der umweltbezogenen Vorsorge auch national Klagerechte einzuräumen, unabhängig davon, ob dies mit der Schutznormtheorie im Einklang steht.602 Vor diesem Hintergrund erweist sich m. E. die Auffassung, dass eine drittschützende Wirkung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verneint werden muss, soweit nicht unionsrechtliche Vorgaben anderes gebieten,603 als systematisch widersprüchlich. Zwar betrifft die Rechtsprechung des EuGH bislang die Ansprüche auf die Einhaltung von Immissionsgrenzwerten; es wäre aber europarechtlich konsequent, wenn diese analog auch bei der Einhaltung von Emissionsgrenzwerten angewandt würden, soweit die vom EU-Recht bestimmten Emissionsgrenzwerte zumindest der menschlichen Gesundheit dienen.604 4. Zur Modifizierung der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin Der Abbau der vorliegenden Schwierigkeiten könnte in einer flexibleren Gestaltung des immissionsschutzrechtlichen Nachbarschutzes gefunden werden.605 Es erscheint realistischer, nicht von einer kategorialen Unterscheidung zwischen Vorsorge und Gefahrenabwehr, sondern von einer nur graduellen Unterscheidung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit auszugehen. In diesem Rahmen sollte eine durchgängig gestufte, je nach Art und Umfang des möglichen Schadens und Grads der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts bzw. der Größe des Besorgnispotentials unterschiedlich intensive Pflicht zur Minimierung des Risikos im Ge-
601
R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 10, Rn. 159. Vgl. H.-W. Rengeling, DVBl 2000, S. 1482 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 364, S. 371; V. Götz, DVBl 2002, S. 2; G. C. Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 291 ff. 603 J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2014, Rn. 166. 604 Vgl. D. Couzinet, DVBl 2008, S. 761; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 465 ff.; C. Calliess, NVwZ 2006, S. 4 ff., m.w. N. Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH kann heutzutage als gesichert gelten, dass Betroffene bei Gefährdung ihrer Gesundheit durch Überschreiten von EG-rechtlichen Grenzwerten in der Lage sein müssen, sich gerichtlich auf diese zu berufen. Unter der Voraussetzung, dass sich aus einer EGRechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner ergibt, die weder einer Bedingung noch einem mitgliedstaatlichen Ausgestaltungsvorbehalt unterliegt, ist eine solche Norm im nationalen Recht in der Regel drittschützend. In diesem Rahmen kann auch der Schutz von Allgemeininteressen als drittschützend betrachtet werden, sofern nur zugleich auch der Rechtskreis des Einzelnen berührt ist. 605 P. Huber, AöR 1989, S. 297. 602
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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samtbereich des Schutz- und Vorsorgeprinzips angenommen werden.606 In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll, den Gefahrenverdacht als eine Gefahr zu werten, sofern er auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruht und nicht nur auf reiner Spekulation, sondern genauer, hypothetische umwelt- und gesundheitsschädliche Möglichkeiten beinhaltet.607 Allenfalls könnte jedoch ein gradueller, aber für die grundsätzliche Bewertung unbedeutender Unterschied hinsichtlich der Aufklärung bestimmter Sachverhaltselemente angenommen werden.608 Eine aufweichende Modifikation der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie wurde beispielsweise durch das sog. „Wyhl-Urteil“ des BVerwG im Atomrecht vorgenommen.609 Laut diesem Urteil wird die Vorsorgepflicht auf Grund der von kerntechnischen Anlagen ausgehenden Gefährlichkeit als drittschützend eingestuft. Diese Gerichtsentscheidung sieht das Gebot bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nach dem Maßstab der praktischen Vernunft als drittschützend an. Sie dehnt damit den Drittschutz auf den Vorsorgebereich aus, soweit es um die Reduzierung von Individualrisiken geht. Gleichzeitig aber verweist sie ausdrücklich auf eine enge Verknüpfung des traditionellen Gefahrenbegriffs mit dem Erfahrungswissen.610 In Anlehnung an die Vorsorgepflichten des Betreibers im Atomrecht wird auch im Immissionsschutzrecht für besonders gefährliche Immissionen, für die ein Immissionsgrenzwert nicht existiert, diskutiert, ob Drittschutz nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu gewähren ist.611 In diesem Zusammenhang – angesichts einer hochkontroversen Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern der Anwendung von Gentechnik bei Kulturpflanzen und eines noch nicht endgültig geklärten Erkenntnisstandes der Wissenschaft, insbesondere bei der Beurteilung von Ursachenzusammenhängen und 606 Vgl. indizierend dazu BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82 (Mannheim), BVerwGE 72, S. 300, S. 315 (insb. im Atomrecht); E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991, S. 249 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 80 ff. Vgl. dazu auch R. Breuer, DVBl 1986, 854 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 62 ff., 96 ff. 607 Vgl. A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, 2007, § 5, Rn. 158; A. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 496; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 152 ff. s. auch die These von M. Möstl hinsichtlich der Funktion des Gefahrenverdachts im Polizeirecht in: DVBl 2007, S. 587 ff., m.w. N. 608 Vgl. A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, 2007, § 5, Rn. 158. 609 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, NVwZ 1986, S. 208 ff.; R. Breuer, NVwZ 1990, S. 211 ff. In dieselbe Richtung auch VG Neustadt, Urt. v. 16.12.1991 – 7 L 1319/91, NVwZ 1992, S. 1008; K.-H. Ladeur, NVwZ 1992, S. 948 ff. Mehr zum Drittschutz im Atomrecht s. u. 1. Teil, 1. Kap., E., IV. 610 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, BVerwGE 72, S. 300, S. 315 ff., NVwZ 1986, S. 208 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 150; P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 155. 611 Vgl. D. Sellner/O. Reidt/M. Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 2006, Rn. 213.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
langfristigen Folgen eines solchen Einsatzes von Gentechnik – versuchte das BVerfG eine Antwort zu geben. In seinem Urteil vom 24.11.2011 hat das BVerfG612 dem Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht auf dem Gebiet des Gentechnikrechts zuerkannt. Hinsichtlich der Frage, ob im Bereich des Gentechnikrechts613 eine Risikolage vorliegt, die ein Einschreiten des Gesetzgebers gebietet, räumte das BVerfG dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative ein. Um konkreter zu werden, ging es darum, dass der Gesetzgeber die Nachkommen von gentechnisch veränderten Organismen im Allgemeinen und die durch zufällige Auskreuzung entstandenen gentechnisch veränderten Organismen im Besonderen als mit einem allgemeinen Risiko behaftet ansah und den gentechnikrechtlichen Vorschriften unterstellte. Das BVerfG beanstandete dies nicht und führte aus, dass die Annahme eines solchen sog. Basisrisikos durch den Gesetzgeber keinen wissenschaftlich-empirischen Nachweis des realen Gefährdungspotentials der gentechnisch veränderten Organismen und ihrer Nachkommen voraussetzt. Grund hierfür ist, dass in einer wissenschaftlich ungeklärten Situation, wie in der vorliegenden, der Gesetzgeber befugt ist, die Gefahrenlage und die Risiken zu bewerten, zumal die durch das Gentechnikgesetz geschützten Rechtsgüter wie das Leben und die Gesundheit von Menschen sowie die Umwelt verfassungsrechtlich verankert sind und ein hohes Gewicht haben.614 Die Wahrnehmung dieses Schutzauftrags kann aus Sicht des BVerfG ein Einschreiten des Gesetzgebers nicht erst bei Gefährdung eines Schutzgutes der natürlichen Lebensgrundlagen, sondern bereits auf der Ebene der Risikovorsorge gebieten.615 Damit wird der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich der Frage, „ob“ ein Tätigwerden geboten ist, eingeschränkt und das Prinzip der Risikovorsorge als Abwägungskriterium bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Grundrechtseingriffen eingesetzt.616 Insofern soll das mit dem Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt und der Vermarktung gentechnisch veränderter Produkte be-
612
BVerfG, Urt. v. 24.11.2010 – 1 BvF 2/05, NVwZ 2011, S. 94 ff. Zum Drittschutz im Gentechnikrecht s. u. 1. Teil, 1. Kap., E., V. 614 BVerfG, Urt. v. 24.11.2010 – 1 BvF 2/05, Rn. 142, NVwZ 2011, S. 99 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 5, m.w. N. Der Gesetzgeber muss somit bei der Rechtsetzung nicht nur die von der Nutzung der Gentechnik einerseits und deren Regulierung andererseits betroffenen Interessen, welche insbesondere durch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), die Freiheit der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) geschützt werden, in Ausgleich bringen, sondern er hat gleichermaßen den in Art. 20a GG enthaltenen Auftrag zu beachten, auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. 615 BVerfG, Urt. v. 24.11.2010 – 1 BvF 2/05, Rn. 137, NVwZ 2011, S. 98 ff. 616 A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 5, m.w. N. 613
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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stehende Risiko unerwünschter oder schädlicher, ggf. unumkehrbarer Auswirkungen im Sinne einer größtmöglichen Vorsorge beherrscht werden. Das BVerfG will im Ergebnis vermeiden, dass der Gesetzgeber seiner Verantwortung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) nicht gerecht werden kann, wenn er die durch zufällige Vorgänge entstandenen Nachkommen von gentechnisch veränderten Organismen keiner Kontrolle unterstellen würde.617 In Einklang mit diesem Urteil wäre es daher seitens des Gesetzgebers bzw. des Richters nicht inkonsequent, entsprechende Vorsorgenormen, die dem Schutz der Gesundheit bzw. der Umwelt dienen, de lege ferenda als einklagbar anzuerkennen,618 insbesondere in Ermangelung eines endgültig geklärten Erkenntnisstands der Wissenschaft hinsichtlich der Auswirkungen von Immissionen oder Emissionen, die die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können. In diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll, dass (auf der Grundlage des Vorbehalts in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO) zumindest die Verletzung aller in Rechts- und Verwaltungsvorschriften niedergelegten Grenzwerte in Bezug auf Immissionen oder Emissionen (jedenfalls im kritischen Bereich der Luftreinhaltung sowie des Atomrechts und des Gentechnikrechts) die drittbetroffenen Nachbarn zur Klage berechtigt.619 Eine solche Konzeption würde den Umfang des umweltrechtlichen Rechtsschutzes erweitern, ohne aber der Einhaltung des Individualrechtsschutzsystems zuwiderzulaufen und den Rechtsstaat zu gefährden.620 Nachdem auch dem Vorsorgegebot in bestimmten Fällen ein individualschützender Gehalt zuerkannt werden soll, könnte der oben aufgeführte Vorschlag einen Weg aufzeigen, die absolute Rechtsschutzunfähigkeit des Schutzprinzips aufzugeben und zu einer Ausweitung der subjektiven öffentlichen Rechte sowie zu einer entsprechenden Modifikation der Schutznormlehre zu führen.621 Dabei könnte die Anerkennung der Einklagbarkeit von Vorsorgenormen als materielles Leitbild einer modernen Umweltpolitik angesehen werden. Eine tiefgehendere Analyse der Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie kann jedenfalls nicht an dieser Stelle tiefer untersucht werden. Es geht über die Ziele und Gegenstände dieser Arbeit hinaus. Es bleibt abzuwarten, wie die Theo-
617 BVerfG, Urt. v. 24.11.2010 – 1 BvF 2/05, Rn. 142, NVwZ 2011, S. 99 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 5; jeweils m.w. N. 618 Vgl. H. Wagener, NuR 1988, S. 72 ff.; H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchGKomm., 2007, Rn. 123, m.w. N. 619 Vgl. H. Jarass, § 5 BImSchG, in: BImSchG-Komm., 2007, Rn. 123, m.w. N. 620 Über mögliche Gefahren für den Rechtsstaat vgl.: J. Ipsen, NdsVBl. 1999, S. 225 ff.; P. Huber, DVBl 1999, S. 493 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 11 ff., m.w. N. 621 Vgl. E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991, S. 250; R. Breuer, DVBl 1986, 854 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 62 ff., 96 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
rie und die Rechtsprechung auf diese Problematik reagieren werden bzw. ob sie eine dahingehende rechtsschutzfreundlichere Konzeption effektiv erarbeiten können. Im Anschluss an das sog. Trianel-Urteil des EuGH622 ist von besonderer Bedeutung, dass anscheinend nunmehr die anerkannten Umweltschutzvereinigungen im Rahmen der neuen Fassung des UmwRG vom 21.01.2013623 (§ 2 Abs. 1 UmwRG) einen Verstoß gegen umweltschützende Rechtsnormen auch dann geltend machen können, wenn diese selbst keinen subjektiven Rechtsschutz Einzelner gewähren. Daraus folgt anscheinend, dass eine Rügebefugnis einer Umweltschutzvereinigung auch im Hinblick auf den Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG und die zu dessen Konkretisierung erlassenen Rechtsverordnungen besteht, soweit diese Vorgaben unter den Anwendungsbereich des UmwRG fallen.624 Dies soll eine positive Entwicklung des modernen deutschen Verwaltungsrechts im Rahmen der Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts sein, die ohne Zweifel auch die Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie zum Teil entschärfen kann. Diese Entwicklung soll an einer weiteren Stelle der Arbeit erörtert werden.625 Zunächst soll indizierend der defizitäre Rechtsschutz Drittbetroffener in den speziellen Bereichen des Klimaschutzrechts, des Atom- und Strahlenschutzrechts, des Gentechnikrechts, des Wasserrechts, des Abfallrechts, des Berg- und Bodenschutzrechts sowie des Naturschutzrechts dargestellt werden. Dadurch sollen die Konsequenzen des deutschen Individualrechtsschutzsystems im Bereich des überindividuellen Rechtsschutzes konkreter dargestellt werden.
III. Zum Drittschutz im Klimaschutzrecht Was die immissionsrechtlichen Auseinandersetzungen anbelangt, ist anzumerken, dass es fast nie um den Klimaschutz geht. Denn der Klimaschutz besitzt im deutschen Rechtssystem – von der objektiven Rechtskontrolle in Normenkontrollverfahren einmal abgesehen – bei der Genehmigungsentscheidung immissionsschutzrechtlicher Großfeuerungsanlagen grundsätzlich keinen Wert.626 Hauptgrund dafür ist vor allem die in § 5 Abs. 1 S. 2 BImSchG geregelte Aus-
622 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 4. Kap., A. ff. 623 Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21.01.2013, BGBl. I, S. 95. Dieses Gesetz ist am 29.01. 2013 in Kraft getreten. s. ausführlich dazu in 1. Teil, 3. Kap., C., II., 4. 624 J. Dietlein, § 5 BImSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. III, 2014, Rn. 166. 625 Mehr dazu in 1. Teil, 3. Kap., C., II., 4. 626 Vgl. K.-F. Gärditz, JuS 2008, S. 324 ff.; S. Möckel/W. Köck, NuR 2009, S. 318 ff.; SRU, Umweltschutz in Zeiten des Klimawandels, 2008, S. 179.
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nahme für Anlagen, die dem nicht drittschützenden Emissionshandel unterliegen. Das ansonsten nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BImSchG geltende Gebot hoher Energieeffizienz wird bei diesen Anlagen durch die Regelungen des TreibhausgasEmissionshandelsgesetzes (TEHG) ersetzt. Dies bedeutet in der Praxis, dass derjenige, der sich die Emissionszertifikate leisten kann, selbst Anlagen errichten darf, die hochgradig ineffizient sind. Dies könnte sich erst ändern, wenn Effizienzanforderungen auch bei TEHG-Anlagen Eingang in die Genehmigungsvoraussetzungen finden. Denn das Vertrauen darauf, dass es der Emissionshandel allein richten werde, ist begrenzt.627 Aber auch wenn es so kommt, dass Effizienzanforderungen zugunsten des Klimaschutzes Teil der Genehmigungsvoraussetzungen werden, könnten diese Pflichten eigentlich nicht subjektiv durchgesetzt werden. Denn die Rechtssubjekte (einschließlich der anerkannten Umweltschutzvereinigungen) sind in ihrer Klagebefugnis beschränkt, soweit der Bundesgesetzgeber weder im Rahmen des BNatSchG noch aufgrund des UmwRG die Möglichkeit eröffnet, Klimaschutzaspekte in die gerichtliche Überprüfung einzubeziehen.628 Darüber hinaus sind auch mit den Kennzeichnungspflichten für klimaschädliche Produkte, wie Autos und bestimmte Haushaltsmaschinen (Klimaanlagen, Kühlschränke, Geschirrspüler etc.), aber auch mit anderen dem Klimaschutz dienenden Vorschriften, wie z. B. den umstrittenen Regeln zum Glühbirnenverbot,629 rechtliche Anforderungen entstanden, die den Arbeits- und Lebensraum und daher auch die Umwelt verändert bzw. beeinträchtigt haben. In dieser Hinsicht ist aber problematisch, dass die Einhaltung solcher klimaschädlichen Anforderungen grundsätzlich nicht gerichtlich kontrolliert werden kann, da ihre Auswirkungen nur schwer „individualisiert“ werden können.630 Zwar können bisher anerkannte Umweltschutzvereinigungen einige Verstöße gegen klimarelevante Rechtsnormen kontrollieren; dies ist aber nur deshalb möglich, weil bestimmte Vorschriften (wie die Pflicht zur Verbrauchsangabe bei Kühlschränken) zugleich Verbraucherbelange betreffen und die Vereinigung sich auf eine Klagebefugnis als Verbraucherschutzverband nach dem UKlaG berufen kann. Ansonsten könnte kein noch so engagierter Bürger oder Verband gegen derartig klimarelevante Rechtsverstöße gerichtlich vorgehen.631
627
R. Klinger, ZUR 2010, S. 169. R. Klinger, ZUR 2010, S. 169; s. auch 1. Teil, 2. Kap., D. ff.,1. Teil, 3. Kap., B., I. 629 Kritisch dazu B. Wegener, ZUR 2009, S. 169 ff. 630 Vgl. K.-F. Gärditz, JuS 2008, S. 324 ff.; S. Möckel/W. Köck, NuR 2009, S. 318 ff.; SRU, Umweltschutz in Zeiten des Klimawandels, 2008, S. 82; R. Klinger, ZUR 2010, S. 169 ff.; R. Verheyen/M. Lührs, ZUR 2009, S. 76 ff., S. 129 ff. 631 R. Klinger, ZUR 2010, S. 169; jeweils m.w. N. 628
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IV. Zum Drittschutz im Atom- und Strahlenschutzrecht Auch im Atomrecht ist die Risikovorsorge im Allgemeininteresse geboten.632 Anders aber als im Immissionsschutzrecht und aufgrund des hier bestehenden besonderen Risikopotentials besitzen im Atomrecht die Vorschriften, die der Gesundheitsvorsorge dienen, weitgehend drittschützenden Charakter. Zunächst bilden die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AtG eine drittschützende Basis, soweit sich aus der mangelnden Zuverlässigkeit Gefährdungen von immissionsschutzrechtlichen Rechtsgütern Dritter ergeben können.633 Gleiches gilt für die Vorschriften, die für die Erteilung der Genehmigung einer Atomanlage verlangen, dass die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegenüber Schäden getroffen wird.634 In diesem Zusammenhang ist vor allem § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG (erforderliche Vorsorge nach dem Stand der Wissenschaft und Technik für die Erteilung einer Genehmigung von Atomanlagen) i.V. m. § 45 Abs. 1 StrlSchVO (Dosisgrenzwerte) zu nennen. Grund dafür ist die Ausrichtung der Vorschrift auf das Individualrisiko. Diese räumt dem Drittbetroffenen ein subjektives öffentliches Recht ein.635 Die für die Klagebefugnis erforderliche Substantiierung gelingt, wenn der Distanzkläger geltend machen kann, dass diese Dosisgrenzwerte an seinem Aufenthaltsort überschritten werden können. Beim Standortkläger reicht aber die Behauptung aus, dass die Dosisgrenzwerte an den ungünstigsten Einwirkungsstellen überschritten wurden.636 Darüber hinaus ist der Dritte unter unmittelbarem Rückgriff auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG dann klagebefugt, wenn er geltend macht, er sei beim Normalbetrieb des Kernkraftwerks einem unzumutbaren Risiko ausgesetzt, weil die Dosisgrenzwerte des § 47 StrlSchVO die Grenze der gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG erforderlichen Schadensvorsorge aufgrund neuer Erkenntnisse nicht
632 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78, NJW 1981, S. 1393 ff. Dementsprechend auch BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 42/80, NJW 1983, S. 242 ff. Kritisch dazu G. Winter, in: Festgabe, 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1035 ff. 633 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.04.1990 – 7 B 111/89 (Mannheim), NVwZ 1990, S. 858 ff. 634 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78, NJW 1981, S. 1393; BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, BVerwGE 72, S. 300, S. 315 ff., NVwZ 1986, S. 208 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.8.1996 – 11 C 9/95 (Schleswig), NVwZ 1997, S. 162; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 107; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 177. 635 BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78, NJW 1981, S. 1393 ff. 636 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78, NJW 1981, S. 1393 ff.; F. Kopp/ W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 107; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 559; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 177.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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mehr zutreffend wiedergeben.637 Im Atomrecht ist es nicht nur „unerwünscht“, sondern im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG auch unerlaubt, „exakt bis an die Gefahrengrenze zu gehen“.638 Hier muss betont werden, dass § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG eine Genehmigungsnorm ist, die sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Risikovorsorge bezweckt. Diese Norm soll aber nur im Bereich der Gefahrenabwehr für den Einzelnen (Individualrisiko)639 drittschützend sein, nicht aber im Vorsorgebereich.640 Allerdings verbietet das besondere Risikopotential kerntechnischer Anlagen vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Auslegung der Genehmigungsnorm, welche Schadensvorsorge als Gefahrenabwehr begreift. Daher zieht die atomrechtliche Genehmigungsnorm auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht641 oder Besorgnispotential besteht.642 Im Ergebnis erfasst die Schadensvorsorge des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht allein die Gefahrenabwehr, sondern auch Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle. Subjektivrechtlich relevant und drittschützend ist somit auch der Vorsorgebereich, soweit die entsprechenden Vorschriften auf das Gesundheitsinteresse des Einzelnen bezogen sind.643 Diese Auffassung aber begründet offensichtlich einen 637 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.1996 – 11 C 9/95, NVwZ 1997, S. 162; F. Kopp/ W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 107. 638 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, NVwZ 1986, S. 208 ff.; R. Wahl/ P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGOKomm., 2013, Rn. 177; P. Huber, AöR 1989, S. 296. 639 Wobei die Anzahl potentiell Geschädigter für die Ermittlung der Höhe des Individualrisikos unbedeutend ist. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/786, BVerwGE 61, S. 256, S. 266. 640 Vgl. C. Greipl, DVBl 1992, S. 599; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 98, m.w. N.; a. A. OVG Lüneburg, Urt. v. 20.01.1982 – 7 A 119/ 76, UPR 1983, S. 161 ff.; H.-P. Schneider/R. Steinberg, Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 28 ff. Diese Auffassung negiert die Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge und geht von einem einheitlichen, sehr weit verstandenen Schadensvorsorgebegriff aus. 641 Zur Problematik des Gefahrenverdachts vgl.: A. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 395 ff. 642 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82, BVerwGE 72, S. 300, S. 315 ff., NVwZ 1986, S. 208 ff.; M. Bertrams, DVBl 1993, S. 692; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 177. 643 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 28.06.1989 – 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, S. 1184; OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.10.1986 – 7 D 8, 10/86, NVwZ 1987, S. 76; OVG Münster, Beschl. v. 26.04.1993 – 21 B 1563/92. AK, NVwZ-RR 1994, S. 143; R. Breuer, NVwZ 1990, S. 214; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aß-
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ausgedehnten Drittrechtsschutz im Vergleich zu dem oben dargestellten Drittrechtsschutz des Immissionsschutzrechts. Dadurch wird auch hier die Gefahrenschwelle – im Verhältnis zum Immissionsschutzrecht – außergewöhnlich erweitert. Demzufolge wird dadurch der fundamentale Unterschied zwischen Schutz- und Vorsorgegrundsatz übergangen. Der Individualrechtsschutz erstreckt sich somit im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG über die Gefahrenabwehr hinaus auf die gesamte Grauzone zwischen Schutz- und Vorsorgegrundsatz und insbesondere auf den „Gefahrenverdacht“.644 Dies kann aber zu weiteren Missinterpretationen hinsichtlich der konkreten Grenze zwischen Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge führen sowie systematische Divergenzen bezüglich der Doktrin der sog. Gefahr-Vorsorge-Dichotomie herbeiführen.645 Die nach Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge wird untergesetzlich durch die StrlSchVO einerseits für den Normalbetrieb und andererseits für Störfälle konkretisiert. Maßgeblich für den Drittschutz in solchen Fällen ist ebenfalls § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Die untergesetzlich festgelegten Grenzwerte müssen sich daher am gesetzlichen Postulat der Schadensvorsorge messen lassen. Erweisen sie sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse als unzureichend, so besteht eine Nachbesserungspflicht des Verordnungsgebers.646 Hinsichtlich der Anordnung nachträglicher Auflagen aufgrund von § 17 Abs. 1 S. 3 AtG und des Widerrufs der Genehmigung nach § 17 Abs. 5 AtG ist ebenso ein Drittschutz anerkannt.647 Nicht zum Katalog des atomrechtlichen Drittschutzes gehört aber der h. M. nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG (wenn überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Umweltauswirkungen der Wahl des Standortes der Anlage nicht entgegenstehen sowie § 9a Abs. 1 AtG (über die Verwertung radioaktiver Reststoffe und die Beseitigung radioaktiver Abfälle).648 Beachtenswert ist, dass das BVerwG entschieden hat, dass nach der Fassung des § 6 Abs. 2 AtG für die Prüfung eines individuellen Bedürfnisses für eine Ge-
mann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 177; C. Greipl, DVBl 1992, S. 599 ff.; M. Bertrams, DVBl 1993, S. 692. 644 Vgl. P. Huber, AöR 1989, S. 296; R. Breuer, DVBl 1986, S. 856. 645 s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., II., 1. Skeptisch darüber auch R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 155, Rn. 177; H.-P. Schneider/R. Steinberg, Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 28 ff. In diese Richtung jedoch hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Risikovorsorge und Risikominimierung, C. Greipl, DVBl 1992, S. 600 ff. 646 Vgl. OVG Berlin, Urt. v. 05.06.1990 – 2A 2/85, NVwZ-RR 1991, S. 181; M. Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 304 ff. 647 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 28.06.1989 – 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, S. 1184; VGH München, Urt. v. 27.11.1990 – 22 A 88.40108, NVwZ 1991, S. 904 ff. 648 BVerwG, Urt. v. 07.06.1991 – 7 C 43/90, NVwZ 1993, S. 177.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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nehmigung zur Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb staatlicher Verwaltung kein Raum besteht. Danach dient das Bedürfnis nach Aufbewahrung nur den Interessen der Allgemeinheit und vermittelt mithin keinen Drittschutz.649 Es bestehe kein Schutz vor jedweder Strahlung und daher müsse ein Restrisiko hingenommen werden. Dabei gebe es kein drittschützendes Strahlenminimierungsgebot, da der Kläger nicht mehr als die erforderliche Vorsorge verlangen könne, d. h. nur die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik mögliche Vorsorge.650 Gründe dafür sind die hierdurch entstehende Rechtsunsicherheit, die fehlende Abgrenzbarkeit des klageberechtigten Personenkreises, die Unbestimmtheit des erforderlichen Maßes an Risikovorsorge und die Relativität des Schutzes der Betroffenen nach Maßgabe ihrer Entfernung von der Quelle.651 Dies gilt auch, soweit es um die Auslegung der Anlage für Störfälle geht.652 Der drittbetroffene Nachbar könne allerdings gegenüber einer Kernkraftanlage nur die Einhaltung bestimmter Dosisgrenzwerte gem. § 47 Abs. 1 StrlSchVO653 beanspruchen.654 Der h. M. nach sind auch die Dosisgrenzwerte (sog. Störfallplanungsdosen) gem. § 49 Abs. 1 StrlSchVO, die der Planung von Schutzmaßnahmen gegen Störfälle dienen, drittschützend.655 Auch die in § 49 StrlSchVO festgelegten Grenzwerte, die der Planung von Schutzmaßnahmen gegen Störfälle dienen, haben drittschützende Wirkung.656 Im Anschluss daran sollte auch erwähnt werden, dass die Regelung über die Gewährleistung der erforderlichen Vorsorge gegen Schäden durch die Beförderung von Kernbrennstoffen in § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG sowie die Regelung über die Gewährleistung des erforderlichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter in § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG dem Schutz individueller Rechte 649
BVerwG, Beschl. v. 05.01.2005, 7 B 135.04, NVwZ 2005, S. 817 ff. Vgl. OVG Berlin, Urt. v. 05.06.1990 – 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, S. 183; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 180. 651 E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler, 1991, S. 281. 652 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 180 ff. 653 Unter dem Begriff „Dosisgrenzwerte“ ist ein Mindestniveau des Schutzes zu verstehen, vgl. dazu EuGH, Urt. v. 25.11.1992, Rs. C-376/90, Slg. 1992, I-06153 (Kommission/Königreich Belgien). 654 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2007, Rn. 107; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 78 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 98. 655 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 26.04.1993 – 21 B 1563/92, NVwZ-RR 1994, S. 143 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 87 ff. Im Falle einer Strahlenexposition muss der Kläger geltend machen, einer Strahlung jenseits der Störfallplanungsdosen ausgesetzt zu sein. Gegenstand der klägerischen Substantiierungslast ist insoweit auch die Eintrittswahrscheinlichkeit eines bestimmten Störfalls. 656 BVerwG, Urt. v. 17.04.1990 – 7 B 111/89, NVwZ 1990, S. 859. 650
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
von Dritten, die in der Nähe einer Umschlaganlage oder einer von dort ins Transportbehälterlager führenden Straße wohnen, dient.657 Auch die oben ausgeführten Restriktionen des Drittrechtsschutzes, insbesondere für den Schutz der großräumigen Nachbarschaft, im kritischen Bereich des Atom- und Strahlenschutzrechts bestätigen weiterhin die schon oben dargestellten systematischen Divergenzen der bislang herrschenden Doktrin der GefahrVorsorge-Dichotomie im Bereich des Umweltrechtsschutzes. Auch das Atomund Strahlenschutzrecht bietet ein weitgehend unübersichtliches und unklares Drittrechtsschutzsystem an, das im Ergebnis nicht der Rechtssicherheit im kritischen Bereich des atomrechtlichen Rechtsschutzes dient. Demzufolge kann der Dritte ohne effektiven Rechtsschutz den Atomgefahren zum Teil ausgesetzt bleiben.658
V. Zum Drittschutz im Gentechnikrecht Im Gentechnikrecht haben Vorschriften drittschützende Wirkung, die die Grundpflichten des Betreibers im Rahmen der Genehmigung einer gentechnischen Anlage normieren und zumindest auch die Interessen des Nachbarn schützen sollen, d. h. solche, die nicht nur den Belangen der Allgmeinheit, sondern auch dem individuellen Schutz des Dritten dienen. Solche Vorschriften sind vor allem § 1 Abs. 1 Nr. 1 GenTG (Schutz vor schädlichen Auswirkungen gentechnischer Verfahren und Produkte und Vorsorge gegen das Entstehen solcher Gefahren) und § 6 Abs. 2 GenTG (Sorgfalts- und Aufzeichnungspflichten des Betreibers). Drittschützend sind auch die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GenTG sowie die Genehmigungsvoraussetzungen für gentechnische Arbeiten im geschlossenen System nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 i.V. m. § 6 Abs. 2 GenTG (Gefahrenabwehr als Risikovorsorge).659 Darüber hinaus können Verstöße gegen die nach § 8 GenTSV vorgeschriebenen Labor- und Produktionssicherheitsmaßnahmen ebenfalls von Dritten gerügt werden.660 Zudem ist auch die Abwägungsentscheidung nach § 16 Abs. 2 GenTG, von der die Genehmigung zum Inverkehrbringen abhängt, drittschützend.661 Auch gegenüber der Freisetzungsgenehmigung kann sich ein drittbetroffener Kläger auf fehlende subjektive Genehmigungsvoraussetzungen (§ 16 Abs. 1 657 BVerwG, Urt. v. 14.03.2013 – 7 C 34.11, Rn. 33 ff., UPR 2013, S. 384 ff., ZUR 2013, S. 610 ff. Der Ansicht des BVerwG nach unterscheidet sich § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG in seiner Grundstruktur nicht von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. 658 Vgl. im Allgemeinen: P. Huber, AöR 1989, S. 293 ff. 659 OVG Hamburg, Beschl. v. 27.01.1995, OVG BS III 236/94, ZUR 1995, S. 93 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 190, m.w. N. 660 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 190. 661 Ebd., Rn. 191.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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Nr. 1 i.V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GenTG) sowie auf unzureichende Vorsorgemaßnahmen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG) berufen.662 Gleiches gilt auch für die behördliche Gestattung schädlicher Einwirkungen auf Umweltrechtsgüter in der Abwägungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG.663 Aufgrund der Schutznormtheorie hängt die Klagefähigkeit dieser Normen davon ab, dass der Kläger vom Schutzzweck der gentechnikrechtlichen Vorschrift erfasst ist. In diesem Rahmen verlangt die Rechtsprechung grundsätzlich für Drittklagen die substantiierte Darlegung der Möglichkeit einer Rechtsverletzung. Im Gentechnikrecht ist jedoch die Bestimmung des Schutzzwecks nach räumlichen Kriterien i. d. R. besonders schwierig.664 Hauptgrund dafür ist, dass bei gentechnischen Anlagen oder sonstigen Aktivitäten häufig eine Rechtsverletzung (z. B. in Form einer Beeinträchtigung des Eigentums) oder eine Gefährdung der körperlichen Integrität bzw. der Gesundheit schwer feststellbar ist. Denn in diesem Bereich bestehen i. d. R. für jede Person nicht zu begrenzende und nicht vorherzusehende Verbreitungspfade bzw. längere Latenzzeiten hinsichtlich der im Grunde daraus ausfließenden individuellen Beeinträchtigungen. Angesichts der nicht selten ungewissen Geschehensabläufe wird demzufolge ein Kläger i. d. R. keine konkrete Schadenseintrittswahrscheinlichkeit substantiiert behaupten können.665 Es scheint, dass die Beschränkung des Drittschutzes der von gentechnisch veränderten Organismen betroffenen Dritten – im Rahmen der Schutznormtheorie – auf einen räumlichen wie auch immer zu bestimmenden „Einwirkungsbereich“ der gentechnischen Anlage666 nicht den effektiven Umweltrechtsschutz fördert.667 662 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 191; K.-F. Gärditz, ZUR 2009, S. 413 ff., m.w. N. 663 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 191; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 109; F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGOKomm., 2003, Rn. 189 ff.; K.-F. Gärditz, ZUR 2009, S. 413 ff., m.w. N. 664 Vgl. G. Winter, Grundprobleme des Gentechnikrechts, Umweltrechtliche Studien, Bd. 14, 1993, S. 62 ff.; G. Beaucamp, NuR 2002, S. 333. 665 Vgl. dazu OVG Lüneburg, Urt. v. 28.05.2009 – 13 ME 76/09, BeckRS 2009, 34239; OVG Lüneburg, Urt. v. 07.03.2008 – 13 ME 11/08, NVwZ 2008, S. 802 ff.; OVG Münster, Urt. v. 31.08.2000 – 21 B 1125/00, NuR 2001, S. 104 ff.; OVG Berlin, Urt. v. 27.06.2007 – OVG 11 S 54/07, LMRR 2007, S. 14; VG Schleswig, Urt. v. 03.07.2001 – 1 B 35/01, ZUR 2001, S. 409 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 30.05.2008 – Au 7 K 07.276, ZUR 2008, S. 538 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 04.05.2007 – Au 7 E 07.259, ZUR 2007, S. 437 ff.; K.-F. Gärditz, ZUR 2009, S. 418 ff.; G. Beaucamp, NuR 2002, S. 333; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 189 ff.; G. Winter, Grundprobleme des Gentechnikrechts, Umweltrechtliche Studien, Bd. 14, 1993, S. 62 ff.; jeweils m.w. N. 666 Es muss im Rahmen der Schutznormtheorie beachtet werden, dass für das Umweltrecht ein qualifiziertes Betroffensein gefordert wird, das sich aus einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung des Individuums zum Genehmigungsgegenstand ergibt, weil Auswirkungen, die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen, eine
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Problematisch ist auch die Tatsache, dass, wer erst im Gerichtsverfahren und nicht schon im Vorverfahren darlegt, dass er von einem Freisetzungsversuch in seinen Rechten betroffen ist, nicht mehr aufgrund § 18 Abs. 3 GenTG i.V. m. § 5 Gentechnik-AnhörungsVO mit seinem Vorbringen gehört werden kann.668 Wegen des weitgehend wissenschaftlich ungeklärten Gefährdungspotentials im Umgang mit der Gentechnik, hat schon auch hier ein erweiterter Drittrechtsschutz zu gelten, sodass jedenfalls – wie im Atomrecht – nicht „bis an die Gefahrengrenze“ gegangen werden darf.669
VI. Zum Drittschutz im Wasserrecht Ein Drittschutz im Bereich des Wasserrechts ist nur im Anwendungsbereich der wasserbehördlichen Bewilligung sowie der gehobenen nachbarrechtlich formalisierten Erlaubnis vorgeschrieben (so §§ 14 und 15 Abs. 2 WHG n. F., zuvor § 8 Abs. 3, 4 und § 10 WHG a. F.). Soweit Landeswassergesetze als Voraussetzung für die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis vorschreiben, dass nachteilige Wirkungen nicht zu erwarten sind, können Betroffene gegen die Erlaubniserteilung klagen, wenn ihre Einwendungen im Erlaubnisverfahren nicht berücksichtigt wurden. Gleiches gilt, wenn die Erlaubnis gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt und sich dieser Verstoß auf Grund seiner Schwere und Unerträglichkeit als Eingriff in geschützte eigene Rechte eines Rechtssubjekts darstellt.670 Hat die Behörde die Einwendungen jedoch im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens berücksichtigt und dennoch die Erlaubnis erteilt, kann der Betroffene nur dann in seinem Rechte verletzt sein, wenn die Behörde von ihrem Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht hat. Dies gilt z. B., wenn die Behörde die Einwendungen Dritter willkürlich als unzulässig in der Abwägung übergeht.671 Demgegenüber entbehrt die einfache nachbarrechtlich formalisierte Erlaubnis im Wasserrecht des Drittschutzes. Um den auch aus dieser problematischen Konstellation entstehenden Divergenzen entgegenzuwirken, hat das BVerwG672 das Klagebefugnis nicht begründen können sollen. Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, DVBl 1983, S. 183 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht 2004, § 8, Rn. 27 ff. 667 Vgl. G. Beaucamp, NuR 2002, S. 333; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 189 ff.; G. Winter, Grundprobleme des Gentechnikrechts, Umweltrechtliche Studien, Bd. 14, 1993, S. 62 ff. 668 Vgl. OVG Berlin, Urt. v. 29.03.1994 – 1 S 45/93, NVwZ 1995, S. 1023 ff. 669 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 189 ff. 670 F. A. Schendel, in: L. Giesberts/M. Reinhardt (Hrsg.), Umweltrecht-BeckOK, 2007, § 7, Rn. 24, m.w. N. 671 Ebd. 672 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/73, NJW 1988, S. 434 ff.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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sog. Rücksichtnahmegebot entwickelt.673 Dadurch sollte sichergestellt werden, dass der Drittschutz auch im Anwendungsbereich der einfachen wasserrechtlichen Erlaubnis nicht leerlaufe.674 Zwar ist ein geschützter Personenkreis in den genannten Vorschriften nicht eindeutig abgegrenzt. Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Maßgeblich ist vielmehr, „dass sich aus individualisierenden Merkmalen des Genehmigungstatbestandes ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet“. Geschützt sind somit i. d. R. „alle rechtmäßigen Wasserbenutzer und schließlich diejenigen Personen, deren private Belange nach Lage der Dinge von der Benutzung betroffen werden und deren Beeinträchtigung tunlichst zu vermeiden ist“.675 673 Nach dem Gebot der Rücksichtnahme, das ursprünglich im Gebiet des Baurechts entwickelt wurde, kann keine Grundstücksnutzung ohne Rücksicht auf die benachbarten Nutzungen genehmigt und ausgeübt werden. Es verpflichtet zum einen die Behörde bei der Erteilung der Baugenehmigung, die gegenläufigen Nachbarinteressen gegeneinander abzuwägen und die Zumutbarkeit des Vorhabens für die Nachbarschaft zu berücksichtigen, und gewährt andererseits unter bestimmten Voraussetzungen dem Einzelnen ein subjektives Recht. Das Rücksichtnahmegebot dient somit (auch) dem Schutz individueller Interessen. Das Rücksichtnahmegebot bezweckt, einen angemessenen Interessenausgleich herzustellen. Die Abwägung beiderseitiger Interessen hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist: Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr Rücksichtnahme kann verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Weitere Voraussetzung für das Rücksichtnahmegebot ist, dass es ein subjektives nachbarrechtliches Abwehrrecht auslöst. Ein solches ist gegeben, wenn in „qualifizierter“ und zugleich „individualisierter“ Weise auf schutzwürdige Interessen eines von der Allgemeinheit abgrenzbaren Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. („Subjektivierungsformel“ des BVerwG). Vgl. T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 157.3 ff., m.w. N.; B. Zimmermann, VR 1999, S. 268 ff.; W. Krebs, in: FS für W. Hoppe, 2000, S. 1055; D. Mampel, DVBl 2000, S. 1832 ff.; U. Hösch, GewArch 1999, S. 402 ff. Diese „baurechtliche Rücksichtnahme“ hat aber weder eine generelle gesetzliche Regelung gefunden, noch gibt es ein das gesamte Baurecht umfassendes – außergesetzliches – Rücksichtnahmegebot. Es besteht vielmehr nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 – IV C 22/75, NJW 1978, S. 62 ff.; BVerwG, 21.01.1983 – 4 C 59/79, NVwZ 1983, S. 610 ff. BVerwG, Urt. v. 20.09.1984 – 4 B 181/84, NVwZ 1985, S. 37 ff.; BVerwG, Urt. v. 14.01.1993 – 4 C 19/90, NVwZ 1994, S. 1184 ff.). Eine spezialgesetzliche Ausformung dieses Gebots enthalten aber z. B. § 15 BauNVO, § 31 BauGB, § 34 Abs. 1 BauGB, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB. Zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme vgl. BVerwG, Urt. v. 11.01.1999 – 4 B 128/98, NVwZ 1999, S. 879; BVerwG, Urt. v. 06.10.1989 – 4 C 14/87, NJW 1990, S. 1193; BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 – 4 C 28/91, NJW 1994, S. 1546; BVerwG, Beschl. v. 13.05.2002 – 4 B 86/ 01, NVwZ 2002, S. 1384; VGH Mannheim, 08.03.1994 – 5 S 99/94, NVwZ 1995, S. 716 ff.; M. Schulte, UPR 1984, S. 212 ff.; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2008, S. 251 ff.; E. Künzler, SächsVBl 2013, S. 234; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2013, Rn. 130 ff.; S. Muckel/ M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 206 ff.; jeweils m.w. N. 674 R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 320.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Das Gebot der Rücksichtnahme vermittelt somit Drittschutz nur insoweit, als die Belange eines betroffenen Nachbars in einer qualifizierten und individualisierten Weise betroffen sind. Wann dies der Fall sei, müsse nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden. Geschützt können z. B. die Träger wasserwirtschaftlicher Belange des Allgemeinwohls, insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung, sein.676 In diesem Rahmen entnimmt die Rechtsprechung des BVerwG, insbesondere seit dem Urteil des BVerwG vom 15.07.1987677, dem „materiellen wasserrechtlichen Entscheidungsprogramm“ des § 6 Abs. 1 WHG n. F. bezüglich allgemeiner Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung (vormals § 1a Abs. 1 WHG a. F.), des § 13 WHG n. F. hinsichtlich Inhalts- und Nebenbestimmungen der Erlaubnis und der Bewilligung (vormals § 4 WHG a. F.), des § 12 WHG n. F. hinsichtlich der Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis und der Bewilligung sowie des Bewirtschaftungsermessens (vormals § 6 WHG a. F.), des § 10 WHG n. F. bezüglich des Inhalts der Erlaubnis und der Bewilligung (vormals § 7 WHG a. F.), des § 14 WHG n. F. hinsichtlich besonderer Vorschriften für die Erteilung der Bewilligung (vormals § 8 WHG a. F.), des § 22 WHG n. F. bezüglich des Ausgleichs zwischen konkurrierenden Gewässerbenutzungen (vormals § 18 WHG a. F.), des § 67 WHG n. F. bezüglich des Gewässerausbaus (vormals § 31 WHG a. F.) drittschützende Wirkung bei allen wasserrechtlichen Gestattungen.678 Indessen ist nach § 13 Abs. 1 WHG n. F. hinsichtlich der Zulässigkeit von nachträglichen Inhalts- und Nebenbestimmungen der Erlaubnis und der Bewilligung (zuvor § 4 Abs. 1 S. 2 WHG a. F.) bei allen wasserrechtlichen Gestattungen auf die individuellen Interessen Dritter Rücksicht zu nehmen. Auch bei den einfachrechtlichen wasserrechtlichen Erlaubnissen ist die Wasserbehörde daher verpflichtet, bei ihren Ermessensentscheidungen die gebotene Rücksicht auf die Interessen Dritter walten zu lassen.679 Zudem dürfte es eindeutig sein, dass der Drittschutz bei der wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung auf zu erwartende Beeinträchtigungen beschränkt ist und nicht in den Vorsorgebereich hineinreicht.680 Eine drittschützende Wirkung anderer wasserrechtlicher Vorschriften wird hingegen unter dem Einfluss der Schutznormtheorie grundsätzlich abgelehnt. Bei675 BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/73, NJW 1988, S. 434 ff.; F. A. Schendel, in: L. Giesberts/M. Reinhardt (Hrsg.), Umweltrecht-BeckOK, 2007, § 7, Rn. 25. 676 F. A. Schendel, in: L. Giesberts/M. Reinhardt (Hrsg.), Umweltrecht-BeckOK, 2007, § 7, Rn. 25. 677 BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/73, NJW 1988, S. 434 ff. 678 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 153; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 96. ff. 679 R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 320 ff. 680 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/73, NJW 1988, S. 434 ff.; R. Breuer, DVBl 1986, S. 849; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 83 ff.; E. Rehbinder, in: FS für H. Sendler, 1991, S. 281.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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spielsweise dienen § 57 WHG n. F. hinsichtlich der Anforderungen an das Einleiten von Abwasser, § 62 WHG n. F. hinsichtlich der Anforderungen an den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (vormals § 19g WHG a. F.), § 32 WHG n. F. hinsichtlich der Reinhaltung oberirdischer Gewässer (vormals § 26 WHG a. F.), § 48 WHG n. F. hinsichtlich der Reinhaltung des Grundwassers (vormals § 34 WHG a. F.) der Aufrechterhaltung der spezifisch gewässerrechtlichen Benutzungsordnung und damit ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Gewässerreinhaltung.681 Die Verletzung dieser bedeutenden Vorschriften i. S. d. Umweltschutzes können somit nicht eingeklagt werden. Demzufolge erweist sich der Rechtsschutz Dritter auch im Bereich des Wasserrechts als grundsätzlich mangelhaft.
VII. Zum Drittschutz im Abfallrecht Im Bereich des Abfallrechts bedürfen gem. § 35 Abs. 1 KrWG (vormals § 31 Abs. 1 KrW-/AbfG) die Errichtung und der Betrieb von ortsfesten Beseitigungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebs einer Genehmigung nach § 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG. Insofern finden in den entsprechenden Fällen die oben dargestellten immissionsschutzrechtlichen Grundsätze über den Rechtsschutz Dritter Anwendung.682 Daher ist auch im Bereich des Abfallrechts die dargestellte Problematik der Doktrin der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie relevant. Demgegenüber bedürfen nach § 35 Abs. 2 KrWG (vormals § 31 Abs. 2 KrW-/ AbfG) die Errichtung und der Betrieb einer Deponie sowie eine wesentliche Änderung der Anlage oder ihres Betriebs der Planfeststellung durch die zuständige Behörde. Drittschutz ist danach zu bejahen, soweit durch den Planfeststellungsbeschluss individuelle Belange betroffen werden. Dies gilt z. B. wenn von dem Vorhaben unvermeidbare Beeinträchtigungen der Gesundheit eines Einzelnen zu erwarten sind.683 Hier gilt das Abwägungsgebot. Im Allgemeinen vermögen sich aber Gemeinwohlerwägungen nicht gegenüber unzumutbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen durchzusetzen. Bei betroffenen Privatbelangen soll es sich um
681 Vgl. R. Breuer, DVBl 1986, S. 857; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 97; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 84; BVerwG, Urt. v. 13.05.1983 – 7 B 35/83 (Münster), NVwZ 1984, S. 374 ff. 682 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 106; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 195; D. Greilinger-Schmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, 1991, S. 138 ff. 683 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.05.1983 – 7 B 35/83, NVwZ 1984, S. 374 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 25.11.1996 – 10 S 2185/96, NVwZ 1997, S. 1018 ff.; D. GreilingerSchmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, 1991, S. 190 ff., m.w. N.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
mehr als nur geringfügig betroffene schutzwürdige Interessen handeln, um drittschützende Auswirkung zu haben.684 Ein Anspruch jedoch auf gerechte Abwägung von Privatbelangen, die ihrerseits keine materiellen Rechtspositionen darstellen, besteht nicht.685 Demzufolge hat der Dritte einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung in Bezug auf umweltbezogene und andere Maßnahmen, die seine Gesundheit und weitere individualschützende Rechte betreffen.686 Er hat gegenüber der auskunftsverpflichteten Behörde auch einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung bei der Entscheidung über das Verlangen der Erteilung von den Auskünften, die zur Geltendmachung von drittschützenden Vorschriften des KrWG notwendig sind. In diesem Zusammenhang wird auch ein Anspruch auf Verbindung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Genehmigung einer Deponie mit Nebenbestimmungen (§ 36 KrWG) als drittschützend betrachtet.687 Drittschützend ist auch § 40 Abs. 2 KrWG, der den Inhaber einer Deponie verpflichtet, auf seine Kosten für das Gelände, das für die Deponie verwandt worden ist, sonstige Vorkehrungen (einschließlich der Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen) während der Nachsorgephase zu treffen, die erforderlich sind, Beeinträchtigungen der Gesundheit Einzelner auch nach der Stilllegung zu verhüten.688 Nicht drittschützend ist allerdings § 37 KrWG (vormals § 33 KrW-/AbfG)689 (Zulassung des vorzeitigen Beginns der Errichtung einer Deponie), weil diese Entscheidung keine Bindungswirkung für die Hauptentscheidung entfaltet. Gerade aber die Vorläufigkeit der Entscheidung muss gerichtlich erzwingbar sein.690 Entsprechend ist ein Anspruch des Dritten auf Versagung der Planfeststellung oder der Genehmigung bei Zuwiderlaufen des Vorhabens gegen den Abfallwirtschaftsplan (§ 30 KrWG) nicht vorgesehen.691 Ebenfalls wird der Anspruch des Dritten auf Versagung der Erteilung einer Einsammlungs- und Beförderungsgenehmigung oder auf Versagung der Zulassung einer Abfallentsorgungs684 VGH Mannheim, Urt. v. 15.10.1985 – 10 S 822/82, NVwZ 1986, S. 663 ff.; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2013, Rn. 106; M. SchmidtPreuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 327 ff. 685 OVG Münster, Urt. v. 18.02.1986 – 20 A 119/85, NVwZ 1988, S. 179 ff. 686 Gleiches gilt auch für den Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung in Bezug auf die Anordnung von Nebenbestimmungen zu einer Einsammlungs- und Beförderungsgenehmigung; D. Greilinger-Schmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, 1991, S. 224 ff., S. 266 ff. 687 D. Greilinger-Schmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, 1991, S. 210 ff., m.w. N. 688 D. Greilinger-Schmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, 1991, S. 236 ff. 689 BVerwG, Urt. v. 30.04.1991 – 7 C 35/90, NVwZ 1991, S. 994 ff.; R. Wahl/ P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGOKomm., 2013, Rn. 196 ff. 690 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 196. 691 D. Greilinger-Schmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, 1991, S. 158 ff.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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anlage oder auf Versagung der Erteilung einer Genehmigung für den grenzüberschreitenden Verkehr von Abfällen bei Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der für die Anlage Verantwortlichen nicht gewährt.692 Als nichtdrittschützend gilt auch der Anspruch eines Dritten auf Leistung einer Sicherheit für die Rekultivierung und sonstige Vorkehrungen nach Stilllegung der Anlage durch den Inhaber der Deponie (§ 40 KrWG).693 Der eingeschränkte Rechtsschutz Dritter auch im Bereich des Abfallrechts erschwert weiterhin die Problematik des Rechtsschutzes überindividueller Umweltgüter.
VIII. Zum Drittschutz im Bergrecht Das Bergrecht ist vom Spannungsverhältnis zwischen dem sog. Oberflächeneigentum und dem Bergwerkseigentum gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund bejaht die Rechtsprechung einen Nachbarschutz gegen die bergrechtliche Betriebsplanzulassung aus § 48 Abs. 2 BBergG, da diese Norm offensichtlich vor einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Eigentumsgrundrechts des Oberflächeneigentümers schützt.694 Gleichwohl aber tendiert das BVerwG dazu, den Drittschutz des Oberflächeneigentümers in § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG zu verankern, ohne aber diese Frage endgültig zu entscheiden.695 Berufen sich Dritte auf eine Gefährdung von Leben und Gesundheit, die aus der Zulassung eines bergrechtlichen Betriebsplans resultiert, ergibt sich für sie aus § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG die Klagebefugnis.696 Führt die bergrechtliche Betriebsplanzulassung unmittelbar zur Beeinträchtigung des Oberflächeneigentümers, kann er die Verletzung von Bestimmungen rügen, auch wenn sie objektivrechtliche Bedeutung besitzen.697 Infolgedessen sind mittelbare Beeinträchtigungen des Oberflächeneigentümers durch den Betriebsplan nicht einklagbar.
IX. Zum Drittschutz im Bodenschutzrecht Im Bereich des Bodenschutzrechts ist eine drittschützende Wirkung für die Vorschriften des § 4 Abs. 1, 2, 3 BBodSchG (Pflichten zur Gefahrenabwehr) anerkannt. Hauptgrund dafür ist der Verweis auf die Vermeidung von erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen für den Einzelnen, soweit Individual692
Ebd., S. 198 ff., S. 258 ff., S. 278 ff. Ebd., S. 218 ff., m.w. N. 694 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.2006 – 7 C 11/05, NVwZ 2006, S. 1173 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.03.1989 – 4 C 36/85, NVwZ 1989, S. 1157 ff. 695 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1990 – 7 C 18/90, NVwZ 1991, S. 992; BVerwG, Urt. v. 13.12.1991 – 7 C 25/90, NVwZ 1992, S. 980. 696 BVerwG, Urt. v. 13.12.1991 – 7 C 25/90, NVwZ 1992, S. 980. 697 Diese Tatsache ist durch eine an Art. 14 GG orientierte Auslegung zu begründen. Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2013, Rn. 110, m.w. N. 693
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
rechtsgüter des Klägers beeinträchtigt sind.698 Der Wortlaut dieser Normen macht deutlich, dass sie nicht nur dem Schutz der Allgemeinheitsinteressen dienen, sondern auch den Schutz von Individualinteressen eines klar bestimmten und von der Allgemeinheit abzugrenzenden Kreises geschützter Personen bezwecken. Da die Erklärung der Verbindlichkeit einer effektiven Sanierung gem. § 13 Abs. 6 BBodSchG dem drittschützenden § 4 Abs. 3 BBodSchG dient, kann sich der Kläger grundsätzlich bei der Anfechtung der Erklärung der Verbindlichkeit gem. § 13 Abs. 6 BBodSchG auf die drittschützende Wirkung des § 4 BBodSchG berufen, soweit durch die Umsetzung des Sanierungsplans unmittelbare Beeinträchtigungen seiner Gesundheit oder seines Eigentums zu befürchten sind. Ein solcher Fall könnte gegeben sein, wenn durch die im Plan festgelegten Sanierungsarbeiten die Gefahr der Kontamination eines nahe gelegenen Grundwasserbrunnens bestehe.699 Die allgemeine Unzulänglichkeit einer Bodensanierung reicht allerdings nicht aus, um die Klagebefugnis eines Dritten zu begründen, denn insoweit sind lediglich Allgemeininteressen betroffen.700 Drittschützend ist auch das Verpflichtungsbegehren auf Anordnung der Erteilung der Information über die geplanten Sanierungsmaßnahmen (gem. § 13 Abs. 3 BBodSchG).701 Im Bodenschutzrecht ist somit der Rechtsschutz Dritter grundsätzlich als Anfechtung der Erklärung der Verbindlichkeit in Form eines Verpflichtungsbegehrens auf Erlass einer bodenschutzrechtlichen Verfügung denkbar.702 Daraus folgt, dass auch in diesem Bereich der Umfang des Schutzes der Drittbetroffenen unzureichend ist.
X. Zum Drittschutz im Natur- und Landschaftsschutzrecht Die Vorschriften des BNatSchG sowie die entsprechenden Landesgesetze dienen nur dem öffentlichen Interesse des Naturschutzes sowie des Landschaftsschutzes und vermitteln somit keine subjektiven öffentlichen Rechte. Daher können sie grundsätzlich nicht von Individuen eingeklagt werden.703 Ausnahmsweise 698
VG Gera, Beschl. v. 27.08.2003 – 2 E 762/03 GE, juris. Vgl. VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 25.09.2001 – 14 B 79/01, NVwZ 2002, S. 754 ff.; W. F. Spieth, in: L. Giesberts/M. Reinhardt (Hrsg.), Umweltrecht-BeckOK, 2007, § 13, Rn. 51 ff. 700 Ebd. 701 W. F. Spieth, in: L. Giesberts/M. Reinhardt (Hrsg.), Umweltrecht-BeckOK, 2007, § 13, Rn. 50. 702 Ebd. 703 Vgl. F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 303 ff.; P. Marburger, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil C 84 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 97. 699
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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bestimmen § 64 BNatSchG sowie § 2 ff. UmwRG bestimmte Konstellationen, die von Umweltvereinigungen eingeklagt werden können. Darüber soll aber ausführlich an anderer Stelle diskutiert werden.704
XI. Zur Problematik der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden Im Zusammenhang mit der oben dargestellten Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie und dem oben skizzierten restriktiven umweltbezogenen Drittrechtsschutz stellt im deutschen Individualrechtsschutzsystem auch das Phänomen der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden, die insbesondere durch umweltschädliche Technikfolgen weiter zunimmt, ein weiteres Rechtsschutzhindernis überindividueller Rechte und Interessen dar. Denn, wo kein Individuum bzw. Rechtssubjekt als verantwortlich für einen Umweltschaden angeklagt werden kann, wird der jeweilige Umweltschaden der Gesellschaft bzw. der Allgemeinheit zugerechnet.705 Vor diesem Hintergrund führt das herrschende deutsche Rechtsschutzsystem oftmals zur Vergesellschaftung der Zurechnung von umweltschädlichen Technikfolgen. Es handelt sich in der Praxis um eine Verschiebung der Verantwortung von Einzelnen auf die Gesellschaft. Denn selbstverständlich können weder Natur noch Gesellschaft positive Zurechnungspunkte des Rechts sein, weil die Legitimation der Rechtsordnung von Individuen ausgeht. Sie wird daher zu ihrem Schutz begrenzt, da gesellschaftliche Auswirkungen nur der mittelbare, kumulative Effekt der Handlungszentrierung des Rechts sind.706 Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Zurechnung des Umweltschadens i. d. R. auf komplizierte naturwissenschaftliche Wirkungszusammenhänge abstellt, die nicht individuellen Handlungen zugerechnet werden können.707 Insofern liegt das Risiko für die Betroffenen vor allem darin, dass Umweltschäden ggf. erst nach Jahren oder Jahrzehnten eintreten und sich Fehler, die bei der Zulassung gemacht wurden, dann verheerend auswirken können. Denn, wie schon ausgeführt wurde, können die Auswirkungen von Umweltschaden häufig nicht ganz präzise vorhergesehen werden.708 Die oft diffusen Ursachenzusammenhänge von Umweltrisiken, die unter anderem zeitversetzte, kumulierende und grenzüberschreitende Effekte auslösen, bilden ein Phänomen, zu dem zahlreiche und mehrfach unbestimmte Faktoren beitragen. So ist z. B. für schlechte Luft eine ganze Reihe von technischen und gesellschaftlichen Faktoren verant704
Ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 2. Kap., D.; 1. Teil, 3. Kap., C. O. Lepsius, VVDStRL 2004, S. 283 ff.; H.-W. Louis, NuR 2009, S. 7. 706 Vgl. SRU, Umweltverwaltungen unter Reformdruck, 2007, insb. Rn. 15, 16; O. Lepsius, VVDStRL 2004, S. 286 ff. 707 O. Lepsius, VVDStRL 2004, S. 283 ff., m.w. N. 708 s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., II., 3. ff. 705
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
wortlich. Infolgedessen verändert sich die Zurechnung der Umweltschäden von der subjektiven zur objektiven Beherrschbarkeit, vom Einzelnen zum Kollektiv.709 Im Hinblick darauf ist dem Kläger eine Klagebefugnis zu verneinen, auch wenn eine subjektivrechtlich relevante Umweltbelastung nicht einer bestimmten Störungsquelle eindeutig zugerechnet werden kann (z. B. bei Immissionen des Ferntransports oder der Industrie, wobei der Kläger wegen der diffusen Wirkungszusammenhänge großräumiger Schadstoffausbreitungen i. d. R. nicht nachweisen kann, dass er von emittierten Schadstoffen einer bestimmten, entfernt gelegenen Anlage betroffen ist).710 Dasselbe gilt auch, wenn Rechte des Drittklägers von raum-zeitlich nicht mehr zurechenbaren, globalen und diffusen Umweltbelastungen (z. B. Auswirkungen des Klimawandels u. a., die insbesondere in der aktuellen Zeit immer häufiger werden) verletzt oder bedroht werden.711 Infolgedessen bleiben die Umweltschäden häufig unzurechenbar und demzufolge die öffentlichen Umweltinteressen weitgehend gerichtlich ungeschützt. Es scheint somit, dass unter diesen Bedingungen das rechtspolitische und objektiv-rechtliche Ziel einer Optimierung des Umweltschutzes unter der traditionellen Form des Individualrechtsschutzsystems nur unzulänglich erreicht werden kann.712 1. Das USchadG als Mittel zur Bekämpfung der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden Mit der Einführung des sog. Umweltschadensgesetzes (USchadG)713 wird versucht, unter anderem die oben ausgeführte Problematik der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden einzuschränken, so dass reine Umweltschäden möglicherweise nicht mehr von der Verantwortung des Einzelnen auf die Verantwortung der gesamten Gesellschaft verschoben werden.714 Dieses Gesetz 709 O. Lepsius, VVDStRL 2004, S. 283 ff.; H.-W. Louis, NuR 2009, S. 7; M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 106. 710 BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 3 C 25/98, BVerwGE 109, S. 29 ff. (Ozonsmog). Eine Klage gegen Ozonsmog wurde abgewiesen mit dem Hauptargument, dass nur Maßnahmen gegen räumlich-zeitlich konkrete Verwaltungsprozesse zugelassen werden können; BVerwG, Urt. v. 17.02.1978 – 1 C 102/76, NVwZ 1978, S. 1450 ff. 711 Vgl. R. Klinger, ZUR 2010, S. 169 ff. 712 Vgl. M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 381; R. Breuer, NJW 1978, S. 1559. 713 Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, vom 10.05.2007 (BGBl. I, S. 666), in Kraft getreten am 14.11.2007, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23.07.2013 (BGBl. I, S. 2565 ff.) aufgrund des Gesetzes vom 08.04.2013 (BGBl. I, S. 734 ff.). 714 Es wird dem US-amerikanischen Konzept gefolgt, wonach Umweltbeeinträchtigungen als „natural resource damages“ von Behörden oder anderen Rechtssubjekten verfolgt werden. Im „public trust“-Interesse tritt die Behörde gegen den Verursacher auf und ersatzweise ein, wenn der Verursacher bestimmter Umweltbeeinträchtigungen nicht
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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dient – allerdings etwas verspätet715 – der Umsetzung der RL 2004/35/EG „über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden“ (UHRL)716, die im Folgenden kurzgefasst dargestellt werden soll. a) Überblick über die Umwelthaftungs-Richtlinie 2004/35/EG Die UH-RL verfolgt das Ziel, auf der Grundlage des Verursacherprinzips einen gemeinsamen Ordnungsrahmen zur Vermeidung von Umweltschäden durch öffentlich-rechtliche Prävention (gemeint ist die Gefahrenabwehr) sowie die Sanierung bereits eingetretener Umweltschäden als Gefahrenbeseitigung zu schaffen (Art. 1 UH-RL). Sie erweitert und konkretisiert die nach bisherigem Polizei- und Ordnungsrecht sowie dem Umweltrecht, insbesondere dem Naturschutzrecht, dem Wasserrecht und dem Bodenschutzrecht geltende ordnungsrechtliche Verantwortung des Verursachers von Umweltgefahren und Umweltschäden durch Normierung spezieller Informations-, Gefahrenabwehr- und Sanierungspflichten.717 Damit wird das Grundsatzprinzip der öffentlich-rechtlichen Haftung um Beteiligungs- und Rechtsbehelfsrechte potentiell Geschädigter sowie von Nichtregierungsorganisationen ergänzt. Zu den geschützten Rechtsgütern der UH-RL gehören Gewässer i. S. d. Wasserrahmen-RL (RL 2000/60/EG)718, Böden, sowie die durch die FFH-RL (92/43/EWG)719 und Vogelschutz-RL (2009/147/EG vormals 79/409/EWG)720 geschützten wild lebenden Tiere, Pflanzen und Lebensräume. Wann eine Schädigung dieser Umweltgüter vorliegt, wird in der UH-RL medienspezifisch festgelegt. Gemeinsam ist den Regelungen, dass nur erhebliche nachgreifbar ist oder nicht handeln kann. Vgl. C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 280. 715 Die Frist für die Umsetzung der dem USchadG zugrundeliegenden UH-RL war am 30.0.2007 abgelaufen. Sie wurde somit von dem Bundesgesetzgeber nicht eingehalten. 716 Richtlinie 2004/35/EG v. 21.04.2004, Richtlinie über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung der Umweltschäden, ABl. EG Nr. L 143, v. 10.04.2004, S. 56; ausführlich zur UH-RL: L. Knopp, UPR 2005, S. 361 ff.; G. Hager, NuR 2003, S. 581 ff.; ders., ZEuP 2006, S. 21 ff.; A. Schink, EurUP 2005, S. 67 ff.; C. Palme/J. Schumacher, EurUP 2004, S. 260 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 319 ff., m.w. N. 717 Vgl. M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 421 ff.; A. Schink, EurUP 2005, S. 67 ff.; M. Führ, NuR 2006, S. 68 ff. 718 ABl. EG L 327, S. 1. 719 RL 92/43/EWG v. 21.05.1992 des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. EG L 206 vom 22.07.1992, S. 7), zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1882/2003 v. 29.09.2003 (ABl. EG L 284, S. 1). 720 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11. 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. EG L 20 vom 26.01.2010, S. 7).
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teilige Auswirkungen bzw. ein erhebliches Risiko einer Beeinträchtigung erfasst werden (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a UH-RL). Die Definition des Rechtsbegriffs „erheblich“ wird grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen. Im Unterschied zu einem zivilrechtlichen Verständnis von Haftung – gerichtet auf Kompensation des entstandenen Schadens gegenüber dem Geschädigten – statuiert die UH-RL eine öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit des Schadenverursachers.721 Es soll beachtet werden, dass Umweltschäden nur dann von der UH-RL erfasst werden, wenn sie durch spezifische, in Anhang III der UH-RL aufgelistete berufliche Tätigkeiten ausgelöst werden, oder sofern der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, oder wenn sie durch sonstige berufliche Tätigkeiten verursacht werden. Es handelt sich um solche Tätigkeiten, die im Rahmen des EU-Rechts einer Genehmigung bedürfen.722 Die UH-RL bestimmt grundsätzlich eine allgemeine Pflicht des Betreibers, bei Gefahr eines Schadens unverzüglich die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen sowie in bestimmten Grenzen die nationalen Behörden zu informieren. Andererseits ist die Behörde berechtigt, bei nicht ausreichenden Vermeidungsmaßnahmen dem Betreiber weitere Maßnahmen aufzuerlegen oder diese eigenständig vorzunehmen (Art. 2 Abs. 1a UH-RL).723 Tritt trotz dieser Maßnahmen ein Schaden ein, ist dann der Betreiber kraft seiner öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit verpflichtet, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. Führt danach der Betreiber eine primäre Sanierung, die die geschädigte Ressource in ihren Ausgangszustand versetzen soll, nicht zum Erfolg, so ist eine ergänzende Sanierung durchzuführen, die einen Ausgleich ggf. an einem anderen Ort für die unmögliche Wiederherstellung der geschädigten Ressource darstellt. Ferner ist zudem eine Art Ausgleichssanierung zum Ersatz zwischenzeitlicher Verluste vorgesehen.724 Die finanzielle Inanspruchnahme des Betreibers für aus seinem Verantwortungsbereich stammende Umweltschäden soll diesen veranlassen, Maßnahmen zu treffen und Praktiken zu entwickeln, mit denen die Gefahr von Umweltschäden auf ein Minimum reduziert werden kann.725 b) Umweltvereinigungen als Klagebefugte Von Bedeutung ist, dass die UVP-RL in Art. 13 die Mitgliedstaaten zur Einführung eines Überprüfungsverfahrens verpflichtet, mittels dessen Entscheidungen, Handlungen oder die Untätigkeit einer Behörde kontrolliert werden können. Klagegegner ist danach der für die Überwachung zuständige Hoheitsträger, nicht 721 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 320 ff.; M. Führ, NuR 2006, S. 68 ff.; jeweils m.w. N. 722 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 321. 723 Ebd., m.w. N. 724 Ebd. 725 s. 2. Erwägungsgrund der UH-RL.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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jedoch der ggf. private Verursacher des Umweltschadens. Die UH-RL überlässt es dem mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum, ob das Überprüfungsverfahren als gerichtliches oder außergerichtliches ausgestaltet wird (Art. 13 Abs. 1 UHRL). In diesem Zusammenhang eröffnet Art. 12 Abs. 1 UH-RL726 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Überprüfungsrechte entweder in ein Interessentenklage- oder ein Verletztenklagesystem zu integrieren. Gleichwohl wird bestimmt, dass das Interesse einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt und alle nach nationalem Recht unerlässlichen Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend gilt (Art. 12 Abs. 1 S. 3 UH-RL). Die Mitgliedstaaten sind somit verpflichtet, solchen Nichtregierungsorganisationen (unabhängig von einer eigenen Betroffenheit) einen Zugang zu einem Überprüfungsverfahren zu eröffnen.727 Aufgrund des Sinns und Zwecks der oben genannten Vorschrift sowie aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte sollte festgestellt werden, dass eine Beschränkung der Rügebefugnis von Umweltvereinigungen seitens des nationalen Gesetzgebers nicht richtlinienkonform wäre.728 Klagegegenstände einer solchen Klage können Entscheidungen, Handlungen oder die Untätigkeit der Behörde sein. Es handelt sich grundsätzlich um repressive Überwachungsmaßnahmen, etwa in Form von Auflagen und Verboten. Zu beachten ist, dass das Klagebegehren nicht nur auf die Aufhebung oder Rücknahme von Verwaltungsmaßnahmen beschränkt ist, sondern es kann ebenso auf ein Handeln gerichtet sein, unabhängig davon, ob es sich um einen Verwaltungsoder Realakt handelt.729 Der gerichtliche Prüfungsmaßstab erstreckt sich somit auf die formelle und materielle Rechtmäßigkeit dieser Rechtsakte. Durch die Eröffnung der Überprüfung des Unterlassens von behördlichem Handeln wird das Klageziel über das Anfechtungs- auf das Verpflichtungsbegehren im Rahmen der UH-RL erweitert.730 726 Art. 12 I UH-RL: (1) Natürliche oder juristische Personen, die a) von einem Umweltschaden betroffen oder wahrscheinlich betroffen sind oder b) ein ausreichendes Interesse an einem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren bezüglich des Schadens haben oder alternativ c) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert, erhalten das Recht, der zuständigen Behörde Bemerkungen zu ihnen bekannten Umweltschäden oder einer ihnen bekannten unmittelbaren Gefahr solcher Schäden zu unterbreiten und die zuständige Behörde aufzufordern, gemäß dieser Richtlinie tätig zu werden. Was als „ausreichendes Interesse“ und als „Rechtsverletzung“ gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck gilt das Interesse einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt und alle nach nationalem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstabens b). Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstabens c) verletzt werden können. 727 Ebd. 728 Ausführlich dazu S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 324 ff., m.w. N. 729 Ebd., S. 326 ff., m.w. N. 730 Ebd., S. 327.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
2. Hauptmerkmale des USchadG In Einklang mit der UH-RL wird durch das USchadG erstmals eine zum Teil verschuldensunabhängige Haftung für bestimmte rein ökologische Schäden an Arten und natürlichen Lebensräumen nach Maßgabe des § 21a BNatSchG, an Gewässern nach § 90 WHG n. F. hinsichtlich der Sanierung von Gewässerschäden (vormals § 22a WHG a. F.) sowie Schädigungen des Bodens durch eine Beeinträchtigung der Bodenfunktionen i. S. d. § 2 Abs. 2 BBodSchG eingeführt.731 Insbesondere mit der Regelung zu Schäden an Arten und natürlichen Lebensräumen (sog. Biodiversitätsschäden) wird im deutschen Umweltrecht eine neuartige Haftung festgesetzt, die dem deutschen Umwelthaftungsrecht732 wie auch dem Umweltverwaltungsrecht bisher fremd war.733 Das USchadG schafft einen Rahmen, mit dem die fachrechtlichen Vorschriften zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden – insbesondere jene des Bodenschutz- und Altlastenrechts – ergänzt werden. Es wird somit dem jeweiligen Fachrecht überlassen, die Anforderungen an den Umfang der zu treffenden Maßnahmen festzulegen (§ 1 USchadG). Das USchadG findet mithin nur subsidiär Anwendung, wenn keine spezielleren bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden steuern.734 Das USchadG wird durch den zentralen Begriff des Umweltschadens gesteuert. Es bezieht sich ausdrücklich nicht auf privatrechtlichen Schadensersatz infolge eines Umweltschadens, sondern nur auf die Sanierung der Umweltschäden.735 Allein durch den Nachweis des Vorliegens eines Umweltschadens im Einzelfall steht und fällt die Anwendbarkeit dieses Gesetzes. Dabei ist die Definition des Begriffs des „Verantwortlichen“, der gem. § 2 Nr. 3 USchadG weit gefasst ist, von Bedeutung. Laut dieser Vorschrift ist „Verantwortlicher: jede natürliche oder juristische Person, die eine berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt, einschließlich der Inhaber einer Zulassung oder Genehmigung für eine solche Tätigkeit oder der Person, die eine solche Tätigkeit anmeldet oder notifiziert, und dadurch unmittelbar einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat“.736 731 s. insb. § 2 USchadG i.V. m. § 3 USchadG. Vgl. H.-W. Louis, NuR 2009, S. 2 ff.; L. Knopp/G. Wiegleb/I. Piroch, NuR 2008, S. 745 ff.; J. Duikers, UPR 2008, S. 427 ff. 732 Gemeint sind damit zivilrechtliche Regeln, die den Ausgleich in Form von Schadensersatz zwischen Schädiger und Geschädigtem auf der Grundlage von zivilrechtlichen Ansprüchen aus §§ 823 BGB ff., sowie § 22 WHG a. F. (nunmehr § 89 WHG n. F. – Haftung für Änderungen der Wasserbeschaffenheit), §§ 1, 2 UmweltHG. Vgl. L. Knopp/G. Wiegleb/I. Piroch, NuR 2008, S. 745. 733 Vgl. L. Knopp/G. Wieglseb/I. Piroch, NuR 2008, S. 745. 734 C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 289 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 328 ff.; jeweils m.w. N. 735 Art. 3 III RL 2004/35/EG. 736 Danach haften für Umweltschäden an Gewässern und am Boden Personen oder Körperschaften, die eine berufliche Tätigkeit nach Anlage 1 USchadG ausüben. Insbe-
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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Bedeutsam ist auch die Legaldefinition des § 2 Nr. 1 USchadG. Danach liegt ein Umweltschaden vor: „a) bei einer Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen nach Maßgabe des § 19 BNatSchG, b) einer Schädigung der Gewässer nach Maßgabe des § 90 des WHG n. F., c) einer Schädigung des Bodens durch eine Beeinträchtigung der Bodenfunktionen im Sinne des § 2 Abs. 2 des BBodSchG, die durch eine direkte oder indirekte Einbringung von Stoffen, Zubereitungen, Organismen oder Mikroorganismen auf, in oder unter den Boden hervorgerufen wurde und Gefahren für die menschliche Gesundheit verursacht“.737
Eine drittschützende Zielsetzung in Bezug auf Biodiversitätsschäden kann jedoch nicht entnommen werden.738 Als Reaktion unter anderem auch auf die Problematik der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden sind insbesondere § 4 (Informationspflicht)739, § 5 (Gefahrenabwehrpflicht),740 § 6 (Sanierungspflicht),741 § 7 (Allgemeine Pflichten und Befugnisse der zuständigen Behörde),742 § 8 Abs. 1, 2 (Bestimmung von Sanierungsmaßnahmen),743 § 9 Abs. 1744, 2 S. 1745 (Kosten sondere aufgrund § 3 Abs. 1 Nr. 2 wird die Haftung für Umweltschäden an Arten und natürlichen Lebensräumen auf alle beruflichen Tätigkeiten ausgedehnt, soweit der Verantwortliche vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. 737 Vgl. ausführlich dazu A. Balensiefen, § 2 USchadG, in: USchadG-Komm. 2013, Rn. 1 ff., m.w. N. 738 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 330. 739 „Besteht die unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens oder es ist ein Umweltschaden eingetreten, hat der Verantwortliche die zuständige Behörde unverzüglich über alle bedeutsamen Aspekte des Sachverhaltes zu unterrichten.“ 740 „Besteht die unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens, hat der Verantwortliche unverzüglich die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen.“ 741 „Ist ein Umweltschaden eingetreten, hat der Verantwortliche: 1. die erforderlichen Schadensbegrenzungsmaßnahmen vorzunehmen, 2. die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen gemäß § 8 USchadG zu ergreifen.“ 742 „(1) Die zuständige Behörde überwacht, dass die erforderlichen Vermeidungs-, Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen vom Verantwortlichen ergriffen werden. (2) Im Hinblick auf die Pflichten aus den §§ 4 bis 6 kann die zuständige Behörde dem Verantwortlichen aufgeben, 1. alle erforderlichen Informationen und Daten über eine unmittelbare Gefahr von Umweltschäden, über den Verdacht einer solchen unmittelbaren Gefahr oder einen eingetretenen Schaden sowie eine eigene Bewertung vorzulegen, 2. die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu treffen, 3. die erforderlichen Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen.“ 743 „(1) Der Verantwortliche ist verpflichtet, die gemäß den fachrechtlichen Vorschriften erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu ermitteln und der zuständigen Behörde zur Zustimmung vorzulegen, soweit die zuständige Behörde nicht selbst bereits die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen ergriffen hat. (2) Die zuständige Behörde entscheidet nach Maßgabe der fachrechtlichen Vorschriften über Art und Umfang der durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen.“ 744 „Der Verantwortliche trägt vorbehaltlich von Ansprüchen gegen die Behörden oder Dritte die Kosten der Vermeidungs-, Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen.“
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
der Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen) des USchadG anzusehen.746 Dies ist vereinbar mit den oben kurzgefasst dargestellten Vorgaben der UH-RL, die bereits die Notwendigkeit erkennt sicherzustellen, dass zur Um- und Durchsetzung der durch die UH-RL geschaffenen Gefahrenabwehr- sowie Sanierungspflichten wirksame Mittel zur Verfügung stehen, wobei dafür zu sorgen sei, dass neben den berechtigten Interessen der Verantwortlichen auch die der sonstigen Beteiligten angemessen gewahrt werden (Erwägungsgrund Nr. 24 UH-RL).747 Im Hinblick darauf ist besonders hervorzuheben, dass gem. USchadG der jeweils Einzelverantwortliche i. S. v. § 2 Nr. 3 USchadG für das Ergreifen der erforderlichen Vermeidungs- oder Schadensbegrenzungs- sowie Sanierungsmaßnahmen (aufgrund von § 2 Nr. 6 und 7 i.V. m. § 6, § 8 USchadG) verpflichtet ist, soweit eine unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens besteht oder ein Umweltschaden eingetreten ist.748 Dabei trägt nach § 9 Abs. 1 S. 1 USchadG der Verantwortliche grundsätzlich die Kosten der Vermeidungs-, Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen, d. h. die finanziellen Folgen der gemäß des USchadG durchgeführten Vermeidungs- und Sanierungstätigkeiten.749 Auf diese Weise sollten die Sanierungskosten nicht ausschließlich der Gesellschaft übertragen werden, sondern möglicherweise dem im Einzelfall Verantwortlichen.750 a) Antrags- und Klagebefugnis von Drittbetroffenen und Umweltvereinigungen durch das USchadG Was insbesondere den Umweltrechtsschutz durch indirekt Betroffene im Rahmen des USchadG angeht, ist zu betonen, dass der europäische Gesetzgeber mit der Einführung der UH-RL davon abgesehen hat, ein unmittelbares Verbandsklagerecht einzuführen.751 Das USchadG räumt Betroffenen sowie gem. § 3 UmwRG752 anerkannten Umweltvereinigungen nicht nur Beteiligungsmöglichkeiten, sondern auch ein Antrags- und Klagerecht ein. Im Hinblick darauf enthal745 „Mehrere Verantwortliche haben unabhängig von ihrer Heranziehung untereinander einen Ausgleichsanspruch.“ 746 Vgl. L. Diederichsen, NJW 2007, S. 3379 ff.; H.-W. Louis, NuR 2009, S. 2 ff.; C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 292 ff. 747 Vgl. M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 421 ff.; L. Knopp, UPR 2005, S. 361 ff.; H.-W. Louis, NuR 2009, S. 2 ff. 748 Vgl. M. Beckmann/A. Wittmann, § 6 USchadG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 1 ff. 749 Vgl. J. Duikers, UPR 2008, S. 427 ff.; M. Beckmann/A. Wittmann, § 9 USchadG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer, UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 2. 750 Vgl. J. Duikers, UPR 2008, S. 428 ff. 751 Vgl. M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 424 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 57 ff. 752 Ausführlich zur Anerkennung der Umweltvereinigungen gem. § 3 UmwRG s. 1. Teil, 3. Kap., D.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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ten §§ 10, 11 USchadG nur rudimentäre Regelungen hinsichtlich der durch Betroffene oder durch Umweltvereinigungen hervorgebrachten Aufforderungen von Behörden zum Tätigwerden (§ 10 USchadG)753 oder der Erhebung einer Klage gegen eine Entscheidung oder das Unterlassen einer Entscheidung der zuständigen Behörde im Rahmen des USchadG (§ 11 USchadG).754 Es sollte beachtet werden, dass nach § 10 USchadG der Behörde kein Ermessen dahingehend eingeräumt wird, ob sie überhaupt tätig wird. Vielmehr muss die nach USchadG zuständige Behörde Maßnahmen nach § 7 USchadG755 ergreifen.756 Diese Klagemöglichkeit der Umweltvereinigungen, die das USchadG einräumt, ist ein nennenswertes Instrument, das gegen Vollzugsdefizite einsetzbar ist. Umweltvereinigungen können somit im Rahmen des USchadG nicht nur die Rechtswidrigkeit bereits erteilter Zulassungsbescheide rügen, sondern auch ein Tätigwerden mit Hilfe einer Tätigkeitserzwingungsklage einklagen. Geht z. B. eine Behörde gegen einen Verantwortlichen nicht vor, kann eine Umweltvereinigung einen Sanierungsanspruch durch Antrag einfordern und ggf. vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen.757 Die Gesetzesbegründung des USchadG verweist zur Bestimmung der Betroffenen pauschal auf allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Grundsätze.758 Danach sollen auch gem. des USchadG solche natürlichen und juristischen Personen Betroffene sein, die durch den Umweltschaden in ihren Rechten oder rechtlich geschützten Interessen (z. B. Eigentum, Gesundheit u. a.) beeinträchtigt werden können; nur solche Personen haben einen Anspruch auf Tätigwerden.759 Dabei obliegt das Antragsrecht den zur Klage berechtigten Vereinigungen, unabhängig von der Erhebung einer Klage.760 753 Beispielsweise kann ein Verband gegen eine Entscheidung unmittelbar vorgehen, mit der die Behörde ein Einschreiten ablehnt, zu dem sie von dem Verband nach § 10 USchadG aufgefordert worden war. M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 424 ff.; m.w. N. 754 Vgl. M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 421 ff.; L. Knopp, UPR 2005, S. 361 ff.; B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur – Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 79. Als Betroffener gilt z. B. ein Grundstückseigentümer, dessen Boden durch Luftschadstoffe eines benachbarten Betriebes verunreinigt wurde. Betroffener könnte auch ein Fischereiberechtigter an einem Gewässerabschnitt sein, der durch eine ungenehmigte Einleitung von Schadstoffen geschädigt wurde. 755 Ausführlich zu den Maßnahmen gem. § 7 USchadG s. M. Petersen, USchadGKomm., 2013, § 7, Rn. 23 ff.; m.w. N. 756 B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur – Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 79; M. Petersen, USchadG-Komm., 2013, § 10, Rn. 9 ff. 757 M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 423 ff.; C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 290 ff. 758 BT-Drs. 16/3806, S. 25. 759 Vgl. M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 421 ff.; dies., DVBl 2008, S. 1287 ff. 760 C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 292 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Dies steht in Einklang mit dem Zweck und Geist der UH-RL, die im Erwägungsgrund Nr. 25 S. 1 explizit bestimmt, dass Personen, die von einem Umweltschaden nachteilig betroffen sind, berechtigt sein sollen, die zuständigen Behörden zum Tätigwerden aufzufordern. Dabei wird im Satz 2 und 3 des Erwägungsgrundes Nr. 25 weiterhin angemerkt, dass angesichts der Tatsache, dass der Umweltschutz jedoch kein klar abgegrenztes Interesse darstellt – so dass Einzelpersonen sich nicht immer dafür einsetzen oder einsetzen können –, sollte daher ebenfalls Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, die Möglichkeit gegeben werden, angemessen zur wirksamen Umsetzung der UH-RL beizutragen. Daraus folgt, dass die VK gerade die Lücken schließen soll, die sich daraus ergeben, dass, wie gerade erwähnt, der Umweltschutz kein klar abgegrenztes Interesse ist, für das sich durch den Umweltschaden nachteilig Betroffene stets einsetzen würden oder einsetzen könnten.761 Im Hinblick darauf gilt laut § 11 Abs. 2 USchadG für Rechtsbehelfe von Vereinigungen gegen eine Entscheidung oder das Unterlassen einer Entscheidung der zuständigen Behörde nach dem USchadG das UmwRG.762 Für die Zulässigkeit dieser Klage gilt somit entsprechend die sog. Präklusionsregelung des § 2 Abs. 3 UmwRG. Danach muss die Umweltvereinigung berechtigt sein, sich zu äußern, und diese Mitwirkungsmöglichkeit fristgerecht wahrnehmen.763 Ein solches Mitwirkungsrecht besteht beim USchadG nur gem. § 8 Abs. 4 USchadG. Laut dieser Vorschrift unterrichtet die zuständige Behörde die antragsberechtigten Vereinigungen über die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen und gibt ihnen Gelegenheit sich zu äußern. Zudem wird die Umweltvereinigung nur mit denjenigen Einwendungen im Rechtsbehelfsverfahren gehört, zu denen sie sich im Verfahren nach § 8 Abs. 4 USchadG geäußert hat. Hat es die Behörde hingegen unterlassen, ein Umweltschadensverfahren durchzuführen, obwohl die anerkannte Umweltvereinigung einen Umweltschadensantrag gestellt hat, so besteht auch in diesem Fall eine Klagebefugnis.764
761 Erwägungsgrund 25 der UH-RL: „Personen, die von einem Umweltschaden nachteilig betroffen oder wahrscheinlich betroffen sind, sollten berechtigt sein, die zuständige Behörde zum Tätigwerden aufzufordern. Der Umweltschutz stellt jedoch kein klar abgegrenztes Interesse dar, so dass Einzelpersonen sich nicht immer dafür einsetzen oder einsetzen können. Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, sollte daher ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, angemessen zur wirksamen Umsetzung dieser Richtlinie beizutragen.“ 762 Mit dem Inkrafttreten der UmwRG-Novelle im Januar 2013 ist § 11 Abs. 2 USchadG geändert worden. Danach kann eine nach dem UmwRG anerkannte Vereinigung gegen Entscheidungen nach dem USchadG oder deren Unterlassen Rechtsbehelfe nach dem USchadG erwirken (vgl. auch § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG); B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur – Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 70 ff.; M. Petersen, USchadG-Komm., 2013, § 11, Rn. 18 ff.; jeweils m.w. N.; s. mehr zum Verhältnis zwischen USchadG und UmwRG, in 1. Teil, 3. Kap., B. 763 Mehr dazu s. in 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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Mit der Gewährung von „Rechtsbehelfen“ macht der deutsche Gesetzgeber von seiner ihm gemeinschaftsrechtlich eingeräumten Befugnis Gebrauch, die Klagekompetenz an ein erfolgloses Widerspruchsverfahren zu koppeln.765 Die Einlegung eines Rechtsbehelfs setzt allerdings keine (durch einen Antrag des jeweiligen Klägers) Aufforderung eines Tätigwerdens der zuständigen Behörde i. S. v. § 10 USchadG voraus.766 Im Prinzip kann die Klage einer Umweltvereinigung entweder auf die Veranlassung der Behörde, tätig zu werden (z. B. einen Umweltschaden festzustellen oder einen drohenden Umweltschaden zu verhindern), oder auf die Veranlassung der Behörde, eine Anordnung zur Vermeidung oder Sanierung eines Umweltschadens mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen oder auf die Verbesserung eines bereits erlassenen Sanierungsbescheids zu erwirken, gerichtet sein.767 Im Unterschied zum UmwRG, welches den Umweltvereinigungen ein Mittel in die Hand gibt, um behördliche Entscheidungen (etwa durch Anfechtung eines umweltbelastenden Planes oder einer Genehmigung) zu Fall zu bringen, bezwecken die Rechtsbehelfe des USchadG, bestimmte behördliche Entscheidungen zu ändern oder überhaupt erst zu erwirken.768 Der Begriff der Entscheidung im Rahmen des USchadG ist offensichtlich weiter als die Legaldefinition des Verwaltungsaktes in § 35 S. 1 VwVfG zu verstehen. Unter Berücksichtigung der UH-RL können hierunter auch Entscheidungen der Verwaltung im Rahmen schlichten Verwaltungshandelns fallen. Gemeint sind Entscheidungen der Behörde gegenüber dem Verantwortlichen, etwa die Vorlage von Informationen (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 USchadG), das Ergreifen von Vermeidungsmaßnahmen (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 USchadG) sowie von Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG) oder die Entscheidungen der zuständigen Behörde nach Maßgabe der fachrechtlichen Vorschriften über Art und Umfang der durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen, mit denen die Behörde die jeweiligen Sanierungsmaßnahmen konkretisiert (§ 8 Abs. 2 USchadG).769 Entscheidend für die Argumentation ist jedenfalls der Begriff des Schadens. Liegen somit Anhaltspunkte für einen Umweltschaden vor, muss die Behörde tätig werden. Steht ein Umweltschaden unmittelbar bevor oder besteht der Verdacht 764 B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur – Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 72; M. Petersen, USchadG-Komm., 2013, § 8, Rn. 29 ff., m.w. N. 765 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 329. 766 C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 292 ff. 767 B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur – Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 74 ff. 768 Ebd., S. 72; mehr dazu s. in 1. Teil, 3. Kap., B. ff. 769 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 329; S. Schlacke/C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, S. 451; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 61, Rn. 61 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
eines unmittelbar bevorstehenden Umweltschadens, sind Vermeidungsmaßnahmen anzuordnen. Ist der Umweltschaden eingetreten, müssen Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden.770 Vor der Erhebung einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen eine behördliche Entscheidung gem. § 7 USchadG ist i. d. R. ein Widerspruchsverfahren durchzuführen, es sei denn, das Widerspruchsverfahren ist durch Landesrecht abgeschafft oder auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt worden (etwa in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen).771 Die Konzeption der Verbandsklagerechte im Rahmen der UH-RL scheint einerseits gesetzgeberisch elegant zu sein. Damit schafft der deutsche Gesetzgeber ein eigenes begrenztes Rechtsgebiet der unionsrechtlich diktierten Verbandsklage.772 Dieser Rechtsbehelf kann somit zur Bekämpfung der Vergesellschaftung der Zurechnung von Umweltschäden sowie zum Schutz von kollektiven Umweltgütern beitragen. Trotzdem wird die Effektivität des Rechtsschutzes im Rahmen des USchadG aus verschiedenen Gründen abgeschwächt. Vor allem nimmt diese Konzeption jedoch alle Probleme in Bezug auf den restriktiven Rechtsschutz von kollektiven bzw. überindividuellen Umweltgütern des unionsrechtlich umstrittenen UmwRG auf,773 die in 1. Teil, 3. Kap. ausführlich erörtert werden.774 Der Kern der Rechtsschutzproblematik der Schutznormlehre im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes bleibt somit auch nach der Einführung des USchadG grundsätzlich unverändert.775 Im Allgemeinen ist die Einführung der Bestimmungen des USchadG auf den ersten Blick als positiv zu bewerten, denn sie bilden ein gesetzliches Mittel zur Ausfüllung der bisherigen gesetzlichen Lücken im Bereich der Haftung für bestimmte ökologische Schäden. Trotzdem ist es nicht zu verkennen, dass das USchadG gleichzeitig eine Fülle von Problemen aufwirft, die seine Effektivität in der Praxis deutlich reduziert. Zu erwähnen ist hier nur die nicht ganz konkrete Bestimmung des Begriffs sowie des Umfangs und des Anwendungsbereichs der Umweltschäden sowie die Unbestimmtheit des Begriffs des Verantwortlichen wie auch die Kriterien für dessen Haftung oder Enthaftung für reine Umweltschäden sowie die Problematik der Abgrenzung des Ermessensspielraums der Behörde
770 B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur – Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 72 ff. 771 Ebd., S. 73. 772 Vgl. J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 266 ff. Dies ist auf den Einfluss des Gemeinschaftsrechts zurückzuführen; über die unionsrechtlichen Wurzeln der Verbandsklage s. u. in 1. Teil, 3. Kap., A. ff. 773 Vgl. C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 290; M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 424 ff. 774 Vgl. C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 290. 775 BR-Drs. 469/12 v. 10.08.2012, S. 34.
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über die Art und den Umfang der Sanierungsmaßnahmen.776 Dazu führen auch die schon dargestellten Schwierigkeiten hinsichtlich der Feststellung eines Kausalzusammenhangs zwischen der Tätigkeit des Verantwortlichen und den dadurch unmittelbar verursachten Umweltschäden bzw. der Gefahr eines Umweltschadens im Rahmen des USchadG.777
XII. Drittschutz der Gemeinden Ein weiterer Faktor, der den Rechtsschutz von überindividuellen Rechten und Interessen verhindert, ist die relativ eingeschränkte Klagebefugnis von Gemeinden. Denn auch die Klagebefugnis der Gemeinden im deutschen Recht setzt die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten im Rahmen der Schutznormtheorie voraus. Eine Gemeinde ist nur insoweit klagebefugt, als sie geltend macht, dass sie durch die jeweils umstrittene Maßnahme in eigenen Rechten verletzt ist oder die Möglichkeit besteht, dadurch verletzt zu sein.778 Soweit Gemeinden bestimmte Gemeinwohlbelange im eigenen Wirkungskreis wahrnehmen, können sie in Erfüllung dieser Selbstverwaltungsaufgabe (z. B. Aufgaben für kommunale Einrichtungen der Trinkwasserversorgung, der Abwasserbeseitigung, der Abfallentsorgung u. a.) Ansprüche auf Erlass von Auflagengenehmigungen zum Wohl der Allgemeinheit gem. § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG oder vergleichbarer Vorschriften als Planergänzungsansprüche geltend machen.779 Auch als Trägerin der kommunalen Einrichtung kann die Gemeinde die Pflicht haben, Gefahren für Leben und Gesundheit der Benutzer abzuwehren.780 Die Gemeinde muss also darlegen, dass sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht i. S. d. Art. 28 Abs. 2 GG verletzt sein könnte, z. B. in ihrer gemeindlichen Planungshoheit etwa als Trägerin der gemeindlichen Bauleitplanung oder weil dadurch gemeindliche Einrichtungen betroffen sind.781 776 Vgl. dazu C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 292 ff.; L. Diederichsen, NJW 2007, S. 3377 ff.; H.-W. Louis, NuR 2009, S. 2 ff.; L. Knopp/G. Wiegleb/I. Piroch, NuR 2008, S. 745 ff. 777 Vgl. G. Hager, NJW 1991, S. 134 ff.; A. Reuter, BB 1991, S. 141 ff. 778 BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 3.97, NVwZ 1999, S. 67; J.-W. Kirchberg/ M. Boll/P. Schütz, NVwZ 2002, S. 550 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, UmweltR, 2003, § 5, Rn. 23. 779 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.1972 – IV C 21/696, NJW 1973, S. 915 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.05.1976 – IV C 38/74, BeckRS 1976, 30436090; BVerwG, Urt. v. 29.01. 1991 – 4 C 51/89, NVwZ-RR 1991, S. 601 ff. 780 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.01.1993 – 1 C 29/92, NVwZ 1993, S. 884 ff. 781 Vgl. BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001/04, NVwZ 2006, S. 1055 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.12.2006 – 7 C 1/06, NVwZ 2007, S. 700 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.11.2008 – 7 C 10/08, NuR 2009, S. 48 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 58 ff. Vgl. Anm. dazu T. Elgeti/L. Dietrich, NuR 2009, S. 461 ff. Danach wurde festgestellt, dass die Verpflichtung der Bergbehörde bei anstehenden Wiederherrichtungen, die Interessen einer Kommune zu berücksichtigen und die
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Die Planungshoheit einer Gemeinde kann z. B. durch eine staatliche Fachplanung verletzt werden, wenn das staatliche Vorhaben hinreichend konkrete, nicht aber notwendig bereits verbindliche Planungen der Gemeinde nachhaltig beeinträchtigt782 oder wenn durch das Vorhaben wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzogen werden.783 Die Gemeinde kann ihre Klage unter anderem auch darauf stützen, dass eine von ihr geschaffene kommunale Einrichtung, welche der öffentlichen Daseinsvorsorge dient, in der Verwirklichung ihrer Aufgabenstellung durch einen umstrittenen Planfeststellungsbeschluss gestört wird, da hierdurch der von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Wirkungskreis der Gemeinde berührt werden kann.784 Es reicht im Allgemeinen aus, dass die Gemeinde sich auf eine Verletzung in eigenen materiellen Rechten, also insbesondere in ihrer einfachgesetzlich geschützten Eigentümerstellung oder der Selbstverwaltungsgarantie, berufen kann
Selbstverwaltungsgarantie nicht unverhältnismäßig zu beeinträchtigen, sich aus § 4 Abs. 4 BBergG ergibt, der die Beachtung der öffentlichen Interessen gebietet, wozu die Planungshoheit zählt. Dasselbe gilt auch für § 48 Abs. 2 BBergG. Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 15.12.2006 – 7 C 1/06 (OVG Münster), BVerwGE 127, S. 259 ff., m.w. N. Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1972 – 4 C 17.71, DVBl 1973, S. 35 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 4 C 36.86, DVBl 1990, S. 427 ff.; H. Jarass, in: FS für R. Lukes, 1989, S. 64; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 222 ff.; N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2006, S. 385; dies., NVwZ 2007, S. 1351 ff. 782 BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, NVwZ 1984, S. 718; BVerwG, Urt. v. 27.05.1988 – 9 CB 19/88, NVwZ 1989, S. 249 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 4 C 36/86 (Münster), NVwZ 1990, S. 464 ff.; BVerwG, Urt. v. 04.02.1991 – 5 B 91/90 (München), NVwZ 1992, S. 787 ff.; BVerwG, Urt. v. 13.09.1993 – 4 B 68/93 (München), UPR 1994, S. 32 ff. Allerdings hat eine Gemeinde keinen Anspruch auf gerechte Abwägung jedes schutzwürdigen Belanges, da das Abwägungsgebot auch für sie nur im Falle der Rechtsbetroffenheit, nicht nur bei bloßer Interessenberührung, subjektivrechtlich relevant ist. 783 St. Rspr.: BVerwG, Urt. v. 04.02.1991 – 5 B 91/90, NVwZ 1992, S. 787 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001/04, Rn. 494 ff.; NVwZ 2006, S. 1055; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 331. Dies folgt – so das BVerwG – aus der subjektiven Rechtsstellungsgarantie, die Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG mit der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung verbindet. Danach müssten Eingriffe in den Schutzbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Eingriffe in die gemeindliche Planungshoheit, die den Zielsetzungen des jeweiligen Fachplanungsrechts nicht entsprechen oder auf unüberwindbare rechtliche oder tatsächliche Hindernisse stoßen und deshalb nicht realisierbar sein würden, seien unverhältnismäßig und nicht „vernünftigerweise“ geboten. Eine Planung, deren Umsetzung den Zielsetzungen des jeweiligen Fachplanungsrechts zuwiderlaufe oder auf dauerhafte Hindernisse rechtlicher oder tatsächlicher Art stoße, verfehle ihren gestaltenden Auftrag und sei sinnlos. Der hierauf gestützte Einwand fehlender Planrechtfertigung dürfe daher einer in ihrem Selbstverwaltungsrecht betroffenen Gemeinde nicht versagt werden. 784 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, NVwZ 1984, S. 718 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.01.1993 – 4 B 206/92 (Lüneburg), NVwZ 1993, S. 884. Die Gemeinde kann auch als Trägerin der kommunalen Einrichtung die Pflicht haben, Gefahren für Leben und Gesundheit der Nutzer abzuwehren; s. auch A. Dietz, UPR 2016, S. 469 ff.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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und eine solche nicht von vornherein ausgeschlossen scheint.785 Gelingt es der Gemeinde, diese Zulässigkeitsschwelle zu überschreiten, ist sie allerdings auch hinsichtlich der rügefähigen Verstöße beschränkt. Der ständigen Rechtsprechung des BVerwG nach ist es Gemeinden, die sich gegen belastende Maßnahmen wenden, versagt, eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung (etwa eines umstrittenen Planfeststellungsbeschlusses) zu verlangen. Es erfolgt nämlich auf die kommunale Klage hin gerade keine umfassende Prüfung der jeweils umstrittenen Entscheidung (z. B. eines Planfeststellungsbeschlusses). Die Prüfung beschränkt sich vielmehr auf Verstöße gegen solche Vorschriften, die unmittelbar dem Schutz der Gemeinde dienen.786 Da Rechte von Gemeinden ihre Grundlage in der Konkretisierung der Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG haben,787 können sie sich nicht auf das Wohl der Allgemeinheit berufen, soweit dessen Wahrnehmung nicht eine spezifisch kommunale Angelegenheit i. S. d. Art. 28 Abs. 2 GG darstellt.788 In diesem Zusammenhang dürfen Gemeinden sich nicht zum Wächter des Natur- und Umweltschutzes aufschwingen.789 Eine Gemeinde kann sich insbesondere nicht zur Sachwalterin der Allgemeinheit oder ihrer Bürger machen und sich daher nicht auf die ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht nicht speziell zugeordneten
785 Vgl. BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 3.97, NVwZ 1999, S. 67; J.-W. Kirchberg/M. Boll/P. Schütz, NVwZ 2002, S. 550 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, UmweltR, 2003, § 5, Rn. 23. 786 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.06.1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, NJW 1977, S. 1960; BVerfG, Urt. v. 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173 ff. – kein grundrechtlicher Eigentumsschutz im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben; VGH Kassel, Urt. v. 07.02.1984 – II OE 207/78, NVwZ 1984, S. 736 ff.; R. Wahl, NVwZ 1990, S. 925 ff.; BVerwG, Urt. v. 27.03.1992 – 7 C 18/91, NVwZ 1993, S. 364; BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, NVwZ 1984, S. 718 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.01.1991 – 4 C 51/89, NVwZ-RR 1991, S. 601; OVG Koblenz, Urt. v. 16.08.2001 – 1 B 10.286/01, NuR 2002, S. 234; OVG Koblenz, Urt. v. 18.10.2007 – 1 C 10138/ 07.OVG, ZfBR 2008, S. 67; OVG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 – 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 316 ff.; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 327 ff. Zwar scheidet nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Berufung der Gemeinde auf Art. 14 GG aus. Jedoch ist das Eigentum der Gemeinde auch unterhalb der Verfassungsebene rechtlich geschützt und daher in der Abwägung subjektiv beachtlich. Die einfachrechtliche Eigentümerstellung der Gemeinde vermittelt somit eine abwägungserhebliche Position, wenn ein ihr gehörendes Grundstück durch ein planfestgestelltes Vorhaben unmittelbar in Anspruch genommen werden soll oder eine wertmindernde Beeinträchtigung durch Lärm oder Schadstoffe droht. 787 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 21.10.1993 – 5 S 646/93, DVBl 1994, S. 351; OVG Saarlouis, Urt. v. 12.12.2012 – 2 C 320/11, B, NuR 2013, S. 370 ff.; vgl. R. Wahl/ P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 105, Rn. 269 ff. 788 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.1993 – 7 A 14.93, UPR 1994, S. 32 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 07.01.1986 – 2 UE 2855/84, NVwZ 1986, S. 680 ff.; OVG Saarland, Urt. v. 07.03.1986 – 2 R 94/85, UPR 1987, S. 228 ff. 789 OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16.08.2001 – 1 B 10.286/01, NuR 2002, S. 234.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
öffentlichen Belange, etwa den Natur-, Umwelt- und Artenschutz, berufen.790 Denn im Übrigen sind die Gemeinden selbst Teil des Staates und nicht zu einer ergänzenden Rechtmäßigkeitskontrolle des Handelns anderer Behörden aufgerufen. Eine Gemeinde kann somit die Beeinträchtigung von Gesundheit und Eigentum ihrer Bürger (z. B. durch umweltbelastende Auswirkungen) nicht rügen.791 Umweltbezogene Belange der Allgemeinheit bzw. der Gemeindebürger (wie z. B. Lärmimmissionen), die nicht dem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind, können somit von Gemeinden nicht mit Erfolg vorgebracht werden.792 Demgegenüber haben planbetroffene Bürger einen Anspruch auf eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung.793 Dabei begründet die Beeinträchtigung von Aufgaben, deren Wahrnehmung ihr als Pflichtaufgaben nach Weisung einer Gemeinde übertragen wurden, keine Klagebefugnis.794 Selbst wenn umweltrelevante Vorhaben das Gebiet, die Grundstücke oder die Einrichtungen der betroffenen Gemeinde durch Immissionen oder sonstige Umwelteinwirkungen beeinträchtigen, ergibt sich keine Klagebefugnis der Gemeinde i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO, soweit dessen Schutz außerhalb der Selbstverwaltungsgarantie fällt.795 Außerhalb der Planungshoheit und der sonstigen Aufgabenwahrnehmung aufgrund Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist insofern etwa ein Recht der Gemeinde auf Erhaltung des Ortsbildes oder auf Selbstgestaltung nicht anzuerkennen.796 Auch bei den Verfahrensfehlern ergibt sich eine Klagebefugnis für eine diesbezügliche Anfechtungsklage einer Gemeinde nur dann, wenn das verletzte Beteiligungsrecht der Gemeinde eine eigene selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition verleiht (z. B. § 6 LuftVG).797 Dabei kann eine Gemeinde sich auf eine (angeblich) rechtswidrig unterbliebene UVP (auch in Ansehung des 790 OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16.08.2001 – 1 B 10.286/01, NuR 2002, S. 234; OVG Rh.Pf., Urt. v. 18.10.2007 – 1 C 10138/07.OVG, ZfBR 2008, S. 67; OVG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 – 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 316 ff. 791 BVerwG, DVBl 1981, S. 219 ff.; BVerwG, DVBl 1990, S. 427 ff.; BVerwG, NVwZ 2006, S. 1055; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/ E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 269 ff. 792 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 26/94, NVwZ 1997, S. 169 ff.; BVerwG, Beschl. v. 05.11. 2002 – 9 VR 14/02, NVwZ 2003, S. 207 ff. 793 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.09.1980 – 7 C 23/79, DVBl 1981, S. 218 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 4 C 36/86, DVBl 1990, S. 427 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 105, Rn. 269 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, S. 241; N. v. Schwanenflug/ S. Strohmayr, NVwZ 2006, S. 396 ff. 794 Vgl. BVerwG, 21.01.1983 – 4 C 59/79, NVwZ 1983, S. 610 ff. 795 R. Breuer, in: FS für Kloepfer, 2013, S. 329. 796 Vgl. VGH München, Urt. v. 06.06.1989 – 8 B 87.308, UPR 1990, S. 32 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGOKomm., 2003, Rn. 274, m.w. N. 797 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2003, Rn. 276.
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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§ 4 Abs. 3 i.V. m. Abs. 1 UmwRG)798 nicht unabhängig von einer möglichen Betroffenheit in eigenen Rechten berufen.799 Andererseits kann in diesem Zusammenhang eine Gemeinde, die sich zur Wahrung ihrer Rechte auf einfachgesetzliches Eigentum stützt, im Rahmen einer Vorprüfung gem. § 3a S. 4 UVPG i.V. m. § 3c UVPG die mögliche Beeinträchtigung von FFH-Gebieten und die Gefährdung ökologischer Schutzfunktionen in ihrem Hoheitsgebiet geltend machen.800 Kurzgefasst bestimmt die aktuelle Rechtsprechung, dass einfachrechtlich eine Gemeinde bereits derzeit wie „die Öffentlichkeit“ behandelt wird, wenn sie Einwendungen gegen ein Vorhaben erhebt, die sich auf die eigenen Rechte beziehen, d. h. aus ihrer Selbstverwaltungsgarantie entspringen.801 Kann eine Gemeinde die Möglichkeit einer Betroffenheit ihres Selbstverwaltungsrechts nicht darlegen, dürfte es bereits an der Einstufung der Gemeinde als „betroffene Öffentlichkeit“ fehlen.802 Vor diesem Hintergrund ist klar, dass auch die Gemeinden nur eine eingeschränkte Rolle zum Rechtsschutz von überindividuellen Rechten und Interessen spielen. Die Rechtsschutzdefizite im kritischen Bereich des Umweltschutzrechts können somit auch nicht durch die bisher vorhandenen Klagemöglichkeiten von Gemeinden entscheidend beseitigt werden. Dieser problematische Zustand sollte allerdings behoben werden.803
XIII. Fazit Die sog. Gefahr-Vorsorge-Dichotomie sieht die staatliche Vorsorge für Leben und Gesundheit Dritter gegenüber nur vielleicht schädlichen Handlungen der Mitbürger als bloß öffentliches Interesse und erkennt grundsätzlich nur eine Einklagbarkeit der Gefahrenabwehr, also der direkten Abwehr offenkundig kurzfristig schädigenden Tuns der Mitbürger durch den Staat an. Andererseits ist die Vorsorge durch eine „objektivrechtliche“ Garantie gewährleistet. Unter dem 798
Ausführlich über den Inhalt dieser Normen s. u. in 1. Teil, 3. Kap., E., II. ff. Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05.2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 562 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279 ff. 800 VGH Kassel, Beschl. v. 19.03.2012 – 9 B 1916/11, ZUR 2012, S. 440 ff., S. 544 ff. 801 Vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.2005 – 9 A 62/03, NVwZ 2005, S. 813 ff.; so gilt für sie z. B. auch der Einwendungsausschluss gemäß § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG. Eine Gemeinde ist zwar auch Behörde, die im Planfeststellungsverfahren anzuhören ist, soweit ihr Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird (§ 73 Abs. 2 VwVfG). Allerdings kann eine Gemeinde durch ein geplantes Vorhaben zugleich in eigenen Rechten betroffen sein und muss, wenn sie sich insoweit die Möglichkeit offen halten will, diese Rechte notfalls im Klagewege geltend zu machen, deshalb wie jeder Bürger im Rahmen der Betroffenenbeteiligung frist- und formgerecht Einwendungen erheben. 802 Vgl. A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 328 ff. 803 Ein relevanter Lösungsansatz s. u. in 1. Teil, 6. Kap., B., II., 2. 799
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Blickwinkel des Individualrechtsschutzsystems sind somit i. d. R. Vorschriften im Rahmen der Vorsorge auf den Schutz der Allgemeinheit, nicht aber auf die Berücksichtigung der Belange individualisierbarer Dritter, ausgerichtet. Insofern können vorsorgerechtliche Vorschriften nicht eingeklagt werden. Dies liegt auch daran, dass die Vorsorge – im Rahmen des deutschen Rechts – nicht auf einen greifbaren und hinreichend eindeutigen Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Schaden in Bezug auf einzelne Personen und einen abgrenzbaren Personenkreis zielt, sondern der Schaffung von Sicherheitsabständen dient. Nach deutschem Verständnis soll sich somit die umweltbezogene Schutzpflicht zur Gefahrenabwehr nur auf Handlungen beziehen, die in absehbarer Zeit bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit unmittelbar einen Schaden herbeiführen. Dadurch wird aber nur die Verhütung von hinreichend wahrscheinlichen Fernschäden gewährleistet, während nicht hinreichend wahrscheinliche Schäden nicht gerichtlich geschützt werden können. Außer der Nachbetriebs-Schutzpflicht in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und in § 5 Abs. 3 Nr. 1 BImSchG, die drittschützend ist, sind demzufolge die anderen immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten der Vorsorge zuzuordnen und daher nicht drittschützend. Dabei dienen i. d. R. die Emissionsgrenzwerte dem Vorsorgeprinzip, es sei denn, dass die emissionsbegrenzende Vorschrift nach der Intention des Normgebers auch der Immissionsminderung in der Nachbarschaft und nicht nur der großräumigen, regelmäßig nicht nachbarschützenden Vorsorge dienen soll, oder wenn die Emissionsgrenzwerte der im GG verankerten staatlichen Pflicht der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienen (etwa Emissionsgrenzwerte für kanzerogene, hochtoxische, erbgutverändernde sowie fortpflanzungsgefährdende Stoffe). Die Versagung des Drittschutzes durch diese fiktive Zuordnung von Emissionsbegrenzungen zum Vorsorgeprinzip überzeugt nicht und scheint weder mit dem Grundsatz der Gefahrenabwehr gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG noch mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar zu sein. Denn im Ergebnis versagt sie jede Rechtsschutzmöglichkeit gerade dort, wo der Rechtsschutz am dringlichsten wäre. Mangels einer Einklagbarkeit der Vorsorgenormen kann zudem die Bindung der Verwaltung an das Gesetz ausgehöhlt werden. Darüber hinaus scheint, dass die herrschende Gefahr-Vorsorge-Dichotomie nicht der modernen Entwicklung der Naturwissenschaften sowie der Technologie entspricht. Denn angesichts der Unerforschtheit vieler Risikoursachen und Schadensmöglichkeiten neuer Produktionsverfahren und Schadstoffe wird bei der Beurteilung von Anlagen- und Stoffrisiken oft nur eine unsichere, nicht auf Erfahrung beruhende Prognose möglich sein. Demzufolge kann die Abwehr möglicher Schäden – insbesondere im Immissionsschutzrecht – nicht immer auf die letzte Gewissheit eines schädigenden Kausalverlaufs warten, sondern muss vorbeugend grundsätzlich auf der Basis eines begründeten Verdachts erfolgen. Letztlich geht
E. Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts
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es im Grunde auch bei dem an Emissionen anknüpfenden Vorsorgegrundsatz um die Verhinderung von schädlichen Umwelteinwirkungen (i. S. d. § 3 Abs. 1 BImSchG). Dieser dient damit auch dem Schutz vor Gefahren durch Immissionen. Die Vorsorgeanforderungen (einschließlich der Emissionsgrenzwerte) können daher auch eine individuelle Schutzfunktion haben, sofern sie den Schutz der menschlichen Gesundheit bezwecken. Vor diesem Hintergrund ist die gerichtliche Kontrolldichte bei planerischen umweltbezogenen Abwägungsentscheidungen i. d. R. eingeschränkt, so dass die Gerichte mangels Expertise häufig nicht in der Lage sind, eigene Bewertungen an die Stelle der Einschätzungen der Verwaltung zu setzen. Insofern sind auch Erfolgsaussichten von relevanten Klagen gering. Im Allgemeinen ist auch bemerkenswert, dass die ausdrückliche Unterscheidung zwischen (vorbeugendem) Gefahrenschutz und Vorsorge im internationalen Rechtsvergleich bisher keine Parallele findet. Auch angesichts des Effektivitätsgebots („effet-utile“) des EU-Rechts ist die Ablehnung eines subjektiven Rechts auf Vorsorge durch die deutsche Rechtsprechung fraglich, denn dadurch kann dieses Gebot verletzt werden. Zwar betrifft bislang die europäische Rechtsprechung Ansprüche auf die Einhaltung von Immissionsgrenzwerten, es wäre aber europarechtlich konsequent, wenn diese analog auch bei der Einhaltung von Emissionsgrenzwerten angewandt würden, soweit die vom EU-Recht bestimmten Emissionsgrenzwerte unter anderem auch der menschlichen Gesundheit dienen. Es erscheint daher realistisch, nicht von einer kategorialen Unterscheidung zwischen Vorsorge und Gefahrenabwehr, sondern von einer nur graduellen Unterscheidung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit auszugehen, welche schon teilweise im Bereich des Atomschutz- und Gentechnikrechts existiert. In diesem Rahmen sollte eine durchgängig gestufte, je nach Art und Umfang des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts bzw. der Größe des Besorgnispotentials unterschiedlich intensive Pflicht zur Minimierung des Risikos im Gesamtbereich des Schutz- und Vorsorgeprinzips angenommen werden. Es wäre seitens des Gesetzgebers bzw. des Richters empfehlenswert – mangels eines endgültig geklärten Erkenntnisstandes der Wissenschaft hinsichtlich der Auswirkungen von Immissionen oder Emissionen, die die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können – Vorsorgenormen, die dem Schutz der Gesundheit bzw. der Umwelt dienen, de lege ferenda als einklagbar anzuerkennen. In diesem Zusammenhang scheint es sachgerecht, auf der Grundlage des Vorbehalts in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO zumindest die Verletzung aller in Rechts- und Verwaltungsvorschriften niedergelegten Grenzwerte in Bezug auf Immissionen oder Emissionen als einklagbar für die drittbetroffenen Nachbarn anzusehen. Im Hinblick darauf ist vorzuschlagen, den Gefahrenverdacht als eine Gefahr zu werten, sofern er auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruht und nicht nur reine Spekula-
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tionen, sondern hypothetische umwelt- und gesundheitsschädliche Möglichkeiten beinhaltet. Beachtenswert ist allerdings, dass nunmehr die anerkannten Umweltvereinigungen im Rahmen der neuen Fassung des UmwRG vom 21.01.2013 (gem. § 2 Abs. 1 UmwRG) unter anderem auch Vorsorgenormen einklagen können, soweit diese Normen unter den Anwendungsbereich des UmwRG fallen. Dies ist jedenfalls eine positive Entwicklung des modernen deutschen Verwaltungsrechts, die die Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie teilweise entschärft. Die Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie in Verbindung mit der restriktiven Klagebefugnis des deutschen Individualrechtsschutzsystems hat zur Folge, dass in erster Linie nur eine geringe Zahl umweltrechtlicher Normen drittschützende Wirkung aufweist. Zentralen Normen des materiellen Umweltrechts wird durchaus nur eine geringe drittschützende Funktion zuerkannt, da sie vor allem das Gemeinwohl und keine individuellen Rechtspositionen schützen sollen. Im Hinblick darauf dienen etwa die Vorschriften des BNatSchG sowie die entsprechenden Landesgesetze nur dem öffentlichen Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes und vermitteln somit keine subjektiven öffentlichen Rechte. Gleiches gilt auch bei klimaschutzrechtlichen Effizienzanforderungen, da der Bundesgesetzgeber keine Möglichkeit eröffnet, Klimaschutzaspekte in der gerichtlichen Überprüfung anzufechten. Es ist allerdings anzumerken, dass anders als im Immissionsschutzrecht und aufgrund des hier bestehenden besonderen Risikopotentials im Atomrecht die Vorschriften, die der Gesundheitsvorsorge dienen (etwa die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 AtG), weitgehend drittschützenden Charakter besitzen. Die atomrechtliche Genehmigungsnorm zieht z. B. auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder Besorgnispotential besteht. Ausnahmsweise ist im Bereich des Atomrechts der Vorsorgebereich teilweise subjektiv relevant, soweit sich die entsprechenden Vorschriften auf das Gesundheitsinteresse des Einzelnen beziehen. Andererseits haben im Gentechnikrecht Vorschriften drittschützende Wirkung, die die Grundpflichten des Betreibers im Rahmen der Genehmigung einer gentechnischen Anlage normieren und zumindest auch die Interessen des Nachbarn schützen sollen. In diesem Rahmen wird für Drittklagen die substantiierte Darlegung der Möglichkeit einer Rechtsverletzung verlangt. Im Gentechnikrecht ist jedoch die Bestimmung des Schutzzwecks nach räumlichen Kriterien i. d. R. besonders schwierig. Denn beim Betreiben von gentechnischen Anlagen oder sonstigen Aktivitäten kann eine individuelle Rechtsverletzung oder eine Gefährdung
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der körperlichen Integrität bzw. der Gesundheit von naturgemäß (etwa wegen nicht zu begrenzender und nicht vorherzusehender Verbreitungspfade oder langer Latenzzeiten) nur schwer hinreichend genau festgestellt werden. Angesichts der nicht selten ungewissen Geschehensabläufe wird demzufolge ein Kläger i. d. R. keine konkrete Schadenseintrittswahrscheinlichkeit substantiiert behaupten können. Ein Drittschutz im Bereich des Wasserrechts ist grundsätzlich im Anwendungsbereich der wasserbehördlichen Bewilligung sowie der gehobenen nachbarrechtlich formalisierten Erlaubnis vorgeschrieben. Eine drittschützende Wirkung anderer wasserrechtlicher Vorschriften wird hingegen unter dem Einfluss der Schutznormtheorie grundsätzlich abgelehnt. Dabei ist ein Drittschutz im Bereich des Abfallrechts grundsätzlich zu bejahen, soweit die Errichtung und der Betrieb einer Deponie sowie eine wesentliche Änderung der Anlage oder ihres Betriebs einer Planfeststellung bedarf (etwa § 35 Abs. 2 KrWG) und dadurch individuelle Belange betroffen sind. Auch im Bergrecht bejaht die deutsche Rectsprechung einen Drittschutz nur gegen die bergrechtliche Betriebsplanzulassung aus § 48 Abs. 2 BBergG. Mittelbare Beeinträchtigungen des Oberflächeneigentümers durch den bergrechtlichen Betriebsplan sind daher nicht einklagbar. Im Bodenschutzrecht ist der Rechtsschutz Dritter nur denkbar als Anfechtung der Verbindlichkeitserklärung einer effektiven Sanierung des Bodens in Form eines Verpflichtungsbegehrens auf Erlass einer bodenschutzrechtlichen Verfügung (gem. § 13 Abs. 6 BBodSchG). Auch in diesem Bereich erweist sich der Umfang des Schutzes der Drittbetroffenen als unzureichend. Vor diesem Hintergrund führt das herrschende deutsche Rechtsschutzsystem häufig zur Vergesellschaftung der Zurechnung von umweltschädlichen Technikfolgen. Im Hinblick darauf ist dem Kläger eine Klagebefugnis auch dann zu verneinen, wenn eine subjektivrechtlich relevante Umweltbelastung nicht einer bestimmten Störungsquelle eindeutig zugerechnet werden kann. Dasselbe gilt auch, wenn Rechte des Drittklägers von raum-zeitlich nicht mehr zurechenbaren, globalen und diffusen Umweltbelastungen (z. B. durch diffuse Zusammenwirkung von Immissionen) verletzt oder bedroht werden. Infolgedessen bleiben häufig die Umweltschäden unzugerechnet und die öffentlichen Umweltinteressen weitgehend gerichtlich ungeschützt. Es handelt sich in der Praxis um eine Verschiebung der Verantwortung von Einzelnen auf die Gesellschaft. Der Versuch des deutschen Gesetzgebers, die UH-RL vor allem durch die Einführung des USchadG umzusetzen, ist allerdings nur geringfügig erfolgreich im Hinblick auf die Verbesserung der Zurechenbarkeit von Schäden. Dadurch wird Betroffenen und anerkannten Umweltvereinigungen eine Antragsbefugnis auf Aufforderung der Behörden zum Tätigwerden (§ 10 USchadG) sowie eine Klage-
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befugnis gegen eine Entscheidung oder das Unterlassen einer Entscheidung der zuständigen Behörde im Rahmen des USchadG (§ 11 USchadG) eingeräumt. Obwohl die Konzeption der Verbandsklagerechte im Rahmen der UH-RL gesetzgeberisch elegant scheint, schafft der deutsche Gesetzgeber in Wirklichkeit damit aber nur ein eigenes Rechtsgebiet mit eingeschränktem Anwendungsbereich. Es handelt sich um eine unionsrechtlich diktierte Verbandsklage, die zum ersten Mal im Bereich des deutschen Umweltschadenshaftungsrechts eingeführt worden ist. Der Kern der Rechtsschutzproblematik der Schutznormlehre im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes bleibt somit auch nach der Einführung des USchadG grundsätzlich unverändert. Außerdem wirft das USchadG gleichzeitig eine Fülle von Problemen auf, die seine Effektivität in der Praxis deutlich reduzieren, z. B. die Schwierigkeiten hinsichtlich der Feststellung eines Kausalzusammenhangs zwischen der Tätigkeit des Verantwortlichen und den dadurch unmittelbar verursachten Umweltschäden bzw. der Gefahr eines Umweltschadens. Ein weiterer Faktor, der den Rechtsschutz von überindividuellen Rechten und Interessen einschränkt, ist schließlich die restriktive Klagebefugnis von Gemeinden. Denn eine Gemeinde ist nur insoweit klagebefugt, als sie geltend macht, dass sie durch die jeweils umstrittene Maßnahme in eigenen Rechten verletzt ist oder die Möglichkeit besteht, dadurch verletzt zu sein. Da Rechte von Gemeinden ihre Grundlage in der Konkretisierung der Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG haben, können sie sich somit nicht auf das Wohl der Allgemeinheit berufen, soweit dessen Wahrnehmung nicht eine spezifisch kommunale Angelegenheit im Sinne ihrer Selbstverwaltungsrechte darstellt. Umweltbezogene Belange der Allgemeinheit bzw. der Gemeindebürger, die nicht dem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind, können somit von Gemeinden nicht mit Erfolg vorgebracht werden. Insofern können auch die Gemeinden nur eine eingeschränkte Rolle beim Rechtsschutz von überindividuellen Rechten und Interessen spielen.Wie im Folgenden gezeigt werden soll, erschöpfen sich die Rechtsschutzhindernisse in Bezug auf den überindividuellen Rechtsschutz nicht nur im materiellen Umweltrecht. Sie erstrecken sich auch auf den Bereich des Umweltverwaltungsverfahrensrechts.
F. Die Rechtsschutzproblematik im Bereich des umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrechts I. Allgemeines In Verbindung mit der Problematik des umweltrechtlichen Drittrechtsschutzes sind auch die Auswirkungen der Verfahrensfehler im Rahmen des Verwaltungsverfahrensrechts im Bereich des Umweltrechtsschutzes von Bedeutung. Den Verfahrensrechten (insb. Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten) kommt im Allgemeinen bei der Verwirklichung des öffentlichen Umweltrechtsschutzes sowie
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 175
des Ziels der umweltrechtlichen Steuerung eine wichtige Rolle zu. Verwaltungsprozessuale Bestimmungen sollen ein möglichst faires Verfahren in Umweltangelegenheiten gewährleisten, wobei die Belange der Umweltnutzer sowie der Umweltschützer verhältnismäßig angehört, ausgeglichen und eingeschätzt werden. Neben ihrer normativen Bedeutung für den Rechtsschutz von Umweltgütern haben die Verfahrenselemente eine eigenständige psychologische Funktion für die Befolgungsbereitschaft der Adressaten.804 In dieser Hinsicht dienen Rechtsformalitäten, wie z. B. Verfahrensbeteiligungserfordernisse nicht nur der wechselseitigen Information, der Akzeptanzerhöhung und dem vorverlagerten Rechtsschutz in komplexen Verfahren. Sie dienen auch dem Umweltschutz, denn möglichst gut begründete Entscheidungen über ein umweltbeeinträchtigendes Großprojekt (etwa bei UVP-Verfahren) setzen einen entsprechenden Diskurs voraus, der jedoch zwecklos würde, wenn letztlich vielfältige Form- und Inhaltsfehler später noch irgendwie beseitigt werden könnten. Deshalb ist auch die Einhaltung von Formalia im Verwaltungsverfahren zentral.805 Im Allgemeinen ist allerdings anzumerken, dass sich aus dem sog. „beschleunigten“ deutschen Verwaltungsrecht seit Längerem eine Art Hindernis-Kaskade von Unbeachtlichkeits-, Fristen- und Heilungsnormen jeweils für materielle und prozedurale Mängel ergibt.806 Gerade die rechtliche Sanktionierung der Verletzung prozeduraler Regeln fällt aber in Deutschland auch im internationalen Vergleich eher schwach aus.807 Dieser Zustand hängt mit der Ausrichtung des deutschen Rechts auf den Schutz materieller Rechte zusammen. Dies findet Ausdruck in zahlreichen Vorschriften zur Heilung oder Unbeachtlichkeit prozeduraler Beteiligungsmängel (etwa in § 214 BauGB oder in § 12 ROG). Eine solcherart strukturierte Hindernis-Kaskade ergibt sich sowohl für inhaltliche, speziell abwägungsbezogene Fehler, als auch für Verfahrensfehler. Zu dieser HindernisKaskade tragen vor allem die Präklusion der Anfechtung einer Beeinträchtigung wegen mangelnder oder nicht fristgerechter Beteiligung des Klägers, die mangelnde Subjektivierung des Betroffenen durch einen Verfahrensfehler, die Heilung des Verfahrensfehlers noch im Prozess, die Unbeachtlichkeit sowie die Heil-
804 Vgl. u. a. T. Baehr, Verhaltenssteuerung durch Ordnungsrecht, 2005, S. 47 ff., S. 114; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 534. 805 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 534. 806 Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff.; T. Siems, NuR 2006, 359; K.-P. Dolde, NVWZ 2006, S. 857 ff.; R. Wahl, DVBl 2003, S. 1285 ff.; M. Pöcker, DÖV 2003, S. 980; jeweils m.w. N. 807 Vgl. A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 14 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; M. Böhn, DÖV 2000, S. 990 ff.; F. Ekardt, NuR 2006, S. 221 ff.; F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059 ff.; E. Schmidt-Aßmann, DVBl 1997, S. 281 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
barkeit des Verfahrensfehlers noch in einem ergänzenden Verfahren nach dem Prozess bei.808
II. Zur Problematik der Einklagbarkeit von Verfahrensvorschriften Um einer Klage gegen Verfahrensfehler in der deutschen Rechtsordnung zum Erfolg zu verhelfen, reicht es nicht aus, die Verletzung von Verfahrensvorschriften zu rügen. Selbst wenn Verfahrensfehler offensichtlich begangen wurden, gewinnen sie nur für den Fall Relevanz, dass sie auf materielle Rechtspositionen bzw. individuelle Rechte des Klägers durchschlagen, es sei denn, der Gesetzgeber hat die Verfahrensrechte unabhängig von einer materiellrechtlichen Betroffenheit geschaffen.809 Im deutschen Individualrechtsschutzsystem begründen somit Verfahrensrechte aufgrund der Auffassung der herrschenden Rechtsprechung i. d. R. keine subjektiven Rechte.810 Der Drittschutz einer Norm ist nicht verfahrensbegründet.811 Der traditionellen deutschen Rechtsauffassung nach ist die Erfüllung von Verfahrensvorschriften kein Selbstzweck, sondern will nur der besseren Durchsetzung von Umweltbelangen dienen. In diesem Rahmen schützen die meisten Verfahrensvorschriften im deutschen Recht das Verfahren nicht um seiner selbst willen, sondern um das hinter dem Verfahrensrecht stehende Ziel, der Behörde im öffentlichen Interesse den Weg zu einer ordnungsgemäßen Sachentscheidung zu ermöglichen.812 Das deutsche Verwaltungsverfahren bezweckt vielmehr den Schutz Betroffener als Gewährleistung der Einhaltung von materiellrechtlichen Vorschriften. Dem deutschen Verwaltungsverfahrensrecht kommt somit grundsätzlich eine dienende Funktion zu. In dieser Hinsicht ist das gesamte Verwaltungsverfahren nicht 808 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff., m.w. N.; M. Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 44 ff. 809 Vgl. OVG Berlin, Urt. v. 29.03.1994 – 1 S 45/93, NVwZ 1995, S. 1023 ff.; OVG Münster, Urt. v. 05.10.2007 – 8 B 1340/07, ZUR 2008, S. 97 ff.; G. Oestreich, DV 2006, S. 33; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: dies. (Hrsg.), VwGO-Komm. 2005, Rn. 75; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 40; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 5, Rn. 15. 810 Vgl. J. Greim, NuR 2014, S. 84, m.w. N. 811 Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 15.11.2005 – 7 B 1823/05, NVwZ-RR 2006, S. 306, für den Fall der Nichtigkeit eines Bebauungsplanes für ein Fußballstadion; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOKVwGO, 2008, Rn. 162. 812 Vgl. M. Sachs, § 45 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfGKomm., 2008, Rn. 10 ff., m.w. N.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff.; H. Weidemann, VR 2008, S. 229 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 84; jeweils m.w. N.
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Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck richtiger Entscheidungen.813 Dies ist grundsätzlich auf die herrschende Schutznormlehre zurückzuführen. Dieses Konzept spielt eine wichtige Rolle auch im Bereich des Umweltrechtsschutzes, vor allem im UVP-Verfahren, wobei die Rechtsprechung große Zurückhaltung hinsichtlich eines weitreichenden Umweltrechtsschutzes erkennen lässt.814 Gerade in diese Richtung orientiert sich die bislang ständige sog. Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG815, die auch auf den Bereich des UVP-Verfahrensrechts übertragen wurde.816 Danach ist für die Begründetheit der Klage ein Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Sachentscheidung erforderlich. Dieser Kausalzusammenhang liegt nur vor, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Demzufolge kann die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit nur dann zur Überprüfung gestellt werden, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre.817 Selbst wenn diese Hürde im Einzelfall übersprungen wird, bedeutet dies allerdings noch nicht, dass der Verfahrensfehler wirklich sanktioniert wird. Denn nach § 113 Abs. 1 VwGO reicht die bloß objektive Rechtswidrigkeit einer ver813 Vgl. M. Sachs, § 45 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfGKomm., 2008, Rn. 10 ff., m.w. N.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff.; H. Weidemann, VR 2008, S. 229 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 84; W. Berg, in: M.-E. Geis/D. Lorenz (Hrsg.), FS für H. Maurer zum 70. Geburtstag, 2001, S. 538 ff.; jeweils m.w. N. 814 Vgl. R. Steinberg, DÖV 1996, S. 221 ff.; W. Erbguth, NuR 1997, S. 160; A. Schink, NuR 1998, S. 173 ff.; mehr dazu s. u. in 1. Teil, 1. Kap., G., II., 3., a). 815 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1997, S. 788 ff.; BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, BVerwGE 98, S. 339, S. 361 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 – 7 C 55 und 56/89, BVerwGE 85, S. 368, S. 373 ff.; BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, BVerwGE 69, S. 256, S. 269 ff.; BVerwG, 08.02.1967, BVerwG V C 167/65, BVerwGE 26, S. 145, S. 148; BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 2/97, NVwZ 1999, S. 67; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, NVwZ 2008, S. 563 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff., m.w. N. 816 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 1. Kap., F., II., 2. 817 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.05.1981 – 4 C 97/77, NJW 1981, S. 2769; BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, NVwZ 1984, S. 718; BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – C 13/ 856, NVwZ 1987, S. 578; BVerwG, Urt. v. 27.09.1990 – 4 C 44/87, NVwZ 1991, S. 364 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NJW 1997, S. 144 ff.; BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; BVerwG, Urt. v. 23.02.1994 – 4 B 35/94, NVwZ 1994, S. 690 ff.; BVerwG, Urt. v. 30.10.1992 – 4 A 4/92, NVwZ 1993, S. 565; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 865 ff.; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330 ff.; D. Czajka, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 510 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 259 ff., m.w. N.; I. Schwertner, EurUP 2007, S. 127 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 865; F. Kopp/ U. Ramsauer, § 46 VwVfG, in: VwVfG-Komm., 2005, Rn. 5; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff.; R. Klinger, ZUR 2014, S. 536 ff.; jeweils m.w. N.
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waltungsrechtlichen Handlung oder Unterlassung nicht für die Aufhebung des Verwaltungsakts aus.818 Vielmehr ist es erforderlich, dass der jeweils rechtswidrige Verwaltungsakt subjektive Rechte des Klägers verletzt. Dies setzt voraus, dass die verletzte Verfahrensvorschrift zumindest auch dem Schutz des Klägers dienen soll. Dies gilt aber für Verfahrensvorschriften nur ausnahmsweise.819 Hinter der Auffassung der Kausalitätsrechtsprechung steht der Gedanke, dass für Drittbetroffene nicht viel gewonnen wäre, solange das Gericht einen Bescheid allein auf Grund eines Verfahrensfehlers aufhöbe. Denn es müsste damit gerechnet werden, dass das Genehmigungsverfahren unter Einhaltung der betreffenden Verfahrensanforderung nachgebessert bzw. neu durchgeführt würde und im Ergebnis eine inhaltsgleiche Entscheidung erginge. Von Bedeutung sind und bleiben daher die materiellen Rechtspositionen und die daraus abzuleitenden Ansprüche der Beteiligten.820 Im Hinblick darauf ist hier § 46 VwVfG als rechtliche Basis der sog. Kausalitätsrechtsprechung maßgeblich. Danach ist ein Verfahrensfehler unbeachtlich, wenn er auf die Sachentscheidung offensichtlich keinen Einfluss hatte. Es handelt sich daher um die sog. „relativen Verfahrensfehler“, deren Relevanz von ihrem Einfluss auf die Sachentscheidung i. S. v. § 46 VwVfG abhängt.821 Ein Verfahrensfehler (etwa die fehlerhafte Durchfärung der UVP) wäre beispielsweise dann als relativer Verfahrensfehler charakterisiert, wenn substantiiert dargelegt werden kann, dass ihre Durchführung zu einer anderen Sachentscheidung hätte führen können.822 Indizierend dazu ist, dass die Rechtsprechung des BVerwG bei einer Verletzung von Mitwirkungsrechten nicht stets die Nichtigkeit der verabschiedeten Regelung annimmt, sondern vielmehr im Einzelfall zwischen der Schwere des Verstoßes, dem Sinn und Zweck der Mitwirkungsregelung und dem Gewicht des Mitwirkungsrechts abwägt.823 Nicht jedes Mitwirkungsrecht begründet somit automatisch eine Klagebefugnis.824 818
J. Ziekow, NuR 2014, S. 230 ff.; J. Held, NVwZ 2012, S. 464 ff.; jeweils m.w. N. Ebd. 820 Vgl. D. Sellner/O. Reidtl/M. Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 2006, S. 225, Rn. 75 ff. 821 Vgl. J. Ziekow, NuR 2014, S. 230. 822 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, BVerwGE 69, S. 256, S. 269 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 19/94, BVerwGE 100, S. 370, S. 379 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 2/97, NVwZ 1999, S. 67; z. B. wenn für die Beachtung des materiellen subjektiven Rechts relevante Tatsachen nicht oder nicht hinreichend ermittelt worden sind und die richtige Tatsachenermittlung zu einer anderen Entscheidung führen könnte. Sind die Tatsachen aber richtig ermittelt worden, dann ist die rechtswidrige Nichtdurchführung der UVP für die Drittklage unbeachtlich. Vgl. dazu D. Murswiek, DV 2005, S. 260, m.w. N. 823 BVerwG, Beschl. v. 25.10.1979 – 2 N 1/78, NJW 1979, S. 1763 ff. 824 BVerwG, Urt. v. 29.04.1993, 7 A 2/92, LKV 1993, S. 314 ff. Die in BNatSchG vorgeschriebene Beteiligung der obersten Landesbehörde für Naturschutz und Landschaftspflege verleiht den Ländern kein klagefähiges Recht i. S. v. § 42 VwGO. Gerade 819
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In diesem Rahmen kehrt i. d. R. die Judikatur die Darlegungslast de facto um und erwartet vom Kläger den Nachweis, dass z. B. der Ausschluss des X vom Erörterungstermin ganz konkret zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Dies ist aber in der Praxis häufig schwierig.825 Denn für eine Aufhebung des verfahrensfehlerhaften Verwaltungsaktes reicht in mehreren Fällen nicht dafür aus, dass eine andere Entscheidung prinzipiell möglich gewesen wäre.826 Letzten Endes kann man nie genau wissen, ob die Entscheidung bei formal korrektem Ablauf nicht doch ganz anders ausgefallen wäre.827 Außerdem reicht nur der leiseste Zweifel daran, dass es ohne den Fehler zu derselben Entscheidung gekommen wäre, um die erforderliche Offensichtlichkeit zu erschüttern.828 Im Gegensatz dazu gilt ausnahmsweise der drittschützende Charakter nur für die sog. absoluten Verfahrensfehler.829 Soweit es um Verfahrensnormen geht, die das Verfahren auf dem Weg zur anschließenden Sachentscheidung „um seiner selbst willen“ schützen, handelt es sich um „absolutes Verfahrensrecht“ bzw. „absolute Verfahrensfehler“. Dass solche Verfahrensnormen drittschützenden Charakter haben, bedeutet vor allem, dass sich im Fall ihrer Nichteinhaltung ein Dritter allein wegen Verletzung der Verfahrensvorgaben auf die Rechtswidrigkeit der betreffenden Entscheidung berufen und grundsätzlich ihre Aufhebung verlandie ausgedehnten Proteste im Fall „Stuttgart 21“ (vgl. darüber: P. Schütte, ZUR 2011, S. 169 ff.; C. Franzius, GewArch 2012, S. 225 ff.; W. Frenz, DVBl 2012, S. 811 ff.) deuten darauf hin, dass die vorhandenen Mechanismen in diesem Fall offenbar keine oder nur sehr geringe Legitimationswirkung besaßen. Nach Aussagen der Projektgegner hatten diese den Eindruck, die erfolgte Öffentlichkeitsbeteiligung sei lediglich symbolhaft, da angesichts der politischen und wirtschaftlichen Eliten keine reale Möglichkeit mehr bestehe, auf das Projekt Einfluss zu nehmen. Unabhängig davon, ob diese Einschätzung der Protestierenden berechtigt war, verweisen die Äußerungen darauf, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung als solche unzureichend ist, wenn sie nicht durch rechtliche oder soziale Normen begleitet wird, die eine tatsächliche Auseinandersetzung der Verwaltung mit den vorgebrachten Einwendungen sicherstellen. In diesem Rahmen übernehmen Begründungspflichten und/oder Sanktionen für die Nichtbeachtung von Anhörungs- und Begründungspflichten wichtige Funktionen. Aus den Bürgerreaktionen des Bahnkonflikts „Stuttgart 21“ könnte der Schluss gezogen werden, dass eine Vereinfachung von Planungsprozessen ohne Optimierung der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zu haben ist. M. Hailbronner, in: Kollektivität – Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 52. Assistententagung Öffentliches Recht, Bd. 52, 2012, S. 57 ff., m.w. N. 825 BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, NJW 1982, S. 2425 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2007 – 11 B 916/06.AK, ZUR 2007, S. 376 ff. 826 F. Ekardt, EurUP 2012, S. 67, m.w. N. 827 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 534. 828 Vgl. F. Kopp/U. Ramsauer, § 46 VwVfG, in VwVfG-Komm., 2005, Rn. 37. Zur tatsächlichen Ungewissheit im Verwaltungsprozess sowie zu verfahrensrechtlichen Techniken zur Begegnung dieser Problematik, vgl. z. B. W. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 140 ff. 829 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.03.2003 – 9 A 33/02, NVwZ 2003, S. 1120; W. Kahl/ L. Ohlendorf, JA 2011, S. 46, m.w. N.; kritisch dazu: BVerwG, Urt. v. 14.05.1997 – 11 A 43/96, NVwZ 1998, S. 279 ff.; F. Ekardt, EurUP 2012, S. 67.
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gen kann.830 „Absolute Verfahrensrechte“ sind somit subjektive öffentliche Rechte, die eine selbständige Klagebefugnis unabhängig von einer Verletzung von materiellen Rechtspositionen einräumen und einen Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein aufgrund des Verfahrensverstoßes gewähren, also selbst bei einer materiell richtigen Sachentscheidung.831 § 46 VwVfG findet allerdings auf „absolute Verfahrensrechte“ keine Anwendung.832 Es muss aber angemerkt werden, dass auch solche Verfahrensfehler in der Rechtspraxis relativ selten angenommen werden. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf die Vorschriften eines atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens, auf gewisse enteignungsrechtliche Verfahrensregeln sowie bei Mitwirkungsrechten von Naturschutzvereinigungen gem. § 63 BNatSchG auf Beteiligungsrechte der Gemeinden im Verfahren (etwa nach § 6 LuftVG) und der höheren Verwaltungsbehörde gem. § 36 BauGB.833 Ein „absoluter Verfahrensfehler“ ist etwa die unterlassene Durchführung einer erforderlichen UVP oder einer erforderlichen UV-Vorprüfung (gem. § 4 Abs. 1 UmwRG).834 In diesem Zusammenhang lehnt die Rechtsprechung des BVerfG835 nicht ab, dass sich ein öffentliches subjektives Recht auch aus Verfahrensvorschriften ergeben kann. Sie stellt grundsätzlich fest, dass eine Grundrechtsverletzung dann in Betracht kommt, wenn die Genehmigungsbehörde solche Verfahrensvorschriften außer Acht lässt, die der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter (Leben und körperliche Unversehrtheit) erlassen hat. Keinesfalls dürfen daher – unter diesen Umständen – die Gerichte bei der Überprüfung von umweltbezogenen Genehmigungsbescheiden ohne weiteres davon ausgehen, dass ein klagebefugter Dritter zur Geltendmachung von entsprechenden Verfahrensverstößen nicht befugt sei.836 Der Grundrechtsschutz ist somit unter bestimmten Voraussetzungen auch durch die Gestaltung von Verfahren zu gewährleisten. Denn die Grundrechte beeinflussen nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht, soweit dieses für einen effektiven Rechtsschutz von Bedeutung ist.837 Es sieht allerdings so aus, dass der 830 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2009, Rn. 72 ff., m.w. N.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff. 831 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 42, 2013, Rn. 95; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2013, Rn. 196 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 84; jeweils m.w. N. 832 Vgl. F. Kopp/U. Ramsauer, § 46 VwVfG, in VwVfG-Komm., 2013, Rn. 18. 833 Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.12.1988 – 4 C 40/86, NVwZ 1989, S. 750; BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88, NVwZ 1991, S. 162; J. Greim, NuR 2014, S. 84; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 46, m.w. N. 834 Vgl. T. Elgeti/L. Dietrich, NuR 2009, S. 461 ff.; J. Held, NVwZ 2012, S. 465; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 264; ausführlich dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., E. ff. 835 Vgl. BVerfG, Urt. v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77, Rn. 67 ff., NJW 1980, S. 759 ff. 836 Ebd. 837 Vgl. A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 864, m.w. N.
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verfahrensrechtliche Rechtsschutz im Rahmen des Grundgesetzes durch das oben enge Verständnis des Verfahrensfehlers im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems analog eingeschränkt wird. 1. Abwägungsfehler bei umweltbezogenen Ermessensentscheidungen Die Problematik der Abwägungsfehler betrifft insbesondere die Gestaltungsspielräume zwischen den kollidierenden Wirtschafts- und Umweltbelangen (z. B. wirtschaftliche Interessen und Lärm-, Natur- oder Klimaschutz). Im Rahmen der Abwägungsfehlerlehre liegt ein Abwägungsfehler vor, wenn ein Abwägungsausfall, ein Abwägungsdefizit, eine Abwägungsfehlgewichtung oder eine Abwägungsdisproportionalität festgestellt sind. In diesem Zusammenhang sind auch Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nur als beachtlich bzw. erheblich betrachtet, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Erhebliche Mängel bei der Abwägung führen nur dann zur Aufhebung etwa eines Planfeststellungsbeschlusses oder einer Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können (vgl. § 75 Abs. 1a VwVfG).838 Insofern müssen die Tatsachengrundlage oder die normative Gewichtung der Belange erhebliche Defekte aufweisen. Sodann wird die materielle Rechtmäßigkeitsprüfung durch eine Beschränkung auf offenkundige und konkret nachweisbar für das Planungsergebnis relevante Abwägungsfehler weiter verengt (vgl. etwa § 17e Abs. 6 FStrG, § 75 Abs. 1a VwVfG).839 Diese Ergebniskausalität muss nach deutschem Recht der Drittkläger darlegen (ggf. unter Bereitstellung umfangreicher Fachgutachten), was nicht nur finanziell, sondern auch verfahrenstechnisch besonders schwierig sein kann.840 Problematisch ist auch, dass die Rechtsprechung oft nicht die ziemlich eigenartige Tatsachenbasis von Projekten als offenkundige Abwägungsfehler sieht.841 Bei der naturschutz- bzw. umweltrechtsschutzbezogenen Anfechtungsklage kommt noch hinzu, dass im Rahmen von Abwägungen nur die korrekte Würdigung der Naturschutz- bzw. Umweltbelange geprüft wird, während die andere mittelbar betroffene Seite etwa die Verkehrsbelange bei einer Straße grundsätz838 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02, Rn. 3.3 ff., NVwZ 2003, S. 487 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 59 ff.; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535. 839 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff., m.w. N. 840 F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1060. 841 So bei einer vom Verfasser vertretenen Klage gegen eine Talsperre in Thüringen im Jahr 2001, bei der die Prognose von 25% Bevölkerungszuwachs in 20 Jahren als „nicht abwägungsfehlerhaft“ gesehen wurde, obwohl die neuen Bundesländer unter massivem Bevölkerungsschwund leiden. Vgl. F. Ekardt, EurUP 2012, S. 66 mit Verweis auf: VG Gera, Urt. v. 12.12.2001.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
lich ausgeblendet wird. Unter solchen Umständen kann aber eine eigentliche Abwägungskontrolle nur bedingt stattfinden.842 2. Beachtlichkeit der Heilungsmöglichkeiten von Verfahrensfehlern Ein weiteres Rechtsschutzhindernis im Bereich des Verfahrensrechts entsteht auch aus der Tatsache, dass gem. § 45 VwVfG sowie gem. § 17e Abs. 4 FStrG Verfahrensfehler (z. B. fehlerhafte Verfahrensschritte der UVP oder sogar Abwägungsfehler) außerdem noch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (§ 45 Abs. 2 VwVfG) oder in bestimmten Fällen sogar durch ein ergänzendes Verfahren nach Ende des Verwaltungsverfahrens (etwa § 75 Abs. 1a VwVfG) geheilt werden können.843 Die Ergebnisoffenheit aber dieses Nachholungsverfahrens darf allerdings in der Praxis wegen des Zeitdrucks, der häufig wechselnden Umstände des jeweiligen Sachverhaltes sowie der Komplexität der bestehenden kollidierenden Wirtschaftsinteressen als zweifelhaft bezeichnet werden.844 Liegt beispielsweise ein nach § 46 VwVfG beachtlicher Verfahrensfehler vor, kann der Verfahrensfehler gem. § 45 Abs. 2 VwVfG zudem noch bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens durch Nachholung der betreffenden Verfahrensanforderung geheilt werden.845 Zudem besteht immer noch die Wahrscheinlichkeit, entscheidende Verfahrensfehler auch in umweltrechtlichen Streitigkeiten, die trotz der Heilungsmöglichkeiten des § 45 VwVfG nicht geheilt werden können, gem. § 46 VwVfG als irrelevant anzusehen, weil sie vermutlich nicht die Entscheidung in der Sache beeinflussen.846 Diese Konzeption führt somit nicht selten dazu, dass die Nichteinhaltung von Verfahrensbestimmungen für sich genommen nicht zur Aufhebung eines offensichtlich fehlerhaften Behördenbeschlusses (z. B. eines Planfeststellungsbeschlusses) führt.
842 F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff., jeweils m.w. N.; s. auch 1. Teil, 1. Kap., C., III. 843 F. Ekardt, EurUP 2012, S. 67; M. Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 44 ff.; jeweils m.w. N. 844 F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1060, m.w. N. 845 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – 4 C 13/85, NVwZ 1987, S. 578 ff.; BVerwG, Urt. v. 07.06.1991 – 7 C 43/90, NVwZ 1993, S. 177 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.01.1998 – 4 VR 3/97 (4 A 9/97), NVwZ 1998, S. 618; BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11/03, NVwZ 2004, S. 1486 ff.; OVG Münster, Urt. v. 17.03.2008 – 8 A 929/07, NJOZ 2008, S. 4581 ff.; E. Hien, NVwZ 1997, S. 425 ff.; W. Erbguth, NuR 1997, S. 261 ff.; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 81; dies., NuR 2007, S. 15; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278 ff.; M. Sachs, § 46 VwVfG, in: P. Stelkens/ H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfG-Komm., 2008, Rn. 10 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 ff. 846 Vgl. A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 360 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278 ff.
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 183
Abgesehen von der relevanten Bestimmung von § 46 VwVfG ist es aufgrund des § 114 S. 2 VwGO zulässig, auch einer behördlichen Entscheidung zugrunde liegende Ermessenserwägungen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen.847 Daraus aber entsteht die Gefahr, dass die Anhörung der Betroffenen sowie die Begründung eines Verwaltungsaktes nicht umfangreich behandelt und bis in das Gerichtsverfahren verschoben werden. Dadurch ist es möglich, dass Verfahrensvorschriften nicht mehr ernst genommen werden. Dies kann aber die Wahrnehmung des Grundrechts des gerichtlichen Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG verletzen.848 Denn die Erweiterung der Heilungsmöglichkeiten und Irrelevanzregelungen (durch mehrere Novellen des VwVfG) für Verfahrensfehler kann zu einer Abwertung des Verwaltungsverfahrens und des dahingehenden Rechtsschutzes führen.849 Ein solches Konzept ist aber auch unionsrechtlich fraglich. In einem aktuellen Urteil hat der EuGH festgestellt, dass eine Heilung einer verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Genehmigungsentscheidung (wegen Verweigerung des Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu einer städtebaulichen Standortentscheidung durch die zuständigen Behörden unter Hinweis auf vermeintliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Projektträgers) in einem zweitinstanzlichen Verwaltungsverfahren nur dann erreicht werden könne, wenn in diesem Verfahren noch „alle Optionen“ offen seien und das weitere Verfahren eine im Hinblick auf seinen Ausgang effektive Öffentlichkeitsbeteiligung ermögliche.850 Wie schon erwähnt wurde, geschieht es allerdings selten, dass in einem Nachholungsverfahren „alle Optionen“ offen sind, so dass ein Verfahrensfehler bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. 3. Auswirkungen auf den Bereich des Umweltrechtsschutzes Gerade im speziellen Bereich des Umweltrechts, der besonders an Vollzugsdefiziten leidet, verdient die dargestellte Verfahrensfehlerlehre Kritik. Denn die Verletzung der oben genannten oder entsprechenden verfahrensrechtlichen Vorgaben führt lediglich zu relativen Verfahrensfehlern, die i. d. R. von niemandem 847 VGH München, Urt. v. 27.06.2008, 8 B 231406.2314 und 8 B 06.2340, Rn. 67 ff. Zu beachten ist, dass vor der Novellierung des § 114 VwGO eine Heilung von Verfahrensfehlern bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nachgeholt werden konnte. Diese Befristung ermöglichte eine relativ starke Beachtung des geltenden Verfahrensrechts. Vgl. H.-J. Bonk, NVwZ 1997, S. 324 ff. 848 Vgl. H.-J. Koch/R. Rubel/F. S. Hesselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2003, § 8, Rn. 7; M. Sachs, § 45 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfGKomm., 2001, Rn. 25, 40, 73. Vgl. L. Knopp, BB 1997, S. 1001; R.-W. Schenke, NVwZ 1997, S. 87; R. Sparwasser, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1032. 849 Vgl. L. Knopp, BB 1997, S. 1001; R.-W. Schenke, NVwZ 1997, S. 87. 850 EuGH, Urt. v. 15.01.2013, C 416/10 (Kriz ˇ an u. a./Slovenská insˇpekcia zˇivotného prostredia), Rn. 87, NVwZ 2013, S. 347 ff.; s. B. Wegener, EurUP 2014, S. 233 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
eingeklagt werden können.851 Dabei sollte mitberücksichtigt werden, dass gerade im speziellen Bereich des Umweltschutzrechts, in welchem häufig wegen seiner Komplexität sowie Offenheit bzw. Unbestimmtheit eine materiellrechtliche Kontrolle nur in beschränktem Maße möglich ist, der verfahrensrechtlichen Korrektheit eine gesteigerte Bedeutung zukommt. Denn verfahrensfehlerhafte Verwaltungsentscheidungen leiden insbesondere im häufig komplexen Bereich des Umweltrechts regelmäßig an Verfahresnsmängeln, die das Vertrauen des Bürgers in den unbeeinflussten Entscheidungsvorgang und die Alternativlosigkeit des Entscheidungsergebnisses erschüttern kann.852 Deswegen hat die deutsche Rechtsprechung in einigen Bereichen des Umweltrechts Verfahrensrechte (etwa beim atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 7 AtG aber auch beim förmlichen Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG853, sowie auch in Bezug auf die Anhörungs- und Beteiligungsrechte im Planfeststellungsverfahren) anerkannt.854 Diese Auswirkungen sind vor allem im zentralen umweltverfahrensrechtlichen Bereich des UVP-Rechts besonders auffallend. a) Zur Problematik des Drittschutzes im UVP-Verfahren Was insbesondere das deutsche UVP-Recht angeht, vermittelt dieses i. d. R. aufgrund seiner Einstufung als Verfahrensrecht855 keine selbstständig durchsetzbaren Rechtspositionen.856 Die Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG vertritt die Auffassung, dass die UVP-RL keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält, dass der nationale Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, privaten Dritten eine weiter gehende Klagemöglichkeit zu eröffnen, als sie das nationale Recht allgemein bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften eröffnet.857 Die Verfahrensanforde851 Vgl. M. Sachs, § 45 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfGKomm., 2008, Rn. 10 ff., m.w. N.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff. 852 R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 330. 853 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 07.01.2004 – 22 B 1288/03, NVwZ-RR 2004, S. 408; H. Lecheler, NVwZ 2005, S. 1156 ff. 854 J. Greim, NuR 2014, S. 84, m.w. N. 855 Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; zum Streit um die Einordnung der UVP als reines Verfahrensrecht oder Rechtsinstitut mit materiell-rechtlichem Gehalt s. J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 91 ff., m.w. N. 856 Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; BVerwG, Urt. v. 10.04.1997 – 4 C 5/96, NVwZ 1998, S. 508; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NJW 1997, S. 144 ff.; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff.; D. Czajka, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 510 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 259 ff., m.w. N.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 864 ff.; J. Ziekow, NuR 2014, S. 230 ff. 857 BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; R. Klinger, ZUR 2014, S. 536 ff., m.w. N.
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 185
rungen der UVP-RL werden damit entsprechenden nationalen Verfahrensanforderungen gleichgestellt.858 Unter dem Einfluss dieser Rechtsprechung ist somit davon auszugehen, dass allein aus dem Umstand, dass eine förmliche UVP unterblieben ist, grundsätzlich keine Rechtsverletzung Drittbetroffener abzuleiten ist.859 In dieser Hinsicht führte somit die Kausalitätsrechtsprechung – insbesondere vor der Einführung des UmwRG860 – auch bei einer absoluten Unterlassung einer gesetzlich erforderlichen UVP nur dann zu einer Aufhebung der Zulassungsentscheidung, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit bestünde, dass die angegriffene Entscheidung ohne den angenommenen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre.861 Selbst in Fällen, in denen entgegen den gesetzlichen Vorgaben eine Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht erfolgte, stattdessen aber eine UVP durchgeführt wurde, fehlte für einen eventuellen Rechtsbehelf – unter diesen Bedingungen – die erforderliche Rechtsgrundlage.862 Die Restriktivität des Konzepts liegt vor allem daran, dass das UVPG vornehmlich dem Umweltschutz als einem Anliegen der Allgemeinheit dient.863 Denn das UVP-Verfahren ist sowohl nach der UVP-RL als auch nach dem UVPG als rein verfahrensrechtliches Instrument der Umweltvorsorge ohne materiellrechtliche Wirkungen konzipiert.864 Vor allem angesichts der Tatsache, dass die UVP-Verfahren selbst keine unmittelbar materiellrechtliche Bedeutung haben, sondern einen möglichst großen Erkenntnisgewinn über die potentiellen Auswirkungen des Vorhabens vermitteln sollen,865 so dass diese Ergebnisse opti858
R. Klinger, ZUR 2014, S. 536, m.w. N. Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.04.1997 – 4 C 5/96, NVwZ 1998, S. 508; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95 (Koblenz), NJW 1997, S. 144 ff.; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff.; D. Czajka, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 510 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 259 ff., m.w. N. 860 Zur Problematik der Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern im Rahmen des UmwRG s. u. 1. Teil, 3. Kap., E. ff. 861 Vgl. BT-Drs. 16/2495, 04.09.2006, S. 14; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788; BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff. 862 BT-Drs. 16/2495, S. 14. 863 Vgl. M. Beckmann, DVBl 1991, S. 358 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 258 ff., m.w. N.; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 80 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 140 ff. 864 Vgl. st. Rspr. BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 15, M. Beckmann, DVBl 1991, S. 358 ff.; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 80 ff.; dies., ZUR 2009, S. 80 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 140 ff.; M. Beckmann, DVBl 1991, S. 358 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 258 ff., m.w. N.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 140 ff.; jeweils m.w. N. In dieser Hinsicht gibt es grundsätzlich auch kein subjektives Recht des von einem UVP-pflichtigen Vorhaben in seinen Rechten (Gesundheit, Eigentum u. a.) Betroffenen auf Durchführung der UVP; vgl. D. Murswiek, DV 2005, S. 259 ff. 865 Das UVP-Verfahren bezweckt hauptsächlich die umfassende Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Umweltauswirkungen von Projekten und ermöglicht somit die frühzeitige Berücksichtigung dieser Auswirkungen. Vgl. BVerwG, Urt. v. 859
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
mal in den Entscheidungsprozess und die Prüfung der einzuhaltenden materiellen Zulassungsanforderungen einfließen können,866 stuft die Rechtsprechung die meisten Regelungen im Zusammenhang mit der UVP nicht als „absolute Verfahrensnormen“ ein, die um ihrer selbst willen gelten, sondern als „relative Verfahrensnormen“ ohne drittschützenden Charakter.867 Im Allgemeinen sind daher „relative UVP-Fehler“ im deutschen Recht bislang bereits mangels Drittschutzes nicht selbstständig einklagbar.868 Selbst wenn der Drittbetroffene eine Verletzung des Abwägungsgebots mit der Begründung geltend mache, dass die Auswirkungen des jeweiligen Vorhabens auf die Umwelt offensichtlich nicht den Anforderungen der §§ 5–12 UVPG entsprächen und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt worden seien, führe eine solche Geltendmachung nur dann zur Aufhebung der Verwaltungsentscheidung, wenn nicht ausgeschlossen werden könnte, dass der Verfahrensfehler zu einem Abwägungsmangel geführt hätte, der die Verwaltungsentscheidung wesentlich beeinfließe.869 Bloße Verfahrensbestimmungen des UVPG, etwa § 5 (Scoping-Verfahren), § 6 (Vorlagepflicht des Vorhabenträgers), § 7 (Beteiligung anderer Behörden), § 8 UVPG (grenzüberschreitende Behörden25.01.1996 – 4 C 5/95, NJW 1997, S. 144 ff.; M. Beckmann, DVBl 1991, S. 358 ff.; A. Schink, NuR 1998, S. 173 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 258 ff., m.w. N. 866 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, NVwZ 2008, S. 563 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NJW 1997, S. 144 ff.; M. Beckmann, DVBl 1991, S. 358 ff.; A. Schink, NuR 1998, S. 173 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 258 ff., m.w. N. Vgl. OVG Münster, Urt. v. 03.01.2006 – 20 D 118/03.AK; 20 D 35/04.AK; 20 D 118/ 04.AK; 20 D 120/04.AK; 20 D 159/04.AK, ZUR 2006, S. 375 ff.; OVG Münster, Urt. v. 01.07.2002 – 10 B 788/02, NVwZ 2003, S. 361 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 11.02.2004 – 8 LA 206/03, NVwZ-RR 2004, S. 407 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 214; M. Beckmann, DVBl 1991, S. 359; krit. dazu A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; S. Schlacke, ZUR 2006, S. 360 ff. 867 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 03.01.2006 – 20 D 118/03.AK; 20 D 35/04.AK; 20 D 118/04.AK; 20 D 120/04.AK; 20 D 159/04.AK, ZUR 2006, S. 375 ff.; OVG Münster, Urt. v. 01.07.2002 – 10 B 788/02, NVwZ 2003, S. 361 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 11.02.2004 – 8 LA 206/03, NVwZ-RR 2004, S. 307 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 214; M. Beckmann, DVBl 1991, S. 359. Krit. dazu A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; S. Schlacke, ZUR 2006, S. 360 ff. 868 BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, NVwZ 2008, S. 563 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 29.10.2008, 1 A 11330/07, DVBl 2009, S. 390 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 59 ff.; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; M. Appel, NVwZ 2010, S. 474 ff. 869 Selbst ein Abwägungsmangel wird durch das vollständige Fehlen der UVP nicht indiziert, es sei denn, es sind weitere Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass als Folge der Unterlassung abwägungserhebliche Umweltbelange außer Acht gelassen oder fehlgewichtet worden sind, so dass die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den jeweils fraglichen Verfahrensfehler die Entscheidung anders ausgefallen wäre. In diese Richtung vgl. BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02, Rn. 3.3 ff., NVwZ 2003, S. 487 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 59 ff.; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; R. Klinger, ZUR 2014, S. 536, m.w. N.
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beteiligung), § 11 UVPG (zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen), sind somit nicht drittschützend.870 Ausnahmsweise gilt die Öffentlichkeitsbeteiligungsnorm des § 9 UVPG als drittschützend. Denn der Zweck dieser Norm richtet sich vor allem darauf, potentiell Betroffene zu informieren sowie dazu anzustoßen, ihre Betroffenheit im Einwendungsverfahren zu artikulieren.871 In diesem Zusammenhang kann i. d. R. eine Verletzung dieser Norm immer dann geltend gemacht werden, wenn die Verletzung eines materiellen Individualrechts durch die Projektzulassung als möglich erscheint. Auch in diesem Fall hängt nämlich die Klagebefugnis davon ab, dass der Kläger eine Auswirkung des Verfahrensverstoßes auf eine materielle Rechtsposition substantiiert behaupten kann.872 Dabei muss sich die Klagebefugnis aus drittschützenden Normen des jeweils anwendbaren Fachrechts ergeben.873 Es muss aber gleichwohl berücksichtigt werden, dass der Erfolg einer Drittklage aufgrund einer Verletzung von § 9 UVPG oft daran scheitert, dass sich der Verfahrensfehler gem. § 46 VwVfG offensichtlich nicht auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat.874 Generell betrachtet dürfte es den Klägern durchaus schwer fallen darzulegen, in welcher Hinsicht die jeweils umstrittene Planungsentscheidung anders ausgefallen wäre.875 Wurde z. B. ein erforderliches Anhörungsverfahren unterlassen, muss der Kläger darlegen, dass er bei der Anhörung Einwände gegen das Vorhaben erhoben hätte, die sich auf die Genehmigungsentscheidung ausschlaggebend
870 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 214; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 865 ff. 871 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – C 13/85, NVwZ 1987, S. 578 ff. 872 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2013, Rn. 214. 873 Vgl. D. Murswiek, DV 2005, S. 259, m.w. N.; E. Hien, NVwZ 1997, S. 425 ff.; S. Schlacke, ZUR 2006, S. 360 ff. Es handelt sich somit nur um ein relatives Verfahrensrecht. 874 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.05.1981 – 4 C 97/77, NJW 1981, S. 2769; BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58/81, NVwZ 1984, S. 718; BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – C 13/85, NVwZ 1987, S. 578; BVerwG, Urt. v. 27.09.1990 – 4 C 44/87, NVwZ 1991, S. 364 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NJW 1997, S. 144 ff.; BVerwG, Urt. v. 08.06.19955 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; D. Czajka, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 510 ff.; E. Hien, NVwZ 1997, S. 425 ff.; W. Erbguth, NuR 1997, S. 261 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 259 ff., m.w. N.; I. Schwertner, EurUP 2007, S. 127 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 865; F. Kopp/ U. Ramsauer, § 46 VwVfG, in: VwVfG-Komm., 2005, Rn. 5. In diesem Rahmen kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nichtig ist, nicht wegen eines formellen Fehlers, der Vorschriften (nicht nur des VwVfG) über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit beeinträchtigt, beansprucht werden, wenn offensichtlich ist, dass der Verfahrensverstoß die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. 875 A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 866 ff., m.w. N.; A. Schink, NuR 1998, S. 179; B. Gebers/R. Jülich/P. Küppers/G. Roller, Bürgerrechte im Umweltschutz, 1996, S. 161.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
ausgewirkt hätten.876 Gleiches gilt auch, wenn z. B. eine erforderliche UVP mangelhaft durchgeführt worden wäre. Damit sind Fehler im UVP-Verfahren für den Ausgang des Klageverfahrens gegen ein UVP-pflichtiges Vorhaben häufig ohne Bedeutung.877 Aus alledem soll hier zusammengefasst betont werden, dass im Ergebnis die herrschende Verfahrensfehlerlehre des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts zu einer weiteren Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Drittbetroffenen auch im Bereich der UVP-Verfahren führt. Es ist daher kein Zufall, dass in Abweichung von § 46 VwVfG und der oben dargestellten Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG der deutsche Gesetzgeber versucht hat, die Rechtsschutzproblematik des Umweltverfahrensrechts zumindest teilweise zu bekämpfen. Zu diesem Zweck werden insbesondere mit der Einführung des § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 21.01.2013), aber auch durch die Novelle des § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 20.11.2015), ausdrücklich bestimmte Verfahrensfehler per definitionem als beachtlich eingestuft.878
III. Weitere Rechtsschutzhindernisse im Rahmen des „beschleunigten“ Verwaltungsverfahrens Im Rahmen des „beschleunigten“ Verwaltungsverfahrensrechts ergibt sich eine strukturierte Problematik für das umweltbezogene Verwaltungsverfahren, die auch zur Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten sowie des Umweltrechtsschutzes führt. Relevant dazu sind vor allem die sog. „Beschleunigungsgesetze“, d. h. das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, das am 09.11.2006 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde,879 das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren und Infrastrukturvorhaben vom 09.12.2006 (InfraStrPlanVBeschlG)880 sowie das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz (GenBeschlG) vom 12.09.1996.881 Kurzgefasst dienen diese Gesetze prinzipiell dem Zweck, die Bebauungsplanverfahren der Innenentwicklung sowie die Genehmigungsverfahren beschleunigt durchführen zu können. Es ist klar, dass im Bereich der Bebauungsplanung bzw. der Innenentwicklung und der Genehmigungsverfahren hoher Anpassungs- und 876
BT-Drs. 16/2495, S. 14. A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 866 ff., m.w. N.; A. Schink, NuR 1998, S. 179; B. Gebers/R. Jülich/P. Küppers/G. Roller, Bürgerrechte im Umweltschutz, 1996, S. 161. 878 Vgl. BT-Drs. 552/06, S. 24 ff., S. 26; BT-Drs. 16/2495, S. 13 ff.; Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015; mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., E. ff. und E., V. ff. 879 BGBl I, 2007, S. 3316 (vom 09.11.2006); dieses Gesetz wurde am 21.12.2006 ausgefertigt und am 01.01.2007 ist es in Kraft getreten. 880 BGBl. I, 2007, S. 2833 (vom 09.12.2006), in Kraft getreten am 17.12.2006. 881 BGBl. I, 1996, S. 1354 (vom 12.09.1996). 877
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 189
Investitionsbedarf besteht, der einerseits auf Arbeitsplätze, Wohnbedarf und Infrastruktur bezogen ist. Andererseits aber beeinträchtigen solche Projekte i. d. R. die Umwelt.882 Um die Rahmenbedingungen des Bau- und Planungsrechts investitionsfreundlicher zu gestalten, hat der Gesetzgeber zu diesem Zweck bestimmte Veränderungen der VwGO beschlossen, die das Normenkontrollverfahren betreffen und sich teilweise als Rechtsschutzhindernisse auch im umweltbezogenen Verwaltungsverfahren auswirken.883 Vor diesem Hintergrund sollte beachtet werden, dass die sog. „Beschleunigungsgesetze“ unter anderem auf „weniger Staat“ durch weniger Partizipation und eben auch durch weniger Drittklagerechte auf eher kurzfristige ökonomische Nützlichkeiten abzielen.884 Dies geschieht allerdings ungeachtet dessen, ob die Genehmigungsverfahrenslänge wirklich ein Wirtschaftsfaktor ist, und ob nicht andere Bürokratien viel unnötiger sind.885 Hierbei ist fraglich, ob diesbezüglich unternommene verwaltungsprozessuale Reformen, die unter anderem zu einem möglichst schnellen Rechtsschutz für Genehmigungen insbesondere im umweltrechtlichen Bereich abzielen, gleichzeitig dem Umweltschutz angemessen dienen. Denn es scheint mittlerweile in der Praxis zu einer weiteren Einschränkung insbesondere des überindividuellen Umweltrechtsschutzes geführt zu haben.886 Solche Reformen stehen allerdings in Einklang mit dem restriktiven Individualrechtsschutzsystem, weil in der Praxis der strikt individuell ausgerichtete Rechtsschutz keine weitgehende verwaltungsprozessuale Schwächung des überindividuellen Rechtsschutzes bewirken kann. 1. Verkürzung der Antragsfrist gem. § 47 Abs. 2 VwGO Durch Art. 3 Nr. 1a des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 09.11.2006 ist die Antragsfrist bei Normenkontrollverfahren des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO von zuvor zwei Jahren auf nunmehr ein Jahr ab Bekanntmachung der Rechtsvorschrift verkürzt worden.887 Angesichts der Funktion des Normenkontrollverfahrens, durch eine einzige Ent882
Vgl. W. Ewer, NJW 2007, S. 3171. F. Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit: rechtliche, ethische und politische Zugänge, 2011, §§ 6 E.III.–IV., 7. In diesem Zusammenhang stellt sich zutreffend die Frage, ob die Genehmigungsverfahrenslänge wirklich ein Wirtschaftsfaktor ist und ob nicht andere bürokratische Hindernisse viel unnötiger sind. s. F. Ekardt, EurUP 2012, S. 64 ff. 884 F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059; F. Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit: Rechtliche, ethische und politische Zugänge, 2011, §§ 6 E.III.–IV., 7; ders., EurUP 2012, S. 64 ff. 885 Ebd. 886 Vgl. C. Meissner, VBlBW 1997, S. 84 ff.; L. Knopp, BB 1997, S. 1002; E. Hien, BVerwG-Jahres-Pressegespräch (29.11.2006); J. Meyer-Ladewig, NJW 1985, S. 1986. 887 F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 47, 2013, Rn. 83 ff., m.w. N. 883
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scheidung eine Reihe von Einzelklagen zu vermeiden und hierdurch zugleich die Verwaltungsgerichte zu entlasten, erscheint es zweifelhaft, ob die dargestellte Verkürzung der Antragsfrist tatsächlich die Erfüllung des Zieles einer zügigeren Herbeiführung von Rechtssicherheit bewirken kann. Dies gilt umso mehr, als die Verkürzung der Antragsfrist – ebenso wenig wie ihre damalige Einführung – etwas daran zu ändern vermag, dass auch nach Fristablauf die Unwirksamkeit einer Norm jederzeit inzident (zum Beispiel im Rahmen der Anfechtung von Normvollzugsakten) geltend gemacht und mit inter-partes-Wirkung festgestellt werden kann.888 2. Verschärfung der Präklusionsvorschrift des § 47 Abs. 2a VwGO Durch Art. 3 Nr. 2b des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte889 wird in § 47 VwGO ein neuer Absatz 2a eingefügt.890 Diese Norm beinhaltet eine prozessrechtliche Präklusion, nach der der Antrag einer natürlichen oder juristischen Person, der einen Bebauungsplan oder eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 3 BauGB oder § 35 Abs. 6 BauGB zum Gegenstand hat, unter folgenden Voraussetzungen unzulässig ist: 1., wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) oder im Rahmen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 und § 13a Abs. 2 Nr. 1 BauGB) nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können; und 2., wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen worden ist.891 Schon vor der Schaffung des § 47 Abs. 2a VwGO galt, dass dann, wenn ein Privater durch einen Bebauungsplan in Belangen betroffen war, denen als solchen nicht die Qualität subjektiver öffentlicher Rechte zukam und die für die Gemeinde nicht ersichtlich waren, er bei Versäumung dieser Belange im Verfahren der Bauleitplanung aus § 1 Abs. 7 BauGB keine subjektive Rechte abzuleiten vermochte. Deswegen konnte es ihm an einer Antragsbefugnis fehlen.892 Es muss zudem beachtet werden, dass außerhalb des § 47 Abs. 2a VwGO die unterlassene Geltendmachung für den Normgeber erkennbarer schutzwürdiger Belange durch deren Träger nicht zum Verlust von Abwehrrechten der durch eine Rechtsnorm verletzten Person führt.893 888 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.10.2006 – 4 BN 29/06, BeckRS 2006, 26126; BVerwG, Beschl. v. 08.04.2003 – 4 B 23/03, BeckRS 2003, 23093; W. Ewer, NJW 2007, S. 3171. Nach der durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes eingeführten Übergangsregelung in § 195 Abs. 7 VwGO gilt allerdings für Rechtsvorschriften i. S. v. § 47 VwGO, die vor dem 01.01.2007 bekannt gemacht worden sind, noch die zweijährige Antragsfrist von § 47 Abs. 2 VwGO a. F. 889 BGBl. I, S. 2833 (09.11.2009), in Kraft getreten am 17.12.2006. 890 F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 47, 2013, Rn. 87, m.w. N. 891 Ebd. 892 Ebd. 893 Ebd.
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 191
Vor diesem Hintergrund können die nicht rechtzeitig vorgebrachten Einwendungen im Rahmen des § 47 Abs. 2a VwGO auch in späteren Gerichtsverfahren nicht mehr vorgetragen werden. Das bedeutet, dass Personen, die von einem Vorhaben im Rahmen der Bebauungsplanung betroffen sind, durch die Fristversäumnis ihre klagefähigen Rechtspositionen einbüßen.894 Es muss aber beachtet werden, dass mit der Formulierung „nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können“ eine rein formelle Präklusion begründet ist, die nur zur Unzulässigkeit eines Normenkontrollantrags, nicht hingegen zu einem materiellrechtlichen Einwendungsausschluss bei der Inzidenzkontrolle führt.895 Angenommen, dass die Auslegung eines Vorhabens langwierige Vorverhandlungen zwischen dem Betreiber und der Genehmigungsbehörde voraussetzt, sowie die Berücksichtigung zahlreicher, komplexer Faktoren erfordert, so ist es in der Praxis für Drittbetroffene sehr schwierig, ihre Einwendungen gegen geplante umweltnutzende Vorhaben rechtzeitig vorzubringen, weil sie nicht so detaillierte Kenntnis wie der Betreiber hinsichtlich des Vorhabens haben (Informationsasymmetrie). Daher erscheinen die knappen gesetzlichen Präklusionsfristen als fragwürdige Rechtsschutzverkürzungen.896 3. Regelfallzuständigkeit und Verkürzung des Instanzenzuges Weitere Tatsachen, die zur Reduzierung des Umweltrechtsschutzes beigetragen haben, sind die Einführung der Regelfallzuständigkeit des Einzelrichters in verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie die Verkürzung des Instanzenzuges. Die gem. § 6 Abs. 1 VwGO bestehende Regelfallzuständigkeit des Einzelrichters begründet in häufig komplex gelagerten umweltrechtlichen Streitigkeiten die Ge-
894 Vgl. F. Kopp/U. Ramsauer, VwVfG-Komm., 2005, § 73 VwVfG, Rn. 80. Allerdings ist eine solche Präklusion, die auch das materielle Recht betrifft, nicht ohnehin verfassungsmäßig, sondern nur, wenn die Betroffenen hinreichend Gelegenheit zu Einwendungen hatten und eine Versäumung der Einwendungsfrist in ihren Verantwortungsbereich fällt. Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff.; BVerfG, Urt. v. 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, S. 109 ff. 895 Dass der oben dargestellte Wille des Gesetzgebers hierauf gerichtet war, folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Regelung, wonach die nicht rechtzeitige Erhebung von Einwendungen „die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags entfallen“ lässt. Vielmehr spricht hierfür – als systematisches Argument – zusätzlich auch ein Vergleich mit anderen Vorschriften, denen materielle Präklusionswirkung zukommt, wie beispielsweise § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG oder § 10 Abs. 3 S. 3 BImSchG, in denen es ausdrücklich heißt, dass mit Ablauf der Einwendungsfrist „alle Einwendungen ausgeschlossen“ sind, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen: so W. Ewer, NJW 2007, S. 3172, m.w. N. 896 H.-J. Koch/R. Rubel/S. Hesselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2003, S. 163, Rn. 41. Mehr zur Problematik der Präklusion der Einwendungen des Klägers im Rahmen des UmwRG, s. u. in 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 4. ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
fahr, dass diese nicht ebenso gründlich bearbeitet werden wie in der Kammerbesetzung.897 Dabei beschränkt die Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzuges gerade auch in den für den Umweltschutz kritischen relevanten Materien, d. h. Rechtsstreitigkeiten über die Genehmigung von Großvorhaben etwa im Bereich der Energieversorgung, des Verkehrs, der Abfallbeseitigung (gem. § 48 Abs. 1 S. 1 VwGO), durch „Hochstufung“ der erstinstanzlichen Zuständigkeit auf das Oberverwaltungsgericht.898 Darüber hinaus wurde durch das Gesetz zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte gem. § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das BVerwG in erster und letzter Instanz zuständig für Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Eisenbahnbetriebsanlagen, Bundesfern- und Bundeswasserstraßen sowie für Magnetschwebebahnen.899 So ist aber die Möglichkeit der Überprüfung von verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Entscheidungen durch mehrere gerichtliche Instanzen verkürzt worden. Da aber die oben genannten umweltrechtlichen Rechtsstreitigkeiten durch eine erhebliche wirtschaftliche, politische, ökologische und rechtliche Komplexität gekennzeichnet sind, scheint eine zweite Tatsacheninstanz sinnvoll zu sein, damit mögliche Versäumnisse bei den Verfahrensverhandlungen nachgeholt werden können.900 Es muss allerdings beachtet werden, dass das BVerwG derzeit nicht feststellen könnte, dass mit der Zuweisung erstinstanzlicher Verfahren an das BVerwG die gesetzesmäßigen Schranken in quantitativer oder qualitativer Hinsicht überschritten wären.901 Zwar bestehen bisher keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken zu dieser Problematik, jedoch will die vorsichtige Sprache des BVerwG zu dieser Konstellation eine „rote Linie“ zeigen.902 4. Erschwerung der Zulassungsberufung Daneben wird der Rechtsschutz durch die Einführung der sog. Zulassungsberufung gem. § 124 Abs. 1 VwGO erschwert.903 Nach § 124 Abs. 1 VwGO ist eine 897 Vgl. P. Stelkens, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar. Loseblatt-Ausgabe, April 2006, § 6, Rn. 5; W. Ewer, ZG 1998, S. 51; C. Meissner, VwBlBW 1997, S. 85. 898 F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 48, 2013, Rn. 2 ff., m.w. N. 899 F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 50, 2013, Rn. 8b ff., m.w. N. 900 Vgl. F. Kopp, NJW 1991, S. 523; B. Clausing, NVwZ 1992, S. 718; P. Stelkens/ B. Clausing, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner (Hrsg.), VwGO-Komm., 2006, § 2, Rn. 17; E. Hien, BVerwG-Jahres-Pressegespräch (29.11.2006). 901 BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, Fn. 21, Fn. 29 ff., NVwZ 2009, S. 302 ff. 902 J. Berkemann, EurUP 2014, S. 152. 903 § 124 VwGO wurde durch das Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung der VwGO eingeführt, NVwZ 1997, S. 90 ff.; R.-W. Schenke, NVwZ 1997, S. 90 ff.
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Berufung zulässig, wenn diese entweder vom Verwaltungsgericht selbst oder vom Oberverwaltungsgericht ausdrücklich zugelassen wird.904 Die Voraussetzungen der Zulassung einer Berufung sind im abschließenden Katalog des § 124 Abs. 2 VwGO statuiert. Diese Regelung hat allerdings zur Folge, dass das Verwaltungsgericht des erstinstanzlichen Verfahrens den Sachverhalt bereits in der Eingangsinstanz besonders tiefgreifend überprüfen muss, was in der Praxis vor allem wegen des Zeitdrucks und der knappen Ressourcen nicht immer möglich ist.905 Außerdem erweckt diese Regelung Bedenken, weil die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, eine Berufung nicht zuzulassen, unanfechtbar ist und somit das Verfahren endgültig abschließt.906 Gerade deswegen könnte aber diese Möglichkeit etwa bei umweltbezogenen Sachverhalten, die häufig komplex sind und ein großes wirtschaftspolitisches Gewicht haben, den Grundsatz der Rechtsschutzgarantie in Frage stellen.907 5. Einschränkung des Widerspruchsverfahrens Auch im Zuge der Reform der Verwaltungen der Bundesländer wurden verschiedene Initiativen zur Einschränkung der Widerspruchsverfahren ergriffen. Diese Initiativen haben aber den Umweltrechtsschutz stark reduziert. Der Verzicht z. B. auf die Durchführung verwaltungsinterner Widerspruchsverfahren, die der Selbstkontrolle der Verwaltung sowie dem Rechtsschutz der Bürger dienen, führt dazu, dass eine Überprüfung unter anderem von umweltbelastenden Verwaltungsentscheidungen auf einer höheren Verwaltungsebene nicht mehr möglich ist. In diesem Rahmen findet z. B. in Bayern gem. Art. 15 Nr. 2 BayAGVwGO kein Vorverfahren bei Entscheidungen nach dem BImSchG und den dazu ergangenen Rechtsverordnungen statt. Parallel findet gem. § 16a Abs. 1 i.V. m. Nr. 13.3 der Anlage der HessAGVwGO) kein Widerspruchsverfahren gegen wasserrechtliche Erlaubnisse zur Benutzung von Gewässern statt, die dem öffentlichen Interesse dienen.908 6. Enge Rüge- bzw. Einwendungsfristen gegen umweltbelastende Vorhaben im Verwaltungsverfahren Im Anschluss daran ist zu berücksichtigen, dass drittbetroffene juristische oder natürliche Personen i. d. R. dazu verpflichtet sind, ihre Einwendungen gegen um904 J. Meyer-Ladewig/R. Rudisile, Vorb. § 124 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner (Hrsg.),VwGO-Komm., 22. EL 2011, Rn. 66. 905 W. Ewer, ZG 1998, S. 49. 906 L. Knopp, BB 1997, S. 1001; U. Seibert, § 124 VwGO, Rn. 21, in: H. Sodan/ J. Ziekow (Hrsg.), VwGO-Großkomm., 2006. 907 Vgl. SRU, Sondergutachten, Februar 2007, S. 173. 908 H.-J. Koch/R. Rubel/F. S. Hesselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2003, § 8, Rn. 7.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
weltbelastende Vorhaben im Verwaltungsverfahren innerhalb bestimmter kurzer Fristen vorzutragen. Wer als Bürger oder als juristische Person (Umweltvereinigung) inhaltliche Belange im Planfeststellungs-Verwaltungsverfahren nicht in engen Fristen als verletzt rügt, dessen Belang wird schlicht materiell präkludiert (s. z. B. § 17a Nr. 7 FStrG). Charakteristisch ist z. B., dass § 73 Abs. 4 S. 2 VwVfG, der durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz (GenBeschlG) von 1996909 eingeführt wurde, den Drittbetroffenen eine knappe zweiwöchige Frist zur Einsicht eines Planfeststellungsbeschlusses bestimmt ist.910 Aber auch im förmlichen Genehmigungsverfahren existiert gem. § 10 Abs. 3 S. 2 und S. 3 BImSchG ebenfalls eine knappe Frist von zwei Wochen nach dem Ablauf der Auslegungsfrist des Genehmigungsantrags, innerhalb derer Drittbetroffene ihre Einwendungen gegen das beantragte Vorhaben erheben können.911 Darüber hinaus erhalten Umweltvereinigungen, obwohl sie einen besonderen tatsachenbezogenen Sachverstand im Bereich des Umweltschutzes und eine Rolle beim Aufbau einer ausgewogenen partizipativen Öffentlichkeit einbringen,912 keine Benachrichtigungen über Verfahren, keine längeren Einwendungsfristen und kein Recht zur Aktenmitnahme nach Hause mehr.913 Dazu kommt, dass sich i. d. R. Private oder Umweltvereinigungen wegen geringer finanziellen Ressourcen Anwälte bzw. Fachgutachter schon im Verwaltungsverfahren nur selten leisten können.914 Demzufolge könnte der Schluss gezogen werden, dass, wer materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Belange im Planfeststellungs-Verwaltungsverfahren nicht in engen Fristen als verletzt rügt, i. d. R. von einem Gerichtsverfahren ausgeschlossen ist.915
909 Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354). 910 Diese Norm ist grundsätzlich anwendbar in verschiedenen Bundesfachplanungsgesetzen, z. B. § 20 I AEG, § 17 BWaStrG sowie in entsprechenden Landesgesetzen. Vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, S. 202; E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1997, S. 108 ff. 911 Vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, S. 202; E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1997, S. 108 ff. Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 4. Kap., A., II., 3. 912 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 4. Kap., A., II., 3. 913 Vgl. F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059. 914 Vgl. J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland, 1997–1999, 2001, S. 16 ff.; L. J. Brooke, JEL 2006, S. 341 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 411; M. Dross, in: N. de Sadeleer/G. Roller/dies., Access to Justice in Environmental Matters, 2003, S. 8, S. 31 ff.; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 373 ff.; F. Ekardt, EurUP 2012, S. 65; ausführlich zu dieser Problematik s. u. in 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2., a). 915 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff., m.w. N.
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 195
7. Eingeschränkte aufschiebende Wirkung von Klagen gegen umweltbelastende Vorhaben Der vorläufige Rechtsschutz spielt wegen der Verfahrensdauer im Umweltrecht eine besondere Rolle. In der Regel wird ein Hauptsacheverfahren mit einem vorgeschalteten bzw. parallel betriebenen Eilverfahren durchgeführt. Eilverfahren sind die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO und die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO.916 Von Bedeutung ist, dass das am 01.01.1997 in Kraft getretene sechste Gesetz zur Änderung der VwGO917 prägende Grundsätze des vorläufigen Rechtsschutzes beseitigt hat und somit den Rechtsschutz Dritter auch auf umweltrechtlicher Ebene weiter reduziert hat.918 Um konkreter zu sein, ermöglicht es beispielsweise § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO neben dem Bund auch den Ländern für dem Landesrecht unterfallende Regelungsgegenstände, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage abweichend von § 80 Abs. 1 VwGO entfallen zu lassen. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen (etwa Baugenehmigungen nach § 212a BauGB).919 Auch Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluss haben nach den Fachgesetzen oft keine aufschiebende Wirkung.920 Darüber hinaus ist bei Fernstraßenprojekten der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entgegen sonstiger Regeln binnen Monatsfrist nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung für den Bau oder die Änderung von Bundesfernstraßen zu stellen und abschließend zu begründen (vgl. § 17e Abs. 2 S. 2 FStrG). Auch der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage (nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO i.V. m. mit § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung für den Bau oder die Änderung einer Bundesfernstraße, für die ein unvorhergesehener Verkehrsbedarf im Sinne des § 6 FStrG des Fernstraßenausbaugesetzes besteht oder die der Aufnahme in den Bedarfsplan nicht bedarf, kann nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung gestellt und begründet werden (vgl. § 17e Abs. 3 916
W. Erbguth/S. Schlacke, Umweltrecht, 2012, S. 147 ff., Rn. 20 ff., m.w. N. BGBl. I, S. 1626 (01.11.1996). 918 Über den vorläufigen Rechtsschutz insbesondere im Bereich des Baurechts und des Umweltrechts s. u. a. K. Finkelnburg/K. Dombert/C. Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 2008, S. 422 ff., S. 435 ff., m.w. N. 919 W. Erbguth/S. Schlacke, Umweltrecht, 2012, S. 147, Rn. 21, m.w. N. 920 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff., m.w. N. 917
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
FStrG). Dabei hat der Kläger (wiederum entgegen sonstigen Regeln) innerhalb einer Frist von sechs Wochen die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben (vgl. § 17e Abs. 5 S. 1 FStrG).921 Insofern ist durchaus der einstweilige Rechtsschutz in diesem wichtigen umweltbezogenen Bereich durch relativ enge Fristen erschwert.922 Es scheint allerdings, dass die zahlreichen Ausnahmen vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsklage und Widerspruch das Prinzip, dass der Suspensiveffekt die Regel sein soll, zu verletzen vermögen.923 Eine derartige Beseitigung des Suspensiveffektes ermöglicht zudem den Beginn der Ausführung genehmigter Vorhaben vor Abschluss des gerichtlichen Verfahrens. Dadurch wird die Gefahr erhöht, dass die Wirksamkeit von Rechtsbehelfen im Hinblick auf 921 F. Ekardt, EurUP 2012, S. 65 ff., m.w. N. § 17e Abs. 2 bis 6 FStrG lautet: „(2) Die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung für den Bau oder die Änderung von Bundesfernstraßen, für die nach dem Fernstraßenausbaugesetz vordringlicher Bedarf festgestellt ist, hat keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung kann nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung gestellt und begründet werden. Darauf ist in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend. (3) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung für den Bau oder die Änderung einer Bundesfernstraße, für die ein unvorhergesehener Verkehrsbedarf im Sinne des § 6 des Fernstraßenausbaugesetzes besteht oder die der Aufnahme in den Bedarfsplan nicht bedarf, kann nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung gestellt und begründet werden. Darauf ist in der Anordnung der sofortigen Vollziehung hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend. (4) Treten in den Fällen des Absatzes 2 oder 3 später Tatsachen ein, die die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen, so kann der durch den Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung Beschwerte einen hierauf gestützten Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung innerhalb einer Frist von einem Monat stellen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerte von den Tatsachen Kenntnis erlangt. (5) Der Kläger hat innerhalb einer Frist von sechs Wochen die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. § 87b Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend. (6) Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können; die §§ 45 und 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bleiben unberührt.“ 922 s. auch 1. Teil, 3. Kap., F., II. 923 Kritisch dazu A. Puttler, § 80, Rn. 71, in: H. Sodan/J. Ziekow (Hrsg.), VwGOGroßkomm., 2006, m.w. N.; W. Ewer, ZG 1998, S. 58; mehr dazu in: 1. Teil, 3. Kap., F., IV. ff.
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 197
zwischenzeitlich eintretende vollendete Tatsachen abgeschwächt wird. Dies ist auf einen Fehler bei der Einlegung des Rechtsmittels zur sofortigen Vollziehbarkeit des belastenden Verwaltungsaktes zurückzuführen.924 Charakteristisch dafür ist § 212a Abs. 1 BauGB, der die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen Baugenehmigungen ausschließt, soweit die Baugenehmigung erteilt ist und ein Dritter die „bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens“ mit Widerspruch oder Anfechtungsklage anficht.925 Damit bildet diese Vorschrift eine Ausnahme zu § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO.926 Der Bundesgesetzgeber hat dadurch von der in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ausdrücklich angesprochenen Möglichkeit, insbesondere bei der Drittanfechtung von Verwaltungsakten, die die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen (aber auch in sonstigen Fällen), Gebrauch gemacht, um die aufschiebende Wirkung entfallen zu lassen.927 Aufgrund § 212a BauGB kann allein der erhobene Nachbarwiderspruch den unmittelbar bevorstehenden Beginn der Bauarbeiten nicht verhindern. Dafür ist vielmehr zusätzlich erforderlich, dass die Baugenehmigungs- bzw. Widerspruchsbehörde auf Antrag des Nachbars gem. § 80a Abs. 3 i.V. m. § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung der dem Eigentümer erteilten Baugenehmigung aussetzt oder das zuständige Gericht gem. § 80a Abs. 3 i.V. m. § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnet.928 § 212a BauGB gibt offensichtlich wirtschaftlichen Investitionen vor nachbarlichem Drittschutz deutlichen Vorrang und verstärkt wesentlich die Rechtsposition des Bauherrn, der früher dem genehmigungssuspendierenden Zugriff nachbarlicher Rechtsbehelfe ausgesetzt war.929 Als problematisch erweist sich zudem auch die umweltbezogene aufschiebende Wirkung im speziellen Bereich des Umweltverbandsklagerechts gem. § 4a Abs. 3 UmwRG.930 924 Vgl. L. Knopp, BB 1997, S. 1002. Unter anderem trägt er vor, dass die Erweiterung der Möglichkeit der Beseitigung des Suspensiveffekts zu einer Belastung der Gerichte führt, denn Widerspruchsführer bzw. Kläger sind gezwungen – weil in vielen Bereichen der Suspensiveffekt nicht mehr automatisch mit Einlegung eines Rechtsbehelfs eintritt –, gleichzeitig mit dem Rechtsbehelf gesonderte Anträge auf Anordnung der aufschiebende Wirkung zu stellen, die auch gesondert beschieden werden müssen. 925 K. Finkelnburg/K. Dombert/C. Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 2008, S. 426 ff., m.w. N. 926 K. Finkelnburg/K. Dombert/C. Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 2008, S. 426 ff.; S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 242 ff.; jeweils m.w. N. 927 K. Finkelnburg/K. Dombert/C. Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 2008, S. 427. 928 S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 242 ff., m.w. N. 929 K. Finkelnburg/K. Dombert/C. Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 2008, S. 426 ff. 930 Mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., F., IV.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
IV. Fazit Laut deutschem Rechtsverständnis schützen die Verfahrensvorschriften das Verfahren nicht um seiner selbst willen, sondern im Hinblick auf das hinter dem Verfahrensrecht stehende Ziel, der Behörde im öffentlichen Interesse den Weg zu einer ordnungsgemäßen Sachentscheidung zu ermöglichen. Dem deutschen Verwaltungsverfahrensrecht kommt somit eine dienende Funktion zu. Vor diesem Hintergrund wurde die sog. Kausalitätsrechtsprechung entwickelt, die für die Begründetheit einer Klage einen Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Sachentscheidung fordert. Daraus folgt, dass Verfahrensrechte im deutschen Individualrechtsschutzsystem i. d. R. keine subjektiven Rechte begründen. Gesetzlicher Ausdruck dieser Konzeption ist vor allem § 46 VwVfG. Danach ist ein Verfahrensfehler unbeachtlich, wenn er auf die Sachentscheidung offensichtlich keinen Einfluss hat. Er ist somit nicht einklagbar. Solche Verfahrensfehler werden als „relative Verfahrensfehler“ bezeichnet. Nicht jedes Verfahrensrecht bzw. jeder Verfahrensfehler begründet somit automatisch eine Klagebefugnis. Drittbetroffene können daher i. d. R. die Aufhebung etwa einer umweltbezogenen Verwaltungsentscheidung nicht bereits auf Grund des Verfahrensverstoßes verlangen, sondern nur die Verletzung drittschützender materieller Vorschriften geltend machen. Diese Konzeption führt somit nicht selten dazu, dass die Nichteinhaltung von Verfahrensbestimmungen für sich genommen nicht zur Aufhebung selbst einer offensichtlich fehlerhaften Verwaltungsentscheidung (etwa eines Planfeststellungsbeschlusses) führt. Außerdem dürfte es den Klägern durchaus schwer fallen darzulegen, in welcher Hinsicht die jeweils umstrittene umweltbezogene Entscheidung anders ausgefallen wäre. Demgegenüber sind „absolute Verfahrensrechte“ subjektive öffentliche Rechte, die eine selbständige Klagebefugnis unabhängig von einer Verletzung von materiellen Rechtspositionen einräumen und einen Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein aufgrund des Verfahrensverstoßes gewähren. Solche Verfahrensfehler sind aber in der Praxis selten. Vor dem Hintergrund der Kausalitätsrechtsprechung sind auch Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nur dann beachtlich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Insofern müssen die Tatsachengrundlage eines Verwaltungshandelns oder die normative Gewichtung der Belange erhebliche Defekte aufweisen, um eingeklagt werden zu können. Diese Ergebniskausalität muss grundsätzlich nach deutschem Recht der Drittkläger darlegen (ggf. unter Bereitstellung umfangreicher Fachgutachten). Dies ist aber in der Praxis besonders schwierig nicht nur aus prozessualen, sondern auch aus finanziellen Gründen. Ein weiteres Rechtsschutzhindernis im Bereich des Verfahrensrechts entsteht auch aus der Tatsache, dass vor allem gem. § 45 Abs. 2 VwVfG, § 114 S. 2
F. Rechtsschutzproblematik im umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrecht 199
VwVfG sowie gem. § 17e Abs. 4 FStrG Verfahrensfehler noch während des Gerichtsprozesses oder sogar in einigen Fällen durch ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren nach Ende des Prozesses (§ 75 Abs. 1a VwVfG) geheilt werden können. Die Ergebnisoffenheit dieses Nachholungs- bzw. Ergänzungsverfahrens ist fragwürdig. Vor allem der verwaltungsprozessuale Zeitdruck, die häufig wechselnden Umstände des jeweiligen Sachverhaltes in Zusammenhang mit der Komplexität der bestehenden, kollidierenden Wirtschaftsinteressen wirken zulasten eines vollständig offenen und ausreichend fairen Verwaltungsverfahrens. Dadurch ist es möglich, dass Verfahrensvorschriften nicht mehr ernst genommen werden. Solche Heilungsmöglichkeiten und Irrelevanzregelungen für Verfahrensfehler können im Ergebnis zu einer Herabsetzung des Verwaltungsverfahrens und dementsprechend des Rechtsschutzes führen. Diese verfahrensrechtlichen Rechtsschutzhindernisse wirken sich auf den speziellen, anfälligen Bereich des Umweltschutzrechts negativ aus. Denn gerade in diesem Gebiet, in welchem wegen seiner Komplexität und Unbestimmtheit eine materiellrechtliche Kontrolle nur in beschränktem Maße möglich ist, kommt der verfahrensrechtlichen Korrektheit eine gesteigerte Bedeutung zu. Besonders auffallend sind diese Rechtsschutzhindernisse im wichtigen Bereich des UVPRechts. Vor diesem Hintergrund vermittelt das UVP-Recht aufgrund seiner Einstufung als Verfahrensrecht keine selbstständig durchsetzbaren Rechtspositionen. Denn das UVP-Verfahren ist sowohl nach der UVP-RL als auch nach dem UVPG als rein verfahrensrechtliches Instrument der Umweltvorsorge ohne materiellrechtliche Wirkungen konzipiert. Bloße Verfahrensbestimmungen des UVPG (§§ 5, 6, 7, 8, 11) sind somit nicht drittschützend. Daher sind Fehler im UVP-Verfahren für den Ausgang des Klageverfahrens gegen ein UVP-pflichtiges Vorhaben häufig ohne Bedeutung. Dies ist dann der Fall, wenn z. B. eine erforderliche UVP mangelhaft durchgeführt worden wäre. Allerdings gilt die Öffentlichkeitsbeteiligungsnorm des § 9 UVPG ausnahmsweise als drittschützend. Eine Verletzung dieser Norm kann aber grundsätzlich nur dann geltend gemacht werden, wenn die Verletzung eines materiellen Individualrechts durch die Projektzulassung als möglich erscheint. Im Anschluss daran sollte nicht außer Acht bleiben, dass sich aus dem sog. „beschleunigten“ Verwaltungsrecht noch weitere Einschränkungen des Rechtsschutzes im Bereich des Umweltverfahrensrechts ergeben. Denn mit dem Erlass der sog. „Beschleunigungsgesetze“ 931 wurde unter anderem „weniger Staat“ durch weniger Partizipation und eben auch weniger Drittklagerechte auch im Bereich von umweltbezogenen Verwaltungsverfahren bezweckt. 931 Gemeint sind vor allem das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 09.11.2006; das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren und Infrastrukturvorhaben vom 09.12.2006 (InfraStrPlanVBeschlG); das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz (GenBeschlG) vom 12.09.1996.
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Darüber hinaus führen bestimmte verwaltungsverfahrensrechtliche Reformmaßnahmen, wie die Verkürzung der Antragsfrist bei Normenkontrollverfahren gem. § 47 Abs. 2 VwGO von zuvor zwei Jahren auf nunmehr ein Jahr, die Verschärfung der Präklusionsvorschrift des § 47 Abs. 2a VwGO hinsichtlich des Antrags einer natürlichen oder juristischen Person, der einen Bebauungsplan oder eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 3 BauGB oder § 35 Abs. 6 BauGB zum Gegenstand hat, die Einführung der Regelfallzuständigkeit des Einzelrichters in verwaltungsgerichtlichen Verfahren (gem. § 6 Abs. 1 VwGO), die auch umweltbezogene Verfahren teilweise betreffen können, sowie die Verkürzung des Instanzenzuges für Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Eisenbahnbetriebsanlagen, Bundesfern- und Bundeswasserstraßen sowie für Magnetschwebebahnen zu weiteren Rechtsschutzhindernissen. Dadurch sind die Möglichkeiten der Überprüfung auch von umweltbezogenen verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Entscheidungen durch mehrere gerichtliche Instanzen verkürzt worden. Daneben wird der Rechtsschutz durch die Einführung der sog. Zulassungsberufung gem. § 124 Abs. 1 VwGO erschwert. Dadurch ist der Rechtsschutz gegen ein erstinstanzliches verwaltungsgerichtliches Urteil vom Oberverwaltungsgericht abhängig. Da aber die relevante Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, eine Berufung nicht zuzulassen, unanfechtbar ist, könnte diese Norm etwa bei umweltbezogenen Sachverhalten, die häufig komplex sind und ein großes wirtschaftspolitisches Gewicht haben, den Grundsatz der Rechtsschutzgarantie in Frage stellen. Auch die verwaltungsrechtliche Einschränkung der Widerspruchsverfahren im Zuge der Reform der Verwaltungen der Bundesländer beeinflusst den Umweltrechtsschutz negativ. Der Verzicht z. B. auf die Durchführung verwaltungsinterner Widerspruchsverfahren etwa gem. Art. 15 Nr. 2 BayAGVwGO führt dazu, dass eine Überprüfung auch von wichtigen umweltbelastenden Verwaltungsentscheidungen (insb. in Bezug auf immissionsschutzrechtliche Genehmigungen) auf einer höheren Verwaltungsebene nicht mehr möglich ist. Parallel dazu ist auch die gesetzliche Tendenz beachtenswert, enge Rüge- bzw. Einwendungsfristen gegen umweltbelastende Vorhaben im Verwaltungsverfahren zu erlassen. Charakteristisch ist z. B., dass § 73 Abs. 4 S. 2 VwVfG den Drittbetroffenen eine knappe zweiwöchige Frist zur Einsicht eines Planfeststellungsbeschlusses einräumt. Auch im förmlichen Genehmigungsverfahren existiert gem. § 10 Abs. 3 S. 2 und S. 3 BImSchG ebenfalls eine knappe Frist von zwei Wochen nach dem Ablauf der Auslegungsfrist des Genehmigungsantrags, innerhalb derer Drittbetroffene ihre Einwendungen gegen das beantragte Vorhaben erheben können. Ein weiteres Rechtsschutzhindernis in Umweltangelegenheiten stellt zudem die relativ eingeschränkte aufschiebende Wirkung von Klagen gegen umweltbelastende Vorhaben dar. So z. B. ermöglicht es § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO neben dem Bund auch den Ländern für dem Landesrecht unterfallende Regelungs-
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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gegenstände die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage abweichend von § 80 Abs. 1 VwGO entfallen zu lassen. Demzufolge haben Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluss – den Fachgesetzen nach – oft keine aufschiebende Wirkung. Relevant dazu ist auch § 212a Abs. 1 BauGB, der die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen Baugenehmigungen ausschließt, soweit die Baugenehmigung erteilt ist und ein Dritter die „bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens“ mit Widerspruch oder Anfechtungsklage anficht. Solche materiellen und prozeduralen Beschleunigungs- bzw. Vereinfachungsmaßnahmen führen schließlich zu einer weiteren Abschneidung des effektiven Rechtsschutzes gerade im häufig komplexen Bereich des Umweltrechts. Dadurch wird auch das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolldichte im Bereich des Umweltschutzes begrenzt. Es ist daher mehr als fraglich, ob diesbezüglich unternommene verwaltungsprozessuale Reformmaßnahmen, die unter anderem auf einen möglichst schnellen Rechtsschutz für Genehmigungen insbesondere im umweltrechtlichen Bereich abzielen, gleichzeitig dem Umweltschutz angemessen dienen. Aus allen diesen Befunden könnte der Schluss gezogen werden, dass diese sog. Hindernis-Kaskade des deutschen Verfahrensrechts umweltbezogene Klagen oft – insb. beim Rechtsschutz gegen umweltbeeinträchtigende Großprojekte – die reale Erfolgsaussicht reduziert. Es ist daher festzustellen, dass dadurch der Rechtsschutz insbesondere im Bereich des Umweltrechts seine wesentliche Funktion als „eingriffsbereinigende Kraft“ in den letzten Jahren weitgehend eingebüßt hat,932 was zu einer Schwächung des Vollzuges des Umweltrechts und damit auch des Umweltrechtsschutzes führen kann.933 Unter diesen Umständen intensiviert sich das Bedürfnis, den Umweltrechtsschutz durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, zeigen auch einige Versuche des deutschen Gesetzgebers und der Rechtsprechung diese Richtung auf. Die entscheidende Rolle dabei spielte und spielt immer noch die Unterzeichnung der AK sowohl von der EU als auch von den Mitgliedstaaten.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes I. Allgemeines Dass der Drittschutz im deutschen Umweltrecht bisher restriktiv ist, bedeutet nicht, dass die Theorie und die richterliche Praxis nicht versucht haben, den Umfang des Umweltrechtsschutzes zu erweitern.934 Vor allem hat die Rechtspre932 Vgl. W. Erbguth, in: R. Alexy (Hrsg.), Verfassungsrecht und einfaches Recht, 2002, S. 235 ff. 933 SRU, Sondergutachten, Februar 2007, S. 174; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532 ff. 934 Indizierend dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., B., VIII., 8. ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
chung schrittweise den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts beim Drittschutz grundsätzlich ausgedehnt, so dass auch beeinträchtigte Drittbetroffene möglichst weitgehend im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems geschützt werden können.935 Parallel dazu wurde auch die traditionelle Schutznormlehre fortentwickelt.936 Ein bedeutender Schritt zur Erweiterung der Schutznormtheorie im Bereich des Umweltschutzes erfolgte durch die Aufgabe des abgegrenzten und individualisierten Personenkreises.937 Danach kann etwa ein sonst anzuerkennendes Ausgleichsbedürfnis nicht mit dem Argument verneint werden, dass es zwischen einer zu großen Anzahl von Privaten besteht. Es genügt vielmehr, wenn sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Normen ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet. Es handelt sich somit um die rechtliche Anerkennung einer gesonderten Nähebeziehung zwischen speziellen Privaten, die zu unterscheiden ist von der Relation des Bauherrn oder des Betreibers zur Allgemeinheit.938 935 Das BVerwG hat z. B. die Klagebefugnis eines Krabbenfischers bejaht, der seinen Fischfangbetrieb durch die einem Industrieunternehmen erteilte Erlaubnis zum Einleiten von Dünnsäure in seine angestammten nahe gelegenen Fischfangründe ernsthaft gefährdet sah. Gleichzeitig aber spricht das Gericht die drittschützende Wirkung der einschlägigen einfachgesetzlichen Regelung (Art. 2 Abs. 2 und 4 des Hohe-See-Einbringungsgesetzes ab. BVerwG, Urt. v. 01.12.1982 – 7 C 111/81, NVwZ 1983, S. 151 ff.; vgl. auch VG Stuttgart, Urt. v. 10.04.1951 – 1/I Nr. 308/50, DVBl 1951, S. 612 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.10.1965 – IV C 3/65, BVerwGE 22, S. 129 ff., MDR 1966, S. 174; BVerwG, Urt. v. 28.04.1967 – IV C 10/65, BVerwGE 27, S. 31 ff., NJW 1967, S. 1770 ff.; BVerwG, Urt. v. 18.03.1983 – 4 C 80/79, BVerwGE 67, S. 74 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.03.1989 – 4 C 36/85, NVwZ 1989, S. 1157 ff. (Ls.); BVerwG, Urt. v. 06.10.1989 – 4 C 14/87, NJW 1990, S. 1192 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/ 83, NJW 1988, S. 434 ff. (Wasserrecht); BVerwG, Urt. v. 17.12.1986 – 7 C 29/85, NuR 1987, S. 268 (Atomrecht); BVerwG, Urt. v. 23.08.1996 – 4 C 13/94, DÖV 1997, S. 32 ff.; BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 – 4 CN 2/986, DVBl 1999, S. 100 ff.; BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02, ZUR 2004, S. 610 ff.; BVerwG, Beschl. v. 06.09.2004 – 7 B 62/04, NVwZ 2005, S. 84 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.06.1987 – 7 OVG B 40/87, DVBl 1987, S. 1019 ff. (Abfallrecht); M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 724 ff.; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 156; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2007, Rn. 83 ff., m.w. N.; B. Pasemann, Die Entwicklung des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte, 2005, S. 198 ff., S. 238 ff.; F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, 1991, S. 42 ff.; J. Berkemann, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 37 ff., m.w. N.; R. Wahl/ P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2013, Rn. 131 ff., Rn. 160 ff.; H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 13; H. Sendler, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 485 ff. Krit. dazu etwa: M. Kloepfer, VerwArch 1985, S. 383: „Die Aufwertung einer für sich genommen nicht verfassungsstarken subjektiven Rechtsposition durch einen Rechtssatz, der von Hause aus keinen drittschützenden Charakter besitzt, sondern auf zwingende öffentliche Interessen abstellt, dürfte im allgemeinen nicht überzeugen.“ 936 D. Couzinet, DVBl 2008, S. 760 ff. 937 BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 – 4 C 8/84, NVwZ 1987, S. 409 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 465, m.w. N.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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Hier wies das Umweltrecht vorbildlich den Weg. Insbesondere mit der Unterscheidung von Allgemeinheit und Nachbarschaft939 in § 3 Abs. 1 BImSchG, wonach maßgeblich auf ein tatsächliches Betroffensein abzustellen ist, das den Betroffenen hinreichend von der Masse der Nichtbetroffenen abhebt, wurde der Kreis der Drittbetroffenen von der ursprünglich kleinräumigen zu einer relativ großräumigen Nachbarschaft erweitert.940 Vielmehr bestimmt sich der Kreis klagebefugter Nachbarn anhand von Intensität und Reichweite von Auswirkungen.941 Es sollte daher eine enge räumliche und zeitliche Beziehung des drittbetroffenen Klägers zum Genehmigungstatbestand innerhalb des Einwirkungsbereichs der jeweiligen Störquelle vorliegen. Zum Einwirkungsbereich gehört das Gebiet, in das von der Störquelle emittierte Stoffe in einer Menge und Konzentration gelangen, die schädliche Wirkungen erzeugen.942 Ein rechtsvergleichender kurzer Blick zeigt, dass eine solche Tendenz auch der Rechtsprechung verschiedener europäischer Staaten jedenfalls nicht fremd ist.943 938 R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGO-Komm., 2013, Rn. 116 ff. 939 Hinsichtlich der Bestimmung des Nachbarschutzes im Bau- und Umweltrecht vgl.: F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, VwGO-Komm., 2007, Rn. 96 ff., 105 ff., m.w. N.; F. Schoch, Jura 2004, S. 317 ff.; E. Beckmann, DVP 1997, S. 413 ff. 940 H. Jarass, § 3 BImSchG, in: ders. (Hrsg.), BImSchG-Komm. 2007, Rn. 31 ff.; D. Couzinet, DVBl 2008, S. 761; jeweils m.w. N. 941 BVerwG, Beschl. v. 13.02.1981 – 4 B 14/81, NJW 1981, S. 1973. 942 OVG Lüneburg, Urt. v. 03.10.1979 – VII A 39/78, GewArch 1980, S. 203 ff. 943 Z. B. im englischen Recht konnte – etwa im Fall R v. Secretary of State for Trade and Industry, ex parte Duddridge and Others [1995] ELR 151 – die Entscheidung einer Behörde, elektromagnetische Emissionen von Stromkabeln nicht durch Verordnung zu begrenzen, gerichtlich von Eltern angefochten werden, die in den Gebieten wohnten, in denen neue Stromkabel verlegt wurden, und die sich lediglich auf die erhöhte Leukämiegefahr beriefen, der ihre Kinder infolge einer spezifischen Auswirkung starker elektromagnetischer Wellen ausgesetzt waren. – Im belgischen Recht etwa: Conseil d’État, Ville de Liège et Heze, 20.09.1991, Nr. 37.676. Die Klage eines Nachbarn auf Aufhebung einer Entscheidung, mit der die Errichtung eines umweltschädliche Stoffe benutzenden Werks genehmigt worden war, wurde als zulässig betrachtet/eingestuft/eingeschätzt/angesehen. – Im niederländischen Recht etwa: Raad van State, Afdeling Bestuursrechtspraak, 18.06.1996, AB 1996, 313. Die Bewohner eines Dorfes können sich auf einen zu erwartenden Rückgang der Verkehrssicherheit in ihrem Dorf berufen, um geplante belastende Bauarbeiten anzufechten. – Im italienischen Recht etwa: Tribunale amministrativo regionale Lazio, 20.01.1995, Nr. 92, Foro Italiano 1995, II-460. Die Bewohner eines Gebiets können ihr Recht auf Lebensqualität (interesse di vita) geltend machen, um die Erlaubnis zur Errichtung eines Einkaufs- und Handelszentrums in ihrem Gebiet anzufechten. – Im griechischen Recht etwa: griechischer Staatsrat (StE), Urt. v. 2281/1992. Die Bewohner des Zentrums der Hauptstadt Athen sind klagebefugt, um gegen Entscheidungen vorzugehen, mit denen Abholzungen in einem Waldgebiet am Stadtrand genehmigt wurden. Stadt und bedrohte Wälder gehörten zu demselben geografischen Becken, das „Teil eines geschlossenen Umweltsystems mit sehr geringen und ständig abnehmenden Grünflächen ist“. Damit betreffen die ungünstigen Auswirkungen der Entscheidungen auf das ökologische Gleichgewicht und die Lebensqualität der Einwohner, die zu Abholzungen in einem Waldgebiet dieses Beckens führen, nicht nur Personen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, sondern auch Personen in entfernte-
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Für die Erfüllung des Merkmals der engen zeitlichen Beziehung reicht aus, wenn der drittbetroffene Kläger ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes Opfer zu erbringen hat. Dies geschieht i. d. R., wenn er den Auswirkungen der Störquelle auf eine gewisse Dauer ausgesetzt ist. Beachtenswert ist, dass diese Voraussetzung für alle Personen gelten soll, die sich ständig oder doch längerfristig im Einwirkungsbereich der Störquelle (z. B. Anlage) aufhalten und sich deshalb deren Auswirkungen nicht ohne weiteres entziehen können (z. B. Grundstückseigentümer, Pächter, Mieter, Arbeitnehmer usw.).944 Anderes ist hingegen für solche Personen anzunehmen, die sich vorübergehend im Einwirkungsbereich einer störenden Anlage befindet.945 Diese Entwicklung hat insofern zu einem relativ weit gefassten Nachbarbegriff im Bereich des Umweltschutzes (etwa bei Luftverunreinigungen) geführt. Angesichts der vielfach weiträumigen Emissionen umweltbelastender Störquellen wurde somit der umweltrechtliche Drittschutz über die unmittelbar an ein Grundstück angrenzende Nachbarschaft hinaus ausgedehnt.946 Vor diesem Hintergrund kommt beispielsweise im Baurecht nunmehr jeder Vorschrift Schutznormcharakter zu, die durch Postulate der Zuordnung, Verträglichkeit und Abstimmung benachbarter Nutzungen einen Ausgleich konfligierender Privatinteressen (mit)herstellt (sog. Grundregel der Konfliktsausgleichsfunktion). Zunächst war jedoch die Klagebefugnis im Baurecht auf Grundstücksnachbarn beschränkt. Sie wurde aber über diesen Kreis hinaus erweitert auf Eigentümer, deren Grundstücke im Einwirkungsbereich einer baulichen Anlage liegen.947 Es muss aber berücksichtigt werden, dass die Belange oder Interessen des Klägers sich von denjenigen abheben mussen, die Jedermann oder die Allgemeinheit betreffen. Dafür genügt nicht die zufällige „Nachbarschaft“ des Klägers zu dem störenden Vorhaben.948 Darüber hinaus vermittelt die allgemeine Bezug-
ren und tiefer liegenden Gebieten. In manchen Fällen fallen diese sogar noch stärker für weiter entfernt lebende Personen aus (mehr dazu s. o. 2. Teil, 2. Kap., C., IV.). – Im französischen Recht ist Nachbarschaft das Hauptkriterium der Klagebefugnis natürlicher Personen in Planungsfällen (Conseil d’État, 22.10.1986, Reynaud, Lebon, S. 652). Bei der Feststellung der Klagebefugnis sind neben der Entfernung von den geplanten Arbeiten Natur und Schwere der entstehenden Auswirkungen maßgebend. Ein Kläger, der die Baugenehmigung für ein großes Einkaufszentrum angreift (Conseil d’État, 24.06.1991, Soc. Interprovence Côte d’Azur, Lebon, S. 1110), braucht daher nicht so nah bei der Baustelle zu leben wie ein Kläger, der Bauarbeiten mit geringeren Umweltauswirkungen angreift; GA Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997, in der Rs. EuGH, C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 106, m.w. N. 944 BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, NJW 1983, S. 1507 ff. 945 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 42, 2013, Rn. 104. 946 S. Schlacke, in: dies./Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung, Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 19, m.w. N. 947 S. Muckel/M. Ogorek, Öffentliches Baurecht, 2014, S. 204 ff.; m.w. N. 948 OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.10.2014 – 1 MB 5/13, Rn. 2.1., BeckRS 2015, 41994.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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nahme auf umweltbezogene Vorschriften des Bauplanungsrechts (etwa gem. § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB oder § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BauGB) bzw. auf europarechtliche oder deutsche Vorschriften des Naturschutzrechts und der Landschaftspflege i. d. R. keine Überprüfungsbefugnis für Individualkläger. Auch der Belang des Bodenschutzes (etwa gem. § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 3. Alt. BauGB) ist im deutschen Recht nicht nachbarschützend.949 Auch im Atomrecht wurde die Klagebefugnis auf alle, die ihren Lebensmittelpunkt im Einwirkungsbereich der jeweils umstrittenen Anlage haben (etwa Mieter oder Arbeitsnehmer), ausgedehnt.950 Da der Einwirkungsbereich bei Kernkraftwerken sich über beträchtliche Entfernungen erstreckt, lief diese Rechtsprechung nahezu auf die Eröffnung einer Popularklage hinaus, die lediglich regional begrenzt war. Diese Erweiterung der Klagebefugnis wurde allerdings kompensiert durch erhöhte Anforderungen an den Sachvortrag und die substantiierte Behauptung einer hinreichenden Betroffenheit.951 Ferner hat auch die Einführung der in bestimmten Fällen verfassungsrechtlich gebotenen staatlichen Schutzpflicht952, die für die Begründung der subjektiven 949 Gleiches gilt auch für die Frage, ob ein Vorhaben eine bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten Gewerbebetriebes in „angemessenem“ Umfang (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BauGB) ist. Denn es betrifft ebenfalls allgemeines Planungsrecht und ist (damit) keine spezifisch nachbarschützenden Belange; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.10.2014 – 1 MB 5/13, Rn. 3.1., BeckRS 2015, 41994. 950 Vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.1997 – 4 A 36/96, NVwZ 1998, S. 504 ff.; F. Kopp/ W.-R. Schenke, VwGO-Komm., § 42, 2013, Rn. 104; jeweils m.w. N., s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., IV. 951 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.01.1985 – 7 C 74/82, NVwZ 1985, S. 341 ff.; H. Sendler, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 480 ff. 952 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist aus dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe abzuleiten. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren (vgl. BVerfG, Urt. v. 25.02.1975 – 1 BvF 1-6/74, NJW 1975, S. 573 ff.; BVerfG, 18.02.2010 – 2 BvR 2502/ 08, Rn. 11, NVwZ 2010, S. 702 ff.). Der Staat muss somit zur Erfüllung seiner Schutzpflicht ausreichende Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art ergreifen, die dazu führen, dass ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird (Untermaßverbot). Dazu bedarf es eines Schutzkonzepts, das Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes miteinander verbindet. (BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90; 2 BvF 4/90; 2 BvF 5/92, NJW 1993, S. 1751 ff.). Nach st. Rspr. des BVerfG enthalten die grundrechtlichen Verbürgungen nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern stellen zugleich objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten und Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben (vgl. BVerfG, Urt. v. 25.02.1975 – 1 BvF 1-6/ 74, NJW 1975, S. 573 ff.). Dies wird am deutlichsten in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ausgesprochen, wonach es Verpflichtungen aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Daraus können sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, dass auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Rechte relevant ist, zu einer Ausdehnung des umweltbezogenen Drittschutzes beigetragen. Kommt in diesem Rahmen das einfache Recht der Schaffung subjektiver Rechte nicht nach, ist dessen Subjektivierung Gebot verfassungskonformer Auslegung.953 Erfolgt nämlich in Erfüllung der Schutzpflicht durch das einfache Recht eine Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen, so wird der Schutzpflicht in höherem Maße gedient, wenn der Einzelne ihre Einhaltung auch vor Gericht einklagen kann.954 Im Hinblick darauf kann eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht dann festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel (etwa Schutz der Gesundheit eines Drittbetroffenen) zu erreichen, oder wenn sie erheblich dahinter zurückbleiben.955 Danach obliegt dem BVerfG keine umfassende Kontrolle der im Einzelfall vorgenommenen Einschätzungen durch die Legislative oder die Exekutive. Unter dem Einfluss der dargestellten Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin956 bleibt allerdings der Beitrag der staatlichen Schutzpflicht zur Ausdehnung des umweltrechtlichen Drittschutzes eher gering. Denn die staatliche Schutzpflicht verlangt bei komplexen Sachverhalten, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, auch von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Theorien zur Durchsetzung zu verhelfen.957 In diesem Zusammenhang erfolgte noch eine weitere Stufe der Erweiterung der Klagebefugnis auch im Bereich des überindividuellen Umweltschutzes durch der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab (BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77E, Rn. 115, NJW 1979, S. 359 ff.). 953 Vgl. C. Calliess, NVwZ 2006, S. 5 ff. 954 Vgl. R. Wahl, Vorb. § 42 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann, VwGOKomm. 2013, Rn. 51 ff. 955 Vgl. st. Rspr. BVerfG, Beschl. v. 28.02.2002 – 1 BvR 1676/01, NJW 2002, S. 1638 ff.; BVerfG, 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08, Rn. 11, NVwZ 2010, S. 702 ff. 956 s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., II. ff. 957 BVerfG, Urt. v. 24.01.2007 – 1 BvR 382/05, NVwZ 2007, S. 805 ff. im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten obliegt aber allen Stellen, die öffentliche Gewalt ausüben, eine gesteigerte Verantwortung, wenn sie Entscheidungen treffen, die auf ungewissen Folgenabschätzungen beruhen. Dies gilt gerade dann, wenn wissenschaftlich und praktisch noch unerschlossenes Neuland betreten wird. Hier kommt es darauf an, sich eine möglichst breite Informationsgrundlage für eine möglichst rationale Risikoabschätzung zu verschaffen, wobei die unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen eines gewaltenteiligen Systems berücksichtigt werden müssen. Dem liegt eine Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer, wissenschaftlich umstrittener Sachverhalte zwischen Exekutive und Gerichten zugrunde, die den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung trägt (BVerfG, 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08, Rn. 11, NVwZ 2010, S. 702 ff.).
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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deren unionsrechtliche Überformung in Fällen, in denen nationale Rechtsvorschriften der Umsetzung europäischer Richtlinien dienen, die – unabhängig davon, ob das nationale Recht eine subjektivierte Klageposition anerkennt – nach EU-Recht die Einräumung subjektiver Rechte verlangt. Obwohl aufgrund von Art. 288 Abs. 2 AEUV (Art. 249 Abs. 2 EGV) jeder Mitgliedstaat die Mittel sowie ihre Form für die Umsetzung der mitgliedstaatlichen Ziele in die nationale Rechtsordnung wählen kann, muss er darauf achten, die praktische Wirksamkeit („effet utile“) der EU-Vorschrift sowie die Möglichkeit, dass der Einzelne relevante Normbestimmungen vor Gericht durchsetzen kann,958 nicht zu untersagen.959 Zur Ausweitung des Rechtsschutzes Dritter haben auch gesellschaftspolitische bzw. wirtschaftliche Änderungen beigetragen.960 Durch die Verkomplizierung der Verwaltungsverhältnisse, die auch auf die mit der wachsenden Komplexität der Dienstleistungs- und Industriegesellschaft einhergehenden Interessenkonflikte zurückzuführen ist, entstanden mehrpolige Rechtsbeziehungen, deren Akteure ausreichend rechtlich geschützt werden müssen. Oftmals geht es nicht nur um die „klassische“ zweipolige Beziehung zwischen Verwaltung und Bürger. Insbesondere im Bau- und Planungsrecht sowie im Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrecht müssen vor Gericht dreipolige Beziehungen zwischen Staat, Bürger und weiteren drittbetroffenen Privaten untereinander zum rechtlichen Ausgleich gebracht werden.961 Die oben erwähnten Faktoren im Zusammenhang mit der Tendenz der fortschreitenden und nicht immer problemlosen Europäisierung immer neuer Rechts958 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.03.2007, 7 – C 9/06, Rn. 35, NVwZ 2007, S. 695 ff. Anm. D. Winkler, ZUR 2007, S. 360 ff.; EuGH, Urt. v. 09.12.1997, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-06959 (Kommission/Frankreich), NJW 1998, S. 1933 ff.; EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; D. Couzinet, DVBl 2008, S. 761 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 461, m.w. N. 959 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.04.1976, Rs. 48/75, Slg. 1976, S. 497 ff., Rn. 69 ff. (Royer/ Belgien); C. Calliess, NVwZ 2006, S. 5 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 461, m.w. N.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 159 ff., insb. S. 297 ff. 960 Erwähnenswert ist der unverhältnismäßige Fortschritt der Industrie- und Wirtschaftsgesellschaft, der ungewöhnlich große soziale, politische, ökologische, wirtschaftliche und individuelle Risiken herbeiführt. Dieser radikale Fortschritt hat zur Folge, dass er sich zunehmend den herkömmlichen Kontroll- und Sicherungsvorkehrungen dieser Gesellschaft bzw. der sog. Risikogesellschaft entzieht (als charakteristische Beispiele sind die Risiken der Atom- und Gentechnik sowie die globalen Umweltprobleme zu erwähnen). Insofern hat diese Entwicklung zu gesellschaftspolitischen sowie wirtschaftlichen Änderungen geführt. Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 25 ff., S. 48 ff.; I. Petrou, OFo 2001, S. 41 ff.; I. Majewski, Die ökologische Krise zeitigt sich als die Krise unseres Denkens, 1989, S. 51 ff. 961 M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 84 ff., S. 247 ff.; R. Wahl, DVBl 1996, S. 641 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
gebiete, insbesondere des deutschen Verwaltungsrechts und Verwaltungsverfahrensrechts962, haben zu einer Vermehrung subjektiver öffentlicher Rechte beigetragen und die Anwendungsfälle der Rechtsprechungsgarantie entsprechend vervielfacht.963 Wie schon oben gezeigt wurde, bleibt aber der Rechtsschutz Dritter insgesamt noch viel zu restriktiv.964 Da es der deutschen Rechtsordnung an Gesetzen fehlt, die auf eine entscheidende objektivrechtliche Ausweitung des Rechtsschutzes abzielen, kann die Rechtsprechung nur ganz begrenzt Initiative innerhalb ihrer Autoritätsmacht er-
962 Vgl. u. a. W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 41 ff.; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 165 ff.; M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 233 ff.; S. Almeling, Die AarhusKonvention, 2008, S. 179 ff.; K.-H. Millgramm, DVBl 2008, S. 823 ff.; M. Ruffert, in: ders. (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 3 ff.; A. Voßkuhle, in: M. Ruffert (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 89 ff.; H. Lecheler, GewArch 2005, S. 305 ff.; M. Reiling, DÖV 2004, S. 181; C. Calliess, EurUP 2003, S. 10 ff.; H.-W. Rengeling, in: ders. (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 2003, S. 1854 ff.; M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645 ff.; M. Schmidt-Preuß, in: FS für H. Maurer, 2001, S. 792 ff.; R. Wahl, Der Staat 1999, S. 495 ff.; D. Triantafyllou, DÖV 1997, S. 192 ff.; C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 29 ff.; R. Steinberg, AöR 1995, S. 549 ff. 963 P.-M. Huber, Art. 19 Abs. 4 GG, in: H. Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GG-Komm., 2007, Rn. 338; H. Schulze-Fielitz, Art. 19 Abs. 4 GG, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2004, Rn. 13; M. Ruffert, in: ders. (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 3 ff.; A. Voßkuhle, in: M. Ruffert (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 89 ff.; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2008, Rn. 165 ff.; M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 233 ff. Hinsichtlich der Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts ist vor allem problematisch, dass es im unionsrechtlichen Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten eigene Kriterien gibt, die den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz beeinflussen. Zudem nimmt die europäische Rechtssetzung im sekundären Unionsrecht sowie die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zur Umsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten Einfluss auf den nationalen Rechtsschutzrahmen. Die unionsrechtlichen Einflüsse stützen sich dabei auf Ansätze, die vom deutschen System des Individualrechtsschutzes abweichen und die über den Rechtsgrundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts und des Grundsatzes des „effet utile“ unmittelbar Eingang in das deutsche Rechtsschutzsystem erhalten. Vgl. auch 3. Teil, 1. Kap., A., II. ff.; 1. Teil, 4. Kap., A., II., 2., B., V., 1. 964 s. o. insb. 1. Teil, 1. Kap., E. ff.; vgl. auch H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 148 ff.; ders., DVBl 1982, S. 144 ff.; W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 72 ff.; C. Sailer, DVBl 1976, S. 521; ders., DVBl 1982, S. 144 ff.; ders., BayVBl 1980, S. 275; C. Sening, NuR 1980, S. 102 ff.; ders., BayVBl 1981, S. 176 ff.; O. Schlichter, NVwZ 1983, S. 641; W. Krebs, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 200 ff.; E. Schwerdtner, NVwZ 1990, S. 630 ff.; D. Murswiek, DVBl 1994, S. 77 ff.; F. Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff.; P. Huber, BayVBl 2001, S. 577; F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622 ff.; P. C. Mayer-Tasch, NuR 1991, S. 157; G. Winter, in: Festgabe, 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1034 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, S. 236; B. Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 148 ff.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
209
greifen.965 Gerade deswegen dürfen die Erwartungen an die Innovationskraft der Gerichte nicht zu hoch geschraubt werden.966 Vielmehr muss die Gesetzgebung entsprechende Gesetzesvorschläge einbringen bzw. entsprechende gesetzliche Initiativen ergreifen.967
II. „Liberalisierung“ des gerichtlichen Zugangs in Umweltangelegenheiten auf staatlicher Ebene als Vorläufer von völkerrechtlichen Umweltverbandsklagerechten Die Ausgestaltung der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen vor Gericht ist eng mit dem jeweiligen System der Verwaltungsrechtspflege verbunden. So ist die Klagebefugnis Drittbetroffener bei Umweltangelegenheiten in den Rechtsschutzsystemen der EU unterschiedlich ausgestaltet. Denn es gibt einerseits Rechtsschutzsysteme, die der Öffentlichkeit einschließlich der Umweltvereinigungen einen weitgehenden Zugang zu Gerichten einräumen, um auch überindividuelle umweltbezogene Interessen gerichtlich zu verteidigen (z. B. Frankreich, Griechenland u. a.).968 Andererseits gibt es Rechtsschutzsysteme, die den Mitgliedern der Öffentlichkeit nur eine restriktive Klagebefugnis einräumen, die sich auf enge individuell bezogene Rechte oder sonstige ausreichende Interesse des Klägers beziehen (vor allem Deutschland, Schweiz).969 965 Es wird kritisiert, dass der deutsche Gesetzgeber hinsichtlich der Entwicklung des umweltrechtlichen Rechtsschutzes wenig beigetragen hat. Es ist festzustellen, dass die Tätigkeit des deutschen Gesetzgebers sich vielmehr darauf beschränkt, im Interesse der Beschleunigung den Instanzenzug zu straffen und das gerichtliche Verfahren zu verkürzen (vgl. M. Schmidt-Preuß, in: FS für H. Maurer, 2001, S. 792 ff.), was aber nur ausnahmsweise dem Umweltschutz zugutekommen kann, wenn dadurch ein der Umwelt dienendes Vorhaben schneller verwirklicht werden kann. Vgl. u. a. R. Sparwasser, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1017 ff.; H. Sendler, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 480; in dieselbe Richtung auch H. Lecheler, DVBl 2007, S. 713 ff.; E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 157 ff.; J. Berkemann, Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 37 ff.; P. Huber, DVBl 1999, S. 489 ff.; S. Langer, NuR 1986, S. 271 ff.; D. Murswiek, DVBl 1994, S. 88 ff.; G. Oestreich, DV 2006, S. 29 ff.; R. Steinberg, ZUR 1999, S. 126 ff.; S. Schlacke, NuR 2004, S. 629 ff. 966 Vgl. H. Sendler, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 4800. 967 s. mehr dazu in 1. Teil, 6. Kap., A. ff. 968 Vgl. F. Kopp, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 11 ff.; N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, in: dies. (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2003, S. 165 ff.; B. Dette, in: M. Onida (Hrsg.), Europe and the Environment: Legal Essays in Honour of Ludwig Krämer, 2004, S. 14 ff.; J. Ebbesson, in: ders. (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, Comparative Environmental Law and Policy Series, 2002, S. 1 ff.; N. de Sadeleer/G. Roller/ M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters and the Role of NGOs: Empirical Findings and Legal Appraisal, 2005, S. 165 ff.; European Commission, Summary Report on the Inventory of EU Member States’ Measures on Access to Justice in Environmental Matters, Milieu Ltd, 2007; J. Darpö, Effective Justice?, 2013, S. 10 ff. 969 Ebd.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Trotz der auf dieser Grundlage bestehenden Unterschiede in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen970 ist insgesamt eine gewisse „Liberalisierung“ des gerichtlichen Zugangs teilweise auch im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes zu verzeichnen. Hervorzuheben ist insbesondere der Umstand, dass vor allem die Klagebefugnis der Umweltvereinigungen regelmäßig nicht vom Vorliegen eines subjektiven Rechts abhängt, sondern häufig (nur) an das Bestehen eines „Interesses“ geknüpft wird, wobei die Anforderungen im Einzelnen jedoch differieren.971 Der Blick auf den Zustand der Klagebefugnis Drittbetroffener in Umweltangelegenheiten in den nationalen Rechtsordnungen erlaubt jedenfalls den Schluss, dass – lange vor der Einführung der AK – sowohl in Bezug auf die Reichweite der (Klage-)Rechte Einzelner als auch auf die Beschwerdelegitimation von Vereinigungen in Umweltangelegenheiten eine gewisse Tendenz zu einer „Liberalisierung“ des umweltbezogenen Drittschutzes bestand (und besteht).972 Im Hin-
970 Vgl. C. Winkelmann, Untersuchung der Verbandsklage im Umweltrecht im internationalen Vergleich, 1992, S. 104 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 140 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 83 ff.; A. Epiney, NVwZ 1999, S. 486 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 40 ff.; J. Kokott/L.-F. Lee, UTR 1998, S. 215 ff.; D. Ehlers, VerwArch 1993, S. 139 ff.; J. Ebbesson, in: ders. (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, Comparative Environmental Law and Policy Series, 2002, S. 1 ff.; N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters and the Role of NGOs: Empirical Findings and Legal Appraisal, 2005, S. 165 ff.; European Commission, Summary Report on the Inventory of EU Member States’ Measures on Access to Justice in Environmental Matters, Milieu Ltd, 2007, S. 4 ff.; J. Darpö, Effective Justice?, 2013, S. 10 ff.; Maastricht University Faculty of Law, Possible initiatives on access to justice in environmental matters and their socio-economic implications, Final Report, 2013, S. 103 ff.; jeweils m.w. N. 971 Vgl. G. Roller, UVP-report 2005, S. 73 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 156 ff.; A. Arnull, CML Rev. 1995, S. 7 ff.; A. Epiney, NVwZ 1999, S. 486; C. Winkelmann, Untersuchung der Verbandsklage im Umweltrecht im internationalen Vergleich, 1992, S. 104 ff.; ders., ZUR 1994, S. 12 ff. 972 Ausdrückliche entsprechende Regelungen bestanden vor der Einführung der AK z. B. in Dänemark, Belgien, Italien, Portugal und den Niederlanden. Vor der AK waren (und sind) in der Rechtspraxis Verbandsklagen zulässig, etwa in den USA, in Frankreich, Griechenland, Großbritannien und Irland. Vgl. C. Winkelmann, Untersuchung der Verbandsklage im Umweltrecht im internationalen Vergleich, 1992, S. 104 ff.; ders., ZUR 1994, S. 12 ff.; M. Führ/B. Gebers/T. Ormond/G. Roller, ELNI Newsletter 1994, S. 8 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 140 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 83 ff.; A. Epiney, NVwZ 1999, S. 486 ff.; A. Epiney/ K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 40 ff.; J. Kokott/L.-F. Lee, UTR 1998, S. 215 ff.; D. Ehlers, VerwArch 1993, S. 139 ff.; J. Ebbesson, in: ders. (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, Comparative Environmental Law and Policy Series, 2002, S. 1 ff.; N. de Sadeleer/ G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters and the Role of NGOs:
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
211
blick darauf war in zahlreichen europäischen Rechtsordnungen und übrigens auch der US-amerikanischen eine (allerdings im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltete) umweltrechtliche Verbandsklage (VK) entweder auf gesetzlichem Weg eingeführt oder aber in der (Rechtsprechungs-)Praxis anerkannt worden.973 Die Einführung einer umweltrechtlichen VK hat auch durchaus in Rechtsordnungen Platz, die ansonsten eher einem subjektivrechtlichen Rechtsschutzsystem verpflichtet sind.974 Illustriert wurde dieser Befund insbesondere durch die Rechtslage in der Schweiz. Obwohl das schweizerische Verwaltungsprozessrecht mit der grundsätzlichen Anknüpfung der Klagebefugnis an das Vorliegen eines Verwaltungsaktes eher einen subjektivrechtlichen Ansatz verfolgt,975 besteht auf Bundesebene ein relativ weitgehendes Beschwerderecht von Umweltorganisationen daneben. Dieses blickt mittlerweile auf eine langjährige Geschichte zurück, die zudem insgesamt als erfolgreich bezeichnet werden kann.976 Von besonderer Bedeutung ist auch, dass die schweizerische Beschwerdebefugnis der Umweltorganisationen gerade nicht zu der befürchteten Prozessflut und Verfahrensverzögerungen geführt hat.977 Diese Rechtsentwicklungen könnten als Vorläufer der Anforderung an einen weiten und effektiven Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für die betroffene Öffentlichkeit, die zunächst auf völker- und europarechtlicher Ebene durch die Entstehung der AK eingeführt wurde, angesehen werden. Dadurch könnte sich auch eine Klageberechtigung von Umweltverbänden in die nationalen Rechtsordnungen integrieren, so dass der Gestaltung einer entsprechenden Verpflichtung auf Gemeinschaftsebene keine prinzipiellen Einwände entgegenstehen dürften.978
Empirical Findings and Legal Appraisal, 2005, S. 165 ff.; European Commission, Summary Report on the Inventory of EU Member States’ Measures on Access to Justice in Environmental Matters, Milieu Ltd, 2007; J. Darpö, Effective Justice?, 2013, S. 10 ff.; Maastricht University Faculty of Law, Possible initiatives on access to justice in environmental matters and their socio-economic implications, Final Report, 2013, S. 103 ff.; jeweils m.w. N. 973 Ebd. 974 A. Epiney, NVwZ 1999, S. 486 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 40 ff.; s. z. B. die Entstehungsgeschichte der deutschen altruistischen naturschützenden Verbandsklage im Rahmen des BNatSchG in 1. Teil, 2. Kap., C. ff. 975 Vgl. R. Rhinow/H. Koller/C. Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, 1996, S. 193 ff. 976 Zum Beschwerderecht der Umweltorganisationen in der Schweiz vgl.: P. Keller, AJP 1995, S. 1125 ff. 977 Vgl. P. Keller, AJP 1995, S. 1125 ff. 978 Vgl. A. Epiney, NVwZ 1999, S. 486 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 40 ff.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
III. Die Unterzeichnung der Aarhus-Konvention und ihre Bedeutung Schon seit Anfang der 90er Jahren betonte die EG (nunmehr EU) die Notwendigkeit zur Verbesserung des Zugangs von Mitgliedern der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten.979 Trotzdem konnte die EU bisher keine wesentlichen legalen Instrumente in Bezug auf den Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten auf EU-Ebene einführen.980
979 Vgl. Fünftes Umweltaktionsprogramm (1992–2000): Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung, Kap. 9 (Implementation and Enforcement of the [5th Environmental Action] Programme within the Community), Towards Sustainability – A European Community Programme of Policy and Action in Relation to the Environment and Sustainable Development (ABl. 17.05.1993 C 138/5), ABl. 17.05.1993 C 138/82: „Einzelpersonen und öffentliche Interessengruppen müssen im praktischen Sinne Zugang zu den Gerichten haben, um sicherstellen zu können, daß ihre rechtmäßigen Interessen gewahrt, die vorgeschriebenen Umweltmaßnahmen effektiv durchgeführt und illegale Praktiken unterbunden werden.“ (abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:1993:138:FULL&from=DE). Auch in ihrer Mitteilung von 1996 hinsichtlich des Zustands des unionalen Umweltrechts stellte die Kommission fest, dass Änderungen im Gebiet der umweltrechtlichen Klagebefugnis erforderlich sind, um die Beteiligung und den Zugang der NGOs zu dem Durchführungsprozess des unionalen Umweltrechts zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Es ist von Bedeutung, dass die Kommission Folgendes explizit feststellt: „[Rn. 40] Ein besserer Zugang zu den Gerichten für die Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen wäre für die Anwendung des Umweltrechts der Gemeinschaft von Vorteil. Erstens könnten Einzelfälle im Zusammenhang mit Problemen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts mit größerer Wahrscheinlichkeit im Sinne des Gemeinschaftsrechts entschieden werden. Zweitens wird dies – was wahrscheinlich noch wichtiger ist – allgemein zu einer Verbesserung der praktischen Anwendung und Durchsetzung des Umweltrechts der Gemeinschaft führen, da sich die möglicherweise haftbaren Akteure vermutlich an die Vorschriften halten werden, um das mit der dann größeren Wahrscheinlichkeit zu erwartende Verfahren zu vermeiden. – [Rn. 41] Schließlich hätte der Zugang zu den Gerichtshöfen der Mitgliedstaaten den zu begrüßenden Effekt, daß die Streitfälle im Bereich der Durchsetzung des Umweltrechts der Gemeinschaft auf der geeignetsten – nämlich der regionalen und einzelstaatlichen – Ebene behandelt werden. Es ist aus verschiedenen Gründen wünschenswert, die Gerichtshöfe der Mitgliedstaaten mit Fragen des Umweltrechts der Gemeinschaft zu betrauen. Erstens können die Kommission und der Gerichtshof in Luxemburg unmöglich die nötige Zeit und das Personal aufbringen, um auch nur den Großteil der Umweltschutzfälle zu behandeln, die in den Mitgliedstaaten anfallen, wenn sie direkt von der Kommission vor den Gerichtshof gebracht werden müßten. Darüber hinaus ist es für die Gerichtshöfe der Mitgliedstaaten im Vergleich zum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft einfacher, in den Verfahren die besonderen Rechts-, Verwaltungs- und Umweltbedingungen eines jeden Mitgliedstaats zu berücksichtigen und sich durch Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten einen umfassenderen Überblick über die Fakten zu verschaffen. Darüber hinaus sind sie geeigneter, um einstweilige Maßnahmen verfügen, die zur Verhütung von Umweltschäden äußerst hilfreich sind.“ s. KOM 96/500 Mitteilung der Kommission, Durchführung des Umweltrechts der Gemeinschaft vom 22.10.1996, S. 10 ff., Rn. 40 ff.; s. auch M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 106 ff., m.w. N. 980 M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 106 ff., m.w. N.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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Die sog. Aarhus-Konvention „über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten“ 981 ist am 25.06.1998 im dänischen Aarhus unterzeichnet worden.982 Bis Anfang 2015 wurde dieses Übereinkommen sowohl von 46 Staaten als auch von der Europäischen Union ratifiziert.983 Sowohl die EU als auch die unterzeichnenden Staaten (einschließlich aller 28 Mitgliedstaaten der EU) gelten somit als Vertragsparteien der AK. Die AK ist am 30.10.2001 in Kraft getreten. Die damals Europäische Gemeinschaft (nunmehr Europäische Union) trat der AK am 17.02.2005 bei,984 selbstverständlich nur mit Wirkung für die Gemeinschaft als Rechtspersönlichkeit, nicht mit Wirkung für die Mitgliedstaaten. Seit dem 17.05.2005 ist die AK außer für die EU selbst auch für alle EU-Mitgliedstaaten völkerrechtlich bindend.985 Es handelt sich somit um ein gemischtes völkerrechtliches Übereinkommen.986 Die Bundesrepublik Deutschland hat die AK schließlich am 15.01.2007 ratifiziert,987 nachdem der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Transformation der AK (sog. Aarhus-Vertragsgesetz bzw. das Zustimmungsgesetz zur AK) beschlos-
981 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17.02.2005 (ABl. EG 2005, Nr. L 124, S. 1). 982 Vgl. allgemein zur Aarhus-Konvention: S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 29 ff.; J. Ziekow, EurUP 2005, 154 ff.; A. Fisahn, ZUR 2004, S. 136 ff.; M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff.; A. Epiney, in: J. Falke/S. Schlacke (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz: Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2003, S. 9 ff.; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 272 ff.; A. Schink, EurUP 2003, S. 27 ff.; J. Schumacher, NRPO 2003, S. 2 ff. (abrufbar unter: www.naturschutzrecht. net); ders., UPR 2008, S. 13 ff.; S. Schlacke, ZUR 2004, S. 129; dies., UVP-Report 2005, S. 67 ff.; zur Vorgeschichte und Entwicklung der Aarhus-Konvention s. u. a. T. Bunge, in: S. Schlacke/C. Schrader/ders. (Hrsg.), Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus – Aarhus-Hdb., 2010, S. 5 ff. 983 Ein Überblick über den Ratifizierungsstatus der Aarhus-Konvention kann unter: http://www.unece.org/env/pp/ratification.html und https://treaties.un.org/Pages/View Details.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&lang=en abgerufen werden. 984 s. Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17.02.2005, ABl. L 124, S. 1. Durch diesen Beschluss wurde die AK im Namen der Gemeinschaft genehmigt; s. u. a. J. Berkemann, EurUP 2014, S. 151 ff. 985 Ausführlich zur Entwicklung der AK: M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 6 ff. 986 Mehr dazu s. in 1. Teil, 4. Kap., B., II. Zum Verhältnis der Durchsetzung von gemischten Übereinkommen und des Zugangs zu Gerichten s. S. Gáspár-Szilágyi, LIEI 2013, S. 163 ff.; M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 111 ff., m.w. N. 987 BGBl. II, 2007, S. 1392.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
sen hatte.988 Aus dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes ergibt sich die Geltung des Vertrags als innerstaatliches Recht. Dies wurde am 15.12.2006 als Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet.989 90 Tage nach Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde wurde die AK am 15.04.2007 für Deutschland im Verhältnis zu den Vertragspartnern verbindlich.990 Dieses Übereinkommen stellt das erste völkerrechtliche Übereinkommen dar, das die verstärkte Einbindung der Öffentlichkeit bei umweltrelevanten Maßnahmen zum Ziel hat. Die AK beruht auf einem neuen Verständnis des Umweltvölkerrechts, das im Ergebnis Umweltrecht und Menschenrechte verknüpft. Sie begründet nicht nur Verpflichtungen der Signatarstaaten, sondern auch Individualrechte insbesondere für die „betroffene Öffentlichkeit“ i. S. v. Art. 2 Abs. 5 AK. Die AK bildet die Grundlage für das europäische wie auch für das nationale Recht und bestimmt die Grundsätze der sog. drei Säulen [Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen (erste Säule)/Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren (zweite Säule)/Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (dritte Säule)] ihres Inhalts, die vor allem die Effektivierung des Umweltschutzes bezwecken.991 Die AK schreibt jedoch keinen bestimmten Mindestumfang von Rügemöglichkeiten und gerichtlicher Kontrolle vor, so dass die Vertragsparteien insofern regelungsbefugt bleiben. Die AK lässt gem. Art. 3 Abs. 5 AK das Recht einer Vertragspartei unberührt, Maßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen, die einen weiter gehenden Zugang zu Informationen, eine umfangreichere Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und einen weiter gehenden Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ermöglichen, als dies aufgrund dieses Übereinkommens erforderlich ist.992 Insofern sind die Vertragsparteien der AK nicht verpflichtet, den Anwendungsbereich der jeweils eingeführten Rechtsbehelfe nur auf bestimmte Umweltbeeinträchtigungen einzuschränken.993 988 BGBl. II, 2006, Nr. 31 v. 15.12.2006, S. 1251 ff. „Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen)“ v. 09.12.2006. Für eine Übersicht hinsichtlich der Ratifikation der AK von den Mitgliedstaaten s.:s. http://www.unece.org/env/pp/ctreaty.htm. 989 Ebd. 990 Vgl. Art. 19 Abs. 1 und 2 AK, Art. 20 Abs. 3 AK, Art. 11, 14 Abs. 1 Buchst. a) des Wiener Abkommens über das Recht der Verträge: dazu S. Schlacke/Schrader/ T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, S. 8, Rn. 9; A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 281. 991 Vgl. u. a. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 6 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 233 ff.; C. Walter. EuR 2005, S. 315 ff.; jeweils m.w. N. 992 Vgl. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 103 ff., m.w. N. 993 Vgl. J. Ebbesson, in: M. Pallemaerts (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 267 ff.; T. v. Danwitz, in: Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (Hrsg.), Aar-
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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Die AK hat das Ziel, die Bürger zu befähigen, ihrer individuellen und kollektiven Verantwortung zum Schutz und zur Verbesserung der Umwelt für das Wohlergehen jetziger und künftiger Generationen gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang bezweckt die AK, die Möglichkeiten der Öffentlichkeit zu verstärken, öffentliche umweltbezogene Entscheidungen zu verstehen, zu beeinflussen und anzufechten.994 In diesem Zusammenhang beabsichtigt die AK explizit gem. Art. 1 AK, zum Schutz des Rechts jeder Person gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt beizutragen.995 Kurzgefasst stellt die AK den bislang vielversprechendsten und umfassendsten internationalen Versuch dar, den Gerichtszugang für Individualkläger und Verbände in Umweltangelegenheiten zu verbessern. Art. 10 der Rio-Deklaration996, auf den der Erwägungsgrund 2 der AK verweist, der auch das Bedürfnis zur Förderung der oben genannten drei Säulen auf nationaler Ebene explizit betont, sollte damit in ein rechtsverbindliches Instrument verwandelt werden.997 Obwohl die AK das Recht auf Leben in einer zuträglichen Umwelt fördert, greift sie eigentlich zu kurz, denn sie gewährt der Öffentlichkeit nur, die Rechtsmittel direkt auf dieses Recht zu berufen.998 hus-Konvention – Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, Dokumentation zur 27. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 2003, S. 35. Inhaltsgleiche Vorschriften enthalten Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 RL 2003/35/ EG sowie Art. 10a UVP-RL a. F., Art. 16 IVU-RL a. F. [nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F. RL 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26/1 vom 28.01.2012. Diese Richtlinie wurde durch die Änderungsrichtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten geändert; ABl. 2014, L 124, S. 1 ff. Art. 11 UVP-RL blieb allerdings unberührt. Zu Änderungen der UVP-RL s. J. Wagner, EurUP 2014, S. 122 ff.] und Art. 25 Industrieemissions-RL [RL 2010/75/EU (IE-RL) v. 24.11.2010 über Industrieemissionen [integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 06.01.2011, ABl. L 334/17, 17.12.2010]], die der Umsetzung der AK dienen. 994 Vgl. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 103 ff.; S. Laskowski, ZUR 2010, S. 172; A. Fisahn, ZUR 2004, S. 136 ff.; J. Berkemann, ZUR 2015, S. 224; jeweils m.w. N. 995 Vgl. 7. Erwägungsgrund der Präambel der AK. 996 Rio Declaration, Principle 10: „Environmental issues are best handled with the participation of all concerned citizens, at the relevant level. At the national level, each individual shall have appropriate access to information concerning the environment that is held by public authorities, including information on hazardous materials and activities in their communities, and the opportunity to participate in decision-making processes. States shall facilitate and encourage public awareness and participation by making information widely available. Effective access to judicial and administrative proceedings, including redress and remedy, shall be provided.“ Abrufbar unter: http:// www.un.org/documents/ga/conf151/aconf15126-1annex1.htm. 997 Vgl. C. Pirotte, Aménagement-Environnement, 2010, S. 22 ff. 998 Vgl. T. Hayward, Constitutional Environmental Rights, 2012, S. 180.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Der AK liegt der Gedanke zugrunde, dass sich umweltrechtliche Grundsätze nur verwirklichen lassen, wenn alle Beteiligten eingebunden werden. Darin liegt ein Paradigmenwechsel des Umweltvölkerrechts, der dem grundlegenden Ansatz der partizipativen Demokratie999 folgt. Gerade durch die Gewährung von Informationsfreiheit, Beteiligungsrechten sowie von Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten zielt die AK auf verstärkte Einbindung der Zivilgesellschaft in umweltbezogene staatliche Entscheidungsprozesse und dient dadurch sowohl dem Umweltschutz als auch der Stärkung des Demokratieprinzips.1000 Zu beachten ist, dass von der AK eine weltweite Signalwirkung in Bezug auf einen effektiven Umweltschutz ausgegangen ist, die auch weitere völkerrechtliche Gesetzeswerke und Protokolle beeinflusst hat.1001 Materiellrechtlich gesehen bezweckt die AK auch den Abbau der restriktiven Anforderungen an die Klagebefugnis der betroffenen Öffentlichkeit sowie die Harmonisierung der Effektivität des Umweltschutzes seitens der Vertragsparteien in Anwendungsbereich der oben erwähnten drei Säulen.1002
IV. Zugang zu Rechtsschutzverfahren im Rahmen der Aarhus-Konvention Der Umweltrechtsschutz spielt offenbar im Rahmen der AK eine bedeutende Rolle. Insbesondere im Bereich der dritten Säule der AK (Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten) regelt die AK unter anderem Rechtsschutzmöglichkeiten für Einzelpersonen und Umweltverbände. Danach sind Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen unabhängigen Stelle in drei Fällen vorgesehen: (1) bei Verweigerung des Informationszugangs, (2) bei Entscheidun999 Vgl. dazu A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 22 ff. 1000 Vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 30. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 103 ff.; A. Fisahn, ZUR 2004, S. 136 ff.; S. Laskowski, ZUR 2010, S. 172; jeweils m.w. N. 1001 Vgl. U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 539 ff.; so ist etwa die Afrikanische Konvention über die Erhaltung der Natur und natürlichen Ressourcen von 2003 (UN/ECE Protocol on Water and Health to the 1992 Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes vom 24.03.1999; Text in: UN Doc. MP.WAT/AC.1/1999/1 – EHCO 020102 P, Conference document EUR (ICP/EHCO 020205/805299, TB 2000 Nr. 48)) ganz offenkundig von der AK inspiriert worden, wenn sie ihren Vertragsstaaten im Hinblick auf ihr Ziel die Erhaltung der Ressourcen Wasser, Land und Boden sowie Flora und Fauna vorschreibt (vgl. Art. XVI der Afrikanischen Konvention über die Erhaltung der Natur und natürlichen Ressourcen von 2003: „(to) adopt legislative and regulatory measures necessary to ensure timely and appropriate [. . .] access of the public to environmental information; . . . participation of the public in decision-making with a potentially significant environmental impact; and . . . access to justice in matters related to protection of environment and natural resources“). Dabei enthält diese Konvention prozedurale Teilhaberechte, deren Formulierung sich stark an die AK anlehnt [s. insb. Art. 5 (1) des oben zitierten Protokolls]. 1002 C. Walter, EuR 2005, S. 321 ff.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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gen, die der Öffentlichkeitsbeteiligung unterliegen, sowie (3) allgemein bei Verstößen gegen umweltrechtliche Vorschriften. Die Rechtsschutzvorschriften, die die dritte Säule der AK betreffen, sind hauptsächlich in Art. 9 AK enthalten.1003 Zunächst bestimmt Art. 9 Abs. 1 AK die Durchsetzung des Anspruchs auf Umweltinformationen nach Art. 4 AK. Das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen (gem. Art. 4 Abs. 1 AK) steht der Öffentlichkeit i. S. v. Art. 2 Abs. 4 AK zu. Gerichtlicher Rechtsschutz wird insofern nach Art. 9 Abs. 1 AK jeder Person gewährt, die der Ansicht ist, dass „ein nach Art. 4 gestellter Antrag auf Informationen nicht beachtet, fälschlicherweise ganz oder teilweise abgelehnt, unzulänglich beantwortet oder auf andere Weise nicht in Übereinstimmung mit dem genannten Artikel bearbeitet worden ist“.
Es handelt sich somit um ein subjektives Recht, das jedermann zusteht, soweit er eine Verletzung seines Informationsanspruches geltend macht.1004 Es ist von Bedeutung in diesem Fall, dass vor dem Hintergrund der effektiven Durchsetzung des Umweltinformationsanspruches ausnahmsweise ein besonderes Interesse für das Rechtsschutzverfahren ebenso wie für den Informationsanspruch (gem. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a AK) nicht erforderlich ist.1005 Wenn somit Art. 4 Abs. 1 AK den Anspruch auf Umweltinformationen uneingeschränkt der gesamten Öffentlichkeit zusteht, muss jede Person diesen Anspruch gerichtlich oder im Rahmen eines anderweitigen Rechtsschutzverfahrens durchsetzen können.1006 Andererseits bestimmt Art. 9 Abs. 2 AK1007 die gerichtliche Prüfung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen,
1003 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus – Aarhus-Hdb., 2010, S. 375 ff.; G. Halama, in: J. Berkemann/ders. (Hrsg.), Hdb. zum Recht der Bauund Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 748, Rn. 274 ff.; P. Fischer-Hüftle/L. Radespiel, in: D. Czybulka (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im europäischen Naturschutzrecht, 2007, S. 197 ff. 1004 Vgl. u. a. S. Almeling, Die Aarhus-Konvention – Auswirkungen auf das deutsche Recht, 2008, S. 35 ff.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 29 ff.; M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff.; K. Brady, EPL 1998, S. 69 ff.; A. Scheidler, UPR 2006, S. 13 ff.; T. Schomerus/ S. Clausen, ZUR 2005, S. 575 ff.; jeweils m.w. N. 1005 S. Almeling, Die Aarhus-Konvention – Auswirkungen auf das deutsche Recht, 2008, S. 38 ff.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 29; jeweils m.w. N. 1006 Ebd. 1007 Art. 9 Abs. 2 AK lautet: „Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, daß Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, (a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ (b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht* einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle ha-
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Handlungen oder Unterlassungen, für die Art. 6 (Öffentlichkeitsbeteiligung) und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Übereinstimmungen dieses Übereinkommens gelten. Diese Klagemöglichkeit wird der „betroffenen Öffentlichkeit“ eingeräumt. Gem. Art. 2 Abs. 4 AK „bedeutet Öffentlichkeit“ eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“.
Was unter dem Begriff „betroffene Öffentlichkeit“ zu verstehen ist, bestimmt Art. 2 Abs. 5 AK: „Betroffene Öffentlichkeit bedeutet die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.“1008
Daraus folgt, dass unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der AK Dritte als Sachwalter des Gemeinwohls auftreten können. Neben dem Individualrechtsschutz besteht die Möglichkeit der altruistischen Wahrnehmung von Belangen des Gemeinwohls, etwa im Rahmen einer altruistischen, umweltrechtlichen Verbandsklage. Damit wird auch für anerkannte Umweltschutzverbände ein solches Interesse an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren vermutet. Sie sind somit ipso jure „betroffene Öffentlichkeit“ im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK.1009 ben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten. Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation*, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können. Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und läßt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.“ 1008 Zum Begriff der „Öffentlichkeit“ und der „betroffenen Öffentlichkeit“ s. u. a. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 237 ff., m.w. N. 1009 Vgl. P. Fischer-Hüftle/L. Radespiel, in: D. Czybulka (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im europäischen Naturschutzrecht, 2007, S. 198 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten),
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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Für die Klagebefugnis der Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit verlangt Art. 9 Abs. 2 und Abs. 1 AK weiter, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit „(a) [. . .] ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ (b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert“.
Zu beachten ist, dass die Formulierung „[. . .] oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert“
aufgrund deutscher Initiative in Art. 9 Abs. 2 und Abs. 1b AK eingefügt wurde.1010 Durch diese Einfügung konnte gerade sichergestellt werden, dass sich an der deutschen Schutznormdoktrin (aufgrund § 42 Abs. 2, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO) nichts ändert.1011 Ergänzend beschreibt Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK, was als ausreichendes Interesse gilt. Dies bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel der AK, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Dies bedeutet, dass zwar das jeweilige nationale Recht bestimmt, was als ausreichendes Recht bzw. als Rechtsverletzung gilt. Jedoch hat der Gesetzgeber hierbei einen begrenzten Gestaltungsspielraum. Denn er muss immerhin mit dem Ziel in Einklang stehen, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen der AK einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren.1012 Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, welche die Voraussetzungen von Art. 2 Nr. 5 AK erfüllt, i. S. v. Art. 9 Abs. 2 und Abs. 1 Buchst. a AK als ausreichend. Derartige Organisationen gelten aber auch als Träger von Rechten, die i. S. v. Art. 9 Abs. 2 und Abs. 1 Buchst. a AK verletzt werden können. Deswegen besteht Einigkeit dahingehend, dass alle nach innerstaatlichem Recht anerkannten Umweltverbände grundsätzlich im Rahmen der AK als
2006, S. 9; T. v. Danwitz, in: Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (Hrsg.), Aarhus-Konvention – Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, Dokumentation zur 27. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 2003, S. 35 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 625. Diese Vorschriften wurden in Art. 1 Abs. 2 UVP-RL bzw. Art. 3 Nr. 17 IE-RL [RL 2010/75/EU (IE-R) v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 06.01.2011), ABl. L 334/17, 17.12.2010. (früher Art. 2 Nr. 14 IVU-RL a. F.)] fast wortgleich übernommen. 1010 Vgl. M. Zschiesche, ZUR 2001, S. 181; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1040 ff. 1011 Vgl. R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1040; F. Ekardt/K. Pöhlmann, NVwZ 2007, S. 532; M. Zschiesche, ZUR 2001, S. 181. 1012 A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 30.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
klagebefugt anzusehen sind.1013 Umstritten ist aber, ob die Klagebefugnisse von Umweltverbänden dahingehend eingeschränkt werden können, dass sie – wie einzelne Bürger auch – nur bestimmte „eigene Rechte“ geltend machen dürfen.1014 Jedenfalls räumt die AK anerkannten Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, eine ausschlaggebende Rolle für die Durchsetzung der Anforderungen von Art. 6 AK ein.1015 Der Anwendungsbereich von Art. 6 AK ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 AK i.V. m. Anhang I der AK. Diese Vorschrift sieht vor, dass die Vertragsparteien eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei Entscheidungen über bestimmte (umweltbezogene) Tätigkeiten vorsehen müssen. Darin sind u. a. Vorhaben aus dem Energiebereich, aus der metallverarbeitenden und chemischen Industrie, bei Abfall- und Abwasserbehandlungsanlagen, Eisenbahn- und Straßenbauvorhaben, Flughäfen, Anlagen zur Intensivhaltung von Schweinen und Geflügel, Hochspannungsfreileitungen, jeweils ab bestimmten Kapazitätsgrenzen, sowie alle Tätigkeiten erfasst, für die nach innerstaatlichem Recht ein UVP-Verfahren vorgesehen ist.1016 Ferner bestimmt Art. 9 Abs. 3 AK, dessen Funktionalität und Potential in der Literatur unterschätzt worden ist,1017 Folgendes: „Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, daß Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern 1013 Vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 30; P. Fischer-Hüftle/L. Radespiel, in: D. Czybulka (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im europäischen Naturschutzrecht, 2007, S. 198 ff.; T. v. Danwitz, in: Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (Hrsg.), Aarhus-Konvention – Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, Dokumentation zur 27. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 2003, S. 35; A. Schmidt/ P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), 2006, S. 12. ff.; mehr dazu s. u. in 1. Teil, 4. Kap., B., IV. ff. 1014 Vgl. dazu z. B. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), 2006, S. 13 ff.; T. v. Danwitz, Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Einführung der Verbandsklage anerkannter Umweltschutzvereine nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/35 EG und der sog. Aarhus-Konvention, Rechtsgutachten, 2005, S. 39 ff.; ausführlich zu dieser Problematik s. u. in 1. Teil, 4. Kap., B., V. ff. 1015 Vgl. u. a. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 104; s. u. 1. Teil, 4. Kap., A., II., 3. 1016 Vgl. A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 281; T. v. Danwitz, in: Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (Hrsg.), Aarhus-Konvention – Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, Dokumentation zur 27. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 2003, S. 31 ff.; M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff. 1017 M. Breuer, DV 2012, S. 187; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 76; C. Walter, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der AarhusKonvention, 2005, S. 29; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, 416 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 244 f.; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1040; A. Epiney, ZUR 2003, S. 180.
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sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.“1018
Art. 9 Abs. 3 AK spricht somit nicht wie Art. 9 Abs. 2 AK von einem Verfahren vor einer „auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle“, sondern schlicht von einem „verwaltungsbehördlichen“ Verfahren.1019 Zu beachten ist, dass Art. 9 Abs. 3 AK eine Auffangklausel bereithält, die den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten nicht nur wegen der Verletzung rein internen europäischen Rechts sichert.1020 Um den Rechtsschutz nicht ausufern zu lassen, schränkt Art. 9 Abs. 3 AK dann jedoch ein: „sofern sie [d. h. die Mitglieder der Öffentlichkeit] etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“.1021 In dieser Hinsicht steht auch Art. 9 Abs. 3 AK unter dem Regelungsvorbehalt des internen Rechts der Vertragsparteien und erfordert daher keine konkrete, prozedurale Ausgestaltung.1022 Art. 9 Abs. 3 AK enthält einen weiten Ausgestaltungsvorbehalt zugunsten des innerstaatlichen Rechts, denn dieses kann ohne weitere explizite Einschränkungen Kriterien für den Zugang der Mitglieder der Öffentlichkeit zu entsprechenden Verfahren vorsehen, welche diese erfüllen müssen.1023 Im Unterschied zu Art. 9 Abs. 2 AK regelt aber Art. 9 Abs. 3 AK nicht den Zugang zu Gerichten für „Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit“, sondern ganz allgemein den Zugang zu Gerichten für „Mitglieder der Öffentlichkeit“.1024 Es sollte aber betont werden, dass hieraus nicht folgt, dass die Vertragsstaaten der AK das Verfahren insgesamt nach Belieben regeln könnten. Der Verweis auf das innerstaatliche Recht bezieht sich lediglich auf die Kriterien, die erfüllt sein müssen, um als Kläger in Umweltangelegenheiten in Betracht zu kommen. Es 1018 Vgl. R. Klinger, EurUP 2014, S. 177 ff.; M. Breuer, DV 2012, S. 201 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410 ff.; E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 657; jeweils m.w. N. 1019 Ebd. 1020 Vgl. SRU, Stellungnahme 2005, S. 10; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 30; M. Breuer, DV 2012, S. 187; mehr dazu in 1. Teil, 4. Kap., B. III. ff. 1021 M. Breuer, DV 2012, S. 188. 1022 Vgl. T. v. Danwitz, in: Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (Hrsg.), Aarhus-Konvention – Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, Dokumentation zur 27. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 2003, S. 35. 1023 A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 30. 1024 Laut Art. 2 Ziff. 4 AK ist unter dem Begriff „Mitglieder der Öffentlichkeit“ Folgendes zu verstehen: „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Verbände, Organisationen oder Gruppen“.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
steht damit aber nicht die Entscheidung, ob überhaupt eine Klagemöglichkeit für bestimmte „Mitglieder der Öffentlichkeit“ geschaffen werden soll, zur freien Disposition der Vertragsstaaten.1025 Dafür sprechen auch der Geist und Inhalt der AK, die (sinneinheitlich) einen verstärkten Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vorsehen.1026 Im Hinblick darauf hat das Compliance Committee der AK geäußert, dass aus Art. 9 Abs. 3 AK folgt, dass die Vertragsparteien der AK ihr internes Recht nicht so ausgestalten dürften, dass alle oder doch zumindest nahezu alle Klagen von Umweltverbänden effektiv ausgeschlossen seien.1027 Art. 9 Abs. 3 AK im Verhältnis zu Art. 9 Abs. 2 AK ist weder Auffangtatbestand noch enthält er unausgesprochen die in Art. 9 Abs. 2 AK verankerten Vorgaben.1028 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 AK: „Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren (. . .).“1029
Kurzgefasst verpflichtet Art. 9 Abs. 3 AK die Mitgliedstaaten, Mitgliedern der Öffentlichkeit, die bestimmte innerstaatliche Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren zu gewähren, damit vorgenommene Handlungen bzw. begangene Unterlassungen, die gegen innerstaatliches Umweltrecht verstoßen, angefochten werden können. Anders als Art. 9 Abs. 2 AK setzt der weiter reichende Art. 9 Abs. 3 AK nicht an der Gewährung der Öffentlichkeitsbeteiligung an.1030 In Bezug auf solche Handlungen und Unterlassungen müssen die Mitgliedstaaten den von der AK vorausgesetzten weiten Zugang zu Überprüfungsverfahren als Regelfall sicherstellen. Ansonsten verstoße
1025 1026
M. Breuer, DV 2012, S. 188; M. Breuer/S. Riegger, EurUP 2014, S. 293 ff. Vgl. M. Scheyli, AVR, 2000, S. 217 ff.; mehr dazu s. u. in 1. Teil, 4. Kap., B.,
IV. ff. 1027 Compliance Committee for the Aarhus Convention, Report ACCC/C/2005/11, 16.06.2006, S. 8, Rn. 35; mehr zu dieser Thematik s. u. in 1. Teil, 4. Kap., B., V., 3., a). 1028 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315; C. Calliess, ZUR 2008, S. 350; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; Anm. dazu S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; D. Krawczyk, ELR 2012, S. 53 ff.; J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 1 ff. 1029 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. 1030 Art. 9 Abs. 3 AK knüpft an Erwägungsgrund 18 AK, nach welchem „die Öffentlichkeit [. . .] Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben soll, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird“, an. Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 30; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1041 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 171 ff. Darüber hinaus folgt aus Nr. 26 Sofia-Guidelines, die die UNECE Working Group als Vorarbeit für die AK vorgelegt hatte, dass die Frage der Klageberechtigung weit auszulegen ist, s. J. Ebbesson/H. Gaugitsch/J. Jendros´ka/S. Stec/F. Marshall, (UNECE), The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2013, S. 206.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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die unterlassene Überprüfung derartiger Handlungen und Unterlassungen gegen Art. 9 Abs. 3.1031 Mit anderen Worten müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle dem Umweltrecht widersprechenden Handlungen und Unterlassungen anfechtbar sein müssen. Trotz der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte der Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 AK ist die Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit bereits in Art. 9 Abs. 2 AK angelegt. Es scheint daher, dass Art. 9 Abs. 3 AK innerhalb des Regelungsgefüges der AK nichts grundsätzlich Neues schafft, sondern den Gedanken von Art. 9 Abs. 2 AK fortsetzt.1032 Darüber hinaus enthalten die Vorschriften von Art. 9 Abs. 4 und 5 AK allgemeine Grundsätze, die für sämtliche Überprüfungsverfahren von Art. 9 Abs. 1–3 AK gleichermaßen gelten. Diese Vorgaben sind dem Ziel verpflichtet, die Effektivität der einzelnen Überprüfungsverfahren sicherzustellen. Gemäß Art. 9 Abs. 4 S. 1 HS 1 AK müssen alle in Art. 9 Abs. 1–3 AK enthaltenen Verfahren angemessenen und effektiven Rechtsschutz gewährleisten und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz. Dabei müssen diese Verfahren fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer ausgestaltet sein (Art. 9 Abs. 4 S. 1 HS 2 AK).1033 Zudem verpflichtet Art. 9 Abs. 5 AK zum Zwecke der Effektivität der vorgesehenen Überprüfungsverfahren die Vertragsparteien dazu, der Öffentlichkeit Informationen über den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Jede Vertragspartei muss daher die Schaffung angemessener Unterstützungsmechanismen prüfen, um Hindernisse finanzieller und anderer Art für den Zugang zu Gerichten zu beseitigen oder zu verringern.1034 Darin wird die Bedeutung von Art. 9 Abs. 3 AK weiter präzisiert.1035 1031 In diese Richtung Compliance Committee for the Aarhus Convention, Bericht und Empfehlungen vom 16.06.2006, ACCC/C/2005/11 – Belgien, Rn. 36; vgl. auch Compliance Committee for the Aarhus Convention, Bericht und Empfehlungen vom 31.03.2006, ACCC/C/2004/08 (Armenien), Rn. 36. Danach hielt das Compliance Committee fest, dass es gegen Art. 9 Abs. 3 AK verstoße, wenn solche Entscheidungen der Nachprüfung entzogen würden, an deren Erlass kraft innerstaatlichen Umweltrechts die Öffentlichkeit zu beteiligen sei; Compliance Committee for the Aarhus Convention, Bericht und Empfehlungen vom 16.06.2006, ACCC/C/2004/06 (Kasachstan), Rn. 26. 1032 Vgl. SRU, Stellungnahme 2005, S. 10; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 30. 1033 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.04.2013, C 260/11, NuR 2013, S. 347 ff.; EuGH, Urt. v. 13.02.2014 – Rs. C 530/11 (Kommission/Vereinigtes Königsreich), curia.europa.eu; A. Epiney, EurUP 2015, S. 47 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 171 ff.; T. Siegel, DÖV 2012, S. 713 ff.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 31; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention – Auswirkungen auf das deutsche Recht, 2008, S. 35 ff.; jeweils m.w. N. 1034 Ebd. 1035 J. Berkemann, ZUR 2015, S. 225.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
V. Umsetzung der Aarhus-Konvention auf europäischer und nationaler Ebene Die erste Säule der AK (Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten) wurde durch die RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 „über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates“ vom 28.01.2003, sog. (UI-RL)1036, in europäisches Recht transferiert. Dabei erfolgte die Umsetzung dieser RL in Deutschland durch das Gesetz zur Neugestaltung des UIG und zur Änderung der Rechtsgrundlagen für den Emissionshandel.1037 Das UIG enthält Bestimmungen teilweise auch im Bereich der dritten Säule der AK. Es regelt den Informationszugang und den diesbezüglichen Rechtsschutz für Bundesbehörden und weitere informationspflichtige Stellen des Bundes. Jede Person hat danach den Anspruch auf freien Zugang zu den Umweltinformationen, über die informationspflichtige Stellen des Bundes verfügen. Der Zugang zu Umweltinformationen bei informationspflichtigen Stellen der Bundesländer wird durch Landesrecht geregelt.1038 Im Hinblick darauf ist besonders zu beachten, dass abweichend von § 29 VwVfG die UIG auch dann einen Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen gewährt, wenn der Anspruchsteller kein besonderes Interesse vorbringen kann (Art. 3 Abs. 1 UI-RL).1039 Der deutsche Gesetzgeber hat bisher dieses Konzept der „informierten Öffentlichkeit“ auch durch die Einführung des sog. Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) des Bundes sowie die entsprechenden Informationsfreiheitsgesetze in elf Bundesländern im Grundsatz auf die gesamte Verwaltungstätigkeit ausgedehnt.1040 1036
ABl. L 41/26, 14.02.2003. Vgl. G. Halama, in: J. Berkemann/ders. (Hrsg.), Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 751, Rn. 283 ff.; C. Schrader, ZUR 2004, S. 130; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 61 ff., m.w. N.; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 274 ff.; A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 10 ff.; J. Schumacher, NRPO 2003, Heft 2, S. 5 ff.; A. Schink, EurUP 2003, S. 27 ff. Vgl. ausführlich zu rechtspolitischen Spielräumen bei der Umsetzung der AK: C. Walter, in: W. Durner/C. Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 7 ff.; J. Ziekow, in: W. Durner/C. Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 39 ff.; W. Durner, in: W. Durner/C. Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 7 ff., S. 64 ff.; A. Scheidler, UPR 2006, S. 13 ff.; T. Schomerus/S. Clausen, ZUR 2005, S. 575 ff. 1038 Vgl. A. Scheidler, UPR 2006, S. 13 ff.; T. Schomerus/S. Clausen, ZUR 2005, S. 575 ff.; C. Schrader, ZUR 2004, S. 130 ff.; ders., ZUR 2005, S. 568 ff. 1039 Vgl. A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2005, S. 191 ff.; V. Rodenhoff, RECIEL 2002, S. 354 ff. 1040 Vgl. W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 47; U. Sittard/M. Ulbrich, JA 2008, S. 205 ff., m.w. N. 1037
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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Dabei hat der europäische Gesetzgeber der zweiten (Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten) und dritten (Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten) Säule der AK durch die RL 2003/35/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.05.2003 „über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/ 61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten“ (sog. ÖB-RL)1041 Rechnung getragen.1042 Das deutsche Recht hat die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Zulassung von umweltbedeutsamen Vorhaben (insbesondere bzgl. Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen) schon vor der AK weitgehend geregelt. Es waren deshalb Anpassungen an die völkerrechtlichen Vorgaben der AK bzw. der ÖB-RL 2003/35/EG erforderlich. Die ÖB-RL 2003/35/EG dient dazu, diese Rechtsvorschriften in Erfüllung der Pflichten aus der AK zu ergänzen und im Rahmen der UVP-RL 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 „über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten“ (UVP-RL)1043 sowie der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.09.1996 „über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ (IVU-RL1044 nunmehr IE-RL1045) den Zugang zu einem gerichtlichen oder anderen Verfahren zu sichern.1046 Was den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten besonders anbelangt, wurden mit Art. 3 Nr. 7 ÖB-RL sowie mit Art. 4 Nr. 4 ÖB-RL die Normen von Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) und von Art. 15a IVU-RL a. F.1047 (nun Art. 25 IE-RL) entsprechend geändert. Dadurch wurde das Recht auf gerichtliche Überprüfung bei allen Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen, für die die Bestimmungen der UVP-RL gelten, statuiert.1048 Art. 11 Abs. 1–4 UVP-RL (früher Art. 10a UVP-RL a. F.) und Art. 25 Abs. 1–4 IE-RL (früher Art. 15a Abs. 1–4 IVU-RL) sind nahezu wortidentisch mit Art. 9 Abs. 2
1041
ABl. Nr. L 156/17 v. 25.06.2003. Vgl. S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 61 ff., m.w. N.; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 274 ff. 1043 ABl. Nr. L 175 v. 05.07.1985, S. 40, geändert durch Richtlinie 97/11/EG, Nr. L 73 v. 14.03.1997, S. 5. 1044 ABl. Nr. L 257 v. 10.10.1996, S. 26. 1045 RL 2010/75/EU (IE-RL) v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 06.01.2011, ABl. L 334/17, 17.12.2010). 1046 Vgl. C. Walter, EuR 2005, S. 303 ff.; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 69 ff. 1047 Später Art. 16 IVU-RL 2008/1/EG, nunmehr Art. 25 RL 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – Neufassung der Industrieemissions-RL 2010/75/EU) ABl. v. 17.12.2010, L 334/17. 1048 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 119. 1042
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
AK und verlangen insoweit von den Mitgliedstaaten die Schaffung entsprechender, neuer Rechtsschutzmöglichkeiten.1049 Die ÖB-RL hat allerdings nicht nur die Klagerechte von Art. 9 Abs. 2 AK in die UVP-RL und die damalige IVU-RL (nunmehr IE-RL) integriert. Sie hat darüber hinaus die Öffentlichkeitbeteiligung im Abfallrecht, bei der Anwendung der Nitrat-RL1050 sowie bei der Erarbeitung von Plänen zur Sicherung der Luftqualität eingeführt. Verbände sind danach in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Vorschriften oder der innerstaatlichen Praxis Teil der Öffentlichkeit. Ähnliches gilt für die strategische Umweltprüfung1051.1052 Wie schon ausgeführt wurde, bleiben bei der Reichweite und der inhaltlichen Ausgestaltung der Verbandsklage dem nationalen Gesetzgeber gewisse Umsetzungsspielräume. Im Hinblick darauf erfolgte die nationale Umsetzung der Vorschriften über die „dritte Säule“ in der ÖB-RL insbesondere in Deutschland mit der Einführung des sog. Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG).1053 Dies geschah allerdings mit deutlicher Zeitverzögerung, da der deutsche Gesetzgeber die Umsetzungsfrist um rund eineinhalb Jahre überschritt. Aus diesem Grund hatte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet 1054, das nach erfolgter Verabschiedung des sog. Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes (ÖBG)1055 sowie des oben genannten UmwRG mit einer Klagerücknahme endete.1056 Bereits hieran lässt sich aber eine gewisse Unwilligkeit des deutschen Gesetzgebers erkennen, den Vorgaben dieser Richtlinienbestimmungen und damit mittelbar auch denen der AK zu entsprechen. Denn in der Tat hat sich der deutsche Gesetzgeber, wie gezeigt werden soll,1057 eher für eine Minimallösung entschieden.1058 1049
Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 175. RL 91/676/EWG des Rates vom 12.12.1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlicher Quelle (ABl. L. 375 v. 31.12.1991, S. 1). 1051 RL 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 v. 21.07.2001, S. 30). 1052 J. Kokott/C. Sobotta, DVBl 2014, S. 136. 1053 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG, BGBl. I, 2006, S. 2816. Zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änd. des Umwelt-RechtsbehelfsG und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21.01.2013 (BGBl. I, S. 95). 1054 EuGH, Urt. v. 27.02.2007, Rs. C-253/06 (Kommission/Deutschland). 1055 BGBl. I, 2006, S. 2819, „Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-RL 2003/35/EG“ vom 09.12.2006; A. Stapelfeldt/ S. Siemko, Komm.JuR 2008, S. 321 ff.; J. Schumacher, UPR 2008, S. 13 ff. 1056 Vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 48. 1057 Ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., A. ff. 1058 M. Breuer, DV 2012, S. 175. 1050
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
227
Im Allgemeinen ist bedauerlich, dass die EU bislang nicht geschafft hat, ausreichende Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung der dritten Säule der AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu treffen.1059 Dies hat sich allerdings insbesondere auf den Bereich der Rechtssicherheit und Rechtseinheit des Umweltrechtsschutzes der Mitgliedstaaten negativ ausgewirkt. Denn wesentliche Gebiete der unionalen Umweltpolitik (etwa Bereiche des Wasserschutzes, des Abfall-, Luftqualitäts-, Lärm- und Naturschutzrechts) erkennen bisher auf EU-Ebene keine gesetzlichen Schutzmaßnahmen bezüglich des Zugangs zu Gerichten an.1060 Erst nach dem Inkrafttreten der AK und unter dem Einfluss ihrer Resonanz hat die Europäische Kommission am 24.10.2003 ein sogenanntes legislatives Paket1061 vorgelegt, das unter anderem den Richtlinienvorschlag über den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten enthielt.1062 Dieser Vorschlag, der ein horizontales Rechtsinstrument einführen wollte, das als grundlegender Wegweiser für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu nationalen Gerichten wirken sollte, konnte aber bisher nicht auf EU-Ebene durchgesetzt werden.1063 1059 Vgl. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 105 ff., S. 151 ff.; M. Breuer, DV 2012, S. 196 ff.; J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 3 ff. m.w. N.; s. auch 3. Teil, 6. Kap., A., V., 3. ff. Insbesondere der Verweis von Art. 9 Abs. 3 AK auf die Mitgliedstaaten zur Schließung der umweltbezogenen Rechtsschutzdefizite auf unionsrechtlicher Ebene ist der EU – völkerrechtlich betrachtet – durch die Sicherstellung, dass anerkannte Mitglieder der „Öffentlichkeit“ (inkl. Umweltverbände) Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen, bislang grundsätzlich verwehrt; s. M. Breuer, DV 2012, S. 196 ff.; J. H. Jans, SSRN papers, 07.05. 2011, S. 3 ff. 1060 Vgl. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 108 ff., S. 151 ff., m.w. N. 1061 Dieses Paket enthielt drei Gesetzgebungsvorschläge, nämlich außer dem im Folgenden dargestellten Richtlinienvorschlag über den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten einen Verordnungsvorschlag über die Anwendung der Bestimmungen der Aarhus-Konventionen auf die EG-Institutionen sowie einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ratifikation der Aarhus-Konvention. Hintergrund der Kommissionsvorschläge waren zum einen die seit vielen Jahren diskutierten Defizite hinsichtlich des Vollzugs des europäischen Umweltrechts in den Mitgliedstaaten. Zum anderen hat sich die Gemeinschaft als Signatar der Aarhus-Konvention verpflichtet, deren Bestimmungen umzusetzen. Diese Verpflichtung verstand dieses legislative Paket in zwei Richtungen. Neben dem Richtlinienvorschlag über den Gerichtszugang, der von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft umzusetzen sein wird, zielt der ebenfalls vorgelegte Verordnungsentwurf darauf, den Gerichtszugang auch auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen.http://europa.eu.int/comm/environment/aarhus/index.htm. 1062 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. v. 24.10. 2003, S. 17 ff. (abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= COM:2003:0624:FIN:DE:PDF); vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff. 1063 M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 107 ff., m.w. N.
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
Andererseits muss angemerkt werden, dass die AK auch für die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union gilt. Hierzu trat am 28.06.2007 die EG-Verordnung Nr. 1367/2006 „über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft“ (Aarhus-VO)1064 in Kraft.1065 Die einzige Maßnahme der EU zur Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK ist bislang somit die oben genannte EG-Verordnung.1066
VI. Fazit Im Laufe der Zeit haben die Theorie und vor allem die deutsche Rechtsprechung schrittweise den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts beim Drittschutz ausgedehnt, so dass auch beeinträchtigte Drittbetroffene im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems möglichst weitgehend geschützt werden können. Ein bedeutender Schritt zur Erweiterung der subjektiven öffentlichen Rechte im Bereich des Umweltschutzes erfolgte durch die Aufgabe des abgegrenzten und individualisierten Personenkreises. Dazu hat auch die Unterscheidung zwischen Allgemeinheit und Nachbarschaft in § 3 Abs. 1 BImSchG beigetragen. Dadurch wurde der Kreis der Drittbetroffenen von der ursprünglich kleinräumigen zu einer großräumigen Nachbarschaft erweitert, was zu einem weit gefassten Nachbarbegriff im Bereich des Umweltschutzes (etwa bei Luftverunreinigungen) geführt hat. So wurde z. B. bei vielfach weiträumigen Emissionen umweltbelastender Störquellen der umweltrechtliche Drittschutz nicht auf die unmittelbar an einem Grundstück angrenzende Nachbarschaft eingeschränkt, sondern er wurde auf alle Personen, die sich ständig oder längerfristig im Einwir-
1064 ABl. EG 2006 Nr. L 264/13; Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.09.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 vom 25.9.2006, S. 13. Vgl. dazu M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. Zu beachten ist, dass die EG-Verordnung Nr. 1049/2001 und ergänzend Art. 4–9 der AK-VO den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten regeln. 1065 Ausführlich dazu s. u. 3. Teil, 6. Kap., A. ff. 1066 Vgl. GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 15.07.2010 (1) in der Rs. C-240/09 (Lesoochranárske zoskupenie VLK gegen Ministerstvo zivotného prostredia Slovenskej republiky), Rn. 76, BeckRS 2010, 90907, m.w. N. zu EuG, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04 P, Slg. 2004, II-2153, Rn. 93 (Região autónoma dos Açores/Rat), in dem es entschieden hat, dass sich die Rechtswirkung der Verordnung Nr. 1367/2006 auf die Gemeinschaftsorgane beschränkt.
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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kungsbereich der Störquelle aufhalten und sich deshalb deren Auswirkungen nicht ohne weiteres entziehen können, ausgedehnt. Auch die Einführung der verfassungsrechtlich gebotenen staatlichen Schutzpflicht hat teilweise zur Erweiterung des umweltbezogenen Drittschutzes beigetragen. Kommt in diesem Rahmen das einfache Recht der Schaffung öffentlicher subjektiver Rechte nicht nach, ist deren Subjektivierung Gebot verfassungskonformer Auslegung. Eine weitere Stufe der Erweiterung der Klagebefugnis auch im Bereich des überindividuellen Umweltschutzes erfolgte durch deren europarechtliche Überformung in Fällen, in denen nationale Rechtsvorschriften der Umsetzung europäischer Richtlinien dienen, die – unabhängig davon, ob das nationale Recht eine subjektivierte Klageposition anerkennt – nach EU-Recht die Einräumung subjektiver Rechte verlangt. Diese Ausweitungstendenzen in der deutschen Rechtsordnung erweisen sich im Ergebnis als unzureichend für die Schaffung eines effektiven Rechtsschutzes überindividueller Umweltrechte. Angesichts der Tatsache, dass es der deutschen Rechtsordnung an Gesetzen fehlt, die auf eine entscheidende objektivrechtliche Ausweitung des Rechtsschutzes abzielen, ist daher – der Sache nach – die Rolle der Rechtsprechung bezüglich einer Ausdehnung der Klagebefugnis im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in ihrer Autoritätsmacht relativ gering. Trotz erheblicher Unterschiede in verschiedenen (objektiv- oder subjektivrechtlichen) nationalen Rechtsschutzsystemen ist in den letzten Jahrzehnten auf internationaler Ebene eine Liberalisierungstendenz des gerichtlichen Zugangs auch im Bereich des überindividuellen Rechtsschutzes zu verzeichnen. Der Blick auf die Situation in den nationalen Rechtsordnungen zeigt deutlich, dass diese „Liberalisierung“ sowohl in Bezug auf die Reichweite der Klagerechte Einzelner als auch auf die Beschwerdelegitimation von Verbänden in Umweltangelegenheiten offenkundig ist. Von Bedeutung ist, dass in vielen Rechtsordnungen die Klagebefugnis der Umweltverbände regelmäßig weiter als die Klagebefugnis von Individuen gestaltet wird. Die Klagebefugnis von anerkannten Umweltverbänden hängt i. d. R. nicht vom Vorliegen eines subjektiven Rechts ab, sondern wird häufig an das Bestehen eines „Interesses“ geknüpft, wobei die Anforderungen im Einzelnen differieren. Zum Zweck eines effektiveren Umweltrechtsschutzes war auch für überindividuelle bzw. kollektive Interessen in zahlreichen europäischen und übrigens auch in US-amerikanischen Rechtsordnungen insbesondere seit den siebziger Jahren eine (allerdings im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltete) umweltrechtliche VK entweder auf gesetzlichem Weg eingeführt oder aber in der (Rechtsprechungs-)Praxis anerkannt worden. Die Einführung einer umweltrechtlichen VK findet durch-
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1. Teil, 1. Kap.: Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht
aus auch in Rechtsordnungen Platz, die ansonsten eher einem subjektivrechtlichen Rechtsschutzsystem verpflichtet sind. Diese Rechtsentwicklungen wirkten als Vorläufer des Abschlusses der sog. Aarhus-Konvention, die am 30.10.2001 in Kraft getreten ist. Es soll betont werden, dass die AK der erste völkerrechtliche Vertrag ist, die jeder Person Rechte im Umweltschutz zum Zweck der Effektivierung des Umweltschutzes zuschreibt. Es handelt sich um ein gemischtes völkerrechtliches Übereinkommen, das den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren sowie den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gewährleistet. Durch die Gewährung von Informationsfreiheit, Beteiligungsrechten sowie von Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten zielt die AK auf verstärkte Einbindung der Zivilgesellschaft in umweltbezogene staatliche Entscheidungsprozesse und dient dadurch sowohl dem Umweltschutz als auch der Stärkung des Demokratieprinzips. Was den Bereich des Rechtsschutzes betrifft, stellt die AK den bislang umfassendsten völkerrechtlichen Versuch dar, den Gerichtszugang für Individualkläger und Verbände in Umweltangelegenheiten zu verbessern. Der Umweltrechtsschutz spielt offenbar eine bedeutende Rolle im Rahmen der AK. Daher regelt die AK im Bereich der sog. dritten Säule (Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten) unter anderem Rechtsschutzmöglichkeiten für Einzelpersonen und Umweltverbände. Maßgebliche Vorschrift dafür ist vor allem Art. 9 AK. Die AK räumt anerkannten Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, eine ausschlaggebende Rolle für die Durchsetzung der Anforderungen der AK ein. Neben dem Individualrechtsschutz besteht im Rahmen der AK die Möglichkeit, die altruistische Wahrnehmung von Belangen des Gemeinwohls durch die Einführung einer altruistischen, umweltschützenden VK zu verwirklichen. Anerkannte Umweltorganisationen sind ohnehin ipso jure „betroffene Öffentlichkeit“ im Rahmen der AK. Im Hinblick darauf ist beachtenswert, dass die AK bestimmt, dass der nationale Gesetzgeber immerhin mit dem Ziel in Einklang stehen muss, der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Rahmen der AK einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt gem. Art. 9 Abs. 2 und Abs. 1 Buchst. a AK das Interesse jeder staatlich anerkannten Organisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt, als ausreichend. Insofern sind alle nach innerstaatlichem Recht anerkannten Umweltverbände im Rahmen der AK als klagebefugt anzusehen. Zu bedauern ist allerdings die Tatsache, dass die EU – im Gegensatz zu den anderen Säulen der AK – es bislang nicht geschafft hat, ausreichende gesetzliche Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung der dritten Säule zu beschließen. Das wirkt offenbar zulasten der Rechtssicherheit und Rechtseinheit des Umweltrechtsschutzes auf nationaler und unionaler Ebene. Vor diesem Hintergrund bleibt insbesondere der Rechtsschutz von überindividuellen Umweltgütern in
G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes
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zentralen Gebieten des unionalen Umweltrechts (etwa Bereiche des Wasserschutzes, des Abfall-, Luftqualitäts-, Lärm- und Naturschutzrechts) ohne effektive gerichtliche Gewährleistung. Der Richtlinienvorschlag vom 24.10.2003 über den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten1067, der sich als grundlegender Wegweiser für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu nationalen Gerichten auswirken sollte, konnte bisher nicht auf EU-Ebene durchgesetzt werden. Die einzige gesetzliche Maßnahme der EU, die allerdings einer knappen Umsetzung der dritten Säule der AK nur auf der Ebene der europäischen Organe und Einrichtungen dient, ist die Aarhus-VO Nr. 1367/2006/EG („über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft“).1068 Vor dem Hintergrund der oben ausgeführten Ausweitungstendenzen der Klagebefugnis von Drittbetroffenen im Bereich des Umweltschutzes und unter dem Einfluss der AK hat schließlich der deutsche Gesetzgeber durch § 61 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchNeuregG)1069 zum ersten Mal auf Bundesebene die sog. naturschützende altruistische Verbandsklage eingeführt. Die Entwicklung, der Inhalt, der Umfang sowie Schwachstellen dieser VK sollen im folgenden Kapitel erörtert werden.
1067 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. v. 24.10. 2003, S. 17 ff. (abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= COM:2003:0624:FIN:DE:PDF; vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff. 1068 Ausführlich dazu s. 3. Teil, 6. Kap., A. ff. 1069 BGBl. I, S. 1193 (v. 25.02.2002).
2. Kapitel
Umweltrechtsschutz durch die altruistische Verbandsklage des Bundesnaturschutzgesetzes A. Allgemeines Die Schaffung des Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu umweltbezogenen Gerichts- und Verwaltungsverfahren ist Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz im Umweltrecht, denn auf diese Weise könnten Vollzugsdefizite insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes von kollektiven Rechten vorgebeugt werden und sie könnten beseitigt werden.1 In diesem Zusammenhang spielt die Tragweite der Klagebefugnis eine entscheidende Rolle für einen effektiven Umweltrechtsschutz. Zum Zwecke der Beseitigung der oben analysierten Schwachstellen des traditionellen deutschen Individualrechtsschutzsystems sowie zur Förderung eines effektiveren Schutzes der umweltbezogenen Allgemeinheitsinteressen, aber auch um die systematischen Unterschiede zwischen individuellem und kollektivem Rechtsschutz zumindest teilweise zu überbrücken, entschied der deutsche Gesetzgeber, allmählich das Rechtsbehelfsmittel der sog. altruistischen naturschützenden Verbandsklage (VK) einzuführen. Im Hinblick darauf soll in diesem Kapitel die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage im deutschen Recht untersucht werden und es sollen ihre Konsequenzen und Perspektiven erläutert werden. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist das Umweltrecht das wohl wichtigste Referenzgebiet für den deutschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.2 Insbesondere im deutschen Verwaltungsrechtsschutzsystem, in dem der Kläger grundsätzlich auf die Durchsetzung seiner subjektiven öffentlichen Rechte beschränkt ist, sind die altruistischen Verbandsklagen für die Durchsetzung des Umweltrechts von erheblicher Bedeutung. Denn, wie schon erwähnt wurde, ist das Umweltrecht in weiten Teilen allein dem Allgemeininteresse an einer intakten Umwelt zu dienen bestimmt und begründet deshalb keine klagefähigen Rechte Einzelner.3
1
R. Sparwasser, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1019 ff. Vgl. M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., 2004, § 8; W. Kahl, JZ 2010, S. 668, S. 718. 3 Vgl. D. Murswiek/L. Ketterer/O. Sauer/H. Wöckel, DV 2011, S. 244. 2
A. Allgemeines
233
Trotz nachhaltiger Forderungen nach der altruistischen VK und mehrerer relevanter Gesetzesvorschläge4 wurde die Einführung der VK auf Bundesebene über lange Zeit verhindert. Nach mehreren Jahrzehnten Geburtswehen5 – nicht jedoch zuletzt bei Umsetzung der Vorgaben der AK6 – wurde durch das Inkrafttreten des neuen BNatSchG am 04.04.20027 die sog. Naturschutzverbandsklage gem. § 61 BNatSchG a. F. schließlich eingeführt. Aufgrund von § 61 BNatSchG a. F. konnten somit Verbände erstmalig bundesweit als Sachwalter der Natur unabhängig von einer subjektiven Rechtsbetroffenheit gegen konkrete Verwaltungsentscheidungen, die die Natur oder Landschaft beeinträchtigen, vorgehen.8 Dies heißt, dass für die Zulässigkeit einer Klagebefugnis gem. § 61 BNatSchG a. F. kein Bestehen von Schutznormen des Natur- und Landschaftsschutzrechts, die subjektive öffentliche Rechte anerkennen, erforderlich war.9 Diese Vorschrift bezweckte somit eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle des Vollzugs der entsprechenden Vorschriften und stellte in Bezug auf das Rechtsschutzsystem der VwGO eine Ausnahme dar. Daher waren ihre rechtstechnischen Begriffe nicht analogiefähig.10 § 61 BNatSchG a. F. eröffnete in Vergleich zur damaligen Rechtslage umfangreichere Klagemöglichkeiten gegen Verwaltungsakte von Bundesbehörden. Damit wurde auch der Weg für die Einführung des UmwRG geebnet. Die naturschützende VK bildet das Kernstück in Bezug auf den Rechtsschutz der kollektiven Rechte der Natur und der Landschaft. Unter dem Begriff der naturschützenden VK versteht man die Befugnis von Umweltschutzorganisationen gegen Verwaltungsakte, deren Unterlassung und 4 Vgl. z. B. einige Gesetzentwürfe von SPD und Die Grünen hinsichtlich der Einfügung der VK in das BNatSchG, Bt-Drs. 10/2653 (SPD), 10/1794 (Die Grünen), 11/ 1153 (Die Grüne), 12/3487 (SPD), 12/4105 (Die Grünen); 13/1930 (SPD) 13/3207 (Die Grünen). Mehr über die Geschichte der politischen Diskussionen sowie gesetzlichen Initiativen für die Einführung der altruistischen VK in B. Philipp, Zeitschrift des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen, 2/2002, S. 8 ff., m.w. N. 5 Mehr zur Entwicklung der altruistischen VK s. u. 1. Teil, B., III ff. 6 Vgl. Gesetzentwurf zum BNatSchG vom 20.06.2001, BT-Drs. 14/6378, S. 27; A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 73 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 98; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1038 ff.; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 299. 7 Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchNeuregG v. 25.02.2002); BGBl. I, S. 1193, das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986), geändert worden ist; Überblicke geben M. Gellermann, NVwZ 2002, S. 1025 ff.; B. Stüer, NuR 2002, S. 708 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff.; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1033 ff.; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 872 ff. 8 Vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 367; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; E. Gassner, NuR 2007, S. 143 ff. 9 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1529. 10 Vgl. S. Schlacke, NuR 2004, S. 629 ff., m.w. N.; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2003, S. 935.
234
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
sonstige behördliche Maßnahmen, welche die Umwelt beeinträchtigen können, die nach der VwGO vorgesehenen Rechtsbehelfe einlegen. Dieses Instrument beruht im Prinzip auf dem Willen des nationalen Gesetzgebers, der die Einholung von externen, nicht einseitig an nutzungsbezogenen, beruflichen oder anderen nicht auf Naturschutz ausgerichteten Interessen orientiertem Sachverstand für eine effektive und effiziente Berücksichtigung von Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege für erforderlich hält.11 Die Einführung der naturschützenden VK des BNatSchG 2002 basierte auf dem erprobten Fundament der landesrechtlichen naturschützenden VK.12 Bis zu der bundesweiten Einführung der altruistischen VK wurde allmählich schon seit Ende der siebziger Jahren in der Mehrheit der Bundesländer eine landesrechtliche naturschützende VK eingeführt. Zugleich wurde die Vereinbarkeit der landesrechtlichen altruistisch-treuhänderischen VK mit Bundesrecht höchstrichterlich geklärt.13 Vorreiter waren dabei die Bundesländer Bremen (1979),14 Hessen (1980),15 Hamburg (1981),16 Berlin (1983)17 und das Saarland (1987)18. Es folgten Brandenburg (1992),19 Sachsen-Anhalt (1992),20 Sachsen (1992),21 Schles-
11 Vgl. BT-Drs. 14/6378, S. 58; J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 652 ff., m.w. N. 12 Vgl. B. Philipp, UfU, 2/2002, S. 4 ff.; J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 29 ff.; Zeitschrift des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen, 2/2002, S. 11, m.w. N. 13 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86 (Berlin), DÖV 1988, S. 560 ff.; J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 488 ff. 14 Vgl. § 44 des Bremischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (BremNatSchG a. F.) vom 17.09.1979 (GBl. 345). Mehr dazu in: J. Bizer/T. Ormond/ U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 60 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 102 ff.; jeweils m.w. N. 15 Vgl. § 36 des Hessischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (HENatSchG a. F.) vom 19.09.1980 (GVBl. I, S. 309). Mehr dazu in: J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 63 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 113 ff.; jeweils m.w. N. 16 Vgl. § 41 des Hamburgischen Naturschutzgesetzes (HmBNatSchG a. F.) vom 02.07.1981 (GVBl. S. 167). Mehr dazu in: J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 75 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 154 ff.; jeweils m.w. N. 17 Vgl. § 39a des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege von Berlin (BerlNatSchG a. F.), i. d. F. vom 03.10.1983 (GVBl. S. 1290). Mehr dazu in: J. Bizer/ T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 78 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 172 ff.; jeweils m.w. N. 18 Vgl. § 33 des Saarländischen Naturschutzgesetzes (SNG a. F.), Gesetz Nr. 1212 zur Änderung des Saarländischen Naturschutzgesetzes, ABl. 1987, 120. Mehr dazu in: J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 80 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 195 ff.; jeweils m.w. N. 19 Vgl. § 65 des Brandenburgischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (BbgNatSchG a. F.) vom 25.06.1992 (GVBl. 1992, Nr. 13, S. 208); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 222 ff., m.w. N.
A. Allgemeines
235
wig-Holstein (1993),22 Thüringen (1993),23 Niedersachsen (1993),24 Rheinland-Pfalz (1994),25 Nordrhein-Westfalen (2000),26 Mecklenburg-Vorpommern (2002)27.28 Eigentlich sollte die naturschützende VK bereits 1976 eingeführt werden. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich aber damals als Kompromiss nur für das „Minus“ der Einführung der Mitwirkungsrechte für anerkannte Naturschutzvereinigungen gem. § 29 BNatSchG 1976.29 Diese Verzögerung des deutschen Gesetzgebers ist auch auf die auf dem subjektiven öffentlichen Recht fußende Klagebefugnis zurückzuführen. Denn vor diesem Hintergrund erschien eine solche Klage auf Überprüfung der Einhaltung des objektiven Rechts als „gravierender Sündenfall“ im Rahmen des deutschen Rechtsschutzsystems.30 Die hier relevanten §§ 58–61 BNatSchG a. F. wurden im Rahmen des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29.07.2009, das am 01.03.2010 in Kraft trat, durch die §§ 63 und 64 BNatSchG 20 Vgl. § 52 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA a. F.) vom 11.02.1992, GVBl. LSA 1992, Nr. 7 S. 108; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 209 ff., m.w. N. 21 § 58 Abs. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege im Freistaat Sachsen (SächsNatSchG a. F.) vom 16.12.1992 (SächsGVBl. 1992, Nr. 37, S. 571); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 253 ff., m.w. N. 22 Vgl. § 51c des Gesetzes zur Änderung des Landesnaturschutzgesetzes (LNatSchG S-H a. F.) vom 16.06.1993 (GVBl. S-H 1993, Nr. 9 S. 215); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 279 ff., m.w. N. 23 Vgl. § 46 des Vorläufigen Thüringer Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (VorlThürNatG a. F.) vom 28.01.1993 (GVBl. Thüringen, 1993, Nr. 4, S. 57); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 272 ff., m.w. N. 24 Vgl. § 60c des zweiten Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes (NNatG a. F.) vom 18.10.1993 (GVBl. Nds., 1993, Nr. 29, S. 444); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 297 ff., m.w. N. 25 Vgl. § 37b des zweiten Änderungsgesetzes des Landespflegegesetzes RheinlandPfalz (LPflG a. F.) vom 14.06.1994 (GVBl. Rheinland-Pfalz 1994, Nr. 15, S. 280); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 331 ff., m.w. N. 26 Vgl. § 12 des Landschaftsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (LG NRW a. F.) vom 09.05.2000 (GVBl. NRW S. 487 ff.); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 346 ff. 27 Vgl. § 65a Abs. 1 Nr. 1 des Naturschutzgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LNatG M-V a. F.) vom 14.05.2002 (GVBl. M-V, 2002, S. 531); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 355 ff., m.w. N. 28 Vgl. im Allgemeinen auch F. Kopp, NuR 1994, S. 77; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff.; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1035. Für die Folge der Erhebung der VK: D. Neumeyer, UPR 1987, S. 328; B. Bender/R. Sparwasser/R. Engel, Umweltrecht, 2000, S. 131 ff. 29 Vgl. BGBl. I, S. 3574, vom 20.12.1976, Inkrafttreten am 01.01.1977; S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm. 2011, Rn. 1. 30 E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/ J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, Rn. 5.
236
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
n. F. ersetzt.31 Auch diese neu gefassten Normen regeln die Mitwirkung und Klage von anerkannten Naturschutzverbänden nach wie vor in groben Zügen.32 Auffallend ist, dass § 64 i.V. m. § 63 BNatSchG n. F. den Anwendungsbereich der Naturschutzverbandsklage auch für Planfeststellungen und Plangenehmigungen auf den Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels ausgedehnt hat.33 Zu beachten ist auch, dass hinsichtlich der Beteiligung bei Befreiungen von Geboten und Verboten nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG n. F. nunmehr die Natura-2000-Gebiete34 ausdrücklich benannt werden. Dadurch soll klargestellt werden, dass sich das Mitwirkungsrecht der Naturschutzverbände auch auf die in die sogenannte Unionsliste aufgenommenen FFH-Gebiete35 und von der Europäischen Kommission benannten Vogelschutzgebiete bezieht, bei denen eine Unterschutzstellung noch nicht erfolgt ist.36 Die anerkannten Naturschutzverbände ha31 Vgl. Gesetz zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29.07.2009. Es wurde am 06.08.2009 im BGBl I, S. 2542 verkündet. Es tritt gem. Art. 27 am 01.03.2010 in Kraft. 32 § 63 BNatSchG n. F. ersetzt §§ 58–60 BNatSchG a. F. 33 Vgl. Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 9, S. 113 ff. (abrufbar unter: https://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/BNatSchG_begr.pdf). 34 Bundesweit wurden bei einer im Durchschnitt nur etwa ein Viertel so hohen Einwohnerdichte 5.266 FFH- und Vogelschutzgebiete (15,4% der terrestrischen und ca. 45%, d. h. ca. 25.000 km2 der marinen Fläche Deutschlands) ausgewiesen und EU-weit mit einer durchschnittlich sogar nur ein Achtel betragenden Einwohnerdichte ca. 25.000 FFH- und Vogelschutzgebiete (18% der Landfläche aller Mitgliedstaaten). Vgl. European Commission, Annual Environment Policy Review, Monitoring Member States’ Policy Developments on Resource-Efficiency/Environment in Europe 2020, Germany, Country Profile 2010, edit. 2013, S. 4. Demgegenüber wurden in Griechenland ca. 27% der terrestrischen Flächen (deutlich über dem europaweiten Durchschnitt) und ca. 7.500 km2 der marinen Flächen als Natura 2000 Gebiete ausgewiesen. Vgl. European Commission, Annual Environment Policy Review, Monitoring Member States’ Policy Developments on Resource-Efficiency/Environment in Europe 2020, Greece, Country Profile 2010, edit. 2013, S. 4. 35 BT-Drs. 16/12274, S. 75. Das entspricht der bisherigen Auffassung eines Teils der Rechtsprechung, etwa: OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.11.2006, M 311/06, ZUR 2007, S. 247 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.01.2007 – 2 M 358/06, ZUR 2007, S. 246 ff.; a. A. VG Hamburg, Urt. v. 01.12.2003 – 19 K 2474/2003, NordÖR 2004, S. 161 ff. Hinsichtlich der Liste der Gebiete von unionsrechtlicher Bedeutung ist diese Regelung leicht zu handhaben. Wie die Kommission allerdings die Vogelschutzgebiete „benennt“, ist nicht deutlich und kann auch der Begründung nicht entnommen werden. S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchGKomm. 2011, Rn. 24, m.w. N. 36 BT-Drs. 16/12274, S. 75. Es handelt sich um die sog. faktischen FFH- und Vogelschutzgebiete, womit die Judikatur den behördlichen Versuch, verfahrensrechtliche Anforderungen des Gemeinschaftsrechts zu umgehen, materiell- und prozessualrechtlich zu sanktionieren versuchte. Ob eine Ausweisung als Vogelschutzgebiet aus sachfremden Erwägungen unterblieben ist, ist somit gerichtlich voll überprüfbar. Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, Fn. 71, NVwZ 1998, S. 961 ff. s. u. a. BVerwG, Urt. v. 14.11. 2002 – 4 A 15/02, NVwZ 2003, S. 487 ff.; BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – 4 C 2/03,
A. Allgemeines
237
ben nun wieder einmal einen neuen Namen. Nachdem sie im Rahmen des ursprünglichen BNatSchG 1976 „Vereine“ hießen und im Rahmen des BNatSchG 2002 als „Verbände“ genannt werden, werden sie nunmehr mit der neuen Fassung des BNatSchG 2009 als „Naturschutzvereinigungen“ bezeichnet. Inhaltliche Änderungen gehen damit aber nicht einher.37 Es ist daher im Prinzip unbedeutend, ob die Nichtregierungsorganisationen (entweder innerhalb des BNatSchG oder des UmwRG) in diesem Werk als „Vereinigung“ oder als „Verband“ bezeichnet werden. Die Mitwirkungsrechte der Naturschutzvereinigungen finden sich in § 63 BNatSchG n. F., während die Voraussetzungen der naturschützenden VK in § 64 BNatSchG n. F. bestimmt sind. Insbesondere ist nach § 63 Abs. 1 BNatSchG n. F. den vom Bund anerkannten Naturschutzvereinigungen in den in § 63 Abs. 1 Nr. 1–4 BNatSchG n. F. genannten Fällen Gelegenheit zur Stellungnahme und Einsicht in die Sachverständigengutachten zu geben. Gleiches gilt nach § 63 Abs. 2 BNatSchG n. F. für seitens der Länder anerkannte Naturschutzvereinigungen in den Fällen von Nr. 1–8.38 Die §§ 63, 64 BNatSchG n. F. tragen einigermaßen zur sprachlichen Vereinfachung sowie inhaltlichen Klarstellung und Ergänzung der Klagemöglichkeiten der Naturschutzvereinigungen gem. § 61 BNatSchG n. F. bei.39 Dabei wird mit diesen Verbandsklagevorschriften der Anwendungsbereich der altruistischen VK des BNatSchG teilweise ausgedehnt.40 Zudem wird mit der neuen Fassung des BNatSchG die frühere Regelung der Anerkennung als Naturschutzvereinigung auf Bundesebene durch einen Verweis in § 63 Abs. 1 und 2 BNatSchG n. F. auf § 3 UmwRG ersetzt.41 Dies zeigt die enge Verbindung beider Gesetze.42 NVwZ 2004, S. 1114 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 27.9.2001 – 1 B 10290/01, NVwZ-RR 2002, S. 420 ff.; OVG Münster, Urt. v. 02.02.2005 – 11 D 68/02 AK.; VG Dresden, Urt. v. 30.10.2008, 3 K 923/04, Rn. 100, juris; S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/ H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm. 2011, Rn. 24, m.w. N.; zur Problematik des Rechtsschutzes hinsichtlich der FFH-Gebietsfestsetzungen vgl. W. Kahl/K.-F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 ff.; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 156 ff., m.w. N. 37 Vgl. H. W. Louis, NuR 2010, S. 88. 38 Vgl. H. W. Louis, NuR 2010, S. 88. 39 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 9, S. 113 ff.; abrufbar unter: https://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/bnatschg_begr.pdf. 40 Vgl. Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 9, S. 113 ff.; s. u. a. S. Heselhaus, §§ 63, 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchGKomm. 2011; J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 652 ff.; A. Leppin, §§ 63, 64 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2011; H. W. Louis, NuR 2010, S. 88; jeweils m.w. N. 41 S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm. 2011, Rn. 2, 58.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
B. Formen der Verbandsklage Um die Entwicklung der VK besser zu verstehen, ist es sinnvoll, zunächst den Begriff sowie die Formen der VK zu erklären. Es ist daher zwischen der sog. verbandsverletzten, egoistischen und altruistischen VK zu unterscheiden.
I. Verbandsverletzte Verbandsklage – Die Problematik der Sperrgrundstücksklage Bei der Verbandsverletzten- oder Adressatenverbandsklage ist es Vereinen i. S. v. § 2 Abs. 1 VereinsG43 unter denselben Voraussetzungen wie Individuen möglich, gegen an sie gerichtete Verwaltungsakte zu klagen oder ihnen selbst zukommende Rechte zu erstreiten oder deren Verletzung zu rügen.44 Mit anderen Worten wird unter einer Verbandsverletztenklage die Konstellation verstanden, dass der Verband eigene Rechte einklagen kann.45 Dadurch können Verbände z. B. gegen eine Verbandsauflösung oder gegen die Beeinträchtigung von Grundeigentum vorgehen. Für das Umweltrecht spielt aber diese Klageform nur eine untergeordnete Rolle, da sie Verbänden nicht unmittelbar die Wahrnehmung von überindividuellen Umweltbelangen ermöglicht.46 Beachtenswert ist, dass sich die Umweltverbände diese Klageform durch die sog. „Sperrgrundstücksklage“ zunutze gemacht haben, indem sie anstrebten, durch den Erwerb von Grundstücken in der Nähe eines geplanten Vorhabens eine „Nachbareigenschaft“ herzustellen. Die Rechtsprechung hielt früher Klagen auf der Grundlage von „Sperrgrundstücken“ für zulässig. Laut dieser Auffassung sei es nicht erheblich, aus welchen Gründen ein Kläger sein Eigentum erwerbe, wenn er sich gegen eine Planung wende. Der Eigentumsschutz werde nicht dadurch gemindert, dass mit ihm gleichgerichtete Umweltschutzinteressen verfolgt würden.47 Insofern stellte die Rechtsprechung damals ausdrücklich fest, dass das ge42 Zum Verhältnis zwischen der naturschützenden VK des BNatSchG und des UmwRG s. u. in 1. Teil, 3. Kap., B., II., 2. 43 Verein ist nach § 2 Abs. 1 VereinsG ohne Rücksicht auf die Rechtsform jeder Verband, zu dem sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und dem sich diese einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Vgl. H. Faber, 1972, S. 9 ff.; W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 213. 44 Vgl. R. Hauber, VR 1991, S. 317; J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 21; L. Harrings, NVwZ 1997, S. 539; S. Schlacke, Verbandsklagerechte in Umwelt- und Verbraucherangelegenheiten in Deutschland, in: J. Falke/dies. (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz, 2003, S. 133 ff. 45 Vgl. J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 485, m.w. N. 46 Vgl. J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 491; S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 27. 47 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.1985 – 4 C 40/83, BVerwGE 72, S. 15; BVerwG, Urt. v. 10.04.1997 – 4 C 5/96, NVwZ 1998, S. 508 ff.
B. Formen der Verbandsklage
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meinsame Ziel von zwei Vertragspartnern, unter anderem ein Grundstück für Zwecke des Naturschutzes zu erhalten, „auch das Mittel der Eigentumsübertragung an eine Institution“ rechtfertige, „die in besonderer Weise befähigt ist, das [. . .] Anliegen auch prozessual mit Nachdruck zu vertreten“. Ebenso wurde es als unschädlich angesehen, wenn der Verband das Grundstück selbst nicht wirtschaftlich nutzen wollte.48 Später hat aber das BVerwG die Ansicht vertreten, dass eine auf das Eigentum an einem Grundstück gestützte Klagebefugnis fehlt, wenn das Eigentum nicht erworben worden ist, um die mit ihm verbundene Gebrauchsmöglichkeit zu nutzen, sondern es als Mittel dazu dient, die formalen Voraussetzungen für eine andernfalls nicht mögliche Prozessführung zu schaffen, die nach der Rechtsprechung dem Eigentümer vorbehalten ist. Insofern sei es nicht schutzwürdig, wenn die Eigentümerstellung rechtsmissbräuchlich begründet worden ist.49 Letztere Ansicht ist aber nicht zu teilen. Zwar können in der Tat Verbände, denen es gelingt, entsprechendes Eigentum zu erwerben, die volle gerichtliche Kontrolle einer Planung auch im Hinblick auf das Umweltrecht erwirken. Sie erwirken diese aber nicht als Verband, sondern als Eigentümer. Es gibt dann aber keinen Grund, sie als solche schlechter zu stellen als andere Eigentümer, nur weil sie ihren Eigentumsgebrauch von einem Idealanliegen her bestimmen. Insofern scheint eine solche Konzeption m. E. nicht sachgerecht zu sein. Darüber hinaus wird dadurch das Eigentumsrecht verfassungswidrig entformalisiert. Denn die oben vertretene Auffassung unterscheidet zwischen einem schützenswerten und einem nicht schützenswerten Eigentumserwerb und stellt hierbei auf einen be48 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.1985 – 4 C 40/83, NVwZ 1985, S. 736; J. Massing, NVwZ 2002, S. 812 ff., m.w. N.; dagegen: OVG Münster, Urt. v. 22.01.1990 – 20 A 650/88, UPR 1990, S. 391 ff., m.w. N.; diese Rechtsprechung lehnte in entsprechenden Fällen die Klagebefugnis der Verbände wegen Rechtsmissbrauch ab, soweit das Eigentum allein zum Zwecke der Prozessführung erworben wurde. 49 Vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 10/99, NVwZ 2001 S. 427 ff. Für die rechtsmissbräuchliche Begründung einer Eigentumerstellung könnte es sprechen, „wenn dem betreffenden Kläger auf Grund der vertraglichen Gestaltung lediglich eine Rechtsstellung übertragen worden ist, die auf eine formale Hülle ohne substanziellen Inhalt hinausläuft. Ferner ist von Bedeutung, ob sich an der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks etwas geändert hat und ob für die Eigentumsübertragung ein wirtschaftlicher Gegenwert geflossen ist.“ Diese Voraussetzungen und Umstände sieht letztlich das BVerwG etwa in seinem Urteil (BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, Rn. 42 ff., NVwZ 2009, S. 302 ff.; Anm. F. Hufen, JuS 2009, S. 754.) bezüglich des Baus der Autobahn-Nordumgehung von Bad Oeynhausen (A 30) als nicht gegeben an. Die in Frage gestellte Eigentümerstellung an dem bestrittenen Grundstück stelle sich nicht als lediglich formale Hülle dar, denn der Verband hatte in diesem Fall das Grundstück deshalb erworben, um es als Streuobstwiese zu erhalten. A. Leppin, § 64 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 56, m.w. N. Vor diesem Hintergrund sei es dem Kläger nicht verwehrt, auch formal volles Eigentum an dem Grundstück zu erwerben und sich damit eine maximale Rechtsstellung zu sichern, um das Grundstück zukünftig nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
stimmten Eigentumsgebrauch ab. Prozessuale Rechte seien somit nur zur Realisierung eines Gebrauchsnutzens des Eigentums eingeräumt. Eine solche rechtliche Unterscheidung ist aber künstlich und mit dem grundrechtlichen Schutz der Erwerbsfreiheit nicht vereinbar. Denn gerade die Erwerbsfreiheit i.V. m. dem Eigentumsgrundrecht könnte nicht nur in formalisierten Grenzen in Zusammenhang mit der Betrachtung von Art und Motiven des Freiheitsgebrauchs geschützt werden.50 Diese Ansicht eines Teils der Rechtsprechung des BVerwG51 führt daher in der Praxis zu erheblicher Rechtsunsicherheit sowie zu einer Delegitimation der Naturschutzverbände als Eigentümer.In die Kategorie der Verletztenverbandsklagen sind auch die Fälle einzuordnen, in denen ein Naturschutzverband eine Klage wegen Verletzung eines formellen Beteiligungsrechts, z. B. wegen Verletzung seiner Äußerungsrechte, erhebt (verfahrensrechtliche Verbandsklagen).52 Zu der Verletztenverbandsklage gehört auch die Partizipationserzwingungsklage (z. B. gem. § 58 BNatSchG), bei der der Verband eine Verletzung des subjektiven öffentlichen Rechts auf Beteiligung am Verfahren rügen kann,53 sowie die Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss.54
1. Egoistische Verbandsklage Die egoistische VK beschreibt den Fall, dass der Verband die subjektiven Rechte seiner Mitglieder im eigenen Namen geltend macht.55 Eine solche Klage ist in der deutschen Vewraltungsgerichtsordnung grundsätzlich nicht vorgesehen, denn aufgrund des Erfordernisses der Verletzung in eigenen Rechten nach § 42 Abs. 2 VwGO kennt das deutsche Verwaltungsprozessrecht kein allgemeines Prozessführungsrecht von Verbänden zur Wahrnehmung der Rechte ihrer Mitglieder im eigenen Namen.56 Die Möglichkeit einer egoistischen VK kann nicht aus Art. 9 GG hergeleitet werden.57 50
Vgl. J. Massing, NVwZ 2002, S. 812 ff., m.w. N. Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.1985 – 4 C 40/83, NVwZ 1985, S. 736; BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, Rn. 42 ff., NVwZ 2009, S. 302 ff.; Anm. F. Hufen, JuS 2009, S. 754. 52 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 21 ff.; L. Harrings, NVwZ 1997, S. 539 ff. 53 Vgl. A. Herbert, NuR 1994, S. 218; BVerwG, Urt. v. 27.07.1990, NVwZ 1991, S. 62 ff. 54 Vgl. U. Battis/N. Weber, JuS 1992, S. 1012. 55 Vgl. J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 485 ff., m.w. N. 56 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.02.1980 – 3 B 1.80, DÖV 1980, S. 649 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.07.1977 – IV C 51/75, NJW 1978, S. 554 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 19.01. 1977 – X 1408/76, DVBl 1977, S. 345; VGH München, Zwischenurt. v. 09.04.1979 – Nr. 167 VI/77 (nicht rechtskräftig), DVBl 1979, S. 673; OVG Koblenz, Urt. v. 03.06. 1986 – 7 A II 2/85, UPR 1986, S. 396; was dem Individuum verboten ist, wird nicht 51
B. Formen der Verbandsklage
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2. Altruistische Verbandsklage Die altruistische oder treuhänderische VK macht auf der anderen Seite die anerkannte Vereinigung zum Sprecher der Allgemeinheit.58 Unter einer altruistischen VK versteht man die Befugnis von Umweltvereinigungen, ohne die Geltendmachung einer Verletzung eigener Mitwirkungsrechte oder materieller Rechtspositionen, die Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu rügen, die allein öffentlichen Interessen, nicht aber auch Individualinteressen dienen.59 Die altruistische VK führt somit zu einer Subjektivierung des öffentlichen Interesses.60 Sie spielt daher eine zentrale Rolle hinsichtlich des Rechtsschutzes von umweltbezogenen überindividuellen Rechten und Interessen. Die Besonderheit dieser Fallgruppe liegt darin, dass nicht so sehr Rechte und Interessen der Verbandsangehörigen im Vordergrund stehen. Weder wird die Aufhebung sie beschwerender noch der Erlass sie begünstigender Verfügungen erstrebt. Weder will die Vereinigung Eingriffen der Exekutive in die Rechte seiner Mitglieder vorbeugen noch deren Konkurrenten überwältigen. Freilich kommt ein Prozesserfolg auch den Mitgliedern zugute. Man kann dahingehend auch formulieren, dass die Vereinigung für die Gesamtheit seiner Angehörigen streitet und somit Allgemeininteressen wahrnimmt. Insbesondere geht der Umweltschutz die Allgemeinheit nicht weniger an als den klagenden Verband und seine Mitglieder.61 Zentraler Zweck der altruistischen VK ist die Behebung des Implementationsund Vollzugsdefizits im Umweltrecht.62 Zu betonen ist auch, dass die altruistische VK nicht mit der Popularklage gleichzustellen ist. Denn vor allem die al-
dadurch zulässig, dass es kollektiv begangen wird: L. Harrings, NVwZ 1997, S. 538 ff.; T. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 22; E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 157 ff.; G. Hammer, GewArch 1978, S. 14; S. PerniceWarnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 29 ff., m.w. N. 57 S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 29 ff., m.w. N. Im Zivilrecht kann allerdings ein Verband im eigenen Namen, aber im Interesse seiner Mitglieder eine Klage erheben. Eine derartige gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn die Verbandsmitglieder durch Satzungsbestimmung oder Einzelermächtigung ihre Prozessführung auf den Verband übertragen haben. Zu ihnen zählt etwa die kollektive Klagebefugnis der Koalitionen, abgeleitet aus Art. 9 Abs. 3 GG, die der Durchsetzung kollektiver Mitgliedsinteressen dient. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 13, m.w. N. 58 W. Skouris, Jus 1982, S. 102 ff. 59 J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 485, m.w. N.; B. Bender/R. Sparwasser/R. Engel, Umweltrecht, 1995, S. 190, Rn. 257. 60 BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/83, NVwZ 1988, S. 527; L. Harrings, NVwZ 1997, S. 539. 61 W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 219 ff. 62 E. Rehbinder, HdUR 1994, Rn. 2560 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
truistische VK kann nicht von jeder Person oder von jedem Zusammenschluss von Personen gegen jede Vorschrift erhoben werden, sondern nur von den gesetzlich anerkannten Verbänden gegen bestimmte Vorschriften,63 wie im Folgenden gezeigt werden soll.64
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage im deutschen Recht vor der Einführung des neuen BNatSchG Gerade die langjährige Entwicklung der altruistischen VK im deutschen Recht vor der Einführung des neuen BNatSchG zeigt, wie schwer es war, dieses Rechtsinstrument auf Bundesebene einzuführen. Die rechtspolitischen Auseinandersetzungen enthüllen eindeutig die Facetten dieser Rechtsproblematik.
I. Staatsrechtliche und rechtspolitische Auseinandersetzungen hinsichtlich der Einführung der altruistischen Verbandsklage Ein demokratisches Verwaltungsrecht kann der Durchsetzungsschwäche objektiver Interessen nicht tatenlos zusehen. Ein Verwaltungsrecht, das den Rechtsschutz gesetzlicher Belange auch als demokratische Forderung65 begreift, könnte letztlich verdeutlichen, dass subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.66 Schon im Jahr 1967 geht die Einführung der altruistischen VK auf eine Forderung des Bundesrats zurück und ist seit ihrer Befürwortung durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen (1974) zu einem Dauerthema rechtspolitischer Kontroversen im Umweltschutz geworden. Seit Anfang der 70er Jahre werden Argumente für und gegen die altruistische VK im Umweltrecht bzw. im Atomrecht ausgetauscht. Zu erwähnen sind insbesondere wissenschaftliche Begründungsversuche für ein Klagerecht der Verbände in der Bundesrepublik wie eine Studie von E. Rehbinder/H.-G. Burgbacher/R. Knieper67, mit denen spannende Diskussionen um die Notwendigkeit erweiterter Rechtsschutzmöglichkeiten im Umweltrecht begannen.
63 Vgl. E. Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft, 1984, S. 21 ff., S. 34 ff.; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 81. 64 s. u. 1. Teil, 2. Kap., D., II. ff.; 1. Teil, 3. Kap., B. ff. 65 Vgl. B. Wegener, HFR 2000, Beitrag 3, S. 1 ff. 66 Vgl. C. Franzius, NuR 2009, S. 387. 67 Vgl. E. Rehbinder/H.-G. Burgbacher/R. Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, 1972.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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Im Anschluss daran hat B. Bender einen kompletten Entwurf für ein eigenständiges Verbandsklagegesetz vorgelegt.68 Darüber hinaus hat sich der 52. Deutsche Juristentag (1978)69 sowie der 54. (1982)70 und vor allem der 56. (1986) Deutsche Juristentag71 mit dieser Problematik beschäftigt. Inzwischen hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 24.11.1980 die Einführung einer VK für anerkannte Verbände im Naturschutz gefordert.72 Es wird die Auffassung vertreten, dass die durch die Einführung der altruistischen VK erzielte Streuwirkung und Warnfunktion einzelner Entscheidungen die Effektivität des Umweltschutzes steigern.73 1. Bedenken gegen die altruistische Verbandsklage Von den politischen und juristischen Opponenten der VK wurde eine Vielzahl von Argumenten, etwa verfassungs- und rechtspolitische Einwände sowie praktische Erwägungen, gegenüber der Einführung der umweltrechtlichen altruistischen VK vorgebracht.74 In diesem Rahmen wurde insbesondere unter Hinweis auf die für das deutsche Rechtssystem in der Tat grundlegende Unterscheidung von Staat und Gesellschaft75 sowie die staatliche Verantwortung für das Gemeinwohl mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG und die Regelung der Klagebefugnis in § 42 Abs. 2 VwGO betont, dass Private die Gerichte nur zur Verteidigung subjektiver Rechte anrufen können. Art. 19 Abs. 4 GG stehe somit als Kernstück des Individualrechtsschutzsystems des deutschen Rechts i.V. m. § 42 Abs. 2 VwGO jeder objektiven Beanstandungsklage entgegen. Insofern widerspreche die Einführung der VK dem deutschen Individualrechtsschutzsystem und führe somit zu einem verfassungswidrigen Bruch mit dem am individuellen Rechtsschutz ausgerichteten System der Verwaltungsgerichtsbarkeit.76 68
B. Bender, DVBl 1977, S. 169 ff. C.-H. Ule/H.-W. Laubinger, Gutachten, Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentages, 1978, Bd. 1, Teil B. 70 F. Kopp, Gutachten, Verhandlungen des 54. Deutschen Juristentages, 1982, Bd. 1, Teil B, S. 62 ff. 71 Vgl. P. Marburger, Gutachten, Verhandlungen des 56. deutschen Juristentages, 1986, Bd. I, Teil C. 72 Vgl. L. Jasper, MDR 1985, S. 639. 73 Vgl. E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 160 ff.; L. Jasper, MDR 1985, S. 639. 74 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 55 ff.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4 ff.; F. Knöpfle, DVBl 1974, 715; E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtbarkeit, VVDStRL 1976, S. 221 ff.; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff.; O. Schlichter, GewArch 1978, S. 312 ff.; ders., UPR 1982, S. 209 ff. 75 Vgl. C. Möllers, Staat als Argument, 2000, S. 228 ff., m.w. N. 76 Vgl. F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 82 ff.; G. Hammer, GewArch 1978, S. 14; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4 ff.; R. Hauber, VR 1991, S. 316. 69
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Außerdem haben die Gerichte die Aufgabe, den Streitfall zwischen Bürgern oder zwischen Bürger und Staat zu lösen. Sie haben aber nicht die Aufgabe der objektiven Rechtskontrolle. „Will man den Gerichten diese Aufgabe zumessen, dann haben sie sich nicht nur mit Umweltschutzfragen zu befassen, sondern mit vielen anderen Bereichen, in denen es genauso Vollzugsdefizite gibt oder geben kann.“
Dies würde letztlich zu einer erheblichen Umstrukturierung des traditionellen deutschen Rechtsschutzsystems sowie der deutschen Gerichtsbarkeit führen.77 Eigentlich sprenge die naturschutzrechtliche VK diese „Formtypik“ und führe damit zu einer „Privatisierung des Gemeinwohls“. Denn der „rechtsstaatliche Rubikon“ sei überschritten, wenn Entscheidungen der als Sachwalterin des Gemeinwohls fungierenden Verwaltungsbehörde mit der Begründung angegriffen werden könnten, dass sie nicht mit dem Gemeinwohl übereinstimmen. Indem die altruistische VK private Verbände mit einem Klagerecht ausstatte, träten diese nunmehr als konkurrierende Sachwalter des Gemeinwohls auf. Hinzu komme, dass die VK als eine Art „objektives“ Kontrollverfahren eine als nicht gering zu veranschlagende zusätzliche Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit sich bringe.78 Die oben dargestellte Auffassung ist aber verfassungsrechtlich nicht haltbar, denn Art. 19 Abs. 4 GG enthält vielmehr einen Mindeststandard an Rechtsschutz für den Einzelnen, der nicht unterschritten oder gefährdet werden darf.79 Nicht ausgeschlossen ist demnach weitergehende Rechtsgewährung, auch durch den Landesgesetzgeber.80 Allerdings darf eine dem System fremde Klageart nur als Ausnahme eingeführt werden.81 Insofern ist die altruistische VK als Ausnahme vom Individualrechtsschutz außerhalb des Regelungsbereichs von Art. 19 Abs. 4 GG angesiedelt und setzt daher eine besondere gesetzliche Zulassung voraus.82 77 K. Redeker, Beitrag zum Thema: Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht?, Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentages, 1978, Bd. II (Sitzungsberichte), K 146 (K 145 ff.). 78 Vgl. C. Calliess, NJW 2003, S. 100, m.w. N.; K. Redeker, ZRP 1976; J. Ipsen, NdsVBl 1999, S. 227 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 1998, S. 522. 79 Vgl. K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 79 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GGKomm., 2001, Rn. 14. 80 Vgl. U. Battis/U. Dünnebacke, JuS,1990, S. 90; C.-L. Lässig, NVwZ 1989, S. 97 ff. 81 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 86; B. Bender/R. Sparwasser, Umweltrecht, 1990, S. 404 ff.; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 79 ff. 82 Dementsprechend ist gem. § 42 Abs. 2 VwGO die Verletzung eigener subjektiver Rechte als Sachurteilsvoraussetzung nur insoweit eine definitive Zulässigkeitsschwelle, als „gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 7. Aufl., 2002, Rn. 37 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 101 ff.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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Es war auch bedenklich, dass sich das flächendeckende und auf Dauer angelegte sachverständige Engagement der anerkannten Verbände, welches von demjenigen der spontan gegründeten Bürgerinitiativen zu unterscheiden ist,83 sich nicht auf die Verfolgung materieller Partikularinteressen, sondern auf den Schutz von Kollektivgütern bzw. überindividuellen Interessen richtet.84 Darüber hinaus wurde das Argument vorgebracht, dass die altruistische VK dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) sowie dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG) entgegensteht und daher auch das Prinzip der Bundesgarantie der Landesverfassungen (Art. 28 Abs. 1 GG) verletzt, denn die Verbände verfügen letztlich über keine auf das Parlament rückführbare demokratische Legitimation.85 Die Einführung einer altruistischen VK führe auch zu einem weiteren verfassungswidrigen Bruch mit dem am individuellen Rechtsschutz ausgerichteten System der Verwaltungsgerichtsbarkeit.86 Die Vertreter dieser Auffassung befürchten vor allem, dass eine objektive Rechtskontrolle durch die Gerichte die Kompetenzen von Verwaltung und Parlament schwächt und die Justiz in einen „Ersatzgesetzgeber“ verwandelt.87 Insofern darf das Recht, sich für die Entwicklung des Gemeinwesens zu interessieren und auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen, nach dem dem Demokratieprinzip innewohnenden Postulat der Gleichheit aller Staatsbürger durch staatliche Maßnahmen weder mono- noch oligopolisiert werden. Mit dem Demokratieprinzip ist somit – wie es M. Sachs formuliert – jede Regelung „unvereinbar [. . .], die einer Bevölkerungsgruppe gesteigerten Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt zwecks Verfolgung von Gemeinwohlbelangen einräumt.“ 88 Das sollte daher auch für die Regelung einer naturschützenden altruistischen VK gelten. Anschließend daran wurde die Ansicht vertreten, dass durch die Einführung der altruistischen VK eine gesetzeswidrige Form der Popularklage zugelassen werden könnte.89 Schließlich überlaste eine mögliche VK unzumutbar die Ver83 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88, NVwZ 1991 S. 162; R. Wolf, ZUR 1994, S. 4. 84 H.-J. Keller, BayVBl 1981, S. 682 ff.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 35 ff. 85 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff.; W. Skouris, NVwZ 1982, S. 233 ff. 86 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff. 87 Vgl. K. Redeker, ZRP 1976, S. 165; R. Breuer, NJW 1978, S. 1563; W. Valendar, UPR 2008, S. 2 ff. 88 Vgl. M. Sachs, Art. 20 GG in: M. Sachs, GG-Komm., 2007, Rn. 19, m.w. N.; B. Wegener, HFR 2000, S. 4. 89 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4 ff., K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
waltungsgerichte,90 denn sie führe zu einer Fülle von dubiosen Vereinsgründungen und ermögliche ihren Mitgliedern eine missbräuchliche gerichtliche Durchsetzung nicht schutzwürdiger Interessen.91 Diese Ansicht ist aber nicht haltbar. Denn die VK darf nicht mit der Popularklage, durch die jedermann – quivis ex populo – eine Klage erheben darf, verwechselt werden.92 Es wurde die Auffassung vertreten, dass das Anerkennungsverfahren der Verbände, mit seiner Unterscheidung zwischen anerkennungswürdigen und sonstigen Verbände, gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen könnte.93 Dagegen spricht aber die Tatsache, dass dieses Gleichbehandlungsgebot im GG eine Ungleichbehandlung erlaubt, wenn es dafür einen vernünftigen oder aus der Natur der Sache sonst wie einleuchtenden Grund gibt.94 Im Hinblick darauf reichen aber als sachliche Differenzierungsgründe der Anerkennung eines klageberechtigten Naturschutzverbandes die überwiegende Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege aus.95 Parallel dazu, insbesondere vor der Einführung der VK auf Bundesebene, wurden Bedenken auch gegen die kompetenzrechtliche Zulässigkeit der stufenweise eingeführten landesrechtlichen VK geäußert.96 Da § 42 Abs. 2 VwGO den Spielraum für gesetzliche Erweiterungen der Klagebefugnis unmissverständlich öffnet, stützte sich diese Rechtsmeinung auf das Argument, dass im alten, ursprünglichen BNatSchG keine Regelung der altruistischen VK bestand.97 Dieser Auffassung stand allerdings entgegen, dass im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (gem. Art. 72 Abs. 3 GG) eine Sperrwirkung gegenüber einer landesrechtlichen Regelung nur eintreten kann, wenn bundesgesetzlich der Willen erkennbar geworden ist, dass eine Landesregelung in diesem Bereich ausge90 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 31, S. 60 ff.; C. Winkelmann, ZUR 1994, S. 12. 91 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 17; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 18 ff. 92 Vgl. R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/ R. Pietzner, VwGO-Komm., 2008, Rn. 7; H. Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 2002, S. 162 ff.; M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, 1992, S. 552; W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 8; E. Schwerdtner, NVwZ 1990, S. 632; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 80 ff.; s. auch 1. Teil, 1. Kap., C., II. 93 Vgl. R. Breuer, NJW 1978, S. 1563; K. Redeker, ZRP 1976, S. 164. 94 Vgl. BVerwG in ständiger Rechtsprechung, s. z. B. BVerwG, Urt. v. 03.05.1977 – 1 C 58/76 (Mannheim), BVerwGE 54, S. 11, S. 25. 95 Vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 22.03.1982 – Bf III 7/81, NVwZ 1982, S. 687; OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.06.1985 – 2 R 269/83, NVwZ 1986, S. 320; J. Bizer/ T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 88 ff. 96 Vgl. E. Schwerdtner, VBlBW 1983, S. 322; C.-L. Lässig, NVwZ 1989, S. 97 ff.; W. Skouris, NVwZ 1982, S. 233 ff. 97 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 14 ff.; W. Skouris, JuS 1982, S. 102 ff.; F. Weyreuther, 1975, S. 18 ff.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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schlossen sein soll.98 Für einen angeblichen Willen des Bundesgesetzgebers, den Ländern die Einführung der VK zu verbieten, fehlte jedoch in der Umweltgesetzgebung jeder Hinweis.99 Im Ergebnis haben letztlich die Landesgesetzgeber mit den einschlägigen Vorschriften ihrer Naturschutzgesetze das Klageprogramm nicht gegenüber der bundesrechtlichen Regelung verkürzt, ohne hierzu berechtigt zu sein, sondern sie haben im Gegenteil die Regelung des auf Individualrechtsschutz ausgerichteten § 113 Abs. 1 VwGO auf die Beanstandungsklage übertragen.100 2. Begründung der altruistischen Verbandsklage Hinsichtlich der Ablehnung der altruistischen VK hat E. Rehbinder Folgendes kurzgefasst angemerkt: „Die Wurzeln für die Ablehnung der VK [. . .] liegen in einem Sachverständnis, das heute noch von der prinzipiellen Dichotomie zwischen dem Staat als der allein zuständigen Verkörperung des Allgemeinwohls und dem Bürger als dem Verfolger von Privatinteressen ausgeht. Bürger und deren Organisationen sind nicht berufen, sich außerhalb des Wahlvorganges um das Gemeinwohl zu sorgen. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geht den Bürger nichts an, es sei denn, seine Rechte als Individuum seien betroffen. Ein solches Staatsverständnis wird aber weder der Struktur von Staatlichkeit noch der Struktur der Privatheit in entwickelten Industriegesellschaften westlichen Zuschnitts gerecht.“101
Vor dem Hintergrund des Strukturwandels von der eingreifenden zur leistenden und planenden Verwaltung begründeten hauptsächlich die Befürworter der altruistischen VK deren Notwendigkeit mit dem Hinweis darauf, dass der Individualrechtsschutz sich grundsätzlich nicht zur Behandlung infrastruktureller Umweltprobleme eigne,102 da vor allem Artikulationsschwächen der Belange des 98 Vgl. B. Bender/R. Sparwasser/R. Engel, 1995, S. 193 ff.; J. Bizer/T. Ormond/ U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 84. Über die aktuellen Auswirkungen der Föderalismusreform im Bereich des Umweltrechts vgl. A. Epiney, NuR 2006, S. 403; A. Scheidler, UPR 2006, S. 423; W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 ff.; F. Ekardt/R. Weyland, NVwZ 2006, S. 737 ff. Im Allgemeinen wird die Auffassung unterstützt, dass die Föderalismusreform den nationalen Verfassungsauftrag des Umweltschutzes stärkte, indem sie durch Abschaffung der Rahmengesetzgebung und Einschränkung der Erforderlichkeitsklausel den Rechtsetzungsprozess effektivierte und zugleich die nationale Zuständigkeitsordnung weiter für die Umsetzung des europäischen Rechts öffnete. Vgl. A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 3. 99 Vgl. U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 190. 100 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 03.03.1982 – VIII TH 6/82, NVwZ 1982, S. 263; U. Battis/U. Dünnebacke, JuS 1990, S. 191. 101 E. Rehbinder, Beitrag zum Thema: Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht?, Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentages, 1978, Bd. II (Sitzungsberichte), K 141 (K 138 ff.). 102 Vgl. E. Rehbinder/H.-G. Burgbacher/R. Knieper, Bürgerklage im Umweltschutz, 1972, S. 15; J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 28; C. Sailer, NuR 1987, S. 207 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Umweltschutzes gegenüber dem konkurrierenden öffentlichen Interesse bestehen.103 Daraus wurde, um die festgestellte Machtlosigkeit des Einzelnen durch eine schlagkräftigere Macht des Kollektivs zu kompensieren, die Forderung sowohl nach verstärkter Verfahrensbeteiligung als auch nach einer erweiterten Klagemöglichkeit zugunsten der Umweltschutzverbände (im Sinne einer altruistischen VK) abgeleitet.104 Im Hinblick darauf ist die Auffassung, dass die altruistische VK dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsgebot entgegensteht, nicht zu vertreten. Die verbindliche, unabhängige Entscheidung von Fällen bestrittenen oder verletzten Rechts in einem besonderen förmlichen Verfahren ist aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips Grundfunktion der Rechtsprechung.105 Diese Grenzen werden durch das System einer objektiven Rechtskontrolle durch Verbände nicht überschritten, solange sie sich in gesetzlichen Formen abspielt.106 Insofern wird das Demokratieprinzip nicht verletzt. Denn Demokratie ist ein ständiges kommunikatives Interaktionsverhältnis von Gesellschaft und Staat.107 Durch die VK wird nicht in den politischen Prozess eingegriffen, sondern es wird die rechtliche Kontrolle der Verwaltung durch die Gerichte in Gang gesetzt.108 Im Hinblick darauf ist die Ähnlichkeit zwischen Verbands- und Popularklage anzumerken. Beiden Klagen geht es um die Durchsetzung objektiven Rechts. Die altruistisch-treuhänderische VK kann aber keinesfalls das Ende bzw. den Bruch des Individualrechtsschutzsystems bedeuten, wie es die Gegner der VK betonen.109 Abgesehen davon, dass eine objektive Rechtskontrolle dem geltenden Rechtssystem nicht völlig unbekannt ist (vgl. § 47 VwGO), darf nicht übersehen werden, dass sie nur für den Bereich des Umweltrechts und insbesondere des Naturschutzrechts gilt.110 Außerdem unterscheidet sie sich von der Popularklage 103
Vgl. E. Rehbinder, Verbandsklage, in: HdUR, 1994, S. 969. Vgl. E. Rehbinder, ZRP 1976, S. 157 ff.; B. Philipp, Zeitschrift des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen, Ausg. 2/2002, S. 8. 105 Vgl. D. Neumeyer, UPR 1987, S. 332 ff. 106 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 88. 107 Vgl. A. Roßnagel, Der Bürger im umweltrechtlichen Anlagenzulassungsverfahren, in: K.-P. Dolde (Hrsg.), Umwelt im Wandel 2001, S. 997 ff.; B. Wegener, HFR 2000, S. 1 ff., www.humboldt-forum-recht.de/3-2000/Drucktext.html, m.w. N.; zu der Problematik der demokratischen Steuerbarkeit vgl.: M. Möstl, in: Demokratie in Europa, H. Bauer/P. Huber/K.-P. Sommermann (Hrsg.), 2005, S. 389 ff. 108 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 87; B. Wegener, HFR 2000, S. 1 ff., m.w. N. 109 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff. 110 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 25, S. 28; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 80 ff. 104
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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darin, dass sie nicht von jeder Person oder von jedem Zusammenschluss von Personen erhoben werden kann, sondern von den gesetzlich anerkannten Verbänden.111 Mit der Einführung der altruistischen VK geht es hier nicht um die Durchsetzung von gruppenegoistischen Verbandsinteressen, sondern vielmehr um die auf Sachverstand beruhende Verbesserung der Informationsgrundlagen der Exekutive bzw. Judikative.112 Dies gilt umso mehr, als ihre Ziele gerade auf die Verfolgung der gesetzlich geregelten, also vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorgegebenen Gemeinwohlbelange beschränkt bleiben, so dass die Verbände bei genauer Betrachtung im Wege des über die VK vermittelten Zugangs zum Gericht Hüter der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw. des Verhaltens privater Dritter und damit – allgemein gesprochen – Hüter der Unversehrtheit der Rechtsordnung sind.113 Letzterer Aspekt gilt insbesondere im Bereich des Umweltschutzes. Denn umweltrechtliche Normen mutieren in der Praxis schnell zu bloßen Ordnungsvorschriften, insbesondere wenn ihre Einhaltung erst einmal klagefrei gestellt ist.114 Im Hinblick darauf hatte das BVerwG bereits zuvor wie folgt konkretisiert: „Dies hat seinen Grund darin, dass die genannten Ziele – insbesondere bei der Verwirklichung von in Natur und Landschaft eingreifenden größeren Vorhaben – anderweitig oft nicht hinreichend geltend gemacht werden können.“115
Anders als im auf kleine Räume zugeschnittenen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht lassen sich die Interessen des Umweltschutzes nicht vollständig über materielle subjektive Rechte, etwa aus dem Grundeigentum, erfassen. Hinzu kommt, dass dort, wo angesichts materiell nur schwach determinierter und determinierbarer Vorgaben des Gesetzgebers Auslegungsspielräume entstehen, die begrenzte gerichtliche Kontrolldichte prozedural durch eine großzügige Beteiligung
111 Vgl. E. Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft, 1984, S. 21 ff., S. 34 ff.; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 81. 112 Vgl. R. Bender/R. Sparwasser/A. Engel, Umweltrecht, 2000, S. 183 ff.; R. Wolf, ZUR 1994, S. 3 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 270 ff. 113 R. Wolf, ZUR 1994, S. 5; C. Calliess, NJW 2003, S. 101. Ganz in diesem Sinne formulierte das BVerwG (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 19/95 (München), NVwZ 1997, S. 905; BVerwG, Urt. v. 12.11.1997 – 11 A 49/96, NVwZ 1998, S. 396; „Die anerkannten Naturschutzverbände sollen mit ihrem Sachverstand in ähnlicher Weise wie Naturschutzbehörden die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in das Verfahren einbringen.“ Sie sollen – so explizit das BVerwG – als „Verwaltungshelfer“ dafür Sorge tragen, dass diese Belange „über die vorgeschriebene Berücksichtigung durch die jeweils zuständige Behörde hinaus in besonderer Weise zur Geltung gebracht werden“. 114 Vgl. R. Sparwasser, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1021 ff.; S. PerniceWarnke, EuR 2008, S. 410. 115 BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88, NVwZ 1991 S. 162.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
der Öffentlichkeit und damit auch der sachverständigen Verbände kompensiert werden soll. Denn diese zielt gerade auch auf die Optimierung der Gemeinwohlrichtigkeit komplexer und daher vom Gesetzgeber notwendig offen gehaltener Entscheidungen.116 Daraus folgt, dass die Primärverantwortung des Staates für das Gemeinwohl in den dargestellten Lücken durch gesellschaftliche Akteure – wie etwa die Umweltverbände –, die eine kontrollierende Funktion ausüben können, kompensiert wird.117 Diese gesellschaftliche Gegenkontrolle durch im Interesse des Gemeinwohls agierende Umweltverbände kann somit als Ausdruck einer gesellschaftlichen Sekundärverantwortung für das Gemeinwohl verstanden werden. Daher kann die VK fehlende staatliche Neutralität ergänzen sowie die Beteiligungsbzw. Informationsrechte in Umweltangelegenheiten effektivieren. Insofern kann den Umweltverbänden die Aufgabe wohl zukommen, rechtlich nur schwer erfassbare Interessen, auch solche künftiger Generationen, gem. Art. 20a GG zu vertreten.118 Außerdem dürfe nicht ignoriert werden, dass sowieso eine altruistische VK keinesfalls ein Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung ist.119 116 R. Wolf, ZUR 1994, S. 3 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 270 ff.; krit. J. Ipsen, NdsVBl 1999, S. 225, S. 226 ff. 117 Vgl. D. Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 191 ff.; C. Calliess, NJW 2003, S. 101. 118 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, VBlBW 2000, S. 49; C. Calliess, NJW 2003, S. 101. 119 Da Individualbeschwerden in der Regel nur unzureichend für die Durchsetzung des Verbraucherschutzes vor unlauteren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sein können, wurde ausnahmsweise mit dem UKlaG ein eigenständiges Verbandsklagerecht geschaffen. Auch in anderen Gesetzen, so etwa in § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG wird Verbänden die Möglichkeit gegeben, zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen Klage auf Beseitigung oder Unterlassung einer unlauteren Handlung zu erheben. Entsprechende Klagemöglichkeiten sind auch gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG, § 13 BGG den Verbänden eingeräumt [vgl. E. Schmidt, NJW 2002, S. 25 ff.; S. Schlacke, in: J. Falke/dies. (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz. Neue Entwicklung im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2003, S. 131 ff.; R. Sparwasser, in: P-K. Dolde (Hrsg.), 2001, S. 1027]. Es ist charakteristisch, dass der Bundesgesetzgeber der VK im Sozial und Verbraucherschutzrecht einen ausgedehnten Anwendungsraum gegeben hat. Zu erwähnen ist z. B. § 22 BGleiG, § 13 BGstG, § 12 HandwO, § 13 UWG, §§ 1 und 2 UKlaG. Insbesondere § 13 Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG sowie §§ 1 und 2 UKlaG sind weit auszulegen. Hierbei steht die Möglichkeit im Vordergrund, dass Verbraucherschutzverbände auf Unterlassung oder Widerruf zur Durchsetzung von Verbraucherschutzvorschriften eine Klage nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG erheben. [Vgl. E. Schmidt, NJW 2002, S. 25 ff.: „die Verbraucherinteressen gehören nicht den jeweiligen Klägern, vielmehr ist ihnen der fragliche Sozialschutz nur zu dessen effektiver Gewährleistung anvertraut worden“; I. Karakostas, Umwelt und Recht 2000, S. 455; M. Kloepfer, Umweltrecht, 1998, S. 520 ff.; S. Schlacke, in: J. Falke/dies. (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz. Neue Entwicklung im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2003, S. 159 ff.; C. Franzius, NuR 2009, S. 384.] Angesichts der sich auch in Rechtsbereichen wie dem Sozial- [vgl. § 22 Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), § 13 Behindertengleichstellungsgesetz (BGstG)] und Verbraucherschutzrecht [vgl. §§ 1, 2 UKlaG, die die Richtlinie 98/27/EG v. 19.05.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 166 v. 11.06.1998, S. 51) umsetzen, sowie §§ 8 und 12 HandwO;
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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Außerdem können vor dem Hintergrund des demokratischen Gleichheitspostulats die Gegner der VK die folgende Frage nicht deutlich beantworten: Wie eigentlich erklärt sich die Privilegierung des (Grund-)Eigentümers, dessen Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG bekanntlich nur „zum Wohl der Allgemeinheit“ zulässig ist, und der vor den Verwaltungsgerichten gegenüber staatlichen Maßnahmen, die auf seine Enteignung abzielen, auch die Verletzung solcher Rechte rügen kann, die – wie etwa die Naturschutzrechte – erkennbar nicht zu seinem oder eines anderen Einzelnen Schutz geschaffen wurden? Wird hier nicht unzulässigerweise einer Bevölkerungsgruppe gesteigerter Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt zwecks Verfolgung von Gemeinwohlbelangen eingeräumt?120 Im Hinblick darauf ist die Ähnlichkeit zwischen Verbands- und Popularklage anzumerken. Beiden Klagen geht es um die Durchsetzung objektiven Rechts. Die altruistisch-treuhänderische VK kann aber keinesfalls das Ende bzw. den Bruch des Individualrechtsschutzsystems bedeuten, wie es die Gegner der VK betonen.121 Abgesehen davon, dass eine objektive Rechtskontrolle dem geltenden Rechtssystem nicht völlig unbekannt ist (vgl. § 47 VwGO), darf nicht übersehen werden, dass sie nur für den besonders relevanten Bereich des Naturschutzrechts gilt.122 Schließlich wurden auch die von den Gegnern der VK geäußerten Befürchtungen einer Prozessflut sowie einer Fülle von dubiosen Vereinsgründungen123 durch die naturschutzbezogene Klagepraxis nicht bestätigt.124 Charakteristisch dazu ist, dazu S. Schlacke, Verbandsklagerechte in Umwelt- und Verbraucherangelegenheiten in Deutschland, in: J. Falke/S. Schlacke (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2004, S. 131, 153 ff.] abzeichnenden überindividuellen Verbandsklagebefugnisse [vgl. Art. 13 der Richtlinie 2004/35/EG vom 21.04.2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. L 143 vom 10.04.2004, S. 56] könnte ferner eine entsprechende Verortung der Verbandsklagebefugnis auch in der Prozessordnung des Umweltrechts stattfinden [vgl. J. Ziekow, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention in Deutschland, in: W. Durner/ C. Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 39, S. 51 ff.]. Es wurde daher schon früher teilweise die Meinung vertreten, dass durch erweiterte Auslegung von § 13 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG sowie von §§ 1 und 2 UKlaG eine umfangreichere, verbraucherschützende VK entwickelt werden sollte (E. Schmidt, NJW 2002, S. 25 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, S. 520 ff.). Nach einer solchen Auslegung könnte sich entsprechend die VK des deutschen Verbraucherschutzrechts im Hinblick auf Fragen des Allgemeinwohls (d. h. auch auf Umweltthemen) erstrecken und Rechtsschutzdefizite ergänzen. 120 B. Wegener, HFR 2000, Beitrag 3, S. 5. 121 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 15; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4; K. Redeker, ZRP 1976, S. 163 ff. 122 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 25, S. 28; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 80 ff. 123 Vgl. H. Sander, MDR 1986, S. 12; M. Kloepfer, Umweltrecht, 1998, § 4, Rn. 13 ff.; R. Bender/R. Sparwasser/A. Engel, Umweltrecht, 2000, VIII, Rn. 144, m.w. N.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 4 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
dass die VK zwischen 1997 und 1999 etwa 0,015% der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte betrugen. Davon waren 28,4% vollständig oder teilweise erfolgreich, während nur ca. 20% der üblichen Klagen teilweise oder vollständig erfolgreich waren.125 Im Anschluss daran gelangt eine auf den Zeitraum 1996– 2001 bezogene Studie zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Denn die letztinstanzliche (Teil-)Erfolgsquote lag hier bei 26,4%.126 Dabei wurde festgestellt, dass die Erfolgsquote der VK zumindest für die Zeit von 1979 bis 2002 bei 32% lag, während die VK von 2002 bis 2006 in etwa 40% der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich war. Am erfolgreichsten waren die Klagen gegen naturschutzbezogene Befreiungen (ca. 78%). Weniger erfolgreich waren die VKen gegen Infrastrukturvorhaben. Diese führten öfters zu einer Ergänzung der Planung im Sinne des Naturschutzes.127 Diese Angaben zeigen im Vergleich zu der Erfolgsquote im Zeitraum von 1996 bis 2001 (26,4%) und auch im Hinblick auf die für die Zeit von 1979 bis 2002 ermittelte Erfolgsquote von 32% eine deutliche Steigerung.128 Dies ist ein Indiz dafür, dass die Naturschutzvereinigungen die VK – ihrem Zweck entsprechend – gezielt als Instrument zum Abbau von Vollzugsdefiziten im Naturschutzrecht einsetzen.129 Die Zunahme der Gesamtzahl der VK von 2002 bis 2006 (138 naturschutzrechtliche Verbandsklagen) im Vergleich zum Zeitraum 1996 bis 2001 (115 Fälle),130 ist damit zu begründen, dass mit dem Erlass von § 61 BNatSchG a. F. 2002 die VK in mehreren Bundesländern neu eingeführt und teilweise in ihrem Anwendungsbereich (i. d. R. geringfügig) erweitert worden ist.131 124 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff.; J.-F. Blume/A. Schmidt/ M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland 1997– 1999, 2001, S. 9 ff. 125 Werden die Teilerfolge nicht mitgerechnet, waren sogar 7,5% aller verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgreich, bei Verbandsklagen hingegen 14,8%. Vgl. SRU, Stellungnahme 2005, S. 4 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 18 ff.; J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland 1997–1999, 2001, S. 10 ff.; vgl. N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/0030, Final Report, 2003, S. 169 ff. S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 411; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 373. 126 Wobei nur in ca. 8% der Fälle ein vollständiger Erfolg und in den übrigen ca. 18% Teilerfolge verzeichnet werden. A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 35; vgl. N. de Sadeleer/ G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/ 0030, Final Report, 2003, S. 169 ff. 127 A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff., s. u. Tabelle 1. s. auch J. Berkemann, EurUP 2014, S. 149. 128 Vgl. L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 347 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, 2007, S. 14; A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff. 129 Vgl. A. Schmidt, NuR 2008, S. 547, m.w. N. 130 s. u. Tabelle 1; A. Schmidt, NuR 2008, S. 547. 131 A. Schmidt, NuR 2008, S. 547; s. dazu 1. Teil, 2. Kap., D., II., 4.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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Zudem muss angemerkt werden, dass die Erfolgsquote der umweltbezogenen altruistischen VKen in anderen EU-Ländern noch höher als in Deutschland ist. Im Zeitraum 1996–2001 betrug beispielsweise die Erfolgsquote der VKen in Frankreich 56,5%, in den Niederlanden 50%, in Portugal 46%, in Italien 44,3%, wovon 10,3% der Fälle teilweise erfolgreich waren, in Belgien 48,8%, wovon 10,3% der Fälle teilweise erfolgreich waren, im Vereinigten Königsreich 39%, wovon 9% der Fälle teilweise erfolgreich waren.132 Diese Angaben zeigen deutlich, dass sich i. d. R. das Engagement der Naturschutzverbände nicht auf die Verfolgung materieller Partikularinteressen, sondern auf den Schutz von Kollektivgütern bzw. überindividuellen Interessen richtet. Außerdem sind die naturschützenden VKen demnach wesentlich erfolgreicher als die insgesamt von den Verwaltungsgerichten in Deutschland entschiedenen Hauptsacheverfahren, bei denen die Erfolgsquote nur etwa 10% bis 15% beträgt.133 Im Vergleich zu den für die Zeit vor 2002 durchgeführten Untersuchungen zeigt sich, dass die Klagetätigkeit der Verbände zugenommen hat. Während es von 1996 bis 2001 durchschnittlich etwa 20 Klagen und 30 Verfahren pro Jahr waren, ergeben sich für den Zeitraum von 2002 bis 2006 ca. 27 Klagen und ca. 47 Verfahren pro Jahr.134 Im Verhältnis zu den insgesamt von den Verwaltungsgerichten im Untersuchungszeitraum abgeschlossenen Verfahren ist jedenfalls die Zahl der Verbandsklagen bzw. -verfahren aber weiterhin sehr gering. Ihr Anteil an der Gesamtzahl verwaltungsprozessualer Entscheidungen beträgt
132 Vgl. N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/0030, Final Report, 2003, S. 169 ff. (mit entsprechenden Tabellen). 133 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, 2007, S. 14; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 149. Zu beachten ist, dass die Erfolgsquote von umweltrechtlichen Verbandsklagen in einigen europäischen Ländern noch höher ist. So liegt z. B. der Anteil erfolgreicher VKen in Frankreich bei 56,5%, in Portugal bei 46%, in den Niederlanden bei 40–50%, in Belgien bei 39,4%, in Großbritannien bei 39%, in Italien bei 34%, während er in der Schweiz bei 44,7% und in den USA bei 58% liegt. Vgl. dazu SRU, Stellungnahme 2005, S. 4 ff. Entsprechende Angaben auch in: N. de Sadeleer/G. Roller/ M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, 2003, S. 6 ff.; D. Ehlers, VerwArch,1993, S. 156 ff.; J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, 1990, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 31 ff.; C. Winkelmann, ZUR 1994, S. 12 ff.; R. Hauber, VR 1991, S. 319 ff.; G. Zwanzig, in: F. Kopp (Hrsg.), Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, 1987, S. 44 ff. Es darf nicht ignoriert werden, dass die VK in einer Vielzahl von Staaten in Europa (z. B. Schweiz, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Dänemark, Großbritannien, Griechenland, Irland, Spanien, Portugal u. a.), aber auch in den USA und in Kanada schon lange bekannt ist, meistens ohne erhebliche Verfahrensprobleme zu verursachen. Vgl. European Commission Report, 2007, S. 17 ff. 134 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 32; A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, 2007, S. 11.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
ca. 0,02%.135 Auch eine andere Studie136 zeigt, dass der Anteil der VKen in Deutschland während des Zeitraums 1996 2001 nur 0,0148% der verwaltungsgerichtlichen Verfahren beträgt. Auch dort, wo der Anteil der VKen einen deutlich spürbaren Teil der umweltbezogenen Verfahren ausmacht, wie beispielsweise in Frankreich und – mit einem rapide abnehmenden Trend – in den Niederlanden, wurde allerdings keine Überlastung der Gerichte festgestellt.137 Es kann somit von starken Belastungen der Gerichte oder einer „Klageflut“ nicht gesprochen werden.138 Auch der Vorwurf, dass eine erweiterte VK den Mitgliedern der Verbände eine missbräuchliche Durchsetzung nicht schutzwürdiger Interessen ermögliche,139 scheint vor diesem Hintergrund nicht überzeugend zu sein.140 Zudem soll betont werden, dass die altruistische VK zwar zum Vollzug des Umweltrechts sowie zur Waffengleichheit zwischen Wirtschafts- und Umweltrecht beiträgt. Sie ist aber nicht die (erhoffte oder befürchtete) Wunderwaffe des Umweltschutzes. Denn erstens setzen bereits die sehr geringen finanziellen Kapazitäten der Umweltverbände der VK enge Grenzen. Selbst im Fall einer erfolgreichen Klage schlagen über die gesetzlichen Sätze hinausgehende Anwalts- und Sachverständigenhonorare oft massiv zu Buche. In die gleiche Richtung wirken 135 Im Jahr 2003 sind von den Verwaltungsgerichten – den Allgemeinen Kammern (ohne Asyl) – 137.421 Hauptsacheverfahren und 51.161 Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erledigt worden. Im Jahr 2004 sind von den Verwaltungsgerichten 146.042 Hauptsachenverfahren und 52.178 Verfahren des vorläufigen Schutzes erledigt worden. Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4 (Rechtspflege Verwaltungsgerichte), 2003, S. 10, S. 28; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4 (Rechtspflege Verwaltungsgerichte), 2004, S. 14, S. 32. 136 Vgl. N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/0030, Final Report, 2003. Diese Untersuchung bezog sich auf Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, England und Wales (GB), Italien sowie Portugal. Die Auswahl reflektiert die in Bezug auf die altruistische Verbandsklage unterschiedliche rechtliche Situation sowie sogenannte public-interest-Klagen in diesen Ländern. Der Länderbericht, der die empirische Untersuchung umfasste, wurde durch je eine Fallstudie ergänzt, die eine besonders bedeutende Verbandsklage analysiert. In Deutschland erhob das Unabhängige Institut für Umweltfragen e. V. (UfU) die Daten. Die deutsche Situation ist umfassend analysiert in A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004. 137 Vgl. N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/0030, Final Report, 2003, S. 166 ff. 138 Vgl. J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland 1997–1999, 2001, S. 12 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, 2007, S. 11; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 373. 139 Vgl. G. Hammer, GewArch 1978, S. 17; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975; C.-H. Ule, DVBl 1977, S. 121. 140 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff.; D. Neumeyer, UPR 1987, S. 333 ff.; E. Gassner, § 61 BNatSchG in: ders./A. Bendomir-Kahlo/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm. 2003, S. 930 ff.; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 373 ff.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
255
Tabelle 1 Zahl der Klagen und Entscheidungen (Verfahren) nach Ländern und insgesamt Länder
Klagen im Zeitraum 2002 bis 2006
Entscheidungen im Zeitraum 2002 bis 2006
Klagen (Entscheidungen) im Zeitraum 1996 bis 2001
4
6
4 (6)
Bayern
14
21
7 (9)
Berlin
4
4
17 (24)
20
37
14 (26)
Bremen
2
4
4 (5)
Hamburg
4
11
5 (13)
Hessen
7
15
6 (9)
MecklenburgVorpommern
6
11
Niedersachsen
15
22
15 (29)
Nordrhein-Westfalen
14
22
2 (3)
Rheinland-Pfalz
13
23
4 (6)
Saarland
3
3
6 (7)
Sachsen
19
36
7 (9)
Sachsen-Anhalt
8
11
6 (9)
Schleswig-Holstein
3
6
13 (21)
Thüringen
2
2
4 (6)
138
234
Baden-Württemberg
Brandenburg
Gesamt
1 (1)
115 (183)
Quelle: A. Schmidt, NuR 2008, S. 546
Tabelle 2 Erfolgsquote der Klagen im Zeitraum 2002 bis 2006 Gesamtzahl der abgeschlossenen Klagen 130 100% Quelle: A. Schmidt, NuR 2008, S. 547 ff.
Gewonnen
Teilerfolg
Verloren
28
24
78
21,5%
18,5%
60%
256
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG Tabelle 3 Erfolgsbilanz nach Klagegegenständen für den Zeitraum 2002–2006 (1997–1999)141
Erfolgsbilanz nach Klagegegenständen
Planfeststellungen
Befreiungen
Sonstige
Gesamt
57 (30)
27 (12)
46 (25)
130 (67)
43,8 (44,8)
20,8 (17,9)
35,4 (37,3)
100
Gewonnen
6 (2)
17 (2)
5 (1)
28 (5)
%
10,5
63
10,9
21,5
19 (5)
4 (5)
1 (4)
25 (14)
33,3
14,8
2,1
18,5
32 (23)
6 (5)
40 (20)
77 (48)
56,2
22,2
87
60
%
Teilerfolg % Verloren %
Quelle: A. Schmidt, NuR 2008, S. 548 ff.
zweitens die begrenzten personellen Vollzugskapazitäten der Behörden, die zu Gunsten eines von Verbänden beklagten Projekts dann unter Umständen andere Überwachungsaufgaben liegen lassen (müssen). Einer Verbandsklage gelingt in der Praxis nur selten die von den klagenden Verbänden erstrebte dauerhafte Verhinderung eines kritisch gesehenen Projekts.142 Hierbei spielt auch der erhebliche Zeitaufwand in Zusammenhang mit den begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Verbände eine wichtige Rolle.143 Hervorzuheben sind noch weitere Vorteile, die die altruistische VK mit sich bringt. Diese reichen vom intendierten „Abschreckungseffekt“ für die Behörden, die sich stärker um einen wirksamen Vollzug des Umweltrechts bemühen, über einen besseren Informationsstatus der Öffentlichkeit zu Umweltbelangen bis hin zu dem zukünftigen, wenn auch schwer monetarisierbaren ökonomischen Nutzen, der z. B. in der Erhaltung von Naturschutzgebieten liegt, die reich an Biodiversität sind und die ihre Erhaltung der Intervention von Nichtregierungsorganisatio141 Die an dieser Stelle kursiv gedruckten Daten befinden sich in A. Schmidt/ M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 36 ff. 142 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 532. 143 Vgl. J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland 1997–1999, 2001, S. 16 ff.; L. J. Brooke, JEL 2006, S. 341 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 411; ausführlich dazu M. Dross, in: N. de Sadeleer/ G. Roller/dies., Access to Justice in Environmental Matters, 2003, S. 8, S. 31 ff.; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 373 ff.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
257
nen verdanken. Die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, eine VK anstrengen und gewinnen zu können, erzeugt außerdem einen Anreiz für Betreiber und Behörden, die Vermeidung einer Auseinandersetzung mit den Vertretern von Umweltinteressen zu suchen.144 3. Zur Sonderstellung der Umweltschutzvereinigungen Zur Bekräftigung der Argumentation bezüglich der Begründung der altruistischen VK sollten auch die Vorteile, die mit einer erweiterten Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigungen verbunden sind, nicht außer Acht bleiben. Die sog. „Privilegierung“ der Umweltschutzvereinigungen145 beruht vor allem darauf, dass sie sich für den Umweltschutz einsetzen. Den Umweltschutzvereinigungen als Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ (gem. Art. 2 Nr. 5 AK) kommt eine besondere Rolle zu. Denn nur durch eine erweiterte Rügebefugnis der Umweltschutzvereinigungen ist auch praktisch zu gewährleisten, dass auch i. S. d. AK sowie der UVP-RL eine umfassende Rechtsdurchsetzung und der Abbau von Vollzugsdefiziten erreicht werden kann. Ratione legis müssen somit die anerkannten Umweltschutzvereinigungen ihre besondere Sachkompetenz im Bereich des Umweltschutzes – und des Umweltrechts – in das Verfahren einbringen.146 Im Hinblick darauf sind Verbandsklagerechte als Gegengewichte zur staatlichen Umweltverwaltung zu verstehen. Denn die Interessenvereinigungen können wohl zwischen staatlicher Strukturpolitik und Investoren einen rechtmäßigen Vollzug des objektiven Rechts in Frage stellen.147 Aus der besonderen Rolle und den damit zusammenhängenden Rechten, die den nichtstaatlichen Umweltorganisationen auch aufgrund der AK und der UVPRL148 zugewiesen wurden, resultiert ein starker Mechanismus zur Prävention von Umweltbeeinträchtigungen. Denn eine nichtstaatliche Umweltorganisation ist Ausdruck kollektiver Interessen. Sie verfügt i. d. R. über einen Grad an technischer Sachkunde, die der Einzelne nicht haben kann. Außerdem kann eine einzige Klage, die von einer nichtstaatlichen Umweltorganisation erhoben wird, eine
144
Vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 155. Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 481 ff.; T. Bunge, NuR 2011, S. 607; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 761; GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 54, ZUR 2011, S. 81; dagegen: T. v. Danwitz, UTR 2007, Bd. 93, S. 31 ff.; T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1348 ff. 146 Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/ 35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden, 2006, S. 16; M. Genth, NuR 2008, S. 30; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 377; in diese Richtung auch BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 48, ZUR 2014, S. 56. 147 K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 8, m.w. N. 148 Mehr dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., II.–III. 145
258
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Vielzahl entsprechender Klagen ersetzen, die sonst die Einzelpersonen erhoben hätten.149 Dies sollte zu einer eindeutigen Rationalisierung des Verfahrens beitragen, was die oben dargestellten praktischen Angaben bestätigen.150 Gleichwohl lasse sich mit Hilfe altruistischer VKen die Zahl gerichtlich anhängiger Klagen verringern und die Effektivität der Rechtsprechung und des Rechtsschutzes steigern.151 Darüber hinaus stärke die Beteiligung der nichtstaatlichen Umweltorganisationen sowohl in der vorgerichtlichen als auch in der gerichtlichen Phase der Entscheidungsfindung die Qualität und Legitimität der Entscheidungen öffentlicher Instanzen und erhöhe die Effizienz der Umweltschutzverfahren. Darüber hinaus ist die Rolle der Umweltschutzvereinigungen ausschlaggebend für die Verbreitung der Umweltinformationen in der Öffentlichkeit sowie für die Förderung des öffentlichen Umweltbewusstseins und der öffentlichen Verantwortung.152 Damit werden zugleich der spezifische Sachverstand anerkannter Umweltschutzvereinigungen mobilisiert, das Niveau entsprechender gerichtlicher Auseinandersetzungen gefördert und die Chancen wesentlich erhöht, die Zahl der Klagen in angemessenen Grenzen zu halten.153 Vor diesem Hintergrund geht es schließlich in der Sache nicht um eine echte „Privilegierung“ der Umweltschutzvereinigungen, sondern allein darum, dass den Umweltschutzvereinigungen eine spezifische Sachaufgabe zur Erfüllung angeboten wird, nämlich den Rechtsschutz zugunsten eines bestimmten Teils des Allgemeinwohls im Bereich des Umweltrechts in Anspruch zu nehmen.154 Da i. d. R. der Einzelne von der Durchsetzung von allgemeinwohlbezogenem Umweltschutz selbst kaum Vorteile erlangt, ist die Anreizwirkung, entsprechende mühsame Prozesse zu führen, gering. Daher ist es in hohem Maße sachgerecht, anerkannte 149 GAin E. Sharpston, Schlussantr. vom 16.12.2010, in der Rs. C-115/2009, Rn. 51, ZUR 2011, S. 79 ff. 150 s. o. insb. die Tabellen 2 und 3 in Zusammenhang mit den Tabellen 6, 7, 8 in 1. Teil, 3. Kap., H., II. 151 Vgl. GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 51, ZUR 2011, S. 82. In diese Richtung auch A. Schmidt, ZUR 2011, S. 296 ff.; ders., NuR 2008, S. 544 ff.; ders., ZUR 2012, S. 216; A. Schmidt/F. Sperfeld, Vergleich oder Urteil bei umweltrechtlichen Verbandsklagen? Empirische Untersuchung der Entwicklung und der Inhalte von Vergleichsabschlüssen bei Verbandsklagen im Umweltund Naturschutzrecht, UfU, Dez. 2010, S. 3 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 77 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007; A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004. In diese Richtung auch S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201; BT-Drs. 17/ 10957, S. 26 ff.; jeweils m.w. N.; a. A. etwa: W. Valendar, UPR 2008, S. 7 ff., m.w. N. 152 S. Stec/S. Casey-Lefkowitz (Hrsg.), The Aarhus Convention: An Implementation Guide UNECE, 2000, S. 14. 153 Vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 377. s. o. insb. die Tabellen 2 und 3 in Zusammenhang mit den Tabellen 6, 7, 8 in 1. Teil, 3. Kap., H., II. 154 Vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 377.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
259
Umweltschutzvereinigungen mit dieser Aufgabe zu betrauen, die sich auch satzungsmäßig dafür gebildet haben, gemeinsam und altruistisch für die Durchsetzung allgemeinwohlbezogenen Umweltrechts einzutreten.155 Angesichts der Tatsache, dass im Rahmen der Vorgaben der AK sowie der UVP-RL keine Popularklage in Umweltangelegenheiten zwingend vorzuschreiben ist, sollte dies als Ausgleich der herausragenden Rolle der nichtstaatlichen Umweltorganisationen betrachtet werden.156 Die prozessuale Sonderstellung der Umweltschutzvereinigungen stellt somit den Individualrechtsschutz nicht in Frage. Vielmehr kann sie dabei helfen, die Lücken zu schließen, die bei der Durchsetzung des Umweltrechts durch die subjektiv-rechtlichen Beschränkungen der Individualklage entstehen.157 Daher braucht auch das deutsche Recht starke und mit umfassenden Rechten ausgestattete Umweltschutzvereinigungen. Nur so können diese ihre sogar vom BVerwG158 so bezeichnete Rolle als Verwaltungshelfer und Anwälte der Natur ausüben. Der Bundesstaat scheint bisher über keine entsprechend geeigneteren Mittel für diesen Zweck zu verfügen. Dies gilt umso mehr angesichts des flächendeckenden Abbaus von personellen und finanziellen Ressourcen in den Umweltverwaltungen, wie ihn beispielsweise ein Bericht des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) aufzeigt.159
II. Landesrechtliche VK vor der Einführung der bundesweiten VK Die naturschützende altruistische VK der Bundesländer hatte vor dem neuen BNatSchG nur landesrechtliche Geltung. Das heißt, dass die landesrechtliche VK nicht zulässig gegen Verwaltungsakte von Bundesbehörden war (z. B. Planungen der Bundesbahn u. a.).160 Denn allein der Bundesgesetzgeber ist zur Einführung
155
Vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 377. Die herausragende Rolle, die den nichtstaatlichen Umweltorganisationen zukommt, findet ihren Ausgleich in der Entscheidung, eine Popularklage in Umweltangelegenheiten nicht zwingend vorzuschreiben; GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12. 2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 51 ff., ZUR 2011, S. 79 ff. 157 C. Franzius, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 383 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 482 ff.; jeweils m.w. N. 158 BVerwG, Urt. v. 14.05.1997 – 11 A 43/96, BVerwGE 104, S. 367, S. 375. 159 Vgl. SRU, Sondergutachten, Umweltverwaltungen unter Reformdruck, Februar 2007, S. 64 ff., S. 66 ff. mit weiteren Nachweisen zu relevanten Tabellen u. a. zu L. Heilmann, Naturschutz und Öffentlichkeitsbeteiligung im neuen Umweltgesetzbuch, September 2007, in: BMU (Hrsg.), Forum Umweltrecht, November 2009, S. 28 ff., S. 66 ff. Laut diesem Bericht sind die Naturschutzbehörden mit einem Rückgang der Ressourcen um ein Drittel überproportional und besonders hart betroffen. 160 BVerwG, Urt. v. 29.04.1993 – 7 A 3/92, BVerwGE 92, NVwZ 1993, S. 891; F. Kopp, NuR 1994, 77; krit.: D. Neumeyer, UPR 1987, S. 327 ff. 156
260
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
der VK auf Bundesebene befugt.161 Die Erhebung der VK durch einen Naturschutzverband vor der Einführung des neuen BNatSchG wurde an diverse Voraussetzungen geknüpft, die sich oft nur geringfügig unterschieden.162 Überwiegend wird in allen Landesgesetzregelungen gefordert, dass der anerkannte Verband durch die Verletzung naturschutzrechtlicher Vorschriften in seiner satzungsmäßigen Aufgabe berührt werden muss, sowie dass er von seinem Mitwirkungsrecht im vorausgegangenen Verfahren Gebrauch gemacht hat. Sonst ist die VK nicht zulässig. Sofern das Landesrecht die VK eröffnete, knüpfte es dabei übereinstimmend an die Vorschriften von § 29 Abs. 1 Nr. 3 und 4 des BNatSchG a. F. an.163 Im Prinzip konnten nur Verstöße gegen das BNatSchG, gegen die Landesnaturschutzgesetze oder gegen aufgrund dieser Gesetze erlassener oder fortgeltender Rechtsverordnungen gerügt werden.164 Es handelte sich um die Formulierung einer im engeren Sinne „zugeschnittenen“ Klagebefugnis, die die Geltendmachung von Verstößen gegen Rechtsnormen, die zum Schutz der Umwelt im weiteren Sinne erlassen worden sind, auch dann verwehrt, wenn diese materiell auch dem Schutz von Natur und Landschaft dienen.165 Das BVerwG begründet die Systemgerechtigkeit einer solchen beschränkten Klagebefugnis damit, dass „vor allem bei Vorhaben außerhalb besiedelter Gebiete häufig kein in subjektiven Rechten betroffener Einzelner gegen das Vorhaben klagebefugt ist“.166
Im Allgemeinen hatten die Landesregelungen einen engen Anwendungsbereich, nach dem die altruistische VK im Wesentlichen nur gegen Planfeststellungsbeschlüsse und gegen die Erteilung von Ausnahmen oder Befreiungen in Naturschutzgebieten und Nationalparks gerichtet werden konnte.167 Dies galt vor 161 Vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.1995 – 11 VR 38/95, NVwZ 1996, S. 389; BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86 (Berlin), NVwZ 1988, S. 530 ff.; R. Wolf, ZUR 1994, S. 6. Es begründete die Systemgerechtigkeit einer inhaltlich auf die Verletzung beschränkten Klagebefugnis damit, dass „vor allem bei Vorhaben außerhalb besiedelter Gebiete häufig kein in subjektiven Rechten betroffener Einzelner gegen das Vorhaben klagebefugt ist“. Dagegen BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86 (Berlin), NVwZ 1988, S. 527, DÖV 1988, S. 560, UPR 1988, S. 177; R. Hauber, VR 1991, S. 318 ff. 162 Vgl. J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 488 ff.; R. Wolf, ZUR 1994, S. 6; M. Müller/ H. Stöckel, Naturschutzrecht, 2003, S. 467 ff. 163 Vgl. R. Wolf, ZUR 1994, S. 6; B. Bender/R. Sparwasser/R. Engel, Umweltrecht, 1995, S. 192; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 17; C. Schrader, NuR 2003, S. 80 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, 2007, S. 4 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 43 ff. 164 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, NVwZ 1998, S. 961 ff.; B. Bender/ R. Sparwasser, Umweltrecht, 2000, S. 132; R. Wolf, ZUR 1994, S. 6; A. Schmidt/ M. Zschiesche, NuR, 2003, S. 17. 165 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 11.07.1988 – 2 TH 740/88, NVwZ 1988, S. 1043; R. Wolf, ZUR 1994, S. 6 ff. 166 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.19875 – 4 C 9/86, NVwZ 1988, S. 530 ff. 167 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 17; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 878.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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der Einführung von § 61 BNatSchG 2002 hauptsächlich für die Landesnaturschutzgesetze insbesondere in Brandenburg (§ 65 BbgNatSchG a. F.),168 Bremen (§ 45 BremNatG a. F.),169 Schleswig-Holstein (§ 51c LNatSchG S-H. a. F.),170 Rheinland-Pfalz (§ 37b LPflG Rh.-Pf. a. F.),171 Sachsen (§ 58 Abs. 1 SächsNatSchG a. F.),172 Thüringen (§ 46 VorlThürNatG a. F.)173 sowie im Saarland (§ 33 SNG a. F.)174.175 Zum Teil waren noch weitere Einschränkungen vorgesehen. In Sachsen (§ 58 Abs. 1 SächsNatSchG)176 etwa konnte gegen Feststellungsbeschlüsse und Befreiungen nur geklagt werden, wenn die Planung mit bestimmten Schutzgebieten verbunden war.177 Einen „weiten“ Anwendungsbereich, der teilweise erheblich über Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse und Befreiungen in bestimmten Schutzgebieten hinausging,178 eröffneten dagegen die Landesgesetze in Berlin (§ 39a BlnNatSchG a. F.),179 Hamburg (§ 41 HmBNatSchG g. F.),180 Niedersachsen (§ 60c NNatG a. F.),181 Nordrhein-Westfalen (§ 12b LG NRW a. F.),182 Sachsen-Anhalt 168 Vgl. BbgNatSchG a. F. vom 25.06.1992 (GVBl. 1992, Nr. 13, S. 208); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 222 ff., m.w. N. 169 Vgl. BremNatSchG a. F. vom 17.09.1979 (GBl. 345). Mehr dazu in: J. Bizer/ T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 60 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 102 ff.; jeweils m.w. N. 170 Vgl. LNatSchG S-H a. F. vom 16.06.1993 (GVBl. S-H 1993, Nr. 9 S. 215); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 279 ff., m.w. N. 171 Vgl. LPflG a. F. vom 14.06.1994 (GVBl. Rheinland-Pfalz 1994, Nr. 15, S. 280); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 331 ff., m.w. N. 172 SächsNatSchG a. F. vom 16.12.1992 (SächsGVBl. 1992, Nr. 37, S. 571); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 253 ff., m.w. N. 173 Vgl. VorlThürNatG a. F. vom 28.01.1993 (GVBl. Thüringen, 1993, Nr. 4, S. 57); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 272 ff., m.w. N. 174 Vgl. SNG a. F., Gesetz Nr. 1212 zur Änderung des Saarländischen Naturschutzgesetzes, ABl. 1987, 120. Mehr dazu in: J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 80 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 195 ff.; jeweils m.w. N. 175 T. Wilrich, DVBl 2002, S. 879. 176 SächsGVBl. 1992, Nr. 37, S. 571, vom 16.12.1992; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 253 ff., m.w. N. 177 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff. 178 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 17; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 878 ff. 179 Vgl. BerlNatSchG a. F. vom 03.10.1983 (GVBl. S. 1290). Mehr dazu in: J. Bizer/ T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 78 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 172 ff.; jeweils m.w. N. 180 Vgl. HmBNatSchG g. F. vom 02.05.2001 (GVBl. Hamburg Nr. 16, S. 75); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 154 ff.; m.w. N. 181 Vgl. NNatG a. F. vom 18.10.1993 (GVBl. Nds., 1993, Nr. 29, S. 444); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 297 ff., m.w. N. 182 Vgl. LG NRW a. F. vom 09.05.2000 (GVBl. NRW S. 487 ff.).; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 346 ff., m.w. N.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
(§ 52 NatSchG LSA a. F.)183 und Hessen (§ 36 HENatG g. F.).184 Diese Länder ließen eine VK durchaus auch wegen Verletzungen anderer Vorschriften zu, sofern diese auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt waren.185 Allerdings waren diese Vorschriften unterschiedlich ausgestaltet. Je nach Landesgesetz waren Klagen unter anderem zulässig gegen abfallrechtliche Plangenehmigungen im Außenbereich, Ausnahmen vom gesetzlichen Biotopschutz (Nordrhein-Westfalen), Befreiungen in Wasserschutzgebieten, Erlaubnisse und Bewilligungen nach dem Wasserrecht sowie gegen Genehmigungen für Bauvorhaben im Außenbereich.186 In diesem Rahmen ließ z. B. das Landesgesetz in Niedersachsen eine VK unter anderem gegen Plangenehmigungen für Bundesverkehrswege, abfallrechtliche Plangenehmigungen im Außenbereich, wasserrechtliche Plangenehmigungen und Bewilligungen, waldrechtliche Genehmigungen ab 3 ha Fläche sowie gegen Großbauvorhaben zu.187 Ferner ist in Berlin die landes183 Vgl. NatSchG LSA a. F. vom 11.02.1992, GVBl. LSA 1992, Nr. 7 S. 108; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 209 ff., m.w. N. 184 Vgl. HENatSchG g. F. vom 19.12.1994 (GVBl. 1994, Nr. 31, S. 793); L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 113 ff.; jeweils m.w. N. 185 Vgl. J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990, S. 76 ff.; §§ 41, 42 des HmBNatSchG sind geändert v. 02.05.2001, GVBl, 75; inzwischen ist § 36 a. F. durch Gez. v. 18.06.2002 zugunsten des unmittelbar anwendbaren Bundesrechts aufgehoben. 186 Vgl. R. Wolf, ZUR 1994, S. 6 ff.; R. Wolf, ZUR 1994, S. 6 ff.; J. Ziekow, VerwArch, 2000, S. 488 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 17. 187 Vgl. Niedersächsisches Naturschutzgesetz (NNatG) vom 11.04.1994 (Nds. GVBl. S. 155, 267), geändert durch Artikel 43 des Gesetzes vom 20.11.2001 (Nds. GVBl. Nr. 32/2001 S. 701), geändert durch § 47 des Gesetzes vom 21.3.2002 (Nds. GVBl. Nr. 11/2002 S. 112), Art. 4 des Gesetzes v. 05.09.2002 (Nds. GVBl. Nr. 27/2002 S. 378), Art. 1 des Gesetzes v. 27.01.2003 (Nds. GVBl. Nr. 4/2003 S. 39), Gesetz v. 19.02.2004 (Nds. GVBl. Nr. 5/2004 S. 75), Art. 5 des Gesetzes v. 05.11.2004 (Nds. GVBl. Nr. 31/2004 S. 417), Art. 1 des Gesetzes v. 23.06.2005 (Nds. GVBl. Nr. 14/2005 S. 210) und Art. 8 des Gesetzes v. 28.10.2009 (Nds. GVBl. Nr. 22/2009 S. 366), § 60c i.V. m. § 60a Nr. 4, 5, 7, 8 NNatG. Danach können vom Land anerkannte Vereinigungen, ohne in ihren eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe einlegen „(1.) gegen die Erteilung von Plangenehmigungen für Bundesverkehrswege, ausgenommen aa) die Schienenwege der Deutschen Bundesbahn, einschließlich der für den Betrieb der Schienenwege notwendigen Anlagen, bb) andere Bundesverkehrswege einschließlich der Flughäfen und der Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich, soweit sie in bundeseigener Verwaltung geführt werden, Plangenehmigungen nach aa) § 31 Abs. 3 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, sofern das Vorhaben im Außenbereich (§ 19 Abs. 1 Nr. 3 des Baugesetzbuchs) durchgeführt werden soll, bb) § 87 Abs. 1 des Niedersächsischen Wassergesetzes, cc) § 128 des Niedersächsischen Wassergesetzes, dd) § 12 des Niedersächsischen Deichgesetzes, ee) § 41 Abs. 4 des Flurbereinigungsgesetzes, gehobenen Erlaubnissen nach § 11 des Niedersächsischen Wassergesetzes und Bewilligungen nach § 13 des Niedersächsischen Wassergesetzes, (2.) gegen Erlaubnisse nach § 10 des Niedersächsischen Wassergesetzes aa) für das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus oberirdischen Gewässern, wenn die zu nutzende Wassermenge 10.000 m3 je Jahr übersteigt, bb) für das Aufstauen und Absenken
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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rechtliche VK zulässig bei jeder Vorhabenzulassung, die mit nicht vermeidbaren und nicht ausgleichbaren Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden ist, sowie bei der Zulassung von Vorhaben mit Eingriffswirkungen in oder an oberirdischen Gewässern.188 Des Weiteren ist hervorzuheben, dass sowohl bei den Landesregelungen mit „engem“ Anwendungsbereich als auch bei denen mit „weitem“ Anwendungsbereich im Prinzip eine ganze Reihe von Verwaltungsentscheidungen, die die Umwelt beeinträchtigen könnten, ausgeklammert wird.189
von oberirdischen Gewässern erster und zweiter Ordnung sowie von stehenden Gewässern dritter Ordnung und von naturnahen Fließgewässern, die Bestandteil des niedersächsischen Fließgewässerschutzsystems sind, cc) für das Entnehmen fester Stoffe aus oberirdischen Gewässern erster und zweiter Ordnung sowie von stehenden Gewässern dritter Ordnung und von naturnahen Fließgewässern, die Bestandteil des niedersächsischen Fließgewässerschutzsystems sind, dd) für das Einleiten und Einbringen von Stoffen in oberirdische Gewässer und in das Grundwasser von mehr als 8 m3 je Tag, ausgenommen das Einleiten von Niederschlagswasser aus Regenwasserleitungen, ee) für das Einbringen und Einleiten von Stoffen in Küstengewässer, ff) für das Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten und Ableiten von Grundwasser, wenn die Wassermenge 10.000 m3 im Jahr übersteigt, gg) für das Aufstauen, Absenken und Ableiten von Grundwasser und für Maßnahmen, die geeignet sind, dauernd oder in einem nicht nur unerheblichen Ausmaß schädliche Veränderungen der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Wassers herbeizuführen, (3.) gegen Genehmigungen aa) nach § 91 des Niedersächsischen Wassergesetzes, soweit die Vorhaben Gewässer erster und zweiter Ordnung, stehende Gewässer dritter Ordnung oder naturnahe Fließgewässer dritter Ordnung betreffen, die Bestandteil des niedersächsischen Fließgewässerschutzsystems sind, bb) nach § 154 des Niedersächsischen Wassergesetzes, cc) nach § 156 des Niedersächsischen Wassergesetzes, dd) nach den §§ 8 und 9 des Niedersächsischen Gesetzes über den Wald und die Landschaftsordnung für Flächen von über drei Hektar, ee) von Bodenabbau nach § 19, ff) von Bauvorhaben im Außenbereich, wenn die bauliche Anlage eine Grundfläche von 1.000 m2 oder eine Höhe von 20 m überschreitet; ausgenommen sind Gruppen von nicht mehr als fünf Windkraftanlagen, Vorbescheiden nach § 20, Ausnahmen und Befreiungen von Geboten und Verboten der Verordnungen zur Festsetzung von Überschwemmungsgebieten nach § 92 des Niedersächsischen Wassergesetzes, soweit hiermit Eingriffe in Natur und Landschaft verbunden sind, (4.) gegen Verzicht auf Planfeststellung a) nach § 17 Abs. 2 des Bundesfernstraßengesetzes, b) nach § 38 Abs. 3 des Niedersächsischen Straßengesetzes, soweit mit den Vorhaben Eingriffe in Natur und Landschaft verbunden sind, (5.) gegen die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen nach § 53, soweit es sich um Befreiungen von Verboten in Verordnungen nach § 26 handelt, nach § 28a Abs. 5 von den Verboten des § 28a Abs. 2 oder nach § 28b Abs. 4 von den Verboten des § 28b Abs. 2, soweit es sich um Vorhaben im Außenbereich handelt, nach § 33 Abs. 4 von den Verboten des § 33 Abs. 1, (6.) gegen die Erteilung von Genehmigungen auf Grund der nach § 71 übergeleiteten Verordnungen.“ Vgl. u. a. L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 297 ff., m.w. N. 188 Vgl. ausführlich über den Inhalt der landesrechtlichen VK: L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 102 ff.; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 879; jeweils m.w. N. 189 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 17, m.w. N.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Zudem ist das gerichtliche Verfahren materiell auf die Überprüfung der Bestimmungen beschränkt, die einen naturschutzrechtlichen Bezug aufweisen.190 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass vor der Einführung der bundesweiten VK im Rahmen des BNatSchG nur in Bundesländern Berlin, Hessen, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen eine altruistische VK existierte.191
III. Zur Funktion der naturschützenden VK anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung Schon vor der Einführung der VK auf Bundesebene wurde von der Rechtsprechung festgestellt, dass anerkannten Umweltverbänden die Vertretung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom Gesetz „in besonderer Weise anvertraut worden ist“.192 Die gerichtliche Praxis bezüglich der landesrechtlichen VK193 hat einerseits gezeigt, dass die altruistische VK eine wichtige Rolle bei der Beseitigung von Umweltdefiziten spielen kann. Andererseits aber wurde dargelegt, dass sich der besonders restriktive Umfang der Kontrollbefugnis negativ im Hinblick auf die Effektivität des Umweltrechtsschutzes auswirkt. Dies wurde grundsätzlich durch die zum Teil erfolgreichen landesrechtlichen VKen bestätigt, die gegen Infrastrukturprojekte geführt worden sind. Zu erwähnen sind z. B. die Gerichtsurteile gegen die Planfeststellung der sog. Ostsee-Autobahn (A20) bei Lübeck,194 gegen die Verlegung der Bundesstraße 1 im Raum Hildesheim195 sowie gegen das neue Emssperrwerk bei Papenburg196 oder die VKen, die grundsätzlich zu Gunsten des Naturschutzes gewirkt haben. Neben den VKen gegen Planfeststellungsbeschlüsse haben in der Praxis VKen gegen Befreiungen von 190 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 01.12.2004 – 7 LB 44/02, ZUR 2005, S. 383 ff. s. u. 1. Teil, 2. Kap., C., 3. 191 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 17; E. Gassner, NuR 1996, S. 492 ff.; ders., DVBl 1981, S. 4 ff. Dies galt, auch wenn an die Stelle eines enumerativ genannten Verwaltungsaktes ein anderer Verwaltungsakt gesetzt werden könnte, für den eine Mitwirkung des Naturschutzverbandes nicht vorgesehen war. Dies galt aufgrund des Erlasses des Planungsvereinfachungsgesetzes vom 17.12.1993, das die sog. qualifizierte Plangenehmigung einführte, vgl. J. Ziekow, VerwArch, 2000, S. 489 ff. 192 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88, NVwZ 1991 S. 162 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.04.1993 – 7 A 2/92, NVwZ 1993, S. 890 ff. 193 Vgl. systematisch eingeordnete Gerichtsurteile hinsichtlich der landesrechtlichen VK: M. Dross, in: N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters. Country Reports and Case Studies, Part II, 2003, S. 8. ff., insb. S. 38 ff. 194 BVerwG, Urt. v. 21.01.1998 – 4 VR 3/97, NVwZ 1998, S. 616 ff.; BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, NVwZ 1998, S. 961 ff.; BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – 4 A 15/01, NVwZ 2002, S. 1103 ff. 195 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, S. 1171 ff. 196 Vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 26.10.1999, NuR 2000, 398 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16.
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Verboten und Geboten, die zum Schutz von Naturschutzgebieten und Nationalparks erlassen sind, die größte Relevanz. Zu erwähnen ist beispielsweise die Entscheidung des VG Potsdam hinsichtlich der Befreiung des Landschaftsschutzgebiets „Westhavelland“ wegen des Baus einer Windkraftanlage197 sowie der Beschluss des OVG Frankfurt/Oder hinsichtlich einer Befreiung im Landschaftsschutzgebiet „Naturpark Märkische Schweiz“ aufgrund des Baus eines Wohnparks.198 Bei dem Urteil zur A20 (Ostsee-Autobahn) hat das BVerwG im Zusammenhang mit einer landesrechtlichen VK gegen einen Streckenabschnitt der A20 Ostsee-Autobahn ausschlaggebende Grundsätze für die Klagebefugnis von Verbänden bei Planfeststellungsverfahren entwickelt. Die Klage richtete sich auf der Grundlage von § 51c NatSchG Schleswig-Holstein gegen einen Teil der südlich an Lübeck vorbeiführenden Trasse. Zu beachten ist, dass das BVerwG darlegt, dass sich aus der gesetzlichen Beschränkung der Klage und Rügebefugnis auch eine Grenze für die gerichtliche Kontrolle ergibt. In diesem Zusammenhang stellt das BVerwG fest, dass etwa zu den Bestimmungen von § 51c Abs. 1 NatSchG Schleswig-Holstein a. F. das fachplanerische Abwägungsgebot von § 17 S. 1 FStrG nur insoweit gilt, als Belange des Naturschutzes betroffen sind. Dagegen sind öffentliche Belange, die nicht als naturschutzrechtlich zu qualifizieren sind, zwar im Rahmen der planerischen Abwägung zu beachten; ihre Beachtung kann jedoch nicht Gegenstand der VK sein. Denn andernfalls würde eine gerichtliche Kontrollbefugnis eröffnet, die das rechtspolitische Anliegen des Landesgesetzgebers verfehlt.199 Im Allgemeinen kommt der Missachtung naturschutzrechtlicher Belange im Rahmen des Abwägungsgebotes der naturschutzrechtlichen Bestimmungen der Länder besondere Bedeutung zu. Verfahrensfehler, die materiellrechtlich zu einer fehlerhaften Abwägung führen können, sind i. d. R. rügefähig – so etwa die Befangenheit eines mitwirkenden Amtsträgers sowie Fehler bei der Sachverhaltsermittlung wie die Nichtberücksichtigung eines Sachverständigengutachtens.200 Hinsichtlich der Grenze der Kontrollbefugnis haben dem BVerwG zufolge die Gerichte im Rahmen der VK Folgendes zu prüfen: 1. ob hinsichtlich naturschutzrechtlicher Belange eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat; 2. ob in die Abwägung an naturschutzrechtlichen Belangen eingestellt wurde, was nach Lage der Dinge einzustellen war; 3. ob die Bedeutung der naturschutzrechtlichen Belange verkannt wurde; 4. ob der Ausgleich zwischen den von der Planung berühr197
VG Potsdam, Urt. v. 07.08.1997 – 1 K 3417/95, NuR 1998, S. 675 ff. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 27.08.1998, 3 A 161/97, juris. 199 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, NVwZ 1998, S. 961 ff. 200 BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86 (Ben), NVwZ 1988, S. 530; U. Battis/ U. Dünnebacke, 1990, S. 191; L. Harrings, NVwZ 1997, S. 540; R. Wolf, ZUR 1994, S. 6. 198
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ten öffentlichen und privaten Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, die zur objektiven Gewichtigkeit der naturschutzrechtlichen Belange außer Verhältnis steht.201 Vor diesem Hintergrund kann somit das Abwägungsgebot nicht als verletzt angesehen werden, wenn sich die zur Planung und Entscheidung berufene Behörde bei Kollision verschiedener Interessen zur Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen entschieden hat, was auch für landesrechtliche Naturschutzbelange gilt. Vor allem aber können keine Mängel in der Ermittlung und Gewichtung nicht naturschutzrechtlicher Belange geltend gemacht werden. Im Hauptanwendungsbereich von VKen, im Fachplanungsrecht, wird die Kontrolle des fachplanerischen Abwägungsgebots nur auf eine Überprüfung der Verletzung von Naturschutzbelangen beschränkt.202 Infolgedessen bleiben die Vor- oder Nachteile des Vorhabens, die sich beispielsweise im Straßenplanungsrecht aus Fragen des Verkehrsbedarfs, der Kostenberechnung, der Lärmauswirkungen, der Verkehrsimmissionen und -emissionen oder der wirtschaftlichen Auswirkungen des Vorhabens ergeben, weitgehend unberücksichtigt.203 Dies ist aber zu kritisieren, denn eine solche Aufspaltung des Abwägungsvorgangs in Elemente, die der Rüge durch den Verband zugänglich sind, und solche, die er als feste Größe hinnehmen muss, entspricht nicht der gerechten Verwirklichung des Abwägungsgebots. Angesichts der Tatsache, dass eine Abwägungskontrolle voraussetzt, dass sämtliche Vor- und Nachteile in die Gewichtung eingestellt werden und das relative Gewicht der Belange untereinander festgestellt
201
Vgl. S. Schlacke, NuR 2004, S. 630. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97 (Schleswig), NVwZ 1998, S. 961 ff. 203 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, NVwZ 1998, S. 961 ff. Zwar können nach § 3 Abs. 2 BImSchG schädliche Auswirkungen auch gegenüber der Natur auftreten. Diese Norm sei aber nicht darauf gerichtet, gerade Belange des Naturschutzes zu wahren. Dies sei nach der gesetzgeberischen Konzeption vielmehr Gegenstand der besonderen Gesetze des Naturschutzes. Allerdings hat das BVerwG Zweifel daran, dass sich immissionsschutz- und naturschutzbezogene Regelungen generell so einfach voneinander unterscheiden und abgrenzen lassen. Denn „es mag im Einzelfall möglich sein, dass immissionsschutzrechtlich zu beurteilende Einwirkungen zugleich naturschutzrechtlich zu beurteilende Beeinträchtigungen darstellen, wie z. B., wenn Grenzwerte für Luftschadstoffemissionen auch dazu dienen, Vorsorge gegen die Waldschäden zu treffen“. Dieser Aspekt spielt vor allem bei der 13. BImSchV für Großfeuerungsanlagen eine Rolle. Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, S. 1171 ff.; BVerwG, Urt. v. 31.01.2001 – 4 A 15/01, DVBl 2001, S. 990 ff.; OVG Berlin VGH Kassel, Urt. v. 23.10.2002 – 2 Q 1668/02, NuR 2003, S. 292 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 11.07.1988 – 2 TH 740/88, NVwZ 1988, S. 1040 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 27.09.2001 – 1 B 10290/01, NVwZ-RR 2002, S. 420; VG Oldenburg, Urt. v. 26.10.1999 – 1 B 3319/ 99, NuR 2000, S. 398 ff.; VG Gera, Urt. v. 16.08.1999 – 1 E 2355/98, NuR 2000, S. 393 ff. Vgl. u. a. J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umweltund Naturschutz in Deutschland 1997–1999, 2001; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff. 202
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wird, ist im Ergebnis die Gewichtung der naturschutzrechtlichen und der übrigen Belange voneinander abhängig. Daher sollte bei der Abwägungskontrolle dieser Belange keine Unterscheidung zugelassen werden.204 Unabhängig davon wurde der beschränkte Umfang der landesrechtlichen altruistischen VK beispielsweise durch das OVG Lüneburg205 bestätigt. In diesem Fall begehrte der Kläger, ein anerkannter Naturschutzverband, die Aufhebung von Baugenehmigungen, welche der Beklagte für die Errichtung von zwölf Windenergieanlagen im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans („Windpark E“) erteilt hat. Das OVG Lüneburg stellte fest, dass anerkannten Naturschutzvereinigungen kein Klagerecht gem. § 60c Abs. 1, 2 NNatG gegen Vorhaben zusteht, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans i. S. v. § 30 Abs. 1, 2 BauGB errichtet werden. Die Zuerkennung einer umfassenden Befugnis zur inzidenten Überprüfung von Bebauungsplänen ist mit der gesetzlichen Grundentscheidung gegen ein Normenkontrollrecht der Naturschutzverbände in Bezug auf Bebauungspläne nicht vereinbar, so das Gericht. Eine andere Ansicht hätte zur Folge, dass die rechtliche Prüfung nicht auf subjektive öffentliche Beteiligungsrechte beschränkt wäre, die dem Naturschutzverband zur Verfolgung ihm anvertrauter Schutzgüter eingeräumt sind, sondern auch andere als naturschutzrechtliche Vorschriften, zum Beispiel Verfahrens- oder Formvorschriften bzw. materielle Bestimmungen im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB einschlösse, die nicht dem Naturschutz dienten. Das hat aber der Landesgesetzgeber gerade nicht gewollt. Auch die Systematik der naturschutzrechtlichen Beteiligungsrechte für anerkannte Naturschutzverbände spricht gegen eine erweiterte Klagebefugnis des Klägers im vorliegenden Fall.206 Darüber hinaus ist das OVG Lüneburg in einem anderen Fall hinsichtlich der Planergänzung beim Emssperrwerk zwischen Gandersum und Nendrop der oben dargestellten Ansicht des BVerwG gefolgt und hat somit den Schluss gezogen, dass das Klagerecht anerkannter Naturschutzvereinigungen gemäß § 60c NNatG nicht zu einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungsaktes führt und dass das gerichtliche Verfahren materiell auf die Überprüfung der Bestimmungen beschränkt ist, die einen naturschutzrechtlichen Bezug aufweisen.207 Das Gericht beschäftigt sich mit der Frage, ob geltend gemacht werden könnte, 204
Vgl. S. Schlacke, NuR 2004, S. 630 ff., m.w. N. OVG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2002 – 1 LB 3422/01, NVwZ 2003, S. 358 ff. In diesem Fall begehrte der Kläger, ein anerkannter Naturschutzverband, die Aufhebung von Baugenehmigungen, welche der Beklagte für die Errichtung von zwölf Windenergieanlagen im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans („Windpark E“) erteilt hat.5 In diese Richtung auch OVG Lüneburg, Urt. v. 22.05.2006 – 9 ME 155/ 06, NVwZ-RR 2006, S. 782 ff. 206 OVG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2002 – 1 LB 3422/01, NVwZ 2003, S. 358 ff. In diese Richtung auch OVG Lüneburg, Urt. v. 22.05.2006 – 9 ME 155/06, NVwZ-RR 2006, S. 782 ff. 207 OVG Lüneburg, Urt. v. 01.12.2004 – 7 LB 44/02, ZUR 2005, S. 383 ff. 205
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
dass das Planfeststellungsverfahren von einer nicht zuständigen Behörde durchgeführt worden war und dass eine falsche Anwendung von Zuständigkeitsregelungen nicht gerügt werden könne, weil es nicht um Vorschriften gehe, die auch den Belangen des Naturschutzes dienen sollen.208 Bei einer derart beschränkten Kontrolle kann jedoch auch eine fehlerhafte Einschätzung von naturschutzfremden Belangen, die zu einer Zurückstellung des Naturschutzes in der Abwägung führt, nicht erfasst werden. Bei der Abwägung hinsichtlich der Beeinträchtigung eines potentiellen FFHGebietes durch die Durchführung des Projekts für die Planergänzung des Emssperrwerks nimmt das Gericht ebenfalls eine beschränkte Rügebefugnis der Verbände an, aus der es eine auf die Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes beschränkte gerichtliche Kontrolle ableitet. Grund dafür war, dass die Verbände im Verwaltungsverfahren als „Anwälte der Natur“ und nicht als Sachwalter anderer Belange hinzugezogen würden.209 Andererseits macht das BVerwG deutlich, dass die Meldung von FFH-Gebieten ausschließlich nach naturwissenschaftlichen Kriterien zu erfolgen habe, sowie dass die Länder hierfür keinen politischen Ermessensspielraum hätten.210 In dieselbe restriktive Richtung hat das OVG Hamburg zur luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung für die Erweiterung eines Flugzeugwerkes im „Mühlenberger Loch“ in Hamburg Finkenwerder entschieden, dass weder die FFH- noch die Vogelschutz-RL die Verpflichtung der Mitgliedstaaten begründen, einzelnen Marktbürgern oder Vereinigungen klagbare Rechte auf die Einhaltung der zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen innerstaatlichen Normen einzuräumen. Denn beide Richtlinien betreffen vielmehr ausschließlich den Schutz natürlicher Lebensräume im Interesse der Allgemeinheit.211 Das nachfolgend angerufene BVerfG212 hat sich dieser Einschätzung angeschlossen. Auch das BVerwG hat in diesem Rahmen entschieden, dass ein nur lärmbetroffener Anwohner eine mit dem Flugplatzausbau zusammenhängende wasserbauliche Maßnahme (d. h. die teilweise Verfüllung des Mühlenberger Lochs) nicht rügen kann, da sie bloß gegen die Vogelschutz- und die FFH-RL verstoße.213 Das BVerwG hat insofern die klägerische Behauptung, dass aus der 208 VG Oldenburg, Urt. v. 26.10.1999 – 1 B 3319/99, NuR 2000, S. 398; OVG Lüneburg, Urt. v. 01.12.2004 – 7 LB 44/02, ZUR 2004, S. 383 ff. 209 VG Oldenburg, Urt. v. 26.10.1999 – 1 B 3319/99, NuR 2000, S. 398 ff. 210 Vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, S. 1171; BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97 (Schleswig), NVwZ 1998, S. 961 ff. 211 OVG Hamburg, Urt. v. 19.02.2001 – 2 Bs 370/00, NVwZ 2001, S. 1173 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 6.7.2016 – 2 L 84/14 –, juris, Rn. 167 und Leitsatz 2; dagegen EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), ZUR 2017, S. 86 ff.; Anm. dazu R. Klinger, ZUR 2017, S. 90 ff., s. 1. Teil, 4. Kap., B., VI. 212 BVerfG, Urt. v. 10.05.2001 – BvR 481/01, NVwZ 2001, S. 1148 ff. 213 BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 C 12/05, Rn. 34 ff., NuR 2007, S. 546 ff.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
269
FFH-RL dem Kläger einklagbare Individualrechte erwachsen würden, mit einer klassisch schutznormtheoretischen Begründung zurückgewiesen.214 Die betreffenden Vorschriften schützen ebenso wie die zu ihrer Umsetzung ergangenen Regelungen des BNatSchG natürliche Lebensräume und Tier- und Pflanzenarten. Einen Bezug zu den Interessen des Einzelnen ließen sie allerdings nicht erkennen. Ferner sei der Schutz des gemeinsamen Naturerbes zwar von besonderem Interesse, aber kein Anspruch, der zu Gunsten von Einzelnen Klagerechte begründen würde. Laut BVerwG dienen die Vogelschutz- und die FFH-RL nicht dem Schutz der Gesundheit bzw. dem Interesse der in ihrer Nähe lebenden Menschen. Diese Richtlinien schützten grundsätzlich die Lebensräume der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Das deutsche Naturschutzrecht begründe somit – wie schon gezeigt wurde – eine solche Befugnis nicht. Auch das EU-Recht verleihe dem Einzelnen nicht das Recht, die Beachtung der Vogelschutz- und der FFH-RL zu verlangen.215 Im Anschluss daran konnten Naturschutzvereinigungen somit aus der Vogelschutz-RL sowie der FFH-RL keine Klagebefugnis wegen der Verletzung besonderer Rechte aufgrund der Genehmigung eines Windparks in der AWZ ableiten, da diese Richtlinien keinen Schutznormcharakter entwickeln, weshalb subjektive Rechte hieraus nicht abgeleitet werden können. Auch aus der AK sowie der UVP-RL könnte ein solches Recht nicht abgeleitet werden.216 Dies wurde allerdings in der neuen Fassung des BNatSchG (gem. § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F.) teilweise geändert.217 Es scheint daher, dass damit nicht hinreichend berücksichtigt wurde, dass Verluste von natürlichen Lebensräumen und Arten auch die Lebensbedingungen bzw. die Gesundheit der Menschen verschlechtern können, da der Mensch als Teil der Natur von derem Zustand abhängig ist.218 Anders als bei Planfeststellungen wirkt sich bei den Befreiungsbescheiden die Beschränkung der Rügebefugnis der Umweltvereinigungen auf eine Verletzung landesrechtlicher naturschutzbezogener Regelungen nicht aus, denn die Befrei214 BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 C 12/05, NuR 2007 S. 546 ff.; OVG Hamburg, Urt. v. 02.06.2005 – 2 Bf 345/02, NVwZ-RR 2006, S. 97 ff. Dessen entsprechende Erwägungen im Eilverfahren waren Gegenstand von Beschlüssen des BVerfG, Urt. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481/01 u. 1 BvR 518/01, NVwZ 2001, S. 1148 ff., mit denen das Gericht in der Nichtvorlage der Frage nach der Individualrechtsbegründung vor dem EuGH keine Verletzung des Gebots des gesetzlichen Richters erblicken mochte. 215 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 C 12/05, NuR 2007, S. 546 ff. Ähnlich auch OVG Hamburg, Urt. v. 03.12.2004 – 1 Bf 113/04, ZUR 2005, S. 206 ff.; OVG Hamburg, Urt. v. 02.06.2005 – 2 Bf 345/02, NVwZ-RR 2006, S. 97 ff.; B. Wegener, UTR 2008, S. 325 ff. 216 VG Hamburg, Urt. v. 01.12.2003, 19 K 2474/03, Rn. 27, juris. 217 s. u. 1. Teil, 2. Kap., D., II., 2. 218 Vgl. B. Wegener, UTR 2008, S. 324 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
ungstatbestände sind eindeutig „rein“ naturschutzrechtliche Vorschriften. Bei der inhaltlichen Überprüfung von Gerichtsurteilen hinsichtlich der Befreiungen ist zu beachten, dass eine Befreiung nur erteilt werden kann, wenn dies im Einzelfall zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde oder219 überwiegende Gründe des Gemeinwohls die Befreiung erfordern. Wenn aber im Einzelfall eine nicht beabsichtigte Härte vorliegt, muss die Befreiung zudem mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vereinbar sein.220 Daher kommt die Erteilung einer Befreiung zu Lasten des Naturschutzes praktisch nur ausnahmsweise bei überwiegenden Gründen des Gemeinwohls in Betracht. Bei solchen Fällen ergeben sich allerdings Probleme insbesondere bei der Frage, ob die landesrechtlichen Zulässigkeitsanforderungen für die altruistische VK erfüllt sind. Grund dafür ist vor allem die meist enge Fassung dieser Zulässigkeitsanforderungen. Charakteristisch dafür ist die Entscheidung des OVG Frankfurt/Oder.221 Es ging dabei um eine landesrechtliche altruistische naturschützende VK, die sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für ein Betonwerk in einem Landschaftsschutzgebiet richtete. Da die überplante Fläche in einem Landschaftsschutzgebiet lag, machte der Verband geltend, dass für diese Fläche eine Entlassung aus dem Schutzgebiet oder zumindest eine Befreiung oder eine Ausnahmegenehmigung erforderlich gewesen wäre, die es jedoch nicht gebe und die auch nicht zulässig wäre, so dass eine Verletzung der Schutzgebietsverordnung und der Befreiungsregelung vorliege. Das OVG Frankfurt/Oder hat aber die VK abgewiesen. Im Gegensatz zur Auffassung des erstinstanzlichen VG, nach dem die Klagebefugnis einer solchen VK unmittelbar aus der Brandenburger Verfassung (Art. 39 Abs. 8 S. 1) ableitbar sei, weil im BbgNatSchG keine VK gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen vorgesehen ist,222 stellte das OVG fest, dass diese VK nicht zulässig sei.223 In seiner Begründung hielt sich das OVG strikt an den Wortlaut des Brandenburger Naturschutzgesetzes und stellte fest, dass dieses Gesetz einer Ausdehnung der Klagemöglichkeiten für Verbände durch die Gerichte entgegenstehe. Auf diese Weise hatten aber die gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen zur Folge, dass die fehlerhafte Anwendung des Naturschutzrechts durch die Behörden teilweise unkontrollierbar blieb. 219 Vgl. dazu u. a. BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, S. 1171 ff.; Anm.: A. Fisahn, ZUR 2000, S. 335 ff. 220 J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland 1997–1999, 2001, S. 19, m.w. N. 221 Vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 27.08.1997 – 3A 37/96, LKV 1998, S. 490 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 22. 222 VG7 Potsdam, Urt. v. 31.08.1995 – 1 K 1160/93, LKV 1996, S. 253 ff. 223 Vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 27.08.1997 – 3A 37/96, LKV 1998, S. 490 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche, NuR 2003, S. 22. s. auch VG Berlin, 1 A 472/98; OVG Berlin, Urt. v. 18.02.1999 – 2 SN 30/98, NVwZ-RR 1999, S. 368 ff.
C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage
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Hinsichtlich der Befreiungsbeschlüsse ist auch ein Urteil des VG Potsdam relevant,224 in dem es um Nutzungskonflikte beim Betreiben von Windkraftanlagen im brandenburgischen Landschaftsschutzgebiet „Westhavelland“ geht. Danach plante ein privater Investor im Landschaftsschutzgebiet „Westhavelland“ in Brandenburg die Errichtung einer Windkraftanlage. Hierfür erteilte ihm die für die Befreiung zuständige Behörde die beantragte Genehmigung. Vor diesem Hintergrund machte der Verband geltend, dass der Beklagte dem ihm obliegenden Untersuchungsgrundsatz nicht genügt habe, denn u. a. hätten die Auswirkungen der Windkraftanlage auf die Funktion des Geländes als Nahrungs-, Rast- und Schlafplatz für zahlreiche Vogelarten untersucht werden müssen, da der Standort zentral zwischen verschiedenen Gewässern liege. Das Gericht hat die Argumentation des Klägers voll angenommen und stellte fest, dass das Vorhaben in Bezug auf den Schutzzweck der geplanten Unterschutzstellung die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts von der zuständigen Behörde unzureichend überprüft worden sei. Denn sie hatte ihre Entscheidung getroffen, ohne sich mit der zur beantragten Genehmigung völlig im Gegensatz stehenden Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde auseinandergesetzt zu haben. Insofern wurde deutlich gemacht, dass die Erteilung der Befreiung nur bei einer konsequenten Beachtung der Naturschutzbelange möglich ist.
IV. Fazit Nach seit mindestens dem Ende der 60er Jahre andauernden heftigen staatsrechtlichen und rechtspolistischen Auseinandersetzungen hinsichtlich der Einführung der altruistischen umweltschützenden VK in der deutschen Rechtsordnung wurde zunächst in einigen Bundesländern eine naturschützende altruistische VK eingeführt, bevor sie auf Bundesebene gemäß der damaligen Neuregelung des § 61 des BNatSchG im Jahr 2002 eingeführt wurde. Die Bedenken der Gegner der altruistischen VK, etwa dass Art. 19 Abs. 4 GG i.V. m. § 42 Abs. 2 VwGO jeder objektiven Beanstandungsklage entgegenstehe; dass die naturschutzrechtliche VK im Prinzip eine Popularklage sei, die zu einer „Privatisierung des Gemeinwohls“ führe und die „Formtypik“ der am deutschen Individualrechtsschutzsystem ausgerichteten Verwaltungsgerichtsbarkeit durchbreche; sowie dass sie eine Klageflut herbeiführen könne, setzten sich schließlich nicht durch. Die Rechtspraxis bestätigt die Argumentation der Befürworter der altruistischen VK. Denn die Einführung eines solchen Rechtsmittels greift letztlich nicht in den politischen Prozess ein, vielmehr trägt sie zur Stärkung der rechtlichen Kontrolle der Verwaltung durch die Gerichte bei und leistet zum Vollzug des Umweltrechts sowie zur Waffengleichheit zwischen Wirtschafts- und Umweltrecht einen wesentlichen Beitrag. Freilich führt die neue VK durch die Verstär224
VG Potsdam, Urt. v. 07.08.1997 – 1 K 3417/95, NuR 1998, S. 675 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
kung des Verbandseinflusses zu einer Wandlung bzw. zu einer Quasiprivatisierung der Staatlichkeit. Dies sollte jedoch nicht als Ausdruck einer „Erosion der Staatlichkeit“ bewertet werden. Vielmehr sollten Wandlungen der Staatlichkeit keine per se illegalen bzw. pathologischen Entwicklungen sein. Der Rechtsstaat hat dadurch lediglich immer weitere „Anreicherungen“ erfahren. Es handelt sich somit um keinen „Machtwechsel“. In der Tat sind entsprechende Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene notwendig, insbesondere im Umweltrecht, um dem Staatsaufgabenwandel, der sich durch rechtspolitische Entwicklungen vollzieht, mit adäquaten Regelungsstrukturen zu begegnen. Die naturschützende altruistische VK könnte somit als eine solche Regelungsstruktur angesehen und verstanden werden. Eine „Privilegierung“ der Naturschutzvereinigungen im Bereich des Umweltrechtsschutzes liegt in der Praxis darin begründet, dass die anerkannten Verbände i. d. R. über einen überdurchschnittlichen Grad an umweltschutzbezogener Sachkunde verfügen. Insofern werden die Naturschutzvereinigungen als Vehikel zur Optimierung der Gemeinwohlverträglichkeit komplexer Verwaltungsentscheidungen bewertet. Außerdem unterscheidet sich eine solche VK von der Popularklage darin, dass sie nicht von jeder Person, sondern nur von den gesetzlich anerkannten Verbänden erhoben werden kann. Darüber hinaus ist auch von Bedeutung, dass durch aktuelle Studien in Zusammenhang mit der gerichtlichen Praxis grundsätzlich belegt wurde, dass die Verbandsklageregelungen keine verwaltungsprozessuale Klageflut hervorrufen. Es ist auch belegt, dass die relevanten Sachverhalte von den Naturschutzvereinigungen seit 2002 (nach der Einführung der bundesweiten naturschützenden altruistischen VK) noch sorgfältiger im Hinblick auf gute Erfolgsaussichten geprüft und ausgewählt wurden als in der Zeit davor. Aus der Entwicklung und Funktion der landesrechtlichen naturschützenden VK kann allerdings abgeleitet werden, dass der Anwendungsbereich der Klagebefugnis der landesrechtlichen naturschützenden altruistischen VK durchaus unterschiedlich und fragmentarisch bemessen war. Die Landesregelungen hatten im Prinzip nur einen engen Anwendungsbereich ausschließlich im Rechtsgebiet des Naturschutzes. Die landesrechtliche naturschützende altruistische VK konnte in den meisten Ländern – trotz einiger Ausnahmen – nur gegen Planfeststellungsbeschlüsse und gegen die Erteilung von Ausnahmen oder Befreiungen in Naturschutzgebieten und Nationalparks eingelegt werden. Trotz des relativ eingeschränkten Umfangs der ursprünglichen landesrechtlichen VK sollte aber die Rolle der ursprünglichen landesnaturschützenden VK für den Schutz der Umwelt nicht unterschätzt werden. Denn die Entwicklung und Funktion der landesrechtlichen altruistischen naturschützenden VK bereitete letztlich stufenweise den Weg zunächst für die Einführung der altruistischen VK auf Bundesebene (gem. § 61 BNatSchG a. F.) und später für die Einführung der
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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umweltschützenden altruistischen VK im Rahmen des UmwRG.225 Es sieht so aus, dass die Entwicklung der naturschutzrechtlichen VK auf Landesebene auch zur Einführung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage in einigen Bundesländern beigetragen hat.226
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene I. Allgemeines Vor dem Hintergrund der oben dargelegten Argumente für die Einführung einer umweltschützenden altruistischen VK und unter dem Einfluss der AK, die wie bereits ausgeführt wurde, schon am am 30.10.2001 in Kraft getreten war, führte der Bundesgesetzgeber auf Bundesebene durch das Inkrafttreten des neuen BNatSchG 2002227 die altruistische naturschützende VK gem. § 61 BNatSchG auf Bundesebene ein. Anschließend wurde diese Vorschrift im Rahmen des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, das am 01.03.2010 in Kraft trat, durch § 64 BNatSchG n. F. ersetzt.228 Diese Vorschrift tritt somit neben die Bestimmungen des UmwRG.229 Mit der Novellierung der altruistischen VK im BNatSchG, die grundsätzlich auf dem oben ausgeführten sowie landesrechtlich erprobten Fundament basiert, erweisen sich die oben dargestellten Bedenken der Gegner der altruistischen VK230 als grundlos. Nun hat der Bundesgesetzgeber zum ersten Mal für den Bereich des Naturschutzes eine bundesweite altruistische VK eingeführt. Dadurch manifestiert sich der klare politische Wille, mögliche Vollzugsdefizite im Sektor des dem Schutz der Natur dienenden Rechts mit dem im bundesdeutschen Rechtsschutzsystem atypischen Mittel eines objektiven Rechtsbeanstandungsverfahrens möglicherweise zu vermeiden oder auszugleichen.231 Dies ist von beson225 BT-Drs. 16/2495 v. 04.09.2006. Ausführlich zur umweltschützenden altruistischen VK des UmwRG s. u. 1. Teil, 3. Kap. 226 Die tierschutzrechtliche VK auf Landesebene wurde 2007 erstmalig auf Bremen eingeführt. Bisher sind sechs weitere Bundesländer gefolgt. Mehr zu der tierschutzrechtlichen Verbandsklage vgl. M. Kloepfer, NuR 2016, S. 729 ff., m.w. N. 227 BGBl. I, S. 1193, zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986). 228 Vgl. Gesetz zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29.07.2009. Es ist am 06.08.2009 im BGBl. I, S. 2542 verkündet worden. Es trat gem. Art. 27 am 01.03.2010 in Kraft. 229 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 9. Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., B., II. 230 s. o. 1. Teil, 1. Kap., C., I., 1. 231 BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11/03, DÖV 2005, S. 657 ff.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
derer Bedeutung auch angesichts der Tatsache, dass es in der Bundesrepublik Deutschland Ende 2012 nach Zahlen des Bundesamts für Naturschutz 8.210 Landschaftsschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von ca. 10,2 Mio. ha gab. Dies entspricht ca. 28,4% des Bundesgebietes.232 In diesem Zusammenhang hat auch die Rechtsprechung deutlich erklärt, dass die altruistische VK (gem. § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F., nunmehr § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F.) dem Abbau von Vollzugsdefiziten durch ein objektives Beanstandungsverfahren dient.233 Daher wird im Schrifttum die naturschutzrechtliche VK dementsprechend auch als „Treuhandklage“ bezeichnet.234 In diesem Rahmen werden die anerkannten naturschützenden Verbände, die altruistische Klagen erheben, von der deutschen Rechtsprechung als „Anwälte der Natur“ bezeichnet.235 Dieses Rechtsinstrument erscheint allerdings weniger als Endprodukt, sondern vielmehr als vorläufiger Höhepunkt einer noch nicht zum Abschluss gebrachten Entwicklung in Bezug auf einen effektiveren Rechtsschutz umweltbezogener überindividueller Interessen. Außerdem dient diese Norm nicht direkt der Umsetzung der sog. AK.236 Die altruistische VK des BNatSchG bedeutet in diesem Zusammenhang auch einen weiteren Schritt hin zur Aufwertung der dezentralen europarechtlichen Durchsetzungsmechanismen und zwar mittels der Eröffnung einer allgemeinen Klagemöglichkeit für bestimmte anerkannte Umweltorganisationen. Sie fügt sich daher problemlos in das unionale Konzept dezentraler Vollzugs- und Umsetzungskontrolle ein.237 Die gem. § 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 BNatSchG n. F. i.V. m. § 3 UmwRG anerkannten Naturschutzvereinigungen sollen als Sachwalter bestimmter natur- und landschaftsschutzrechtlicher Interessen zur Komplettierung und Verstärkung ihrer Aktivitäten, die sie zugunsten von Natur und Landschaft ausüben, auch nicht auf Rechtsschutz verzichten. Hauptsächlich bezweckt die altruistische VK des BNatSchG eine Beanstandung von Verletzungen objektiver Rechtssätze, um damit die Durchsetzung des Naturschutzrechts zu befördern und zum Abbau von 232 Bundesamt für Naturschutz (BfN), Landschaftsschutzgebiete (Stand 31.12.2012), abrufbar unter: http://www.bfn.de/0308_lsg.html. 233 Vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 14.02.2005 – 4 BS 273/04, LSK 2005, 350417; OVG Bautzen, Urt. v. 23.01.2003 – 1 BS 1/03, ZUR 2003, S. 222 ff. 234 Vgl. G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch, BNatSchGKomm., 2003, S. 935 ff., Rn. 8 ff. 235 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1993 – 7 A 2/92, LKV 1993, S. 314 ff.; BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88, NVwZ 1991, S. 162; BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, ZUR 2008, S. 257 ff.; vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1993 – 7 A 3/92, NVwZ 1993, S. 890 ff. 236 Vgl. M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 1. 237 Vgl. A. Epiney, NVwZ 1999, S. 488; dies., ZUR 1996, S. 229 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 25 ff.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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Vollzugsdefiziten beizutragen. Dadurch sollen die Interessen des Natur- und Landschaftsrechts stärker geschützt werden.238 Auf dieser Grundlage lassen sich nach § 64 BNatSchG n. F. genauso wie nach § 61 BNatSchG a. F. als rechtlich geschützte Interessen solche auffassen, die in dieser Subjektivierung treuhänderisch zugunsten von Natur und Landschaft geltend gemacht werden.239 Kurzgefasst bekommt eine anerkannte Naturschutzvereinigung gem. § 64 BNatSchG n. F. wie nach § 61 BNatSchG a. F. das Recht, ohne die Geltendmachung einer Verletzung eigener Mitwirkungsrechte oder materieller Rechtspositionen die Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften – abweichend von § 42 Abs. 2 VwGO – zu rügen, die naturschutzrechtliche, ideelle Interessen berühren. Das Recht zur Beanstandung objektiver Rechtsverletzungen ist somit auf solche beschränkt, die den spezifischen, im Anerkennungsverfahren nachgewiesenen, Schutzinteressen der Vereinigung entsprechen.240 Insoweit handelt es sich bei der altruistischen VK, wie schon dargestellt wurde, nicht um eine Popularklage, obschon keine subjektive Rechtsverletzung geltend gemacht werden muss. Die naturschutzrechtliche VK tendiert bezüglich ihrer Rechtsnatur vielmehr zu einer Interessentenklage und nicht zu einer Beanstandungsklage, die objektive Rechtsverletzungen sanktionieren will, wenngleich mit ihr keine reinen Interessensverletzungen, sondern lediglich spezielle landschafts- und naturschutzrechtliche Rechtsbrüche einklagbar sind.241 Außerdem fügt sich diese Klageform besser als eine objektive Interessentenklage nicht nur in das Rechtsschutzsystem des GG und der VwGO, sondern auch in die Belange des Naturschutzes im Rahmen des BNatSchG ein.242 Diese Vorschrift stellt aber in Bezug auf das Rechtsschutzsystem der VwGO eine Ausnahme dar. Daher sind seine rechtstechnischen Begriffe nicht analogiefähig.243 Die naturschützende altruistische VK bleibt deutlich hinter einzelnen, im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens unterbreiteten Vorschlägen zurück. Denn sie 238 Vgl. S. Schlacke, NuR 2004, S. 633; R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1038; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. SchmidtRäntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 930. 239 E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/ J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 930. 240 BT-Drs. 14/6378, S. 61; BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, ZUR 2008, S. 257 ff.; vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1993 – 7 A 2/92, NVwZ 1993, S. 890 ff. 241 Vgl. S. Schlacke, NuR 2004, S. 633; E. Gassner, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/ A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 932, Rn. 8; ders., Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft, 1994, S. 29, S. 58 ff.; der Gesetzgeber (BT-Drs. 14/6378, S. 59) und ein Teil der Literatur, z. B. R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1037; M. Müller/H. Stöckel, § 61 BNatSchG, in: BNatSchG-Komm., 2003, Rn. 6, lassen den Aspekt der Interessensbeschränkung unberücksichtigt und stellen lediglich auf die objektiv-rechtliche Beanstandungsfunktion ab. 242 Vgl. E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. SchmidtRäntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 932 ff. 243 Vgl. ebd., S. 935.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
gewährt weder ein Klagerecht bei sämtlichen Verwaltungsakten und Rechtsvorschriften des Natur- und Landschaftsschutzes244, noch eröffnet sie die Möglichkeit zur Erhebung einer Verpflichtungs- oder Leistungsklage oder zur Beantragung einer Normenkontrolle.245 Beispielsweise wurde die im Entwurf des BNatSchG 2002 zunächst noch vorgesehene Möglichkeit, zumindest planfeststellungsersetzende Bebauungspläne einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen,246 im Vermittlungsverfahren nicht angenommen. Bei dem Erlass des BNatSchG n. F. von 2009247 wurde sie auch nicht berücksichtigt.248 Durch die novellierte VK von § 64 BNatSchG n. F. sind jedenfalls wesentliche Änderungen im Vergleich zu § 61 BNatSchG a. F. nicht eingetreten.
II. Anwendungsbereich Eine vom Bund oder von einem Land gem. § 3 UmwRG anerkannte Naturschutzvereinigung kann neben den Rechtsbehelfen des § 2 UmwRG – ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein – Rechtsbehelfe nach Maßgabe der VwGO gegen Verwaltungsentscheidungen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2–4 BNatSchG n. F. sowie gegen Verwaltungsentscheidungen nach § 63 Abs. 2 Nr. 5–7 BNatSchG n. F. einlegen. § 63 Abs. 1 Nr. 2–4 BNatSchG n. F. betrifft die Mitwirkungsrechte der vom Bund anerkannten Vereinigung, während § 63 Abs. 2 Nr. 5–7 BNatSchG n. F. die Mitwirkungsrechte der von den Ländern anerkannten Naturschutzvereinigungen regelt.249 Zu erwähnen ist, dass einerseits § 63 Abs. 1 BNatSchG n. F. im Wesentlichen § 58 Abs. 1 BNatSchG a. F. (2002) entspricht. Andererseits entspricht § 63 Abs. 2 BNatSchG n. F. im Wesentlichen der Vorschrift von § 60 Abs. 1 BNatSchG a. F. (2002).250 244 BT-Drs. 13/7808, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einiger ihrer Abgeordneten. 245 Vgl. Gesetzentwurf der Abgeordneten E.-M. Bulling-Schröter, K. Naumann, R. Neuhäuser, W. Wolf, R. Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege (sog. Alternativentwurf), BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 25 ff. 246 Vgl. Änderungsantrag Nr. 57 der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. 247 Vgl. Gesetz zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29.07.2009. Es ist am 06.08.2009 im BGBl. I, S. 2542 verkündet worden. Es trat gem. Art. 27 am 01.03.2010 in Kraft. 248 Vgl. M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 1. 249 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 113 (abrufbar unter: https:// www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/BNatSchG_begr.pdf). 250 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 114 (abrufbar unter: https:// www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/BNatSchG_begr.pdf); H. W. Louis, NuR 2010, S. 88; P. Berghoff/K. Steg, NuR 2010, S. 25 ff.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
277
1. Befreiungen von Ge- und Verboten Im Einzelnen kann gem. § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG n. F. eine altruistische VK im Rahmen des BNatSchG n. F. von einer vom Bund anerkannten Naturschutzvereinigung gegen Erteilungen von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von geschützten Meeresgebieten i. S. d. § 57 Abs. 2 BNatSchG n. F. eingelegt werden. In Vergleich zu der alten Rechtslage erstreckt sich damit das Klagerecht der vom Bund anerkannten Naturschutzvereinigungen auch auf diejenigen Fälle, in denen die Erteilung von Befreiungen sowie die Erteilung von Ge- und Verboten durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ersetzt wird.251 Ist beispielsweise im Rahmen einer Genehmigung eines Offshore-Windparks nach § 13 BImSchG gleichzeitig eine Befreiung im Rahmen von geschützten Meeresgebieten verbunden, besteht hier ein Mitwirkungsrecht sowie ein Klagerecht der anerkannten Naturschutzvereinigungen.252 § 64 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG n. F. überträgt somit das schon bestehende Mitwirkungsrecht vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten (gem. § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BNatSchG a. F.) auf die in der Zuständigkeit des Bundes stehenden geschützten Meeresgebiete im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels.253 Gleichwohl wird gegen entsprechende gesetzwidrige Maßnahmen eine neue Klagemöglichkeit eröffnet.254 Darüber hinaus kann auf Landesebene gem. § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG n. F., der im Wesentlichen § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BNatSchG a. F. entspricht,255 eine altruistische VK von einer von einem Land anerkannten Naturschutzvereinigung gegen die Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Gebieten wie Natura-2000-Gebieten (im Sinne des § 32 Abs. 2 BNatSchG n. F.), Naturschutzgebieten (gem. § 23 BNatSchG n. F.), Nationalparks und nationalen Naturmonumenten (§ 24 BNatSchG n. F.) und Biosphärenreservaten (§ 25 BNatSchG n. F.) erhoben werden. Begrüßenswert ist die Tatsache, dass die Klagemöglichkeit der von einem Land anerkannten Naturschutzvereinigung zum ersten Mal auch gegen Erteilungen einer Befreiung von Geboten und Verboten von Schutznormen eines Biosphärenreservates im Anwendungsbereich der altruistischen VK ihren Niederschlag findet. Dies galt nicht bei § 61 BNatSchG a. F. (2002). 251 OVG Münster, 15.03.2010 – 11A 1355/07, Rn. 10, juris; J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis 2010, S. 652 ff., m.w. N. 252 A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 15. 253 BT-Drs. 16/12274, S. 75; S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 15, m.w. N. 254 S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 12 ff., m.w. N. 255 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 12 ff., S. 114.
278
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Der Zusatz des BNatSchG n. F. „im Sinne des § 32 Abs. 2“ bezieht sich nur auf ebenjene Gebiete nach der sog. FFH- und der Vogelschutz-RL in Abgrenzung von den anderen aufgezählten Gebieten. Dabei stellt die Erwähnung der Natura-2000-Gebiete nicht nur klar, dass es bei den nach § 32 Abs. 2 BNatSchG n. F. ausgewiesenen Gebieten nicht auf die Art der Unterschutzstellung nach § 22 BNatSchG ankommt. Vielmehr zeigt der systematische Zusammenhang, dass damit auch die Gebiete nach § 32 Abs. 4 BNatSchG n. F. erfasst werden – also Naturschutzgebiete, bei denen auf eine förmliche Unterschutzstellung verzichtet worden ist, weil der ausreichende Schutzgrad anderweitig gewährleistet wird.256 Beachtenswert ist, dass auch die hier relevante Bestimmung (gem. § 63 Abs. 2 Nr. 5 i.V. m. § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F.) klarstellt, dass die Mitwirkungs- und Klagerechte nicht im Falle einer Konzentrationswirkung, wonach eine Genehmigung mehrere andere Genehmigungen miteinschließt, entfallen. Vielmehr bestehen diese Rechte, auch wenn die jeweils umstrittenen Befreiungen von Verboten und Geboten durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ersetzt werden.257 Dies ist positiv zu bewerten, denn nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG258 war das im BNatSchG a. F. geregelte Verbandsklagerecht der Umweltvereinigungen ausgeschlossen, wenn die naturschutz- oder landschaftsrechtliche Genehmigung nicht in einem Planfeststellungsverfahren, sondern im Rahmen einer Genehmigung mit Konzentrationswirkung erteilt wurde, also insbesondere durch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung gem. § 13 BImSchG. Das hat sich somit nunmehr durch das BNatSchG n. F. geändert (vgl. nunmehr § 64 Abs. 1 i.V. m. S. 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG).259 Mit dieser Ergänzung klärt die Fassung der oben genannten Norm den Streit, ob bei einer durch Konzentrationswirkung bewirkten Ersetzung der naturschutzrechtlichen Genehmigung die Mitwirkungsrechte der Vereinigung dann in den anderen Verfahren zur Anwendung kommen müssen.260 Nunmehr ist ohne Zweifel, dass eine Konzentrationswirkung nur unbeschadet der entsprechenden Mitwirkungs- und Klagerechte erfolgen kann.261 256 S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 24, m.w. N. Es handelt sich um Gebiete, die sich als FFH- und Vogelschutzgebiete qualifizieren, die aber bereits durch andere Vorschriften eine gleichwertige Gewährleistung mit den anerkannten FFH- und Vogelschutzgebieten genießen. 257 BT-Drs. 16/12274, S. 75. 258 BVerwG, Beschl. v. 07.10.2009 – 7 B 28.09, 7 B 28/09, BeckRS 2009, 41662; BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 – 7 B 119/02, NVwZ 2003, S. 750 ff. 259 A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 281. 260 S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 25; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, Rn. 8; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 878; B. Stüer, NuR 2002, S. 712; T. Bunge, in: S. Schlacke/ Schrader/ders., Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 2, Rn. 594 ff.; jeweils m.w. N. 261 S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 25, m.w. N.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
279
Dabei muss angemerkt werden, dass ein Klagerecht der von einem Land anerkannten Naturschutzvereinigungen nicht nur in den Fällen besteht, in denen tatsächlich eine Befreiung erteilt worden ist, sondern auch in denen, in denen ein Befreiungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen.262 Wird ein erforderliches naturschutzrechtliches Befreiungsverfahren unterlassen und führt dies dazu, dass durch tatsächliches Handeln die Schaffung vollendeter Tatsachen und eine Vereitelung des im Befreiungsverfahren bestehenden Mitwirkungsrechts einer Naturschutzvereinigung droht, kann die betroffene Vereinigung beanspruchen, dass die zuständige Behörde alle Maßnahmen unterlässt, die ohne das an sich notwendige Beteiligungsverfahren durchgeführt werden.263 Zu beachten ist aber, dass – mit der Ausnahme von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von geschützten Meeresgebieten i. S. d. § 57 Abs. 2 BNatSchG n. F. – nur die in den Landesgesetzen vorgesehenen Befreiungen (gem. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG n. F.) in den Anwendungsbereich von § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. fallen.264 Dies dürfte sich aus dem Bestreben des Gesetzgebers erklären, in diesem Kontext möglichst nicht über die ohnehin bereits landesrechtliche Ebene hinaus bestehenden Klagemöglichkeiten hinauszugehen. Im Anschluss daran erteilt § 63 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG n. F. den vom Bund anerkannten Vereinigungen kein umfassendes Recht auf Mitwirkung an den einschlägigen Sachverständigengutachten bezüglich bundesrechtlicher Befreiungen von Verboten und Geboten.265 Andererseits aber steht einer von den Ländern anerkannten Naturschutzvereinigung ein Beteiligungsrecht und daher auch ein Klagerecht bei Befreiungen zu, wenn die einschlägigen Maßnahmen von Bundesbehörden getroffen werden.266 Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber auch in der Neufassung des BNatSchG kein Mitwirkungs- und Klagerecht gegen die Erteilung von Ausnahmen zum Schutz von geschützten Gebieten eingeführt hat, kann der Schluss gezogen werden, dass eine solche Mitwirkungs- und Klagemöglichkeit im Rahmen des
262 A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 26. 263 Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.11.2006, M 311/06, Rn. 7, ZUR 2007, S. 247 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.04.2008, M 94/08, Rn. 8, ZUR 2008, 386 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.01.2007, 2 M 358/06, NuR 2007, 395 ff.; in diese Richtung auch OVG Thüringen, Urt. v. 02.07.2003 – 1 KO 389/02, juris. 264 Vgl. z. B. § 46 NatSchG Bln, § 34 SächsNatSchG, § 12b Abs. 1 Nr. 1 NRW LG.; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltRKomm., Bd. IV, 2008, Rn. 4. 265 Vgl. E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. SchmidtRäntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 935. 266 OVG Sachsen-Anhalt, 28.10.2008 – 2 M 195/08, DÖV 2009, S. 213 ff.; S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2011, Rn. 25. Vgl. E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/ A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 935.
280
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
BNatSchG vom Gesetzgeber nicht begehrt wurde. Im Rahmen des BNatSchG kann eine „Befreiung“ einer „Ausnahme“ nicht gleichgestellt werden. Denn „Befreiungen“ sind Entscheidungen, die auf der Ermächtigung in § 67 BNatSchG beruhen, während „Ausnahmen“ auf anderer Grundlage nicht erfasst werden.267 Der Gesetzeswortlaut scheint zu bestätigen, dass wie bisher nur „Befreiungen“ im rechtstechnischen Sinne gemeint sind. Es ist schwer zu glauben, dass dem Gesetzgeber die schon seit langem umstrittene Frage, ob auch Ausnahmen vom Begriff der Befreiung umfasst werden,268 nicht bewusst war. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG n. F. genannten Gebote und Verbote gebietsbezogene Schutzvorschriften sind. Vor diesem Hintergrund könnte m. E. eine analoge Anwendung auf Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Verboten des § 39 BNatSchG n. F. (zum allgemeinen Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen) und § 44 BNatSchG n. F. (zum Schutz besonders geschützter und bestimmter anderer Tier- und Pflanzenarten) nicht möglich sein.269 Der Begriff der Befreiung in § 63 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BNatSchG n. F. (vormals § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BNatSchG a. F.) ist in erster Linie eng zu verstehen. Er erfasst grundsätzlich Behördenentscheidungen, die auf einer Ermächtigung in einer Befreiungsvorschrift beruhen. Es scheint somit, dass Ausnahmegenehmigungen auf anderer Grundlage nicht dazu gehören.270 Dies erweckt Bedenken, denn, obwohl Ausnahmen etwa vom gesetzlichen Biotopschutz in ihrer Bedeutung mit den Befreiungen in Schutzgebieten durchaus vergleichbar sind und auch dabei 267 P. Fischer-Hüftle, § 63 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2011, Rn. 24. 268 Während die ablehnende Auffassung auf eine formale Sicht des Befreiungsbegriffs abstellt, [(vgl. E. Gassner, § 60 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/ A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, Rn. 8; P. Fischer-Hüftle, § 63 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 23 ff.; jeweils m.w. N.] wird von der Mindermeinung darauf hingewiesen, dass die materielle Bedeutung der Befreiung entscheidend sein müsse [vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.01.2007 – 2 M 358/06, ZUR 2007, S. 246 ff.; Anm. dazu U. Werner, NuR 2007, S. 459 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.11.2006, M 311/ 06, ZUR 2007, S. 247 ff.; M. Gellermann, § 60 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 11; B. Stüer, NuR 2002, S. 710]. 269 P. Fischer-Hüftle, § 63 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2011, Rn. 24. 270 OVG Lüneburg, Beschl. 15.12.2008, 4 ME 315/08, Rn. 17, NVwZ-RR 2009, S. 412 ff.; VG Neustadt, Urt. v. 18.09.2003 – 3 L 2252/03, IBRRS 42641. Das VG Neustadt hat die Anträge des BUND auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Erweiterung des Militärflughafens Ramstein abgelehnt. Grund dafür ist, dass durch die mit Ausnahme (gem. NSchVO) genehmigte Flughafenerweiterung in ein Naturschutzgebiet, innerhalb dessen die Errichtung und Änderung baulicher Anlagen aller Art verboten ist, keine Befreiung im Rahmen des BNatSchG in einem Einzelfall erteilt worden ist. Vielmehr ergebe sich diese schon aus der NSchVO selbst. Vgl. J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis 2010, Rn. 10, S. 656.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
281
Vollzugsdefizite auftreten, werden diese Entscheidungen jedoch – von nur wenigen Regelungen auf der Landesebene abgesehen (etwa § 46 BlnNatSchG i.V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG Bln) – bisher nicht in den Anwendungsbereich der altruistischen VK einbezogen. Ähnliches gilt auch für artenschutzrechtliche Befreiungen.271 Trotz der sparsamen Verbesserungen des BNatSchG hinsichtlich der Verbandsklagemöglichkeiten gegen Befreiungen von naturschutzrechtlichen Verboten und Geboten bleibt immer noch der Anwendungsbereich der VK gegen solche Maßnahme weitgehend eingeschränkt. Um Ungereimtheiten zu vermeiden, wäre es sinngemäß und mit den unionalen Anforderungen der FFH-RL vereinbar, naturschutzrechtliche Ausnahme- und Abweichungsentscheidungen (nach § 34 Abs. 3 BNatSchG n. F.) als Befreiungen anzusehen.272 Diese Ansicht stützt sich vor allem auf die Gesetzesbegründung zu § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG a. F. (2002).273 Danach bezweckt die Einbeziehung der „Schutzgebiete im Rahmen des § 32 Abs. 2 BNatSchG“ unter anderem die Umsetzung der in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL vorgesehenen Öffentlichkeitbeteiligung, wonach die zuständige staatliche Behörde vor Erteilung eines Dispenses von den Verboten des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die Öffentlichkeit anhören soll. Insofern sei im Allgemeinen die Beteiligung der anerkannten Naturschutzvereini-
271
A. Schmidt, NuR 2008, S. 552. A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 26, m.w. N. Dies wurde vor der Neufassung des BNatSchG von Teilen der Rechtsprechung angenommen. So das OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.01.2007 – 2 M 358/06, ZUR 2007, S. 246 ff. (Anm. dazu. U. Werner, NuR 2007, S. 459 ff.) hat in diesem Fall zu § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG n. F. festgestellt, dass unter Befreiungen auch Ausnahme- und Abweichungsentscheidungen nach § 45 Abs. 3 NatSchG LSA zu fassen sind. Vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.11.2006, M 311/06, Rn. 7, ZUR 2007, S. 247 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.04.2008, M 94/08, Rn. 8, ZUR 2008, 386 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.01.2007 – 2 M 358/06, NuR 2007, S. 395 ff.; in diese Richtung auch OVG Thüringen, Urt. v. 02.07.2003 – 1 KO 389/02, juris. In diesem Zusammenhang hat auch das VG München (Urt. v. 29.09.2005 – M 9 K 05.2292, BeckRS 2005, 38640) festgestellt, dass die Mitwirkungsrechte einer Vereinigung verletzt sind, wenn ein erforderliches Befreiungs- bzw. Ausnahme- oder Abweichungsverfahren nicht durchgeführt wird (Umgehung einer ansonsten erforderlichen Befreiung). Das VG München hat sogar auf die Rechtsprechung des BVerwG zum BNatSchG a. F. (BVerwG, Urt. v. 14.05.1997 – 11 A 43/96, NVwZ 1998, S. 279 ff.) hingewiesen, wonach anerkannt war, dass dann, wenn ein an sich gebotenes Verfahren, bei dem eine Mitwirkung vorgeschrieben war, durch ein anderes Verfahren ersetzt oder überhaupt nicht durchgeführt wurde, dies eine Verletzung der Mitwirkungsrechte darstellt. Laut dieser Auffassung wurde somit Folgendes festgestellt: Liegt eine Umgehung einer ansonsten erforderlichen Befreiung vor, wenn z. B. die Mitwirkungsrechte einer von einem Land anerkannten Naturschutzvereinigung durch die Nichtdurchführung eines erforderlichen Befreiungs- bzw. Ausnahme- oder Abweichungsverfahrens verletzt sind, kann somit die betroffene Vereinigung eine Klage dagegen einlegen. 273 BT-Drs. 14/6378, S. 60. 272
282
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
gungen als spezifisch naturschutzrechtliche Form der Öffentlichkeitsbeteiligung anzusehen.274 Ferner läuft – aufgrund der herrschenden restriktiven rechtstechnischen Auslegung der „Befreiung“ im Rahmen des BNatSchG n. F. – die Beteiligung der Naturschutzvereinigungen bei einer Ausnahme von den Verboten und Geboten zum Schutz von Natura-2000-Gebieten weitgehend ins Leere.275 Unter Berücksichtigung des Zwecks des Gesetzgebers des BNatSchG hinsichtlich der Öffentlichkeitsbeteiligung vor der Erteilung eines Dispenses von Verboten dürfe somit der Begriff „Befreiung“ nicht allein auf die Entscheidungen gem. § 67 BNatSchG n. F. bezogen werden. Es wäre somit sachgemäß, zumindest die Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3–4 BNatSchG n. F. einer „Befreiung“ wegen überwiegenden öffentlichen Interesses gleichzustellen. 276 Dabei soll nicht verkannt werden, dass insbesondere die Abweichungsentscheidung gem. § 34 Abs. 3 BNatSchG n. F. einen typischen Befreiungstatbestand enthält. Dafür spricht, dass keine konkreten Sachverhalte geregelt sind, in denen ein Dispens zu erteilen ist. Denn Befreiungsregelungen sind dadurch gekennzeichnet, dass gerade nicht konkret vorhergesehene „Ausnahmen“ von den Verboten geregelt werden, sondern dass der Behörde, überwiegend durch eine allgemeine Abwägungsregelung, die Möglichkeit an die Hand gegeben wird, unverhältnismäßige Entscheidungen im Einzelfall zu vermeiden.277 Das Gegenargument, dass die Naturschutzvereinigungen bereits bei der Aufnahme von Ausnahmen in die betreffenden Schutzgebietsvorschriften gehört worden, ist nicht überzeugend, sofern die Ausnahmeregelungen der zuständigen Behörde ein Ermessen einräumen.278 2. Planfeststellungsverfahren Ferner können vom Bund anerkannte Naturschutzvereinigungen zum ersten Mal auch Klage gegen Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich Planfeststellungsverfahren, die von Behörden des Bundes oder im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels von Behörden der Länder durchgeführt werden, einreichen (vgl. § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F.), wenn es sich um Vorhaben handelt, die mit Eingriffen in Natur
274 OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.01.2007 – 2 M 358/06, ZUR 2007, S. 246 ff.; U. Werner, NuR 2007, S. 461. 275 P. Fischer-Hüftle, § 63 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2011, Rn. 27; jeweils m.w. N. 276 Ebd. 277 U. Werner, NuR 2007, S. 461, m.w. N. 278 M. Gellermann, § 60 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 11; S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 26.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
283
und Landschaft verbunden sind.279 Damit können die Rechtsschutzdefizite Dritter gegen Genehmigungserteilungen für Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik teilweise behoben werden. Für die erforderliche Prognose ist es ausreichend, dass die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts gem. § 14 Abs. 1 BNatSchG n. F. nicht auszuschließen ist.280 Dabei genügt es, dass eine naturschutzfachlich erhebliche Beeinträchtigung gegeben ist.281 Umfasst sind insbesondere Klagen, die sich auf die Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen sowie auf die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit oder auf ihre Ergänzung um naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen richten.282 Unter den Anwendungsbereich dieser Norm fallen vor allem Planfeststellungsverfahren des Eisenbahnbundesamtes nach § 18 Abs. 1 AEG (über den Bau und die Änderung von Schienenwegen), der Wasser- und Schifffahrtdirektionen nach §§ 2, 14 Abs. 1 S. 3, 45 Abs. 1 WaStrG sowie die Zulassung von Anlagen zur Endlagerung atomarer Abfälle nach den §§ 9b, 23 AtG oder auch zur Errichtung und zum Betrieb von Anlagen i. S. d. § 1 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 SeeAnlV.283 Ein Klagerecht haben Naturschutzvereinigungen auch gegen Planänderungen (gem. § 73 Abs. 8 VwVfG) oder Planergänzungen und ergänzende Verfahren nach Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses, soweit hiermit Eingriffe in Natur und Landschaft verbunden sind, auch wenn zuvor bereits eine ordnungsgemäße Beteiligung innerhalb eines laufenden Verfahrens durchgeführt wurde;284 es sei denn, die Änderungen haben keine neuen naturschutzbezogenen Fragestellungen aufgeworfen.285 Ein solches Klagerecht kommt nicht nur dann in Betracht, wenn die erforderliche Beteiligung einer Naturschutzvereinigung gänzlich unterblieben 279
J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis 2010, S. 657. BVerwG, Urt. v. 28.06.2002, 4 A 59/01, NuR 2003, S. 93 ff.; OVG Saarlouis, Urt. v. 20.07.2005 – 1 M 2/04, Rn.150, NVwZ-RR 2007, S. 24 (Ls.); A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 16; S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 29; jeweils m.w. N. 281 A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 16, m.w. N. 282 BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11/03, NVwZ 2004, S. 1486 ff.; J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis 2010, S. 657. 283 J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 658; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltRKomm., Bd. IV, 2008, Rn. 5. 284 BVerwG, Urt. v. 12.11.1997 – 11 A 49/96, NVwZ 1998, S. 395 ff.; B. Stüer, NuR 2002, S. 710; S. Heselhaus, § 63 NatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 30; jeweils m.w. N. 285 VG Hamburg, Beschl. v. 21.11.2002, 15 VG 2453/2002, Rn. 33, juris; VG Hamburg, Urt. v. 18.12.2003, 15 VG 3912/00, juris; BauR 2004, S. 547 ff. (Ls.); A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 16, m.w. N. 280
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
oder im Umfang nicht hinreichend ist, sondern auch, wenn sich eine Behörde zu Unrecht dafür entschieden hat, von einem Planfeststellungsverfahren abzusehen und das Vorhaben in einem anderen Verfahren ohne Beteiligung von Naturschutzvereinigungen zuzulassen.286 Relevant sind auch Planfeststellungsverfahren außerhalb des Naturschutzgesetzes, sobald das entsprechende planfeststellungsbedürftige Vorhaben mit einem Eingriff in Natur und Landschaft i. S. d. § 14 Abs. 1 BNatSchG n. F. verbunden ist.287 Nachdem eine weitere VK gegen die Planfeststellung ausgeschlossen ist, wenn diese aufgrund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist,288 enthält § 64 BNatSchG n. F. – im Gegensatz zu § 61 Abs. 1 S. 2 BNatSchG a. F. (2002) – keine entsprechende Begrenzung. Das ist positiv zu bewerten, denn dadurch wird die Gefahr beseitigt, dass die Planfeststellungsbehörde nach einer erfolglosen VK im nächsten Anlauf aufgrund von § 61 Abs. 1 S. 2 BNatSchG a. F. machen kann, was sie will, ohne dass ihr eine neue VK droht.289 Dass eine entsprechende Begrenzung nunmehr im BNatSchG n. F. fehlt, könnte dies allerdings theoretisch zu einem Verfahren führen, das die Durchführung eines Vorhabens erheblich verzögert.290 Zu beachten ist, dass im Anwendungsbereich des § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. Bebauungspläne nicht umfasst sind. Denn diese führen nicht zur Mitwirkung von anerkannten Naturschutzvereinigungen im Rahmen des § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG. Dies ist selbst dann nicht gegeben, wenn sie einen Planfeststellungsbeschluss ersetzen.291 Gleiches gilt auch für sonstige Genehmigungsverfahren, etwa Genehmigungen nach dem BImSchG, dem AtG oder Freisetzungsregelungen nach dem GenTG. Dies greift auch, wenn mit derartigen Vorhaben Eingriffe in Natur und Landschaft verbunden sind.292 Naturschutz286 Vgl. st. Rspr. BVerwG, Urt. v. 14.05.1997 – 11 A 43.96, NVwZ 1998, S. 279 ff.; OVG Bautzen, ZUR 2003, S. 222. Für diese Antragsbefugnis der jeweils anerkannten Naturschutzvereinigung kommt es nicht darauf an, ob die Behörde bei Erlass des angefochtenen Bescheids Beteiligungsrechte der Naturschutzvereinigungen umgehen wollte und von der Richtigkeit der gewählten Verfahrensart überzeugt war. Vgl. J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 494; A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 17; S. Heselhaus, § 63 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 30; jeweils m.w. N. 287 J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 658; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltRKomm., Bd. IV, 2008, Rn. 5. 288 BR-Drs. 411/01, BT-Drs. 14/6878. Dadurch will das Prozesshindernis der res iudicata – nach dem Motto: „Roma locuta, causa finita“ – einen erneuten Streit ausschließen. 289 Zu dieser Problematik des BNatSchG a. F. vgl. W. Valendar, UPR 2008, S. 2 ff. 290 W. Valendar, UPR 2008, S. 1 ff., m.w. N. 291 BVerwG, 14.08.1995 – 4 NB 21.95, juris. 292 J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 658, m.w. N.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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rechtliche VKen gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen sind somit in der Praxis nicht möglich.293 Dabei stellt – der Ansicht des VG Neustadt nach – eine luftrechtliche Genehmigung, etwa zum Ausbau eines Militärflughafens, weder einen Planfeststellungsbeschluss noch eine Plangenehmigung i. S. d. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. (vormals § 61 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG a. F.) dar, so dass sich auch hieraus keine Klagebefugnis für eine Vereinigung herleiten lässt.294 Von Bedeutung ist, dass nunmehr die vom Bund anerkannten Naturschutzvereinigungen ein Klagerecht auch gegen Planfeststellungsverfahren der Länder im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels haben. Diese Vorschrift erweitert nunmehr die Klagemöglichkeiten der vom Bund anerkannten Naturschutzvereinigungen auf die Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz der in der Zuständigkeit des Bundes oben genannten Gebiete.295 Dadurch sollen Rechtsschutzlücken im Hinblick auf Anlagengenehmigungen in der ausschließlichen Wirtschaftszone geschlossen werden. Hierzu gehören grundsätzlich Entscheidungen gem. § 43 EnWG, etwa bezüglich des Betriebs und der Einrichtung von Erdgastransportleitungen durch die zuständigen Landesämter für Bergbau296 oder etwa von Hochspannungsleitungen, die zur Netzanbindung von Windenergieanlagen auf See im Sinne des § 5 Nr. 36 des EEG in der jeweils geltenden Fassung im Küstenmeer als Seekabel bis zu dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Verknüpfungspunkt des nächsten Übertragungs- oder Verteilernetzes verlegt werden.297 Umfasst sind auch Planfeststellungsverfahren im Rahmen der Verordnung über die UVP bergbaulicher Vorhaben298 [etwa Planfeststellungsverfahren bei der Errichtung und dem Betrieb von Förderplattformen sowie bei umfangreicherer Sand- und Kiesgewinnung (ab 10 ha) sowie Planfeststellungsverfahren im Rahmen der Festlandsockel-Bergeverordnung (FlsBrgV)].299 Dabei können sich von einem Land anerkannte Vereinigungen gem. § 64 Abs. 1 S. 1 BNatSchG n. F. i.V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG n. F. gegen Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich Planfeststellungsverfahren richten, wenn es 293
Vgl. F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 300, m.w. N. VG Neustadt, Urt. v. 18.09.2003 – 3 L 2252/03, IBRRS 42641. 295 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 114, https://www.bmu.de/files/ pdfs/allgemein/application/pdf/BNatSchG_begr.pdf. 296 OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 28.10.2009, 5M 146/09, NordÖR 2010, S. 67 ff. 297 A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 16, m.w. N. 298 UVP-V Bergbau. 299 s. z. B. AWZ-Nordsee – ROV, Ziffer 3.1.2; A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 16, m.w. N. 294
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
sich um Vorhaben im Gebiet des anerkennenden Landes handelt, die mit erheblichen Eingriffen in Natur und Landschaft (gem. § 14 Abs. 1 BNatSchG n. F.) verbunden sind. Durch die Formulierung „im Gebiete des anerkannten Landes“ wird deutlich, dass lediglich bundesrechtlich anerkannten Naturschutzvereinigungen im Rahmen der Planfeststellungsverfahren, die durch Behörden der Länder durchgeführt werden, kein Mitwirkungs- und somit auch kein Klagerecht zusteht.300 In Vergleich zu § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. dürfte die Vorschrift des § 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG n. F. in der Praxis eine deutlich höhere Relevanz aufweisen, da die deutliche Mehrzahl der Planfeststellungsverfahren von Behörden der Länder durchgeführt werden. Durch diese Vorschrift werden vor allem Planfeststellungsbeschlüsse, die sich auf die Errichtung von Abfalldeponien (§ 38 KrWG – Planfeststellungsverfahren und weitere Verwaltungsverfahren; vormals § 34 KrW-/AbfG), den Ausbau von Gewässern (§ 67 WHG n. F., vormals § 31 WHG a. F.) oder von Bundesfernstraßen (§ 17 FStrG) beziehen, erfasst.301 Ein entsprechendes Klagerecht besteht auch, wenn ein Beteiligungsrecht einer Vereinigung durch das Ausweichen auf ein „falsches“ Verfahren umgangen wird.302 Dies gilt z. B., wenn die zuständige Behörde ein Projekt nicht im Wege des Planfeststellungsverfahren, sondern in Form der nicht beteiligungspflichtigen Plangenehmigung zulässt, weil sie die rechtlichen und naturschutzfachlichen Voraussetzungen, unter denen nach einer Vorprüfung des Einzelfalls von einer UVP und damit von einem Planfeststellungsverfahren abgesehen werden darf, verkannt hat.303 Gegen solche Rechtsakte könnte freilich die Vereinigung i. d. R. auch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen.304 300 A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 16, m.w. N. 301 M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 5. 302 BVerwG, Urt. v. 14.05.1997 – 11 A 43/96, NVwZ 1998, S. 279 ff.; S. Heselhaus, § 63 NatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 31, m.w. N. 303 Vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 07.12.2006 – 4 C 16.04, NVwZ 2007, S. 576 ff. Das hier gegebene umstrittene Bauvorhaben stellt in diesem Fall eine Änderung des Planfeststellungsbeschlusses von 1971 dar, weil es in erheblichem Umfang über die bereits im Jahr 1971 planfestgestellte südliche Grenze des Flughafens Frankfurt a. M. hinausreicht. Das Vorhaben unterliegt insofern einer UVP. Infolgedessen kann eine Plangenehmigung an Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses in diesem Fall nicht erteilt werden. Vor diesem Hintergrund war die Revision der anerkannten Naturschutzvereinigung erfolgreich. Das Bauvorhaben wurde somit gestoppt. Die Entscheidung führte schließlich zur Aufhebung des Beschlusses der zweiten Instanz (VGH Kassel, Urt. v. 01.06.2004 – 2 A 3239/03, juris) und zur Zurückverweisung. In diese Richtung auch OVG Bautzen, Urt. v. 14.02.2005 – 4 BS 273/04, LSK 2005, 350417. Ähnliches galt auch gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BNatSchG a. F. Insofern konnte ein Naturschutzverband aus § 29
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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Dabei ist anzunehmen, dass auch das Unterbleiben der Durchführung eines erforderlichen Planfeststellungsverfahrens und die damit verbundene Verletzung des Beteiligungsrechts einer anerkannten Naturschutzvereinigung eingeklagt werden kann.305 Zutreffend hat in dieser Hinsicht das OVG Hamburg festgestellt, dass die sog. Umgehungsrechtsprechung, wonach einer anerkannten NaturschutzAbs. 1 S. 1 Nr. 4 BNatSchG die Zulassung eines fakultativen Rahmenbetriebsplans anfechten, soweit er geltend machte, dass die Zulassung in einem beteiligungspflichtigen Planfeststellungsverfahren mit UVP hätte erfolgen müssen. Die faktische Mitwirkung eines Naturschutzverbandes bei der Zulassung eines fakultativen Rahmenbetriebsplans kann die Beteiligung in einem Planfeststellungsverfahren mit UVP nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BNatSchG nicht ersetzen. Vgl. OVG Brandenburg, Urt. v. 28.06.2001, 4 A 115/99, NuR 2002, 685 ff. 304 Vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 24.02.2010 – 5 Bs. 24/10, NVwZ-RR 2010, S. 477 ff. Das OVG Hamburg führte aus, dass der klagenden Naturschutzvereinigung ein Klagerecht gegen eine umstrittene Plangenehmigung für die Errichtung der Fernwärmetransportleitung von dem im Bau befindlichen Kraftwerk Moorburg nach Altona zusteht. Denn ihr Recht auf Beteiligung am Verfahren sei verletzt worden. Es hätte eigentlich ein Planfeststellungsverfahren nach § 20 Abs. 1 UVPG durchgeführt werden müssen, in dem er und die Öffentlichkeit hätten angehört werden müssen. Mit der Entscheidung, die beteiligungsfreie Plangenehmigung zu erlassen, weil das Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben könnte, überschreite die Antragsgegnerin ihren Einschätzungsspielraum. Obwohl es vorrangig um die Auswirkungen während der vierjährigen Bauzeit gehe und die Strecke größtenteils in ökologisch nicht besonders hochwertigen und schützenswerten Landschaftsteilen verlaufe, sei aber eine UVP trotzdem nicht nur dann erforderlich, wenn ein Vorhaben ökologisch besonders wertvolle Gebiete oder Objekte beeinträchtige, sondern auch dann, wenn Nutzungsfunktionen der betroffenen Gebiete betroffen seien, die für die Öffentlichkeit von Bedeutung seien. Dies ist der Auffassung des OVG Hamburg nach der Fall (OVG Hamburg, Urt. v. 24.02.2010 – 5 Bs. 24/10, zu Gründen II. 2. e). 305 Vgl. etwa VG Augsburg, Beschl. v. 20.12.2007, Au 6 E 1371/07, jurion. Der Bund Naturschutz in Bayern e. V. hat gegen den Landkreis Dillingen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Bau der Kreisstraße DLG 15 im Stadtgebiet Höchstädt erhoben. Mit dem bewilligten Erlass hat das Gericht den vorläufigen Baustopp angeordnet. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass dem Kläger als anerkannte Naturschutzvereinigung bei der Errichtung einer Kreisstraße von besonderer Bedeutung ein Beteiligungsrecht nach Art. 42 BayNatSchG zukomme. Für diese Straßen sei ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen, in dem die Naturschutzvereinigung Mitwirkungsrechte ausüben könne. Der Landkreis Dillingen hat zwar geltend gemacht, dass der geplante Lückenschluss im Stadtgebiet Höchstädt nur von untergeordneter Bedeutung sei. Wegen der Verknüpfung der Bundesstraße B 16 mit der Staatsstraße 2212 und dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen auf der geplanten Straße könne nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens zu Unrecht unterlassen worden sei. Ob für das Straßenbauvorhaben ein Planfeststellungsverfahren notwendig ist, sei im anhängigen Hauptsacheverfahren, das gegen die Regierung von Schwaben gerichtet und in dem der Landkreis Dillingen beigeladen ist, zu klären. In diesem Verfahren werde es nach den Ausführungen des Gerichts voraussichtlich umfangreicher Ermittlungen bedürfen, um die Frage der besonderen Bedeutung der Kreisstraße zu klären. Daher dürften bis zu dieser Entscheidung durch weitere Bauarbeiten keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, um nicht die Rechtsstellung des Naturschutzverbandes zu verletzen. s. auch S. Heselhaus, § 63, NatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 30.
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vereinigung ein Klagerecht zuerkannt wird, wenn ihre gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung an einem Planfeststellungsverfahren deshalb unterblieben ist, weil anstelle dieses Verfahrens ein Plangenehmigungsverfahren durchgeführt wurde, muss weiterhin jedenfalls auch für solche Fälle gelten, in denen keine Möglichkeit besteht, die Verletzung von Beteiligungsrechten im Rahmen einer altruistischen VK geltend zu machen.306 Als problematisch erweisen sich allerdings Konstellationen bzw. Fälle, bei denen eine an sich erforderliche Planfeststellung nach § 17b Abs. 2 FStrG zulässigerweise durch einen Bebauungsplan ersetzt wird. Denn bei solchen Fällen besteht für die Naturschutzvereinigungen kein Mitwirkungs- und Klagerecht.307 Ebenfalls problematisch ist an diesem Konzept der naturschützrechtlichen VK, dass angesichts der Tatsache, dass es sich laut § 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG um Vorhaben im Gebiet „des anerkennenden Landes“ handeln muss, ausgeschlossen wird, dass in einem Land anerkannte Naturschutzvereinigungen gegen Vorhaben in einem anderen Bundesland klagen können.308 Infolgedessen sind anerkannte Naturschutzvereinigungen, die regional tätig sind, nicht außerhalb ihres anerkennenden Landes klagebefugt. Es sieht so aus, als ob dieses Konzept nicht der Ratio des Bundesgesetzgebers entspricht, wonach es bei Klagerechten vorrangig auf die räumlichen Auswirkungen eines Vorhabens auf den Tätigkeitsbereich anerkannter Naturschutzvereinigungen ankommen sollte.309 Dadurch werden die Klagemöglichkeiten anerkannter Vereinigungen weitgehend eingeschränkt. Außerdem bleibt diese Einschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten anerkannter Naturschutzvereinigungen bei Ländergrenzen überschreitenden Auswirkungen hinter den Beteiligungsrechten im Völkerrecht bei Staatsgrenzen überschreitenden Auswirkungen nach dem Übereinkommen über die UVP im grenzüberschreitenden Rahmen (sog. Espoo-Konvention)310 zurück.311 3. Plangenehmigungen, die an die Stelle einer Planfeststellung treten Nach § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG n. F. ist eine Klagemöglichkeit den vom Bund anerkannten Vereinigungen eingeräumt, eine Klage gegen 306
OVG Hamburg, Urt. v. 24.02.2010, 5 Bs. 24/10, Rn. 16, ZUR 2010, S. 434 ff. A. Leppin, § 63 BNatSchG, in: S. Lütkes/W. Ewer (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 27; S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 19; jeweils m.w. N. 308 OVG Bremen, Urt. v. 04.06.2009 – 1 A 7/09, Entscheidungsgründe A1, ZUR 2010, S. 42 ff.; C. Meitz, ZUR 2010, S. 565. 309 S. Heselhaus, §§ 63, 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 20. 310 Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen vom 25.02.1991 (BGBl. II 2002, S. 1407); vgl. dazu u. a. J. Ebbesson, RECIEL 2012, S. 248 ff. 311 S. Heselhaus, §§ 63, 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 20. 307
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Plangenehmigungen, die von Behörden des Bundes erlassen werden und an die Stelle einer Planfeststellung i. S. d. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. treten, wenn eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist, einzulegen.312 Ähnliches gilt gem. § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG auch bei Plangenehmigungen, die an die Stelle eines Planfeststellungsverfahrens i. S. d. § 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG n. F. treten; also wenn es sich um Vorhaben im Gebiet des anerkennenden Landes handelt, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind.313 Es muss unterstrichen werden, dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmungen (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 7 BNatSchG n. F.) außerordentlich eng bleibt. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Bestimmungen unter dem zweifachen Vorbehalt, dass die Plangenehmigungen eine Planfeststellung ersetzen und dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen sein muss, stehen. Nach den allgemeinen Regeln zur Plangenehmigung nach § 74 Abs. 6 Nr. 3 VwVfG entfällt aber dort regelmäßig die bei der Planfeststellung gem. § 73 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 bis 7 VwVfG vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung.314 So bedürfen beispielsweise Bebauungspläne sowie Vorhaben- und Erschließungspläne keiner Beteiligung von Naturschutzvereinigungen. Dabei ist die Ersetzung einer Planfeststellung durch eine Plangenehmigung dann unzulässig, wenn das Vorhaben UVP-pflichtig ist, so dass bei den zulässigen Plangenehmigungen keine Öffentlichkeitsbeteiligung aufgrund § 9 UVPG zum Tragen kommt.315 Da es grundsätzlich keine Plangenehmigungen gibt, die von Behörden des Bundes erlassen werden, und die an die Stelle einer Planfeststellung treten, bezieht sich diese Vorschrift dem Grunde nach vor allem auf solche Genehmigungen, bei denen nach § 63 Abs. 2 Nr. 7 n. F. eine Vereinigungsmitwirkung vorzusehen ist.316 Damit erweitert der Bundesgesetzgeber teilweise den Anwendungsbereich der naturschützenden VK, denn nun beschränkt sich die entsprechende Klagemöglichkeit der anerkannten Naturschutzvereinigungen nicht nur auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 17b Abs. 1 Nr. 5 FStrG (Bestimmung der Planfeststellungsbeschlüsse und der Plangenehmigungen der Bundesfernstraßen), sondern sie geht über diese Norm hinaus.317 312 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 114. 313 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 114. 314 S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 22. 315 J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 660; S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2011, Rn. 22. 316 Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 114. 317 Ebd.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Darüber hinaus wird – anders als in der älteren Fassung des BNatSchG – auf eine Beschränkung auf von Behörden der Länder durchgeführte Verfahren verzichtet. Insofern wird zugleich der Regelungsgehalt des § 58 Abs. 3 BNatSchG a. F. (2002) mit erfasst.318 Der Bundesgesetzgeber korrigiert damit im Grunde die misslungene Formulierung des § 61 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG a. F. (2002). 4. Weitere Klagemöglichkeiten nach Landesrecht Die Verbandsklageregelungen des BNatSchG gelten unmittelbar auch in den Ländern. Da die Länder in bestimmten Bereichen ergänzende bzw. abweichende Regelungen treffen können (Art. 72 Abs. 3 GG), ist es weiterhin notwendig, neben dem BNatSchG zusätzlich das jeweils einschlägige Landesnaturschutzgesetz zugrunde zu legen. Soweit das Bundesrecht abschließend regelt, ist bestehendes Landesnaturschutzrecht jedoch nichtig.319 Mit den unmittelbar geltenden Normen treten die Landesregelungen nach Art. 31 GG außer Kraft.320 Die mögliche Erweiterung der Verbandsklagemöglichkeiten bezieht sich nur noch auf den Katalog der möglichen Mitwirkungsfälle, von dem viele Bundesländer bereits Gebrauch gemacht haben.321 Hervorzuheben ist, dass nach § 63 Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG n. F. Mitwirkungsrechte in weiteren nicht in Nr. 1–7 genannten Verfahren zur Ausführung landesrechtlicher Vorschriften bestehen können, wenn das Landesrecht dies vorsieht. Die Öffnungsklausel des § 64 Abs. 3 i.V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG n. F. ermächtigt die Länder, weitere Mitwirkungsfälle mit den Rechtsbehelfen der VK auszustatten. Die Bundesländer können somit die VK auch in anderen Fällen zulassen, wenn nach § 63 Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG ebenfalls eine Mitwirkung vorgesehen ist. Diese müssen der Ausführung von landesrechtlichen Vorschriften dienen. Die mögliche Erweiterung der Verbandsklagemöglichkeiten bezieht sich 318 Hiernach ist ein Rechtsbehelf nur dann zulässig, wenn der Verein „nach landesrechtlichen Vorschriften im Rahmen des § 60 II Nr. 5–6 BNatSchG g. F. (entspr. § 63 Abs. 2 Nr. 5–6 BNatSchG n. F.) zur Mitwirkung berechtigt war“. Insofern hat dies den Anschein, als käme eine Vereinsklage gegen eine Plangenehmigung i. S. d. § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BNatSchG g. F. (entspr. § 63 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG n. F.) nicht in Betracht, was aber dem Willen des Gesetzgebers zuwiderliefe und daher der Korrektur bedürfe. Vgl. T. Wilrich, DVBl 2002, S. 879 ff.; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 2, 6. 319 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 78. 320 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 (A 44), NuR 2002, S. 739. Nach § 58 Abs. 3 BNatSchG g. F. gelten die Mitwirkungsmöglichkeiten aufgrund von § 58 I Nr. 2, 3 BNatSchG g. F. der vom Bund anerkannten Vereine auch für von den Ländern anerkannte Vereine, soweit diese in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen sind. Vgl. M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 2. 321 S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 35.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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somit nur noch auf den Katalog der möglichen Mitwirkungsfälle, wovon viele Bundesländer bereits Gebrauch gemacht haben.322 Darüber hinaus werden in § 63 Abs. 4 BNatSchG n. F. die Länder ermächtigt, eine Regelung zu treffen, nach der in Fällen, in denen keine oder nur geringe Auswirkungen auf Natur und Landschaft zu erwarten sind, von einer Mitwirkung abgesehen werden kann. Eine solche Bestimmung trifft beispielsweise § 12 Abs. 3 S. 2 i.V. m. § 12a Abs. 3 NRW LG und § 45 Abs. 2 NatSchG Bln.323 Im Rahmen des BNatSchG gem. § 64 Abs. 3 BNatSchG n. F. (vormals § 61 Abs. 5 Nr. 1 BNatSchG a. F.) können somit die landesrechtlichen Klagen fortbestehen, soweit sie über die Minimalanforderungen des § 64 BNatSchG a. F. hinausgehen.324 Die Anforderungen an die Zulässigkeit von VKen in § 61 Abs. 2 bis 4 BNatSchG a. F. bzw. § 64 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BNatSchG n. F. stimmen teilweise mit denen in landesrechtlichen Vorschriften überein. Nach der Einführung der altruistischen naturschützenden VK auf Bundesebene (2002) spielen die Klageregelungen des Landesnaturschutzrechts neben den Vorschriften des BNatSchG zunehmend nur noch eine untergeordnete Rolle.325 Die Entwicklung der Verbandsklagemöglichkeiten auf der Landesebene nach der Einführung der bundesweiten naturschutzrechtlichen VK (im Jahr 2002) sowie nach der Einführung der umweltrechtlichen VK durch das UmwRG zeigt, dass es in mehreren Bundesländern zu einer Art Gegenreaktion durch die Abschaffung oder Einschränkung der landesrechtlichen Klagevorschriften gekommen ist.326 Aufgrund dieser Entwicklung konnten die Vereinigungen ihre Klagen insbesondere von 2002 bis 2010 nur noch auf wenige landesrechtliche Regelungen stützen, die einen weiteren Anwendungsbereich als § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F. bzw. § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. hatten. Von Bedeutung waren vor allem die Klagemöglichkeiten gegen Maßnahmen an geschützten Alleen in Brandenburg (§ 65 BbgNatSchG a. F.)327 und Mecklenburg-Vorpommern (§ 65a LNatG M-V 322
Ebd. Vgl. H. W. Louis, NuR 2010, S. 88. 324 Vgl. B. Stüer, NuR 2002, S. 710; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 930; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 878 ff. 325 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 78, m.w. N. 326 Ebd., S. 78. 327 Gesetz über den Naturschutz und die Landschaftspflege im Land Brandenburg (BbgNatSchG) in der Fassung vom 26.05.2004 (GVBl. I, S. 350). § 65 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 3 Nr. 5, 6, 9 BbgNatSchG g. F. bestimmte, dass anerkannte Vereinigungen, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe einlegen können a) gegen Erteilungen von Ausnahmegenehmigungen nach § 72 Abs. 1, 2 BbgNatSchG sowie gegen solche nicht, die Verbote nach den §§ 33 und 34 BbgNatSchG betreffen, sowie gegen Erteilungen von Ausnahmen nach § 43 Abs. 8 BNatSchG, b) gegen Erteilungen von 323
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
a. F.)328 sowie Klagemöglichkeiten etwa gegen wasserrechtliche Erlaubnisse und gegen Genehmigungen für Bauvorhaben im Außenbereich in Hamburg (§ 41 i.V. m. § 40 Abs. 1 Nr. 3, 6, 7, 9 und 11 HmBNatSchG a. F.)329 und in Niedersachsen (§ 60c NNatG a. F.)330.331 Klagevorschriften mit einem eingeschränkt über § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. hinausgehenden Anwendungsbereich gab es insbesondere während des Zeitraums 2007–2010 vor allem in Sachsen (gem. § 58 Abs. 1 SächsNatSchG a. F.).332 Mit der Fassung des BNatSchG (2009) wurden im Bundesnaturschutzgesetz umfassende, unmittelbar geltende Vollregelungen geschaffen, die mit Inkrafttreten am 1. März 2010 das bisherige Rahmenrecht der Länder ersetzen. Insofern ist es allerdings zumindest seit 2010 durch die von verschiedenen Ländern erlassenen Ausführungsgesetze zur neuen Fassung des BNatSchG teilweise zu weiteren Einschränkungen gekommen.333 Davon waren insbesondere Hessen,334 Befreiungen von Vorschriften des BbgNatSchG mit Ausnahme der §§ 33 und 34 BNatSchG oder aufgrund dieser Gesetze erlassener Rechtsverordnungen, c) gegen Erteilungen von Zulassungen aufgrund anderer Landesgesetze, wenn diese Entscheidungen nach § 63 Abs. 3, Nr. 5 oder 6 BbgNatSchG einschließen oder ersetzen, mit Ausnahme der im § 63 Abs. 3 Nr. 7 und 8 BbgNatSchG genannten Verfahren. Zu beachten ist, dass § 63 Abs. 3 Nr. 9 BbgNatSchG den Naturschutzvereinigungen keine Mitwirkungsrechte in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren eröffnet mit der Folge, dass auch eine Verbandsklagebefugnis nach § 65 BbgNatSchG in diesen Fällen ausscheidet. Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.06.2008 – 11 S 35/07, NVwZRR 2008, S. 770 ff. 328 Gesetz zum Schutz der Natur und der Landschaft im Lande Mecklenburg-Vorpommern (LNatG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2002 (GVOBl. M-V S. 1, geändert durch Gesetz vom 18.04.2006 (GVOBl. M-V S. 102)). § 65a Abs. 1 Nr. 4, 5 LNatG M-V a. F. ging zum Teil über den Inhalt von § 64 Abs. 1 BNatSchG hinaus. Danach könnte ein anerkannter Verein, ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe einlegen, unter anderem gegen Ausnahmen vom Alleenschutz nach § 27 II, wenn mehr als zehn Bäume betroffen sind, sowie gegen Ausnahmen vom Horstschutz nach § 36 Abs. 5 Nr. 3 LNatG M-V a. F. 329 Hamburgisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Hamburgisches Naturschutzgesetz – HmBNatSchG) in der Fassung vom 07.08.2001 (HmbGVBl. S. 281), geänd. durch Art. 1 Achtes ÄndG v. 20.04.2005 (HmbGVBl. Nr. 13 S. 146). Die VK des § 41 HmBNatSchG wurde allerdings in der g. F. des HmBNatSchG vom 09.10.2007 (GVBl. S. 355) aufgehoben. 330 Niedersächsisches Gesetz zum Naturschutz (NNatG) i. d. F. vom 11.04.1994 (Nieders. GVBl. S. 155). 331 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 78, m.w. N. 332 Vgl. Sächsisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege i. d. F. vom 03.07.2007 (GVBl. S. 321). § 58 Abs. 1 SächsNatSchG ging zum Teil über den Inhalt von § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. hinaus. Danach kann ein anerkannter Verein, ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe unter anderem gegen Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Biosphärenreservaten und Flächennaturdenkmalen Rechtsbehelfe einlegen. 333 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 78, m.w. N. 334 Ausführlich zur Novellierung des HeNatG vor der Aufhebung der hessischen landesrechtlichen VK (§ 36 HENatSchG g. F.) vgl. D. Teßmer, NuR 2002, S. 714 ff.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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Hamburg,335 Schleswig-Holstein,336 Rheinland-Pfalz,337 Saarland,338 SachsenAnhalt,339 Bremen,340 Niedersachsen betroffen,341 die ihre Vorschriften hinsichtlich der Verbandsklagemöglichkeiten zugunsten der unmittelbaren Wirkung des BNatSchG nunmehr aufgehoben haben. Dies betrifft teilweise auch NordrheinWestfalen, das in § 12b Landschaftsgesetz (LNatSchG-NW) die über § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F. hinausgehenden Anwendungsmöglichkeiten grundsätzlich gestrichen hat.342 Hinsichtlich der Aufhebung der Vorschriften in Schleswig-Holstein ergaben sich daraus allerdings keine Einschränkungen, weil deren Anwendungsbereich sowieso dem von § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. entsprach.343 Die Weiterentwicklung der Gesetzgebung hinsichtlich der Verbandsklagemöglichkeiten in den Bundesländern hat dazu geführt, dass es nunmehr auf der Landesebene Klagevorschriften mit einem wesentlich über § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. (vormals § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F.) hinausgehenden Anwendungsbereich nur noch in wenigen Ländern gibt. So erstreckt sich das Verbandsklagerecht in den Bundesländern Brandenburg (gem. § 36 i.V. m. § 37 BbgNatSchAG)344 und 335 Auch das Hamburgische Gesetz zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes (HmbBNatSchAG) vom 11.05.2010, HmbGVBl. 2010, S. 350, zuletzt geändert durch Art. 2 G vom 13.05.2014 (HmbGVBl. S. 167) enthält keine spezielle Rechtsbehelfsvorschrift. 336 Gesetz zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG) vom 24.02. 2010, GVOBl. 2010, 301. 337 Landesgesetz zur nachhaltigen Entwicklung von Natur und Landschaft (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG) vom 28.09.2005, GVBl. 2005, 387. 338 Vgl. Gesetz zum Schutz der Natur und Heimat im Saarland – Saarländisches Naturschutzgesetz (SNG) – vom 05.04.2006 (ABl. 2006, S. 726), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. Oktober 2008 (ABl. 2009 S. 3). 339 Naturschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA) vom 10.12.2010, GVBl. LSA 2010, 569. 340 Bremisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (BremNatG), in Kraft ab 13.12.2011. 341 Das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG) vom 19.02.2010 (Nds. GVBl. 2010, 104) enthält nunmehr keine spezielle Bestimmung hinsichtlich der Rechtsbehelfe der Naturschutzvereinigung, so dass § 64 BNatSchG unmittelbar gilt. 342 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, 2007, S. 4 ff. 343 Vgl. die alte Fassung des § 51c LNatSchG von Schleswig-Holstein, die bis 14.04. 2007 galt. 344 § 36 i.V. m. § 37 Brandenburgisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (Brandenburgisches Naturschutzausführungsgesetz – BbgNatSchAG) vom 21.01. 2013 (GVBl. I/13 Nr. 21); § 36 BbgNatSchAG lautet: „Einer vom Land anerkannten Naturschutzvereinigung, die nach ihrer Satzung landesweit tätig ist, ist über § 63 Absatz 2 des Bundesnaturschutzgesetzes hinaus auch Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben – vor der Entscheidung nach § 9 Absatz 6 Nummer 4 über die Zustimmung zu den Darstellungen oder Festsetzungen einer baulichen Nutzung in einem Bauleitplan im Bereich eines Landschaftsschutzgebietes,
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
Nordrhein-Westfalen (§ 12b NRW LG)345 unter anderem auf Fälle der Erteilung von bestimmten Befreiungen und Ausnahmen sowie auf Planfeststellungsbeschlüsse (vgl. insbesondere § 12b Abs. 1 Nr. 2 NRW-LG), während in Sachsen (gem. § 34 SächsNatSchG)346 nur die Rechtsbehelfe gegen Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Flächennaturdenkmälern zusätzlich erfasst werden. Auch in Berlin sind gem. § 46 i.V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 sowie 7 bis 8 NatSchG Bln347 verschiedene weitere Verwaltungsakte erfasst, die über den – vor der Zulassung von Ausnahmen nach § 30 Absatz 3 des Bundesnaturschutzgesetzes und § 17 Absatz 2 dieses Gesetzes sowie nach § 45 Absatz 7 des Bundesnaturschutzgesetzes, – vor der Erteilung von Befreiungen nach § 67 des Bundesnaturschutzgesetzes mit Ausnahme des § 39 Absatz 5 des Bundesnaturschutzgesetzes und § 19 dieses Gesetzes, – vor der Erteilung von Zulassungen aufgrund anderer Landesgesetze, wenn diese Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 3 sowie § 63 Absatz 2 Nummer 5 des Bundesnaturschutzgesetzes einschließen oder ersetzen, mit Ausnahme der in § 63 Absatz 2 Nummer 6 und 7 des Bundesnaturschutzgesetzes genannten Verfahren, soweit sie durch das Vorhaben in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich betroffen sind.“ § 37 BbgNatSchAG lautet: „(1) Rechtsbehelfe im Sinne des § 64 des Bundesnaturschutzgesetzes können auch gegen die in § 36 genannten Entscheidungen eingelegt werden. (2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn anstelle der dort und in § 63 Absatz 2 des Bundesnaturschutzgesetzes genannten Verwaltungsakte andere Verwaltungsakte erlassen worden sind, für die dieses Gesetz oder das Bundesnaturschutzgesetz eine Mitwirkung der anerkannten Naturschutzvereinigungen nicht vorsehen.“ 345 Gesetz zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft (Landschaftsgesetz – LG) vom 21.07.2000, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. März 2010 (GV. NRW. S. 185), in Kraft getreten am 31.03 2010. § 12b NRW-LG hinsichtlich Rechtsbehelfen von Verbänden lautet: „(1) Ein nach § 12 anerkannter Verein kann, ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung einlegen gegen Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken und Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung und Europäischen Vogelschutzgebieten, [sic!] sowie Planfeststellungsbeschlüsse über Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind. Satz 1 gilt nicht, wenn ein dort genannter Verwaltungsakt aufgrund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist.“ 346 Vgl. Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege im Freistaat Sachsen (Sächsisches Naturschutzgesetz – SächsNatSchG), SächsGVBl. Jg. 2013 Bl.-Nr. 8 S. 451 FnNr.: 653-2/2, Fassung gültig vom 22.07.2013; § 34 SächsNatSchG hinsichtlich Rechtsbehelfe (zu § BNatSchG n. F.) lautet: „Anerkannte Naturschutzvereinigungen können auch gegen Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Flächennaturdenkmalen unter den in § 64 BNatSchG genannten Voraussetzungen Rechtsbehelfe einlegen.“ 347 § 46 i.V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 sowie 7 bis des Berliner Naturschutzgesetzes (NatSchG Bln), in Kraft ab: 09.06.2013. Danach bestehen folgende Verbandsklagemöglichkeiten: – gegen die Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten dieses Gesetzes, des Bundesnaturschutzgesetzes, der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen sowie von Vorschriften zum Schutz von Wasserschutzgebieten im Sinne des § 51 des Wasserhaushaltsgesetzes, – gegen die Zulassung von Ausnahmen nach § 45 Absatz 7 des Bundesnaturschutzgesetzes,
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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Anwendungsbereich des § 64 BNatSchG n. F. hinausgehen. Außerdem gibt es landesrechtliche Vorschriften noch in Thüringen (§ 46 ThürNatG).348 Diese Verbandsklageregelung stimmt im Wesentlichen mit den Vorgaben des § 64 BNatSchG n. F. überein und ist daher von geringer Bedeutung. Dabei haben bisher Bayern349 und Baden-Württemberg350 keinen Gebrauch von der Erweiterung der Klagegenstände über den Inhalt des § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 BNatSchG n. F. hinaus gemacht.351 Im Allgemeinen ist festzustellen, dass die Einführung der altruistischen VK auf Bundesebene bisher nur geringe Auswirkungen auf die relevante landesrechtliche Gesetzgebung hat. Es scheint, dass die Länder zögern, die Ermächtigung von § 64 Abs. 3 BNatSchG n. F. i.V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG n. F. auszunutzen, so dass der Anwendungsbereich der Verbandsklageregelung auf Landesebene erweitert werden könnte. Die Problematik des restriktiven Umweltrechtsschutzes – auch vor dem Hintergrund der Schutznormtheorie – spiegelt sich grundsätzlich auch in den Vorgaben der landesrechtlichen Gesetzgebung im Bereich des Naturschutzes wider.
III. Mögliche Rechtsbehelfe Da § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. wie auch § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F. (2002) ausschließlich Rechtsbehelfe gegen die dort bezeichneten Verwaltungsakte zulas– gegen die Erteilung von Zulassungen für die Errichtung oder wesentliche Änderung von Anlagen in oder an oberirdischen Gewässern, soweit mit dem beantragten Vorhaben ein Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne von § 14 des Bundesnaturschutzgesetzes verbunden ist, – gegen die Zulassung von Vorhaben, wenn der Eingriff in Natur und Landschaft weder vermieden noch ausgeglichen oder ersetzt werden kann, – gegen die Erteilung einer Umwandlungsgenehmigung nach dem Landeswaldgesetz, sofern die Umwandlung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf, – gegen die Zulassung von Projekten im Sinne des § 34 Absatz 1 Satz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder [eines] Europäischen Vogelschutzgebiets in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind. 348 Vgl. Thüringer Gesetz für Natur und Landschaft (ThürNatG) vom 30.08.2006, GVBl. 2006, 421; § 46 ThürNatG hinsichtlich der Vereinsklage lautet: „Klage- und Antragsrecht nach § 61 BNatSchG werden nicht dadurch ausgeschlossen, dass anstelle der in § 61 Abs. 1 BNatSchG genannten Verwaltungsakte zu Unrecht andere Verwaltungsakte erlassen worden sind, für die das Gesetz keine Mitwirkung der anerkannten Vereine vorsieht.“ 349 Gesetz über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz – BayNatSchG) vom 23. Februar 2011, GVBl. 2011, S. 82. 350 Vgl. Gesetz zum Schutz der Natur, zur Pflege der Landschaft und über die Erholungsvorsorge in der freien Landschaft (Naturschutzgesetz – NatSchG) vom 13.12.2005, GBl. 2005, 745, ber. 2006, S. 319. 351 J. Kerkmann, in: ders. (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, S. 671.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
sen, kommen als solche neben dem Widerspruch i. S. d. § 68 VwGO vor allem die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO und im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO in Frage. Auch andere Klagearten können allerdings einschlägig sein, wie die Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO.352 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das BNatSchG sowie die entsprechenden landesrechtlichen Gesetze einer anerkannten Vereinigung auch nicht die Möglichkeit eröffnen, einen Normenkontrollantrag zu stellen, ohne eine Verletzung eigener Rechte geltend machen zu müssen.353 Es ist zu beachten, dass die Anfechtungsklage gem. § 42 VwGO, die zur Einstellung oder zur behördlichen Autorisierung einer umweltbelastenden Tätigkeit bzw. zur Beseitigung einer umstrittenen, umweltbelastenden Tätigkeit führen kann, in der Praxis wirksamer ist als der Versuch, die Behörden über die Leistungsklage zum Eingreifen zu bewegen.354 Die Anfechtungsklage erscheint auch wirksamer als die Feststellungsklage des § 43 VwGO, mit der allenfalls erreicht werden kann, dass die Unrechtsmäßigkeit eines umweltbelastenden Zustandes festgestellt wird.355 Vor diesem Hintergrund befasst sich diese Arbeit grundsätzlich mit den Auswirkungen der Anfechtungsklage im Bereich des Umweltrechts und verzichtet auf eine Analyse von weiteren Rechtsbehelfen, die im Bereich des Rechtsschutzes von Umweltgütern eine nicht so bedeutende Rolle spielen.
IV. Zulässigkeitsvoraussetzungen Für die Erhebung einer altruistischen VK im Rahmen des BNatSchG n. F. gelten die in den Abschnitten 1 bis 4 im Speziellen erörterten Zulässigkeitsvoraussetzungen. 1. Geltendmachung eines Widerspruchs gegen naturschutzrelevante Vorschriften Es wurde schon ausgeführt, dass § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. es vom Bund oder von einem Land anerkannten Naturschutzvereinigungen ermöglicht, ohne in ihren Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der VwGO gegen bestimmte naturschutzrelevante Verwaltungsentscheidungen (aufgrund von § 64 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 2–4, Abs. 2 Nr. 5–7 BNatSchG n. F.), die von 352 S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 30; jeweils m.w. N. 353 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 28.05.2009 – 11 KN 731/07. 354 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 41 ff. 355 Ebd.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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Bundesbehörden oder auf der Landesebene getroffen wurden, einzulegen. In diesem Zusammenhang ist eine VK gegen eine naturschutzrelevante Verwaltungsentscheidung (im Rahmen des § 63 Abs. 1 Nr. 2–4, Abs. 2 Nr. 5–7 BNatSchG n. F.) zunächst zulässig, soweit die anerkannte Naturschutzvereinigung geltend macht, dass diese Entscheidung Rechtsvorschriften des BNatSchG n. F. oder Rechtsvorschriften, die aufgrund des BNatSchG n. F. erlassen worden sind oder fortgelten, dem Naturschutzrecht der Länder oder anderen Rechtsvorschriften, die bei der Entscheidung zu beachten und zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, widerspricht.356 Im Hinblick darauf sind der h. M. nach vom „Klageprogramm“ des § 64 BNatSchG n. F. sämtliche Vorschriften, einschließlich solcher unionsrechtlicher Provenienz, umfasst, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Rechtsaktes bedeutsam sind und neben anderen Belangen zugleich auch den Interessen des Naturschutzes dienen. Neben dem eigentlichen Naturschutzrecht sind somit Normen anderer Rechtsmaterien einschlägig, soweit sie zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind oder sie explizit auf Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege Bezug nehmen. Es kann somit die Verletzung aller Vorschriften geltend gemacht werden, die auch den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind.357 Damit eröffnet sich ein weites Feld, das bis hin zum fachplanerischen Abwägungsgebot reicht, zumal die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege als Teil des Wohls der Allgemeinheit stets in die Abwägung einzustellen sind.358 Es muss aber beachtet werden, dass sich auch im Rahmen der n. F. des BNatSchG – genauso wie bei der a. F. des BNatSchG – die Klagebefugnis von Naturschutzvereinigungen etwa gegen Bauvorhaben immer noch auf die Rüge der Verletzung von Vorschriften beschränkt, die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege betreffen. Fragen des Verkehrsbedürfnisses, der Wirtschaftlichkeit oder des Lärmschutzes sind hingegen vom Klagerecht nicht erfasst.359 In dieser Hinsicht ist anzumerken, dass die Rechtsprechung gem. dem Abwägungsgebot den Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes ein erhöhtes Ge356 Über das Klageprogramm der VK im Rahmen des § 64 BNatSchG s. o. in 1. Teil, 1. Kap, IV., II. 357 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 78. 358 Vgl. M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 9, m.w. N. 359 VGH Kassel, Beschl. v. 23.10.2002 – 2 Q 1668/02, NVwZ-RR 2003, S. 420 ff. Damit hat der VGH den Eilantrag des BUND gegen den Ausbau des südhessischen Flugplatzes Egelsbach bei Darmstadt abgewiesen. Da der BUND unter anderem die Notwendigkeit des Vorhabens angezweifelt hatte, konnte er damit nicht durchdringen, weil dies nach dem VGH kein naturschutzrechtlicher Belang ist und deshalb im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle unberücksichtigt bleibt.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
wicht zuerkennt.360 Mit einem Verbandsklagerecht kann die fehlende Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde ebenso wenig erfolgreich gerügt werden wie eine mangelnde Planrechtfertigung.361 Auch andere für das Vorhaben sprechende Gründe können im Rahmen einer VK in Frage gestellt werden, wenn sich deren Bewertung als eindeutig fehlerhaft erweist. Mit der VK muss dann vorgetragen werden, dass die Belange des Naturschutzes den gewichteten Vorhabeninteressen vorgehen.362 Vor diesem Hintergrund ist z. B. eine VK gegen Vorschriften der BArtSchVO i. d. R. zulässig, weil diese Normen aufgrund des BNatSchG erlassen worden sind. Ferner fallen unter den Anwendungsbereich der Verbandsklageregelungen des BNatSchG die Landesnaturschutzgesetze und deren untergesetzliche Normen wie z. B. Landschaftspläne sowie Schutzgebietsausweisungen.363 In der Praxis sind sie vor allem als naturschutzrechtliche Normen von Bedeutung, wie § 2 BNatSchG n. F. (Grundsätze), §§ 18–21a BNatSchG n. F. (Eingriffsregelungen) sowie §§ 32–38 BNatSchG n. F. (Normen, die auf Gebiete des Europäischen Netzes „Natura 2000“ bezogen sind), möglicherweise auch §§ 39–55 BNatSchG n. F. (artenschutzbezogene Normen).364 Zum oben genannten „Klageprogramm“ des § 64 BNatSchG n. F. gehören beispielsweise Normen wie §§ 1, 9, 10 BWaldG (Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts), § 67 Abs. 1 WHG n. F. (vormals § 31 Abs. 5 WHG a. F. – Bewahrung des Lebensraums für Tiere und Pflanzen) oder §§ 1, 2 Abs. 1, 21 UVPG (Rohrleitungen), § 1 BimSchG (Schutz von Tieren, Pflanzen und vom Boden), § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 16 Abs. 2 BFStrG (Umweltverträglichkeitsprüfung), §§ 5 und 8 BWaStrG (Befahren von Naturschutzgebieten und Nationalparken, Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen bei der Unterhaltung), §§ 1, 2 Abs. 2 Buchst. b BBodSchG (Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie Bestandteile des Naturhaushaltes), Hochwasserschutzvorschriften „unter der Prämisse der naturschutz-
360 Vgl. M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 9, m.w. N. 361 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, UPR 1998, S. 384; OVG Lüneburg, Urt. v. 05.03.2008 – 7 MS 114/07, NuR 2008, S. 265 ff. 362 Vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.2003 – 4 A 59/01, NuR 2003, S. 686 ff.; A. Bönsel/ D. Hönig, NuR 2003, S. 677 ff.; B. Stüer, NuR 2002, S. 712; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 936 ff. 363 Vgl. E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. SchmidtRäntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 937. 364 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, NVwZ 19198, S. 961 ff.; BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, S. 1171 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 27.09. 2001 – 1 B 10290/01, NVwZ-RR 2002, S. 422; B. Stüer, NuR 2002, S. 711 ff.; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. SchmidtRäntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 936 ff.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
299
rechtlichen Relevanz“ 365.366 Einschlägig sind dabei die UVP-RL (85/337/EWG), die SUP-RL (2001/42/EG), die Abfallrahmen-RL (2008/98/EG), aber auch Normen der FFH-RL (92/42/EWG) und Vogelschutz-RL (2009/147/EG, vormals 79/409/EWG), soweit sie Anforderungen an Planfeststellungen nach § 64 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. enthalten, die vom Verbandsklagerecht erfasst werden.367 Zum „Klageprogramm“ des § 64 BNatSchG n. F. gehören auch Form- und Verfahrensvorschriften, wenn sie eine fehlerfreie Ermittlung und Abwägung der relevanten naturschutzrechtlichen Belange gewährleisten oder eine sachliche Überprüfung erst ermöglichen sollen.368 Solche Vorschriften sind etwa die Vorschriften über die Aufgabenverteilung zwischen Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde im Planfeststellungsverfahren.369 Es muss aber gleichzeitig beachtet werden, dass eine VK im Rahmen des BNatSchG gegen die Verletzung von Form- und Verfahrensvorschriften gem. § 46 VwVfG i.V. m. § 75 Abs. 1a VwVfG nur dann Erfolgschancen hat, wenn der jeweils umstrittene Rechtsverstoß auf die angefochtene Entscheidung von Einfluss gewesen ist.370 Es besteht daher ein Unterschied zu Rechtsbehelfen nach dem UmwRG, gemäß dessen § 4 Abs. 1 bis 1a UmwRG absolute und relative Verfahrensfehler zur Aufhebung einer UVPrelevanten Entscheidung führen können.371 2. Berührung von satzungsmäßigen Aufgaben Eine weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der VK ist, dass die Vereinigungen gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG n. F. von den umstrittenen, angefochtenen Entscheidungen in ihrem satzungsmäßigen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich 365
OVG Saarlouis, Urt. v. 20.07.2005 – 1 M 2/04, NVwZ-RR 2007, S. 24. Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28/01, NuR 2002, S. 739; OVG Koblenz, Urt. v. 27.09.2001 – 1 B 10290/01, NVwZ-RR 2002, S. 422; s. mehr dazu in: E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. SchmidtRäntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 937 ff.; B. Stüer, NuR 2002, S. 712; P. Fischer-Hüftle, § 64 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 28 ff.; jeweils m.w. N. 367 Vgl. B. Stüer, NVwZ 2002, S. 1036; S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/ H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 27 ff.; S. Schlacke, in: dies./ Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 62; jeweils m.w. N. 368 VGH Kassel, Urt. v. 11.07.1988 – 2 TH 740/88, NVwZ 1988, S. 1043; P. FischerHüftle, § 64 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 29, m.w. N. 369 BVerwG, Beschl. v. 02.10.2002, 9VR 11.02, NVwZ 2003, S. 216 ff.; P. FischerHüftle, § 64 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 29, m.w. N. 370 Mehr dazu s. o. in 1. Teil, 1. Kap., F., II. 371 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., E., V., 1. ff. 366
300
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
berührt sein müssen, soweit sich die Anerkennung darauf bezieht.372 Hier hat der satzungsmäßige Aufgabenbereich der Vereinigung grundlegende Bedeutung, weil er die Legitimation der Vereinigung begründet. Danach soll eine Vereinigung nur die naturschutzrechtlichen Belange rügen können, denen sie sich laut Satzung auch widmet. Dadurch wird auch die enge Verklammerung von Vereinsmitwirkung und Vereinsklage verdeutlicht.373 In diesem Rahmen wird der Kreis der klageberechtigten Vereinigungen über den Bereich der Anerkennung hinaus beschränkt, denn nicht sämtliche anerkannte Vereinigungen können einen satzungsmäßigen und tatsächlichen Bezug zu dem jeweiligen Prüfgegenstand nachweisen.374 Darin sind Elemente der deutschen Schutznormtheorie auszumachen zu spüren, die eine Popularklage verhindern sollen.375 3. Beteiligung im Verwaltungsverfahren Letztlich ist die VK zulässig, wenn die klagende Vereinigung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. im Rahmen von § 63 Abs. 1 Nr. 2–4 und Abs. 2 Nr. 5–7 BNatSchG n. F. (entspricht § 58 Abs. 1 Nr. 2–3 und Abs. 2 Nr. 5–6 BNatSchG a. F. 2002) zur Mitwirkung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache geäußert hat oder ihr gesetzwidrig keine Gelegenheit zur Äußerung eröffnet worden ist. Der vom Gesetzgeber eingeräumten – und von der Rechtsprechung376 schon seit langem geforderten – substantiellen Anhörung der Vereinigung seitens der Behörde muss eine substantielle Reaktion auf Seiten der Vereinigung entsprechen.377 Falls die Vereinigung zur Mitwirkung berechtigt ist, ihr aber keine Gelegenheit dazu gegeben worden ist, kann ihr Klagerecht insofern allein schon aus diesem Grund nicht ausgeschlossen werden. Sie hat aber die Beweislast darzulegen, warum sie sich nicht äußern konnte. Gleiches gilt gemäß der fast wortgleichen Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG auch für die Umweltschutzvereinigungen im Rahmen der umweltschützenden VK des UmwRG.378 372 Vgl. R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1036; T. Wilrich, DVBl 2002, S. 878; B. Stüer, NuR 2002, S. 712; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/ A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 935 ff. 373 Vgl. E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. SchmidtRäntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 937; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 10; S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 31. 374 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 11. 375 S. Heselhaus, § 64 BNatSchG, in: W. Frenz/H.-J. Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 31; zu der entsprechenden Zulässigkeitsvoraussetzung im Rahmen des UmwRG s. u. 1. Teil, 3. Kap., C., III. 376 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1997 – 11 A 49/96, NuR 1998, S. 258, NVwZ 1998, S. 395 ff. 377 Vgl. VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.03.1999 – 12 A 230/95, NuR 1999, S. 714. 378 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 1.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
301
Diese Regelung dient vor allem gegen „Überraschungsangriffe“. Denn die Vereinigungen werden hierdurch gezwungen, von einer ihnen eröffneten Gelegenheit zur Stellungnahme Gebrauch zu machen, wenn sie sich die Möglichkeit einer späteren VK erhalten wollen. Wer nicht geneigt oder aus Gründen seiner personellen Kapazitäten nicht im Stande ist, seinen Sachverstand und seine spezifischen Kenntnisse in das zur Entscheidung führende Verfahren einzubringen, soll eben auch nicht klagen können.379 4. Präklusionsregelung Daran anschließend gelten gem. § 64 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG n. F. die speziellen Präklusionsvorschriften des § 2 Abs. 3 und 4 S. 1 UmwRG (entspr. § 61 Abs. 3 BNatSchG a. F. 2002).380 Danach sind alle Einwendungen der Vereinigung im Verfahren über den Rechtsbehelf ausgeschlossen, die die Vereinigung im Verlaufe ihrer Mitwirkung schuldhaft nicht vorgebracht bzw. nicht geltend gemacht hat, obwohl sie im Mitwirkungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung aller Einwendungen hatte.381 Eine Klage, die auf materiell präkludierte Einwendungen gestützt wird, ist daher unbegründet.382 Die Präklusion nach § 64 Abs. 2 BNatSchG n. F. sanktioniert zum einen die dem Mitwirkungsrecht entsprechende Mitwirkungspflicht; zum anderen regelt sie einen Gesichtspunkt der Begründetheit der Klage. In diesem Rahmen können subjektive Versäumnisse nicht entscheidend sein.383 Diese materielle Präklusion erfährt allerdings eine Begrenzung, weil nur solche Einwendungen ausgeschlossen werden dürfen, die auf Grundlage der der Vereinigung überlassenen oder ihr zugänglich gemachten Unterlagen hätten erhoben werden können. Was die Vereinigung somit im Zeitpunkt ihrer Mitwirkung
379 M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 11. Vgl. VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.03.1999 – 12 A 230/95, NuR 1999, S. 714; d. h., die Vereinigung muss substantielle Tatsachen oder Argumente einbringen. 380 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., D., II. 381 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 27.09.2001 – 1 B 10290/01, NVwZ-RR 2002, S. 422 ff. (Hochmoselbrücke); BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4A 28/01, NuR 2002, S. 739. „Einwendungen, die der Naturschutzverein erst nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens erhebt, sind ausgeschlossen.“; B. Stüer, NuR 2002, S. 712; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 938; W. Porsch, NVwZ 2013, S. 1393 ff. 382 BVerwG, Urt. v. 30.05.2012 – 9 A 35/10, NVwZ 2013, S. 147 ff. 383 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28/01, NuR 2002, S. 739. Da § 58 für die Mitwirkung der Verbände spezifisches Verfahrensrecht als lex specialis vorsieht, unterliegen diese nicht den Präklusionsvorschriften des Fachrechts (z. B. § 73 Abs. 4 VwVfG).
302
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
nicht weiß oder auch nicht wissen kann, darf sie im gerichtlichen Verfahren vorbringen, ohne Gefahr zu laufen, hiermit nicht gehört zu werden.384 Aus der Perspektive des Gesetzgebers gesehen muss die Vereinigung die sie belastende Tatsache so konkret angeben, dass der Sachverhalt, aus dem sie den mit der Klage verfolgten Anspruch ableitet, unmissverständlich feststeht.385 Die Beeinträchtigungen sind wenigstens so weit zu spezifizieren, dass dem Projektträger einschlägige Untersuchungen möglich sind.386 Nötig sind Angaben zumindest dazu, welches Schutzgut durch das Projekt betroffen ist und welche Beeinträchtigungen befürchtet werden.387 Die Klagebegründung muss allerdings auch diejenigen Einwendungen einbeziehen, die bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht worden sind. Andernfalls sind die Einwendungen präkludiert. Dadurch will der Gesetzgeber die Mitwirkung der Naturschutzvereinigungen stärken. Es gilt hier der Grundsatz „vorbeugen ist besser als heilen“. Die naturschutzrechtliche altruistische VK soll daher „ultima ratio“ sein. Durch die Mitwirkung der Vereinigungen im Verwaltungsverfahren, durch welche hinsichtlich der Naturschutzinteressen eine vorbeugende Rolle übernommen wird, wird ihre Ernsthaftigkeit dokumentiert. Gleichzeitig wird aber auch der Kreis der potentiellen Kläger abgegrenzt, denn nur die Vereinigung hinsichtlich der Naturschutzinteressen, die sich an den Mitwirkungsverfahren beteiligt hat, kann eine altruistische VK einlegen.388 Dabei können aufgrund des Verbandsklagerechts die naturschutzrechtlichen Einwendungen der Vereinigungen ernster genommen werden als bisher, da für die Behörden zu befürchten steht, dass geklagt wird.389 Eine allgemein geltende Klagebegründungsfrist gibt es im Bereich der altruistischen VK nicht. Vielmehr können sich für bestimmte Verfahren Klagebegründungsfristen ergeben.390 Falls der Verwaltungsakt der Vereinigung nicht bekannt gegeben worden ist, müssen aufgrund § 64 Abs. 2 BNatSchG n. F. i.V. m. § 2 384 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – 4 A 15/01, DVBl 2002, S. 990 ff.; zu der entsprechenden Zulässigkeitsvoraussetzung im Rahmen des UmwRG s. u. 1. Teil, 3. Kap., D., III., 2. 385 Vgl. B. Stüer, NuR 2002, S. 713: „Eine nur allgemeine Thematisierung ohne Benennung der zur Begründung dienenden Tatsachen reicht nicht aus.“ 386 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, BVerwGE 60, S. 297/311 – „durch welche Wirkzusammenhänge im Einzelnen es zu den Beeinträchtigungen kommen kann, muss nicht vorgelegt werden“. 387 Vgl. F. Kopp/U. Ramsauer, § 73 VwVfG, Rn. 74; E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchGKomm., 2003, S. 939. 388 E. Gassner, § 61 BNatSchG, in: ders./G. Bendomir-Kahlo/A. Schmidt-Räntsch/ J. Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2003, S. 938. 389 Vgl. P. Rottner, 2002, www.bund.de. 390 So enthält etwa § 5 Abs. 3 Verk-PBG eine 6-wöchige Klageerhebungsfrist. Gleiches gilt für § 17 Abs. 6b FStrG oder § 20 Art. 6, S. 2 AEG und § 57 ff. VwGO.
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
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Abs. 4 S. 1 UmwRG (entsprechend § 61 Abs. 4 BNatSchG g. F.) Widerspruch und Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von dem Verwaltungsakt Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.391 Diese Regelung bekämpft die problematische Situation, dass klagefähige Akte i. S. d. § 64 Abs. 1 S. 1 BNatSchG n. F. (vormals § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F.) einer Vereinigung nicht bekannt gegeben werden, mit der Folge, dass die an sich für Widerspruch und Klage vorgesehenen Fristenregelungen gem. §§ 70, 74 VwGO nicht greifen.392 Im Allgemeinen soll die geregelte Jahresfrist der Schaffung von Rechtssicherheit dienen. Dabei sah der Gesetzgeber die Frist von einem Jahr auch mit Blick darauf als geboten an, dass das Klagerecht von gemeinnützigen Vereinigungen wahrzunehmen sei und diese bei der fachlichen wie vielfach auch bei der finanziellen Vorbereitung in besonderem Maße auf die Mitwirkung von ehrenamtlich tätigen Mitgliedern angewiesen seien.393 Im Gegensatz zu Deutschland hat jedoch in den meisten EU-Staaten die Teilnahme oder Nichtteilnahme am Anhörungsverfahren keinerlei verfahrensrechtliche Konsequenzen für die Betroffenen. Eine ebenso strikte Präklusionsregelung mit der Folge, dass nur solche Einwendungen zum Gegenstand eines späteren Gerichtsverfahrens gemacht werden können, die bereits im Anhörungsverfahren form- und fristgerecht erhoben wurden, kennt man – außer in Deutschland – nur in Österreich und Malta.394 Dies hängt aber vor allem damit zusammen, dass die Einwendungen in den meisten europäischen Staaten lediglich der Information der Planungsbehörde dienen, diese nicht binden und auch nicht im Einzelnen erörtert oder gar wie im deutschen Recht individuell beschieden395 werden müssen.396 Trotzdem stellt sich aufgrund der strikten Präklusionsvorschriften der deutschen Rechtsordnung unvermeidlich die Frage, wer und auf welche Weise die Natur und Landschaft gerichtlich in den Fällen schützen kann, bei denen die Vereinigungen es in den Mitwirkungsverfahren angesichts eines umweltbelastenden Vorhabens sich zu beteiligen unterlassen oder (bei den Mitwirkungsverfahren) aus Versehen Einwendungen gegen die Naturbelastung durch das Vorhaben zu äußern versäumt haben. Dadurch bleiben in der Praxis die Natur und die Land-
391 Vgl. B. Stüer, NuR 2002, S. 713; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 13. 392 Vgl. M. Gellermann, § 61 BNatSchG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmweltR-Komm., Bd. IV, 2008, Rn. 13. 393 Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs zum BNatSchGNeuregG, BT-Drs. 14/6378, S. 62; OVG Münster, Urt. v. 24.09.2009 – 8 B 1342/09. AK, ZUR 2010, S. 205. 394 Vgl. E. Hien, DVBl 2007, S. 395, m.w. N. 395 In Deutschland sowie nur noch in Litauen, Estland, Zypern, Malta und Finnland sind die einzelnen Einwendungen individuell in der Plangenehmigung zu erörtern und dann jedem Einwender zuzustellen. Vgl. E. Hien, DVBl 2007, S. 395. 396 Vgl. E. Hien, DVBl 2007, S. 395.
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
schaftspflege bzw. die überindividuellen Naturschutzinteressen grundsätzlich unverteidigt.397 In dieser Hinsicht bestehen Bedenken insbesondere hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Normen mit dem EU-Recht.398
V. Prüfungsmaßstab bei naturschützender Verbandsklage Der h. M. nach führt die VK nicht zu einer umfassenden Überprüfung des angegriffenen Verwaltungshandelns am Maßstab des gesamten objektiven Rechts. Sie eröffnet nicht den Einstieg in eine allseitige Rechtmäßigkeitsprüfung bzw. Vollkontrolle.399 Dies entspricht im Ergebnis der allgemeinen verwaltungsprozessualen Doktrin, wonach ein Verwaltungsakt nur im Umfang der Klagebefugnis aufgehoben werden kann.400 Aus der inhaltlichen Begrenzung der Beanstandungsbefugnis auf bestimmte Gründe (sog. „Klageprogramm“) wird eine entsprechende Beschränkung des Prüfungsmaßstabs abgeleitet, die von den Gerichten zu beachten ist.401 Vor diesem Hintergrund ist eine umfassende gerichtliche Kontrolle etwa eines Planfeststellungsbeschlusses ausgeschlossen.402 Das naturschutzrechtliche Verbandsklagerecht gewährt – der Ansicht der Rechtsprechung nach – keinen Anspruch auf gerichtliche Prüfung der Planrechtfertigung.403 Dabei sollte die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt werden, ob die Einschätzungen der Planfeststellungsbehörde im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen.404
397
Vgl. B. Stüer, NuR 2002, S. 713 ff. Ausführlich dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3. ff. 399 Vgl. J. Ziekow, VerwArch 2000, S. 483 ff., S. 488; K. Meßerschmidt, § 61 BNatSchG, in: BNatSchG-Komm., 2008, Rn. 66 ff. 400 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86, NVwZ 1988, S. 527 ff. 401 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9/86, NVwZ 1988, S. 527 ff.; BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, Rn. 14, NuR 2008, S. 176 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 05.03.2008 – 7 MS 114/07, NuR 2008, S. 265 ff.; K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 201 ff., m.w. N. 402 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, Rn. 14, NuR 2008, S. 176 ff.; s. auch A. Dietz, UPR 2016, S. 469 ff. 403 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, UPR 1998, S. 384; OVG Lüneburg, Urt. v. 05.03.2008 – 7 MS 114/07, NuR 2008, S. 265 ff. 404 BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, Rn. 65 ff., NVwZ 2009, S. 308 ff.; VGH Kassel, Beschl. v. 23.10.2002 – 2 Q 1668/02, NVwZ-RR 2003, S. 420 ff. Danach sind etwa Fragen des Verkehrsbedürfnisses, der Wirtschaftlichkeit oder des Lärmschutzes bei der gerichtlichen Kontrolle von umweltbezogenen Klagerechten nicht erfasst. Mehr zur Problematik der Reichweite der Kontrolldichte im Rahmen des UmwRG, deren Vereinbarkeit mit dem EU-Recht fraglich ist, s. u. in 1. Teil, 3. Kap., H., I. 398
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
305
VI. Übergangsvorschriften Zu beachten ist, dass nach § 74 Abs. 3 BNatSchG n. F. die §§ 63 und 64 BNatSchG n. F. auch für die bisher nach § 29 BNatSchG a. F. (1976)405 in der bis zum 03.04.2002 geltenden Fassung oder nach § 59 BNatSchG a. F. (2002) oder für die im Rahmen des § 60 BNatSchG a. F. (2002) anerkannten Naturschutzvereinigungen gelten. Insofern stehen allen bisher nach den unterschiedlichen Vorschriften des BNatSchG in der jeweiligen Fassung anerkannten Vereinigungen die Rechte nach §§ 63 und 64 BNatSchG zu, wenn sie die satzungsmäßigen Voraussetzungen erfüllen.406
VII. Fazit Durch die Einführung der bundesweiten Verbandsklageregelung gem. § 61 BNatSchG a. F. (2002) ist zwar keine dramatische Wende im Bereich der VK eingetreten, weil auf Landesebene schon in 13 Ländern vergleichbare Regelungen bestanden. Einige nicht zu unterschätzende positive Punkte sind jedoch festzustellen: Vor allem werden zum ersten Mal die doch teilweise sehr unterschiedlichen Landesregelungen vereinheitlicht, wodurch eine gewisse Rechtssicherheit geschaffen wird. Zugleich wird die Möglichkeit einer treuhänderischen VK gegen Rechtsakte der Bundesbehörden eingeführt. Aus dieser Sicht bekommen im Rahmen des Kooperationsprinzips im Umweltrecht anerkannte, bundesweit aber auch regional operierende Naturschutzvereinigungen ein verständliches Instrumentarium an die Hand, das einen naturschutzrechtlichen Mindeststandard auf Bundesebene gewährt. Die neue Fassung der VK gem. § 64 BNatSchG n. F. i.V. m. § 63 BNatSchG n. F. trägt nur geringfügig zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der naturschutzrechtlichen VK – im Vergleich zu § 61 BNatSchG a. F. – bei. Die §§ 63, 64 BNatSchG n. F. führen allerdings gegenüber der Vorgängerregelung zu einer sprachlichen Vereinfachung sowie inhaltlichen Klarstellung der Klagemöglichkeiten der Naturschutzvereinigungen. Mit der naturschützenden altruistischen VK können anerkannte Naturschutzvereinigungen grundsätzlich nur diejenigen Rechtsverstöße rügen, die im BNatSchG bezeichnet sind (vgl. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG n. F.). Angesichts der Tatsache, dass sich der Anwendungsbereich der naturschützenden altruistischen VK im Wesentlichen auf Planfeststellungen und bestimmte restriktive Befreiungsentscheidungen beschränkt, bleibt die Wirksamkeit der bundesweiten altruisti405
BGBl. I, S. 3574, vom 20.12.1976. Vgl. H. W. Louis, NuR 2010, S. 88; Begründung zum BMU-Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03. 2009, S. 114. Mehr zur Anerkennung von Umweltvereinigungen gem. § 3 UmwRG s. u. 1. Teil, 3. Kap., D. ff. 406
306
1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
schen VK in der Praxis eingeschränkt. Die geringen Mitwirkungsmöglichkeiten der Umweltvereinigungen aufgrund § 63 BNatSchG n. F. im Zusammenhang mit ihren noch eingeschränkteren Klagemöglichkeiten gem. § 64 BNatSchG n. F., die eindeutig hinter dem Katalog der Mitwirkungsbefugnisse des § 63 BNatSchG n. F. zurückbleiben, erwecken somit Bedenken hinsichtlich der Effektivität des dadurch bezweckten Abbaus der Vollzugsdefizite im kritischen Bereich des Naturschutzes. Zwar erfasst § 64 Abs. 1 S. 1 BNatSchG n. F. wichtige naturschutzrelevante Verwaltungsentscheidungen (Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von geschützten Meeresgebieten, Planfeststellungsverfahren der Länder im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels, Planfeststellungsverfahren des Eisenbahnbundesamtes); er spart aber andere naturschutzrelevante Projekte, z. B. Bauprojekte im Rahmen des Bergrechts, des Wasserrechts, des Abfallwirtschaftsrechts, aber auch im Bereich der Bauleitplanung und der Raumordnung völlig aus. Die Begrenzung der naturschützenden altruistischen VK auf naturschutzrechtliche Vorschriften hat auch zur Folge, dass auch weitere, „nicht rein naturschutzrechtliche“ Vorschriften des Umweltrechts (z. B. des Immissions- und Strahlenrechts, des Boden- bzw. Wassersschutzrechts und des Gentechnikrechts) i. d. R. den Umweltschutzvereinigungen kein entsprechendes Klagerecht im Rahmen des BNatSchG einräumen. Auch eine Klagemöglichkeit gegen Ausnahmegenehmigungen ist der h. M. nach nicht gegeben. Eine solche Klagemöglichkeit ist in § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. nicht explizit vorgesehen. Dies scheint aber nicht sinnvoll, denn Ausnahmen in Naturschutzgebieten sind in ihrer Bedeutung mit den Befreiungen in Schutzgebieten durchaus vergleichbar und auch dabei können wesentliche Vollzugsdefizite auftreten. Zugleich ist eine altruistische VK gegen Befreiungen von Verboten und Geboten, die in den Landesgesetzen vorgesehen sind, möglich, nicht aber gegen die in den Bundesgesetzen vorgesehenen Befreiungen – mit der Ausnahme von Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von geschützten Meeresgebieten i. S. d. § 57 Abs. 2 BNatSchG n. F. Auch wenn Projekte planfeststellungsersetzend sind – wenn z. B. eine an sich erforderliche Planfeststellung nach § 17b Abs. 2 FStrG zulässigerweise durch einen Bebauungsplan ersetzt wird –, besteht keine Klagemöglichkeit der Vereinigung, es sei denn, dass das Landesnaturschutzrecht eine Verbandsklagebefugnis aufgrund von § 64 Abs. 1 S. 1 BNatSchG n. F. i.V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG n. F. eröffnet (z. B. bei § 17 Abs. 3 FStrG). Solche Vorhaben und Maßnahmen, die nicht in den Anwendungsbereich der naturschützenden VK fallen, können aber ebenso erheblich den Naturschutz und die Landschaftspflege beeinträchtigen wie diejenigen, die unter den Anwendungsbereich des § 64 BNatSchG n. F. fallen. Was den gerichtlichen Prüfungsmaßstab betrifft, ist er auch entsprechend nur auf die naturschutzbezogenen Elemente beschränkt. Deswegen müssen Fragen
D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene
307
des Verkehrsbedarfs, der Kostenberechnung, der Lärmauswirkungen, die ebenso den Umweltschutz betreffen können, grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Infolgedessen sind Belange von anderen wichtigen Bereichen des Umweltschutzes wie der Immissionsschutz, der Gentechnikschutz, der Wasserschutz, der Luftschutz, der Denkmalschutz usw. nur insoweit rüge- und kontrollfähig, wie sie zumindest auch den Belangen des Naturschutzes zu dienen bestimmt sind. Eine umfassende gerichtliche Kontrolle des Planfeststellungsbeschlusses ist daher ausgeschlossen. Ferner erweckt insbesondere die Zulässigkeitsvoraussetzung der Präklusionsregelung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG n. F. (sie entspricht § 61 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG g. F.) Bedenken hinsichtlich der Tatsache, wer die Natur und Landschaft in denjenigen Fällen gerichtlich schützen kann, in denen es die Umweltschutzvereinigungen etwa wegen defizitärer finanzieller Ressourcen oder doch aus eigener Fahrlässigkeit unterlassen, sich an den Mitwirkungsverfahren angesichts eines umweltbelastenden Vorhabens zu beteiligen, oder wenn sie es bei den Mitwirkungsverfahren versäumen, Einwendungen gegen die Naturbelastung durch das Vorhaben zu äußern. Das BNatSchG lässt in solchen Fällen insbesondere durch die oben genannte Präklusionsvorschrift die Natur und Landschaft grundsätzlich ohne gerichtlichen Rechtsschutz. Parallel dazu hat auf der Landesebene die Entwicklung der altruistischen VK nach 2002 die Erwartungen an eine Erweiterung der landesrechtlichen Verbandsklagemöglichkeiten nicht bestätigt. Vielmehr war es zunächst durch die Abschaffung oder Einschränkung der Mehrheit der schon bestehenden landesrechtlichen Klagevorschriften in mehreren Bundesländern zu einer Art Gegenreaktion gekommen. Anschließend daran ist es seit der Einführung der zum Teil erweiterten Klagemöglichkeit der Fassung des BNatSchG 2009 durch die von verschiedenen Ländern erlassenen Ausführungsgesetze zum BNatSchG n. F. teilweise zu weiteren Einschränkungen gekommen. Charakteristisch dazu war, dass die landesrechtlichen VKen in Hessen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Bremen und Niedersachsen komplett aufgehoben wurden. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat in § 12b LNatSchG-NW die über § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F. hinausgehenden Anwendungsmöglichkeiten grundsätzlich gestrichen. Heutzutage gibt es daher auf der Landesebene Klagevorschriften mit einem wesentlich über § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. hinausgehenden Anwendungsbereich nur noch in wenigen Ländern (etwa Brandenburg und Nordrhein-Westfalen). Vor diesem Hintergrund spielen heutzutage die landesrechtlichen VKen nur eine untergeordnete Rolle bezüglich des Umweltrechtsschutzes. Durchweg scheint die altruistische VK des BNatSchG einen weiteren, aber nicht ausreichenden Beitrag zum Abbau des Vollzugsdefizits zu leisten. Im Ergebnis misslingt es den Verbandsklageregelungen des BNatSchG, ihr Hauptziel zu erreichen, d. h. Vollzugsdefizite bzw. Rechtsschutzdefizite im Naturschutz-
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1. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz durch Verbandsklage des BNatSchG
und Landschaftsrecht effektiv und effizient zu beheben. Die Intention der Stärkung des Naturschutzes durch die Einführung der VK des BNatSchG wurde nicht effizient genug umgesetzt. Vor diesem Hintergrund und zur Umsetzung der aus der AK hervorgehenden Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie (RL 2003/35/EG, sog. ÖB-RL) hat der Bundesgesetzgeber das sog. Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) als Abhilfe in Richtung eines effektiveren Umweltrechtsschutzes erlassen. Die rechtliche Problematik dieses Gesetzes sowie sein Verhältnis zu der naturschützenden VK des BNatSchG n. F. soll im Folgenden ausführlich erörtert werden.
3. Kapitel
Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG Neben der oben dargestellten naturschutzrechtlichen altruistischen VK im Rahmen des BNatSchG hat der deutsche Gesetzgeber eine umweltschützende altruistische VK im Rahmen des UmwRG eingeführt. Das UmwRG erweitert den überindividuellen Umweltrechtsschutz über die restriktive Grenze des Natur- und Landschaftsschutzes hinaus. Es ist allerdings fraglich, ob dieses Gesetz der effektiven Bekämpfung der Umweltrechtsschutzdefizite dient, sowie ob bestimmte Vorschriften des UmwRG mit dem EU-Recht vereinbar sind. Im Folgenden soll die Problematik des Inhalts sowie der unionsrechtlichen Konformität dieses Gesetzes erörtert werden.
A. Zur Entstehung des UmwRG Obwohl verfassungsrechtlich die Einführung einer umweltschützenden Verbandsklage nicht geboten ist, wird sie aber durch das Grundgesetz nicht verhindert. Denn, wie schon ausgeführt wurde, ist die Beschränkung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes auf die Verletzung drittschützender Vorschriften (vgl. §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) von Verfassungs wegen nicht vorgegeben.1 Vor diesem Hintergrund und im Unterschied zur naturschutzrechtlichen VK hat der Gesetzgeber zur Umsetzung der Vorgaben aus (nunmehr) Art. 11 Umweltverträglichkeitsprüfungs-RL n. F., d. h. UVP-RL 2011/92/EU2 (vormals Art. 15a UVP-RL) und Art. 25 Industrieemissions-RL, d. h. IE-RL 2010/75/EU3
1 F. Fellenberg/G. Schiller, Vorb. UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 36, m.w. N.; s. o. 1. Teil, 1. Kap., C., I.–II. 2 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26/1 vom 28.01.2012. Diese Richtlinie wurde durch die Änderungsrichtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten geändert; ABl. 2014, L 124, S. 1 ff. Art. 11 UVP-RL blieb allerdings unberührt. Zur Änderungen der UVP-RL s. J. Wagner, EurUP 2014, S. 122 ff. 3 RL 2010/75/EU (IE-R) v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 06.01.2011, ABl. L 334/17, 17.12.2010.
310
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
(vormals Art. 15a IVU-RL a. F.)4, die aus der AK für die unionsrechtliche Durchsetzung insb. des Art. 9 Abs. 2 AK abgeleitet sind, nicht an bereichsspezifische Regelungen des materiellen Umweltrechts angeknüpft, sondern sich für eine Statuierung in einem eigens geschaffenen, von der Verwaltungsgerichtsordnung abweichenden Sondergesetz entschieden. Vor diesem Hintergrund ist die ÖB-RL (2003/35/EG)5 teilweise durch das „Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der ÖB-RL 2003/35/EG“ vom 7. Dezember 2006 (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG) umgesetzt worden.6 Es ist denkbar, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des UmwRG das ausdrückliche Ziel, die AK „vollständig“ umzusetzen, verfolgte. Dies ergibt sich aus der BT-Drs. 16/2931. Im Hinblick auf Änderungsvorschläge des Bundesrats zum UmwRG wird dort geäußert: „Die Änderungsvorschläge des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung müssen daran gemessen werden, ob sie im Einklang mit der umzusetzenden EGRichtlinie und dem Aarhus-Übereinkommen stehen. Umsetzungsdefizite dürfen nicht in Kauf genommen werden.“7
Es scheint, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des UmwRG abschließend Art. 9 Abs. 2 AK umsetzen wollte.8 Es liegt nahe, dass er für die Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK keinen Änderungsbedarf im innerstaatlichen Recht sah, da er § 42 Abs. 2 VwGO als innerstaatliches Kriterium verstand, welches in der Lage sei, den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK ins Leere gehen zu lassen.9 Es ist somit offensichtlich, dass § 64 BNatSchG und die Vorschriften des UmwRG keine hinreichende innerstaatliche Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK darstellen.10
4 RL 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 24 vom 29.01.2008. 5 Es muss angemerkt werden, dass die Normen des Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 Abs. 1 UVP-RL) und des Art. 15a IVU-RL a. F. (nun Art. 25 IE-RL) mit Art. 3 Nr. 7 ÖB-RL sowie mit Art. 4 Nr. 4 ÖB-RL entsprechend geändert wurden. Dadurch wurde das Recht auf gerichtliche Überprüfung bei allen Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen, für die die Bestimmungen der Richtlinie gelten, statuiert. 6 BGBl. I, S. 2816. Parallel dazu ist die ÖB-RL (2003/35) auch durch das Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-RL 2003/ 35/EG vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I, S. 2819) umgesetzt worden. Dieses Gesetz soll aber in dieser Arbeit außer Acht bleiben. Die beiden Gesetze dienten zugleich dazu, das deutsche Recht an die Vorgaben der AK anzupassen. 7 BT-Drs. 16/2931 v. 12.10.2006, S. 5. 8 R. Klinger, EurUP 2014, S. 180. 9 BT-Drs. 16/2497, S. 46; M. Sauer, ZUR 2014, S. 197; R. Klinger, EurUP 2014, S. 180 ff.; dagegen: BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, 7 C 21.12, Rn. 32–35, ZUR 2014, S. 52 ff. 10 Vgl. J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146; W. Frenz, UPR 2014 S. 2 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17.
A. Zur Entstehung des UmwRG
311
Im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des UmwRG war intensiv diskutiert worden, ob Umweltschutzvereinigungen, in den durch das Erfordernis einer UVP oder wenigstens einer UV-Vorprüfung (Screening) gekennzeichneten Verfahren, ein umfassendes Klagerecht eröffnet oder ob das Klagerecht auf die Geltendmachung von Rechten Dritter beschränkt werden sollte.11 Das zuständige BMU hatte zwar noch unter der rot-grünen Bundesregierung am 21.02.2005 einen ersten Entwurf für das UmwRG vorgelegt (sog. Referentenentwurf).12 Dieser Gesetzentwurf enthielt jedoch tatsächlich keine Begrenzung der Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigungen auf Rechtsvorschriften, welche Rechte Einzelner begründen. Dadurch beabsichtigte das BMU zunächst eine durchaus weitreichende Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und beschränkte daher in seinem Referentenentwurf den gerichtlichen Prüfungsumfang bei altruistischen Verbandsklagen noch in keiner Weise auf drittschützende Normen i. S. d. Schutznormtheorie.13 11 Vgl. W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 760 ff.; A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 282 ff.; jeweils m.w. N. 12 Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) (Stand: 21.02.2005) Geschäftszeichen des BMU: G I 4 – 42120 11/3 (Kabinett Nr.: 151610001); abgedruckt in: W. Durner/C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzungder Aarhus-Konvention, 2005, S. 171 ff.; zur Entstehungsgeschichte des UmwRG: T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 35 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, Vorb. UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 42 ff., S. Schlacke, ZUR 2013, S. 195 ff.; jeweils m.w. N. 13 Die in § 2 Abs. 1 UmwRG vorgeschlagene Regelung des sog Referentenentwurfes des BMU vom 21.02.2005 lautete: „(1) Ein Verein nach Absatz 2 kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, [. . .].“ Entsprechend lautete auch die Begründetheitsvorschrift von § 2 Abs. 6 S. 1 URG-E vom 21.02.2005: „Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, 1. soweit die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, verstößt und der Verein dadurch in seinem satzungsmäßigen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt wird [. . .].“ Vgl. W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 760 ff.; A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 282 ff., jeweils m.w. N. Vor diesem Hintergrund ist wahrscheinlich nicht zufällig, dass in Österreich – neben der auch dort bestehenden sog. Verletztenklage – zur Umsetzung der ÖB-RL eine Vereinsklage mit entsprechend weitgehenden Rügebefugnissen eingeführt worden ist. Vgl. dazu A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 61 ff., m.w. N. Unter anderem hat auch der Deutsche Anwaltsverein (DAV) in seiner Stellungnahme durch den Umweltrechtsauschuss zum oben genannten Referentenentwurf diese Fassung grundsätzlich unterstützt. Im Hinblick auf die Art. 10a der UVP-RL a. F. und Art. 16 der IVU-RL a. F. ging der DAV davon aus, dass die Konzeption, wonach „eine unabhängig von der Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte bestehende gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit nur den in § 2 des oben genannten Referentenentwurfes genannten Vereinen und nicht sonstigen Personen oder Zusammenschlüssen eingeräumt wird, gemeinschaftsrechtlich geboten ist und über das gemeinschaftsrechtlich Gebotene nicht hinausgeht“. s. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins e. V. (DAV) durch den Umweltrechtsausschuss zum Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Dieser Gesetzentwurf änderte sich aber nach der Bundestagswahl am 18.09. 2005. Da die Umsetzung der sog. ÖB-RL 2003/35/EG verspätet war, hat die EGKommission bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet und nach einer Stellungnahme der Bundesregierung im Juni 2006 den EuGH angerufen.14 Es gelang erst der amtierenden großen Koalition, einen abgestimmten Regierungsentwurf vom 04.09.2006 zu beschließen15 und ihn schließlich Ende 2006 in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. In der Zwischenzeit nahm der Bundesrat am 22.09.2006 Stellung zum Regierungsentwurf. Er plädierte dabei für Änderungen, die den Inhalt und die Reichweite des entworfenen Gesetzes erheblich einschränken sollten. Die Bundesregierung gab ihre Gegenäußerung am 12.10.2006 ab.16 Sie lehnte die Vorschläge des Bundesrates durchweg ab, sprach sich jedoch in einigen Punkten für Kompromissformulierungen aus.17 Die Beschlussempfehlung vom 08.11.2006 des Bundestags-Umweltausschusses stimmte im Grundsatz dem Regierungsentwurf zu.18 Zentrales Merkmal des schließlich durchgesetzten Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 4. September 2006 war die Ermöglichung der altruistischen VK gegen bestimmte umweltrechtliche Zulassungsentscheidungen oder deren Unterlassung, ohne dass es hierfür einer Verletzung von eigenen Rechten der betreffenden Vereinigung bedurfte.19 Dabei wurde die Problematik, die Klagemöglichkeiten der Vereinigungen auf die Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte zu beschränken, intensiv beraten. Die Frage der Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem (Geschäftszeichen des BMU: G I 4 – 42120-11/3), Stellungnahme-Nr. 19/05, März 2005; abrufbar unter: http://anwaltverein.de/. 14 Da die vorgegebene Umsetzungsfrist schon am 25.06.2005 abgelaufen war, hatte die Europäische Kommission mit Aufforderungsschreiben v. 28.06.2005 gemäß Art. 226 I des EGV ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Sie hat nach Übersendung von Mitteilungen der Bundesregierung mit Schreiben v. 26. und 28.09.2005 eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben v. 19.12.2005 übermittelt. Deren Beantwortung seitens der Bundesregierung durch Mitteilung v. 06.02.2006 hat die EG-Kommission nicht zufriedengestellt, so dass diese gemäß Art. 226 des EG-Vertrages im Juni 2006 den EuGH angerufen hatte. Das zuständige Umweltministerium hatte zwar noch unter der rot-grünen Bundesregierung am 21.02. 2005 einen ersten Entwurf für das UmwRG vorgelegt. Es gelang aber erst der amtierenden großen Koalition, einen abgestimmten Regierungsentwurf zu beschließen und Mitte 2006 in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen (s. BT-Drs. 16/2495, v. 04.09.2006, S. 7, Ziff. 2b). Zur Stellungnahme des Bundesrats und zur Gegenäußerung der Bundesregierung (die Änderungsvorschläge des Bundesrates sind von der Bundesregierung sämtlich zurückgewiesen worden). Vgl. BT-Drs. 16/2931. Zu den Beratungen und Beschlussempfehlungen des zuständigen Bundestagsausschusses vgl. BT-Drs. 16/3312. 15 BT-Drs. 16/2495 vom 04.09.2006, S. 6 ff. 16 BT-Drs. 16/2931. 17 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 36 ff. Rn. 22, m.w. N. 18 BT-Drs. 16/2931, S. 4 ff. Am 08.11.2006 schlug auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen weitere Änderungen des Regierungsentwurfes vor. Dieser Antrag hatte aber keinen Erfolg. 19 BT-Drs. 16/3312, S. 1.
A. Zur Entstehung des UmwRG
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EG-Recht spielte dabei eine bedeutende Rolle. Bereits im parlamentarischen Verfahren war die Frage der Konformität des UmwRG-Entwurfs von Anfang an stark umstritten.20 Zwar musste jede anerkannte Umweltschutzvereinigung, genauso wie bei der altruistischen VK im Naturschutzrecht, keine eigene Rechtsverletzung geltend machen; ihre Rügebefugnis war aber grundsätzlich nur auf Verletzungen drittschützender Normen beschränkt. In der Tat kam der altruistischen umweltschützenden VK in dieser Fassung des UmwRG keine objektive Beanstandungsfunktion zu. Das relevante Rechtsgutachten (erschienen im Oktober 2005) von T. v. Danwitz hatte vermutlich einen gewissen Einfluss auf dieses Ergebnis des nationalen Gesetzgebers ausgeübt.21 In seinem erstatteten Rechtsgutachten im Auftrag der damaligen Vereinigung der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) sprach er sich nachdrücklich gegen ein weites Klagerecht der Umweltschutzvereinigungen aus. Er vertrat durchaus die europarechtliche Unbedenklichkeit einer auf Schutznormen beschränkten „Minimallösung“.22 Die Einschränkung der Rügebefugnis von anerkannten Umweltschutzvereinigungen nur auf Verletzungen drittschützender Normen führe zuletzt zu einer Einschränkung der Rügebefugnis auf die Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte.23 Auf diese Weise aber könnten materiell- und verfahrensrechtliche Rechtsvorschriften, die ausschließlich dem Bereich der Allgemeininteressen, etwa Landschaft- und Naturschutzrecht, Habitat- und Artenschutzrecht, Raumordnungsrecht sowie große Teile des Wasserrechts und die Vorsorgenormen, dienten, keine Klagebefugnis begründen.24 Diese Konzeption der umweltschützenden VK stellte im Ergebnis nichtstaatliche Umweltorganisationen mit Privatpersonen gleich, ohne dabei die Art der Rechte grundsätzlich zu ändern, auf die sich die nichtstaatlichen Umweltorganisationen zur Begründung ihrer Klagebefugnis berufen müssten.25 Diese neuartige Konstruktion schien rechtssystematische Friktionen innerhalb eines im Entstehen begriffenen Systems überindividuellen Rechtsschutzes zu ver20 Vgl. insbesondere Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 08.11.2006, in: BT-Drs. 16/3312. 21 Vgl. A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 282; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 760 ff.; J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 338. 22 Vgl. T. v. Danwitz, Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Einführung der Verbandsklage anerkannter Umweltschutzvereine nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/35 EG und der sog. Aarhus-Konvention, Rechtsgutachten, 2005, S. 31 ff., S. 43 ff., S. 57 ff.; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 300; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 760 ff. 23 BT-Drs. 16/2495 S. 12. 24 Vgl. A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 280 ff. 25 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 481 ff.; T. Bunge, NuR 2011, S. 607; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 761.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
ursachen. Vor diesem Hintergrund entstand auch die Frage, ob ein Rechtsbehelf wie die umweltschützende altruistische VK, die eine derartige Zwitterstellung zwischen subjektivem und objektivem Rechtsschutz einnimmt, mit dem Völkerund Gemeinschaftsrecht vereinbar war.26 Die Einführung des UmwRG schien somit einen politischen Kompromiss darzustellen.27 Denn schließlich konnte eine weitergehende altruistische VK zum Zeitpunkt der Gesetzgebung nicht durchgesetzt werden.28 Man sprach dann von „Ressortabstimmungen“.29 Wenn man dieses Verhalten politisch bewertet, so hatte der Umweltminister der Großen Koalition von CDU/SPD im Spätherbst 2006 eine schwere politische Niederlage erlitten.30 Vor diesem Hintergrund wurde das „Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-RL 2003/35/EG“ – das sog. Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) vom 7. Dezember 2006 – verabschiedet, um weitere Verzögerungen bei der Umsetzung der oben genannten RL in die deutsche Rechtsordnung zu vermeiden.31 Infolgedessen hat die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren im Januar 2007 zurückgezogen.32 Der Erlass des UmwRG zielte vor allem darauf ab, Konformität mit den europarechtlichen Vorgaben herzustellen. Die Einführung des UmwRG diente vor allem der Umsetzung von Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der ÖB-RL 2003/35/EG. Mit anderen Worten handelte es sich in Teilen um die Umsetzung der dritten Säule der AK (Zugang zu Gerichten) bzw. der durch die ÖB-RL 2003/35/EG eingefügten bzw. geänderten Art. 10a UVP-RL33 und Art. 15a IVU-RL.34 Vor allem wird durch die Fassung des UmwRG vom 07.12.2006 eine umweltschützende altruistische VK für anerkannte Umweltverbände eingeführt, mit der die Aufhebung von Genehmigungen für eine Vielzahl von der UVP- und IE-RL unterfallenden Industrieanlagen und Infrastrukturvorhaben begehrt werden könnte. Der deutsche 26 Vgl. z. B. J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 336 ff.; S. Schlacke, NuR 2008, S. 8; M. Marty, ZUR 2009, S. 115; T. Bunge, ZUR 2010, S. 21 ff. 27 Vgl. z. B. VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T, ZUR 2010, S. 48. 28 Vgl. dazu BT-Drs. 16/3312, S. 1 ff. 29 Vgl. J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 338. 30 Ebd. 31 Vgl. BGBl. I, S. 2816; BT-Drs. 16/2495 vom 04.09.2006. Zwar hatte das zuständige Umweltministerium noch unter der rot-grünen Bundesregierung am 21.2.2005 einen ersten Entwurf für das UmwRG vorgelegt. Es gelang aber erst der amtierenden großen Koalition, einen abgestimmten Regierungsentwurf zu beschließen und Mitte 2006 in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. 32 Vgl. G.-A. Balensiefen, Einleit. UmwRG, in: Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht, 2008, Rn. 1 ff. 33 Richtlinie 85/337/EWG vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 05.07.1985, S. 40; geändert durch Richtlinie 97/11/EG, ABl. L 73 vom 14.03.1997, S. 5. 34 Richtlinie 96/61/EG vom 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 257 vom 10.10.1996, S. 26.
A. Zur Entstehung des UmwRG
315
Gesetzgeber hat später versucht, die oben genannte Umweltverbandsklage im Umweltgesetzbuch-Entwurf (UGB-E)35 einzuführen. Das Scheitern dieses Entwurfs hat allerdings, was den Bereich des umweltrechtlichen Rechtsschutzes betrifft, keine erheblichen Konsequenzen verursacht. Denn der gescheiterte sog. UGB-Referentenentwurf 36 übernahm im Prinzip fast wortgleich die Vorschriften des UmwRG (a. F. 2006) in seinen §§ 41 ff. UGB-E. Insofern würden damit auch die diesbezüglichen rechtlichen Bedenken unvermeidlich geerbt. Vor dem Hintergrund, dass der EuGH37 sowie die Stellungnahme des Aarhus Compliance Committees38 entschieden haben, dass die Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Umweltverbände nicht vollständig den europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben entsprechen,39 wurde am 29.05.2017 das „Gesetz zur Anpassung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben“ erlassen.40 Dieses Gesetz ist am 02.06.2017 in Kraft getreten. Artikel 1 dieses Gesetzes bestimmt die neuen Änderungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Damit wird noch mal versucht, den Umweltrechtsschutz völker- und unionsrechtskonform auszugestalten.41 Zu beachten ist, dass das UmwRG zumindest bis Mitte 2017 neun Mal geändert worden ist.42 Allein diese Tatsache zeigt auf den ersten Blick die Vulnera35 Vgl. § 45 UGB-KomE. Zur Begründung vgl. Bundesministerium (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S. 533; C. Calliess, ZUR 2008, S. 343 ff. Einen Überblick bezüglich des Referentenentwurfes des BMU vom 20.05.2008 für das UGB gibt es in: G. Winter, ZUR 2008, S. 337 ff., m.w. N.; vgl. auch J. Sanden, ZfU 2004, S. 473 ff.; ein Überblick bezüglich des Entwurfs der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum UGB beim BMU v. 09.09.1997 findet sich in: G. Lübbe-Wolff, ZAU 1998, S. 43 ff.; J. Kokott/L.-F. Lee, UTR 1998, S. 215 ff.; kritisch dazu W. Köck, ZUR 2009, S. 59. 36 Vgl. §§ 41 ff. des Gesetzentwurfes der Bundesregierung für das Umweltgesetzbuch, Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften und vorhabenbezogenes Umweltrecht (UGB I), vom 08.12.2008, abrufbar unter: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/ap plication/pdf/ugb1_allgem_vorschriften.pdf. 37 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris. 38 Vgl. Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/ 2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 86 ff. 1. Teil, 4. Kap, B., V., 3., a). 39 Vgl. 1. Teil, 4. Kap, B., V., 3., a); 2. Teil, 3. Kap., C., IV. 40 BGBl. I 2017, Nr. 32, S. 1298; BT-Drs. 18/9526, 18/9909 siehe auch Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben (Stand 19.04.2016); BT-Drs. 18/9526 vom 05.09.2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 41 Vgl. BT-Drs. 18/12146, vom 26.04.2017 S. 6 ff.; BT-Drs. 18/9526 vom 05.09. 2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 42 1. Änderung der §§ 3, 5 UmwRG durch Art. 17 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29.07.2009 (BGBl. I,
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
bilität dieses Gesetzes. Die ständigen Änderungen dieses Gesetzes überraschen nicht. Denn im Bereich des Umweltrechtsschutzes dominierte in den letzten Jahren das problematische Gesetzgebungsleitbild einer bestenfalls „Minimalumsetzung“ europarechtlicher Vorgaben.43 Es war offensichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber im Ergebnis nicht eine erweiterte Öffnung des gesamten objektiven Umweltrechts im Rahmen der umweltschützenden altruistischen VK vornehmen wollte. Dies hatte zur Folge, dass jede „Minimalumsetzung“ sich stets am Grenzbereich zur Europarechtswidrigkeit bewegen musste und immer noch muss. Eine starke Rechtsunsicherheit war bzw. ist diesem Gesetz daher immer noch immanent.44 Selbst wo es dem Gesetzgeber gelang, tatsächlich nur das absolute Minimum umzusetzen, musste ihn gerade dies bei jeder kleinsten Ausweitung der Rechtsprechung sofort in die Defensive bringen. Daher konnte der Gesetzgeber nicht die ständigen Gesetzesänderungen im Bereich des UmwRG vermeiden.45 S. 2542, in Kraft getreten am 01.03.2010). 2. Änderung des § 1 UmwRG durch Art. 15 des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31.07.2009 (BGBl. I, S. 2585, in Kraft getreten am. 01.03.2010). 3. Änderung der Überschrift des UmwRG durch Art. 11a des Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungs-RL auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften vom 11.08.2010 (BGBl. I, S. 1163, in Kraft getreten am 18.08.2010). 4. Änderung des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG durch Art. 5 Abs. 32 des Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts vom 24.02.2012 (BGBl. I, S. 212, in Kraft getreten am 01.06.2012). 5. Änderung der §§ 1, 2, 4, 5 UmwRG sowie Einfügung des Art. 4a durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21.01.2013 (BGBl. I, S. 95, in Kraft getreten am 29.01.2013). 6. Änderung des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 durch Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der RL über Industrieemissionen vom 08.04.2013 (BGBl. I, S. 734, in Kraft getreten am 02.05.2013). Es handelte sich um die wichtigere Änderung. 7. Änderung des § 3 Abs. 2 durch Art. 2 Abs. 52 G zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes vom 07.08.2013. Es handelt sich um eine unerhebliche Änderung. Vgl. die zum Teil dazu relevante Tabelle in: T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 36 ff., Rn. 22 ff., m.w. N. 8. Änderung der §§ 4 und 5 durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 (G. v. 20.11.2015 BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015). 9. Ergänzung von allen Bestimmungen des UmwRG a. F., Aufhebung von § 4a UmwRG a. F. durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europaund völkerrechtliche Vorgaben; BGBl. I 2017, Nr. 32, S. 1298; BT-Drs. 18/9526, 18/9909. 43 F. Ekardt, Der Staat 2005, S. 622 ff.; ders., Die nationale Klagebefugnis nach der Aarhus-Konvention, NVwZ 2006, S. 55 ff.; B. Wegener, UTR 2008, S. 319 ff.; M. Marty, ZUR 2009, S. 115 ff.; S. Schlacke, NuR 2004, S. 629 ff. Allgemeines über die Problematik der Vollzugsdefizite im Umweltrecht vgl.: A. Lorenz, UPR 1991, S. 253 ff.; U. Lahl, ZUR 1993, S. 249 ff.; B. Wegener, in: G. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 145 ff.; L. Krämer, in: G. LübbeWolff, Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, Umweltrecht, Bd. 2, 1996, S. 7 ff. 44 B. Stüer, DVBl 2006, S. 1572 ff.; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 763. 45 W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 763.
A. Zur Entstehung des UmwRG
317
Was die Gesetzesänderungen des UmwRG betrifft, hatte die Novelle vom 29.07.2009 eine sachliche Relevanz.46 Diese Novelle diente dazu, die im BNatSchG enthaltenen Vorschriften über die Anerkennung von Naturschutzvereinigungen ins UmwRG zu übertragen. Weitere schon durchgesetzte Änderungen scheinen m. E. nach unerheblich zu sein. Sie sollen daher in dieser Arbeit außer Acht bleiben. Zu erwarten sind allerdings weitere Neuregelungen im Rahmen der Anpassung des deutschen Rechts an die Seveso-III-RL (RL 2012/18/EU).47 Laut Art. 31 dieser Regelung ist inzwischen die Frist zu ihrer Umsetzung am 31.05. 2015 abgelaufen.48 Von größerer Bedeutung ist vor allem die 5. Gesetzesänderung des UmwRG. Damit sind durch Art. 1 des „Gesetzes zur Änderung des UmwRG und anderer umweltrechtlicher Vorschriften“ vom 21.01.2013 die Vorschriften der §§ 1, 2, 4, 5 der älteren Fassung des UmwRG (2012) wesentlich geändert sowie § 4a UmwRG eingefügt worden.49 Damit sollte das UmwRG an das sog. Trianel-Urteil des EuGH50 angeglichen werden. Dieses EuGH-Urteil stellte fest, dass die gem. § 2 UmwRG a. F. eingeschränkte Klagebefugnis von Umweltverbänden, die den Umweltverbänden nur erlaubte, die Verletzung ausschließlich subjektiver Individualrechte anzufechten, europarechtswidrig ist. Es stellte klar, dass die Umweltverbände vor Gericht die Verletzung von Vorschriften, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen sind und dem Umweltschutz dienen, uneingeschränkt geltend machen können. In diesem Zusammenhang kommt es nicht mehr darauf an, ob die jeweiligen Vorschriften subjektive Rechte des Einzelnen begründen, um insbesondere von anerkannten Umweltschutzvereinigungen angefochten zu werden.51 Dabei wies dieses Urteil52 darauf hin, dass bis zu einer Neuregelung die einschlägigen Vorgaben der UVP- und der IVU-RL unmittelbar galten. Danach folgt aus den Gerichtszugangsvorschriften des Unionsrechts, mit denen Art. 9 Abs. 2 AK auf EU-Ebene umgesetzt worden ist, dass Umweltverbände zwingend die Verletzung aller für die Zulassung von Vorhaben maßgeblichen Umweltvorschriften geltend machen können, die auf dem Unionsrecht basieren. Dies schließt
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BGBl. I, S. 2542. Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 04.07. 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates, ABl. EU vom 24.07.2012, Nr. L 197, S. 1. 48 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 37 ff., Rn. 23 ff., m.w. N. 49 BGBl. I, S. 95. Dieses Gesetz ist am 29.01.2013 in Kraft getreten. 50 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.; ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 4. Kap., A. ff. 51 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 79. 52 Ausführliche Analyse dieses Urteils s. u. in 1. Teil, 4. Kap., A. ff. 47
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
auch solche Vorschriften ein, die allein den Interessen der Allgemeinheit dienen und keinen drittschützenden Charakter haben.53 Dadurch wurde nicht nur der Anwendungsbereich des UmwRG erweitert, sondern es haben sich auch die Rechtsbehelfsmöglichkeiten der Umweltschutzvereinigungen ausgedehnt. So ist schließlich die einschränkende Rügebefugnis der Umweltschutzvereinigungen der älteren Fassung des UmwRG (vom 01.06.2012) durch die Fassung des UmwRG vom 21.01.2013 von Verletzungen drittschützender Normen abgekoppelt. Der Anwendungsbereich der umweltschützenden VK wurde durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 auf weitere umweltbezogene Projekte erheblich erweitert. Der Umweltrechtsschutz soll sich allerdings nach dieser Novelle auf Verwaltungshandeln beschränken, das mit einem Verwaltungsakt oder einem öffentlich-rechtlichen Vertrag endet.54 Von Bedeutung sind auch die Änderungen der Art. 4 und 5 UmwRG vom 20.11.2015 sowie vom 29.05.2017 durch den Erlass des „Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12“,55 sowie durch Art. 1 des „Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben“ vom 29.05.2017.56 Dieses Gesetz trat am 02.06.2017 in Kraft. Artikel 1 dieses Gesetzes bestimmt die neuerlichen Änderungen des UmwRG. Dadurch versuchte der deutsche Gesetzgeber, die Inhalte und Vorgaben des sog. Altrip-Urteils des EuGH umzusetzen. Er hat daher mit dem § 4 UmwRG vom 20.11.2015 die Klagemöglichkeiten gegen Verfahrensfehler deutlich erweitert, sowie die Umkehr der Beweislast zugunsten des Rechtsbehelfsführers eingeführt.57 Mit dem § 5 UmwRG vom 20.11.2015 bezweckte der deutsche Gesetzgeber, die zeitliche Geltung des UmwRG in Übereinstimmung mit dem Altrip-Urteil des EuGH, wonach die zur Umsetzung von Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts 53 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 48 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.; M. Sauer, ZUR 2014, S. 197 ff. Dazu gehören insbesondere Regelungen zur Umweltvorsorge wie § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BImSchG, die meisten Vorschriften des Naturschutzrechts, zahlreiche weitere Bestimmungen des materiellen Rechts sowie von verfahrensrechtlichen Normen, vor allem die des UVP-Rechts. Ausführlich zu dieser Problematik s. u. in 1. Teil, 3. Kap., B. ff. 54 s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., II. 55 Gesetz vom 20.11.2015 BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015. 56 BGBl. I 2017, Nr. 32, S. 1298; BT-Drs. 18/9526, 18/9909 siehe auch Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben (Stand 19.04.2016); BT-Drs. 18/9526 vom 05.09.2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., VI., X. 57 Ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., V. ff.
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten, die vor dem 25.06 2005 eingeleitet wurden, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt worden ist,58 zu regulieren.59
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.201360 Der in § 1 UmwRG definierte Anwendungsbereich der Umweltverbandsklage enthält eine abschließende Liste der für Umwelt-Rechtsbehelfe zulässigen Prüfgegenstände gegen behördliche Entscheidungen und ähnliche Aktivitäten, die nur aus bestimmten, enumerativ aufgezählten Bereichen des Umweltrechts entstammen (Enumerationsprinzip). Dies bedeutet, dass das UmwRG nicht für behördliche Entscheidungen, die sich nicht unter diese Norm subsumieren lassen, gilt.61 58 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 28 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 38; mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., G., I., 2. 59 Ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., G., II. 60 § 1 UmwRG vom 21.01.2013 lautet: „(1) 1 Dieses Gesetz findet Anwendung für Rechtsbehelfe gegen 1. Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach a) dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, b) der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder c) landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann; 2 Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes; 3. Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz. 2 Dieses Gesetz findet auch Anwendung, wenn entgegen geltenden Rechtsvorschriften keine Entscheidung nach Satz 1 getroffen worden ist. 3 § 15 Absatz 5 und § 16 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und § 44a der Verwaltungsgerichtsordnung bleiben unberührt. 4 Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn eine Entscheidung im Sinne dieses Absatzes auf Grund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist. (2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II, S. 1799; BGBl. 1995 II, S. 602). (3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder 2 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet.“ Mehr zum erweiterten Anwendungsbereich des UmwRG durch die Novelle vom 29.05.2017 s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., II. ff. 61 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 63, Rn. 63.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
§ 1 Abs. 1 UmwRG regelt insbesondere den Gerichtszugang gegen Entscheidungen in Zulassungsverfahren für UVP-pflichtige Vorhaben bzw. Anlagen im Rahmen der IE-RL (RL 2010/75/EU). Dies betrifft alle der Planfeststellung unterliegenden Infrastrukturvorhaben, eine Vielzahl von Industrieanlagen, aber auch bestimmte Bebauungspläne. Insbesondere bei Industrieanlagen wird der Anwendungsbereich gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG noch erweitert. Danach können alle Genehmigungen von in Spalte c des Anhangs 1 der 4. BImSchV (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen) aufgeführten Anlagen sowie nachträgliche Anordnungen für diese Anlagen nach dem neu gefassten § 17 Abs. 1a BImSchG und wasserrechtliche Erlaubnisse, die im Zusammenhang mit einer Genehmigung dieser Anlagen stehen, mit der neuen umweltschützenden altruistischen VK angegriffen werden. Damit erfasst der Anwendungsbereich des UmwRG auch einige immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen, die nicht der UVP-Pflicht unterliegen. Ferner findet das UmwRG auch dann Anwendung, wenn eine Anlage ohne die vorherige Durchführung eines erforderlichen Zulassungsverfahrens errichtet oder betrieben wird.62 Der Auffassung der aktuellen Rechtsprechung nach können Gegenstand einer Umweltverbandsklage auch alle präventiven behördlichen Kontrollakte sein, mit denen Behörden vor der Realisierung des Vorhabens dessen Vereinbarkeit mit den geltenden Rechtsvorschriften bescheinigen.63 In diesem Zusammenhang stellt z. B. die Fristverlängerung bezüglich des Erlöschens einer Genehmigung im Sinne des § 18 Abs. 3 BImSchG einen derartigen präventiven Rechtsakt, der im Rahmen des UmwRG angefochten werden kann, dar.64 Kurzgefasst werden in § 1 Abs. 1 UmwRG vor allem Industrieanlagen, bestimmte Bebauungspläne und im Allgemeinen Bestimmungen des UVPG erfasst, bei denen vor der Einführung des UmwRG keine altruistische VK möglich war.65 So waren z. B. vor der Einführung des UmwRG gegen die Genehmigung umweltgefährdender Anlagen nur die Nachbarn klagebefugt, nicht aber sonstige Interessenvereinigungen. Es besteht aber eine Überschneidung mit dem Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Klageregelungen insbesondere bei den planfeststellungsbedürftigen Vorhaben.66
62 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 10 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 10 ff.; A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 10 ff.; H. Weidemann, VR 2008, S. 228; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1529 ff.; insbesondere über die Umweltverbandsklage gegen Bebauungspläne aufgrund des UmwRG vgl.: W. Schrödter, LKV 2008, S. 391 ff. 63 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 05.09.2014 – OVG 11 S 44.14, ZUR 2015, S. 45 ff. 64 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 05.09.2014 – OVG 11 S 44.14, ZUR 2015, S. 45 ff.; VG Weimar, Urt. v. 27.02.2013 – 7 K 22.11 WE, juris. 65 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 79. 66 Ebd. Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., B., II.
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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Angesichts der Tatsache, dass die hier relevante behördliche Entscheidung jedenfalls die Zulässigkeit von Vorhaben zum Gegenstand haben muss, für die eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann, spielt es keine Rolle, ob die UVP positiv oder negativ ausgefallen ist. Das UmwRG gilt also sowohl in den Fällen, in denen die Behörde das betreffende Vorhaben zugelassen hat, als auch in jenen, in denen sie den Zulassungsantrag abgelehnt hat. Hat die zuständige Behörde dem Zulassungsantrag nicht stattgegeben, fehlt insofern für eine altruistische VK das Rechtsschutzbedürfnis. Dies gilt aber nicht bei einem Projekt, das maßgeblich auch dem Umweltschutz dienen soll, aber dennoch eine UVP erfordert.67 Der Anwendungsbereich des UmwRG umfasst somit auch Entscheidungen, bei denen die Behörde im Verfahren keine UVP durchgeführt hat. Es genügt, dass das jeweilige Vorhaben möglicherweise eine solche Prüfung durchlaufen musste. Vor diesem Hintergrund gehören zum Anwendungsbereich des UmwRG nicht nur Vorhaben, die einer UVP unterzogen werden müssen, sondern auch zugelassene UVP-pflichtige Projekte, für die eine Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalls bestand. So z. B. gehört zum Anwendungsbereich des UmwRG die Plangenehmigung eines vorprüfungspflichtigen Projekts, die nicht mit Hilfe einer UVP vorbereitet wurde.68 Dies steht im Einklang mit den relevanten Anforderungen des Völker- und Europarechts, wonach die Rechtsbehelfe nicht nur gegen Behördenentscheidungen zur Verfügung stehen, mit denen ein Projekt abschließend und insgesamt zugelassen wird, sondern auch gegen jene Behördenentscheidungen, die vorab über bestimmte Zulassungsvoraussetzungen befinden (Vorbescheide) oder es dem Vorhabenträger erlauben, sein Projekt bereits partiell zu realisieren (Teilzulassung).69 Vor diesem Hintergrund hat das jeweilige Gericht die Frage, ob es sich bei dem Vorhaben möglicherweise um ein UVP-pflichtiges Projekt handelt, schon im Stadium der Zulässigkeitsprüfung des Rechtsbehelfs abschließend zu klären.70 Es ist anzumerken, dass der Geltungsbereich des UmwRG nach § 1 nicht sämtliche Rechtsbehelfe umfasst, sondern allein jene, die sich gegen bestimmte umweltrechtliche Entscheidungen richten oder darauf abzielen, dass eine Behörde eine solche Entscheidung trifft.71 Art. 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG knüpft an den in § 2 Abs. 3 UVPG72 definierten Begriff der „Entscheidung über die Zulässig67
T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 54 ff., Rn. 36. Ebd., S. 52, Rn. 27. 69 Ebd., S. 52 ff., Rn. 29. 70 Ebd. 71 Vgl. ebd., S. 36 ff., Rn. 25. 72 § 2 Abs. 3 UVPG lautet: „Entscheidungen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sind 1. Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren, 68
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
keit von Vorhaben“ an, für die eine Pflicht bestehen kann, eine UVP durchzuführen.73 Die hier relevante UVP-Pflicht muss sich aus dem UVPG, der Verordnung über die UVP bergbaulicher Vorhaben oder landesrechtlichen Regelungen ergeben. Damit zählt § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG die staatlichen rechtlichen Vorschriften umfassend auf, die den Anwendungsbereich der UVP festlegen. Maßgeblich sind vor allem die §§ 3a bis 3f UVPG (Bestimmung der Voraussetzungen für eine UVP) i.V. m. Anlage 1 des UVPG, § 1 der UVP-VO Bergbau sowie die einschlägigen landesrechtlichen Normen.74 Nach der Anlage 1 zum UVPG reicht die Bandbreite der erfassten Vorhaben von der Errichtung von Kraftwerken mit mehr als 200 MW Leistung (Anlage 1 Ziff. 1.1.1 des UVPG) über eine Windfarm mit mindestens 20 Anlagen von jeweils mehr als 50 m Gesamthöhe (Anlage 1 Ziff. 1.6.1 des UVPG) bis zur Errichtung einer Intensivtierhaltung von Rindern mit 350 und mehr Plätzen (Anlage 1 Ziff. 7.5.1 des UVPG).75 Es muss betont werden, dass unter die hiernach rügefähigen Vorschriften neben den Normen des Bundes- und Landesnaturschutzrechts auch naturschutzbezogene fachlich spezialisierte Regelungen des europäischen Umweltrechts fallen. Darunter fallen vor allem Regelungen des Gewässerschutzes, die aus der Wasserrahmen-RL (2000/60/EG), der UVP-RL (85/337/EWG), der FFH-RL (92/43/ EWG) und der Vogelschutz-RL (2009/147/EG) – einschließlich der späteren Änderungsrichtlinien – hervorgehen.76 Noch spezifischer fallen unter den Anwendungsbereich des UmwRG vor allem Vorschriften des deutschen Bundes- und Landes-UVP-Rechts, die der Umsetzung 2. Linienbestimmungen und Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren nach den §§ 15 (Linienbestimmung und Genehmigung von Flugplätzen) und 16 (Raumordnungsverfahren), 3. Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 begründet werden soll, sowie Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über Bebauungspläne, die Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben im Sinne der Anlage 1 ersetzen.“ 73 § 2 Abs. 3 UVPG lautet: „Entscheidungen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sind 1. Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren, 2. Linienbestimmungen und Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren nach den §§ 15 und 16, 3. Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 begründet werden soll, sowie Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über Bebauungspläne, die Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben im Sinne der Anlage 1 ersetzen.“ 74 Ausführlich dazu T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 55 ff. Rn., 38 ff., m.w. N. 75 Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 228; S. Schlacke, NuR 2007, S. 10. 76 R. Breuer, in: FS für Kloepfer, 2013, S. 327, m.w. N.
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der Projektlisten in den Anhängen I und II der UVP-RL dienen. Dies kann entweder ein Verwaltungsakt (z. B. in den Fällen des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG) oder ein Satzungsbeschluss (z. B. Bebauungsplan)77 nach § 10 BauGB sein, wobei sich die Art des jeweils zulässigen Rechtsbehelfes nach der VwGO bestimmt. Auch in diesem Fall ist für den Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG die Frage maßgeblich, ob für das Zulassungsverfahren eine UVP-Pflichtigkeit bestehen kann.78 Um konkreter zu sein, sind Entscheidungen i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG Bewilligungen, Erlaubnisse, Genehmigungen, Planfeststellungsbeschlüsse und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben. Die oben genannten Formen werden nur als Beispiele aufgeführt. Dabei gehören zu Entscheidungen (im Rahmen von § 2 Abs. 3 Nr. 2 UVPG) Linienbestimmungen und Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren, die für anschließende Verfahren beachtlich sind, sowie Beschlüsse über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit UVP-pflichtiger Vorhaben begründet werden soll (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 HS 1 UVPG).79 Im Anschluss daran ist von Bedeutung, dass – anders als bei der naturschutzrechtlichen VK – Gegenstand der umweltschützenden altruistischen VK auch Bebauungspläne nach § 10 BauGB, die Zulassungsvoraussetzungen für UVP- oder vorprüfungspflichtige Vorhaben festlegen oder Planfeststellungsbeschlüsse für derartige Projekte ersetzen (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 HS 2 UVPG), sein können. Zu dieser Kategorie gehören vor allem Bebauungspläne, die immissionsschutzrechtliche oder baurechtliche Vorhaben zum Gegenstand haben, aber auch Bebauungspläne, wie sie etwa aufgrund des § 17b Abs. FStrG für Bundesfernstraßen erstellt werden können. Der Anwendungsbereich des UmwRG bezieht sich somit nicht auf sämtliche Bebauungspläne oder auf alle Bebauungspläne, die gem. Art. 2 Abs. 4 BauGB einer Umweltprüfung durchlaufen müssen, sondern nur auf die oben genannten bestimmten Bebauungspläne.80 Praktische Bedeutung für den Anwendungsbereich des UmwRG hat die Tatsache, dass § 17 Abs. 2 UVPG den Unterschied zwischen UVP und strategischer UVP im Bauleitplanungsrecht grundsätzlich aufhebt. Denn dies bedeutet in der 77 Ausführlich über den Anwendungsbereich der neuen Umweltverbandsklage gegen Bebauungspläne vgl.: W. Schrödter, LKV 2008, S. 391 ff. 78 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Vorhaben nach den Vorgaben des UVPG zwingend einer UVP zu unterziehen ist. 79 Zur Klagemöglichkeit von Umweltschutzvereinigungen gegen Bebauungspläne nach dem UmwRG s. J. Spinner, NuR 2011, S. 335 ff.; A. Lukas, Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 165, März/April 2011, S. 16 ff.; ders., Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 166, Mai/Juni 2011, S. 26 ff.; jeweils m.w. N. Vgl. auch I. Schwertner, EurUP 2007, S. 124. 80 Vgl. J. Spinner, NuR 2011, S. 335 ff.; A. Lukas, Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 165, März/April 2011, S. 16 ff.; ders., Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 166, Mai/ Juni 2011, S. 26 ff.
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Praxis, dass eine anerkannte Umweltschutzvereinigung die Normenkontrolle eines nicht unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG fallenden Bebauungsplans nur dann erreichen kann, wenn er als juristische Person organisiert ist und geltend machen kann, durch den Plan oder dessen Anwendung in eigenen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (gem. § 47 Abs. 2 VwGO).81 Beachtlich ist auch die Einbeziehung von Linienbestimmungen im Anwendungsbereich des UmwRG, die bis zu der Einführung des UmwRG einer isolierten gerichtlichen Überprüfung entzogen sind. Die Nennung von Linienbestimmungen wird eigentlich durch den in § 1 Abs. 1 S. 3 UmwRG enthaltenen Verweis auf den durch das ÖBG vom 09.12.200682 relativiert.83 Danach können Linienbestimmungen des FStrG und des WaStrG nur im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens laut UmwRG gegen die nachfolgende Zulassungsentscheidung überprüft werden. Eigenständige Rechtsbehelfe von Umweltschutzvereinigungen gegen Entscheidungen über die Linienbestimmungen sind daher nicht zulässig, weil das Linienbestimmungsverfahren vielmehr einer Inzidentkontrolle im Rahmen eines Rechtsbehelfes gegen die sich an die Linienbestimmung anschließende Zulassungsentscheidung unterliegt. Linienbestimmungen können somit nur implizit im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens überprüft werden, das sich gegen die anschließende Zulassungsentscheidung richtet.84 Der h. M. nach gehören auch Ausnahmen oder Befreiungen (etwa von naturschutzrechtlichen Verboten und Geboten) zu den Entscheidungen des § 1 Abs. 1 UmwRG. Ebenso fallen – der h. M. nach – in den Anwendungsbereich des UmwRG Vorbescheide und Teilzulassungen, die die hier relevanten UVP-Vorhaben zum Gegenstand haben. Das ergibt sich schon daraus, dass das UVPG in seinem § 13 Vorbescheide und Teilzulassungen ohne weiteres als Entscheidungen im Sinne seines § 2 Abs. 3 UVPG versteht.85 Auch die Zulassung des vorzeitigen Baubeginns nach § 8a BImSchG oder nach anderen Vorschriften gehört zum Anwendungsbereich des UmwRG.86 § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG vom 21.01.2013 betrifft auch UVP-pflichtige, der Verteidigung dienende Vorhaben, bei denen im Einzelfall nach § 3 Abs. 2 UVPG eine Ausnahme von den Anforderungen des UVPG bzw. der Ausschluss der Anwendung des UVPG zugelassen werden kann. Bei der Überprüfung ist 81
T. Bunge, § 1 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, S. 54, Rn. 35. BGBl. I, S. 2819. 83 I. Schwertner, EurUP 2007, S. 124 ff. 84 URG-E der Bundesregierung, BT-Drs. 16/2495, S. 11; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 53, Rn. 32. 85 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 36 ff. Rn. 29. 86 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 17.11.2009 – 10 S 1851/09, Rn. 8 ff., BeckRS 2009,41278. Dieses Urteil betont hierbei, dass eine solche Zulassung nicht allein den Baubeginn ermögliche, sondern weitergehende Rechtswirkungen habe. Vgl. T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 36 ff., Rn. 30. 82
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nach der Begründung des RegE „den besonderen Geheimschutzanforderungen nach den Vorgaben des geltenden Rechts, insbesondere § 99 VwGO, Rechnung zu tragen“.87 Zum anderen werden gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 UmwRG n. F. die immissionsschutz-, abfall- und wasserrechtlichen Verfahren erfasst, die die Zulassung von Anlagen nach der IE-RL im deutschen Recht bezwecken. Der Anwendungsbereich des UmwRG erstreckt sich somit auf Genehmigungen für Anlagen, die nach der Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind.88 Beachtenswert ist, dass grundsätzlich das UmwRG nicht für Rechtsbehelfe gilt, mit denen der Erlass einer behördlichen Aufsichtsmaßnahme begehrt oder eine solche Maßnahme angefochten wird. Eine Ausnahme hiervon stellt gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 UmwRG die explizit nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1a BImSchG dar,89 der den Erlass einer nachträglichen Anordnung der Behörde in Bezug auf eine bereits genehmigte Anlage regelt. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist allerdings eng, denn sie betrifft allein Anlagen nach der Industrieemissions-RL (RL 2010/75/EU)90.91 Demnach geht es nur um die Fälle, in denen die Behörde nach der Genehmigung eines Projekts oder nach einer gem. § 15 BImSchG angezeigten Änderung feststellt, dass die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist.92 § 17 Abs. 1a BImSchG befasst sich allein mit Anordnungen, mit denen Grenzwerte für Emissionen neu festgelegt werden sollen. Diese Regelung bezieht sich lediglich auf die Fälle, in denen die Behörde die zulässige Obergrenze von Emissionen der betreffenden Anlage zum Zweck der Gefahrenabwehr (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG)93 neu bestimmt. Eine solche Situation dürfte aber eher selten auftreten.94 Ausgehend davon, dass – mit der Ausnahme von Entscheidungen nach § 17 Abs. 1a BImSchG – Rechtsbehelfe gegen aufsichtsbehördliche Maß87
BR-Drs. 552/06, S. 18; S. Schlacke, NuR 2007, S. 10 ff. Vgl. ausführlich dazu T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 59, Rn. 52; J. Schumacher, UPR 2008, S. 17; S. Schlacke, NuR 2007, S. 10; I. Schwertner, EurUP 2007, S. 124 ff. 89 § 17 Ia BImSchG ist durch Art. 2 des ÖBG neu gefasst worden. 90 RL 2010/75/EU (IE-RL) v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 06.01.2011, ABl. L 334/17, 17.12.2010. 91 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 60, Rn. 53. 92 Ebd. 93 Mehr zur Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin s. o. in 1. Teil, 1. Kap., E., II., 1. ff. 94 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 60, Rn. 53. 88
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nahmen vom Anwendungsbereich des UmwRG nicht erfasst sind, wird für Klagen in Bezug auf unterlassene Entscheidungen nicht die Verpflichtungs-, sondern die Feststellungsklage für zulässig erachtet.95 Das UmwRG findet Anwendung auch gegen Erlaubnisse nach § 8 Abs. 1 WHG für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Industrieemissions-RL (IE-RL 2010/75/EU)96 verbunden sind.97 Wasserrechtliche Erlaubnisse für Gewässerbenutzungen sind allerdings gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG nur insoweit Prüfgegenstand im Rahmen des UmwRG, als sie nach den, aufgrund von § 8 Abs. 1 WHG erlassenen, landesrechtlichen Vorschriften akzessorisch zu den immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren für IVU-Anlagen sind.98 Eine Gewässerbenutzung ist mit einem Vorhaben der IE-RL nur dann verbunden, wenn sie zu dessen Errichtung oder Betrieb benötigt wird. Das setzt voraus, dass zwischen der Gewässernutzung und der Anlage ein technischer Zusammenhang besteht. Zumeist wird es um das Einleiten von in der Anlage angefallenem Abwasser in ein Gewässer gehen.99 Anders als § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG gewährt § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG den Umweltschutzvereinigungen keine Möglichkeit, auch Bebauungspläne, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die dort betreffenden Vorhaben festsetzen, gerichtlich kontrollieren zu lassen. Diese Einschränkung beruht auf den europarechtlichen Grundlagen des UmwRG. Während sich Art. 11 UVP-RL n. F. auf alle behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit des betreffenden Vorhabens bezieht, befasst sich Art. 25 IE-RL allein mit den Entscheidungen, die dem Vorhabenträger unmittelbar das Recht geben, sein Projekt zu verwirklichen.100 Ferner gehören zum Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG auch Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Abs. 2 KrWG. Diese Vorschrift hat eigentlich keine selbständige Bedeutung, da sowieso für alle solche Deponien eine potentielle UVP-Pflicht besteht.101 Zu beachten ist allerdings, dass zwischen Vorhaben nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 UmwRG teilweise Überschneidungen bestehen, weil zahlreiche Anlagen und Vorhaben sowohl in der UVP-RL als auch in der IE-RL (vormals IVU-RL) enthalten sind.102 95
Vgl. I. Schwertner, EurUP 2007, S. 125. RL 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.01.2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung und Umweltverschmutzung. 97 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 60 ff., Rn. 54 ff. 98 Vgl. RegE BR-Drs. 552/06, S. 18; S. Schlacke, NuR 2007, S. 10; J. Schumacher, UPR 2008, S. 17. 99 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 61, Rn. 55. 100 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 62, Rn. 59. 101 Ebd., S. 61, Rn. 58. 102 Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 228. 96
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Auch Entscheidungen nach dem USchadG fallen gem. Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG unter den Anwendungsbereich des UmwRG.103 Die Ergänzung der alten Fassung des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG um eine neue Nr. 3 hat eher rechtstechnischen Charakter. Sie bewirkt eine Systematisierung, die bereits im gescheiterten Entwurf für das erste Buch zum Umweltgesetzbuch vorgesehen war. Damit wird die bisher in § 11 Abs. 2 USchadG getroffene Regelung zu Rechtsbehelfen von anerkannten Umweltschutzvereinigungen nunmehr in den § 1 S. 1 UmwRG als neue Nr. 3 überführt. Mit der Aufnahme von Entscheidungen nach dem USchadG in den Anwendungsbereich des UmwRG gelten dessen Bestimmungen unmittelbar, während § 11 Abs. 2 USchadG n. F. nunmehr eine entsprechende Anwendung des UmwRG anordnet.104 Mit dem Inkrafttreten des USchadG erweiterte sich allerdings teilweise der Anwendungsbereich des UmwRG. Denn vor dem Inkrafttreten des UmwRG war Gegenstand einer VK nach § 11 Abs. 2 USchadG nicht die in § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG genannten Entscheidungen nach dem UVPG oder dem Anlagenzulassungsrecht, sondern nur Entscheidungen, die der Anwendungsbereich des USchadG umfasste.105 Angesichts der Tatsache, dass der Begriff „Entscheidungen“ des USchadG auch Entschlüsse der Behörde, die auf sog. schlichtes Verwaltungshandeln gerichtet sind, umfasst,106 sind damit die Ziele und Gegenstände von Rechtsbehelfen i. S. v. § 2 UmwRG teilweise erweitert. Die Anwendung des § 2 UmwRG im Rahmen des USchadG fördert somit die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden.107 § 1 Abs. 1 S. 2 UmwRG bestimmt, dass ein Zugang zu einem Überprüfungsverfahren auch gewährt wird, wenn in rechtswidriger Weise eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG nicht getroffen wurde bzw. unterblieben ist. Die Behörde an sich hätte somit eine solche Entscheidung treffen müssen. Sie hat dies aber entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getan. Fälle, in denen es die Behörde im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben ganz unterlässt, eine Entscheidung zu treffen, sind allerdings eher selten.108 Hierdurch werden auch die sog. Umgehungsfälle ausdrücklich erfasst, also jene Konstellationen, in denen eine Behörde durch Wahl eines anderen Verfahrens, wie etwa eines Plangenehmigungs- statt eines Planfeststellungsverfahrens oder die Errich103
Mehr dazu s. in 1. Teil, 1. Kap., E., XI., 2. ff. BR-Drs. 469/12, v. 10.08.2012, S. 34; C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 2007, S. 289 ff.; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 39 ff., Rn. 32. 105 Dazu zählen z. B. die Zustimmung zu einem Sanierungskonzept des Verantwortlichen, die Entscheidung über ein Sanierungskonzept nach § 8 Abs. 2 USchadG, die Anordnung bestimmter Maßnahmen nach §§ 4–6 USchadG oder die Festlegung einer Sanierungsreihenfolge; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 39 ff., Rn. 32. 106 Ausführlich dazu s. o. 1.Teil, 1. Kap., E., XI., 2., a). 107 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 39 ff., Rn. 32. 108 Vgl. ausführlich dazu T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 64 ff., Rn. 68 ff. 104
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tung und der Betrieb eines Vorhabens oder einer Anlage ohne vorherige Durchführung eines Zulassungsverfahrens, eine nicht in den Anwendungsbereich eines Umwelt-Rechtsbehelfs fallende Entscheidung trifft und dadurch die gerichtliche Überprüfbarkeit mittels VK ausschließt.109 Ferner erfasst diese Regelung Fälle, in denen ein Vorhaben aufgrund einer Anzeige anstelle der erforderlichen behördlichen Zulassungsentscheidung geändert wird.110 Mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 UmwRG gewährt der deutsche Gesetzgeber Rechtsbehelfe zu dem Zweck, die Behörde zum Einschreiten gegen ein Vorhaben zu veranlassen, das ohne behördliche Zulassung gebaut oder betrieben wird. Diese Regelung ermöglicht insofern den anerkannten Umweltschutzvereinigungen, eine Bescheidungs- oder ggf. eine Verpflichtungsklage auf Tätigwerden der Behörde zu erheben, wenn diese einem entsprechenden Antrag nicht nachkommt und auch das Widerspruchsverfahren erfolglos bleibt.111 Darüber hinaus bleibt aufgrund von § 1 Abs. 1 S. 3 UmwRG § 44a VwGO unberührt.112 Daher können Rechtsbehelfe des UmwRG gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Mit anderen Worten lassen sich Verfahrensfehler der Behörde bei der Durchführung einer UVP oder bei der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht isoliert anfechten. Solche Verfahrensfehler können nur im Rahmen eines Rechtsbehelfes angefochten werden, der sich gegen die abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit des betreffenden Projekts oder gegen eine sonstige Entscheidung über die Zulässigkeit des betreffenden Projekts oder gegen eine sonstige Entscheidung i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG richtet.113 So kann z. B. gerade in Fällen, in denen die Beteiligung der Vereinigungen entgegen der geltenden Vorschriften unterbunden wurde, ein Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung als solche eingelegt werden.114 109 Vgl. entsprechend: OVG Bautzen, Urt. v. 14.02.2005 – 4 BS 273/04, NuR 2006, S. 310/311 ff.; ferner A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 24. Ausführlich dazu T. Bunge, UmwRGKomm., 2013, S. 64 ff., Rn. 69 ff. 110 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 10 (Begründung zum Regierungsentwurf des UmwRG); S. Schlacke, NuR 2007, S. 10. 111 Vgl. T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 65 ff., Rn. 71 ff., m.w. N. 112 § 44a VwGO schließt regelmäßig die isolierte gerichtliche Überprüfung von Verfahrenshandlungen aus. Laut § 44a S. 1 VwGO ist mittels des Umweltrechtsbehelfs keine isolierte Überprüfung von Verfahrensverhandlungen möglich. Dies aber gilt dann nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen (§ 44a S. 2 VwGO). 113 Vgl. T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 68, Rn. 78, m.w. N. Kritisch dazu M. Karge, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts, 2010, S. 129 ff., m.w. N.; mehr dazu in 1. Teil, 1. Kap., F., II., 3., a) ff.; s. auch 1. Teil, 3. Kap., E. ff. 114 Vgl. M. Karge, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts, 2010, S. 130.
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Auch §§ 15 Abs. 4 und 16 Abs. 3 UVPG115 bleiben nach § 1 Abs. 1 S. 3 UmwRG unberührt. Nach diesen Vorschriften können die Linienbestimmungen aufgrund des FStrG und WaStrG (§ 16 Abs. 1 FStrG und § 13 Abs. 1 WaStrG) sowie das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens nicht selbständig gerichtlich kontrolliert werden, sondern nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die nachfolgende Zulassungsentscheidung für ein Vorhaben. In diesem Zusammenhang hat beispielsweise das OVG Lüneburg festgestellt, dass sich eine Antragsbefugnis einer anerkannten Umweltschutzvereinigung zur Stellung eines Normenkontrolleilantrags gegen die Ausweisung eines kombinierten Vorrang- und Eignungsgebiets in einem Regionalen Raumordnungsprogramm weder aus dem nationalen Recht noch aus dem Europarecht oder der AK ergibt.116 Das Gericht war der Auffassung, dass eine Antragsbefugnis einer anerkannten Umweltschutzvereinigung für Normenkontrollklagen gegen ein Regionales Raumordnungsprogramm (RROP) gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht vom Gesetz vorgesehen war. Eine solche Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1 UmwRG. Denn die Aufstellung oder Änderung eines Raumordnungsprogramms ist keine Entscheidung i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG. Das Gericht interpretiert den Anwendungsbereich des UmwRG dahingehend und zieht den Schluss, dass das UmwRG nur Entscheidungen über die Zulässigkeit konkreter Vorhaben und keine Entscheidungen über Raumordnungspläne erfasst.117 Auch die in § 2 Abs. 3 Nr. 2 und 3 UVPG genannten Planungsentscheidungen, auf die § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG ebenfalls verweist, sind nicht einschlägig. Insbesondere handelt es sich bei der streitgegenständlichen Planänderung nicht um eine Entscheidung im vorgelagerten Verfahren gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2, § 16 Abs. 1 UVPG, § 15 ROG, sondern um die Änderung eines Regionalplans nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 ROG, der zu konkreten Vorhaben noch keine Aussagen trifft. Anders als die „Entscheidungen“ haben regionale Raumordnungsprogramme nicht im rechtlichen Sinn die Zulässigkeit eines konkreten Vorhabens zum Gegenstand und gewähren dem Projektträger entgegen Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der UVP-RL auch kein Recht zur Durchführung seines Projekts.118 Der Ansicht des OVG Lüneburg nach folgt auch aus Art. 9 Abs. 3 AK kein anderes Ergebnis. Der
115 § 15 V UVPG bestimmt, dass die Linienbestimmungen nach § 16 Abs. 1 FStrG und nach § 13 Abs. 1 WaStrG nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen die nachfolgende Zulassungsverfahren angefochten werden können. Ähnliches gilt nach § 16 Abs. 3 UVPG für das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens nach § 15 ROG. 116 OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, ZUR 2013, S. 627 ff., m.w. N. 117 Ebd. 118 OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, ZUR 2013, S. 627 ff., m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Senat geht davon aus, dass eine unmittelbare Anwendung dieser Norm schon daran scheitert, dass diese Vorschrift keine hinreichend bestimmte Regelung enthält.119 Damit belässt es das UmwRG (aufgrund von § 1 Abs. 1 S. 3) bei der vorhandenen Rechtslage. Das UmwRG eröffnet somit auch keine Klagemöglichkeit gegen eine solche vorgelagerte Entscheidung.120 Ein Zwischenverfahren ist daher unstatthaft. Rechtliche Mängel können somit lediglich im Rahmen der Kontrolle der Letztentscheidung über das konkrete Vorhaben geltend gemacht werden (sog. Inzidentkontrolle).121 § 1 Abs. 1 S. 3 UmwRG hat allerdings keinen abschließenden Charakter. Der h. M. nach lässt sich auch in anderen vergleichbaren Fällen die vorgelagerte Entscheidung nicht isoliert anfechten, sondern erst in einem gerichtlichen Verfahren über die anschließende Zulassungsentscheidung gerichtlich kontrollieren. Dies wird z. B. in § 15 Abs. 3 S. 1 NABEG für die Bundesfachplanung von Höchstplanungsleitungen ausdrücklich statuiert. Auch die Genehmigung von Flugplätzen gem. § 6 LuftVG gehört zu den vorgelagerten Entscheidungen, sofern diese Vorhaben einer Planfeststellung bedürfen. Daher dürfte es das UmwRG den Vereinigungen nicht ermöglichen, eine solche Genehmigung isoliert anzugreifen. Eine solche Entscheidung lässt sich allerdings durch Einzelpersonen anfechten.122 Im Anschluss daran vermittelt nach Ansicht des BVerwG das UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen keine Klagemöglichkeit gegen die Festlegung von Flugverfahren in einer Rechtsverordnung nach § 27a Abs. 2 S. 1 LuftVO. Denn
119 Ebd. Das OVG Lüneburg kommt zu dem Schluss: „[. . .] Eine extensive Auslegung des nationalen Rechts i. S. d. slowakischen Braunbären-Urteils (EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., NVwZ 2011, S. 673 ff., ausführlich dazu s. o.) dürfte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn – wie es der EuGH in diesem Urteil ausgeführt hat – es sich um eine „Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist“, handelt. Ob eine Entscheidung in einem gestuften Zulassungsverfahren diese Anforderungen erfüllt, kann somit dahinstehen, denn hier ist die Ausweisung eines Vorranggebiets mit den Wirkungen eines Eignungsgebiets durch die Änderung eines Regionalen Raumordnungsprogramms Streitgegenstand. Das vom EuGH genannte Ziel des effektiven Rechtsschutzes gebietet es jedenfalls nicht, der nach Art. 2 Nr. 4 AK „begünstigten Öffentlichkeit“ oder jedenfalls den anerkannten Umweltschutzorganisationen Rechtsschutz schon auf der hier in Rede stehenden, der Genehmigung eines konkreten Projekts vorgelagerten planerischen Ebene der Regionalplanung, die bindende Aussagen gegenüber dem Projektträger über die Genehmigungsfähigkeit noch nicht trifft, zu ermöglichen, wenn die nationalen Regelungen dies nicht vorsehen. Die umweltrechtlichen Fragen sind ohnehin auf der Genehmigungsebene zu prüfen und räumt [sic!] auch erst die Genehmigung den Beigeladenen das Recht zur Errichtung und dem Betrieb der geplanten Anlagen ein.“ 120 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 66 ff., Rn. 75. 121 Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 229; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12; G.-A. Balensiefen, § 1 UmwRG, in: Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht, 2008, Rn. 6. 122 Vgl. T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 67 ff., Rn. 76 ff.
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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die Festlegung von Flugverfahren bedürfe im deutschen Recht keiner vorherigen UVP. Eine Klagemöglichkeit könne sich aber aus § 64 BNatSchG ergeben.123 Schließlich bezweckt § 1 Abs. 1 S. 4 UmwRG eine doppelte gerichtliche Befassung mit demselben Verwaltungsakt zu verhindern. Daher sind Rechtsbehelfe unzulässig, wenn sie gegen eine Entscheidung erhoben werden, die aufgrund einer anderen Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist. Dieselbe Vorschrift gilt auch bei der naturschutzrechtlichen altruistischen VK aufgrund von § 64 Abs. 2 HS 2 BNatSchG.124 § 1 Abs. 1 S. 4 UmwRG schließt einen Rechtsbehelf nur aus, wenn die gerichtliche Entscheidung, aufgrund deren die Behörde gehandelt hat, bereits rechtskräftig geworden ist. Vor diesem Zeitpunkt besteht die Möglichkeit, dass das Rechtsmittelgericht eine inhaltlich andere Entscheidung trifft, die keine solche Sperrwirkung entfaltet.125 Dieses sog. Mehrfachklageverbot betrifft allerdings nicht den Fall, dass das Gericht eine behördliche Entscheidung auf eine Anfechtungsklage hin lediglich aufgehoben und die Behörde danach neu über die Angelegenheit entschieden hat.126 Nach § 1 Abs. 2 UmwRG erstreckt sich der Anwendungsbereich des UmwRG auch auf die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)127 oder den Festlandsockel im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen. Die AWZ bildet ein jenseits des Küstenmeeres gelegenes und an dieses angrenzendes Gebiet, das nicht weiter als 200 km von den Basislinien entfernt ist. Dazu gehören auch der jenseits des Küstenmeeres gelegene Meeresboden und der Meeresuntergrund der Unterwassergebiete, die sich über die gesamte natürliche Verlängerung des Landesgebietes des betreffenden Staates bis zur äußeren Kante des Festlands erstrecken oder bis zu einer Entfernung von 200 Seemeilen von den 123 BVerwG, Urt. v. 19.12.2013, 4 C 14.12, NuR 2014, S. 280 ff. Im Hinblick darauf hat die Kommission im Mai 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV eingeleitet. Der Ansicht der Kommission nach sei die deutsche Rechtslage, nach der die Festlegung von Flugverfahren keiner vorherigen UVP bedürfe, nicht vereinbar mit der RL 2011/92/EU; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 160. 124 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 12. 125 Vgl. S. Schlacke/C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, S. 405 ff.; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 68, Rn. 78, m.w. N. 126 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3/06, ZUR 2008, S. 1238 ff.; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 68 ff., Rn. 79 ff., m.w. N. 127 Die ausschließliche Wirtschaftszone wurde von Deutschland durch Proklamation vom 25.11.1994 in der Nord- und Ostsee errichtet; vgl. Bekanntmachung der Proklamation der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung einer ausschließlichen Wirtschaftszone der BRD in der Nordsee und in der Ostsee vom 25.11.1994, BGBl. II, S. 3769. Die räumliche Lage wird u. a. in den Anlagen zu den Verordnungen über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee vom 21. September 2009 (BGBl. I, S. 3107) und der Ostsee vom 10. Dezember 2009 (BGBl. I, S. 3861) beschrieben. Vgl. u. a. D. Czybulka, NuR 2003, S. 329 ff., m.w. N.; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 70 ff., Rn. 86 ff., m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Basislinien, von denen aus die Breite des Küstenmeeres gemessen wird, wo die äußere Kante des Feststandrands in einer geringeren Entfernung verläuft.128 Entscheidungen, die die Errichtung und den Betrieb von in diesen Zonen beantragten Vorhaben oder Anlagen betreffen und die zugleich Prüfgegenstände nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG sind (z. B. Offshore-Windparks), können nunmehr mittels einer altruistischen umweltschützenden VK gerichtlich überprüft werden.129 Befreiungen von nach § 38 BNatSchG ausgewiesenen Schutzgebieten in der AWZ sind aber nicht erfasst, da sie nicht zu den Prüfgegenständen des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG zählen.130 Diese Regelung hatte vor der aktuellen Fassung des UmwRG nur eine unerhebliche praktische Bedeutung, denn VKen waren eigentlich nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. im Ergebnis nur dann zulässig, wenn es um die Verletzung von Rechten Einzelner durch die Behörde ging. Die Begründung der Verletzung solcher Rechte in diesen geografischen Gebieten war somit in der Praxis sehr schwer. Mit der aktuellen Fassung des UmwRG, nachdem der EuGH mit dem Trianel-Urteil131 diese Beschränkung für unvereinbar mit der UVP-RL erklärt hat, genießt aber diese Vorschrift höhere Relevanz, da das Meer und der Meeresuntergrund auch jenseits der 12-Seemeilen-Grenze in immer größerem Ausmaß für umweltbeeinträchtigende Aktivitäten in Anspruch genommen werden.132 Im Hinblick darauf ist zusammengefasst festzustellen, dass das aktuelle UmwRG vor allem dann anwendbar ist, wenn für das jeweils umstrittene Vorhaben eine Pflicht zur Durchführung einer UVP besteht. Falls das verfahrensgegenständliche Vorhaben weder UVP-pflichtig noch vorprüfungspflichtig ist, kann dieses damit i. d. R. nicht vom Anwendungsbereich des UmwRG erfasst werden.133 Im Allgemeinen ist aber anzumerken, dass der Anwendungsbereich des UmwRG letztlich nur einen bestimmten geringen Teil des Umweltrechts erfasst, so dass weite Gebiete des Umweltrechts (etwa nicht genehmigungsbedürftige umweltbelastende Anlagen) einer umweltschützenden Verbandsklagemöglichkeit entbehren. Dadurch aber scheint, dass das UmwRG hinter dem Gebot der AK sowie der neuen Rechtsprechung des EuGH bezüglich eines weiten Zugangs zu Gerichten zurückbleibt.134 128 Vgl. T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 70 ff., Rn. 86 ff., m.w. N.; W. Erbguth/ S. Schlacke, Umweltrecht, 2005, § 15, Rn. 14. 129 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 10; s. auch C. Palme/J. Schumacher, NuR 2004, S. 773 ff. 130 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 10. 131 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff. 132 T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 71, Rn. 90. 133 Vgl. BayVGH, Beschl. v. 21.08.2012 – 8 Cs 12847, Rn. 23 ff., UPR 2013, S. 228. 134 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., B., III.
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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I.Voraussichtliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des UmwRG Eine indirekte oder ausdrückliche Erweiterung des Anwendungsbereiches des UmwRG ist allerdings durch die Umsetzung der RL 2012/18/EU (sog. SevesoIII-Richtlinie) zu erwarten, die der nationale Gesetzgeber spätestens bis 31.05. 2015 hätten umsetzen müssen. Aus dem Zusammenspiel von Art. 23 Buchst. b zum Zugang zu Gerichten mit Art. 15 Abs. 1, Art. 13 und Art. 11 dieser RL können sich Anpassungen des nationalen Rechts bei der Ansiedelung neuer Betriebe, bei der Änderung bestehender Betriebe oder bei Entwicklungen in der Nachbarschaft ergeben, für die dann spiegelbildlich Vorgaben für Rechtsbehelfe vorzusehen sind. Hier bleibt abzuwarten, welche Konzeption der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Art. 11, 13 und 15 der sog. Seveso-III-RL verfolgen wird.135 Andererseits scheint sich nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen über eine Änderung der UVP-RL der EU136 keine Modifikation der Anhänge I und II dieser Richtlinie zu ergeben, welche ansonsten indirekt nach der Umsetzung in deutsches UVP-Recht auch zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des UmwRG geführt hätte.137 Jedenfalls findet durch das UmwRG weder eine Zusammenführung der überindividuellen Rechtsbehelfe insgesamt noch für sämtliches Umweltrecht statt.
II. Zum Verhältnis des UmwRG zur Verbandsklage gem. § 64 BNatSchG Der Streit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der VK nach § 2 UmwRG a. F. und derjenigen nach § 61 BNatSchG a. F., insbesondere wenn es um Fälle ging, in denen einer Umweltschutzvereinigung ausschließlich die eine oder aber die andere Klage zur Verfügung stand,138 kam schließlich durch das Gesetz zur 135
M. Sauer, ZUR 2014, S. 196. Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, COM (2012) 628 final vom 26.10.2012. 137 M. Sauer, ZUR 2014, S. 196. 138 Schon seit dem Entstehen von § 64 BNatSchG und des UmwRG war das Verhältnis zwischen den Klagemöglichkeiten nach § 2 UmwRG und jener nach § 64 BNatSchG. Gegenstand einer emotional geführten Debatte (vgl. dazu M. Kment, UPR 2013, S. 43; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1529; A. Stapelfeldt/ S. Siemko, KommJur 2008, S. 326; B. Wegener, UTR 2008, S. 341; F. Niederstadt/ R. Weber, NuR 2009, S. 302; M. Gellermann, Europäisierter Rechtsschutz im Umweltrecht, in: J. Ipsen/B. Stüer (Hrsg.), Europa im Wandel, FS für H.-W. Rengeling 2008, S. 240 ff.; E. Gassner, NuR 2007, S. 143 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 30; M. Beckmann/A. Wittmann, UPR 2008, S. 426 ff.; T. Bunge, ZUR 2010, S. 22; M. Dippel/ J. Niggemeyer, EurUP 2009, S. 153 ff.; M. Reinhardt, DÖV 2011, S. 141; W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 157 ff.; I. Schwertner, EurUP 2007, S. 126; jeweils m.w. N.) Die rele136
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Neuregelung des BNatSchG vom 29.07.2009139 zu einem Ende. Denn § 64 Abs. 1 S. 1 BNatSchG n. F. stellt ausdrücklich klar, dass die naturschutzrechtliche altruistische VK und die Rechtsbehelfe nach § 2 UmwRG a. F. nebeneinander anwendbar sind.140 Insofern können sich Naturschutzvereinigungen beider Klagemöglichkeiten nebeneinander in ein und demselben Klageverfahren bedienen, so dass von einem gleichrangigen Nebeneinander der Rechtsbehelfe auszugehen ist.141 In der Praxis bedeutet dies, dass eine anerkannte Naturschutzvereinigung neben den Rechtsbehelfen nach § 2 UmwRG Rechtsbehelfe auch des BNatSchG nach Maßgabe der VwGO gegen bestimmte naturschutzrechtliche Verwaltungsvante Formulierung der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 11.03.2009, „[. . .] [d]iese Regelungen treten wie bislang neben die Bestimmungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes“ (Begründung zum Entwurf vom BMU eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 11.03.2009, S. 9.), schien für sich genommen nicht ausreichend zu sein, um einen klaren Schluss in Bezug auf diese Frage zu ziehen. Einerseits wurde von einem gleichrangigen Nebeneinander der Rechtsbehelfe ausgegangen (im Sinne einer Wahlmöglichkeit), so dass eine Klage auf eine der Rechtsbehelfe oder auf beide gleichzeitig gestützt werden kann (vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 297). Andererseits wurde die Auffassung vertreten, dass § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. (vormals § 61 Abs. 1 BNatSchG a. F.) als „lex specialis“ zu § 2 Abs. 1 UmwRG a. F. anzusehen ist (vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 11; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1529; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 321 ff.; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 297). Letzte Auffassung stütze sich auf die Entstehungsgeschichte des UmwRG. Denn es war im Gesetzestext des UmwRG-Referentenentwurfs vom 21.02.2005 noch ein vollständiger Vorrang der Rechtsbehelfe nach UmwRG vor den Klagemöglichkeiten nach § 61 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BNatSchG a. F. vorgeschrieben, soweit die Zulässigkeitsvoraussetzungen des UmwRG erfüllt sind [Gesetzentwurf der Bundesregierung zum UmwRG von 21.02.2005 (Kabinett Nr.: 151610001). Dieser Entwurf enthielt eine ausdrückliche Regelung, nach der das UmwRG Vorrang vor § 61 I BNatSchG hat. Vgl. dazu L. Knopp, ZUR 2005, S. 281 ff]. In der abschließenden Gesetzesbegründung wurde aber die oben erwähnte Subsidiaritätsklausel nicht übernommen. Soweit die spezielleren Vorschriften des BNatSchG nicht eingreifen, könnten somit die klagenden Umweltschutzvereinigungen die Klagemöglichkeiten nach dem UmwRG in demselben Verfahren geltend machen (vgl. BTDrs. 16/2495, S. 11; ausführlich: J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1529). Die letztere Auffassung konnte aber nicht überzeugen. Außerdem konnte die Einordnung des § 61 BNatSchG a. F. als „lex specialis“ zu § 2 UmwRG nicht von der rechtlichen Systematik der einschlägigen Gesetze, die weder unter den gleichen Grundlagen erlassen wurden noch ähnlichen Zielen dienten, gerechtfertigt werden. Es muss auch berücksichtigt werden, dass ein vollständiges Verdrängen der umweltschützenden altruistischen VK bei den oben genannten Fällen vom Gesetzgeber nicht gegeben und auch nicht gewollt war. Vgl. W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 160; M. Vees, ZUR 2008, S. 373. 139 BGBl. I, S. 2542. 140 Vgl. R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 326; F. Fellenberg/G. Schiller, § 1 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 66, m.w. N. 141 Vgl. VGH München, Urt. v. 23.06.2009 – 8 A 08.40001, Rn. 53, NVwZ-RR 2010, S. 42 ff.; P. Fischer-Hüftle, § 64 BNatSchG, in: J. Schumacher/ders. (Hrsg.), BNatSchG-Komm., 2011, Rn. 5, m.w. N.
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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entscheidungen einlegen könnte, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 UmwRG sinngemäß auch für § 64 BNatSchG n. F. erfüllt sind.142 Dieses auf die Erfolgsaussichten abgestellte Wahlrecht der Umweltschutzvereinigungen steht auch im Einklang mit dem unionsrechtlichen Gebot, den Umweltorganisationen einen „weiten Zugang zu Gerichten“ einzuräumen.143 Mit der 5. Novellierung des UmwRG gemäß der Vorschrift des neuen eingefügten Absatzes 3 des § 1 UmwRG wurde allerdings vorgeschrieben, dass insbesondere bei Planfeststellungsverfahren gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG die naturschutzrechtliche VK des BNatSchG und die Rechtsbehelfe des UmwRG nicht mehr nebeneinander zur Verfügung stehen. Dies bedeutet nämlich, dass in den Fällen, in denen in Planfeststellungsverfahren Rechtsbehelfe nach den oben genannten Vorschriften des UmwRG eröffnet sind, § 64 Abs. 1 BNatSchG n. F. nicht anzuwenden sei.144 Es geht nämlich um Planfeststellungsverfahren über möglicherweise UVP-pflichtige Vorhaben oder über Projekte der IE-RL (die Vorschrift bezieht sich hierbei in der Praxis nur auf Planfeststellungsbeschlüsse für Abfalldeponien gem. § 35 Abs. 2 KrWG), die jeweils mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind. Es wurde schließlich klar, dass in solchen Verfahren nunmehr allein das UmwRG und nicht das BNatSchG anwendbar ist.145 Für die oben genannte Regelung des BNatSchG 2009 verbleibt insbesondere noch ein Anwendungsbereich, wenn im Bundes- oder Landesrecht für ein Vorhaben eine Planfeststellung vorgeschrieben ist, für das nicht zugleich auch eine UVP-Pflicht oder UV-Vorprüfungspflicht besteht.146 Nach der Gesetzesbegründung im RegE147 steht jedoch die Regelung einer parallelen Anwendung beider Gesetze in solchen Fällen nicht entgegen, bei de142 R. Breuer, in: FS für Kloepfer, 2013, S. 326; W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 160; ähnlich auch S. Schlacke, NuR 2007, S. 13. Stützte somit eine anerkannte Umweltschutzvereinigung ihre Klage auf Verstöße gegen das Naturschutzrecht, sollte sie sich i. d. R. auf § 64 BNatSchG n. F. berufen, da (damals vor der 5. Novelle des UmwRG) nur nach dieser Bestimmung das nationale und europäische Naturschutzrecht wehrfähig waren. Wollte sie dagegen eine unter das UmwRG fallende Entscheidung angreifen, etwa einen Planfeststellungsbeschluss für ein Verkehrsprojekt i. S. d. Anlage 1 Nr. 14 UVPG, beispielsweise zum Lärmschutz, hatte sie die Möglichkeit, die Umweltverbandsklage auch auf das UmwRG zu stützen. Denn nur das UmwRG begründete in § 2 Abs. 1 Nr. 1 eine Pflicht des Gerichtes, die Vereinbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses mit drittschützenden Umweltvorschriften und damit dem Lärmschutzrecht zu überprüfen. Will die umweltschützende Vereinigung auch Verstöße gegen das Naturschutzrecht geltend machen, musste sie sich zusätzlich auf § 64 BNatSchG berufen. 143 Vgl. W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 160; ähnlich auch S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; M. Vees, ZUR 2008, S. 373. 144 T. Bunge, § 1 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 44 ff., Rn. 4; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 149. 145 T. Bunge, § 1 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 91; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 149. 146 J. Berkemann, EurUP 2014, S. 149, m.w. N. 147 BR-Drs. 469/12, S. 35.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
nen etwa eine erteilte naturschutzrechtliche Befreiung außerhalb der Konzentrationswirkung der Zulassungsentscheidung für ein UVP-pflichtiges Vorhaben steht. Insofern können bei solchen Fällen Rechtsbehelfe (des UmwRG oder des BNatSchG) gegen beide Entscheidungen eingelegt werden. Für die Regelung des BNatSchG soll hiernach insb. dann noch ein Anwendungsbereich bestehen, wenn im Bundes- oder Landesrecht für ein Vorhaben eine Planfeststellung vorgeschrieben ist, für das nicht zugleich auch eine UVP-Pflicht oder UVP-Vorprüfungspflicht besteht.148 Diese gesetzliche Ergänzung der 5. Novellierung des UmwRG geht darauf zurück, dass das Verhältnis der VK nach dem UmwRG und der VK gegen einen Planfeststellungsbeschluss nach § 64 Abs. 1 BNatSchG auch in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wurde.149 Der deutsche Gesetzgeber beabsichtigt somit, mit der Einführung des neuen § 1 Abs. 3 UmwRG einen Vorrang der umweltrechtlichen altruistischen VK gegenüber der naturschutzrechtlichen altruistischen VK insbesondere im Bereich der planfeststellungspflichtigen Vorhaben des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG einzuführen.150 Auf diese Weise bezweckt der Gesetzgeber (vermutlich) eine mögliche Überschneidung der Rechtsschutzvorgaben des § 64 BNatSchG und des UmwRG zumindest im kritischen Bereich des Planfeststellungsverfahrens zu vermeiden. Denn diese Vorschrift betrifft insbesondere Fälle, in denen sonst beide Gesetze nebeneinander anzuwenden wären. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Schluss ziehen, dass sich die Regelungen zur Umsetzung von Art. 10a der UVPRL (jetzt Art. 11 UVP-RL) und von Art. 15a der IVU-RL a. F. (jetzt Art. 25 IE-RL n. F.) nunmehr ausschließlich im UmwRG und nicht in den Verbandsklagevorschriften des BNatSchG wiederfinden sollen. Allein das UmwRG muss insofern bei solchen Konstellationen mit sämtlichen einschlägigen Vorgaben des Europarechts übereinstimmen.151 Darüber hinaus folgt daraus, dass das UmwRG nicht für Plangenehmigungsverfahren (gem. § 64 Abs. 1 i.V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG) anwendbar ist. Gleiches gilt auch für Planfeststellungsverfahren über Vorhaben, die ihrer Art nach keine UVP erfordern; für Planfeststellungsverfahren über Vorhaben, die zwar ihrer Art nach eine UVP erfordern können, sie jedoch 148
G.-A. Balensiefen, § 1 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 9. Vgl. VGH München, Urt. v. 23.06.2009 – 8 A 08/40, Rn. 53, NVwZ-RR 2010, S. 42 ff.; VG Bremen, Urt. v. 29.11.2007 – 5 K 565/07, Rn. 18, ZUR 2008, S. 368 ff. (Danach tritt die umweltrechtliche VK – nach dem Prinzip der Spezialität – gegenüber der naturschutzrechtlichen VK zurück, solange der sachliche Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Vereinsklage nicht verlassen wird.); G.-A. Balensiefen, § 1 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 9. 150 F. Fellenberg/G. Schiller, § 1 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 66, m.w. N. 151 Vgl. T. Bunge, ZUR 2010, S. 20 ff. 149
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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unterhalb der Größenwerte bleiben, von denen an das UVP-Recht eine solche Prüfung oder zumindest eine Vorprüfung des Einzelfalls vorschreibt; für Verfahren über isoliert zu treffende Planfeststellungsverfahren (also Verfahren, die nicht in einem Planfeststellungsbeschluss eingeschlossen sind); sowie für Entscheidungen über naturschutzrechtliche Befreiungen. Zu beachten ist, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsbehelfs nach § 64 BNatSchG inhaltlich denen entsprechen, die auch für einen Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG vorgeschrieben sind.152 § 1 Abs. 3 UmwRG hat im Ergebnis eher eine rechtstechnische Relevanz und spielt in erster Linie für die Klagebefugnis anerkannter Umweltschutzvereinigungen nur eine untergeordnete Rolle.153
III. Unionsrechtliche Bedenken Es sieht so aus, dass § 1 UmwRG bisher im Einklang mit der neuen umweltrechtsschutzbezogenen EuGH-Rechtsprechung steht, wonach die Beschränkung der Rügebefugnis anerkannter umweltschützender Vereinigungen auf „drittschützende“ Umweltvorschriften im Rahmen des UmwRG a. F. gegen Art. 11 UVP-RL n. F. verstößt.154 Allerdings hat sich der EuGH bisher nicht mit der Frage der Anwendbarkeit des UmwRG auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über UVP-pflichtige Projekte befasst. Vielmehr wird die Entscheidung über ein solches Projekt als unerlässliche Voraussetzung für die Einreichung einer Klage betrachtet.155 Auch aus dem EU-Recht ergibt sich im Übrigen kein anderes Ergebnis. Denn als betroffene Öffentlichkeit i. S. d. vormaligen Art. 10a UVP-RL (jetzt Art. 11 UVP-RL n. F.) wird nach den Begriffsbestimmungen von Art. 1 Abs. 2 Buchst. e S. 1 UVP-RL a. F. und n. F. „die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gem. Art. 2 Abs. 2 UVP-RL betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit, die an diesen Entscheidungen ein Interesse hat, [. . .]“ verstanden.156 Von Bedeutung ist, dass i. S. d. Begriffsbestimmung Nichtregie152
Vgl. T. Bunge, § 1 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 92 ff., m.w. N. Vgl. T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 74, Rn. 95, m.w. N. 154 Vgl. vor allem: EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 35 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; in diese Richtung auch BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C21/09, ZUR 2012, S. 187 ff.; mehr dazu in 1. Teil, 4. Kap., A. ff. 155 Vgl. BayVGH, Beschl. v. 21.08.2012 – 8 Cs 12847, Rn. 29, UPR 2013, S. 228; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg), Rn. 35, NuR 2011, S. 423 ff. 156 OVG Lüneburg, Urt. v. 30.04.2014 – 1 KN 110/12, Rn. 26, juris; T. Bunge, § 1 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35; B. Schieferdecker, § 1 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 19; R. Klinger, EurUP 2014, S. 182. 153
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
rungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse haben. Es handelt sich somit um eine Öffentlichkeit, die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren im Rahmen der Durchführung einer UVP gem. Art. 2 Abs. 2 UVP-RL,157 betroffen ist.158 Insofern sieht es so aus, dass der EU-Gesetzgeber keinen erweiterten Anwendungsbereich hinsichtlich der Einlegung einer Klage gegen umweltbezogene Entscheidungsverfahren fordert. Obwohl die oben dargestellte Einschränkung des Anwendungsbereichs des UmwRG gem. § 1 auf den ersten Blick europarechtskonform zu sein scheint, entspricht sie aber m. E. nicht vollständig dem – insb. aus rechtpolitischer Sicht – aktuellen Bedarf zum umfangreicheren Rechtsschutz der Umweltgüter, die insbesondere in der zeitgenössischen Risikogesellschaft von ungewissen, nicht ausreichend bestimmbaren und unberechenbaren Faktoren gefährdet sein können.159 Obwohl der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in diesem Kontext nicht gering ist, bedarf es demnach überzeugender sachlicher Gründe für die ausreichende Rechtfertigung der Begründung einer solchen Differenzierung.160 Allein die Verpflichtung des nationalen Rechts zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben reicht hierfür nicht aus.161 Die Tatsache, dass die UVP-pflichtigen Projekte oder weitere bestimmten Projekte des § 1 UmwRG von anderen Projekten außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Norm sich dadurch differenzieren, dass sie erhebliche Auswirkungen für Umweltgüter der Allgemeinheit verursachen können und es gerade deswegen naheliegend ist, eine umweltschützende altruistische VK gegen solche Vorhaben zu eröffnen, scheint nicht ausreichend und überzeugend genug, um eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs einer umweltschützenden Klage zu rechtfertigen. Denn unter den Bedingungen einer Risikogesellschaft162 kann nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass auch ein nicht UVPpflichtiges Vorhaben erhebliche Auswirkungen auf Umweltgüter verursachen 157 Art. 2 Abs. 2 UVP-RL a. F. sowie n. F. lautet: „Die Umweltverträglichkeitsprüfung kann in den Mitgliedstaaten im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte durchgeführt werden oder, falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer Verfahren oder der Verfahren, die einzuführen sind, um den Zielen dieser Richtlinie zu entsprechen.“ 158 BayVGH, Beschl. v. 21.08.2012 – 8 Cs 12847, Rn. 23 ff., UPR 2013, S. 228. 159 Vgl. u. a. U. Beck, Risikogesellschaft – Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S. 21 ff., S. 48 ff.; s. auch dazu 1. Teil, 1. Kap., E., II., 3. 160 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2001 – 1 BvR 481 und 518/01, NVwZ 2001, S. 1149. 161 F. Fellenberg/G. Schiller, Vorb. UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 36, m.w. N. 162 Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft – Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S. 21 ff.; X. Contiades, ZÖR 2005, S. 27 ff.; J. Gantzer, VBlBW 2004, S. 174 ff.; A. Scherzberg, Risiko als Rechtsproblem, VerwArch 1993, S. 484 ff.
B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013
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kann. Offenbar stellt eine solche Differenzierung eine Ungleichbehandlung von Umweltschutzvereinigungen dar. Dies gilt insbesondere bei Fällen, bei denen der Satzungszweck der Umweltschutzvereinigungen sich nicht auf solche Projekte bezieht.163 Vor allem muss beachtet werden, dass sich aus dem Inhalt von Art. 9 Abs. 3 AK164 weitere Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Umweltschutzvereinigungen ergeben können.165 Zwar hat diese Vorschrift dem EuGH nach keine unmittelbare Wirkung.166 Sie beeinflusst allerdings die Auslegung des innerstaatlichen Verfahrensrechts, soweit es um die Voraussetzungen geht, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen.167 Laut dem sog. Braunbären-Urteil des EuGH seien somit die in Frage gestellten umweltbezogenen Vorschriften so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltorganisation zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende des Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der EU steht, vor einem Gericht anzufechten.168 In diese Richtung richtet sich auch das aktuelle Urteil des BVerwG vom 05.09.2013, dass im Folgenden analysiert werden soll.169 Es gibt somit wichtige Anhaltspunkte, die für eine entscheidende Erweiterung der umweltschützenden Klagemöglichkeiten über die Grenze der bisherigen Fassung von § 1 UmwRG möglicherweise auf sämtliche umweltbezogenen Rechtsvorschriften zugunsten eines effektiven Rechtsschutzes von überindividuellen Umweltrechten sprechen.170
163 Mehr zu der Zulässigkeitsvoraussetzung der Berührung einer Umweltschutzvereinigung im satzungsgemäßen Aufgabenbereich s. u. in 1. Teil, 3. Kap., C., III. 164 Art. 9 Abs. 3 AK bezweckt sicherzustellen, „dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“. s. mehr dazu in 1. Teil, 4. Kap., B., IV.; 1. Teil, 4. Kap., B., V., 3. ff. 165 Vgl. T. Bunge, § 1 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 63 ff., Rn. 63. 166 Ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 4. Kap., B., III. 167 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 52 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 168 Ebd., ausführlich dazu s. u. in 1. Teil, 4. Kap., B. ff. 169 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; Anm. dazu T. Bunge, ZUR 2014, S. 3 ff.; W. Frenz, UPR 2014, S. 1 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13 ff.; ausführlich dazu s. u. in 1. Teil, 5. Kap., B. ff. 170 Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 6. Kap., A. ff.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
IV. Fazit Aus der oben dargestellten Analyse folgt, dass der Anwendungsbereich des UmwRG vom 21.01.2013 im Vergleich zum Umweltbeeinträchtigungspotential eindeutig eingeschränkt ist. Denn die große Menge des nicht UVP-bezogenen Umweltrechts ist einer gerichtlichen Überprüfung – von Fällen der unmittelbaren Betroffenheit umweltbezogener subjektiver Rechte durch Dritte abgesehen – nicht zugänglich. Die Problematik in Bezug auf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der umweltschützenden und naturschützenden altruistischen VK belegt charakteristisch die (sich aus Komplexitätsgründen heraus ergebende) bestehende Schwierigkeit des nationalen Gesetzgebers, den Bereich des Umweltrechtsschutzes eindeutig zu bestimmen, um Rechtssicherheit und effektiven Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten zu gewährleisten. Obwohl der Anwendungsbereich des UmwRG europarechtskonform scheint, sollte dieses auch aus rechtspolitischer Sicht und vor dem Hintergrund der neuen fortentwickelten Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG deutlich erweitert werden, um mögliche Verstöße gegen das EU-Recht in der Zukunft zu vermeiden. Der Anwendungsbereich des UmwRG wurde durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 erheblich erweitert. Rechtslücken und rechtliche Probleme bestehen allerdings noch immer.171
C. Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK gem. § 2 UmwRG vom 21.01.2013172 I. Allgemeines Kernelement des UmwRG ist § 2, der die Voraussetzungen festlegt, unter denen gem. § 3 UmwRG anerkannte umweltschützende Vereinigungen173 Rechts171
s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., II. ff. § 2 UmwRG vom 21.01.2013 lautet: „(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung 1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, 2. geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und 3. zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. 172
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 341
behelfe gegen Entscheidungen i. S. d. § 1 Abs. 1 UmwRG ohne Geltendmachung einer Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte einlegen können. Dieses Klagerecht ist allerdings an eine Reihe von Anforderungen geknüpft, die die gerichtliche Kontrolle unter Umständen thematisch und sogar an bestimmten Stellen vermutlich übermäßig einschränken. § 2 Abs. 1 UmwRG regelt einen bedeutenden Ausnahmefall vom Erfordernis der Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2, 2. HS S. 1 VwGO.174 Es handelt sich um eine außerhalb des Schutzbereichs von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG angesiedelte überindividuelle Klagebefugnis, die keinesfalls aber die VwGO ändert.175 Diese Vorschrift enthält die wichtigste Regelung zur Umsetzung der Vorgaben von Art. 9 Abs. 2 AK, Art. 11 UVP-RL sowie Art. 25 IE-RL (vormals Art. 10a UVP-RL
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn 1. sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, 2. sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und 3. über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist. Bei einer ausländischen Vereinigung gelten die Voraussetzungen der Nummer 3 als erfüllt. 3Mit der Bestandskraft einer die Anerkennung versagenden Entscheidung wird der Rechtsbehelf unzulässig. (3) Hat die Vereinigung im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Gelegenheit zur Äußerung gehabt, ist sie im Verfahren über den Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. (4) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. 3Für Bebauungspläne gilt § 47 Absatz 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. (5) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, 1. soweit die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sind, 2. bei Rechtsbehelfen in Bezug auf Bebauungspläne, soweit die Festsetzungen des Bebauungsplans, die die Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens begründen, gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die dem Umweltschutz dienen, und der Verstoß Belange des Umweltschutzes berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert. Bei Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 muss zudem eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen.“ 173 Über die Voraussetzungen und die Problematik der Anerkennung von Umweltschutzvereinigungen s. u. in 1. Teil, 3. Kap., D. ff. 174 C. Meitz, NuR 2011, S. 420. 175 Vgl. L. Knopp, ZUR 2005, S. 283 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 9; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 120.
342
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
und Art. 16 IVU-RL). Denn sie gewährt bestimmten Umweltschutzvereinigungen spezielle Rechtsbehelfe und befasst sich mit der Zulässigkeit und Begründetheit der entsprechenden VK.176 Sie führt nämlich die umweltschützende altruistische VK ein und regelt die Anforderungen für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 UmwRG oder deren Unterlassen. Art und Ausgestaltung der einzulegenden Rechtsbehelfe richten sich nach den Vorschriften der VwGO, modifiziert durch die auf Grund der neuen, 5. Fassung der vom UmwRG eingeführten Maßgaben nach § 4a UmwRG.177 Ist das Begehren auf Aufhebungs- oder Nichtigklärung der Entscheidungen i. S. d. § 1 Abs. 1 UmwRG gerichtet, kommt eine Anfechtung nach § 42 Abs. 2 VwGO oder eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO in Betracht. Daneben können aber Umweltschutzvereinigungen auch den Erlass von Verwaltungsakten wie etwa Auflagen oder das Ergreifen behördlicher Maßnahmen in den gesetzlich vorgesehenen Fällen verlangen. Es kommt daher auch ein Verpflichtungs- bzw. Leistungs-Rechtsbehelf in Betracht.178 Dabei bestehen für die Umweltschutzvereinigungen auch die Klagemöglichkeiten eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach den Vorgaben der §§ 80 und 123 VwGO.179 Laut Rechtsprechung des BVerwG zur naturschutzrechtlichen VK wird dieses Begehren allerdings nur in strenger Akzessorietät zum jeweiligen Prüfgegenstand zulässig sein.180 Die Praxis zeigt allerdings, dass der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten sich zunehmend in die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verlagert hat. Daraus folgt, dass der vorläufige Rechtsschutz häufig gegenüber den Verfahren der Hauptsache dominierend geworden ist.181 176
T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 78 ff., Rn. 3. Vgl. G.-A. Balensiefen, § 1 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 2 ff.; mehr zu § 4a UmwRG s. u. in 1. Teil, 4. Kap., F. ff. 178 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 10 ff. 179 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1530 ff. 180 Vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9A 11/03, NuR 2004, S. 795 ff. 181 M. Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2011, § 5, Rn. 24; R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer 2013, S. 331 ff. Dieser Funktionswandel hat zu einer „Spiralbewegung“ geführt, so dass nicht selten die jeweils zuständige Behörde Anlagegenehmigung und andere entsprechende Rechtsakte angesichts der unkalkulierbaren Dauer der Hauptsachenverfahren für sofort vollziehbar erklärt und Drittbetroffene hierauf mit einem Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO reagieren. Angenommen aber, dass die Verwaltungsgerichte regelmäßig ihrer Neigung folgen, in Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in Hauptsacheverfahren, sondern auf eine Interessenabwägung abzustellen [zum Prüfungsmaßstab im Aussetzungsverfahren vgl. u. a. K. Windthorst, § 80 VwGO, in K.-F. Gärditz (Hrsg.), VwGO-Komm., Rn. 215 ff., m.w. N.], so steigert dies unvermeidlich die Frustration der umweltschützenden rechtsuchenden Bürger. Denn auf diese Weise erkennen faktisch die Gerichte unter Offenlassung der materiellrechtlichen Beurteilung eine überwiegendere Bedeutung den wirtschaftlichen Interessen des Vorhabenträgers in Vergleich zu den Interessen des umweltschützenden Klägers zu. Dies aber verletzt vermutlich die Effektivität des Umweltrechtsschutzes (vgl. R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer 2013, S. 332). 177
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 343
Es ist anzumerken, dass die Struktur von § 2 Abs. 1 UmwRG weitgehend den Regelungen für die naturschützende altruistische VK in § 64 Abs. 1 BNatSchG entspricht. Als Sondervorschrift zu § 42 Abs. 2 VwGO erweitert § 2 Abs. 1 UmwRG die Klagebefugnis zugunsten einer altruistischen Umweltverbandsklage. Von Bedeutung ist, dass vor der Gesetzesänderung vom 21.01.2013182 eine solche Erweiterung nur formal anlässlich des sog. Trianel-Urteils des EuGH183 galt.184 Zwar war in der ursprünglichen Fassung des § 2 Abs. 1, 5 UmwRG (2006) für die Erhebung eines umweltschützenden Rechtsbehelfes im Rahmen des UmwRG nicht erforderlich, dass die anerkannten umweltschützenden Vereinigungen eine Verletzung eigener Rechte geltend machen; die ältere Fassung des § 2 Abs. 1, 5 UmwRG erlaubte aber diesen Vereinigungen nur die Verletzung jener umweltrechtlichen Normen zu beanstanden, die Rechte Einzelner begründen.185 Eine 182
BGBl. I, S. 95. Dieses Gesetz ist am 29.01.2013 in Kraft getreten. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff. 184 Vgl. J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 337. 185 OVG Lüneburg, Urt. v. 10.03.2010 – 12 ME 176/09, NuR 2010, S. 291 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 29.10.2008 – 1 A 11330/07, DVBl 2009, S. 390 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T, Rn. 9 ff., ZUR 2010, S. 47 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 07.07.2008 – 51 ME 131/08, NVwZ 2008, S. 1144 ff. Ausgegangen von dem Ansatz, dass das deutsche Verwaltungsprozessrecht zwischen der gerichtlichen Kontrolle der möglicherweise betroffenen drittschützenden Vorschriften und einer umfassenden objektiven Rechtskontrolle der angefochtenen Entscheidung unterscheide, zieht das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 07.07.2008 den Schluss, dass es durchaus europarechtskonform sei, die Zulässigkeit und den Erfolg der neuen Umweltverbandsklage davon abhängig zu machen, dass Umweltvorschriften mit drittschützender Wirkung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. verletzt wurden. Das OVG Lüneburg verstand Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. dahin, dass der deutsche Gesetzgeber von den alternativ offerierten prozessualen Umsetzungsmöglichkeiten korrekt jene gewählt habe, die es erlaube, den Zugang zum Gericht davon abhängig zu machen, dass eine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Das Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, erfordere keine Abkehr von dem gewachsenen nationalstaatlichen Verständnis der „Rechtsverletzung“, das ja gerade in dem Alternativenangebot seine europarechtliche Anerkennung gefunden habe. Insofern ist laut OVG Lüneburg das Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, „(nur) Maßstab dafür, was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung zu gelten hat“. Wann Rechte Einzelner begründet werden, sei somit durch Auslegung zu ermitteln, wobei das Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, im Auge zu behalten sei. Dabei hat das OVG Lüneburg ausgeführt, die Kritik des Schrifttums an dieser Bestimmung scheine „teilweise her rechtspolitisch motiviert zu sein“. In diese Richtung vgl. auch H. Lecheler, NVwZ 2005, S. 1157; M. SchmidtPreuß, NVwZ 2005, S. 495; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 276; ders., Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Einführung der Verbandsklage anerkannter umweltschützender Vereinigungen nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/35 EG und der sog. Aarhus-Konvention, Rechtsgutachten, 2005, S. 10 ff.; ders., UTR 2007, S. 31 ff.; W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 157 ff.; jeweils m.w. N.; Zweifel erheben allerdings: OVG Hamburg, Urt. v. 09.02.2009 – 5 E 4/08.P, NordÖR 2009, S. 210 ff.; OVG Münster, Urt. 183
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
solche Eingrenzung der Antragsbefugnis für die Umweltverbandsklage führte aber in einigen nicht drittschützenden Bereichen zu mangelhaftem Rechtsschutz: So z. B., wenn sich die nach dem UmwRG a. F. antragsbefugten Vereinigungen nicht erfolgreich darauf berufen können, dass ein Bebauungsplan gegen das zwingende Naturschutzrecht verstößt, weil dadurch etwa Bestimmungen des Artenschutzes, des Biotopschutzes, des Habitatschutzes, des Bodenschutzes oder der naturschützenden Eingriffsregelung verletzt werden können. Es war daher offensichtlich, dass die anwenderunfreundliche Streuung überindividueller Klagebefugnisse auf das Naturschutzrecht (auf Bundes- und Landesebene) und auf das UmwRG eine unangenehme Zersplitterung im Bereich des Umweltrechtsschutzes erzeugte, die zu rechtssystematischen Friktionen führte.186 Auf diese Weise hatte eigentlich der Bundesgesetzgeber der gemeinschaftsbzw. unionsrechtlichen Verpflichtung aus den vormaligen Art. 10a UVP-RL a. F. und Art. 15a IVU-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL) zur Einführung einer überindividuellen Klagebefugnis zugunsten von Umweltschutzvereinigungen nur scheinbar Rechnung getragen. Denn in Wirklichkeit wurde der insoweit bestehende überindividuelle Charakter der altruistischen VK nach dem UmwRG a. F. durch die Begrenzungen der Rügebefugnis und der damit
v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, ZUR 2009, S. 380 ff. Darüber hinaus steht nach Ansicht des OVG Schleswig-Holstein zwar § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. mit Art. 10a der UVPRL in Einklang, nicht aber das materiellrechtliche Gegenstück des § 2 Abs. 5 Nr. 1 UmwRG a. F., dem zufolge ein zulässiger Rechtsbehelf allein insoweit begründet ist, als die behördliche Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die Rechte Einzelner begründen (OVG Schleswig-Holstein, 12.03.2009 – 1 KN 12/08, ZUR 2009, S. 432 ff.; J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 336 ff.; gegen die Europarechtmäßigkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 UmwRG a. F. argumentieren etwa: M. Genth, NuR 2008, S. 28; M. Kment, NVwZ 2007, S. 277; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 377 ff.; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122; J. Schumacher, UPR 2008, S. 13 ff.; B. Wegener, UTR 2008, S. 338 ff.; M. Ziekow, NVwZ 2007, S. 260; ders., NVwZ 2005, S. 263; A. Schmidt/ P. Kremer, ZUR 2007, S. 60 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 14; dies., Überindividueller Rechtsschutz, 2008, insb. S. 300 ff.; E. Gassner, NuR 2007, S. 147; A. Versteyl, EurUP 2009, S. 133 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden, Rechtsgutachten, 2006; dies., ZUR 2007, S. 57 ff.; F. Ekardt/ K. Pöhlmann, NVwZ 2007, S. 532 ff.; F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1060; P. Fischer-Hüftle/L. Radespiel, in: D. Czybulka (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im europäischen Naturschutzrecht, 2007, S. 203 ff.; F. Ekardt, NVwZ 2006, S. 55 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 243 ff.; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 8 ff.; ders., in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 239 ff.; G. Oestreich, DV 2006, S. 31 ff.; W. Ewer, NVwZ 2007, S. 272 ff.; J. Berkemann, in: J. Berkemann/G. Halama, Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 273, Rn. 495 ff., S. 761, Rn. 308 ff.; C. Calliess, ZUR 2008, S. 350 ff.; K. Meßerschmidt, § 61, BNatSchGKomm., 2008, Rn. 16; J. Schumacher, UPR 2008, S. 18; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 302; jeweils m.w. N. 186 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 9.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 345
einhergehenden Begrenzung des rechtlichen Prüfmaßstabs auf subjektive öffentliche Rechte in der Praxis konterkariert.187 Im Ergebnis gingen aufgrund der ursprünglichen Vorgabe von § 2 Abs. 1 UmwRG a. F. die Rügebefugnisse der anerkannten Umweltschutzvereinigungen nicht weiter als die Rügebefugnisse von einzelnen Bürgern. Zwar war der einzelne Bürger – anders als eine anerkannte Vereinigung – immer in seinen eigenen Rechten verletzt; er wurde aber im Allgemeinen insb. aufgrund des ursprünglichen Wortlauts von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. grundsätzlich mit einem Dritten gleichgestellt. 188 Demnach wurde die Klagebefugnis der Vereinigungen gleichsam zu einer gesetzlichen Prozessstandschaft für eigentlich (potenziell) betroffene Bürger, die eine Klagebefugnis an sich auch aus eigenen subjektiven öffentlichen Rechten herleiten könnten.189 Diese Begrenzung der Rüge auf solche Rechtsvorschriften, die als subjektive öffentliche Rechte anerkannt sind, sollte – im Einklang mit der deutschen Schutznormtheorie – sicherstellen, dass die Verletzung sämtlicher objektiver Rechtsvorschriften des Umweltrechts, insb. des gesamten Naturschutzrechts, der Vorschriften zur Vorsorge und großer Teile des umweltbezogenen Verfahrensrechts nicht mit der umweltschützenden VK des UmwRG angegriffen werden können.190 Anlässlich der Veröffentlichung und unter dem Einfluss des sog. Trianel-Urteils von EuGH191, das die unmittelbare Wirkung des Art. 10a UVP-RL a. F. auf die nationale Rechtsordnung anerkannte, hat sich allerdings dieser problematische Zustand deutlich geändert. Auf Vorlagebeschluss des OVG Münster v. 05.03.2009192 in Sachen des geplanten Steinkohlekraftwerkes in Lünen hat der EuGH durch das sog. Trianel-Urteil vom 12.05.2011 nämlich festgestellt, dass die oben erwähnte Einschränkung des § 2 Abs. 1, 5 UmwRG a. F. nicht mit Art. 10a UVP-RL a. F. (jetzt Art. 11 UVP-RL n. F.) in Einklang steht. Der EuGH hatte somit die Zulässigkeit der VK nach Maßgabe einer Schutznormakzessorietät abgelehnt.193 Vor diesem Hinter187 Vgl. J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 337 ff.; H. Weidemann, VR 2008, S. 228; A. Schmidt/P. Kremer, ZEuS 2007, S. 93 ff.; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 302. 188 Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 58; S. Schlacke, NuR 2007, S. 11; a. A. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1532. 189 Vgl. J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 337; H. Weidemann, VR 2008, S. 228; S. Schlacke, NuR 2007, S. 11; vgl. M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 239 ff. 190 G.-A. Balensiefen, § 1 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 4. 191 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff. 192 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08 AK, ZUR 2009, S. 380 ff.; B. Henning, NJW 2011, S. 2765 ff. 193 Mehr zum Inhalt und zu den Auswirkungen des sog. Trianel-Urteils des EuGH s. u. 1. Teil, 4. Kap., A. ff. i.V. m. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
grund wurde § 2 Abs. 1 und 5 UmwRG a. F. – neben anderen Vorschriften – mit der 5. Gesetzesnovelle des UmwRG von 21.01.2013 geändert.194 Durch diese Novelle wurden unter anderem in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. der Satz der älteren Fassung dieser Vorschrift „Rechte Einzelner begründen“ gestrichen. Nach der Gesetzesbegründung195 wurde damit zusammengefasst die Konsequenz daraus gezogen, dass der nationale Gesetzgeber zwar den Gerichtszugang von Einzelpersonen entsprechend eingrenzen darf, nicht jedoch den Gerichtszugang anerkannter Umweltschutzvereinigungen.196 § 2 Abs. 1 Nr. 1 und in der Folge Abs. 5 Nr. 1 und 2 UmwRG a. F. mussten daher so ausgestaltet werden, dass anerkannte Umweltschutzvereinigungen Verstöße gegen alle auch nicht drittschützenden Umweltvorschriften gerichtlich geltend machen können. Dies hatte wichtige, positive Konsequenzen im Rechtsgebiet des Umweltrechtsschutzes. Denn, nachdem dieses Erfordernis entfallen ist, ist es nicht mehr für die klagebefugte Umweltschutzvereinigung erforderlich, im Rahmen der Zulässigkeit und Begründetheit seines Rechtsbehelfes die Verletzung subjektiver Individualrechte darzulegen. Insofern wurde seine Klagebefugnis in Vergleich zu dem vorherigen restriktiven rechtlichen Zustand deutlich erweitert.
II. Inhaltliche Bestimmung von „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können“ gem. § 2 Abs. 1 UmwRG Mit der neuen Formulierung von § 2 Abs. 1 UmwRG kommt es nun nicht mehr darauf an, ob der Rechtsbehelf individualrechtschützende oder andere Vorschriften betrifft. Da aber diese Vorschrift keine Popularklage einführen will, erkennt sie verschiedene Restriktionen in Bezug auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage, die jedenfalls nicht ausreichend eindeutig sind, an, so dass häufig Auslegungsprobleme auftreten. So beschränkt sich die Rügebefugnis der anerkannten Umweltschutzvereinigungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG nur auf die Fälle, in denen die angegriffene behördliche Entscheidung oder ihr Unterlassen im Widerspruch zu Rechtsvorschriften steht, „die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von 194
BGBl. I, S. 95. BR-Drs. 469/12, 35ff. 196 Wegen nicht ausreichender Umsetzung von 9Art. 9 Abs. 2, 3 AK war außerdem auch vor dem Compliance Committee der AK ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland zur Ausgestaltung der Umweltverbandsklage nach dem UmwRG anhängig gemacht worden (Az. ACCC/C/2008/31). Deutschland ist es bislang gelungen, eine ihm nachteilige Entscheidung des Compliance Committee zu verhindern. Vgl. G.-A. Balensiefen, § 2 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 5; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1138; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 149. 195
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 347
Bedeutung sein können“.197 Dadurch wird noch einmal klar bestätigt, dass der Anwendungsbereich der VK nach UmwRG über die naturschützende VK des § 64 BNatSchG hinausgeht. Aufgrund von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG kann nicht nur die Verletzung von Vorschriften des Naturschutzes und der Landschaftspflege, sondern generell eine solche des Umweltschutzes geltend gemacht werden.198 Trotz dieses positiven Ergebnisses muss aber angemerkt werden – was insbesondere den Begriff des Satzes „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ angeht –, dass eigentlich in verschiedenen Konstellationen nicht ganz eindeutig ist, um welche konkreten Normen es dabei geht, was zu Auslegungsproblemen führen könnte. Daher ist es sinnvoll, eine Analyse des Inhalts dieses Satzes zu unternehmen. 1. Zur Eingrenzung der „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ im Rahmen des UmwRG (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG) Bezüglich der Bestimmung „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ bestehen zunächst Schwierigkeiten hinsichtlich der Eingrenzung des Begriffs „Umweltschutz“. Denn es existiert weder staatsrechtlich noch völker- oder unionsrechtlich eine rechtsverbindliche und allgemein anerkannte Definition dieses Begriffs. In diesem Zusammenhang ist die kritische Frage, ob sich die aus Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK folgende Rügebefugnis nur auf umweltrechtliche Vorschriften beschränkt,199 oder ob sie darüber hinaus sämtliche für die Genehmigung des betreffenden Vorhabens einschlägigen Vorschriften erfasst.200 Im Allgemeinen sollte die aus Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK folgende Rügebefugnis des UmwRG auf umweltrelevante Rechtsgebiete oder Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, weitgefasst verstanden werden. Entsprechend muss somit auch der Begriff „Umweltschutz“ ausgelegt werden. Für ein weites Verständnis des Begriffs „Umweltschutz“ spricht auch die praktische Tatsache, dass es erheblich schwieriger wäre, z. B. bei der gerichtlichen Überprüfung eines Planfeststellungsbeschlusses das adäquate Abwägen der Umweltbelange zu prüfen, ohne zugleich die konkurrierenden Belange wie etwa den Verkehrsbedarf einer Straße oder eines Flughafens mit zu überprüfen.201 Dafür 197 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.2013 – 7 C 36.11, Rn. 23 ff., NuR 2014, S. 199 ff.; u. a. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 379; jeweils m.w. N. 198 Vgl. A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 11; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 287, m.w. N. 199 So: A. Epiney, EurUP 2012, S. 91; F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 325; A. Schink, DVBl 2012, S. 201. 200 So: J. Berkemann, NuR 2011, S. 785 f.; T. Bunge, NuR 2011, S. 612 ff.; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531. 201 Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/ 35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), Juni 2006, S. 23; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
spricht auch, dass Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) nicht ausdrücklich gebietet, dass umweltrelevante Entscheidungen nach überwundener Zulässigkeitshürde umfassend auf ihre Konformität mit sämtlichen öffentlichrechtlichen Anforderungen (etwa des Raumordnungsrechts oder des Baurechts) überprüft werden.202 Nimmt man zudem an, dass, vereinfacht bzw. kurzgefasst definiert, Natur203 die ohne menschliches Zutun entstandene Welt ist und Umwelt204 (die auch Natur einschließt) den umgebenden Lebensbereich des Menschen darstellt, so kann man folglich den Schluss ziehen, dass auch Fragen der umweltbezogenen Wirtschaftlichkeit z. B. hinsichtlich des Verkehrsbedarfs oder des Lärmschutzes in Bezug auf die Planfeststellung eines umweltbelastenden Bauvorhabens direkt im Zusammenhang mit der Natur sowie mit den umweltschutzrechtlichen Belangen stehen, soweit sie unter anderem die natürlichen Lebensgrundlagen205 beeinträchtigen.206 Es wäre somit richtig, dass die vorgenannten Fragen dann gerichtlich kontrolliert werden könnten, insbesondere wenn sie sich aus den Elementen der Gerichtsurkunde sowie durch den gesunden Menschenverstand (d. h. den einfachen, erfahrungsbezogenen und allgemein geteilten Verstand des Menschen) ergeben. Dabei spricht Art. 11 UVP-RL n. F. allgemein von einer Überprüfung der Entscheidung auf ihre „materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit“, ohne diese Überprüfung ausdrücklich auf umweltrechtliche Vorschriften zu beschränken. Weder aber aus Art. 9 AK noch aus dem Sinn und Zweck der UVPRL lässt sich ein derart weitgehendes Verständnis des gerichtlichen Prüfungsumfangs ableiten. Der Hauptgrund dafür ist, dass die AK gerade den „Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ ermöglichen sollte, nicht jedoch einen eigenen und erweiterten materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab zu schaffen vermöge.207 Eine weit umfassende Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigungen in Bezug auf nationale Vorschriften ist allerdings nicht auszuschließen, soweit der nationale Gesetzgeber dahingehend entscheidet.208 Außerdem zählt Art. 1 Abs. 2 der UVP-RL n. F. Nichtregierungsorganisationen nur dann zur klagebefugten „betroffenen Öffentlichkeit“, wenn sie sich für den 202 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 325; in diese Richtung auch B. Müller, JEL 2011, S. 512. 203 Vgl. G. Köbler, Juristisches Wörterbuch 2003, S. 322. 204 Vgl. ebd., S. 472. 205 Über den Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen s. o. Vgl. M. Kloepfer, Art. 20a GG, in: BK für das GG, 116. Aktualisierung, April 2005, Rn. 62 ff. 206 Dagegen VGH Kassel, Beschl. v. 23.10.2002 – 2 Q 1668/02, NVwZ-RR 2003, S. 420 ff. 207 OVG Koblenz, Beschl. v. 31.01.2013 – 1 B 11201/12.OVG, NuR 2013, S. 281 ff. 208 Ebd.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 349
Umweltschutz einsetzen.209 Dabei stützen sich die relevanten europäischen Richtlinien zu ihrer Umsetzung spezifisch auf die Umweltkompetenzen der Art. 191, 192 AEUV. Demnach dient das Klagerecht mittelbar der Verwirklichung des Umweltschutzes.210 Ferner ist Zweck der UVP-RL, durch die Ermittlung der Umweltauswirkungen von Projekten Umweltbelastungen im Vorhinein zu vermeiden.211 In diesem Zusammenhang umfasst laut § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG die Umweltverträglichkeitsprüfung „die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens auf 1. Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, 2. Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, 3. Kulturgüter und sonstige Sachgüter sowie 4. die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Sachgütern“.
Vor diesem Hintergrund ist der h. M. nach mit dem Begriff „Umweltschutz“ insbesondere der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen von Beeinträchtigungen durch menschliche Aktivitäten gemeint. Der Begriff umfasst im Einzelnen ebenso den Schutz von Menschen vor Gefahren, Nachteilen und Belästigungen, die sich aus einer Veränderung dieser Lebensgrundlagen ergeben. Eingeschlossen im Begriff des „Umweltschutzes“ sollte weiterhin der Schutz von Kulturgütern und sonstigen Sachgütern sein. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die UVPRL in Art. 3 Abs. 1 UVP-RL (s. auch § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UVPG) diese als Bereiche, auf die sich die UVP beziehen muss, erwähnt.212 Im Allgemeinen wird unter dem hier relevanten Begriff „Umweltschutz“ die Gesamtheit aller Maßnahmen zum Schutz der Umwelt mit Ziel der Erhaltung einer natürlichen Lebengrundlage aller Lebenswesen mit einem funktionierenden Naturhaushalt verstanden.213 Weitere entscheidende Anhaltspunkte hinsichtlich des Umfangs der umweltschützenden Normen lassen sich auch der Bestimmung der Umweltbelange bei der Aufstellung der Bauleitpläne in § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB entnehmen.214
209
Ebd. Mehr dazu s. u. in 3. Teil, 1. Kap., A., IV. 211 OVG Koblenz, Beschl. v. 31.01.2013 – 1 B 11201/12.OVG, NuR 2013, S. 281 ff. 212 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 89 ff., Rn. 33 ff. 213 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 12, m.w. N. 214 Danach sind folgende Konstellationen als Umweltbelange aufgezählt: die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und das Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt, die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura-2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes, umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt, umweltbezogene Auswirkungen auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter, die Vermeidung von Emissionen sowie der sachgerechte Umgang mit Abfällen und Abwässern, die Nutzung erneuerbarer Energien sowie die sparsame und effiziente Nutzung von Energie, die Darstellungen von Landschaftsplänen sowie von 210
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Im Hinblick darauf sind im Prinzip rügefähig Verletzungen von Vorschriften, die zumindest auch die Förderung und Verbesserung des Umweltschutzes im oben genannten Sinne bezwecken. Für die Rechtsgebiete bzw. die Vorgaben insbesondere des Immissions-, Wasser-, Klima- oder Natur- und Landschaftsschutzrechts mag beispielsweise dies leicht zu bejahen sein. Offensichtlich dienen Vorschriften des Naturschutzrechts (Bundes- und Landesnaturschutzgesetze), des Waldrechts (BWaldG und Landesforstgesetze), des Wasserrechts (WHG und Landeswassergesetze)215, des Immissionsschutzrechts (BImSchG, LImSchG, BImSchV, TA Lärm, TA Luft) sowie des Klimaschutzrechts (TEHG, ZuG, ZuV) dem Umweltschutz.216 Unklarheiten herrschen aber im Prinzip in Grenzbereichen, die mittelbar den Umweltschutz betreffen, etwa beim Raumordnungs-, Energie- und Baurecht.217 Im Prinzip aber sind all diese Rechtsgebiete in höchstem Maße umweltrelevant.218 Außerdem muss berücksichtigt werden, dass zu den Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen, auch Verfahrensnormen gehören, soweit sie die fehlerfreie Ermittlung und vor allem Abwägung der umweltbezogenen materiellen Belange gewährleisten sollen (etwa Vorgaben des UVPG).219 Dafür spricht vor allem der Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 AK, Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL. Daraus ergibt sich, dass Betroffene und Umweltschutzvereinigungen das Recht haben sollen, ebenfalls die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit behördlicher Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen gerichtlich kontrollieren zu lassen.220 Zu beachten ist, dass die Klagebefugnis schon im Rahmen des UmwRG a. F. (2006) nicht voraussetzt, dass die Rechtsvorschrift, deren Verletzung behauptet wird, ausschließlich dem Umweltschutz dient. Es genügt somit, wenn sie zuminsonstigen Plänen, insbesondere des Wasser-, Abfall- und Immissionsschutzrechts, die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden, die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belangen des Umweltschutzes; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 12. 215 Vgl. beispielsweise ausführlich insbesondere zum Hochwasserschutz: OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.01.2011 – 1 MN 178/10, ZfBR 2011, S. 157 ff. 216 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 16, m.w. N. 217 Beispielsweise sollte das Planungserfordernis für ein geplantes Kohlekraftwerk Datteln zu den umweltrechtlichen Vorschriften zählen. Danach fallen hierunter alle Grundsätze zum Planungserfordernis, die zumindest auch dem Umweltschutz dienen. s. OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, Rn. bb), ZUR 2012, S. 682. 218 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 325; in diese Richtung auch B. Müller, JEL 2011, S. 512. 219 Vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, Rn. 21, NVwZ 2012, S. 575 ff. 220 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 92 ff., Rn. 42 ff., m.w. N.; zur Problematik der gerichtlichen Kontrolle von Verfahrensfehlern in Umweltangelegenheiten s. in 1. Teil, 1. Kap., F. ff.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 351
dest auch dem Umweltschutz zu dienen bestimmt ist.221 Im Hinblick darauf ist von Bedeutung, dass der amtlichen Begründung des UmwRG nach222 zu den umweltschützenden Rechtsvorschriften auch solche Rechtsvorschriften zählen, „die nicht ausschließlich dem Umweltschutz dienen, sondern beispielsweise sowohl dem Umweltschutz als auch dem Arbeitsschutz dienen“. D. h., dass, auch wenn Arbeitsrechtsvorschriften ausdrücklich mitumfasst sind, sich die gerichtliche Kontrolle in derartigen Fällen auf den umweltbezogenen Teil beschränkt.223 Dieses weite Verständnis ist sowohl unionsrechtlich als auch aus Gründen der Praktikabilität geboten.224 Im Hinblick darauf können auch Regelungen der Störfallverordnung oder der Gefahrstoffverordnung zu den Vorschriften gehören, die parallel mit dem Umweltschutz auch anderen Zwecken dienen. Denn sie sollen einerseits die Sicherheit der Beschäftigten eines Betriebes gegen unmittelbare Beeinträchtigungen durch die Technik gewährleisten. Andererseits aber sollen sie zugleich die natürliche Umwelt vor umweltbeeinträchtigenden Störfallen schützen. Hierbei muss jeweils im Einzelnen geprüft werden, ob die aus Sicht des Klägers verletzte Norm einen solchen Bezug aufweist.225 Vor diesem Hintergrund ist von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG gleichzeitig auch das planungsrechtliche Abwägungsgebot (vgl. beispielsweise § 17 S. 2 FStrG) erfasst, soweit eine fehlerhafte Bewertung und Gewichtung von Belangen des Umweltschutzes gerügt ist und dadurch Umweltschutzbelange betroffen sind.226 So z. B. kann eine Umweltschutzvereinigung auch geltend machen, dass das drittschützende planungsrechtliche Abwägungsgebot wegen unzureichender Berücksichtigung von Belangen des Umweltschutzes verletzt sei.227 Die Rüge einer Umweltschutzvereinigung in Bezug auf Normen mit mehrfacher Zielsetzung könne insoweit nur Erfolg haben, als die fehlerhafte Anwendung gerade den umweltschutzbezogenen Gehalt der Norm betreffe. Dies führt aber insbesondere bei Abwägungsentscheidungen zu einer erheblichen inhaltli221
Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 12; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 262. BT-Drs. 16/2495, S. 12. 223 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1532. 224 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 12; OVG Koblenz, Urt. v. 08.07.2009 – 8 C 10 399/08, Rn. 115, DVBl 2009, S. 1394 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 262. 225 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 90 ff., Rn. 38 ff. 226 Vgl. u. a. insb. zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage: BVerwG, Urt. v. 19.05. 1998 – 4 A 9/97, NVwZ 1998, S. 961 ff.; BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, NuR 2013, S. 640 ff.; vgl. zur Fachplanung: OVG Koblenz, Urt. v. 08.07.2009 – 8 C 10 399/08, Rn. 115, DVBl 2009, S. 1394 ff.; zur Bauleitplanung: OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NuR 2009, S. 498, Rn. 45; S. Schlacke, NuR 2007, S. 11; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 262; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1532. 227 Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, Rn. 12, NuR 2013, S. 641; BVerwG, Urt. v. 19.03.2003 – 9 A 33/02, NVwZ 2003, S. 1120 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 262. 222
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
chen Reduzierung, denn das Gericht vermag in diesen Fällen nur nachzuprüfen, ob umweltschützende Belange ausreichend berücksichtigt wurden. Es kann somit die Abwägung nicht umfassend auf Fehler hin untersucht werden. Dies könnte allerdings nicht in Einklang mit Art. 11 UVP-RL sowie Art. 25 IE-RL stehen, da diese Vorschriften eine umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der jeweils betreffenden Entscheidungen verlangen.228 Auch eine Verletzung von umweltrechtlich neutralen Vorschriften könnte nur dann gerügt werden, wenn die betreffende Regelung in untrennbarem Zusammenhang mit umweltrechtlichen Anforderungen steht und deren Prüfung gleichsam betrifftinfiziert.229 Als solche Normen gelten etwa Vorschriften bezüglich der fachplanungsrechtlichen Planrechtfertigung wie § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB230 und § 1 Abs. 4 BauGB, soweit das Ziel der Raumordnung umweltschutzbezogen ist.231 Aufgrund des dargestellten Verständnisses des Begriffs „Umweltschutz“ ist bereits klar geworden, dass eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch Umweltschutzvereinigungen über die Zielvorstellungen der UVP-RL sowie der AK hinausginge.232 Demzufolge sollte nicht jegliche Vorschrift als umweltrelevant verstanden werden. So lassen sich Vorschriften, die dazu dienen, allein das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit zu schützen, schwer dem Begriff „Umweltschutz“ zuordnen. Auch Normen des technischen Sicherheitsrechts (etwa Vorgaben des Gerätsicherheitsgesetzes) zählen vermutlich nicht zu den Vorschriften, die im Rahmen des UmwRG dem Umweltschutz dienen.233 Dass sich die umweltschützende altruistische VK auf die Prüfung von Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, bezieht, bedeutet zusammengefasst, dass Rügen, die keinen direkten Bezug zu umweltrechtlichen Belangen aufweisen, nicht einer VK im Rahmen des UmwRG zum Erfolg verhelfen können.234 Gleiches gilt selbstverständlich auch für Rechtsvorschriften, die, obwohl sie dem Umweltschutz dienen, allerdings nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG fallen. Als Rechtsvorschriften sind zunächst Gesetze, Rechtsverordnungen und öffentlich-rechtliche Satzungen zu betrachten. Unter diese fallen der h. M. nach 228
T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 91 ff., Rn. 41. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 150 ff. 230 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07 T, NuR 2008, S. 788 ff.; W. Schrödter, LKV 2008, S. 396. 231 VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, Rn. 35, ZUR 2012, S. 438 ff.; ebenso für die naturschutzrechtliche Verbandsklage VGH Kassel, Urt. v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07 T, Rn. 63, NuR 2008, S. 788 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 15 ff., m.w. N. 232 OVG Koblenz, Beschl. v. 31.01.2013 – 1 B 11201/12.OVG, NuR 2013, S. 281 ff. 233 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 89 ff., Rn. 34 ff. 234 BVerwG, Urt. v. 24.10.2013 – 7 C 36.11, Rn. 23, NuR 2014, S. 199 ff.; BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, Rn. 18, NuR 2013, S. 640 ff. 229
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 353
auch Regelungen, die nicht förmlich als Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung i. S. d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO verabschiedet worden sind. Solche Normen sind z. B. normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sowie raumordnerische Ziele (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG), weil sie nicht allein verwaltungsintern, sondern auch „nach außen“ wirken.235 Demzufolge können solche Normen nicht durch die Erhebung einer umweltschützenden altruistischen VK gerichtlich kontrolliert werden. Dies führt unvermeidlich zu Umweltrechtsschutzdefiziten. Angesichts der Tatsache, dass für eine darüber hinausgehende vollumfängliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung bisher keine Rechtsgrundlage besteht,236 darf damit das gesetzlich umrissene „Klageprogramm“ von den Gerichten nicht hinsichtlich anderer öffentlicher Belange erweitert werden.237 2. Umweltschützende Rechtsvorschriften, die „für die Entscheidung von Bedeutung sein können“ Die weitere Voraussetzung der hier diskutierten Vorschrift, dass die hierbei klagefähigen Rechtsvorschriften auch „für die (jeweils umstrittene) Entscheidung von Bedeutung sein können“, soll verhindern, dass unerhebliche materiell- oder verfahrensrechtliche Rechtsverletzungen von einer Rügefähigkeit ausgeschlossen werden. Maßgebliches Kriterium hierfür wird sein, welche Auswirkungen ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift auf die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung hat. Berührt ein Verstoß die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht, dann wird diese Rechtsvorschrift kaum Bedeutung für die Entscheidung entfalten können.238 Beispielsweise sollen dadurch Aspekte von einer Überprüfung ausgenommen werden, die etwa bei der Vorprüfung über die UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens nach § 3c UVPG keine Berücksichtigung finden.239 Die Bewertung, ob eine Rechtsverletzung für die Entscheidung von Bedeutung ist, ist allerdings an sich eine Frage der Begründetheitsprüfung, die gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG in die Zulässigkeitskontrolle verlagert wird.240 So, wenn es z. B. um eine Abwägungsentscheidung geht, besitzt nicht jeder Fehler im Abwägungsvorgang zugleich Bedeutung für das Abwägungsergebnis. Ein solches Defizit muss nach den Umstän235
T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 86, Rn. 25 ff. Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 – 10 S 2102/09, NuR 2012, S. 204 ff. 237 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.05.1998 – 4 A 9/97, BVerwGE 107, 1 – Ls. 1. 238 Gerade bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften wird zu prüfen sein, ob dieser Verstoß auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung durchschlägt. Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 228; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 30 ff.; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 93 ff., Rn. 46 ff.; jeweils m.w. N. 239 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 12; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12. 240 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1534; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12. 236
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
den des Einzelfalls die abschließende Entscheidung beeinflusst haben können.241 Dies trägt im Ergebnis aber zu einer fragwürdigen weiteren Reduzierung des Inhalts der Abwägungsentscheidung bei, die eventuell zu Lasten von Umweltgütern erfolgen kann,242 vor allem, weil ein solches Ergebnis nicht anfechtbar wäre.
III. Völker- bzw. unionsrechtliche Bedenken gegen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG vom 21.01.2013 Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Eingrenzung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG, die, wie gezeigt wurde, zu einer weiteren und nicht ganz klaren Einschränkung der Rechtmäßigkeitskontrolle von umweltbelastenden Rechtsakten führt, werden rechtliche Bedenken bezüglich der völker- und unionsrechtlichen Konformität dieser Vorschrift geweckt. Angesichts der Tatsache, dass Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. (aber auch Art. 25 Abs. 1 IE-RL) mit der Bestimmung, dass es möglich sein muss, Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne dieser Vorgaben zum Gegenstand eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens zu machen, um ihre materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit anzufechten, in keiner Weise die Gründe beschränkt hat, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können,243 soll es den Mitgliedstaaten verwehrt sein, zusätzliche Kriterien einzuführen,244 die den Zugang von Rechtssubjekten zu einem Über241 So etwa im Fall einer planerischen Abwägung im Rahmen von Planfeststellungsentscheidungen kann hier ein Fehler nicht immer Konsequenzen für das Ergebnis haben. Defizite im Abwägungsvorgang sind grundsätzlich unerheblich, wenn sich im Einzelfall keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass die Behörde ohne den Fehler möglicherweise anders entschieden hätte. Soweit es um Mängel dieser Art geht, muss das Gericht ihre Bedeutung für die angefochtene Entscheidung mithin immer in einem besonderen Prüfschritt klären. Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 48, 145. 242 Hinzu kommt, dass die Rüge einer Umweltschutzvereinigung in Bezug auf Normen mit mehrfacher Zielsetzung nur Erfolg haben könne, als die fehlerhafte Anwendung gerade den umweltschutzbezogenen Gehalt der Norm betreffe. s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., II., 1. 243 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 37 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), Rn. 36, ZUR 2014, S. 36 ff. Dafür spricht auch die englische Sprachfassung des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK: „[. . .] have access to a review procedure before a court of law and/or another independent and impartial body established by law, to challenge the substantive and procedural legality of any decision, act or omission subject to the provisions of article 6 [. . .].“ In der englischen Sprachfassung findet sich somit die nicht in die deutsche Sprachfassung übertragene Weiterung „any“, so dass hier grundsätzlich „jegliche“ Maßnahme gemeint ist. Vgl. A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 171. 244 Etwa durch eine Beschränkung des Umfangs bzw. des Kreises der Argumente und letztlich der Maßnahmen, die der Kläger zur Anfechtung der jeweils umstrittenen Entscheidung vorbringen kann.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 355
prüfungsverfahren, erschweren würden.245 Dies widerspräche auch Art. 9 Abs. 2 AK, der auch der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten bezweckt.246 Eine solche Einschränkung scheint auch insbesondere die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG enthaltene Zulässigkeitsvoraussetzung „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ zu sein. Diese Bestimmung verstößt vermutlich gegen Art. 9 Abs. 2 AK sowie gegen Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. und Art. 25 Abs. 1 IE-RL, weil sie, wie schon gezeigt wurde, in der Praxis zu einer Reduzierung des Überprüfungsgegenstands der Rechtmäßigkeit von umweltbeeinträchtigenden Maßnahmen führt.247 Dazu trägt auch der nicht hinreichend deutliche Wortlaut dieser Bestimmung bei, der eher für Rechtsunsicherheit sorgt. Dieser Argumentation wurde grundsätzlich auch vom Aarhus Compliance Committee in einem Verfahren gegen Deutschland gefolgt. Das Committee hat in diesem Verfahren im Ergebnis festgehalten, dass die oben genannte Bestimmung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG gegen Art. 9 Abs. 2 AK verstoße.248 Im Gegensatz dazu vertritt die bisher h. M.,249 dass der übereinstimmende Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 AK sowie Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. und Art. 25 Abs. 1 IE-RL zwar eine gerichtliche Überprüfung der „materiellrechtlichen und verfahrensmäßigen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen“, ohne einen umweltrechtlichen Bezug vorauszusetzen, verlangt. Ein umweltrechtlicher Bezug ergibt
245 Zu beachten ist, dass zu einer Vorlage des belgischen Conseil d’État zur Auslegung des Art. 10a UVP-RL a. F. (jetzt Art. 11 Abs. 2 UVP-RL n. F.) an den EuGH, ob die Rechtsmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen hinsichtlich jeder materiell- oder verfahrensrechtliche Frage angefochten werden könne, GAin Sharpston Folgendes geantwortet hat: „Aus Art. 9 AK und 10a UVP-RL a. F. folgt, dass diese Vorschriften den Mitgliedstaaten auferlegen, Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, die in den Geltungsbereich dieser Instrument fallen, zu gewähren hinsichtlich aller materiell-rechtlichen Regelungen der Genehmigung von Projekten, die einer UVP unterworfen sind.“ GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 19.11.2011 in der Rs. C-128/09, Rn. 95, 97, juris. In diese Richtung s. auch EuGH, Urt. v. 11.10.2011, Rs. C-128/09, Rn. 53 ff. (Boxus u. a./Région wallonne), NVwZ 2011, S. 1506 ff.; s. auch J. Berkemann, EurUP 2014, S. 161 ff. 246 s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., IV., m.w. N. 247 In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 38 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./ Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. Der EuGH hat in diesem Fall unter anderem festgestellt, dass auf Verletzungen europäischen Umweltrechts gestützte VKen gegen bestimmte behördliche Entscheidungen grundsätzlich zur vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung stehen. s. u. 1. Teil, 4. Kap., A., II. ff. 248 ACCC/C/2008/31, Findings and recommendations vom 20.12.2013, Rn. 80 (Germany); in diese Richtung auch ACCC/C/2008/33, Findings and recommendations vom 24.09.2010, Rn. 125 (UK); A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 172, m.w. N. 249 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 75 ff., m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
sich aber aus der ausschließlich dem Umweltschutz dienenden Zielsetzung der AK sowie der ÖB-RL und der UVP-RL. In diesem Zusammenhang zählen laut Art. 1 Abs. 2 UVP RL und Art. 2 Nr. 15 IVU-RL Nichtregierungsorganisationen nur dann zur klagebefugten „betroffenen Öffentlichkeit“, wenn sie sich für den Umweltschutz einsetzen. Zudem ist Zweck der UVP-RL, durch die Ermittlung der Umweltauswirkungen von Projekten Umweltbelastungen von vornherein zu vermeiden. Daraus kann sich ergeben, dass das hier eingeräumte Klagerecht mittelbar der Verwirklichung des Umweltschutzes dienen soll. Eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch Umweltschutzvereinigungen ginge daher über die Zielvorstellungen der UVP-RL sowie über die der AK hinaus.250 Diese Argumentation scheint m. E. nicht hinreichend überzeugend zu sein. Dass die Zielsetzung der AK, der ÖB-RL sowie der UVP-RL sich auf den Umweltschutz bezieht, kann nicht von allein begründen, dass auch der Überprüfungsgegenstand der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne dieser Gesetzgebung entsprechend eingeschränkt werden soll. Denn es liegt nahe, dass den Zielvorstellungen der oben genannten Gesetze vielmehr durch eine weite – und jedenfalls nicht derart eingeschränkte – Rechtmäßigkeitskontrolle gedient werden kann. Denn eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne der oben genannten Vorgaben kann in der Praxis die Ziele dieser Richtlinien beeinträchtigen, unabhängig davon, ob sie Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, widersprechen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die bisher geltende Bestimmung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG als europarechtlich bedenklich und vermutlich als unnötig. Um die schon dargestellte Problematik zu beheben, wäre es empfehlenswert, diese Bestimmung wie folgend zu modifizieren: „1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen den Umweltschutz verletzt.“ Entsprechendes sollte auch für die fast wortgleiche Bestimmung der Begründetheit von Rechtsbehelfen im Rahmen von § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1. UmwRG gelten.251
IV. Auswirkungen von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG vom 21.01.2013 Abgesehen von den oben ausgeführten rechtlichen Bedenken bringt anscheinend die geänderte Fassung des oben dargestellten § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG bedeutsame Auswirkungen im Bereich des deutschen Umweltrechtsschutzes hervor, die hierunter zusammengefasst skizziert werden sollen.
250 251
Ebd. Mehr dazu s. u. in 1. Teil, 3. Kap., C., VIII., 1.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 357
1. Zur Frage der Anwendung des UmwRG auf unionsrechtliche und rein nationalrechtliche umweltbezogene Rechtsvorschriften Aufgrund der Offenheit des Normsatzes scheint, dass der Satz „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ sich nicht nur auf unionsrechtliche, umweltbezogene Rechtsvorschriften beschränkt. Es spricht viel dafür, dass der deutsche Gesetzgeber beabsichtigt, dass dieser Satz eher weit verstanden werden soll, so dass darunter nicht nur die nationalen Vorschriften des Umweltrechts, die die EU-Vorgaben im Bereich des Umweltrechts umsetzen, fallen, sondern auch umweltbezogene Normen, die der deutsche Gesetzgeber autonom erlassen hat.252 Die Begründung des Gesetzentwurfs weist insb. auf Art. 9 Abs. 2 AK hin, der weiter als Art. 11 UVP-RL n. F. (vormals Art. 10a UVP-RL a. F.) verstanden werden soll, da er nicht nur für Umweltbestimmungen gilt, die sich auf EU-Recht beruhen, sondern auch für sonstige Umweltvorschriften, die eine Vertragspartei betreffen.253 Darüber hinaus nimmt Art. 9 Abs. 2 AK keine Einschränkung hinsichtlich der Herkunft einer Rechtsvorschrift aus dem Unionsrecht oder aus dem innerstaatlichen Recht vor. Zu den Bestimmungen, deren Verletzung nach Art. 9 Abs. 2 AK von Umweltorganisationen gerügt werden kann, gehören somit nicht nur solche, die im EU-Recht wurzeln, sondern auch alle umweltrechtlichen Regelungen, die zum originären nationalen Regelungsbestand gehören.254 Eine Differenzierung danach, ob ein bestimmter Aspekt der Umwelt national oder unionsrechtlich geregelt ist, scheint nicht vereinbar mit der innenstaatlichen und unionsrechtlichen Zielvorgabe des Schutzes der gesamten Umwelt zu sein. Es muss berücksichtigt werden, dass sich Art. 191 und 192 AEUV (ex-Art. 174 und 175 EGV) auf die gesamte Umwelt beziehen und nicht nur auf den Gegenstand unionsrechtlicher Sekundärrechtssetzung.255 252 So: H.-P. Michler, NuR 2013, S. 23; M. Kment, UPR 2013, S. 44; jeweils m.w. N. Es ist zu beachten, dass sich der Entwurf zur Änderung des UmwRG (BT-Drs. 17/ 10957) nicht auf die Diskussion einlässt, ob aus dem sog. Trianel-Urt. des EuGH Konsequenzen nur für die Verletzung umweltrechtlicher Vorschriften mit unionsrechtlichem Bezug oder auch für die des nur nationalen Umweltrechts zu ziehen sind. Die Ausschüsse des Bundesrates hatten das noch bemängelt (BR-Drs. 469/1/12), in der Beschlussdrucksache (BR-Drs. 469/12) findet sich dazu nichts mehr. s. auch Referentenentwurf zur Änderung des UmwRG v. 30.05.2012, S. 5. 253 BT-Drs. 17/10957, S. 16, Referentenentwurf zur Änderung des UmwRG v. 30.05. 2012, S. 52; OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, bb), ZUR 2012, S. 682. In diese Richtung auch OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, ZUR 2012, S. 681 ff. Danach: „Art. 9 Abs. 2 UnterAbs. 1 und UnterAbs. 2 Sätze 2 und 3 AK räumen anerkannten Umweltverbänden das Recht ein, Rechtsverstöße gegen nicht drittschützende Normen unabhängig davon zu rügen, ob die verletzte Norm dem Unionsrecht oder dem innerstaatlichen Recht entstammt . . .“. 254 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, bb), ZUR 2012, S. 682; G.-A. Balensiefen, § 2 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 5; T. Bunge, ZUR 2014, S. 9 ff. 255 Vgl. u. a. F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531, m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Eine solche Einschränkung würde offenbar auch dem zentralen Ziel der AK widersprechen, „einen weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren“.256 Eine Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten des UmwRG nur auf einen europäischen Normenkreis würde daher den völkerrechtlichen Vorgaben der AK und insb. dem weit gefassten Art. 9 Abs. 3 AK widersprechen, die seit der Ratifizierung der AK 2007 auch in Deutschland verbindlich sind.257 Vor allem aus Art. 9 Abs. 3 AK ist abzuleiten, dass die klageberechtigte Öffentlichkeit in der Lage sein muss, jeden Verstoß gegen umweltrechtliche Vorschriften gerichtlich beklagen zu können und nicht nur solche Vorschriften, die aus dem Unionsrecht folgen.258 Auch angesichts des weit gefassten Wortlautes von Art. 11 UVP- RL n. F. bzw. von Art. 25 IE-RL spricht viel dafür, dass mit entsprechenden Klagen gerade nicht nur europarechtlich basierte Normen gerügt werden dürfen.259 Für ein derart weites Verständnis spricht weiterhin das Argument, dass die zu erwartenden Rechtsunsicherheiten, die sich aus dem sehr vagen Begriff der aus dem Unionsrecht hervorgegangenen Normen ergäben, ausgeräumt würden.260 Darüber hinaus wäre nicht ersichtlich, warum die EU-Kompetenz die allgemeinen und horizontalen Regelungsinstrumente der Öffentlichkeitsbeteiligung und des Umweltinformationszugangs gänzlich erfasst, der Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten jedoch nur in Bezug auf unionsrechtliches Umweltrecht in die EU-Kompetenz fallen sollte.261 Ein restriktiveres Verständnis erscheint somit sinnwidrig. Hinzu kommt, dass eine Unterscheidung danach, ob ein umstrittener umweltbezogener Fall unionsrechtlich oder (noch) rein national geregelt ist, angesichts der Verzahnung von unionsrechtlichem und nationalem Umweltrecht in der Praxis nur schwer realisiert werden könnte.262 Die durchaus abstrakt denkbare Differenzierung zwischen Normen mit europäischen und nationalen Wurzeln lässt sich in vielen Fällen kaum bewerkstelligen. Indem das europäische Umweltrecht häufig nur Zielpunkte oder abstrakte Umweltqualitäten (etwa Luft- oder Wasser-
256
Vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, bb), ZUR 2012, S. 682. Vgl. Referentenentwurf zur Änderung des UmwRG vom 14.12.2011, S. 47; B. Wegener, ZUR 2011, S. 366; M. Kment, UPR 2013, S. 44; jeweils m.w. N. 258 A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2013, S. 297 ff.; ausführlich zur Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK s. u. 1. Teil, 4. Kap., B., IV.–V. ff. 259 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531, m.w. N. zu: M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 9; P. Kment, NVwZ 2007, S. 278. 260 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531, m.w. N. 261 Vgl. ausführlich dazu I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff., m.w. N.; Allgemeines zur Umweltkompetenz der EG: C. Calliess, ZUR-Sonderheft 2003, S. 129 ff., m.w. N. 262 Ebd. 257
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 359
qualität) bestimmt und zu ihrer Erreichung Konzeptionspflichten aufstellt, lässt sich nicht selten schwer klären, welcher Anteil eines innerstaatlichen Regelungskomplexes unionsrechtlich unterfüttert ist.263 Dies ist schon aus der Tatsache heraus problematisch, dass die Staaten die Möglichkeit haben, auch über EU-rechtliche Anforderungen hinauszugehen. Dabei können sie bestimmte Anforderungen auf unterschiedliche Weise umsetzen, um Widersprüche innerhalb ihres Rechtssystems zu vermeiden.264 Parallel dazu muss auch betont werden, dass die Staaten durch die in den mindestens letzten zwei Jahrzehnten prägende Finalisierung der europäischen Umweltgesetzgebung intensiv beeinflusst wurden. Vor diesem Hintergrund sind häufig konkrete Regelungsaufträge immer stärker durch zielförmig ausgestaltete prozesshafte Regelungskonzepte verdrängt worden. In diesem Rahmen lassen sich daher diese beiden Vorschriftengruppen immer weniger voneinander unterscheiden.265 Dies könnte insbesondere in Hinblick auf das immissionsschutzrechtliche Vorsorgeprinzip schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen. So wäre z. B. fraglich, inwieweit einzelne Vorsorgewerte der TA-Luft eine Ausprägung unionsrechtlicher Vorsorgeanforderungen sind oder lediglich einen nationalstaatlichen Ursprung haben.266 Eine dahingehend erweiterte Interpretation der hier diskutierten Vorschrift wäre somit aus allen oben dargestellten Gründen begrüßenswert. Eine solche Entwicklung wird vor allem davon abhängen, welche Konsequenzen der deutsche Gesetzgeber aus der EuGH-Rechtsprechung zieht und wie er das Verbandsklagerecht zukünftig ausgestaltet. 263 Vgl. M. Kment, UPR 2013, S. 44; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 762; jeweils m.w. N. 264 T. Bunge, ZUR 2014, S. 9. 265 M. Kment, UPR 2013, S. 44; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 762. Es wird betont, dass rechtliche Anforderungen, die aus dem EU-Umweltrecht hervorgehen, häufig nicht hinreichend eindeutig sind, so dass sie von dem rein nationalen Recht nur schwer abgegrenzt werden können. So verpflichtet z. B. im Wasserrecht die Wasserrahmen-RL (2000/60/EG) die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu treffen unter anderem auch, um die Oberflächenwasserkörper so zu schützen, verbessern und zu sanieren, dass ein guter Gewässerzustand erreicht wird (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a ii RL 2000/60/EG). Angesichts der Tatsache, dass verschiedene nationale Normen dem gleichen Zweck dienen, ist schwer zu unterscheiden, ob solche Normen aus EU-Recht oder aus nationalem Recht hervorgehen. Ähnliches gilt auch für die RL 2010/75/EU über die Industrieemissionen, wenn Art. 11 dieser RL fordert, dass beim Anlagenbetrieb alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Verschmutzungen getroffen und die besten verfügbaren Techniken angewandt werden. In diesem Rahmen mag letztlich das gesamte deutsche Luftreinhalterecht als Umsetzung dieser Vorgabe verstanden werden. Es ist somit fraglich, ob selbst die Vorsorgegrenzwerte – die in ihrer Strenge über das europäische vereinheitlichte Maß hinausgehen – noch als autonom erlassen angesehen werden können. Vgl. auch F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 323 ff. 266 Vgl. M. Appel, NuR 2011, S. 415; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 762; T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 530 ff., m.w. N.
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2. Objektivrechtliche umweltbezogene Rechtsvorschriften und Vorsorgenormen zum ersten Mal einklagbar Was besonders wichtig bei der neuen dargestellten Regelung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG ist, ist die Tatsache, dass nunmehr auch objektive umweltbezogene Rechtsvorschriften von anerkannten Umweltschutzvereinigungen des UmwRG, die keine Rechte Einzelner begründen müssen, rügefähig sein können. Es handelt sich somit um eine wichtige Modifizierung der Schutznormtheorie, die zum unionsrechtlichen Zweck der Beseitigung der Umweltrechtsschutzdefizite zumindest im Bereich des Umweltrechtsschutzes eingeschränkt werden muss. Objektivrechtliche Anforderungen etwa der FFH-RL, der Wasserrahmen-RL sowie entsprechender Normen des Naturschutz- und Landschaftsrechts, aber auch von Vorsorgeregelungen können nunmehr erstmals von anerkannten Umweltschutzvereinigungen eingeklagt werden, soweit sie freilich unter den Anwendungsbereich des UmwRG fallen.267 Daraus folgt zudem, dass der schon dargestellte Unterschied zwischen Regelungen zur Gefahrenabwehr und solchen zur Vorsorge gegen Umweltbeeinträchtigungen268 keine Bedeutung zumindest im Bereich der umweltschützenden altruistischen VK im Rahmen des UmwRG mehr besitzt.269 Dies führt daher zu einer offeneren Neuinterpretation der Vorsorgenormen, die auch zu begrüßen ist. Diese Entwicklung bestätigte schließlich die frühe Auffassung von E. SchmidtAßmann, dass die AK zu einer Anerkennung des Drittschutzes im Hinblick auf Vorsorgegrenzwerte führen werde.270 Die so letztlich grundrechtlich unterfütterte Vorsorge müsste dann auch für Umweltschutzvereinigungen einklagbar sein, da wenig einsichtig wäre, warum eine solcherart in ihrer Relevanz konturierte Vorsorge weniger klagefähig sein sollte als die Regeln des EU-Naturschutzrechts. Dass der Umstand, dass die Vereinigungen als solche nicht Träger des Grundrechts auf Leben und Gesundheit sind, ändert hieran nichts. Denn angesichts der Tatsache, dass Umweltschutzvereinigungen als Sachwalter von Allgemeingütern, wie die Natur und die Umwelt, betrachtet werden und das auch sind,271 könnten sie somit auch unter bestimmten Bedingungen als Verteidiger des Grundrechts auf Leben und Gesundheit angese267 Vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 01.12.2011 – 8 D 58/08 AK, NuR 2012, S. 342 ff.; Anm. dazu W. Durner/M. Paus, NuR 2012, S. 325 ff. 268 Zu der Problematik des Drittschutzes der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin im deutschen Recht s. o. ausführlich in 1. Teil, 1. Kap., E., II., 1. Vgl. zum Vorsorgegrundsatz: VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 – 10 S 2102/09, Rn. 76, NuR 2012, S. 204 ff.; OVG Münster, Urt. v. 20.01.2012 – 2 D 141/09.NE, Rn. 33, BeckRS 2012, 47640. 269 Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 86, Rn. 24. 270 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: FS für K. Ipsen, 2000, S. 306 ff. 271 Vgl. J. Ziekow/T. Siegel, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, S. 12 ff.; R. Nebelsieck/J.-O. Schrotz, ZUR 2006, S. 122 ff.; G. Zwanzig,
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 361
hen werden. Dies gilt vor allem, soweit diese Grundrechte durch Beeinträchtigungen des nicht individualschützenden Umweltrechts verletzt werden könnten.272 Daneben darf – auch aus rechtspolitischer Sicht – letztlich nicht ignoriert werden, dass die bestehende Ungewissheit der neuen Technologien273 (z. B. im Bereich der Energie, der Gentechnik, der Medizin und der Materialwissenschaften) schon längst für eine Erweiterung des Rechtsschutzes auch im Bereich des Vorsorgebegriffs sprach.274 Dass Schäden an der Gesundheit auch bei einem an Vorsorgevorstellungen orientierten Umweltschutz auftreten, ist – nach aktuellen Angaben – statistisch schwer zu leugnen.275 Eine diesbezüglich nötige Abwägungsentscheidung könnte somit für eine Reihe von Menschen langfristig tödlich bzw. schädlich sein. In diesem Zusammenhang wäre das Zugestehen eines auch im Vorsorgebereich geltenden (und damit auch eine Klage- bzw. Rügebefugnis jedenfalls für Individuen schaffenden) Grundrechtsschutzes kaum mehr überzeugend abzulehnen, wenn doch eine Grundrechtsrelevanz – hier in Bezug auf den grundrechtlichen Schutz des Lebens bzw. der Gesundheit (gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) – eben auch im Vorsorgebereich gegeben wäre.276 Sobald neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik Gefahren aufzeigen, die bisher unbekannt oder nicht konkret bekannt oder falsch eingeschätzt worden waren, hat der Gesetzgeber die Rechtsschutzordnung dem neuen Erkenntnisstand anzupassen. Es wird sowieso angenommen, dass der Gesetzgeber im Bereich der Techniksteuerung zu einem sog. dynamischen Grundrechtsschutz verpflichtet ist.277 In diesem Rahmen sollte die Rechtsordnung die Eigenständigkeit der Risikobewertung unter Ungewissheitsbedingungen gegenüber der von der Erfahrung abgestützten Gefahrenabwehr beachten und in rechtlichen Anforderungen verarNuL 1986, S. 394 ff. Dies könnte auch schon aus den zitierten Formulierungen des Trianel-Urteils des EuGH v. 12.05.2011 explizit entnommen werden. 272 F. Ekardt, NVwZ 2012, 534 ff., m.w. N. 273 Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 50 ff.; R. Ravetz, Die Krise der Wissenschaft: Probleme der industrialisierten Forschung, 1973, S. 35 ff., S. 338; J. Mittelstraß, in: H.-P. Dürr (Hrsg.), Wirklichkeit, Wahrheit, Werte und die Wissenschaft, 2003, S. 105 ff.; K.-H. Ladeur, NVwZ 1992, S. 949 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 11 ff.; K. Buchner/M. Schwab, ZUR 2013, S. 212 ff. 274 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 534; H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2010, S. 252 ff. 275 So z. B. ist schon wissenschaftlich bestätigt, dass übermäßige Schadstoffbelastungen durch Feinstaub-PM zu einer statistisch höheren Mortalitätsrate führen. Dies geschieht auch dann, wenn sie nicht in absehbarer Zeit eine konkret vorab feststehende Einzelperson, wie es der Gefahrenbegriff erfordern würde, umbringen. Die EU-Kommission schätzt, dass es mehr als 300.000 Feinstaubtote pro Jahr gibt. Vgl. S. Medina/ A. Le Tertre/M. Saklad, Air Quality, Atmosphere, E. Dikaios, NkF, Jan. 2009 (auf griechisch); jeweils m.w. N. 276 F. Ekardt, NVwZ 2012, 534. 277 BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77E, NJW 1979, S. 359 ff.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
beiten.278 In diese positive Richtung bewegt sich auch die aktuelle Rügefähigkeit der umweltschützenden Vorsorgenormen durch die umweltschützende altruistische Verbandsklage der neuen Fassung des UmwRG.
V. Berührung einer Umweltschutzvereinigung im satzungsgemäßen Aufgabenbereich (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG vom 21.01.2013) Als weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der umweltschützenden altruistischen VK bestimmt § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG, dass eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltschutzvereinigung geltend machen muss, dass sie durch die zu kontrollierende Entscheidung oder die Unterlassung ebendieser in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt wird.279 Damit wird der Kreis der klageberechtigten Umweltschutzvereinigungen weiter beschränkt, denn nicht sämtliche anerkannte Umweltschutzvereinigungen könnten in jedem Fall einen satzungsmäßigen und tatsächlichen Bezug zu dem jeweiligen Prüfungsgegenstand aufweisen.280 Auch dadurch wird vom nationalen Gesetzgeber deutlich gemacht, dass die Umweltschutzvereinigungen die Aufgabe von „Anwälten der Umwelt“ wahrnehmen.281 Der h. M. nach ist eine relativ allgemeine Umschreibung der verfolgten Satzungszwecke (z. B. „Schutz und Pflege der Umwelt“) der Umweltschutzvereinigung ausreichend für die Zulässigkeit einer solchen VK. Eine spezifische Festlegung ihrer Satzungszwecke sollte nicht erforderlich sein.282 278 Vgl. R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 12 ff.; X. Contiades, ZÖR 2005, S. 27 ff.; K.-H. Ladeur, NVwZ 1992, S. 949 ff. Diese neue Entwicklung steht auch im Einklang mit den Vorschriften der EU-Grundrechtecharta. Denn auch dort sprechen starke Argumente gegen eine Nachrangigkeit der vorsorgerelevanten Schutzgrundrechte gegenüber den Abwehrrechten. So nennen Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 1 S. 2 GRCh bei der Menschenwürde Achtung und Schutz als gleichrangig. Darüber hinaus ist die Würde nach Art. 1 Abs. 2 GG („darum“) die Grundlage aller Menschenrechte, welche folglich ihrerseits die Struktur der Würde teilen müssen – und damit Achtung und Schutz gleichstellen. Vgl. dazu ausführlich: F. Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit: rechtliche, ethische und politische Zugänge – am Beispiel von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Welthandel, 2011, §§ 4, 5. s. auch Gedanken zur Modifizierung der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin in 1. Teil, 1. Kap., E., II., 4. 279 Vgl. VG Kassel, Beschl. v. 02.08.2012 – 4 L 81/12.KS, juris, Rn. 91; a. A. VG Kassel, Beschl. v. 24.06.2008 – 7 G 1527/07. s. dazu auch T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 96 ff., Rn. 56; W. Schröder, LKV 2008, S. 395; jeweils m.w. N.; a. A. VG Kassel, Beschl. v. 24.06.2008 – 7 G 1527/07, juris. 280 M. Karge, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts, 2010, S. 122; M. Kment, § 2 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 10; jeweils m.w. N. 281 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 108. 282 Vgl. VG Kassel, Beschl. v. 02.08.2012 – 4 L 81/12.KS, juris, Rn. 91; a. A. VG Kassel, Beschl. v. 24.06.2008 – 7 G 1527/07. s. dazu auch T. Bunge, § 2 UmwRG,
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Die gegensätzliche Auffassung – nach welcher ein allgemein umschriebener Satzungszweck nicht dafür ausreichend ist, da es anderenfalls im Ermessen der Umweltschutzvereinigungen stände, durch eine möglichst weite Formulierung des Satzungszweckes sich umfassende Rechtsschutzmöglichkeiten zu sichern283 – überzeugt nicht ganz. Denn dies könnte nicht ein mögliches Umgehen der Zulässigkeitsanforderungen von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG durch eine Umweltschutzvereinigung ausreichend begründen. Wollte eine Umweltschutzvereinigung sie somit in der Praxis umgehen, dürfte die Forderung nach konkreten Satzungszwecken dazu verleiten, die jeweiligen Schutzgüter des Umweltrechts in der Satzung einzeln nebeneinander zu stellen und umfassend aufzuführen.284 Außerdem ergäben sich auch Interpretationsprobleme in Bezug auf die Konkretisierung oder Nichtkonkretisierung der Satzungszwecke. Als berührt kann eine anerkannte klagefähige Umweltschutzvereinigung dann gelten, wenn die jeweils umstrittene materiell- oder verfahrensrechtliche Entscheidung den in ihrer Satzung festgelegten Zielen zuwiderläuft oder diese es ihr erschwert, diese Ziele zu verfolgen.285 Zwischen der Rechtsverletzung und den Zielen der klagenden Vereinigung muss somit ein konkreter Bezug bestehen. Damit hängt es von der Satzung ab, in welchen Angelegenheiten die Vereinigung eine Klage erheben kann. Je weiter die Vereinigungsaufgaben gefasst sind, desto größer ist der Gegenstandsbereich, in dem eine Behördenentscheidung Bedeutung für ihre Tätigkeit hat.286 Dies bedeutet aber in der Praxis, dass die Klagebefugnis der Vereinigung im Rahmen des UmwRG inhaltlich nicht weiter reichen kann als die jeweilige Anerkennung.287 Erweitert die Vereinigung den satzungsgemäßen Aufgabenbereich später, so muss sie die Satzung erst entsprechend ändern und sich im Hinblick auf die zusätzlichen Aufgaben ebenfalls anerkennen lassen.288 Der Begriff „satzungsgemäßer Aufgabenbereich“ hat auch eine räumliche Bedeutung. Insofern steht einer Umweltschutzvereinigung, die nach ihrer Satzung ausschließlich in einem Bundesland tätig ist, kein Rechtsbehelf zur Verfügung, wenn die Entscheidung der Behörde in einem anderen Bundesland erwirkt wird und sich nicht auf die Umwelt im Land ihrer räumlichen Tätigkeit auswirkt.289 UmwRG-Komm., 2013, S. 96 ff., Rn. 56; W. Schröder, LKV 2008, S. 395; jeweils m.w. N.; a. A. VG Kassel, Beschl. v. 24.06.2008 – 7 G 1527/07, juris. 283 VG Kassel, Beschl. v. 24.06.2008 – 7 G 1527/07, juris. 284 M. Kment, § 2 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 1. 285 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 97, Rn. 57. 286 W. Schröder, LKV 2008, S. 395; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 95 ff., Rn. 51 ff.; a. A. VG Kassel, Beschl. v. 24.06.2008 – 7 G 1527/07, juris. 287 OVG Bremen, Urt. v. 04.06.2009 – 1 A 9/09, Rn. 79, ZUR 2010, S. 151 ff. 288 Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 85 ff., Rn. 22, m.w. N. 289 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 95, Rn. 53.
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Beschränkt z. B. die Vereinigung ihre Aktivitäten in der Satzung auf ein bestimmtes geografisches Gebiet, betrifft sie ein Luftreinhalteplan für ein gänzlich anderes, weit entferntes Areal nicht.290 Vor diesem Hintergrund kann eine Umweltschutzvereinigung, die nach ihrer Satzung allein den Vogelschutz oder den Schutz bestimmter gefährdeter Landpflanzen bezweckt, kein umfassendes Klagerecht auch im Hinblick auf umweltschützende Maßnahmen (etwa Maßnahmen für die Erhaltung der Luft- und Wasserqualität), die mittelbar die Lebensbedingungen von Vögeln fördern können, für sich beanspruchen. Erforderlich für die Zulässigkeit einer VK in einem solchen Fall sei vielmehr, dass sich das umstrittene Projekt in irgendeiner Weise spezifisch auf Vögel oder deren Lebensraum auswirkt.291 Deswegen muss die klagende Vereinigung immer eindeutig klar machen, welcher Zusammenhang zwischen der behördlichen Entscheidung und ihren in der Satzung beschriebenen Aufgaben besteht. Auch die behördliche Zulassung eines Stromkabels zwischen Offshore-Windenergieanlagen und der Küste wirke sich nicht auf ihr Tätigkeitsfeld aus.292 Die oben dargestellte einschränkende Voraussetzung kann beispielsweise auch dazu führen, dass einer Vereinigung mit einem ausschließlich auf den Naturschutz ausgerichteten Satzungszweck die Klagebefugnis gegen die Genehmigung einer Industrieanlage abgesprochen wird, sofern sich die erhobenen Einwände lediglich auf den Immissionsschutz beschränken.293 In Wirklichkeit ist jedoch zweifelhaft, ob der Naturschutz sinnvoll vom Immissionsschutz abgegrenzt werden kann, da nach § 1 Abs. 1 BImSchG auch der Schutz von Tieren und Pflanzen zu den Zwecken des Immissionsschutzrechts gehört. Die geforderte Darlegung kann also schwierige Auslegungsprobleme aufwerfen, die sich auch schon bei den für die naturschutzrechtliche VK geltenden Regelungen stellen und die für die Gerichte einen Anknüpfungspunkt bilden, um die Rügebefugnis zu Lasten der Vereinigungen einzuschränken.294 Die relevanten völkerrechtlichen und EU-Vorschriften enthalten eine entsprechende Einschränkung nicht. Trotzdem wird zu Recht – der h. M. nach – die Grenze des durch Art. 11 UVP-RL i.V. m. Art. 25 IE-RL eröffneten mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums nicht überschritten.295 Es muss berücksichtigt wer290
T. Bunge, ZUR 2014, S. 7. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 97, Rn. 59. 292 T. Bunge, ZUR 2014, S. 7. 293 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 11; dies., Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 301; H. Weidemann, VR 2008, S. 229. 294 Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/ 35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), 2006, S. 19 ff. 295 A.A. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/ 35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von 291
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den, dass diese Vorschriften den einzelnen Staaten Anforderungen zu formulieren erlauben, denen eine Nichtregierungsorganisation (NRO) entsprechen muss, damit sie als „betroffen“ gilt.296 Insofern scheint die Regelung von § 2 Abs. 1 UmwRG vereinbar mit diesen Vorgaben zu sein.297 Zu beachten ist auch, dass das Klagerecht nicht allein inländischen, sondern auch ausländischen Vereinigungen zusteht. Eine enge Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Rechtsbehelfsbefugnis allein anerkannten Vereinigungen zusteht, lässt lediglich § 2 Abs. 2 UmwRG zu. Danach kann eine gem. § 3 UmwRG (noch) nicht anerkannte Umweltschutzvereinigung einen Rechtsbehelf dann einlegen, a] wenn sie bei der Erhebung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UmwRG); b] wenn sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwRG) und c] wenn über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Umweltschutzvereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UmwRG).298 Bei einer (noch) nicht anerkannten ausländischen Umweltschutzvereinigung gelten die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UmwRG als erfüllt. Mit der Bestandskraft allerdings einer die Anerkennung versagenden Entscheidung wird der Rechtsbehelf unzulässig (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UmwRG).299
VI. Die Präklusionsvorschriften des UmwRG vom 21.01.2013 1. Die Beteiligungspflicht einer Vereinigung am Verwaltungsverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung Die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs im Rahmen des UmwRG setzt noch Folgendes voraus: Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG vom 21.01.2013 ist die anerkannte Umweltschutzvereinigung berechtigt, sich am Verwaltungsverfahren nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG zu beteiligen300, soweit sie sich in der Sache geäußert hat Umweltverbänden (Rechtsgutachten), 2006, S. 19 ff. Danach entspricht diese Voraussetzung nicht der Zielsetzung von den vormaligen Art. 10a UVP-RL sowie 16 IVU-RL (nunmehr Art. 11 UVP-RL, Art. 25 IE-RL), weil eine Vereinigung bereits für ihre Anerkennung darlegen müsse, dass sie nach ihrer Satzung vorwiegend Umweltziele fördere. Daher stelle eine erneute Überprüfung hinsichtlich einer konkret erhobenen Klage eine nicht mit dem Zweck des EU-Rechts zu vereinbarende Doppelprüfung dar. Dies ist aber nicht anzunehmen, weil es sich bei § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG nicht um eine Doppelprüfung handelt. Sie setzt einfach voraus, dass die angegriffene Entscheidung den Verein in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt. Vgl. dazu S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 301. 296 Vgl. Art. 2 Nr. 5 AK sowie Art. 2 Buchst. e UVP-RL und Art. 3 Nr. 17 IE-RL. 297 So auch T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 84, Rn. 20. 298 Vgl. VG Münster, Urt. v. 18.03.2011, 10 K 2540/09, Rn. 22, juris. 299 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 84, Rn. 20. 300 Zu den Regelungen, die das Recht der Vereinigungen auf Mitwirkung am behördlichen Verfahren bestimmen, vgl. ausführlich: T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm.,
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
oder entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung hatte.301 Bei dem hier relevanten Mitwirkungsrecht der Umweltvereinigungen handelt es sich i. d. R. um eine Anhörung im Rahmen einer für die Zulassung des jeweiligen Vorhabens erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung. Diese Regelung knüpft im Prinzip an das jeweils einschlägige VwVfG sowie das jeweilige Fachrecht bezüglich der Einhaltung einer Äußerungsfrist an.302 Sie bestimmt demzufolge, dass die festgesetzten Bestimmungen von der jeweils klagenden Umweltschutzvereinigung eingehalten werden müssen, damit sie einen Rechtsbehelf nach dem UmwRG erheben kann.303 Sieht beispielsweise das Fachrecht eine bestimmte Form oder eine Anhörungsfrist für die Stellungnahme der anerkannten Umweltschutzvereinigung vor, muss diese eingehalten werden. Versäumt die anerkannte Umweltschutzvereinigung diese gesetzliche Frist, ist der Rechtsbehelf mangels Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis bereits unzulässig.304 Sowohl das Planfeststellungsrecht als auch das Anlagenzulassungsrecht kennen Fristen, innerhalb derer die Umweltschutzvereinigungen ähnlich dem privaten Bürger ihre Einwendungen der Zulassungsbehörde zur Kenntnis geben müssen (vgl. etwa § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG, § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG). In der Regel beträgt die Einwendungsfrist zwei Wochen nach Ablauf der Auslegung der Antragsunterlagen. So kann sich beispielsweise bei den Zulassungs- oder ähnlichen Verfahren ein Einzelner i. d. R. innerhalb eines Monats, d. h. während der gesetz2013, S. 98 ff., Rn. 63 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 39 ff.; jeweils m.w. N. 301 Vgl. u. a. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 98 ff., Rn. 60 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 36 ff.; jeweils m.w. N. Es ist aber anzumerken, dass eine Vorschrift nicht bereits dann drittschützenden Charakter hat, wenn sie ausdrücklich Verfahrensrechte zur Beteiligung Dritter vorsieht. Dem Urteil des VG Bremen (Urt. v. 29.11. 2007 – 5 K 565/07, ZUR 2008, S. 368 ff.) entsprechend lässt sich der subjektiv-rechtliche Charakter einer verletzten Norm nicht bereits daraus ableiten, dass der Kläger an dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren bzw. Widerspruchsverfahren beteiligt war. Genauso wenig spielt es eine Rolle, ob der angefochtene Verwaltungsakt ihm gegenüber als auch ihn betreffend bekannt gegeben wurde (BVerwG, Urt. v. 04.03.1983 – 4 C 74/80 (Kassel), NVwZ 1983, S. 672; BVerwG, Urt. v. 17.12.1986 – 7 C 29/85, NJW 1987, S. 1154; BVerwG, Urt. v. 29.04.1993 – 7 A 2/92, NVwZ 1993, S. 890 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 28.10.1986 – 12 B 98/86, NVwZ 1987, S. 239; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2007, Rn. 72). Eine solche Beteiligung an vorausgegangenen Verwaltungsverfahren ist somit kein Erfordernis für die Bejahung eines drittschützenden Charakters [vgl. T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK-VwGO, 2009, Rn. 163]. 302 Detailliert zu den Äußerungsfristen vgl.: T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRGKomm., 2013, S. 102 ff., Rn. 74 ff., m.w. N. 303 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 12; so auch VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/ 08, Rn. 105, NuR 2010, S. 428, Rn. 105; W. Ewer, NJW 2007, S. 3175. 304 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 42, m.w. N.
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lichen Dauer der Auslegung der Unterlagen über das umstrittene Vorhaben, die regelmäßig zwei Wochen dauert, und der darauf folgenden zwei Wochen zu Wort melden.305 Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V. m. § 2 Abs. 3 UmwRG – genauso wie nach § 64 Abs. 2 HS 2 i.V. m. § 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG – besteht ein Ausschluss der gerichtlichen Nachprüfung für Einwendungen, die die Vereinigung bereits im Verwaltungsverfahren hätte geltend machen können, aber nicht rechtzeitig geltend gemacht hat. Hier zeigt sich eine Parallele zu dem neuen § 47 Abs. 1a VwGO, der eine ähnliche Regelung nunmehr für die Normenkontrolle gegen Bebauungspläne vorsieht.306 Die unter § 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 UmwRG genannten Anforderungen sind mit den Voraussetzungen für eine naturschutzrechtliche VK gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2, 3 BNatSchG vergleichbar.307 § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG vom 21.01.2013 steht im engen Zusammenhang zu der Präklusionsvorschrift des § 2 Abs. 3 UmwRG. Die Anwendungsbereiche dieser Regelungen sind allerdings nicht ganz gleich. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG legt eher eine allgemeine und niedrigere Schranke hinsichtlich der Beteiligung der Vereinigung an Verwaltungsverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Umweltverbandsklage in Vergleich zu § 2 Abs. 3 UmwRG fest. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG muss sich die Umweltschutzvereinigung lediglich „in der Sache“ geäußert haben. Dadurch sollte allein die aktive Beteiligung der Umweltschutzvereinigungen im Verwaltungsverfahren gewährleistet werden.308 Auf der anderen Seite verlangt § 2 Abs. 3 UmwRG eine detaillierte gerichtliche Prüfung der Stellungnahme, die die Umweltschutzvereinigung im Verwaltungsverfahren geäußert hat, da diese Stellungnahme eine wichtige Rolle für die Entscheidung spielen sollte.309 Beide Regelungen setzen allerdings noch weitere Einschränkungen für den Klagebefugnisrahmen der altruistischen umweltschützenden VK. Hinsichtlich der Äußerung der Umweltschutzvereinigung im Verfahren gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG genügt auch eine allgemein formulierte Wortmeldung, die sich inhaltlich auf das jeweilige behördliche Verfahren und die von der Be305 Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 102, Rn. 76; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRGKomm., 2013, Rn. 57; jeweils m.w. N. 306 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1534 ff.; J. Spinner, NuR 2011, S. 335 ff.; A. Lukas, Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 165, März/April 2011, S. 16 ff.; ders., Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 166, Mai/Juni 2011, S. 26 ff. 307 Mehr dazu s. o. in 1. Teil, 1. Kap., D., IV., 4. 308 Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 98, Rn. 61; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRGKomm., 2013, Rn. 36. 309 Ebd.
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hörde zu beachtenden umweltrechtlichen Belange bezieht. Dadurch muss die Umweltschutzvereinigung spezifizieren, worin sie den Fehler der Behörde bei der Anwendung der umweltschützenden Vorschrift sieht. Die Vereinigung muss sich bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens zur Sache geäußert haben.310 Die Frage aber, ob die Stellungnahme der Vereinigung ausreichend detailliert ist, um die Behörde zu einer genaueren Prüfung der jeweils betroffenen Umweltbelange oder zu bestimmten Verfahrenshandlungen (etwa die Einschaltung eines Sachverständigen) zu veranlassen, stellt sich erst bei der Präklusionsvorschrift des § 2 Abs. 3 UmwRG.311, die im Folgenden erörtert werden soll. 2. Voraussetzungen für den Ausschluss von Einwendungen der Umweltschutzvereinigungen bei umweltbezogenen Verfahren Bei § 2 Abs. 3 UmwRG vom 21.01.2013 handelt es sich um eine eigenständige materielle Präklusionsregelung. Aufgrund dieser Norm ist die Umweltschutzvereinigung im Rechtsbehelfsverfahren grundsätzlich von allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im behördlichen Verfahren nach § 1 Abs. 1 S. 1. UmwRG nicht vorgebracht hat oder nicht rechtzeitig vorgebracht hat.312 Offensichtlich ist diese Vorschrift dem § 61 Abs. 3 BNatSchG a. F. (2002) nachgebildet.313 Da aber das Gesetz zur Neuregelung des BNatSchG vom 29.07.2009314 die entsprechende Systematik geändert hat, gilt nunmehr für die naturschutzrechtliche VK die hier diskutierte Vorgabe des § 2 Abs. 3 UmwRG.315 Damit sollen die Umweltschutzvereinigungen motiviert werden, bereits im Verwaltungsverfahren ihren Sachverstand einzubringen, so dass die jeweils zu-
310
Zu diesbezüglichen Äußerungsfristen s. ausführlich T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 102 ff., Rn. 74 ff., m.w. N. 311 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 100, Rn. 68 ff. 312 Es ist zu beachten, dass diese Regelung weitergehende Anforderungen als die allgemeine Vorschrift des § 47 Abs. 2a S. 1 VwGO statuiert. Danach genügt es für die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags, wenn der Kläger im Bebauungsplanverfahren (gem. § 3 Abs. 3 BauGB) überhaupt Anwendungen vorgebracht hat und im anschließenden gerichtlichen Verfahren zumindest eine von ihnen geltend macht. § 47 Abs. 2a S. 1 VwGO lässt dem Kläger somit die Möglichkeit, im Normenkontrollverfahren auch Einwendungen zu erheben, die er zuvor nicht geäußert hat. Das ergibt sich aus der bewusst gewählten Formulierung „Der Antrag . . . ist unzulässig, wenn die . . . Person . . . nur Einwendungen geltend macht, die . . . sie im [Bauleitplanverfahren] nicht oder verspätet geltend gemacht hat, . . .“. Es heißt also nicht „soweit die . . . Person . . . Einwendungen geltend macht.“. § 2 Abs. 3 UmwRG schließt auch im Bebauungsverfahren alle Einwendungen aus, die die Vereinigung nicht schon in diesem Verfahren erhoben hat. Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 109, Rn. 99; W. Schrödter, LKV 2008, S. 395. 313 BT-Drs. 16/2495, S. 12. 314 BGBl. I, S. 2542. 315 Vgl. u. a. J. Berkemann, EurUP 2014, S. 155.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 369
ständige Behörde in der Lage ist, rechtzeitig umweltbezogenen Bedenken nachzugehen.316 Im Prinzip bieten die Präklusionsvorschriften den Verwaltungsbehörden einen frühzeitigen Überblick über die einzelnen Ansprüche und Argumente, wodurch auch im Laufe der Zeit auftretenden Beweisschwierigkeiten vorgebeugt werden soll.317 Sie sollen die Umweltschutzvereinigungen dazu anhalten, ihre Sachkunde bereits während des Verwaltungsverfahrens in dasselbige einzubringen, damit bei Entscheidungen über Infrastrukturvorhaben oder industrielle Großvorhaben die Belange des Natur- und Umweltschutzes nicht zu kurz kommen.318 Die Präklusionsvorschriften sind somit ein Mittel zur Herbeiführung von Rechtssicherheit.319 Ferner sollen dadurch von der Verwaltungsentscheidung Be316 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 504; A. Guckelberger/ F. Geber, EurUP 2014, S. 168, m.w. N. Im Hinblick darauf sollte als positiv beurteilt werden, dass seit dem hochumstrittenen Urteil des BVerwG im Fall Stuttgart 21 (vgl. dazu P. Schütte, ZUR 2011, S. 169 ff.; C. Franzius, GewArch 2012, S. 225 ff.; W. Frenz, DVBl 2012, S. 811 ff.), auf den allerdings an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll, in der Bundesrepublik wieder über die Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planfeststellungsverfahren nachgedacht wird (vgl. D. Herrmann, § 25 VwVfG, in: J. Bader/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK-VwVfG, 2013, Rn. 21 ff.; C.-D. Hertel/W. Munding, NVwZ 2012, S. 2622 ff.; C. Franzius, GewArch 2012, S. 225 ff.; E. Gurlit, JZ 2012, S. 388 ff.). Beachtenswert ist auch das entsprechende französische Gesetz Nr. 2012-1460 zur Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten (vgl. dazu A. Guckelberger, NVwZ 2013, S. 1196 ff.). Nach heftigen Diskussionen konnte man sich im Ergebnis auf den neuen § 25 Abs. 3 VwVfG verständigen, der auf Wunsch des Vorhabenträgers eine vor der eigentlichen Antragstellung einsetzende frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei erheblichen Auswirkungen des Vorhabens auf private Belange erlaubt. [§ 25 Abs. 3 VwVfG Abs. 3 lautet: „Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger bei der Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können, die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll möglichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden. Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung gegeben werden. Das Ergebnis der vor Antragstellung durchgeführten frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll der betroffenen Öffentlichkeit und der Behörde spätestens mit der Antragstellung, im Übrigen unverzüglich mitgeteilt werden. Satz 1 gilt nicht, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstellung zu beteiligen ist. Beteiligungsrechte nach anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.“ Vgl. dazu D. Herrmann, § 25 VwVfG, in: J. Bader/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK-VwVfG, 2013, Rn. 21 ff., m.w. N.] Diese gesetzliche Entwicklung steht im Einklang mit der demokratisch und umweltpolitisch motivierten Anforderung der AK und den daraus abgeleitenden europäischen Richtlinien zur Stärkung von Partizipation der Öffentlichkeit an Umweltentscheidungen und Drittklagerechten in Umweltangelegenheiten und könnte teilweise zur Einschränkung der oben dargestellten Problematik der Präklusionsvorschriften beitragen. 317 A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 168, m.w. N. 318 BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, ZUR 2012, S. 176 ff. 319 BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, ZUR 2010, S. 382 ff.; A. Guckelberger/ F. Geber, EurUP 2014, S. 168, m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
günstigte vor einem überraschenden Prozessvortrag geschützt werden.320 Dabei sollen die Präklusionsvorschriften Verfahren beschleunigen.321 Denn insbesondere im Umweltrecht soll die Präklusion zur Waffengleichheit zwischen Drittbegünstigten einer Verwaltungsentscheidung und den Sachwaltern überindividueller Interessen beitragen.322 Auf diese Weise sollen ein sachgerechtes Verwaltungsverfahren sowie die Verhinderung unzulässigen „Taktierens“ möglich sein. Denn anders als die Behörden sind die Vereinigungen mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht im Rechtssinne beliehen.323 Zwar nehmen die Vereinigungen Aufgaben im öffentlichen Interesse wahr, stehen aber aufgrund ihrer fehlenden Rückbindung an rechtliche Vorgaben privaten Einwendern näher.324 Von Bedeutung ist, dass die Präklusionsregelungen einschränkend ausgelegt werden müssen, um nicht gegen den Rechtsschutzgrundsatz des GG (Art. 19 Abs. 4 GG) zu verstoßen.325 Deswegen gilt die materielle Präklusion nicht, wenn die berechtigten Vereinigungen oder im Allgemeinen die jeweils Betroffenen keine Möglichkeit für die Erhebung von Einwendungen innerhalb der jeweils relevanten Frist im behördlichen Verfahren hatten. Gleiches gilt auch, wenn sie die Einwendungsfrist unverschuldet versäumen.326 In diesem Zusammenhang tritt der Einwendungsausschluss nicht ein, wenn die Umweltschutzvereinigung die Einwendung im Zulassungsverfahren nicht hätte geltend machen können. Es handelte sich vor allem um Fälle, bei denen sich die Vereinigungen nicht ausreichend informieren konnten, z. B. a) weil die Behörde das Vorhaben anders als in der vorgeschriebenen Weise bekannt gemacht hatte oder b) weil die ausgelegten Unterlagen wegen Unvollständigkeit nicht ermöglichten, die sich daraus ergebenden Umweltbeeinträchtigungen hinreichend ein320
So die Gesetzesbegründung zu § 61 Abs. 3 BNatSchG 2002, BT-Drs. 14/6378,
S. 62. 321
A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 168, m.w. N. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff. 323 T. Krappel, NuR 2012, S. 839. 324 Ebd. 325 Vgl. BVerfG, Urt. v. 08.07.1982, 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173 ff.; BVerfG, Beschl. v. 27.12.1999 – 1 BvR 1746/97, NVwZ 2000, S. 546; OVG Münster, Urt. v. 20.01.2012 – 2 D 141/09, NE, Rn. 55 ff., de jure; OVG Lüneburg, Urt. v. 20.05.2009 – 7 KS 28/07, Rn. 48, juris; BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff.; dies gilt nur, wenn die Mitwirkungsobliegenheit auch für den Bürger erkennbar ist und zudem den gerichtlichen Rechtsschutz nicht vereitelt oder unzumutbar erschwert; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 53, m.w. N. Es ist im Allgemeinen durchaus anzumerken, dass erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Präklusionsvorschriften bisher nicht vorliegen; a. A. aber etwa: M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im raumbedeutsamen Umwelt, 1987, S. 217 ff.; R. Wolfrum, DÖV 1979, S. 497 ff. 326 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 110, Rn. 101. 322
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 371
zuschätzen, oder c) weil die spätere behördliche Entscheidung nicht mit den ausgelegten Unterlagen übereinstimmte, etwa wenn der Vorhabenträger seine Planung nach Abschluss der Auslegung (willkürlich) geändert hat oder wenn der ursprüngliche Plan des Vorhabens durch Nebenbestimmungen der Behörde erheblich modifiziert wurde.327 Hierzu zählt auch der Fall, dass die Zulassungsbehörde ihre Entscheidungsgrundlage durch eine gutachtliche Ausarbeitung nachträglich ergänzt hat, ohne sie der Vereinigung noch zur Stellungnahme zuzuleiten.328 Andererseits aber bewirkt die nachträgliche Ergänzung eines noch nicht bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses nicht, dass daraus folgt, dass mit Abschluss des ursprünglichen Planfeststellungsverfahrens bereits präkludierte Einwendungen wieder klagefähig werden.329 Der Einwendungsausschluss tritt im Allgemeinen nicht bei Einwendungen ein, die auf Tatsachen gestützt sind, die erst nach dem Ende der Auslegung eingetreten sind.330 Es muss aber berücksichtigt werden, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 VwVfG bei unverschuldeter Fristversäumnis und zur Vermeidung ungewöhnlicher Härten zumeist an den strengen Verfahrensanforderungen scheitert. Auch dies schwächt die Verteidigungsposition des Klägers deutlich weiter.331 Unter dem Begriff „Einwendung“ versteht § 2 Abs. 3 UmwRG ein sachliches Gegenvorbringen, mit dem die Verhinderung oder die Modifizierung des jeweils umstrittenen Vorhabens angestrebt wird. Vor diesem Hintergrund sind nicht nur materielle Umstände relevant, sondern auch Verfahrensfehler im behördlichen Verfahren.332 So müssen z. B. Fehler bei der Bekanntmachung der Öffentlichkeitsbeteiligung oder der Auslegung des Planvorhabens nicht gerügt werden, weil sie zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen für den Präklusionseintritt gehören. Die Behörden und Gerichte können somit über eine vorprozessual eingetretene Präklusion nicht disponieren.333 Soweit die Folgen des umstrittenen Vorhabens die Umwelt beeinträchtigen, muss die Stellungnahme der Vereinigungen in groben Zügen angeben, welches 327
Ebd. Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.05.2009 – 9 A 73/07, Rn. 58, NVwZ 2009, S. 1296 ff. zu § 61 Abs. 3 BNatSchG g. F. 329 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2007 – 9 B 38.07, Rn. 30, ZUR 2008, S. 257 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 08.07.2009 – 8 C 10 399/08, Rn. 177, DVBl 2009, S. 1394 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 59; A. Dietz, UPR 2016, S. 469 ff. 330 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 09.12.2009 – 8 D 10/08 AK, ZUR 2010, S. 316 ff., m.w. N. 331 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 57. 332 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff. 333 A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 169, m.w. N. 328
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Schutzgut betroffen ist und welche Art von Beeinträchtigungen die Vereinigung befürchtet.334 Ferner ist auch die räumliche Zuordnung eines Vorkommens von Tieren oder Pflanzen oder einer Beeinträchtigung näher zu spezifizieren, soweit sie sich nicht ohne weiteres von selbst ergibt.335 Bei solchen Fällen muss die beteiligte Vereinigung hinreichend deutlich machen, aus welchen Gründen und zu welchen im Einzelnen zu behandelnden Fragen weiterer Untersuchungsbedarf besteht oder einer Bewertung von Umweltauswirkungen nicht gefolgt werden kann. Je umfangreicher und intensiver der Vorhabenträger bereits erfolgte Begutachtungen und fachliche Bewertungen vorlegt, desto intensiver muss daher die Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material sein.336 Einer Umweltschutzvereinigung steht es allerdings frei, ihre rechtzeitig erhobenen Einwendungen während des Rechtsbehelfsverfahrens nachträglich zu konkretisieren.337 Diese Anforderungen gelten unabhängig davon, in welchem Maße eine Umweltschutzvereinigung über umweltschutzfachlichen Sachverstand in den Reihen seiner Mitglieder tatsächlich verfügt. Die Obliegenheit zur hinreichenden Substantiierung von Einwendungen gilt allgemein und betrifft alle anerkannten Vereinigungen gleichermaßen.338 Die Rechtsprechung des BVerwG verlangt im Prinzip von der betreffenden Umwelt- oder Naturschutzvereinigung eine kritische Auseinandersetzung mit 334 Vgl. st. Rspr. BVerfG, Urt. v. 08.07.1982, 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, NVwZ 2009, S. 302 ff.: Hierbei muss auch Folgendes erklärt werden: Seit der Novelle des VwVfG vom 31.05.2013 (vgl. BGBl. 1, S. 1388) differenziert das VwVfG in § 74 Abs. 4 S. 4 zwischen „Einwendungen“ von Betroffenen, mit denen diese jeweils ihre individuellen Belange geltend machen und „Stellungnahmen“ anerkannter Vereinigungen, in denen es nicht um die Wahrung der eigenen Verbandsrechte oder -interessen geht, sondern andere Umstände zur Sprache gebracht werden, wie etwa die Beeinträchtigung des Naturhaushalts oder der Luft- und Wasserqualität infolge eines geplanten Vorhabens (vgl. BT-Drs. 17/9666, S. 19). Diese Neuregelung hat zu terminologischen Unstimmigkeiten geführt, weil sowohl § 2 Abs. 3 UmwRG als auch § 10 BImSchG immer noch von Einwendungen sprechen. Diese Novelle hinsichtlich der hier diskutierten Präklusionsnorm dürfte allerdings keine Rolle spielen und keine Änderung verursachen. Vgl. dazu T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRGKomm., 2013, S. 111, Rn. 102 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 61; jeweils m.w. N. 335 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 35, ZUR 2012, 187 ff.; BVerwG, Beschl. v. 23.11.2007 – 9 B 38.07, Rn. 31, ZUR 2008, S. 257 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRGKomm., 2013, Rn. 56, m.w. N. 336 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 35, ZUR 2012, 187 ff.; BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 4/03, NVwZ 2004, S. 863 ff.; F. Fellenberg/ G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 56, m.w. N. 337 VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 – 10 S 2102/09, Rn. 78, NuR 2012, S. 204 ff. 338 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 20.01.2012 – 2 D 141/09 NE, Rn. 61, BeckRS 2012, 47640; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 161.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 373
dem vorhandenen ausgelegten Material unter natur- und umweltschutzfachlichen Gesichtspunkten.339 Es muss auch beachtet werden, dass die Vereinigung ihre Äußerung innerhalb der jeweils festgesetzten Frist vortragen muss. Dies gilt unabhängig davon, ob sie bereits vor Beginn der Einwendungs- und Äußerungsfrist Stellung genommen hat und sie innerhalb dieser Frist auf ihre frühere Äußerung hinweist.340 Eine solche Äußerung genügt aus Sicht des BVerwG nicht, um den Inhalt der Stellungnahme zum Gegenstand einer fristgerechten Einwendung zu machen.341 Die Vereinigung muss somit ihre frühere Einwendung innerhalb der oben genannten Frist nochmals vortragen.342 Eine Umweltschutzvereinigung ist mit ihren Einwendungen z. B. präkludiert, wenn sie erst im gerichtlichen Verfahren Trassenalternativen geltend macht, die der Vorhabenträger auch unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten untersucht und mit der als verträglich mit den Naturschutzbelangen angesehenen Plantrasse abgewogen hat.343 Dabei ist eine Umweltschutzvereinigung, die im gerichtlichen Verfahren geltend macht, dass keine ordnungsgemäße FFH-Vorprüfung durchgeführt worden sei, gem. § 2 Abs. 3 UmwRG ausgeschlossen, wenn sie sich im Verfahren nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG nur aus artenschutzrechtlichen Gründen und wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die UVP gegen die Genehmigungserteilung gewandt hat.344 Im Allgemeinen ist anzumerken, dass im Vergleich zur Einwendung betroffener Bürger die Anforderungen an den zur Vermeidung der Präklusionsfolge erforderlichen Inhalt von Stellungnahmen und Einlassungen der Umweltschutzvereinigungen höher sind.345 Hier soll beachtet werden, dass auch die Einwendungen der Bürger hinsichtlich der individuellen Betroffenheit substantiiert sein müssen. Es werden aber grundsätzlich keine Ausführungen erwartet, die Fachkenntnisse oder wissenschaftlich-technischen Sachverstand erfordern.346 Während die Individuen regelmäßig angeben müssen, welche nachteiligen Wirkungen sie durch das jeweils umstrittene umweltbeeintrachtigende Vorhaben erleiden und in welchem Recht oder Interesse sie sich beeinträchtigt sahen sowie welche Umstände zu diesen Beeinträchtigungen führen könnten,347 verlangt dagegen die
339 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 35, ZUR 2012, S. 187 ff.; BVerwG, Beschl. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, ZUR 2008, S. 257 ff. 340 Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 110, Rn. 101. 341 Vgl. BVerwG, Urt. v. 28.12.2011 – 9 B 59.11, NVwZ-RR 2012, S. 261 ff.; BVerwG, Urt. v. 27.08.1997 – 11 A 18.96, NVwZ-RR 1998, S. 290 ff. 342 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 115, Rn. 115. 343 BVerwG, Urt. v. 06.11.2012 – 9 A 17.11, Rn. 75, 78, NVwZ 2013, S. 805 ff. 344 OVG Magdeburg, Beschl. 21.03.2013 – 2 M 154/12, Rn. 18, NuR 2013, S. 507 ff. 345 A. Schmidt, ZUR 2011, S. 300. 346 Ebd. 347 Vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, Rn. 49, NVwZ 2009, S. 302 ff.
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deutsche Rechtsprechung bei entsprechenden Stellungnahmen von Umweltschutzvereinigungen eine präzisere und detailliertere Beschreibung der möglichen Folgen des jeweils in Frage gestellten Vorhabens für die Umwelt.348 Hauptgrund dafür ist, dass die Umweltschutzvereinigungen auch von der Rechtsprechung für sachverständige Organisationen gehalten werden. Von einer anerkannten Umweltschutzvereinigung, die mit ihrem Aufgabenbereich vertraut ist, kann daher grundsätzlich mehr gefordert werden, als das durchschnittliche Wissen eines nicht sachverständigen Bürgers.349 Deswegen erweist sich die Zeit innerhalb der die Umweltverbände ihre Äußerungen gründlich, präzis und detailliert vorbringen müssen als häufig übermäßig knapp. Trotzdem verhindern die Präklusionsvorschriften auch den Rechtsschutz des einfachen Bürgers nicht unerheblich. Hat z. B. ein planbetroffener Bürger Beeinträchtigungen von Naturgütern durch das Vorhaben in seinem Einwendungsschreiben nicht ansatzweise thematisiert, so ist er mit dem Einwand, die Bestandserfassung und -bewertung des Planungsraums sei defizitär, unabhängig davon präkludiert, ob die behaupteten Defizite für einen Bürger aus den Planunterlagen erkennbar waren.350 Es muss auch unterstrichen werden, dass, soweit das Fachplanungsrecht Vorschriften zur Präklusion von Umweltschutzvereinigungen enthält (etwa § 17a Nr. 7 S. 2 FStrG, § 18a Nr. 7 S. 2 AEG, § 14a Nr. 7 S. 2 WaStrG, § 43a Nr. 7 S. 2 EnWG), diese § 2 Abs. 3 UmwRG als leges speciales vorgehen. Denn diese Vorschriften sind durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz351 nach Inkrafttreten des UmwRG eingeführt worden. Andererseits aber geht im Bereich der luftfahrtrechtlichen Planfeststellung (§ 10 Abs. 4 S. 2 LuftVG), dem Anlagenzulassungsrecht (§ 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG) und der Bauleitplanung (§ 47 Abs. 2a VwGO) § 2 Abs. 3 UmwRG als vorrangige Spezialregelung vor.352 Von Bedeutung ist auch, dass der in § 73 Abs. 4 VwVfG auch für klagebefugte Umweltschutzvereinigungen vorgesehene Einwendungsausschluss (gem. § 73 Abs. 4 S. 5 VwVfG) auch dann eingreift, wenn zwar innerhalb der vorgegebenen zweiwöchigen Frist eine Einwendung (etwa im Planfeststellungsverfahren) zu dem Vorhaben abgegeben wird, diese aber inhaltlich unvollständig ist. Bei einer 348 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, NuR 2008, S. 176 ff.; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 160 ff., m.w. N. 349 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 – 10 S 2102/09, Rn. 78, NuR 2012, S. 204 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 56, m.w. N. Auch bei den Anforderungen an Umfang und Detailliertheit wird darauf abgestellt, wie konkret die ausgelegten Planunterlagen waren, vgl. BVerwG, Urt. v. 03.03.2004 – 9 A 15/03, NuR 2005, S. 246 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, NVwZ 2009, S. 302 ff. 350 J. Berkemann, EurUP 2014, S. 161. 351 BGBl. I, 2007, S. 2833 (vom 09.12.2006) in Kraft getreten am 17.12.2006. 352 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 61, m.w. N.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 375
nachfolgenden Klage können dann die in der Einwendung nicht oder allgemein benannten Planungsfehler nicht mehr geltend gemacht werden.353 Trotzdem wird die Äußerungsfrist des § 73 Abs. 4 S. 1 und 5 VwVfG sowie des § 10 Abs. 3 BImSchG (hinsichtlich der Einsichtsvoraussetzungen von Unterlagen bei Genehmigungsverfahren)354 von zwei Wochen grundsätzlich von der Rechtsprechung für ausreichend gehalten. Denn zum einen sei hier die gesamte Zeitspanne von einem Monat mit zu berücksichtigen, in der die Unterlagen zur allgemeinen Einsicht ausliegen. Zum anderen lasse sich von einer Vereinigung, die die Gewähr für eine sachgerechte Erfüllung seiner Aufgaben bieten müsse, erwarten, dass sie über ihre regionalen Untergliederungen die Auslegungsfrist effektiv zur Sichtung und Auswertung der Unterlagen nutze. Außerdem müssten auch betroffene private Einzelne ebenfalls innerhalb der oben erwähnten Fristen Einwendungen erheben. Daher hätten die Verfahrensbeteiligten diese knappe Frist im Interesse einer zügigen Verfahrensgestaltung hinzunehmen.355 Der fehlenden umfänglichen Äußerung steht der Fall gleich, dass die Einwendung der beteiligten Umweltschutzvereinigung sich im Erörterungstermin erledigt. In einem solchen Fall ist die Vereinigung rechtlich so zu behandeln, als hätte sie Einwendungen nicht fristgerecht erhoben.356 a) Kritik Es wird nicht unbegründet behauptet, dass die Präklusionsvorschriften des deutschen Rechts als weiter gefasst gelten als die anderer europäischer Länder.357 Die oben dargestellten Präklusionsanforderungen sind als besonders hoch anzusehen. Denn in der Praxis ist die Beteiligung einer Umweltschutzvereinigung am Verwaltungsverfahren nicht selten mit erheblichem Aufwand verbunden.358 Abgesehen von den häufig knappen Finanz- und Personalressourcen ist dessen Aufgabenbereich oft von mehreren Projekten gleichzeitig betroffen. Demzufolge erlauben es vielfach die konkreten Umstände den Vereinigungen in der Praxis nicht, für alle Verfahren die ausgelegten Unterlagen mit derselben Intensität und Konsequenz ausreichend zu bearbeiten.359 Dabei wird vorgeworfen, dass bereits 353
A. Schmidt, ZUR 2011, S. 300, m.w. N. Zur Unionsrechtswidrigkeit der immissionsschutzrechtlichen Präklusionsvorschriften vgl. P. Kremer, ZUR 2013, S. 89 ff., m.w. N. 355 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 36, ZUR 2012, S. 187 ff.; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, S. 113, Rn. 108, m.w. N. 356 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.02.1997 – 4 VR 17.96, LKV 1997, S. 328 ff. 357 Vgl. E. Hien, DVBl 2007, S. 398 ff.; SRU, Sondergutachten, Februar 2007, S. 173. 358 Vgl. u. a. UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 126; A. Schmidt, ZUR 2011, S. 300. 359 Vgl. A. Schmidt, ZUR 2012, S. 210 ff.; ders., ZUR 2011, S. 299 ff., m.w. N.; EUKommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 15. 354
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
die Auseinandersetzung mit der Reichweite der Präklusion im Verfahren von der Rechtsprechung selbst mit einem nicht zu unterschätzenden zeitlichen Aufwand verbunden ist. Nicht selten gilt die Situation, dass die Herausstellung und Bewertung der Präklusionssachverhalte durch das Gericht teilweise umfangreicher war als die letztliche Sachentscheidung.360 Auch die zweiwöchige Äußerungsfrist, die gem. § 73 Abs. 8 VwVfG für den Fall einer Änderung eines ausgelegten Plans gilt, so dass dadurch der Aufgabenbereich einer Vereinigung erstmals oder stärker als bisher berührt wird, ist als erheblich eng anzusehen. Eine solche Zeitdauer wird zumindest in den Fällen nicht ausreichen, in denen die Vereinigung bisher nicht am Verfahren beteiligt war, da sie i. d. R. für ihre Stellungnahme umfangreiche Vorarbeiten benötigt.361 Außerdem dürfte die enge Begrenzung der Äußerungsfrist für Vereinigungen sich nur knapp mit der praktischen Realisierung der Sichtweise, dass die Vereinigungen „Anwälte der Umwelt“ sind, in Einklang bringen lassen.362 Zwar stellen die gegenwärtigen Präklusionsvorschriften einen verstärkten Anreiz für die Vereinigungen zur Einbringung von Umweltbelangen in qualifizierter Form bereits im Verwaltungsverfahren dar, sie erweisen sich aber aufgrund des für die Einwendungen geforderten relativ hohen Grads an fachlicher und rechtlicher Expertise als erhebliches Hindernis für die Einlegung von Umweltrechtsbehelfen.363 Eine aktuelle empirische Untersuchung von diversen umweltbezogenen Verfahren (innerhalb des Zeitraums 15.12.2006–15.04.2012) hat bereits gezeigt, dass die Vereinigungen in unterschiedlichem Ausmaß zu 36,2% (d. h. 21 von 54 untersuchten Verfahren) ganz oder teilweise materiell präkludiert gewesen seien.364 Es sieht so aus, dass die Umweltverbände, um den anspruchsvollen verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen hinsichtlich der präziseren und detaillierteren Konkretisierung ihrer Einwendungen (etwa die ausführliche Darstellung der möglichen Folgen eines Bauvorhabens auf ein umweltschützendes Gebiet)365 nachzukommen, nicht selten mehr Zeit als die gesetzliche Äußerungsfrist von einem Monat und zwei Wochen benötigen. Daraus folgt, dass ihre Einwendungen häufig präkludiert wurden.
360 UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 143. 361 Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 109. 362 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 108. 363 UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 4, S. 40. 364 Ebd., S. 94. 365 Denn je genauer die jeweils zuständige Behörde die Auswirkungen eines Bauprojekts auf die Umwelt bereits untersucht hatte, umso intensiver mussen auch die Umweltverbände sich mit dieser Frage beschäftigen; s. z. B. BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 4/03, NVwZ 2004, S. 863 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.02.2005 – 9 A 62/03, NVwZ 2005, S. 813 ff.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 377
Nachteilige Folge dieses Zustandes ist zwangsläufig vermehrt auftretendes präkludiertes Vorbringen, was im Ergebnis wiederum dazu führen kann, dass nur eingeschränkte materiell-rechtliche Überprüfungen durch die Gerichte stattfinden. Denn die präkludierten Gesichtspunkte werden letztlich nicht in die Entscheidung einbezogen, auch wenn sie zu einem anderen Ergebnis führen würden.366 Nachteilig ist auch, dass die materielle Präklusion der Einwendungen von Umweltschutzvereinigungen nicht ihre individualisierte Benachrichtigung über das jeweilige Gestattungsverfahren voraussetzt, so dass auch im Falle einer fehlenden individualisierten Benachrichtigung von Umweltschutzvereinigungen eine Präklusion eintreten soll.367 Zudem wurde festgestellt, dass die terminlich eng gefassten Präklusionsregelungen bzw. die gerichtlich formulierten Anforderungen an die Substantiierung – ohne vorhandene Möglichkeit, später noch (weitere) Argumente einzubringen – eine Nichtbeteiligung an Verfahren bewirken können. Denn angesichts der hohen Hürden für „präklusionsfeste“ Einwendungen würden die Vereinigungen oft nach internen Regelungen auswählen, in welchen Verfahren sie sich überhaupt unter Berücksichtigung ihrer Ressourcen beteiligen.368 Im Anschluss daran könnte der absolute Ausschluss eines Rechtssubjekts, das nicht oder nicht ganz ausreichend Einwendungen am Anhörungsverfahren bei Umweltangelegenheiten geltend gemacht hat, aufgrund der strikten Präklusionsregelung seine Einwendungen bei einem späteren Gerichtsverfahren geltend machen zu können, auch gegen den Inhalt der Umweltstaatszielbestimmung des Art. 20a GG verstoßen. Denn die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG gibt sowohl der Legislative als auch der Exekutive einen Handlungsauftrag zur grundsätzlichen Beachtung und Förderung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere.369 Insofern hat der Gesetzgeber die Aufgabe, den in dieser Bestimmung enthaltenen Schutzauftrag in Bezug auf die nachhaltige Erhaltung der Umweltgrundlagen zu verwirklichen.370 Es scheint aber, dass die oben dargestellte Präklusionsregelung nicht vollständig diesem Ziel dient, weil sie unter bestimmten Umständen, umweltbezogene Interessen ohne hinreichenden effektiven Rechtsschutz lassen kann. Es muss aber unterstrichen werden, dass bisher verfassungsrechtliche Bedenken an materiellen Präklusionsvorschriften des deutschen Rechts grundsätzlich
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Ebd., S. 143. A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 170 ff. 368 UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 4, S. 97, S. 129. 369 Vgl. S. Huster/J. Rux, Art. 20a GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, 3. Aufl., 2009, Rn. 27 ff. 370 Zur Kritik einer bisher unzureichenden Umsetzung der Umweltstaatszielbestimmung durch den Gesetzgeber, vgl. V. Petersen, UTR 2001, S. 77 ff. 367
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
nicht bestehen. Laut ständiger Rechtsprechung sind solche Regelungen rechtsmäßig, wenn der Gesetzgeber mit ihnen zulässige Zwecke verfolgt, der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zum angestrebten Ziel steht und Klarheit über Voraussetzungen und Rechtsfolge der jeweiligen Regelung herrscht.371 In diesem Rahmen genügt für den Ausschluss verspäteter Einwendungen für die betroffenen Rechtssubjekte, wenn sowohl die Möglichkeit der eigenen Betroffenheit als auch ihrer Mitwirkungsobliegenheiten hinreichend erkennbar sind.372 Der Einwendungsausschluss lässt sich damit rechtfertigen, dass die Behörden infolge des frühzeitigen Vorbringens von Einwendungen ihre Aufgaben bei der Sachverhaltsermittlung und rechtlichen Würdigung besser erfüllen können und schon früher auf einen Ausgleich der tangierten Interessen hinwirken können.373 Daher setzt der Eintritt der Präklusion die ausreichende Möglichkeit zur fristgemäßen Einwendungserhebung voraus, woran es z. B. bei fehlender Bekanntmachung des Vorhabens oder Unzulänglichkeit der ausgelegten Unterlagen fehlen würde. In diesem Zusammenhang stellt bisher die aktuelle deutsche Rechtsprechung fest, dass § 2 Abs. 3 UmwRG grundsätzlich verfassungsmäßig ist.374 Dass in § 2 Abs. 3 UmwRG keine Hinweispflicht auf die Präklusion vorgesehen sei, ist nach dem OVG Münster ohne Bedeutung. Denn, während bei den betroffenen Bürgern keine Kenntnis der materiellen Präklusion ohne einzelfallspezifische Hinweise erwartet werden könne, sei dies bei den anerkannten Umweltschutzvereinigungen nach § 3 UmwRG anders. Denn – der Ansicht des OVG Münster nach – beziehe sich ihre nur auf Antrag erteilte Anerkennung auf die Einlegung von Rechtsbehelfen nach dem UmwRG.375 Außerdem wird behauptet, dass der Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz durch die Präklusionsvorschriften nicht von vornherein durch Gesetz, sondern der Rechtsschutz nur mittelbar im Hinblick auf die verfristeten Einwendungen beschränkt werde. Es handele sich vielmehr nur um eine zeitliche nicht aber sachliche Begrenzung des Rechtsschutzes, denn im Beteiligungsverfahren erhobene Einwendungen seien uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar.376 Diese Behauptung scheint allerdings nicht überzeugend zu sein. Denn zwar lassen die Präklusionsvorschriften den Prüfungsmaßstab der Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts 371 BVerfG, Urt. v. 08.07.1982, 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.01.2014 – 3 B 40.13, NVwZ-RR 2014, S. 394 ff. 372 BVerfG, Urt. v. 08.07.1982, 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 A 28/12, UPR 2014, S. 192 ff. 373 BVerfG, Urt. v. 08.07.1982, 2 BvR 1187/80, NJW 1982, S. 2173 ff. 374 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2010 – OVG 12 A 3.10; Rn. 75, juris; OVG Münster, Urt. v. 20.01.2012 – 2 D 141/09.NE, Rn. 55 ff., BeckRS 2012, 47640; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 170. 375 OVG Münster, Urt. v. 20.01.2012 – 2 D 141/09.NE, Rn. 57, BeckRS 2012, 47640; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 170. 376 M. Genth, NuR 2008, S. 31.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 379
unberührt, sie verengen jedoch den Zugang zum Überprüfungsraum.377 Demzufolge kommt diese Verengung in der Sache einer Einschränkung des gerichtlichen Überprüfungsmaßstabs gleich, weil ohne zulässigen Rechtsbehelf überhaupt kein Gerichtsverfahren stattfinden kann.378 3. Zur unionsrechtlichen Konformität der Präklusionsvorschriften Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Analyse stellt sich die Frage, ob § 2 Abs. 3 UmwRG den Zugang zu den Gerichten nicht stärker einschränkt als Art. 9 Abs. 2 AK sowie Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL ihn zulassen. Diese Problematik wird im Folgenden diskutiert werden. Es muss zunächst beachtet werden, dass der gegebene Anwendungsvorrang des EU-Rechts379 gegenüber dem nationalen Recht eine Normkollision zwischen nationalem Recht und EU-Recht in der Weise verhindert, dass das EU-Recht das nationale Recht unanwendbar macht und an dessen Stelle tritt. Dies setzt allerdings zwingend voraus, dass das vorrangige EU-Recht in den Mitgliedstaaten auch tatsächlich unmittelbar anwendbar ist. Auf den Fall der bundesdeutschen Präklusionsbestimmungen übertragen bedeutet dies, dass ein Vorrang der hier relevanten europarechtlichen Umweltrichtlinien im Bereich des Umweltverfahrensrechts überhaupt nur dann der Fall sein könnte, wenn von den jeweiligen Umweltrichtlinien – ungeachtet des Zeitpunkts ihrer Umsetzung – eine unmittelbare Rechtswirkung ausgeht, die zu ihrer unbedingten Beachtung auch im Verhältnis zum präkludierten Einwender Anlass gäbe.380 a) Argumente für die unionsrechtliche Konformität der Präklusionsvorschriften Was die unionsrechtliche Konformität der Präklusionsvorschriften angeht, vertritt ein Teil der Lehre die Auffassung, dass die Präklusionsvorschrift des § 2 Abs. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG europarechtskonform ist.381 Auch das BVerwG hat, etwa mit seinem Urteil vom 11.11.2009 im Anschluss an das OVG Lüneburg382, diese Auffassung bestätigt.383 377 Dies haben mittlerweile auch empirische Studien gezeigt, s. z. B. UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 4, S. 40. 378 A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 172, m.w. N. 379 Vgl. EuGH, Slg. 1964, S. 1251 ff., 1269, NJW 1964, S. 2371 ff.; EuGH, Slg 1999, S. I 2517, Rn. 31, NJW 1999, S. 2355 ff. 380 Vgl. B. Stüer/M. Rieder, EurUP 2004, S. 143. 381 Vgl. W. Durner, in: ders./C. Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 87; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278; W. Ewer, NVwZ 2007, S. 273 ff.; B. Stüer/M. Rieder, EurUP 2004, S. 139 ff.; B. Braunhardt, UPR 2010, S. 298 ff. 382 OVG Lüneburg, Urt. v. 20.05.2009 – 7 KS 28/07 – juris, Rn. 48, 143.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Das BVerwG hat die Frage, ob damit eine Präklusionsvorschrift unzulässig sei, verneint. Daher entschied es sich gegen ein Vorlageverfahren zum EuGH.384 Art. 11 Abs. 1 der UVP-RL n. F. und Art. 25 Abs. 1 der IE-RL überließen ausdrücklich die Verfahrensausgestaltung den Mitgliedstaaten. Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechtsbehelfen genüge dem Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts, da solche Fristen ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit seien.385 Dies gelte jedenfalls, solange die Präklusionsfrist nicht zu kurz sei und gleichzeitig an die Substantiierung von Einwendungen zur Vermeidung einer Präklusion keine allzu hohen Anforderungen gestellt würden.386 Vor diesem Hintergrund hielt das BVerwG fest, dass die aktuell geltenden allgemeinen Präklusionsvorschriften diese Voraussetzungen grundsätzlich erfüllen, denn sie setzen der Öffentlichkeit keine übermäßige Zugangshürde.387 Dabei hat das BVerfG festgestellt, dass Präklusionsvorschriften grundsätzlich zulässig sind, wenn die dadurch bezweckte Verfahrensbeschleunigung nicht einer Partei die Gelegenheit entzieht, sich zu einer Sache zu äußern, und die Partei diesen Umstand auch zu vertreten hatte.388 Die Einhaltung dieser Bedingungen ist allerdings m. E. insbesondere im Rahmen des UmwRG zweifelhaft.389
383 BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, ZUR 2010, S. 382 ff. In diesem Verfahren wandte sich ein anerkannter Naturschutzverein gegen den Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau eines Verkehrsflughafens in Braunschweig. Das BVerwG sah keinen Anlass, die Frage hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 2 Abs. 3 URG dem EuGH vorzulegen, denn es hatte keine vernünftigen Zweifel daran. Bei der Begründung stellten die Richter im Wesentlichen auf den Wortlaut der zugrunde liegenden UVP- und IVU-RL ab. Danach obliegt es den Mitgliedstaaten, das Verwaltungsverfahren zu gestalten; s. auch BVerwG, Urt. v. 17.06.2011, 7 B 79/10, Rn. 10, juris; B. Brauhardt, UPR 2010, S. 296 ff., m.w. N. 384 BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 31 ff., ZUR 2012, S. 187 ff. 385 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – C-470/99, Slg. 2002, I-11617, Rn. 79 (Universale-Bau AG u. a.), EuZW 2003, S. 147 ff.; EuGH, Urt. v. 27.02.2003, Rs. C-327/00, Slg. 2003, I-1877, Rn. 51 (Santex SpA/Unità Socio Sanitaria Locale n. 42 di Pavia), NVwZ 2003, S. 709 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 31 ff., ZUR 2012, S. 187 ff.; BVerwG, Beschl. v. 14.09.2010 – 7 B 15/10, Rn. 7 ff., NVwZ 2011, S. 364; BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, Rn. 6 ff., ZUR 2010, S. 382 ff.; ebenso zu § 61 Abs. 3 BNatSchG 2002 BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5/08, NVwZ 2010, S. 1225 ff.; offener Ansicht: J. Berkemann, in: Berkemann/Halama, Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, Rn. 614, m.w. N. 386 A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 175, m.w. N. 387 BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12/10, NVwZ 2012, S. 50 ff. In diesem Zusammenhang gilt die Präklusionsvorschrift auch, soweit Verstöße gegen Vorschriften des unionsrechtlich determinierten Naturschutzrechts (FFH-Recht) nicht mehr gerügt werden können. Vgl. etwa: VGH Kassel, Urt. v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07.T, NuR 2008, S. 793. 388 BVerfGE 69, 145, 149; H. Sodan, Art. 19 GG, in: ders. (Hrsg.), GG-Komm., 2011, Rn. 31. 389 Darüber s. u. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., b).
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 381
Zwar sehen Art. 11 der UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL eine Präklusionsmöglichkeit nicht ausdrücklich vor. Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens unterliegt nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie allerdings den Mitgliedstaaten, soweit nicht der Äquivalenz- oder Effektivitätsgrundsatz verletzt ist.390 Dies gilt, soweit die nationalen Verfahrens- und Prozessrechte (bzw. Verfahrensmodalitäten für Kläger), die den Schutz der den Einzelnen aus dem EU-Recht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, nicht ungünstiger ausgestaltet sein dürfen als entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Äquivalenzgebot bzw. Diskriminierungsverbot),391 und sie die Ausübung der durch die EU-Rechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgebot).392 In dieser Hinsicht hat das BVerwG insbesondere bei Anwendung der Maßstäbe des Effektivitätsgebots keinen Zweifel daran, dass die Präklusion des § 2 Abs. 3 Alt. 1 UmwRG „angemessen“ begrenzt ist. Zwar tritt im Gegensatz zu Klagefristen, von deren Einhaltung der nationale Gesetzgeber den Zugang zu den Gerichten abhängig machen darf,393 der Ausschluss verfahrensrelevanten Vorbringens bereits vor einem anfechtbaren Rechtsakt ein. Dies ist aber – der Auffassung des BVerwG nach – ohne Bedeutung, weil das Einwendungsrecht als Anknüpfungspunkt für die Präklusion einem vorgezogenen Rechtsschutz gleichkommt,394 wodurch der gerichtliche Rechtsschutz nicht substituiert, sondern nur ergänzt wird. Dies lege auch im wohlverstandenen Interesse der Einwendungsberechtigten. Denn sie können durch ihr Vorbringen die Chance der Einflussnahme
390 Vgl. st. Rspr., s. EuGH, Urt. v. 28.02.2012, Rs. C-41/11 (Inter-Environnement Wallonie, Terre wallonne/Région wallonne), Rn. 45, NVwZ 2012, S. 553 ff.; EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), Rn. 67, NVwZ 2004, S. 593 ff. 391 EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483, Rn. 46 (Impact), NZA 2008, S. 581 ff.; EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 48 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; J. Kokott/C. Sobotta, DVBl 2014, S. 132. 392 Vgl. st. Rspr. des EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, S. 01989 ff. (Rewe-Zentralfinanz EG u. Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland), NJW 1977, S. 495, EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-04599, Rn. 14 (Peterbroeck, Van Campenhout&Cie/Belgischer Staat), NVwZ 1997, S. 372 ff.; EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3240 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./Midland Bank plc), Rn. 33, EuZW 2000, S. 565 ff.; T. v. Danwitz, UPR 1996, S. 323 ff.; M. Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 17 ff.; ders., EuR 2006, S. 201 ff.; W. Erbguth, UPR 2000, S. 89 ff. 393 Vgl. Schlussanträge der GAin E. Sharpston, v. 02.07.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45; http://curia.europa.eu/. 394 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, Rn. 7, ZUR 2010, S. 383; BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff.; B. Stüer/M. Rieder, EurUP 2004, S. 146.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
wahren, bevor eine Art von planerischer Verfestigung des Vorhabens eingetreten ist.395 Dieser Rechtsschutz ist somit nicht unzureichend. Außerdem findet eine Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen allenfalls mittelbar statt, indem die verfristeten Einwendungen präkludiert sind. Infolgedessen erfolgt diese Begrenzung lediglich in zeitlicher Hinsicht, nicht jedoch in sachlicher. Diejenigen Einwendungen, welche schon im Beteiligungsverfahren erhoben wurden, sind in der Praxis einer gerichtlichen Prüfung uneingeschränkt zugänglich.396 Auch aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zu Fristen im Rechtsschutzverfahren397 wurde grundsätzlich die Unionsrechtskonformität der Präklusionsregelung nach § 2 Abs. 3 UmwRG bejaht.398 Anlässlich der Prüfung der unionsrechtlichen Konformität einer Bestimmung, nach der Klagen innerhalb einer Ausschlussfrist erhoben werden müssen, hat der EuGH den Rechtssatz betont, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechtsbehelfen dem Grundsatz der Effektivität des EU-Rechts grundsätzlich genügt, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist.399 Es ist festzustellen, dass Präklusionsvorschriften unter anderem auch der Rechtssicherheit dienen,400 namentlich dem gesteigerten Bedürfnis des Vorhabenträgers nach Schutz und Beständigkeit der unter einer Drittbeteiligung zustande gekommenen Zulassungsentscheidung.401 395 Vgl. VGH München, Urt. v. 09.09.2013 – 22 AS 13.40054, 22 AS 40056, Rn. 25, juris; BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, ZUR 2012, S. 176 ff.; A. Guckelberger/ F. Geber, EurUP 2014, S. 168. 396 Vgl. W. Durner, in: ders./C. Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 87; T. Bunge, ZUR 2004, S. 146; M. Genth, NuR 2008, S. 31 ff., m.w. N. 397 EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. C-33/76, Slg. 1976, S. 1989 ff., Rn. 5 (Rewe u. a./ Landwirtschaftskammer für das Saarland), NJW 1977, S. 495 ff.; EuGH, Urt. v. 02.12. 1997, Rs. C-188/95, Slg. 1997, I-06783, Rn. 39, 46 (Fantask A/S e.a./Industriministeriet), NVwZ 1998, S. 833 ff.; EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I3240, Rn. 33 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a.), EuZW 2000, S. 565 ff.; EuGH, Urt. v. 27.02.2003, Rs. C-327/00, Slg. 2003, I-1877, Rn. 56 (Santex SpA/Unità Socio Sanitaria Locale n. 42 di Pavia), NVwZ 2003, S. 709 ff. 398 BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, ZUR 2010, S. 382 ff.; BVerwG, Beschl. v. 14.09.2010 – 7 B 15/10, NVwZ 2011, S. 3649 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, ZUR 2012, S. 176 ff.; VGH München, Urt. v. 23.06. 92009 – 8 A 08.40001, Rn. 53, NVwZ-RR 2010, S. 42 ff.; VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, S. 284 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 31; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 9, m.w. N. 399 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I, S. 3240, Rn. 33 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./ Midland Bank plc), EuZW 2000, S. 565 ff. 400 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.1996 – 4 A 38/95, NVwZ 1997, S. 489 ff.; BVerwG, Urt. v. 30.01.2008 – A 27/06, NVwZ 2008, S. 678, Rn. 29. 401 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff.; BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, Rn. 6, ZUR 2010, S. 382 ff.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 383
In dieselbe Richtung hat der EuGH nationale Klagefristen, bei denen es sich, wie bei den deutschen Präklusionsbestimmungen, im weitesten Sinne um Ausschlussfristen handelt, mit dem Diskriminierungsverbot bzw. dem Effektivitätsgebot für vereinbar erklärt. Der EuGH hält somit angemessene nationale Klagefristen mit Blick auf das auch im EU-Recht geltende Prinzip der Rechtssicherheit ausdrücklich für unionsrechtlich konform gerechtfertigt.402 Denn insbesondere mit den deutschen Präklusionsbestimmungen wird jedem Planungsbetroffenen lediglich die Verpflichtung auferlegt, seine Einwände gegen das Vorhaben, auch soweit sie aus dem EU-Recht herrühren, rechtzeitig innerhalb der für alle Beteiligten geltenden Einwendungsfristen vorzubringen. Es sei somit weder ein Verstoß gegen das Diskriminierungsgebot noch eine Verletzung des Effektivitätsgebots zu erkennen.403 Zwar dürfen die Präklusionsregelungen nicht die Auswirkung haben, dass bestimmte Belange von der Behörde nicht mehr geprüft werden können, denn die europarechtlichen Anforderungen bestehen unabhängig davon, ob sie in der Behörden- oder Öffentlichkeitsbeteiligung vorgetragen worden sind oder nicht. Dies schließt aber nicht aus, dass zu Lasten einzelner Verfahrensbeteiligter eine Präklusion eintritt, wenn die Belange von ihnen nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sind. Daher werden die deutschen Präklusionsnormen diesen Anforderungen gerecht.404 Der Auffassung des deutschen Gesetzgebers nach stellen insofern die Präklusionsregeln des UmwRG keine unüberwindbare Barriere für den Zugang zu Gerichten für die betroffene Öffentlichkeit dar. Denn das deutsche Verfahrensrecht stellt durchaus sicher, dass die veröffentlichten Antragsunterlagen klar und verständlich sind, die Einwendungsfristen ausreichend sind und die Anforderungen
402 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.11.1998, Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-04951 (Edilizia Industriale Siderurgica Srl [Edis]/Ministero delle Finanze), NJW 1999, S. 129 ff.; EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/99, Slg. 2000, I-3240 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./Midland Bank plc). Auch nationale Verjährungsfristen, die zum Ausschluss der Geltendmachung materieller Ansprüche führen, hat der EuGH für unbedenklich erklärt, solange keine Ungleichbehandlung gegenüber Ansprüchen mit gemeinschaftsrechtlichem Hintergrund erfolgt. Vgl. EuGH, Urt. v. 02.12.1997, Rs. C-188/85, Slg. 1997, I-06783 (Fantask A/S e.a./Industriministeriet [Erhvervministeriet]), NVwZ 1998, S. 833; EuGH, Urt. v. 17.11.1998, Rs. C228/96, Slg. 1998, I-07141, DVBl 1999, S. 384. 403 In diese Richtung EuGH, Urt. v. 15.11.1998, Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-04951 (Edilizia Industriale Siderurgica Srl [Edis]/Ministero delle Finanze), NJW 1999, S. 129 ff.; EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/99, Slg. 2000, I-3240 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./Midland Bank plc); EuGH, Urt. v. 02.12.1997, Rs. C-188/85, Slg. 1997, I-06783 (Fantask A/S e.a./Industriministeriet [Erhvervministeriet]), NVwZ 1998, S. 833; EuGH, Urt. v. 17.11. 1998, Rs. C-228/96, Slg. 1998, I-07141, DVBl 1999, S. 384. 404 Vgl. B. Stüer/M. Rieder, EurUP 2004, S. 140.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
der Gerichte an die Substantiierung der Einwendungen nicht unerfüllbar sind.405 Die aktuelle Rechtspraxis bestätigt m. E. diese Äußerungen nicht.406 Dass Präklusionsregelungen angesichts ihrer Rechtssicherheit stiftenden Wirkung bisher nicht grundsätzlich Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hervorrufen, bedeutet allerdings nicht unbedingt, dass dies unter bestimmten Umständen und in bestimmten Konstellationen durchaus anders sein könnte. b) Argumente gegen die unionsrechtliche Konformität der Präklusionsvorschriften Nach anderer Ansicht ist aber die Regelung des § 2 Abs. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG aus unionsrechtlicher Sicht bedenklich.407 Zwar handelt es sich bei den Präklusionsregelungen des UmwRG um ein Institut des nationalen Verwaltungsverfahrens- und Prozessrechts. Dieses findet aber seine Grenze bei der Notwendigkeit, die Wirkung von EU-Recht nicht zu vereiteln, sondern ihr vielmehr zu effektivem Durchbruch zu verhelfen.408 Wird damit das Erfordernis von inhaltlich näher substantiierten Einwendungen bereits im Verwaltungsverfahren zu Lasten von Umweltschutzvereinigungen eingezogen und so eine unverhältnismäßige Hürde für Umweltverbandsklagen errichtet, besteht die Gefahr, dass die Präklusionsvorschriften das EU-Recht verletzen.409 Denn dadurch können zugleich auch Rügen, die eine Verletzung des EU-Rechts beinhalten, von einer gerichtlichen Überprüfung ausgeschlossen werden. Ein solcher Verlust der Rügebefugnis könnte demzufolge mit der durch Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. (nun Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F.) und Art. 15a Abs. 1 IVU-RL a. F. (nun Art. 25 Abs. 1 IE-RL) sowie durch Art. 9 Abs. 2 AK angeordneten umfassenden Prüfbefugnis zum EU-Umweltrecht konfligieren.410 Da aufgrund § 2 Abs. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG die Umweltschutzvereinigungen dazu gezwungen sind, sämtliche ihnen zum Zeitpunkt 405 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 14. 406 Vgl. UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 4 ff. 407 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 14 ff.; dies., in: S. Schlacke/C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2009, S. 444 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 31 ff.; T. Bunge, ZUR 2010, S. 22 ff. 408 Vgl. W. Berg, Staatsrecht, 2011 S. 78. 409 W. Frenz, NuR 2012, S. 623. 410 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2009, S. 444 ff.; NuR 2004, S. 632; dies., NuR 2007, 14 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 31 ff.; A. Guckelberger/ F. Geber, EurUP 2014, S. 173.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 385
der Beteiligung möglichen Argumente bereits im Beteiligungsverfahren vorzubringen, führt diese Vorschrift offensichtlich zu einer weiteren Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen. Damit werde aber der unionsrechtlichen Intention auch in Bezug auf die Anforderungen der AK, eine umfangreiche gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, nicht hinreichend Rechnung getragen.411 Vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK, nach dem die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherstellen, dass bestimmte Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem Überprüfungsverfahren haben, um die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, an denen sich die Öffentlichkeit beteiligen kann, anzufechten,412 wurde behauptet, dass zwar die Verfahrensbeteiligung als Grundlage für die „Betroffenheit“ der Allgemeinheit herangezogen werden kann, aber die Erhebung der vorhergehenden Verfahrensbeteiligung als Voraussetzung einer Klagebefugnis aus dem Blickwinkel des Art. 9 Abs. 2 AK zu restriktiv wäre.413 Denn gem. Art. 9 Abs. 2 AK muss jeder, den die AK als klageberechtigt ansieht, Zugang zu einem umfassenden Überprüfungsverfahren erhalten. Art. 9 Abs. 2 AK beschränkt keineswegs die zur Stützung eines Umweltrechtsbehelfs geltend gemachten Argumente.414 Insofern spricht Art. 9 Abs. 2 AK gegen die Zulässigkeit einer nationalen, den Umweltschutz beschränkenden materiellen Präklusionsnorm. Aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 AK i.V. m. dem Geist und der Zielsetzung der AK folgt, dass die Beteiligung am Verwaltungsverfahren die Rechte der Öffentlichkeit stärken und nicht schwächen soll.415 In diese Richtung richtet sich auch die weiter reichende Norm des Art. 9 Abs. 3 AK416, in deren Rahmen die Frage der Klageberechtigung weit auszulegen ist. Danach soll die Öffentlichkeit Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird.417 Das Konzept der Präklusionsnorm widerspräche dem Geist sowie dem Hauptziel der AK, welche offenbar die Rechtsschutzmöglichkeiten in Umweltangelegenheiten erweitern soll.418 411 Vgl. S. Schlacke, NuR 2004, S. 632; dies., NuR 2007, 14 ff.; dies., in: dies./ C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2009, S. 444 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 31 ff., m.w. N. 412 Mehr dazu in 1. Teil, 1. Kap., G., IV. 413 J. Ebbesson/H. Gaugitsch/J. Jendros ´ka/S. Stec/F. Marshall, (UNECE), The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2013, S. 212. 414 A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 172 ff., m.w. N. 415 Ebd., S. 175. 416 Mehr dazu s. u. 1. Teil, 1. Kap., G., IV. 417 s. Erwägungsgrund 18 der AK. A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 173 ff., m.w. N. 418 Ebd. Mehr zu Zwecken der AK s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., III. ff.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Es scheint, dass im Ergebnis die Präklusionsregelungen des deutschen Umwelt- und Fachplanungsrechts häufig dazu führen, dass es einem deutschen Gericht verwehrt ist, etwa die Rechtmäßigkeit der von einer deutschen Zulassungsbehörde getroffenen umweltrelevanten Entscheidung im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Recht hinreichend zu überprüfen. Hauptgrund dafür ist, dass es bei § 2 Abs. 3 UmwRG jedenfalls nicht um die allgemeine Reichweite des gerichtlichen Rechtsschutzes geht, sondern um eine Mitwirkung der Naturschutzvereinigungen im vorgelagerten Verwaltungsverfahren.419 Infolgedessen hat dies nicht selten de facto und de jure eine Unbeachtlichkeit des EU-Rechts im Gerichtsverfahren zur Folge.420 In diesem Zusammenhang hat schon das EuG festgestellt, dass der Kläger durch nichts daran gehindert ist, gegen die endgültige Entscheidung einen rechtlichen Grund vorzubringen, der im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht worden ist.421 Dadurch wurde klargestellt, dass in der Unionsrechtsordnung die Zulässigkeit von Klagegründen in Gerichtsverfahren nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob diese bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden. Dabei hat der EuGH im Fall Cofidis betont, dass Ausschlussfristen keine besonderen europäischen Zweckbestimmungen (in dieser Rechtsache handelte es sich um Bestimmungen der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, die den Schutz der Verbräucher gewähren) konterkarieren dürfen, für die ein dauerhafter und uneingeschränkter Schutz gewährleistet wird.422 Welche weiteren Vor419 BVerwG, Urt. v. 17.06.2011, 7 B 79/10, juris; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 168, m.w. N. Die gem. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 AK den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, die Ausschöpfung behördlicher Verfahren als Bedingung für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes auszugestalten, erfasst die für die materielle Präklusion bedeutsame Teilnahme an einem laufenden Verwaltungsverfahren nicht. Denn diese Vorschrift betrifft verwaltungsrechtliche Überprüfungsverfahren, so dass sie an einem bereits abgeschlossenen Verwaltungsverfahren ansetzt. Angesichts des Bewusstseins des Konventionsgesetzgebers für den Zusammenhang zwischen verwaltungsbehördlichem Prüfverfahren und anschließendem Gerichtsverfahren spricht diese Vorschrift vielmehr dafür, dass man den Gerichtszugang gerade nicht von der Beteiligung am laufenden Verwaltungsverfahren abhängig machen wollte. Denn mit dem Verweis auf die innerstaatlichen Vorschriften sind nur die üblichen prozessualen Regelungen (etwa über die Zuständigkeit der Gerichte, die Prozessfähigkeit, die Klagefristen u. a.) gemeint. S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 200 ff.; A. Guckelberger/ F. Geber, EurUP 2014, S. 173; GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07.2009, zu EuGH Rs. C 263/08, Rn. 55, BeckRS 2009, 70746; jeweils m.w. N. 420 Vgl. T. Bunge, ZUR 2010, S. 22 ff., m.w. N.; a. A. B. Stüer/M. Rieder, EurUP 2004, S. 142 ff. 421 Vgl. EuG, Urt. v. 11.05.2005 – T-J011/01, Slg. 2005, II-1579, Rn. 68 (Saxonia Edelmetall/Kommission), BeckEuRS 2005, 399741; s. auch EuG, 06.10.1999 – T-123/ 97, Slg. 1999, II-2925, Rn. 55, Rn. 67 (Salomon/Kommission); EuG, Urt. v. 06.10. 1999 – T-110/97, Slg. 1999, II-2881, Rn. 67, 102 (Kneissl Dachstein/Kommission). 422 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.11.2002, Rs. C-473/00, Rn. 38 (Cofidis SA/Jean-Louis Fredout), EuZW 2003, S. 27 ff.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 387
schriften zu diesen besonderen europäischen Zweckbestimmungen gehören, lässt sich allerdings nur schwer bestimmen.423 In diese Richtung hat auch der EuGH etwa im Fall „Petersbroeck“ festgestellt, dass das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer nationalen Verfahrensvorschrift entgegensteht, die es einem im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufenen nationalen Gericht unter Voraussetzungen verbietet, von Amts wegen die Vereinbarkeit eines innerstaatlichen Rechtsakts mit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts zu prüfen, wenn sich kein Verfahrensbeteiligter innerhalb einer bestimmten Frist auf die letztgenannte Vorschrift berufen hat.424 Daraus ist in einem Teil des Schrifttums der Schluss abgeleitet worden, dass auch die Präklusionsnormen des deutschen Rechts vom EU-Recht durchbrochen werden könnten.425 Auch das Urteil des EuGH zum sog. Trianel-Fall hat klargestellt, dass Art. 11 UVP-RL n. F. die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine vollständige gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen sicherzustellen, ohne die Gründe, die im Gerichtsverfahren vorgebracht werden können, einzuschränken.426 Außerdem findet sich eine ausdrückliche Stütze für eine Präklusionsregelung weder im Wortlaut der AK noch in dem der ÖB-RL bzw. UVP-RL. Darüber hinaus könnte man § 2 Abs. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG den Effektivitätsgrundsatz (d. h., dass die Anwendung der nationalen Vorschriften nicht dazu führen darf, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsordnung einräumt, praktisch unmöglich macht)427 entgegensetzen. Denn durch die Anwendung der oben ausgeführten nationalen Präklusionsormen könnte die Effektivität der Klagebefugnis von Verbänden nach dem UmwRG erheblich eingeschränkt werden. Insbesondere unter Berücksichtigung der oftmals von ehrenamtlichem Engagement getragenen Leistungskraft der Umweltschutzvereinigungen erscheint ein derartiger Einwendungsausschluss unter dem Gesichtspunkt des Effektivitätsgebots eher unangemessen.428 Allerdings können aus der zu nationalen Präklusionsnormen ergangenen Rechtsprechung des
423
A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 175 ff., m.w. N. EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599, Rn. 21 (Peterbroeck, Van Campenhout &Cie/Belgischer Staat), NVwZ 1997, S. 372 ff. 425 Vgl. T. v. Danwitz, UPR 1996, S. 323 ff. In dieselbe Richtung, aber hinsichtlich der verfassungs- und europarechtlichen Vereinbarkeit der verwaltungsprozessual ausgerichteten Beschleunigungsgesetzgebung vgl. auch W. Erbguth, UPR 2000, S. 81 ff. 426 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 37 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.; ausführlich zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 4. Kap., A. ff. 427 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.07.1991, Rs. C-87/90, C-88/90 und C-89/90, Slg. 1991, I03757, Tz. 24 (Verholen u. a./Sociale Verzekeringbank), BeckRS 2004, 77858. 428 Vgl. M. Genth, NuR 2008, S. 31 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 146; S. Schlacke, NuR 2007, S. 14. 424
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
EuGH429 keine verallgemeinerungsfähigen Maßstäbe entnommen werden, denn die diesbezüglich einschlägigen Urteile sind den Umständen des Einzelfalls geschuldet.430 Außerdem soll angemerkt werden, dass gem. Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. (Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F.) jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren für die betroffene Öffentlichkeit gerade vor Gericht oder einer gleichwertigen unabhängigen und unparteiischen Stelle sicherzustellen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die deutsche Verwaltung bei Umweltverfahren eine solche Stelle eigentlich nicht vollständig realisiert hat. In dieser Hinsicht ist charakteristisch, dass die Behörden sowie die Vorhabenträger bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung die Möglichkeit haben, ihr Vorbringen nachzubessern, während Vereinigungen und Privaten diese Möglichkeit bereits zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt, nämlich zum Ende der Einwendungsfrist, weitgehend abgeschnitten wird.431 Diese rechtliche Ausgangslage für die (klagenden) Umweltschutzvereinigungen erweist sich somit im Vergleich zu den beklagten Behörden und den Vorhabenträgern als nachteilig. Denn dies führt offenbar zu einem prozesualen Ungleichgewicht. Im Anschluss daran bestehen auch Zweifel an einer effektiven Durchsetzung bzw. gerichtlichen Kontrolle des unionsrechtlichen Umweltrechts, da die Ausschlusswirkung an den Ablauf mehr oder weniger eng bemessener Einwendungsfristen des Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts gebunden ist.432 Zwar dienen die Präklusionsvorschriften im Bereich des Umweltrechts unter anderem der Rechtssicherheit sowie der Sicherung des Wirtschaftsstandortes, da sie zur Beschleunigung des Verfahrens bei der Durchführung von Großprojekten beitragen.433 Sie müssen aber nicht primär zugunsten des gesteigerten Bedürfnisses des Vorhabenträgers (d. h. des Umweltnutzers) nach Schutz und Beständigkeit der unter einer Drittbeteiligung zustande gekommenen Zulassungsentscheidung wirken.434 Vielmehr sollen die Präklusionsvorschriften gleichgemäß auch der Rechtssicherheit der Umweltschützer, d. h. der betroffenen Öffentlichkeit und insbesondere der Umweltschutzvereinigungen, dienen. In diesem Sinne scheint § 2 429 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599, Rn. 15 ff. (Peterbroeck, Van Campenhout & Cie/Belgischer Staat), NVwZ 1997, S. 372 ff.; EuGH, Urt. v. 27.02.2003, Rs. C-327/00, Slg. 2003, I-1907, Rn. 54 (Kommission/Belgien). 430 Vgl. H.-W. Louis, NuR 2004, S. 290; M. Gelermann, NVwZ 2006, S. 11; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2009, S. 446. 431 UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S 7. S. 143. 432 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 15. 433 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.1996 – 4 A 38/95, NVwZ 1997, S. 489 ff.; BVerwG, Urt. v. 30.01.2008 – 9 A 27/06, Rn. 29, NVwZ 2008, S. 678. 434 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 – 7 C 101/78, NJW 1981, S. 359 ff.; BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, Rn. 6, ZUR 2010, S. 382 ff.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 389
Abs. 3 UmwRG unangemessen restriktiv für die Seite der Umweltschützer und daher nicht vereinbar mit dem EU-Recht zu sein.435 Die dargestellte Problematik wird gestärkt, denn zudem fehlt es nicht selten an einer aktiven und konkreten behördlichen Information der jeweiligen Umweltvereinigung über die präzise Auslegung der Unterlagen. Gleiches gilt freilich auch bei der landesnaturschutzrechtlichen VK.436 Hieran ändern auch die durch Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben437 geänderten behördlichen Benachrichtigungspflichten gegenüber anerkannten Vereinigungen im Fachplanungsrecht nichts, da die Benachrichtigung grundsätzlich durch ortsübliche Bekanntmachung erfolgen kann (vgl. § 18a Nr. 2 EBG n. F., § 17a Nr. 2 FStrG n. F., § 14a Nr. 2 WaStrG, § 2 Nr. 2 MPlG n. F., § 11a Nr. 2 EnWG).438 Noch problematischer erscheint diese Entscheidung des Gesetzgebers – auch im Hinblick der Rechtssicherheit –, wenn man sich vor Augen hält, dass in der Praxis zahlreiche Vereinigungen aufgrund des Mangels an Personal- und Sachmitteln häufig nicht in der Lage sind, sämtliche Einwendungen gegen ein Vorhaben fristgerecht vorzubringen.439 Die Einbringung der Sachkunde der Umweltschutzvereinigungen sollte aber jedenfalls vor Gericht durchgesetzt werden. Ansonsten würde die Verwirklichung der Einbringung von umweltbezogener Sachkunde deutlich geschwächt.440 Im Hinblick darauf hat der EuGH festgestellt, dass das Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen für die Einleitung sowohl eines verwaltungsbehördlichen als auch eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens so auszulegen ist, dass eine möglicherweise im Widerspruch zum EU-Umweltrecht stehende Entscheidung vor Gericht anfechtbar sein kann.441 Vor diesem Hintergrund wird aber das Argument, dass die Ausschlussvorschriften dem Grundsatz der Effektivität des EU-Rechts grundsätzlich genügen, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist,442 abgeschwächt.443 Die Einhaltung der Rechtssicherheit sollte letztlich nicht den unionsgebotenen effektiven Rechtsschutz verdrängen. 435
Vgl. D. Teßmer, ZUR 2006, S. 471; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15. Vgl. A. Schmidt, ZUR 2011, S. 299 ff., m.w. N. 437 Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 09.12.2006, BGBl. I S. 2833. 438 Vgl. D. Teßmer, ZUR 2006, S. 471; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15. 439 Vgl. H.-W. Louis, NuR 2004, S. 290; M. Genth, NuR 2008, S. 31. 440 W. Frenz, NuR 2012, S. 622. 441 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-02271, Rn. 44 (Unibet Ltd. u. a./Justitiekansler), EuZW 2007, S. 247 ff.; EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 442 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.2009 – 4 B 57/09, Rn. 6, ZUR 2010, S. 382 ff., m.w. N. 436
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Die Kritik zu dieser Problematik mehrt sich auch auf unionaler Ebene. Am 17.10.2013 teilte die EU-Kommission mit, eine Klage gegen Deutschland zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 4267/2007 erhoben zu haben. Mit dieser Klage, die kurz nach der letzten Novelle des UmwRG erhoben wurde, stehen vor allem die Regelungen zur Behördenpräklusion in § 2 Abs. 3 UmwRG bzw. § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG, das Recht natürlicher und juristischer Personen, die fehlerhafte Durchführung einer UVP gerichtlich geltend zu machen (§ 4 Abs. 3 UmwRG), und die Voraussetzungen, unter denen Zulassungsentscheidungen aufgrund einer fehlerhaften UVP aufzuheben sind (§ 4 Abs. 1 UmwRG), auf dem Prüfstand.444 Was insbesondere die Präklusionsregelungen betrifft, legte die Kommission mit Schreiben vom 01.10.2012 der deutschen Vertretung dar445, dass sie unter anderem die Präklusionsregelungen unter Berücksichtigung von Art. 11 UVP RL n. F. und Art. 25 IE-RL für europarechtswidrig hält. Denn die Handhabung der Präklusionsregelungen durch die deutsche Gerichtsbarkeit scheint vor allem nicht mit dem Prinzip des effektiven Rechtsschutzes vereinbar zu sein.446 Der Auffassung der Kommission nach, stellen die Präklusionsregelungen die vollständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen nicht sicher. Denn sie beschränken diese Überprüfung nur auf einzelne Aspekte, die im Verwaltungsverfahren vorgebracht wurden. Zudem erschweren sie übermäßig das Recht der betroffenen Öffentlichkeit, die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen anzufechten, und schränken daher den wirksamen Rechtsschutz der betroffenen Öffentlichkeit ein.447 Im Hinblick auf das Argument, dass Art. 11 UVP-RL n. F. es den Mitgliedstaaten ausdrücklich erlaubt, Instrumente ihres nationalen Rechtssystems beizubehalten, weist die EU-Kommission darauf hin, dass dies im Einklang mit dem Ziel dieser RL, einen weiten Zugang zu Gerichten auszulegen, sein soll.448 443
W. Frenz, NuR 2012, S. 622. Schreiben der EU-Kommission an Deutschland v. 01.10.2012 zum VV Nr. 2007/ 4267; vgl. Schriftliche Frage/Schriftliche Antwort v. 07.02.2013, BT-Drs. 17/12304, Nr. 185, 186; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff. 445 Schreiben der EU-Kommission an Deutschland v. 01.10.2012 zum VV Nr. 2007/ 4267; vgl. Schriftliche Frage/Schriftliche Antwort v. 07.02.2013, BT-Drs. 17/12304, Nr. 185, 186; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff. Die Kommission prüft derzeit, ob Präklusionsvorschriften in den Mitgliedstaaten – u. a. auch die deutsche Regelung – mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehen. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. 446 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 14 ff.; dies., Pressemitteilung IP/13/967 v. 17.10.2013, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/pressrelease_IP-13-967_de.htm; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 9; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 18; jeweils m.w. N. 447 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 14 ff. 444
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 391
Die Zweifel der Kommission beziehen sich auch darauf, dass nach der Rechtsprechung zur Vermeidung von Präklusion jede betroffene geschützte Art genannt werden müsse. Dabei müssten die Auswirkungen des jeweils umstrittenen Vorhabens für jede Art einzeln dargestellt werden. Auf diese Weise müssten auch Informationen, die nicht in den Antragsunterlagen enthalten waren, bereits im Rahmen der Einwendung vorgetragen werden. Ist aber dies nicht der Fall, kann auch kein Rechtsschutz für die jeweils beeinträchtigten Naturgüter (etwa Flora und Fauna) bestehen.449 Dies scheint aber unangemessen zu sein, da es zum Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens sehr wahrscheinlich sein kann, dass die betroffene Öffentlichkeit wichtige Punkte des jeweils umstrittenen Vorhabens nicht genau kennt, obwohl sie gute Gründe hat, diese im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren vorzubringen. In Anbetracht der Komplexität der überprüften Vorhaben und des großen Umfangs der zu Beginn des Verwaltungsverfahrens ausgelegten Dokumente scheint somit die im deutschen Verfahrensrecht vorgesehene Einwendungsfrist von zwei Wochen übermäßig kurz. Auf diese Weise werden Einwendungen, die nach dieser knappen Einwendungsfrist vorgebracht werden, nicht mehr berücksichtigt. Zudem können solche Einwendungen nicht mehr in einem künftigen Gerichtsverfahren vorgebracht werden. Dadurch wird die Anfechtung der Rechtmäßigkeit von Rechtsakten, die am Ende des Verwaltungsverfahrens getroffen werden, erheblich erschwert.450 Vor allem ist hervorzuheben, dass das Verwaltungsverfahren und das gerichtliche Überprüfungsverfahren zwei eigenständige, voneinander getrennte Verfahren sind. Diese unterschiedlichen Verfahren können daher nicht miteinander verbunden werden. Insoweit kann die Beteiligung der Öffentlichkeit am Verwaltungsverfahren nicht als vorgezogener Rechtsschutz angesehen werden.451 Die gleiche Ansicht vertritt auch der Generalanwalt M. Wathelet in der Rs. C-137/14 anlässlich des (allerdings noch nicht abschließenden) Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission gegen Deutschland, mit dem unter anderem das Verbot, Einwendungen zu erheben (gem. § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG), beanstandet wird. Aus der Tatsache, dass gerichtliche 448 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 14. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. 449 Vgl. P. Kremer, ZUR 2013, S. 92; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 56; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff., m.w. N. 450 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 15. 451 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, S. 15.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Rechtsbehelfe eigenständig und vom Verwaltungsverfahren und verwaltungsverfahrensrechtlichen Rechtsbehelfen unabhängig sind, ergibt sich, dass die oben umstrittenen nationalen Vorschriften für den Zugang zu den Gerichten eine zusätzliche, in Art. 11 der UVP-RL n. F. und Art. 25 der IE-RL nicht vom EURecht vorgesehene Hürde errichten.452 Diese zusätzliche Hürde lässt sich nicht aus Gründen der Rechtssicherheit rechtfertigen, da die Ausschlussfristen für die gerichtliche Anfechtung von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden hierfür ausreichend sind.453 Was das die Effizienz der Verwaltungsverfahren betreffende Vorbringen angeht, trifft es zwar zu, dass sich die Möglichkeit, „Einwendungen“ erstmals im Zuge eines gerichtlichen Rechtsbehelfs zu erheben, als „problematisch“ erweisen kann, doch genügt der Hinweis, dass das eigentliche von Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL verfolgte Ziel darin besteht, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Der Unionsgesetzgeber hat diesem Ziel gegenüber der Effizienz der Verwaltungsverfahren eindeutig den Vorrang gegeben, um zur Erhaltung, zum Schutz und zur Verbesserung der Umweltqualität sowie zum Schutz der menschlichen Gesundheit beizutragen.454 Aus all diesen Beobachtungen und Überlegungen folgt, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus Art. 11 der UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL verstößt, indem es in § 2 Abs. 3 UmwRG und in § 73 Abs. 4 VwVfG die Klagebefugnis und den gerichtlichen Prüfumfang auf Einwendungen beschränkt, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren, das zur Annahme der Entscheidung geführt hat, eingebracht wurden.455 Auch wenn einige Urteile des EuGH für die Zulässigkeit von Ausschlussfristen für die Einbringung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen von Behörden sprechen,456 sind sie allerdings bei der hier diskutierten Konstellation m. E. nicht relevant. Denn sie beschäftigen sich eigentlich nicht genau mit der hier aufgeworfenen Frage, ob die Auswirkungen von Einwendungsfristen im Verwaltungsverfahren auch für das nachfolgende gerichtliche Verfahren angewendet werden können.457 452 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 116–117 (Kommission/Deutschland), ZUR 2015, S. 421. 453 Ebd., Rn. 118. 454 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 119 (Kommission/Deutschland), ZUR 2015, S. 419; in diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 07.11. 2013 – Rs. C-72/12, Rn. 27–29 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff. 455 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 116 ff. (Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland), ZUR 2015, S. 419. 456 EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3240, Rn. 33 ff. (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./ Midland Bank plc), EuZW 2000, S. 565 ff. 457 EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 15.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 393
c) Der Vorlagebeschluss Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/ Stockholms kommun genom dess marknämnd Für die Nichtvereinbarkeit der Präklusionsvorschriften des UmwRG mit dem EU-Recht spricht auch der Vorlagebeschluss des EuGH vom 15.10.2009.458 Der EuGH beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, ob die Beteiligung Betroffener während des Zulassungsverfahrens die spätere Klagebefugnis ausschließe oder einschränke, weil es um die besondere Situation ging, dass im schwedischen Recht schon die Zulassung des Projekts eine administrative Aufgabe eines Gerichts war.459 Es sollte beachtet werden, dass es bei diesem Sachverhalt nicht um die Frage geht, ob die vorherige Beteiligung am Verwaltungsverfahren zur Voraussetzung für den Zugang zum Gericht gemacht werden darf, sondern um die Frage, ob Art. 10a UVP-RL a. F. der betroffenen Öffentlichkeit, die am Genehmigungsverfahren beteiligt war, erlaubt, unmittelbar und ohne Einschränkungen die Gerichte anzurufen – ob also die Beteiligung am Verwaltungsverfahren die Klagebefugnis zur Folge hat.460 Insofern ist auf den ersten Blick die Stellungnahme des EuGH allein für die Länder relevant, in denen – wie u. a. in Schweden – ein Gericht die Kompetenz besitzt, gewissermaßen als Verwaltungsbehörde über die Zulässigkeit bestimmter Vorhaben zu entscheiden. Zwar setzt sich der EuGH mit schwedischen Rechtsvorschriften auseinander, aber sein Urteil dürfte auch in Deutschland auf Interesse stoßen. Dies gilt angesichts der Tatsache, dass die europarechtliche Konformität von entsprechenden Vorschriften des deutschen Rechts (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 3 UmwRG) ebenfalls kontrovers ist. Auch wenn diese Entscheidung keine nationale Präklusionsvorschrift betraf, lässt sie sich daher auf diese übertragen.461 Zum einen betonte der EuGH, dass das Anfechtungsrecht nach Art. 10a UVPRL a. F. (Art. 11 UVP n. F.) unabhängig davon ist, ob die Behörde, die die angefochtene Entscheidung oder Maßnahme erlassen hat, verwaltungsbehördlichen 458 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.; in diese Richtung auch A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 167 ff. 459 T. Bunge, ZUR 2010, S. 23 ff. 460 GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07.2009 in der Rs. C-263/08, insb. Rn. 32 ff., abrufbar unter: http://curia.europa.eu; Die Generalanwältin, die mit der Fallgestaltung konfrontiert war, beschäftigt sich nur damit, dass eine Umweltorganisation sich an einem Verwaltungsverfahren beteiligt hatte, aber nach dem maßgeblichen Landesrecht nicht klagebefugt ist, weil sie nicht mindestens 2000 Mitglieder hat. 461 Vgl. T. Bunge, ZUR 2010, S. 20; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 283 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 176; jeweils m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
oder gerichtlichen Charakter hat. Zum anderen unterscheidet sich die Beteiligung am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren unter den Voraussetzungen der Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 4 der UVP-RL a. F. von einer gerichtlichen Anfechtung und hat auch einen anderen Zweck als eine spätere Klage bei einem Gericht. Grund dafür ist vor allem, dass sich eine solche Anfechtung gegebenenfalls gegen die am Ende dieses Verfahrens ergehende Entscheidung richten kann, während die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltbezogenen Verfahren den Informationsgeboten dient.462 Das Einwendungsverfahren zielt somit nicht auf eine rechtliche Auseinandersetzung, sondern auf eine Sachverhaltsermittlung. Erforderlich ist daher eine kritische Auseinandersetzung mit dem bereits vorhandenen Material unter naturund umweltschutzfachlichen Gesichtspunkten.463 Insofern kann diese Beteiligung keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen für die Ausübung des Anfechtungsrechts haben.464 Im Anschluss daran stellt der EuGH klar, dass es den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit möglich sein muss, auch eine von einem nationalen Gericht erlassene Entscheidung über einen Antrag auf Projektgenehmigung anzufechten. Dies ist der Ansicht des EuGH nach anzunehmen, „gleichviel, welche Rolle die betroffene Öffentlichkeit in dem Verfahren über den Genehmigungsantrag vor dieser Stelle durch ihre Beteiligung an und ihre Äußerung in diesem Verfahren spielen konnte“.465
Auch die Schlussanträge der Generalanwältin E. Sharpston466 lassen sich nicht allein auf diesen Fall beziehen, sondern ebenso auf die Frage, ob die Klagebefugnis eines Einzelnen oder einer Vereinigung voraussetzt, dass er oder sie sich zuvor am Verwaltungsverfahren beteiligt hat. Die Tatsache, dass die Formulierungen des Urteils allgemein gehalten sind, kann für eine weitergehende Relevanz der Präklusionsvorschriften sprechen. Auch Generalanwältin E. Sharpston kommt zu dem Schluss, dass auch „die vorherige Beteiligung aufgrund von Art. 6 UVP-RL keine allgemeine Bedingung für den Zugang der ,betroffenen Öffentlichkeit‘ zu den Gerichten ist. Jedoch hat eine nichtstaatliche Umweltschutzorganisation, die die Voraussetzungen erfüllt,
462 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 38 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 30–31; T. Bunge, ZUR 2010, S. 20, S. 23. 463 Vgl. etwa: BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, Rn. 35, ZUR 2012, S. 187 ff. 464 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 38 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 30–31; T. Bunge, ZUR 2010, S. 20, S. 23. 465 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 39 (DjurgårdenLilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 31; T. Bunge, ZUR 2010, S. 23 ff. 466 GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07.2009 in der Rs. C-263/08, insb. Rn. 52 (abrufbar unter: http://curia.europa.eu).
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 395 um ,betroffene Öffentlichkeit‘ i. S. d. Art. 1 Abs. 2 S. 4 UVP-RL a. F. zu sein, gemäß Art. 10a UVP- RL a. F. automatisch das Recht auf Zugang zu den Gerichten“.467
Eine Partizipation am Verwaltungsverfahren soll somit keine zwangsläufig erforderliche Bedingung für eine Klage sein.468 Vor diesem Hintergrund könnten diese vagen Aussagen des EuGH sowie der Generalanwältin so ausgelegt werden, als ob sie darauf hindeuten wollen, dass die aktuellen Vorgaben des Art. 11 UVP-RL n. F. sowie des Art. 25 IE-RL den Zugang zu den Gerichten auch jenen Betroffenen gewähren sollen, die während des Zulassungsverfahrens über die Projektgenehmigung keine Einwendungen erhoben bzw. geäußert haben.469 Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die UVP-RL weder für Einzelpersonen noch für Vereinigungen verlangt, dass sie sich aktiv mit Einwendungen am Zulassungsverfahren über ein Projekt beteiligt haben müssen, um eine Klage erheben zu können.470 Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der hier vertretenen Ansicht, dass die materiellen Präklusionsnormen nicht vereinbar mit Art. 9 Abs. 2 und 3 AK sind.471 Insofern sollten die, der Umsetzung des Völkerrechts auf unionaler Ebene dienenden, europäischen Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ausgelegt werden, um Verstöße gegen das Völkerrecht zu vermeiden.472 d) Der EuGH verwirft deutsche Präklusionsregelungen Die umstrittene Frage hinsichtlich der Vereinbarkeit deutscher Präklusionsvorschriften mit dem EU-Recht wurde letztlich durch das aktuelle Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 beantwortet.473 Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegen Deutschland musste sich der EuGH 467
Ebd. T. Bunge, ZUR 2010, S. 23 ff. 469 Ebd. 470 Dass Art. 10a UVP-RL nur auf Art. 6 UVP-RL verweist, ist damit zu rechtfertigen, dass er die Gegenstände der gerichtlichen Kontrolle umschreibt („Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, für die die Bestimmungen der UVP-RL über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten“). Die Vorschrift erklärt die Mitwirkung eines Betroffenen am Genehmigungsverfahren aber nicht ausdrücklich zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer späteren Klage. T. Bunge, ZUR 2010, S. 23. 471 s. o. 1. Teil, 3. Kap., F., III., 2., b); EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 75 ff. (Kommission/Deutschland), juris. 472 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 30 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 176. 473 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.; mehr zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., IV.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 3. 468
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
unter anderem auch mit der Frage der unionsrechtlichen Vereinbarkeit der Beschränkung der Klagebefugnis und des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle auf Einwendungen, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren, das zur Annahme der jeweils umstrittenen Verwaltungsentscheidung geführt hat, eingebracht wurden (gem. § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG), befassen. Der EuGH hat nämlich entschieden, dass die in den Bestimmungen der §§ 2 Abs. 3 BImSchG, 73 Abs.4 VwVfG vorgesehenen materiellen Präklusionsregelungen unvereinbar mit den Rechtsschutzvorgaben aus Art.11 UVP-RL und Art.25 IE-RL sind.474 Der EuGH folgt in seinem Urteil grundsätzlich den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet in Bezug auf diese Rechtssache.475 Das Gericht hat einerseits angenommen, dass es weder nach Art. 11 Abs. 4 UVP-RL n. F. noch nach Art. 25 Abs. 4 IE-RL ausgeschlossen ist, dass einem gerichtlichen Rechtsbehelf ein verwaltungsbehördliches Überprüfungsverfahren vorausgeht. Im Hinblick darauf stellt der EuGH fest, dass diese Vorschriften dem nicht entgegen stehen, dass das nationale Recht für den Rechtsbehelfsführer die Verpflichtung vorsieht, sämtliche verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen, bevor er einen gerichtlichen Rechtsbehelf einlegen kann. Andererseits aber unterstreicht er deutlich, dass es diese unionsrechtlichen Vorschriften nicht zulassen, die Gründe, auf die der Rechtsbehelfsführer einen gerichtlichen Rechtsbehelf stützen kann, zu beschränken.476 Der EuGH stützt diese Feststellung vor allem auf das angestrebte Ziel von Art. 11 UVP-RL n. F. sowie der AK, im Sonderbereich des Umweltschutzes einen weitreichenden Gerichtszugang zu gewähren.477 Wie schon der EuGH judiziert hat, enthält Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F., wonach Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne dieses Artikels zum Gegenstand eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens gemacht werden können müssen, „um ihre materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit anzufechten“, keine Beschränkung der Gründe, die mit einem solchen Rechtsbehelf geltend gemacht werden können.478 Dass § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG besondere Bedingungen aufstellen, die die gerichtliche Kontrolle einschränken, ist weder nach Art. 11 UVP-RL n. F. noch nach Art. 25 IE-RL vorgesehen.479 474 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 75 ff. (Kommission/Deutschland), juris. 475 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 116 ff. (Kommission/Deutschland), ZUR 2015, S. 421. 476 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 77 (Kommission/Deutschland), juris. 477 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 77 (Kommission/Deutschland), juris. 478 EuGH, Urt. v. 12.05.2011 – Rs. C-115/09, Rn. 37 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; s. u. 1. Teil, 4. Kap., A., II. 479 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 78 (Kommission/Deutschland), juris.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 397
Im Anschluss daran stellt der EuGH klar, dass sich eine mit der Präklusion einhergehende Beschränkung auch nicht mit Rechtssicherheitserwägungen der Bundesrepublik rechtfertigen lassen könnte. Denn es ist „keineswegs erwiesen, dass eine umfassende gerichtliche Kontrolle der sachlichen Richtigkeit dieser Entscheidung diesem Grundsatz abträglich sein könnte“.480 Was das Argument der Bundesrepublik hinsichtlich der Effizienz von Verwaltungsverfahren durch die Anwendnung von Präklusionsregelungen angeht, akzeptiert zwar der EuGH den Umstand, dass in bestimmten Fällen ein Grund erstmals vor Gericht vorgetragen werden kann, der den ordnungsgemäßen Ablauf dieses Verfahrens behindern mag. Er stellt aber zugleich fest, dass allein das Argument der Effizienz der Verwaltungsverfahren nicht ausreicht, um die Anwendung der umstrittenen Präklusionsregelungen zu rechtfertigen. Vielmehr genügt der Hinweis darauf, dass das mit Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL angestrebte Ziel eines weiten Zugangs zu Gerichten für die Öffentlichkeit „nicht nur darin besteht, den rechtssuchenden Bürgern einen möglichst weitreichenden Zugang zu gerichtlicher Überprüfung zu geben, sondern auch darin, eine umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu ermöglichen“.481
Der Ansicht des EuGH nach wiegt schließlich dieses Ziel schwerer als das Interesse, das gerichtliche Klageverfahren effizient durchzuführen.482 Der Auffassung des EuGH nach wird die gerichtliche Kontrolle durch die Präklusionsregelungen unangemessen eingeschränkt. Es handelt sich letztlich – auch vor dem Hintergrund der AK – um die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes des durch die UVP- und IE-RL eingeräumten gerichtlichen Rechtsrahmens.483 Vor diesem Hintergrund scheint es, dass die Präklusionsanforderungen in § 2 Abs. 3 i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG den europäischen Vorgaben widersprechen. Es dürfte daher die Präklusion von Einwendungen, die nach dem Verwaltungsverfahren von Umweltschutzvereinigungen vorgetragen wurden, i. d. R. unzulässig sein. Denn ein solcher Tatbestand könnte in der Praxis mit der Nichtbeteiligung einer Umweltschutzvereinigung am Verwaltungsverfahren gleichgestellt werden. Demzufolge dürfte es auch unzulässig sein, die Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen im nationalen Recht auch davon abhängig zu machen, dass diese sich zuvor im Rahmen ihrer Beteiligung am Verwaltungsverfahren in der Sache geäußert haben. Beachtenswert ist auch, dass der EuGH zugleich den Missbrauch von Klagemöglichkeiten verhindern will. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist sowieso ein
480 481 482 483
EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 79 (Kommission/Deutschland), juris. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 80 (Kommission/Deutschland), juris. J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. W. Frenz, NuR 2015, S. 833.
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allgemeiner, auch im Unionsrecht geltender Rechtsgrundsatz.484 Deswegen erlaubt er dem nationalen Gesetzgeber, spezifische Verfahrensvorschriften vorzusehen, nach denen z. B. ein missbräuchliches oder unredliches Vorbringen unzulässig ist, und die geeignete Maßnahmen darstellen, um die Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten.485 Dies bedeutet in der Praxis, dass kein absolutes „Präklusionsverbot“ gelten muss. Vielmehr obliegt die Feststellung des Missbrauchs des Einwendungsrechts den Verwaltungsgerichten.486 Diese Position wurde bei der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 berücksichtigt.487 Ein „Präklusionsverbot“ mag insbesondere in den Fällen ausscheiden, in denen die erstmalige Geltendmachung von Einwendungen vor einem Gericht erkennbar ausschließlich der Verzögerung des Vorhabens dient. Bei solchen Konstellationen muss daher ein Einwendungsausschluss möglich sein. Eine solche Konstellation dürfte insbesondere vorliegen, wenn der Einwender gezielt das behördliche Verfahren bis zur Erteilung der Genehmigung abwartet, um sodann Klage zu erheben und hierdurch mit der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage aus §§ 80 Abs. 1 S. 2, 80a VwGO die Vorhabenzulassung vorläufig zu verhindern. Zuzugeben ist aber, dass diese Fälle im Großen und Ganzen die Ausnahme bleiben dürften.488 In Anlehnung an die Rechtsprechung des unten diskutierten Altrip-Urteils des EuGH489 dürfte die materielle Beweislast für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs hinsichtlich des Vorbringens der Einwendungen des Klägers bei der Genehmigungsbehörde bzw. dem Vorhabenträger liegen.490 e) Rechtliche und praktische Folgen Dieses Urteil führt aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts gegenüber dem nationalen Recht zur unionsrechtsbedingten Unanwendbarkeit der deutschen Präklusionsregelungen zumindest in Umweltangelegenheiten. Zwar nennt das Urteil explizit nur die Bestimmungen des § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG als unangemessen einschränkend und daher unionsrechtswidrig, doch enthält das deutsche Umweltrecht zahlreiche weitere vergleichbare materielle Präklusionsbestimmungen, etwa § 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG, § 64 Abs. 2 BNatSchG, § 10 Abs. 4 S. 2 LuftVG, § 17a Nr. 7 S. 2 FStrG, § 14a Nr. 7 S. 2 WaStrG, § 18a Nr. 7 S. 2 AEG, § 2 Nr. 7 S. 2 MBPlG und § 43a Nr. 7 S. 2 EnWG, § 3 Abs. 2 S. 2 484 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.05.1998 – Rs. C-367/96 (Kefalas u. a./Griechenland, m.w. N.; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015. 485 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 81 (Kommission/Deutschland), juris. 486 J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 487 s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., VII. 488 J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 489 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 53 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff.; s. u. 1. Teil, 3. Kap. E., III., 4. 490 J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 399
BauGB, die ebenfalls aufgrund dieses Urteils unanwendbar sein sollen. Die hier dargestellten Feststellungen des EuGH-Urteils gelten somit in gleicher Weise auch für die oben genannten oder entsprechenden Präklusionsbestimmungen, die unter diesen Umständen nicht mehr angewandt werden müssen. Dadurch werden die Klagemöglichkeiten der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten deutlich erweitert.491 Aus praktischer Sicht ist zu erwarten, dass dieses Urteil den – angesichts der engen Präklusionsfristen – bestehenden zeitlichen und finanziellen Druck der Umweltschutzvereinigungen hinsichtlich ihrer Anstrengungen, die negativen Wirkungen eines umweltschädlichen Vorhabens präzise und detailliert vor den zuständigen Behörden zu beschreiben, vermindern wird. Vor dem dargestellten Hintergrund dieses Urteils könnten vermutlich auch vergleichsweise knappe Hinweise an die Behörde genügen, um diese ggf. zu weiteren Untersuchungen bezüglich der umweltrelevanten Auswirkungen des jeweils umstrittenen Vorhabens zu motivieren. Denn aufgrund dieses Urteils scheint es, dass die Möglichkeit der Umweltverbände, relevante Einwendungen im Gerichtsprozess geltend zu machen, bestehen bleibt, auch wenn diese Verbände sich nicht am Verwaltungsverfahren beteiligen.492 Unter diesen Umständen ist es möglich, dass die Verbände im Rahmen eines Rechtsbehelfs gem. § 2 Abs. 1 UmwRG Tatsachen bezüglich umweltschädlicher Wirkungen des Vorhabens vorbringen oder auf mögliche Beeinträchtigungen der Umwelt hinweisen, die sie im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren noch nicht oder nur teilweise und pauschal geltend gemacht haben, und die daher nicht im Verwaltungsverfahren behandelt worden waren. Daraus folgt, dass die Verwaltungsbehörden nun noch genauer und sorgfältiger die Rechtmäßigkeit der jeweiligen umweltbezogenen Verwaltungsentscheidung prüfen, um einen weiteren Gerichtsprozess möglicherweise zu vermeiden. Daher muss die Verwaltung mit einem höheren zeitlichen und finanziellen Aufwand rechnen. Es ist z. B. denkbar, dass die Verwaltung bestimmte weitere Gutachten fordert, um auf mögliche Einwände der Umweltschutzvereinigungen in einem künftigen Gerichtsprozess konsequent und effektiv reagieren zu können.493 Gleiches gilt auch für die Vorhabenträger, die unter diesen Umständen bei der Erarbeitung der erforderlichen Unterlagen durch die Behörde vorsichtiger als bisher auf alle möglichen denkbaren Konfliktfragen eingehen sollen (z. B. auch durch die Anforderung von zusätzlichen Gutachten), um neue Einwände im gerichtlichen Verfahren zu vermeiden.494 Aber auch die Verwaltungsgerichte müssen wegen des Wegfalls der materiellen Präklusionsvorschriften im deutschen 491 492 493 494
Vgl. T. Bunge, ZUR 2010, S. 22 ff. Vgl. T. Bunge, NuR 2016, S. 19 ff. Ebd. Ebd.
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Recht mit mehr Arbeitsaufwand rechnen. Denn sie müssen sich jetzt mit allen Einwänden in der Sache befassen, die die Betroffenen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorbringen, unabhängig davon, ob diese den zuständigen Behörden innerhalb einer Einwendungsfrist übermittelt worden waren.495 Trotz des Wegfalls der Präklusionsvorschriften muss beachtet werden, dass die Umweltverbände in der Praxis ein Interesse daran haben, sich am Verwaltungsverfahren zu beteiligen. Denn je konkreter und detaillierter die Umweltverbände zu den Fragen bezüglich der negativen Auswirkungen des jeweils umstrittenen Vorhabens im Verwaltungsverfahren oder sogar vorher Stellung nehmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zuständige Behörde rechtzeitig und sachgemäß ihre Einwendungen aufgreift, so dass dadurch Vorhabendefizite vermieden oder eingeschränkt werden können.496 Mit dem Wegfall der Präklusionsvorschriften könnte daher die Bedeutung der sog. frühen Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 25 Abs. 3 VwVfG verstärkt werden. Nutzen die jeweiligen Behörden, Vorhabenträger und die Umweltverbände oder Individuen die Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren vernünftig, um die Öffentlichkeit zu beteiligen und zu informieren, könnten alle umweltbezogenen Kritikpunkte und Fragen vor Beginn oder während des Verwaltungsverfahrens ausreichend geklärt werden, so dass die Wahrscheinlichkeit für eine Klage mit neuen Sachvorträgen erheblich verringert werden könnte.497 Gerade aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist eine Streichung der Präklusionstatbestände aus den betroffenen Gesetzen rechtlich nicht zwingend.498 Angesichts der Tatsache, dass dieses EuGH-Urteil Ausnahmen vom „Präklusionsverbot“ zulässt, ist jedenfalls eine Modifizierung der bisher geltendenden Präklusionsregelungen zu empfehlen. 4. Lösungsansätze Der Bundesgesetzgeber sollte dieser Argumentation hinsichtlich der dargestellten Problematik der materiellen umweltrechtlichen Präklusionsnorm ernsthaft Rechnung tragen und dahingehend die oben skizzierten unionsrechtwidrigen Hürden der Präklusionsregelungen beheben.499 Vorbildlich könnte dafür auch das entsprechende Verfahrensrecht der griechischen Rechtsordnung sein, das keine entsprechenden Präklusionsregelungen kennt.500 495
Ebd. Ebd. 497 Ebd. 498 Ebd. 499 Vgl. insb. über die Zukunft der Präklusion; M. Kment, UPR 2016, S. 487 ff., m.w. N. 500 Dazu s. u. 2. Teil, 1. Kap., A. Auch das polnische, österreichische und niederländische Rechtssystem halten keine materiellen Präklusionsvorschriften vor. Mehr dazu 496
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 401
Die schärfste Maßnahme wäre somit die Abschaffung der Präklusionsvorschriften von § 2 Abs. 1 Nr. 3 sowie Abs. 2 Abs. 3 UmwRG. Alternativ könnte der Gesetzgeber die aktuellen verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen dahingehend verändern, dass sie mit den unionsrechtlichen Anforderungen vereinbar sind. Im Hinblick darauf sollte der Gesetzgeber in Kooperation mit der Verwaltung dafür sorgen, dass Informationen über die Einleitung und den Ablauf der Verfahren sowie die Planungs- oder Genehmigungsunterlagen über geeignete Internetplattformen der betroffenen Öffentlichkeit einfach und kostenlos zugänglich sind.501 Außerdem sollten zumindest den Umweltschutzvereinigungen und den vor Ort Betroffenen auf Nachfrage die Unterlagen in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden. Unter diesen Umständen wäre es besser als bisher möglich, fristgerecht qualifizierte Einwendungen zu erheben.502 Darüber hinaus könnte der Gesetzgeber die Präklusion der Einwendungen der Umweltschutzvereinigungen im Gerichtsverfahren an eine individuelle Benachrichtigung der Umweltschutzvereinigung (z. B. in Form einer Datenbank) knüpfen (einschließlich einer Präklusionsbelehrung). Eine solche Regelung ließe sich im VwVfG (§ 73 Abs. 4) oder den Fachgesetzen verankern. Daraus würde folgen, dass im Falle einer fehlenden individualisierten Benachrichtigung keine Präklusion einträte. Da der erforderliche Aufwand für die Erhebung von qualifizierten Einwendungen je nach Größe des Vorhabens in der Praxis sehr unterschiedlich ist, könnten außerdem die bisher üblicherweise etwa sechs Wochen langen Fristen flexibilisiert werden.503 Empfehlenswert wäre daher insbesondere bei hochkomplexen Vorhaben möglicherweise eine Verlängerung der bisher geltenden Einwendungsund Auslegungsfrist. Diese sollte mindestens zwei Monate betragen. Als Beispiel könnte die alte Rechtslage im Immissionsschutzrecht (gem. § 10 Abs. 3 BImSchG a. F.) herangezogen werden, wonach mit Ablauf der zweimonatigen Auslegungsfrist alle weiteren Einwendungen von Rechtssubjekten ausgeschlossen sind, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen.504 Andererseits wäre in besonders einfachen Fällen eine Verkürzung der Einwendungs- und Auslegungsfrist auf einen Monat denkbar.505 Der Gesetzgeber sollte darauf Rücksicht nehmen. Als sinnvoll erweist sich im Rahmen des UmwRG auch die Einführung einer unter bestimmten Umständen erweiterten Ermöglichung von Nachbesserungen UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 118 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 169 ff. 501 A. Schmidt, ZUR 2011, S. 304, m.w. N. 502 Ebd. 503 Ebd. 504 Mehr dazu in: W. Hoppe/M. Beckmann, Umweltrecht, 1989, S. 416 ff., m.w. N. 505 A. Schmidt, ZUR 2011, S. 304, m.w. N.
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des Klagevortrags im gerichtlichen Verfahren. Diese Möglichkeit könnte durch eine dahingehende Modifizierung des § 2 Abs. 3 UmwRG gesetzlich geregelt werden. Diese Möglichkeit sollte allerdings befristet werden, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen. Als Vorbild könnte etwa die entsprechende niederländische Regelung genutzt werden. Zwar hat der niederländische Gesetzgeber auch Regelungen für eine materielle Präklusion aufgenommen, er geht allerdings weniger restriktiv vor, indem Nachbesserungen des Klagevortrags vor Gericht grundsätzlich ermöglicht werden und neue rechtliche oder faktische Argumente im Hinblick auf die bereits vorgetragenen Überprüfungsgründe vorgebracht werden können. Durch die niederländische Präklusionsregelung soll nur verhindert werden, dass ständig neue Überprüfungsgründe in das Verfahren eingebracht werden. Der Unterschied zur deutschen Vorgehensweise liegt darin begründet, dass die entsprechende niederländische Regelung den Gerichten einen deutlich großzügigeren Spielraum im Umgang mit ergänzenden Klagevorbringen ermöglicht, ohne die Rechtsfigur der Präklusion ganz abzuschaffen.506 Parallel dazu wäre es auch sachgemäß, dass der deutsche Gesetzgeber geeignete Maßnahmen trifft, um das Vorbringen von Einwendungen nach dem Verwaltungsverfahren zu verhindern, soweit sie offensichtlich ausschließlich dem Zweck dienen, die Zulassung des Vorhabens zu verzögern. Er könnte somit eine Vorschrift erlassen, die beispielsweise so lauten könnte: „Hat die Vereinigung im Verwaltungsverfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 UmwRG Gelegenheit zur Äußerung gehabt, ist sie im gerichtlichen Verfahren mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 UmwRG nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können, sofern die Geltendmachung im gerichtlichen Verfahren offensichtlich ausschließlich dem Zweck dient, die Zulassung des Vorhabens zu verzögern.“507
Durch solche gesetzlichen Änderungen könnte der deutsche Gesetzgeber die Rechtsproblematik hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit der aktuellen nationa506 Diese niederländische Regelung (Art. 6:13 GALA) begrenzt die gerichtliche Überprüfung auf diejenigen Antragsgegenstände („Überprüfungsgründe“), die bereits in den vorangegangenen Verfahrensabschnitten (einschließlich des behördlichen Verfahrens) vorgetragen worden sind. Diese Regelung ist sowohl auf alle Arten der Verwaltungsverfahren als auch in allen gerichtlichen Instanzen anwendbar. Den klagenden Umweltorganisationen ist es im Gerichtsverfahren allerdings weiterhin möglich, neue rechtliche oder faktische Argumente im Hinblick auf die bereits vorgetragenen Überprüfungsgründe anzubringen. Eine begrenzte Nachbesserung ist also möglich. s UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 117 ff., m.w. N. 507 In diese Richtung auch J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.; ein missbräuchliches Verhalten dürfte jedenfalls bei arglistigem Verschweigen von Einwendungen im Verwaltungsverfahren zu bejahen sein, wenn der Kläger sich Vorteile im Klageverfahren zu verschaffen sucht; VG Osnabrück, Urt. v. 04.11.2014 – 3 A 88/14, juris.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 403
len Präklusionsnormen entscheidend bekämpfen und den Vorwurf, dass die Wirksamkeit zumindest der unionsrechtlich verliehenen Rechte durch die geltenden nationalen Präklusionsnormen übermäßig erschwert werde, überzeugend abweisen. Von Bedeutung ist, dass die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 unter dem Einfluss des EuGH-Urteils (C-137/14)508 § 2 Abs. 3 UmwRG a. F. aufgehoben hat, indem materielle Präklusionsvorschriften im Fach-, Verfahrens- und Prozessrecht gestrichen wurden. Der § 73 Abs. 4 VwVfG wurde durch diese Novelle nicht vollständig aufgehoben.509
VII. Längere Widerspruchs- und Klagefrist für besondere Fälle (§ 2 Abs. 4 UmwRG vom 21.01.2013) § 2 Abs. 4 UmwRG enthält für spezielle Fälle eine Sonderregelung zur ansonsten geltenden Monatsfrist für die Klageerhebung nach § 74 i.V. m. § 58 Abs. 2 VwGO. Um konkreter zu sein, gilt eine Jahresfrist für die Einlegung von Rechtsbehelfen, wenn die Entscheidung weder der Vereinigung noch öffentlich bekannt gegeben wurde und die Vereinigung dennoch von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.510 In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass eine öffentliche Bekanntmachung für die UVP-Vorhaben gem. § 9 Abs. 2 UVPG i.V. m. § 74 Abs. 5 S. 2 VwVfG vorgesehen ist. Entsprechendes gilt auch für die immissionsschutzrechtliche Zulassung von IVU-Anlagen (vgl. § 10 Abs. 7 BImSchG) sowie für nachträgliche Anordnungen (vgl. § 17 Abs. 1a S. 4 BImSchG). Dies gilt auch für die Klageerhebung der naturschutzrechtlichen VK des BNatSchG, denn laut § 64 Abs. 2 BNatSchG gilt § 2 Abs. 4 S. 1 UmwRG entsprechend der naturschutzrechtlichen VK. Auch § 2 Abs. 4 UmwRG ist somit der gleichlautenden Fristbestimmung der naturschutzrechtlichen VK nachgebildet.511 Angesichts der Tatsache, dass die öffentliche Bekanntgabe die individuelle Bekanntgabe bzw. die Zustellung (§§ 41 Abs. 3 S. 1, 74 Abs. 5 S. 1 VwVfG) ersetzt, beschränkt sich demnach der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 4 S. 1
508 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.; mehr zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., IV.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 3. 509 s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., IV. 510 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 12; OVG Münster, Urt. v. 24.09.2009 – 8 B 1342/09.AK, ZUR 2010, S. 204; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12; H. Weidemann, VR 2008, S. 229; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 63; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 124. 511 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 24.09.2009 – 8 B 1342/09.AK, ZUR 2010, S. 204; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12; H. Weidemann, VR 2008, S. 229.
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UmwRG grundsätzlich auf die Fälle, bei denen die öffentliche Bekanntgabe fehlerhaft durchgeführt wurde oder gar nicht erfolgt ist.512 Die Jahresfrist beginnt i. d. R. zu laufen, wenn die Umweltschutzvereinigung faktisch zwar nicht ausreichend informiert worden ist, aber von der Entscheidung Kenntnis hätte erlangen können.513 Ferner läuft bei zeitlich aufeinanderfolgenden Teilgenehmigungen – laut Ansicht des OVG Münster – die Jahresfrist nicht schon mit Beginn der jeweiligen, bestimmten Teilgenehmigungen zuzuordnenden Bauarbeiten, sondern erst dann, wenn die klageberechtigte Umweltschutzvereinigung – etwa über den bloßen Fortgang der Bauarbeiten hinaus – erkennen kann, dass eine weitere Teilgenehmigung erlassen worden ist.514 Von Bedeutung ist, dass die Darlegungslast für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Zulassungsbehörde obliegt. Die Umweltschutzvereinigung ist insoweit erleichtert, als auch die schuldhafte Nichtkenntnis (sog. „Kennen können“) ausreicht, die Jahresfrist in Lauf zu setzen.515 Soweit ein Zustellungsfehler gem. § 8 VwZG und den entsprechenden Ländervorschriften mit dem tatsächlichen Zugang als geheilt gilt, greift § 2 Abs. 4 S. 1 nicht ein. In diesem Fall finden die Rechtsbehelfsfristen gem. den §§ 70 Abs. 1, 74 Abs. 1 VwGO Anwendung.516 512 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 12; OVG Münster, Urt. v. 24.09.2009 – 8 B 1342/09.AK, ZUR 2010, S. 204; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12; H. Weidemann, VR 2008, S. 229; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 63; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 124. 513 Von einem „Kennenkönnen“ ist regelmäßig dann auszugehen, wenn sich das Vorliegen einer Genehmigung für die Umweltschutzvereinigung aufgrund objektiver Anhaltspunkte aufdrängen muss – z. B., weil Baumaßnahmen erkennbar sind, oder weil sie in anderer Weise darüber informiert ist – und wenn es ihr zudem möglich und zumutbar ist, sich etwa durch Anfrage beim Antragsteller (Vorhabenträger) oder bei der Zulassungsbehörde Gewissheit zu verschaffen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Mitglieder der Vereinigung den Baubeginn bzw. den Beginn des Vollzugs der Entscheidung nicht wahrnehmen konnten, etwa weil es sich um eine ausländische Vereinigung handelt. Vgl. OVG Münster, Urt. v. 24.09.2009 – 8 B 1342/09, AK, ZUR 2010, S. 204 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 66, m.w. N. Im Allgemeinen genügt die Veröffentlichung der umstrittenen Entscheidung im Internet gem. § 10 Abs. 8a BImSchG oder § 27a VwVhG nicht für ihre Bekanntgabe; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 128. 514 OVG Münster, Urt. v. 24.09.2009 – 8 B 1342/09.AK, ZUR 2010, S. 204 ff. 515 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 66. 516 Auch in Fällen, wobei der Umweltschutzvereinigung die Zulassungsentscheidung individuell bekanntgegeben wird oder ausnahmsweise keine Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe für die Zulassungsentscheidung besteht (z. B. bei wasserrechtlichen Erlaubnissen, kommt es für die Anwendung des § 2 Abs. 4 S. 1 darauf an, ob die individuelle Bekanntgabe bzw. Zustellung (s. § 41 Abs. 5 VwVfG) fehlerhaft erfolgt ist. F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 65. Auch in Fällen, wo der Umweltschutzvereinigung die Zulassungsentscheidung individuell bekanntgegeben wird oder ausnahmsweise keine Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe für die Zulassungsentscheidung besteht (z. B. bei
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Die Jahresfrist gilt gem. § 2 Abs. 4 S. 2 UmwRG auch, wenn es sich um einen Fall der Umgehung einer vereinigungsklagefähigen Entscheidung handelt, d. h. wenn eine Entscheidung gem. § 1 Abs. 1 UmwRG zu Unrecht nicht getroffen worden ist bzw. unterblieben ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Damit stellt der Gesetzgeber die Umgehungsfälle (gem. § 1 Abs. 1 S. 2 UmwRG) auch hinsichtlich der Klagefrist dem Erlass einer Entscheidung gleich.517 Auch für Bebauungspläne gilt gem. § 2 Abs. 4 S. 3 UmwRG entsprechend die Jahresfrist nach Maßgabe von § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Die Vorschrift über die Geltung der Jahresfrist kann insbesondere für ausländische Vereinigungen, gegenüber denen eine Bekanntgabe beispielsweise entgegen § 9a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 UVPG nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, Relevanz entfalten.518 Hier ist keine Sonderregelung erforderlich, da das Normenkontrollverfahren gegen Bebauungspläne ohnehin nur die Jahresfrist kennt. Ein wichtiger Unterschied zu den Fällen des § 2 Abs. 4 S. 1 UmwRG besteht allerdings hinsichtlich des Zeitpunktes des Jahresfristbeginns. Denn die Frist beginnt in diesem Fall mit Bekanntmachung des Bebauungsplans gem. § 10 Abs. 3 S. 1 BauGB zu laufen.519 Entsprechendes gilt für Änderungsbebauungspläne. Es kommt daher nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnis bzw. des „Kennen Könnens“ des Bebauungsplans an.520 Unionsrechtliche Bedenken bestehen gegen diese Vorschrift grundsätzlich nicht. Der europarechtliche Grundsatz der Verfahrensautonomie, nach dem die Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten obliegt, muss somit auch hier berücksichtigt werden, selbst wenn weder Art. 11 UVP-RL n. F. noch Art. 25 der IERL ein entsprechendes Fristerfordernis vorsehen. In der Rechtsprechung des EuGH ist grundsätzlich anerkannt, dass angemessene Klagefristen zum Zwecke der Rechtssicherheit grundsätzlich zulässig sind.521
wasserrechtlichen Erlaubnissen) kommt es für die Anwendung des § 2 Abs. 4 S. 1 darauf an, ob die individuelle Bekanntgabe bzw. Zustellung (s. § 41 Abs. 5 VwVfG) fehlerhaft erfolgt ist. 517 Mehr dazu T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 135 ff., m.w. N.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 68. 518 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 12. 519 M. Kment, § 2 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 16 ff. 520 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 69. 521 Vgl. st. Rspr. EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3240, Rn. 33 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./Midland Bank plc), EuZW 2000, S. 565 ff.; EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. C-33/ 76, Slg. 1976, S. 1989 ff., Rn. 5 (Rewe-Zentralfinanz EG u. Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland), NJW 1977, S. 495 ff.; in diese Richtung auch
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
VIII. Begründetheit eines umweltschützenden Rechtsbehelfs § 2 Abs. 5 UmwRG vom 21.01.2013 bildet das materielle Gegenstück zu den oben analysierten Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 UmwRG. Diese Vorschrift bestimmt unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsbehelf i. S. d. § 2 Abs. 1 UmwRG begründet ist. Insofern enthält sie eine eigene von den Vorgaben des § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 1 VwGO sowie § 47 Abs. 5 VwGO abweichende Bestimmungen zur Begründetheit einer Klage.522 Was die Auslegung und die Rechtsproblematik der Begründetheitsvoraussetzungen des § 2 Abs. 5 UmwRG angeht, lässt sich grundsätzlich auf die oben angeführte entsprechende Interpretation der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 UmwRG verweisen. Daher werden diese hier durchaus nur kurzgefasst dargestellt. 1. Begründetheitsvoraussetzungen für Entscheidungen im Rahmen des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG vom 21.01.2013 Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 UmwRG sind Rechtsbehelfe (kumulativ) begründet, „soweit die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sind“. Im Gegensatz zu dem Satz des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG „Rechtsvorschriften, die [. . .]von Bedeutung sein können“ genügt für die Begründetheit eines Rechtsbehelfs nach den allgemeinen Maßstäben des Verwaltungsprozessrechts nicht die bloße Geltendmachung einer objektiven Rechtsverletzung durch den Rechtsbehelfsführer. Vielmehr muss der Verstoß tatsächlich vorliegen. Dies entspricht dem anerkannten Verhältnis zwischen § 42 Abs. 2 und § 113 Abs. 1 VwGO.523 Sprachlich kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass die als verletzt gerügten Rechtsvorschriften für die Zulassungsentscheidung nicht nur von Bedeutung sein „können“ sondern „sind“. Zugrunde zu legen ist hierbei eine konkrete Betrachtungsweise.524 Außerdem muss dieser Verstoß Belange des Umweltschutzes berühren, die zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören.525 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass – im Gegensatz zu der naturschutzrechtlichen VK – Maßstäbe der Begründetheitsprüfung auch nach dem UmwRG nicht nur die rügefähigen Rechtsnormen sind, sondern darüber hinaus ein Bezug des BVerwG, Beschl. v. 04.10.1999 – 1 B 55.99, NVwZ 2000, S. 193; mehr dazu M. Kment, § 2 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 23 ff. 522 Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 227; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12; T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 122. 523 Vgl. u. a. J. Berkemann, EurUP 2014, S. 161. 524 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 75. 525 Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 227; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; S. Schlacke, NuR 2007, S. 12.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 407
Verstoßes auf die satzungsmäßigen Ziele der Vereinigung.526 Die Maßstäbe der Begründetheitsprüfung nach dem UmwRG sind somit strenger als jene der naturschutzrechtlichen VK des § 64 BNatSchG (2009).527 Dies führt aber in der Praxis zu rechtssystematischen Friktionen im Hinblick auf die Begründetheitsvoraussetzungen, insbesondere in Fällen, in denen beide Gesetze angewandt werden können.528 Beachtenswert ist, dass die problematische Anforderung hinsichtlich der klagefähigen Rechtsvorschriften „die Rechte Einzelner begründen“ genauso wie bei der Zulässigkeitsvorschrift des § 2 Abs. 1 UmwRG auch bei der Begründetheitsvorschrift – unter dem Einfluss des sog. Trianel-Urteils des EuGH – durch die Gesetzesänderung des UmwRG vom 21.01.2013529 ebenfalls ersatzlos gestrichen wurde. Insofern hat sich der Umfang der gerichtlichen Überprüfung auch bei der Begründetheit einer Umweltverbandsklage deutlich erweitert. Denn es geht nunmehr nicht mehr nur um die Begründetheit der Verletzung von drittschützenden Normen, sondern auch um die Begründetheit von rechtlichen Verstößen bei der Anwendung des objektiven Rechts. Genauso wie für die fast wortgleichen Bestimmungen hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG530 erheben sich auch gegen Bestimmungen des § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG unionsrechtliche Bedenken. Hier gelten entsprechend die oben dargestellten Anmerkungen bezüglich der unionsrechtlichen Konformität der Zulässigkeitsnormen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG.531 2. Begründetheitsvoraussetzungen für UVP-pflichtige Bebauungspläne Beachtenswert ist, dass § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG vom 21.01.2013 eine Sonderregelung für die Begründetheitsprüfung im Rahmen einer Normenkontrolle für UVP-pflichtige Bebauungspläne enthält.532 Diese tritt neben die Anforderungen des § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG und muss kumulativ erfüllt sein.533 Insofern sind solche Rechtsbehelfe begründet, soweit die Festsetzungen des Bebauungsplanes, die die Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens begründen, 526
Mehr zum Verhältnis zwischen UmwRG und BNatSchG s. o. 1. TEIL, C, 2.2. Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 12; H. Weidemann, VR 2008, S. 229. 528 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 12, S. 16, m.w. N. 529 Vgl. st. Rspr.I, S. 95. Dieses Gesetz wurde am 29.01.2013 in Kraft gesetzt. 530 s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., II., 2. ff. 531 s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., III. 532 Ausführlich dazu T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 148 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 78 ff.; s. auch W. Schrödter, LKV 2008, S. 395 ff.; jeweils m.w. N. 533 Vgl. W. Schrödter, LKV 2008, S. 395. 527
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die dem Umweltschutz dienen. Anders als bei den Zulässigkeitsanforderungen setzt hier die Begründetheit das tatsächliche Bestehen einer UVP-Pflicht voraus.534 § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG betrifft somit allein behördliche Entscheidungen gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG. Bei Entscheidungen im Rahmen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG, d. h. einer Entscheidung über ein Vorhaben i. S. d. IE-RL kommt es nicht darauf an, ob eine UVP-Pflicht vorliegt.535 Andererseits besteht eine UVP-Pflicht, wenn das Vorhaben nach § 3b Abs. 1 UVPG i.V. m. Anlage 1 zum UVPG zwingend UVP-pflichtig ist oder diese Pflicht auf Grund einer Vorprüfung im Einzelfall zu bejahen ist (vgl. §§ 3c bis 3e UVPG).536 Bei Vorprüfungen des Einzelfalls ist im Rahmen der Begründetheit des Rechtsbehelfs zu prüfen, ob eine UVP durchgeführt wurde oder hätte durchgeführt werden müssen. Bestand eine UVP-Pflicht, kann der Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 5 UmwRG begründet sein. Wurde eine UVP-Pflicht im Rahmen einer Vorprüfung des Einzelfalls verneint, ist nach § 3a S. 4 UVPG nur eine Plausibilitätsprüfung anzustellen.537 Soweit ein vorprüfungspflichtiger Bebauungsplan angegriffen wird, muss somit nachgewiesen werden, dass die Realisierung dieser Planung mit erheblichen schädlichen Umweltauswirkungen verbunden ist und damit eine Pflicht zur UVP nach den § 3c und § 12 UVPG bestanden hat.538 Ferner setzt die Begründetheit eines Rechtsbehelfes gem. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG voraus, dass „Festsetzungen des Bebauungsplans, die die Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens begründen“, gegen Vorschriften verstoßen müssen, „die dem Umweltschutz dienen“. Daraus ergibt sich, dass Vorschriften, die nicht dem Umweltschutz dienen, in diesem Fall irrelevant sind. Auch hier sollen die entsprechenden völker- und unionsrechtlichen Bedenken wie bei der Auslegung der wortgleichen Bestimmungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG sowie in § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG gelten.539 534 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 81. 535 T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 155. 536 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 12 ff.; J. Spinner, NuR 2011, S. 335 ff.; W. Schrödter, LKV 2008, S. 395 ff. Wenn das Bauplanungsverfahren allerdings gleichzeitig Trägerverfahren für die UVP ist, so muss der Bebauungsplan Vorhaben beinhalten, die einer Regel-UVP-Pflicht unterliegen oder deren UVP-Pflichtigkeit sich aus einer Vorprüfung ergibt. Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 13; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 58. 537 Welche Maßstäbe bei dieser Plausibilitätsprüfung anzulegen sind, bleibt allerdings offen. Es dürfte sich hierbei eher um eine Überprüfung, ob das Ergebnis zu rechtfertigen ist, handeln. Wird insoweit das Ergebnis der behördlichen Vorprüfung bestätigt, erübrigt sich eine weitere Prüfung des Rechtsbehelfs. Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 150, m.w. N. 538 Vgl. W. Schrödter, LKV 2008, S. 395 ff. 539 s. 1. Teil, 3. Kap., C., III.
C. Zulässigkeits-/Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK 409
Anzumerken ist allerdings, dass – im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG – die Anforderung des § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG, dass die Rechtsvorschrift, gegen die die jeweils umstrittene Maßnahme verstoßen hat, für die Festsetzungen auch „von Bedeutung sein“ muss, fehlt. Das hängt damit zusammen, dass die Vorschriften des BauGB über die Folgen von Mängeln bei der Planung gelten. So beantwortet § 214 BauGB die Frage, welche Fehler bei der Bauleitplanung beachtlich sind und welche sich auf die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans beziehen. Auch nach § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB findet sich die Anwendung des Grundsatzes der Verfahrensfehlerlehre, so dass Abwägungsmängel in planerischen Verfahren nur in begrenztem Maß erheblich sind.540 a) Verwaltungs- und unionsrechtliche Bedenken Aus den Anforderungen des § 2 Abs. 5 Nr. 2 UmwRG ergibt sich, dass das Gericht den Bebauungsplan auf einen Rechtsbehelf einer Umweltschutzvereinigung hin nicht in derselben Weise überprüfen kann, wie in einem sonstigen Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO. Während bei dem Normenkontrollverfahren des § 47 VwGO generell eine umfassende rechtliche Kontrolle erforderlich ist,541 erlaubt es § 2 Abs. 5 S. 2 UmwRG dem Gericht nur zu klären, ob der Bebauungsplan näher bestimmten umweltrechtlichen Vorgaben entspricht. Entsprechend eingeschränkt nur auf Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen, ist auch der gerichtliche Prüfungsmaßstab.542 Diese Beschränkung der Begründetheitsprüfung in § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG ist aber für Normenkontrollverfahren geradezu systemfremd. Dadurch wird der Sinn und Zweck einer Normenkontrolle konterkariert, weil diese Beschränkung in der Praxis verhindert, dass eine objektiv-rechtliche Kontrolle der Norm des Bebauungsplans stattfindet und weil deshalb die Normenkontrolle ihre sog. „Bündelungsfunktion“, d. h. eine Vielzahl von möglichen Einzelklagen durch eine objektiv-rechtliche Kontrolle der Norm zu antizipieren und dadurch zu vermeiden, nicht mehr erfüllen kann.543 540
Vgl. T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 149. BVerwG, Urt. v. 09.04.2008 – 7 B 2/08 (VGH Kassel), NVwZ 2008, S. 789 ff.; BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 – 4 CN 2/98, NJW 1999, S. 592 ff. OVG Schleswig-Holstein, 12.03.2009 – 1 KN 12/08 (Port Olpitz), NordÖR 2009. S. 418 ff.; J. Berkemann, NordOeR 2009, S. 342 ff. 542 Vgl. J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1534. Zu dieser Problematik s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., III. 543 OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 350 ff.; J. Berkemann, NordOeR 2009, S. 339 ff. In dieselbe Richtung auch J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 263. J. Ziekow weist insb. darauf hin, dass die BT-Drs. 16/2495, S. 9 ff. eine solche „Bündelungsfunktion“ auch der Klage einer Umweltschutzvereinigung zuschrieben, und dann fährt er – im Hinblick auf die Beschränkung der Begründetheitsprüfung in § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 – zu Recht wie folgt fort: „Wer sich als einzelner Antragssteller durch den Normenkontrollantrag einer Umweltschutzvereinigung 541
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Vor diesem Hintergrund wird zurecht die Auffassung vertreten, dass eine solche Konzeption vor allem im Widerspruch zu dem Ziel des Art. 11 UVP-RL n. F. sowie des Art. 25 IE-RL i.V. m. Art. 9 Abs. 2 AK, anerkannten Umweltschutzvereinigungen zumindest die gleichen Rechte einzuräumen wie privaten Bürgern, steht.544 Dadurch wird vermutlich auch der sog. Äquivalenzgrundsatz verletzt. Denn es ist denkbar, dass die hier diskutierte nationale Bestimmung des § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG, die den Schutz der Einzelnen aus dem EU-Recht erwachsenen Rechte hinsichtlich der Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten gewährleisten soll, ungünstiger ausgestaltet ist als entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe im Rahmen der Normenkontrollverfahren.545 § 2 Abs. 5 Nr. 2 UmwRG soll daher unionsrechtswidrig sein und darf wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewandt werden. Vielmehr gelten einer Auffassung nach die relevanten Richtlinienvorschriften des Art. 11 UVP-RL n. F. und 25 IE-RL unmittelbar.546 Dass Art. 3 Nr. 7 bzw. Art. 4 Abs. 4 und folglich entsprechend auch Art. 11 UVP-RL n. F. bzw. Art. 25 IE-RL den Mitgliedstaaten für die Begründetheitsprüfung in Normenkontrollverfahren – möglicherweise – verschiedene Optionen eröffnet (Voll- bzw. Totalprüfung, Prüfung auf Verstöße nur gegen umweltschützende Vorschriften) ist nicht ausreichend, um die Annahme einer unmittelbaren Wirkung der hier relevanten EU-Vorschriften auszuschließen, sofern sich aus den obengenannten Richtlinien ergibt, dass sie eine gewisse Mindestgarantie für den zu gewährenden Rechtsschutz gewährleisten wollen und sich der Umfang dieser Mindestgarantie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt.547 bündeln lassen soll, wenn er doch allein wesentlich mehr Kontrolle bekommen kann, ist nicht so recht einsichtig. Denn die Regelung des UmwRG zwingt die Vereine eher dazu, möglichst viele Einzelantragssteller zu mobilisieren, um eine möglichst umfängliche Kontrolle zu erreichen.“ 544 In diese Richtung auch Art. 11 Abs. 3 S. 2 und 3 UVP-RL; so auch der 4. Erwägungsgrund zur ÖB-RL sowie Art. 2 Nr. 5 und Art. 9 Abs. 2 S. 2 und 3, aber auch der 9. und 13. Erwägungsgrund der AK. Mehr dazu s. u. 545 Zum Äquivalenzgebot vgl. etwa: EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483, Rn. 46 (Impact), NZA 2008, S. 581 ff.; EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 48 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; J. Kokott/ C. Sobotta, DVBl 2014, S. 132. 546 F. Fellenberg/G. Schiller, § 2 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 79, m.w. N. 547 Vgl. J. Berkemann, in: J. Berkemann/G. Halama, Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 174, Rn. 309; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff.; OVG Münster, Vorlagebeschluss v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, ZUR 2009, S. 380 ff. insb. Rn. 70, unter Hinweis auf das Urteil des EuGH, v. 12.02.2009, Rs. C138/09997, Slg. 2009, I-00731 (Belgien/Cobelfret NV). Vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 352. „Der Grundsatz des ,effet utile‘ gebietet es, der Richtlinie auch für den Fall der nicht richtlinienkonformen Umsetzung Wirkung im Sinne einer Mindestgarantie beizumessen, weil sonst der mit der
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IX. Fazit In Bezug auf die Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der Fassung des UmwRG vom 21.01.2013 ist vor allem unter dem Einfluss des TrianelUrteils des EuGH die Streichung des Satzes der älteren Fassung des UmwRG „Rechte Einzelner begründen“ von Bedeutung. Dadurch wird zum ersten Mal im deutschen Recht die Klagebefugnis der anerkannten Umweltschutzvereinigungen auch auf bestimmte objektivrechtliche Maßnahmen, die die Umwelt beeinträchtigen, sowie auf umweltbezogene Vorsorgenormen erstreckt, soweit sie in den Anwendungsbereich des UmwRG fallen. Allerdings sind die Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen des UmwRG sparsam und zurückhaltend kodifiziert. Das UmwRG enthält weiterhin erklärungsbedürftige Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen, die den umweltbezogenen Rechtsschutz einigermaßen erschweren. Problematisch ist hierbei die genaue Bestimmung und Eingrenzung des Inhalts der Formulierung „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 sowie § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG). Im Lichte der Art. 9 und 3 AK sowie der ihrer Umsetzung auf EU-Ebene dienenden Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IVU-RL sollten diese Begriffe im Allgemeinen weit ausgelegt werden. Vor diesem Hintergrund könnte die Rüge einer Umweltschutzvereinigung in Bezug auf Normen mit mehrfacher Zielsetzung nur insofern Erfolg haben, als die fehlerhafte Anwendung gerade den umweltschutzbezogenen Gehalt der Norm beträfe. Hierbei muss jeweils im Einzelnen geprüft werden, ob die aus Sicht des Klägers verletzte Norm einen solchen Bezug aufweist. Dies führt aber zu einer unangemessenen Beschränkung des Kreises der Argumente, die die Kläger zur Anfechtung der jeweils umstrittenen Entscheidung vorbringen können. Ferner führt dies insbesondere bei Abwägungsentscheidungen zu einer erheblichen inhaltlichen Reduzierung. Daraus folgt, dass dadurch der Zugang von Rechtssubjekten zu einem Überprüfungsverfahren übermäßig erschwert wird. Denn das jeRichtlinie verfolgte Zweck, den Rechtsschutz von Umweltverbänden und damit letztlich den Schutz der Umwelt zu verbessern, in Frage gestellt würde. Der Umfang dieser Mindestgarantie ist unschwer bestimmbar. Von den zwei nur ernsthaft in Betracht kommenden, oben aufgezeigten Alternativen kann es nur die sein, die den geringeren, angesichts der mit der Richtlinie verfolgten umweltpolitischen Zielsetzungen aber noch dem Grundsatz des ,effet utile‘ genügenden, Rechtsschutz bietet, also die, die die Begründetheitsprüfung auf Verstöße gegen sämtliche umweltschützenden Vorschriften, d. h. auch solche, die keine Rechte Einzelner begründen, beschränkt/erstreckt. Die Mindestgarantie noch enger zu begrenzen – auf die Prüfung, ob die Bestimmungen der Richtlinie selbst oder die der durch sie geänderten UVP-Richtlinie eingehalten sind –, kommt nicht (ernsthaft) in Betracht. Der Wortlaut der Richtlinie, der auch die Prüfung der materiellrechtlichen Vorschriften fordert, schließt das aus; denn weder die Richtlinie 2003/ 35/EG noch die UVP-Richtlinie selbst enthalten nach allgemeiner Auffassung materielles Recht, sondern sind verfahrensmäßig konzipiert.“
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
weils zuständige Gericht vermag in diesen Fällen nur nachzuprüfen, ob umweltschützende Belange ausreichend berücksichtigt wurden. Andere Belange, die nicht dem Umweltschutz dienen, sollten bei der Rechtmäßigkeitskontrolle der jeweils umstrittenen Maßnahmen nicht berücksichtigt werden. Dieser Zustand verstößt aber m. E. gegen die Zielsetzungen und den Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 AK sowie gegen die daraus hervorgegangenen unionalen Bestimmungen von Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. und Art. 25 Abs. 1 IE-RL, die der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten gewährleisten sollen. Außerdem gibt es keinen konkreten Anhaltspunkt, der darauf hinweist, dass diese Vorschriften die Gründe, die zur Stützung eines umweltschützenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können, beschränken sollen. Von Bedeutung ist auch, dass es angesichts der Offenheit des Wortlauts des Normsatzes in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG sachgerecht zu sein scheint, dass sich die Formulierung „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ nicht nur auf unionsrechtliche, umweltbezogene Rechtsvorschriften beschränkt. Darunter sollten nicht nur die nationalen Vorschriften des Umweltrechts, die die EU-Vorgaben im Bereich des Umweltrechts umsetzen, gemeint sein, sondern auch umweltbezogene Normen, die der deutsche Gesetzgeber eigenständig erlassen hat. Eine Differenzierung danach, ob ein bestimmter Aspekt der Umwelt national oder unionsrechtlich geregelt ist, scheint nicht vereinbar mit der innerstaatlichen und unionsrechtlichen Zielvorgabe des Schutzes der gesamten Umwelt zu sein. Eine solche Einschränkung würde auch das zentrale Ziel der AK, „einen weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren, verletzen. Außerdem könnte angesichts der Verzahnung von unionsrechtlichem und nationalem Umweltrecht eine Unterscheidung, ob ein umstrittener umweltbezogener Fall unionsrechtlich oder (noch) rein national geregelt ist, in der Praxis nur schwer realisiert werden. Auch die Beschränkung des Inhalts sowie des Prüfungsmaßstabs der Begründetheitsprüfung in § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG bei Rechtbehelfen in Bezug auf Bebauungspläne nur auf Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen, ist insb. für Normenkontrollverfahren geradezu als systemfremd und systemwidrig zu bezeichnen. Eine solche Beschränkung verhindert in der Praxis eine umfangreiche Rechtskontrolle des Bebauungsplans und gleichzeitig widerspricht das dem Ziel des Art. 11 UVP-RL n. F. sowie des Art. 25 IE-RL i.V. m. Art. 9 Abs. 2 AK, anerkannten Umweltschutzvereinigungen zumindest die gleichen Rechte einzuräumen wie privaten Bürgern. Dadurch werden auch das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot des Unionsrechts verletzt. Die unmittelbare Auswirkung der einschlägigen EU-Vorschriften ist allerdings nicht auszuschließen. Als unionsrechtswidrig erweist sich auch die Zulässigkeitsvoraussetzung, dass die Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen im nationalen Recht davon abhängig gemacht wird, dass diese sich zuvor am Verwaltungsverfahren beteiligt haben müssen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG) in Verbindung mit der Zulässigkeits-
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voraussetzung bezüglich der Präklusion von Einwendungen, die nach dem Verwaltungsverfahren von Umweltschutzvereinigungen vorgetragen wurden (gem. § 2 Abs. 3 UmwRG). In diesem Zusammenhang wird die enge Einwendungsbzw. Auslegungsfrist sowie die nicht im deutschen Recht geregelte individualisierte Benachrichtigung der anerkannten Umweltschutzvereinigungen als problematisch betrachtet. Dazu kommt, dass der deutsche Gesetzgeber hohe Anforderungen an die Substantiierung der Einwendungen verlangt. Denn nach der Rechtsprechung zur Vermeidung von Präklusion müsste während des Verwaltungsverfahrens etwa jede betroffene geschützte Art genannt werden. Dabei müssten die Auswirkungen des jeweils umstrittenen Vorhabens für jede Art einzeln dargestellt werden. Im Hinblick darauf müssten auch Informationen, die nicht in den Antragsunterlagen enthalten waren, bereits im Rahmen der Einwendung vorgetragen werden, ansonsten könne kein Rechtsschutz für beeinträchtigte Umweltgüter bestehen. Die dargestellte Problematik wird weiter verstärkt, denn zudem fehlt es nicht selten in der Praxis an einer aktiven und konkreten behördlichen Information der jeweiligen Umweltschutzvereinigung über die präzise Auslegung der Unterlagen. Unter solchen Umständen wäre allerdings die Rechtsschutzlage von Umweltschutzvereinigungen unangemessen eingeschränkt. Es liegt nahe, dass solche Zustände dem Geist sowie der Zielsetzung des Art. 9 Abs. 2 und 3 AK und den daraus hervorgegangenen Vorgaben des Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL, die die Rechtsschutzmöglichkeiten in Umweltangelegenheiten durchaus erweitern sollen, widersprechen. In diesem Zusammenhang scheint die Ansicht der deutschen Rechtsprechung, dass die Präklusionsfrist nicht zu kurz ist und dass die geltenden Präklusionsnormen keine allzu hohen Anforderungen an die Substantiierung von Einwendungen zur Vermeidung einer Präklusion stellen, so dass sie der Öffentlichkeit keine übermäßige Zugangshürde setzen, nicht hinreichend überzeugend zu sein. Die Präklusionsnormen der Fassung des UmwRG (§ 2 Abs. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3) vom 21.01.2013 sind somit als besonders einschränkend zu beurteilen. Dabei ist es fraglich, ob sie einen im Sinne der Anforderungen der AK vollständigen Umweltrechtsschutz gewährleisten können. Denn mit den Präklusionsvorschriften können Rügen, die eine Verletzung des EU- oder des nationalen Rechts beinhalten, wohl von einer gerichtlichen Überprüfung komplett ausgeschlossen werden. Ein solcher Verlust der Rügebefugnis könnte vor allem mit der im EU-Recht durch Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. und Art. 25 Abs. 1 IE-RL angeordneten umfassenden Prüfbefugnis auf das konfligieren. Im Anschluss daran bestehen auch Zweifel an einer effektiven gerichtlichen Kontrolle des unionsrechtlichen Umweltrechts, da die Ausschlusswirkung an den Ablauf mehr oder weniger eng bemessener Einwendungsfristen des Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts gebunden ist. Der Konflikt hinsichtlich der Unionsrechtskonformität deutscher Präklusionsregelungen wurde von dem aktuel-
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len Urteil des EuGH in der Rechtssache C-134/14 grundsätzlich gelöst. Der EuGH hält die deutschen Präklusionsregelungen des UmwRG für unionsrechtswidrig. Denn eine Beschränkung der Gründe, auf die ein von einem umweltrelevanten Vorhaben Betroffener seine gerichtliche Klage stützen will, ist vom europäischen Recht nicht vorgesehen und widerspricht daher dem angestrebten Ziel des Art. 11 UVP-RL n. F. und des Art. 25 IE-RL des zu gewährenden „weiten Zugangs zu den Gerichten“. Darüber hinaus verstößt diese Beschränkung gegen das weitere Ziel der Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL, erteilte Genehmigungen umfassend auf ihre formelle und materielle Rechtmäßigkeit zu prüfen. Demzufolge sollen Präklusionsbestimmungen des deutschen Rechts wie § 2 Abs. 3 UmwRG vom 21.01.2013 und § 73 Abs. 4 VwVfG aber auch vergleichbare, materielle Präklusionsbestimmungen unanwendbar sein. Doch nimmt das EuGH-Urteil kein absolutes „Präklusionsverbot“ an. Vielmehr muss die Feststellung des Missbrauchs des Einwendungsrechts den Verwaltungsgerichten obliegen. In der Praxis bedeutet die oben ausgeführte Entwicklung eine Erleichterung der Umweltverbände von dem Zeitdruck hinsichtlich der bisher anspruchsvollen Anforderungen bei dem Vorbringen ihrer Einwendungen innerhalb des Verwaltungsverfahrens. Andererseits aber führt dieses Ergebnis möglicherweise zu einem Mehraufwand seitens der Behörden und der Vorhabenträger in Bezug auf die Erarbeitung und Überprüfung der Zulassungsanforderungen der jeweiligen Bauprojekte. Dies könnte allerdings zu einer sorgfältigen und präziseren Prüfung dieser Projekte im Verwaltungsverfahren beitragen, was letztlich auch der Umwelt zugute kommen könnte. Darüber hinaus könnte dieses Ergebnis die Behörden dazu motivieren, alle Möglichkeiten zu nutzen, um eine stärkere und aktivere Einbeziehung der Öffentlichkeit in das Verwaltungsverfahren oder auch vor dessen Beginn sicherzustellen. Um diese Problematik zu lösen, könnte der deutsche Gesetzgeber entweder die Präklusionsvorschriften abschaffen oder sie modifizieren. Für die zweite mildere Variante ist m. E. etwa die Einführung einer individualisierten Benachrichtigung der anerkannten Umweltschutzvereinigungen über das jeweilige Gestattungsverfahren, die Verlängerung oder Verkürzung je nach Komplexität des jeweils umstrittenen Vorhabens der bisher geltenden Auslegungs- und Einwendungsfristen, die Vereinfachung des Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu Informationen über die Einleitung und den Ablauf der Verfahren sowie die Planungs- oder Genehmigungsunterlagen (etwa über geeignete Internetplattformen), sowie die Einführung von geringeren Anforderungen an die Substantiierung der Einwendungen und von erweiterten Möglichkeiten zur Nachbesserung des Klagevorbringens im Gerichtsverfahren zu empfehlen. Parallel dazu wäre es auch sinnvoll, dass der deutsche Gesetzgeber geeignete Normen erlässt, um das Vorbringen von Einwendungen nach dem Verwaltungsverfahren zu verhindern, soweit sie offensichtlich ausschließlich dem Zweck dienen, die Zulassung des Vorhabens zu verzögern.
D. Zur Anerkennung von Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG
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D. Zur Anerkennung von Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG548 § 3 UmwRG regelt in Details die Anerkennung von inländischen und ausländischen Vereinigungen, die Rechtsbehelfe nach § 2 UmwRG einlegen können. Die Anerkennung stellt entsprechend der Anerkennung nach § 59 BNatSchG a. F. einen nach Maßgabe der §§ 48, 49 VwVfG zurücknehmbaren bzw. widerrufbaren begünstigenden Verwaltungsakt dar, der der Vereinigung diese Befugnis für unbestimmte Zeit verleiht.549 § 3 Abs. 1 S. 3 UmwRG sah in der bis zum 28.02.2010 geltenden Fassung vor, dass nach dem BNatSchG entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen anerkannte Naturschutzvereinigungen auch für die Zwecke des UmwRG als anerkannt galten. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29.07.2009550 hat jedoch der deutsche Gesetzgeber 548 § 3 UmwRG vom 29.05.2017 lautet: „(1) Auf Antrag wird einer inländischen oder ausländischen Vereinigung die Anerkennung zur Einlegung von Rechtbehelfen nach diesem Gesetz erteilt. Die Anerkennung ist zu erteilen, wenn die Vereinigung 1. nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördert, 2. im Zeitpunkt der Anerkennung mindestens drei Jahre besteht und in diesem Zeitraum im Sinne der Nummer 1 tätig gewesen ist, 3. die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung, insbesondere für eine sachgerechte Beteiligung an behördlichen Entscheidungsverfahren, bietet; dabei sind Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit, der Mitgliederkreis sowie die Leistungsfähigkeit der Vereinigung zu berücksichtigen, 4. gemeinnützige Zwecke im Sinne von § 52 der Abgabenordnung verfolgt und 5. jeder Person den Eintritt als Mitglied ermöglicht, die die Ziele der Vereinigung unterstützt; Mitglieder sind Personen, die mit dem Eintritt volles Stimmrecht in der Mitgliederversammlung der Vereinigung erhalten; bei Vereinigungen, deren Mitgliederkreis zu mindestens drei Vierteln aus juristischen Personen besteht, kann von der Voraussetzung nach Halbsatz 1 abgesehen werden, sofern die Mehrzahl dieser juristischen Personen diese Voraussetzung erfüllt. In der Anerkennung ist der satzungsgemäße Aufgabenbereich, für den die Anerkennung gilt, zu bezeichnen; dabei sind insbesondere anzugeben, ob die Vereinigung im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert, sowie der räumliche Bereich, auf den sich die Anerkennung bezieht. Die Anerkennung kann, auch nachträglich, mit der Auflage verbunden werden, dass Satzungsänderungen mitzuteilen sind. Sie ist von der zuständigen Behörde im Internet zu veröffentlichen. (2) Für eine ausländische Vereinigung sowie für eine Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der über das Gebiet eines Landes hinausgeht, wird die Anerkennung durch das Umweltbundesamt ausgesprochen. Bei der Anerkennung einer Vereinigung nach Satz 1, die im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert, ergeht diese Anerkennung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Naturschutz. Für die Anerkennung werden keine Gebühren und Auslagen erhoben. (3) Für eine inländische Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der nicht über das Gebiet eines Landes hinausgeht, wird die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes ausgesprochen.“ 549 Vgl. T. Bunge, § 3 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 15. 550 BGBl. I, S. 2542.
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darauf verzichtet, im BNatSchG ein eigenständiges Anerkennungsverfahren für Naturschutzvereinigungen zu regeln. Vielmehr nimmt § 63 Abs. 1 BNatSchG nunmehr Bezug auf die nach § 3 anerkannten Naturschutzvereinigungen. Damit gilt diese alte Fiktion nur noch für Naturschutzvereinigungen, die bis zum 28.02.2010 anerkannt worden sind. Der Gesetzgeber hat die Fiktion daher aus systematischen Gründen in die Übergangsregelung des § 5 UmwRG aufgenommen.551 Vor diesem Hintergrund bildet nunmehr § 3 UmwRG die rechtliche Grundlage für die Anerkennung sowohl von Naturschutz- als auch von sonstigen Umweltschutzvereinigungen.552 Nach § 3 Abs. 1 S. 1 UmwRG können und müssen inländische oder ausländische Vereinigungen einen Antrag auf Anerkennung stellen, sofern sie nicht bereits anerkannt sind. Mit der Antragstellung können Vereinigungen gem. § 2 Abs. 2 UmwRG aktiv legitimiert sein.553 Die Anerkennung einer Vereinigung stellt eine gebundene Entscheidung ohne Ermessen dar, so dass, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung gegeben sind, ein Anspruch auf Anerkennung besteht (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 UmwRG).554 Die kumulativen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Vereinigung sind in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–5 UmwRG ausdrücklich bestimmt. Sie sind weitgehend darauf ausgerichtet, den erforderlichen Bezug einer Vereinigung zum Umweltschutz sicherzustellen. Nach Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UmwRG muss die Vereinigung ideell (also nicht kommerziell) und nicht nur vorübergehend vorwiegend auf den Umweltschutz als den sie prägenden Hauptzweck abzielen (so auch § 59 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BNatSchG a. F.). Neben dem Hauptzweck des Umweltschutzes könnte die Vereinigung sehr wohl auch andere nebensächliche Zwecke verfolgen.555 Nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2 wird als Kriterium für die Dauerhaftigkeit einer Vereinigung ein dreijähriges Bestehen vorausgesetzt. Begründet wird dies mit den „verwaltungspraktischen Erfahrungen der Länder“, nach denen anlässlich eines konkreten Zulassungsverfahrens ad hoc gebildete Zusammenschlüsse ausge551 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 33. Mehr zur Übergangsregelung des § 5 UmwRG s. u. in 1. Teil, 3. Kap., G. ff. 552 Zur Entstehungsgeschichte des § 3 UmwRG s. T. Bunge, § 3 UmwRG, in: UmwRG, Nomos-Komm., 2013, Rn. 1 ff.; B. Schieferdecker, § 3 UmwRG, in: W. Hoppe/ M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 2 ff.; M. Karge, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts, 2010, S. 66 ff.; jeweils m.w. N. 553 VG Münster, Urt. v. 18.03.2011, 10 K 2540/09, Rn. 22, juris. 554 Vgl. B. Schieferdecker, § 3 UmwRG, in: W. Hoppe/Beckmann, UVPG, 2012, Rn. 65; M. Marty, ZUR 2009, S. 120; G.-A. Balensiefen, § 3 UmwRG, in: UmwRG, Nomos-Komm., 2013, Rn. 3; F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 32. 555 Vgl. B. Schieferdecker, § 3 UmwRG, in: W. Hoppe/Beckmann, UVPG, 2012, Rn. 65; M. Marty, ZUR 2009, S. 120; G.-A. Balensiefen, § 3 UmwRG, in: UmwRG, Nomos-Komm., 2013, Rn. 3; F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 32.
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schlossen werden sollen.556 Darüber hinaus bestimmt § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UmwRG, dass die Vereinigung so aufgebaut sein muss, dass eine sachgerechte Aufgabenerfüllung möglich ist, wobei auch die bisherige Tätigkeit der Vereinigung zu berücksichtigen sein soll.557 § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 UmwRG knüpft an das Verfolgen gemeinnütziger Zwecke i. S. d. § 52 AO. Seine Tätigkeit muss insofern darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Die „Allgemeinheit“ wird gefördert, wenn die Tätigkeit der Vereinigung nicht allein einem Personenkreis zugutekommt, der fest abgeschlossen oder infolge seiner Abgrenzung (insbesondere nach räumlichen und beruflichen Merkmalen) dauernd nur klein sein kann. Hintergrund dieser Vorschrift ist die ansonsten mögliche faktische Diskriminierung ausländischer Vereinigungen.558 Von besonderem Interesse hinsichtlich ihrer europarechtlichen Konformität ist die Voraussetzung des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 UmwRG. Danach muss die Umweltschutzvereinigung jeder Person, die die Ziele der Vereinigung unterstützt, die Aufnahme als stimmberechtigtes Mitglied ermöglichen. Bei Vereinigungen jedoch, „deren Mitglieder mindestens zu drei Vierteln juristische Personen sind“, kann von der oben genannten Voraussetzung abgesehen werden, sofern die Mehrzahl der juristischen Personen diese Voraussetzung erfüllt (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 HS 3 UmwRG). Der Gesetzgeber beabsichtigt mit diesem Grundsatz (sog. Prinzip der binnendemokratischen Organisation bzw. Jedermann-Prinzip) solche Umweltschutzvereinigungen von den Rechtsbehelfen des UmwRG auszuschließen, die einseitig an beruflichen, parteipolitischen oder vergleichbaren nicht auf den Umweltschutz bezogenen Kriterien orientiert sind.559 Da die anerkannten Umweltschutzvereinigungen als „Anwälte der Umwelt“ agieren sollen und ihnen weitreichende Mitwirkungs- und Klagerechte eingeräumt sind, schränkt dadurch der Gesetzgeber die bürgerlich-rechtliche Organisationsautonomie öffentlich-rechtlich ein. Damit bezweckt man, ein Mindestmaß an demokratischer Willensbildung innerhalb der Vereinigung zu ermöglichen.560 556 BR-Drs. 552/06, S. 23; G.-A. Balensiefen, § 3 UmwRG, in: UmwRG, NomosKomm., 2013, Rn. 3; ausführlicher in: T. Bunge, § 3 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 45 ff.; M. Karge, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts, 2010, S. 68 ff.; B. Schieferdecker, § 3 UmwRG, in: W. Hoppe/ M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 35; jeweils m.w. N. 557 Ebd. 558 Ebd. 559 F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 27, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 06.12.1985 – 4 C 55/ 82, NVwZ 1986, S. 295 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.03.1990 – 3 A 308/87, NVwZ 1990, S. 1000. 560 F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 27,
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Aufgrund dieser Regelung muss das Mitglied der Vereinigung mit seinem Eintritt in die Vereinigung auch das volle Stimmrecht in der Mitgliedsversammlung erhalten. Dies bedeutet in der Praxis, dass der Status des Mitglieds einer Vereinigung vom Stimmrecht abhängt und nicht davon, ob er in der Satzung als Mitglied genannt wird.561 Fördermitglieder ohne Stimmrecht sind demnach keine Mitglieder.562 Es muss aber berücksichtigt werden, dass aus dieser Vorschrift nicht zwingend folgt, dass Umweltschutzvereinigungen sämtlichen Personen, die ihr angehören, ein Stimmrecht einräumen müssen. Zulässig ist auch eine Satzungsbestimmung, nach der die ordentlichen Mitglieder, nicht aber die lediglich fördernden Mitglieder ein Stimmrecht haben und die wichtigen Entscheidungen durch die Mitgliederversammlung getroffen werden, in der die fördernden Mitglieder nur ein Rederecht haben.563 Erforderlich ist vielmehr, dass allen Personen eine (Voll-)Mitgliedschaft bei ihrer Aufnahme angeboten wird. Lehnt das neue Mitglied das Angebot ab und beschränkt es sich auf den in der Satzung vorgesehenen Status als förderndes Mitglied, wird dies dem Prinzip der binnendemokratischen Organisation in vollem Umfang gerecht.564 Die Forderung, dass die Vereinigungen jeder Person, die ihre Ziele unterstützt, den Eintritt als voll stimmberechtigtes Mitglied ermöglichen müssen, scheint problematisch zu sein. Denn damit ist es möglich, dass auch Vereinigungen, die sich eindeutig für den Umweltschutz einsetzen, von einer Anerkennung ausgeschlossen werden, soweit Mitglieder der Vereinigung mit ihrem Eintritt kein volles Stimmrecht in der Mitgliederversammlung der Vereinigung erhalten. Denn in der Praxis hängt die Erfüllung dieser Forderung nicht von der Ausgestaltung des Stimmrechts der Mitglieder ab, ob eine sachgerechte Verfolgung von Umweltschutzzielen gewährleistet ist.565 Unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 HS 3 UmwRG kann von der Einhaltung der strikten Anforderungen an das Prinzip der binnendemokratischen Organisation abgewichen werden. Die Regelung dient in erster Linie der teilweisen Anerkennung von Dachvereinigungen, die nur eine korporative Mitgliedschaft kennen, so dass dem Prinzip der Binnendemokratie nicht entsprochen
561 BT-Drs. 16/12 274, S. 78 ff.; mehr dazu T. Bunge, § 2 UmwRG, UmwRGKomm., 2013, Rn. 52 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 27 ff., m.w. N. 562 BT-Drs. 16/12 274, S. 78 ff. 563 So etwa: VG Berlin, Urt. v. 27.10.1993, LKV 1994, S. 376; andere restriktive Ansicht: OVG Lüneburg, Urt. v. 08.03.1990 – 3 A 308/87, NVwZ 1990, S. 1000. Dieser Ansicht nach ist ein Verein, der nicht jedem Mitglied ein Stimmrecht in der Mitgliederversammlung einräumt, nicht anerkennungsfähig; s. auch B. Schieferdecker, § 3 UmwR, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2010, Rn. 59. 564 F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 30. 565 Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 62; T. Bunge, ZUR 2004, S. 145.
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ist. Wie oben ausgeführt wurde, sieht der Gesetzgeber als notwendige Voraussetzung für die Anerkennung von Dachvereinigungen vor, dass mindestens drei Viertel des Mitgliederkreises juristische Personen sind und diese in der Mehrzahl das Prinzip der Binnendemokratie einhalten.566 Als typische Form der demokratischen Repräsentation wollte somit der Gesetzgeber solchen Dachvereinigungen die Anerkennungsfähigkeit nicht von vornherein versagen.567 Das demokratische Defizit wird durch die Bündelung der Vielfalt der Meinungen im kollektiven Umweltschutz durch die Umweltschutzvereinigungen, das Gewicht ihrer Stimme sowie durch zu erwartende Verfahrensbeschleunigungen ausgeglichen, die letztlich den Umweltschutz stärken.568 Ferner bestimmt § 3 Abs. 1 S. 3 ff. UmwRG detaillierte Informationen, die im Anerkennungsbescheid der Vereinigung ausdrücklich zu erklären sind569: Aus § 3 Abs. 1 S. 3 UmwRG folgt, dass die Anerkennung als klagebefugte Umweltschutzvereinigung nach § 3 Abs. 1 UmwRG nur so weit reicht, wie der satzungsgemäße Aufgabenbereich der betreffenden Vereinigung reicht. Daher ist der Aufgabenbereich im Anerkennungsbescheid konkret zu bezeichnen.570 Es genügt somit nicht, dass die Vereinigungssatzungen den Umweltschutz nur verallgemeinernd als Vereinigungszweck bezeichnen. Behördliche Anerkennungen, die jahrzehntelang zurückliegen, sollten deshalb an die heutigen Vereinigungssatzungen angepasst werden. Andernfalls könnte eine solche VK an dieser Foramlia scheitern.571 Die Anerkennungsregelung des § 3 Abs. 1 S. 4 UmwRG, dass die Anerkennung einer Vereinigung auch nachträglich mit der Auflage verbunden werden kann, dass Satzungsänderungen mitzuteilen sind, ist begrüßenswert. Denn sie er-
566 Es wird von F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 31 zutreffend angemerkt, dass für das Quorum von drei Viertel auf die Zahl der Mitglieder der Dachorganisation abzustellen ist und nicht auf die einzelnen Mitglieder in den juristischen Personen; so auch B. Schieferdecker, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG, § 3 UmwRG, Rn. 61. 567 Vgl. BT-Drs. 16/12 274, S. 79. 568 Vgl. BT-Drs. 14/6378, S. 59 (Gesetzesbegründung zu § 59 BNatSchG 2002). 569 Ausführlich dazu M. Karge, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts, 2010, S. 71 ff.; T. Bunge, § 3 UmwRG, UmwRGKomm., 2013, Rn. 64 ff.; B. Schieferdecker, § 3 UmwR, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2010, Rn. 67 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 45 ff.; G.-A. Balensiefen, § 3 UmwRG, in: UmwRG, Nomos-Komm., 2013, Rn. 4 ff.; jeweils m.w. N. 570 OVG Bremen, Urt. v. 04.06.2009 – 1 A 9/09, Rn. 79, ZUR 2010, S. 151 ff.; ausführlich zur Problematik der Berührung einer Umweltschutzvereinigung im satzungsgemäßen Aufgabenbereich s. o. in 1. Teil, 3. Kap., C., V. 571 B. Söhnlein/A. Lukas, Praxis Leitfaden Umweltschadensrecht, Recht der Natur, Sonderheft Nr. 68, 2013, S. 71.
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weitert rechtstechnisch die Gegenstände, die mit einer umweltschützenden VK angegriffen werden können.572 Dabei ist nach § 3 Abs. 3 UmwRG das Umweltbundesamt nunmehr nur noch für die Anerkennung von Vereinigungen zuständig, deren Tätigkeitsbereich über ein Bundesland hinausgeht sowie für ausländische Vereinigungen.573 Bei der Anerkennung einer Vereinigung mit entsprechendem Tätigkeitsbereich, die im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert, ergeht diese Anerkennung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Naturschutz.574 Soweit der Tätigkeitsbereich der inländischen Vereinigung nicht über das Gebiet eines Bundeslandes hinausgeht, wird die Anerkennung durch die zuständige Landesbehörde ausgesprochen.575 Daraus folgt, dass im Rahmen des UmwRG auch lokal aktive Vereinigungen anerkennungsfähig sind.576 Demzufolge hat eine Umweltschutzvereinigung, die über eine gesetzliche Anerkennung durch die zuständige Landesbehörde verfügt, nur die Mitwirkungsbefugnis für Planungen und Maßnahmen des zuständigen Landes.577 Erstreckt sich der satzungsgemäße Aufgabenbereich der Umweltschutzvereinigung sowohl auf ein einzelnes Bundesland und auf das benachbarte Ausland, bleibt gleichwohl die Landesbehörde zuständig. Trotz des grenzüberschreitenden Kontextes wirkt allerdings die Anerkennung der Vereinigung nur in Deutschland. Welche Landesbehörde zuständig ist, regelt das jeweilige Landesorganisationsrecht. In aller Regel ist das Landesumweltministerium bzw. die für Umwelt zuständige Senatsverwaltung zuständig.578 Unabhängig von den oben dargestellten relativ komplexen Anerkennungsvoraussetzungen der Umweltschutzvereinigungen ergibt sich aus einer entsprechenden empirischen Studie, dass die meisten Umweltschutzvereinigungen die Voraussetzungen für die Erteilung der Anerkennung als vernünftig ansehen.579 572
OVG Bremen, Urt. v. 04.06.2009 – 1 A 7/09, Rn. 73, ZUR 2010, S. 42 ff. F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35 ff., m.w. N. 574 Ebd. 575 OVG Bremen, Urt. v. 04.06.2009 – 1 A 7/09, Rn. 64, ZUR 2010, S. 42 ff. Die von der zuständigen Landesbehörde erteilte Anerkennung als Naturschutzvereinigung verleiht etwa eine Klagebefugnis nur gegen Planfeststellungsbeschlüsse, die Vorhaben in dem Gebiet des betreffenden Bundeslandes zum Gegenstand haben. Eine Liste der anerkannten Umweltschutzvereinigungen ist auf dem BMU-Homepage abrufbar. 576 Vgl. B. Schieferdecker, § 3 UmwRG, in: W. Hoppe/Beckmann, UVPG, 2012, Rn. 65; M. Marty, ZUR 2009, S. 120; G.-A. Balensiefen, § 3 UmwRG, in: UmwRG, Nomos-Komm., 2013, Rn. 3; F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 32. 577 VG Bremen, Urt. v. 29.11.2007 – 5 K 565/07, Rn. 17, ZUR 2008, S. 368 ff. 578 F. Fellenberg/G. Schiller, § 3 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35 ff., m.w. N. 579 UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 58 ff. 573
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I. Zur unionsrechtlichen Konformität der Anerkennungsnormen von Umweltschutzvereinigungen Es ist anzumerken, dass zwar die Anerkennungsvoraussetzungen der Umweltschutzvereinigungen im Rahmen des UmwRG grundsätzlich restriktiv vorgeschrieben sind, aber es sieht so aus, dass sie grundsätzlich in Einklang mit den relevanten Vorgaben des EU- und Völkerrechts stehen. Dafür spricht vor allem, dass Vorschriften wie Art. 2 Nr. 5 AK, Art. 1 Abs. 2 Buchst. e UVP-RL sowie Art. 3 Nr. 17 IE-RL es den Mitgliedstaaten ausdrücklich selbst überlassen, die Anerkennungsvoraussetzungen von Vereinigungen, welchen ein Klagerecht zuerkannt wird, zu normieren.580 Diese Regelung ermöglicht somit offenbar den Mitgliedstaaten weitgehend die Rechtsbehelfsbefugnis der betreffenden Nichtregierungsorganisationen einzugrenzen, soweit das nationale Recht einen weiten Zugang zu Gerichten sicherstellt und die praktische Wirksamkeit der EU-Vorgaben in Bezug auf die gerichtliche Anfechtbarkeit gewährleistet.581 Im Lichte der völker- und europarechtlichen Vorgaben, die der Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten gewährleisten sollen, müssen daher auch die Anerkennungsvoraussetzungen des § 3 UmwRG nicht übermäßig anspruchsvoll ausgelegt werden. Auf diese Weise sollte bei der Normierung von Anerkennungsvoraussetzungen für Umweltschutzvereinigungen auch das Ziel der AK verfolgt werden, eine größtmögliche Öffentlichkeitsbeteiligung zu gewährleisten, um so zu einer Verbesserung von Transparenz und Qualität der Entscheidungen im Umweltrecht beizutragen582 sowie das angeschlossene Ziel der AK, die gerichtliche Kontrolle der unter die UVP-RL und IE-RL fallenden Vorgänge unkompliziert zu ermöglichen.583 Eindeutig dafür ist insbesondere die Formulierung der Art. 1 Abs. 2 UVP-RL und Art. 2 Nr. 14 IVU-RL a. F. Diese Vorschriften bringen zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten gehindert sind, durch restriktive Gestaltung der Anerkennungsbedingungen den von ihnen bereits anerkannten Vereinigungen die Zugehörigkeit zur betroffenen Öffentlichkeit abzusprechen und ihnen damit zugleich den Zugang zu den Gerichten zu verwehren.584 Diese gesetzlichen Ziele könnten somit unter Umständen durch einen Aufbau von zu großen Hürden für die Anerkennung von Vereinigungen verletzt werden. In allen Fällen müssen jedoch die Anerkennungsvoraussetzungen des Bundesgesetzgebers nicht so hoch 580 Vgl. R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 630; W. Ewer, NVwZ 2007, S. 269 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 30; W. Durner, ZUR 2005, S. 289. 581 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 45 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff. 582 Vgl. M. Genth, NuR 2008, S. 30; F. Ekardt/Pöhlmann, NVwZ 2005, S. 533. 583 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 47 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 31. 584 Vgl. M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 13.
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angesetzt werden, so dass sie den Zielen der unionsrechtlichen Vorgaben nicht zuwiderlaufen.585 585 In dieser Hinsicht hat beispielsweise der EuGH [EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C263/08, Slg. 2009, I-09967 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.; T. Bunge, ZUR 2010, S. 20 ff.] in einem Vorlagebeschluss festgestellt, dass Art. 10a UVP-RL a. F. der schwedischen Rechtsvorschrift (Kap. 16 § 12 des schwedischen Umweltgesetzbuchs) entgegensteht. Diese schwedische Rechtsvorschrift behält bestimmten Umweltschutzvereinigungen mit über 2.000 Mitgliedern das Recht auf Anfechtung einer Entscheidung über einen Vorgang i. S. d. Art. 10a UVP-RL vor. Auf dieser Grundlage hatte die schwedische Regierung lediglich zwei Umweltschutzvereinigungen anerkannt. Auf lokaler Ebene organisierte Vereinigungen sollten sich nach ihrer Auffassung gegebenenfalls an eine dieser beiden anerkannten Vereinigungen wenden und sie um die Erhebung einer Klage zu ersuchen. Die größeren anerkannten Umweltschutzvereinigungen hätten möglicherweise kein hinreichendes Interesse, sich mit einem Vorgang von beschränkter Reichweite zu befassen. Es bestehe daher die Gefahr, die größeren Umweltschutzvereinigungen mit einer Vielzahl entsprechender Ersuche zu überfordern. Das schwedische Anerkennungsverfahrenssystem von Umweltschutzvereinigungen führe damit zu einer Filterung der umweltbezogenen Anfechtungsklagen, die dem Geist des Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) zuwiderliefe, der darauf abzielt, die Umsetzung der AK sicherzustellen [EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 51 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 228.]. Der EuGH hat angemerkt, dass es nicht auszuschließen ist, dass sich die Voraussetzung, dass eine Umweltschutzvereinigung eine Mindestzahl an Mitgliedern haben muss, als sachdienlich erweisen kann, um sicherzustellen, dass diese Vereinigung auch tatsächlich existiert und tätig ist. Gleichwohl hat er aber betont, dass die erforderliche Mitgliederzahl jedoch vom nationalen Recht nicht derart hoch angesetzt werden darf, dass sie die Ziele der UVP-RL verletzt. Der Auffassung des EuGH nach bildet der Hinweis der schwedischen Regierung, dass solche örtlichen Zusammenschlüsse ja stattdessen eine der großen klagebefugten Vereinigungen bitten könnten, ihrerseits Rechtsbehelfe einzulegen, kein überzeugendes Gegenargument. Denn eine solche Vorgehensweise – die immer auch die Bereitschaft des potentiellen Klägers voraussetzt, sich in einer Angelegenheit von nur örtlicher Bedeutung zu engagieren – genügt nicht, um das Ziel des weiten Zugangs zu den Gerichten zu erreichen [EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 51 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 228.]. Zudem hat der EuGH in Zusammenhang mit dem Schlussantrag der GAin E. Sharpston klargestellt, dass die UVP-RL nicht ausschließlich Vorgänge von regionaler oder nationaler Bedeutung umfasst, sondern auch solche geringeren Umfangs, mit denen sich auf lokaler Ebene organisierte Vereinigungen besser befassen können. Dies ist von Bedeutung, denn für die gerichtliche oder gerichtsähnliche Kontrolle solcher Vorgänge müssen auch die auf lokaler Ebene organisierten Vereinigungen eine wichtige Rolle spielen können. Der nationale Gesetzgeber sollte daher das Tätigwerden solcher Vereinigungen nicht (europarechtswidrig) erschweren. Unter diesen Umständen sind aus der Perspektive des EU-Rechts Regelungen, die den auf lokaler Ebene organisierten Vereinigungen jede Möglichkeit der gerichtlichen Anfechtung nehmen (wie die infrage gestellte schwedische Vorgabe), unzulässig [EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 50 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 30; GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07. 2009 in der Rs. C-263/08, insb. Rn. 78, BeckRS 2009, 70746 BeckRS 2009, 70746]. Der EuGH schließt sich somit den Schlussanträgen der Generalanwältin E. Sharpston
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Vor diesem Hintergrund sind die Mitgliedstaaten und selbstverständlich auch die deutsche Rechtsordnung berechtigt, den Zugang von Nichtregierungsorganisationen zu den Gerichten auf diejenigen Vereinigungen zu beschränken, die Umweltschutzziele verfolgen, genügend Erfahrung besitzen, sowie eine sachgerechte Aufgabenerfüllung aufweisen müssen, um die jeweils umstrittene behördliche Entscheidung möglicherweise anzufechten. Es scheint danach, dass die geltenden Anerkennungsvoraussetzungen der Umweltschutzvereinigungen den oben ge0nannten Vorgaben und Zielen gerecht werden. Sie sind somit unionsrechtlich nicht zu beanstanden.586 Die oben dargestellten relativ komplexen Ankennungsvorschriften von Umweltschutzvereinigungen sollten keinesfalls noch komplizierter werden. Sie sollten künftig eher weniger kompliziert werden, ansonsten wäre nicht offensichtlich, ob sie die schon skizzierten Grenzen der unionalen Rechtskonformität unangemessen überschreiten. Vor diesem Hintergrund erweist es sich als sachgemäß, dass die bestehenden Anerkennungsvoraussetzungen des deutschen Rechts keinesfalls weiter erschwert werden, sondern in der Zukunft möglicherweise vereinfacht werden.587
II. Fazit Zwar sind die Normen des UmwRG zur Anerkennung von inländischen und ausländischen Umweltschutzvereinigungen m. E. unnötig kompliziert, doch sie stehen grundsätzlich im Einklang mit den Anforderungen des EU-Rechts. In allen Fällen muss jedoch der nationale Gesetzgeber darauf achten, die Anerkennungsvoraussetzungen des Bundesgesetzgebers nicht übermäßig hoch anzusetzen. Die gerichtliche Kontrolle der unter die UVP, IE-RL fallenden Vorgänge muss jedenfalls ohne übermäßige Hindernisse ermöglicht werden. Auch die Anerkennungsvoraussetzungen von Umweltschutzvereinigungen müssen insofern diesem Zweck dienen. Vor diesem Hintergrund scheint es sachgemäß, dass die bestehenden Anerkennungsvoraussetzungen des deutschen Rechts keinesfalls weiter erschwert werden, sondern künftig eher vereinfacht werden.
im schwedischen Fall an, wonach jede Beschränkung der Anerkennungsvoraussetzungen von Umweltschutzvereinigungen erst recht auszuschließen sei, soweit der Zugang der Umweltorganisationen zu behördlichen und gerichtlichen Verfahren behindert statt gefördert werde [GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07.2009 in der Rs. C-263/08, Rn. 74, BeckRS 2009, 70746]. Diese Feststellungen des EuGH müssten letztlich auch von dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die Anerkennung der Umweltschutzvereinigungen berücksichtigt werden. 586 Vgl. R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 630; W. Ewer, NVwZ 2007, S. 269 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 30. 587 So erfordert z. B. der griechische Gesetzgeber keine so komplizierten Anerkennungsvoraussetzungen hinsichtlich der Rügefähigkeit einer Vereinigung im Bereich des Umweltschutzes s. u. in Teil II, 2. Kap., C., VI.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG588 I. Allgemeines § 4 UmwRG bestimmt die Reichweite des Aufhebungsanspruchs, mit dem Fehler bei der Anwendung von Verfahrensvorschriften gerügt werden. Diese Norm hat somit neben § 2 UmwRG eine zentrale Bedeutung im Regelungssys588 Hier muss angemerkt werden, dass § 4 UmwRG in der vorherigen Fassung des Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (Gesetz vom 21.01.2013, BGBl. I, S. 95, Geltung ab 29.01.2013) lautete: „(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 kann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften 1. erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder 2. erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt worden und nicht nachgeholt worden ist. Satz 1 Nummer 1 gilt auch, wenn eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genügt. § 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften bleiben unberührt; die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers bleibt unberührt. (2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 3 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von Absatz 1 die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nummer 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.„ § 4 UmwRG in der Fassung im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Gesetz vom 20.11.2015 BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015) lautet: „1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 kann verlangt werden, wenn 1. eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften a) erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder b) erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist, 2. eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 9 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder 3. ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der a) nicht geheilt worden ist, b) nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und c) der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungspro-
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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tem des UmwRG. § 4 UmwRG regelt die Folgen einer fehlerhaften Anwendung bestimmter Verfahrensvorschriften bei UVP-relevanten Vorhaben. Beachtenswert ist, dass vor Erlass des UmwRG Drittbetroffene wegen der herrschenden traditionellen Schutznormtheorie in Verbindung mit der restriktiven deutschen Kausalitätsrechtssprechung grundsätzlich keine Gelegenheit hatten, eine unterlassene oder fehlerhafte UVP im Verwaltungsprozess geltend zu machen.589 1. Entstehungsgeschichte Die wechselhafte Entstehungsgeschichte des § 4 UmwRG zeigt gerade die rechtliche Problematik dieser Norm. Der Referentenentwurf des UmwRG vom 21.02.2005 sah zunächst in seinem (ursprünglichen) § 3 S. 1590 vor, dass
zess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind. Eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit, die nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genügt, steht einer nicht durchgeführten Vorprüfung nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gleich. (1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet. (1b) Unberührt bleiben. 1. § 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie 2. § 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung. Auf Antrag kann das Gericht anordnen, dass dieVerhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der Absätze 1 und 1a ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. (2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. (3) Die Absätze 1 bis 2 gelten auch für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung. Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Aufhebung einer Entscheidung nur verlangt werden kann, wenn der Verfahrensfehler dem Beteiligten die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat.“ 589 Vgl. T. Bunge, ZUR 2004, S. 141 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 85, m.w. N. 590 Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) (Stand: 21.02.2005) Geschäftszeichen des BMU: G I 4 – 42120-11/3 (Kabinett Nr.: 151610001); abgedruckt in: W. Durner/C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 171 ff. Der Wortlaut des § 3 des oben genannten Entwurfes lautet: „(1) Abweichend von § 46 VwVfG oder den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorha-
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„abweichend von § 46 VwVfG oder den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen [. . .] die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 verlangt werden (kann), wenn wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt worden sind.“
Im Anschluss daran nannte § 3 S. 2 des Referentenentwurfs in einer nicht abschließenden Aufzählung Verfahrensvorschriften aus dem UVP-Recht, die als wesentlich in diesem Sinne anzusehen waren. Hierzu sollte neben dem Fehlen einer erforderlichen UVP oder Vorprüfung des Einzelfalls das Auslassen bestimmter Verfahrensschritte der UVP zählen (Vorlage der entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens, Beteiligung anderer Behörden, grenzüberschreitende Behördenbeteiligung, Beteiligung der Öffentlichkeit, grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung).591 Auch nach dem Regierungsentwurf vom 04.09.2006592 sollten Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des vorgeschlagenen UmwRG angefochten werden können, wenn wesentliche Verfahrensvorbens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 verlangt werden, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. Wesentliche Verfahrensvorschriften im Sinne von Satz 1 sind verletzt, wenn 1. nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeisprüfung, nach der Verordnung über die UVP bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften a) eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder b) eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalles über die UVP-Pflichtigkeit, oder 2. einer oder mehrere der vorgeschriebenen Verfahrensschritte der Umweltverträglichkeitsprüfung a) nach § 6 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 bis 4 (Vorlage der entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens), § 7 Satz 1 (Beteiligung anderer Behörden), § 8 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 und 3 (Grenzüberschreitende Behördenbeteiligung), § 9 (Beteiligung der Öffentlichkeit), § 9a Abs. 1 (Grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung), des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder die Bewertung der Umweltauswirkungen nach § 12 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder b) nach den entsprechenden Vorschriften des Bergrechts oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften nicht durchgeführt worden sind. § 45 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften bleiben unberührt. (2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes über die UVP sind, gelten abweichend von Absatz 1 die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.“ 591 F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 5. 592 BT-Drs. 16/2495, S. 14.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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schriften verletzt worden sind und der Verfahrensfehler nicht geheilt werden könnte. Bei dieser Fassung des Gesetzes wurden aber nur die vollständige Nichtdurchführung einer rechtlich vorgeschriebenen UVP oder einer Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit als einzige Regelbeispiele einer Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften genannt. Für Verfahrensfehler mit geringerem Gewicht, wie z. B. die versehentliche Verkürzung der Frist für die Auslegung von Unterlagen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung, sollte diese Vorschrift hingegen keine Anwendung finden. Insofern blieben § 46 VwVfG sowie sonstige Regelungen zur Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern maßgebend.593 Beachtenswert war, dass diese Regelung bei dem Regierungsentwurf nicht mit den Vorgaben des vormals Art. 10a UVP-RL (jetzt § 11 UVP-RL) begründet wurde, sondern mit dem sog. Wells-Urteil des EuGH, das zur Umsetzung der UVP-RL ergangen ist und dafür aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz eine Begrenzung der Ausgestaltungsspielräume bei den Verfahrensregeln ableitete.594 Die Einführung dieser Regelung schien somit eine Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf das sog. Wells-Urteil des EuGH zu sein.595 Dieses Urteil brachte einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Umfangs des Rechtsschutzes Dritter bei UVP-Verfahren in das europäische und das nationale Recht.596 Der EuGH hatte sich in diesem Urteil, in dem es um eine nach englischem Recht erteilte Bergbaugenehmigung eines stillgelegten Steinbruchs ging, mit den rechtlichen Folgen des Unterlassens einer erforderlichen UVP zu befassen. In diesem Zusammen593 Nach dem Bundesregierungsentwurf war der Wortlaut des vorgeschlagenen § 4 Abs. 1 UmwRG: „Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 kann verlangt werden, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt worden sind und der Verfahrensfehler nicht geheilt werden kann. Wesentliche Verfahrensvorschriften im Sinne von Satz 1 sind in der Regel verletzt, wenn nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften 1. eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder 2. eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt worden ist. § 45 Abs. 2 VwVfG und andere entsprechende Rechtsvorschriften bleiben unberührt, die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers bleibt unberührt.“ s. F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 6. 594 Vgl. die Begründung zum URG-Entwurf, BT-Drs. 16/2495, S. 13 f., unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NuR 2004, S. 517. 595 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278. 596 T. Siems, NuR 2006, S. 260 ff.
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hang hatte der EuGH die Frage, ob sich betroffene Dritte auf die einzelnen Bestimmungen der UVP-RL berufen können, grundsätzlich bejaht. Der EuGH hat dabei festgestellt, dass das Unterlassen einer erforderlichen UVP verschiedene rechtliche Konsequenzen haben kann (z. B. die Rücknahme bzw. die Aussetzung einer bereits erteilten Genehmigung). Daher sind die zuständigen Behörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unterlassen der UVP eines Projektes im Sinne der UVP-RL abzuhelfen.597 Die Einzelheiten des in diesem Zusammenhang anwendbaren Verfahrens sind allerdings nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der nationalen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates.598 Die nationalen Verfahrensrechte (bzw. Verfahrensmodalitäten für Kläger), die den Schutz der den Einzelnen aus dem EU-Recht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, dürfen jedenfalls nicht ungünstiger ausgestaltet sein als diejenigen, die vergleichbare Sachverhalte interner Art regeln (Äquivalenzprinzip),599 und die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip).600 Durch das Wells-Urteil wurde vor allem geklärt, dass eine unterlassene und nicht nachgeholte UVP ohne weitere Voraussetzungen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt.601 Mit diesem Urteil war klar, dass sich aufgrund der Kausalitätsrechtsprechung die deutsche Rechtsschutzdoktrin, nach der selbst 597 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff. 598 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), Rn. 65 ff., NVwZ 2004, S. 593 ff.; G. C. Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 83 ff., m.w. N. 599 EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483, Rn. 46 (Impact), NZA 2008, S. 581 ff.; EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 48 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; J. Kokott/C. Sobotta, DVBl 2014, S. 132. 600 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), Rn. 65 ff., NVwZ 2004, S. 593 ff.; BT-Drs. 16/2495, S. 13 ff.; R. Klinger, ZUR 2014, S. 536 ff. 601 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; BT-Drs. 16/2495, S. 13 ff. Zu beachten ist, dass sich ein Teil der deutschen Rechtsprechung dieser Auffassung angeschlossen hat. Das OVG Koblenz schloss sich dem Wells-Urteil des EuGH und dem Art. 10 a UVP-RL a. F. auf eine drittschützende Wirkung der UVP-Vorschriften im Urteil vom 25.01.2005 (OVG Koblenz, Urt. v. 25.01. 2005 – 7 B 12114/04, NuR 2005, S. 474 ff.; vgl. dazu T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.) an. Hauptargument dafür war, dass Art. 10a der UVP-RL Ergebnis der Umsetzung der AK sei, die Rechte der Öffentlichkeit an der Verfahrensbeteiligung stärken zu wollen. Vor diesem Hintergrund wird entgegen den Anforderungen des § 2 der 4. BImSchV
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eine unterlassene UVP regelmäßig keinen Einfluss auf den Bestand der Genehmigung hat, nicht halten lässt.602 Dies wurde gesetzgeberisch in der ursprünglichen Fassung § 4 Abs. 1 UmwRG vom 07.12.2006 bei Gelegenheit der erforderlichen Umsetzung der AK umgesetzt. Es muss aber angemerkt werden, dass durch das Wells-Urteil allerdings auch die Anfechtbarkeit der angegriffenen Entscheidung wegen anderer Verfahrensmängel nach Maßgabe des § 46 VwVfG – entgegen dem von der abschließenden gesetzlichen Überschrift des § 4 UmwRG vom 07.12.2006 vermittelten Eindruck – nicht ausgeschlossen wurde.603 Die in § 4 Abs. 1 UmwRG erscheikein förmliches Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchgeführt. Der Ansicht des OVG Koblenz nach liegt ein grundsätzlich beachtlicher Verfahrensfehler vor. Die Frage der Kausalität des Verfahrensfehlers scheint das OVG Koblenz in Fällen einer unterlassenen UVP nicht für relevant zu erachten. Platz für Kausalitätserwägungen räumt es nur in Fällen der Verletzung einzelner Verfahrensvorschriften ein (OVG Koblenz, Urt. v. 25.01.2005 – 7 B 12114/04, NuR 2005, S. 474 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 260). Auch das OVG Münster hat in einem Urteil vom 03.01.2006 das Wells-Urteil für das nationale Recht bestätigt (OVG Münster, Urt. v. 03.01.2006 – 20 D 35/04.AK, 20 D 118/04.AK, 20 D 120/04.AK, 20 D 159/04.AK, ZUR 2006, S. 375 ff.). Die im deutschen Recht nach § 46 VwVfG geltende Regelung, dass eine Berufung auf einen Verfahrensfehler grundsätzlich nur dann möglich sein soll, wenn dieser die Entscheidung offensichtlich in der Sache beeinflusst hat, sieht das OVG Münster vor dem Hintergrund des europäischen Effektivitätsgrundsatzes kritisch. Auch die Rechtsprechung des EuGH versteht diesen Grundsatz als gemeinschaftsrechtliche Begrenzung der Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung von Verfahren (OVG Münster, Urt. v. 03.01.2006 – 20 D 35/04.AK, 20 D 118/04.AK, 20 D 120/04.AK, 20 D 159/04.AK, ZUR 2006, S. 375 ff. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 17.11.1998, Rs C-228/96, Slg. 1998, I-7141, Rn. 18 (Aprile Srl [in liquidazione]/Amministrazione delle Finanze dello Stato), DVBl 1999, S. 384; EuGH, Urt. v. 21.01.1999, Rs. C 120/97, Slg. 1999, I00223, Rn. 32 (Upjohn Ltd/The Licensing Authority u. a.), EuZW 1999, S. 503; EuGH, Urt. v. 09.02.1999, Rs. C-343/96, Slg. 1999, I-00579, Rn. 25 (Dilexport Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato), EuZW 1999, S. 313. Dagegen aber etwa: OVG Münster, Urt. v. 27.10.2005 – 11 A 1751/04, NuR 2006, S. 320 ff.). Das Urteil vom 25.01.2005 des OVG Münster verneint eine Notwendigkeit der Einräumung von Drittschutz durch die europarechtliche Entwicklung. Ob die Regelung des Art. 10 a UVP-RL die Rechtsprechung des BVerwG in Frage stellen könne, lässt das Gericht offen, da es die Vorgaben der Richtlinie für derzeit noch nicht bindend hält. Danach sei die RL noch nicht umgesetzt und entfalte mangels hinreichender Bestimmtheit keine unmittelbare Wirkung. Außerdem sieht das OVG Münster das Wells-Urteil als nicht einschlägig an, weil sie den Fall einer völlig unterbliebenen UVP betreffe. 602 T. Siems, NuR 2006, S. 260 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; R. Klinger, ZUR 2014, S. 537; mehr zur Problematik der Kausalitätsrechtsprechung in Bezug auf die UVP-Verfahren s. o. in 1. Teil, 1. Kap., F., II. ff. 603 So u.a. F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 31, unter Verweis auf: BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, Rn. 31, NVwZ 2012, S. 448 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 – 10 S 2102/09, Rn. 49, NuR 2012, S. 204 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.11.2009 – 11 S 49/09, LKV 2010, S. 138; VGH Mannheim, Urt. v. 17.11.2009 – 10 S 1851/09, Rn. 15, BeckRS 2009, 41728; VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – C 1005/08.T., Rn. 89, ZUR 2010, S. 46 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T., Rn. 44, ZUR 2009, S. 87 ff.; W. F. Spieth/M. Appel, NuR 2009, S. 313; J. Ziekow, NVwZ 2007,
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nende, ausführliche, aber nicht abschließende Auflistung von Verfahrensfehlertypen des oben genannten Regierungsentwurfes vom 04.09.2006604 war somit grundsätzlich auf dieses Urteil zurückzuführen.605 Gegen diesen Vorschlag des Regierungsentwurfes sprach sich der Bundesrat aus. Er schlug sogar die Streichung der oben genannten Verfahrensnorm vor.606 Er begründete seine Auffassung damit, dass eine solche Regelung über das von Art. 10a der UVP-RL a. F. (Art. 11 UVP-RL n. F.) zwingend Gebotene hinausgehe, indem sie die Verfahrensvorschriften in ihrem Anwendungsbereich als absolute Verfahrensrechte ausgestalte, deren Verletzung ohne Geltendmachung einer Verletzung materieller Rechtspositionen gerügt werden könne. Vor diesem Hintergrund könne der Aufhebungsanspruch zu gravierenden Verzögerungen volkswirtschaftlich bedeutsamer Planungs- und Investitionsentscheidungen führen.607 Der Bundesrat hat auch betont, dass nach der herrschenden Rechtsprechung des BVerwG608 der UVP keine selbständig durchsetzbare, von der Möglichkeit einer materiellrechtlichen Betroffenheit unabhängige Verfahrensposition zukommt. Einen solchen Rechtszustand fordere auch die UVP-RL nicht. Dabei obliege es grundsätzlich den Mitgliedstaaten, aufgrund des europäischen Rechts zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht vor den nationalen Gerichten klageweise geltend gemacht werden können. Zwar fordere Art. 10 a UVP-RL a. F. (jetzt Art. 11 UVP-RL) den Zugang zu Gerichten zur Anfechtung der materiellen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit. Diese Norm treffe aber keine Bestimmungen zu den Rechtsfolgen, insbesondere unter welchen Voraussetzungen Verstöße gegen materielle und verfahrensrechtliche Vorschriften zur Aufhebung einer Entscheidung führen müssen.609 Der Ansicht des Bundesrates nach wurde der relevanten BVerwG-Rechtsprechung auch nicht durch auf das in der Begründung zu § 4 des Regierungsentwurfes Bezug genommene Wells-Urteil des EuGH610 die Grundlage entzogen.611 Der S. 264; R. Wolf, NuR 2010, S. 253; J. Spinner, NuR 2011, S. 340; a. A. S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; M. Kment, NVwZ 2007, S. 277 ff. 604 BT-Drs. 16/2495, S. 14. 605 R. Klinger, ZUR 2014, S. 536 ff. 606 BR-Drs. 552/106, S. 7 ff. 607 BR-Drs. 552/106, S. 8. 608 Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff. 609 BR-Drs. 552/106, S. 8. 610 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff. In der Rechtssache Wells setzte sich der EuGH mit der drittschützenden Wirkung der UVP-RL in der Fassung vor der Änderung durch die UVP-Änderungs-RL auseinander. In dem Verfahren wendete sich die Klägerin Delena Wells gegen die Erteilung einer Bergbaugenehmigung für einen Steinbruch, die ohne vorherige Durchführung einer UVP erteilt worden war. Neben der Frage, ob es sich bei diesem Projekt um ein UVP-pflichtiges
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Bundesrat argumentierte, dass der EuGH im Wells-Urteil lediglich Folgendes entschied: dass sich der Einzelne (bei einer vollständig entfallenen UVP) „gegebenenfalls“ auf die Pflicht zur Durchführung einer UVP berufen könne. Maßgeblich war danach, dass jedenfalls das vom EuGH anerkannte Verbot einer umgekehrten Direktwirkung von Richtlinien zu Lasten Privater sowie Grundsätze der Rechtssicherheit einer Berufung Einzelner auf die Richtlinie nicht entgegenstehen. Ob eine Berufung auf die UVP-RL aus anderen Gründen eingeschränkt sein kann, etwa auf Grund einer im Verfahrens- oder Prozessrecht des Mitgliedstaates vorgesehenen Beschränkung des Rechtsschutzes auf die Geltendmachung dem Schutz Einzelner dienender Vorschriften sowie das Erfordernis einer zumindest möglichen Auswirkung von Verfahrensfehlern auf derartige Vorschriften, war nicht Gegenstand der Entscheidung.612 Dieses Urteil hat allerdings offen gelassen, ob grundsätzlich zu sanktionierende UVP-Fehler auch unbedingt zur Klage berechtigen müssen.613 In der gemeinsamen Empfehlung verschiedener Ausschüsse vom 11.09.2006 wurde zur Begründung für diese gegenüber dem Gesetzesentwurf eingeschränkte Fassung entlang der Argumentationslinie des Wells-Urteils vorgebracht, dass die von der Bundesregierung vorgesehene Fassung zu unbestimmt und damit zu weitgehend ist. Denn bei der Formulierung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung blieb letztlich unklar, ob und welche Verfahrensvorschriften neben den Verfahrensfehlertypen dieses Normentwurfes auch noch als „wesentlich“ anzusehen sind.614 Ihre abschließende (aber nicht endgültige) Fassung für das UmwRG vom 07.12.2006 fand die umstrittene Vorschrift § 4 UmwRG im Umweltausschuss.615 Hiernach begründete das vollständige Fehlen der UVP oder der UV-Vorprüfung des Einzelfalls stets einen Aufhebungsanspruch. In Abweichung von § 46 VwVfG und der Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG wurden mit § 4 Abs. 1
Objekt i. S. d. UVP-RL handelte, hatte der EuGH über die unmittelbare Wirkung der UVP-RL in Ermangelung entsprechender Vorschriften des englischen Rechts zu entscheiden. Der EuGH stellte dabei klar, dass einem (vorläufigen) Entzug der Bergbaugenehmigung nicht der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegengehalten werden könne. Vgl. auch T. Siems, NuR 2006, S. 260 ff. 611 BR-Drs. 552/106, S. 7 ff. 612 BR-Drs. 552/106, S. 8. 613 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723, Rn. 64 ff. (Wells/ Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff. 614 BR-Drs. 552/1/06, S. 12. Aus diesen Gründen wurde die bisherige Neuformulierung des § 4 Abs. 1 UmwRG vorgeschlagen. Die von den Ausschüssen empfohlene eingrenzende Fassung wurde von der Bundesregierung im Interesse einer Verdeutlichung des Regelungsgehaltes übernommen. Vgl. Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10. 2006, BT-Drs. 16/2931, S. 8. 615 BT-Drs. 16/3312.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
UmwRG (vom 07.12.2006) ausdrücklich diese bestimmten Verfahrensfehler per definitionem als beachtlich eingestuft.616 Andere Fälle wesentlicher Verfahrensverstöße wurden hingegen nach der abschließenden Aufzählung in dieser Fassung nicht mehr erfasst. Diese Variante wurde als geringfügige redaktionelle Modifikation bezeichnet, die den zwingenden Regelungsgehalt des § 4 Abs. 1 UmwRG deutlicher machen sollte.617 Als Folgeänderung zu der entfallenen allgemeinen Einbeziehung wesentlicher Verfahrensfehler nahm § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 07.12.2006) zudem nicht mehr auf die Möglichkeit der Heilung des Verfahrensfehlers Bezug, sondern konkret auf die Nachholung der unterlassenen UVP bzw. UV-Vorprüfung.618 616 Laut dem Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der ÖB-RL 2003/35/EG vom 7. Dezember 2006 (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG), BGBl. I, S. 2816 lautete § 4 Abs. 1 dieses Gesetzes: „(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 kann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften 1. erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder 2. erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt worden und nicht nachgeholt worden ist. § 45 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften bleiben unberührt; die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers bleibt unberührt.“, vgl. auch BT-Drs. 552/06, S. 24 ff., S. 26; BT-Drs. 16/2495, S. 13 ff. 617 BT-Drs. 16/3312, S. 8. 618 F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 8. Demgegenüber gingen allerdings alternative Änderungsvorschläge dahin, einen die Öffentlichkeitsbeteiligung betreffenden Verfahrensfehler stets als beachtlich anzusehen; BT-Drs. 16/3312, S. 9 ff. Danach wurden damit folgende Änderungen vorgeschlagen: In § 4 Abs. 1 Nr. 1 wird a) in Satz 1 das Wort „wesentliche“ gestrichen; b) Satz 2 wie folgt gefasst: „Verfahrensvorschriften im Sinn von Satz 1 sind verletzt, wenn 1. trotz der gesetzlichen Pflicht zur Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung diese nicht oder fehlerhaft durchgeführt worden ist, 2. nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeit eine erforderliche Umweltprüfung oder eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt worden ist.“ Es wurde auch vorgeschlagen § 4 zu einer umfassenden Vorschrift zur Bestimmung der gerichtlichen Kontrolldichte auszubauen, die neben der Aufhebbarkeit wegen wesentlicher Verfahrensfehler auch wesentliche Mängel in der Abwägung erfassen sollte. In diesem Rahmen wurde damit folgende Änderung vorgeschlagen: b) In Absatz 1 werden die Wörter „in der Regel“ durch das Wort „insbesondere“ ersetzt. c) Es wird ein neuer Absatz 2 mit folgendem Wortlaut eingefügt: „(2) Absatz 1 Satz 1 gilt entsprechend für wesentliche Mängel in der Abwägung. Vorschriften, die die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns auf offensichtliche Abwägungsmängel, die auf das Ergebnis (des Verwaltungsverfahrens) von Einfluss gewesen sind, beschränken, sind nicht anzuwenden.“ BT-Drs. 16/3312, S. 10 ff.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Der deutsche Gesetzgeber normierte insbesondere mit § 4 Abs. 1 UmwRG eine neue Regelung für das deutsche Verfahrensrecht. Denn diese Bestimmung sieht als Rechtsfolge der betreffenden UVP-Fehler die Aufhebung der Genehmigungsentscheidung vor, ohne dass zusätzlich – wie es nach der Kausalitätsrechtsprechung619 erforderlich war – der Nachweis zu führen wäre, dass die angegriffene Entscheidung ohne den betreffenden Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre.620 Die ursprüngliche Norm des § 4 UmwRG (vom 07.12.2006) wurde zunächst mit dem Gesetz vom 21.01.2013621, sowie mit dem Gesetz vom 20.11.2015622, und nachfolgend mit der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017623, unter dem Einfluss des sog. Altrip-Urteils des EuGH624, in einzelnen Punkten geändert. Im Folgenden soll zuerst der Inhalt sowie die Problematik der unionsrechtlichen Konformität des Verfahrensfehlerkatalogs des § 4 Abs.1 UmwRG in der Fassung vom 21.01.2013 dargestellt werden. Im Anschluss daran soll das Altrip-Urteil des EuGH untersucht werden, denn es wirkte als entscheidender Anlass, der die Änderung des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 herbeiführte. Zuletzt soll der geänderte Inhalt der Fassung des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 geprüft und analysiert werden. Die wesentlichen Änderungen der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 werden ebenfalls kurzgefasst dargestellt.625
II. Inhalt der Verfahrensfehler gem. der Novelle des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 Angesichts der Tatsache, dass Abs. 2 und 3 des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 durch die Änderung des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 hauptsächlich redaktionell geändert wurden,626 soll hier zunächst der Inhalt sowie die Problematik des Verfahrensfehlerkatalogs des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 dargestellt wer619 St. Rspr., s. etwa: BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.10.2008 – 6 C 38/07, NVwZ 2009, S. 653. 620 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 29; jeweils m.w. N. 621 Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (Gesetz vom 21.01.2013, BGBl. I, S. 95, Geltung ab 29.01. 2013. 622 Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/ 12, G. v. 20.11.2015 BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015. 623 BGBl. I 2017, Nr. 32, S. 1298; BT-Drs. 18/9526, 18/9909 siehe auch Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben (Stand 19.04.2016); BT-Drs. 18/ 9526 vom 05.09.2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 624 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff. 625 s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., VI., X. 626 s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., V., 4.–5.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
den. Dies ist sinnvoll, denn der Verfahrensfehlerkatalog des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 wurde grundsätzlich durch die aktuelle Novelle des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 beibehalten. Zugleich wurde er aber auch auschlaggebend erweitert. Gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 konnte die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des UVPG erforderliche UVP nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden war (§ 4 Abs. 1 S. 1 UmwRG vom 21.01.2013). In Übereinstimmung mit der ursprünglichen Fassung des § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 07.12.2006) wurden die bereits ausgeführten zwei Arten von UVP-Fehlern (nämlich das vollständige Fehlen der UVP oder der UVVorprüfung des Einzelfalls), als einzige Verfahrensfehler, bei denen die Aufhebung einer Zulässigkeitsentscheidung im Rahmen des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 beansprucht werden konnte, weiterhin beibehalten.627 Beachtenswert war jedenfalls, dass diese Novelle vom 21.01.2013 den Satz 2 in § 4 Abs. 1 UmwRG eingefügt hatte.628 Danach wurde – neben den oben dargestellten beachtlichen Verfahrensfehlern – die Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen auch auf die fehlerhafte Vorprüfung ausdrücklich ausgedehnt, die nicht dem Maßstab des § 3a S. 4 UVPG629 genügte. Mit anderen Wor627 Vgl. M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff.; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1527 ff. 628 BT-Drs. 17/10957, S. 5. Nach § 4 wird wie folgt geändert: a) Nach Absatz 1 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt: a) „Satz 1 Nummer 1 gilt auch, wenn eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genügt.“ 629 § 3a S. 4 UVPG lautet: „[. . .] Beruht die Feststellung, dass eine UVP unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c, ist die Einschätzung der zuständigen Behörde in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens nur daraufhin zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3c durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist.“ § 3c UVPG (UVP-Pflicht im Einzelfall) lautet: „Sofern in der Anlage 1 für ein Vorhaben eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen ist, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn das Vorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund überschlägiger Prüfung unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 aufgeführten Kriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 zu berücksichtigen wären. Sofern für ein Vorhaben mit geringer Größe oder Leistung eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen ist, gilt Gleiches, wenn trotz der geringen Größe oder Leistung des Vorhabens nur aufgrund besonderer örtlicher Gegebenheiten gemäß den in der Anlage 2 Nr. 2 aufgeführten Schutzkriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Bei den Vorprüfungen ist zu berücksichtigen, inwieweit Umweltauswirkungen durch die vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen offensichtlich ausgeschlossen werden. Bei der allgemeinen Vorprüfung ist auch zu berücksichtigen, inwieweit Prüfwerte für Größe oder Leistung, die die Vorprüfung eröffnen, überschritten werden. Für das erstmalige Erreichen oder Überschreiten und jedes weitere Überschreiten der Prüfwerte für Größe oder Leistung gilt § 3b Abs. 2 Satz 1
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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ten lag danach ein rügefähiger Verfahrensfehler auch dann vor, wenn eine Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens hinaus fehlerhaft durchgeführt wurde.630 Diese Änderung diente, wie die relevante Gesetzesbegründung betonte,631 der Klarstellung im Falle einer entgegen § 3a S. 4 UVPG nicht zum Ergebnis der UVP-Pflicht führenden Vorprüfung.632 Denn ein Teil der Rechtsprechung633 war der Ansicht, dass als Verfahrensfehler in Fällen der Vorprüfung nur das gänzliche Fehlen einer Vorprüfung gem. § 4 Abs. 1 UmwRG gerügt werden könne.634 Bei einer solchen Auslegung hätte jedoch § 3a S. 4 UVPG, der ausdrücklich die gerichtliche Kontrolle einer durchgeführten Vorprüfung anspricht, keine praktische Bedeutung.635 Der deutsche Gesetzgeber hat somit ausdrücklich zu regeln beschlossen, dass genau dann, wenn die zuständige Behörde eine UV-Vorprüfung im Einzelfall durchgeführt und im Ergebnis eine UVP-Pflicht verneint hat, hiergegen das subjektiv-öffentliche Rügerecht nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG (in der Fassung vom 21.01.2013) besteht. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens ist dann zu prüfen, ob die Erforderlichkeit einer UVP zu Unrecht abgelehnt worden ist, weil die behördliche Vorprüfung nicht dem Mindestmaß von § 3a S. 4 des UVPG genügt.636
und 2 und Abs. 3 entsprechend. Die Durchführung und das Ergebnis der Vorprüfung sind zu dokumentieren.“ 630 OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.08.2013 – 4 ME 76/13, NuR 2013, S. 747. 631 BT-Drs. 17/10957, S. 17 ff. 632 BT-Drs. 17/10957, S. 17; J. Greim, NuR 2014, S. 82. 633 VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T., ZUR 2009, S. 87 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T., Rn. 82 ff., ZUR 2010, S. 46 ff. 634 BT-Drs. 17/10957, S. 17, m.w. N. s. auch VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T, Rn. 18, ZUR 2010, S. 49 ff.; so auch J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 264; B. Wegener, UTR 2008, S. 345; M. Kment, NVwZ 2007, S. 276, S. 279; VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T., ZUR 2009, S. 87 ff. Nach Auffassung des VGH Kassel im Urteil vom 24.09.2008 kommt allerdings Verfahrensfehlern in UVPen (etwa Unterschreiten der Mindestanforderungen an die für die Durchführung der UVP vorzulegenden Antragsunterlagen durch die Beigeladenen; Unterlassen eines Scopingtermins zur Prüfung des Untersuchungsrahmens für die UVP) allenfalls eine mittelbare Bedeutung für die Kontrolle der Sachentscheidung zu, wenn etwa der Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt wurde. Dies dürfte allenfalls für Abwägungs–, nicht aber für die vorliegende gebundene Sachentscheidung gelten (VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, Rn. 12, ZUR 2009, S. 89; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 81). Dieses Urteil des VGH Kassel bejaht im Ergebnis die Anwendbarkeit von § 4 UmwRG, auch wenn kein materielles subjektives Recht verletzt worden ist. Der VGH Kassel nährt daher mit seiner Prüfung Zweifel an der europarechtskonformen Umsetzung des § 4 Abs. 1 S. 1 UmwRG. 635 T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 7. 636 G.-A. Balensiefen, § 4 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 26.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Die von § 4 Abs. 1 UmwRG oben erfassten UVP-Fehler stellten im Ergebnis absolute und damit automatisch einklagbare Verfahrensfehler dar.637 Vor diesem Hintergrund konnte eine Klage unabhängig von der Ergebnisrelevanz der Verfahrensfehler zum Erfolg im Gerichtsverfahren verhelfen.638 Die in § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 aufgezählten Verfahrensfehler führten somit zur Begründetheit der Klage, unabhängig von den sonst nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO geltenden einschränkenden Maßgaben (d. h. der rechtswidrigen Verletzung des Klägers in seinen Rechten durch den angefochtenen Verwaltungsakt).639 Ob die Zulassungsbehörde eine gesetzliche UVP-Pflicht übersah oder die im Einzelfall begründete UVP-Pflicht verkannte, spielte daher keine Rolle. Beide Konstellationen unterfielen dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 21.01.2013).640 Gleiches galt auch, wenn sich das Ergebnis einer durchgeführten Vorprüfung, dass das Vorhaben unter Berücksichtigung der erforderlichen gesetzlichen Kriterien keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben konnte (gem. 3a S. 1 UVPG), als nicht nachvollziehbar erwies, so dass daraus folgte, dass eine UVP hätte durchgeführt werden müssen.641 § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 21.01.2013) eröffnete somit eine Rügebefugnis, die zu einer subjektiv-rechtlichen Anreicherung der erfassten UVP-Fehler führte.642 637 Vgl. A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330, m.w. N.; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 264 ff.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 476. 638 Vgl. M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 238; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 264 ff. In diese Richtung hat demzufolge etwa das OVG Lüneburg in seinem Beschluss vom 21.10.2008 (OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 58 ff.; Anm. dazu T. Elgeti/L. Dietrich, NuR 2009, S. 461 ff.) eindeutig – unter anderem entgegen auch seiner bisherigen Rechtsprechung (OVG Lüneburg, Urt. v. 27.12.2006 – 7 ME 144/03; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.08.2003 – 7 ME 105/03, NVwZRR 2004, S. 23.) – zugestanden, dass vieles für das Vorliegen eines „absoluten Verfahrensfehlers“ spreche, wenn eine erforderliche UVP nicht durchgeführt wurde, die bereits als solche die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge habe (T. Elgeti/L. Dietrich, NuR 2009, S. 463; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 89 ff.). Denn das UmwRG enthält mit § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 eine eigene Vorschrift über die Bedeutung von Verfahrensfehlern, insbesondere für den Fall des Fehlens einer erforderlichen UVP, ohne dass daran weitere Voraussetzungen geknüpft sind. Insofern ist die Nichtdurchführung einer erforderlichen UVP als „absoluter Verfahrensfehler“ zu bewerten. Dieser für sich genommen habe die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge. 639 Vgl. u. a. J. Berkemann, EurUP 2014, S. 162. 640 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, Rn. 33, NVwZ 2012, S. 575 ff.; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 15, m.w. N. 641 Ebd. 642 Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 17.09.2008 – 2 M 146/08, NVwZ 2009, S. 342; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 60; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.11.2009 – 11 S 49/09, BeckRS 2009, 41964, S. 5; VG Neustadt, 13.12.2007 – 4 K 1219/06.NW, NuR 2008, S. 279; VG Karlsruhe, Urt. v. 12.08.2009 – 4 K 1648/09, BeckRS 2009, 37835, S. 6; G. Halama, in: J. Berkemann/ders., Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 770, Rn. 335; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330; J. Schumacher,
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Dies bedeutete, dass insbesondere die Rüge eines in § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 21.01.2013) ausgeführten Verfahrensfehlers nicht mehr mit dem Hinweis abgelehnt werden konnte, es sei kein subjektiv-öffentliches Recht verletzt.643 Mit § 4 Abs. 1 UmwRG wurde im Ergebnis der traditionelle Maßstab der Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG für die Beachtlichkeit von absoluten Verfahrensfehlern grundsätzlich nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten.644 Dabei muss auch beachtet werden, dass § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 keine abschließende Regelung über die Erheblichkeit von Verfahrensfehlern war.645 Keinesfalls beabsichtigte jedoch § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 21.01.2013) die schon bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten einzuschränken.646 Daher bestimmte § 4 Abs. 1 S. 1 HS 2 und 3 UmwRG vom 21.01.2013 deklaratorisch, dass § 45 Abs. 2 VwVfG und andere entsprechende Rechtsvorschriften unberührt bleiben. Gleiches galt auch für die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers. Aufgrund § 4 Abs. 1 S. 2 HS 2 und 3 UmwRG (vom 21.01.2013) wurde die Heilung von Verfahrensfehlern des § 4 Abs. 1 S. 1 UmwRG nach § 45 Abs. 2 VwVfG oder gemäß anderer Rechtsvorschriften nicht ausgeschlossen.647 Zugleich blieb die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens648 zur Fehlerheilung unberührt.649
UPR 2008, S. 19; A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 11; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 58; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; a. A. darstellend von M. Appel, NVwZ 2010, S. 477 ff.; jeweils m.w. N. 643 Vgl. BR-Drs. 552/06, S. 24 ff., S. 26; BT-Drs. 16/2495, S. 13 ff.; OVG SachsenAnhalt, Urt. v. 17.09.2008 – 2 M 146/08, NVwZ 2009, S. 340 ff.; VG Neustadt, Urt. v. 13.12.2007 – 4 K 1219/06, NJOZ 2008, S. 1215 ff.; in diese Richtung nunmehr auch VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, ZUR 2009, S. 87 ff.; vgl. dazu S. Schlacke, ZUR 2009, S. 81 ff.; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330, m.w. N.; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 264 ff. 644 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008, ZUR 2009, S. 87 ff.; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 80 ff.; dies., NuR 2007, S. 13; M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 238. 645 BT-Drs. 16/2495, S. 14; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 35; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2; jeweils m.w. N. 646 BT-Drs. 16/2495, S. 14; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 35; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2; jeweils m.w. N. 647 Zur Heilung von Verfahrensfehlern vgl. etwa: J. Ziekow, NuR 2014, S. 232; J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 182 ff., m.w. N. 648 Insbesondere stellt § 4 Abs. 1 S. 3, Halbsatz 2 klar, dass die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens auch nach der Streichung des früheren § 94 S. 2 der VwGO weiterhin besteht. 649 Vgl. M. Kment, NVwZ 2007, S. 276; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121. Hierzu baten sich beispielsweise Fälle an, in denen das Gericht zu dem Zwischenergebnis kam, dass entgegen den gesetzlichen Vorgaben eine Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt wurde. In diesem Fall war eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens möglich, damit die zuständige Behörde die Vorprüfung nachholen konnte.
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Dass nach § 4 Abs. 1 S. 3 UmwRG vom 21.01.2013 die Heilungsvorschriften des § 45 Abs. 2 VwVfG und anderer entsprechender Rechtsvorschriften unberührt blieben, sollte eindeutig machen, dass aufgrund von § 45 Abs. 2 VwVfG die Möglichkeit besteht, dass andere als in § 4 Abs. 1 Nrn. 1, 2 UmwRG vom 21.01.2013 vorliegende Handlungen, die Verfahrens- oder Normvorschriften verletzen und nach § 45 Abs. 2 VwVfG unbeachtlich sind, bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.650 Hierbei müssen auch die relevanten Voraussetzungen der EU-Rechtsprechung berücksichtigt werden. Danach hält der EuGH die Nachholung der betreffenden Verfahrenshandlung für zulässig, soweit hierdurch nicht die Möglichkeit eröffnet wird, das EU-Recht zu umgehen oder nicht anzuwenden.651 Die nachträgliche Legalisierung von Verfahrensfehlern muss die Ausnahme bleiben.652 Eine Heilung des Verfahrensfehlers in der Revisionsinstanz scheidet allerdings aus (§ 137 VwGO). Daneben besteht im Fachplanungsrecht (etwa gem. § 17e Abs. 6 S. 2 HS 1. FStrG, § 18e Abs. 6 S. 2 AEG, § 43e Abs. 4 S. 2 EnWG, § 10 Abs. 8 S. 2 HS 1. LuftVG, § 14e Abs. 6 S. 2 HS 1 WaStrG) die Möglichkeit, formelle Fehler in einem ergänzenden Verfahren zu beheben.653 Das ergänzende Verfahren ermöglicht es auch, nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens einen für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärten Planfeststellungsbeschluss zu heilen.654 1. Unionsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Verfahrensfehlerkataloges des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 Als problematisch bezüglich des Verfahrensfehlerkataloges des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 sowie in der Fassung vom 07.12.2006 erschien die Tatsache, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG aufgezählten „absoluten“ Fehlertypen, die unter den oben zusammengefasst dargestellten Voraussetzungen eingeklagt werden konnten, abschließend und nicht beispielhaft waren.655 Für einen weiter ge650 F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 18. 651 EuGH, Urt. v. 03.07.2008 – C-215/06, Slg. 2008, I-4911, Rn. 57 (Kommission/ Irland); F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 17; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 30; jeweils m.w. N. 652 T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 30; m.w. N. 653 BT-Drs. 16/2495, 04.09.2006, S. 14. 654 F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 18. 655 Vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 24.10, NVwZ 2012, S. 184 ff.; in diese Richtung OVG Magdeburg, Urt. v. 17.09.2008 – 2 M 146/08, NVwZ 2009, S. 342 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.11.2009 – 11 S 49/09, Rn. 16, LKV
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henden Anspruch auf Aufhebung der Zulassung eines UVP-pflichtigen Vorhabens i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. allein wegen Verfahrensmängeln, die der Behörde bei der Vorprüfung oder bei der Durchführung der UVP unterlaufen waren, bot § 4 UmwRG a. F. keine Grundlage.656 Es blieb insofern damit
2010, S. 138 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T., ZUR 2009, S. 87 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T., ZUR 2010, S. 46 ff.; M. Kment, § 2 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 8; ders., NVwZ 2007, S. 276; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; J. Ziekow, NuR 2014, S. 233; jeweils m.w. N. 656 Ein solcher Anspruch wird durch § 4 Abs. 1 S. 1 UmwRG – wie sich nicht nur aus dem einschränkenden Wortlaut, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ableiten lässt – gerade ausgeschlossen. Im Hinblick darauf hatte der 9. Senat des BVerwG in seinem Urteil vom 24.11.2011 eine Erstreckung der Verfahrensfehlerkonstellationen des § 4 Abs. 1 UmwRG (vom 07.12.2006) auf die fehlerhaft durchgeführte UVP abgelehnt. Der Ansicht des BVerwG nach könnten Klagen gegen die oben genannten Verfahrensfehler im Prinzip keinen Erfolg haben. Das BVerwG sah in solchen Fällen i. d. R. keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung ohne diese Mängel anders ausgefallen wäre. Das BVerwG unterwarf die Verstöße gegen Verfahrensmängel der UVP dem Maßstab des § 46 VwVfG (BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 24.10, NVwZ 2012, S. 184 ff.; BVerwG, Urt. v. 31.07.2012 – 4 A 5000/10 4 A 5001/ 10, 4 A 5002/10, 4 A 7000/11, NVwZ 2013, S. 284 ff.; R. Klinger, ZUR 2014, S. 537.). Der 9. Senat des BVerwG sah somit hierbei keine Notwendigkeit zu einer Korrektur der vom nationalen Gesetzgeber getroffenen Entscheidung auf Grund von Erfordernissen des EU-Rechts. Seiner Ansicht nach muss berücksichtigt werden, dass auch das EU-Recht nicht verlange, dass Verfahrensfehler auch dann zur Aufhebung einer Entscheidung führen müssten, wenn sie nicht kausal für das Ergebnis des Verfahrens gewesen seien (M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1045 ff.; K.-F. Gärditz, EurUP 2010, S. 210 ff.). Dies gelte sowohl für die Anforderungen des Art. 11 UVP n. F. als auch für das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip. Letzteres versteht der 9. Senat des BVerwG dahingehend, dass jedenfalls zumindest unwesentliche Verfahrensfehler nicht beachtlich sein müssen (BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 24.10, Rn. 18, NVwZ 2012, S. 184 ff.; J. Ziekow, NuR 2014, S. 230.). Offensichtlich hält sich somit der 9. Senat des BVerwG immerhin treu an die sog. Kausalitätsrechtsprechung. So auch VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T, Rn. 18 ff., ZUR 2010, S. 48. Andererseits ging der 7. Senat des BVerwG davon aus, dass § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. als nicht abschließende Mindestgarantie des Rechtsschutzes ausgelegt werden soll. Anderenfalls liege mit § 4 eine unzureichende Umsetzung der UVP-RL vor. Für andere als die in § 4 Abs. 1 UmwRG vom 07.12.2006 vorgeschriebenen Verfahrensfehler müssten somit die auch sonst für Verfahrensfehler geltenden Grundsätze zur Anwendung kommen. Dadurch sei es möglich, Verfahrensfehler bei der Durchführung der UVP nach Maßgabe des § 46 VwVfG zu beurteilen (BVerwG, Beschl. v. 27.06.2013, 4 B 37.12, BeckRS 2013, 53008; BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, NVwZ 2012, S. 575 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 8). Damit werde nicht ausgeschlossen, dass nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht sämtliche Verfahrensfehler, die das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung beeinflusst haben, erfolgreich gerügt werden könnten (BVerwG, Beschl. v. 27.06.2013, 4 B 37.12, BeckRS 2013, 53008; BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, NVwZ 2012, S. 575 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 8.). Es reiche allerdings nach UVP-RL aus, dass ein Aufhebungsanspruch nur dann bestehe, wenn der Verfahrensfehler kausal für das Entscheidungsergebnis gewesen sei (BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, ZUR 2012, S. 248 ff.; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1045.). In diese Richtung orientierte sich auch das Urteil des VGH Kassel vom 24.09.2008. Entgegen des Wortlauts des § 4 Abs. 1 UmwRG in der Fassung vom
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nicht geklärt, welchen Einfluss fehlerhaft durchgeführte UVPen auf die Grundentscheidung hatten.657 Daraus folgte, dass § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. bei anderen möglicherweise gleichermaßen bedeutsamen Verfahrensfehlern nicht anwendbar war, etwa bei Verstoß gegen die Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung oder dem Vorliegen von materiell-rechtlichen Fehlern, wie die Verletzung von Natur- und Artenschutzrecht. Deswegen waren solche Verfahrensfehler im Rahmen des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 nicht einklagbar.658 Auch für leichtere Verfahrensfehler (z. B. unzulässige Verkürzung einer Auslegungsfrist) wurde im Rahmen des UmwRG a. F. keine Sonderregelung getroffen.659 Andere Verfahrensfehler als die in § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. aufgelisteten wurden i. d. R. nach der allgemeinen Regelung des § 46 VwVfG behandelt. Infolgedessen konnte die von einem UVP-pflichtigen Vorhaben betroffene Öffentlichkeit ihre auf Anfechtung der Vorhabenzulassung gerichteten Rechtsbehelfe regelmäßig nicht allein darauf stützen, dass das Zulassungsverfahren fehlerhaft war.660
07.12.2006 und unter Berücksichtigung insbesondere des Effektivitätsgebotes sah das Urteil des VGH Kassel auch solche Mängel im Rahmen der UVP als beachtlich an, „die die Rechtsverfolgung der Umweltschutzvereinigungen oder der betroffenen Einzelpersonen in erheblicher Weise einschränken oder schmälern könnten.“ (VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, Rn. 11, ZUR 2009, S. 89) Der Ansicht dieses Gerichts nach sind materielle Mängel einer UVP oder einer Vorprüfung (etwa Mängel, die die Bekanntmachung des Vorhabens nach § 10 Abs. 3 und 4 BImSchG betreffen, oder Mängel, die die Erörterung der Einwendungen nach § 10 Abs. 6 BImSchG und/oder die Bekanntgabe des Genehmigungsbescheides nach § 10 Abs. 7 und 8 BImSchG sein) trotz formell durchgeführter UVP oder Vorprüfung als derart gravierend einzustufen, dass sie als beachtlich eingeordnet werden müssen (VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/ 07.T, Rn. 12, ZUR 2009, S. 89; S. Schlacke, ZUR 2009, S. 81.). Trotzdem stellte das Gericht fest, dass im Rahmen der aktuell geltenden Gesetzgebung ein Dritter die Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht wegen Fehlern, die der Genehmigungsbehörde bei der Durchführung der UVP im Rahmen des förmlichen Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG unterlaufen sind, verlangen könnte. Ein solcher Anspruch besteht nach § 4 Abs. 1 S. 1 UmwRG in der Fassung vom 07.12.2006 erst dann, wenn eine erforderliche UVP oder eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls gänzlich unterblieben ist (VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, Rn. 44, ZUR 2009, S. 91). 657 BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 24.10, Rn. 16, NVwZ 2012, S. 184 ff.; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 34. 658 Vgl. M. Kment, § 4 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 32; ders., NVwZ 2007, S. 279; J. Greim, NuR 2014, S. 82; N. v. Schwanenflug/ S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 1354; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 203 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 28; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121; indizierend dazu auch Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/ 4267, S. 12 ff. 659 Vgl. H. Weidemann, VR 2008, S. 229 ff.; dazu auch M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 238. 660 J. Schulte, jurOP, 23.07.2015.
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Vor diesem Hintergrund konnte es für einen Rechtsstreit grundsätzlich ohne Belang sein, ob sich z. B. eine Genehmigung für die Errichtung einer UVP-pflichtigen Anlage (z. B. einer Verbrennungsanlage) aus formellen Gründen als rechtswidrig darstellte, etwa weil im Rahmen des Genehmigungsverfahrens die UVP nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden war. Selbst wenn eine UVP fehlerhaft war, konnte somit der Kläger eine Aufhebung des angefochtenen Genehmigungsbescheids nicht verlangen, soweit er auf die Sachentscheidung offensichtlich keinen Einfluss hatte.661 Dies schien problematisch zu sein unter anderem, denn angesichts der Kompliziertheit der Verwaltungsverfahren war es häufig äußerst schwer im Nachhinein hinreichend zu beweisen, dass der jeweils umstrittene Verfahrensfehler nicht die in Frage stehende Verwaltungsentscheidung in der Sache beeinflusst hatte. In diesem Zusammenhang war es umstritten, ob die Beschränkung des § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. auf die schon genannten UVP-Fehler unionsrechtskonform war.662 Denn im Gegensatz zum deutschen Recht kommt dem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf bei der Vorhabenzulassung im europäischen Recht eine erhöhte Bedeutung zu. Sowohl der EuGH als auch der EU-Gesetzgeber messen beispiels-
661 VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T, Rn. 16 ff., ZUR 2010, S. 48; VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, Rn. 4 ff., ZUR 2009, S. 88 ff. 662 Dafür J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1527; I. Schwertner, EurUP 2007, S. 128; in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht wurde die Beschränkung auf die beiden UVP-Fehler zumindest nicht beanstandet durch OVG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 – 1 A 10722/ 08.OVG, 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 317; OVG Münster, Urt. v. 15.09.2008 – 8 B 900/08, BeckRS 2008, 40295; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.11.2009 – 11 S 49/ 09, BeckRS 2009, 41964; VGH Mannheim, Urt. v. 17.11.2009, BeckRS 2009, 41728, S. 7; VGH München, Urt. v. 15.07.2009 – 14 N 08.2736, Rn. 30. Die Gemeinschaftsrechtskonformität insoweit ausdrücklich offengelassen hat VGH Kassel, Urt. v. 24.09. 2008 – 6 C 1600/07.T, ZUR 2009, S. 89 ff.; hierzu S. Schlacke, ZUR 2009, S. 81 ff.; W. F. Spieth/M. Appel, NuR 2009, S. 316 ff.; VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C1005/08.T, ZUR 2010, S. 49 ff. Für Gemeinschaftsrechtswidrigkeit hingegen das wohl überwiegende Schrifttum, z. B. M. Kment, NVwZ 2007, S. 274 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 264; M. Genth, NuR 2008, S. 31 ff. Zur Nichtvereinbarkeit des § 4 UmwRG mit dem EU-Recht vgl. etwa: M. Genth, NuR 2008, S. 28 ff.; N. v. Schwanenflug/ S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 1354 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 141 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13 ff.; E. Gassner, NuR 2007, S. 147; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122 ff.; J. Ziekow, EurUP 2005, S. 161. In diese Richtung auch VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, ZUR 2009, S. 87 ff.; Anm. dazu S. Schlacke, ZUR 2009, 80 ff.; dagegen: OVG Münster, Urt. v. 27.10.2005 – 11 A 1751/04, NuR 2006, S. 320 ff.; W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 157 ff.; T. v. Danwitz, UTR 2007, S. 31 ff.; ders., NVwZ 2004, S. 276; W. Durner, ZUR 2005, S. 289; M. Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 495. Laut dieser Ansicht würden sowohl das UmwRG als auch die Art. 10 a UVP-RL a. F., Art. 16 IVU-RL a. F. den nationalen Gesetzgeber nicht dazu zwingen, im Rahmen des Rechtsschutzes nach dem URG eine umfassende objektive Rechtskontrolle der anfechtbaren Entscheidung zu gewährleisten. Im Anschluss daran hat das OVG Lüneburg (Urt. v. 07.07. 2008 – 1 ME 131/08, NVwZ 2008, S. 1144 ff.) ausgeführt, dass die Kritik des Schrifttums an dieser Bestimmung „teilweise eher rechtspolitisch motiviert zu sein“ scheint.
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weise der Beteiligung der Öffentlichkeit als Garantin für eine richtige Sachentscheidung bei der Zulassung umweltbezogener Großvorhaben hohe Bedeutung bei.663 Anders als das deutsche Individualrechtsschutzsystem erkennt der EuGH großzügig individuell einklagbare materielle und Verfahrensrechte an.664 Im Gegensatz zu der traditionellen deutschen Rechtsprechung soll angemerkt werden, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH für die zulässige Erhebung einer Nichtigkeitsklage ausreicht, dass die betreffende Person von den möglichen Auswirkungen des UVP-pflichtigen Projekts tatsächlich betroffen ist bzw. ein unmittelbares Interesse an seiner Einhaltung hat.665 Im Hinblick darauf fordert die europäische Rechtsprechung im Prinzip eine effektive Durchsetzung des EU-Umweltrechts, u. a. im Rahmen der UVP-Verfahren. Dies gilt sogar unabhängig davon, ob es sich um Verfahrens- oder materielles Recht handelt.666 Die europäische Rechtsprechung weist somit auch im Bereich des Verfahrensrechts einen im Vergleich zu dem deutschen Verwaltungsprozessrecht eher rechtsschutzfreundlicheren Weg auf.667 Es ist charakteristisch, dass, während nach deutschem Verständnis das Verfahren lediglich dazu dient, festzustellen, was rechtens ist, das EU-Recht eher davon ausgeht, dass die Ver663 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; EuGH, Urt. v. 08.03.2011 – Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 29 ff.; H.-P. Michler, NuR 2013, S. 25; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1253 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; W. Frenz, DVBl 2012, S. 622 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; jeweils m.w. N. 664 J. Greim, NuR 2014, S. 86 ff., m.w. N. 665 Vgl. EuGH, Slg. I-2607, Rn. 19 (Kommission/Deutschland, zur Blei-RL); EuGH, Urt. v. 30.05.1991 – Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567, Rn. 16 (Kommission/Deutschland, zur SO2-RL), NVwZ 1991, S. 866 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-04983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland, zur Trinkwasser-RL), NVwZ 1992, S. 459 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 266 ff.; vgl. auch A. Cygan, ICLQ 2003, S. 995 ff., m.w. N.; s. mehr dazu in 3. Teil, 1. Kap., E. 666 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.12.1997, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959, Rn. 56 ff. (Kommission/Frankreich), NJW 1998, S. 1933 ff.; EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 336; C. Calliess, NJW 2002, S. 3578. 667 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; EuGH, Urt. v. 08.03.2011 – Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 29 ff.; H.-P. Michler, NuR 2013, S. 25; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1253 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; W. Frenz, DVBl 2012, S. 622 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; jeweils m.w. N.
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waltungsentscheidung durch die Einhaltung des Verfahrens gegenüber dem Bürger rechtens wird.668 Es muss auch mitberücksichtigt werden, dass – im Gegensatz zum deutschen Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 46 VwVfG)669 – aus Sicht des EU-Rechts der Ausgang des Entscheidungsverfahrens, etwa bei der Anwendung der UVPRL, nicht der entscheidende Aspekt für die Aufhebung eines umstrittenen Verwaltungsaktes, der vermutlich an Verfahrensfehlern leidet, ist. Denn ausschlaggebendes Ziel der UVP-RL aus unionsrechtlicher Sicht ist es sicherzustellen, dass alle direkten und indirekten Auswirkungen eines Projekts, das erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte, ausreichend geprüft werden. In diesem Rahmen muss auch die Öffentlichkeit über das geplante Projekt angemessen informiert werden und die Gelegenheit erhalten, sich an den Entscheidungsverfahren zu beteiligen.670 Die betroffene Öffentlichkeit, also neben Privatpersonen insbesondere auch Umweltschutzvereinigungen, kann somit die Einhaltung von Verfahrensvorschriften unter vergleichsweise weiten Voraussetzungen gerichtlich einklagen. Dieses Recht ist insbesondere in Art. 11 UVP-RL n. F. normiert. Auch für Vorhaben, die dem Geltungsbereich der IE-RL unterliegen, findet sich in Art. 25 IERL eine dem Wortlaut des Art. 11 UVP-RL n. F. nach identische Vorschrift.671 Im Rahmen der Mobilisierung der gesamten Öffentlichkeit für verbesserten Umweltschutz auf allen Ebenen672 verpflichten Art. 11 UVP-RL n. F. (ex-Art. 10 a UVP-RL a. F.) sowie Art. 25 IE-RL (ex-Art. 15a IVU-RL) die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass klagebefugte Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit „Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht [. . .] haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen [. . .] anzufechten [. . .]“.673 Mithin wird eine Überprüfbarkeit auch der verfah668 Vgl. B. Wegener, UTR 2008, S. 329; R. Wahl, DVBl 2003, S. 1285; C.-D. Classen, NJW 1995, S. 2457 ff. 669 Zur Problematik des Rechtsschutzes der UVP im deutschen Recht s. o. insb. 1. Teil, 1. Kap., F., II., 3., a). 670 Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04. 2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, S. 13. 671 J. Schulte, jurOP, 23.07.2015. 672 Die Rechtsdurchsetzung wird somit als Aufgabe der Gesellschaft angesehen. Vgl. dazu R. Seelig/B. Gündling, NVwZ 2002, S. 1040; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 59; N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 1354 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 141 ff.; SRU, Stellungnahme, Nr. 5, Februar 2005, S. 7 ff.; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 371; B. Wegener, in: G. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 145; ders., Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997. 673 Vgl. M. Scheyli, AVR 2000, S. 243 ff.; W. Durner, ZUR 2005, S. 289; N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2006, S. 399; dies., NVwZ 2007, S. 1354 ff.; M. Kment,
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
rensrechtlichen Rechtmäßigkeit gefordert, ohne dies auf konkrete Fehlertypen zu beschränken.674 Eine Beschränkung auf bestimmte Fehlertypen, wie sie § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. vornimmt, ist somit in den einschlägigen Richtlinien nicht vorgesehen.675 Der Wortlaut des Art. 11 UVP-RL n. F. bzw. des Art. 25 IE-RL unterscheidet auch nicht zwischen wesentlichen und unwesentlichen Verfahrensfehlern. Vielmehr werden in Art. 9 Abs. 2 AK und damit auch in Art. 11 UVP-RL n. F. sowie Art. 25 IE-RL die Prüfung der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit ausdrücklich mit derjenigen der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit gleichgestellt.676 Insofern findet eine Reduzierung der Rechtmäßigkeitsprüfung auf Verfahrensfehler i. S. v. § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 keine rechtliche Stütze in den EU-Vorschriften.677 Eine Nachrangigkeit des Verfahrensrechts könnte daher im Rahmen des EU-Rechts nicht toleriert werden.678 Dabei sieht es so aus, dass die Einschränkungen des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 das unions- und völkerrechtliche Ziel des weiten Zugangs zu Gerichten für die Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten, dem die ÖB-RL sowie die AK dient, in Frage stellen.679
NVwZ 2007, S. 279 ff.; S. Schlacke, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 128. 674 Vgl. M. Kment, NVwZ 2007, S. 277; ders., NVwZ 2012, S. 481; ders., UPR 2013, S. 46; M. Genth, NuR 2008, S. 32; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15; dies., NVwZ 2014, S. 11 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 34; jeweils m.w. N. 675 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, ZUR 2009, S. 87 ff.; Anm. dazu S. Schlacke, ZUR 2009, 80 ff.; OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D/58/ 08.AK, Gründe zu II. 3. b), NuR 2009, S. 369; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15; M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 245; M. Genth, NuR 2008, S. 28 ff.; N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 1354 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 141 ff.; E. Gassner, NuR 2007, S. 147; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122 ff.; J. Ziekow, EurUP 2005, S. 161 ff. 676 Vgl. J. Ziekow, NVwZ 2005, S. 266; H.-W. Louis, NuR 2004, S. 290; M. Genth, NuR 2008, S. 32. 677 Vgl. H. Lecheler, GewArch 2005, S. 310; F. Ekardt/K. Pöhlmann, NVwZ 2005, S. 534; N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2006, S. 399; dies., NVwZ 2007, S. 1354 ff. 678 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T, ZUR 2009, S. 87 ff.; Anm. dazu S. Schlacke, ZUR 2009, 80 ff.; OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D/58/ 08.AK, Gründe zu II. 3. b), NuR 2009, S. 369; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15; M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 245; M. Genth, NuR 2008, S. 28 ff.; N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 1354 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 621 ff.; T. Bunge, ZUR 2004, S. 141 ff.; E. Gassner, NuR 2007, S. 147; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122 ff.; J. Ziekow, EurUP 2005, S. 161. 679 Vgl. J. Ziekow, NVwZ 2005, S. 266; H.-W. Louis, NuR 2004, S. 290; M. Genth, NuR 2008, S. 32; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 533 ff.; mehr dazu in 1. Teil, 1. Kap., F., I. ff.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass vor dem Hintergrund des EU-Rechts die Verfahrensbestimmungen der UVP vermutlich als drittschützend zu qualifizieren sind.680 Denn Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F. und wortlautgleich Art. 25 Abs. 1 IE-RL – sowie qua Verweisung Art. 23 Buchst. b Seveso-RL und Art. 13 USchad-RL – gewähren der betroffenen Öffentlichkeit Gerichtszugang gerade auch, um die verfahrensmäßige Rechtmäßigkeit von Entscheidungen anzugreifen.681 Dafür spricht auch das schon dargestellte sog. Wells-Urteil des EuGH, in dem der EuGH der Klägerin gestattet hat, sich auf die UVP-Bestimmungen zu berufen.682 Insbesondere behandelt der EuGH die Pflicht zur Durchführung der UVP als selbständige Verfahrenspflicht683 und nicht als rein verfahrensrechtliches Instrument der Gefahrenvorsorge wie im deutschen Recht.684 Infolgedessen ergibt sich aus der UVP-RL – entgegen einem Teil des Schrifttums685 – ein subjektives Recht auf Durchführung einer UVP.686 Dies hat zur Folge, dass dieses Recht unabhängig davon geltend gemacht werden kann, ob zugleich die Verletzung eines materiellen Rechts geltend gemacht wird, und ob die Verletzung dieses Rechts kausal auf die Unterlassung der UVP zurückgeht.687 Danach können auf EU680
J. Greim, NuR 2014, S. 85. K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 3, m.w. N. 682 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278; mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., I. 683 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.07.1965, Rs. 19/63, Slg. 1965, 00677 (Satya Prakash/Kommission), BeckEuRS 1965, 6517; EuGH, Urt. v. 10.07.1980, Rs. 30/78, Slg. 1980, S. 02229, Rn. 26 (The Distillers Company Limited/Kommission), GRUR Int. 1981, S. 237 ff.; EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-288/99, Slg. 2001, I-03683, Rn. 101 (VauDe Sport GmbH & Co. KG/Oberfinanzdirektion Koblenz); EuGH, Urt. v. 10.07. 2001, Rs. C-315/99 P, Slg. 2001, S. I-05281, Rn. 34 (Ismeri Europa Srl./Rechnungshof), BeckEuRS 2001, 354052; C. Walter, EuR 2005, S. 315 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 215, m.w. N.; EuGH, Urt. v. 08.07.1965, Rs. 19/63, Slg. 1965, 00677 (Satya Prakash/Kommission), BeckEuRS 1965, 6517; EuGH, Urt. v. 10.07.1980, Rs. 30/78, Slg. 1980, S. 02229, Rn. 26 (The Distillers Company Limited/Kommission), GRUR Int. 1981, S. 237 ff.; EuGH, Urt. v. 05.10.2000 – Rs. C-288/99, Slg. 2001, I-03683, Rn. 101 (VauDe Sport GmbH & Co. KG/Oberfinanzdirektion Koblenz); EuGH, Urt. v. 10.07. 2001 Rs. C-315/99 P, Slg. 2001, S. I-05281, Rn. 34 (Ismeri Europa Srl./Rechnungshof), BeckEuRS 2001, 354052. 684 Ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff. 685 Vgl. W. Durner, ZUR 2005, S. 285 ff.; dagegen: R. Nebelsieck/J.-O. Schrotz, ZUR 2006, S. 123 ff.; krit. A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff. 686 Vgl. M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 265; D. Murswiek, DV. 2005, S. 266; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht – Eine Untersuchung zur Rechtsidee des „bestmöglichen Umweltschutzes“ im EWG-Vertrag, 1993, S. 148; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. SchmidtAßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 215. 687 Vgl. D. Murswiek, DV. 2005, S. 266 ff.; a. A. A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 11. 681
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Ebene auch Verfahrensbestimmungen individualrechtschützenden Charakter aufweisen.688 Außerdem soll bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Verfahrensrechts beachtet werden, dass die Anforderungen des EU-Rechts sowohl an die Effektivität des Rechtsschutzes als auch an die praktische Wirksamkeit des Sekundärrechts (effet utile) berücksichtigt werden müssen. Es ist daher offensichtlich, dass die Reichweite der Klagebefugnis auch hinsichtlich der Verfahrensfehler nicht allein nach nationalem Verwaltungsprozessrecht entschieden werden kann.689 Im Anschluss daran führt der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz zu einer intensiveren gerichtlichen Kontrolle von Verfahrensverletzungen und möglicherweise zu einer Ausdehnung des Zugangs zu Gerichten auch im Hinblick auf die Geltendmachung von Verfahrensverletzungen.690 Aus allen diesen Gründen liegt es nahe, dass das EU-Recht zumindest seit Erlass der ÖB-RL ausstehende Kurskorrekturen im Bereich des nationalen verfahrensrechtlichen Rechtsschutzes erzwingt. Denn vor diesem Hintergrund scheint im Ergebnis die dienende Funktion, die im deutschen Verwaltungsrecht nach der Judikatur des BVerwG dem Verwaltungsverfahren beigemessen wird,691 zunehmend im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH zu stehen. Es soll aber zugleich angemerkt werden, dass das EU-Recht nicht verlangt, dass jede Verletzung einer Verfahrensvorschrift sanktioniert werden muss. Aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes des EU-Rechts soll vielmehr nur die Verletzung wesentlicher Form- und Verfahrensvorschriften zur Aufhebung der Sachentscheidung führen.692 Dabei ist auch zu beachten, dass der EuGH bei der Bestimmung der Wesentlichkeit eines Verfahrensfehlers grundsätzlich einen engen 688 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht und nach Maßgabe von Umweltrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft, 2005, S. 124; G. Winter, NVwZ 1999, S. 470. 689 Vgl. in diese Richtung EuGH, Urt. v. 12.05.2011 – Rs. C-115/2009, Rn. 46 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ, 2011, S. 803 ff.; ACCC/C/2006/18, Report, Compliance by Denmark with its Obligations under Convention, 29.04.2008, Rn. 29 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146; T. Bunge, ZUR 2014, S. 11; R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 322; F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 Abs. 2 VwGO, in VwGOKomm., 2013, Rn. 154, m.w. N. 690 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17; J. Ziekow, NVwZ 2005, S. 266; R. Wahl, DVBl 2003, S. 1290 ff.; jeweils m.w. N. 691 Vgl. st. Rspr. BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01.19965 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; vgl. M. Sachs, § 45 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfG-Komm., 2008, Rn. 10 ff., m.w. N.; M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff.; H. Weidemann, VR 2008, S. 229 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 359 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 84; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 15; W. Berg, in: M.-E. Geis/D. Lorenz (Hrsg.), FS für H. Maurer zum 70. Geburtstag, 2001, S. 538 ff.; jeweils m.w. N.; s. oben mehr dazu in 1. Teil, 1. Kap., F., II. 692 L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122, m.w. N.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Prüfungsmaßstab anlegt.693 Im Hinblick darauf dürfte die Rechtspraxis, kleinere Verfahrensfehler als unbeachtlich zu klassifizieren, grundsätzlich im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung stehen694, die prinzipiell auf die praktische Wirksamkeit der jeweiligen Norm abstellt, was wohl insbesondere bei komplexen Verwaltungsentscheidungen gilt.695 Im Anschluss daran ist die Möglichkeit der nachträglichen Heilung von Verfahrens- und Abwägungsfehlern vom EU-Recht nicht ausgeschlossen. Für diese Auffassung spricht vor allem Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 ÖB-RL, der eine nachträgliche Heilung von Verfahrensfehlern nicht ausschließt.696 In diesem Zusammenhang erscheint die in § 4 Abs. 1 S. 3 UmwRG vom 21.01.2013 (jetzt § 4 Abs. 1b Nr. 1 UmwRG vom 20.11.2015) vorgesehene Möglichkeit einer Heilung von Verfahrensfehlern mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar zu sein. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die EuGH-Rechtsprechung i. d. R. kritisch zu Unbeachtlichkeits-, Frist- und Heilungsvorschriften steht.697 Fristenregelungen und generell Formalia sind nur zulässig bei Wahrung eines Verbots der Vereitelung von Unionsrecht.698 Insbesondere Fehlerheilungen während eines laufenden Prozesses wie das Nachholen einer Begründung oder einer Verfahrensbeteiligung (bzw. Anhörung)699 sind tendenziell unzulässig, da ein einmal begonnener Prozess dann bedeutungslos würde.700 693 Vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 13.02.1979 – 85/76, Slg. 1979, S. 461 ff., Rn. 1 ff. (Hoffmann-La Roche/Kommission), NJW 1979, S. 2460 ff. 694 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13. 695 EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 278; C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht und nach Maßgabe von Umweltrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft, 2005, S. 124; G. Winter, NVwZ 1999, S. 470. 696 Vgl. S. Schlacke, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 128; T. Bunge, ZUR 2004, S. 146; M. Genth, NuR 2008, S. 32; W. Ewer, NVwZ 2007, S. 273. 697 F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 533. 698 Vgl. EuGH, 21.09.1983 – 205/82, Slg. 1983, S. 2633, Rn. 30 (Deutsche Milchkontor u. a./Deutschland), NJW 1984, S. 2024 ff. (zum Vereitelungsverbot); EuGH, Urt. v. 21.11.2002 – Rs. C-473/00, Slg. Slg. 2002, I-10875, Rn. 37 (Cofidis SA/Jean-Louis Fredout), EuZW 2003, S. 27 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – C-470/99, Slg. 2002, I11617, Rn. 76 (Universale-Bau AG u. a.), EuZW 2003, S. 147 ff. (zu angemessenen Ausschlussfristen); EuGH, Urt. v. 14.12.1995 – Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-04599, Rn. 14, m.w. N. (Peterbroeck, Van Campenhout & Cie/Belgischer Staat), DVBl 1996, S. 249 ff. 699 VGH Kassel, Urt. v. 27.02.2013 – 6 C 825/11.T, NVwZ 2013, S. 888 ff.; bejahend BVerwG, Urt. v. 20.12.2013 – 7 B 18.13, DVBl 2014, S. 303 ff.; Anm. dazu K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 136 ff., m.w. N. 700 Vgl. EuG, Urt. v. 11.04.2003 – T-392/02 R, Slg. 2003, II-1825, Rn. 53 (Solvay Pharmaceuticals/Rat); EuGH, Urt. v. 10.07.2001, Rs. C-315/99 P, Slg. 2001, S. I05281, Rn. 30 (Ismeri Europa Srl./Rechnungshof), BeckEuRS 2001, 354052; EuGH, Urt. v. 29.01.1998 – Rs. C-61/95, Slg. 1998, I-207, Rn. 40 (Griechenland/Kommission),
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Im Allgemeinen soll beachtet werden, dass der EuGH im Rahmen der Nichtigkeitsklage grundsätzlich diejenigen Form- bzw. Verfahrensvorschriften als „wesentlich“ ansieht, die geeignet sind, den Inhalt des angegriffenen Rechtsaktes zu beeinflussen.701 Dafür kommt es allerdings nicht auf die besondere Qualität der Bestimmungen an, sondern darauf, ob ihre Nichtbeachtung die inhaltliche Gestaltung des angegriffenen Rechtsakts beeinflusst haben könnte. Insbesondere Verfahrensvorschriften, die gezielt dem Schutz eines Einzelnen dienen oder die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Rechtshandlung ermöglichen oder verbessern sollen, werden i. d. R. unionsrechtlich als wesentlich und somit als rechtsschutzwürdig verstanden.702 Angesichts der Tatsache, dass die UVP-RL darauf abzielt, die menschliche Gesundheit zu schützen und durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, sind folglich auch die UVP-Verfahrensbestimmungen, soweit sie geeignet sind, den Inhalt des angegriffenen Rechtsaktes zu beeinflussen, als drittschützende Normen aus unionaler Sicht zu qualifizieren.703 Sie müssen daher auch eine Klagebefugnis begründen können. Im Hinblick darauf weisen drittschützenden Charakter vor allem Verfahrensvorschriften auf, die dem Einzelnen Beteiligungsrechte einräumen, sowie solche, die den Schutz bestimmter individueller Rechtsgüter (insbesondere in Form des Gesundheitsschutzes) mittels eines zwingend vorgegebenen Prozesses bezwe-
BeckRS 2004, 77624 (Prozessstatement zu spät); relativierend (außer bei verletztem rechtlichen Gehör) EuGH, 13.02.1979 – 85/76, Slg. 1979, S. 461 ff., Rn. 15 (Hoffmann-La Roche/Kommission), NJW 1979, S. 2460 ff. 701 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.07.1965 – Rs. 19/63, Slg. 1965, 00677 (Satya Prakash/ Kommission), BeckEuRS 1965, 6517; EuGH, Urt. v. 10.07.1980 – Rs. 30/78, Rn. 26 (The Distillers Company Limited/Kommission); EuGH, Urt. v. 05.10.2000 – Rs. C-288/ 99, Slg. 2001, I-03683, Rn. 101 (VauDe Sport GmbH & Co. KG/Oberfinanzdirektion Koblenz); EuGH, Urt. v. 10.07.2001 – Rs. C-315/99 P, Slg. 2001, S. I-05281, Rn. 34 (Ismeri Europa Srl./Rechnungshof); dazu auch L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122; M. Gellermann, in FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 246; W. Kahl, VerwArch 2004, S. 22, m.w. N. Vgl. EuGH, Slg. I-2607, Rn. 19 (Kommission/Deutschland, zur Blei-RL); EuGH, Urt. v. 30.05.1991 – Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567, Rn. 16 (Kommission/ Deutschland, zur SO2-RL), NVwZ 1991, S. 866 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991 – Rs. C58/89, Slg. 1991, I-04983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland, zur Trinkwasser-RL), NVwZ 1992, S. 459 ff.; D. Murswiek, DV 2005, S. 266 ff. Vgl. auch A. Cygan, ICLQ 2003, S. 995 ff., m.w. N. 702 M. Kment, UPR 2013, S. 46; J. Kokott, DV 1998, S. 366; H. Lecheler, GewArch 2005, S. 305 ff.; B. Müller, in: Kollektivität – Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 52. Assistententagung Öffentliches Recht, 2012, S. 119 ff. 703 Vgl. C. Klöver, Klagefähige Individualrechtspositionen im deutschen Umweltverwaltungsrecht und nach Maßgabe von Umweltrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft, 2005, S. 124; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 381; S. Schlacke, ZUR 2006, S. 362.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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cken.704 Als rechtsschutzwürdig gelten z. B. Beteiligungsregeln wie § 9 und § 14i UVPG, welche den Einfluss der Öffentlichkeit auf die Entscheidung sicherstellen sollen. Solche Regeln waren allerdings von der Beachtlichkeit der Verfahrensfehler gem. § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 ausgenommen.705 Im Allgemeinen könnten vor diesem Hintergrund gravierende Verfahrensfehler [z. B. die fehlende oder fehlerhafte Veröffentlichung wichtiger Akten etwa eines (Bau)Projekts, die Nichtvorlage oder die fehlerhafte Vorlage von entscheidungserheblichen informativen Projektunterlagen, etwa hinsichtlich der Sicherheit des Vorhabens, die Nichtbeteiligung anderer Behörden, auch solcher anderer Staaten, in denen das Vorhaben erhebliche Umweltauswirkungen haben kann], die den Inhalt der UVP erheblich beeinflussen und es möglicherweise ändern könnten, ebenso bewertet werden, wie das Unterlassen einer UVP oder einer UV-Vorprüfung. Solche Verfahrensfehler sollten daher aus der Sicht des Unionsrechts einklagbar sein.706 Wenn aber der deutsche Gesetzgeber wesentliche Verletzungen der unionsrechtlich begründeten Pflichten zur Durchführung einer UVP sanktionslos lässt,707 könnte er gegen das unionsrechtliche Äquivalenz- und Effektivitätsgebot verstoßen. Denn es ist nicht zu tolerieren, dass der Umfang des Rechtsschutzes im Bereich des deutschen Umweltverfahrensrechts enger ist als der geforderte Rechtsschutz im Rahmen des unionalen Umweltverfahrensrechts. Eine enumerative und dahingehend restriktive Beschränkung der Verfahrensverletzungen im nationalen Recht erweise sich als unzulänglich, um eine verfahrensrechtliche Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung effektiv zu gewährleisten.708 Der Verzicht des nationalen Gesetzgebers in § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01. 2013 auf die Kontrolle der Einhaltung von wesentlichen, nicht absoluten Verfahrensvorschriften sollte im Rahmen des EU-Rechts als unzulässig betrachtet 704 Vgl. A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 380 ff. 705 M. Genth, NuR 2008, S. 32; M. Kment, NVwZ 2007, S. 277. 706 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13. 707 Vgl. D. Czajka, in: FS für G. Feldhaus, 1999, S. 520, m.w. N. 708 Vgl. J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13 ff.; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122. – Dasselbe sollte auch für § 44a VwGO gelten, der Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen zulässt. Denn aufgrund des Gemeinschaftsrechts wird verlangt, dass eine unterbliebene oder nicht hinreichend durchgeführte UVP jedenfalls nachgeholt und bei der Projektzulassung berücksichtigt wird. Eine isolierte Anfechtung von Verfahrensfehlern muss daher zumindest möglich sein und damit zur Nichtanwendung von § 44a VwGO führen. Aus diesem Grund hat sich der 56. Deutsche Juristentag zu Recht dafür ausgesprochen, § 44a VwGO dahin zu ändern, dass rechtzeitiger Rechtsschutz gegen behördliche Verfahrensverstöße gewährleistet wird. Vgl. dazu S. Schlacke, in: W. Erbguth (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 128; Empfehlung der Abteilung Umweltrecht, in: Verhandlungen des 56. DJT, 1986, Bd. I (Gutachten), Teil B 9, NJW 1986, S. 3071.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
werden.709 Dies sollte vor allem bei erheblichen Verfahrensfehlern (etwa die Verletzung von Informations- und Beteiligungsrechten sowie die fehlerhafte Abgrenzung des Untersuchungsraums bei der UVP) gelten.710 Insofern wäre eine Korrektur des deutschen Verfahrensfehlerfolgenregimes empfehlenswert.711 Zumindest wesentliche Verfahrensfehler i. S. des EU-Rechts sollten auch im nationalen Recht grundsätzlich kontrollfähig sein.712 Denn der EuGH eröffnet den Mitgliedstaaten hier einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung der anfechtbaren Verfahrensfehler in Umweltangelegenheiten, den in Deutschland in erster Linie der nationale Gesetzgeber sowie die Verwaltungsgerichte zu füllen haben.713
III. Das Urteil des EuGH im Fall „Altrip“ Für die unionsrechtliche Rechtswidrigkeit der in § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 vorgenommenen Beschränkung der anfechtbaren Verfahrensfehler auf die oben genannten abgeschlossenen Fehlerkategorien spricht das sog. AltripUrteil des EuGH714, das im Folgenden analysiert werden soll. Schon mit dem Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG vom 10.01.2012715 hat das BVerwG seine Zweifel hinsichtlich der Europamäßigkeit des auf die abschließenden Verfahrensfehler eingeschränkten § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG geäußert. Ausgangspunkt des Vorlageverfahrens war ein von der Gemeinde Altrip und mehreren Pri709
Vgl. N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 401, m.w. N. Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04. 2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, S. 13. 711 J. Greim, NuR 2014, S. 86. 712 Ebd. 713 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13; C. Meitz, ZUR 2014, S. 43; C. Walter, EuR 2005, S. 315 ff.; R. Wahl/P. Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner, VwGO-Komm., 2003, Rn. 215 m.w. N. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13; C. Meitz, ZUR 2014, S. 43, s. auch BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, ZUR 2012, S. 248 ff. s. auch BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, ZUR 2012, S. 248 ff. Die deutsche Gesetzgebung oder Rechtsprechung könnte diese Verfahrensrechtsschutzlücke füllen, indem sie etwa auf die Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung von Verfahrensfehlern im EU-Eigenverwaltungsrecht rekurriert, vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 08.07. 1965 – Rs. 19/63 (Satya Prakash/Kommission); EuGH, Urt. v. 10.07.1980 – Rs. 30/78, Slg. 1980, S. 02229, Rn. 26 (The Distillers Company Limited/Kommission); EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-288/99, Slg. 2001, I-03683, Rn. 101 (VauDe Sport GmbH & Co. KG/Oberfinanzdirektion Koblenz); EuGH, Urt. v. 10.07.2001, Rs. C-315/ 99 P, Slg. 2001, I-05281, Rn. 34 (Ismeri Europa Srl./Rechnungshof). 714 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; Anm. dazu B. Saxler, EurUP 2014, S. 222 ff.; C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 81 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 232 ff.; in diese Richtung auch M. Kment, NVwZ 2007, S. 277; ders., NVwZ 2012, S. 481; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15; dies., NVwZ 2014, S. 11 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 34; jeweils m.w. N. 715 BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, ZUR 2012, S. 248 ff.; M. Kment, UPR 2013, S. 46. 710
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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vatklägern gegen das Land Rheinland-Pfalz geführter Rechtsstreit wegen eines Rheinpolders. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war ein Planfeststellungsbeschluss für eine 327 ha große Hochwasserrückhaltefläche, die teils ungesteuert, teils gesteuert Hochwasser des Rheins aufnehmen soll. Im vorgesehenen Überschwemmungsbereich befanden sich vor allem landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und Waldflächen. Ein Teil der ungesteuerten Rückhaltung sollte in einem FFHGebiet verwirklicht werden. Anlass des Vorlagebeschlusses war die Klage der rheinland-pfälzischen Gemeinde Altrip, deren Gemeindefläche zu 12% von dem Vorhaben in Anspruch genommen werden sollte und die im Vorhabensbereich zusätzlich Grundstückseigentum hatte. Daneben klagten eine im Obst- und Gemüseanbau tätige Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Eigentümerin und Pächterin mehrerer Grundstücke und der Eigentümer eines Wohngrundstücks und mehrerer Campingplatzgrundstücke, die jeweils im vorgesehenen Überschwemmungsgebiet lagen. Sie trugen vor, dass verschiedene Defizite der durchgeführten UVP vorlagen (etwa nicht ausreichende Prüfung von Standortalternativen, nicht rechtmäßige Präklusion von Einwendungen der Kläger im Verwaltungsverfahren u. a.).716 Das VG Neustadt717 sowie das OVG Koblenz718 hatten allerdings die Klagen jeweils unter Verweis auf das vor Inkrafttreten des UmwRG begonnene Zulassungsverfahren zurückgewiesen. In diesem Fall sei das UmwRG a. F. nach seinem § 5 Abs. 1 nicht anwendbar. Hiergegen richtete sich die Revision der Kläger vor dem BVerwG. Dieses sah die Rechtsfragen der zeitlichen Geltung des UmwRG sowie Vorträge der Kläger hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Fehlerfolgenregelung des § 4 UmwRG a. F. als entscheidungserheblich an und veranlasste mit seinem Beschluss die Vorlage an den EuGH.719 Das BVerwG intendierte zunächst klären zu lassen,ob es mit dem EU-Recht im Einklang steht, dass das UmwRG nicht anwendbar ist, wenn das Verwaltungsverfahren bereits vor dem 25.06.2005 – dem äußersten Zeitpunkt der Umsetzung der ÖB-RL – eingeleitet worden ist.720 Anschließend hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Fehler bei der Durchführung einer UVP für die Kontrolle der Sachentscheidung beachtlich sind. Denn bei den von den Klägern geltend gemachten Verfahrensfehlern, die die Durchführung einer UVP betrafen, handelte es sich nicht um solche nach § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG 716 Zur Argumentation der Kläger vgl. VG Neustadt, Urt. v. 13.12.2007 – 4 K 1219/ 06 NW, A. II. 1.2.3.2. ff., NuR 2008, S. 281 ff. 717 VG Neustadt, Urt. v. 13.12.2007 – 4 K 1219/06.NW, NuR 2008, S. 279 ff. 718 OVG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 – 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 316 ff. 719 Vgl. C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff. 720 BVerwG, Beschl. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, NVwZ 2012, S. 448 ff.; ausführlich zu dieser Frage s. u. 1. Teil, 3. Kap., G., I., 2.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
vom 21.01.2013. Im Übrigen waren diese Verfahrensfehler unter Berücksichtigung der Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG zu § 46 VwVfG unbeachtlich. Noch spezifischer stellte das BVerwG in Frage, ob bereits bloße Mängel bei der Durchführung einer erforderlichen UVP zur Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung berechtigen, oder ob diese Folge nur dann eintritt, wenn die UVP vollständig unterblieben ist. Mit anderen Worten wurde somit gefragt, ob es einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 4 Abs. 1 S. 1 UmwRG vom 21.01.2013 auf andere als die in dieser Vorschrift genannten Verfahrensverletzungen unter Nichtanwendung des § 46 VVfG bedarf.721 Die dritte Vorlagefrage betraf die Unionsrechtskonformität der deutschen Rechtsprechung, nach der ein Kläger nur dann in seinen Rechten verletzt ist, wenn er nachweisen kann, dass die endgültige Entscheidung „nach den Umständen des konkreten Falls“ ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler „anders ausgefallen wäre“, und wenn durch diesen Fehler eine materielle Rechtsposition des Klägers beeinträchtigt wird.722 1. Anfechtbarkeit von UVP-Verfahrensfehlern Mit seinem Urteil vom 07.11.2013 zum Polder Altrip erklärte der EuGH,723 dass nicht nur eine unterbliebene UVP zur Aufhebung einer Entscheidung führe, sondern auch bei einer fehlerhaften UVP diese Entscheidung anfechtbar sein muss. Der EuGH stützt sich grundsätzlich bei seiner Argumentation auf den Wortlaut des Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP n. F.). Danach muss ein weiter Zugang zu Gerichten hinsichtlich der Anfechtbarkeit der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen im Rahmen der UVP-RL gewährleistet werden.724 Außerdem enthält, wie bereits ausgeführt wurde, Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) keine Beschränkung der Gründe hinsichtlich der materiell- oder verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen i. S. d. Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVPRL), die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können.725 Daneben dient die UVP-RL unter anderem zur Festlegung von Ver721 BVerwG, Beschl. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, NVwZ 2012, S. 448 ff.; vgl. M. Kment, NVwZ 2012, S. 481 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 15: B. Saxler, EurUP 2014, S. 222 ff. 722 BVerwG, Beschl. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, NVwZ 2012, S. 448 ff.; B. Saxler, EurUP 2014, S. 223. 723 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; Anm. dazu C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 81 ff. 724 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 36 (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 725 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 36 (Altrip), ZUR 2014, S. 3; so auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011 – Rs. C-115/09, Rn. 37 (Bund für Umwelt und
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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fahrensgarantien, die insbesondere eine bessere Information und eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der UVP öffentlicher und privater Projekte mit unter Umständen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglichen sollen. Insofern kommt der Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensregeln in diesem Bereich besondere Bedeutung zu.726 Nach Ansicht des EuGH hindern diese Bestimmungen die Mitgliedsstaaten, das Anfechtungsrecht der betroffenen Öffentlichkeit nur auf den Fall einer vollständig unterbliebenen UVP zu beschränken. Vielmehr müsse auch der Fall, in der eine durchgeführte UVP fehlerhaft war, vom Klagerecht der betroffenen Öffentlichkeit umfasst sein.727 Vor diesem Hintergrund stellt der EuGH ausdrücklich fest, dass die betroffene Öffentlichkeit, im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Sinne der UVP angefochten wird, grundsätzlich jeden Verfahrensfehler im Bereich der UVP-RL geltend machen können muss.728 Der Ansicht des EuGH nach würde der Ausschluss der Anwendbarkeit von nationalen Vorschriften zur Umsetzung des Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) in dem Fall, dass eine UVP zwar durchgeführt wurde, aber mit schwerwiegenden Fehlern behaftet ist, den Bestimmungen der UVP-RL weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Ein solcher Ausschluss liefe daher den Zielvorgaben des Art. 10a UVP-RL a. F. (nun § 11 UVP-RL n. F.), einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zuwider.729 Denn ein wirksamer Zugang der betroffenen Öffentlichkeit zu Gerichten setzt eine umfassende gerichtliche Kontrollmöglichkeit von Entscheidungen mit UVP voraus. § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 dürfte daher als unionsrechtswidrig angesehen werden.730 Demzufolge könnten Kläger (inklusive Gemeinden und Privatpersonen) nicht nur das vollständige Unterlassen einer UVP im gerichtlichen Verfahren rügen, sondern auch die Fehlerhaftigkeit einer durchgeführten UVP.731 Der nationale Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 47 ff. (Kommission/Deutschland); juris. 726 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 49 (Altrip), ZUR 2014, S. 39. 727 Vgl. J. Schulte, jurOP, 23.07.2015. 728 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 48 (Altrip), ZUR 2014, S. 39. 729 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 36 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 37; so auch GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 74 (Kommission/ Deutschland), curia.europa.eu; M. Kment, NVwZ 2012, S. 481 ff.; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 198 ff.; dies., ZUR 2014, S. 14 ff.; T. Bunge, NuR 2011, S. 611; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1262; F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1061 ff.; jeweils m.w. N. 730 S. Schlacke, NVwZ 2014, S. 14; J. Ziekow, NuR 2014, S. 232; B. Saxler, EurUP 2014, S. 224. 731 C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Gesetzgeber darf im Allgemeinen keinen Rechtsbehelf einführen, der die Gründe, die zur Stützung eines Rechtsbehelfes in Bezug auf die Anfechtung von Verfahrensfehlern vorgebracht werden können, so einschränkt, dass der unionsrechtlich vorgegebene weite Zugang zu Gerichten übermäßig erschwert wird.732 Dadurch stellt das Altrip-Urteil die rein dienende Funktion des deutschen Verfahrensrechts733 im Hinblick auf die Richtigkeit der Sachentscheidung in Frage.734 2. Billigung der Kausalitätsrechtsprechung Auf der anderen Seite aber schränkt der EuGH den Umfang der Anfechtbarkeit von Verfahrensfehlern ein. Im Einklang mit der entsprechenden herrschenden Tendenz der europäischen Rechtsprechung735 judiziert der EuGH, dass jedoch nicht jeder Verfahrensfehler zwangsläufig Folgen hat, die sich auf den Inhalt einer Verwaltungsentscheidung auswirken können.736 Vielmehr sei nachzuweisen, dass die Möglichkeit besteht, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. In diesem Sinne hebt der EuGH hervor, dass nicht jeglicher Verfahrensfehler zur Anfechtung berechtigt. Vielmehr sei eine mitgliedstaatliche Beschränkung auf gravierende Verfahrensfehler wohl zulässig.737 In diesem Zusammenhang ist somit von Bedeutung, dass der EuGH die Anwendung des sog. Kausalitätskriteriums nicht abgelehnt hat. Vielmehr hat er die Kausalitätsrechtsprechung grundsätzlich auf unionsrechtlicher Ebene gebilligt.738 Die im konkreten Fall erhobene Rüge einer zwar durchgeführten, aber aus Sicht der Kläger fehlerhaften UVP ist danach vom EU-Recht erfasst. Dem deutschen Recht nach war aber diese Fallkonstellation nicht nach § 4 UmwRG vom 21.01.2013, sondern nach § 46 VwVfG zu beurteilen. Hierzu hat der EuGH klargestellt, dass das nach § 46 VwVfG anzuwendende Kausalitätskriterium, wonach
732 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 36, 46 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff.; J. Ziekow, NuR 2014, S. 232. 733 Vgl. st. Rspr. BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06, ZUR 2008, S. 482 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 15, m.w. N.; mehr über die dienende Funktion des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts s. auch 1. Teil, 1. Kap., F., II., m.w. N. 734 S. Schlacke, ZUR 2014 S. 16. 735 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.02.1979 – 85/76, Slg. 1979, S. 461 ff., Rn. 1 ff. (Hoffmann-La Roche/Kommission), NJW 1979, S. 2460 ff.; EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff. 736 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 49 (Altrip), ZUR 2014, S. 39; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14. 737 Ebd. 738 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff.; M. Sauer, ZUR 2014, S. 200; C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Verfahrensfehler nur dann beachtlich sind, wenn die Entscheidung ohne diesen Fehler anders ausgefallen wäre, grundsätzlich unionsrechtlich zulässig sein kann.739 Der EuGH erörtert allerdings diese Rechtslage im Altrip-Urteil nur abstrakt, obwohl noch die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón740 § 46 VwVfG explizit angeführt haben.741 Im Anschluss an die Schlussanträge des Generalanwalts zu diesem Fall bestätigt der EuGH weitgehend die bestehende deutsche Rechtslage hinsichtlich der sog. Verfahrensfehlerlehre.742 Dieser Auffassung nach scheint die deutsche Verfahrenslehre im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung zu stehen. Denn, soweit im direkten Vollzug des EU-Rechts die Kausalität eines Verfahrensfehlers von Belang ist,743 wäre es dann zweifelhaft, warum dies im indirekten Vollzug anders zu bewerten sein sollte.744 Insofern vertritt der EuGH die Auffassung, dass ein Verfahrensfehler, der sich nicht auf den Inhalt einer UVP-Entscheidung auswirken kann, denjenigen, der ihn geltend macht, nicht in seinen Rechten verletzt. In einem solchen Fall erscheint das Ziel der UVP-RL, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, nicht gefährdet, wenn nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Rechtsbehelfsführer, der sich auf einen derartigen Fehler stützt, nicht in seinen Rechten verletzt wird und infolgedessen nicht zur Anfechtung einer UVP-Entscheidung befugt ist.745 Dies stehe im Einklang auch mit der oben ausgeführten Ansicht, Art. 11 UVP-RL n. F. sowie Art. 25 IE-RL, den Zugang der Mitgliedstaaten zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren davon abhängig zu machen, dass insbesondere Einzelkläger i. S. des § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen können.746 739
M. Sauer, ZUR 2014, S. 200. GA P. Cruz Villalón, Schlussantr. v. 20.06.2013 in der Rs. C-72/12 (Altrip), Rn. 53, BeckRS 2013, 81258. 741 Vgl. J. Greim, NuR 2014, S. 84; M. Sauer, ZUR 2014, S. 200; B. Saxler, EurUP 2014, S. 225. 742 Mehr zu deutschen Verfahrensfehlerlehre s. o. 1. Teil, 1. Kap., F., II., 2.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 27 (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 743 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.07.1965 – Rs. 19/63, Slg. 1965, 00677 (Satya Prakash/ Kommission), BeckEuRS 1965, 6517; EuGH, Urt. v. 10.07.1980 – Rs. 30/78, Rn. 26 (The Distillers Company Limited/Kommission); EuGH, Urt. v. 05.10.2000 – Rs. C-288/ 99, Slg. 2001, I-03683, Rn. 101 (VauDe Sport GmbH & Co. KG/Oberfinanzdirektion Koblenz); EuGH, Urt. v. 10.07.2001 – Rs. C-315/99 P, Slg. 2001, S. I-05281, Rn. 34 (Ismeri Europa Srl./Rechnungshof); dazu auch L. Radespiel, EurUP 2007, S. 122; M. Gellermann, in FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 246; W. Kahl, VerwArch 2004, S. 22, m.w. N. 744 Vgl. M. Gellermann, in FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 246, m.w. N. 745 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 49 (Altrip), ZUR 2014, S. 39. 746 J. Ziekow, NuR 2014, S. 233 ff., m.w. N.; in diese Richtung auch EU-Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 11; s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., IV. 740
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Unabhängig davon erscheint es plausibel, dass die oben skizzierten Anforderungen des Altrip-Urteils zur Fehlerkausalität auch für andere Verfahrensverstöße als UVP-Fehler (im Rahmen des Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F.) gelten müssen, soweit es sich um unionsrechtlich unterlegtes Umweltverfahrensrecht handelt.747 Der entsprechende Art. 25 Abs. 1 der IE-RL macht diesen Schluss deutlich. Denn er trifft für Verfahrensfehler außerhalb des UVP-Rechts bei den Art. 25 IE-RL unterfallenden Entscheidungen grundsätzlich dieselben Regelungen zur Überprüfbarkeit in verfahrensrechtlicher Hinsicht wie Art. 11 UVP-RL n. F.748 Demzufolge erweist sich die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 grundsätzlich nur auf UVP-Bestimmungen als zu eng. Noch progressiver im Vergleich zu den Richtern des EuGH vertritt der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zu diesem Fall die Ansicht, dass für die Aufhebung der Entscheidung kein Kausalitätsnachweis erforderlich ist, soweit besonders wichtige Verfahrensvorschriften (etwa Verfahrensfehler, die die Information und die Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten betreffen), verletzt worden sind.749 Auch diese Feststellungen geben Anlass zu einer weiteren Diskussion, ob es neben den in § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 abschließend aufgelisteten Verfahrensfehlern auch weitere Verfahrensfehler gibt, die unabhängig von ihren Auswirkungen auf das Entscheidungsergebnis immer zur Aufhebung der Behördenentscheidung führen müssen.750 3. Schweregrad des geltend gemachten Fehlers In Bezug auf die Frage der Fehlerkausalität ist von Bedeutung, dass der Ansicht des EuGH nach der Schweregrad des geltend gemachten Verfahrenfehlers zu berücksichtigen ist. Danach darf der jeweils in Frage gestellte Verfahrensfehler nicht dazu führen, dass dem Kläger bzw. der betroffenen Öffentlichkeit die Verfahrensgarantien des Zugangs zu Informationen und zur Beteiligung am Entscheidungsverfahren übermäßig erschwert oder vereitelt werden.751 Es sei Sache des Gerichts, unter anderem den Grad der Schwere des geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen. Mit anderen Worten sollte das Gericht insbesondere prüfen, ob der jeweils umstrittene Verfahrensfehler der betroffenen Öffentlichkeit Verfahrensgarantien entzogen hat, die geschaffen wurden, um ihr im Einklang 747
J. Ziekow, NuR 2014, S. 233; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 3. J. Ziekow, NuR 2014, S. 233. 749 GA P. Cruz Villalón, Schlussantr. v. 20.06.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), Rn. 96 ff., Rn. 106, BeckRS 2013, 81258; GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C137/14, Rn. 96 (Kommission/Deutschland), curia.europa.eu. 750 J. Greim, NuR 2014, S. 84. 751 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 52 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 40 ff. 748
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mit den Zielen der UVP-RL Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen.752 Dies scheint allerdings im Rahmen des deutschen Rechts über eine klassische Kausalitätsprüfung hinaus zu gehen, da sich beispielsweise die Entziehung einer Verfahrensgarantie nicht zwangsläufig beachtlich auf das Entscheidungsergebnis im restriktiven Sinne des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts auswirken kann.753 Im Gegensatz dazu könnte die bloße Entziehung einer Verfahrensgarantie – der Auffassung des EuGH754 nach – als schwergradiger Verfahrensfehler angesehen werden.755 Aus den Ausführungen des EuGH ergibt sich somit, dass der EuGH – im Vergleich zu der deutschen Rechtsordnung – ein anderes Verständnis des Charakters von Verfahrensrechten hat. Denn der EuGH geht von der selbständigen gerichtlichen Durchsetzbarkeit auch von Verfahrensrechten aus.756 Aus den Feststellungen dieses Urteils läßt sich ableiten, dass eine Unterscheidung der Verfahrensfehler nach dem Grad des Fehlers in der Tat sachgerecht und unionsrechtskonform erscheint. Zwar billigt der EuGH die Kausalitätrechtsprechung des deutschen Rechts, er setzt aber zugleich ihrer Anwendung deutliche Grenzen, und im Ergebnis relativiert er sie. 4. Umkehrung der Beweislast Der EuGH hat zugleich auf eine weitere Anforderung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Klage gegen Verfahrensfehler hingewiesen. Billigt der EuGH einerseits das Erfordernis eines Kausalitätskriteriums, macht er andererseits deutlich, dass im Gegensatz zu der herrschenden rechtlichen Lage der deutschen Rechtsprechung757 die Beweislast dafür, dass die Entscheidung ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler anders bzw. nicht anders ausgefallen wäre, nicht dem Kläger aufgebürdet werden dürfe. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, welche die Geltendmachung von Verfahrensfehlern im Rahmen des § 46 VwVfG 752
B. Wegener, EurUP 2014, S. 233; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 3. So z. B. muss sich die Verletzung von Vorschriften der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zwingend auf das Ergebnis der jeweiligen Entscheidung ausgewirkt haben. Ebenso wirkt sich die Mangelhaftigkeit der Bekanntmachung über ein Vorhaben nicht auf die Rechtsposition aus, wenn der Betroffene jedenfalls auf andere Weise Kenntnis erlangt hat und auch sonst im weiteren Verfahren dadurch nicht gehindert war, seine Rechte geltend zu machen. R. Klinger, ZUR 2014, S. 538. 754 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 52 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 40 ff. 755 Vgl. J. Greim, NuR 2014, S. 83. 756 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 36, 38 (Altrip), ZUR 2014, S. 40 ff.; OVG Münster, Urt. v. 23.07.2014 – 8 B 356/14, Rn. 15 ff., ZUR 2014, S. 612 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 233, jeweils m.w. N.; s. o. dazu auch 1. Teil, 3. Kap., E., II., 1. 757 Vgl. st. Rspr.: BVerwG, Urt. v. 31.07.2012 – 4 A 7000/11, NVwZ 2013, S. 297 ff.; BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 24.10, NVwZ 2012, S. 184 ff.; J. Ziekow, NuR 2014, S. 231, m.w. N. 753
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
durch die Aufbürdung der Beweislast im Rahmen des Kausalitätskriteriums auf den Kläger erschwert, kann demnach nicht fortgeführt werden.758 Der Ansicht des EuGH nach verstößt eine Abwälzung der entsprechednen Beweislast auf den Kläger gegen die UVP-RL.759 Dem Kläger die Beweislast für das Vorliegen des Kausalitätskriteriums aufzubürden, erschwere insbesondere unter Berücksichtigung der Komplexität der jeweils umstrittenen Verfahren und des technischen Charakters der UVP die Ausübung der durch die UVP-RL verliehenen Rechte übermäßig.760 Dies darzulegen und festzustellen, muss vielmehr der entscheidenden Behörde oder dem jeweils zuständigen Gericht obliegen.761 Im Ergebnis führt das hier diskutierte Urteil zu einer Umkehrung der durch die deutsche Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung des § 46 VwVfG.762 Dies führt unvermeidlich zu einer klagefreundlicheren Auslegung des § 46 VwVfG. Denn für die Feststellung der offensichtlichen Auswirkung eines Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung ist im Zweifel davon auszugehen, dass der geltend gemachte Verfahrensfehler die endgültige Entscheidung beeinflusst hat, es sei denn, das Gericht gelangt insbesondere anhand der vom Bauherrn oder von den zuständigen Behörden vorliegenden Akten – und nicht aufgrund von Beweisen, die der Kläger zu erbringen hätte – zu dem Schluss, dass der geltend gemachte Verfahrensfehler das endgültige Entscheidungsergebnis nachweislich nicht beeinflusst hat.763
758 B. Saxler, EurUP 2014, S. 225; C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; M. Sauer, ZUR 2014, S. 200; S. Schlacke, NVwZ 2014, S. 11 ff. 759 J. Ziekow, NuR 2014, S. 231; B. Saxler, EurUP 2014, S. 225, jeweils m.w. N. 760 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 53 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 233; so auch EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 59 ff. (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 761 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 53 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff.; so auch GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 99 (Kommission/Deutschland), curia.europa.eu; sowie EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 60 (Kommission/Deutschland, juris; Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme vom 25.04.2013 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267, C (2013) 2173 final, S. 13. 762 BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 24.10, NVwZ 2012, S. 184 ff.; BVerwG, Beschl. v. 06.05.2008 – 9 B 64/07, NVwZ 2008, S. 795 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.01. 1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; J. Ziekow, NuR 2014, S. 231. 763 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 53 (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 233; J. Ziekow, NuR 2014, S. 230; M. Sauer, ZUR 2014, S. 200; C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; S. Schlacke, NVwZ 2014, S. 11 ff.; B. Saxler, EurUP 2014, S. 222 ff.; B. Saxler, EuRUP 2014, S. 225; so auch EuGH, Urt. v. 15.10. 2015 – C-137/14, Rn. 62 (Kommission/Deutschland, juris; Anm. dazu A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/ J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Zusammengefasst soll der Beklagte und nicht der Kläger beweisen, dass die angegriffene Entscheidung auch ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Es ist daher darauf hinzuweisen, dass der deutsche Gesetzgeber eine dahingehend klarstellende Regelung zur Beweislast im Zusammenhang mit dem Kausalitätskriterium erlassen sollte.764
IV. Der EuGH verwirft den Verfahrensfehlerkatalog des UmwRG vom 21.01.2013 In Zusammenhang mit dem Altrip-Urteil des EuGH, in dem offen blieb, ob jedwede Auswirkung des UVP-Fehlers (z. B. auf rein naturschutzrechtliche Belange) zur Begründung eines Aufhebungsanspruchs ausreicht, oder ob eine Anknüpfung an individuelle Rechtsgüter des Klägers verlangt werden kann,765 hat ein weiteres Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14766 im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegen Deutschland unter anderem die unionsrechtliche Vereinbarkeit von Bestimmungen des § 4 UmwRG a. F. geprüft. Es handelte sich um einen Rechtsstreit zwischen der EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Umsetzung der Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL durch das deutsche UmwRG. Mit ihrer Klage gegen Deutschland beantragte die Europäische Kommission unter anderem festzustellen, dass die Bundesrepublik durch das UmwRG a. F. vom 21.01.2013 gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 11 UVP-RL n. F. und aus Art. 25 IE-RL verstoßen hat. Um konkreter zu sein, verfolgte die EU-Kommission mit ihrer ersten Rüge den grundsätzlichen Ansatz, § 113 Abs.1 VwGO für unionsrechstwidrig erklären zu lassen. Sie hat daher Deutschland vorgeworfen, dass sie durch § 4 UmwRG vom 21.01.2013 die Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen i. S. d. UVP-RL n. F. und IE-RL unzulässigerweise nur auf die Fälle beschränkt, in denen nachweislich ein subjektives Recht verletzt wurde (gem. § 113 Abs. 1 VwGO).767 Im Anschluss daran machte die EU-Kommission mit ihrer zweiten Rüge geltend, dass die Aufhebung von Entscheidungen aufgrund von Verfahrensfehlern, 764 So auch GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 100 (Kommission/Deutschland), curia.europa.eu. 765 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 59 ff. (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 766 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 767 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 24 ff. (Kommission/Deutschland), juris.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
wie das Fehlen einer UVP oder einer Umweltverträglichkeitsvorprüfung (§ 4 Abs. 1 UmwRG a. F. vom 21.01.2013) nur auf Fälle beschränkt würde, in denen der Rechtsbehelfsführer nachweist, dass der Verfahrensfehler für das Ergebnis der Entscheidung kausal war und eine Rechtsposition des Rechtsbehelfsführers betroffen ist (§ 46 VwVfG i.V. m. § 113 Abs. 1 VwGO). Sie machte damit geltend, dass § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. europarechtswidrig nur jene Fälle erfasse, in denen eine erforderliche UVP oder UV-Vorprüfung gänzlich unterblieben ist.768 Eine behördliche Genehmigung gem. § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. könne somit nur dann aufgehoben werden, wenn sie nicht auf der Grundlage einer formgerechten UVP oder UV-Vorprüfung erteilt worden sei. Werde jedoch eine derartige Prüfung nach einem Verfahren durchgeführt, das nicht den Anforderungen des Art. 11 der UVP-RL genüge, könne dies in der Praxis vor einem deutschen Gericht nicht angefochten werden.769 1. Zur Verletzung von subjektiv-öffentlichen Rechten des individuellen Klägers als Voraussetzung für die Anfechtung von UVP-Verfahrensfehlern Was die oben genannte erste Rüge der EU-Kommission angeht, vertrat die Kommission die Auffassung, dass § 113 Abs. 1 VwGO die Rechtmäßigkeitskontrolle von Verwaltungsentscheidungen in rechtswidriger Weise auf nationale Rechtsvorschriften beschränke, die Rechte Einzelner begründeten. Daher sei ein Verfahrensrechtsschutz in Deutschland nur dann garantiert, wenn die verletzte Verfahrensnorm Rechte Einzelner begründe. Gemäß Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL müssten aber sowohl die materiell-rechtliche als auch die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen gerichtlich überprüft werden können. Infolgedessen entziehe diese Norm die Überprüfung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Behördenentscheidung in unzulässiger Weise der gerichtlichen Kontrolle. Die EU-Kommission stützte ihre Auffassung darauf, dass durch den Regelungsgehalt der Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL auch die Verletzung von formellen Rechtspositionen in die Überprüfung durch die Gerichte gestellt werden können müsse.770 Auch der Generalanwalt M. Wathelet hat sich in dieser Rechtssache dieser Ansicht angeschlossen.771 Danach handle es sich bei der Voraussetzung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO für die Begründetheit einer Klage, bei der der rechtswidrige Verwaltungsakt ein subjektives Recht des Klä768 Vgl. J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 769 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 47 ff. (Kommission/Deutschland), juris. 770 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 24 (Kommission/Deutschland), juris. 771 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 55 ff. (Kommission/Deutschland), ZUR 2015, S. 419.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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gers verletzen muss, um ein zusätzliches unzumutbares Hindernis für das Recht auf Zugang zu Gerichten, das nicht im Einklang mit den oben genannten Richtlinienvorschriften stehe.772 Das hier relevante Urteil des EuGH hat aber den Geltendmachungen der EU-Kommission eine Absage erteilt. Der EuGH stellt die Festlegung des Vorliegens einer Rechtsverletzung und damit auch subjektiv-öffentlicher Rechte entsprechend Art. 11 Abs. 3 UVP-RL n. F. und Art. 25 Abs. 3 IE-RL explizit den Mitgliedstaaten anheim.773 Diese Artikel sehen jeweils in ihrem 3. Absatz vor, dass die Mitgliedstaaten unter anderem bestimmen, was als Rechtsverletzung gilt.774 Da nach beiden oben ausgeführten Unionsrechtsnormen die Mitgliedstaaten den Rechtsbehelf von der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abhängig machen und nach Absatz 3 jeweils im Einklang mit dem Ziel eines weitreichenden Gerichtszugangs bestimmen dürfen, was als Rechtsverletzung gilt, dürfen sie nach dem EuGH auch vorschreiben, „dass die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung durch das zuständige Gericht die Verletzung eines subjektiven Rechts auf Seiten des Klägers voraussetzt.“ 775
Der EuGH hat eindeutig festgestellt, dass Deutschland nach den Absätzen 3 der Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL hinsichtlich einer behördlichen Entscheidung den Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung von der Geltendmachung sowie den Aufhebungsanspruch von einer Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts abhängig machen könne.776 Es muss in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass der EuGH bereits im sog. Trianel-Urteil entschieden hatte, dass es dem nationalen Gesetzgeber freisteht, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne von Art. 10a UVP-RL a. F. (jetzt Art. 11 UVP-RL n. F.) geltend machen kann, auf subjektive Rechte zu beschränken. Eine solche Beschränkung kann jedoch nicht als solche auf Umweltschutzvereinigungen angewandt werden, weil dadurch die Ziele der oben genannten EU-Vorschriften missachtet würden. Umweltverbände müssen daher Rechtsverstöße unabhängig vom Vorliegen einer subjektiven Rechtsverletzung oder durch deren Fiktion rügen können (vgl. § 2 Abs. 5 UmwRG).777 772 Ebd., Rn. 58. Danach verletze § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO die Zielsetzung und Wirksamkeit des Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL erheblich, indem sie Reichweite und Nutzen der gerichtlichen Überprüfung verringere. 773 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 30 ff. (Kommission/Deutschland), juris; vgl. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 833. 774 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 31 (Kommission/Deutschland), juris. 775 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 32 (Kommission/Deutschland), juris. 776 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 30 ff. (Kommission/Deutschland), juris; vgl. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 777 „[. . .] dem nationalen Gesetzgeber freisteht, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Hand-
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Daraus folgt, dass das nationale Recht normieren kann, dass eine Verwaltungsentscheidung vom Gericht aufgehoben werden müsse, soweit sie ein (subjektives) Recht des Klägers verletzt. § 113 Abs. 1 VwGO steht somit im Einklang mit Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL.778 Der EuGH hat schließlich mit diesem Urteil das etablierte deutsche verwaltungsprozessrechtliche System des Individualrechtsschutzes nicht „über den Haufen geworfen“.779 Ein solches Ergebnis ist nicht unbedingt zwingend, denn im Gegensatz zu § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, der sich mit der Begründetheit einer Klage befasst, betrifft Art. 11 Abs. 1 Buchst. b UVP-RL die Zulässigkeit und nicht die Begründetheit einer Klage.780 Es harmonisiert allerdings weitgehend mit dem systematischen Verständnis der deutschen Rechtsordnung insbesondere in Bezug auf den Grundsatz der sog. Parallelität zwischen den Begründetheits- und Zulässigkeitsvoraussetzungen, wonach die verwaltungsprozessualen Vorschriften über die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs grundsätzlich zugleich bestimmen, wie weit das Verwaltungsgericht dessen Begründetheit prüfen muss.781 Würden die oben genannten Argumente der Kommission und des Generalanwalts vom EuGH angenommen, müsste dann dieser zentrale Grundsatz des deutschen verwaltungsprozessualen Rechts aufgegeben werden. 2. Zum Umfang von Verfahrensfehlern im Rahmen des UmwRG Hinsichtlich der Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen ausschließlich auf die Fälle, in denen es an einer UVP oder einer Vorprüfung völlig fehlt, bestätigt der EuGH in der Rechtssache C-117/34 die entsprechenden Feststellungen des Altrip-Urteils des EuGH. Genau wie im Altrip-Urteil782 stellt der EuGH auch in der Rechtssache C-114/14 fest, dass lung oder Unterlassung im Sinne von Art. 10a der Richtlinie 85/337 (nun Art. 11 UVPRL) geltend machen kann, auf subjektive Rechte zu beschränken, eine solche Beschränkung jedoch nicht als solche auf Umweltverbände angewandt werden kann, weil dadurch die Ziele des Art. 10a Abs. 3 S. 3 der Richtlinie 85/337 missachtet wurden“. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 45 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.; mehr zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 4. Kap., A. ff.; vgl. auch A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015. 778 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 34 sowie Rn. 63 ff. (Kommission/ Deutschland), juris; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015. 779 J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 780 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 48 ff. (Kommission/Deutschland), ZUR 2015, S. 419 ff. 781 Vgl. u. a. J. Ziekow, § 47 VwGO, in: H. Sodan/ders. (Hrsg.), VwGO-Großkomm., 2014, Rn. 36. 782 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 36 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff.; in diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 37 (Bund für Um-
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Art. 11 UVP-RL n. F. in keiner Weise die Gründe beschränkt, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs im Sinne der genannten Vorschrift vorgebracht werden können.783 Vor diesem Hintergrund zieht der EuGH den Schluss, dass der Ausschluss der Anwendbarkeit der nationalen Vorschriften des § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. zur Umsetzung von Art. 11 UVP-RL in dem Fall, dass eine UVP zwar durchgeführt wurde, aber mit – unter Umständen schwerwiegenden – Fehlern behaftet war, den Bestimmungen der UVP-RL weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde. Ein solcher Ausschluss liefe daher auch dem in Art. 11 UVP-RL n. F. genannten Ziel zuwider, einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren.784 Demzufolge verstößt § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. gegen Art. 11 UVP-RL.785 Zum Vorbringen der Bundesrepublik betreffend § 46 VwVfG, wonach dann, wenn zwar eine UVP oder eine Vorprüfung durchgeführt worden, diese aber mit einem Verfahrensfehler behaftet sei, unter den in dieser Vorschrift vorgesehenen Voraussetzungen ein gerichtlicher Rechtsbehelf möglich sei, weist der EuGH in der Rechtssache C-137/14 mit stärkerem Nachdruck als im Altrip-Urteil darauf hin, dass „die Vorschriften einer Richtlinie in der Weise umgesetzt werden müssen, dass sie unzweifelhaft verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, dass sie dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen“.786
Nach Ansicht des EuGH ist dies hier aber nicht der Fall.787 Der Auffassung des EuGH nach erscheint der Übergang vom UmwRG zu den allgemeinen Regeln des VwVfG übermäßig kompliziert und abstrakt. Die hier vorgetragene Begründung des EuGH ist knapp. Es fehlt eine weitere konkrete Analyse. Dies erschwert es aber, richtige Konsequenzen für die künftige Anwendung und Funktion vor allem des § 46 VwVfG zu ziehen. 3. Zur Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern Im Anschluss daran wirft die EU-Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, dass sie grundsätzlich gem. § 46 VwVfG die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung, die in den Anwendungsbereich von Art. 11 UVP-RL n. F. welt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff. 783 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 47 (Kommission/Deutschland), juris. 784 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 48 (Kommission/Deutschland), juris. 785 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 50 (Kommission/Deutschland), juris. 786 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 51 (Kommission/Deutschland), juris unter Verweis auf: EuGH, Rs. C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, EU:C:1996:375 (Urteile Dillenkofer u. a.), Rn. 48, sowie EuGH, Rs. C-277/13, EU:C: 2014:2208, Rn. 43 (Kommission/Portugal). 787 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 51 (Kommission/Deutschland), juris.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
falle, durch das zuständige Gericht davon abhängig mache, dass zwischen dem behaupteten Verfahrensfehler und dem Ergebnis der fraglichen Verwaltungsentscheidung ein Kausalzusammenhang bestehe.788 Denn nach § 46 VwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein wegen einer Verletzung von Verfahrensvorschriften einschließlich Form und örtlicher Zuständigkeit beansprucht werden, wenn dadurch die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst wurde.789 Unter Verweis auf das bereits dargestellte Altrip-Urteil stellt der EuGH auch in der Rechtssache C-137/14 fest, dass der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit, einen Verfahrensfehler geltend zu machen, weder an die Voraussetzung knüpfen wollte, dass dieser Fehler Auswirkungen auf das Ergebnis der angegriffenen endgültigen Entscheidung hatte, noch die Gründe beschränken, auf die ein Rechtsbehelf gestützt werden kann, der auf einer innerstaatlichen Vorschrift zur Umsetzung von Art. 11 UVP-RL n. F. beruht.790 Da aber die UVP-RL, wie das Altrip-Urteil feststellte791, der Festlegung von Verfahrensgarantien dient, die insbesondere eine bessere Information und eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlicher und privater Projekte mit unter Umständen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglichen sollen, kommt der Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensregeln in diesem Bereich besondere Bedeutung zu.792 Wie W. Frenz aus diesem Anlass zutreffend anmerkt, muss hier berücksichtigt werden, dass das Verwaltungsverfahren im Prinzip seinen eigenen Charakter entfaltet. Es kann dabei eine Eigendynamik entwickeln, die bis zu einer Ablehnung einer zunächst auf positiven Ausgang prognostizierten Entscheidung führen kann. Vor diesem Hintergrund könnte es etwa von der Überzeugungskraft der betroffenen und korrekt beteiligten Öffentlichkeit abhängen, ob eine Behörde die vorgebrachten möglichen erheblichen Umweltauswirkungen für hinreichend relevant hält, um ein Vorhaben doch nicht zuzulassen. Gerade das Verfahren der UVP soll diese Auswirkungen umfassend ermitteln. Erst wenn dies in Gänze und verfahrensfehlerfrei geschieht, ist in vollem Umfang gesichert, dass die vorgebrachten erheblichen Auswirkungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Deswegen könnte jeder Verfahrensfehler potenziell entscheidungserheblich sein.793
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EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 54 (Kommission/Deutschland), juris. W. Frenz, NuR 2015, S. 834. 790 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 58 (Kommission/Deutschland), juris. 791 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 47–48 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff. 792 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 55 (Kommission/Deutschland), juris; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 47–48 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff. 793 W. Frenz, NuR 2015, S. 834. 789
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Der Ansicht des EuGH nach folgt aus alledem, dass die betroffene Öffentlichkeit im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Sinne der UVP-RL n. F. angefochten wird, grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können muss.794 In diesem Zusammenhang hat der EuGH zu Recht folgenden Schluss gezogen: „Da § 46 VwVfG vorschreibt, dass auf jeden Fall – selbst wenn es um Verfahrensfehler im Hinblick auf die Information und Beteiligung der Öffentlichkeit im fraglichen Bereich geht – ein Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensfehler und dem Ergebnis der angefochtenen Verwaltungsentscheidung bestehen muss, damit das zuständige Gericht sie aufheben kann, ist im Rahmen der vorliegenden Klage festzustellen, dass die Ausübung des Rechts auf Einlegung von Rechtsbehelfen im Sinne von Art. 11 UVP-RL n. F. durch diese Bedingung übermäßig erschwert wird und sie dem Ziel dieser Richtlinie, den ,Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit‘ einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren, zuwiderläuft.“ 795
Dies ist nicht zu beanstanden, denn diese Konzeption kann zum folgenden absurden Ergebnis führen, dass die Aufhebung einer mit einem Verfahrensfehler behafteten Verwaltungsentscheidung allein deshalb verweigert würde, weil der Rechtsbehelfsführer nicht nachgewiesen hat, dass dieser Fehler auf diese Entscheidung Auswirkungen hatte. Dieses Ergebnis würde aber offensichtlich die praktische Wirksamkeit des Art. 11 UVP-RL verhindern und wäre daher unvereinbar mit dem EU-Recht.796 Das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 bestätigt offensichtlich die schon dargestellten Feststellungen des Altrip-Urteils hinsichtlich der Umkehr der Beweislast des Rechtsbehelfsführers.797 Der EuGH hält auch in der Rechtssache C-137/14 die Aufbürdung der Beweislast an den Kläger für eine übermäßige Erschwerung der Ausübung der Klagerrechte.798 Andererseits hat es der EuGH in der Rechtssache C-137/14 – ebenso wie im Altrip-Urteil799 – für zulässig gehalten, ohne die Aufbürdung einer solchen Beweislast eine Rechtsverletzung zu verneinen, wenn die vorhandenen Beweise und Akten die Feststellung erlauben, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anderes ausgefallen wäre.800 Damit ist im Ergeb794 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 55 (Kommission/Deutschland), juris; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 47–48 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff. 795 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 56 (Kommission/Deutschland), juris; W. Frenz, NuR 2015, S. 834. 796 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 57 (Kommission/Deutschland), juris. 797 s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., III., 4. 798 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 59 (Kommission/Deutschland), juris; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 52 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff. 799 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 53 (Altrip), ZUR 2014, S. 37 ff. 800 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 60 (Kommission/Deutschland), juris.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
nis die Anforderung einer Entscheidungserheblichkeit möglich, nur darf der Rechtsbehelfsführer nicht beweisverpflichtet werden. Vielmehr muss sich ein solcher Kausalzusammenhang von Amts wegen ermitteln lassen.801 Es sieht auf den ersten Blick so aus, dass der Unionsgesetzgeber – anders als es nach dem bisher geltenden § 46 VwVfG der Fall ist – die Möglichkeit der Geltendmachung von Verfahrensfehlern nicht zwangsläufig an die Bedingung knüpfen wollte, dass diese sich auf das Ergebnis bzw. auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung ausgewirkt haben müssen. Da aber die Aufhebung der behördlichen Entscheidung und ein kompletter Neubeginn des Verfahrens bei jedem noch so geringen Verfahrensverstoß über das Ziel hinausschießen würden, ist daher nach dem EuGH der Ansatz des § 46 VwVfG unionsrechtskonform, soweit der Kläger nicht für die Kausalität des Verfahrensrechtsverstoßes beweisbelastet ist. Vielmehr muss das entscheidende Gericht gegebenenfalls anhand der vom Antragsteller bzw. von der zuständigen Behörde vorgelegten Beweise oder auch den vorliegenden Akten zur Feststellung in der Lage sein, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Kläger gerügten Verfahrensfehler in der Sache nicht anders ausgefallen wäre.802 Jeder Verfahrensfehler muss somit grundsätzlich rügefähig bleiben, es sei denn es handelt sich um kleinste, den Gesamtablauf und die Entscheidungsfindung in keinster Weise beeinträchtigende Verfahrensfehler.803 Es wäre in der Praxis nicht konsequent, wegen eines unerheblichen nicht schwerwiegenden Verfahrensfehlers das jeweils umstrittene Vorhaben aufzuheben. Würde man z. B. wegen kleinster Verfahrensfehler einen Planfeststellungsbeschluss aufheben (und damit das relevante Bauprojekt verhindern oder sein Verfahren ganz neu beginnen lassen), würde dies dem Wirtschaftsgrundrechtsträger oder zumindest, falls die öffentliche Hand selbst der Projektträger ist, der Verlässlichkeit und Sicherheit einmal getroffener Verwaltungsentscheidungen wesentlich schaden, dem Drittkläger aber wenig nützen. Vor diesem Hintergrund darf § 46 VwVfG bei Klagen im Hinblick auf UVPpflichtige Vorhaben nicht mehr angewandt werden, es sei denn die tatsächliche Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts wird nach § 46 VwVfG in Verbindung mit § 113 VwGO verlangt.804 Dies ist allerdings die bereits diskutierte Konsequenz dessen, dass die Mitgliedsstaaten selbst bestimmen dürfen, ob ein subjektives Recht des Klägers verletzt sein muss.805. Zwar billigt der EuGH auch in der Rechtssache C-137/14 das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwi801
W. Frenz, NuR 2015, S. 834. A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.201. 803 Vgl. W. Frenz, NuR 2015, S. 834; F. Ekardt, NVwZ 2014, S. 395. 804 W. Frenz, NuR 2015, S. 834. 805 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 64 ff. (Kommission/Deutschland), NuR 2015, S. 765; s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., IV., I. 802
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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schen dem geltend gemachten Verfahrensfehler und dem Ergebnis der angefochtenen Verwaltungsentscheidung als Voraussetzung für die Aufhebung der Verwaltungsentscheidung, er relativiert aber den Grad und den Umfang dieses Zusammenhangs außerhalb des Anwendungsbereichs des § 46 VwVfG. Im Hinblick darauf stellt der EuGH explizit klar, „dass gemäß § 113 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 46 VwVfG, sofern eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit einem Verfahrensfehler behaftet ist, die am Ende eines solchen Verfahrens erlassene Entscheidung vom nationalen Gericht nur dann aufgehoben werden kann, wenn dieser Verfahrensfehler ein subjektives Recht des Klägers verletzt.“806
Als subjektiv-öffentliches Recht sollten jedenfalls jene von § 4 Abs. 1 UmwRG bestimmten Verfahrensfehler als absolute Verfahrensfehler und somit auch als subjektive Rechtspositionen vermittelnde Bestimmungen verstanden werden.807 Schließlich muss beachtet werden, dass diese europarechtlichen Einschränkungen des § 46 VwVfG nicht für Umweltverbandsklagen gelten, die gerade nicht an das Erfordernis der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts geknüpft werden dürfen, sondern nur für Individualklagen.808 Auch das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 zwingt somit den deutschen Gesetzgeber, § 4 UmwRG dahingehend zu ändern, dass diese Vorschrift unionsrechtskonform wird.
V. Die Novelle des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 Es sieht so aus, dass der deutsche Gesetzgeber den relevanten Feststellungen sowohl des oben analysierten Altrip-Urteils des EuGH als auch des bereits dargestellten EuGH-Urteils in der Rechtssache C-137/14 Rechnung getragen hat. Im Hinblick darauf hat der deutsche Gesetzgeber das „Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des EuGH vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12“ verabschiedet.809 Wie schon der Titel dieses Gesetzes verrät, dient es der Umsetzung des schon analysierten Altrip-Urteils des EuGH zu Art. 10a der UVP-RL (jetzt Art. 11 UVP-RL n. F.). Insbesondere § 4 UmwRG durch die neuen Absätze 1 bis 1b dient der gesetzlichen Klarstellung mit Blick auf die Aussagen insbesondere des Altrip-Urteils des EuGH und soll zugleich durch die neue Gliederung des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 die Rechtsanwendung erleichtern und erweitern.810 Die Anpassungen des UmwRG im Wege einer 1:1-Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben bezwecken 806 807 808 809 810
EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 64 (Kommission/Deutschland), juris. J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. W. Frenz, NuR 2015, S. 834. Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2069; Geltung ab 26.11.2015. BT-Drs. 18/5927, S. 9.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
freilich, auch eine Zwangsgeldfolge wegen Nichtumsetzung des Altrip-Urteils zu vermeiden.811 1. Anfechtung von absoluten Verfahrensfehlern gem. § 4 Abs. 1 UmwRG vom 20.11.2015 In der Regelung des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 wird deutlicher zwischen absoluten (§ 4 Abs. 1) und relativen (§ 4 Abs. 1a UmwRG) Verfahrensfehlern unterschieden. § 4 Abs. 1 UmwRG ist in enger Anlehnung an die Formulierungen des Altrip-Urteils812 gefasst. Anders als in der älteren Fassung des § 4 UmwRG gelten in der Fassung des UmwRG vom 20.1.2015 die Vorschriften des § 4 Abs. 1 UmwRG über die Behandlung absoluter Verfahrensfehler nicht nur für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben, für die eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann (nämlich gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG), sondern auch für Rechtsbehelfe gegen Zulassungsentscheidungen für Industrieanlagen nach der IE-RL (nämlich gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG). Damit erhalten anerkannte Umweltschutzvereinigungen die Möglichkeit, u. a. gegen die Erteilung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen und wasserrechtlicher Erlaubnisse betreffend Anlagen i. S. d. IE-RL, die nicht UVP-pflichtig sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien vorzugehen. Der Grund für die Gleichbehandlung beider Fallgruppen liegt darin, dass Art. 25 IE-RL und Art. 11 UVP-RL übereinstimmende Regelungen für die gerichtliche Überprüfung von Zulassungsentscheidungen enthalten.813 § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG vom 20.11.2015 entspricht grundsätzlich dem Inhalt der schon analysierten älteren Fassung des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013.814 Daher wäre eine weitere Analyse dieser Vorschrift überflüssig, soweit ihre Bestimmungen mit denen des § 4 Abs. 1 UmwRG zusammenfallen. Von Bedeutung ist aber, dass das geänderte UmwRG nunmehr die Tatbestände aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 UmwRG vom 20.11.2015 als neue absolute Verfahrensfehler vorsieht. Es sieht so aus, dass die Bundesregierung aus dem AltripUrteil das Erfordernis herausgelesen hat, auch andere Fälle als die unterbliebene erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung und -Vorprüfung sowie die fehlerhaft durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit, die nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 UVPG genügt (gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 1 S. 2 UmwRG vom 21.01.2013), als absolute Verfahrensfehler auszugestalten. In diesem Zusammenhang normiert § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG 811 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und ReaktorsicherheitEntwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Stand: 26.06.2015), S. 1. 812 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 53 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff. 813 BT-Drs. 18/5927, S. 9. 814 s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., II.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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als weiteren ausdrücklichen absoluten Verfahrensfehler die Unterlassung oder nicht erfolgte Nachholung einer im Sinne von § 9 UVPG815 oder § 10 BImSchG erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung (einschließlich der vorherigen ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Öffentlichkeitsbeteiligung).816 Andererseits enthält der neugefasste § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG einen Auffangtatbestand für unbenannte Fälle, die qualitativ mit denen aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG vergleichbar sein sind.817 Noch konkreter sollen durch § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG sonstige, in den § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG nicht geregelte absolute Verfahrensfehler als unbenannte Verfahrensfehler erfasst werden. Ein solcher unbenannter Verfahrensfehler setzt gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr.3 UmwRG voraus, dass er erstens nicht geheilt worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. a UmwRG), zweitens nach seiner Art und Schwere mit den in den § 4 Abs. 1 S. 1 Nrn 1 und 2 UmwRG bereits genannten Fällen vergleichbar ist (§ 4 Abs.1 S.1 Nr. 3 Buchst. b UmwRG), und drittens der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen wurde (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. c UmwRG).818 Verfahrensfehler i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. b UmwRG müssen demnach so schwerwiegend sein, dass sie einer überhaupt nicht durchgeführten erforderlichen UVP, UV-Vorprüfung oder Öffentlichkeitsbeteiligung gleichstehen. Da aber eine vollständig unterbliebene erforderliche UVP, UV-Vorprüfung oder Öffentlichkeitsbeteiligung verfahrensrechtlich den „schlimmsten Fall“ bilden, legt diese Novelle eine restriktive Auslegung des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG nahe.819 Nicht erfüllt sind daher die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. b UmwRG etwa dann, wenn lediglich einzelne Unterlagen oder Angaben fehlen oder inhaltlich fehlerhaft sind. Denn hier fehlt es an der Vergleichbarkeit mit den Verfahrensverstößen nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG. Dies scheint aber nicht problematisch zu sein, denn bei fehlender Vergleichbarkeit 815 Zu beachten ist, dass das OVG Lüneburg festgestellt hat, dass aus der Pflicht zur Prüfung der Umweltverträglichkeit eines Vorhabens bei einer fehlerhaften Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c UVPG zugleich folgt, dass vor der Zulassung dieses Vorhabens die Öffentlichkeit nach § 9 Abs. 1 UVPG zu beteiligen ist und damit ein Beteiligungsrecht einer anerkannten Umweltschutzvereinigung besteht, dessen Verletzung eine Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigung nach § 42 Abs. 2 1. Hs. VwGO i.V. m. § 2 Abs. 1 UmwRG begründen kann. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.08.2013 – 4 ME 76/13, NuR 2013, S. 747. 816 BT-Drs. 18/5927, S. 10. 817 Vgl. J. Schulte, jurOP, 23.07.2015. 818 Mit dieser Formulierung wird dem Aspekt „Zugang zu Informationen“ als Ziel der UVP-RL neben der „Beteiligung am Entscheidungsprozess“, den das Altrip-Urteil des EuGH angesprochen hat [Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 54 (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff.] in sprachlich modifizierter Form Rechnung getragen, um so Missverständnisse in Bezug auf Rechtsbehelfe nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) zu vermeiden. s BT-Drs. 18/5927, S. 10. 819 Ebd.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
kann der in Rede stehende Verfahrensfehler immer noch nach allgemeinen Regeln zu einem Aufhebungsanspruch führen (vgl. § 46 VwVfG i.V. m. § 4 Abs. 1a UmwRG).820 Was die dritte oben genannte Voraussetzung (gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. c UmwRG) angeht, bedeutet diese, dass neben dem bereits dargestellten, explizit ausgedrückten absoluten beteiligungsbezogenen Verfahrensfehler des § 4 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG (d. h. eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung i. S. v. § 9 UVPG oder i. S. v. § 10 BImSchG, soweit sie weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist) auch weitere nicht ausdrücklich normierte Verletzungen von Beteiligungsrechten etwa gem. § 7 S. 1 UVPG (Beteiligung anderer Behörden), gem. § 8 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 2 und 3 UVPG (Grenzüberschreitende Behördenbeteiligung), gem. § 9 UVPG, gem. § 9a Abs. 1 UVPG (grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung) als Verfahrensfehler i. S. v. § 4 Abs. 1 S. 2 Buchst. c UmwRG angesehen werden können. Darüber hinaus bestimmt zusätzlich Halbsatz 2 des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. c UmwRG, dass zur Beteiligung am Entscheidungsprozess auch der Zugang zu den Unterlagen gehört, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind (vgl. § 9 Abs. 1b Satz 1 UVPG). Ein Verstoß hiergegen liegt beispielsweise vor, wenn in einem Zulassungsverfahren für ein UVP-pflichtiges Vorhaben keine Unterlagen nach § 9 Abs. 1b S. 1 UVPG ausgelegt worden sind, so dass es der Öffentlichkeit unmöglich ist, sich gemäß den gesetzlichen Gewährleistungen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens zu informieren. Auch eine mangelhafte Vorlage der entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen des jeweils umstrittenen Vorhabens (gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. Abs. 2 bis 4 UVPG) könnte m. E. unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen. Ferner regelt der neugefasste § 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG explizit, dass eine fehlerhaft durchgeführte UV-Vorprüfung, die nicht den Maßstäben des § 3a S. 4 UVPG entspricht, einer nicht durchgeführten UV-Vorprüfung gleichsteht. In diesen Fällen kann daher ebenfalls die Aufhebung der Zulassungsentscheidung verlangt werden. Gleichzeitig wird durch den Verweis auf § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b UmwRG die Möglichkeit zur Nachholung einer ordnungsgemäßen Vorprüfung eröffnet.821 Die Regelung des 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG übernimmt grundsätzlich unter lediglich redaktioneller Änderung des Wortlauts die bereits analysierte ältere Fassung des § 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG vom 21.01.2013 inhaltsgleich822, so dass hier eine weitere Analyse dieser Vorschrift unterbleiben kann. Es muss generell betont werden, dass § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG keinen eigenständigen Anwendungsbereich aufweist. Denn im Ergebnis können alle 820 821 822
BT-Drs. 18/5927, S. 10. BT-Drs. 18/5927, S. 10. s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., II.
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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Verfahrensfehler, die nicht schon in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG ausdrücklich geregelt sind, jedenfalls von § 4 Abs. 1a UmwRG erfasst werden.823 Liegt ein absoluter Verfahrensfehler i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG vor, ist daher ein Rückgriff auf § 4 Abs. 1a UmwRG nicht möglich. 2. Anfechtung von relativen Verfahrensfehlern gem. § 4 Abs. 1a UmwRG vom 20.11.2015 Durch eine klar formulierte Verweisung des § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG vom 20.11.2015 auf § 46 VwVfG wird normiert, dass die Unbeachtlichkeitsregelung aus § 46 VwVfG nur bei relativen Fehlern i. S. v. § 4 Abs. 1a UmwRG und nicht bei absoluten Fehlern i. S. v. § 4 Abs. 1 UmwRG anwendbar ist824 Nach dieser Rechtslage muss das Gericht im Einzelfall entscheiden, ob Verfahrensfehler (etwa die fehlerhafte Bewertung der Umweltauswirkungen eines umstrittenen Vorhabens gem. § 12 UVPG) in diesem Bereich so schwerwiegend i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG sind, dass eine Anwendung des § 46 VwVfG nicht mehr gerechtfertigt ist.825 Wie bereits gezeigt wurde, kann nach § 46 VwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen der Verletzung einer Verfahrensvorschrift nicht beansprucht werden, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung der Verfahrensvorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.826 Falls es deutliche Anhaltspunkte gibt, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache beeinflussen kann, muss dann die Aufhebung der fehlerhaften Entscheidung beansprucht werden. Es darf aber jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass gerade für komplexe Abwägungen, wie bei der Planfeststellung, charakteristische behördliche Spielräume bzw. gewisse Grenzen hinsichtlich des Umfangs und der Konsequenzen eines Verfahrensfehlers erforderlich sind. Zur Aufklärung dieser Frage hat (gem. der Beweislastregel des § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG) das jeweils zuständige Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 VwGO) alle verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung nach § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG vermutet (Kausalitätsvermutung).827 Dies ist sinnvoll, denn insbesondere im Fall einer fehlerhaft – aber ohne absolute Verfahrensfehler – durchgeführten UVP wäre es besonders schwer für den 823 824 825 826 827
Vgl. J. Schulte, jurOP, 23.07.2015; s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., V., 2. Ebd. Ebd. Vgl. M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 246, m.w. N. BT-Drs. 18/5927, S. 10.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Rechtsbehelfsführer nachzuweisen, welchen Ausgang das Genehmigungsverfahren bei fehlerloser Durchführung einer UVP genommen hätte. Dieses Ergebnis besagt, dass damit die Kausalitätsrechtsprechung – auch im Einklang mit dem Altrip-Urteil – nicht komplett abgeschafft wird. Vielmehr handelt es sich um eine Art Modifizierung bzw. Anpassung der Kausalitätsrechtsprechung an die unionalen Gebote.828 Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass § 46 VwVfG in Übereinstimmung mit den oben dargestellten Grundsätzen, die der EuGH sowohl im Altrip-Urteil als auch in der Rechtssache C-137/14 zur Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern sowie zur Umkehr der Beweislast zugunsten des Rechtsbehelfsführers aufgestellt hat, angewandt wird.829 Daher scheint es, dass diese Vorschrift nunmehr unionsrechtskonform ausgestaltet ist. Insbesondere die durch § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG vom 20.11.2015 erfolgte Umkehr der Beweislast des Rechtsbehelfsführers führt einerseits zu verlängerten Verfahrenszeiten. Andererseits aber dürfte dies die zu begrüßende Folge haben, dass die Dokumentationen der behördlichen UVP und UV-Vorprüfungen nachvollziehbarer und dichter gestaltet werden.830 Durch die Neufassung des Art. 4 Abs. 1 aber auch des Abs. 1a UmwRG hat der deutsche Gesetzgeber einen relativ offenen und flexiblen Wortlaut ausgewählt. Dieser Wortlaut trägt dazu bei, dass mögliche künftige Entwicklungen im Bereich der Verfahrensfehler unionsrechtskonform verarbeitet werden könnten.831 Eine offene und flexible Formulierung ist daher begrüßenswert, denn eine abschließende Liste von schwerwiegenden Verfahrensfehlern würde immer die Gefahr der Unzulänglichkeit und mithin möglicherweise einer erneuten Unionsrechtswidrigkeit bergen.832 Zusammengefasst ist die Erweiterung der Einklagbarkeit von umweltbezogenenen Verfahrensfehlern im Rahmen des § 4 Abs. 1 und Abs. 1a UmwRG rechtspolitisch positiv zu bewerten, denn dadurch wird die Genehmigungsbehörde zur sorgsamen Durchführung der einzelnen erforderlichen Verfahrensschritte angehalten. Auf der anderen Seite kann diese Entwicklung aus rein wirtschaftlicher Sicht unbefriedigend sein, denn sie könnte zu wesentlichen Verfahrensverzögerungen oder gar zum Scheitern von teuren Vorhaben führen, ohne dass die Einhaltung des Verfahrensrechts zwingend einen Umweltnutzen mit sich brächte.833 828
Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 15. Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 52 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 39 ff.; so auch EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 59 ff. (Kommission/ Deutschland), juris. 830 In diese Richtung J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 831 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14. 832 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14. 833 J. Schulte, jurOP, 23.07.2015. 829
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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3. § 4 Abs. 1b UmwRG vom 20.11.2015: Vorschriften zur Heilung von Verfahrensfehlern bleiben unberührt Die Regelung des neuen Absatzes 1b des § 4 UmwRG bestimmt jetzt mit einer klareren und ausführlicheren Formulierung als vorher, dass Vorschriften zur Heilung von Verfahrensfehlern auch im Anwendungsbereich des § 4 UmwRG anzuwenden sind. Im Prinzip entspricht diese Norm dem bereits dargestellten § 4 Abs. 1 S. 3 UmwRG vom 21.01.2013. Der neuangepassten Norm nach sollen spezialgesetzliche Regelungen zur Planerhaltung, wie beispielsweise in den § 75 Abs. 1a S. 2 VwVfG, § 17e Abs. 6 S. 2 FStrG, § 18 S. 3 AEG i.V. m. § 75 Abs. 1a S. 2 VwVfG, § 43e Abs. 4 S. 2 EnWG und § 15 Abs. 3 S. 2 NABEG unberührt bleiben.834 Zur Gewährung der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von rechtlichen Missverständnissen bleibt auch die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers unberührt. Im Hinblick darauf bestimmt § 4 Abs. 1b S. 2 UmwRG ausdrücklich: „Auf Antrag kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der Absätze 1 und 1a ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.“
4. § 4 Abs. 2 UmwRG vom 20.11.2015: Nichtanwendung des § 4 Abs. 1 bis Abs. 1b UmwRG bei UVP-pflichtigen Bebauungsplänen Die redaktionelle Änderung in § 4 Abs. 2 UmwRG vom 20.11.2015 (in Vergleich zu § 4 Abs. 2 UmwRG vom 21.01.2013) ist eine Folgeänderung der Neugliederung in § 4 Abs. 1 bis Abs. 1b UmwRG. Denn ursprünglich fanden und finden für Verfahrensfehler bei der Aufstellung UVP-pflichtiger Bebauungspläne abweichend von den nunmehr geltenden Absätzen 1 bis 1b des § 4 UmwRG immer noch die speziellen Regelungen des Baugesetzbuchs und die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften Anwendung.835 Noch konkreter betrifft § 4 Abs. 2 UmwRG die gerichtliche Überprüfung satzungsmäßiger Beschlüsse nach § 10 BauGB über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten UVP-pflichtigen Vorhaben begründet werden soll, sowie die gerichtliche Überprüfung planfeststellungsersetzender Bebauungspläne für derartige Vorhaben (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG).836 Danach gelten abweichend von § 4 Abs. 1 bis Abs. 1b UmwRG § 214 (der die Beachtlichkeit der Verletzung von Vorschriften über die Aufstellung des Flächennutzungsplans und der Satzungen sowie das ergänzende
834
BT-Drs. 18/5927, S. 10. BT-Drs. 18/5927, S. 10. 836 F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 39 ff. 835
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Verfahren bestimmt) und § 215 BauGB (der die Frist für die Geltendmachung der Verletzung von relevanten Vorschriften regelt) sowie die diesbezüglichen Überleitungsvorgaben der §§ 233 und 244 BauGB und die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften, wenn ein Anwendungsfall des UVP-pflichtigen Bebauungsplans (gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG) vorliegt. Mit dem klarstellenden Verweis auf die „einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften“ sind die für die Aufstellung von Bebauungsplänen relevanten kommunalrechtlichen Heilungsvorschriften angesprochen (z. B. § 4 Abs. 4 GemO BW), die gleichermaßen bei einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO wie im Rahmen einer inzidenten Überprüfung eines Bebauungsplans zur Anwendung kommen.837 Wie bereits die Begründung des UmwRG vom 21.01.2013 feststellt, ist § 4 Abs. 2 UmwRG eine Spezialvorschrift für Beschlüsse i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG, die offensichtlich auf die Fehlerlehre in den oben genannten baurechtlichen Vorschriften Bezug nimmt.838 Rechtliche Folge der Unanwendbarkeit des § 4 Abs. 1 bis 1b UmwRG in den oben genannten Fällen ist vor allem, dass die dort für die Fälle einer fehlenden oder fehlerhaften UVP und einer fehlenden oder fehlerhaften Vorprüfung bestimmte Erweiterung des Rechtsschutzes bei Bebauungsplänen nicht greift.839 Es muss aber beachtet werden, dass auch nach den §§ 214 und 215 BauGB sowie nach den diesbezüglichen Überleitungsvorschriften ein relevanter und von der Umweltschutzvereinigung zu rügender Verfahrensmangel vorliegen kann, der zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen kann.840 Insofern kann eine Umweltschutzvereinigung bei einem Bebauungsplan ebenfalls beachtliche Verfahrensfehler beanstanden. So ist beispielsweise nach § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB bereits die wesentliche Unvollständigkeit eines Umweltberichts ein beachtlicher Fehler. Die UVP wird bei Bebauungsplänen i. S. d. § 4 Abs. 2 UmwRG als Umweltprüfung nach dem BauGB durchgeführt. Eine fehlende UVP ist hier auch und erst recht als erheblicher Mangel anzusehen. Gerade weil es im BauGB bereits seit Jahren eine detaillierte Regelung über Verfahrensdefizite und deren Bedeutung für die Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans gibt, liegt es schließlich auch beim Erlass der Neufassung des UmwRG nahe, in 837 Mehr dazu W. Schrödter, LKV 2008, S. 396; J. Spinner, NuR 2011, S. 335 ff.; A. Lukas, Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 165, März/April 2011, S. 16 ff.; ders., Recht der Natur, Schnellbrief Nr. 166, Mai/Juni 2011, S. 26 ff. 838 BT-Drs. 16/2495, S. 14. 839 F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 41. 840 Vgl. T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 15, G. Halama, in: J. Berkemann/ders., Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, Rn. 87; F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 41; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 56, W. Schrödter, LKV 2008, S. 396; J. Spinner, NuR 2011, S. 340; a. A. M. Kment, § 4 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 19.
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derartigen Fällen nicht § 4 Abs. 1 bis 1b UmwRG, sondern die detaillierteren relevanten Vorschriften von §§ 214 ff. BauGB für maßgeblich zu erklären.841 5. § 4 Abs. 3 UmwRG vom 20.11.2015: Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO (§ 4 Abs. 3 UmwRG) Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass gem. § 4 Abs. 3 UmwRG die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 bis 2 UmwRG „auch“ für Rechtsbehelfe sonstiger Beteiligter i. S. des § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO gelten.842 Damit ist es Beteiligten im Sinne der VwGO (d. h. natürliche und juristische Personen, wozu freilich auch Gemeinden und Kreise gehören, sowie Vereinigungen, soweit ihnen ein Beteiligungsrecht am Verfahren zusteht) auch möglich, die Verletzung von Verfahrensfehlern (allerdings nur im Rahmen des § 4 Abs. 1 und 2 UmwRG) gerichtlich geltend zu machen.843 Die Änderung des § 4 Abs. 3 UmwRG a. F. durch § 4 Abs. 3 S. 1 der Novelle des UmwRG vom 20.11.2015 ist eine Folgeänderung der Neugliederung in § 4 Abs. 1 bis Abs. 1b UmwRG. Denn bereits nach der früheren Fassung des § 4 UmwRG galten die Absätze 1 bis 2 UmwRG vom 21.01.2013 auch für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nummer 1 und 2 VwGO. Der angefügte neue Satz 2 des § 4 Abs. 3 UmwRG vom 20.11.2015 bestimmt allerdings ergänzend, dass Beteiligte nach § 61 Nummer 1 und 2 VwGO die Aufhebung einer Entscheidung nur dann verlangen können, wenn ihnen selbst die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen worden ist. Nicht ausreichend ist es insoweit, wenn lediglich einem anderen Mitglied der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen wurde. Ein Aufhebungsanspruch besteht also zum Beispiel dann nicht, wenn eine Auslegung der Unterlagen zwar in einigen von dem Vorhaben betroffenen Gemeinden unterblieben, am Wohnort des Beteiligten aber erfolgt ist.844 Es muss aber beachtet werden, dass diese Vorschrift nicht für Rechtsbehelfe anerkannter Vereinigungen nach § 2 UmwRG gilt.845 Denn die auf die Umweltverbandsklage bezogene Judikatur gründet sich gerade darauf, dass für Umweltschutzvereinigungen keine subjektiv-öffentlichen Rechte verlangt werden dürfen.846 841
T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 56. Vgl. M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff., m.w. N.; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1527 ff.; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121; M. Kment, NVwZ 2007, S. 274 ff. 843 Vgl. M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 240 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279; jeweils m.w. N. 844 BT-Drs. 18/5927, S. 11. 845 Ebd. 846 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 45 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung 842
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Insofern können gem. § 4 Abs. 1 bis 1b UmwRG die in dieser Vorschrift aufgezählten Verfahrensfehler ohne Rücksicht auf deren subjektiv-rechtlichen Gehalt von anerkannten Umweltschutzvereinigungen gerügt werden.847 In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass § 4 Abs. 3 UmwRG keine eigenständige Rechtsbehelfsbefugnis begründet. Denn schon nach der Gesetzesbegründung der fast gleichlautenden alten Fassung des § 4 Abs. 3 UmwRG vom 21.01.2013 ist für Beteiligte i. S. v. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO erforderlich, dass sie i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO eine Verletzung in eigenen Rechten rügen.848 Diese Gesetzesbegründung schließt sich damit der herrschenden Rechtsprechung849 sowie einem Teil der Literatur850 an, wonach die Nichtdurchführung etwa einer UVP von sonstigen Beteiligten i. S. v. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO geltend gemacht werden kann, wenn zugleich andere subjektive Rechtsverletzungen gerügt werden.851 Es soll beachtet werden, dass ein Einzelner sich nicht auf den Anspruch auf Aufhebung der Entscheidung nach § 4 Abs. 1 UmwRG berufen könne, allein um die Verletzung von Verfahrensvorschriften zu rügen. Vielmehr betrifft § 4 Abs. 3 UmwRG auch die Sachprüfung im Rahmen eines zulässigen Rechtsbehelfsverfahrens.852 Deshalb hat gem. § 4 Abs. 3 UmwRG ein Privatkläger i. S. d. § 61 Nr. 1 und 2 VwGO allenfalls dann die Möglichkeit, einen Verfahrensfehler i. S. v. § 4 Abs. 1 und 2 UmwRG zu rügen, wenn er gleichzeitig in anderen eigenen Rechten betroffen ist (z. B. Eigentum, Gesundheit u. a.).853 Eine Individualklage Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 33 (Kommission/Deutschland), juris; W. Frenz, NuR 2015, S. 833. 847 Vgl. J. Ziekow, NuR 2014, S. 231. 848 BT-Drs. 16/2495, S. 8; BVerwG, Beschl. v. 27.06.2013, 4 B 37.12, BeckRS 2013, 53008. Ein (privater) Individualkläger kann nach § 4 Abs. 3 und Abs. 1 S. 1 UmwRG die Aufhebung einer Genehmigung beanspruchen, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder UV-Vorprüfung nicht durchgeführt worden ist und wenn die Genehmigung der Anlage geeignet ist, eigene Rechte des Klägers zu verletzen, dieser also klagebefugt i. S.d. § 42 Abs. 2 VwGO ist. Vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.10.2014 – 1 MB 5/13, Ls. 1, Rn. 2.1., BeckRS 2015, 41994; J. Ziekow, NuR 2014, S. 233. 849 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9/97, NVwZ 1998, S. 961 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.12.2013 – 4 A 1.13, Rn. 41, NVwZ 2014, S. 669 ff.; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 08.0.2013 – 1 LB 5/12, Rn. 65, NordÖR 2013, S. 437 ff.; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 159 ff. 850 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 15; M. Appel, NVwZ 2010, S. 476 ff.; m.w. N. 851 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 24.09.2008 – 6 C 1600/07.T., ZUR 2009, S. 87 ff. 852 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, Rn. 19, NVwZ 2012, S. 575 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05.2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 563; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 60; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 19; M. Appel, NVwZ 2010, S. 477 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2 ff.; jeweils m.w. N. 853 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, Rn. 19, NVwZ 2012, S. 575 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05.2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 563; OVG Lüneburg, Urt. v.
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eines Klägers i. S. v. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO, die sich allein auf die Verletzung von Verfahrensrecht stützt, wäre daher gem. § 42 Abs. 2 VwGO nach herkömmlichem Verständnis unzulässig.854 Denn eine Verfahrensverletzung, die nicht zugleich ein materielles subjektives Recht verletzt, könnte keinen Aufhebungsanspruch nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO vermitteln.855 Im Anschluss daran lässt sich somit anführen, dass § 46 VwVfG im Prinzip kein subjektiv-öffentliches Recht verlangt, sondern dieses als Vorfrage bereits voraussetzt.856 Daher steht diese Vorschrift einer subjektiv-rechtlichen Anreicherung der von § 4 Abs. 1 UmwRG erfassten UVP-Fehler nicht entgegen. § 4 Abs. 3 UmwRG enthält im Ergebnis eine Sonderregelung für Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die das Fehlerfolgenregime nach § 4 Abs. 1 bis 2 UmwRG ebenfalls bei derartigen Individualklagen für anwendbar erklärt.857 § 4 Abs. 3 UmwRG ist deswegen von Bedeutung, weil er die in § 4 Abs. 1 bis 2 UmwRG getroffenen Regelungen auch bei Rechtsbehelfen von Beteiligten i. S. d. § 61 Nr. 1 und 2 VwGO ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt. Die Regelung des § 4 Abs. 3 UmwRG erweitert nicht die Rechtsbehelfsbefugnis von natürlichen und juristischen Personen i. S. d. § 61 Nr. 1 und 2 VwGO. Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen Vorgaben des deutschen Individualrechtsschutzsystems. Diese Vorschrift gewährt aber diesen Personen vor allem den in § 4 Abs. 1 bis 2 UmwRG normierten Anspruch auf Aufhebung der behördlichen Entscheidung. Dieser Anspruch hängt mithin nicht mehr davon ab, ob die konkrete Möglichkeit besteht, dass sich etwa das Unterbleiben der UVP oder die Vorprüfung von Vorhaben auf die behördliche Entscheidung gem. § 46 VwVfG ausgewirkt hat.858 § 4 Abs. 3 UmwRG soll hieran nichts ändern, weil diese Bestimmung als lex specialis gegenüber § 46 VwVfG als Fehlerfolgenregelung ausgelegt wird, die 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 60; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 19; M. Appel, NVwZ 2010, S. 477 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2 ff.; jeweils m.w. N. 854 BVerwG, Urt. v. 17.12.1986 – 7 C 29/85, NJW 1987, S. 1154 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 – 7 C 55 und 56/89, NVwZ 1991, S. 369; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05. 2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 562 ff.; OVG Münster, Urt. v. 03.01.2006 – 20 D 118/03.AK; 20 D 35/04.AK; 20 D 118/04.AK; 20 D 120/04.AK; 20 D 159/04.AK, ZUR 2006, S. 375 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2, m.w. N. 855 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05.2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 563; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2, m.w. N. 856 Vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 25.04.2006 – 3 S 547/06, NVwZ-RR 2007, S. 83; M. Sachs, § 46 VwVfG, in: P. Stelkens/H.-J. Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfGKomm., 2008, Rn. 28 ff. 857 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – 6 C 1005/08.T, Rn. 18, ZUR 2010, S. 49 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 60. Vgl. Anm. dazu T. Elgeti/L. Dietrich, NuR 2009, S. 463; G.-A. Balensiefen, § 4 URG, in: Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht, 2008, Rn. 4 ff. 858 T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 58 ff.
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zunächst eine Klagebefugnis voraussetzt.859 Sie soll aber keine Klagebefugnis ersetzen.860 Demzufolge finden § 46 VwVfG und die daraus abgeleiteten Anforderungen der Kausalitätsrechtsprechung keine Anwendung im Rahmen des UmwRG.861 Das umgekehrte Ergebnis würde in der Praxis rechtssystematische Bedenken erzeugen. Denn es könnte vor allem zu der Rechtskonsequenz führen, dass § 4 Abs. 3 UmwRG die Möglichkeit einer Popularklage oder zumindest einer vom Gesetzgeber nicht gewollten UVP-Interessentenklage eröffnet.862 Schluss859 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 14; OVG Magdeburg, Urt. v. 17.09.2008 – 2 M 146/08, NVwZ 2009, S. 342; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 60; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.11.2009 11 S 49/09 –, BeckRS 2009, 41964, S. 5; VG Neustadt, 13.12.2007 – 4 K 1219/06.NW, NuR 2008, S. 279; G. Halama, in: J. Berkemann/ders., Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 770, Rn. 335; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330; J. Schumacher, UPR 2008, S. 19; A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 11; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 58; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1535; C. Franzius, EurUP 2014, S. 289. 860 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, NVwZ 2012, S. 575 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 29.10.2008 – 1 A 11330/07.OVG, DVBl 2009, S. 390 ff. OVG Koblenz, Urt. v. 29.10.2008 – 1 A 11330/07.OVG, DVBl 2009, S. 390 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05. 2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 562 ff.; dagegen: OVG Koblenz, Urt. v. 25.01.2005 – 7 B 12114/04, NVwZ 2005, S. 1208 ff. In dieser sorgfältig begründeten Eilentscheidung stellte das OVG Koblenz die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Genehmigung eines Windparks wieder her und berief sich hierbei auf den drittschützenden Charakter der Öffentlichkeitsbeteiligung nach UVPG. Die Genehmigungsbehörde hatte rechtswidrig Genehmigungen im vereinfachten Verfahren (gem. § 19 BImSchG) erteilt und dadurch die im förmlichen Genehmigungsverfahren (§ 10 BImSchG) vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung umgangen. Das OVG ging davon aus, dass die UVP-RL selbstständige Verfahrenspositionen für die betroffene Öffentlichkeit geschaffen habe, die – auch mit Blick auf den Gesundheitsschutz – selbstständig durchsetzbar seien. Diese weitsichtige Entscheidung hat später keinen Anschluss gefunden. Die Entscheidung zeigt aber, dass angemessener Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler auf der Grundlage des geltenden Rechts praktikabel und möglich ist. Zustimmend: K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 81 ff.; jeweils m.w. N. Beachtenswert ist, dass das BVerwG den drittschützenden Charakter der UVP-Bestimmungen in einer Entscheidung ausdrücklich offengelassen hat: BVerwG, Urt. v. 20.08.2008 – 4 C 11/07, NVwZ 2008, S. 1349 ff. 861 Vgl. M. Appel, NVwZ 2010, S. 473 ff.; L. Radespiel, EurUP 2007, S. 121; J. Kerkmann, BauR 2007, S. 1527 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 82. 862 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, Rn. 19, NVwZ 2012, S. 575 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05.2012 – 12 KS 5/10, ZUR 2012, S. 563; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.10.2008 – 7 ME 170/07, NuR 2009, S. 60; T. Bunge, § 4 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 20; M. Kment, NVwZ 2007, S. 276, S. 279; J. Ziekow, NVwZ 2007, S. 261; I. Schwertner, EurUP 2007, S. 128; J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 340 ff.; K.-P. Dolde, NVwZ 2006, S. 861; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJur 2008, S. 330 ff.; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 279; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 327; a. A. OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009, 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 347 ff., S. 418 ff.; VG Ansbach, Urt. v. 07.10.2009 – AN 11 K 09.01439, Rn. 144 (juris); VG Karlsruhe, Urt. v. 12.08.2009 – 4 K 1648/09, BeckRS 2009, 37835, S. 6; gegen ein solches Verständnis VG Karlsruhe, Urt. v. 12.08.2009 – 4 K 1648/09, BeckRS 2009, 37835, S. 6; VG Regensburg, Beschl. v. 24.07.2007 – RO 7 S 07.444, Rn. 53 (juris); offengelassen von OVG Koblenz, DVBl
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endlich schafft aus alledem die Vorschrift des § 4 Abs. 3 UmwRG nur eine knappe Erleichterung für den Individualkläger.863 Es scheint allerdings, dass laut dem EuGH diese restriktive Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3 UmwRG unionsrechtskonform ist. Denn wie bereits das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 angedeutet hat, stellt die Festlegung des Vorliegens einer Rechtsverletzung und damit auch subjektiv-öffentlicher Rechte entsprechend des Wortlauts des Art. 11 Abs. 3 UVP-RL und Art. 25 Abs. 3 IE-RL explizit den Mitgliedstaaten anheim.864 a) Zu einer erweiternden Auslegung der subjektiv-öffentlichen Rechte im umweltbezogenen Verfahrensrecht für Privatkläger Es darf aber auch im Bereich der Klagebefugnis von Individualklägern i. S. d. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO gegen umweltbezogene Verfahrensfehler nicht die ausschlaggebende Rolle des Effektivitätsgrundsatzes des EU-Rechts ignoriert werden, der insbesondere die Reichweite der subjektiv-öffentlichen Rechte prägt. Denn das unionsrechtliche Effektivitätsgebot865 verlangt u. a., dass Verfahrensrechte, die auch dem Schutz des Einzelnen dienen, gerichtlich durchsetzbar sein müssen (gem. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV).866 Ansonsten könnte über deren Konzeption die Durchsetzung unionsrechtlich für den Einzelnen einforderbarer Rechtspositionen unmöglich gemacht werden.867 Gerade im Umweltrecht sind diese Rechtspositionen auf EU-Ebene vielfach schutzgutbezogen festgelegt. Der Einzelne ist dann das Instrument zur Durchsetzung dieser Rechtsgüter, die oft zugleich seinem Schutz dienen. Insoweit ist daher zu prüfen, inwieweit nicht eine subjektive Rechtsverletzung schon dann vorliegt, wenn auch den Einzelnen potenziell berührende Rechtsgüter verletzt sein können. Korrespondierend zur Möglichkeitstheorie, wonach die Klagebefugnis dann besteht, wenn die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten nicht offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen ist, sollten die individuellen Klagemöglichkeiten auch in Bezug auf Verfahrensfehler im Rahmen des UmwRG auf 2009, S. 394; OVG Weimar, Beschl. v. 02.09.2008 – 1 EO 448/08, NuR 2009, S. 134; M. Appel, NVwZ 2010, S. 475; A. Versteyl, AbfallR 2008, S. 11; jeweils m.w. N. 863 BVerwG, Beschl. v. 27.06.2013 – 4 B 37.12, BeckRS 2013, 53008; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2. 864 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 31 ff. (Kommission/Deutschland), juris; s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., IV., 1. 865 Zur Verknüpfung des besonderen Sekundärrechts mit dem Effektivitätsprinzip vgl.: EuGH, Urt. v. 11.10.2011, Rs. C-128/09, Rn. 25 (Boxus u. a./Région wallonne), NVwZ 2011, S. 1506 ff.; GA P. Cruz Villalón, Schlussantr. v. 20.06.2013 in der Rs. C72/12 (Altrip), Rn. 83 ff., BeckRS 2013, 81258. 866 K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 3, m.w. N. 867 W. Frenz, NuR 2015, S. 833.
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der Basis subjektiv-öffentlicher Rechte erweitert werden.868 Dies entspricht insbesondere der schutzgutbezogenen Normkonzeption europäischer Umweltnormen, die wie etwa die unionalen Vorschriften zum Schutz der Luftreinhaltung869 letztlich dem Schutz des Menschen dienen sollen.870 Hinsichtlich der Frage des konkreten Anknüpfungspunkts für die Zulassung einer Klagemöglichkeit zugunsten von Privatklägern (i. S. v. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO) bei relativen umweltbezogenen Verfahrensfehlern (etwa mangelhafte Abwägung der Einwendungen der an UVP-Verfahren beteiligten Privaten), sollte die Auswirkung der jeweils umstrittenen relativen Verfahrensfehler auf personale Rechtsgüter bzw. Rechtspositionen vorgelegt werden. Für die Zulässigkeit der Klagebefugnis eines Privatklägers im Fall eines solchen relativen Verfahrensfehlers müsse es ausreichen, dass sich durch die jeweils umstrittene verfahrensrechtliche Handlung oder Unterlassung nachweisbare Auswirkungen auf personale Rechtsgüter des Klägers (etwa seine Gesundheit, Eigentum, eigene Nutzungsrechte u. a.) im weiteren Sinne ergeben. Denn in Anbetracht der Tatsache, dass die UVP im gesetzlichen Rahmen die Minimierung dieser Auswirkungen beabsichtigt, scheint es plausibel festzustellen, dass bei Vermeidung des in Frage gestellten relativen Verfahrensfehlers, der sich auf personale Rechtsgüter des Klägers nachweislich auswirkt, eine klägergünstigere abschließende Behördenentscheidung getroffen worden wäre.871 Unter diesen Voraussetzungen scheint es sachgerecht, ein subjektiv-öffentliches Recht zum Schutz der Interessen von Privatklägern auch im Fall einer faktischen Betroffenheit ihrer personalen Rechtsgüter durch relative Verfahrensfehler anzuerkennen. Obwohl die Rechtskontrolle im Sinne prokuratorischer Rechte subjektiviert bleibt, sollte sich doch der subjektive Rechtsschutz aus den ursprünglichen Begrenzungen der Schutznormtheorie lösen.872 Ein substantiierter Vortrag des Klägers zur Beurteilung der Kausalität sollte ausnahmsweise nur dann verlangt werden, soweit es um Fakten geht, die aus der Natur der Sache nur dem Kläger bekannt sind. So beispielsweise muss der Kläger substantiiert darlegen, an der Geltendmachung welcher Einwendungen er sich aufgrund eines relativen Verfahrensfehlers gehindert gesehen hat.873 Angesichts 868
W. Frenz, NuR 2015, S. 833, m.w. N. Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Janecek/Freistaat Bayern)9, NVwZ 2008, S. 984 ff. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff., s. u. insb. 1. Teil, 5. Kap., B., III. 870 W. Frenz, NuR 2015, S. 833, mehr dazu s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., III.; jeweils m.w. N. 871 Vgl. J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 245 ff.; dies., NuR 2014, S. 86 ff.; jeweils m.w. N. 872 In diese Richtung auch C. Franzius, EurUP 2014, S. 288 ff. 873 Vgl. J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 244 ff.; dies., NuR 2014, S. 86, m.w. N. 869
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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der Tatsache, dass die personalen Schutzgüter im Rahmen der UVP-RL und IE-RL dementsprechend weit gefasst sind,874 sollten die Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger dadurch ebenso weit gefasst werden. Dabei wird dem Erfordernis eines weiten Zugangs zu Gerichten Rechnung getragen.875 Die positiven Voraussetzungen für einen Aufhebungsanspruch des Klägers sollten im Wesentlichen bereits in der Zulässigkeit geprüft worden sein. Ferner sollten im Rahmen der Begründetheitsprüfung konkrete Kausalitätsbetrachtungen durchgeführt werden, um zu prüfen, ob der Aufhebungsanspruch wegen eines relativen Verfahrensfehlers nicht ausgeschlossen sein könnte. Vage Gefährdungen können allerdings insoweit nicht ausreichend sein. Es muss vielmehr ein real möglicher Geschehensablauf aufgezeigt werden, der sich zudem örtlich auf den konkreten Kläger beziehen muss. Ansonsten würde die vom EuGH aufrechterhaltene Möglichkeit einer Beschränkung individueller Klagemöglichkeiten auf die potenzielle Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte praktisch ad absurdum geführt.876 Strebt der nationale Normgeber eine solche Lösung hinsichtlich der Anfechtung von relativen UVP-Einzelfehlern an, wäre eine dahingehende gesetzgeberische Ergänzung im Rahmen des UmwRG empfehlenswert. Eine solche Norm sollte lediglich bestimmen, dass einzelne relative UVP-Fehler auch von Privatklägern i. S. v. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO rügefähig sind, soweit der Kläger nachweisen kann, dass bei Vermeidung des angefochtenen Verfahrensfehlers eine klägergünstigere abschließende Behördenentscheidung im oben genannten Sinne getroffen worden wäre.877 Es handelt sich somit um eine Lösung über § 46 VwVfG, die der Erweiterung der Klagemöglichkeiten individueller Kläger im Bereich der umweltrelevanten Verfahrensfehler dienen soll.
VI. Fazit Die Entstehungsgeschichte in Zusammenhang mit der gesetzgeberischen Entwicklung des § 4 UmwRG zeigt die rechtliche Problematik dieser Norm. Von 874 Insbesondere das Schutzgut „Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit“ nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UVPG geht über den Schutz des menschlichen Lebens hinaus. Danach umfasst der Begriff „menschliche Gesundheit“ nicht nur Körperschäden, Krankheiten, somatische Funktionsstörungen sowie Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität (etwa durch Lärm), sondern auch Störungen des physischen und psychischen oder sozialen Wohlbefindens. Als weitere personale Rechtsgüter sind das Eigentum oder sonstige dingliche oder schuldrechtliche Nutzungsrechte der Betroffenen relevant, die sich unter § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UVPG subsumieren lassen. J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 245 ff.; dies., NuR 2014, S. 86, m.w. N. 875 J. Greim, NuR 2014, S. 86. 876 W. Frenz, NuR 2015, S. 833, m.w. N. 877 In diese Richtung J. Greim, NuR 2014, S. 86.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Interesse sind hier vor allem die Fassungen dieser Norm vom 21.01.2013 und vom 20.11.2015. Was insbesondere die Fassung des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 20.11.2015 angeht, ist es bemerkenswert, dass in Abweichung von § 46 VwVfG und der traditionellen Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG mit § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. vom 21.01.2013 ausdrücklich bestimmte Verfahrensfehler (nämlich eine unterbliebene erforderliche UVP- und Vorprüfung oder die fehlerhaft durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit, die nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 des Gesetzes über die UVP genügt gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 1 S. 2 UmwRG vom 21.01.2013) als beachtlich eingestuft wurden. Nur diese Verfahrensfehler stellten danach absolute und damit automatisch einklagbare Verfahrensfehler dar. Dies bedeutete aber, dass andere relative, wesentliche Verfahrensfehler, die bedeutende Auswirkungen hinsichtlich des Ablaufs des Verwaltungsverfahrens haben könnten, etwa Verfahrensfehler im Bereich des Öffentlichkeitsbeteiligungsrechts, nicht eingeklagt werden konnten. Es war schon längst fraglich, ob der abschließende Verfahrensfehlerkatalog des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 unionsrechtskonform ist. Denn diese Norm stellt die unions- und völkerrechtlichen Zielsetzungen des weiten Zugangs zu Gerichten für die Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten in Frage. Außerdem ist eine abschließende Einschränkung der Verbandsklagemöglichkeiten auf bestimmte Verfahrensfehlertypen, wie sie § 4 Abs. 1 UmwRG vornahm, in den einschlägigen Vorgaben des Art. 11 UVP-RL n. F. sowie des Art. 25 IE-RL nicht vorgesehen. Darüber hinaus erkennt der EuGH – anders als das deutsche Individualrechtsschutzsystem – großzügig individuell einklagbare materielle Rechte sowie Verfahrensrechte an. Denn die europäische Rechtsprechung fordert durchaus eine effektive Durchsetzung des EU-Umweltrechts, im Rahmen der UVPVerfahren unabhängig davon, ob es sich um Verfahrens- oder materielles Recht handelt. Eine Nachrangigkeit des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht könnte daher aus unionsrechtlicher Sicht nicht akzeptiert werden. Gleichwohl muss aber berücksichtigt werden, dass das EU-Recht keinesfalls verlangt, dass jede Verletzung einer Verfahrensvorschrift sanktioniert werden muss. Nur die Verletzung „wesentlicher“ Form- und Verfahrensvorschriften kann zur Aufhebung der Sachentscheidung führen. Anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens entschied zunächst der EuGH im sog. Altrip-Urteil gegen den abschließenden, restriktiven Verfahrensfehlerkatalog des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013. Zwar zweifelt der EuGH nicht die Rechtmäßigkeit der deutschen Kausalitätsrechtsprechung an, er betont aber, dass der nationale Gesetzgeber im Allgemeinen keinen Rechtsbehelf einführen darf, der die Gründe, die zur Stützung eines Rechtsbehelfes in Bezug auf die Anfechtung von Verfahrensfehlern vorgebracht werden können, so einschränkt, dass der unionsrechtlich vorgegebene weite Zugang zu Gerichten übermäßig erschwert
E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG
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wird. Dadurch stellt das Altrip-Urteil die rein dienende Funktion des deutschen Verfahrensrechts im Hinblick auf die Richtigkeit der Sachentscheidung in Frage. Eine solche Einschränkung läuft letztlich auch dem in Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL genannten Ziel zuwider, einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren. In diese Richtung richtet sich auch das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 vom 15.10.2015. Ferner entspricht das Altrip-Urteil der Ansicht, dass für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine verfahrensfehlerhafte Entscheidung auch der Schweregrad des geltend gemachten Verfahrensfehlers berücksichtigt werden muss. Danach sollte das Gericht insbesondere prüfen, ob der jeweils umstrittene Fehler der betroffenen Öffentlichkeit Verfahrensgarantien entzogen hat, die geschaffen wurden, um ihr im Einklang mit den Zielen der UVP-RL Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen. Daraus ergibt sich, dass eine Unterscheidung der Verfahrensfehler nach dem Grad des Fehlers in der Tat sachgerecht und unionsrechtskonform ist. Gerade deswegen wird der enge, abschließende Verfahrensfehlerkatalog des § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. als unionsrechtswidrig betrachtet, da der Sache nach dieser Katalog nicht alle schwerwiegenden Verfahrensfehler umfasst. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 bezweifelt diese Feststellung nicht. Zwar verlangen beide Urteile des EuGH nicht die komplette Abschaffung der herrschenden deutschen Kausalitätsrechtsprechung, sie fordern aber ihre Relativierung sowie ihre Anpassung an die unionalen Gebote im Rahmen der Europäisierung der Kausalitätsrechtsprechung. Von erheblicher Bedeutung ist, dass im Gegensatz zu der bislang herrschenden Gesetzeslage im deutschen Recht sowohl das Altrip-Urteil des EuGH als auch das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/ 14 darauf hinweist, dass die Beweislast dafür, dass die jeweils angegriffene Entscheidung ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler anders bzw. nicht anders ausgefallen wäre, nicht dem Kläger, sondern dem Beklagten bzw. den jeweils zuständigen Behörden aufgebürdet werden darf. Dies bedeutet, dass auch die entsprechende deutsche Rechtsprechung und Gesetzgebung (vgl. § 46 VwVfG) dahingehend modifiziert werden müsste. Beachtenswert ist auch, dass der EuGH in der Rechtssache C-137/14 eindeutig judizierte, dass Deutschland nach den Art. 11 Abs. 3 UVP-RL sowie Art. 25 Abs.3 IE-RL hinsichtlich einer behördlichen Entscheidung den Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung von der Geltendmachung, sowie den Aufhebungsanspruch von einer Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts abhängig machen kann. Insofern sieht der EuGH § 113 Abs. 1 VwGO als unionsrechtskonform an. Vor diesem Hintergrund darf § 46 VwVfG bei Klagen im Hinblick auf UVPpflichtige Vorhaben nicht mehr angewandt werden, es sei denn die tatsächliche Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts durch einen Verfahrensfehler wird gerügt.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Der deutsche Gesetzgeber hat den Feststellungen der EuGH-Rechtsprechung hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit der oben genannten Normen Rechnung getragen. Deswegen hat er dahingehend die Änderung des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 durch den Erlass des Gesetzes zur Änderung des UmwRG zur Umsetzung des EuGH-Altrip-Urteils (vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2069) verabschiedet. Insbesondere durch Art. 4 Abs. 1 aber auch des Abs. 1a UmwRG vom 20.11.2015 hat der deutsche Gesetzgeber einen relativ offenen und flexiblen Wortlaut ausgewählt, der die Gefahr der Unzulänglichkeit der gerichtlichen Anfechtung von Verfahrensfehlern effektiv vermeiden könnte. Mit dieser Gesetzesänderung hat nämlich der Bundesgesetzgeber auch weitere Fälle als die im älteren § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 als absolute Verfahrensfehler (d. h. eine i. S. v. § 9 UVPG oder i. S. v. § 10 BImSchG erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung, soweit sie weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist) explizit normiert (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG). Darüber hinaus sieht der neugefasste § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG weitere Klagemöglichkeiten gegen in dieser Vorschrift nicht benannte Fälle von absoluten Verfahrensfehlern vor, die qualitativ mit denen aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG vergleichbar sind. Da aber eine unterbliebene, erforderliche UVP, UVP-Vorprüfung oder Öffentlichkeitsbeteiligung verfahrensrechtlich den „schlimmsten Fall“ bilden, führt diese Norm eher zu einer restriktiven Auslegung des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG. Dies ist aber m. E. unionsrechtlich unproblematisch, denn § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG schreibt vor, dass für Verfahrensfehler, die nicht unter § 4 Abs. 1 UmwRG fallen, nämlich für nicht absolute, relevante Verfahrensfehler, § 46 VwVfG anwendbar ist. Im Anschluss daran führt der neugefasste § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG die bereits von dem Altrip-Urteil angeforderte Umkehr der Beweislast zugunsten des Rechtsbehelfsführers bei Verfahrensfehlerfällen gem. § 46 VwVfG ein. Zur Aufklärung der Frage, ob der Verfahrensfehler die jeweils umstrittene Verwaltungsentscheidung in der Sache beeinflusst hat, muss nunmehr das jeweils zuständige Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 VwGO) alle verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung nach § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG vermutet. Mit § 4 Abs. 1a UmwRG wird sichergestellt, dass § 46 VwVfG in Übereinstimmung mit den Anforderungen des EU-Rechts und des EuGH bezüglich eines weiten Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten angewandt wird. Diese Entwicklung führt nicht zu einer Abschaffung der deutschen Kausalitätsrechtsprechung, es handelt sich vielmehr um ihre Anpassung an das unionale Äquivalenz- und Effektivitätsgebot. Daher scheint die Vorschrift des § 4 Abs. 1 bis 1a UmwRG vom 20.11.2015 unionsrechtskonform zu sein.
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Zur Gewährung der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von rechtlichen Missverständnissen bleiben nach § 4 Abs. 1b UmwRG die verwaltungsprozessualen Vorschriften zur Heilung von Verfahrensfehlern (wie § 45 Abs. 2 VwVfG, § 75 Abs. 1a VwVfG und entsprechende Vorschriften zur Planerhaltung) sowie die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers unberührt. Zu berücksichtigen ist, dass nach § 4 Abs. 2 UmwRG – der § 4 Abs. 2 a. F. fast gleich lautet – die erweiterten Vorschriften der §§ 214 und 215 BauGB, sowie die diesbezüglichen Überleitungsvorgaben der §§ 233, 244 BauGB und die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften abweichend von § 4 Abs. 1 UmwRG immer dann gelten, wenn ein Anwendungsfall eines UVP-pflichtigen Bebauungsplans (gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG) vorliegt. Ferner gewährt § 4 Abs. 3 UmwRG zum ersten Mal natürlichen und juristischen Personen i. S. d. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO den in § 4 Abs. 1 und 2 UmwRG normierten Anspruch auf Aufhebung der behördlichen Entscheidung. Im Gegensatz zu anerkannten Umweltschutzvereinigungen ist es allerdings für die Zulässigkeit der Klagebefugnis von Beteiligten i. S. v. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO erforderlich, die Verletzung in anderen eigenen Rechten (Eigentum, Gesundheit u. a.) durch das jeweils umstrittene fehlerhafte Verwaltungsverfahren geltend zu machen (i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO). § 4 Abs. 3 UmwRG sollte hieran nichts ändern, weil diese Bestimmung als lex specialis gegenüber der Fehlerfolgenregelung des § 46 VwVfG ausgelegt wird, die eine Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO voraussetzt. Die Regelung des § 4 Abs. 3 UmwRG erweitert somit nicht die Rechtsbehelfsbefugnis von beteiligten Privatklägern der VwGO. Diese Vorschrift mag allerdings die Klagemöglichkeiten der oben genannten Privatkläger verbessern, indem ihr Vorgehen gegen den strittigenVerfahrensfehler nicht mehr davon abhängt, ob sich die in § 4 Abs. 1 UmwRG abschließend aufgelisteten Verfahrensfehler auf die behördliche Entscheidung gem. § 46 VwVfG ausgewirkt haben. Dass Verfahrensfehler gem. § 4 Abs. 3 UmwRG dem Privatkläger i. S. des § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO zustehende subjektive bzw. materielle Rechtspositionen, aber nicht rein verfahrensrechtliche Rechtspositionen betreffen müssen, um im Rahmen des UmwRG angreifbar zu sein, bildet eine Art Rechtsschutzasymmetrie zwischen Privaten und Umweltschutzvereinigungen. Es sollte aber angemerkt werden, dass diese Gesetzeslage nicht als europarechtswidrig angesehen werden soll. Denn Art. 11 UVP-RL sowie Art. 25 IE-RL erlauben es schließlich den Mitgliedstaaten, den Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht davon abhängig zu machen, dass insbesondere Einzelkläger i. S. des § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen können. Dies wurde letztlich auch von dem bereits dargestellten Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 bestätigt.
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In allen Fällen darf aber bezüglich der Klagebefugnis von Individualklägern i. S. d. § 61 Nrn. 1 und VwGO gegen umweltbezogene Verfahrensfehler nicht der Effektivitätsgrundsatz des EU-Rechts übersehen werden. Denn so kann die Durchsetzung unionsrechtlich für den Einzelnen einforderbarer auch verfahrensrechtlicher Rechtspositionen, die gerade im unionalen Umweltrecht vielfach schutzbezogen festgelegt sind, nicht durch das nationale Recht unmöglich gemacht werden. Im Hinblick darauf sollten korrespondierend zur Möglichkeitstheorie die individuellen Klagemöglichkeiten (auch in Bezug auf Verfahrensfehler im Rahmen des UmwRG) auf der Basis subjektiv-öffentlicher Rechte erweiternd ausgelegt werden. Dies entspricht insbesondere der schutzgutbezogenen Normkonzeption europäischer Umweltnormen, die regelmäßig dem Schutz der Individuen dienen sollen (Luftreinhaltungsvorschriften). Für die Zulässigkeit der Klagebefugnis eines Privatklägers im Fall eines umstrittenen relativen Verfahrensfehlers müsste es ausreichen, dass sich durch die jeweils umstrittene verfahrensrechtliche Handlung oder Unterlassung nachweisbare Auswirkungen auf personale Rechtsgüter des Klägers im weiteren Sinne ergeben. Es genügte somit festzustellen, dass bei Vermeidung des in Frage gestellten Verfahrensfehlers, der sich auf personale Rechtsgüter des Klägers auswirkt, eine klägergünstigere abschließende Behördenentscheidung getroffen worden wäre. Eine dahingehende gesetzgeberische Ergänzung im Rahmen des UmwRG wäre daher empfehlenswert.
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG vom 21.01.2013) 878 I. Allgemeines Sämtliche Vorschriften des § 4a UmwRG sind mit dem Änderungsgesetz des UmwRG vom 21.01.2013879 eingefügt worden. Obwohl das UmwRG der Umset878 § 4a UmwRG lautet: „(1) Der Kläger hat innerhalb einer Frist von sechs Wochen die zur Begründung seiner Klage gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. § 87b Absatz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend. Die Frist nach Satz 1 kann durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter auf Antrag verlängert werden. (2) Soweit der Verwaltungsbehörde bei der Anwendung umweltrechtlicher Vorschriften eine Beurteilungsermächtigung eingeräumt ist, ist eine behördliche Entscheidung im gerichtlichen Verfahren nur daraufhin zu überprüfen, ob 1. der Sachverhalt vollständig und zutreffend erfasst wurde, 2. die Verfahrensregeln und die rechtlichen Bewertungsgrundsätze eingehalten wurden, 3. das anzuwendende Recht verkannt wurde, 4. sachfremde Erwägungen vorliegen. (3) § 80 Absatz 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teil-
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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zung des EU-Rechts dient, ist diese bestimmte Vorschrift nicht unionsrechtlich bedingt. Diese Regelung dient vor allem dazu, einen Ausgleich zwischen der umweltrechtsschützenden Zielsetzung von Verbandsklagen einerseits und den Belangen der von Verbandsklagen Betroffenen andererseits herzustellen. Der Gesetzgeber scheint somit der Entstehung eines derartigen Ungleichgewichts durch Einfügung von § 4a UmwRG vorbeugen zu wollen. Fraglich ist allerdings, ob überhaupt ein Ungleichgewicht besteht.880 Gleichwohl soll dadurch verhindert werden, dass der Rechtsbehelf der Verbandsklage zu sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerungen von Vorhaben instrumentalisiert wird.881 Ziel dieser Vorschrift ist es somit, mögliche kontraproduktive Wirkungen von Verbandsklagen in angemessener Weise abzufedern.882 Laut Gesetzesbegründung soll die Einführung dieser Norm zur Waffengleichheit zwischen Umweltnutzern und Umweltschützern grundsätzlich beitragen.883 Es ist denkbar, dass der ursprüngliche Gesetzesvorschlag884 für die Einführung dieser Vorschrift auf ein Positionspapier des BDI885 zurückzuführen ist. In diesem BDI-Positionspapier werden vor allem Änderungen der VwGO (§§ 113, 114) propagiert, die zu einer beschleunigten Verwirklichung von Infrastruktur- und Industrievorhaben führen sollen, indem vorgeschlagen wird, die Kontrolldichte des verwaltungsgerichtlichen Individual- und überindividuellen Rechtsschutzes gravierend zu begrenzen.886 Danach sollen Vorhabenszulassungen – auch gebunweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für gerichtliche Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nummer 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.“ 879 BGBl. I, S. 95. 880 Vgl. T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 8; S. Schlacke, ZUR 2012, S. 394; dies., ZUR 2013, S. 201. 881 BT-Drs. 17/10957, S. 17; BR-Drs. 469/12, S. 40. 882 BT-Drs. 17/10957, S. 30. 883 Ebd. 884 Es handelte sich insbesondere um die Vorläuferregelung des § 2a im Referentenentwurf des UmwRGÄndG. 885 BDI, Positionspapier zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, Dokumenten-Nr. D 0470, 11. Oktober 2011, S. 8 ff. 886 S. Schlacke, ZUR 2012, S. 394; dies., ZUR 2013, S. 201. Kritisch zu dem Einfluss des Industrielobbyings auf die Gesetzgebung: C. Hey, ZUR Sonderheft 2003, S. 145 ff.; B. Wegener, ZUR 2009, S. 169 ff.; M. Hirschler, FoR 1994, S. 126 ff.; D. Dick/K. Ponert, FoR 1995, S. 82 ff.; jeweils m.w. N. In Anschluss daran ist zu beachten, dass ein im Oktober 2005 im Auftrag der Vereinigung der Deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) erstattetes Rechtsgutachten von Prof. Thomas von Danwitz, in dem er gegen eine erweiterte Klagebefugnis in Bezug auf die altruistische VK argumentierte, auf die einsetzende rechtspolitische Meinungsbildung gewissen Einfluss hatte. Hinter der damaligen Ablehnung der Einführung einer altruistischen Umweltverbandsklage standen vermutlich auch rechtspolitische Motivationen, z. B. Bedenken bezüglich gerichtlicher Verzögerungsoptionen der Umweltverbände bei bedeutenden Großprojekten (T. v. Danwitz, Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Einführung
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
dene – für Industrie- und Infrastrukturanlagen grundsätzlich aufrechterhalten werden, indem eine weitreichende Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte empfohlen wird.887 Diese Regelung war allerdings schon im Gesetzgebungsverfahren heftig umstritten, weil sie vor allem die Rechtsbehelfe von Vereinigungen und Einzelpersonen in verschiedenen Punkten unangemessen einschränkt.888 § 4a UmwRG vom 21.01.2013 wurde durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 bis auf die prozessuale Begründungsfrist aufgehoben.889
II. Die Klagebegründungsfrist und die gerichtliche Zurückweisungsmöglichkeit von Erklärungen und Beweismitteln (§ 4a Abs. 1 UmwRG) § 4a Abs. 1 S. 1 UmwRG sieht in concreto eine zwingende sechswöchige Begründungsfrist für Klagen vor, die auf der Grundlage von § 2 UmwRG erhoben werden können. Muster für diese Regelung waren vor allem die entsprechenden fachgesetzlichen Klagebegründungsfristen (vgl. § 1e Abs. 5 FStrG, § 18e Abs. 5 AEG, § 43e Abs. 3 EnWG, § 10 Abs. 7 LuftVG, § 14e Abs. 5 WaStrG).890 Während es sich in den oben genannten vorbildlichen Normen um Rechtsbehelfe gegen zumeist öffentliche Infrastrukturvorhaben handelt, ist der Gegenstandsbereich des § 4a Abs. 1 UmwRG deutlich weiter, da er maßgeblich auch industrielle Projekte privater Unternehmen umfasst.891 Laut entsprechender Übertragung der Auslegung des BVerwG hinsichtlich der oben genannten fachgesetzlichen Klagebegründungsfristen soll diese Norm eine prozessuale Obliegenheit des Klägers der Verbandsklage anerkannter Umweltschutzvereine nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/35 EG und der sog. Aarhus-Konvention, Rechtsgutachten, Okt. 2005). Auch die mangelhafte Umsetzung der ÖB-RL im deutschen Recht hinsichtlich des weiten Zugangs zu Gerichten sei in Umweltangelegenheiten u. a. auch auf eine bedauerliche Anfälligkeit des politischen Systems für rechtspolitisches Lobbying zurückzuführen. Es sieht so aus, dass „der insoweit beratungsresistente Bundesgesetzgeber die EU-Rechtswidrigkeit der Normumsetzung in nationales Recht eher in Kauf nimmt, als sich zu einer wirtschaftspolitisch unliebsamen Entscheidung durchzuringen (B. Wegener, UTR 2008, S. 346 ff.). Als ein weiteres Beispiel dieser Tendenz für eine zunächst EU-rechtswidrige Umsetzung kann die alte Fassung des Umweltinformationsgesetzes gelten. Hier hatte der Bundestag entgegen dem Rechtsrat der herangezogenen Sachverständigen eine teilweise EU-rechtswidrige Fassung des Umsetzungsgesetzes verabschiedet. Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 09.09.1999, Rs. C-217/97B, Slg. 1999, S. I-5087 (Kommission/Deutschland), EuR 2000, S. 218 ff.; B. Wegener, EuR 2000, S. 277 ff. 887 S. Schlacke, ZUR 2012, S. 394; dies., ZUR 2013, S. 201. 888 BT-Drs. 17/10957, S. 26 ff.; s. auch BDVR, Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für ein Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (UmwRGÄndG), 21.06.2012, S. 1 ff. (BDVR Rundschreiben, 2012, S. 64 ff.). 889 s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., VIII. 890 Vgl. BR-Drs. 469/12 v. 10.8.2012, S. 42. 891 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 3.
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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begründen. Mit ihr soll erreicht werden, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch umgehend in hinreichender Weise umrissen wird. Der Sachverhalt, auf den der Kläger diesen Anspruch stützt, soll mit Ablauf der Frist unverwechselbar feststehen. Das schließt allerdings einen späteren vertiefenden Vortrag nicht aus.892 Zu beachten ist, dass § 4a Abs. 1 UmwRG den Begriff „Klage“ anders als die übrigen Vorschriften des UmwRG verwendet. Denn diese Vorschrift gilt nicht nur für Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs-, allgemeine Gestaltungs- und Leistungsklagen, sondern ist auch auf Normenkontrollanträge i. S. d. § 47 VwGO entsprechend anzuwenden.893 Anzumerken ist auch, dass § 4a UmwRG für Umwelt-Rechtsbehelfe, die von nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltvereinigungen erhoben werden, ebenso wie für Individualkläger gelten, die gem. § 4 Abs. 3 UmwRG, die Verfahrensfehler rügen (§ 4a Abs. 4 UmwRG). Mit § 4a Abs. 1 UmwRG, der für Klagen gegen Entscheidungen i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG oder deren Unterlassen gültig ist, ergänzt der Gesetzgeber § 82 Abs. 2 S. 2 VwGO. Dieser eröffnet die Möglichkeit einer Ausschlussfrist, wenn in einer Klage die Angaben nach § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO (Kläger, Beklagter, Klagegegenstand) fehlen.894 Die VwGO enthält im Allgemeinen keine strikte Vorgabe über die Zeitspanne, die für die Begründung einer Klage zur Verfügung steht. Es handelt sich um eine spezielle Regelung zu § 87b Abs. 1 S. 1 VwGO, nach der das Gericht Ausschlussfristen für den Klagevortrag setzen kann.895 Der Fristlauf beginnt vom Zeitpunkt der Klageerhebung an.896 Richtet sich die Klage gegen einen Verwaltungsakt, beginnt die Frist zu laufen, wenn die Behörde in der Rechtsbehelfsbelehrung auf sie hingewiesen hat. Ansonsten steht für die Erhebung der Klage ein Jahr zur Verfügung (§ 58 VwGO). Darüber hinaus bestimmt § 4a Abs. 1 S. 1 UmwRG, dass es um die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln bzw. Beweisanträge geht, nicht aber um rechtliche Ausführungen. Diese Ausführungen bleiben auch nach Ablauf der sechswöchigen Begründungsfrist zulässig.897
892 BVerwG, Urt. v. 30.08.1993 – 7 A 14/93, NVwZ 1994, S. 372; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 17. 893 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 3. T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 18. 894 S. Schlacke, ZUR 2013, S. 199, m.w. N. 895 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 16. 896 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.1993 – 7 A 14.93, UPR 1994, S. 33 = NVwZ 1994, S. 372; BVerwG, Urt. v. 17.02.1997 – 4 VR 17.96, LKV 1997, S. 329; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 194 ff.; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 23. 897 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 25 ff.; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 199, m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Zugleich sieht § 4a Abs. 1 S. 2 UmwRG die gerichtliche Zurückweisungsmöglichkeit von Erklärungen und Beweismitteln entsprechend § 87b Abs. 3 VwGO vor. Dadurch wird ein Ausschluss von Beteiligtenvorbringen ermöglicht.898 Danach besteht die Möglichkeit, Erklärungen und Beweismittel zurückzuweisen, zunächst nur, wenn 1. deren Zulassung – der freien Überzeugung bzw. des Ermessens des Gerichts nach – die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde (§ 87b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VwGO), wenn sich der Prozess dann also verlängern würde; 2. dabei wird festgestellt, dass der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt (§ 87b Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwGO); es ist mithin Sache des Beteiligten, bei der Erklärung oder der Vorlage der Beweismittel nach Fristablauf auch die Gründe anzugeben, auf die die Verspätung zurückzuführen ist; 3. der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist, wozu das Gericht gesetzlich verpflichtet ist (§ 87b Abs. 3 Nr. 3 VwGO). Dies gilt allerdings nicht für gesetzlich festgelegte Fristen, sondern nur dann, wenn das Gericht im Einzelfall eine Frist bestimmt.899 Von praktischer Bedeutung ist, dass § 4a Abs. 1 S. 3 UmwRG es dem Vorsitzenden oder dem Berichterstatter erlaubt, die Klagebegründungsfrist auf Antrag des Klägers zu verlängern. Dies sei empfehlenswert, insbesondere wenn umfangreiche Akten der Behörde durchzusehen oder im Allgemeinen zeitintensive Arbeiten zu leisten sind, um die Klage zu begründen. Diese Vorschrift ermöglicht es auch, die Klagebegründungsfrist mehrfach zu verlängern. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn erst während der bereits eingeräumten zusätzlichen Frist deutlich wird, dass die ausreichende Begründung der Klage wegen unvorhergesehener Umstände weitere Zeit in Anspruch nimmt.900 Im Allgemeinen schafft § 4a Abs. 1 UmwRG einen zeitlichen und inhaltlichen Begründungsdruck für die Umweltverbands- und Individualkläger, der aufgrund der oftmals zugrunde liegenden komplexen Sachverhalte als hoch einzustufen ist. Diese Konsequenz kann allerdings durch die ebenfalls eingeführte Möglichkeit der Verlängerung der Begründungsfrist durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter teilweise entschärft werden.901 1. Rechtliche und rechtspolitische Bedenken Die sechswöchige Klagebegründungsfrist des § 4a Abs. 1 UmwRG erweist sich in der Praxis als zu eng für die Kläger des UmwRG. Dies gilt insbesondere,
898
Ebd. BVerwG, Urt. v. 18.02.1998 – 11 A 6.97, NVwZ-RR 1998, S. 592 ff.; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 195; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 27. 900 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 29 ff., m.w. N. 901 S. Schlacke, ZUR 2013, S. 199. 899
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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wenn die Zulassung größerer Infrastrukturprojekte angefochten wird.902 Bei solchen Fällen, die in der Praxis gar nicht selten eintreten, erfordert die Begründung der Klage oftmals umfangreiche Vorarbeiten (Einsicht von komplexen Akten und Stellungnahmen). In diesem Zusammenhang muss auch mitberücksichtigt werden, dass die Rechtsprechung bei der Klage einer anerkannten Umweltschutzvereinigung im Vergleich zu Individuen hohe inhaltliche Begründungsansprüche stellt.903 Darüber hinaus lässt sich die Einsicht in die Behördenakten erst zu Beginn der Begründungsfrist beantragen. Wird eine behördliche Entscheidung von mehreren Klägern angegriffen, verringert sich in der Praxis die Zeitspanne erheblich, die jedem von ihnen faktisch für die Einsicht zur Verfügung steht.904 Es liegt nahe, dass unter diesen Umständen ein Ungleichgewicht zwischen den Rechtspositionen der Vereinigungen sowie der einzelnen Betroffenen und der Projektträger entsteht. Denn die oben dargestellten einschränkenden Bestimmungen verschlechtern im Prinzip die Bedingungen, unter denen Umweltschutzvereinigungen und einzeln Betroffene die Zulassung von umweltbeeinträchtigenden Vorhaben einlegen können. Denn im Gegensatz dazu gelten für Rechtsbehelfe von Vorhabenträgern gegen behördliche Maßnahmen, die das Vorhaben betreffen, die allgemeinen und weniger strengen Anforderungen der VwGO (vgl. etwa § 87b Abs. 1 S. 1 VwGO).905 Ferner ist angesichts der Tatsache, dass gem. § 4a Abs. 4 UmwRG. § 4a Abs. 1–3 UmwRG auch für gerichtliche Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO gelten,906 festzustellen, dass dadurch die Rechtsposition der Einzelkläger ungünstiger als bisher ausgestaltet wird.907 Denn für individuelle Kläger dürfte es i. d. R. schwieriger sein – in Vergleich zu Umweltschutzvereinigungen –, ihre Klage innerhalb der sechswöchigen Klagebegründungsfrist des § 4a Abs. 1 UmwRG zu begründen. Dies ist grundsätzlich darauf zurückzuführen, dass die individuellen Kläger meistens über weniger Sachkunde sowie weniger Personal- und Finanzressourcen im Vergleich zu Umweltschutzvereinigungen verfügen, um ihre Klage umgehend vollständig zu begründen.908 902 Vgl. UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 123 ff.; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 7. 903 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 7. 904 Ebd., m.w. N. 905 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 8; eine ähnliche Problematik gilt auch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, wobei die Behörden sowie die Vorhabenträger bis zum Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung die Möglichkeit haben, ihr Vorbringen nachzubessern, während Vereinigungen und Privaten diese Möglichkeit bereits zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt, nämlich zum Ende der Einwendungsfrist, weitgehend abgeschnitten wird. Dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., b). 906 s. u. 1. Teil, 3. Kap., F., V. 907 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 10. 908 Ebd.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Die oben dargestellte Bestimmung ist vor allem auf die Überlegung gestützt, dass Einschränkungen für Verbandsklagen gleichsam 1:1 auch für Klagen Privater zu gelten hätten.909 Vor diesem Hintergrund werden die entsprechenden Regelungen für Klagen auf dem Gebiet des UmwRG unter Berücksichtigung des Gebots eines effektiven Individualrechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einheitlich getroffen.910 Diese Argumentation lässt sich allerdings Art. 11 UVP-RL n. F. (vormals Art. 10a UVP-RL) nicht entnehmen. Zwar dürfen Umweltschutzvereinigungen auch im Rahmen von Art. 11 UVP-RL n. F. nicht benachteiligt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass das EU-Recht ohnehin gebietet, im gerichtlichen Verfahren einen „Gleichklang“ der Anforderungen an Verbände- und Individualklagen zu schaffen.911 Auf diese Weise legt der Gesetzgeber speziell für umweltrechtliche Angelegenheiten Vorgaben fest, die hinter den allgemeinen Bestimmungen der Verwaltungsprozessordnung bleiben, ohne dass ausreichende sachliche Gründe für diese Einschränkung sprechen.912 Als Gegengewicht zu dieser Bestimmung kann allerdings laut Gesetzgeber die Tatsache wirken, dass die Klagebegründungsfrist von § 4a Abs. 1 UmwRG auf Antrag durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter verlängert werden kann (§ 4a Abs. 1 S. 3 UmwRG). Dies aber hängt vom Ermessen des jeweiligen Vorsitzenden oder des Berichterstatters ab und ist nicht von vornherein garantiert. Außerdem ist diese Vorschrift nur auf Fälle anwendbar, die das UmwRG regelt (etwa auf Rechtsbehelfe gegen die Genehmigung einer Anlage, die die Behörde im förmlichen Verfahren gem. § 10 BImSchG erlassen hat) und nicht auf das gesamte Gebiet des Umweltrechts. Dabei ist diese Vorschrift nicht anwendbar, wenn die Anlage in vereinfachten Verfahren gem. § 19 BImSchG genehmigt wurde. Gleiches gilt auch für Klagen gegen zahlreiche sonstige Vorhaben.913 Betreffen somit die Klagen ein Projekt mit erheblicher Umweltrelevanz, das deswegen eine Vorprüfung des Einzelfalles und anschließend möglicherweise eine UVP durchlaufen muss, müssen diese Klagen i. d. R. innerhalb der sechswöchigen Begründungsfrist begründet werden. Wenn sich jedoch eine Klage gegen die Zulassung eines Projekts richtet, dessen Größe und Leistung unterhalb der maßgeblichen Werte in der Anlage 1 zum UVPG bleibt, kann dem Kläger eine längere Klagebegründungsfrist zur Verfügung stehen. Dies ist aber im Er909
H.-P. Michler, NuR 2013, S. 24. BT-Drs. 17/10957, S. 17 ff. 911 So die Stellungnahme von F. Fellenberg zu UmwRG-E von 18.10.2012, in: BTDrs. 17/10957, S. 9; H.-P. Michler, NuR 2013, S. 24. 912 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 10; vgl. auch BDVR, Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für ein Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (UmwRGÄndG), 21.06.2012, S. 2. 913 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 9. 910
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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gebnis wertwidersprüchlich und widersinnig. Denn diese Vorschrift legt für Fälle, die größere Umweltbeeinträchtigungen haben können und damit größeren Prüfungsaufwand seitens des Klägers erfordern, restriktivere Vorgaben fest als für jene, die weniger Umweltbeeinträchtigungen verursachen können. Es handelt sich schließlich um eine weitere Verstärkung der Asymmetrie zwischen dem Rechtsschutz des Vorhabenträgers und des Betroffenen.914 Darüber hinaus überzeugt die Argumentation des Gesetzgebers nicht, dass § 4a Abs. 1 UmwRG der Waffengleichheit zwischen Umweltnutzern und Umweltschützern dient.915 Vielmehr muss hierbei berücksichtigt werden, dass überindividuelle Rechtsbehelfe eher ein Gleichgewicht zwischen kollektiven Umweltinteressen und Umweltnutzerinteressen herstellen wollen. Dadurch wird der Umweltnutzer keinesfalls seiner Rechte beraubt.916 Ebenso wenig wird die Gesetzesbegründung, die einen Missbrauch überindividueller Rechtsbehelfe in der Vergangenheit unterstrich, scheinbar auf aktuelle empirische Untersuchungen gestützt.917 Verschiedene aktuelle Studien zeigen, dass Klagen anerkannter Umweltschutzvereinigungen trotz Ausweitung durch das UmwRG nicht zugenommen haben und zugleich eine hohe Erfolgsquote aufweisen.918 Daher könnte dann nicht die Rede von einer missbräuchlichen Erhe914
Ebd. BT-Drs. 17/10957, S. 30. 916 Vgl. S. Schalke, ZUR 2013, S. 201; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1045 ff. m.w. N. Hinsichtlich der Begründung der altruistischen VK s. u. 1. Teil, 2. Kap., C., I., 2. 917 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 79 ff.; A. Schmidt, ZUR 2011, S. 296 ff.; ders., NuR 2008, S. 544 ff.; ders., ZUR 2012, S. 216; A. Schmidt/F. Sperfeld, Vergleich oder Urteil bei umweltrechtlichen Verbandsklagen? Empirische Untersuchung der Entwicklung und der Inhalte von Vergleichsabschlüssen bei Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutzrecht, UfU, Dez. 2010, S. 3 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 77 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007; A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004. In diese Richtung auch S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201; UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 3 ff.; BT-Drs. 17/ 10957, S. 26 ff.; jeweils m.w. N.; a. A. W. Valendar, UPR 2008, S. 7 ff., m.w. N. 918 So z. B. zeigt eine Studie, dass Verbandsklagen an verwaltungsgerichtlichen Klagen durchschnittlich nur einen geringen Anteil von nur etwa 0,03 Prozent sämtlicher verwaltungsgerichtlicher Verfahren einnehmen; A. Schmidt, ZUR 2012, S. 210, S. 216; vgl. auch A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 79 ff.; A. Schmidt, ZUR 2011, S. 296 ff.; ders., NuR 2008, S. 544 ff.; A. Schmidt/F. Sperfeld, Vergleich oder Urteil bei umweltrechtlichen Verbandsklagen? Empirische Untersuchung der Entwicklung und der Inhalte von Vergleichsabschlüssen bei Verbandsklagen im Umweltund Naturschutzrecht, UfU, Dez. 2010, S. 3 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 77 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 334 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004. In diese Richtung auch S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201; UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 3 ff.; BT-Drs. 17/10957, S. 26 ff.; jeweils m.w. N.; s. 1. Teil, 2. Kap., C., I., 2. i.V. m. 1. Teil, 3. Kap., H., II. 915
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
bung von Verbandsklagen oder sogar von einer Überforderung der Gerichte sein. Somit kann auch nicht überzeugend für einen Bedarf für „Waffengleichheit“ zwischen Vorhabenträger und Umweltschützer argumentiert werden.919 In diese Richtung hat zutreffend auch der Bundesrat scharfe Kritik gegen den Regierungsentwurf (UmwRG-E) in Bezug auf die hier diskutierte Vorschrift ausgeübt.920
III. Gerichtliche Kontrolle bei Beurteilungsermächtigung der Behörde (§ 4a Abs. 2 UmwRG) § 4a Abs. 2 UmwRG bestimmt, dass, soweit der Verwaltungsbehörde bei der Anwendung umweltrechtlicher Vorschriften eine Beurteilungsermächtigung eingeräumt ist, eine behördliche Entscheidung im gerichtlichen Verfahren nur in begrenztem Ausmaß auf ihre Rechtmäßigkeit hin kontrolliert werden darf. Insofern ist laut § 4 Abs. 2 UmwRG eine solche behördliche Entscheidung im gerichtlichen Verfahren nur daraufhin zu überprüfen, ob 919
So auch H.-P. Michler, NuR 2013, S. 24, m.w. N. „[. . .] Das Ziel, ungerechtfertigte Verzögerungen zu verhindern, wäre zu begrüßen, wenn es eine derartige Gefahr gäbe und darüber hinaus die Regelung tatsächlich zur Verfahrensbeschleunigung beitragen bzw. Rechtssicherheit schaffen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zum einen ist die Zahl der umwelt- und naturschutzrechtlichen Verbandsklagen seit einigen Jahren rückläufig. Verbandsklagen haben mit 42,5 Prozent zudem eine vierfach höhere Erfolgsquote als andere verwaltungsgerichtliche Klagen. Dies zeigt, dass die Verbände auf Grund beschränkter personeller und finanzieller Ressourcen in der Vergangenheit und auch zukünftig sorgfältig entscheiden, in welchen Fällen eine Klage erfolgversprechend ist. Verfahrensbeschleunigungen haben in der Vergangenheit vielfach die Verfahren verkompliziert, neue Auslegungsprobleme geschaffen und letztlich eher zu einer Verzögerung von Verfahren geführt. Dies droht auch durch diese Regelung, mit der erneut für einen begrenzten Bereich Sonderrecht außerhalb der VwGO geschaffen wird. Inhaltlich nicht nachvollziehbar ist ferner, wieso bei der Genehmigung von aus umweltrechtlicher Sicht relevanteren Anlagen strengere prozessrechtliche Maßstäbe als sonst gelten sollen. Die Anforderungen des § 4a sollen sowohl bei Klagen von Umweltverbänden als auch bei Individualklagen anwendbar sein. Dies würde z. B. dazu führen, dass für Individualklagen in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung strengere prozessrechtliche Regelungen gelten als bei Individualklagen gegen Genehmigungsentscheidungen in formlosen Verfahren. Diese strengeren Regelungen sind auch mit einem hohen (europa-)rechtlichen Risiko verbunden. Es stellt sich schon die Frage, ob national gesehen damit nicht schon die Grenzen des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgebotes zumindest erreicht werden. Auf jeden Fall bestehen Bedenken, ob die Verschärfung prozessualer Anforderungen in diesem Bereich mit der Zielsetzung der Aarhus-Konvention und der einschlägigen EU-Umweltrichtlinien vereinbar ist, durch stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft den Umweltschutz zu stärken. Artikel 10a der UVP-Richtlinie verfolgt das Ziel, einen weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, d. h. den Zugang zu Gerichten zu erleichtern und nicht zu erschweren. Weil Anlass der Änderung des Gesetzes schon eine nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes fehlerhafte Umsetzung europäischen Rechtes ist [gemeint ist hier das sog. Trianel-Urteil des EuGH, EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; mehr dazu s. u. in 1. Teil, 4. Kap., A., II. ff.], sollte nicht erneut ein derartiges europarechtliches Risiko eingegangen werden.“ BT-Drs. 17/10957, S. 26 ff. 920
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1. der Sachverhalt vollständig und zutreffend erfasst wurde, 2. die Verfahrensregeln und die rechtlichen Bewertungsgrundsätze eingehalten wurden, 3. das anzuwendende Recht verkannt wurde, 4. sachfremde Erwägungen vorliegen. Diese Vorschrift begrenzt somit die gerichtliche Kontrolle bei Beurteilungsermächtigungen auf eine Art Plausibilitätsprüfung.921 § 4a Abs. 2 UmwRG spezifiziert lediglich die Aspekte der jeweils umstrittenen behördlichen Entscheidung, die das Gericht überprüfen kann.922 Unter Beurteilungsermächtigung ist die Befugnis einer Verwaltungsbehörde zu verstehen, bestimmte Umstände, die für eine verwaltungsrechtliche Entscheidung (z. B. für einen Verwaltungsakt) maßgeblich sind, aus eigener Kompetenz zu beurteilen, ohne dass ein Gericht diese Einschätzung vollständig nachprüfen kann.923 § 4a Abs. 2 UmwRG betrifft somit die Entscheidungen, bei denen die Verwaltungsbehörde einen Beurteilungsspielraum besitzt. Beurteilungsspielräume zeichnen sich dadurch aus, dass die gerichtliche Kontrolle bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ausnahmsweise eingeschränkt ist.924 Im Umwelt- und Technikrecht ist dies insbesondere bei Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen anerkannt.925 Es werden allerdings keine Beurteilungsspielräume für unbestimmte Rechtsbegriffe gelassen, die im Umwelt- und Technikrecht häufig eintreten und über die durch die Rechtsprechung anerkannten sowie erarbeiteten Prüfkriterien bei Beurteilungsspielräumen hinausgehen.926 Insoweit beinhaltet § 4 Abs. 2 UmwRG lediglich einen Verweis auf die bestehende Rechtsprechung. § 4a Abs. 2 UmwRG kommt insoweit keine über das derzeit geltende Recht und die einschlägige Rechtsprechung hinausgehende Bedeutung zu.927 Sie gibt lediglich entsprechende Grundsätze der bereits praktizierten Rechtsprechung des öffentlichen Rechts wieder.928 Diese Vorschrift hat eher eine prozessuale Bedeutung929 sowie eine deklaratorische Rolle, die zur Förderung der normativen Klarheit beitragen kann. Sie 921
S. Schlacke, ZUR 2013, S. 200. Ausführlich zu kontrollierbaren Gesichtspunkten dieser Norm im Einzelnen vgl.: T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 42 ff., m.w. N. 923 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 37. 924 S. Schlacke, ZUR 2013, S. 200, m.w. N. 925 Vgl. W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2012, Rn. 762, 769. 926 St. Rspr., BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 – 3 C 8.06, Rn. 38, NJW 2007, S. 2790 ff.; BVerwG, Urt. v. 03.03.1987 – 1 C 16.86, NJW 1987, S. 1429 ff. 927 S. Schlacke, ZUR 2013, S. 200. 928 BT-Drs. 17/10957, S. 18; BR-Drs. 469/12, S. 42. 929 Ebd. 922
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statuiert in der Praxis nichts Neues und scheint daher überflüssig zu sein.930 Darüber hinaus ist diese Normeinführung zu kritisieren, denn die Normierung der ständigen Rechtsprechung zur eingeschränkten Überprüfbarkeit schließt im Ergebnis eine dynamische rechtliche Fortentwicklung aus.931
IV. Sonderregelung zum einstweiligen Rechtsschutz im umweltbezogenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 4a Abs. 3 UmwRG) § 4a Abs. 3 UmwRG stellt eine Sonderregelung zum einstweiligen Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei Umweltrechtsbehelfen dar. Diese Norm enthält nämlich eine Modifizierung des Prüfmaßstabs für die Beurteilung eines Antrags auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer verwaltungsbehördlichen Maßnahme i. S. v. § 80a Abs. 5 VwGO.932 In diesem Zusammenhang muss hier berücksichtigt werden, dass die deutsche Rechtsprechung die Anforderungen bezüglich der Zulassung von Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz im Bereich des Umweltrechtsschutzes grundsätzlich restriktiv betrachtet.933 930 S. Schlacke, ZUR 2012, S. 394; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 37; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1046. 931 Vgl. K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 11; M. Sauer, ZUR 2014, S. 199; jeweils m.w. N. 932 BT-Drs. 17/10957, S. 18. 933 Vgl. u. a. BVerwG, Beschl. v. 20.05.2008 – 9 VR 10/08, BeckRS 2008, 35457. Mit diesem Beschluss hat das BVerwG teilweise die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verlegung der B 173 bei Flöha (Sachsen) angeordnet, weil im Klageverfahren schwierige Fragen insbesondere hinsichtlich des Schutzes von FFH-Gebieten und des Artenschutzes im Bereich des Flöhatals zu klären seien, deren Beantwortung sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend prognostizieren lasse. In diese Richtung auch BVerwG, Urt. v. 01.04.2005 – 9 VR 6/05, 9 VR 7/05, ZUR 2005, S. 534 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2007 – 1 S 58/07, juris; s. auch VGH Münster, Beschl. v. 09.01.2007 – 11 B 1431/06, NuR 2008, S. 45 ff.; das Gericht hat in diesem Fall gegenüber dem Vorwurf des Antragstellers, dass der Planfeststellungsbeschluss mit Blick auf den Artenschutz nach Art. 12 und 16 Abs. 2 FFH-RL an einem Ermittlungsdefizit wegen der im Plangebiet vorkommenden Fledermausarten leide, so argumentiert, dass das Artenschutzrecht sich insoweit für das Vorhaben nicht als rechtliches Hindernis erweist, weil rechtserhebliche Beeinträchtigungen geschützter Arten nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten bzw. etwa einschlägige Verbotstatbestände jedenfalls voraussichtlich durch Befreiungen zu überwinden sind. Angesichts ihrer sehr unterschiedlichen Habitatansprüche könne somit die erforderliche Gefährdungseinschätzung mangels konkreter Bestandserfassung für jede einzelne Art gar nicht erfolgen. Daher sei der umstrittene Beschluss abwägungsfehlerhaft. OVG Bautzen, Urt. v. 12.11.2007 – 5 BS 336/07, ZUR 2008, S. 45 ff. Das OVG Bautzen hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer VK, die zum Baustopp der Waldschlösschenbrücke Dresden geführt hat, abgelehnt. Klagegrund war vor allem der Artenschutz (Fledermäuse). Das Gericht hat Folgendes unterstrichen: „Die Tatsache, dass eine ernsthafte Beeinträchtigung durch den sog. Falleneffekt im Eilverfahren letztlich nicht ausgeschlossen werden kann, führt aber bei einer Abwägung der Interessen nicht
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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In Anlehnung an die Aussetzung der Vollziehung der Anforderungen von öffentlichen Abgaben und Kosten gem. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO sowie an die Voraussetzung der Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO knüpft diese Vorschrift die Befugnis des Gerichts, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ganz oder teilweise anzuordnen oder wiederherzustellen, an die Voraussetzung, dass „im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen“.934 Dem Wortlaut dieser Vorschrift nach ist das Bestehen von „ernstlichen Zweifeln“ an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes in jedem Fall unabdingbare Voraussetzung für die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.935 „Ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen der h. M. nach bereits, wenn es bei summarischer Prüfung ungewiss scheint, ob die angegriffene behördliche Entscheidung sich im Rahmen der maßgeblichen Vorschriften hält, d. h., dass der Erfolg der Klage offen sein soll.936 Dabei soll es bei der Auslegung der Rechtsfigur „ernstliche Zweifel“ insbesondere auf das Ausmaß der jeweils drohenden Rechtsverletzung ankommen.937 Es ist davon auszugehen, dass mit § 4a Abs. 3 UmwRG, „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bereits bestehen, wenn ein einzelner den Verwaltungsakt tragender Rechtssatz oder eine entscheidungserhebliche Tatsache schlüssig in Frage gestellt werden kann.938 dazu, dass die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss anzuordnen ist. OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.03.2008 – 7 MS 114/07, NuR 2008, S. 265 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 05.07.2007 – 2 S 25/07, ZUR 2008, S. 34 ff. Mit diesem Beschluss konnte das Klageziel, die Beseitigung der als FFH-Gebiet gemeldeten – von der Kommission aber noch nicht in die Auswahlliste aufgenommenen – Lakomaer Teiche zu verhindern, nicht erreicht werden. Danach ist eine Zerstörung dieses Gebiets nicht von vornherein unzulässig. Für das Vorhaben sprächen zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, insbesondere der Erhalt einer Vielzahl von Arbeitsplätzen in einer von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Region. Eine Alternativlösung sei nicht erkennbar, während gleichzeitig durch die Festlegung der notwendigen Ausgleichsmaßnahmen für die beeinträchtigten Arten und Lebensräume auch der Schutz der globalen Kohärenz von Natura 2000 sichergestellt sei. 934 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2013, S. 200 ff.; G.-A. Balensiefen, § 4a UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 5; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 51; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1046 ff.; jeweils m.w. N. 935 So die Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 27 ff. 936 BT-Drs. 17/10957, S. 18; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 54. Relevant ist auch die Sichtweise des BVerfG zur Interpretation von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Danach ist die Berufung dann zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen. Solche Zweifel liegen vor, „wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden“. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 – BvR 830.00, NVwZ 2000, S. 1164. 937 BT-Drs. 17/10957, S. 18. 938 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 52.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
In diesem Zusammenhang spielen etwa die Gesichtspunkte eine Rolle, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht, die behördliche Entscheidung sofort zu vollziehen, oder ob eine solche vorgezogene Realisierung des Vorhabens zu vollendeten Tatsachen führt, die sich nicht wieder rückgängig machen ließen.939 Die Formulierung des § 4 Abs. 3 UmwRG legt nahe, dass für die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung überwiegend die Erfolgsaussichten der Klage entscheidend sind, nicht jedoch die Vollzugsfolge.940 Insofern hängt die Stattgabe oder Nichtstattgabe des Antrags auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs von einer Abwägung ab, die sich maßgeblich auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache und die Bedeutung des sofortigen Vollzugs der jeweils umstrittenen Entscheidung beschränken.941 Dass diese Norm ausdrücklich nur auf den Begriff „ernstliche Zweifel“ abgestellt wird, spricht eher dafür, dass der gerichtliche Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes eingeschränkt ist.942 Es muss auch beachtet werden, dass die sofortige Vollziehung bezüglich ihrer Dringlichkeit besonders zu begründen ist. Diese Begründung erfolgt durch eine weitreichende Interessenabwägung, welche § 4a Abs. 3 UmwRG gerade nicht erlaubt.943 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf § 80 Abs. 4 VwGO, in dem auch der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts verwendet wird. Dieser Maßstab wird aber an dieser Stelle nicht als absolut gesetzt, sondern durch das weitere Prüfkriterium einer etwa vorliegenden unbilligen Härte ergänzt.944 § 4a Abs. 3 UmwRG kann somit nicht bloß als deklaratorische Norm verstanden werden, wie ein Teil der Theorie vertritt,945 also als eine Norm, die nichts Neues statuiert, sondern nur Regelungen hinsichtlich der gerichtlichen Beurteilung der Anordnung oder Wiederherstellung einer möglichen aufschiebenden Wirkung festschreibt, die sowieso gelten. Dass die Norm den Zusatz „im Rahmen einer Gesamtabwägung“ enthält, reicht jedenfalls nicht aus, um diese Auffassung zu rechtfertigen.
939
BVerwG, 01.03.2012 – 9 VR 7.11, Rn. 6 ff., NVwZ 2012, S. 571 ff. So die Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 27 ff. 941 Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, Rn. 5, NuR 2013, S. 640; F. Kopp/ W.-R. Schenke, § 80 VwGO, in: VwGO-Komm., 2012, Rn. 152 ff.; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 52; jeweils m.w. N. 942 Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 2. 943 Ebd. 944 Ebd. 945 Diese Auffassung wird insb. von T. Bunge vertreten: T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 15. 940
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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§ 4a Abs. 3 UmwRG schränkt somit den Entscheidungsspielraum des Gerichts hinsichtlich der Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes nur auf „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des jeweils umstrittenen Verwaltungsaktes ein und weicht daher teilweise von der durchzuführenden gerichtlichen Abwägung zwischen dem Vollzugsinteresse des Dritten (etwa des Vorhabenträgers) und dem Suspensivinteresse des Betroffenen (etwa einer Umweltschutzvereinigung) aufgrund der allgemeinen Regelung des § 80a Abs. 5 VwGO ab.946 § 4a Abs. 3 UmwRG verdrängt allerdings die Maßstäbe nach dem § 80 Abs. 5 VwGO im Übrigen nicht. Wie der Wortlaut des § 4a Abs. 3 UmwRG bestimmt, muss in jedem Fall eine Gesamtabwägung stattfinden.947 1. Zum Ungleichgewicht des § 4a Abs. 3 UmwRG in Bezug auf die Rechtspraxis Vor allem in Fällen, in denen es angesichts komplexer Sachverhalts- und Rechtsfragen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes einer von den Erfolgsaussichten unabhängigen Folgenabwägung bedarf (etwa bei komplexen umweltbelastenden Großvorhaben), ist das Erfordernis der „ernstlichen Zweifel“ des § 4a Abs. 3 UmwRG an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts aus juristischer praxisbezogener Sicht problematisch. Denn diese Regelung schränkt in der Praxis den vorläufigen Rechtsschutz in den häufig hochkomplexen Fällen des § 1 UmwRG ein. Gerade wegen dieser Komplexität und Schwierigkeit ist es in der zur Verfügung stehenden Zeit häufig schwer möglich, die Erfolgsaussichten bei solchen Fällen hinreichend eindeutig festzustellen. Demzufolge würden solche komplexen Fälle von der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ausgeklammert.948 Obwohl nach § 80 VwGO in entsprechenden Fällen außerhalb des UmwRG eine umfangreiche Interessenabwägung der Vollzugsfolgen i. d. R. erfolgt, scheint aber diese gerade für den Anwendungsbereich der Neuregelung des § 4 Abs. 3 UmwRG nicht möglich zu sein. Die Maßnahme könnte somit vollzogen werden, obwohl die Vollzugsfolgen für den Kläger beträchtlich negativ wären und angesichts der Erfolgsquote insbesondere von Verbandsklagen gute Aussichten bestehen, dass der Kläger mit der Klage obsiegen wird.949 Die aufschiebende Wirkung könnte vielmehr nur angeordnet oder wiederhergestellt werden, wenn der Sachverhalt und der Umfang der zu prüfenden Rechts946 S. Schlacke, ZUR 2013, S. 200 ff.; G.-A. Balensiefen, § 4a UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 5. 947 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 59. 948 Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 28; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 59. 949 Ebd.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
fragen es zulassen, ein solches Urteil über die Vereinbarkeit der behördlichen Entscheidung mit den zugrunde liegenden Vorschriften zu treffen. Damit könnte der vorläufige Rechtsschutz nur in einfacheren und weniger komplexen Fällen gewährleistet werden. Auf diese Weise scheint es, dass die hier diskutierte Vorschrift den Sofortvollzug gerade von Entscheidungen begünstigt, mit denen komplexe Großvorhaben zugelassen werden, die gleichwohl erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt verursachen können. Mit anderen Worten wird dadurch der einstweilige Rechtsschutz in besonders gravierenden, umweltbeeinträchtigenden Fällen deutlich eingeschränkt.950 Vor diesem Hintergrund könnte § 4a Abs. 3 UmwRG in der Praxis vielfach zur Versagung des Antrags auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Umwelt-Rechtsbehelfs führen. Damit wird aber auch für den Projektträger keine Rechtssicherheit geschaffen. Denn selbst der Projektträger muss bei Großvorhaben das Hauptsacheverfahren abwarten, um sichere Investitionen tätigen zu können. Umweltschutzvereinigungen lassen sich dadurch nicht davon abhalten, eine Klage gegen umstrittene Maßnahmen zu erheben. Deswegen kann diese neue Vorschrift des UmwRG in der Praxis auch nicht einer möglicherweise beabsichtigten Beschleunigung von Verfahren bei Großprojekten dienen.951 Dabei ist denkbar, dass diese Norm auch Fragen hinsichtlich ihrer unionsrechtlichen Konformität bezüglich der völker- und unionsrechtlichen Zielsetzung eines weiten und effektiven Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten aufwirft.952 Indizierend dafür ist die Tatsache, dass der EuGH festgestellt hat, dass die Anforderung des Art. 11 Abs. 3 UVP-RL n. F., „der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren“, auch vorläufigen Rechtsschutz einschließt, durch den verhindert werden muss, dass eine Anlage, die möglicherweise unter Verletzung der EU-Vorgaben genehmigt worden ist, bis zum Erlass einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Genehmigung weiterbetrieben wird.953 Zusammengefasst schafft § 4a Abs. 3 UmwRG einen weiteren außerhalb der VwGO liegenden Sondertatbestand, der die öffentliche umweltbezogene Rechts950 S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff.; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 15. 951 BDVR, Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für ein Gesetz zur Änderung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (UmwRGÄndG), 21.06.2012, S. 3 (BDVR Rundschreiben, 2012, S. 64 ff.); S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201; H.-P. Michler, NuR 2013, S. 23 ff. 952 1. Teil, 3. Kap., F., VI. 953 EuGH, Urt. v. 15.01.2013, C 416/10, Rn. 105 ff., Rn. 109 (Kriz ˇ an u. a./Slovenská inpekcia zˇivotného prostredia), NVwZ 2013, S. 347 ff.; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 15; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff.; s. 1. Teil, 4. Kap., B., IV. ff.
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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schutzordnung noch unübersichtlicher und unsicherer macht. Gleichzeitig schafft sie rechtlich dubiose Rechtsschutzhindernisse.954
V. Zur Geltung des § 4a Abs. 1–3 UmwRG auch für Beteiligte nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO (§ 4a Abs. 4 UmwRG) § 4a Abs. 4 UmwRG stellt klar, dass die oben skizzierten Regelungen der Absätze 1–3 UmwRG auch für Rechtsbehelfe von natürlichen und juristischen Personen bzw. Individualkläger i. S. v. § 61 Nr. 1 und 2 VwGO gelten. Dies bedeutet, dass von § 4a UmwRG nicht nur Verbandsklagen nach § 2 UmwRG, sondern alle Individual- und Verbandsklagen gegen Entscheidungen oder Genehmigungen i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG oder deren Unterbleiben erfasst werden.955 Damit reicht der Anwendungsbereich des § 4a UmwRG erheblich weiter als der der übrigen Vorschriften des UmwRG – abgesehen von der Sonderregelung des § 4 UmwRG.956 Diese Vorschrift entspricht im Wortlaut derjenigen in § 4 Abs. 3 UmwRG, so dass sich hier auf die oben dargestellte Analyse dieser Norm verweisen lässt.957
VI. Verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Bedenken § 4a UmwRG erzeugt Friktionen innerhalb des Systems des neuartigen deutschen überindividuellen umweltbezogenen Rechtsschutzes.958 Es wurde schon gezeigt, dass für die Zulassung von umweltrechtlich relevanten Vorhaben (u. a. UVP-pflichtige Anlagen) strengere prozessrechtliche Maßstäbe insbesondere bei der Klagebegründungsfrist hinsichtlich der Angabe von dienenden Tatsachen und Beweismitteln (§ 4a Abs. 1 UmwRG), bei der Überprüfung der behördlichen Entscheidungen im Rahmen des UmwRG (gem. 4a Abs. 2 UmwRG) sowie bei der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer umweltbezogenen Entscheidung für Individualkläger (§ 4a Abs. 3 UmwRG) gelten als für übrige verwaltungsrechtliche Verfahren. Außerdem ist auch die Tatsache zu beachten, dass die Anforderungen des § 4a Abs. 1–3 UmwRG nicht nur bei altruistischen VK, sondern auch bei Individualklagen anwendbar sind (§ 4a Abs. 4 UmwRG). Daraus folgt beispielsweise, dass z. B. für Individualklagen in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfah-
954 In diese Richtung auch die Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 28. 955 G.-A. Balensiefen, § 4 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 6. 956 T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 10. 957 1. Teil, 3. Kap., E., V., 5. 958 S. Schlacke, ZUR 2012, S. 2012, S. 394.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
ren mit Öffentlichkeitsbeteiligung strengere prozessrechtliche Regelungen gelten als bei Individualklagen gegen Genehmigungsentscheidungen in formlosen Verfahren.959 Angesichts der Tatsache, dass der Rechtsschutzgrundsatz des Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen einen Anspruch auf Gewährung möglichst wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutzes verleihen soll,960 entstehen zu Recht Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der oben dargestellten Vorschriften von § 4a UmwRG i.V. m. dem Rechtsschutzgrundsatz des Art. 19 Abs. 4 GG. Denn es ist offensichtlich, dass diese Vorschriften im Ergebnis zu einer Einschränkung der umweltbezogenen Verfahrensmodalitäten im Rahmen des UmwRG führen. Eine strengere Gestaltung der Verfahrensmodalitäten in diesem Bereich und im Vergleich zum entsprechenden Rechtsschutzverfahren bei Entscheidungen außerhalb des UmwRG erschwert – wie oben gezeigt wurde961 – in nicht hinreichend zu rechtfertigender Weise die gerichtliche Prüfung der jeweils umstrittenen Entscheidungen im gerichtlichen Verfahren sowie den Zugang zu Gerichten für die Rechtssubjekte. Sie führt im Ergebnis zu einer Zersplitterung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten und bedeutet m. E. einen unangemessenen Eingriff in die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.962 Dabei ist es zumindest zweifelhaft, ob die einschränkenden Maßstäbe des § 4a UmwRG unionsrechtskonform sind. Die oben skizzierten Abweichungen des § 4a UmwRG von den allgemein geltenden Vorschriften der VwGO verschärfen deutlich die prozessualen Anforderungen an Umwelt-Rechtsbehelfe. Es scheint, dass dadurch die Ausübung der durch die UVP-RL (gem. 11 UVP-RL n. F.) und IE-RL (gem. Art. 25 IE-RL) verliehenen Rechte, die einen weiten Zugang zu Gerichten gewährleisten, übermäßig erschwert wird. In diesem Zusammenhang hat die aktuelle Rechtsprechung des EuGH neben dem Trianel-Urteil963 auch in seinem Djurgården-Urteil964 sowie seinem Braunbären-Urteil965 gezeigt, dass der EuGH die Anforderungen der AK und der ÖB-RL sehr ernst nimmt und Be959
BR-Drs. 469/12 Beschl. v. 21.09.2012, S. 5; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201. Vgl. C. Enders, Art. 19 Abs. 4 GG, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOKGG, 2013, Rn. 51 ff., m.w. N. 961 s. 1. Teil, 3. Kap., F., II., 1.; 1. Teil, 3. Kap., F., III.; 1. Teil, 3. Kap., F., IV., 1. 962 Zum Begriff des Eingriffs in die Rechtsweggarantie von Art. 19 Abs. 4 GG vgl. u. a. H. Sodan, Art. 19 GG, in: ders. (Hrsg.), GG-Komm., 2011, Rn. 33, m.w. N. 963 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.; s. mehr dazu in 1. Teil, 4. Kap., A., I., 2. ff. 964 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.; s. 1. Teil, 3. Kap., F., VI., 3., c). 965 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 960
F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG)
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schränkungen des erforderlichen weiten Zugangs zu Gerichten sowie eine Beschränkung der Kontrolle formeller und materieller Fehler nicht ohne weiteres hinnimmt.966 Es liegt daher nahe, dass eine solche Praxis gegen das Effektivitätsgebot verstößt967 und dass § 4a UmwRG nicht in Einklang mit den unionalen Vorgaben des Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL steht. Es ist auch zweifelhaft, ob § 4a UmwRG dem Äquivalenzgebot968 hinreichend Rechnung trägt. Denn es scheint, dass vor allem die nationale gerichtliche Kontrolle, die die oben dargestellten restriktiven Verfahrensbestimmungen des § 4a Abs. 2 und 3 UmwRG einführen, hinter dem relativ weiten Nachprüfungsstandard, den der EuGH selbst im Bereich des Umweltrechtsschutzes vornimmt,969 bleibt,970 wonach es auch im Rahmen der Umsetzung der AK Aufgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung sei, den Schutz der Rechte Einzelner zu gewährleisten, so dass schließlich eine vollständige Überprüfung der materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit in Bezug auf die Einhaltung der dem Umweltschutz dienenden rechtlichen Vorgaben gewährleistet werden muss.971 Angesichts der oben dargestellten Problematik scheint m. E. die Vorschrift des § 4a UmwRG unnötig zu sein. Denn sie verursacht mehr Probleme, als sie wirklich löst. Es wäre daher empfehlenswert, diese Norm komplett zu streichen, vor allem, um einen erneuten Verstoß des UmwRG gegen das EU-Recht zu vermeiden.972
966
S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff. EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-04599, Rn. 12 (Peterbroeck, Van Campenhout & Cie/Belgischer Staat), DVBl 1996, S. 249 ff.; EuGH, Urt. v. 01.12. 1998, Rs. C-326/96, Slg. 1998, I-7835, Rn. 18 (B. S. Levez/T. H. Jennings, Harlow Pools Ltd.). 968 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff. 969 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; s. 1. Teil, 4. Kap., B., V., 1. ff.; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 43 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NordrheinWestfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802; s. 1. Teil, 4. Kap., A., II., 2. 970 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.1999, Rs. C – 120/97, Slg. 1999, I-00223, Rn. 32 (Upjohn Ltd/The Licensing Authority u. a.), EuZW 1999, S. 503; S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201 ff. 971 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 ff., ZUR 2011, S. 320 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky); vgl. A. Schink, EurUP 2003, S. 27 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410 ff.; J. Falke, in: ders./S. Schlacke (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz – Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2003, S. 99 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 230; S. Schlacke, UVP-Report 2005, S. 67 ff.; dies., ZUR 2004, S. 129 ff. 972 In diese Richtung auch BT-Drs. 17/10957, S. 26 ff.; S. Schlacke, ZUR 2012, S. 2012, S. 394. 967
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
VII. Fazit § 4a UmwRG errichtet Hindernisse hinsichtlich der Bedingungen, unter denen Umweltschutzvereinigungen und Betroffene die Zulassung von umweltbeeinträchtigenden Vorhaben anfechten können. Im Allgemeinen schafft die neu eingefügte Norm des § 4a Abs. 1 UmwRG einen zeitlichen und inhaltlichen Begründungsdruck für die Umweltverbands- und Individualkläger, der aufgrund der oftmals zugrunde liegenden komplexen Sachverhalte als hoch einzustufen ist. Mit § 4a Abs. 1 UmwRG stellt somit der Gesetzgeber für umweltrechtliche Angelegenheiten bestimmte Vorgaben fest, die hinter den allgemeinen Bestimmungen der Verwaltungsprozessordnung zurückbleiben, ohne dass jedoch ausreichende sachliche Gründe für diese Einschränkung sprechen. Die sechswöchige Klagebegründungsfrist des § 4a Abs. 1 UmwRG erweist sich in der Praxis als zu eng für die Kläger. Dies gilt insbesondere, wenn die Zulassung größerer Infrastrukturprojekte angefochten wird. Insbesondere für individuelle Kläger dürfte es i. d. R. schwieriger sein – im Vergleich zu den Umweltschutzvereinigungen – ihre Klage innerhalb der sechswöchigen Frist des § 4a Abs. 1 UmwRG zu begründen. Zwar kann eine solche Konsequenz durch die ebenfalls eingeführte Möglichkeit der Verlängerung der Begründungsfrist durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter vermieden werden. Dies scheint aber nicht genug, um eine derartige Einschränkung des umweltbezogenen Rechtsschutzes zu rechtfertigen. § 4a Abs. 2 UmwRG begrenzt die gerichtliche Kontrolle bei Beurteilungsermächtigungen auf eine Art Plausibilitätsprüfung und konkretisiert einschränkend die Aspekte der jeweils umstrittenen behördlichen Entscheidung, die das jeweils zuständige Gericht in einem Verfahren überprüfen soll. Sie trägt allerdings nichts Neues bei, sondern gibt Grundsätze der bereits praktizierten Rechtsprechung des öffentlichen Rechts wieder und schließt im Ergebnis die Möglichkeit einer dynamischen Rechtsmodifizierung aus. Daher scheint sie überflüssig zu sein. § 4a Abs. 3 UmwRG stellt eine Sonderregelung zum einstweiligen Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei Umweltrechtsbehelfen dar. Es handelt sich um eine Modifizierung des Prüfmaßstabs für die Beurteilung eines Antrags auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer verwaltungsbehördlichen Maßnahme i. S. v. § 80a Abs. 5 VwGO. Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 UmwRG ergibt sich, dass für die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung überwiegend die Erfolgsaussichten der Klage entscheidend sind, nicht jedoch die Vollzugsfolge. Insoweit schränkt auch diese Vorschrift den gerichtlichen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes ein. Dies führt im Ergebnis zu einer Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes insbesondere bei den häufig hochkomplexen Fällen des § 1 UmwRG.
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG)
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Auch eine solche Einschränkung erweist sich als problematisch, denn dadurch wird vor allem der Sofortvollzug von Entscheidungen begünstigt, mit denen komplexe Großvorhaben zugelassen werden, die gleichwohl erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt verursachen können. Dies könnte aber vielfach zur Versagung des Antrags auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Umwelt-Rechtsbehelfs führen, was sich zulasten der Rechtssicherheit und im Allgemeinen des Rechtsschutzes auswirken könnte. Der prozessuale Sonderweg, den § 4a UmwRG beschreitet, führt durchaus zu rechtssystematischen Inkohärenzen und Friktionen im Bereich des nationalen Umweltrechtsschutzes. Im Ergebnis scheinen die Verfahrensvorschriften des § 4a UmwRG die Ausübung der durch die EU-Rechtsordnung verliehenen Rechte, die einen weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gewährleisten, übermäßig zu erschweren. Es ist daher denkbar, dass sie gegen das Effektivitätsund Äquivalenzgebot verstoßen. Gleichzeitig bilden sie einen unangemessenen Eingriff in die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Es ist daher davon auszugehen, dass § 4a UmwRG eine prozessuale Feigenblattlösung darstellt, was letztlich das Beheben von Fehlgewichtungen im materiellen Recht in der Praxis schwieriger macht. Daher ist die Aufhebung dieser Vorschrift empfehlenswert. Dies geschah schließlich durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017.973
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG) Vor der Einführung des § 5 UmwRG vom 20.11.2015974, war § 5 UmwRG a. F. vom 21.01.2013975 gültig. Diese Vorschrift traf Übergangsregelungen für 973
s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., VIII. § 5 UmwRG vom 20.11.2015 lautet: „Dieses Gesetz gilt für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2, die nach dem 25. Juni 2005 ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Abweichend von Satz 1 ist § 4a Absatz 1 nur auf solche in Satz 1 genannten Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind.“ 975 § 5 UmwRG a. F. (in der Fassung vom 21.01.2013) lautete: „(1) Dieses Gesetz gilt für Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1, die nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden sind oder hätten eingeleitet werden müssen; Halbsatz 1 findet keine Anwendung auf Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1, die vor dem 15. Dezember 2006 Bestandskraft erlangt haben. (2) Anerkennungen nach § 3 dieses Gesetzes in der Fassung vom 28. Februar 2010, nach § 59 des Bundesnaturschutzgesetzes in der Fassung vom 28. Februar 2010 oder auf Grund landesrechtlicher Vorschriften im Rahmen des § 60 des Bundesnaturschutzgesetzes in der Fassung vom 28. Februar 2010, die vor dem 1. März 2010 erteilt worden sind, sowie Anerkennungen des Bundes und der Länder nach § 29 des Bundesnaturschutzgesetzes in der bis zum 3. April 2002 geltenden Fassung gelten als Anerkennungen im Sinne dieses Gesetzes fort. (3) Bereits begonnene Anerkennungsverfahren, die auf dieses Gesetz gestützt werden, sind nach den bis zum 1. März 2010 geltenden Rechtsvorschriften vom Umweltbundesamt zu Ende zu führen. 974
506
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Verfahren i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG a. F., die noch vor dem Inkrafttreten des UmwRG am 15.12.2006, aber nach Ablauf der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungsfrist gem. Art. 6 Abs. 1 der ÖB-RL (2003/35/EG) am 25.06.2005 eingeleitet worden waren oder hätten eingeleitet werden müssen (§ 5 Abs. 1 UmwRG a. F.). Darüber hinaus enthielt diese Vorschrift Übergangsregelungen bezüglich der Fortgeltung der bei Inkrafttreten der Neuregelung des Anerkennungsverfahrens zum 01.03.2010 bereits erfolgten Anerkennungen (§ 5 Abs. 2 UmwRG a. F.) sowie für die Fortführung laufender Anerkennungsverfahren (§ 5 Abs. 3 UmwRG a. F.).976 Parallel dazu legte der Gesetzgeber – unter dem Einfluss des sog. Trianel-Urteils des EuGH – durch die Gesetzesänderung des Absatz 4 des § 5 UmwRG a. F. vom 21.01.2013977 fest, welche Vorschriften für Rechtsbehelfsverfahren gelten, die am Tag der Verkündung des oben genannten EuGH-Urteils, dem 12.05.2011, bereits liefen oder danach eingeleitet wurden, aber bei Inkrafttreten der oben erwähnten Gesetzesänderung am 29.01.2013 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren.978 Da insbesondere § 5 Abs. 1 UmwRG a. F. nicht vereinbar mit dem EU-Recht war, wie das Altrip-Urteil des EuGH festgestellt hat,979 und Absätze 2 bis 4 als überflüssig und ohne Bedeutung betrachtet wurden, wurde nunmehr § 5 UmwRG a. F. durch den neugefassten § 5 UmwRG vom 20.11.2015 ersetzt.
I. Zeitliche Geltung des UmwRG gem. § 5 Abs. 1 und 4 UmwRG a. F. vom 21.01.2013 § 5 Abs. 1 UmwRG a. F. regelte den Anwendungsbereich des UmwRG vom 21.01.2013 in zeitlicher Hinsicht. Insoweit legte es ihm rückwirkende Geltung bei. Denn diese Norm sollte für die behördlichen Verfahren, die zu den in § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG genannten Entscheidungen führen können, – nicht aber auch für Rechtsbehelfsverfahren – maßgeblich sein.980 Diese behördlichen Verfahren (4) Entscheidungsverfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, Genehmigungsverfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder Rechtsbehelfsverfahren nach § 2, die am 12. Mai 2011 anhängig waren oder nach diesem Tag eingeleitet worden sind und die am 29. Januar 2013 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen worden sind, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes in der ab dem 29. Januar 2013 geltenden Fassung zu Ende zu führen. Abweichend von Satz 1 findet § 4a Absatz 1 nur auf gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren Anwendung, die ab dem 29. Januar 2013 eingeleitet worden sind.“ 976 F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 1 ff. 977 BGBl. I, S. 95. 978 Vgl. T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 9 ff. 979 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 27 (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 980 BT-Drs. 16/2495, S. 14 ff.; B. Schieferdecker, § 5 UmwRG, in: W. Hoppe/Beckmann, UVPG, 2012, Rn. 9.
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG)
507
müssten nach dem 25.06.2005 (Ablauf der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungsfrist der ÖB-RL) eingeleitet worden sein oder sie hätten eingeleitet werden müssen (§ 5 Abs. 1 S. 1 UmwRG a. F.).981 Auf der anderen Seite waren Entscheidungen, die vor dem 15.12.2006, nämlich vor dem Inkrafttreten des UmwRG, bereits bestandskräftig geworden waren, von der Geltung dieses Gesetzes ausgenommen (§ 5 Abs. 1 HS 2 UmwRG a. F.). Dies war aber bereits klar, da ein formell bestandskräftiger Verwaltungsakt per definitionem nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen werden kann.982 Ein behördliches Verwaltungsverfahren im Sinne dieser Norm wird grundsätzlich durch den Antrag des Projektträgers auf Zulassung seines Vorhabens eingeleitet.983 Die Einleitung eines dem eigentlichen Genehmigungsverfahren vorgelagerten Scoping-Verfahrens reicht dafür nicht aus.984 Bei Planfeststellungen ist jedoch das Einreichen des Plans verfahrensrechtlich als Antrag zu verstehen.985 Maßgeblich für die Einleitung eines Verfahrens ist der Zugang des Antrags bei der zuständigen Behörde. Es spielt allerdings keine Rolle, ob der Zulassungsantrag alle erforderlichen Angaben und Unterlagen enthält und somit vollständig ist.986 Ändert sich der Antrag nach dessen Zugang bei der Behörde, besteht dadurch keine Einleitung des Verfahrens. Anderes gilt bei dem Fall, in dem der Antragsteller seinen zunächst gestellten Antrag zurücknimmt und später nach dem 25.06.2005 einen neuen Antrag stellt. War das behördliche Verfahren am 25.06. 2005 bereits eingeleitet, so dürfte dieses nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG vom 21.01.2013 fallen.987 Bei Teilentscheidungen (Vorbescheid, Teilgenehmigung) dürften die jeweiligen Genehmigungsabschnitte isoliert zu betrachten sein.988 Hat z. B. die Behörde zunächst einen Vorbescheid nach § 8 BImSchG und anschließend eine Genehmigung nach § 10 BImSchG erteilt, war nach § 5 Abs. 1 S. 1 UmwRG a. F. der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Genehmigung erteilt wurde.989 Weitere Teil981
T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 6 ff. F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 19, m.w. N. 983 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, Rn. 88, ZUR 2012, S. 678 ff. 984 Ebd., Rn. 85 ff. 985 T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 24, m.w. N. 986 F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 6; T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 25. 987 T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 25. 988 F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 7. 989 T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 28. 982
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
zulassungen (vgl. § 13 Abs. 2 UVPG), die nach dem Stichtag beantragt wurden, konnten den Anwendungsbereich des Gesetzes daher eröffnen.990 Kein neues Verfahren in diesem Sinne sollte ein ergänzendes Verfahren zur Fehlerbehebung sein, da es nur ein unselbständiger Abschnitt eines einheitlichen Planfeststellungsverfahrens ist.991 Was den Satz „Verfahren, die nach dem 25.06.2005 . . . hätten eingeleitet werden müssen“ betraf, waren solche Verfahren, insbesondere Fälle des § 1 Abs. 1 S. 2 UmwRG a. F., gemeint, in denen entgegen geltenden Vorschriften keine Entscheidung getroffen worden war. Dazu gehörte z. B. die Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage durch den Betreiber, ohne dass dieser zuvor die dafür vorgeschriebene Genehmigung beantragt hat.992 Auch das Unterbleiben einer an sich erforderlichen nachträglichen Anordnung war hier einzuordnen.993 Bei solchen Verfahren war das Gesetz nur anzuwenden, wenn sich der Anlass zur Einleitung des Verfahrens erst nach dem 25.06.2005 ergeben hat. Demzufolge bezog sich diese Vorschrift nicht auf Vorhaben, die schon vor diesem Zeitpunkt ohne die erforderliche Zulassung durchgeführt worden waren. Das Fortdauern des pflichtwidrigen Unterlassens einer Verfahrenseinleitung nach dem 25.06.2005 eröffnete daher nicht den Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes.994 Im Ergebnis richtete sich somit nach § 5 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 der Rechtsschutz gegen Zulassungsentscheidungen, die vor dem 25.06.2005 bereits ergangen oder bei denen die vorher eingeleiteten Verwaltungsverfahren an diesem Tag noch nicht abgeschlossen waren, nach den Bestimmungen der VwGO und ggf. der anderen einschlägigen fachgesetzlichen Vorschriften des Bundes- oder Landesrechts, nicht aber nach den Vorschriften des UmwRG a. F.995 Zu beachten ist auch die mit der Novellierung des UmwRG vom 21.01.2013 eingefügte Vorschrift des § 5 Abs. 4 UmwRG a. F. Diese Vorschrift betraf bestimmte Verfahren, die am Tag der Veröffentlichung des sog. Trianel-Urteils des EuGH, nämlich am 12.05.2011,996 anhängig waren oder nach diesem Tag eingeleitet worden waren, sowie Verfahren, die am 29.01.2013 (Geltungstermin des UmwRG vom 21.01.2013) noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren. Es han990
OVG Lüneburg, Urt. v. 08.05.2012 – 12 KS 5/10, Rn. 19, ZUR 2012, S. 562 ff. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 19/95, NVwZ 1997, S. 905 ff. 992 BT-Drs. 16/2495, S. 24. 993 T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 32 ff. 994 BT-Drs. 16/2495, S. 14 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 17 ff. 995 G.-A. Balensiefen, § 5 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 1; BR-Drs. 552/06, S. 26. 996 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg,), NuR 2011, S. 423 ff.; mehr dazu s. u. 1. Teil, 4. Kap., A. ff. 991
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG)
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delte sich um Entscheidungsverfahren nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. vom 21.01.2013., Genehmigungsverfahren nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG a. F. vom 21.01.2013 oder Rechtsbehelfsverfahren nach § 2 UmwRG a. F. vom 21.01.2013. Diese Verfahren waren nach den Vorschriften des UmwRG a. F. in der ab dem 29.01.2013 geltenden Fassung zu Ende zu führen. Mit anderen Worten wurde dadurch bestimmt, dass für jene Verfahren, die am 25.06.2005 (also dem Ablauf der EU-rechtlichen Umsetzungsfrist der ÖB-RL) bereits liefen und vor dem 12.05.2011 (Tag des sog. Trianel Urteils des EuGH) abgeschlossen wurden, die frühere nach dem Trianel-Urteil des EuGH unionsrechtswidrige Bestimmung der älteren, ursprünglichen Fassung des § 2 Abs. 1 und Abs. 5 UmwRG vom 07.12.2006 galt.997 Von der oben dargestellten Rückwirkung war gem. § 5 Abs. 4 S. 2 UmwRG vom 21.01.2013 die Bestimmung über die Klagebegründungsfrist (§ 4a Abs. 1 UmwRG) ausgenommen, weil sie einschränkenden Charakter hat. Andererseits aber galten zusätzlich die Vorgaben des § 4a Abs. 2, 3 UmwRG a. F. seit dem 12.05.2011. 1. Unionsrechtliche Bedenken Die Vereinbarkeit des strengen Stichtagprinzips des § 5 Abs. 1 UmwRG mit den unionsrechtlichen Vorgaben war von Anfang an umstritten. Das BVerwG hat die Anwendbarkeit des UmwRG für vor dem 25.06.2006 eingeleitete Verfahren zunächst offen gelassen.998 Vor diesem unsicheren rechtlichen Hintergrund hat das BVerwG in einem Vorlagebeschluss vom 10.01.2012999 anlässlich einer 997
Mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., A. sowie 1. Teil, 4. Kap., A. ff. BVerwG, Beschl. v. 14.09.2010 – 7 B 15/10, Rn. 18, NVwZ 2011, S. 364 ff. 999 BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, Rn. 35, ZUR 2012, S. 248 ff. Auf die oben skizzierte Frage, die zusammen mit anderen Fragen durch den Vorlagebeschluss vor dem EuGH erhoben wurde, nahm der EuGH Stellung. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war ein Planfeststellungsbeschluss für eine 327-ha-große Hochwasserrückhaltefläche, die teils ungesteuert, teils gesteuert Hochwasser des Rheins aufnehmen soll. Im vorgesehenen Überschwemmungsbereich befinden sich vor allem landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und Waldflächen. Ein Teil der ungesteuerten Rückhaltung sollte in einem FFH-Gebiet verwirklicht werden. Anlass des Vorlagebeschlusses war die Klage der rheinland-pfälzischen Gemeinde Altrip, deren Gemeindefläche zu 12 % von dem Vorhaben in Anspruch genommen werden sollte und die im Vorhabensbereich zusätzlich Grundstückseigentum hat. Daneben klagten eine im Obst- und Gemüseanbau tätige Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Eigentümerin und Pächterin mehrerer Grundstücke und der Eigentümer eines Wohngrundstücks und mehrerer Campingplatzgrundstücke, die jeweils im vorgesehenen Überschwemmungsgebiet lagen. Sie trugen vor, dass verschiedene Defizite der durchgeführten UVP existierten. Das VG Neustadt (VG Neustadt, 13.12.2007 – 4 K 1219/06.NW, NuR Berg8, S. 279 ff.) sowie das OVG Koblenz (OVG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 – 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 316 ff.) hatten allerdings die Klagen jeweils unter Verweis auf das vor Inkrafttreten des UmwRG begonnene Zulassungsverfahren zurückgewiesen. In diesem Fall sei das UmwRG nach seinem § 5 Abs. 1 nicht anwendbar. Hiergegen richtete sich die Revision der Kläger vor dem BVerwG. Diese sah die Rechtsfragen der zeitlichen Geltung des UmwRG sowie 998
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Klage der Gemeinde Altrip u. a. dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 6 der ÖB-RL dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet gewesen sind, die zur Umsetzung von Art. 10a der UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL) erlassenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für solche behördlichen Zulassungsverfahren für anwendbar zu erklären, die zwar vor dem 25.06.2005 eingeleitet worden waren, in denen die relevanten Zulassungen aber erst nach diesem Zeitpunkt erteilt wurden. Diese Rechtslage war unklar, denn der europäische Gesetzgeber hat insbesondere darauf verzichtet, für zum Zeitpunkt des Stichtags bereits eingeleitete Verfahren eine Rückwirkungsverpflichtung zu begründen.1000 In diesem Rahmen enthält die ÖB-RL zur Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs nur spärliche Vorgaben. Art. 6 ÖB-RL bestimmt nur, dass die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der ÖB-RL bis zum 25.06.2005 nachzukommen. Auf der anderen Seite geht allerdings der EuGH in ständiger Rechtsprechung von einem Regel-Ausnahmeverhältnis aus. Laut dieser Ansicht sind Verfahrensvorschriften grundsätzlich auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Streitigkeiten anwendbar, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten.1001 Diese jedenfalls bei Verfahrensvorschriften eingreifende „Sofortwirkung“ unionsrechtlicher Rechtsvorschriften ist hiernach die Regel. Abweichendes kann allerdings aus Gründen des Vertrauensschutzes gelten. So hat der EuGH in Bezug auf die UVP-RL anerkannt, dass nationale Übergangsregelungen auch ohne ausdrückliche Regelung in der UVP-RL aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität zulässig sein können. In diesem Rahmen können Verfahren, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der UVP-RL (03.07.1988) bereits förmlich eingeleitet worden waren und zu diesem Zeitpunkt noch liefen, keiner UVP unterzogen werden. Diese Privilegierung laufender Verfahren wurde damit begründet, dass die UVP-RL überwiegend Projekte größeren Umfangs betreffe. Darüber hinaus werVorträge der Kläger hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Fehlerfolgenregelung des § 4 UmwRG a. F. als entscheidungserheblich an und veranlasste mit seinem Beschluss die Vorlage an den EuGH. Vgl. C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff. 1000 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.06.2008 – 11 S 35/07, NVwZ-RR 2008, S. 770 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 – 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 316 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 11 ff., m.w. N. 1001 EuGH, Urt. v. 14.11.2002 – Rs. C-251/00, Slg. 2002, I-10 433, Rn. 29 (Ilumitrónica/Electrónica Chefe da Divisão de Procedimentos Aduaneiros e Fiscais u. a.); EuGH, Urt. v. 07.09.1999 – Rs. C 61/98, Slg. 1999, I-5003, Rn. 13 (De Haan/Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen Rotterdam); F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 14, m.w. N.
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den i. d. R. die von der UVP-RL erfassten Projekte typischerweise in komplexen zeitaufwendigen Verfahren genehmigt. Diese Projekte sollten somit nicht nach ihrer Einleitung durch die zusätzlichen Anforderungen des UVP-Rechts belastet und verzögert werden. Auch eine dadurch ggf. zu befürchtende Beeinträchtigung schon entstandener Rechtspositionen sollte damit vermieden werden.1002 Was § 5 Abs. 4 UmwRG vom 21.01.2013 anging, erwies sich vor allem die bereits oben dargestellte zeitliche Begrenzung dieser Norm als unionsrechtswidrig. Problematisch war vor allem, dass § 5 Abs. 4 UmwRG a. F. auf Entscheidungsverfahren, Genehmigungsverfahren oder Rechtsbehelfsverfahren beschränkt war, die am 12.05.2011 anhängig waren oder nach diesem Tag eingeleitet worden waren und die am 29.01.2013 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen worden waren. Daraus folgte, dass jedes andere Verfahren noch immer unter die ursprüngliche unionsrechtsproblematische Fassung des UmwRG vom 07.12. 20061003 fiel, wonach die betroffene Öffentlichkeit (insb. anerkannte Umweltschutzvereinigungen) nur die Verletzung solcher Rechtsvorschriften rügen konnten, die Rechte Einzelner begründeten (vgl. § 2 Abs. 1 und 5 UmwRG vom 07.12. 2006). Da aber die Umweltverbände seit dem 25.06.2005 (Stichtag für die Umsetzung der ÖB-RL gem. Art. 6 ÖB-RL)1004 über einen privilegierten Zugang zu den Gerichten verfügen und die zur Umsetzung der im vorgenannten Artikel ergangenen Vorschriften des deutschen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten müssten, die vor dem 25.06.2005 eingeleitet worden waren, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde, kann der Schluss gezogen werden, dass die Bundesrepublik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 11 der UVP-RL n. F. und Art. 25 der IE-RL verstoßen hat, weil sie nach der Fassung von § 5 Abs. 4 UmwRG das Recht der Umweltverbände auf privilegierten Zugang zu Gerichten zeitlich beschränkt hat.1005 1002 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.08.1995, Slg. 1995, I-2189, Rn. 29, 32 (Kommission/ Deutschland); EuGH, Urt. v. 18.06.1998, Rs. C-81/96, Slg. 1998, I-3923, Rn. 23 ff. (Burgemeester en Wethouders van Haarlemmerliede en Spaarnwoude u. a./Gedeputeerde Staten van Noord-Holland); EuGH, Urt. v. 15.01.2013, C 416/10, Rn. 94 (Krizˇan u. a./Slovenská inpekcia zˇivotného prostredia), NVwZ 2013, S. 347 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 25 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; Anm. dazu C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; bezüglich der FFH-RL in dieselbe Richtung auch EuGH, Urt. v. 23.03.2006, Rs. C-209/04, Slg. 2006, S. I-2755, Rn. 56 ff. (Kommission/Österreich), NuR 2006, S. 429 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 5 UmwRG, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 15; T. Bunge, § 5 UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 12; jeweils m.w. N. 1003 BGBl. II, 2006, Nr. 31 v. 15.12.2006, S. 1251 ff. 1004 Denn nach Art. 6 der ÖB-RL (Nr. 2003/35) müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, um der Richtlinie ab dem 25. Juni 2005 nachzukommen. 1005 Vgl. GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 144 ff. (Kommission/Deutschland), curia.europa.eu.
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2. Das EuGH-Urteil „Altrip“ zur Frage der zeitlichen Anwendbarkeit des § 10a UVP-RL a. F. Hinsichtlich der zeitlichen Anwendbarkeit des § 10a UVP-RL a. F. (nunmehr § 11 UVP-RL n. F.) hat der EuGH festgestellt, dass die Erschwernisse und Verzögerungen in Bezug auf Verfahren, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der UVP-RL (03.07.1988) bereits förmlich eingeleitet worden waren und zu diesem Zeitpunkt noch liefen, nicht in der Eröffnung des Zugangs zu Rechtsbehelfen auch gegen Entscheidungen bestehen, die, obwohl vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist beantragt, jedoch danach genehmigt wurden. Der Ansicht des EuGH nach erschweren und verzögern jedoch die in Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr § 11 UVP-RL n. F.) enthaltenen neuen Anforderungen die Verwaltungsverfahren nicht in gleicher Weise wie die Verpflichtung, Projekte einer UVP zu unterziehen. Dadurch würden in solchen Konstellationen keine neuen Anforderungen geschaffen. Vielmehr dienen die oben genannten Anforderungen der Verbesserung des Zugangs zu einem Rechtsbehelf.1006 Auch wenn die Ausweitung des Rechts der betroffenen Öffentlichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen Handlungen oder Unterlassungen, die solche Projekte betreffen, für diese die Gefahr von Rechtsstreitigkeiten erhöhen kann, könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Erhöhung einer bestehenden Gefahr eine bereits entstandene Rechtsposition beeinträchtigt.1007 Zwar lässt sich nicht ausschließen, dass diese Ausweitung in der Praxis die Durchführung der betreffenden Projekte verzögern wird, doch sind derartige Nachteile als zwangsläufige Folge mit der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen i. S. d. Bestimmungen der UVP-RL verbunden.1008 Im Einklang mit den Zielen der AK, nämlich insb. der Gewährleistung eines verbesserten Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu den Gerichten, wollte der EU-Gesetzgeber, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen, sich an der oben genannten Rechtmäßigkeitskontrolle beteiligen, um zur Erhaltung, zum Schutz und zur Verbesserung der Umweltqualität sowie zum Schutz der menschlichen Gesundheit beizutragen.1009 Gerade angesichts dieser Ziele können die oben ausgeführten Nachteile, etwa die zeitlichen Verzögerungen der Durchführung von Projekten, nicht als Rechtfertigung dafür dienen, den Bestimmungen des mit der UVP-RL eingeführten 1006 GA P. Cruz Villalón, Schlussantr. v. 20.06.2013 in der Rs. C-72/12 (Altrip), Rn. 53, BeckRS 2013, 81258; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 27 (Altrip), ZUR 2014, S. 38; B. Saxler, EurUP 2014, S. 223 ff. 1007 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 27 (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 1008 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 28 ff. (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 1009 Ebd.
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG)
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Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP n. F.) für Verfahren, die zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie umgesetzt sein sollte, liefen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen, sofern diese Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung nach diesem Zeitpunkt geführt haben.1010 Der mitgliedstaatliche Umsetzungsspielraum im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten erstrecke sich daher nicht auf den Ausschluss des Rechtsschutzes gegen vor Ablauf der Umsetzungsfrist beantragte, aber erst nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist genehmigte Projekte.1011 Kurzgefasst hat der EuGH mit dem sog. Altrip-Urteil unter anderem entschieden, dass der Zugang zu Gerichten nach dem Unionsrecht auch für solche Zulassungsverfahren im Anwendungsbereich des UmwRG eröffnet sein muss, die vor dem 25.06.2005 (also dem Stichtag für die Umsetzung der Richtlinie 2003/35/ EG, mit der seinerzeit die Gerichtszugangsregelung von Art. 9 Abs. 2 AK in das Unionsrecht eingeführt worden ist) eingeleitet worden sind und zu diesem Stichtag noch anhängig waren, aber für die nach Ende dieser Umsetzungsfrist die Genehmigungsverfahren abgeschlossen worden sind.1012 Dies bedeutet in der Praxis, dass der Bauherr von vornherein damit rechnen muss, dass das entsprechende Vorhaben gerichtlich überprüft werden kann. Dadurch könnten aber Verzögerungen bei der Realisierung des Vorhabens eintreten. Eine solche Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten erhöht dieses Risiko, schafft aber für das Verfahren selbst keine neuen Vorgaben.1013 Eine bereits entstandene Rechtsposition kann dadurch nicht beeinträchtigt werden. Denn es handelt sich nicht um die Schaffung eines neuen beachtlichen Verfahrensrechts oder materiellen Rechts, sondern nur um die Kontrolle der Einhaltung schon bestehenden Rechts.1014 Solche Vorgaben sind in dieser Hinsicht von Vorschriften über die Durchführung einer UVP abgrenzbar, die mit Untersuchungspflichten und Berücksichtigungsgebot neue inhaltliche Anforderungen mit Rückwirkungen auch auf das materielle Recht statuieren.1015 Für die Auffassung des EuGH spricht außerdem, dass die Zielsetzung der UVP-RL entsprechend der AK gebietet, der betroffenen Öffentlichkeit einen verbesserten Zugang zu Gerichten zu ermöglichen. Die Erstreckung der zeitlichen 1010 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 29 (Altrip), ZUR 2014, S. 38; B. Saxler, EurUP 2014, S. 222 ff. 1011 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 30 (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 1012 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn. 30 (Altrip), ZUR 2014, S. 38; M. Sauer, ZUR 2014, S. 200; C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; B. Saxler, EurUP 2014, S. 222 ff.; so auch GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 21.05.2015 in Rs. C-137/14, Rn. 128 ff. (Kommission/Deutschland), curia.europa.eu. 1013 B. Saxler, EurUP 2014, S. 224. 1014 C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; so auch J. Berkemann, DVBl 2010, S. 1407, S. 1410. 1015 Ebd.; B. Saxler, EurUP 2014, S. 224.
514
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Geltung des Art. 11 UVP-RL n. F. auf Verfahren, die bereits vor dem Ende der Umsetzungsfrist eingeleitet wurden, dient somit den oben genannten Zielen.1016 Angesichts dieser Feststellungen des EuGH durch das Altrip-Urteil musste der Bundesgesetzgeber die Vorschrift des § 5 Abs. 1 UmwRG a. F. entsprechend modifizieren. Aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitablaufs dürften die praktischen Auswirkungen einer solchen Rechtsänderung auf noch anhängige Verfahren aber begrenzt sein.1017 Denn die Rechtsbehelfsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO bzw. des § 47 Abs. 2 VwGO für Vorhaben, für die entsprechender Rechtsschutz entgegen § 5 Abs. 1 UmwRG a. F. möglich sein muss, wird bereits abgelaufen sein.1018 Dies ist naheliegend, weil eine Hemmung des Fristablaufs bis zur ordnungsgemäßen Richtlinienumsetzung auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH nicht geboten ist.1019 Auch ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG sei abzulehnen, weil dessen Voraussetzungen – insbesondere eine Änderung der Rechtslage – nicht vorliegen.1020 Schließlich scheidet auch eine Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Klageverfahren unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen von § 153 VwGO i.V. m. § 580 Nr. 8 ZPO aus.1021 3. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 zur Frage des zeitlichen Geltungsbereichs des UmwRG a. F. Der EuGH bestätigte die oben dargestellte Feststellung des Altrip-Urteils hinsichtlich der Frage des allgemeinen Ausschlusses von vor dem 25.06.2005 eingeleiteten Verfahren vom Geltungsbereich des geänderten UmwRG auch in der Rechtssache C-137/14.1022 Dabei hat der EuGH klar gemacht, dass schon mit dem UmwRG vom 21.01.2013 auch verwaltungsbehördliche Genehmigungsverfahren, die vor dem 25.06.2005 eingeleitet worden, ohne dass dann schon eine Genehmigung vorlag, bereits durch das UmwRG vom 13.01.2013 und damit
1016
B. Saxler, EurUP 2014, S. 224. M. Sauer, ZUR 2014, S. 200. 1018 C. Meitz, ZUR 2014, S. 41. 1019 EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3240, Rn. 33 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./Midland Bank plc), EuZW 2000, S. 565 ff.; EuGH, Urt. v. 02.12.1997, Rs. C-188/95, Slg. 1997, I-06783 (Fantask A/S e.a./Industriministeriet [Erhvervministeriet]), Rn. 44 ff., NVwZ 1998, S. 833 ff.; EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. C-33/76, Slg. 1976, S. 1989 ff., Rn. 5 (Rewe-Zentrafinanz EG u. Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland), NJW 1977, S. 495 ff. 1020 C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; m.w. N. 1021 Ebd., S. 42; ders., NuR 2011, S. 420, S. 422; jeweils m.w. N. 1022 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 102 ff. (Kommission/Deutschland); juris; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 1017
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG)
515
ohne das Erfordernis eines subjektiv-offentlichen Rechts gerügt werden können.1023 Hinsichtlich der Sonderproblematik der Einschränkung der Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen sowie des Umfangs der gerichtlichen Prüfung ihrer Rechtsbehelfe auf Rechtsvorschriften, die Rechte Einzelner begründen (gem. § 2 Abs. 1 UmwRG vom 07.12.2006 i.V. m. § 5 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013), solange es sich um Verfahren handelte, die nach dem 25.06.2005 eingeleitet und vor dem 12.05.2011 abgeschlossen wurden, entschied der EuGH, dass diese Rechtslage mit Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL nicht vereinbar war.1024 Der EuGH begründete sein Urteil einerseits mit dem Argument der explizit ausgedruckten besonderen Stellung der Umweltschutzvereinigungen gem. Art. 11 Abs. 3 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL.1025 Danach müssen die Umweltschutzvereinigungen zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können.1026 Zum anderen verwies der EuGH auf seine oben dargestellte Rechtsprechung in dem Altrip-Urteil, nach der die zur Umsetzung des Art.11 UVP-RL in nationales Recht ergangenen Vorschriften auch für solche verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahren gelten müssten, die vor dem 25.06.2005 eingeleitet worden waren, in denen eine Genehmigung aber erst nach diesem Zeitpunkt erteilt worden war.1027 Insoweit könne der Grundsatz der Rechtskraft lediglich im Hinblick auf Gerichtsentscheidungen geltend gemacht werden, nicht aber hinsichtlich bestandskräftiger Entscheidungen von Genehmigungsbehörden.1028 Ansonsten
1023 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 95 (Kommission/Deutschland); juris. m.w. N.; W. Frenz, NuR 2015, S. 835. 1024 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 90 ff. (Kommission/Deutschland); juris. 1025 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 90 (Kommission/Deutschland); juris; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 40 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg,), NuR 2011, S. 423 ff.; s. o. 1. Teil, 4. Kap., A. 1026 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 92 (Kommission/Deutschland); juris; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 48 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg,), NuR 2011, S. 423 ff. 1027 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 95 (Kommission/Deutschland); juris; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12, Rn.31 (Altrip), ZUR 2014, S. 38. 1028 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 97 (Kommission/Deutschland); juris. Zu beachten ist, dass Deutschland ihrerseits argumentiert hatte, das UmwRG gar nicht für Genehmigungsentscheidungen in Verfahren gelte, in denen die Durchführung einer UVP erforderlich sein könnte, wenn diese Entscheidungen vor dem 15.12.2006 (Inkrafttreten der Ursprungsfassung des UmwRG) Bestandskraft erlangt hätten
516
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
könnte jeder Mitgliedstaat unter Verweis darauf die Umsetzungsfrist zur Durchsetzung von jeweils relevanten Richtlinien zeitlich verzögern.1029 Ob allerdings nunmehr in den Fällen, in denen lediglich bestandskräftige Genehmigungsentscheidungen vorliegen, „massenhaft“ Einwender eine erneute Prüfung der Genehmigung durch die Behörde verlangen, muss abgewartet werden.1030 Jedenfalls ist dieses Urteil des EuGH von Bedeutung, denn es kann als Maßstab für künftige Fälle hinsichtlich der zeitlichen Anwendbarkeit von dem Art. 11 UVP-RL n. F. und Art.25 IE-RL entsprechenden Regelungen wirken.
II. Die Fassung des § 5 UmwRG vom 20.11.2015 Der deutsche Gesetzgeber trug schließlich den bereits dargestellten Feststellungen des EuGH Rechnung. Er entschied § 5 UmwRG vom 21.01.2013 in Übereinstimmung mit der EuGH-Rechtsprechung, wonach die zur Umsetzung von Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten, die vor dem 25.06 2005 eingeleitet wurden, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt worden ist, neu zu fassen. Dementsprechend erfasst gem. § 5 UmwRG vom 20.11.2015 der Geltungsbereich des UmwRG Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG1031, die nach dem 25.06.2005 ergangen sind oder hätten ergehen müssen.1032 Eine Erstreckung des neugefassten § 5 Abs. 1 S. 1 UmwRG auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG oder deren Unterlassen ist dagegen nicht geboten, weil Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL für solche Rechtsbehelfe nicht gelten. Vielmehr finden Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG oder deren Unterlassen ihre europarechtliche Grundlage vielmehr in den Vorgaben der UH-RL (Nr. 2004/35/EG), die durch das USchadG in deutsches Recht umgesetzt worden sind. Der neugefasste Satz 2 des § 5 UmwRG entspricht inhaltlich dem vorherigen § 5 Abs. 4 S. 2 UmwRG vom 21.01.2013. § 5 Abs. 4 S. 2 UmwRG a. F. wird dem neu gefassten § 5 Abs. 1 UmwRG – redaktionell angepasst – angefügt, so dass § 5 Abs. 4 insgesamt aufgehoben wurde. Denn durch die Fassung von § 5 Abs. 1 UmwRG war § 5 Abs. 4 UmwRG a.F: überflüssig.1033 1029 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 98 (Kommission/Deutschland); juris; Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015. W. Frenz, NuR 2015, S. 835; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 1030 J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff. 1031 s. o. 1. Teil, 3. Kap., B. 1032 BT-Drs. 18/5927, S.11. 1033 BT-Drs. 18/5927, S.11.
G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG)
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Aus der Fassung des § 5 Abs. 1 UmwRG in Verbindung mit dem EuGH-Urteil C-137/14 folgt, dass nunmehr die betroffene Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, Behördenentscheidungen (insbesondere Vorhabenzulassungen, die bereits zwischen 25.06.2005 und 12.05.2011 erteilt worden sind), und die gemäß dem früheren Recht unanfechtbar waren, vor den Gerichten überprüfen zu lassen. Wenn dieses Urteil nicht nur eine deklaratorische Bedeutung haben soll, muss nun die Möglichkeit bestehen, diese Entscheidung nachträglich anzufechten. Unabhängig von den potenziell erheblichen Folgen, die ein solches Ergebnis für die betroffenen häufig bereits vollendeten, planmäßig genutzten oder auch zwischenzeitlich nach ihrer Genehmigung veränderten Projekte haben kann, ist es mindestens fraglich, ob das deutsche Recht eine solche Kontrollmöglichkeit gewährt.1034 Die enge Fassung des § 60 VwGO hinsichtlich des Antrags desjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, erscheint bei den hier diskutierten Altzulassungen nicht anwendbar zu sein.1035 Denn es handelt sich hier eher um atypische Anfechtungsmöglichkeiten, auf die § 60 VwGO nicht zugeschnitten ist.1036 Um schwer lösbare Komplikationen zulasten der Rechtssicherheit, aber auch der wirtschaftlichen Funktionalität der hier relevanten bereits fertiggestellten Projekte zu vermeiden, dürfte hier die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der jeweils betroffenen Bauprojekte ausgeschlossen sein. Vielmehr sollten umweltschützende Verbesserungen der Bauprojekte, soweit sie sich als nötig erweisen, durchgeführt werden. Jedenfalls muss der Gesetzgeber diese Frage durch eine spezielle gesetzliche Bestimmung sachgemäß klären.1037
III. Fazit Der EuGH hat vor allem in seinem Altrip-Urteil, aber auch in der aktuelleren Rechtssache C-137/14 unter anderem entschieden, dass der Zugang zu Gerichten für die betroffene Öffentlichkeit nach dem Unionsrecht auch für solche Zulassungsverfahren im Anwendungsbereich des UmwRG eröffnet sein muss, die vor dem 25.06.2005 eingeleitet worden sind und zu diesem Stichtag noch anhängig waren. Dies stünde im Einklang mit der Gewährleistung eines verbesserten Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu den Gerichten, die Ziel der AK sowie des Art. 11 UVP n. F. und 25 IE-RL sind. Gleiches gilt auch für die Einschränkung des § 5 Abs. 4 UmwRG a. F., wonach für Verfahren, die am 25.06.2005 bereits liefen und vor dem 12.05.2011 abgeschlossen wurden, die ursprüngliche und be1034
Vgl. T. Bunge, NuR 2016, S. 20 ff. Zur engen Kasuistik der Anwendung des § 60 VwGO s. etwa: J. Ziekow, § 60 VwGO, in: H. Sodan/ders. (Hrsg.),VwGO Großkomm., 2014, Rn. 50. 1036 Vgl. T. Bunge, NuR 2016, S. 20. 1037 In diese Richtung T. Bunge, NuR 2016, S. 20 ff. 1035
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
reits durch das sog. Trianel-Urteil des EuGH unionsrechtswidrige Fassung des § 2 Abs. 1 und Abs. 5 UmwRG, die die Rüge- und Kontrollbefugnis der Umweltschutzvereinigungen nur auf subjektive öffentlich-rechtliche Normen eingeschränkt hat, anwendbar war. Demzufolge erwiesen sich § 5 Abs. 1 und 4 UmwRG a. F. als unionsrechtswidrig. Daher wurde § 5 Abs. 4 UmwRG a. F. aufgehoben und § 5 Abs. 1 angemessen umformuliert. Im Allgemeinen hat der Bundesgesetzgeber durch die Fassung des § 5 UmwRG vom 20.11.2015 die ältere problematische Fassung des UmwRG entsprechend geändert, so dass diese Vorschrift mit dem EU-Recht sowie mit der aktuellen EuGH-Rechtsprechung vereinbar ist. Problematisch für die Rechtssicherheit und die Wirtschaft ist allerdings die Tatsache, dass nunmehr die betroffene Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, bestimmte Verwaltungsentscheidungen gerichtlich anzufechten, die gemäß der früheren Rechtslage des UmwRG unanfechtbar waren. Der deutsche Gesetzgeber muss daher diese Situation durch den Erlass einer speziellen Regelung möglicherweise klären. § 5 wurde auch durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 geändert.1038
H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.20171039 I. Allgemeines Nicht lange Zeit nach der Novellierung des UmwRG am 20.11.2015 und vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung1040 sowie der Stellungnahme des Aarhus Compliance Committees1041, dass die Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Umweltverbände nicht vollständig den europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben entsprechen,1042 wurde am 29.05.2017 das „Gesetz zur Anpassung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben“ erlassen.1043 Dieses Gesetz trat am 02.06.2017 in Kraft. Artikel 1 die1038
s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., XI. Dieses Unterkapitel wurde nach dem Rigorosum der Dissertation (Dezember 2016) aus Aktualisierungsgründen verfasst. 1040 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris. 1041 Vgl. Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/ C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 86 ff. 1. Teil, 4. Kap, B., V., 3., a). 1042 Vgl. 1. Teil, 4. Kap., B., V., 3., a); 2. Teil, 3. Kap., C., IV. 1043 BGBl. I 2017, Nr. 32, S. 1298; BT-Drs. 18/9526, 18/9909 siehe auch Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben (Stand 19.04.2016); BT-Drs. 18/ 9526 vom 05.09.2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 1039
H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017
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ses Gesetzes bestimmt die neuerlichen Änderungen des UmwRG. Damit wurde nochmals versucht, den Umweltrechtsschutz völker- und unionsrechtskonform auszugestalten.1044 Ausweislich seiner Begründung soll dies durch Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK erfolgen.1045 Gleichzeitig wird damit auch dem Urteil des EuGH (Rs. C-137/14),1046 das festgestellt hat, dass § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG gegen unionsrechtliche Bestimmungen verstoßen, Rechnung getragen.1047 Ferner gab die Entscheidung des BVerwG vom 05.09.20131048 Anlass, den Anwendungsbereich des UmwRG erheblich zu erweitern. Inhaltlich stellt die Novelle die größte Änderung des Umweltrechtsschutzes seit Einführung des UmwRG dar. Der Rechtsschutz wird dadurch deutlich erweitert und den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK wird jedenfalls in Grundzügen Rechnung getragen. Von Bedeutung sind die im Folgenden aufgeführten Bestimmungen des UmwRG vom 29.05.2017.
II. Erweiterter Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 29.05.20171049 – Fragen hinsichtlich Unions- und Völkerrechtskonformität Gemäß § 1 UmwRG wurde der Anwendungsbereich der umweltschützenden VK erheblich erweitert. Die Novelle behält allerdings die Struktur der enumera1044 Vgl. BT-Drs. 18/12146 vom 26.04.2017, S. 6 ff.; BT-Drs. 18/9526 vom 05.09. 2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08.2016, S. 1 ff. 1045 Ebd. 1046 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.; mehr zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 2. Kap., C., VI., 3., d). 1047 Vgl. BT-Drs. 18/9526 vom 05.09.2016, S. 1 ff.; BR-Drs. 422/16 vom 12.08. 2016, S. 1 ff. 1048 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; Anm. dazu T. Bunge, ZUR 2014, S. 3 ff.; W. Frenz, UPR 2014, S. 1 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13 ff.; ausführlich dazu s. u. in 1. Teil, 5. Kap., B. ff. 1049 „§ 1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen: 1. Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach a) dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, b) der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder c) landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann; 2. Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
tiven Aufzählung der dem Rechtsschutz zugänglichen Tatbestände bei. Rechtslücken sind dadurch vorprogrammiert. Der Umweltrechtsschutz soll sich nach mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftgesetzes; 2a. Genehmigungen für Anlagen nach § 23b Absatz 1 Satz 1 oder § 19 Absatz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder Zulassungen für Betriebspläne nach § 57d Absatz 1 des Bundesberggesetzes; 2b. Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die benachbarte Schutzobjekte im Sinne des § 3 Absatz 5d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellen und die innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zu einem Betriebsbereich nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwirklicht werden sollen und einer Zulassung nach landesrechtlichen Vorschriften bedürfen; 3. Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz; 4. Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen im Sinne von § 2 Absatz 5 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und im Sinne der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, für die nach a) Anlage 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder b) landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung bestehen kann; ausgenommen hiervon sind Pläne und Programme, über deren Annahme durch formelles Gesetz entschieden wird; 5. Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, und 6. Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union dienen. Dieses Gesetz findet auch Anwendung, wenn entgegen geltenden Rechtsvorschriften keine Entscheidung nach Satz 1 getroffen worden ist. Unberührt bleiben 1. § 44a der Verwaltungsgerichtsordnung, 2. § 17 Absatz 3 Satz 3 bis 5 und § 19 Absatz 2 Satz 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes sowie 3. § 15 Absatz 3 Satz 2 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz, § 17a Absatz 5 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes, § 6 Absatz 9 des Windenergieauf-See-Gesetzes, § 15 Absatz 5 und § 16 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere entsprechende Rechtsvorschriften. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn eine Entscheidung im Sinne dieses Absatzes auf Grund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist. (2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799, 1995 II S. 602). (3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 5 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet. (4) Umweltbezogene Rechtsvorschriften im Sinne dieses Gesetzes sind Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf 1. den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 1 des Umweltinformationsgesetzes oder 2. Faktoren im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes beziehen.“
H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017
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der Novelle auf Verwaltungshandeln beschränken, das mit einem Verwaltungsakt oder einem öffentlich-rechtlichen Vertrag endet.1050 Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des UmwRG erfolgte vor allem durch Ergänzung der klagefähigen Gegenstände in § 1 Abs. 1 S. 1, Nr. 2a, 2b, Nr. 4–6 UmwRG.1051 Danach können anerkannte Umweltschutzvereinigungen (gem. § 3 UmwRG) auch störfallrechtlich relevante Entscheidungen (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a, 2b UmwRG), bestimmte strategische umweltprüfungspflichtige Pläne und Programme, wie etwa Luftreinhaltepläne der Kommunen (§ 1 Abs. 1 S. 1, Nr. 4 UmwRG – allerdings mit Ausnahme von Plänen, welche i. S. v. Nr. 1.5, 1.6 der Anlage 3 zum UVPG Flächen für die Windenergienutzung oder für den Abbau von Rohstoffen ausweisen gem. § 16 Abs. 4 UVPG), Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die nicht-UVP-pflichtige Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften zugelassen werden (§ 1 Abs. 1 S. 1, Nr. 5 UmwRG)1052 und Verwaltungsakte über Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den § 1 Abs. 1 S. 1, Nr. 1 bis 5 UmwRG hinsichtlich der Einhaltung umweltbezogener Vorschriften (§ 1 Abs. 1 S. 1, Nr. 6 UmwRG), gerichtlich überprüfen lassen.1053 Die Klagerechte bestehen auch dann, wenn eine Entscheidung i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG unterlassen worden ist. Die Rügebefugnis wird sich nunmehr für große Industrieanlagen und UVP-pflichtige Vorhaben nicht mehr auf Umweltvorschriften beschränken.1054 Rechtsproblematisch bleibt aber, dass andere umweltrelevante Pläne aus dem Katalog ausgenommen werden. Solche sind etwa die Bundesfachplanung nach § 15 Abs. 3 S. 2 NABEG, der Bundesfachplan Offshore oder die Verkehrswegeplanung auf Bundesebene.1055 Auch sind umweltbezogene Verordnungen wie Flugrouten-festlegungen oder Naturschutzgebietsverordnungen sowie Realakte nicht umweltrechtsbehelfsfähig.1056 Ferner könnte nach Maßgabe der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 ein behördliches Einschreiten gegen nicht zulassungsbedürftiges, aber rechtswidrig unterlassenes Handeln, wie der Erlass repressiver Verbote, die außerhalb präventiver Zulassungsverfahren Anwendung finden, etwa im Bereich der Land- und Forstwirtschaft, weiterhin nicht gerichtlich erzwungen werden, es sei denn, es geht um die Vermeidung oder Sanierung von 1050
Vgl. BT-Drs. 18/12146, S. 9 ff.; R. Klinger, ZUR 2017, S. 449 ff. S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 2. 1052 Dies ist bedeutsam, denn nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG wird der Anwendungsbereich des UmwRG für Zulassungsentscheidungen für Vorhaben eröffnet werden, die nicht bereits als Industrieanlagen oder Infrastrukturmaßnahmen unter § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 2a oder 2b UmwRG fallen. J. Schulte, JurOP, 11.05.2017. 1053 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 2. 1054 Ebd., S. 9. 1055 Vgl. Änderung des § 19b UVPG, BR-Drs. 422/16, S. 8. 1056 S. Schlacke, LTO, 17.10.2016. 1051
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Umweltschäden. Darüber hinaus nicht rügefähig im Rahmen des UmwRG bleibt immer noch der gesamte Produktbereich, der vom Entscheidungsbegriff des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG nicht erfasst wird. So werden zukünftig Verwaltungsakte, die die Zulassung von Produkten betreffen, wie z. B. Kraftfahrzeuge, nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG fallen, obwohl sie umweltrelevant sind.1057 Diese Beschränkungen scheinen aber nicht dem Wortlaut bzw. den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK zu entsprechen. Denn nach Art. 9 Abs. 3 AK ist jegliches Behördenhandeln, unabhängig von seiner Rechtsform, dem Rechtsschutz zugänglich zu machen.1058 Diese Norm stellt somit auf Handlungen und Unterlassungen von Behörden ab und knüpft nicht an den engen Begriff des Verwaltungsaktes (§ 35 VwVfG) oder des öffentlich-rechtlichen Vertrages an. Damit sind auch Satzungsbeschlüsse und Verordnungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzubeziehen. 1059 Dazu zählen auch Rechtsverordnungen, wie etwa Flugroutenfestlegungen. In diesem Rahmen sind auch untergesetzliche Normen nicht vom Zugang zu Rechtsschutz im Sinne der AK ausgeschlossen.1060 Unzulässig scheint somit auch die Begrenzung des Rechtsschutzes auf „Vorhaben“. Der Vorhabenbegriff ist dem UVPG entlehnt und folgt damit der für die Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK abträglichen Systematik des Art. 9 Abs. 2 AK. Denn die von Behörden vorgenommenen Handlungen und Unterlassungen (Art. 9 Abs. 3 AK) müssen sich nicht auf Vorhaben beziehen, sondern können auch Genehmigungen für Produkte betreffen, wie etwa Kraftfahrzeuge.1061 Es sieht daher so aus, dass die Novelle in diesem Punkt gegen das Völkerrecht verstößt.1062 Dabei wird zutreffend die Ansicht vertreten, dass es gegen die Rechtssystematik verstößt, bestimmte Pläne und Programme ausdrücklich von der Klagebefugnis auszunehmen, wie es § 16 Abs. 4 S. 2 UVPG bestimmt. Insbesondere werden bestimmte Raumordnungspläne, die Flächen für den Abbau von Rohstoffen ausweisen, von der Klagebefugnis der Verbände ausgenommen. Diese Privilegierung des Bergbaus steht aber in direktem Gegensatz zu seinen erheblichen Umweltauswirkungen. Aus Gründen einer effektiven Durchsetzung des Umweltschutzes ist auch sicherzustellen, dass die Erteilung bergrechtlicher Erlaubnisse und Bewilligungen von den Verbänden gerichtlich angegriffen werden kann.1063 Darüber hinaus mangelt es der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 an einer systematischen Berücksichtigung von Entscheidungen im Rahmen des UVPG oder des BNatSchG.1064 1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064
S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 3. Vgl. BT-Drs. 18/12146, S. 9 ff.; R. Klinger, ZUR 2017, S. 449 ff. BT-Drs. 18/12146, S. 9 ff., m.w. N. S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 2. R. Klinger, ZUR 2017, S. 449 ff. Ebd. BT-Drs. 18/12146, S. 9. BT-Drs. 18/12146, S. 9 ff., m.w. N.
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Im Ergebnis setzt die Bundesregierung ihre bisherige Politik der restriktiven Umsetzung der AK auch mit der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 fort. Denn in der Praxis ist der Anwendungsbereich des UmwRG trotz der dargestellten Erweiterungen immer noch zu eng gefasst, so dass ihre Konformität mit Unions- und Völkerrecht zweifelhaft ist.1065 Zu berücksichtigen ist in dieser Hinsicht, dass der Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten darauf hingewiesen hat, dass die Bundesrepublik Deutschland die Rügebefugnis unzulässig auf „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ eingeschränkt hat.1066 Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 sieht den Wegfall dieser Einschränkung vor, führt aber durch eine neue Anforderung praktisch zum bisherigen Ergebnis. So sollen Rechtsbehelfe nur dann begründet sein, wenn der Rechtsverstoß Belange berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert. Da dies in der Regel ausschließlich Ziele des Umweltschutzes sein werden, wird die Anforderung der Aarhus-Vertragsstaatenkonferenz unterlaufen.1067 Im Katalog des § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 3 UmwRG hinsichtlich der von diesem Gesetz unberührten Vorschriften werden nun explizit § 6 Abs. 9 des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG, der keine unmittelbaren Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Flächenentwicklungspläne i. S. d. §§ 4 ff. WindSeeG vorsieht)1068 und § 19 Abs. 2 S. 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes aufgeführt. Erwähnenswert ist die neue Öffnungsklausel in § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 UmwRG, nach der der Ausschluss unmittelbarer Rechtsbehelfsmöglichkeiten auch für „andere entsprechende Rechtsvorschriften“ gelten soll.1069 Es sieht schließlich so aus, dass aus den oben genannten Gründen die gem. § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 3 UmwRG dem Rechtsschutz grundlegend entzogene Überprüfbarkeit von Raumordnungsplänen der Windenergie und der ebenfalls eigens eingefügten Bereichsausnahme für den Bundesverkehrswegeplan nicht unions- und völkerrechtskonform ist.1070 Erwähnenswert ist auch, dass gemäß § 1 Abs. 3 UmwRG der Vorrang der Rechtsbehelfsmöglichkeiten nach UmwRG gegenüber Rechtsbehelfen nach § 64 1065
Ebd. Ebd. 1067 Ebd. 1068 Dadurch sollte sichergestellt werden, dass die Sonderregelung des § 6 Abs. 9 WindSeeG zur Inzidentüberprüfung des Flächenentwicklungsplans auch im Anwendungsbereich des geänderten UmwRG zum Tragen kommt; BT-Drs. 18/12146, S. 15. 1069 J. Schulte, JurOP, 11.05.2017. 1070 Ebd. 1066
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
BNatSchG auch für Planfeststellungsverfahren gelten soll, die dem neuen § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG unterliegen.1071
III. Die problematische Beschränkung der Rügebefugnis und des Kontrollumfangs auf umweltbezogene Rechtsvorschriften gem. § 2 UmwRG vom 29.05.20171072 Nach § 2 Abs. 1, Nr. 3 S. 2 UmwRG wird die Rügebefugnis in Bezug auf Entscheidungen gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2a–6 UmwRG nur auf umweltbezogene Vorschriften beschränkt. D.h. gem. (§ 1 Abs. 4 UmwRG) 1071
J. Schulte, JurOP, 11.05.2017. „§ 2 Rechtsbehelfe von Vereinigungen (1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung 1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, 2. geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und 3. im Falle eines Verfahrens nach a) § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; b) § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Bei Rechtsbehelfen gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder gegen deren Unterlassen muss die Vereinigung zudem die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen. (2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn 1. sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, 2. sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und 3. über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist. Bei einer ausländischen Vereinigung gelten die Voraussetzungen der Nummer 3 als erfüllt. Mit der Bestandskraft einer die Anerkennung versagenden Entscheidung wird der Rechtsbehelf unzulässig. (3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. (4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit 1072
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„[. . .] Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf 1. den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG, 2. Faktoren im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG beziehen“.1073
Noch konkreter bestimmt § 2 Abs. 4 Nr. 2 UmwRG, dass die Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a–6 UmwRG oder deren Unterlassen nur dann aufzuheben bzw. anzuordnen sind, wenn sie gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstoßen bzw. zu erlassen sind. Obwohl diese Bestimmung auf Art. 9 Abs. 3 AK gestützt ist, der auf umweltbezogene Rechtsvorschriften rekurriert, fordert Art. 9 Abs. 2 AK eine objektive Rechtskontrolle. Es ist daher fraglich, ob diese Beschränkung der Rügebefugnis völkerrechtskonform ist.1074
IV. Aufhebung materieller Präklusionsvorschriften – Beibehaltung formeller Präklusionsvorschriften Begrüßenswert ist, dass die Novelle des UmwRG, aufgrund des EuGH-Urteils (C-137/14)1075, § 2 Abs. 3 UmwRG a. F. aufhebt, indem materielle Präklusionsvorschriften im Fach-, Verfahrens- und Prozessrecht gestrichen wurden. Der durch den EuGH für unionswidrig erklärte § 73 Abs. 4 VwVfG wird durch diese Novelle nicht vollständig aufgehoben. Denn § 7 Abs. 4 UmwRG vom 29.05.2017 ordnet an, dass § 73 Abs. 4 S. 3–6 VwVfG auf Entscheidungen gemäß § 1 Abs. 1 S. Nr. 1–2b nicht anwendbar ist. Demzufolge wird eine formelle und materielle Präklusion für Vorhaben i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3–6 UmwRG aufrechterhalten. Ferner sieht § 7 Abs. 3 UmwRG eine materielle Präklusion gemäß § 2 Abs. 3 UmwRG für Rechtsbehelfe von Vereinigungen für Verfahren zur Aufstellung von SUP-pflichtigen Plänen und Programmen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG vom 29.05.2017 vor.1076 1. die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder 2. die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, und der Verstoß Belange berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert. Bei Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder 4 muss zudem eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung im Sinne von § 1 Nummer 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen.“ 1073 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 3. 1074 s. o. entsprechende Argumentation 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 1.; S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 4. 1075 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris; Anm. dazu W. Frenz, NuR 2015, S. 832 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, Jean-Monnett-Saar/Europarecht online, 26.10.2015; J. Bringewat/J. Schulte, jurOP, 12.11.2015; A. Széchényi, BayVBl, 2016, S. 366 ff.; mehr zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 3. Kap., E., IV.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 3. 1076 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 4.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 differenziert hinsichtlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften zwischen Entscheidungsverfahren i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG, die aufgrund des Art. 9 Abs. 2 AK (gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–2b UmwRG) und solchen, die aufgrund des Art. 9 Abs. 3 AK (gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3–6 UmwRG) in den Anwendungsbereich des UmwRG fallen. Eine solche Differenzierung scheint nicht unions- und völkerrechtskonform zu sein. Denn, wie S. Schlacke zutreffend anmerkt: „insbesondere Verbandskläger, die Entscheidungen oder deren Unterlassen gerichtlich überprüfen lassen wollen, müssen in Fällen, in denen die materiellen Präklusionsvorschriften Anwendung finden, die hoheren Anforderungen erfüllen, die das BVerwG an die Darlegung von Einwendungen im Verwaltungsverfahren etabliert hat. Da die rechtsbehelfsfähigen Entscheidungen i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3–6 UmwRG ebenfalls EU-Recht umsetzen, könnte diese Schlechterstellung gegen das unionsrechtliche Äquivalenz-, und Effektivitätsgebot verstoßen“.1077
Es wird daher vorgeschlagen, die zu Art. 9 Abs. 2 AK ergangene Rechtsprechung zur Unvereinbarkeit mit den Präklusionsvorschriften auf Art. 9 Abs. 3 AK zu übertragen und die Anwendung von Präklusionsvorschriften für sämtliche Entscheidungen i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG aufzuheben, um weitere unions- und völkerrechtliche Verstöße zu vermeiden.1078
V. Verlängerung der Widerspruchs- und Klagefrist für bestimmte Fälle (§ 2 Abs. 3 UmwRG) § 2 Abs. 3 der Novelle UmwRG vom 29.05.2017 knüpft an die vorherige Fassung des § 2 Abs. 4 UmwRG vom 20.11.2015 an und verlängert die Jahresfrist des § 2 Abs. 4 UmwRG a. F.1079 um 2 Jahre. Im Umweltausschuss wurde die Neuregelung nochmals um einen neuen Satz 2 ergänzt. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 2 UmwRG müussen Widerspruch oder Klage gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG (Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden) oder § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 UmwRG (Verwaltungsakte über Überwachungsoder Aufsichtsmaßnahmen für Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–5 UmwRG) spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erlassen wurde, erhoben werden. Durch diese Regelung wird also eine kenntnisunabhängige, absolute Klagefrist von zwei Jahren geschaffen, die der Rechtssicherheit dienen soll. Sie ist auf Verwaltungsakte beschränkt, für die keine öffentliche Be1077 1078 1079
Ebd., S. 5; siehe entsprechende Argumente in 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3. b) ff. S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 5. s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., VII.
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kanntmachung vorgesehen ist und die nicht nach § 7 Abs. 1 UmwRG bekannt gegeben worden sind.1080
VI. Erweiterte Verfahrensfehler gem. § 4 vom 29.05.20171081 Der Umgang mit Verfahrensfehlern im Rahmen der UVP gem. § 4 Abs. 1 und Abs. 1a UmwRG vom 29.05.2017 wird übertragen auf die SUP für Pläne und 1080
J. Schulte, JurOP, 11.05.2017. „§ 4 UmwRG vom 29.05.2017 lautet; „(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn 1. eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften a) erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder b) erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist, 2. eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 9 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder 3. ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der a) nicht geheilt worden ist, b) nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und c) der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind. Eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit, die nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genügt, steht einer nicht durchgeführten Vorprüfung nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gleich. (1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet. (1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben 1. § 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie 2. § 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung. Auf Antrag kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der Absätze 1 und 1a ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. (2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 3 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. (3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von 1. Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie 1081
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Programme. Auch hier soll zwischen absoluten Verfahrensfehlern, die zur Aufhebung der Sachentscheidung führen, und relativen Verfahrensfehlern, die nur beachtlich sind, wenn sie sich auf die Sachentscheidung ausgewirkt haben1082, differenziert werden. Allerdings können diese Verfahrensfehler bei der SUP nur Umweltvereinigungen rügen, aber immer noch nicht Individualkläger. Obwohl diese Differenzierung der h. M. nach als unionsrechtskonform betrachtet wird,1083 erschwert sie in der Praxis die Kohärenz des Umweltrechtsschutzes. Darüber hinaus ist es aufgrund der Schlechterstellung des Individualklägers gegenüber dem Verbandskläger zweifelhaft, ob eine dem Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz entsprechende ausreichende Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK vorliegt.1084
VII. Neue Präklusionsvorschrift gem. § 5 UmwRG vom 29.05.20171085 Angesichts der Tatsache, dass der EuGH eine derartige Verwirkung der Einwendungsbefugnis im gerichtlichen Verfahren in der Rechtssache C-137/14 zu Recht als unionsrechtswidrig erkannte,1086 streicht – wie bereits erwähnt wurde – diese Novelle des UmwRG außerdem materielle Präklusionsvorschriften des § 2 2. Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen. Auf Rechtsbehelfe von Personen und Vereinigungen nach Satz 1 Nummer 1 ist Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Aufhebung einer Entscheidung nur verlangt werden kann, wenn der Verfahrensfehler dem Beteiligten die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat. (4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 12 und 28 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. (5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.“ 1082 Zur Rügefähigkeit der Verfahrensfehler im Rahmen des § 4 UmwRG a. F. siehe insb. 1. Teil, 3. Kap., E., I. ff. 1083 s. o. 1. Teil, 2. Kap., E., V., 5.; S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 6 ff. 1084 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 7; dies., UPR 2016, S. 478 ff.; mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., II., 1. 1085 § 5 UmwRG vom 29.05.2017 lautet: „Einwendungen, die eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 erstmals im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, bleiben unberücksichtigt, wenn die erstmalige Geltendmachung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuchlich oder unredlich ist.“ 1086 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, Rn. 77 ff. (Kommission/Deutschland), juris, sowie NuR 2015, S. 765 ff.; mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., d).
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Abs. 3 UmwRG a. F. sowie des § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG. § 5 UmwRG enthält indes eine Ausnahme, die auch der EuGH zuließ: Ein Rechtsbehelfsführer verliert seine Einwendungsbefugnis im gerichtlichen Verfahren, wenn er sich vorprozessual missbräuchlich oder unredlich verhalten hat. Insofern entfällt bei Rechtsbehelfen gegen Zulassungsentscheidungen für UVP-pflichtige Vorhaben und bestimmte Industrieanlagen die „materielle Präklusion“. Einwendungen vor Gericht, die nicht schon im Genehmigungsverfahren vorgebracht worden waren, dürfen nicht mehr ausgeschlossen werden. Möglich bleibt ein Ausschluss von Einwendungen aber dann, wenn deren erstmalige Geltendmachung im Gerichtsverfahren missbräuchlich oder unredlich ist. Was genau „missbräuchliches“ oder „unredliches“ vorprozessuales Verhalten ist, hat die Rechtsprechung zu klären. Ein missbräuchliches Verhalten dürfte jedenfalls bei arglistigem Verschweigen von Einwendungen im Verwaltungsverfahren zu bejahen sein, wenn der Kläger sich Vorteile im Klageverfahren zu verschaffen sucht.1087 Dies birgt aber erneut die Gefahr, dass eine zu enge Auslegung zu unions- und völkerrechtswidrigen Judikaten führt. Denn angesichts der unbestimmten Rechtsbegriffe droht diese Regelung zur „Präklusion durch die Hintertür“ zu werden.1088 Es wäre daher besser, wenn der Gesetzgeber mit Hilfe von Regelbeispielen die relevanten Ausnahmenfälle konkretisierte.1089 Unionsrechtswidrig kann aber sein, dass bezüglich der neu eingeführten Klagemöglichkeit gegen SUP-pflichtige Pläne nun jedoch eine in ihrer Reichweite abgeschwächte Vorschrift (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3b UmwRG) besteht, welche jedenfalls die vorherige Wahrnehmung einer Beteiligungsmöglichkeit verlangt. Dabei ist § 7 Abs. 3 UmwRG zu beachten, der für bestimmte Fallkonstellationen eine Einwendungspräklusion vorsieht.1090
VIII. Aufhebung des § 4a UmwRG a. F. § 4a UmwRG a. F.1091 wurde durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 bis auf die prozessuale Begründungsfrist aufgehoben. Dies ist begrüßenswert, denn diese Norm führte durchaus zu rechtssystematischen Inkohärenzen und Friktionen im Bereich des nationalen Umweltrechtsschutzes. Dadurch wurde die Ausübung der durch die EU-Rechtsordnung verliehenen Rechte, die einen weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gewährleisten, übermäßig erschwert. Es ist daher denkbar, dass diese Bestimmung gegen das Effektivitäts1087 s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 4.; VG Osnabrück, Urt. v. 04.11.2014 – 3 A 88/14, juris; S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 5 ff. 1088 BT-Drs. 18/12146, S. 9; S. Schlacke, LTO, 17.10.2016. 1089 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 6. 1090 F. Petersen, Recht der Natur, Schnellbrief 202, IDUR, Mai/Juni 2017, S. 26 ff. 1091 s. o. 1. Teil, 2. Kap., F., I. ff.
530
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
und Äquivalenzgebot verstieß und in die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unangemessen eingriff 1092
IX. Verlängerung der Klagebegründungsfrist gem. § 6 UmwRG vom 29.05.20171093 Ferner hat der Gesetzgeber die neu vorgesehene Klagebegründungsfrist in § 6 S. 1 UmwRG eingeführt. Damit wurde die Klagebegründungsfrist von sechs auf zehn Wochen erweitert. Dies ist positiv zu bewerten, denn die sechswöchige Klagebegründungsfrist des § 4a Abs. 1 UmwRG a. F. erwies sich in der Praxis, insbesondere, wenn die Zulassung größerer Infrastrukturprojekte angefochten wurde,1094 als zu eng für die Kläger des UmwRG.1095 Nunmehr sind gem. § 6 S. 2 UmwRG vom 29.05.2017 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser 10-Wochen-Frist vorgebracht werden, nur zuzulassen, wenn der Rechtsbehelfsführer die Verspätung genügend entschuldigt (§ 87b Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwGO). Darüber hinaus kann gem. § 6 S. 4 UmwRG diese Frist durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter auf Antrag verlängert werden, wenn die Person oder die Vereinigung in dem Verfahren, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist, keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.1096 Der Gesetzesbegründung nach kann nur in diesen Fällen die zehnwöchige Klagebegründungsfrist im Einzelfall nicht ausreichend sein, so dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise eine Fristverlängerung erforderlich sein könne.1097
1092
s. o. zusammengefasst 1. Teil, 2. Kap., F., VII. § 6 UmwRG vom 29.05.2017 lautet: „Eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 hat innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Absatz 1 Satz 1 oder gegen deren Unterlassen dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn die Voraussetzung nach § 87b Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung erfüllt ist. § 87b Absatz 3 Satz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend. Die Frist nach Satz 1 kann durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter auf Antrag verlängert werden, wenn die Person oder die Vereinigung in dem Verfahren, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist, keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.“ 1094 Vgl. UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 123 ff.; T. Bunge, § 4a UmwRG, in: UmwRG, 2013, Rn. 7. 1095 s. o. 1. Teil, 2. Kap., F., II., 1. 1096 J. Schulte, JurOP, 11.05.2017. 1097 BT-Drs. 18/12146, S. 9. 1093
H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017
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X. Ausweitung der Heilungsmöglichkeiten bei materiellen Rechtsverstößen gem. § 7 UmwRG vom 29.05.20171098 Gemäß § 7 Abs. 5 UmwRG soll eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 führen, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Damit wäre nicht das Ende des Verwaltungsverfahrens, sondern das Ende des Gerichtsverfahrens der entscheidungserhebliche Zeitpunkt. Die Fehlerheilung wird damit für gebundene Entscheidungen nicht nur durch den Vorhabenträger oder die Genehmigungsbehörde, sondern durch das Gericht erfolgen. Bislang fand die Möglichkeit der Heilung von materiellen Rechtsverletzungen nur bei Planfeststellungsverfahren Anwendung, die mit einer Abwägungsentscheidung, dem Planfeststellungsbeschluss enden. Nunmehr werden somit auch immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren, an deren Ende eine gebundene Entscheidung steht, etwa eine immissionsschutzrecht1098 § 7 UmwRG vom 29.05.2017 lautet: „(1) Ist für Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 nach den geltenden Rechtsvorschriften keine öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben, so hat die zuständige Behörde die im Einzelfall getroffene Entscheidung mit Rechtsbehelfsbelehrung einer oder mehreren genau zu bezeichnenden Personen oder Vereinigungen bekannt zu geben, wenn dies beantragt wird 1. vom Antragsteller des Verwaltungsaktes nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 2. von demjenigen, an den die Behörde den Verwaltungsakt nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 gerichtet hat. Die Kosten der Bekanntgabe hat der Antragsteller zu tragen. (2) Über Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 oder deren Unterlassen entscheidet im ersten Rechtszug das Oberverwaltungsgericht, auch wenn kein Fall des § 47 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 der Verwaltungsgerichtsordnung vorliegt. Ist eine Gestaltungs- oder Leistungsklage oder ein Antrag nach § 47 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht statthaft, ist § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden. Bei länderübergreifenden Plänen und Programmen ist das Oberverwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, die die Entscheidung über die Annahme des Plans oder Programms getroffen hat, ihren Sitz hat. (3) Hat eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 in einem Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Gelegenheit zur Äußerung gehabt, ist sie im Verfahren über den Rechtsbehelf nach Absatz 2 mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Satz 1 gilt nicht für Verfahren zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bebauungsplänen nach § 10 des Baugesetzbuches. (4) Im Rechtsbehelfsverfahren gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b findet § 73 Absatz 4 Satz 3 bis 6 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, auch in den Fällen seines Absatzes 8, keine Anwendung. (5) Eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Satz 1 gilt nicht im Anwendungsbereich des § 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes. (6) Absatz 2 Satz 1 und 3 sowie die Absätze 4 und 5 gelten auch für Rechtsbehelfe von Personen und Vereinigungen nach § 4 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1.“
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
liche Genehmigung, erfasst.1099 Dass auch materielle Fehler gebundener Entscheidungen während des gerichtlichen Verfahrens noch heilbar sind – etwa durch Aussetzung des Verfahrens – ist neu. Dies bedeutet nicht nur, dass Vorhabenplanungen und Verwaltungsentscheidungen mit weniger Sorgfalt erfolgen können, da praktisch eine unbegrenzte Heilung im Gerichtsverfahren erfolgen kann. Es bedeutet auch, dass Umweltvereinigungen auch bei höchst defizitären Verwaltungsakten nicht mehr erfolgreich klagen können, da alle Fehler im Gerichtsverfahren geheilt werden.1100 Daher könnte diese Bestimmung gegen das unionsrechtliche Effektivitätsgebot sowie gegen die Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verstoßen.1101
XI. Überleitungsvorschrift gem. § 8 UmwRG vom 29.05.20171102 Von Bedeutung ist insbesondere auch die Überleitungsvorschrift des § 8 Abs. 2 der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017. Danach gelten die neuen Kla1099
S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016,
S. 7 ff. 1100
BT-Drs. 18/12146, S. 9 ff. BT-Drs. 18/12146, S. 10. 1102 § 8 UmwRG vom 29.05.2017 lautet: „(1) Ist für Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 nach den geltenden Rechtsvorschriften keine öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben, so hat die zuständige Behörde die im Einzelfall getroffene Entscheidung mit Rechtsbehelfsbelehrung einer oder mehreren genau zu bezeichnenden Personen oder Vereinigungen bekannt zu geben, wenn dies beantragt wird 1. vom Antragsteller des Verwaltungsaktes nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 2. von demjenigen, an den die Behörde den Verwaltungsakt nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 gerichtet hat. Die Kosten der Bekanntgabe hat der Antragsteller zu tragen. (2) Über Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 oder deren Unterlassen entscheidet im ersten Rechtszug das Oberverwaltungsgericht, auch wenn kein Fall des § 47 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 der Verwaltungsgerichtsordnung vorliegt. Ist eine Gestaltungs- oder Leistungsklage oder ein Antrag nach § 47 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht statthaft, ist § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden. Bei länderübergreifenden Plänen und Programmen ist das Oberverwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, die die Entscheidung über die Annahme des Plans oder Programms getroffen hat, ihren Sitz hat. (3) Hat eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 in einem Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Gelegenheit zur Äußerung gehabt, ist sie im Verfahren über den Rechtsbehelf nach Absatz 2 mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Satz 1 gilt nicht für Verfahren zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bebauungsplänen nach § 10 des Baugesetzbuches. (4) Im Rechtsbehelfsverfahren gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b findet § 73 Absatz 4 Satz 3 bis 6 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, auch in den Fällen seines Absatzes 8, keine Anwendung. 1101
H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017
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gerechte auch für alle Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4–6 UmwRG, die am 02.06.2017 noch keine Bestandskraft erlangt haben, oder die nach diesem Zeitpunkt ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Insofern ist die Zulässigkeit der geführten Rechtsmittel hinsichtlich der neuen Verbandsklagerechte der Novelle des UmwRG mit Rückwirkung geregelt worden.1103
XII. Fazit Insgesamt wird mit der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 der Umfang von sonderverfahrens- und prozessrechtlichen Vorschriften erheblich erweitert. Vor allem führt die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 zum Bedeutungszuwachs des Rechtsschutzes im Bereich des Umweltrechts.1104 Die Unions- und Völkerrechtskonformität einiger Bestimmungen dieser Novelle (wie § 1, § 2 Abs. 1, Nr. 3 S. 2, § 4 Abs. 1 und Abs. 1a, § 7 Abs. 4, 5 UmwRG) ist allerdings immer noch fraglich. Es bleiben, unnötigerweise, Lücken, die dazu führen, dass der Umweltrechtsschutz auch nach Verabschiedung dieser Novelle nicht zur Ruhe kommen wird und keine Rechtssicherheit einkehrt. Dies betrifft vor allem die weiterhin unzureichende Umsetzung der Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 9 Abs. 3 AK.1105 Es sieht so aus, dass das UmwRG durch mehrere aufeinander folgende Novellen den ihm immer noch zugewiesenen sektoralen Rechtsbereich quasi verlässt und sich mehr und mehr zu einem Gesetz verwandelt, das parallel zu dem VwVfG und der VwGO angewandt wird.1106 Gleichzeitig führt die Auslagerung zentraler, abweichender verwaltungsverfahrens- und prozessrechtlicher Vorschriften in ein umweltbezogenes Sondergesetz zu rechtssystematischen Friktionen. Denn mit speziellen Verwaltungsverfahrensbestimmungen, etwa zur Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern und bezüglich der Heilung von materiellen Mängeln, sowie hinsichtlich gesondert geregelter Rechtsbehelfsrechte für Personen und Umweltvereinigungen, wird außerhalb des VwVfG und der VwGO sowie außerhalb der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder ein Sonderverwal-
(5) Eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Satz 1 gilt nicht im Anwendungsbereich des § 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes. (6) Absatz 2 Satz 1 und 3 sowie die Absätze 4 und 5 gelten auch für Rechtsbehelfe von Personen und Vereinigungen nach § 4 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1.“ 1103 F. Petersen, Recht der Natur, Schnellbrief 202, IDUR, Mai/Juni 2017, S. 27. 1104 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 9; dies., UPR 2016, S. 478 ff. 1105 R. Klinger, ZUR 2017, S. 449 ff. 1106 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 7 ff.; dies., UPR 2016, S. 478 ff.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
tungs- und Verfahrensrecht geschaffen.1107 Dieses Sonderverwaltungs- und Verfahrensrecht im Bereich des Umweltrechtsschutzes ist außerordentlich, voraussetzungsreich und überkompliziert. Vor diesem Hintergrund eröffnet diese Novelle einerseits einen weiten Spielraum für eine differenzierte Anwendung, andererseits einen eingeschränkten Spielraum für die völker- und europarechtskonforme Auslegung.1108 Diese Friktionen sollten durch eine angemessene Harmonisierung des UmwRG mit der Verfahrens- und Prozessrechtsordnung vermieden werden.1109 Weitere Anpassungen an das Völker- und Unionsrecht sind somit erforderlich.1110
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik In Bezug auf die erweiterten Klagemöglichkeiten anerkannter Umweltvereinigungen gegen Entscheidungen im Rahmen des UmwRG stellt sich die Frage der Reichweite der Kontrolldichte der gerichtlichen Überprüfung umweltbeeinträchtigender Entscheidungen. Andererseits befürchtet die Wirtschaft, dass die Erweiterung der Verbandsklagerechte durch das UmwRG zum Abschrecken von Investitionen vor allem bei Vorhaben, die in FFH-Gebieten oder ihrem Umfeld durchgeführt werden sollen, führen kann.
I. Zur besonderen Frage der Reichweite der Kontrolldichte in Umweltangelegenheiten Von besonderem Interesse ist die in der Theorie1111 angedeutete Frage, ob die Ausweitung der Kontrollzugangsrechte im Rahmen des UmwRG, insbesondere nach dem Trianel-Urteil des EuGH, auch mit einer Rücknahme der Kontrolldichte verbunden sein müsse. In diesem Zusammenhang ist es beachtenswert, dass das OVG Münster in seinem dem Trianel-Urteil des EuGH folgenden Urteil eine intensive Kontrolle des immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids durchgeführt hat. Es scheint somit, dass die bisherige Rechtsprechung keine Veranlassung für eine geringere Prüfdichte bei umweltbezogenen Fällen sieht.1112 1107 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 9; dies., UPR 2016, S. 478 ff. 1108 Ebd. 1109 S. Schlacke, Stellungnahme zum UmwRG-E vom 05.09.2016, 21.09.2016, S. 7 ff.; K.-F. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, D 9 ff. 1110 S. Schlacke, LTO, 17.10.2016. 1111 Vgl. u. a. W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 762 ff., m.w. N. 1112 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 01.12.2011 – 8 AK, NuR 2012, S. 342 ff.; Anm. dazu W. Durner/M. Paus, NuR 2012, S. 325 ff.; so auch EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C72/12, Rn. 36 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 37 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NordrheinWestfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
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Dies wirft aber Fragen auf. Denn unter diesen Umständen könnte nunmehr bei der umweltrechtlichen VK eine weitgehend einschränkungslose Klagebefugnis bei prinzipiell uneingeschränkter Kontrolldichte vorhanden sein.1113 Vor diesem Hintergrund bestehe nicht nur die Gefahr einer deutlichen Steigerung der Zahl von Umweltverbandsklagen, die zur erheblichen Verzögerung der Durchführung von umweltrelevanten Projekten und damit zu einem Investitionshindernis führen könnte.1114 Daneben ist auch zu erwarten, dass die begrenzten Kontrollressourcen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bald überfordert sein könnten.1115 Um diese mögliche negative Auswirkung abzuwenden, schlug ein Teil der Theorie – von den Grundgedanken des Vorschlags der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch in § 43 UGB-KomE1116 inspiriert – vor, die Überprüfung von Prognose- und Bewertungsentscheidungen der Verwaltung bei unbestimmten Rechtsbegriffen nur auf die Frage zu beschränken, ob das für die Prognose und Bewertung vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde und ob die behördliche Prognose oder Bewertung nachvollziehbar ist. Dadurch sollte eine mögliche Überforderung der Gerichte vermieden werden. Mit der Einführung solcher Kontrollkriterien könnte der Gesetzgeber das bestehende Problem der Justitiabilität komplexer umweltrechtlicher Verwaltungsentscheidungen handhabbar machen.1117 Demgegenüber steht allerdings die Tatsache, dass eine Überforderung der Gerichte wegen einer uneingeschränkten Kontrolldichte bisher nicht nachgewiesen 1113 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347. Zu dem Umfang und der Intensität der Kontrolldichte im deutschen Recht vgl.: T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht 2008, S. 28 ff., m.w. N. Vgl. T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 28 ff. 1114 Vgl. B. Henning, NVwZ 2011, S. 2768; B. Müller, EurUP 2011, S. 171; W. Valendar, UPR 2008, S. 1 ff. Vgl. auch entsprechende Bedenken hinsichtlich der Erweiterung der Klagerechte im Sonderbereich Luftreinhaltung: A. Scheidler, GewArch 2009, S. 285 ff.; dagegen: A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff.; ders., ZUR 2011, S. 296 ff.; B. Wegener, ZUR 2011, S. 365 ff. 1115 Vgl. W. Durner/M. Paus, NuR 2012, S. 325, S. 327 ff.; A. Scherzberg, in: H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2010 § 12, Rn. 20, m.w. N.; T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347. 1116 § 43 UGB-KomE lautete: „Bei der Anwendung der umweltrechtlichen Vorschriften sind behördliche Prognosen und Bewertungen, die technischen und naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, im gerichtlichen Verfahren nur darauf zu überprüfen, ob das für die Prognose oder Bewertung vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist und die behördliche Prognose oder Bewertung nachvollziehbar ist, insbesondere ob die Sachverhaltsermittlung und -feststellung zutreffend und vollständig ist, ob die einschlägigen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in Betracht gezogen worden sind und die Bewertungsmaßstäbe der Sache angemessen sind.“; BMU (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998, S. 124 ff.; s. auch Begründung S. 525 ff. 1117 Vgl. R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 330; W. Durner/M. Paus, NuR 2012, S. 325, S. 327 ff.; m.w. N.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
ist.1118 Dabei versäumt dieser Gesetzesvorschlag, die Beschränkung der gerichtlichen Prognose- und Bewertungskontrolle von organisations- und verfahrensrechtlichen Vorbehalten zur verlässlichen Einbindung des naturwissenschaftlichen und technischen Sachverstandes abhängig zu machen.1119 Eine hohe Kontrolldichte bei der deutschen Gerichtsbarkeit in Umweltangelegenheiten – trotz der oben erwähnten möglichen Nachteile – fördere jedenfalls den Rechtsschutzgrundsatz im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG. Außerdem dürften der Effektivitätsgrundsatz sowie sekundärrechtliche Normen, etwa Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL, die unter anderem auch die Überprüfung der materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit umweltbezogener Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen erfordern, eine Leitfunktion nicht nur für einen weiten und effektiven gerichtlichen Zugang, sondern auch für eine hohe und wirksame Kontrolldichte entfalten. Sie fordern im Prinzip mehr als eine überschlägige Plausibilitätsprüfung auch im Hinblick auf die Einhaltung des Verfahrensrechts.1120 Die Überlegung, dass die materiell-rechtliche Kontrolle diametral entgegen einer intensiveren gerichtlichen Kontrolle des Verfahrensrechts zu verringern sei, stützt sich nicht auf die unionale Gesetzgebung. Sie würde dem Effektivitätsgebot des Unionsrechts nicht gerecht.1121 In diesem Zusammenhang ist es nicht ratsam – auch im Anschluss an das Trianel-Urteil des EuGH1122 –, das Argument der Notwendigkeit einer intensiven gerichtlichen Kontrolle zum Anlass zu nehmen, um den Zugang der betroffenen Öffentlichkeit zu Gerichten zu beschränken. Gleichwohl scheint es auch nicht sachgemäß, wegen der bestehenden ausgedehnten verwaltungsrechtlichen Rügemöglichkeiten der betroffenen Öffentlichkeit und vor allen der Umweltschutzvereinigungen den gerichtlichen Kontrollumfang einzuschränken.1123 1118
Vgl. A. Schmidt, ZUR 2011, S. 296 ff.; ders., NuR 2008, S. 544 ff.; ders., ZUR 2012, S. 216; A. Schmidt/F. Sperfeld, Vergleich oder Urteil bei umweltrechtlichen Verbandsklagen? Empirische Untersuchung der Entwicklung und der Inhalte von Vergleichsabschlüssen bei Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutzrecht, UfU, Dez. 2010, S. 3 ff.; A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 77 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007; A. Schmidt/M. Zschiesche/ M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004. In diese Richtung auch S. Schlacke, ZUR 2013, S. 201; BT-Drs. 17/10957, S. 26 ff.; jeweils m.w. N.; a. A. W. Valendar, UPR 2008, S. 7 ff., m.w. N. 1119 R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 331; ders., UTR 1998, S. 211 ff. 1120 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17, m.w. N. 1121 Vgl. B. Wegener, HFR 2000, S. 3 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17; jeweils m.w. N. Gleiches sollte auch für die teilweise formulierte Formel gelten: je weiter der Zugang zu Verwaltungsrechtsschutz, umso geringer die Prüftiefe der Rechtmäßigkeitskontrolle. 1122 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Rn. 48 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V./Bezirksregierung Arnsberg, sog. Trianel-Urteil), NuR 2011, S. 423 ff.; ausführlich dazu s. u. 1. Teil, 4. Kap., I., 2. ff. 1123 In diese Richtung C. Franzius, EurUP 2014, S. 291 ff.
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
537
II. Abschrecken von Investoren durch Erweiterung der Klagerechte der Umweltschutzvereinigungen? Im Anschluss an die hier diskutierte Erweiterung der Klagerechte der Umweltschutzvereinigungen wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass insbesondere die neuen Klagerechte der Umweltvereinigungen dazu führen, „Investoren abzuschrecken“ und zu demütigen.1124 Denn, wie einige Studien zeigen, hält die Angst vor möglichen Gerichtsprozessen Investoren von umweltgefährdenden Projekten ab und erfolgreiche wie erfolglose Prozesse führen häufig zur Nichtdurchführung von Projekten wegen gestiegener öffentlicher Aufmerksamkeit und erhöhten Widerstands.1125 Insbesondere aufgrund von Gerichtsurteilen, etwa anlässlich des Bauvorhabens der Bundesautobahn A 44 (Kassel – Herleshausen)1126 oder des streitigen Vorhabens der Planfeststellung eines etwa 12-km-langen Teilstückes der Autobahn 1124 Vgl. B. Wegener, ZUR 2011, S. 365, m.w. N.; A. Mainzer/J. Möbus, I+E 2012, S. 213 ff.; A. Versteyl, I+E 2012, S. 242 ff.; A. Versteyl/D. Buchsteiner, I+E 2012, S. 73 ff.; B. Henning, NVwZ 2011, S. 2768; B. Müller, EurUP 2011, S. 171; W. Valendar, UPR 2008, S. 1 ff. Insbesondere wurde beklagt, der zur Bewältigung der Energiewende notwendige Ausbau der Stromübertragungsnetze werde durch die erweiterten Klagerechte gefährdet (vgl. insb. Financial Times Deutschland, 12.05.2011). Letzteres erscheint aber schon deshalb wenig plausibel, weil der Leitungsausbau als planfeststellungspflichtiges Vorhaben nach § 43 EnWG schon zuvor in den Bereich der Verbandsklagerechte nach dem BNatSchG fiel. 1125 N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters. Final Report, 2003, S. 13; M. Dross, ZUR 2004, S. 152, m.w. N. 1126 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28/01, NuR 2002, S. 739 ff. Das BVerwG hat in diesem Fall die eingereichte VK für zulässig gehalten und den Planfeststellungsbeschluss der Landesbehörde von Hessen für den Bau der Bundesautobahn A 44 (Kassel – Herleshausen) nördlich von Hessisch Lichtenau, die ein vom Land Hessen gemeldetes FFH-Gebiet durchschneidet, für rechtswidrig erklärt. Grund dafür war, dass der Planungsträger den Anforderungen des europäischen Naturschutzrechts aufgrund Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht gerecht geworden ist. Der Planungsträger hat eine Südumfahrung mit der Begründung abgelehnt, sie stelle keine Alternative im Sinne des FFH-Rechts dar, weil dort ein vom Land gemeldetes weiteres FFH-Gebiet beeinträchtigt werden würde. Der Senat hat als Ergebnis der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass im Süden von Hessisch Lichtenau eine Trassenführung in Betracht kommt, bei der das gemeldete FFH-Gebiet unangetastet bleibt. Das Land Hessen hat auf der Grundlage eines daraufhin erlassenen Aufklärungsbeschlusses geltend gemacht, dass auch diese Trasse als Alternative ausscheide, da sie durch ein Gebiet verlaufe, das die Merkmale eines potentiellen FFH-Gebiets aufweise, das nachgemeldet werden solle. Nach Ansicht des 4. Senats des BVerwG genügt, um eine Alternativlösung i. S. d. FFH-RL zu verneinen, nicht allein die abstrakte Feststellung, dass sowohl an der einen als auch an der anderen Stelle ein (potentielles) FFH-Gebiet beeinträchtigt wird. Vielmehr bedarf es auf Grund einer an den wesentlichen Maßstäben der FFH-RL orientierten Betrachtung eines wertenden Vergleichs der jeweils zu erwartenden Beeinträchtigungen. Ein solcher Vergleich erübrigt sich nur dann, wenn sich aus anderen Gemeinwohlgründen ergibt, dass es unverhältnismäßig wäre, den Planungsträger auf die Alternativlösung zu verweisen. Letztere Frage lässt sich aber laut BVerwG an Hand der vom Land Hessen bisher beigebrachten Unterlagen nicht abschließend beurteilen.
538
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
A 143 (sog. „Westumfahrung Halle“-Projekt)1127, die einen Baustopp oder eine Einstellung von Infrastrukturprojekten angeordnet haben,1128 wurde die Ansicht 1127 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, ZUR 2007, S. 307 ff. Gegenstand des Falles ist die streitige Planfeststellung eines etwa 12-km-langen Teilstückes der A 143, das im Naturpark „Unteres Saaletal“ zwei Schutzgebiete nach der europäischen FFHRL queren soll („Muschelkalkhänge westlich von Halle“ und „Porphyrkuppenlandschaft nordwestlich von Halle“). Dieses Bauvorhaben ist im gesetzlichen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen als „vordringlicher Bedarf“ aufgeführt und gehört zu den „Verkehrsprojekten Deutsche Einheit“. Das BVerwG hat in diesem Fall entschieden, dass die umstrittene Planfeststellung trotz darin vorgesehener konfliktmindernder Maßnahmen (z. B. der Bau von Grünbrücken im Bereich der FFH-Gebiete) bislang nicht den Anforderungen des europäischen Naturschutzrechts genüge. Der Weiterbau der Bundesautobahn Westumfahrung Halle wurde daher durch die eingereichte VK gestoppt. Der Auffassung des BVerwG nach löse die Querung von FFH-Gebieten durch eine Autobahntrasse ein strenges Schutzsystem aus, dessen Einhaltung der umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterliege. Kurzgefasst begründet es seine Entscheidung mit folgenden Argumenten: Jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen ist nach dem BVerwG grundsätzlich erheblich und muss als „Beeinträchtigung des Gebiets als solchem“ gewertet werden. Dabei gingen verbleibende Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit von Schadensminderungs- und Schadensvermeidungsmaßnahmen zum Schutz der FFH-Gebiete zu Lasten des Vorhabens, so das BVerwG. Denn bestehen aus wissenschaftlicher Sicht vernünftige Zweifel an der Tragfähigkeit der Risikoeinschätzung bzw. des vorgesehenen Risikomanagements, darf die UVP nicht mit einem positiven Ergebnis für das Vorhaben abgeschlossen werden. Vielmehr kann das Vorhaben dann nur auf Grund einer Abweichungsprüfung zugelassen werden. Dabei muss aber der Nachweis erbracht werden, dass zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses die Durchführung des Vorhabens erforderten, denen durch eine die FFH-Gebiete weniger oder gar nicht beeinträchtigende Alternativlösung nicht genügt werden könne (vgl. Art. 6 IV FFH-RL, der gem. § 34 Abs. 4 BNatSchG umgesetzt worden ist). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass das BVerwG eindeutig feststellt, dass pauschale Behauptungen von Seiten der Vorhabenträger als Beleg für die Darlegung des Ausnahmetatbestandes der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nicht ausreichen. Vielmehr müssen die Gemeinwohlbelange, die für das Vorhaben sprechen, im Einzelnen dargelegt werden. Da es hier speziell um die Erhaltung des gemeinsamen Naturerbes der Mitgliedstaaten geht, muss die „nationale Brille“ bei der Auslegung und Anwendung der FFH-RL beiseitegelegt werden. Die Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Auslegung der FFH-RL muss daher strikt beachtet werden. Dabei ist es erforderlich das Gewicht dieser EU-Belange auf der Grundlage der Gegebenheiten des Einzelfalls nachvollziehbar zu ermitteln und zu bewerten. Die Bindungswirkung der gesetzlichen Bedarfsfeststellung reiche für sich genommen nicht aus, um dem planfestgestellten Vorhaben einen Vorrang gegenüber dem Habitatschutz zu sichern. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Frage streitig ist, ob die für das Vorhaben streitenden Gemeinwohlbelange ein solches Gewicht haben, dass sie widerstreitende Belange des Naturschutzes zu überwinden vermögen. Vor diesem Hintergrund wird aufgrund § 61 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG g. F. (enstpr. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG n. F.) zutreffend einer anerkannten Naturschutzvereinigung, die nicht in eigenen Rechten verletzt ist, das Klagerecht eingeräumt, um gerichtlich zu prüfen, ob die oben ausgeführte Abwägung der kollidierenden Belange im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens beanstandungsfrei vollzogen worden ist. Die anerkannte Naturschutzvereinigung rügt damit Mängel des Vollzuges einer den Belangen der Natur dienenden Vorschrift. Anm. dazu B. Stüer, NVwZ 2007, S. 1147; P. Kremer, ZUR 2007, S. 299 ff.; W. Valendar, EurUP 2007, S. 275 ff. 1128 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, S. 1171 ff.; BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02, NVwZ 2003, S. 485 ff.; BVerwG, Urt. v.
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
539
vertreten, dass Infrastrukturvorhaben durch die umweltschützende altruistische VK Risiken und Nebenwirkungen beigebracht werden.1129 Vor diesem Hintergrund „scheinen ,die guten Zeiten‘ für die Infrastrukturplanung vorbei zu sein“.1130 Diese Position wird grundsätzlich mit folgenden Argumenten begründet: Angesichts der Tatsache, dass Kern der UVP die Einholung fachlichen Rats der Wissenschaft bei einer Risikoanalyse, -prognose und -bewertung ist, muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass speziell im Wissenschaftssektor, auf den regelmäßig insbesondere die FFH-RL verweist, erhebliche Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten bestehen.1131 Insbesondere besteht bezüglich der in der FFH-RL aufgelisteten Arten unter den Fachleuten über viele Fragen noch weitgehend Unklarheit. Dies erscheint allerdings als normal, weil dieser Teilbereich der Biologie noch relativ jung ist. Dennoch herrscht Einigkeit darüber, dass die bislang erarbeiteten Erkenntnisse nicht ausreichen, um für die Risikoanalyse, -prognose und -bewertung wissenschaftlich haltbare Standards bereitzustellen.1132 Es ist daher nicht selten, dass es die in Betracht gezogenen außerrechtlichen Maßstäbe gar nicht gibt.1133 Ein Experte ist auch ohne Standards durchaus in der Lage, von Infrastrukturvorhaben ausgehende Risiken zu ermitteln und verbal zu beschreiben. Gleiches gilt auch für das sog. „Nullrisiko“.1134 Es stellt sich somit die plausible Frage: „Wie soll ein bei der Vorprüfung in Verdacht geratenes Infrastrukturvorhaben in das UVPG den Gegenbeweis führen, dass es für das FFH-Gebiet ökologisch ungefährlich ist, obwohl die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse generell dazu nichts hergeben?“1135 01.04.2004 – 4 C 2/03, NVwZ 2004, S. 1114 ff.; BVerwG, Urt. v. 14.12.2005 – 9 A 63/ 04, BeckRS 2006, 20307; BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, ZUR 2007, S. 307 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12/07, NuR 2009, S. 789 ff.; OVG Münster, Urt. v. 02.02.2005 – 11 D 68/02 AK, juris; VG Koblenz, Urt. v. 17.04.2007 – 1 K 2401/05 (Pressemitteilung des VG Koblenz 19/2007). 1129 Vgl. W. Valendar, UPR 2008, S. 2 ff.; ders., EurUP 2007, S. 275 ff., m.w. N.; M. McDonald, EurUP 2010, S. 220 ff.; B. Henning, NJW 2011, S. 2765 ff.; A. Versteyl/ D. Buchsteiner, I+E, 2012 S. 73 ff.; A. Mainzer/J. Möbus, I+E 2012, S. 213 ff. 1130 W. Valendar, UPR 2008, S. 2; ders., EurUP 2007, S. 275 ff. 1131 Vgl. M. Brenner/A. Nehrig, DÖV 2003, S. 1024 ff.; B. Wegener, ZUR 2011, S. 365, m.w. N.; A. Mainzer/J. Möbus, I+E 2012, S. 213 ff.; A. Versteyl, I+E 2012, S. 242 ff.; A. Versteyl/D. Buchsteiner, I+E 2012, S. 73 ff.; B. Henning, NVwZ 2011, S. 2768; B. Müller, EurUP 2011, S. 171; W. Valendar, UPR 2008, S. 1 ff.; jeweils m.w. N. 1132 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, Rn. 3.7, 4.6, 4.8, ZUR 2007, S. 314 ff. 1133 Zu beachten ist auch, dass sich an diesem Befund weder kurzfristig noch mittelfristig etwas ändern dürfte. Denn aus wissenschaftsmethodischen Gründen erfordert die Entwicklung der für eine rational begründete Risikobewertung erforderlichen Standards im Rahmen der Ökosystemforschung regelmäßig Jahrzehnte; s. W. Valendar, UPR 2008, S. 1 ff.; T. Krappel, NuR 2012, S. 837 ff.; jeweils m.w. N. 1134 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, Rn. 4.6, ZUR 2007, S. 315 ff.; W. Valendar, UPR 2008, S. 4; T. Krappel, NuR 2012, S. 836 ff.
540
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Meint z. B. der vom Vorhabenträger beauftragte Gutachter, dass das Risiko so gering sei, dass es vernachlässigt werden könne, wird die klagende Naturschutzvereinigung immer einen Gutachter aufbieten können, der mit guten Gründen das Gegenteil vertritt.1136 Es wird vor allem vorgetragen, etwa anlässlich des BVerwG-Urteils „Westumfahrung Halle“, dass eine fehlerbehaftete UVP notwendig auch die Abweichungsentscheidung „infiziert“.1137 Denn die Risiken für den Habitatschutz, die mit der Abweichungsentscheidung in Kauf genommen werden sollen, sind bei der UVP grundsätzlich einwandfrei ermittelt und bewertet worden.1138 Wegen des Prognose- und Bewertungsrisikos, das der UVP anhaftet, wird hier meist nur eine sog. „Worst-Case-Betrachtung“ übrig bleiben. Damit wird es für die Infrastrukturplanung zunehmend schwieriger, die Belange des Habitatschutzes abwägend zu überwinden. Denn der Nachweis der Abweichungsgründe zugunsten des angefochtenen Vorhabens ist i. d. R. besonders restriktiv. Der Nachweis, dass ein Bauvorhaben sich gegenüber dem Habitatschutz durchsetzt, ist auch häufig zeitaufwendig und teuer. Die Anforderungen an den Nachweis, dass die für das Bauvorhaben streitenden Gemeinwohlbelange in der Abwägung Vorrang beanspruchen können, sind im Allgemeinen sehr anspruchsvoll.1139 Die umweltschützende altruistische VK in Verbindung mit dem strengen materiell-rechtlichen Schutzsystem des Natura2000-Rechts, angereichert durch das besondere Artenschutzrecht stellen somit ein „scharfes Schwert“ vor allem aus Sicht des Vorhabenträgers dar.1140 Demnach ist festzustellen, dass sowohl für die Schutzstufe der UVP als auch für die Schutzstufe der Abweichungsprüfung eine bemerkenswerte Rechtsunsicherheit kennzeichnend ist. Laut dieser Auffassung liegt es nahe, dass sich insbesondere die FFH-Gebiete und ihr Umfeld faktisch zu Tabuzonen für Infrastrukturplanung wandeln. Unter diesen Bedingungen werden Infrastrukturvorhaben grundsätzlich in der Praxis mit Zustimmung der Umwelt- und Naturschutzvereinigungen zu verwirklichen sein. Wenn sich somit die Vereinigungen ihre Zustimmung im Einzelfall nicht „abkaufen“ lassen, sind die Planungen vom Scheitern bedroht.1141 So aber wird die Meinung vertreten, dass die deutschen Umweltvereinigungen zu einem institutionalisierten politischen Machtfaktor geworden sind, der mit der Staatsmacht konkurriert. Dadurch beginnt sich ein „Machtwechsel“ zu vollziehen.1142 Dieser Ansicht nach legitimiert die Funk1135
W. Valendar, UPR 2008, S. 4. Ebd. 1137 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, Rn. 1.14, ZUR 2007, S. 315 ff. 1138 W. Valendar, UPR 2008, S. 5. 1139 W. Valendar, UPR 2008, S. 5; M. McDonald, EurUP 2010, S. 220 ff.; m.w. N. 1140 T. Krappel, NuR 2012, S. 840. 1141 Vgl. B. Henning, NVwZ 2011, S. 2768; B. Müller, EurUP 2011, S. 171; W. Valendar, UPR 2008, S. 7. 1142 W. Valendar, UPR 2008, S. 7. 1136
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
541
tion der VK eine Verbandspolitik, die Fundamentalopposition gegen Infrastrukturvorhaben jeder Art betreibt und eine traditionelle Rolle als „Verwaltungshelfer“ ablehnt.1143 Angenommen, dass staatliche Befugnisse sogar den Trägern der funktionalen Selbstverwaltung nicht zur völlig freien Verfügung überlassen werden dürfen,1144 scheint die faktische Abtretung der staatlichen Planungshoheit, die Bestandteil der Staatsgewalt ist, an private Umwelt- oder Naturschutzvereinigungen nicht vereinbar mit dem Demokratiegebot (gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Denn durch die Einführung der umwelt- und naturschützenden altruistischen VK werden die Umwelt- und Naturschutzvereinigungen als Vehikel für eine „Privatisierung des Gemeinwohls“ ausgenutzt.1145 Diese Auffassung ist allerdings an dieser Stelle nicht anzunehmen. In Zusammenhang mit älteren Ergebnissen von Studien, die die Erfolgsbilanz der altruistischen VK des BNatSchG bis zu der Einführung des UmwRG im Dezember 2006 untersuchten, und die bereits kurzgefasst dargestellt wurden1146, belegen aktuellere empirische Studien den durchweg rationalen Gebrauch der eingeräumten Verbandsklagemöglichkeiten.1147 Für den Zeitraum 2007 bis 2010 – wobei seit Dezember 2007 den anerkannten Vereinigungen neben den naturschutzrechtlichen Klageregelungen der §§ 63 ff. BNatSchG auch die Rechtsschutzmöglichkeiten nach dem UmwRG zur Verfügung stehen – zeigt eine Untersuchung, dass die Verwaltungsgerichte bei insgesamt 100 VKen mindestens eine Entscheidung getroffen haben, wobei 191 Verfahren in der Hauptsache oder im einstweiligen Rechtsschutz in allen Instanzen geführt worden sind (s. u. Tabelle 4).1148 Laut dieser Untersuchung ergibt sich, dass im Zeitraum 2007 bis 2010 etwas weniger 1143
Ebd. Vgl. BVerfG, Urt. v. 13.07.2004 – 1 BvR 1298, 1299/94 u. a. 1145 Vgl. ausführlich dazu C. Calliess, NJW 2003, S. 100 ff.; auch W. Valendar, UPR 2008, S. 7. 1146 s. o. 1. Teil, 2. Kap., C., I., 2., Tabelle 1–3. 1147 Vgl. z. B. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 372 ff.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage – Theoretische Grundlagen und empirische Analyse, 2008; zuvor bereits: J. Bizer/T. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990; J.-F. Blume/A. Schmidt/M. Zschiesche, Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutz in Deutschland 1997–1999, 2001; E. Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft: Eine rechtsdogmatische Untersuchung zur Verbandsklage, 1984; A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004; B. Wegener, ZUR 2011, S. 365; A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff.; ders., ZUR 2011, S. 296; Stellungnahme des Bundesrats gegen den Regierungsentwurf zum UmwRG; BT-Drs. 17/10957, S. 26 ff.; UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 2 ff.; jeweils m.w. N. 1148 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 10; auf wen bezieht sich das jetzt genau? (st) dies., NuR 2012, S. 79 ff. 1144
542
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG Tabelle 4 Zahl der Klagen und Verfahren Klagen (Verfahren) 2007 bis 2010
Klagen (Verfahren) 2002 bis 20061149
Gesamtbilanz Klagen (Verfahren) 2002 bis 2010
3 (5)
4 (6)
7 (11)
Bayern
14 (32)
14 (21)
28 (52)
Berlin
2 (2)
4 (4)
6 (6)
Brandenburg
9 (18)
20 (37)
29 (55)
Bremen
2 (5)
2 (4)
Länder
Baden-Württemberg
4 (9) 1150
Hamburg
2 (5)
4 (11)
5
Hessen
6 (13)
7 (15)
121151 (26)
Mecklenburg-Vorp.
7 (8)
6 (11)
13 (19)
Niedersachsen
17 (30)
15 (22)
32 (52)
Nordrhein-Westfalen
12 (20)
14 (22)
251152 (41)
Rheinland-Pfalz
8 (13)
13 (23)
21 (36)
Saarland
1 (2)
3 (3)
4 (5)
(15)
Sachsen
5 (13)
19 (36)
24 (49)
Sachsen-Anhalt
7 (15)
8 (11)
15 (26)
Schleswig-Holstein
5 (10)
3 (6)
8 (16)
0
2 (2)
Thüringen Gesamt Klagen pro Jahr
100 (91)
138 (234)
25
27,6
2 (2) 1153
245
(421)
ca. 27,2
Quelle: A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 10.
1149 s. dazu Tabelle 1 bei A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Okt. 2007, S. 11. 1150 In der Summe wird die schon vor 2002 erhobene Klage gegen den Hafenausbau Altenwerder, die erst Ende 2008 durch Vergleich abgeschlossen worden ist und in beiden Studien berücksichtigt wird, nicht mitgezählt. 1151 In der Summe wird die 2003 erhobene Klage im Fall CCT-Werft (Flughafen Ff./M.), die erst nach mehreren Instanzen 2007 durch Vergleich abgeschlossen worden ist und in beiden Studien berücksichtigt wird, nicht mitgezählt. 1152 In der Summe wird hier die 2002 erhobene Klage im Fall Bebauungsplan Giersberg-Ost, die erst Ende 2008 durch Vergleich abgeschlossen worden ist und in beiden Studien berücksichtigt wird, nicht mitgezählt. 1153 s. zu den Klagen und Verfahren, die in der Summe fehlen, die Erklärungen in den vorangehenden Fn.
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
543
geklagt worden ist (25 Klagen pro Jahr) als von 2002 bis 2006 (27,6 Klagen pro Jahr). Damit steht zugleich fest, dass die mit dem UmwRG verbundene Ausweitung der Klagemöglichkeiten bisher nicht zu einer Zunahme der altruistischen VKen geführt hat. Gleich geblieben ist auch die Zahl der pro Jahr durchgeführten Verfahren (ca. 47). Daher bleibt es auch bei einer im Verhältnis zu den insgesamt von den Verwaltungsgerichten abgeschlossenen Verfahren sehr geringen Zahl von VKen, die nur einem Anteil von ca. 0,03% sämtlicher Verwaltungsgerichtsverfahren entspricht.1154 Von einer starken Belastung der Gerichte oder gar von einer „Klageflut“ kann somit keinesfalls gesprochen werden. Was die Dauer der umweltbezogenen Verfahren betrifft, hat eine Studie zur Entwicklung der naturschutzrechtlichen VKen von 2002 bis 2006 belegt, dass in diesem Zeitraum ca. 67% der Klagen nur über eine Instanz geführt worden sind.1155 Den gleichen Schluss hat auch eine andere Studie gezogen, die die naturschutzrechtlichen VKen für den Zeitraum 1979–2002 untersucht hat.1156 Durch eine noch aktuelle Studie ist insoweit für den Zeitraum 2007 bis 2010 eine deutliche Veränderung festgestellt worden, denn hier haben die Umweltverbände ihre Klagen nur noch in 45% der Fälle über eine Instanz und somit überwiegend über mehrere Instanzen geführt (s. u. Tabelle 5).1157 Welche Gründe es für diese Entwicklung geben könnte, lässt sich den erhobenen Daten nicht entnehmen. Anhand dieser Angaben lässt sich schließlich feststellen, dass die Zunahme der über mehrere Instanzen geführten Klagen vor allem bei Fällen zu verzeichnen ist, in denen naturschutzrechtliche VKen erhoben worden sind. Bei den Umweltver1154 Im Jahr 2009 sind von den Verwaltungsgerichten – Allgemeine Kammern (ohne Asylverfahren) – insgesamt 115.509 Hauptsacheverfahren und 29.221 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erledigt worden, bei den Oberverwaltungsgerichten waren es insgesamt (1. Instanz und Rechtsmittelinstanz) 16.531 Hauptverfahren; s. Statistisches Bundesamt, (2010), Fachserie 10 „Rechtspflege“, Reihe 2.4 Verwaltungsgerichte 2009, abrufbar unter: www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/Rechtspflege/GerichtePersonal/Verwal tungsgerichte2100240097005,property=file.xls, S. 34 ff., 50 ff. und 70 ff.; im Jahr 2010 waren es bei den Verwaltungsgerichten 110.795 Hauptsacheverfahren und 27.757 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowie bei den Oberverwaltungsgerichten insgesamt 16.149 Hauptverfahren; s. Statistisches Bundesamt, (2011), Fachserie 10 „Rechtspflege“, Reihe 2.4 Verwaltungsgerichte 2010, abrufbar unter: www.destatis.de/ jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffent lichungen/Rechtspflege/GerichtePersonal/Verwaltungsgerichte2100240107005,property =file.xls, S. 14 ff., 36 ff., 58 ff. und 72 ff. Daraus ergibt sich ein Durchschnitt von 157.984 erledigten Verfahren pro Jahr – die ca. 47 Verfahren pro Jahr bei Verbandsklagen entsprechen somit einem Anteil von ca. 0,03 %. Vgl. auch A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 81. 1155 Vgl. A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Okt. 2007, S. 12. 1156 Vgl. L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, theoretische Grundlagen und empirische Analysen, 2007, S. 341. 1157 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 12.
544
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG Tabelle 5 Klagen mit Verfahren über ein oder mehrere Instanzen
Länder
Klagen 2007 bis 2010
Klagen in erster Klagen über mehrere Instanz abgeschlossen Instanzen geführt
Baden-Württemberg
3
1
2
Bayern
14
2
12
Berlin
2
2
-
Brandenburg
9
5
4
Bremen
2
-
2
Hamburg
2
2
-
Hessen
6
3
3
MecklenburgVorpommern
7
6
1
Niedersachsen
17
7
10
Nordrhein-Westfalen
12
8
4
Rheinland-Pfalz
8
4
4
Saarland
1
–
1
Sachsen
5
2
3
Sachsen-Anhalt
7
2
5
Schleswig-Holstein
5
2
3
Thüringen
–
–
–
100
46 (46%)
54 (54%)
Gesamt
Quelle: A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 12.
bandsklagen liegen vermutlich auch aufgrund der kurzen Geltungsdauer des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes bisher nur relativ wenige Entscheidungen vor, die ganz überwiegend zu einem Abschluss in erster Instanz geführt haben.1158 In diesem Zusammenhang soll berücksichtigt werden, dass das Einlegen eines Rechtsmittels nicht ohne weiteres zu einer Verzögerung bei der Realisierung von Vorhaben führt. Vor allem die Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse haben 1158 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 17; dies., NuR 2012, S. 81.
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
545
grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, so dass trotz einer Klage mit dem Bau begonnen werden kann.1159 Außerdem sind die auf eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Eilverfahren nur in wenigen Fällen erfolgreich. Teilweise gehen auch nur diese Eilverfahren über mehrere Instanzen und die Gerichte entscheiden hierbei meist relativ kurzfristig. Davon abgesehen gibt es einige Fälle, in denen die Vereinigungen zwar solche Eilverfahren oder auch die Klagen in erster Instanz verloren haben, dann aber mit der eingelegten Berufung oder Revision erfolgreich gewesen sind. In solchen Fällen kann somit die Fortführung der Klage nicht negativ bewertet werden, weil sie rechtlich begründet war. Allerdings sind die Vorhaben dann teilweise schon während der noch laufenden Berufungs- oder Revisionsverfahren realisiert worden, so dass trotz der dort erzielten Erfolge insbesondere Maßnahmen zur Vermeidung einer Beeinträchtigung von Natur und Landschaft nicht mehr durchgesetzt werden konnten.1160 Hinzuweisen ist noch darauf, dass von 2007 bis 2010 insgesamt 17 Klagen durch Vergleich beendet worden sind, so dass in vielen Fällen ein weiteres gerichtliches Verfahren vermieden und die Realisierung der Vorhaben beschleunigt werden konnte.1161 Bezeichnenderweise wurde belegt, dass es von 2002 bis Mitte 2008 in Folge von altruistischen VKen gegen Infrastrukturvorhaben nur in einem Fall zur Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses (Fertigsteintagebau „Marta“)1162 und in acht Fällen zu einem vollständigen oder teilweisen Baustopp gekommen ist.1163 Zu beachten ist auch, dass im selben Zeitraum die altruistischen VKen bei 66 Fällen1164 nur teilweise oder gar nicht erfolgreich waren. Zu einem längerfristigen Baustopp führten im Zeitraum von 2002 bis Mitte 2008 nur 9 von 75 derartigen VKen. VKen gegen Infrastrukturvorhaben werden somit nur in wenigen Fällen komplett gewonnen und bewirken dann zwar eine Verzögerung, der Realisierung des Vorhabens aber stehen sie in aller Regel nicht entgegen, weil insbesondere die Planungsfehler grundsätzlich durch Planergänzungen behoben werden können. Darüber hinaus ist auch generell festzustellen, dass bei den Vorhaben, bei denen ein Baustopp verhängt worden ist, in der Regel die Defizite insbesondere im 1159
A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 82. Ebd., m.w. N. 1161 Ebd. 1162 VG Koblenz, Urt. v. 17.04.2007 – 1 K 2401/05 (Pressemitteilung des VG Koblenz 19/2007) Urteilsabdruck S. 8 ff.; zuvor schon: VG Koblenz, Beschl. v. 24.03. 2006 – 1 L 237/06. KO, ZfB 2006, S. 209 ff. (Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage); bestätigt durch: OVG Koblenz, Beschl. v. 26.05.2006 – 1 B 10405/06, ZfB 2006, S. 170 ff. 1163 Vgl. insb.: A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff.; BT-Drs. 16/7608, 18.12.2007, S. 8 ff. 1164 A. Schmidt, NuR 2008, S. 550 ff. 1160
546
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Bereich des europäischen Naturschutzrechts so erheblich waren, dass die Planfeststellungsbeschlüsse rechtswidrig waren. Deswegen sind die in solchen Fällen auftretenden Verzögerungen der weiteren Planung als gerechtfertigt anzusehen.1165 Außerdem verdeutlicht eine Betrachtung der im untersuchten Zeitraum getroffenen Entscheidungen, dass die umfangreichen Anforderungen, die nach der Entscheidung zur A 143 („Westumfahrung Halle“) bei FFH-UVP und bei Ausnahmeprüfungen sowie darüber hinaus beim Artenschutz beachtet werden müssen, in der Planungspraxis erfüllbar sind. Denn die Gerichte sind bei den Fällen, in denen das europäische Naturschutzrecht eine Rolle spielte, ganz überwiegend zu dem Ergebnis gelangt, dass dessen Anforderungen ausreichend berücksichtigt worden sind.1166 In dieser Hinsicht weist das BVerwG etwa in seiner Entscheidung zur B-3Ortsumgehung Celle1167 ausdrücklich darauf hin, dass das Habitatschutzrecht nicht als ein unüberwindbares Planungshindernis angesehen werden kann, und erhöht zugleich die Darlegungspflichten der Umwelt- und Naturschutzvereinigungen im Hinblick auf Ermittlungsdefizite bei der FFH-UVP, was ihnen eine erfolgreiche Prozessführung in Zukunft erschweren dürfte. Insgesamt gesehen ist zur Zeit in der Rechtsprechung eine Tendenz erkennbar, eine Planung für zulässig zu halten, wenn die damit verbundenen Eingriffe gemessen an den Zielsetzungen des Vorhabens nicht zu vermeiden sind und Alternativlösungen nur mit unvertretbaren Aufwendungen oder Abstrichen an dem Vorhaben verwirklicht werden können.1168 Nicht erforderlich sei allerdings, dass artspezifische nachteilige Auswirkungen tatsächlich bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten oder dass sie konkret möglich sind. Vielmehr reicht die abstrakte Möglichkeit ihres Eintritts aus.1169 1165
Ebd., S. 553. Dies gilt z. B. für die vor 2007 noch als rechtswidrig angesehenen Planungen der A 44 Hessisch Lichtenau (BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28/01, NVwZ 2002, S. 1243 ff.) und der B-50-Hochmoselübergang (BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/ 02, NVwZ 2003, S. 487 ff.) sowie für die Waldschlössschenbrücke (OVG Bautzen, Urt. v. 12.11.2007 – 5 BS 336/07, ZUR 2008, S. 45 ff.), die A 94 (VGH München, Urt. v. 30.10.2007 – 8 A 06.40023 bis 40026, becklink 244723), die B-3-Ortsumgehung Celle (BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, NuR 2008, S. 176 ff.), die B-299-Ortsumgehung Pressath (VGH München, Urt. v. 28.01.2008 – 8 A 04.40023 u. a., DVBl 2008, S. 694 ff.), die Wasserkraftanlage in Bremen-Hemelingen (OVG Bremen, Urt. v. 03.06. 2009 – 1 A 7/09, ZUR 2010, S. 42 ff.), den JadeWeserPort (OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.03.2008 – 7 MS 114/07, NuR 2008, S. 265 ff.) und die A-30-Nordumfahrung Bad Oeynhausen (BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, NVwZ 2009, S. 302 ff.; Anm. F. Hufen, JuS 2009, S. 754), aber auch für den Fall des Braunkohlentagebaus CottbusNord – Lakomaer-Teiche (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 05.07.2007 – 2 S 25/07, ZUR 2008, S. 34 ff.). Vgl. A. Schmidt, NuR 2008, S. 553; S. Steeck/M. Lau, NVwZ 2009, S. 616 ff. 1167 BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07, NuR 2008, S. 176 ff. 1168 B. Stüer, DVBl 2007, S. 424; A. Schmidt, NuR 2008, S. 552. 1169 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 23.07.2014 – 8 B 356/14, Rn. 46, ZUR 2014, S. 618. 1166
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
547
Die in Folge des Urteils des BVerwG zur A 143 „Westumfahrung Halle“1170 geäußerten Befürchtungen, dass die Fachplanung durch das europäische Naturschutzrecht im Zusammenwirken mit der altruistischen VK in eine Krise geraten sei, sowie dass Infrastrukturvorhaben aufgrund des europäischen Naturschutzrechts nur noch mit Zustimmung der klageberechtigten Umwelt- und Naturschutzvereinigungen oder gar nicht mehr realisiert werden könnten, scheint also bisher unbegründet und nicht belegbar zu sein. Es spricht insofern viel dafür, dass die Realisierbarkeit von Infrastrukturvorhaben in Deutschland nicht durch die umwelt- und naturschützende altruistische VK ernsthaft in Frage stellt.1171 Bei den altruistischen VKen kann somit aufgrund dieser Angaben nur von einem plausiblen, geringen „Verzögerungseffekt“ ausgegangen werden.1172 Auch die Erfolgsbilanz der altruistischen VKen gegen umweltbelastende Verwaltungsakte erweist sich als überwiegend hoch. Die Umwelt- und Naturschutzvereinigungen sind im Zeitraum von 2007 bis 2010 mit ihren Klagen in 42,5% der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich gewesen (s. u. Tabelle 6).1173 Es besteht damit kein erheblicher Unterschied zu der Erfolgsquote von etwa 40%, die für die Zeit von 2002 bis 2006 ermittelt worden ist.1174 Die Erfolgsquote der Vereinigungen war damit auch wesentlich höher als z. B. im Zeitraum 1996 bis 2001, wo sie bei 2% lag.1175 Aus diesen Befunden ergibt sich, dass die altruistischen VKen weiterhin wesentlich erfolgreicher sind, als die insgesamt von den Verwaltungsgerichten in Deutschland entschiedenen Hauptsacheverfahren (ohne Asylverfahren), bei denen die Erfolgsquote 2009 und 2010 nur bei etwa 10 bis 12% gelegen hat.1176 Deswegen kann der Schluss gezogen werden, dass die anerkanntem Umwelt- und Naturschutzvereinigungen die Fälle, in denen geklagt wird, sehr sorgfältig im Hinblick auf gute Erfolgsaussichten auswählen. Auch bei der Auswertung der in den einzelnen Eil- und Hauptsacheverfahren erzielten Ergebnisse haben die altruistischen VKen eine überdurchschnittlich hohe Erfolgsquote. Sowohl im Zeitraum 2002 bis 2006 als auch im Zeitraum 2007 bis 2010 wurde nachgewiesen, dass die Vereinigungen etwa 36% Eil- und Hauptsachenverfahren ganz oder teilweise gewonnen haben (s. u. Tabelle 7).1177 1170
BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, Rn. 1.14, ZUR 2007, S. 315 ff. A. Schmidt, NuR 2008, S. 553. 1172 Vgl. etwa: A. Schmidt, NuR 2008, S. 550. 1173 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 14 ff. 1174 A. Schmidt/M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Okt. 2007, S. 14. 1175 A. Schmidt/M. Zschiesche/M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 35. 1176 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 82, m.w. N. 1177 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 14; A. Schmidt/ 1171
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG Tabelle 6 Ergebnisse der Klagen im Zeitraum 2007 bis 2010
Gesamtzahl der abgeschlossenen Klagen
Gewonnen
Teilerfolg
Verloren
87
17
20
50
100%
19,5 %
23 %
57,5 %
Quelle: A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 14.
Demnach liegt die Erfolgsquote bei den Verfahren etwas niedriger als bei der Erfolgsbilanz der Klagen. Das lässt sich darauf zurückführen, dass die Vereinigungen in mehreren Fällen zunächst in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes oder in erster Instanz verloren haben, dann aber im Hauptsacheverfahren oder in der nächsten Instanz noch einen Erfolg erzielen konnten.1178 Tabelle 7 Ergebnisse der gerichtlichen Entscheidungen (Verfahren) 2007 bis 2010 Gesamtzahl der Entscheidungen
Gewonnen
Teilerfolg
Verloren
173
41
21
111
100 %
23,7 %
12,1 %
64,2 %
Quelle: A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, UfU, Sept. 2011, S. 14.
Die Klagen gegen Planfeststellungen haben mit ca. 49% den größten Anteil an den insgesamt von 2007 bis 2010 geführten VKen. Der Schwerpunkt der Klagetätigkeit lag auch früher schon in diesem Bereich und die Aktivität der Verbände hat hier im Verhältnis zu 2002 bis 2006 (etwa 44% Klagen gegen Planfeststellungen)1179 sogar noch etwas zugenommen. Die Erfolgsquote hat sich hingegen kaum verändert und liegt bezogen auf Erfolge und Teilerfolge bei 42% (im Zeitraum von 2002 bis 2006 waren es 43,8 %). Die Klagen gegen Befreiungen haben weiterhin einen Anteil von ca. 21% an den insgesamt geführten VKen. Es hanM. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Okt. 2007, S. 15. 1178 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 83. 1179 Das gilt nach der Untersuchung von Radespiel auch im Verhältnis zu den für den Zeitraum 1979 bis 2002 ermittelten Zahlen (dort werden für direkt gegen Planfeststellungen gerichtete Klagen 46,4 % angegeben), s. L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 343.
I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik
549
delt sich um den gleichen Anteil im Vergleich zu den entsprechenden Klagen im Zeitraum von 2007 bis 2010. Obwohl die Erfolgsquote von ca. 78% in jenem Zeitraum auf nur noch etwa 55% gesunken ist, bleibt die Erfolgsquote dieser VKen ganz deutlich überdurchschnittlich hoch.1180 Allerdings ist der Anteil dieser Fälle immer noch deutlich höher als bei den Klagen gegen Planfeststellungen, bei denen überwiegend (nur) Teilerfolge erzielt werden konnten. Das gilt auch für die Erfolgsquote insgesamt. Demnach haben die Klagen gegen Befreiungen nach wie vor erheblich bessere Erfolgsaussichten als andere VKen.1181 Die Klagen gegen „sonstige“ Verwaltungsentscheidungen1182 haben im Zeitraum von 2007 bis 2010 nur noch einen Anteil von ca. 30 % gegenüber ca. 35 % in der Zeit von 2002 bis 2006. Die Erfolgsquote der VKen gegen „sonstige“ Verwaltungsentscheidungen im Zeitraum von 2007 bis 2010 ist allerdings erheblich größer als die der entsprechenden VKen im Zeitraum von 2002 bis 2006. Die Erfolgsbilanz hat sich von nur ca. 13 % im Zeitraum von 2002 bis 2006 auf fast 35 % von 2007 bis 2010 nahezu verdreifacht (s. u. Tabelle 8).1183 Die Verteilung der ermittelten Fälle auf verschiedene Kategorien der Klagegegenstände (s. u. Tabelle 8) macht deutlich, bei welchen Fallgruppen die Verbandsklagen besonders erfolgreich sind. Gleichwohl bestätigt die Tatsache, dass die anerkannten Vereinigungen grundsätzlich ihre umwelt- und naturschützenden Klagebefugnisse vernünftig nutzen. Im Anschluss daran gibt es keine Anhaltspunkte für einen „Machtwechsel“ zugunsten der Umwelt- oder Naturschutzvereinigungen.1184 Denn die altruistische VK findet ihre Legitimation in einer Ergänzung der staatlichen Vollzugskontrolle durch eine gesellschaftliche, dezentrale Vollzugskontrolle, die auf die 1180 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 82. Die Erfolgsquote von altruistischen VKen gegen Befreiungen liegt wieder auf einem Niveau, dass in etwa den Ergebnissen der für den Zeitraum 1997 bis 1999 durchgeführten Untersuchung entspricht, die eine Erfolgsquote von 58 % ermittelt hat. A. Schmidt/M. Zschiesche/ M. Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 349; nach Radespiel betrug die Erfolgsquote bei den direkt gegen Befreiungen gerichteten Verfahren in der Zeit von 1979 bis 2002 sogar nur ca. 46 %, s. L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 349. 1181 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 84. 1182 Der Kategorie „Sonstige“ sind zum einen alle VKen zugeordnet worden, bei denen sich die Zulässigkeit aus über das Bundesrecht hinausgehenden Regelungen des Landes-Naturschutzrechts (z. B. zum Schutz von Alleen) ergibt. Zum anderen sind hier in der Studie für 2007 bis 2010 auch die auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gestützten Klagen erfasst worden, die sich bisher vor allem gegen nach dem Bundes-Immissionsschutz genehmigte Kraftwerke und Tierhaltungsanlagen und – teilweise damit im Zusammenhang stehende – Bebauungspläne richten. A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 84. 1183 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 84. 1184 Vgl. A. Schmidt, NuR 2008, S. 552; in diese Richtung auch S. Steeck/M. Lau, NVwZ 2009, S. 616 ff.
550
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG Tabelle 8 Erfolgsbilanz nach Klagegenständen für den Zeitraum 2007–2010 (2002–2006)1185
Klagegegenstände Zahl der Klagen % Gewonnen % Teilerfolg % Verloren %
Planfeststellungen
Befreiungen
Sonstige (inklusive der Klagen nach dem UmwRG)
Gesamt
943 (57)
18 (27)
26 (46)
87 (130)
49,4 (43,8)
20,7 (20,8)
29,9 (35,4)
100
7 (6)
8 (17)
2 (5)
17 (28)
16,3 (10,5)
44,4 (63)
7,7 (10,9)
19,5 (21.5)
11 (19)
2 (4)
7 (1)
20 (25)
25,6 (33,3)
11,1 (14,8)
26,9 (2,1)
23 (18,5)
25 (32)
8 (6)
17 (40)
50 (77)
58,1 (56,2)
44,2 (22,2)
65,4 (87)
57,5 (60)
Quelle: A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010, Sept. 2011, S. 16
Einhaltung der vom demokratischen Gesetzgeber erlassenen Gesetze gerichtet ist.1186 Außerdem stellt die Möglichkeit des Gerichtszugangs für Individuen und Vereinigungen und die Möglichkeit, das Handeln öffentlicher Stellen auch im Umweltbereich umfassend gerichtlicher Kontrolle unterwerfen zu können, eine zweifache Absicherung von Demokratie und Umweltschutz dar.1187 Dadurch werden zum einen Individuen und Vereinigungen in den demokratischen Prozess einbezogen und können somit als Instrument dezentraler Vollzugskontrolle einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Zum anderen wird so überhaupt erst sichergestellt, dass Gerichte als unabhängige, neutrale Gremien über Umweltschutzfragen entscheiden und somit ihren Beitrag zu Demokratie und Umweltschutz leisten.1188 Weil den Gerichten die Letztentscheidungsbefugnis zusteht, ist auch gerade keine Ablösung des Staates sowie kein gesetzwidriger Machtwechsel durch die Umweltschutzvereinigungen zu befürchten.1189
1185 Die kursiv und in Klammern gesetzten Daten befinden sich in: A. Schmidt/ M. Zschiesche/F. Mischek/S. Ludorf, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Abschlussbericht der empirischen Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, 2007, S. 16. 1186 s. o. 1. Teil, 2. Kap., C., I., 2. 1187 Vgl. S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410. Generell über die Frage der Demokratisierung des Umweltrechts vgl.: S. Laskowski, ZUR 2010, S. 171 ff. 1188 Vgl. SRU, Rechtsschutz für die Umwelt, Februar 2005, Rn. 13.
J. Würdigung
551
Die altruistische VK trägt somit ausschlaggebend zum Abbau von Vollzugsdefiziten im Umweltschutzbereich sowie zu Nachbesserungen auch bei umweltrelevanten Großvorhaben bei. Der Effekt der VK dürfte vor allem im Vorfeld der Genehmigungsentscheidungen angesiedelt sein. Soweit die Genehmigungsbehörden mit einer gerichtlichen Kontrolle ihrer Entscheidungen rechnen müssen, werden sie auf die Einhaltung der Vorgaben des Umweltrechtes in besonderer Weise achten.1190 Die Erweiterung der Klagemöglichkeiten der Vereinigungen dürfte demnach dazu führen, dass Vorhabenträger sowohl in laufenden Genehmigungsverfahren als auch bei künftigen Projekten bei der Erstellung ihrer Antragsunterlagen bzw. ihrer umweltbezogenen Fachgutachten und Behörden bei ihren Entscheidungen und deren Begründungen noch sorgfältiger als bislang bezüglich der Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften, die auf europäisches Recht zurückgehen, vorgehen werden.1191
J. Würdigung In Zusammenhang mit der erstmaligen Einführung der naturschützenden altruistischen VK auf Bundesebene durch das BNatSchG 2002 ist die mit der Einführung der seit mehreren Jahrzehnten umstrittenen altruistischen, umweltschützenden VK durch das UmwRG den Befürwortern der altruistischen VK ein entscheidender Sieg gegen ihre beharrlichen Gegner gelungen, die sie als gefährliche Bedrohung des Individualrechtsschutzes und als Feind der Investitionen angesehen haben. Die bisherige Praxis hat diese Befürchtungen nicht bestätigt. Die Umweltverbandsklage des UmwRG nimmt eine neuartige Zwitterstellung zwischen überindividuellem und individuellem Rechtsschutz in bestimmten Umweltangelegenheiten ein. Nunmehr sind die naturschützende VK des BNatSchG und die umweltschützende VK des UmwRG grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Allein aber die Anwendung dieser zwei parallelen Rechtsschutzmöglichkeiten im kritischen Gebiet des Umweltschutzes kreiert ein hochkomplexes Umweltrechtsschutzsystem, das durch Überschneidungen gekennzeichnet und mit rechtssystematischen Inkohärenzen behaftet ist. 1189 C. Calliess, NJW 2003, S. 100 ff.; E. Rehbinder, in: O. Kimminich/H. v. Lersner/ P.-C. Storm (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts, 1994, Sp. 2562, 2563; S. Schlacke, Rechtsschutz durch Verbandsklage, NuR 2004, S. 629 (635). Einschränkend dazu T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 274, der die Letztentscheidungsbefugnis der Gerichte nur dann so sieht, wenn gewisse Grenzen nicht überschritten werden; a. A. J. Ipsen, NdsVBl 1999, S. 227 ff., der gerade dadurch eine Privatisierung des Gemeinwohls befürchtet. 1190 B. Wegener, ZUR 2011, S. 365. 1191 Vgl. M. Appel, NuR 2011, S. 415 ff.; B. Henning, NVwZ 2011, S. 2768; B. Wegener, ZUR 2011, S. 365; B. Müller, EurUP 2011, S. 170; A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff.; GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 51, ZUR 2011, S. 82.
552
1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Die Fassung des UmwRG vom 21.01.2013 ist teilweise positiv zu bewerten. Begrüßenswert ist vor allem, dass schließlich die Begrenzung der Rüge- und Kontrollbefugnis der Umweltschutzvereinigungen auf subjektive öffentlich-rechtliche Normen aufgehoben wurde. Dabei werden dem Unionsrecht widersprechende Lösungen vermieden, indem das UmwRG vom 21.01.2013 den anerkannten Umweltschutzvereinigungen grundsätzlich erweiterte Klagemöglichkeiten gegen bestimmte Umweltvorschriften, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, einräumt. Dadurch kommt den Umweltschutzvereinigungen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die Funktion zu, als Sachwalter bzw. Treuhänder überindividueller respektive umweltbezogener Interessen aufzutreten. Zu beachten ist allerdings, dass im Prinzip fast alle Vorschriften des UmwRG vom 21.01.2013 rechtliche Fragen und Bedenken aufwerfen. Es wurde vor allem angezweifelt, ob sie unionsrechtskonform sind und ob sie den zeitgenössischen praktischen Erfordernissen des Umweltschutzes ausreichend nachkommen können. Es ergibt sich daher Unklarheit im ausschlaggebenden Bereich des Umweltrechtsschutzes, was zu einer unzumutbaren Rechtsunsicherheit führt. Betrachtet man das Beeinträchtigungspotential der Umwelt, erweist sich der Anwendungsbereich des UmwRG vom 21.01.2013, der sich grundsätzlich nur auf UVP-pflichtige Vorhaben richtet, als zu eng. Darüber hinaus ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden altruistischen VK eine begrenzte Rechtmäßigkeitskontrolle der jeweils umstrittenen, umweltbezogenen Maßnahmen, die sich grundsätzlich nur auf den umweltschutzbezogenen Gehalt der jeweils umstrittenen Norm richtet. Außerdem spricht für eine hohe Kontrolldichte bei der deutschen Gerichtsbarkeit in Umweltangelegenheiten vor allem der Rechtsschutzgrundsatz des Art. 19 Abs. 4 GG sowie der Effektivitätsgrundsatz und bestimmte sekundärrechtliche Vorschriften, wie Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL. Denn sie fordern mehr als eine überschlägige Plausibilitätsprüfung auch im Hinblick auf die Einhaltung des Verfahrensrechts. Gleichwohl entfalten sie eine Leitfunktion nicht nur für einen weiten gerichtlichen Zugang, sondern auch für eine hohe Kontrolldichte. Parallel dazu sind auch die Präklusionsnormen des UmwRG als besonders restriktiv zu beurteilen. Es ist daher fraglich, ob diese Bestimmungen mit der Zielsetzung der AK und der ÖB-RL, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten, ausreichend harmonisiert sind. Von Bedeutung ist, dass die aktuelle Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-137/14 die Unionsrechtswidrigkeit der Präklusionsnormen des UmwRG festgestellt hat. Dies führt zu der Unanwendbarkeit dieser Normen und plädiert für eine Öffnung bzw. passende Modifizierung der bisher geltenden restriktiven Präklusionsnormen. Ferner erweisen sich auch die Anpassungen des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 hinsichtlich der Klagemöglichkeiten von anerkannten Umweltschutzvereinigun-
J. Würdigung
553
gen und Privaten gegen bestimmte Verfahrensfehler als zu restriktiv. Es scheint, dass auch sie nicht den unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Anforderungen des effektiven Umweltrechtsschutzes sowie des weiten Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten nachkommen. Diese Auffassung wurde vor allem durch das sog. Altrip-Urteil des EuGH bestätigt, was letztlich den deutschen Gesetzgeber zu einer weiteren Änderung des § 4 UmwRG a. F. durch den Erlass des § 4 UmwRG vom 20.11.2015 angetrieben hat. Mit dieser Gesetzesänderung hat nämlich der Bundesgesetzgeber die Klagemöglichkeiten gegen Verfahrensfehler bei umweltbezogenen Verfahren deutlich ausgeweitet, indem er zusätzliche Fälle als die im älteren § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 als absolute Verfahrensfehler gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG explizit normiert (d. h. eine i. S. v. § 9 UVPG oder i. S. v. § 10 BImSchG erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung, soweit sie weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist). Zudem sieht § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG vom 20.11.2015 weitere Klagemöglichkeiten gegen unbenannte Fälle von Verfahrensfehlern vor, die qualitativ mit denen aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG vergleichbar sind. Was die Klagemöglichkeit gegen relative Verfahrensfehler angeht, normierte § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG vom 20.11.2015 durch eine klar formulierte Verweisung des § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG vom 20.11.2015 auf § 46 VwVfG, dass die Unbeachtlichkeitsregelung aus § 46 VwVfG nur bei relativen Fehlern und nicht bei absoluten Verfahrensfehlern anwendbar ist Nach dieser Rechtslage muss das jeweils zuständige Gericht im Einzelfall beurteilen, ob Verfahrensfehler so schwerwiegend i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG sind, dass eine Anwendung des § 46 VwVfG nicht mehr gerechtfertigt ist. Von besonderer Bedeutung ist, dass der § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG vom 20.11.2015 die bereits von dem AltripUrteil angeforderte Umkehr der Beweislast zugunsten des Rechtsbehelfsführers bei Verfahrensfehlerfällen gem. § 46 VwVfG einführt. Zur Aufklärung der Frage, ob ein relativer Verfahrensfehler die jeweils umstrittene Verwaltungsentscheidung in der Sache beeinflusst hat, muss nunmehr das jeweils zuständige Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen alle verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen. Begrüßenswert ist im Allgemeinen, dass der deutsche Gesetzgeber durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 1a UmwRG vom 20.11.2015 einen relativ offenen und flexiblen Wortlaut ausgewählt hat, damit mögliche künftige Entwicklungen im Bereich der Verfahrensfehler unionsrechtskonform verarbeitet werden können. Denn Art. 11 UVP-RL n. F. sowie Art. 25 IE-RL erlauben es schließlich den Mitgliedstaaten, den Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht davon abhängig zu machen, dass insbesondere Einzelkläger i. S. d. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen können. Dies wurde letztlich auch von dem bereits dargestellten Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 bestätigt.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
Gem. § 4 Abs. 3 UmwRG hat ein Privatkläger i. S. d. § 61 Nr. 1 und 2 VwGO allenfalls dann die Möglichkeit, einen Verfahrensfehler i. S. v. § 4 Abs. 1 und 2 UmwRG zu rügen, soweit er gleichzeitig in anderen eigenen Rechten (d. h. subjektive bzw. materielle und nicht rein verfahrensrechtliche Rechtspositionen) betroffen ist (z. B. Eigentum, Gesundheit u. a.). Dies ist laut der aktuellen Rechtsprechung des EuGH unionsrechtskonform, so dass auch § 113 Abs. 1 VwGO keiner Änderung bedarf. In allen Fällen dürfen aber bezüglich der Klagebefugnis von Individualklägern i. S. d. § 61 Nrn. 1 und VwGO gegen umweltbezogene Verfahrensfehler die Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes nicht ignoriert werden. Die Durchsetzung unionsrechtlich für den Einzelnen einforderbarer, auch verfahrensrechtlicher Rechtspositionen, darf nicht durch das nationale Recht unmöglich gemacht werden. Im Hinblick darauf sollten die individuellen Klagemöglichkeiten (auch in Bezug auf Verfahrensfehler) auf der Basis subjektiv-öffentlicher Rechte möglicherweise erweiternd ausgelegt werden. Auch § 4a UmwRG vom 20.11.2015 wirft mit der Verschärfung der Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen, umweltrelevanten verwaltungsrechtlichen Entscheidungen sowie an den aufschiebenden Rechtsschutz erhebliche Zweifel an der Unionsrechtskonformität auf. Wie bereits gezeigt wurde, führt auch der prozessuale Sonderweg, den § 4a UmwRG beschreitet, zu unnötigen rechtssystematischen Inkohärenzen und Friktionen im Spannungsfeld des nationalen und unionalen Rechts. Denn er verursacht letztlich mehr Probleme als er löst. Selbst die Übergangsvorschriften des § 5 Abs. 1 und 4 UmwRG vom 21.01. 2013 waren (auch aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung) nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Denn im Gegensatz zu dem nationalen Gesetzgeber hat der EuGH in seinem Altrip-Urteil entschieden, dass der Zugang zu Gerichten nach dem Unionsrecht auch für solche Zulassungsverfahren im Anwendungsbereich des UmwRG eröffnet sein muss, die vor dem Stichtag für die Umsetzung der ÖB-RL (also vor dem 25.06.2005) eingeleitet worden sind und zu diesem Stichtag noch anhängig waren. Dieses Ergebnis wurde von dem neuen Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 bestätigt. Zugleich wurde mit dem vorgenannten EuGH-Urteil auch die vorherige Rechtslage – dass gem. § 5 Abs. 4 UmwRG vom 21.01.2013 für Verwaltungsverfahren, die am 25.06.2005 bereits liefen und vor dem 12.05.2011 abgeschlossen wurden, die ursprüngliche Fassung des UmwRG galt, die die Rüge- und Kontrollbefugnis der Umweltschutzvereinigungen nur auf subjektive öffentlich-rechtliche Normen eingeschränkt hat – als unionsrechtswidrig beurteilt. Infolgedessen wurde diese Bestimmung mit § 5 UmwRG vom 20.11.2015 geändert, der als unionsrechtskonform angesehen wird. Nicht lange Zeit nach der Novellierung des UmwRG vom 20.11.2015 und vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Rechtsprechung des EuGH1192 wurde am
J. Würdigung
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29.05.2017 die bisher letzte Novelle des UmwRG erlassen. Damit sollte insbesondere Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK umgesetzt werden. Insgesamt wird durch die Novellierung des UmwRG vom 29.05.2017 der Umfang sonderverfahrensund -prozessrechtlicher Vorschriften erheblich erweitert. Vor allem führt die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des novellierten UmwRG vom 29.05.2017 zum Bedeutungszuwachs des Rechtsschutzes im Bereich des Umweltrechts. Die Unions- und Völkerrechtskonformität von Bestimmungen, wie § 1, § 2 Abs. 1, Nr. 3 S. 2, § 4 Abs. 1 und Abs. 1a, § 7 Abs. 4, 5 UmwRG dieser Novelle bleibt immer noch fraglich. Auch die Umsetzung der Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 9 Abs. 3 AK durch das neue UmwRG scheint unzureichend zu sein. Weitere Anpassungen an das Völker- und Unionsrecht sind erforderlich. Mit speziellen Verwaltungsverfahrensbestimmungen, etwa zur Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern und bezüglich der Heilung von materiellen Mängeln, sowie hinsichtlich gesondert geregelter Rechtsbehelfsrechte für Personen und Umweltschutzvereinigungen, wird außerhalb des VwVfG und der VwGO sowie außerhalb der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder ein überkompliziertes Sonderverwaltungs- und Verfahrensrecht geschaffen. Das UmwRG wandelt sich somit mehr und mehr zu einem Gesetz, das parallel zum VwVfG und der VwGO angewandt wird. Im Allgemeinen liegt es nahe anzunehmen, dass der deutsche Gesetzgeber bisher überdies die Chance verpasst hat, das UmwRG so auszugestalten, dass zu erwartende Unionsrechtswidrigkeiten oder Konventionsverstöße (z. B. bezüglich der eingeschränkten Rechtmäßigkeitsprüfung auf umweltbezogene Vorschriften, bezüglich der weitgehend restriktiven Präklusionsvorschriften sowie der begrenzten Klagemöglichkeiten gegen umweltbezogenen Verfahrensfehler) vollständig und effektiv beseitigt werden. Parallel dazu hat bisher die Praxis gezeigt, dass die Erweiterung der Klagemöglichkeiten im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes keine Klageflut und keine missbräuchliche Durchsetzung nicht schutzwürdiger Interessen durch umweltbezogene Klagen verursacht hat. Insofern sollte eine vernünftige Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes nicht als Abschreckung von Investoren angesehen werden. Es wäre daher empfehlenswert, dass der deutsche Gesetzgeber diese Fragen durch das Treffen geeigneter Maßnahmen, die einen effektiven überindividuellen materiellen und verfahrensrechtlichen Umweltrechtsschutz gewährleisten sollen, möglichst effizient und europarechtskonform löst. Parallel dazu ist es teilweise Aufgabe auch der unionalen Rechtsprechung, dem deutschen Gesetzgeber den 1192 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), juris.
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1. Teil, 3. Kap.: Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
angemessenen Weg zu diesen Reformen aufzuzeigen, genauer, ihn in die Schranken zu verweisen und zu einer unionsrechtskonformen Umsetzung der AK sowie der sich daraus ergebenden unionalen Gesetzgebung (etwa die ÖB-RL) zu zwingen. Die ausgewählten Urteile des EuGH, die im folgenden Kapitel analysiert werden sollen, könnten m. E. gerade in dieser Hinsicht als inspirierender Ausgangspunkt genommen werden, der der Öffnung des Wegs zu einem erweiterten überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler und europäischer Ebene dienen kann.
4. Kapitel
Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser für die Erweiterung des nationalen überindividuellen Umweltrechtsschutzes Im Zusammenhang mit der oben dargestellten Problematik der Rechtsschutzdefizite im Bereich der naturschützenden und umweltschützenden altruistischen VK ist es Ziel dieses Kapitels, ausgewählte Urteile des EuGH, die zu einem effektiveren Umweltrechtsschutz deutlich beigetragen haben, darzustellen und zu analysieren. Es handelt sich hier um das sog. Trianel-Urteil1 sowie das sog. slowakische Braunbären-Urteil2 des EuGH. Weitere aktuelle EuGH-Urteile, die ebenfalls eine wichtige Rolle für die Effektivierung und Ausweitung auch des deutschen Umweltrechtsschutzes gespielt haben, etwa das sog. Altrip-Urteil3 und das sog. Djurgården-Lilla-Värtans-Miljöskyddsförening-Urteil4 des EuGH sowie das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/145 wurden schon erläutert, inbesondere in Bezug auf relevante Schwachstellen des deutschen Umweltrechtsschutzsystems.6 Es wird zugleich versucht, die Auswirkungen dieser Urteile insbesondere auf das deutsche Recht zu zeigen, die voraussichtlich zu einer ausschlaggebenden Modifizierung der traditionellen Schutznormtheorie führen können. Parallel dazu soll eine Analyse dieser Urteile zu einer weiteren Stützung der oben dargestellten 1 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff.; Anm. dazu B. Saxler, EurUP 2014, S. 222 ff.; C. Meitz, ZUR 2014, S. 40 ff.; J. Greim, NuR 2014, S. 81 ff.; B. Wegener, EurUP 2014, S. 232 ff.; in diese Richtung auch M. Kment, NVwZ 2007, S. 277; ders., NVwZ 2012, S. 481; S. Schlacke, NuR 2007, S. 15; dies., NVwZ 2014, S. 11 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, § 4 UmwRG, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), UmwRG-Komm., 2013, Rn. 34; jeweils m.w. N. 2 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 3 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff. 4 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff. 5 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland); juris. 6 Mehr zum Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening-Urteil s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., c); 1. Teil, 3. Kap., D., I.; mehr zum slowakischen Braunbären-Urteil s. o. 1. Teil, 3. Kap., B. ff.; mehr zum EuGH-Urteil in der Rs. 137/14 s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., d); 1. Teil, 3. Kap., E., IV.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 3.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
Argumentation bezüglich eines ausgedehnten Umweltrechtsschutzes auch mittels der altruistischen VK beitragen.
A. Das Trianel-Urteil des EuGH Wie schon ausgeführt wurde, ist vor allem das sog. Trianel-Urteil des EuGH7 von erheblicher Bedeutung. Dieses Urteil hat ausschlaggebend zu den oben dargestellten Änderungen des UmwRG vom 21.01.2013 geführt.8 Es handelt sich vor allem um die Streichung der Wörter „Rechte Einzelner begründen“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 5 S. 1 UmwRG a. F. Zwar sind diese Änderungen als positiv anzusehen, allerdings, wie bereits ausgeführt wurde, bleiben immer noch weitere offene Fragen hinsichtlich der Rechtskonformität des UmwRG mit dem EU-Recht und den Vorgaben der AK.
I. Der Vorlagebeschluss des OVG Münster9 1. Sachverhalt Anlass dieses Urteils war der Vorlagebeschluss des OVG Münster vom 05.03.2009 im Verfahren zu einer Klage einer anerkannten Umweltlandesvereinigung (Bund für Umwelt und Naturschutz, Landesverband Nordrhein-Westfalen, „BUND-NRW e. V.“), die sich gegen den von der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg am 06.05.2008 erlassenen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid und die erste Teilgenehmigung für das Steinkohlekraftwerk in Lünen richtete. Im Fall des Trianel-Kraftwerks geht es somit um eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Anlage, die aufgrund ihrer Beschaffenheit bzw. ihres Betriebes geeignet ist, schädliche Umweltauswirkungen i. S. d. BImSchG zu verursachen. Nach vorläufiger Einschätzung des OVG Münster widerspricht der angegriffene Genehmigungsbescheid vor allem Vorgaben der FFH-RL. Das Abwasser aus der Rauchgasbehandlungsanlage und dem Kühlturm soll in die Lippe eingeleitet werden. Da jedoch die Einleitstelle für das Abwasser innerhalb eines FFHGebietes liegt, könnte dieses Gebiet dadurch unverhältnismäßig angegriffen wer7 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NuR 2011, S. 423 ff. = EuZW 2011, S. 510 ff. = NVwZ 2011, S. 801 ff. = UPR 2011, S. 268 ff.; s. Anm. dazu M. Appel, NuR 2011, S. 414 ff.; J. Greim, UPR 2011, S. 268 ff.; C. Meitz, NuR 2011, S. 420 ff.; S. Schlacke, NVwZ 2011, S. 804 ff.; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 759 ff.; E. Gassner, NuR 2012, S. 37 ff. Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 16.12.2010, Rs. C-115/ 2009, ZUR 2011, S. 79 ff. s. Anm. dazu B. Wegener, ZUR 2011, S. 84 ff. s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., I. 8 BGBl. I, S. 95. 9 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, ZUR 2009, S. 380 ff. Vgl. dazu J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 339 ff.
A. Das Trianel-Urteil des EuGH
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den. Es seien somit von dem Kraftwerk erhebliche Beeinträchtigungen der betroffenen FFH-Gebiete zu erwarten. Da solche Anlagen – wie die eingeklagte – nach dem BImSchG zwar genehmigungsbedürftig, aber nicht planfeststellungsbedürftig sind, konnte § 61 BNatSchG a. F. hier nicht zugunsten der klagenden Umweltvereinigungen greifen. Im Ergebnis hätte diese Klage nur dann Erfolg, wenn Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL) nichtstaatlichen Organisationen über die Vorgaben des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. hinaus das unmittelbare Recht vermittelte, vor Gericht auch die Verletzung solcher für die Zulassung des Kraftwerks maßgeblichen Rechtsvorschriften geltend zu machen, die, wie das Naturschutzrecht, das Wasserrecht und der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG, allein den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner zu dienen bestimmt sind.10 2. Argumentation für ein erweitertes Verbandsklagerecht Vor diesem Hintergrund stellte das OVG Münster einerseits fest, dass die klagende Umweltvereinigung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG über keine Rügebefugnis verfügt, die Verletzung der umstrittenen Maßnahmen anzufechten, da sie allein Belange der Allgemeinheit schützen soll. Insofern hätte das Gericht die Klage selbst bei einer eindeutigen Verletzung der FFH-RL als unzulässig abweisen müssen.11 Andererseits ging das Gericht davon aus, dass die angeklagten Verwaltungsentscheidungen gegen innerstaatliche Vorgaben des Naturschutzrechts verstoßen, 10 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – .AK, Rn. 28 ff., ZUR 2009, S. 380 ff. „Bei Zugrundelegung der innerstaatlichen Rechtslage könnte die klagende Umweltorganisation nicht die Verletzung wasserrechtlicher und naturschutzrechtlicher Vorgaben sowie des Vorsorgegrundsatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG rügen; denn weder die Vorschriften des Wasser- und Naturschutzrechts noch der Vorsorgegrundsatz begründen Rechte Einzelner im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG.“ (Rn. 28). „Nach den vorgenannten Vorschriften des UmwRG können NGOs nur die Verletzung solcher Rechtsvorschriften rügen, die Rechte Einzelner begründen. Sie müssen allerdings nicht selbst Träger dieser Rechte sein.“ (Rn. 29). „Das Kriterium ,Rechte Einzelner begründen‘ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG begrenzt nach dem ausdrücklichen Willen des deutschen Gesetzgebers die Rügebefugnis der NGOs auf solche Rechtsvorschriften, die sogenannte subjektiv-öffentliche Rechte begründen [. . .]“ (Rn. 30). „Nach alledem ist von streitentscheidender Bedeutung, ob der deutsche Gesetzgeber Art. 10a der UVP-Richtlinie mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz hinlänglich in das innerstaatliche Recht umgesetzt hat, obwohl Nichtregierungsorganisationen vor den Gerichten nicht geltend machen können, dass ein umweltrelevantes Vorhaben Umweltvorschriften verletzt, die ausschließlich den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner dienen.“ (Rn. 42 ff.), ZUR 2009, S. 382 ff.; a. A. etwa: OVG Lüneburg, Urt. v. 07.07.2008 – 1 ME 131/08, NVwZ 2008, S. 1144 ff. 11 OVG Münster, Beschl. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 28 ff., ZUR 2009, S. 381 ff.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
mit denen die FFH-RL umgesetzt wird. Insbesondere fehlte es (gem. Art. 6 Abs. 3 der FFH-RL) an der erforderlichen schutzgebietsbezogenen Untersuchung der jeweiligen Grundbelastung und der zu erwartenden Gesamtbelastung der Stickstoffdepositionen in den im Untersuchungsraum vorkommenden Gebieten mit stickstoffempfindlichen Lebensraumtypen auch unter Berücksichtigung kumulativer Wirkungen durch andere Projekte und Pläne.12 Unter diesen Umständen hielt es das OVG Münster auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH durchaus für möglich, dass Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) ein weitergehendes Klagerecht für Nichtregierungsorganisationen verlangt, als dies im deutschen Recht bislang vorgesehen ist. Das Gericht argumentierte vor allem mit dem Sinn und Zweck der einschlägigen RL im Kontext des EGV.13 Denn nach Art. 2 Abs. 3 EGV a. F.14 (nunmehr Art. 3 Abs. 3 EUV) ist es Aufgabe der Gemeinschaft bzw. Union, ein hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität zu fördern.15 Das OVG Münster hielt es somit für zweifelhaft, dass durch die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Interpretation die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts ausreichend in deutsches Recht umgesetzt worden sind.16 Er schließt aber nicht die Möglichkeit einer erweiterten richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs „Rechte Einzelner“ im UmwRG a. F. aus.17 Außerdem zielt aufgrund von ex-Art. 174 Abs. 1, 2 EGV (nunmehr Art. 191 Abs. 1, 2 AEUV) die Umweltpolitik der Gemeinschaft bzw. Union auf die Erhaltung und den Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität, den Schutz der menschlichen Gesundheit, die umsichtige und rationale Verwendung der natürlichen Ressourcen und die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme sowie beabsichtigt diese insgesamt ein hohes Schutzniveau zu erreichen. Dem Ziel des exArt. 174 Abs. 2 EGV komme nach Ansicht des OVG Münster bei der Auslegung des Sekundärrechts, d. h. in diesem Fall Art. 10a der UVP-RL a. F., zu Recht eine 12
Ebd., Rn. 38 ff., ZUR 2009, S. 381 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 18.04.2002, Rs. C-9/00, Slg. 2002, I-3533 (Palin Granit Oy) und vom 11.11.2004, Rs. C-457/02, Slg. 2004, I-10853 (Niselli). 14 ABl. C 325 vom 24.12.2002, S. 39. 15 Vgl. A. v. Bogdandy, Art. 2 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2009, Rn. 30. Das Merkmal des hohen Maßes an Umweltschutz ist nicht so zu verstehen, dass zwingend das in technischer Hinsicht höchstmögliche Niveau anzusetzen ist, sondern der Umweltschutz gegenüber anderen Zielen des Vertrages beachtet und mit ihnen zum Ausgleich gebracht werden muss. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Rs. 284/95, Slg.1998, I-4301 (Safety HiTech Srl), NVwZ 1999, S. 753; M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2003, § 31, S. 1021 ff. 16 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 49 ff., ZUR 2009, S. 382 ff. 17 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 61 ff., ZUR 2009, S. 382 ff.; a. A. VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – C 1005/08.T., ZUR 2010, S. 46 ff. 13
A. Das Trianel-Urteil des EuGH
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große Bedeutung zu.18 Darüber hinaus müssen nach dem 11. Erwägungsgrund der UVP-RL die Umweltauswirkungen mit Rücksicht auf die Bestrebungen beurteilt werden, die menschliche Gesundheit zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten.19 Angesichts der Tatsache, dass das europäische Recht längst darauf ausgerichtet ist, den Umsetzungsschwächen und Vollzugsdefiziten gemeinschaftsrechtlicher Normen entgegenzutreten, sei nach dem OVG Münster nicht zu erkennen, wie das primärrechtliche Ziel angesichts bestehender Vollzugsdefizite im Umweltschutzbereich durch eine schutznormakzessorische Klagebefugnis gefördert werden könnte. Der deutsche Gesetzgeber müsse sich somit vor dem EuGH erklären lassen, wie es diesem gemeinschaftsrechtlichen Ziel mit Hilfe des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. näher kommen will.20 Zu beachten ist auch, dass das OVG Münster dazu tendiert, auch die gerichtliche Überprüfung der Einhaltung der Umweltvorschriften als notwendigen Teil der Öffentlichkeitsbeteiligung anzusehen. Ausgangspunkt des Gerichts ist, dass es aufgrund von Art. 2 Abs. 1 UVP-RL a. F. wesentliches Ziel dieser RL ist, dass Projekte, bei denen insbesondere wegen ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung diese einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden.21 Im Anschluss daran zielt nach dem 3. Erwägungsgrund der ÖB-RL die umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit bei umweltrelevanten Vorhaben im Sinne der UVP-RL darauf, den Entscheidungsprozess nach außen nachvollziehbarer und transparenter zu machen. Dadurch wachse in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für Umweltbelange sowie die Unterstützung für die getroffenen Entscheidungen.22 Die UVP-RL zielt insofern auf die Verbesserung des Vollzugs, der Durchsetzung und – insbesondere mit Art. 10a UVP-RL a. F. – der Kontrolle gemeinschaftlicher Umweltvorschriften durch die Einbindung einer für Umweltbelange sensibilisierten Öffentlichkeit in den Entscheidungsprozess.23 18 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 49 ff., ZUR 2009, S. 382 ff.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 18.04.2002 – Rs. C-9/00, Slg. 2002, I-3533 (Palin Granit Oy) und v. 11.11.2004, Rs. C-457/02, Slg. 2004, I-10853 (Niselli). Zur Entwicklung der primärrechtlichen Grundlagen der europäischen Umweltpolitik: A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2004, S. 11 ff. 19 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 51, ZUR 2009, S. 382. 20 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 49 ff., ZUR 2009, S. 382 ff.; J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 343. 21 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 50 ff., ZUR 2009, S. 382. 22 Ebd. 23 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 51, ZUR 2009, S. 382.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
Vor diesem Hintergrund erhob das OVG Münster Zweifel, ob insbesondere in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. die Vorgaben des Art. 10a UVP-RL a. F. gemeinschaftsrechtskonform in deutsches Recht umgesetzt sind, weil die nationale Gesetzgebung nicht hinreichend gewährleistet, dass Nichtregierungsorganisationen möglichen Vollzugsdefiziten entgegentreten können. Das OVG Münster hielt es somit für denkbar, dass die EG-Rechtsordnung aus Gründen der praktischen Wirksamkeit des EU-Sekundärrechts (effet utile) jedenfalls Nichtregierungsorganisationen, die nach ihrem Selbstverständnis als Sachwalter umweltbezogener Allgemeininteressen und -güter auftreten, ein Klagerecht auch bezüglich solcher nationaler Umweltschutzvorschriften ohne Individualbezug verleiht, die auf Gemeinschaftsrecht zurückgehen.24 3. Inhalt der Vorlagefragen Auch angesichts des hohen Stellenwerts, den das EG-Recht dem Umweltschutz und seinem effektiven Vollzug zumisst, legte das OVG Münster dem EuGH folgende drei Vorlagefragen vor: 1. Ob anerkannte Umweltschutzvereinigungen nach Art. 10a der UVP-RL a. F. in der Lage sein müssen, die Verletzung aller für die Zulassung eines Vorhabens maßgeblichen Umweltvorschriften zu beanstanden, d. h. ebenfalls derjenigen Vorschriften, die allein den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte zu dienen bestimmt sind.25 Mit anderen Worten wollte das OVG Münster wissen, ob eine anerkannte Umweltschutzvereinigung – losgelöst von der bestehenden innerstaatlichen Prozessordnung (Interessenten- oder Verletztenklagemodell) –, die Verletzung sämtlicher für die Zulassung eines Vorhabens maßgeblicher Umweltvorschriften geltend machen könnte. 2. Für den Fall, dass die Vorlagefrage zu 1 nicht uneingeschränkt zu bejahen war, hat das OVG Münster folgende weitere Frage gestellt: Ob anerkannte Umweltschutzvereinigungen (wenigstens) klagebefugt sein müssen, um die Verletzung solcher für die Zulassung eines Vorhabens maßgeblichen Umweltvorschriften geltend zu machen, die unmittelbar auf Gemeinschaftsrecht gründen oder die gemeinschaftlichen Umweltvorschriften in innerstaatliches Recht umsetzen. Im Anschluss daran fragte das Gericht, ob die gemeinschaftlichen Umweltvorschriften bestimmte inhaltliche Anforderungen erfüllen müssten, damit sie im gerichtlichen Verfahren gerügt werden können, und – wenn solche Vorgaben bestehen –, um welche es sich handle (z. B. unmittelbare Wirkung, Schutzzweck, Zielsetzung).26 24 25 26
OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – AK, Rn. 54, ZUR 2009, S. 383. OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – AK, Rn. 44, ZUR 2009, S. 382 ff. OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08 AK, Rn. 55, ZUR 2009, S. 383.
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In diesem Zusammenhang stellte sich auch die Frage, ob ein solches mit Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL) gewährtes Klagerecht der anerkannten Umweltvereinigungen aus Gründen der praktischen Wirksamkeit auch die Geltendmachung der Verletzung rein innerstaatlicher Umweltvorschriften – und zwar unabhängig von ihrer Schutzrichtung – umfassen muss.27 3. Ferner stellte das Gericht eine dritte Vorlagefrage für den Fall, dass die 1. und 2. Vorlagefrage zu bejahen ist. Es wurde nämlich gefragt, ob sich ein mögliches Klagerecht von Nichtregierungsorganisationen im Falle der mangelhaften Umsetzung in das deutsche Recht unmittelbar aus Art. 10a Abs. 1 UVPRL ergeben kann.28 Das OVG Münster betonte zu dieser Frage, dass die unmittelbare Wirkung dieser EU-Vorschrift wohl deshalb nicht ausgeschlossen sei, weil Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels überlässt, nämlich ob der Klagezugang von einem ausreichenden Interesse oder der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abhängig gemacht werden soll. Vielmehr ist die Annahme einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn sich aus der Richtlinie ergibt, dass sie eine gewisse Mindestgarantie für den zu gewährenden Rechtsschutz gewährleisten will und sich der Umfang dieser Mindestgarantie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt.29
II. Europarechtswidrigkeit der einschränkenden Klagerechte der Umweltschutzvereinigungen im Rahmen des UmwRG a. F. Das Urteil des EuGH hinsichtlich der schon erwähnten Vorlagefragen zu 1 und 2 erging ohne deutsche Mitwirkung durch die Vierte Kammer unter dem Vorsitz des Kammerpräsidenten Jean-Claude Bonichot, der als ehemaliges Mitglied des französischen Conseil d’Etat der objektivrechtlichen Tradition des französischen gerichtlichen Rechtsschutzes entstammt.30 Der EuGH hat die erste und zweite Frage des Vorlagebeschlusses zusammen beantwortet. Mit seinem Urteil hat der 27 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08 AK, Rn. 65 ff., ZUR 2009, S. 383 ff. 28 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 44 ff., Rn. 68 ff., ZUR 2009, S. 382 ff.; A. Versteyl, EurUP 2009, S. 133 ff. 29 OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – .AK, Rn. 48, ZUR 2009, S. 382 ff.; vgl. z. B. dazu EuGH, Urt. v. 12.02.2009, Rs. C-138/07 (Belgien/Cobelfret NV), EuZW 2009, S. 329 ff.; vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, Rn. 15, ZUR 2009, S. 438; J. Berkemann, in: ders./G. Halama, Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 174, Rn. 309; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff. 30 Vgl. W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 761.
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EuGH grundsätzlich die oben dargestellten rechtlichen Bedenken des OVG Münster bestätigt. Der EuGH hat kurzgefasst entschieden, dass § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. keine ausreichende Umsetzung insbesondere des Art. 10a Abs. 3 der UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 Abs. 3 UVP-RL n. F.) darstellt.31 Genauso wie die Generalanwältin E. Sharpston in ihren Schlussanträgen zu diesem Fall angemerkt hat,32 sieht der EuGH hierin einen Verstoß gegen Art. 10a Abs. 3 UVP a. F. Der EuGH hat eindeutig statuiert, dass auf Verletzungen europäischen Umweltrechts gestützte VKen gegen bestimmte behördliche Entscheidungen grundsätzlich zur vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung stehen. Er hat klargestellt, dass irgendeine Beschränkung der Gründe, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können, nicht in Betracht kommt, weder im Bereich der Klagezulässigkeit noch im Bereich der Klagebegründetheit33, soweit ein Mitgliedstaat bei der Zulässigkeit die alleinige Rüge von Umweltnormen nicht für ausreichend erachtet.34 Mit diesem Urteil des EuGH hat die lang anhaltende Kontroverse hinsichtlich der diesbezüglichen Problematik des rechtlichen Umfangs der Klagebefugnis der umweltschützenden VK zumindest ein vorläufiges Ende gefunden.35 Dadurch wurde auch der Weg für die oben dargestellte Novellierung insbesondere des § 2 UmwRG a. F. geebnet.36 31 „Art. 10a RL 85/337/EWG Rechtsvorschriften entgegen steht, die einer Nichtregierungsorganisation i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 85/337/EWG, die sich für den Umweltschutz einsetzt, nicht die Möglichkeit zuzuerkennen, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, mit der Projekte, die i. S. v. Art. 1 Abs. 1 RL 85/337/EWG möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, genehmigt werden, vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift geltend zu machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt, weil diese Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützt.“ EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 50 (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. 32 GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010, Rs. C-115/2009, ZUR 2011, S. 79 ff.; Anm. dazu B. Wegener, ZUR 2011, S. 84 ff. 33 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 37 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. 34 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 38 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. 35 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 530 ff.; T. Bunge, ZUR 2010, S. 20; A. Versteyl, EurUP 2009, S. 133; B. Grünewald, NVwZ 2009, S. 1520; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008; S. Schlacke/C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im UmweltR, 2010. 36 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 50 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. Es geht nämlich um die Streichung der Wörter in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. „Rechte Einzelner begründen“ sowie um die dahingehende
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Der EuGH stellte im Einzelnen fest, dass die Einschränkung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F., aufgrund dessen eine Umweltvereinigung nur die Verletzung von solchen Rechtsvorschriften beanstanden kann, die die Rechte Einzelner begründen, der Regelung des Art. 10a Abs. 3 S. 2, 3 UVP-RL a. F. widerspricht. Denn ein Staat, der die Alternative „Geltendmachen einer Rechtsverletzung“ gewählt habe (gem. Art. 10a Abs. 1b UVP-RL a. F.), müsse bestimmen, was als Verletzung eines Rechts anzusehen sei. Dies sollte aber vor allem im Einklang mit dem Ziel stehen, der „betroffenen Öffentlichkeit“ einen weiten Zugang zu Gerichten (gem. Art. 10a Abs. 3 S. 1 UVP-RL a. F.) sowie die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu gewähren (gem. Art. 10a Abs. 4 UVP-RL a. F.).37 In dieser Hinsicht hatte der EuGH judiziert, dass in Anbetracht des Art. 10a UVP-RL a. F. „jede Nichtregierungsorganisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt und die nach nationalem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllt, zur betroffenen Öffentlichkeit zählt, die nach Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10a der Richtlinie 85/337 ein Anfechtungsrecht hat.“38
Zu berücksichtigen sollte allerdings sein, dass der Begriff „betroffene Öffentlichkeit“ nach Art. 1 Abs. 2 der UVP-RL a. F. bzw. nach Art. 2 Nr. 14 FFH-RL keineswegs nur Umweltvereinigungen, sondern im Allgemeinen auch andere betroffene natürliche oder juristische Personen erfasst.39 Auf Grundlage dieses Richtlinienziels ließe sich somit folgern, dass auch betroffene Nachbarn von Neufassung der Begründetheitsregelung des § 2 Abs. 5 S. 1 UmwRG a. F. aufgrund des UmwRGÄndG vom 21.01.2013, s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., I. 37 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 39 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 38 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 35 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 39 Es muss beachtet werden, dass auch im Rahmen der AK die betroffene Öffentlichkeit gem. Art. 2 Nr. 5 AK sich nicht auf privilegierte Umweltschutzvereinigungen beschränkt. Im Allgemeinen geht es der AK um die Mobilisierung auch der betroffenen Öffentlichkeit für die „Durchsetzung des Rechts“ und nicht nur um den Schutz individueller Rechte (vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 378). Die AK sowie die UVP-RL und die IE-RL drängen allgemein zu einer Öffnung des Individualrechtsschutzes akzessorisch zum Begriff der betroffenen Öffentlichkeit. Wenn somit das nationale Recht die Voraussetzungen eines individuellen Rechtsbehelfs regelt, sollte ohnehin auch dem Gebot eines weiten Gerichtszugangs Rechnung getragen werden (K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 4). Dies zeigt charakteristisch insbesondere der 7. Erwägungsgrund der Präambel der AK. Danach hat jeder Mensch das Recht, in einer seiner Gesundheit und seinem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leben. Die Rechte Einzelner sind somit nicht nur auf die Gesundheit beschränkt, sondern erstrecken sich auch auf das bloße Wohlbefinden. In diesem Zusammenhang ist die ebenfalls im 7. Erwägungsgrund genannte Pflicht, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern, nicht nur darauf beschränkt, das eigene Verhalten anzupassen. Sie könnte sich auch darauf erstrecken, das Umweltrecht durchzusetzen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Bürger nach dem 8. Erwägungsgrund zur Wahrnehmung dieses
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Großprojekten sich nunmehr auf sämtliche europäische Umweltschutznormen berufen können. Dieses Argument will aber offensichtlich der EuGH vermeiden, indem er letztlich den nur die Vereinigungen betreffenden Art. 10a Abs. 3 S. 3 UVP-RL a. F. heranzieht.40 1. Argumentation für eine objektivrechtliche Kontrolle von Umweltbelangen durch Umweltschutzvereinigungen Dem Urteil des EuGH nach sei aufgrund von Art. 10a Abs. 3 S. 2, 3 UVP-RL a. F. bei der Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen in Umweltangelegenheiten immer davon auszugehen, dass sie über Rechte verfügen, die verletzt werden können. Denn grundsätzlicher Zweck der Fiktion des Art. 10a Abs. 3 S. 2, 3 UVP-RL a. F. ist, staatlich anerkannten Nichtregierungsorganisationen einen effektiven Zugang zu Überprüfungsverfahren unabhängig von dem bestehenden innerstaatlichen Interessenten- oder Verletztenklagemodell zu eröffnen.41 Umweltschutzvereinigungen haben somit nach Art. 10a Abs. 3 S. 2, 3 UVPRL a. F. (entsprechend auch Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 AK)42 ein Recht auf Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne dieses Artikels anzufechten. Dies gilt unabhängig davon, welches Kriterium für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen ein Mitgliedstaat wählt.43 Rechts (d. h. des Umweltrechts) und zur Erfüllung dieser Pflicht (d. h., die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern) Zugang zu Informationen und ein Recht auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten haben müssen, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass sie in dieser Hinsicht gegebenenfalls Unterstützung benötigen, um ihre Rechte wahrnehmen zu können (J. Kokott/C. Sobotta, NVwZ 2014, S. 136, m.w. N.). Auch die Präambel der AK spricht ausdrücklich von dem „Anliegen, dass die Öffentlichkeit, einschließlich Organisationen, Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben soll, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird“. Darüber hinaus sind sämtliche Zielvorstellungen der AK von dem Gedanken an möglichst wenige Hürden und Restriktionen des Zugangs der Öffentlichkeit zu Verwaltungsverfahren durchdrungen. Alle diese fordern zutreffend in der Praxis, dass die VK nicht den Individualrechtsschutz „verdoppeln“, sondern ihn um eine objektiv-rechtliche Kontrolle von Umweltbelangen ergänzen soll (vgl. F. Ekardt, NVwZ 2006, S. 55; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 369 ff.; J. Schumacher, UPR 2008, S. 13 ff.). 40 W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 763. 41 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 43 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 42 Vgl. dazu M. Zschiesche, ZUR 2001 S. 181; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 626. 43 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40–42 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung
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Den nichtstaatlichen Umweltorganisationen wird insofern ein von subjektiven Zugangsvoraussetzungen unabhängiges, nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten stehendes Klagerecht eingeräumt, um i. S. v. Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. „die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit“ umweltrelevanter Entscheidungen gerichtlich überprüfen zu lassen.44 Auf diese Weise wird für Umweltschutzvereinigungen eine Klagebefugnis fingiert, welche wiederum nicht durch nationales Recht eingeschränkt werden kann.45 Eine Umweltschutzvereinigung muss somit nach der Intention der UVP-RL sowie der AK immer schon beim Vorliegen eines ausreichenden Interesses klagen können.46 Unter diesen Bedingungen sind somit die Mitgliedstaaten verpflichtet, den anerkannten Umweltschutzvereinigungen eine entsprechende erweiterte Klagebefugnis einzuräumen. Sie haben insoweit keine andere Wahlmöglichkeit.47 Vor diesem Hintergrund sah der EuGH hierin einen Verstoß des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. gegen Art. 10a Abs. 3 UVP-RL a. F.48 Zwar überlässt es Art. 10a UVP-RL a. F. mit seiner Verweisung auf Art. 1 Abs. 2 UVP-RL a. F. den nationalen Gesetzgebern, die Voraussetzungen dafür zu bestimmen, dass eine Nichtregierungsorganisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt, unter den oben genannten Voraussetzungen ein Anfechtungsrecht haben kann. Doch müssen die so festgelegten nationalen Rechtsvorschriften einerseits „einen weiten Zugang zu Gerichten“ sicherstellen und zum anderen die praktische Wirksamkeit derjenigen Bestimmungen der UVP-RL a. F. gewährleisten, die die gerichtliche Anfechtung betreffen.49 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der EuGH schon vor dem Trianel-Verfahren die Sicherstellung eines „weiten Zugangs zu Gerichten“ in Umweltangelegenheiten neben dem Effektivitätsgrundsatz als unionsrechtliche Grenze der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten genannt hatte.50 Es scheint Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. So auch EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd). 44 Vgl. D. Murswiek, JuS 2011, S. 1149; T. Bunge, NuR 2011, S. 607. 45 Vgl. H.-W. Louis, NuR 2004, S. 287/290. 46 Vgl. B. Seelig/R. Gündling, NVwZ 2002, S. 1040. 47 Vgl. S. Schlacke, NuR 2007, S. 29; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 630; S. Schlacke, NuR 2007, S. 29. 48 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 46 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 49 EuGH,Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 (DjurgårdenLilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd); B. Müller, JEL 2011, S. 508 ff.; s. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.01.2014 – 12 LA 68/13, juris. 50 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-09967, Rn. 45 (DjurgårdenLilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.
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somit, dass die Zielsetzung des „weiten Zugangs zu Gerichten“ durch den EuGH zu einem eigenständigen Grundsatz erhoben worden ist, der die Ausgestaltung und Anwendung der nationalen Rechtssysteme mitleitet.51 Gerade vor dem Dilemma, dass Verstöße gegen umweltrechtliche Vorschriften, die der Allgemeinheit dienen – etwa wasserrechtliche Vorschriften –, nach der Schutznormtheorie von niemandem gerügt werden können, hatte die Generalanwältin E. Sharpston in ihren Schlussanträgen zum Trianel-Fall die deutsche Rechtskonzeption des Umweltrechtsschutzes und das deutsche Umweltrechtsschutzsystem zutreffend kritisiert. Sie hat nämlich besonders betont, dass das deutsche Rechtsschutzsystem der gerichtlichen Kontrolle in einer sorgfältigen und umfassenden Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen bestehe und sich somit ein hohes Schutzniveau für die Rechte Einzelner daraus ergebe, was jedoch in der Praxis wenig hilft, wenn das Rechtsschutzsystem als solches für bestimmte Kategorien von Klagen nicht zugänglich ist. Dieses System sei im Ergebnis vergleichbar mit einem Ferrari, der einem nichts nützt, wenn man den Schlüssel nicht hat.52 Denn, wenn keine Verletzung eines subjektiven Rechts Einzelner in Frage steht, könnte weder ein Einzelner noch eine nichtstaatliche Umweltorganisation klagebefugt sein. Es gäbe insoweit niemanden, der im Namen der Umwelt klagen könnte. Gleichwohl darf nicht verachtet werden, dass es auch Umstände gibt (etwa wenn ein Projekt, das in Anhang I der UVP-RL aufgeführt ist und damit einer obligatorischen UVP nach Art. 4 Abs. 1 UVP-RL unterzogen wird, in einem unbewohnten Gelände fernab menschlicher Behausungen errichtet wird), die für eine effektive Beteiligung an Entscheidungsverfahren im Umweltbereich und eine effektive Kontrolle der Durchführung der UVP-RL die Klagebefugnis einer nichtstaatlichen Umweltorganisation erforderlich machen.53 Vor diesem Hintergrund müsste die deutsche VK, um einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewährleisten, mit einer umfassenden Rügebefugnis ausgestattet sein.54 Denn von einem „weiten Zugang“ der Vereinigungen zu Gerichten kann jedenfalls nicht gesprochen werden, wenn mangels Drittwirkung ganze Umweltrechtsbereiche wie das Naturschutzrecht als Gegenstand der altruistischen VK ausscheiden, obwohl es sich hierbei um eines der zentralen Rechtsgebiete des Umweltrechts mit erheblichen Kontrolldefiziten handelt.55
51
Vgl. J. Ziekow, NVwZ 2010, S. 794; M. Kment, UPR 2013, S. 43. GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/09, Rn. 77, ZUR 2011, S. 79 ff. 53 Ebd. 54 Vgl. T. Bunge, ZUR 2004, S. 143, S. 145; M. Keller, ZUR 2005, S. 184 ff. 55 Vgl. F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 3; A. Schmidt/P. Kremer, ZEuS 2007, S. 93 ff. 52
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In Übereinstimmung mit den Schlussanträgen der Generalanwältin E. Sharpston56 nimmt der EuGH an, dass eine nichtstaatliche Umweltorganisation (nach der Definition des innerstaatlichen Rechts gemäß Art. 1 Abs. 2 der UVP-RL a. F.) ein Recht auf Zugang zu den Gerichten hat, vor allem weil Art. 10a Abs. 3 UVP-RL a. F. ausdrücklich vorsieht, dass eine solche Nichtregierungsorganisation als Träger von Rechten gilt, die verletzt werden können, oder ihr Interesse als ausreichend gilt.57 Ist somit nach EU-Recht eine UVP mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, muss Umweltschutzvereinigungen hiernach ein eigenes Verbandsklagerecht eingeräumt werden.58 Anders als natürliche und juristische Personen müssen Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, immer den Status einer „betroffenen Öffentlichkeit“ haben, soweit sie, wie Art. 1 Abs. 2 S. 4 UVP-RL a. F. vorsieht, die „nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen“.59 Solche Umweltschutzvereinigungen müs56 GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07.2009 in der Rs. C-263/08, Rn. 43, BeckRS 2009, 70746; dies., Schlussanträge v. 16.12.2010 zu der Rs. C-115/09, Rn. 54, ZUR 2011, S. 81 ff.; i.V. m. EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 ff. (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd). GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 02.07.2009 in der Rs. C263/08, Rn. 43, BeckRS 2009, 70746. 57 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 58 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 42 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, ZUR 2012, S. 187 ff.; BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, NVwZ 2012, S. 448 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 623. 59 GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 65–66, ZUR 2011, S. 82; im Anschluss an die Schlussantr. von GAin E. Sharpston v. 02.07. 2009 in der Rs. C-263/08, Rn. 74, BeckRS 2009, 70746. In diesem Zusammenhang ist die GAin E. Sharpston der Ansicht, dass, wenn die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 UVP-RL a. F. erfüllt sind, nichtstaatliche Organisationen, wie Umweltverbände, den Status der „betroffenen Öffentlichkeit“ haben. Als solche haben sie somit Anspruch auf Zugang zu den Informationen und auf Beteiligung im vorgerichtlichen Verfahren sowie auf Zugang zu den Gerichten, um die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden anfechten zu können. (Vgl. Schlussanträge v. 02.07.2009 zu der Rs. C-263/08, Rn. 49, BeckRS 2009, 70746.) Darüber hinaus weist die Generalanwältin darauf hin, dass bei der Verwendung einer einheitlichen Definition der betroffenen Öffentlichkeit in der UVP-RL die Ziele, die sie verfolgt, besser geschützt werden. Außerdem verfügen die Umweltorganisationen über eine eigene Definition als betroffene Öffentlichkeit, die sich von der, die für natürliche oder juristische Personen gilt, unterscheidet. Dies ist schon ein Zeichen dafür, dass die Bestimmung diesen Einrichtungen eine besondere Kontrollfunktion zuweist. Infolgedessen würde es diesem Gedanken zuwiderlaufen, wenn dieser Status zunächst begründet und dann im weiteren Text zerstückelt wird, indem zugelassen wird, dass die Mitgliedstaaten die Definition nach ihrem Geschmack und für jede Bestimmung der Richtlinie gesondert auslegen. (Vgl. Schlussanträge v. 02.07.2009 zu der Rs. C-263/08, Rn. 50, BeckRS 2009, 70746.) Vor diesem Hintergrund stellt die Generalanwältin klar, dass im Ergebnis der Status der betroffenen Öffentlichkeit in seiner Anwendung auf nichtstaatliche Umweltschutzorganisationen in der gesamten geänder-
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sen daher nicht die Verletzung eigener Rechte im Einzelfall geltend machen. Damit käme ihnen die Befugnis zu, auch die Verletzung objektiven Rechts zu rügen.60 Im Ergebnis könne es keinen Unterschied für die Klagebefugnis der nichtstaatlichen Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, machen, ob der einzelne Staat das Modell der Interessentenklage oder das Modell des Individualrechtsschutzes gewählt habe. In Staaten, in denen ein „ausreichendes Interesse“ genüge (so z. B. Griechenland61, Frankreich, Spanien u. a.), um Klage erheben zu können, brauchten die betreffenden Organisationen keinen Nachweis für das Vorliegen eines solchen Interesses zu erbringen, sondern werden so behandelt, als hätten sie diesen Nachweis tatsächlich erbracht. Sie sind daher befugt, die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit aller Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, die in den Anwendungsbereich der UVP-RL fallen. Dasselbe müsse auch in Staaten gelten, die den Zugang zu den Gerichten von einer Rechtsverletzung abhängig machen. Sonst lasse sich die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen dort stärker einschränken als in den Ländern, in denen ein „ausreichendes Interesse“ die Voraussetzung bildet.62 Daraus folgt, dass keine Gefahr bestehen darf, dass nationale Rechtsvorschriften europarechtliche Vorschriften gegenstandslos machen, nach denen alle, die ein ausreichendes Interesse an der Anfechtung eines Projekts haben und deren Rechte verletzt sind – wozu vor allem Umweltschutzvereinigungen, die die Voraussetzungen des Art. 10a Abs. 3 a. F. i.V. m. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL a. F. erfüllen, gehören –, die Möglichkeit haben müssen, vor den zuständigen Gerichten gegen ein Projekt im Rahmen der UVP-RL vorzugehen.63 ten UVP-RL einheitlich auszulegen ist. Dafür spricht auch der Wortlaut des Leitfadens für die Anwendung des Aarhus-Übereinkommens, 2000, S. 41, der angibt: „once an NGO meets the requirements set, it is a member of the ,public concerned‘ for all purposes under the Convention“ (S. Stec/S. Casey-Lefkowitz/J. Jendroska, The Aarhus Convention. An Implementation Guide, UNECE u. a., 2000, S. 41). Wenn somit der gesamte Wortlaut des Aarhus-Übereinkommens eine einheitliche Definition der betroffenen Öffentlichkeit enthält, muss man hinsichtlich der UVP-RL zu demselben Ergebnis kommen. Wäre die Behandlung dieser Definition für die Art. 6 bzw. 10a UVP-RL a. F. unterschiedlich, hätte der Text dies ausdrücklich vorgesehen. Demzufolge hat eine nichtstaatliche Umweltschutzorganisation, die die Voraussetzungen erfüllt, um betroffene Öffentlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie zu sein, gemäß Art. 10a der Richtlinie automatisch das Recht auf Zugang zu den Gerichten (vgl. Schlussanträge v. 02.07.2009 zu der Rs. C-263/08, Rn. 51–52, BeckRS 2009, 70746). 60 Vgl. R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 625; S. Schlacke, NuR 2007, S. 29. 61 Ausführlich dazu in 2. Teil, 2. Kap., B. ff. 62 GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 65–66, ZUR 2011, S. 82; T. Bunge, NuR 2011, S. 607; so auch Schlussantr. von GAin E. Sharpston v. 02.07.2009 in der Rs. C-263/08, Rn. 74, BeckRS 2009, 70746. 63 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 (DjurgårdenLilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd); B. Müller, JEL 2011, S. 508 ff.
A. Das Trianel-Urteil des EuGH
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Im Anschluss daran könnte der Ansicht des EuGH nach aufgrund von Art. 10a Abs. 3 UVP-RL a. F. das innerstaatliche Recht die Klagemöglichkeiten des einzelnen Bürgers stärker einschränken als diejenigen einer Umweltschutzvereinigung i. S. der UVP-RL sowie des Art. 9 Abs. 2 AK.64 Art. 10a UVP-RL a. F. „privilegiert“ mithin Umweltschutzvereinigungen gegenüber Einzelpersonen, die jeweils im konkreten Fall darlegen müssen, welche subjektiven Rechtspositionen sie für verletzt halten.65 Die Schaffung objektiver Verbandsklagerechte durch eine solche „Privilegierung“ der Umweltschutzvereinigungen gegenüber betroffenen Privaten wirkt als Ergänzung eines weiterhin vorwiegend subjektiv geprägten Individualklagesystems, um immanente Vollzugsdefizite des Verletztenklagesystems aufzufangen.66 2. Verstoß der eingeschränkten nationalen Rügebefugnis gegen den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz des EU-Rechts Darüber hinaus weist der EuGH auf die europarechtlichen Grundsätze des Äquivalenz- sowie des Effektivitätsgebots hin: Insbesondere mangels unionsrechtlicher Vorschriften bei Rechtsbehelfen, die den Schutz von europarechtlich begründeten Rechtspositionen der Bürger gewährleisten sollen, dürften diese Verfahrensmodalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sein als entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz),67 und sie dürften die Ausübung der durch die EU-Rechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgebot).68
64 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 481 ff.; T. Bunge, NuR 2011, S. 607; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 761; GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010 zu der Rs. C-115/2009, Rn. 54, ZUR 2011, S. 81; dagegen: T. v. Danwitz, UTR 2007, Bd. 93, S. 31 ff.; T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1348 ff. 65 Vgl. ebd. 66 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 481 ff.; W. Durner/ M. Paus, DVBl 2011, S. 763. 67 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 43 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 68 Vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, S. 01989 ff. (Rewe-Zentrafinanz EG u. Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland), NJW 1977, S. 495; EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-04599, Rn. 14 (Peterbroeck, Van Campenhout & Cie/Belgischer Staat), NVwZ 1997, S. 372 ff. = DVBl 1996, S. 249 ff.; EuGH, Urt. v. 16.05.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3240 (Shirley Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a./Midland Bank plc), Rn. 33, EuZW 2000, S. 565 ff.; EuGH, Urt. v. 12.05. 2011, Rs. C-115/2009, Rn. 43 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802; T. v. Danwitz, UPR 1996, S. 323 ff.; M. Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 17 ff.; ders., EuR 2006, S. 201 ff.; W. Erbguth, UPR 2000, S. 89 ff.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
Aber im Rahmen des gespalteten deutschen Umweltrechtsschutzes ist der Ansicht des EuGH nach das Äquivalenzgebot nicht eingehalten. Denn mittels der naturschutzrechtlichen VK war es gem. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG einer Naturschutzvereinigung möglich, bestimmte Verletzungen von auf der FFH-RL beruhenden nationalen Vorschriften zu rügen. Daher waren Vereinigungen, die Vorhabenszulassungen überprüfen ließen, die in den Anwendungsbereich des UmwRG fielen, gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. schlechter gestellt gegenüber Vereinigungen, die in den Anwendungsbereich des BNatSchG fielen.69 Zwar haben die Mitgliedstaaten gem. ex-Art. 249 Abs. 3 EGV (nunmehr Art. 288 Abs. 3 AEUV) bei den Richtlinien einen Umsetzungsspielraum hinsichtlich der Form und der Mittel, sie sind aber hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Denn der EuGH verlangt, dass durch die Art der Umsetzung die praktische Wirksamkeit der angestrebten Ziele im Rahmen des Effektivitätsgebots gewährleistet werden muss. Das hat zur Folge, dass die Ziele für die Wahl der Form und der Mittel maßgebend sind und dadurch die Umsetzungsspielräume einschränken.70 Sowohl Art. 10a UVP-RL a. F. und Art. 15a IVU-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL) als auch die zugrunde liegende AK dürfen also nicht so ausgelegt werden, dass das Ziel eines „weiten Zugangs zu Gerichten“ praktisch konterkariert wird.71 Die Tatsache aber, dass die jeweils betreffenden Umweltschutzvereinigungen im Rahmen des UmwRG a. F. nicht auch eine Verletzung von aus dem europäischen Umweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften geltend machen können, nur weil Letztere Interessen der Allgemeinheit schützen, nähme den Umweltschutzvereinigungen weitgehend die Möglichkeit, die Beachtung der aus dem Unionsrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen.72 Eine Rücksichtnahme auf die konzeptionelle Verschiedenheit der nationalen Rechtsschutzsysteme dürfe jedenfalls nicht zu einer Vereitelung der Zielerreichung insgesamt führen. Denn ein solches Geschehen widerspräche
69 Vgl. S. Schlacke, NVwZ 2011, S. 805. Zur Problematik des Umfangs und Verhältnisses der Rechtsbehelfe von Umwelt- und Naturschutzvereinigungen vgl.: OVG Bremen, Urteil v. 04.06.2009 – 1 A 7/09, ZUR 2010, S. 42 ff.; VG Bremen, Urt. v. 29.11. 2007 – 5 K 565/07, ZUR 2008, S. 368 ff (mit Anm. von M. Vees, ZUR 2008, S. 373); C. Meitz, ZUR 2010, S. 563 ff.; vgl. W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 160; S. Schlacke, NuR 2007, S. 13 ff. 70 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 43 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802; EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-59/89, Rn. 19 (Kommission/Deutschland – Blei), NVwZ 1991, S. 86 ff., EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-361/ 88 bzw. C-59/89 (Kommission/Deutschland). 71 Vgl. C. Walter, EuR 2005, S. 338 ff.; A. Schmidt/P. Kremer, ZUR 2007, S. 60 ff. 72 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 46 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 803.
A. Das Trianel-Urteil des EuGH
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nicht nur dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit „einen weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren, sondern auch dem Effektivitätsgrundsatz.73 Die Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers in Bezug auf einen weiten Zugang zu Gerichten ist schon als solche eindeutig genug, um die Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten in die Richtung eines weiten Zugangs zu den Gerichten zugunsten der betroffenen Öffentlichkeit einschränkend festzulegen. Etwas anderes könnte nur angenommen werden, wenn es in den genannten Regelungen konkrete Hinweise gäbe, dass bestimmte Beschränkungen zulässig sein sollen. Dies ist jedoch zumindest bei den Umweltschutzvereinigungen nicht der Fall. Aufgrund des Wortlauts des Art. 10 UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL) ist es bei diesen so, dass die einklagbaren „Interessen“ oder „Rechte“ im Hinblick auf einen „weiten Zugang zu Gerichten“ ausdrücklich unterstellt werden.74 Nicht gefolgt werden kann daher der Argumentation, dass aus der Zielsetzung, einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren, sich mangels konkreter inhaltlicher Aussagen kaum eine Einschränkung für die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten ergebe.75 Dies widerspräche den anerkannten Regeln für die Auslegung von Rechtsnormen und für die Umsetzung von Richtlinien. Danach ist der entscheidende Maßstab für die Auslegung der Zweck einer Norm – und zwar gerade in dem folgenden Sinne –, dass die Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten dadurch eingeschränkt werden. Zwar enthalten die Regelungen auch auf Ausgestaltungsspielräume hindeutende Formulierungen. Dies darf aber nicht zu einer Interpretation führen, mit der die Zielsetzung eines „weiten Zugangs zu Gerichten“ praktisch umgangen würde.76 Aus diesen Überlegungen folge zwar einerseits, dass es zwar dem nationalen Gesetzgeber freistehe, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung i. S. v. Art. 10a UVP-RL a. F. geltend machen kann, auf subjektive öffentliche Rechte zu beschränken. Eine solche Beschränkung könne aber nicht als solche auf nichtstaatliche Umweltorganisationen, die die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 UVP-RL a. F. erfüllen (d. h. Verbände, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzun73
Ebd.; J. Ziekow, NVwZ 2005, S. 263 ff. Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/ 35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden, 2006, S. 15; C. Walter, EuR 2005, S. 338. 75 Vgl. T. v. Danwitz, Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Einführung der Verbandsklage anerkannter Umweltschutzvereine nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/35 EG und der sog. Aarhus-Konvention, Rechtsgutachten, 2005, insb. S. 39 ff. 76 Vgl. A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/ 35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden, 2006, S. 15; C. Walter, EuR 2005, S. 338. 74
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
gen erfüllen), angewandt werden. Dadurch würden die Ziele des Art. 10a Abs. 3 S. 3 UVP-RL a. F. missachtet.77 Die Mitgliedstaaten dürfen somit anerkannten Umweltschutzvereinigungen nicht die Möglichkeit nehmen, die Rolle zu spielen, die ihnen sowohl die UVP-RL als auch die AK zuerkennen.78 Eine solche Konzeption steht im Einklang mit dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Denn ansonsten könnten Verletzungen, die aus den europarechtlichen umweltbezogenen Vorschriften hervorgehen und die der Allgemeinheit dienen,79 keineswegs angefochten werden. Diese Gerichtsentscheidung bestätigt somit die schon längst im deutschen Schrifttum80 und in der deutschen Rechtsprechung81 geäußerten Zweifel an der Vereinbarkeit von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. mit den oben erwähnten Vorgaben der UVP-RL a. F. Laut diesem EuGH-Urteil sei somit den nichtstaatlichen Umweltschutzvereinigungen eine zusätzliche Zielrichtung zugewiesen. Denn Art. 10a UVP-RL a. F. räumt ihnen die Gelegenheit ein, zur effektiven Anwendung des Europarechts beizutragen, indem sie behördliche Entscheidungen über eine Klage daraufhin kontrollieren lassen, ob die jeweiligen innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften beachtet wurden.82
77 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 45 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 803. 78 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 44 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802 ff. 79 Im Hinblick darauf darf man nicht übersehen, dass umweltbezogene EU-Bestimmungen zum großen Teil keine subjektiven öffentlichen Rechte gewähren, sondern allein den Zweck haben, die Belange der Allgemeinheit zu schützen. G. Oestreich, DV 2006, S. 52 ff., m.w. N. 80 Vgl. K. Meßerschmidt, BNatSchG, 2008, § 61, Rn. 16; D. Murswiek, DV 2005, S. 243 ff.; J. Ziekow, NVwZ 2005, S. 263 f.; ders., NVwZ 2007, S. 266; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 626; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 8 ff.; G. Oestreich, DV 2006, S. 31 ff.; W. Ewer, NVwZ 2007, S. 272; E. Gassner, NuR 2007, S. 147; B. Wegener, UTR 2008, Bd. 98, S. 319 ff.; P. Fischer-Hüftle/L. Radespiel, in: D. Czybulka (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im europäischen Naturschutzrecht, Siebter Warnemünder Naturschutzrechtstag, Bd. 4, 1. Aufl., 2007, S. 203; C. Schrader/T. Hellenbroich, ZUR 293 ff.; M. Kment, NVwZ 2007, S. 277 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 14; A. Schmidt/ P. Kremer, ZUR 2007, S. 61 ff.; J. Berkemann, in: ders./G. Halama, Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 273, Rn. 495 ff., S. 761, Rn. 308 ff.; ders., NorÖR 2009, S. 338; C. Calliess, ZUR 2008, S. 350 ff.; F. Ekardt/K. Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1060; M. Gellermann, in: J. Ipsen/B. Stüer, Europa im Wandel, 2008, S. 239 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 30; J. Schumacher, UPR 2008, S. 18; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 302; M. Marty, ZUR 2009, S. 115 ff.; K.-F. Gärditz, EurUP 2010, S. 210 ff. 81 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, ZUR 2009, S. 380 ff.; zum Teil auch OVG Koblenz, Urt. v. 29.10.2008 – 1 A 11330/07, DVBl 2009, S. 390 = BeckRS 2009, 31451. Für § 2 Abs. 5 Nr. 1 URG: OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 347 ff. = ZUR 2009, S. 432 ff.
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3. Beschränkung eines Umweltverbandsklagerechts nur auf unionale umweltbezogene Rechtsvorschriften? Auf die Frage, ob ein auf Art. 10a UVP-RL a. F. beruhendes Verbandsklagerecht ausschließlich auf solche Umweltschutzvorschriften beschränkt ist, die einen unionsrechtlichen Hintergrund haben, oder auch für solche Vorschriften gilt, die innerstaatlichen Charakter aufweisen, gab der EuGH zwar keine eindeutige Stellungnahme ab. Er stellte allerdings klar, dass sich das Verbandsklagerecht des Art. 10a UVP-RL a. F. nur auf „die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union“ bezieht.83 Mit anderen Worten könnte dadurch eine Umweltschutzvereinigung vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift in Bezug auf Projekte der UVP-RL im Rahmen des Anwendungsbereichs des UmwRG geltend machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt.84 Dies wäre plausibel, weil eine Unionskompetenz für das Verfahrensrecht lediglich in dem Maße besteht, in dem auch eine Kompetenz zum Erlass materiell-rechtlicher Vorschriften gegeben ist und diese bereits genutzt wurde.85 Da das rein nationale Umweltrecht nicht unter die Unionskompetenz nach Art. 191 und 192 AEUV (ex-Art. 174–175 EGV) fällt, obliegt dessen Vollzug und Durchsetzung somit ausschließlich den Mitgliedstaaten.86 Demzufolge stellt der EuGH im konkreten Fall fest, dass eine Umweltschutzvereinigung die Möglichkeit haben müsse, gegen die angefochtene Entscheidung vorzubringen, dass die aus Art. 6 der FFH-RL hervorgegangenen nationalen Rechtsvorschriften verletzt seien.87
82 Vgl. T. Bunge, NuR 2011, S. 607; B. Wegener, ZUR 2011, S. 84 ff.; ders., ZUR 2011, S. 363 ff.; C. Meitz, NuR 2011, S. 420 ff.; in diese Richtung auch VG Düsseldorf, Urt. v. 03.07.2012, 3 L 316/12, NuR 2012, S. 577 ff. 83 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 48 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802; M. Appel, NuR 2011, S. 415. Dies ist plausibel, weil eine Unionskompetenz für das Verfahrensrecht lediglich in dem Maße besteht, in dem auch eine Kompetenz zum Erlass materiell-rechtlicher Vorschriften gegeben ist und bereits genutzt wurde; vgl. I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 150 ff. 84 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 50 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg); NVwZ 2011, S. 802. 85 Vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, S. 298 ff.; I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 150 ff. 86 Vgl. M. Appel, NuR 2011, S. 415; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. 87 EuGH, Urt. v. 12.5.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 49, Rn. 58 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 803; so auch VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, S. 284 ff., m.w. N.
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Es liegt nahe, wie oben gezeigt wurde,88 dass der Inhalt der neuen Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG eine Lösung zu dieser Frage gegeben hat. Der h. M. nach bezieht sich der Anwendungsbereich des UmwRG zu Recht nicht nur auf „die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union“, sondern auch auf Rechtsvorschriften, die der nationale Gesetzgeber autonom erlassen hat.89 4. Unmittelbare Anwendbarkeit des § 10a UVP-RL a. F. Aufgrund der dritten Vorlagefrage untersuchte der EuGH die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 10a UVP-RL a. F. im Fall einer partiellen Unanwendbarkeit von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1 UmwRG a. F. Der EuGH bejahte die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 10a UVP-RL. Daher können anerkannte Umweltschutzvereinigungen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL a. F., die sich für den Umweltschutz einsetzen, aus Art. 10a Abs. 3 S. 3 UVP-RL a. F. das Recht herleiten, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, mit der Projekte, die i. S. v. Art. 1 Abs. 1 UVP-RL a. F. „möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“, genehmigt werden, vor Gericht die Verletzung von aus Art. 6 FFH-RL ergehenden nationalen Rechtsvorschriften geltend zu machen. Dies gilt jedenfalls auch, wenn das nationale Verfahrensrecht eine solche Anfechtungsmöglichkeit nicht zulässt, weil die angeführten Vorschriften die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützen.90 Der EuGH hat im Ergebnis festgestellt, dass Art. 10a UVP-RL a. F. den Mitgliedstaaten zwar einen beträchtlichen Spielraum lasse; dies gelte aber nicht für die Sätze 2 und 3 des Art. 10a Abs. 3 UVP-RL a. F., die die Voraussetzungen für das Klagerecht von Umweltorganisationen bestimmen.91 Demzufolge dürften im Vorfeld eines neuen UmwRG die vom EuGH vorgegebenen Grundsätze schon 88
Zu dieser Frage s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 1. Vgl. G.-A. Balensiefen, § 2 UmwRG, in: UmwRG-Komm., 2013, Rn. 5; T. Bunge, ZUR 2014, S. 9 ff. 90 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 59, NVwZ 2011, S. 803 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./ Bezirksregierung Arnsberg). Dass sich der EuGH auf die Verletzung von Art. 6 FFH bzw. § 34 BNatSchG beschränkt, dürfte darin begründet sein, dass das OVG Münster in seinem Vorlagebeschluss lediglich konkret hinsichtlich dieser geltend gemachten Rechtsverletzung dargelegt hat, dass die Entscheidung des EuGH für den Erlass seines Urteils erforderlich ist, auch wenn sich der EuGH nicht hierauf beruft. In diesem Sinne könnte dementsprechend auch der Hinweis auf „eine möglichst nützliche Antwort“ (EuGH, Urt. v. 12.5.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 49, NVwZ 2011, S. 803 [Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg]) zu verstehen sein. Vgl. B. Henning, NVwZ 2011, S. 2766 ff. 91 Vgl. J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 6; A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 284. 89
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vor Inkrafttreten des neuen UmwRG zu beachten sein – im Wege der unmittelbaren Anwendbarkeit von EU-Recht. Dies gelte auch über eine UmwRG-Revision hinaus fort, falls der deutsche Gesetzgeber die oben genannten europäischen Vorgaben nicht ordnungsgemäß umsetzt – oder weitere relevante Europarechtswidrigkeiten des UmwRG und der mit ihm verbundenen Regelungen des allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrechts nicht behebt.92 Die deutsche Gerichtsbarkeit hat insoweit aus diesem EuGH-Urteil Konsequenzen gezogen. Sie könnte somit VKen bei zwingend UVP-pflichtigen Projekten ohne Rücksicht auf die relevanten europarechtswidrigen Eingrenzungen des UmwRG zulassen. Der Rückgriff auf die unmittelbar geltende Richtlinienbestimmung beschränkt sich daher nur auf den Umfang des Klagerechts der anerkannten Umweltschutzvereinigungen.93 Der Ansicht des EuGH nach seien die hier maßgeblichen Vorschriften des Art. 10a Abs. 3 S. 2, 3 UVP-RL a. F. hinreichend genau formuliert und unterlägen auch keinen Bedingungen. Deswegen seien diese Vorschriften unmittelbar anwendbar.94 Umweltschutzvereinigungen im Sinne der UVP-RL können sich daher auf die unmittelbare Wirkung des Art. 10a UVP-RL a. F. berufen, auch wenn der betref92 Vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, ZUR 2012, S. 187 ff.; BVerwG, Urt. v. 10.01.2012 – 7 C 20/11, NVwZ 2012, S. 448 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 623; F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531; B. Müller, EurUP 2011, S. 166; S. Schlacke, NVwZ 2011 S. 803 ff.; M. Appel, NuR 2011, S. 414 ff. 93 Vgl. F. Ekardt, NVwZ 2012, S. 531; B. Müller, EurUP 2011, S. 166; S. Schlacke, NVwZ 2011, S. 803 ff.; M. Appel, NuR 2011, S. 414 ff. Im Hinblick darauf stellt zutreffend das BVerwG (BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10, Rn. 21, NVwZ 2012, S. 575 ff.) fest, dass mit Rücksicht auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts insbesondere bei der Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. die einschränkende Vorgabe, dass nur Vorschriften, die Rechte Einzelner begründen, als verletzt gerügt werden können, ausgeklammert werden muss, soweit es um umweltrechtliche Vorschriften zur Umsetzung von Unionsrecht geht. Soweit sich somit das Vorbringen des Klägers darüber hinaus auch auf die Verletzung nicht drittschützender Vorschriften erstreckt, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen sind und den Umweltschutz bezwecken, kommt im Übrigen die Beschränkung, dass nur (drittschützende) Vorschriften, die Rechte Einzelner begründen, rügefähig sind und ggf. zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen können (gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG a. F.), nicht in Betracht (BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, Rn. 15, 21, NuR 2013, S. 641 ff.). Im Ergebnis kann eine Antragsbefugnis einem Umweltverband nicht versagt werden, wenn er sich auf unionsrechtliches Umweltrecht und dessen Umsetzung beruft. Dies sei selbst dann der Fall, wenn das nationale Recht dem Verband keine subjektive Rechtsposition zuschreibe (VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, Rn. 35, ZUR 2012, S. 438 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, ZUR 2013, S. 293 ff.; a. A. OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, ZUR 2013, S. 291 ff.). 94 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 55–57, NVwZ 2011, S. 803 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg). In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 12.02.2009, Rs. C-138/07, Slg. I S. 732 ff., Rn. 58 (Belgien/Cobelfret NV), EuZW 2009, S. 329 ff.
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fende Mitgliedstaat „Rechtsverletzung“ so definiert hat, dass der Einzelne sich hierauf nicht berufen kann. Auch eine solche Vereinigung, die auch als Träger von Rechten gilt, die verletzt werden können, lasse sich ohne weitere innerstaatliche Umsetzungsvorschrift einbeziehen.95 Die „Rechte“, die unmittelbar geltend gemacht werden können, erstrecken sich nach dem EuGH auf die Vorschriften aus dem europäischen Umweltrecht, also Umsetzungsakte und das unmittelbar anwendbare Umweltrecht der EU. Es ist aber noch unklar, welche Normen des Unionsumweltrechts selbst unmittelbar anwendbar sind.96 Dies bildet eigentlich nunmehr kein Problem, soweit – wie schon erklärt wurde – § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG dahingehend interpretiert werden soll, dass diese Norm nicht nur aus dem europäischen Umweltrecht hervorgegangene Vorschriften, sondern auch rein nationale Vorgaben umfasst.97 Insgesamt kann behauptet werden, dass der gegenteiligen Auffassung,98 die gegen eine direkte Wirkung der oben erwähnten europäischen Vorgaben spricht, nicht zu folgen ist. Laut dieser Auffassung mangele es dem Art. 10a UVP-RL a. F. an der erforderlichen Bestimmtheit, weil er dem nationalen Gesetzgeber unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten lasse. Daher könne dieser zwischen einem Überprüfungsverfahren vor Gericht oder einer anderen unabhängigen und unparteiischen Stelle wählen. Ein weiterer Ansatz für einen Entscheidungsspielraum könnte darin gesehen werden, dass nach Art. 10a Abs. 2 der UVP-RL a. F. die Mitgliedstaaten festlegen, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können. Ferner stehe es in seinem Ermessen, ob er die bislang das deutsche Verwaltungsprozessrecht prägende Schutznormlehre modifiziere oder sie gar zugunsten der Interessentenklage aufgebe.99 Mit Blick auf die in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Voraussetzungen der unmittelbaren Richtlinienwirkung werde daher vor allem die inhalt95 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.5.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 56–58, NVwZ 2011, S. 803 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg). Zum selben Ergebnis auch GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010, Rs. C-115/2009, Rn. 87–94, ZUR 2011, S. 83 ff. Vgl. auch T. Bunge, NuR 2011, S. 609 ff.; C. Meitz, NuR 2011, S. 422. Die in Art. 10 a UVP-RL festgelegte Fiktion, dass das Interesse jedes Verbands, der die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 der UVP-RL erfüllt, als ausreichend gilt, gültig ist, unabhängig davon, welches Prozeßordungsmodell (Interessenten- oder Verletztenklagemodell) jeder Mitgliedstaat bevorzugt. 96 Vgl. C. Meitz, NuR 2011, S. 422. 97 Mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap. C., III., 1. 98 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 27.10.2005 – 11 A 1751/04, NuR 2006, S. 320 ff.; VG München, Urt. v. 22.03.2007 – M 24 K 05.914 – M 24 K 05.1007, Juris, Rn. 69 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 15.01.2007 – 8 K 1935/06; W. Durner, ZUR 2005, S. 285 ff. 99 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 27.10.2005 – 11 A 1751/04, NuR 2006, S. 320 ff.; VG München, Urt. v. 22.03.2007 – M 24 K 05.914, M 24 K 05.1007, Juris, Rn. 69 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 15.01.2007 – 8 K 1935/06; W. Durner, ZUR 2005, S. 285 ff.
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liche Unbedingtheit bestritten. Verantwortlich zeichnet hierfür primär der Umstand, dass die UVP-RL zwar ein Überprüfungsverfahren fordert, es indessen den mitgliedstaatlichen Verfahren überlässt, ob es sich dabei um ein gerichtliches oder gerichtsähnliches Überprüfungsverfahren handelt.100 Die oben ausgeführten Argumente reichen aber nicht aus, um die Unbedingtheit des Art. 10a UVP-RL a. F. auszuschließen. Diese Überlegungen entbehren schon deshalb der Überzeugungskraft, weil Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. (nun Art. 11 Abs. 1 UVP-RL n. F.) und entsprechend auch Art. 15a Abs. 1 IVU-RL a. F. (nun Art. 25 IE-RL) gerichtliche und gerichtsähnliche Überprüfungsverfahren zwar als gleichwertige Optionen benennen, aber doch keinen Zweifel daran lassen, dass den Umweltorganisationen in jedem Fall ein Kontrollverfahren vor einer unabhängigen und unparteiischen Stelle zu Gebote stehen muss, in dem eine richtlinienkonforme Überprüfung der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit angefochtener Entscheidungen stattfindet. Damit ist ein Mindeststandard etabliert, über den die Mitgliedstaaten nicht zu disponieren berechtigt sind.101 Demzufolge begründen die Richtlinienbestimmungen vielmehr die unbedingte Pflicht, anerkannten Umweltschutzvereinigungen den Zugang zu einem solchen Überprüfungsverfahren zu eröffnen. Diese Pflicht ist somit für sämtliche staatlichen Stellen beachtlich, die demgemäß im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten dazu angehalten sind, Beiträge zur Verwirklichung der richtliniengestützten Anordnungen zu erbringen.102 Außerdem steht die Annahme unbedingter Anwendbarkeit selbst – der Rechtsprechung des EuGH nach – einer ermessensbezogenen Ausgestaltung einer RL nicht von vornherein entgegen.103 So hat z. B. der EuGH verschiedentlich festge100
Vgl. M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff. Vgl. M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff.; R. Alleweldt, DÖV 2006, S. 30. 102 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.04.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, S. 1891, Rdnr. 26 (Sabine von Colson u. a./Land Nordrhein Westfalen), NJW 1984, S. 2021; EuGH, Urt. v. 13.11. 1990, Rs. 106/89, Slg. 1990, S. 4135, Rn. 8 (Marleasing/Comercial Internacional de Alimentación); EuGH, Urt. v. 25.02.1999, Rs. C-131/97, Slg. 1999, S. 1103 ff., Rn. 48 (Carbonari u. a./Università degli studi di Bologna, Ministero della Sanità, Ministero dell’Università e della Ricerca Scientifica und Ministero del Tesoro); EuGH, Urt. v. 05.10.2004, Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-08835, Rn. 110 (Bernhard Pfeiffer u. a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e. V.), NJW 2004, S. 3547 ff. 103 Vgl. J. Berkemann, in: J. Berkemann/G. Halama (Hrsg.), Hdb. Zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 174 ff., Rn. 309 ff., m.w. N. Laut Rechtsprechung des EuGH: Wenn die RL die Möglichkeit einer Ausnahme vorsieht, so steht dies der Unbedingtheit nicht entgegen, solange der Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat (EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I05357, Rn. 12 ff. [A. Francovich und Danila Bonifaci u. a./Italienische Republik], NJW 1992, S. 165; EuGH, Urt. v. 09.09.1999, Rs. C-374/97, Slg. 1999, I-5153 [Anton Feyrer/Landkreis Rottal-Inn], NVwZ 2000, S. 182. Ist der Ausnahmebereich außerordentlich weit gefasst, kann dies anders sein. Erlaubt die Richtlinie dem Mitgliedstaat, „Bedingungen“ zu erlassen, mit denen die konkrete Anwendung in der Praxis geleitet werden soll, schließt dies ebenfalls die Annahme der Unbedingtheit des Richtlinieninhalts 101
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stellt, dass eine Ermessen gewährende RL zumindest insoweit unmittelbare Wirkungen entfaltet, als sie den Mitgliedstaaten für die von ihnen zu treffenden Entscheidungen eine hinreichend genaue Grenze setzt.104 Die Bestimmung dieser Grenze ist prinzipiell unter Einbezug der sich dem sekundären Rechtsakt ergänzend anlagernden allgemeinen Grundsätze des EU-Rechts und insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung vorzunehmen.105 Im Prinzip wurde die folgende Argumentation des OVG Münster106 von dem EuGH im Trianel-Fall angenommen107: Selbst wenn den Mitgliedstaaten das Recht zur Wahl verschiedener Optionen eröffnet ist, schließt aber dies eine unmittelbare Wirkung nicht aus, solange sich aus der zugrundeliegenden Richtlinie ergibt, dass sie eine gewisse Mindestgarantie für den zu gewährenden Rechtsschutz gewährleisten will und
noch nicht aus (vgl. EuGH, Urt. v. 19.01.1982, Rs. 8/81, Slg. 1982, S. 00053 [Ursula Becker/Finanzamt Münster – Innenstadt], NJW 1982, S. 499; EuGH, Urt. v. 17.02. 2005, Rs. 453/02 und 462/02, Slg. 2005, I-01131 [Finanzamt Gladbeck/Edith Linneweber u. a.], KommJuR 2005, S. 136). Sind die Ziele der Richtlininen in ihren Details sehr genau formuliert, spricht dies regelmäßig für die Unbedingtheit der RL. Dennoch mag dem Mitgliedstaat noch ein geringer Gestaltungsspielraum verbleiben (vgl. EuGH, Urt. v. 04.12.1986, Rs. 71/85, Slg. 1986, S. 3855, Rn. 20 [Niederlande vs Federatie Nederlandse Vakbeweging], Anm. H. Jarass, NJW 1990, S. 2420 ff.). Die in der RL eröffnete Möglichkeit, innerstaatlich Ausnahmen vorzusehen, nimmt ihr noch nicht das Merkmal der Unbedingtheit. 104 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.01.1982, Rs. 8/81, Slg. 1982, S. 00053, Rn. 29 (Ursula Becker/Finanzamt Münster – Innenstadt); EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs C-6/90 u. 9/90, Slg. 1991, I-5357 (A. Francovich und Danila Bonifaci u. a./Italienische Republik), NJW 1992, S. 165, Rn. 15 ff.; EuGH, Urt. v. 24.10.1996, Rs. C-72/95, Slg. 1996, I-5403, Rn. 59 (Aannemersbedriif P. K. Kraaijeveld BV u. a./Gedeputeerde Staten van ZuidHolland), NVwZ 1997, S. 473 ff. 105 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.09.2002, Rs. C-141/00, Slg 2002, I-6866, Rn. 56 (Kügler), EWS 2002, S. 488 ff.; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff. 106 s. 1. Teil, 4. Kap., A., I., 3. 107 Dies gilt etwa für jene Situationen, in denen eine Richtlinie einen Grundsatz konstituiert, zugleich aber zur Einführung bestimmter Ausnahmen berechtigt. Auch solche Ausnahmevorbehalte stehen der unmittelbaren Wirkung der den Grundsatz konstituierenden Regelung nicht entgegen, solange die Inanspruchnahme der Abweichungsmöglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist [EuGH, Urt. v. 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, S. 679 ff., S. 694, NJW 1969, S. 1550 (Ls.) (Société par actions Salgoil/Außenhandelsministerium der Italienischen Republik); EuGH, Urt. v. 04.12.1974, Rs. C-J004/74, Slg. 1974, S. 1347 (Y. van Duyn/Home Office).]. Auch die den Mitgliedstaaten zuerkannte Möglichkeit, Bedingungen für die korrekte und einfache Anwendung zu erlassen, hindert eine unmittelbare Wirkung der europäischen Vorgaben nicht, wenn ein Mitgliedstaat auf die Wahrnehmung der ihm verliehenen Befugnisse verzichtet oder es schlicht versäumt, von den ihm verliehenen Befugnissen Gebrauch zu machen [EuGH, Urt. v. 17.02.2005, Rs. C-453/02 und C-462/02, Slg. 2005, I-01131 (Finanzamt Gladbeck/Edith Linneweber u. a.), EuZW 2005, S. 210, Rn. 35.]. Insofern belehrt die Rechtsprechung des EuGH darüber, dass das Merkmal der Unbedingtheit in einer Weise zu handhaben ist, die dem Kernanliegen der Richtlinien ungeachtet etwaiger sich den Mitgliedstaaten bietender Entscheidungsfreiräume zur Realität verhilft. Vgl. M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 13.
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sich der Umfang dieser Mindestgarantie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt.108 Beides ist hinsichtlich der hier zu untersuchenden Vorschrift der Fall. Zunächst will Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. eine Mindestgarantie im Sinne eines gerichtlichen Verfahrens gewährleisten. Dem Mitgliedstaat wird daher eine facultas alternativa eröffnet.109 Der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Sekundärrechts (effet utile) gebietet es, der Richtlinie auch für den Fall der nicht richtlinienkonformen Umsetzung Wirkung im Sinne einer Mindestgarantie beizumessen, weil sonst der mit der Richtlinie verfolgte Zweck, den Rechtsschutz von anerkannten Umweltschutzvereinigungen und damit letztlich den Schutz der Umwelt zu verbessern, in Frage gestellt würde.110 Der Umfang dieser Mindestgarantie ist lediglich unschwer bestimmbar. Von den nur zwei ernsthaft in Betracht kommenden, oben dargestellten Alternativen kann es nur die sein, die den geringeren, angesichts der mit der Richtlinie verfolgten umweltpolitischen Zielsetzungen aber noch dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit genügenden Rechtsschutz bietet. Es geht somit um die Alternative, die die Begründetheitsprüfung einer Maßnahme auf Verstöße gegen sämtliche umweltschützenden Vorschriften – d. h. auch solche, die keine Rechte Einzelner begründen – erstreckt. Die Mindestgarantie noch enger zu begrenzen, kommt daher nicht ernsthaft in Betracht. Der Wortlaut der oben genannten Richtlinienbestimmungen, die auch die Prüfung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften fordern, schließt das aus.111 Die Ausführungen des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit sollten analog – trotz der fehlenden Begründung in dem hier diskutierten Trianel-Urteil – auch auf die Begründetheitsvoraussetzungen der Umweltverbandsklage bezogen sein.112 Denn der EuGH spricht auch insoweit vom Geltendmachen „im Rahmen 108 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK, Rn. 68. ZUR 2009, S. 380 ff.: EuGH, Urt. v. 12.02.2009, Rs. C-138/07 (Belgien/Cobelfret NV), EuZW 2009, S. 329 ff.; vgl. EuGH, Urt. v. 05.10.2004, Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-08835, Rn. 105 (Bernhard Pfeiffer u. a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e. V.), NVwZ 2005, S. 200; zustimmend auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, Rn. 15, ZUR 2009, S. 438; vgl. J. Berkemann, in: ders./ G. Halama, Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 174, Rn. 309; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff. 109 Vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 352 ff.; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12 ff.; J. Berkemann, in: J. Berkemann/ G. Halama (Hrsg.), Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 174, Rn. 309. 110 Vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 352; J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 352; G. Halama, in: J. Berkemann/G. Halama (Hrsg.), Hdb. zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 768, Rn. 330. 111 Vgl. ebd. 112 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 805; B. Henning, NVwZ 2011, S. 2767.
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eines Rechtsbehelfs“. Selbst wenn das nationale Prozessrecht es nicht gestattet, muss somit der Kontrollumfang der nationalen Gerichte im Bereich des Umweltrechts die Prüfung der Verletzung nationaler Umsetzungsakte und unmittelbar anwendbaren Unionsrechts umfassen. Aus deutscher Sicht ist die unmittelbare Anwendung der durch den EuGH ebenfalls angesprochenen Möglichkeit der unionsrechtskonformen Auslegung vorzuziehen.113 Denn letztere würde am Wortlaut von § 2 Abs. 5 UmwRG a. F. scheitern.114 Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Gesetzgeber zu Recht Rücksicht darauf genommen. Deswegen wurde auch entsprechend § 2 Abs. 5 UmwRG a. F. geändert.115 Zu beachten ist, dass die durch die EuGH-Entscheidung festgestellte unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 10a UVP-RL a. F. sich lediglich auf den Kontrollumfang, nicht jedoch auf die Kontrollmaßstäbe eines Klageverfahrens bezieht. Denn es fehlt der Vorschrift von Art. 10a UVP-RL a. F. zur unmittelbaren Ableitung von Kontrollmaßstäben an der hinreichenden Genauigkeit und Bedingtheit. Verallgemeinerungsfähige Kontrollmaßstäbe ergeben sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift in diesem Bereich nicht.116 Dies bedeutet aber nicht, dass die Zielsetzung der AK sowie der UVP-RL zur Gewährleistung eines weiten und effektiven Gerichtszugangs nicht eingehalten werden muss.117 Hervorzuheben ist, dass der EuGH mit der Bejahung der Direktwirkung für Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) zugleich eine potenzielle Direktwirkung auch für den fast wortgleichen Art. 15a Abs. 3 IVU-RL a. F. (nunmehr Art. 25 IE-RL) befürwortet hat.118 Die Umweltverbandskläger können damit Teile des Vollzuges auch des deutschen Immissionsschutzrechtes im Rahmen des UmwRG gerichtlich kontrollieren. Diese Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage zu 3. bekräftigt die h. M. des deutschen Schrifttums und teilweise der Rechtsprechung für eine unmittelbare 113 Ebd., Rn. 53, NVwZ 2011, S. 803: „Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in einer Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegt (vgl. in diesem Sinne: EuGH7 (Große Kammer), Urt. v. 19.01.2010, Rs. C-555/07, Rn. 47, EuGH, NJW 2010, S. 427, m.w. N. (Seda Kücükdeveci/Swedex GmbH & Co. KG)). 114 Vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 347 ff. = ZUR 2009, S. 432 ff. 115 s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., I. 116 C. Meitz, NuR 2011, S. 422; F. Ekardt, NVwZ 2006, S. 55; ders., NuR 2006, S. 221 ff., m.w. N. 117 In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 30 ff., ZUR 2011, S. 318 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky); S. Schlacke, ZUR 2011, S. 314 ff. 118 Vgl. J. Berkemann, NuR 2011, S. 782; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 805; B. Henning, NVwZ 2011, S. 2767.
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Anwendbarkeit des Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) sowie des Art. 15a IVU-RL a. F. (nunmehr Art. 25 IE-RL) hinsichtlich des Kontrollumfangs eines Klageverfahrens im Rahmen der UVP-RL.119 Die daran anschließende sehr umfangreiche Entscheidung des OVG Münster vom 01.12.2011120 zum Trianel-Fall bejaht grundsätzlich die Feststellungen des oben diskutierten EuGH-Urteils. Das OVG Münster entschied, den immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid und die Teilgenehmigung des Kohlekraftwerks Trianel aufzuheben. Es betonte aber gleichzeitig, dass das Kraftwerk grundsätzlich genehmigungsfähig ist. Dieses Urteil zeigte vor allem, dass eine Umweltverbandsklage bei Industrieanlagen aufgrund der erweiterten Rügebefugnisse nunmehr auch in Fallkonstellationen erfolgreich sein kann, in denen es um die Verletzung naturschutzrechtlicher Vorschriften geht.121
III. Zur unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 2 AK in der deutschen Rechtsordnung Im Anschluss an die Feststellungen des EuGH zum Trianel-Fall hinsichtlich der unmittelbaren Anwendung des Art. 10a UVP-RL a. F. ist auch von Bedeutung, dass die bislang herrschende deutsche Rechtsprechung Art. 9 Abs. 2 und 3 AK dahingehend interpretiert, dass sie anerkannten Umweltschutzvereinigungen das Recht einräumt, auch Rechtsverstöße gegen nicht drittschützende Normen unabhängig davon zu rügen, ob die verletzte Norm dem Unionsrecht oder „nur“ dem innerstaatlichen Recht entstammt. In dieser Hinsicht ist das Urteil des OVG Münster vom 12.06.2012122 von Bedeutung. Im Anschluss an das Trianel-Urteil 119 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 16.09.2009 – C 1005/08.T., ZUR 2010, S. 46 ff.; M. Gellermann, NVwZ 2006, S. 12; C. Calliess, ZUR 2008, S. 350 ff.; F. Niederstadt/ R. Weber, NuR 2009, S. 303 ff.; B. Wegener, UTR 2008, S. 339 ff.; H.-W. Louis, NuR 2004, S. 291 ff.; M. Genth, NuR 2008, S. 30; M. Kment, NVwZ 2007, S. 277 ff.; R. Müller-Terpitz, AVR 2005, S. 486 ff.; S. Schlacke, NuR 2007, S. 14; A. Schmidt/ P. Kremer, ZUR 2007, S. 57; dagegen z. B. OVG Münster, Urt. v. 27.10.2005, NuR 2006, S. 322; OVG Lüneburg, Urt. v. 07.07.2008 – 1 ME 131/08, ZUR 2008, S. 487 ff.; W. Durner, ZUR 2005, S. 287; C. Walter, EuR 2005, S. 334, S. 336; W. Schrödter, NVwZ 2009, S. 157 ff.; M. Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 495; W. Kahl, JZ 2010, S. 673 (aber ohne ausreichende Analyse); M. Dippel/J. Niggemeyer, EurUP 2009, S. 200 ff.; teilweise dagegen ist auch das Urteil des OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 347 ff. = ZUR 2009, S. 432 ff. Das Gericht geht davon aus, dass zwar § 2 Abs. 1 UmwRG unionsrechtskonform sei; die Beschränkung der Begründetheitsprüfung in § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG auf Verstöße gegen Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen und auch Rechte Einzelner begründen, sei aber unionsrechtswidrig. 120 OVG Münster, Urt. v. 01.12.2011 – 8 D 58/08 AK, NuR 2012, S. 342 ff.; Anm. dazu W. Durner/M. Paus, NuR 2012, S. 325 ff. 121 A. Schmidt/M. Zschiesche/A. Tryjanowski, NuR 2012, S. 79. 122 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, Rn. bb), ZUR 2012, S. 682, m.w. N. zu: J. Berkemann, NordÖR 2009, S. 342; T. Bunge, NuR 2011, S. 608; F. Ekardt,
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
des EuGH geht diese Rechtsprechung davon aus, dass auch Art. 9 Abs. 2 AK unmittelbare Wirkung auf die staatliche Rechtsordnung haben kann. Der innerstaatliche Geltungsanspruch eines völkerrechtlichen Vertrags ergebe sich gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG i.V. m. Art. 25 GG allein aus einem dahingehenden innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl und zwar auch bei Verträgen, die ihrem Inhalt zufolge die Parteien dazu verpflichten, die innerstaatliche Geltung oder Anwendung herbeizuführen.123 Um konkreter zu sein, folge demnach die innerstaatliche Geltung der AK aus dem Zustimmungsgesetz zur AK vom 09.12.2006.124 Die so bewirkte innerstaatliche Geltung eines völkerrechtlichen Vertrags könnte nur dann zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsnorm mit Wirkung für und gegen die von der Regelung Betroffenen führen, wenn sie nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend genau sei, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten habe, also dafür keiner weiteren normativen Ausfüllung bedürfe. Ob dies der Fall sei, sei durch Auslegung zu bestimmen.125 Diese Voraussetzungen entsprechen im Grundsatz denen, die für eine unmittelbare Anwendung einer nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzten unionsrechtlichen Richtlinie in einem Mitgliedstaat gelten.126 Die unmittelbare Wirkung eines völkerrechtlichen Vertrags ist allerdings auch dann ausgeschlossen, wenn das nationale Zustimmungsgesetz dies bestimmt oder wenn der Vertragsstaat anlässlich der Ratifikation einen entsprechenden Vorbehalt erklärt.127 Der deutsche Gesetzgeber hat aber von der Möglichkeit, die AK über den nationalen Rechtsanwendungsbefehl im Sinne eines eigenen abweichenden Verständnisses mit einem Vorbehalt zu versehen, keinen Gebrauch gemacht. Angesichts aber der Tatsache, dass weder das Zustimmungsgesetz zur AK eine entsprechende Regelung enthält noch die Bundesrepublik Deutschland anlässlich der Ratifikation der AK einen entsprechenden Vorbehalt erklärt habe, sei festzustellen, dass die unmittelbare Wirkung der AK nicht unbedingt ausgeschlossen
NVwZ 2012, S. 531; M. Hong, JZ 2012, S. 387; A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 285; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 376; F. Niederstadt/R. Weber, NuR 2009, S. 302; B. Wegener, ZUR 2011, S. 366; a. A. etwa: T. von Danwitz, NVwZ 2004, S. 278 ff. 123 Vgl. BVerfG, Urt. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, Rn. 98, NJW 1987, S. 577 ff.; M. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: Januar 2012, Art. 59 Rn. 183 f. 124 Vgl. BGBl. II 2006, Nr. 31 v. 15.12.2006, „Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (AarhusÜbereinkommen)“ v. 09.12.2006. Für eine Übersicht hinsichtlich der Ratifikation der AK von den Mitgliedstaaten s. www.unece.org/env/pp/ctreaty.htm. 125 Vgl. BVerwG, Urt. v. 16.10.1990 – 1 C 15.88, Rn. 9, NVwZ 1991, S. 787 ff.; BVerwG, Urt. v. 13.12.2010 – 7 B 64.10, NVwZ 2011, S. 752 ff. 126 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, ZUR 2012, S. 682. 127 Ebd.
A. Das Trianel-Urteil des EuGH
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sei. Auch wenn der Gesetzgeber subjektiv eine abweichende Vorstellung vom Inhalt der AK, insbesondere ihres Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK, gehabt haben möge, habe er mit dem Zustimmungsgesetz zur AK objektiv der AK mit dem ihr zukommenden objektiven Erklärungs- und Regelungsgehalt innerstaatliche Geltung verschafft.128 Betrachtet man Art. 9 Abs. 2 und 3 AK als Ganzes, so lassen sie den Konventionsstaaten einen beträchtlichen Spielraum sowohl hinsichtlich der Bestimmung dessen, was eine Rechtsverletzung darstellt, als auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen und der Stellen, bei denen diese einzulegen sind. Betrachtet man aber Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK im Einzelnen, kann man dann den Schluss ziehen, dass diese beiden Sätze dem Vertragsstaat keinen Umsetzungsspielraum mehr lassen. Denn sie bestimmen zum einen, dass das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, welche die in Art. 2 Nr. 5 der AK genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend gilt, und zum anderen, dass derartige Organisationen auch als Träger von Rechten gelten, die verletzt werden können. Damit handelt es sich um hinreichend genaue Regelungen, die keinen weiteren Bedingungen unterliegen und keiner weiteren Konkretisierung bedürfen. Demzufolge sind Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK in Deutschland unmittelbar anwendbar.129 Im Anschluss daran gilt nichts anderes als für die unmittelbare Geltung auch der nahezu wortgleichen Regelungen in Art. 11 Abs. 3 Sätze 2 und 3 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL (vormals Art. 10a UVP-RL und Art. 15a IVU-RL).130 Die unmittelbare Anwendbarkeit der Regelung des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK im deutschen Recht hat folgende Auswirkung auf die deutsche Rechtsordnung: Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK ergänzte in der Praxis schon vor der Einführung des UmwRGÄndG vom 21.01.2013 die Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. dahingehend, dass anerkannte Umweltschutzvereinigungen auch Verstöße gegen nicht drittschützende Normen des na-
128
OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, ZUR 2012, S. 682. OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, cc), ZUR 2012, S. 682. Vgl. dazu auch EuGH, v. 12.05.2011, Rs. C-115/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I-9967 (Djurgården Lilla Värtans Miljöskyddsförening), ZUR 2010, S. 28 ff.; EuGH, Urt. v. 16.07.2009, Rs. C-427/07, Slg. 2009, I-6277 ff. (Kommission/ Irland), ZUR 2010, S. 32 ff. In diese Richtung vgl. auch A. Kleinschnittger, I+E 2011, S. 285 ff.; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312 ff. 130 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, cc), ZUR 2012, S. 682. So auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011 – C-115/09 Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 55 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. (zu Art. 10a Abs. 3 S. 2 und 3 UVPRL a. F.). 129
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
tionalen Umweltrechts rügen können. Insoweit wird die Regelung in § 2 UmwRG a. F. auch inhaltlich erweitert.131 Die Auffassung, dass die Vorgaben von Art. 9 Abs. 2, 3 AK anerkannten Umweltschutzvereinigungen das Recht einräumen, auch Rechtsverstöße gegen nicht drittschützende Normen unabhängig davon zu rügen, ob die verletzte Norm dem Unionsrecht oder „nur“ dem innerstaatlichen Recht entstammt, ist auch darauf gestützt, dass sich die Auslegung völkerrechtlicher Verträge nach der Wiener Vertragskonvention vom 23.05.1969 über das Recht der Verträge (WVRK) richtet. Denn gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und in Anbetracht seines Ziels und Zwecks auszulegen.132 Bei Anlegung dieses Maßstabs verpflichten somit insbesondere Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 und UAbs. 2 S. 2 und 3 AK die Konventionsstaaten zur Einführung einer VK, mit der anerkannte Umweltschutzvereinigungen auch die Verletzung von Normen, die keine Rechte Einzelner begründen, rügen können.133 Dies folge überwiegend aus der den anerkannten Umweltschutzvereinigungen privilegierenden Fiktionsregelung des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK, wonach anerkannte Umweltschutzvereinigungen als Träger von Rechten gelten, deren Geltendmachung nach innerstaatlichem Recht prozessuale Voraussetzung für den Zugang zu Gerichten sei.134 Darüber hinaus nehme Art. 9 Abs. 2 AK keine Einschränkung nach der Herkunft einer Rechtsvorschrift aus dem Unionsrecht oder aus dem innerstaatlichen Recht vor. Denn eine solche Einschränkung würde offenbar auch dem zentralen Ziel der AK widersprechen, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Auch diese Ansicht verstärkt die Auffassung, dass zu den Bestimmungen, deren Verletzung nach Art. 9 Abs. 2 AK von Umweltorganisationen gerügt werden könne, auch rein nationale umweltbezogene Vorschriften gehören.135 Es muss letztlich beachtet werden, dass die AK aufgrund des Zustimmungsgesetzes vom 09.12.2006136 und der anschließenden Ratifikation als innerstaat131 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, dd), ZUR 2012, S. 683 ff., m.w. N. 132 Vgl. u. a.: C. Harris/K. Kakkaiyadi, Cambridge Journal of International and Comparative Law 2013, S. 113 ff., m.w. N. 133 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, Rn. bb), ZUR 2012, S. 682. 134 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, Rn. bb), ZUR 2012, S. 682, m.w. N. zu EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/09 (Trianel), Rn. 40 ff., NJW 2011, S. 2779 zur entsprechenden Auslegung der nahezu wortgleichen Bestimmung in Art. 10a Abs. 3 S. 2 und 3 UVP-RL a. F. 135 OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, bb), ZUR 2012, S. 682. Ebenso BT-Drs. 17/10957, S. 16 = Referentenentwurf zur Änderung des UmwRG v. 30.05.2012, S. 52. Mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 1.
A. Das Trianel-Urteil des EuGH
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liches Recht gilt,137 so dass Erweiterungen der Klagebefugnisse des UmwRG in Betracht gezogen werden können, soweit die innerstaatliche Umsetzung unvollständig gewesen sein sollte.138
IV. Fazit Zusammengefasst bildete das Trianel-Urteil des EuGH einen wichtigen Eckpunkt in dem europaweiten Wettstreit zwischen den Systemen des subjektiven Rechtsschutzes und der objektiven Rechtskontrolle sowie der schrittweisen Annäherung beider Modelle im Prozess der europäischen Integration. Es hat erheblich die innerstaatlichen Regelungen der deutschen Rechtsordnung beeinflusst, die sich auf die Klagebefugnis anerkannter Umweltschutzvereinigungen beziehen. Es führte schließlich zur Änderung des UmwRG vom 21.01.2013. Aufgrund dieses Urteils wurden die seit längerer Zeit umstrittenen Klagebefugniseinschränkungen der traditionellen deutschen Schutznormtheorie zumindest im Bereich der umweltrechtlichen Verbandsklagen endgültig beseitigt. Der EuGH hat mit seiner Argumentation deutlich festgestellt, dass die eingeschränkte Schutznormakzessorietät der altruistischen VK der alten Fassung des UmwRG nicht mit dem Europarecht vereinbar ist. Vor diesem Hintergrund konnten die Vorgaben des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. sowie des § 2 Abs. 5 S. 1 UmwRG a. F. nicht beibehalten werden. Dieses Urteil hat im Ergebnis ausschlaggebend dazu beigetragen, dass nunmehr anerkannte Umweltschutzvereinigungen auch die Verletzung solcher Vorschriften altruistisch rügen können, die nur der Allgemeinheit dienen. Die Klagemöglichkeiten der Umweltschutzvereinigungen wurden daher erheblich erweitert. Dieses Urteil hat auch zu der Begründung und der Annahme der unmittelbaren Wirkung von Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) sowie von Art. 9 Abs. 2 AK durch die deutsche Rechtsprechung eindeutig beigetragen. Zu berücksichtigen ist gleichwohl, dass der EuGH in diesem Urteil offensichtlich vermeidet, dem deutschen Rechtsschutzsystem einen kompletten Systemwechsel zu verordnen. Er sieht davon ab, eine Erstreckung sämtlicher umweltbezogener Klagen auf alle umweltschützenden Rechtsvorschriften zu fordern. Demgegenüber beschränkt dieses Urteil die entsprechende Pflicht einerseits auf Verbandsklagerechte und andererseits gegenständlich auf das umweltbezogene 136 BGBl. II 2006, S. 1251 ff. „Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen)“ v. 09.12.2006. Für eine Übersicht hinsichtlich der Ratifikation der AK von den Mitgliedstaaten s. www.unece.org/env/pp/ctreaty.htm. 137 BGBl. II 2007, S. 1392. Mehr dazu M. Breuer/S. Riegger, EurUP 2014, S. 293 ff. 138 OVG Koblenz, Beschl. v. 31.01.2013 – 1 B 11201/12.OVG, NuR 2013, S. 281 ff.; vgl. insb. zu Art. 9 Abs. 2 AK: OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, ZUR 2012, S. 678 ff.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
EU-Recht und die korrespondierenden Umsetzungsvorschriften. Der EuGH bezweckt somit durch dieses Urteil, einen zwingenden Änderungsbedarf weder im Hinblick auf autonom erlassene nationale Vorschriften des objektiven Umweltrechts noch auf Individualklagerechte zu schaffen.139 Das EuGH-Urteil zum Trianel-Verfahren mag sich allerdings als Ausgangspunkt für Maßnahmen und Folgeentscheidungen erweisen, um die zunächst insbesondere Umweltschutzvereinigungen anerkannten objektiven Klagerechte möglicherweise aber auch auf Individualkläger auszudehnen sowie um den Anwendungsbereich einer umweltschützenden Klage zu erweitern und weitere rechtliche Hindernisse im Bereich des Umweltrechtsschutzes zu beheben.140
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH Noch weitreichendere Wirkungen als das Trianel-Urteil könnte die Entscheidung des EuGH vom 08.03.2011 in der Rechtssache C 240/09141 zum slowakischen Braunbären erzeugen. Zusammengefasst betonte der EuGH in diesem Urteil, dass das innerstaatliche Recht Möglichkeiten bieten müsse, die Verletzung europarechtlicher Umweltschutzanforderungen gerichtlich kontrollieren zu lassen. Es ging auch in diesem Verfahren um Vorgaben der FFH-RL. In diesem Fall wurde von einem slowakischen Oberverwaltungsgericht dem EuGH unter anderem die zentrale Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 3 der AK unmittelbar anwendbar sei. Diese Frage wurde vorgelegt angesichts der Tatsache, dass die Europäische Gemeinschaft nach dem Beitritt der Slowakischen Republik zur Aarhus-Konvention (AK) am 17.02.2005 keine Rechtsvorschriften zur Umsetzung der AK und insbesondere des Art. 9 Abs. 3 AK in die europäische Rechtsordnung erlassen hatte.142 Beachtenswert ist auch das sog. slowakische Braunbären-Urteil II des EuGH vom 08.11.2016. Danach – und im Gegensatz zur herrschenden deutschen Rechtsprechung143 – wurde klargestellt, dass die praktische Wirksamkeit der FFH-RL 139
W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 763. Ebd. 141 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. = ZUR 2011, S. 317 ff.; Anm. dazu S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; D. Krawczyk, ELR 2012, S. 53 ff.; B. Müller, JEL 2011, S. 515; J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 1 ff.; R. Klinger, EurUP 2013, S. 95 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1137 ff.; E. Künzler, SächsVBl 2013, S. 233 ff. 142 Vgl. GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 15.07.2010 in der Rs. C-240/09, Rn. 76, BeckRS 2010, 90907. 143 OVG Hamburg, Urt. v. 19.02.2001 – 2 Bs 370/00, NVwZ 2001, S. 1173 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 06.07.2016 – 2 L 84/14 –, juris, Rn. 167 und Leitsatz 2, s. o. 1. Teil, 2. Kap., C., III. 140
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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verlange, dass die Bürger sich vor Gericht auf sie berufen können, um insbesondere zu prüfen, ob die nationale Behörde, die ein Projekt genehmigt hat, ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der FFH-RL beachtet hat.144 Mit Art. 19 Abs. 1 EUV wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.145
I. Sachverhalt Im Einzelnen betraf das EuGH-Braunbären-Urteil vom 08.03.2011 den Rechtsstreit zwischen einem nach slowakischem Recht anerkannten Verband mit dem Zweck des Umweltschutzes und dem Umweltministerium der Slowakischen Republik. Streitgegenstand war der Antrag dieses Umweltverbands, der in der Slowakischen Republik tätig ist, an Verwaltungsverfahren über die Genehmigung von Ausnahmen von der Schutzregelung von Arten wie den Braunbären, über den Zugang zu Naturschutzgebieten und über die Verwendung chemischer Produkte in solchen Gebieten beteiligt zu werden. Dadurch erlaubte das zuständige slowakische Ministerium im Ausnahmewege unter anderem auch den Abschuss von Braunbären, die nach Anhang V der FFH-RL zu den streng geschützten Tierarten zählen. Zwar war der Umweltverband über die umstrittenen Verfahren informiert worden; eine Beteiligung wurde aber abgelehnt.146 Gerade gegen diesen Rechtsakt erhob der Umweltverband eine Klage. Darin machte er geltend, dass in den Verwaltungsverfahren seine aus der AK abgeleiteten Rechte und rechtlich geschützten Interessen unmittelbar betroffen seien. Das erstinstanzliche Gericht folgte dieser Argumentation nicht und wies die Klage zurück. Vor diesem Hintergrund erhob der Umweltverband eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof der Slowakischen Republik mit der Begründung, dass den Bestimmungen des Art. 9 Abs. 3 AK, der eigentlich verlangt, dass „Mitglieder der Öffentlichkeit“ Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben, um die von Behörden begangenen Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, unmittelbare Wirkung zukommt. Im Rechtsmittelverfahren legte der Oberste Gerichtshof der Slowakischen Republik dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor.
144 EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), Rn. 44 ff., ZUR 2017, S. 86 ff.; Anm. dazu R. Klinger, ZUR 2017, S. 90 ff.; mehr dazu: s. u. 1. Teil, 4. Kap., B., VI. 145 EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), Rn. 50, ZUR 2017, S. 89. 146 s. ABl. EU, 26.09.2009, C 233/3 ff.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
1. Die Vorlagefragen Die Vorlagefragen des slowakischen Gerichts gegenüber dem EuGH lauteten wie folgt147: „1. Kann Art. 9 des Übereinkommens von Aarhus, insbesondere seinem Abs. 3, unter Berücksichtigung des von diesem völkerrechtlichen Übereinkommen verfolgten Hauptziels, nämlich die klassische Konzeption der Aktivlegitimation dadurch zu verändern, dass die Stellung eines Verfahrensbeteiligten auch der Öffentlichkeit bzw. der interessierten Öffentlichkeit eingeräumt wird, die unmittelbare Anwendbarkeit (“self-executing effect“) eines völkerrechtlichen Vertrags zuerkannt werden, obwohl die Europäische Union nach ihrem Beitritt zu diesem völkerrechtlichen Vertrag am 17. Februar 2005 bis heute keine Gemeinschaftsvorschriften zur Umsetzung dieses Übereinkommens in die Gemeinschaftsrechtsordnung erlassen hat? 2. Kann Art. 9 des Übereinkommens von Aarhus, insbesondere seinem Abs. 3, nachdem er bereits Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist, die unmittelbare Anwendbarkeit oder die unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsrechts im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zuerkannt werden? 3. Bei Bejahung der ersten oder der zweiten Frage: Kann Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus unter Berücksichtigung des mit diesem völkerrechtlichen Vertrag verfolgten Hauptziels dahin ausgelegt werden, dass unter den Begriff „von . . . Behörden vorgenommen[e] Handlungen“ auch die Handlung zu fassen ist, die im Erlass einer Entscheidung besteht, mit der Folge, dass die Möglichkeit des Zugangs der Öffentlichkeit zum gerichtlichen Verfahren selbst auch das Recht umfasst, die Entscheidung der Behörde anzufechten, deren Rechtswidrigkeit sich auf die Umwelt auswirkt?“
Die ersten beiden Ersuche betrafen die Frage, ob Einzelne oder Umweltverbände aus dem Unionsrecht unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 3 AK eine Aktivlegitimation ableiten können. Voraussetzung hierfür sollte sein, dass der EuGH – und nicht die Gerichte der Mitgliedstaaten – für die Auslegung der AK zuständig ist. Bei dieser ersten Prüfungsstufe ging es somit um die konkrete Frage, ob der slowakische Ausgangsrechtsstreit überhaupt dem Unionsrecht unterliegt. Der Oberste Slowakische Gerichtshof hat im Ergebnis gefragt, ob Art. 9 Abs. 3 AK eine unmittelbare Wirkung (self-executing effect) entfalten müsse.148 Unter der Voraussetzung einer Bejahung der oben gestellten Fragen fragte das slowakische Gericht weiter, ob aus der unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK eine Pflicht zur Erweiterung der nach slowakischem Recht zulässigen Klagegegenstände abgeleitet werden könne. Zu beachten war, dass sich der „slowakische Braunbär-Fall“ auf Grund der vorgelegten Fragen im Wesentlichen nur auf Art. 9 Abs. 3 AK bezog. Er betraf nicht die anderen Ansätze des Art. 9 AK. Es ging lediglich um die Effektivität 147
ABl. EG, 26.09.2009, C 233/3 ff. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 28 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 148
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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der Rechtsdurchsetzung, welche die Mitgliedstaaten zu gewährleisten haben. Dieses Urteil sollte somit im Kern zwei bislang vernachlässigte rechtliche Probleme aufklären: zum einen die Frage nach der Zuständigkeit für die Auslegung der AK; zum anderen die Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten Art. 9 Abs. 3 AK bei der Gewährung von Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten zu berücksichtigen haben, wenn Verstöße gegen auf Unionsrecht beruhendes innerstaatliches Umweltrecht gerügt werden.149 Im Hinblick darauf muss hier angemerkt werden, dass eine umfassende europarechtliche Inkorporierung des Art. 9 Abs. 3 AK hinsichtlich der Mitgliedstaaten bislang gescheitert ist. Obwohl die Kommission zuletzt am 24.10.2003 einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie zur Umsetzung auch dieser Bestimmung vorgelegt hatte150, wurde dieser im Rat mehrheitlich abgelehnt.151 Der Bundesgesetzgeber hat 2006 bei der Ratifikation der AK einen Umsetzungsbedarf verneint, weil die Vorgaben bereits vollständig durch bestehendes europäisches und innerstaatliches Recht umgesetzt seien. Der Auffassung der Bundesregierung nach bestehe kein Umsetzungsbedarf, da das Erfordernis einer Verletzung von Schutznormen (gem. § 42 Abs. 2 VwGO) ein zulässiges Kriterium des innerstaatlichen Rechts darstelle, welches den nach Art. 9 Abs. 3 AK zu gewährenden Rechtsschutz in zulässiger Weise beschränke.152 Die einzige Maßnahme der EU zur Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK ist bislang die Verordnung Nr. 1367/2006/EG.153 Das Bestehen der VO Nr. 1367/2006/ 149
S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312 ff. KOM (2003), S. 624 endg. vom 24.10.2003; ausführlich dazu s. u. insb. 3. Teil, 6. Kap., E., III., 1. ff. 151 Vgl. etwa Ratsdokument 9967/05 vom 10.06.2005. Zu beachten ist, dass das Parlament in erster Lesung am 31.03.2004 im Verfahren nach Art. 251 EG a. F. diesen Vorschlag mit einigen Änderungen billigte. Es verlangte sogar einen noch umfassenderen Zugang zu den Gerichten, als ihn die vorgeschlagene RL vorsah; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1138. Vgl. auch hinsichtlich des Textes eines im Auftrag der Kommission erstellten Richtlinienentwurfes, abgedruckt in: M. Führ/B. Gebers/T. Ormond/G. Roller, ELNI Newsletter 1994, S. 3 ff.; vgl. die dazugehörige Studie: M. Führ/B. Gebers/ T. Ormond/G. Roller in Zusammenarbeit mit Ward und Cameron, Access to Justice – Final Report, 1992. Vgl. auch KOM (92) 23 endg. v. 27.03.1992, S. 84 ff. Vgl. dazu auch J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1254, Fn. 8; B. Wegener, in: W. Cremer/A. Fisahn (Hrsg.), Jenseits der marktregulierten Selbststeuerung – Perspektiven des Umweltrechts, 1997, S. 189 ff. 152 BT-Drs. 16/2497, S. 46; M. Sauer, ZUR 2014, S. 197; R. Klinger, EurUP 2014, S. 178; dagegen: BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, 7 C 21.12, Rn. 32–35, ZUR 2014, S. 52 ff. 153 ABl. EU 2006 Nr. L 264/13; Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.09.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 vom 25.09.2006, S. 13. Vgl. dazu M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU En150
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EG zur Anwendung von Art. 9 Abs. 3 AK auf die unionalen Organe zeigt nur, dass es keine wirkliche Unionsmaßnahme gibt, mit der die entsprechenden Verpflichtungen in die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten inkorporiert werden können.154
II. Die Aarhus-Konvention als Unionsrecht? Ein charakteristisches Problem der gemischten Konventionen, etwa der AK, bezieht sich auf die Frage, inwiefern die EU und ihre Mitgliedstaaten durch diese Konventionen im Verhältnis zu den anderen Vertragsparteien gebunden sind.155 Denn weder die EU noch die Mitgliedstaaten verfügen über die ausschließliche Kompetenz.156 Insbesondere im Rahmen des sog. slowakischen Braunbären-Urteils des EuGH stellt sich die Frage, ob der EuGH oder das nationale Gericht zuständig ist, Vorschriften von gemischten Übereinkommen – hier Art. 9 Abs. 3 AK – auszulegen. Der EuGH stellte zunächst fest, dass die AK als völkerrechtlicher Vertrag aus der Sicht des Unionsrechts ein gemischtes Abkommen ist, das in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt.157 Denn die AK wurde von der EU und allen ihren Mitgliedstaaten aufgrund geteilter Zuständigkeit unterzeichnet. An ihr sind sowohl die EU selbst als auch deren Mitgliedstaaten als Vertragsparteien beteiligt.158 Gem. ex-Art. 300 Abs. 7 EGV (jetzt Art. 216 Abs. 2 AEUV) ist die AK mit Ratifizierung durch die Gemeinschaft159 integrierter Bestandteil des EU-Rechts geworden.160 Der h. M. nach stehen völkerrechtliche Verträge im Rang unterhalb
vironmental Law, 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. Zu beachten ist, dass die EG-Verordnung Nr. 1049/2001 und ergänzend Art. 4–9 der AK-VO den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten regeln. 154 GAin Sharpston, Schlussantr. v. 15.07.2010 (1) in der Rs. C-240/09, Rn. 76, BeckRS 2010, 90907, m.w. N. zu EuGH, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04 P, Slg. 2004, II-2153, Rn. 93 (Região autónoma dos Açores/Rat), in dem er entschieden hat, dass sich die Rechtswirkung der Verordnung Nr. 1367/2006 auf die Gemeinschaftsorgane beschränkt. 155 Vgl. dazu u. a. M. Breuer/S. Riegger, EurUP 2014, S. 293 ff., m.w. N. 156 Vgl. J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 2. 157 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 36 ff., NVwZ 2011, S. 673 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; Anm. dazu A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; D. Krawczyk, ELR 2012, S. 53 ff.; S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; B. Müller, JEL 2011, S. 515; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1139. 158 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1137. 159 Beschl. 2005/370/EG des Rates v. 17.02.2005, ABl. EG L 124, S. 1 ff. 160 EuGH, Urt. v. 10.01.2006, C 344/04, Slg. 2006, I- S. 403, Rn. 36 (IATA und ELFAA), NJW 2006, S. 351 ff.
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des unionalen Primärrechts.161 Vor diesem Hintergrund sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten gem. ex-Art. 300 Abs. 7 EGV (nunmehr Art. 216 Abs. 2 AEUV) verpflichtet, völkerrechtliche Verträge der Gemeinschaft zu achten und ordnungsgemäß innerstaatlich durchzuführen.162 Darüber hinaus ist der EuGHRechtsprechung zu entnehmen, dass völkerrechtliche, gemischte Abkommen, welche die EU abgeschlossen hat, aus Gründen des Unionsrechts vorrangig gegenüber „einfachem“ Unionsrecht zu beachten sind.163 In diesem Zusammenhang käme eine Berücksichtigung der AK bei der Auslegung des primärrechtlich geregelten Zugangs zu europäischen Gerichten in Betracht, solange sich der EuGH ungeachtet der bestehenden normhierarchischen Rangunterschiede einer völkerfreundlichen Auslegung auch des Primärrechts öffnet.164 Was das europäische Primärrecht in Bezug auf die AK betrifft, soll auch angemerkt werden, dass die noch vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags erfolgte Ratifizierung der AK durch die damalige EG und ihre Mitgliedstaaten grundsätzlich nichts an den restriktiven Zulässigkeitsvoraussetzungen für nicht privilegierte Rechtssubjekte und insbesondere für die Umweltverbände primärrechtlichen Klagemöglichkeiten des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nunmehr Art. 263 Abs. 4 AEUV) geändert hat.165 Allein der Charakter der AK als gemischtes Übereinkommen sei somit nicht ausreichend, um als „lex posterior“ den primärrechtlichen Rechtsschutzgrundsatz des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nunmehr Art. 263 Abs. 4 AEUV) zu modifizieren.166 Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen die EU für Verpflichtungen aus einem gemischten Übereinkommen 161 Vgl. A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht 2012, Rn. 448, m.w. N.; M. Nettesheim, EuR 2006, S. 753 ff. 162 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 29–30, ZUR 2011, S. 318 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky); S. Schlacke, ZUR 2011, S. 313 ff. 163 Zum Vorrang der Abkommen gegenüber „einfachem“ Unionsrecht vgl. etwa: EuGH, Urt. v. 21.12.2011 – Rs. C-366/10, Rn. 54 (Air Transport Association of America u. a.), DVBl 2012, S. 288; EuGH, Urt. v. 10.09.1996, Rs. 61/94, Slg. 1996, I-3989, Rn. 52 (Kommission/Deutschland); EuGH, 03.09.2008 – C-402/05 P; C-415/05 P, Rn. 307 (Kadi/Rat und Kommission), DVBl 2009, S. 175 ff. s. auch weitere Nachweise in J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1142 ff. Im Anschluss daran ergibt sich aus Art. 24 Abs. 1 GG – wonach Verträge, die Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, den von diesem gesetzten Recht Geltungs- und Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht beilegen – eine verfassungsunmittelbare Pflicht der deutschen Gerichte, einschlägige Judikate zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. 164 Vgl. ausführlich dazu M. Nettesheim, EuR 2006, S. 753 ff., m.w. N.; so auch M. Breuer, DV 2012, S. 194, m.w. N. Zur völkerfreundlichen Auslegung vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, Rn. 48, NJW 2004, S. 3407 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98, Rn. 23, NVwZ 2000, S. 810 ff. 165 Ausführlich zu dieser Problematik s. u. in 3. Teil, 5. Kap., B., I.–II. 166 C. Walter, EuR 2005, S. 321, m.w. N.
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wie der AK vollumfänglich einzustehen hat, sofern sie keine Beschränkung aus der Kompetenzverteilung im Innenverhältnis zu ihren Mitgliedstaaten167 offengelegt hat.168 Zwar hat die EG bei der Ratifikation der AK mit dem Beschluss 2005/370169 eine Erklärung zu den Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK abgegeben (Erklärung der Europäischen Gemeinschaft nach Art. 19 AK)170; diese bezog sich jedoch auf das gescheiterte Projekt einer allgemeinen Klagerechts-Richtlinie, mit der die Kommission den nationalen Rechtsschutz im Umweltbereich über die erfolgte Änderung von UVP- und IVU-RL hinaus teilharmonisieren wollte.171 Die Kommission hatte sich diesbezüglich auf den Standpunkt gestellt, die EG sei über Art. 9 Abs. 3 AK allgemein zu einer Verbesserung der nationalen Rechtsschutzsysteme im Umweltbereich verpflichtet und könne die AK daher erst nach Verabschiedung der jedoch gescheiterten Klagerechts-Richtlinie ratifizieren.172 Vor diesem Hintergrund wurde Art. 9 Abs. 3 AK nur zum Teil in das Unionsrecht einbezogen, und zwar nur im Bereich des europäischen Sekundärrechtes durch die schon erwähnte AK-VO Nr. 1367/2006.173 167 Zu kompetenziellen Bedenken der EG vgl.: S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 250 ff.; C. Walter, EuR 2005, S. 312 ff.; I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff. 168 Vgl. A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht 2012, Rn. 448, m.w. N.; J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 2 ff.; M. Breuer, DV 2012, S. 196. s. auch 1. Teil, 4. Kap., A., III. 169 2005/370/EG, Beschluss des Rates vom 17. Februar 2005 über den Abschluss des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten im Namen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EG L 124 v. 17.05.2005, S. 0001 – 0003; ABl. L 164 v. 16.06.2006, S. 0017 – 0019. 170 Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut dieser Erklärung. In ihr heißt es, dass „die Umsetzung der aus Art. 9 Abs. 3 AK erwachsenden Verpflichtungen nicht in vollem Umfang unter die geltenden Rechtsakte fällt, da diese sich auf verwaltungsbehördliche und gerichtliche Verfahren beziehen, mit denen die von Privatpersonen und von den Einrichtungen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. d, bei denen es sich nicht um die Organe der Europäischen Gemeinschaft handelt, vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen angefochten werden, und dass demzufolge ihre Mitgliedstaaten für die Erfüllung dieser Verpflichtungen zum Zeitpunkt der Genehmigung des Übereinkommens durch die Europäische Gemeinscaft zuständig sind und auch dafür zuständig bleiben werden, es sei denn, dass – bzw. bis – die Gemeinschaft in Ausübung ihrer Zuständigkeiten nach dem EG-Vertrag Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zur Umsetzung dieser Verpflichtungen annimmt“. ABl. EG v. 17.05.2005, Nr. L 124/3. 171 M. Breuer, DV 2012, S. 196 ff. 172 M. Breuer, DV 2012, S. 196 ff., m.w. N.; vgl. Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 4. 173 Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.09.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Ein-
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Insofern findet sich das Erfordernis einer völkerrechtskonformen Auslegung in der Rechtsprechung des EuGH nur für das Sekundärrecht.174 Das ist vor dem Hintergrund des normhierarchischen Vorrangs völkerrechtlicher Verträge vor Sekundärrechtsakten (ex-Art. 300 Abs. 7 EGV, heute Art. 216 Abs. 2 AEUV) konsequent.175 Im Ergebnis dürfe aber die Anwendung der Vorschriften der AK nicht vom Primärrecht abweichen.176 In Bezug auf das nationale Recht ist bereits anerkannt, dass der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit alle Staatsorgane verpflichtet, „die rechtsbindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen.“ 177 Dabei sind Gesetze im Einklang mit den staatlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen auszulegen und anzuwenden.178 Im Hinblick darauf sollte somit das Unionsrecht, insbesondere das Sekundärrecht, völkerrechtsfreundlich ausgelegt werden.179 In diesem Zusammenhang stellt der EuGH Folgendes fest: „Da das Übereinkommen von Aarhus von der Gemeinschaft und allen ihren Mitgliedstaaten auf Grund einer geteilten Zuständigkeit geschlossen wurde, ist folglich der EuGH, wenn er gemäß den Vorschriften des EGV, insbesondere Art. 234 EGV, angerufen wird, dafür zuständig, die von der Union übernommenen Verpflichtungen von denjenigen abzugrenzen, für die allein die Mitgliedstaaten verantwortlich bleiben, und die Vorschriften des Übereinkommens von Aarhus auszulegen.“180 richtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 vom 25.09.2006, S. 13; J. Berkemann, ZUR 2015, S. 226. 174 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 193, m.w. N.; EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/ 10, Rn. 54 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff. 175 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.09.1996, Rs. 61/94, Slg. 1996, I-3989, Rn. 52 (Kommission/Deutschland). 176 M. Breuer, DV 2012, S. 194, m.w. N. 177 BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, BvR 955/00, 1038/01, NVwZ 2005, S. 560 ff. 178 BVerfG, Beschl. v. 26.03.1987, 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85, NJW 1987, S. 2427 ff. 179 EuGH, 03.09.2008 – C-402/05 P; C-415/05 P, Rn. 291 (Kadi/Rat und Kommission), DVBl 2009, S. 175 ff. Dieser Zusammenhang des Völkerrechts mit bestehendem Unionsrecht korrespondiert mit der Weite der Unionskompetenz im Bereich des internationalen Vertragsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 AEUV sowie Art. 216 Abs. 1 AEUV. Denn auch dort gibt es den Ansatzpunkt, dass internationale Übereinkünfte gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnten. Vgl. W. Frenz, DVBl 2012, S. 820, m.w. N.; im Hinblick darauf ist allerdings anzumerken, dass die europäische Rechtsprechung – auch nach dem Inkrafttreten der AK – bislang weiterhin an der Plaumann-Formel festhält, ohne die Möglichkeit einer völkerrechtskonformen Auslegung des Primärrechts auch nur in Erwägung zu ziehen (ausführlich dazu s. o.); vgl. insbesondere: EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 80 (WWF-UK Ltd/Rat); Anm. dazu M. Till, ZUR 2009, S. 194 ff.; EuGH, Urt. v. 05.05. 2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat). 180 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 31 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. Vgl. entsprechend: EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – verb. Rs. C-300/98 und C-392/98, Slg. I- S. 11307, Rn. 33 (Gravenhage und des Hoge Raad der Nederlanden, Parfüms Christian Dior SA/Tuk Consultancy BV und Assco Gerüste GmbH, Rob van Dijk/Wilhelm
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Der EuGH unterstreicht, dass eine spezielle Frage, zu der noch keine Rechtsvorschriften der Union ergangen sind, dem Unionsrecht unterliegt, wenn diese Frage in einem gemischten Übereinkommen geregelt wird, und einen weitgehend vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft.181 Ein Tätigwerden der Union war nämlich bislang danach zu beurteilen, ob die Union in dem speziellen Bereich, zu dem die zu prüfende Vorschrift gehört (hierbei Art. 9 Abs. 3 AK), ihre Zuständigkeit ausgeübt und Rechtsvorschriften über die Erfüllung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen erlassen hat.182 Diese Ansicht hatte der EuGH durch seine Rechtsprechung bereits entwickelt.183 Abweichend davon stellte jedoch nun der EuGH fest, dass in diesem Bereich allein entscheidend sei, ob die völkerrechtliche Vorschrift einen weitgehend vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft.184 Zusammengefasst konstatierte der EuGH, dass zwar der europäische Gesetzgeber aus Art. 9 Abs. 3 AK keinen Umsetzungsakt in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 AK erlassen hat, Art. 9 Abs. 3 AK jedoch einen weitgehend materiellen EU-Rechtsbereich (bei dem hier diskutierten Fall ist der Bereich des Habitatrechtsschutzes gemeint) abdeckt.185 Deshalb sei diese Vorschrift – ungeachtet ihrer ausfüllungsbedürftigen Merkmale – von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.186 Die Erweiterung der Umweltverbandsklagerechte beruht danach nicht auf der weiten Konzeption des EU-Rechts hinsichtlich der individuellen Klagerechte, sondern sie ist völkerrechtlich bedingt.187 Das Umweltvölkerrecht veranlasst nämlich die Schaffung europäischer Sekundärrechtsakte, die dann in das mitgliedstaatliche Recht hineinwirken. Diese Einwirkung sollte hierbei auch der klaren Forderung der AK nach Einführung eines weitreichenden Klagerechts von Umweltverbänden dienen.188 Layher GmbH & Co. KG, Layher BVSlg. 2000), EuR 2001, S. 243 ff.; EuGH, Urt. v. 11.09.2007, Rs. C-431/05, Slg. 2007, I-7001, Rn. 33 (Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos Lda/Merck & Co.Inc., Merck Sharp & Dohme Lda), EuZW 2007, S. 773 ff. 181 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 36 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. Vgl. entsprechend den „Pêcheurs de l’Étang de Berre Fall“: EuGH, Urt. v. 07.10.2004 – C-239/03, Slg. 2004, I-S. 9325, Rn. 29–31, BeckRS 2005, 70093 (Kommission/Frankreich). 182 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 34 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; EuGH, Urt. v. 11.09.2007, Rs. C-431/05, Slg. 2007, I-7001, Rn. 33 (Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos Lda/Merck & Co.Inc., Merck Sharp & Dohme Lda), EuZW 2007, S. 773 ff. 183 EuGH, 31.03.1971, Rs. 22/70, Slg. 1971, S. 263. 184 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 36 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 185 Ebd. 186 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 12. 187 W. Frenz, DVBl 2012, S. 820.
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III. Die Frage der unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK Hinsichtlich der kritischen Frage der unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK189 stellt der EuGH fest, dass es dieser umstrittenen Vorschrift an einer klaren und präzisen Verpflichtung fehlt, den Zugang zum Rechtsschutz Einzelner zu regeln, da sich dieser ausdrücklich nach den innerstaatlichen Vorschriften zu richten hat. Weitere Maßnahmen sind somit erforderlich, bevor diese Regelung Wirkungen zeitigt.190 Daraus ergibt sich, dass eine Pflicht zur Einführung eines innerstaatlichen Überprüfungsrechts – etwa in Form einer altruistischen VK – weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der AK zu entnehmen ist. Der weite Zugang zu den Gerichten ist lediglich für die betroffene Öffentlichkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 AK zu gewährleisten.191 Art. 9 Abs. 3 AK eröffnet Anfechtungsrechte für Mitglieder der Öffentlichkeit nur, „soweit sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“.192 Da die AK als gemischtes Abkommen in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt,193 diese aber noch keine Regelung bezüglich der Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK getroffen hat, ist es Sache der innerstaat188
Ebd. Der Rechtsprechung des EuGH nach hat eine Bestimmung eines von der EU mit Drittländern geschlossenen völkerrechtlichen Abkommens „unmittelbare Wirkung“ nur dann, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Zweck und die Natur dieses Abkommens eine klare und präzise Verpflichtung enthält, deren Erfüllung und deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen. EuGH, Urt. v. 30.09.1987, Rs. 12/86, Rn. 14, EuR 1988, S. 46 ff. (Demirel/Stadt Schwäbisch Gmünd); J. Berkemann, ZUR 2015, S. 227, m.w. N. 190 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 45 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. Auch nach ständiger deutscher Rechtsprechung kann die durch das sog. Zustimmungsgesetz zur AK bewirkte innerstaatliche Geltung eines völkerrechtlichen Vertrages unter folgenden Voraussetzungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkervertraglichen Bestimmung mit Wirkung für und gegen die von der Regelung Betroffenen führen: Wenn sie nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt ist, kann sie wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, es also dafür keiner weiteren normativen Ausfüllung bedarf. BVerwG, Beschl. v. 13.12.2010, Rs. 7 B 64.10, Rn. 9, NVwZ 2011, S. 752; OVG NRW, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK, Rn. 204, ZUR 2012, S. 678 ff.; jeweils m.w. N. 191 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315; ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., A., II., 1. ff. 192 Vgl. J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1256 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 625 ff. 193 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 36 ff., NVwZ 2011, S. 673 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; Anm. dazu A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; D. Krawczyk, ELR 2012, S. 53 ff.; S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; B. Müller, JEL 2011, S. 515; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1139. 189
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lichen Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die dem Schutz der dem Einzelnen aus umweltbezogenen RL (etwa der FFH-RL) erwachsenen Rechte gewährleisten sollen.194 Da nämlich nur Mitglieder der Öffentlichkeit i. S. v. Art. 2 Abs. 4 AK Inhaber der in Art. 9 Abs. 3 AK vorgesehenen Rechte seien, hängen die Durchführung und die Wirkungen dieser Vorschrift vom Erlass eines weiteren Rechtsakts ab.195 Der in Art. 9 Abs. 3 AK ohne weitere Einschränkungen aufgenommene Vorbehalt zu Gunsten der innerstaatlichen Festlegung von Kriterien für den Zugang zu Überprüfungsverfahren bestätigt somit die Notwendigkeit innerstaatlicher Ausführungsakte zur näheren Ausgestaltung der Verfahrensmodalitäten und damit die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit dieser Vorschrift.196 In diesem Zusammenhang ist auch charakteristisch, dass die EG folgenden Vorbehalt hinsichtlich der Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK geäußert hat: „[. . .] dass die Umsetzung der aus Art. 9 Abs. 3 AK erwachsenden Verpflichtungen nicht in vollem Umfang unter die geltenden Rechtsakte fällt, da diese sich auf verwaltungsbehördliche und gerichtliche Verfahren beziehen, mit denen die von Privatpersonen und von den Einrichtungen nach Art. 2 Abs. 2 d), bei denen es sich nicht um die Organe der EG handelt, vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen angefochten werden, und dass demzufolge ihre Mitgliedstaaten für die Erfüllung dieser Verpflichtungen zum Zeitpunkt der Genehmigung des Übereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft zuständig sind und auch dafür zuständig bleiben werden, es sei denn, dass – bzw. bis – die Gemeinschaft in Ausübung ihrer Zuständigkeiten nach dem EG-Vertrag Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zur Umsetzung dieser Verpflichtungen annimmt.“197
Im Hinblick auf diesen Vorbehalt zu Gunsten möglicher näherer Regelungen der Verfahrensmodalitäten durch die Vertragsstaaten hat somit der EuGH die unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK im Unionsrecht verneint.198 Außerdem 194 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 47, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; so auch VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, S. 284 ff., m.w. N. 195 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 45, 47, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315; so auch EuGH, Urt. v. 13.01.2015 – Rs. C-401/12 P bis C-403/12 P, Rn. 55 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 196 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. 197 2005/370/EG, Beschluss des Rates vom 17. Februar 2005 über den Abschluss des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten im Namen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. L 124 v. 17.05.2005, S. 0001–0003; ABl. L 164 v. 16.06.2006, S. 0017–0019; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1137. 198 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 45, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; R. Klinger, EurUP 2014, S. 178.
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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enthalten die Bestimmungen der umstrittenen Vorschrift keine klare und präzise Verpflichtung, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte.199 Die Festlegung der prozeduralen Ausgestaltung und insbesondere der prozessualen Legitimation der Kläger obliegt vielmehr den Vertragsstaaten und ist auch nicht an Art. 9 Abs. 2 AK zu orientieren.200 Gerade weil Art. 9 Abs. 3 AK einen zusätzlichen, aber nicht an Voraussetzungen gebundenen Gerichtszugang eröffnet, sind auch die legislativen Gestaltungsspielräume zwangsläufig größer als nach Art. 9 Abs. 2 AK.201 Ferner sieht die GAin Sharpston in ihren Schlussanträgen zu diesem Fall der Anerkennung der unmittelbaren Anwendung des Art. 9 Abs. 3 AK die Gefahr einer actio popularis.202
IV. Zum eigenständigen Funktionswert des Art. 9 Abs. 3 AK gegenüber Art. 9 Abs. 2 AK Der EuGH nimmt an, dass Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 9 Abs. 3 AK zwei unterschiedliche Klagearten begründen. Er legt somit Art. 9 Abs. 3 AK autonom aus. Er weist gleichwohl Art. 9 Abs. 3 AK gegenüber Art. 9 Abs. 2 AK einen eigenständigen Funktionswert zu.203 Demzufolge müssen alle interpretatorischen Bemühungen, Eingrenzungen des Art. 9 Abs. 3 AK aus der Existenz des Art. 9 Abs. 2 AK zu gewinnen, erfolglos bleiben.204 Dies wird auch von dem Konventionsgesetzgeber durch die enumerative Angabe in Art. 9 Abs. 4 AK bestätigt. Zwar gilt auch für Art. 9 Abs. 3 AK, dass ein effektiver Rechtsschutz, der fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer ausgestaltet sein muss, zu eröffnen ist (Art. 9 Abs. 4 AK). Im Unterschied aber zu Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 AK dürfen aufgrund Art. 9 Abs. 3 AK keine weiteren 199 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 45 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 7, ZUR 2013, S. 291 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, NuR 2013, S. 674 = ZUR 2013, S. 627 ff.; dagegen VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, Rn. 20, NuR 2013, S. 284 ff., danach: Auch wenn § 63, § 64 BNatSchG als maßgebliche nationale Bestimmung kein eigenes Recht anerkannter Naturschutzvereinigungen zur Einlegung von Rechtsbehelfen bei Erteilung einer Ausnahme von artenschutzrechtlichen Vorschriften explizit vorsehen (vgl. BayVGH, Urt. v. 17.03.2008 – 14 BV 05.3079, BayVBl 2008, S. 499 ff.), so ergibt sich jedoch eine Antragsbefugnis unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 AK; da aber die Argumentation des VG Augsburg nicht tiefgehender ist, ist m. E. diese Ansicht nicht hinreichend überzeugend. 200 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315; dies., Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 19 ff., S. 179 ff., S. 246 ff., S. 329, S. 1040. 201 K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 5. 202 Vgl. GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 15.07.2010 in der Rs. C-240, BeckRS 2010, 90907, Rn. 69 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1138. 203 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1145. 204 Ebd.
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Vorgaben über die prozessualen Anforderungen insbesondere an die Zugangsberechtigung zu nationalen Gerichten normiert werden. Außerdem erkennt der EuGH, dass die Abgrenzung zwischen Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 9 Abs. 3 AK auch in der Sache begründet ist. Insbesondere muss auch berücksichtigt werden, dass die bisher nicht umgesetzte – und nicht ausreichend beachtete – Rechtsschutzklausel des Art. 9 Abs. 3 AK ein deutliches Expansionspotenzial gegenüber den etablierten Individual- und Verbandsklagen enthält. Anders als in Art. 9 Abs. 2 der AK sind nach Art. 9 Abs. 3 AK anfechtungsbefugt nicht nur die „Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit“ i. S. v. Art. 2 Nr. 5 der AK, also primär die nach innerstaatlichem Recht anerkannten Umweltschutzvereinigungen, sondern die „Mitglieder der Öffentlichkeit“ i. S. v. Art. 2 Abs. 4 AK, d. h. im Ergebnis jedermann.205 Demzufolge ist es möglich, dass alle Handlungen und Unterlassungen von Behörden und sogar von Privatpersonen, die gegen umweltbezogene Bestimmungen des jeweiligen innerstaatlichen Rechts verstoßen, angefochten werden können. Es liegt somit an dem staatlichen Gesetzgeber, eine solche Vorgabe einzuführen.206 Zudem betrifft sie auch die gerichtliche Durchsetzbarkeit sonstiger nationaler Umweltvorschriften, die vom begrenzten Katalog der AK nach Art. 6 i.V. m. Anhang 1 nicht erfasst werden. Art. 9 Abs. 3 AK zielt somit auf einen weiter reichenden Rechtsschutz ab. Der Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK geht weit über den Regelungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK hinaus, während der Gegenstandsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK explizit gem. Art. 9 Abs. 2 S. 1 AK auf die in Art. 6 AK i.V. m. dem Anhang I zur AK aufgeführten Tätigkeiten beschränkt ist.207 Gleichzeitig differenziert Art. 9 Abs. 3 AK – im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 2 AK – nicht zwischen innerstaatlichen Rechtsordnungen, die für den Zugang zu Überprüfungsverfahren ein „ausreichendes Interesse“ genügen lassen und solchen, die hierfür die Geltendmachung einer Rechtsverletzung verlangen. Sie verzichtet konsequenterweise auch auf diesbezügliche Fiktionsregelungen zu Gunsten „nichtstaatlicher Organisationen“, wie sie in Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 AK vorgesehen sind. Stattdessen begnügt sie sich damit, ohne nähere Einschränkungen
205 Vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 10, ZUR 2013, S. 292; A. Schink, DÖV 2012, S. 624 ff.; s. auch 1. Teil, 3. Kap., G., IV. 206 Vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 10, ZUR 2013, S. 292; A. Schink, DÖV 2012, S. 624 ff.; K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 40 ff. 207 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. Anm. dazu S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; D. Krawczyk, ELR 2012, S. 53 ff. s. auch J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1253 ff.; ders., DVBl 2013, S. 1145. Die gleiche Auffassung unterstützt auch das OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, ZUR 2013, S. 296.
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pauschal auf die Möglichkeit der innerstaatlichen Festlegung von Kriterien für den Zugang zu Überprüfungsverfahren zu verweisen.208 Obwohl Art. 9 Abs. 3 AK ausdrücklich zusätzliche Klagerechte über Art. 9 Abs. 2 AK hinaus gewährleistet, ist davon auszugehen, dass die Privilegierung der Umweltschutzvereinigungen nach Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auch bei der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 AK erhalten bleibt.209 Insoweit geht es – in Bezug auf Umweltschutzvereinigungen – dann im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 AK nicht um eine Erweiterung des Klägerkreises, sondern allein der erfassten umweltrechtlichen Vorschriften.210 Dafür spricht deutlich der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 AK („zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher . . .“); denn das bedeutet, dass auch die Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 AK die privilegierten Klagemöglichkeiten den anerkannten Umweltschutzvereinigungen einräumen211 und dass diese Bestimmungen auch im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 AK weiterhin gelten. Die Rechtsschutzregelung des Art. 9 Abs. 3 AK behandelt eine allgemeine umweltrechtsbezogene VK, die sich auch auf beliebige weiter hinausgehende möglicherweise umweltschädliche Tätigkeiten erstrecken könnte. Mit anderen Worten erfasst Art. 9 Abs. 3 AK ein Umweltschutzrecht, das nicht UVP-spezifisch ist.212 Obwohl mit Art. 9 Abs. 3 AK den Vertragsparteien der AK ein Bündel spezieller eigenständiger Verpflichtungen auferlegt wird, gehört diese Vorschrift zu dem allgemeinen Bereich „Umweltrecht“, der Gegenstand einer Reihe legislativer Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene ist. Die in Art. 9 Abs. 3 AK vorgesehenen Verpflichtungen unterscheiden sich daher deutlich genug von den in den anderen Teilen von Art. 9 AK normierten Verpflichtungen.213
208
OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 10, ZUR 2013, S. 292. K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 7. 210 Ebd., S. 6. 211 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40–42 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. Mehr dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., A., II., 1.; 1. Teil, 4. Kap., A., III. 212 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. Anm. dazu S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff.; A. Schink, DÖV 2012, S. 622 ff.; D. Krawczyk, ELR 2012, S. 53 ff.; s. auch J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1253 ff.; ders., DVBl 2013, S. 1145. Die gleiche Auffassung unterstützt auch das OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02. 2013 – 1 B 11266/12, ZUR 2013, S. 296. 213 2005/370/EG, Beschluss des Rates vom 17. Februar 2005 über den Abschluss des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten im 209
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V. Auslegungsgrenzen der Aarhus-Konvention im Rahmen des EU-Rechts Da der EuGH die „self-executing“ Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK verneinte, erübrigte sich die Beantwortung der oben genannten dritten Vorlagefrage. Trotzdem kam der EuGH überraschenderweise zum Ergebnis, einer Umweltorganisation zu ermöglichen, vor einem nationalen Gericht eine umweltbezogene Entscheidung anzufechten, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum unionalen Umweltrecht steht.214 Gleichwohl schließt das EU-Recht nicht aus, dass die Rechtsordnung eines Mitgliedstaates dem Einzelnen das Recht zuerkennt, sich unmittelbar auf die entsprechende Norm zu berufen, oder die Gerichte verpflichtet, diese Norm von Amts wegen anzuwenden.215 Kurzgefasst kam der EuGH in diesem Urteil zu dem entscheidenden Schluss, dass durch die nicht unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK das zentrale Ziel der AK, nämlich die Ermöglichung der Gewährleistung eines effektiven Gerichtszugangs, nicht annulliert werden darf. Zwar besitzt die EU keine Kompetenz zur Statuierung von Klagerechten, der EuGH hat aber durch seine dahingehende Auslegung den Unionsbürgern europäische Rechte verliehen, die sie mit Hilfe der nationalen Gerichte in den Mitgliedstaaten durchsetzen müssen. Insoweit sind die entsprechenden Klagebefugnisse vor nationalen Gerichten zu Gunsten von Bürgern europarechtskonform zu erweitern, auch wenn sie nicht in dem vom EU-Recht bzw. von der Rechtsprechung des EuGH vorgesehenen Maße den Zugang zu Überprüfungsverfahren gewährleisten.216 Es scheint somit, dass der EuGH nicht nur berechtigt ist, Art. 9 Abs. 3 AK auszulegen. Vielmehr sieht es so aus, dass auch die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ihre Gesetzgebung im Lichte der AK zu interpretieren.217 In dieNamen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. L 124 v. 17.05.2005, S. 0001–0003; ABl. L 164 v. 16.06.2006, S. 0017–0019. 214 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 215 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. Vgl. entsprechend: EuGH, Urt. v. 14. 12.2000 – verb. Rs. C-300/98 und C-392/98, Slg. I-S. 11307, Rn. 48 (Gravenhage und des Hoge Raad der Nederlanden, Parfüms Christian Dior SA/Tuk Consultancy BV und Assco Gerüste GmbH, Rob van Dijk/Wilhelm Layher GmbH & Co. KG, Layher BVSlg. 2000), EuR 2001, S. 243 ff.; EuGH, Urt. v. 11.09.2007, Rs. C-431/05, Slg. 2007, I-7001, Rn. 34 (Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos Lda/Merck & Co.Inc., Merck Sharp & Dohme Lda), EuZW 2007, S. 773 ff. Vgl. J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 3; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 313 ff. 216 Vgl. L. Radespiel, EurUP 2011, S. 240; S. Schlacke/C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus Hdb. 2009, S. 378, Rn. 4. 217 J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 8.
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sem Zusammenhang bestimmt außerdem Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen haben, „damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“. Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass den Fachgerichten eine unionsrechtlich inaugurierte Normkompetenz erwächst, das Gebotene zu tun, soweit der Gesetzgeber rechtswidrig handelt.218 Auch die deutschen Gerichte sind in diesem Rahmen verpflichtet, sich unionsrechtskonform zu verhalten, denn Deutschland ist als Rechtsstaat den Grundsätzen des Völker- und Unionsrechts verpflichtet.219 Zusammengefasst sei der EuGH befugt, Art. 9 Abs. 3 AK im Sinne einer grundsätzlichen Anwendungsverpflichtung auszulegen. Damit hat der EuGH eine unionsrechtliche Auslegungskompetenz für sich in Anspruch genommen.220 Im Hinblick darauf ist auch der sich aus Art. 59 Abs. 2 GG ableitende Grundsatz, dass ein ratifiziertes Übereinkommen nicht automatisch (self executing) innerstaatliche Geltung hat,221 so dass der jeweilige Vertragsstaat über einen dahingehenden weiten Auslegungsfreiraum verfügt,222 deutlich eingeschränkt.223 In diesem Zusammenhang stellt der EuGH zum Braunbären-Urteil fest: „Daher kann – ohne den effektiven Schutz des Umweltrechts der Union in Frage zu stellen – nicht in Betracht gezogen werden, Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus so auszulegen, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht gewährleisteten Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde.“ 224
Insoweit verpflichtete der EuGH die Slowakische Republik, der klagenden Umweltschutzvereinigung gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Einen verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelf hat die slowakische Umweltschutzvereini218 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1148; a. A. OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 8 ff., ZUR 2013, S. 291. Dieser Auffassung nach können weder aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 AK noch aus seinem systematischen Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 4 und 5 AK hinreichende Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass diese den Mitgliedern der Öffentlichkeit entweder ein verwaltungsbehördliches und ein gerichtliches Verfahren oder nur ein gerichtliches Verfahren anbieten müssen. Obwohl diese Ansicht auf den ersten Blick plausibel scheint, ist sie jedoch relativ unbestimmt und nicht hinreichend konkret, um die oben dargestellte Argumentation des EuGH überzeugend gegenüberzustellen und zu beseitigen. 219 R. Klinger, EurUP 2014, S. 182. 220 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1143, m.w. N. 221 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2010 – 7 B 64.10, Rn. 9, NVwZ 2011, S. 752; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1142, m.w. N. 222 Ein Übereinkommen schafft innerstaatlich weder Befugnisse noch exekutivische Ermächtigungsgrundlagen. Die Vertragsstaaten sind nur verpflichtet, ihre Verträge in ihr innerstaatliches Recht zu inkorporieren und ihnen erst damit innerstaatlichen Geltungs- oder Anwendungsvorgang zu verschaffen. BVerwG, Urt. v. 13.12.2010 – 7 B 64.10, Rn. 9, NVwZ 2011, S. 752; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1142, m.w. N. 223 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1142, m.w. N. 224 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320.
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gung zwar einlegen dürfen. Ein solches Recht reicht allerdings nicht aus, um einen vollständigen Rechtsschutz der betroffenen Öffentlichkeit zu gewährleisten. Denn effektiver Rechtsschutz i. S. v. Art. 9 Abs. 3 AK kann sich nicht nur auf ein verwaltungsbehördliches Verfahren beschränken, sondern bedeutet die Eröffnung des gerichtlichen Rechtsschutzes.225 Aus dieser Perspektive steht den nationalen Gerichten eine völlig autonome Interpretation des Art. 9 Abs. 3 AK nicht zu. Denn die AK als Teil des Unionsrechts unterliegt primär dem Auslegungsregime des EuGH.226 Dadurch präzisiert der EuGH seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Umsetzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung nicht immer explizit durch einen EU-Rechtsakt erfolgen muss.227 Trifft der EuGH im Vorlageverfahren eine bestimmte Auslegungsentscheidung, so besitzt diese Entscheidung zwar an sich keine direkte präjudizielle Verbindlichkeit. Sie wirkt allerdings mittelbar bindend.228 Demzufolge muss sich das nationale Gericht bei seiner Entscheidung nunmehr an der entstandenen Rechtsprechung des EuGH ausrichten.229 Vor diesem Hintergrund kann der Schluss gezogen werden, dass jede innerstaatliche Auslegung, welche Mitgliedern der Öffentlichkeit den Zugang zu Gerichten im Regelungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK a priori präkludieren will, nicht im Einklang mit der dargestellten Rechtskonzeption des EuGH steht.230 1. Zielvorgaben des effektiven Umweltschutzes bzw. Umweltrechtsschutzes im Rahmen der AK als innerstaatliche Auslegungsgrundsätze Durch teleologische Auslegung zieht der EuGH den Schluss, dass das nationale Verfahrensrecht so zu interpretieren ist, dass eine anerkannte Umweltschutzvereinigung nationales Recht, das im Widerspruch zum sonstigen EU-Umweltrecht steht, einklagen können muss. Da eines der Hauptziele der AK die Gewährleis225
S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1142. 227 EuGH, Urt. v. 11.09.2007, Rs. C-431/05, Slg. 2007, I-7001, Rn. 33 ff. (Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos Lda/Merck & Co. Inc., Merck Sharp & Dohme Lda), EuZW 2007, S. 773 ff.; EuGH, 31.03.1971, Rs. 22/70, Slg. 1971, S. 263. 228 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1142 ff., m.w. N. 229 EuGH, Urt. v. 02.12.1997, Rs. C-188/95, Slg. 1997, I-06783, Rn. 37 (Fantask A/S e. a./Industriministeriet), NVwZ 1998, S. 833 ff.; EuGH, Urt. v. 22.10.1998, Rs. C-10/ 97, Slg. 1998, I-06307, Rn. 23 (Ministero delle Finanze/IN.CO.GE. u. a.), NJW 1999, S. 200 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1143, m.w. N.; a. A. A. Schink, DÖV 2012, S. 630. 230 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146. Im Anschluss daran ist beachtenswert, dass die Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK in das deutsche Recht auch Gegenstand des seit 2008 laufenden Compliance-Verfahrens gegen Deutschland vor dem Compliance Committee der Aarhus-Konvention war; vgl. Communication ACCC/C/2008/31, s. auch die Dokumentation des Verfahrens unter: http://www.unece.org/env/pp/compliance/Com pliancecommittee/31TableGermany.html; M. Sauer, ZUR 2014, S. 201. 226
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tung eines effektiven Umweltschutzes ist, sei Art. 9 Abs. 3 AK so auszulegen, dass das sich daraus ableitende EU-Recht, das in nationales Recht umzusetzen ist, ebenfalls effektiv sein muss.231 Unabhängig davon sei eine völkerrechtskonforme Auslegung auch deshalb geboten, um die Pflichten der Union aus der AK (Art. 216 Abs. 2 AEUV) zu erfüllen und die Notwendigkeit einer Anpassung des AEUV durch die Mitgliedstaaten (Art. 48 EUV) zu vermeiden.232 Eine einheitliche rechtliche Auslegung sei somit durchaus erforderlich.233 Außerdem ist gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und in Anbetracht seines Ziels und Zwecks auszulegen.234 Im Hinblick darauf muss beachtet werden, dass das Braunbären-Urteil sich nicht nur auf das Verfahrensrecht, sondern auch auf das materielle Recht bezieht. Denn ohne eine unionsrechtliche Verfahrensregelung wäre das materielle Umweltrecht der EU mangelhaft, weil es nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen kann. Die Aussage des Braunbären-Urteils, wonach das Verfahrensrecht so weit wie möglich mit den Zielen des Art. 9 Abs. 3 AK und mit dem Ziel eines effektiven Rechtsschutzes in Einklang zu bringen sei,235 sollte daher nicht eng interpretiert werden. Vielmehr sind die Regelungen über das Gerichtsverfahren gemeint, einschließlich der VwGO selbst.236 Vor diesem Hintergrund scheint, dass eine ungeschriebene Zuständigkeit für Vollzugs- und Durchsetzungs- sowie Rechtsschutzvorschriften des Unionsgesetzgebers besteht.237 Zwar handelt es sich dabei um sehr allgemein formulierte Zielvorgaben (d. h. Effektivierung des Umweltschutzes bzw. des Umweltrechtsschutzes), die hinter den in dem Trianel-Urteil des EuGH zu Art. 9 Abs. 2 AK herausgearbeiteten Grundsätzen zurückbleiben. Diese zeigen sich jedoch im Rahmen des Braunbären-Urteils des EuGH als Leitlinien für die Auslegung umweltbezogener Rechte, zumal diese Entscheidung sich gerade auf Verbandsbeteiligungen 231 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50, ZUR 2011, S. 320 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky); B. Müller, EurUP 2009, S. 169; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 23 ff. 232 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 23 ff. 233 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312; R. Klinger, EurUP 2013, S. 95 ff., S. 98 ff. 234 Vgl. u. a. C. Harris/K. Kakkaiyadi, Cambridge Journal of International and Comparative Law 2013, S. 113 ff., m.w. N. 235 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. 236 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312, m.w. N. 237 Vgl. EuGH, Urt. v. 29.11.1956, Rs. C-J/55, Slg. 1955, S. 360, S. 369 ff., BeckEuRS 1956, 335 (Federation Charbonniere de Belgique/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl); EuGH, Urt. v. 15.07.1960, Rs. C-25/59, Slg. 1960, S. 743, S. 780 ff., BeckRS 2004, 72621; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 314.
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und Verbandsklagen richtet, denen bei der Gewährleistung der Effektivität des Umweltrechts eine besondere Rolle zukommt.238 Dabei – ungeachtet einer fehlenden spezifischen unionsrechtlichen Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK – sieht hierbei der EuGH in der FFH-RL239 einen unionsrechtlichen Bereich, der die AK und insbesondere Art. 9 Abs. 3 AK de facto umsetzt. Denn die FFH-RL schütze insbesondere Arten wie den Braunbären und etabliere ein strenges Schutzregime, von dem nur unter strengen Anforderungen abgewichen werden könne.240 Im Ergebnis bejaht der EuGH eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erweiterung des Zugangs zum Rechtsschutz für Umweltschutzvereinigungen. Unter Berufung auf das Äquivalenzprinzip und den Effektivitätsgrundsatz (der sog. „Doppelschranke“) für die Organisations- und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten leitet er aus der FFH-RL ab, dass es Aufgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung sei, den Schutz der Rechte Einzelner zu gewährleisten,241 so dass schließlich eine Überprüfung der materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit in Bezug auf die Einhaltung der dem Umweltschutz dienenden rechtlichen Vorgaben gewährleistet werden muss.242 Insbesondere wirkt der Effektivitätsgrundsatz entsprechend auch als Auslegungsgrundsatz. Hiernach sei in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu bevorzugen, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift gewährleistet.243 In sog. „indirekten Konfliktlagen“ muss somit dem Unionsrecht Vorrang gewährt werden.244 In dieser Hinsicht betonte der EuGH eindeutig, dass die Bestimmungen des Art. 9 Abs. 3 AK,
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Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 30, L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff. Richtlinie 92/43/EWG v. 21.05.1992, ABl. EG L 206 v. 22.7.1992, S. 7, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1882/2003 v. 29.09.2003, ABl. EG L 284, S. 1. 240 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 37 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 241 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 242 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 48 ff., ZUR 2011, S. 320 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky); vgl. A. Schink, EurUP 2003, S. 27 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410 ff.; J. Falke, in: ders./S. Schlacke (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz – Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2003, S. 99 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 230; S. Schlacke, UVP-Report 2005, S. 67 ff.; dies., ZUR 2004, S. 129 ff. 243 Vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2001, Rs. C-403/99, Slg. 2001, I-6883, Rn. 28, Rn. 31 ff. (Italien/Kommission); EuGH, Urt. v. 16.05.2002, Rs. 63/00, Slg. 2002, I4483, Rn. 24 (Baden-Württemberg/Schilling); EuGH, Urt. v. 24.02.2000, Rs. C-434/97, Slg. 2000, I-1129, Rn. 21 (Frankreich/Kommission), EWS 2000, S. 175. 244 Vgl. R. Klinger, EurUP 2013, S. 99, m.w. N. zu R. Streinz, Art. 288 AEUV, in: EUV/AEUV-Komm., 2. Aufl. 2012, Rn. 43. 239
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„auch wenn sie allgemein formuliert sind, darauf [abzielen], die Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes zu ermöglichen.“ 245 „Mangels einer einschlägigen Regelung der Union ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht (einschließlich der Habitatrichtlinie), erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, wobei die Mitgliedstaaten für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind.“ 246
Demzufolge zieht der EuGH den Schluss, „dass der nationale Richter dann, wenn eine mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Habitatrichtlinie geschützte Art betroffen ist, sein nationales Recht im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in den vom Umweltrecht der Union erfassten Bereichen so auszulegen hat, dass es so weit wie möglich im Einklang mit den in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus festgelegten Zielen steht“.247
Es sieht so aus, dass der EuGH dem nationalen Richter eine integrierende Aufgabe stellt und ihn zur Zielverwirklichung ggf. zur rechtsschöpferischen Leistung ermuntert.248 Eigentlich bedeutet das in dem hier zu untersuchenden Fall, insbesondere das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, „so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzorganisation zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten“.249 245 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. 246 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 47 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. Diese Formulierung sollte ohnehin nicht so verstanden werden, dass die FFH-RL dem Einzelnen subjektive Individualrechte auf Artenschutz gewähre. Denn der Gegenstand dieses Urteils bezieht sich grundsätzlich nur auf konkrete Beteiligungsrechte eines Umweltverbands und deren Durchsetzung im nationalen Recht und nicht bloß auf ein Recht auf Artenschutz. K.- F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 5; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1257. Vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483, Rn. 44 ff. (Impact/Minister for Agriculture and Food).Vgl. auch EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C268/06, Slg. 2008, I-2483, Rn. 46 (Impact/Minister for Agriculture and Food) und die dort angeführte Rechtsprechung. 247 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. 248 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1144. 249 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; so auch VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, ZUR 2012, S. 699 ff.;
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Dadurch sollte sichergestellt werden, dass eine Umweltschutzorganisation (immer) die Möglichkeit hat, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.250 Im Ergebnis sind damit die nationalen Gerichte aufgerufen, das nationale Recht so weit wie möglich so auszulegen, dass Umweltschutzvereinigungen gegen jede Verletzung des unionalen Umweltrechts gerichtlich vorgehen können.251 Aufgrund dieses Verständnisses hat beispielsweise der nationale Richter, wenn ein durch das europäische Recht geschütztes Umweltgut betroffen sei (so z. B. eine durch die FFH-RL geschützte Art252 oder die durch die RL 2008/50/EG geschützten Luftqualitätsstandards, etwa in Art. 23 Abs. 1253), sein nationales Recht im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in den vom Umweltrecht der Union erfassten Bereichen dahingehend auszulegen, so dass es immer im Einklang mit den in Art. 9 Abs. 3 AK festgelegten Zielen des effektiven Umweltschutzes bzw. Umweltrechtsschutzes stehe. Denn diese Grundsätze liegen schlechthin auch der AK selbst und damit deren Art. 9 Abs. 3 AK zugrunde, wie sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 7. und 8. der Präambel der AK sowie Art. 9 Abs. 4 AK ergibt.254 Auch das nationale VerfahrensVG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, Rn. 22, NuR 2013, S. 284 ff., m.w. N. Vgl. in diesem Sinne auch EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Rn. 44, EuZW 2007, S. 247 = NJW 2007, S. 3555 ff. (Unibet [London] Ltd. u. a./Justitiekansler); EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Rn. 54, NZA 2008, S. 581 ff. (Impact/ Minister for Agriculture and Food, Minister for Arts, Sport and Tourism, Minister for Communications, Marine and Natural Resources, Minister for Foreign Affairs, Minister for Justice, Equality and Law Reform, Minister for Transport). 250 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483, Rn. 54 (Impact/Minister for Agriculture and Food u. a.), NZA 2008, S. 581 ff.; EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-02271, Rn. 44 (Unibet [London] Ltd. u. a./Justitiekansler), EuZW 2007, S. 247 ff. 251 R. Klinger, EurUP 2014, S. 178 ff. 252 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, ZUR 2013, S. 296. 253 Vgl. VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 815 ff.; VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841; VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, Rn. 1.1. ff., ZUR 2012, S. 700 ff.: Zwar kennt das nationale Prozessrecht keine Verbandsklagebefugnis in Bezug auf die Luftreinhalteplanung. Insbesondere enthält das Umweltrechtsbehelfsgesetz als anderweitige gesetzliche Bestimmung des § 42 Abs. 2 VwGO keine entsprechende Klagebefugnis eines Verbandes, weil ein Luftreinhalteplan keine Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG darstellt. Dennoch ist eine Klagebefugnis des Klägers als anerkanntem Umweltschutzverband im Hinblick auf das Urteil des EuGH v. 08.03.2011, C-240/09, NVwZ 2011, S. 673 ff. zu bejahen. 254 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 30.
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recht sei demzufolge in einer Weise auszulegen, die es einer Umweltschutzvereinigung ermöglicht, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.255 Mit dieser Feststellung hat schließlich der EuGH insbesondere den völkerrechtlichen Art. 9 Abs. 3 AK, der der dritten Säule der AK bezüglich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten dient, instrumentalisiert. Mangels eines sekundären Umsetzungsrechtsaktes bezweckt er, eine Auslegung des nationalen Rechts in Anbetracht des Art. 9 Abs. 3 AK zu fordern und hierdurch die praktische Wirksamkeit des EU-Umweltrechts im Sinne des Effektivitätsgebotes (Art. 4 Abs. 3 AEUV) zu stärken.256 In diesem Rahmen kann die EU zwar nach Art. 9 Abs. 3 AK die Kriterien für den Zugang von Umweltschutzvereinigungen zu ihren Gerichten bestimmen, sie muss sich dabei aber ebenfalls von den Grundsätzen der Effektivität des Umweltschutzes und des Rechtsschutzes leiten lassen, die das Ermessen bei der Umsetzung der AK einschränken. Auch zur Verhinderung einer Fragmentierung des Unionsrechts durch abweichende Auslegung und Anwendung sowie zur Gewährleistung von Rechtssicherheit sei diese umfassende Zuständigkeit des EuGH sachgerecht und angemessen.257 Diese pragmatische, aber angemessene richterliche Rechtsfortbildung führt dazu, dass die Mitgliedstaaten gem. Art. 9 Abs. 3 AK in Verbindung mit materiellem Unionsumweltrecht einer nach innerstaatlichen Kriterien näher bestimmten Öffentlichkeit Zugang zu Gerichten zu eröffnen haben.258 Außerdem sollte nicht verachtet werden, dass ein effektiver Umweltrechtsschutz der demokratischen Funktion in Bezug auf die Durchsetzung der Gesetzgebung dient.259
255 Im Anschluss daran – was die deutsche Sicht betrifft – hat der VGH Kassel im Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, Rn. 35, ZUR 2012, S. 438 ff. zugrunde gelegt, dass auch in einem Raumordnungsverfahren europäisches Umweltrecht in vielfacher Hinsicht anzuwenden ist, wie sich auch aus dem zuletzt geltenden Raumordnungsplan Mittelhessen 2010 in seinem begründenden Teil ergibt und zwar hier konkret durch die mögliche Betroffenheit eines Vogelschutzgebietes und in der Nähe gelegener FFH-Gebiete. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung zu Art. 10a (jetzt Art. 11) der UVP-RL kann dem Kläger in Bezug auf die Geltendmachung eines fehlenden oder fehlerhaften Zielabweichungsverfahrens vom Regionalplan nicht schon deshalb die Antrags- und Klagebefugnis versagt werden, weil es sich allein um nationales Verfahrensrecht handelt und ihm durch das Raumordnungsrecht selbst keine subjektiven Rechtspositionen eingeräumt werden. VGH Kassel, Beschl. v. 14.05. 2012 – 9 B 1918/11, Rn. 35, ZUR 2012, S. 438 ff. 256 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 40. 257 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. 258 Ebd., S. 12, m.w. N. 259 Vgl. C. Franzius, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 383 ff.; B. Wegener, HFR 2000, Beitr. 3, S. 1 ff.; S. Lakowski, ZUR 2010, S. 171 ff.
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In diese Richtung – unter dem Einfluss des Braunbären-Urteils – hat beispielsweise der VGH Kassel eine anerkannte Umweltschutzvereinigung für klagebefugt gehalten, das Unterbleiben eines raumordnerischen Zielabweichungsverfahrens zu rügen, in dem es sachlich um die Prüfung gegangen wäre, ob ein Windenergieprojekt europarechtlich geschützte Vogelarten beeinträchtigen würde.260 Ausschlaggebend in diesem Fall ist, dass der VGH Kassel das Klagerecht der klagenden Vereinigung als zulässig betrachtet hat, obwohl keine UVP-Pflicht im Rahmen des UmwRG bei neu hinzutretenden Windenergieanlagen vorlag. Vor dem Hintergrund des Braunbären-Urteils des EuGH hat somit das VGH-Kassel festgestellt, dass einer Umweltschutzvereinigung im Hinblick auf die von ihm geltend gemachten Verstöße gegen das Raumordnungsrecht die Antragsbefugnis jedenfalls insoweit nicht versagt werden kann. Das Gericht stützt sein Urteil vor allem auf das Argument, dass die klagende Umweltschutzvereinigung sich auf die Verletzung von unionsrechtlichem Umweltrecht im Rahmen der FFH-RL und dessen Umsetzung durch die bei Erlass der angefochtenen Genehmigung zu beachtende Raumordnungsplanung beruft. Denn in einem Raumordnungsverfahren ist europäisches Umweltrecht in vielfacher Hinsicht anzuwenden. Der klagenden Umweltschutzvereinigung steht schließlich nicht entgegen, dass es sich dabei um nationales Verfahrensrecht handelt und Umweltschutzvereinigungen durch das Raumordnungsrecht selbst keine subjektiven Rechtspositionen eingeräumt werden.261 Es bleibt aber abzuwarten, ob eine solche Rechtsprechung weiterentwickelt und stabilisiert werden kann. 2. Art. 9 Abs. 3 AK als Annex zur umweltrechtlichen Kompetenzgrundlage der EU Dabei muss darauf Rücksicht genommen werden, dass die Kompetenz des EuGH zur Auslegung völkerrechtlicher Übereinkommen den für die Umweltpolitik vor allem durch Art. 191 und Art. 192 Abs. 1 AEUV eröffneten Rahmen nicht überschreiten darf. Art. 192 AEUV ermächtigt die EU zum Erlass von Maßnahmen zur Erreichung der in Art. 191 Abs. 1 AEUV genannten Ziele, also derjenigen, die zur effektiven Verwirklichung einer kohärenten Umweltpolitik erforderlich sind, während Art. 191 Abs. 2 AEUV primärrechtlich auf ein hohes Umweltschutzniveau abzielt.262 Demzufolge ist festzustellen, dass das EU-Primärrecht für eine effektive Verbesserung der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt nicht allein materielle Umweltvorschriften erfordert, sondern auch solche (einschließlich verfahrensrechtlicher Umweltvorschriften), die 260 VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, ZUR 2012, S. 438 ff.; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 63, Rn. 63. 261 VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, ZUR 2012, S. 440. 262 Mehr dazu s. u. 3. Teil, 1. Kap., A., IV.
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im Allgemeinen seiner effektiven Durchsetzung in Umsetzung und Vollzug dienen sollen.263 Der Satzteil des Art. 9 Abs. 3 AK, der auf den Erlass von Verfahrensregelungen zielt („. . . sicherzustellen, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, . . . Zugang zu Überprüfungsverfahren bekommen, . . .“), kann insoweit als Annex zur umweltrechtlichen Kompetenzgrundlage der EU betrachtet werden. Dass dieses üblicherweise geschieht, zeigt bereits, dass die EU die UI-RL und die ÖB-RL, die der Umsetzung der Art. 3 bis 6 AK diene, auf Art. 192 i.V. m. Art. 191 AEUV gestützt hat.264 Demzufolge gehöre es gem. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV i.V. m. Art. 11 AEUV zu den Aufgaben der EU, sich für einen hohen Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität einzusetzen. Um diese für den Umweltbereich umfangreich geschaffene Aufgabe zu verwirklichen, habe die EU auch die notwendigen materiell- sowie verfahrensrechtlichen Vorschriften einzuführen. Eine verhältnismäßige Vereinheitlichung bzw. Harmonisierung von Normen in diesem Bereich sei erforderlich, da einzelne Mitgliedstaaten unterschiedliche materiell- und verfahrensrechtliche Vorschriften besitzen. Ferner bedürfe es Vorschriften über eine gerichtliche Überprüfung des Umweltrechts, um die Durchsetzung und praktische Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen und zu verbessern.265 Das Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts verlangt im Ergebnis, dass der Regelungsgehalt einer Vorschrift des Unionsrechts (wie Art. 9 Abs. 3 AK), die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, i. d. R. für die gesamte Union autonom und einheitlich auszulegen ist.266 Dazu muss der Kontext der Vorschrift sowie das angestrebte Ziel der Regelung berücksichtigt werden.267 Dass auf der Grundlage von Art. 191, 192 AEUV (ex-Art. 174, 175 EGV) erlassene umweltbezogene Richtlinien (etwa die FFH-RL) keinerlei prozessuale Vorkehrungen zu ihrer Durchsetzung enthalten, sondern diese den Mitgliedstaaten überlassen, spielt danach für eine unionsrechtliche Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK keine erhebliche Rolle. Auch wenn Art. 9 Abs. 3 AK zur Ausgestal263 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, insb. Rn. 50–52, ZUR 2011, S. 318 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky); vgl. auch S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315; S. Breier, in: C.-O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV-Komm., 2010, Art. 11 AEUV, S. 326 ff., Rn. 10 ff.; ders., Art. 191 AEUV, S. 2094 ff., Rn. 3 ff. 264 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. 265 Ebd., S. 314. 266 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-00723, Rn. 37 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593; EuGH, Urt. v. 14.02.2012 – Rs. C-204/09 (Flachglas-Torgau), Rn. 37. 267 EuGH, Urt. v. 14.02.2012 – Rs. C-204/09 (Flachglas-Torgau), Rn. 37; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1144.
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tung prozessualer Anforderungen verpflichtet, wird in Anbetracht des Effektivitätsgrundsatzes der EuGH nicht daran gehindert, die Vorschrift insgesamt auszulegen, um der Effektivität der Durchsetzung des Umweltrechts hinreichend Rechnung zu tragen. Insofern ist eine weite Auslegungskompetenz des EuGH anzuerkennen.268 In diesem Zusammenhang vertritt der EuGH die Auffassung, dass, „wenn eine Vorschrift (wie z. B. Art. 9 Abs. 3 AK) sowohl auf Sachverhalte, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen, als auch auf Sachverhalte, die dem Unionsrecht unterliegen, Anwendung finden kann, [dann] ein klares Interesse daran [besteht], dass diese Vorschrift unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, bzw. ob sie unmittelbare oder mittelbare Wirkung hat, einheitlich ausgelegt wird, um in der Zukunft voneinander abweichende Auslegungen zu verhindern“.269
Es muss allerdings beachtet werden, dass diese Feststellung des EuGH nicht zur Schaffung eines Monopols bei der Auslegung von völkerrechtlichen Vorschriften, die Verpflichtungen für die EU-Mitglieder bestimmen, führen darf. Dies sollte daher nur ausnahmsweise bei Konfliktlagen wie dem hier diskutierten Fall angewandt werden. Dies sollte gelten, auch wenn die unionale Gesetzgebung nicht von sich selbst zuständig ist, diese Verpflichtungen zu substanziieren.270 Der EuGH darf sich keinesfalls als „Ersatzgesetzgeber“ betätigen.271 Nach ständiger deutscher Rechtsprechung272 darf die richterliche Rechtsfortbildung nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen. Denn die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich vielmehr darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige, also eine unabsichtlich gelassene Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. 268
S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 42, ZUR 2011, S. 320 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), m.w. N. zu: EuGH, Urt. v. 17.07.1997, Rs. C-130/95, Slg. 1997, I-S. 4291 ff., Rn. 28 (Giloy), BB 1997, S. 794 ff.; EuGH, Urt. v. 16.06.1998, Rs. C-53/96, Slg. 1998, IS. 3603 ff., Rn. 32 (Hermès), NJW 1999, S. 2103 ff. 270 J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 6. Dies ist eigentlich merkwürdig angesichts der Tatsache, dass es zweifelhaft ist, ob die EG-VO Nr. 1367/2006 in Einklang mit Art. 9 Abs. 3 AK steht. Vgl. dazu M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff.; EuGH, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 271 J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 6; A. Schink, DÖV 2012, S. 626. 272 OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 14, ZUR 2013, S. 291 ff., m.w. N. zu BVerfG, Urt. v. 11.07.2012 – 1 BvR 3142/07, 1569/08, NJW 2012, S. 3081 ff. 269
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes übersieht und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greife unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch-legitimierten Gesetzgebers ein.273 Darüber hinaus würde ein solches Verhalten als rechtswidrig gelten,274 denn eine entsprechende Entscheidungskompetenz des EuGH sei in diesem Fall nicht ersichtlich.275 3. Erweiterte innerstaatliche Verbandsklagemöglichkeiten gem. Art. 9 Abs. 3 AK Trotz der Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 AK hat schließlich der EuGH Art. 9 Abs. 3 AK sehr extensiv ausgelegt. Er hat damit keine weitere gerichtliche Prüfung abgebrochen, sondern dekretierte eine unionsrechtlich zielgebotene Auslegung des nationalen Prozessrechts.276 Denn im Rahmen des europäischen Rechts ist es eindeutig, dass, wenn ein gemischtes Übereinkommen (etwa die AK)277 teilweise in die Kompetenz der Mitgliedstaaten und teilweise in die Kompetenz der EU fällt, dieses Übereinkommen nur durch enge Kooperation zwischen den gemeinschaftlichen bzw. unionalen Institutionen und den Mitgliedstaaten in einem Prozess von Verhandlungen und Vereinbarungen zur Erfüllung der eingeführten Verpflichtungen implementiert werden kann.278 Wie schon gezeigt wurde, ist der EuGH für die Auslegung der AK zuständig. Dies gilt, obwohl die EU nach Ratifizierung der AK keinen Umsetzungsakt erlassen und auch für Teilbereiche des Art. 9 Abs. 3 AK – wie etwa für Anforderungen an die Umweltschutzvereinigungen – keine Anforderungen stipuliert hat.279 Insoweit komme es nicht darauf an, ob eine Unionsvorschrift ausdrücklich die Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK bezweckt.280 Hierbei sei somit unerheblich, 273
Ebd. J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 6; A. Schink, DÖV 2012, S. 626. 275 GAin Sharpston, Schlussantr. v. 15.07.2010 (1) in der Rs. C-240/09, Rn. 77, BeckRS 2010, 9090; A. Schink, DÖV 2012, S. 625 ff. 276 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1144 ff. 277 Es muss gesagt werden, dass die europäische Gemeinschaft selbst Vertragspartei der AK ist und in Umsetzung von Art. 9 AK die sog. UVP-Richtlinie (Richtlinie 85/ 337/EWG vom 27.06.1985, ersetzt durch Richtlinie 2011/92/EU vom 13.12.2011) erlassen hat. Diese Richtlinien verpflichten ihrerseits die Mitgliedstaaten, Umweltschutzorganisationen einen möglichst umfassenden Zugang zu Gerichtsverfahren zu öffnen. Dies hat die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich u. a. durch die Vorgaben des UmwRG in das deutsche Recht umgesetzt, das somit seinerseits den Ursprung in der AK hat. Vgl. A. Mainzer/J. Möbus, I+E 2012, S. 213; OVG Koblenz, Beschl. v. 31.01. 2013 – 1 B 11201/12. OVG, NuR 2013, S. 281 ff. 278 Vgl. J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 2, m.w. N. zu Opinion 2/91 [1993] ECR I-1061 (ILO-convention no. 170). 279 S. Schlacke, ZUR 2011, S. 313. 280 Ebd. 274
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
ob die Unionsvorschrift die völkerrechtliche Norm umfassend transformiert.281 In diesem Zusammenhang folgt aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dass sich aus Art. 9 Abs. 3 AK ergibt, dass das nationale Recht so auszulegen ist, dass es Umweltschutzvereinigungen ermöglicht werden muss, die Einhaltung von Umweltrecht gerichtlich überprüfen zu können.282 Es scheint, dass eine solche Zuerkennung im Einklang sowohl mit den nationalen Verfassungsprinzipien zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG)283 als auch mit den Grundsätzen der Europarechtsfreundlichkeit des GG (Art. 23 GG) sowie der Völkerrechtsfreundlichkeit (Art. 25 GG i.V. m. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) steht.284 Eine anerkannte NRO erfüllt insofern jedenfalls den individuellen Vorbehalt des Art. 9 Abs. 3 AK in Bezug auf die innerstaatlich festgelegten Kriterien für die Anerkennung einer juristischen oder natürlichen Person als Mitglied der Öffentlichkeit.285 Inhaltlich muss sich jedenfalls das Klageziel auf das unionale Umweltrecht beziehen, wie auch der EuGH im Trianel-Urteil festgestellt hat.286 Aufgrund der Zielvorgaben des Art. 9 Abs. 3 AK und vor allem des Effektivitätsgrundsatzes sowie in Verbindung mit den bereits analysierten Feststellungen des Trianel-Urteils des EuGH liegt nahe, dass nunmehr zumindest die anerkannten Umweltschutzvereinigungen287 – angesichts auch ihrer speziellen, privilegierten Rolle als Anwälte der Umwelt – berechtigt sein sollen, jede Entscheidung, die ggf. im Widerspruch zumindest zum unionalen Umweltrecht steht, gerichtlich anzufechten.288 Damit ist das innerstaatliche Verwaltungsprozessrecht in den Fällen erweiternd auszulegen, in denen das Unionsrecht substanziell verfahrens281
Ebd. W. Frenz, DVBl 2011, S. 813. 283 Mehr dazu s. o. in 1. Teil, 1. Kap., D., IV. 284 R. Klinger, EurUP 2013, S. 100, m.w. N. 285 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; so auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1147. 286 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; so auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. 287 Nicht zu übersehen sei außerdem die Feststellung des EuGH, dass anerkannte Umweltverbände im Rahmen des Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP n. F.) automatisch klagebefugt sein müssen. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 37 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NordrheinWestfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. 288 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; vgl. S. Schalke, ZUR 2011, S. 312 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 238 ff. 282
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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rechtliches und materiell-rechtliches Umweltschutzrecht gesetzt hat. Anfechtbar können somit sämtliche Handlungen oder Unterlassungen sein, bei deren Beurteilung das Unionsrecht von Relevanz ist.289 Dies hätte zur Folge, dass die Einhaltung des gesamten EU-Umweltrechts gerichtlich überprüfbar wird.290 Im Hinblick darauf scheint es somit als geboten, auch staatliche Verwaltungsvorschriften zur Klagebefugnis (etwa § 42 Abs. 2 VwGO) unionsrechtskonform dahingehend auszulegen und anzuwenden.291 Dies hat der EuGH bereits wiederholt auch für den Bereich von Individualrechten ausgesprochen.292 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung der Bundesregierung, dass kein Umsetzungsbedarf für die Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 AK bestehe, da das Kriterium der Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO ein zulässiges Kriterium des innerstaatlichen Rechts zur Beschränkung des Rechtsschutzes sei,293 als nicht sachgerecht. Denn gem. Art. 9 Abs. 3 AK ist „der Öffentlichkeit“ Zugang zu Überprüfungsverfahren zu gewähren. „Die Öffentlichkeit“ des Art. 9 Abs. 3 AK ist jedoch nicht das, was mit § 42 Abs. 2 VwGO eingegrenzt wird.294 Der EuGH sieht damit die Notwendigkeit, das unionsrechtliche Umweltrecht klagefähig zu machen. Denn er will nicht hinnehmen, dass der nationale Gesetzgeber – obwohl er durch Art. 9 Abs. 3 AK zum effektiven Umweltrechtsschutz verpflichtet ist – untätig bleibt. Aber aufgrund der Tatsache, dass die Erweiterung der Umweltverbandsklagerechte völkerrechtlich bedingt ist, wurde auch die Auffassung vertreten, dass das Braunbären-Urteil den Weg öffnet, so dass sich die Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigungen auch auf die Verletzung von 289 In diese Richtung etwa: BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, NuR 2013, S. 640 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, NuR 2012, S. 493 ff.; VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, Rn. 23, NuR 2013, S. 284 ff.; VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, ZUR 2012, S. 699 ff.; VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, ZUR 2012, S. 699, Anm. dazu R. Klinger, ZUR 2012, S. 702; VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, Rn. 32, BeckRS 2012, 55841; vgl. hierzu auch S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312; W. Frenz, DVBl 2012, S. 815; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1253 ff. 290 In diese Richtung VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, ZUR 2012, S. 699 ff.; VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, Rn. 22, NuR 2013, S. 284 ff., VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 815 ff.; VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841; OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, ZUR 2013, S. 293 ff.; R. Klinger, ZUR 2012, S. 702; ders., EurUP 2014, S. 178 ff. 291 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17, m.w. N. 292 EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-02271, Rn. 44 (Unibet Ltd. u. a./Justitiekansler), EuZW 2007, S. 247 ff.; EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483 (Impact), NZA 2008, S. 581 ff. 293 BT-Drs. 16/2497, S. 46; M. Sauer, ZUR 2014, S. 197; R. Klinger, EurUP 2014, S. 178; dagegen: BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, 7 C 21.12, Rn. 32–35, ZUR 2014, S. 52 ff. 294 R. Klinger, EurUP 2014, S. 181 ff.
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Vorschriften erstrecke, die nicht nur der UVP-RL unterfallen.295 Dazu könnten beispielsweise auch Handlungen und Unterlassungen gehören, die sich auf eine Durchführung nicht UVP-pflichtiger Vorhaben beziehen, soweit sie umweltrechtliche Vorschriften des Unionsrechts verletzen. Wenn man mit Art. 9 Abs. 3 AK auch als Vertragsstaat und EU etwas verspricht und dies nicht einhält, dann reicht es nicht aus, sich als Mitgliedstaat uneingeschränkt auf seine Verfahrensautonomie zu berufen. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass aus Art. 9 Abs. 3 AK keine direkte Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigungen abgeleitet werden könnte, weil es sich letztlich um eine durch die staatlichen Regelungen ausfüllungsbedürftige Rechtsnorm handelt, die die Mitgliedstaaten überdies ermächtigt, inhaltliche Anforderungen und Beschränkungen für den Zugang zu Gerichten für Umweltschutzvereinigungen aufzustellen.296 Es liegt somit nahe, dass der EuGH nicht bereit ist, den weiter gehenden Schluss anzunehmen, dass ein Mitglied der Öffentlichkeit i. S. d. Art. 2 Nr. 4 AK die staatlichen Klagebefugniskriterien auch dann nicht erfüllt, wenn im nationalen Recht eine Festlegung von solchen Kriterien gar nicht vorhanden ist. Angesichts der fehlenden unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK seien daher auch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, auf die der EuGH zur Begründung seiner Entscheidung weiter verweist,297 nicht von sich selbst aus geeignet, die Zuerkennung eines Umweltverbandsklagerechts auf nationaler Ebene zu rechtfertigen.298 a) Eingrenzung der Verbandsklagemöglichkeiten gem. Art. 9 Abs. 3 AK aus der Sicht des Aarhus Compliance Committee Art. 9 Abs. 3 AK gewährt offensichtlich den Vertragsstaaten bereits einen gewissen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung der Personen, die Verwaltungs- oder gerichtliche Verfahren anstrengen können.299 Aufgrund des Wortlauts des Art. 9 Abs. 3 AK sei davon auszugehen, dass Art. 9 Abs. 3 AK dem Vertragsstaat die Leistungspflicht auferlegt, die Kontrollfunktion der nationalen Gerichte auch prozessual zu ermöglichen. Diese Ansicht wird auch von Empfehlungen des Aarhus Compliance Committee gestützt,300 welche eigentlich die Argumentation des EuGH im Braunbären-Fall bekräftigen. 295
W. Frenz, DVBl 2012, S. 820. A. Schink, DÖV 2012, S. 626. 297 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 48 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 298 A. Schink, DÖV 2012, S. 626. 299 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146. 300 Vgl. etwa: ACCC/C/2005/11, Report with regard to compliance by Belgium with its obligations under the Aarhus Convention in relation to the rights of environmental 296
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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In einer ganzen Reihe von Empfehlungen hat das Compliance Committee sein Verständnis der dritten Säule der AK über den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK dargelegt.301 Dabei betont das Compliance Committee302 zwar zunächst die Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung des normativen Umfelds. Die folgenden Ausführungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass den Umweltschutzvereinigungen grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Vertragsparteien müssen zwar kein System der Popularklage einführen, so dass jedermann jegliche umweltbezogene Handlung anfechten kann. Das Compliance Committee stellt in erster Linie fest, dass die Formulierung des Art. 9 Abs. 3 AK, „sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“, die Einführung oder Beibehaltung solcher strikter Kriterien nicht rechtfertigen kann, die im Ergebnis alle oder fast alle Umweltschutzvereinigungen an der Anfechtung von Handlungen hindern, die im Widerspruch zum nationalen Umweltrecht stehen. Diese Formulierung weist – der Ansicht des Compliance Committee nach – vielmehr auf die Selbstbeschränkung der Vertragsparteien hin, keine übermäßig strengen Anfechtungskriterien aufzustellen.303
organizations to have access to justice, 16.06.2006, Rn. 35; ACCC/C/2008/32, Report, findings and recommendations with regard to communication. Concerning compliance by the European Union (Part I), April 2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48, Report, Findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2010/48 concerning compliance by Austria, 16.12.2011, Rn. 68 ff.; ACCC/C/2006/18, Report, Compliance by Denmark with its obligations under Convention, 29.04.2008, Rn. 29 ff.; J. Ebbesson/H. Gaugitsch/J. Jendros´ka/S. Stec/F. Marshall, Aarhus Convention Implementation Guide, 2013, S. 197 ff., S. 207 ff. 301 Vgl. etwa: ACCC/C/2005/11, Report with regard to compliance by Belgium with its obligations under the Aarhus Convention in relation to the rights of environmental organizations to have access to justice, June 2006, Rn. 35; ACCC/C/2008/32, Report, findings and recommendations with regard to communication. Concerning compliance by the European Union (Part I), April 2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48, Report, findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2010/48 concerning compliance by Austria, 16.12.2011, Rn. 68 ff.; ACCC/C/2006/18, Report, Compliance by Denmark with its obligations under Convention, 29.04.2008, Rn. 29 ff.; J. Ebbesson/H. Gaugitsch/J. Jendros´ka/S. Stec/F. Marshall, Aarhus Convention Implementation Guide, 2013, S. 197 ff., S. 207 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 34, ZUR 2014, S. 55. 302 Auch im Anschluss an die während der Zusammenkunft der Vertragsparteien vom 25. bis 27. Mai 2005 angenommene Entscheidung II/2, die ein ersichtlich rechtsschutzfreundliches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 AK anmahnt. Vgl. ECE/MP.PP/2005/2/ Add.3 vom 8. Juni 2005. 303 Vgl. ACCC/C/2010/48, Rn. 71 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 34, ZUR 2014, S. 52 ff. Für den Zugang zu dem Überprüfungsverfahren soll eine Vermutung sprechen. Er darf nicht die Ausnahme sein. Als Kriterien kommen die Betroffenheit oder ein Interesse in Betracht. Ausdrücklich als nicht ausreichend hat es das Compliance Committee im Verfahren gegen Österreich angesehen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK eine Verbandsklage vorgesehen ist.
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Danach sollte eine Missachtung des Art. 9 Abs. 3 AK jedenfalls dann festgestellt werden, wenn das nationale Recht allen nationalen Umweltorganisationen einen prozessualen Zugang versperrt. Die innerstaatlichen Kriterien dürfen somit nicht so streng sein, dass im Prinzip allen oder fast allen Umweltorganisationen und/oder Mitgliedern der Öffentlichkeit die Anfechtung von Handlungen oder Unterlassungen, welche innerstaatlichen Umweltvorschriften widersprechen würden, verwehrt würden.304 Dennoch dürften die Vertragsparteien die Klauseln des Art. 9 Abs. 2 und 3 AK, in denen sie Kriterien treffen, die im nationalen Recht niedergelegt sind, nicht als Rechtfertigung dafür ansehen, so strikte Kriterien anzulegen, dass Umweltorganisationen nicht mehr in der Lage sind, Handlungen oder Unterlassungen, die gegen das Umweltrecht verstoßen, einklagen zu können.305 Dieser Argumentationslinie entlang scheint es, dass der EuGH im BraunbärenUrteil eine vermeintliche innerstaatliche Sperre der Mitglieder der Öffentlichkeit und insbesondere der Umweltschutzvereinigungen im Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu relativieren bezweckt, solange es sich um eine rechtliche Handlung oder Unterlassung handelt, die gegen das umweltbezogene EURecht verstößt.306 4. Keine vorbehaltlose Öffnung des Umweltrechtsschutzes gem. Art. 9 Abs. 3 AK Vor diesem Hintergrund wird befürchtet, dass durch die Auslegung des Braunbären-Urteils der radikale Schluss gezogen werden könnte, dass damit jedermann klagebefugt sein könnte.307 Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen. Diese Auffas304 ACCC/C/2006/18, Report, Compliance by Denmark with its obligations under Convention, 29.04.2008, Rn. 29 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146. 305 Dies wird besonders deutlich in einer Entscheidung des „Aarhus Convention Compliance Committee“ (ACCC) (ACCC/C/2010/48, insbesondere S. 14 ff., Rn. 68 ff., abrufbar unter: http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2010-48/ Findings/ece_mp.pp_c.1_2012_4_eng.pdf; auch R. Klinger, EurUP 2013, S. 98, die zu dem Ergebnis kam, dass die Anwendung des nationalen österreichischen Rechts, das sich nicht substanziell von dem deutschen Recht unterscheidet (vgl. dazu etwa: O. Dietrich/M. Reiterer, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 101 ff., m.w. N.), die Rechtsschutzmöglichkeiten der Verbände so begrenzt, dass ein Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK vorliegt. Die Bedingungen des österreichischen Rechts seien somit so strikt, dass sie die Öffentlichkeit davon abhielten, effektiv gegen Handlungen oder Unterlassungen, die gegen das Umweltrecht verstoßen, vorzugehen. Zwar ist eine solche Entscheidung nicht verbindlich, sie indiziert allerdings eindeutig die Auslegungsgrenzen der AK. Angesichts der Tatsache, dass die österreichische Rechtslage der deutschen Rechtslage grundsätzlich ähnlich ist, könnte sie somit insbesondere auf das deutsche Recht übertragbar sein (R. Klinger, EurUP 2013, S. 98). 306 J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146. 307 Vgl. J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1255; A. Schink, DÖV 2012, S. 624.
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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sung ist eher theoretischer Natur und nicht ausreichend begründet. Sie bildet vielmehr eine hypothetische Feststellung, denn ein solcher Schluss kann keinesfalls vom Inhalt des Braunbären-Urteils gestützt werden. Trotz der Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten im Umweltbereich aufgrund des oben diskutierten Urteils muss betont werden, dass dadurch keine Popularklage eingeführt werden kann. Denn aufgrund der Vorschriften der AK obliegt es weiterhin den Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die Anerkennung der klagebefugten Umweltschutzvereinigungen bzw. der Mitglieder der Öffentlichkeit festzulegen.308 Ferner wird kein zwingendes Klagerecht für Umweltschutzvereinigungen hinsichtlich ihrer Öffentlichkeitsbeteiligung oder für Mitglieder der Öffentlichkeit unabhängig von einer individuellen Betroffenheit verlangt. Was das deutsche Recht betrifft, so sind nur diejenigen Umweltschutzvereinigungen automatisch klagebefugt, die nach § 3 UmwRG anerkannt sind und deren satzungsgemäßer Zweck die Einhaltung umweltschützender Normen ist.309 Im Rahmen seiner Interpretationshoheit hat der EuGH die Sonderrolle der Umweltschutzvereinigungen herausgearbeitet, die aber im Einklang mit den Anforderungen der AK stehen muss. Daher zwingt Art. 9 Abs. 3 AK nicht zu einer vorbehaltslosen Öffnung des Umweltrechtsschutzes im Sinne einer Umweltpopularklage. Ansonsten wäre die schon diskutierte Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 AK überflüssig.310 Obwohl die Vorlagefrage des slowakischen Gerichts nicht auf Umweltschutzvereinigungen beschränkt war,311 wurde sie vom EuGH als solche beantwortet.312 Denn der EuGH beabsichtigte jedenfalls keiner generellen Klagbarkeit jedweden Umweltrechts durch jedermann Vorschub zu leisten.313 308
S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. Vgl. A. Kröner, UPR 2013, S. 94; R. Klinger, EurUP 2013, S. 100; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315. Vor diesem Hintergrund könnten Umweltverbände generell gegen Verletzungen zumindest von unionalem Umweltrecht klagen und z. B. die Aufstellung von Luftreinhalteplänen oder Lärmaktionsplänen ebenso wie alle anderen umweltrechtlichen Regelungen durchsetzen. Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.10.2012 – 9 A 18.11, NuR 2013, S. 640 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 113 ff.; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315 ff.; R. Klinger, EurUP 2013, S. 98; W. Frenz, DVBl 2012, S. 812; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 239 ff.; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1257. J. Berkemann vertritt die Ansicht, dass offen sei, ob der EuGH entschieden hat, dass Umweltverbände eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit ihrer Klage verlangen könnten oder – darüber hinausgehend – eine Verpflichtung zum Rechtsschutz über eine Verbandsklage in einer „rechtsschöpferischen Entscheidung“ hervorgebracht hat; a. A. A. Schink, DÖV 2012, S. 623; F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 325; B. Wegener, ZUR 2011, S. 366. 310 K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 5, m.w. N. 311 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 28 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 671 ff. 312 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 52 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 313 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 41. 309
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
Infolgedessen kann dieses Urteil nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass es für den Fall einer möglichen Verletzung europäischer Umweltvorschriften ein Umweltverbandsklagerecht ohne Anknüpfung an europäische oder nationale Umweltvorschriften eröffnet. Es kann vielmehr nur so interpretiert werden, dass es Umweltschutzvereinigungen Klagemöglichkeiten durch die Durchsetzung ihrer Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren eröffnet.314 In jedem Fall bedürfe es nach Art. 9 Abs. 3 AK einer Umsetzung durch europäische oder nationale Rechtsvorschriften, in denen auch nähere Voraussetzungen für eine Klagemöglichkeit der Umweltschutzvereinigungen enthalten sein könnten. An einer solchen Regelung fehlt es aber bislang sowohl im europäischen als auch im deutschen Recht.315 Das deutsche Recht enthält keine interpretationsfähige Rechtsvorschrift, die im Sinne eines unbeschränkten Zugangs zu den nationalen Gerichten in Umweltangelegenheiten ausgelegt werden könnte. Denn einerseits beschränkt § 64 BNatSchG Verbandsklagerechte nur auf die Geltendmachung der Verletzung naturschutzrechtlicher Normen und Regelungen, die zumindest auch den Belangen von Natur und Landschaft zu dienen bestimmt sind. Eine Erstreckung des hierin enthaltenen Verbandsklagerechts auch auf außernaturschutzrechtliche Rechtsvorschriften überschreitet ebenfalls die Grenzen des Wortlauts dieser Vorschrift.316 Das Gleiche gilt auch für § 1 Nr. 1, § 2 UmwRG, denn die VK erstreckt sich nach diesen Bestimmungen nur auf UVP-pflichtige Vorhaben. Demzufolge könnte auch hierdurch ein generelles Verbandsklagerecht für die Verletzung jedweder umweltrechtlicher Norm nicht begründet werden.317 Solange der Vertragsstaat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, gerade mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 der AK im innerstaatlichen Recht besondere Kriterien für anfechtungsberechtigte Mitglieder der Öffentlichkeit festzulegen, kann somit die Aussage nicht gestützt werden, dass dann jedermann unmittelbar gem. Art. 9 Abs. 3 AK ein Klagerecht eröffnet werde. Der in Art. 9 Abs. 3 AK ohne weitere Einschränkungen aufgenommene Vorbehalt zu Gunsten der innerstaatlichen Festlegung von „Kriterien“ für den Zugang zu Überprüfungsverfahren bestätigt die Notwendigkeit innerstaatlicher Ausführungsakte zur näheren Ausgestaltung der Verfahrensmodalitäten und damit die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit dieser Vorschrift.318 Im Ergebnis führt der Ausschluss einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 AK durch den EuGH dazu, dass keine Auslegung des nationalen Rechts gefordert sein dürfe, die eine unmittelbare Anwendbarkeit dieser Vor314 315 316 317 318
A. Schink, DÖV 2012, S. 627. J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 5; A. Schink, DÖV 2012, S. 624 ff. Vgl. A. Schink, DÖV 2012, S. 629; C. Meitz, ZUR 2010, S. 563 ff. Ebd. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315.
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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schrift durch die Hintertür de facto herstelle.319 Denn der Übergang von einem subjektiven Rechtsschutzsystem auf ein objektives Kontrollsystem, das das gesamte Umweltrecht zum einklagbaren Jedermannsrecht machte, wäre primär eine politische Systementscheidung, die auf Grundlage des geltenden Rechts ohne Gesetzesänderung nicht vollzogen werden kann.320 Ebenfalls bleibt eine strukturelle Systementscheidung hin zur allgemeinen Umweltverbandsklage grundsätzlich dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten.321 Keinesfalls fordert das Unionsrecht eine Auslegung contra legem im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung.322 Gerade deswegen hat auch das BVerwG einer entsprechenden Anwendung der Vorbehaltsklausel in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO ebenso wie einer analogen Erstreckung des UmwRG auf Art. 9 Abs. 3 AK eine Absage erteilt, weil beides den gesetzlichen Strukturentscheidungen zuwiderliefe.323 Ist somit Art. 9 Abs. 3 der AK nicht unmittelbar anwendbar, so handelt es sich bei dieser Vorschrift nicht um eine „anderweitige gesetzliche Bestimmung“ i. S. v. § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO, die abweichend vom Erfordernis der Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung eine Anfechtungsbefugnis gegen umweltbezogene Maßnahmen und Entscheidungen begründen könnte. Art. 9 Abs. 3 AK kann demzufolge mangels unmittelbarer Wirkung im innerstaatlichen Recht keine von der Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung unabhängige Klage- bzw. Antragsbefugnis als „anderweitige gesetzliche Bestimmung“ i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO begründen.324 Eine erweiterte Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO etwa dahin, den der Vorschrift zugrunde liegenden Begriff des subjektiven Rechts etwa unter Heranziehung der Absätze 6 bis 8 der Erwägungsgründe der AK auf alle Umweltbelange als unmittelbar eigene Rechte der Bürger auszudehnen, würde hingegen die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung sprengen.325 Obwohl mit der Gewährung überstaatlicher Rechte (wie Art. 9 Abs. 3 AK) die Autonomie der innerstaatlichen Rechtsordnung offensichtlich relativiert wird, ist damit aber keinesfalls gemeint, dass der Gesetzgeber zur Abkehr vom Individual319
BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 26 ff., ZUR 2014, S. 52 ff.; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, S. 1045 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 6; jeweils m.w. N. 320 OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, ZUR 2013, S. 293; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 6. 321 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 42. 322 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 36, ZUR 2014, S. 53 ff. 323 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 26, ZUR 2014, S. 52 ff. Ausführlich zu diesem Urteil s. u. 1. Teil, 5. Kap., B., I. ff. 324 OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 5 ff., ZUR 2013, S. 291 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, NuR 2013, S. 673 = ZUR 2013, S. 627 ff. 325 A. Schink, DÖV 2012, S. 626.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
rechtsschutz gezwungen wäre.326 In Verbindung mit den dargestellten Divergenzen des UmwRG auch im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem Europarecht kann man wohl den Schluss ziehen, dass dadurch auch die Einführung des umstrittenen UmwRG quasi gerechtfertigt werden könnte. Denn es wäre letztlich unhaltbar, in einer vermeintlichen Präferenz des Europarechts für das französische Rechtsschutzmodell das Ende des subjektiven Rechts besiegelt zu sehen.327
VI. Das slowakische Braunbären II-Urteil 328 Von Bedeutung ist auch das sog. slowakische Braunbären II-Urteil des EuGH vom 08.11.2016. Dieses Urteil widerlegt die bisher ständige deutsche Rechtsprechung seit dem Urteil des Mühlenberger Lochs.329 Dieser Rechtsprechung nach verleiht die FFH- sowie die Vogelschutz-RL einem Einzelnen kein Klagerecht, einen Verstoß, etwa gegen Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL anzufechten. Weder die FFH- noch die Vogelschutz-RL die Verpflichtung der Mitgliedstaaten begründen, einzelnen EU-Bürgern oder Vereinigungen klagbare Rechte auf die Einhaltung der zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen innerstaatlichen Normen einzuräumen.330 Der Argumentation des EuGH nach wäre es mit der einer Richtlinie durch Art. 288 AEUV zuerkannten verbindlichen Wirkung unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können. Die praktische Wirksamkeit der FFH-RL sowie ihre Zielsetzung verlangen, dass die Bürger sich vor Gericht auf sie berufen und die nationalen Gerichte sie als Bestandteil des Unionsrechts berücksichtigen können, um insbesondere zu prüfen, ob die nationale Behörde, die einen Plan oder ein Projekt genehmigt hat, ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL beachtet hat und somit innerhalb des den nationalen Behörden in dieser Bestimmung eingeräumten Ermessensspielraums geblieben ist.331 Insofern haben die Gerichte der Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV den gerichtlichen Schutz der Rechte, die 326
Vgl. M. Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489/495. Vgl. C. Franzius, NuR 2009, S. 386, M. Nettesheim, AöR 2007, S. 333 ff. 328 EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), ZUR 2017, S. 86 ff.; Anm. dazu R. Klinger, ZUR 2017, S. 90 ff. 329 OVG Hamburg, Urt. v. 19.02.2001 – 2 Bs 370/00, NVwZ 2001, S. 1173 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 06.07.2016 – 2 L 84/14 –, juris, Rn. 167 und Leitsatz 2. 330 OVG Hamburg, Urt. v. 19.02.2001 – 2 Bs 370/00, NVwZ 2001, S. 1173 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 06.07.2016 – 2 L 84/14 –, juris, Rn. 167 und Leitsatz 2, s. o. 1. Teil, 2. Kap., C., III. 331 EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), Rn. 44, ZUR 2017, S. 88; i. d. S. auch EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02, Slg. 2004, I07405, „Herzmuschelfischerei“ (Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee u. Nederlandse Vereniging tot Bescheerming van Vogels/Staatssecretaris van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij), Rn. 66, 69, NuR 2004, S. 788 ff. 327
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
623
den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, zu gewährleisten. Mit Art. 19 Abs. 1 EUV wird den Mitgliedstaaten im Übrigen aufgegeben, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist. Für die im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der FFH-RL getroffenen Verwaltungsentscheidungen ergibt sich diese Verpflichtung auch aus Art. 47 der Charta.332 Es sieht so aus, dass die Argumentation des EuGH hinsichtlich der Begründung eines Klagerechts des Einzelnen, einen Verstoß im Rahmen der FFH- oder der Vogelschutz-RL, etwa gegen Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL anzufechten, basiert sich grundsätzlich auf die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und das dabei verfolgte Ziel, ein hohes Niveau des Umweltschutzes zu gewährleisten.333 Ob die in der Novelle des UmwRG vom 29.05.2016 vorgesehene Kataloglösung des § 1 UmwRG334 der dem Rechtsschutz zugänglichen Sachverhalte den Anforderungen des EuGH entspricht, darf nach dem slowakischen Braunbären II EuGH-Urteil umso mehr bezweifelt werden. Denn danach müssen Umweltverbände und unmittelbar betroffene Einzelne jeden Verstoß gegen umweltschützende Vorschriften des Unionsrechts, egal ob sie dem Schutz des Menschen oder der Natur dienen, gerichtlich rügen können.335
VII. Fazit Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Braunbären-Urteile scheint, dass das Umweltrecht zur Speerspitze einer Rechtsprechungsentwicklung wird, die darauf zielt, unter Berufung auf das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot, sowie auf die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und das dabei verfolgte Ziel, ein hohes Niveau des Umweltschutzes zu gewährleisten, dem unionalen Umweltrecht in den Mitgliedstaaten zu mehr prozessualer und materieller Wirksamkeit zu verhelfen.336 Es mag sich letztlich um eine funktionale Subjektivierung handeln, die dem allgemeinen europäischen Trend zur Objektivierung des Rechtsschutzes weiterhin dient.337 Es liegt nahe, dass der EuGH die sekundärrechtlich betroffene Öffentlichkeit und insbesondere die Institution der Umweltschutzvereinigungen als Vehikel benutzt, um die Rechtssubjekte der Öffentlichkeit mit der gerichtlichen Durchsetzung des EU-Rechts zu beauftragen. Dem EuGH geht es 332 EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakische Braunbären II“), Rn. 50, ZUR 2017, S. 89. 333 Vgl. R. Klinger, ZUR 2016, S. 90. 334 s. o. 1. Teil, 3. Kap., H., II. 335 R. Klinger, ZUR 2016, S. 91. 336 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17, m.w. N. 337 Vgl. M. Hong, JZ 2012, S. 382; S. Schlacke, NVwZ 2011, S. 804 ff.; dies., ZUR 2011, S. 312 ff.; C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff.; J.-M. Woehrling, VBlBW 2008, S. 1 ff.
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1. Teil, 4. Kap.: Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser
damit um die Mobilisierung der Öffentlichkeit zur Durchsetzung des unionsrechtlichen Umweltschutzes. In diesem Zusammenhang scheint, dass die in der Rechtsprechung des EuGH forcierte Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des objektiven Rechts rein instrumentellen Charakter hat. Sie dient letztlich weniger den Rechten des Einzelnen als dem Abbau von Vollzugsdefiziten insbesondere im europäischen Umweltrecht. Es scheint, dass die in der Rechtsprechung des EuGH gewünschte Mobilisierung in Wirklichkeit ein Motiv ist, das sich in der Praxis nicht in die Regelungsstruktur des europäisierten Drittschutzes eingeprägt hat.338 Bezüglich der slowakischen-Braunbären-Urteile ist von Bedeutung, dass trotz der Tatsache, dass der EuGH feststellt, dass Art. 9 Abs. 3 AK keine unmittelbare Wirkung auf der nationalen Ebene hat, möglicherweise durch die Vorgaben des EuGH ein System überindividuellen Rechtsschutzes durch Verbandsrechtsbefugnisse etabliert wird. Dadurch werden die Klagemöglichkeiten von einzelnen Bürgern und Umweltschutzvereinigungen in Umweltangelegenheiten erweitert. Diese Erweiterung beruht allerdings nicht auf einen weiten unionalen Rechtsschutzkonzeption individueller Klagerechte, sondern sie ist völkerrechtlich vor allem durch die AK bedingt. Mit den slowakischen Braunbären-Urteilen i.V. m. dem Trianel-Urteil erkennt der EuGH eine weite Auslegungskompetenz seiner Zuständigkeit an, um vor allem dem Effektivitätsgrundsatz im Bereich des Umweltrechts hinreichend zu dienen. Da eines der Hauptziele der AK die Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes ist, sollten auch Art. 9 Abs. 3 AK so ausgelegt werden, dass das daraus abgeleitete EU-Recht (etwa bzw. Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL), das ins nationale Recht umzusetzen ist, ebenfalls effektiv sein muss. Es sieht so aus, dass dadurch der überindividuelle Umweltrechtsschutz als eigenständiges Element des EU-Rechts – im Sinne eines von subjektiven Rechten abgelösten status procuratoris – betrachtet werden kann. Diese umfassende Zuständigkeit des EuGH bezweckt prinzipiell die Verhinderung einer Fragmentierung des Unionsrechts durch abweichende Auslegung und Anwendung sowie die Gewährleistung der Rechtssicherheit auf europäischer und nationaler Ebene. Es muss aber beachtet werden, dass eine solche Argumentation unvermeidbar auch rechtspolitisch und nicht rein juristisch ist. Dadurch wird vor allem ein Abbau des Vollzugsdefizits des EU-Umweltrechts versucht, der als vordringliche Aufgabe der Union betrachtet werden soll.339 Im Ergebnis sind diese Urteile des EuGH von Bedeutung, weil sie die besondere Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten unterstreichen, für die Einhaltung 338
K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 2, m.w. N. Vgl. T. Siegel, DÖV 2012, S. 709 ff.; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1253 ff.; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315, m.w. N. 339
B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH
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der aus der AK hergeleiteten völkerrechtlichen Bindungen zu sorgen, soweit es sich um einen weitgehend vom EU-Recht erfassten Bereich des Umweltrechts handelt. Diese Urteile sind letztlich Ausdruck der voranschreitenden Europäisierung des nationalen Verwaltungsprozessrechts, denn sie unterstreichen die Notwendigkeit sog. überindividueller Klagebefugnisse, um Bürgern und Umweltschutzvereinigungen eine Kontrollfunktion für den mitgliedstaatlichen Vollzug des EU-Rechts zuzuweisen. Anlässlich der Braunbären-Urteile des EuGH scheint die Rechtsprechung des EuGH eine angemessene Lockerung bzw. Überformung des am Individualrechtsschutz orientierten Zugangs zu gerichtlichen Überprüfungsverfahren auch des nationalen Rechts zu intendieren. Zwar besitzt die EU keine Kompetenz zur Statuierung von Klagerechten. Dennoch hat der EuGH damit der Öffentlichkeit europäische Rechte verliehen, die sie mit Hilfe der nationalen Gerichte in den Mitgliedstaaten durchsetzen kann. Dieser Auslegungsentscheidung kommt zwar keine Allgemeinverbindlichkeit zu, wohl aber eine Leitfunktion. Vor diesem Hintergrund klärt der EuGH den zentralen Konflikt zwischen der Erfüllung der Zielvorgaben der UVP-RL, sowie der AK bezüglich der Gewährleistung eines weiten Zugangs zu Gerichten und der Möglichkeit der Staaten, die Klagebefugnis einzelner Bürger oder Umweltschutzvereinigungen durch eigene Vorschiften zu verringern, deutlich zugunsten der weiten Zugangsbefugnis. Eine beliebige, vorbehaltlose Öffnung des Rechtsschutzes, die die Freiheitlichkeit der Rechtsstaatsstrukturen (z. B. durch übermäßige Belastung durch eine Klageflut) gefährden könnte, kann aber aus dieser Rechtsprechung nicht abgeleitet werden. In Anbetracht dieser Urteile sind schließlich die nationalen Gerichte aufgerufen, das nationale Recht so weit wie möglich so auszulegen, dass Umweltschutzvereinigungen gegen jede Verletzung zumindest des unionalen Umweltrechts gerichtlich vorgehen können.340 Diese Urteile erläutern schließlich die tatsächliche Tragweite des Art. 9 Abs. 3 AK für den nationalen Umweltrechtsschutz. Auch in diesem Zusammenhang wird die deutsche Verletztenklage unter Anpassungsdruck gesetzt. Ein Konvergenzprozess ist somit schon in Gang gesetzt, in dem ein wesentlicher weiterer Entwicklungsschritt bezüglich des Umfangs der Klagebefugnis der Kläger im Bereich des Umweltschutzes erforderlich erscheint. Dies ist m. E. eindeutig bestätigt von verschiedenen aktuellen Rechtsprechungen der deutschen Verwaltungsgerichte, die von den Braunbären-Urteilen beeinflusst sind und die teilweise zur Erweiterung des nationalen überindividuellen Rechtsschutzes tendieren. Von Bedeutung ist vor allem das Urteil des BVerwG vom 05.09.2013.341 Gerade diese Entwicklungstendenzen sollen im folgenden Kapitel erörtert werden. 340 341
R. Klinger, EurUP 2014, S. 179, m.w. N. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.
5. Kapitel
Tendenzen der deutschen Rechtsprechung zur Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes In der Folge des slowakischen Braunbären-Urteils sowie des Trianel-Urteils des EuGH stellt sich die Frage, ob die deutsche Rechtsprechung bereit ist, den Auftrag des EuGH nach einer so weit wie möglichen Auslegung des deutschen Verwaltungsrechts zur Anerkennung einer Klagebefugnis bei jedweder Verletzung des unionalen Umweltrechts zu erfüllen. Im Hinblick darauf bejahen bereits einige deutsche Gerichtsentscheidungen ein umfassendes Klagerecht der Umweltvereinigungen, das über den restriktiven Anwendungsbereich des UmwRG hinausgeht.1 Nichtsdestotrotz bleibt ein Teil der Rechtsprechung zurückhaltend. Diese Rechtsprechung argumentiert grundsätzlich, dass angesichts der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 AK nicht unmittelbar auf nationales Recht anwendbar ist, diese Vorschrift nicht so ausgelegt werden kann, dass eine Erweiterung der Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten gesetzlich gewährleistet wird.2 1 Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.10.2012, –. 9 A 18.11, NuR 2013, S. 640 ff.; zur Umweltverbandsklagebefugnis für Luftreinhaltepläne: VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 113 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841; VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, Rn. 1.2, ZUR 2012, S. 699 ff.; in diese Richtung auch hinsichtlich einer Klage gegen Regionalplan: VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, ZUR 2012, S. 438 ff.; zur Vermittlung der Umweltschutzvereinigungen eine über das UmwRG hinausgehende Klagebefugnis gem. Art. 9 Abs. 3 AK: OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, ZUR 2013, S. 293 ff.; zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 2 AK bei umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten in Deutschland: OVG Münster, Urt. v. 12.06.2012 – 8 D 38/ 08.AK, Ls. 6, ZUR 2012, S. 678 ff.; OVG Koblenz, Beschl v. 31.01.2013 – 1 B 11201/ 12.OVG, NuR 2013, S. 278 ff.; zur Gewährung durch Art. 9 Abs. 3 AK anerkannten Naturschutzverbänden im Bereich des europäischen Artenschutzes ein über § 64 BNatSchG hinausgehende Klagerecht gegen eine durch Allgemeinverfügung erteilte Aufnahme von naturschutzrechtlichen Verboten: VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, S. 284 ff. In diese Richtung auch S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 240; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1256; ablehnend: A. Schink, DÖV 2012, S. 622; ders., DVBl 2012, S. 198; T. Siegel, DÖV 2012, S. 715; F. Fellenberg/A. Schiller, UPR 2011, S. 325. 2 OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, NuR 2013, S. 672 ff. = ZUR 2013, S. 627 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, ZUR 2013, S. 291 ff.
A. Unterschiedliche Positionen zum Umfang der Verbandsklagerechte
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Vor diesem Hintergrund hat das Grundsatzurteil des 7. Senats des BVerwG vom 05.09.20133 versucht, diese Frage zu klären, in dem es durch kreative Auslegung des § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO im Licht des Braunbären-Urteils den Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im deutschen Verwaltungsrecht erweitert.
A. Unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Umfangs der Verbandsklagerechte So entschied beispielsweise das VG Wiesbaden in seinem Urteil vom 10.11. 20114, dass eine anerkannte Umweltschutzvereinigung unter Geltendmachung der Verletzung unionsrechtlich bedingten Immissionsschutzrechts die Kontrolle eines Luftreinhalteplans verlangen kann. Nicht zufällig war das Gebiet des Luftqualitätsrechts Gegenstand dieser Klage, welches bei Rechtsverstößen keine Klagebefugnis auf der Grundlage des Rechtsbehelfsgesetzes bietet.5 Dies gelte, obwohl die Überprüfung von Luftreinhalteplänen nicht vom Anwendungsbereich des UmwRG erfasst wird und die Vereinigung auch ersichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt war.6 Hiervon geht das VG Wiesbaden in Anerkennung der Leitfunktion des Braunbären-Urteils aus.7 Danach muss das Gericht das nationale Verfahren in Bezug auf die Voraussetzungen für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens so auslegen, dass es einer Umweltschutzvereinigung ermöglicht wird, eine Entscheidung, die möglicherweise im Widerspruch zum unionalen Umweltrecht steht, vor einem Gericht anzufechten. Danach ist auch eine anerkannte Umweltschutzvereinigung, die unter anderem auch für die Luftreinhaltung tätig ist, klagebefugt, wenn sie eine Verletzung der Vorgaben des europäischen Immissionsschutzrechts rügt, auch wenn diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist.8 Diese Rechtsauffassung wurde durchaus auch durch das OVG Koblenz im Urteil vom 06.02.20139 bestätigt. Es handelte sich in diesem Fall um ein bergrechtliches Verfahren, in dem das Gericht unter Bezugnahme auf das Braunbären-Urteil des EuGH die Antragsbefugnis der klagenden Umweltschutzvereinigung zur 3
BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff. VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 113 ff. 5 R. Klinger, EurUP 2014, S. 178. 6 VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), Rn. 57 ff., ZUR 2012, S. 114 ff.; S. Schalke, ZUR 2014, S. 12 ff. 7 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 8 VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 115 ff. 9 OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, Rn. 40 ff., ZUR 2013, S. 293 ff. 4
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
Ahndung von Verletzungen objektiven Umweltrechts anerkennt.10 Dieses Urteil dehnte somit die Antragsbefugnis von Vereinigungen über den Anwendungsbereich des UmwRG hinaus auf einen bergrechtlichen Betriebsplan aus.11 In dieselbe Richtung gehen auch die Beschlüsse des VG Augsburg12 und des VG München.13 Der Beschluss des VG Augsburg dehnte die Klagebefugnis von Vereinigungen über den Anwendungsbereich des UmwRG hinaus auf die Kontrolle von artenschutzrechtlichen Befreiungen aus,14 während das Urteil des VG München sich ebenso wie das Urteil des VG Wiesbaden vom 10.11.201115 mit dem Anspruch einer Umweltschutzvereinigung auf einen verbesserten Luftreinhalteplan zur Einhaltung der geltenden Immissionsgrenzwerte beschäftigte.16 Darüber hinaus – auch unter dem Einfluss des Braunbären-Urteils – hat der VGH Kassel eine Vereinigung für klagebefugt dafür gehalten, das Unterbleiben eines raumordnerischen Zielabweichungsverfahrens zu rügen, in dem es sachlich um die Prüfung gegangen wäre, ob ein Windenergieprojekt europarechtlich geschützte Vogelarten beeinträchtigen werde.17 Entscheidend ist in diesem Fall, dass der VGH Kassel das Klagerecht einer Umweltvereinigung als zulässig betrachtet hat, obwohl keine UVP-Pflicht im Rahmen des UmwRG bei neu hinzutretenden Windenergieanlagen vorlag. Vor dem Hintergrund des BraunbärenUrteils des EuGH hat das VGH-Kassel festgestellt, dass einer Umweltschutzvereinigung im Hinblick auf die von ihr geltend gemachten Verstöße gegen das Raumordnungsrecht die Antragsbefugnis jedenfalls insoweit nicht versagt werden könne, als sie sich auf unionsrechtliches Umweltrecht und dessen Umsetzung berufe. Dies sei selbst dann der Fall, wenn das nationale Recht der klagenden Vereinigung keine subjektive Rechtsposition zuschreibe.18 Das Gericht stützt sein Urteil nämlich vor allem auf das Argument, dass die klagende Umweltschutzvereinigung sich auf die Verletzung von unionsrechtlichem Umweltrecht im Rahmen der FFH-RL und dessen Umsetzung durch die bei Erlass der angefochtenen Genehmigung zu beachtende Raumordnungspla-
10 OVG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 B 11266/12, Rn. 40 ff., ZUR 2013, S. 293 ff.; R. Klinger, EurUP 2014, S. 178. 11 S. Schalke, ZUR 2014, S. 12 ff. 12 VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, S. 284 ff. 13 VG München, Urt. v. 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, Rn. 20 ff., ZUR 2012, S. 699 ff. 14 S. Schalke, ZUR 2014, S. 12 ff. 15 VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 113 ff. 16 R. Klinger, EurUP 2014, S. 179. 17 VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, ZUR 2012, S. 438 ff.; T. Bunge, UmwRG-Komm., 2013, S. 63, Rn. 63. 18 VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, ZUR 2012, S. 438 ff.; R. Klinger, EurUP 2014, S. 179.
A. Unterschiedliche Positionen zum Umfang der Verbandsklagerechte
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nung beruft. Denn in einem Raumordnungsverfahren ist europäisches Umweltrecht in vielfacher Hinsicht anzuwenden. Der klagenden Umweltvereinigung steht schließlich nicht entgegen, dass es sich dabei um nationales Verfahrensrecht handelt und Umweltschutzvereinigungen durch das Raumordnungsrecht selbst keine subjektiven Rechtspositionen eingeräumt werden.19 Auf der anderen Seite lehnte das OVG Lüneburg20 die Antragsbefugnis einer anerkannten Umweltschutzvereinigung für eine Normenkontrolle eines Regionalen Raumordnungsprogramms ab. Denn unter anderem wurde angezweifelt, ob Art. 9 Abs. 3 AK eine Schutznormfunktion zukommt. Dabei verneinte es jedenfalls eine unmittelbare innerstaatliche Wirkung der AK als solcher für vorgelagerte Entscheidungen. Das OVG Lüneburg kam somit zu dem Schluss, dass „[. . .] [e]ine extensive Auslegung des nationalen Rechts i. S. d. slowakischen Braunbären-Urteils allenfalls dann in Betracht kommen [dürfte], wenn es sich um eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, handelt. Ob eine Entscheidung in einem gestuften Zulassungsverfahren diese Anforderungen erfüllt, kann somit dahinstehen, denn Streitgegenstand in diesem Fall war die Ausweisung eines Vorranggebiets mit den Wirkungen eines Eignungsgebiets durch die Änderung eines Regionalen Raumordnungsprogramms. Das vom EuGH genannte Ziel des effektiven Rechtsschutzes gebietet es jedenfalls nicht, der nach Art. 2 Nr. 4 AK begünstigten ,Öffentlichkeit‘ oder jedenfalls den anerkannten Umweltschutzorganisationen Rechtsschutz schon auf der hier in Rede stehenden, der Genehmigung eines konkreten Projekts vorgelagerten planerischen Ebene der Regionalplanung, die bindende Aussagen gegenüber dem Projektträger über die Genehmigungsfähigkeit noch nicht trifft, zu ermöglichen, wenn die nationalen Regelungen dies nicht vorsehen. Die umweltrechtlichen Fragen sind ohnehin auf der Genehmigungsebene zu prüfen und [das Ziel des effektiven Rechtsschutzes; Einfügung des Autors] räumt auch erst die Genehmigung den Beigeladenen das Recht zur Errichtung und dem Betrieb der geplanten Anlagen ein“.21
Parallel dazu sah auch das OVG Koblenz22 im Urteil vom 27.02.2013 in Art. 9 Abs. 3 AK keinen Anlass zur Erweiterung der Verbandsklagebefugnis. Nach seiner Auffassung spricht gegen eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Gewährung des Zugangs zu Verwaltungsgerichten zu Gunsten von Umweltschutzvereinigungen, dass weder das UmwRG noch § 42 Abs. 2 VwGO Anwendung fänden und deren analoge Anwendung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sprenge.23
19
VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012 – 9 B 1918/11, ZUR 2012, S. 440. OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, ZUR 2013, S. 627 ff. 21 OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, NuR 2013, S. 672 ff. = ZUR 2013, S. 627 ff.; in diese Richtung auch OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.10.2014 – 1 MB 5/13, Rn. 3.2.1., BeckRS 2015, 41994. 22 OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, ZUR 2013, S. 291 ff. 23 Vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 14 ff., ZUR 2013, S. 291 ff. 20
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
Danach stehe dem Individualkläger aus Art. 9 Abs. 3 AK eine Anfechtungsbefugnis nicht zu. Es fehlt somit im deutschen Recht an einer prozessrechtlichen Vorschrift, die im Sinne eines derart weiten Zugangs zu den nationalen Gerichten in Umweltrechtsangelegenheiten ausgelegt werden könnte.24 Etwas anderes folge auch nicht aus dem Braunbären-Urteil25 des EuGH. Denn dem obiter dictum der Rn. 50 des Braunbären-Urteils kann nach Überzeugung des OVG Koblenz lediglich Appellcharakter dahingehend beigemessen werden, etwa bestehende Auslegungsspielräume im jeweiligen innerstaatlichen Recht im Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung „so weit wie möglich“ auszuschöpfen, um den Zielen der AK möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. Dies setzt indessen das Bestehen einer entsprechend interpretationsfähigen Rechtsvorschrift im nationalen Recht voraus.26 Dafür spreche vor allem das Argument, dass sich aus Art. 9 Abs. 3 AK unmittelbar keine Rechte der darin angesprochenen „Mitglieder der Öffentlichkeit“ auf irgendeine Weise ergeben können, weil diese Vorschrift keine hinreichend bestimmte Regelung enthält.27 Die Einführung einer umfassenden Klagebefugnis sei daher Aufgabe des Gesetzgebers. Es liegt aber auf die Hand, dass der deutsche Gesetzgeber bisher weder von dem Braunbären-Urteil des EuGH noch von den Tendenzen der deutschen Rechtsprechung, die alternativ eine Erweiterung der Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten durch § 42 Abs. 2 VwGO bejahte, beeinflusst wurde. Demzufolge hat er z. B. bei den letzten Novellen des UmwRG vom 21.01.2013 und der vom 20.11.2015 keine neue Regelung eingeführt, um den Umfang der Klageberechtigung der anerkannten Umweltvereinigungen, etwa durch Ausweitung des Anwendungsbereichs des UmwRG, zu erweitern.28 Entsprechend gespaltet wie die oben dargestellte Rechtsprechung ist dieser Frage bezüglich auch die Lehre.29
24 OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 11 ff., ZUR 2013, S. 292; so auch A. Schink, DÖV 2012, S. 629. 25 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky). 26 OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 11 ff., ZUR 2013, S. 292; so auch A. Schink, DÖV 2012, S. 629. 27 Vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 27.02.2013 – 8 B 10254/13, Rn. 5 ff., ZUR 2013, S. 291 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.07.2013 – 12 MN 300/12, NuR 2013, S. 673. 28 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 12. 29 Eine Klagebefugnis von Vereinigungen i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO bejahen: R. Klinger, EurUP 2013, 95 ff.; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1144 ff.; M.-J. Seibert, NVwZ 2013, NVwZ 2013, S. 1041 ff.; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 240; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 312 ff.; dies., ZUR 2014, S. 12 ff.; a. A. A. Schink, DÖV 2012, S. 627 ff.; ders., DVBl 2012, S. 198; T. Siegel, DÖV 2012, S. 715 ff.; F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 325.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 Unter dem Einfluss des oben dargestellten slowakischen Braunbären-Urteils sowie des früheren Janecek-Urteils des EuGH30, das unmittelbar betroffenen natürlichen und juristischen Personen in gleicher Weise ein aus der LuftreinhalteRL (RL 2008/50/EG) ableitbares Recht zur Durchsetzung von Gesundheitsschutzbelangen im Luftreinhalterecht gewährt, hat das BVerwG in seinem Grundsatzurteil vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 zum ersten Mal versucht31, einige bereits dargestellte Feststellungen der umweltbezogenen EuGH-Rechtsprechung an die deutsche Rechtsordnung auf eigene Weise anzuwenden. Im Gegensatz zum Urteil vom 16.08.2012 des VG Wiesbaden32 leitet das BVerwG in diesem Urteil eine Klagebefugnis aus § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO ab. Wie im Folgenden detaillierter gezeigt werden soll, führt das BVerwG aus, dass der Beklagte mit der Ablehnung des Antrags der klagenden Umweltschutzvereinigung, den Luftreinhalteplan der Stadt Darmstadt zu ändern, eigene Rechte der Vereinigung verletzt haben könne. Gerade diese Feststellung bildet den eigentlichen zentralen Beitrag dieses Urteils, der zu einer Resubjektivierung der Umweltverbandsklage führt, die sich zwischen prozessualem Vorbehalt der VwGO und unionsrechtlicher Rechtsschutzeffektuierung anlässlich des Braunbären-Urteils positioniert.33 Zu Recht könnte somit dieses Urteil als Grundsatzurteil bezeichnet werden.34
I. Sachverhalt Noch spezifischer begehrte in diesem Fall die Klägerin, eine bundesweit tätige, nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltschutzvereinigung (Umwelthilfe Deutschland e. V.), die Änderung des Luftreinhalteplans für Darmstadt. Nachdem die Klägerin beim Beklagten (Stadt Darmstadt) mit Schreiben vom 10. Januar 2012 eine Änderung des Luftreinhalteplans beantragt hatte und zur Begründung darauf hingewiesen hatte, dass eine Umweltzone trotz der nicht garantierten Einhaltung des Grenzwerts bis zum Jahr 2015 nicht in Betracht gezogen worden sei, erhob sie Klage beim VG Wiesbaden. Umstrittene Vorgaben in diesem Fall waren § 47 Abs. 1 BImSchG und § 27 Abs. 2 39. BImSchV i.V. m. Vorschriften
30 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221, Rn. 39 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff.; s. auch 1. Teil, 1. Kap., E., II., 2. 31 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; Anm. dazu T. Bunge, ZUR 2014, S. 3 ff.; W. Frenz, UPR 2014, S. 1 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13 ff. 32 VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841. 33 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 39 ff., m.w. N. 34 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13.
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
der 39. BImSchV über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen, die der Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG35, der RL 2004/107/EG36 sowie der RL 2001/81/EG37 dienen. Mit seinem Urteil vom 16.08.201238 hat das VG Wiesbaden der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den für Darmstadt geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwerts für NO2 (Stickstoffdioxid) in Höhe von 40 mg/m3 im Stadtgebiet Darmstadt enthält. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das als allgemeine Leistungsklage erhobene Begehren sei als altruistische VK zulässig. Dies folge aus dem oben dargestellten Braunbären-Urteil des EuGH, wonach ein Gericht das nationale Verfahrensrecht so auslegen müsse, dass es einer nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigung ermöglicht werde, eine Entscheidung, die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der EU steht, vor einem Gericht anzufechten.39 Es sei somit unbeachtlich, dass diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei.40 Denn hierfür war weder der Anwendungsbereich des § 64 BNatSchG noch des § 1 Abs. 1 UmwRG eröffnet.41 Vor diesem Hintergrund – der Auffassung des VG Wiesbaden nach – brauchte die Klägerin keine Verletzung eigener Rechte geltend zu machen. § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO, der analog auch auf die allgemeine Leistungsklage anzuwenden ist,42 ist eine Klage beim Verwaltungsgericht, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn ein Kläger geltend macht, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Etwas anderes gilt nur, wenn in Rechtsvorschriften die Klagebefugnis abweichend von § 42 Abs. 2 VwGO geregelt ist. Da die Klägerin geltend macht, durch das Unterlassen einer geeigneten und notwendigen Luftreinhalte35 RL 2008/50/E des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa ABl. L 152 vom 11.06.2008, S. 1 ff. 36 RL 2004/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 über Arsen, Kadmium, Quecksilber, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in der Luft, ABl. L 23 vom 26.01.2005, S. 3 ff. 37 RL 2001/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe, ABl. L 309 vom 27.11.2001, S. 22 ff. 38 VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841. 39 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 40 Vgl. VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841; so auch VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), ZUR 2012, S. 113 ff.; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 313. 41 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 39 ff. 42 Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, § 42 VwGO, in: VwGO-Komm., 2013, Rn. 62 ff., m.w. N.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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planung in ihrer Gesundheit verletzt zu sein, bestehen an ihrer Klagebefugnis keine ernsthaften Zweifel.43 Insofern sei diese Klage als zulässig anzusehen. Die Klage sei auch begründet, denn der Beklagte sei nach § 47 Abs. 1 BImSchG und § 27 Abs. 2 der 39. BImSchV verpflichtet, im Rahmen des Luftreinhalteplans für Darmstadt alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zeitraum der Überschreitung des einzuhaltenden Grenzwerts für NO (Stickstoffdioxid) so kurz wie möglich zu halten. Dem Beklagten stehe nach Art. 9 Abs. 3 AK hinsichtlich des Ob der Aufstellung des Luftreinhalteplans ein Ermessen nicht zu, sondern nur hinsichtlich des Wie der Umsetzung der normativen Vorgaben.44 Der Ansicht des BVerwG nach ist die nach Zulassung durch das VG Wiesbaden und mit Zustimmung des Klägers erhobene Sprungrevision zulässig, aber nicht begründet. Sie ist deshalb gem. § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Zwar verletzt das Urteil der ersten Instanz insoweit revisibles Recht, als es die Klagebefugnis der Klägerin mit unzutreffenden Erwägungen bejaht. Die Entscheidung stellt sich insoweit aber aus anderen Gründen gem. § 144 Abs. 4 VwGO als richtig dar. Im Übrigen steht die Entscheidung mit Bundesrecht in Einklang.45
II. Argumentation Das BVerwG hat mit seinem Urteil v. 05.09.2013 festgestellt, dass anerkannte Umweltschutzvereinigungen zumindest die Einhaltung der Vorschriften über Luftreinhaltepläne gerichtlich geltend machen können, obwohl diese Vorschriften nicht in den Anwendungsbereich des § 1 UmwRG fallen.46 Den Ausgangspunkt des BVerwG bildet die Vorgabe des EuGH, Umweltschutzvereinigungen durch erweiterte, erfinderische Auslegung des geltenden nationalen Verwaltungsrechts soweit wie möglich Klagebefugnisse einzuräumen, damit diese die Verletzung innerstaatlicher Normen beanstanden können.47 Das BVerwG begründet ausführlich, dass diese Ausführungen in dem Braunbären-Urteil des EuGH zwar keinen Rechtssatzcharakter haben, ihnen aber doch eine mehr oder weniger verbindliche Wirkung für innerstaatliche Gerichte zukommt, indem die nationalen Gerichte daran gehalten sind, dieses EuGH-Urteil als Teil des Unionsrechts bei ihren rechtlichen Erwägungen zu beachten.48 43
VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841. VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841; so auch BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 35, ZUR 2014, S. 52 ff. 45 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 14 ff., ZUR 2014, S. 52 ff. 46 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; Anm. dazu T. Bunge, ZUR 2014, S. 3 ff.; W. Frenz, UPR 2014, S. 1 ff. 47 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. 48 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 22 ff., ZUR 2014, S. 52 ff.; R. Klinger, EurUP 2014, S. 179. 44
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
1. Keine Ableitung einer Verbandsklagebefugnis aus § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO Während das VG Wiesbaden ohne weitere dogmatische Begründung diese „neuartige“ Verbandsklagebefugnis auf die Regelungsalternative des § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO, die Ausnahmen vom Erfordernis der Geltendmachung in eigenen Rechten erlaubte, analog stützte und sich lediglich auf die Leitfunktion des Braunbären-Urteils des EuGH berief49, verneinte das BVerwG eine Klagebefugnis von Vereinigungen nach dieser Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel.50 Zwar sei es möglich, auch europäische Vorschriften als anderweitige gesetzliche Vorschriften i. S. d. § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO anzuerkennen, Art. 9 Abs. 3 AK sei aber auf Grund seines fehlenden „self-executing“-Charakters gerade nicht eine solche Norm.51 Der Anwendungsbereich der naturschützenden VK nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist nicht eröffnet. Gleiches gilt auch für § 1 UmwRG.52 Es ist klar, dass Luftreinhaltepläne als Kontrollgegenstand weder vom Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen VK noch vom Anwendungsbereich des UmwRG erfasst werden. Auch wegen fehlender UVP-Pflichtigkeit scheidet der im Trianel-Urteil des EuGH beschrittene Weg, Art. 10a UVP a. F. (nunmehr Ar. 11 UVP-RL n. F.) unmittelbare Wirkung zuzuerkennen, aus. In dieser Hinsicht hat der deutsche Gesetzgeber an der Beschränkung des Anwendungsbereichs auch in der bisher neuesten Fassung des UmwRG vom 29.05.2017 – trotz deutlicher Erweiterungen des Anwendungsbereichs des UmwRG – grundsätzlich festgehalten.53 Er befolgte somit die Rechtsprechung des Trianel-Urteils des EuGH, ohne dem Braunbären-Urteil einen Umsetzungsbedarf zu entnehmen. Der Anwendungsbereich des UmwRG könnte somit zu Recht nicht auf dem Wege der Analogie auf Art. 9 Abs. 3 AK erstreckt werden. Denn es fehlt letztlich an einer planwidrigen Regelungslücke.54 Der Gesetzgeber habe vielmehr durch das UmwRG deutlich gemacht, dass er mit dieser Vorschrift abschließend Art. 9 Abs. 2 AK umsetzen 49 VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012 – 4 K 165/12.WI, BeckRS 2012, 55841; so auch VG Wiesbaden, Urt. v. 10.10.2011 – 4 K 757/11.WI(1), Rn. 57, ZUR 2012, S. 113 ff. 50 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 25 ff., ZUR 2014, S. 54. 51 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 28 ff., ZUR 2014, S. 54, S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13. 52 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 29, ZUR 2014, S. 54; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13; W. Frenz, UPR 2014, S. 2. 53 Mehr dazu s. u. 1. Teil, 3. Kap., H., II. 54 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 30, ZUR 2014, S. 54; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 316; dies., ZUR 2014, S. 13. Eine planwidrige Unvollständigkeit ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber seine Absicht bekundet, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft ist. Vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, S. 292 ff.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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wolle.55 Wie schon ausgeführt wurde, sah der Gesetzgeber für die Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 keinen Änderungsbedarf im innerstaatlichen Recht.56 Vor diesem Hintergrund kann der Anwendungsbereich des UmwRG in Bezug auf die darin bestimmten Klagerechte nicht im Wege der Analogie auf Individualkläger erweitert werden, die nicht klagebefugt sind.57 Falls das BVerwG eine planwidrige Regelungslücke angenommen hätte, wäre auch eine analoge Anwendung der Vorschriften des UmwRG möglich. Demzufolge hätte sich die Frage, ob anerkannte Umweltschutzvereinigungen nunmehr bestimmte Rechtsvorschriften weiterhin nicht rügen können, nicht gestellt.58 Eine Stützung der Klagebefugnis von Vereinigungen auf § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO liegt auf Grund der Klage einer anerkannten Vereinigung zwar nahe, ist allerdings insoweit gesperrt. Denn Art. 9 Abs. 3 AK erfüllt den nach § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO erforderlichen gesetzlichen Charakter nicht. Denn der Begriff „gesetzlich“ setzt nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck ein förmliches Bundes- oder Landesgesetz voraus.59 Zwar könnte auch sekundäres Unionsrecht in diesem Sinne verstanden werden, wenn es unmittelbare Wirkung entfaltet, freilich muss es dann aber selbst anordnen, eine Klagebefugnis zu eröffnen. Auch das europäische Luftreinhalterecht beinhaltet keine derartige prozessuale Berechtigung.60 Das BVerwG hat vor diesem Hintergrund zutreffend angemerkt, dass § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO keine im Sinne des Braunbären-Urteils des EuGH interpretationsfähige Norm ist, sondern lediglich eine Vorbehalts- und Öffnungsklausel, die durch eine Entscheidung des zuständigen nationalen oder unionalen Normgebers umgesetzt werden muss.61 2. Ableitung einer Verbandsklagebefugnis aus § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO Unabhängig davon wird vor allem die Erforderlichkeit unterstrichen, die maßgeblichen deutschen Vorschriften entsprechend weit zu interpretieren, um ihr jeweiliges Rechts- und Verwaltungssystem an Art. 9 Abs. 3 AK anzupassen.62 Das 55
R. Klinger, EurUP 2014, S. 180. BT-Drs. 16/2497, S. 46; M. Sauer, ZUR 2014, S. 197; R. Klinger, EurUP 2014, S. 178; dagegen: BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, 7 C 21.12, Rn. 32–35, ZUR 2014, S. 52 ff. 57 OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.10.2014 – 1 MB 5/13, Rn. 3.2.2., BeckRS 2015, 41994. 58 R. Klinger, EurUP 2014, S. 182. 59 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13, m.w. N. 60 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 28 ff., ZUR 2014, S. 54; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13. 61 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 26, ZUR 2014, S. 54. 62 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 32 ff., ZUR 2014, S. 54 ff.; so auch EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/ Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320 ff. 56
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
BVerwG unternimmt mithin die Vorwegnahme dieser hierzulande noch ausstehenden gesetzlichen Umsetzung auf Grundlage des geltenden innerstaatlichen Rechts.63 Vor diesem Hintergrund könnten somit anerkannte Vereinigungen auch auf Unionsrecht beruhende Luftreinhaltepläne rügen.64 Die klagende Umweltschutzvereinigung kann insofern in diesem Fall geltend machen, durch die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans, der den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BlmSchG i.V. m. § 27 der 39. BlmSchV (über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen) genügt, in seinen Rechten verletzt zu sein. Denn § 47 Abs. 1 BlmSchG räumt nicht nur unmittelbar betroffenen natürlichen Personen, sondern auch nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen das Recht ein, die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans zu verlangen. Selbst wenn das UmwRG keine solche spezielle Klagemöglichkeit anbietet, folgt die Klagebefugnis der klagenden Umweltschutzvereinigung – der Auffassung des BVerwG nach – aus § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO.65 In diese Richtung richtet sich in einer Reihe von Empfehlungen auch das Aarhus Compliance Committee, nach der jedenfalls Umweltschutzvereinigungen grundsätzlich einzuräumen sei, die Anwendung des gesamten Umweltrechts überprüfen zu lassen.66 Die Nichtformulierung von Kriterien durch nationale Gesetze, welche den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK regeln, könne nicht als genereller Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes verstanden werden.67 Da nach Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK – im Lichte des Braunbären-Urteils – jedenfalls anerkannten Umweltschutzvereinigungen Rechtsschutz gegen Handlungen zu gewähren sei, die im Widerspruch zum unionalen Umweltrecht stehen, sei dies keine planwidrige Regelungslücke. Denn die hiernach noch ausstehende
63
T. Bunge, ZUR 2014, S. 5. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 22 ff., ZUR 2014, S. 52 ff. 65 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 38.2, ZUR 2014, S. 52 ff. 66 Vgl. etwa: ACCC/C/2005/11, Report with regard to compliance by Belgium with its obligations under the Aarhus Convention in relation to the rights of environmental organizations to have access to justice, June 2006, Rn. 35; ACCC/C/2008/32, Report, Findings and recommendations with regard to communication. Concerning Compliance by the European Union (Part I), April 2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48, Report, Findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2010/48 concerning compliance by Austria, 16. Dezember. 2011, Rn. 68 ff.; ACCC/C/2006/18, Report, Compliance by Denmark with its obligations under Convention, 29.04.2008, Rn. 29 ff.; ACCC/C/2006/18, Report, Compliance by Denmark with its obligations under Convention, 29.04.2008, Rn. 29 ff.; J. Ebbesson/ H. Gaugitsch/J. Jendros´ka/S. Stec/F. Marshall, UNECE, The Aarhus Convention: Implementation Guide, 2013, S. 197 ff., 207 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 34, ZUR 2014, S. 55; R. Klinger, EurUP 2014, S. 180; s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., V., 3., a). 67 Ebd. 64
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Umsetzung einer völkervertragsrechtlichen Verpflichtung stehe – der Ansicht des BVerwG nach – einer planwidrigen Regelungslücke nicht gleich.68 Auch wenn sich das Compliance Committee mit Empfehlungen begnügt, kommt den darin geäußerten Rechtsansichten gleichwohl bedeutendes Gewicht zu. Das bedeutet allerdings nicht, dass bislang alle Feststellungen des Compliance Committee über die Konventionswidrigkeit der Rechtslage in einem Vertragsstaat in den Zusammenkünften der Vertragsparteien (Art. 10 AK) gebilligt worden sind.69 Unter dem Einfluss vor allem des Braunbären-Urteils des EuGH betont allerdings das BVerwG, dass nach einer gefestigten Spruchpraxis zu Art. 9 Abs. 3 AK sich die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut der Bestimmung zugebilligte Gestaltungsfreiheit geringer darstellt als insbesondere von Deutschland angenommen.70 Das BVerwG macht sich insofern die aus seiner Sicht bereits skizzierte, gefestigte Spruchpraxis des Compliance Committee zu eigen. Vor diesem Hintergrund müssten die Vertragsparteien zwar kein System der Popularklage einführen. Sie dürften aber den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK nicht derart beschränken, dass letztlich kein Teil der Öffentlichkeit Klagerechte auf der Grundlage dieser Vorschrift geltend machen könnte.71 Gerade dies würde aber im deutschen Recht gelten, wäre die Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO für diesen Fall nicht möglich. Denn Rechtsverstöße, wie die hier diskutierten, die nicht unter Art. 9 Abs. 2 AK fallen, könnten nur die nach § 42 Abs. 2 VwGO in ihren Rechten verletzten Betroffenen gerichtlich verfolgen.72 Im Hinblick darauf führt das BVerwG weiter aus, dass nach Art. 9 Abs. 3 AK über das Ob einer umweltrechtlichen VK entschieden ist, der nationale Gesetzgeber behalte aber eingeschränkten Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Wie, d. h. die Art und Weise der gesetzlichen Implementierung dieses Rechtsbehelfs.73 Das BVerwG stellt somit fest, dass der Bundesgesetzgeber bei der Ratifikation der AK unzutreffend von einer fehlenden Notwendigkeit zur Anpassung des deutschen Rechts an Art. 9 Abs. 3 der AK ausgegangen sei. Diese fehlende Umsetzung stelle folglich einen völkervertragsrechtlichen Verstoß des Bundesgesetzgebers dar.74
68 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 35, ZUR 2014, S. 54 ff.; R. Klinger, EurUP 2014, S. 180. 69 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 33, ZUR 2014, S. 54 ff.; J. Ebbesson/H. Gaugitsch/J. Jendros´ka/S. Stec/F. Marshall, UNECE, The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2013, S. 238. 70 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 34, ZUR 2014, S. 55, m.w. N. 71 R. Klinger, EurUP 2014, S. 180. 72 Ebd. 73 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 35, ZUR 2014, S. 55. 74 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 32 ff., ZUR 2014, S. 55.
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
Danach bestehe kein Zweifel, dass „den Umweltverbänden grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen“. Dabei dürfen die Vertragsparteien im innerstaatlichen Recht aber auch nicht so strikte Kriterien aufstellen, „die im Ergebnis alle oder fast alle Umweltverbände an der Anfechtung von Handlungen hindern, die im Widerspruch zum nationalen Umweltrecht stehen“.75 Dadurch appelliert das BVerwG deutlich an den zuständigen Gesetzgeber, entsprechende Gesetze auf den Weg zu bringen. 3. Klagebefugte Umweltschutzvereinigungen Der Auffassung des BVerwG nach kann eine klagende Umweltschutzvereinigung geltend machen, durch die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans in seinen Rechten verletzt zu sein. Das BVerwG räumt somit nicht nur unmittelbar betroffenen natürlichen Personen, sondern auch zumindest den nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen das Recht ein, die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans gem. § 47 Abs. 1 BImSchG zu verlangen.76 Insoweit stellt ausdrücklich das BVerwG fest: „Zu den unmittelbar betroffenen juristischen Personen, denen durch § 47 Abs. 1 BImSchG ein Klagerecht eingeräumt ist, gehören auch die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbände.“ 77
Andere relevante Vorschriften sind allerdings dadurch nicht ausgeschlossen. Damit kann der Kreis der Klageberechtigten freilich nicht nur auf juristische Personen des Privatrechts eingeschränkt werden.78 Das BVerwG sieht in § 3 UmwRG eine Grundentscheidung des deutschen Gesetzgebers, dass allein anerkannte Umweltschutzvereinigungen, die gemäß den gesetzlichen Vorgaben anerkannt worden seien, das Recht haben sollen, vor Gericht geltend zu machen, dass dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verletzt worden seien. Auch die naturschutzrechtlichen Mitwirkungsrechte (gem. §§ 63 i.V. m. 64 BNatSchG) könnten nur von solchen Vereinigungen in Anspruch genommen werden. Andererseits sieht das Gericht keine normativen Anhaltspunkte dafür, dass 75 Vgl. ACCC/C/2010/48, Rn. 71 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 34, ZUR 2014, S. 52 ff. Für den Zugang zu dem Überprüfungsverfahren soll eine Vermutung sprechen. Er darf nicht die Ausnahme sein. Als Kriterien kommen die Betroffenheit oder ein Interesse in Betracht. Ausdrücklich als nicht ausreichend hat es das Compliance Committee im Verfahren gegen Österreich angesehen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK eine Verbandsklage vorgesehen ist. 76 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 47 ff., ZUR 2014, S. 56 ff.; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13; W. Frenz, UPR 2014, S. 1. 77 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 47, ZUR 2014, S. 56. 78 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14.
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„bei Aufstellung von Luftreinhalteplänen das grundsätzlich auch Umweltverbänden eingeräumte Recht, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftreinhalterechts zu verlangen, an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein könnte“.79
Dementsprechend verlangt es, dass die klagebefugten Umweltschutzvereinigungen Teil nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind, wie sie in Art. 2 Nr. 5 AK und in dem fast gleichlautenden Art. 3 Nr. 1 ÖB-RL definiert ist.80 In Übereinstimmung mit dem TrianelUrteil des EuGH81 genügt es somit, dass nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, ein Interesse haben, so dass sie sich die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zum eigenen Anliegen machen können.82 Selbst die Geltendmachung der öffentlichen Belange des Umweltschutzes ist insoweit ausreichend dafür, dass Umweltschutzvereinigungen Träger von materiellen subjektiven Rechten werden.83 Damit verdeutlicht das BVerwG zugleich, dass nicht jede Umweltschutzvereinigung derartige Rechte durchsetzen kann. Die entsprechende Anwendung des Art. 3 UmwRG wäre daher naheliegend, um zu klären, welche Vereinigungen die nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen. Die Begrenzung auf nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigungen verhindert somit, dass eine weder völker- noch europarechtlich geforderte Popularklage eröffnet wird.84 Ausgehend vom sog. Janecek-Urteil hat die Rechtsprechung des EuGH85 schon festgestellt, dass unmittelbar betroffenen juristischen Personen in gleicher Weise wie natürlichen Personen ein Klagerecht zusteht. Zu diesen unmittelbar betroffenen juristischen Personen, denen das Luftqualitätsrecht ein Klagerecht einräumt, gehören zumindest die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen. Dass der Kläger als juristische Person in seiner Gesundheit nicht
79 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 50, ZUR 2014, S. 57; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13; T. Bunge, ZUR 2014, S. 5. 80 Als „betroffene Öffentlichkeit“ definieren Art. 2 Nr. 5 AK und – für die UVP – inhaltlich entsprechend Art. 3 Nr. 1 ÖB-RL die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse; s. auch Art. 2 Abs. 3 ÖB-RL; BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 49, ZUR 2014, S. 57. 81 EuGH, Urt. v. 12.5.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 43 ff., NVwZ 2011, S. 803 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./ Bezirksregierung Arnsberg). 82 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 49, ZUR 2014, S. 57; W. Frenz, UPR 2014, S. 1. 83 Vgl. W. Frenz, UPR 2014, S. 1; M. Gellermann, DVBl 2013, S. 1342, m.w. N. 84 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13, m.w. N. 85 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221, Rn. 39 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff.
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betroffen sein kann, soweit das Luftqualitätsrecht dem Schutz der Umwelt als solcher und damit einem Allgemeininteresse dient,86 spielt für die Zulässigkeit der Klagebefugnis der Vereinigung keine Rolle. In diese Richtung hat außerdem der EuGH anerkannt, dass natürliche und juristische Personen von der Verletzung der Regeln über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Schadstoffe hinreichend unmittelbar betroffen sein könnten, um den Erlass der notwendigen Maßnahmen zu verlangen.87 Obwohl der EuGH die Kriterien für die Betroffenheit als Anknüpfungspunkt für eine subjektive, klagefähige Rechtsposition nicht näher erläutert hat, ist die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten über die Geltendmachung individueller Rechtspositionen hinaus darin angelegt.88 Zu beachten ist, dass der Fachausdruck „juristische Person“ auf den ersten Blick dafür zu sprechen scheint, dass das BVerwG allein Vereinigungen mit eigener Rechtspersönlichkeit meint. Da die hier diskutierte Klage von einer eingetragenen Vereinigung erhoben worden war, machte das BVerwG allerdings nicht deutlich, ob es diese Befugnis nur jenen anerkannten Vereinigungen zugesteht, bei denen es sich um juristische Personen im herkömmlichen Sinn des § 21 BGB handelt, oder ob es alle anerkannten Umweltschutzvereinigungen – unabhängig von deren Organisationsform – als „juristische Personen“ bezeichnet.89 Berücksichtigt man aber das zentrale Anliegen des BVerwG, die schon skizzierten Vorgaben des Braunbären-Urteils des EuGH anzunehmen, lässt sich das BVerwG-Urteil nur in dem Sinn verstehen, dass die Klagebefugnis allen anerkannten Umweltschutzvereinigungen – unabhängig von ihrer Organisationsform – zustehen soll.90 Dies scheint sachgerecht zu sein, denn § 3 Abs. 1 UmwRG stellt nicht auf die Organisationsform ab und erlaubt es deshalb, auch Vereinigungen anzuerkennen, bei denen es sich nicht um juristische Personen handelt.91 Die Vorschrift verlangt jedoch, dass die jeweilige Vereinigung über eine Satzung – und damit wenigstens über eine gewisse verfestigte Struktur – verfügt.92 Obwohl diese Vorschrift für Rechtsbehelfe aufgrund des § 2 UmwRG und des § 64 BNatSchG bisher gilt, dürfe sie vor allem aus Rechtssicherheitsgründen auch bei anderen Konstellationen, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 2 UmwRG fallen (etwa das Luftreinhalterecht bei dem hier diskutierten Urteil), analog anwendbar sein. Dies stehe auch im Einklang mit dem Inhalt des Art. 9 Abs. 3 AK, der auch anderen Personenzusammenschlüssen, die keine ei86
BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 42, ZUR 2014, S. 56. EuGH, Urt. v. 26.05.2011 – Rs. C-165/09 bis C-167/09, Slg. 2011 – I-4599, Rn. 93 (Stichting Natuur en Milieu u. a.), EuZW 2012, S. 79 ff. 88 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 44, ZUR 2014, S. 56. 89 T. Bunge, ZUR 2014, S. 5. 90 Ebd. 91 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14. 92 Ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., D. ff. 87
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gene Rechtspersönlichkeit besitzen (z. B. eher locker organisierte Bürgerinitiativen), den Zugang zu den Gerichten ermöglichen soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Begriffs „Öffentlichkeit“ in Art. 2 Nr. 4 AK. Das deutsche Recht bliebe daher hinter den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 AK zurück, wenn allein eingetragene Vereinigungen die hier interessierenden Rechtsbehelfe auf § 42 Abs. 2 VwGO stützen könnten.93 Angesichts der Tatsache, dass bisher keine weiteren Bestimmungen über Verbandsklagebefugnisse in Umweltangelegenheiten vorliegen, lag es nahe, die sachliche Relevanz der Vereinigungsanerkennung nach § 3 UmwRG zu erweitern. In dieser Hinsicht wäre es sinnvoll, die „neue“ auf § 42 Abs. 2 VwGO gestützte Konzeption des BVerwG der Klagebefugnis von Umweltvereinigungen ausdrücklich davon abhängig zu machen, dass die klagende Vereinigung über eine solche behördliche Anerkennung verfügt.94 Von diesem Ausgangspunkt aus könnte man daran denken, auch andere Vorschriften des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes analog anzuwenden. Zusammengefasst gewährt § 47 Abs. 1 BImSchG nach einem an unionsrechtlichen Vorgaben orientierten Verständnis einer anerkannten Umweltschutzvereinigung eigene Rechte im Sinne von § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO. Infolgedessen kann bei Beachtung dieser Leitlinie das deutsche Recht so ausgelegt werden, dass den nach dem UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen ein Recht auf Beachtung der Vorgaben des zur Umsetzung einer unionsrechtlichen Richtlinie erlassenen Luftreinhalterechts eingeräumt ist. Dieses Recht können somit die anerkannten Umweltschutzvereinigungen gerichtlich geltend machen.95 Das BVerwG setzt im Ergebnis de facto das Braunbären-Urteil des EuGH dadurch um, dass es der klagenden Umweltschutzvereinigung aus § 47 Abs. 1 BImSchG ein Klagerecht einräumt und ihn damit als „Träger von materiellen subjektiven Rechten“ sieht. Es stützt sich damit nicht auf Völkerrecht, sondern auf nationales Recht.96 4. Eine Umweltvereinigung darf ein fremdes Interesse zum eigenen Anliegen machen – Begründung Obwohl der Sachverhalt dieses Falles es erlaubt, auf die Erörterung des Kriteriums „räumliche Betroffenheit“ zu verzichten, da die klagende Vereinigung bundesweit tätig ist, wird jedoch dieses Kriterium vom BVerwG erwähnt. Im Hinblick auf die Betroffenheit der jeweils klagenden Vereinigung stellt nämlich das BVerwG fest, dass die Betroffenheit der Vereinigung durch einen räumlichen Be93
T. Bunge, ZUR 2014, S. 5. Ebd., S. 6. 95 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 38 ff., ZUR 2014, S. 56. 96 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 47, 49, ZUR 2014, S. 56 ff.; W. Frenz, UPR 2014, S. 1. 94
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zug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt wird.97 Daraus folgt Folgendes: Würde die Betroffenheit durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt, könnte dann die jeweils anerkannte klagende juristische Person ein fremdes Interesse (so etwa als dort ansässiges Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter) zum eigenen Anliegen machen.98 Spiegelbildlich zum Durchgriff auf das personale Substrat werden hier die Umweltschutzvereinigungen dem Rechtsgedanken des Art. 19 Abs. 4 GG folgend Sachwalter eigener Anwohnerinteressen.99 Die jeweilige Vereinigung dürfte dieses Interesse in seiner Satzung mitumfassen. Außerdem muss auch beachtet werden, dass der Begriff „satzungsgemäßer Aufgabenbereich“ gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG auch eine räumliche Bedeutung umschließt, die abhängig von der Bestimmung des Tätigkeitsbereichs in der Satzung der Umweltvereinigung ist.100 Deshalb ließe sich daran denken, in den hier relevanten Fällen auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG analog anzuwenden. Danach setzt die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs einer Vereinigung voraus, dass dieser geltend macht, dass er durch die angegriffene Entscheidung oder deren Unterlassen in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich (Förderung des Umweltschutzes) verletzt werde.101 Mit seinen Feststellungen öffnet das BVerwG den Rechtsschutz systemimmanent, indem es die personale Reichweite des subjektiven Rechts neu vermisst, das aus den von der klagenden Vereinigung in Anspruch genommenen Vorschriften nach § 47 Abs. 1 BImSchG i.V. m. § 27 der 39. BImSchV erwächst.102 Es handelt sich um eine Transformation des personalen Gehalts der unionsrechtlich geschützten Rechtsgüter in eine individuelle Klagebefugnis. Diese Transformation lässt sich allerdings nicht schematisch auf Umweltschutzvereinigungen übertragen.103 Denn Umweltschutzvereinigungen verteidigen i. d. R. nicht die Gesundheit ihrer Mitglieder als Individualrechte, sondern die Gesundheit aller Be-
97 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 45, ZUR 2014, S. 56; so: J. Ziekow, ZUR 2010, S. 794. 98 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 45, ZUR 2014, S. 56; K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 42. 99 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 42. 100 Dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., V. 101 Vgl. T. Bunge, ZUR 2014, S. 7. 102 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 42. Dass ein subjektiv-öffentliches Recht auf Erlass von Luftreinhalteplänen nach § 47 Abs. 1 BImSchG besteht, wurde bereits mit dem „Janecek-Urteil“ des EuGH festgestellt (EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221, Rn. 34 ff. (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff.), das aber nur einen Individualkläger betraf, der die dem deutschen Recht zugrunde liegenden Vorschriften des europäischen Luftreinhalterechts gerichtlich durchsetzen können müsste, weil sie prinzipiell individuellen Rechten des Gesundheitsschutzes zu dienen bestimmt sind. 103 Ebd.
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troffenen als Gemeinwohlbelang.104 Das BVerwG behandelt aber in diesem Fall die Umweltschutzvereinigungen nicht als „Anwälte der Umwelt“ bei der altruistischen Durchsetzung des objektiven Rechts, sondern als rechtlich verfasste Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die um ihr eigenes Recht streiten, das ihnen kraft Unionsrecht zusteht.105 Vor diesem Hintergrund ist immer eine Verletzung der subjektiven Rechtsposition einer anerkannten Umweltschutzvereinigung festzustellen, soweit die jeweilige Behörde eine dem Umweltschutz dienende und auf EU-Recht zurückgehende Rechtsvorschrift nicht oder fehlerhaft angewandt hat.106 Die in dieser Weise vom Unionsrecht (indirekt) zugebilligte Rechtsmacht der Umweltschutzvereinigungen, d. h. die Befugnis, ein fremdes Interesse zum eigenen Anliegen zu machen, ist somit in unionsrechtskonformer Auslegung des § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO als subjektives Recht anzuerkennen.107 Die Subjektivierung des objektiven Rechts ist damit begründet, dass diese Rechtsmacht aus dem Effektivitätsgebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) folge.108 Zugleich bestimmt diese Rechtsmacht das Verständnis der zur Umsetzung des Unionsrechts erlassenen mitgliedstaatlichen Vorschriften. Daraus folgt auf nationaler Ebene eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven Rechts. Ein solches Verständnis kann der Entwicklung des Unionsrechts ausreichend Rechnung tragen. Dieses Verständnis ist von Anfang an von der Tendenz geprägt gewesen, durch eine großzügige Anerkennung subjektiver Rechte den Bürger auch für die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts zu mobilisieren.109 Der Bürger hat damit zugleich – bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts – eine prokuratorische Rechtsstellung inne.110 Diese Rechtsstellung des Bürgers könnte sich somit wohl auch durch die Erstreckung der Klagebefugnis von anerkannten Vereinigungen, deren Mitglieder i. d. R. Bürger sind, auch auf den Rechtsschutz von Interessen der Allgemeinheit, etwa die umweltbezogenen Interessen, ausrichten. In diesem Zusammenhang hat außerdem der EuGH gem. Art. 13 Abs. 1 EUV bereits eine wirksame Zielverwirklichung angemahnt,111 so dass die Mitglied104
T. Groß, DV 2010, S. 363. K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 42. 106 Vgl. T. Bunge, ZUR 2014, S. 12. 107 Vgl. K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 41 ff. 108 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 43. 109 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 46, ZUR 2014, S. 56, m.w. N.; so: J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 26 ff.; K.-F. Gärditz, EurUP 2010, S. 219 ff.; M. Hong, JZ 2012, S. 383. 110 Ebd. 111 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320; J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1144. 105
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
staaten und deren Untergliederungen (einschließlich der Gerichte) gem. dem Effektivitätsgrundsatz des Art. 4 Abs. 3 EUV schon alle geeigneten Maßnahmen für die Verwirklichung dieser Ziele ergreifen müssen.112 Der Begründung des BVerwG nach bedarf es des rechtlichen Interesses eines Betroffenen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, um den Vereinigungen die oben dargestellte prokuratorische Klageposition zur Geltendmachung dieser Rechte einzuräumen.113 Eine Auslegung des § 47 Abs. 1 BImSchG dahingehend, dass neben unmittelbar betroffenen natürlichen Personen auch Umweltschutzvereinigungen das Recht haben, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, ist somit – der Auffassung des BVerwG nach – auch durch Art. 23 RL 2008/50/EG und Art. 9 Abs. 3 AK geboten.114 Würde eine solche Auslegung nicht möglich, verstießen die fehlenden Klagerechte in diesem Rechtsgebiet gegen den Geist und Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 AK.115 Letztlich korrespondiert die Generalität der flächenbezogenen Luftreinhalteplanung mit einer Entformalisierung des Kreises subjektiver Berechtigter.116 Aus dieser Analyse scheint sich zu ergeben, dass eine prokuratorische Rechtsmacht der Umweltschutzvereinigungen, fremde Interessen zum eigenen Anliegen zu machen, keine eigene Bedeutung für § 42 Abs. 2 VwGO besitzt. Beriefe sich eine Vereinigung ausschließlich auf diese Rechtsposition, könnte sie also nicht automatisch darlegen, dass diese Rechtsposition verletzt worden sei. Vielmehr muss die klagebefugte Vereinigung dazu immer auch anderweitige auf EU-Recht zurückgehende Vorschriften heranziehen.117 In diesem Zusammenhang weist das BVerwG maßgeblich darauf hin, dass der prokuratorischen Rechtsmacht der Umweltschutzvereinigungen selbst der Charakter eines subjektiven Rechts zukommen soll, soweit die Vereinigungen die Einhaltung von unionsrechtlich begründeten Umweltvorschriften kontrollieren lassen wollen.118 Insoweit berief die Vereinigung sich in diesem Fall auf die Rechte aufgrund des § 47 BImSchG und des Art. 23 der Luftreinhalte-RL. Im Anschluss daran führt das BVerwG aus, dass die fachrechtliche Vorgabe des § 47 BImSchG neben Einzelpersonen auch Vereinigungen ein Klagerecht einräume.119 Es kommt somit 112
W. Frenz, UPR 2014, S. 2. Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 43 ff., ZUR 2014, S. 56; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13. 114 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, Rn. 48, S. 56; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13. 115 Vgl. R. Klinger, ZUR 2014, S. 2. 116 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 43. 117 T. Bunge, ZUR 2014, S. 7. 118 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 46, 48, 50, ZUR 2014, S. 56 ff.; T. Bunge, ZUR 2014, S. 8. 119 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 47, ZUR 2014, S. 56. 113
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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stets darauf an, welches möglicherweise beeinträchtigte Interesse sich die Vereinigung zum eigenen Anliegen macht. Das oben dargestellte Ergebnis scheint plausibel zu sein, denn der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz erfordere nicht nur, dass Belange Einzelner, sondern auch objektive Interessen, die durch das Unionsrecht geschützt werden sollen, effektiv etwa von juristischen Personen durchgesetzt werden.120 Außerdem ist anzunehmen, dass in Anlehnung an das Trianel-Urteil sowie an das BraunbärenUrteil des EuGH das BVerwG den Vereinigungen eine prokuratorische Rechtsstellung zulässt.121 Kurzgefasst sollen die Umweltschutzvereinigungen die praktische Wirksamkeit und Einheit des Unionsrechts gewährleisten und damit zugleich kraft des Effektivitätsprinzips für die Geltendmachung von unionsrechtlich geschützten Umweltbelangen sorgen. Sie erhalten damit quasi eine doppelte Sachwalterfunktion. Denn sie sind nicht zuletzt beauftragt, dem Unionsrecht gerichtlich zur Wirksamkeit zu verhelfen, sondern auch zugleich die materielle Umsetzung des Unionsrechts sowie des nationalen Rechts zu gewährleisten. Es scheint somit, dass das BVerwG mit dieser Funktionszuweisung die fehlende räumliche und zeitliche Betroffenheit der Umweltschutzvereinigung in eigenen, subjektiven Rechten überbrücken will. Gerade diese europarechtlich bedingte Prokura zugunsten der Umweltschutzvereinigungen ermächtigt sie, die Einhaltung der zwingenden überindividuellen Vorschriften (also bei dem hier diskutierten Fall des Luftqualitätsrechts) zu verlangen.122 Das Verleihen einer solchen Rechtsmacht durch das BVerwG zugunsten der anerkannten Umweltschutzvereinigungen sollte allerdings nicht bloß als eine „Brücke“ zwischen subjektiven Individualrechten und der Möglichkeit, zu deren Schutz gewissermaßen treuhänderisch eine VK zu erheben, betrachtet werden. Vielmehr sollte diese Rechtsmacht als eine eigenständige rechtliche Relevanz verstanden werden, die die Klagebefugnis anerkannter Umweltschutzvereinigungen stützt, auch die Verletzung objektivrechtlicher Interessen gerichtlich anzugreifen.123 Sähe man diese privilegierte Rechtsposition der Vereinigungen indessen nur als „Brücke“ ohne eigenständige rechtliche Relevanz, hinge dann immer die Zu120
BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 42 ff., ZUR 2014, S. 52 ff. R. Klinger, EurUP 2014, S. 181 ff. 122 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 48, ZUR 2014, S. 56; S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14; vgl. dazu A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden, 2006, S. 16; M. Genth, NuR 2008, S. 30; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 377; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014; jeweils S. 8, m.w. N.; ausführlich zu der privilegierten Rolle der Umweltschutzvereinigungen in 1. Teil, 2. Kap., C., I., 3. 123 In diese Richtung auch T. Bunge, ZUR 2014, S. 7; W. Frenz, UPR, 2014, S. 2. 121
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
lässigkeit einer Klage, die die Vereinigung gemäß § 42 Abs. 2 VwGO auf die Verletzung von Rechten stützt, davon ab, dass es subjektive Rechte des Einzelnen gibt, deren Wahrnehmung die Vereinigung sich zur eigenen Aufgabe macht und machen kann. Daraus folge, dass die Umweltschutzvereinigungen nur diejenigen Verletzungen des nationalen Umweltrechts vor Gericht geltend machen können, die subjektive Rechte von Individuen betreffen.124 Dies scheint aber eher eine vage Vermutung zu sein. Denn dem hier diskutierten Urteil des BVerwG ist nicht zu entnehmen, dass das BVerwG damit Verletzungen von Vorschriften, für die eine subjektive Rechtsverletzung ausgeschlossen ist (etwa das Naturschutzrecht), als nicht durch anerkannte Umweltschutzvereinigungen einklagbar ansehen wollte.125 Gleichzeitig aber kann aus diesem Urteil nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass Umweltschutzvereinigungen – losgelöst von nationalrechtlichen Vorgaben – ein generelles umweltschutzrechtliches Klagerecht eingeräumt werden soll. Vielmehr gebietet in dem Fall der eingeklagten Einhaltung der Luftreinhaltepläne das Unionsrecht eine zu erweiternde Auslegung gerade aufgrund der aus dem Luftqualitätsrecht folgenden subjektiven Rechtspositionen. Dass diese rechtlichen Erwägungen auch – über § 47 Abs. 1 BImSchG hinaus – auf alle weiteren denkbaren umweltrechtlichen/immissionsschutzrechtlichen Sachverhaltskonstellationen ausgedehnt werden sollen, lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen.126 Diese Frage bleibt somit noch offen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie die Theorie und die Rechtsprechung auf diese Problematik reagieren werden. Daneben führt die oben dargestellte Annahme zu einer erheblichen Einschränkung der Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen. Damit würden die Umweltschutzvereinigungen hinsichtlich der Klagemöglichkeiten mit Individuen gleichgestellt. Ihre schon skizzierte Sonderstellung würde konterkariert. Denn die Tatsache, dass anerkannte Umweltschutzvereinigungen auch prokuratorisch für umweltbezogene überindividuelle Rechte z. B. der Natur und der Landschaft gerichtlich vorgehen dürfen, ist einer der wesentlichsten Gründe für die Begründung der altruistischen VK.127 Vor diesem Hintergrund würden Umweltschutzvereinigungen über das subjektive Recht praktisch auf einen Minimalstandard zurückgestutzt. Darin könnte aber keine effektive Verwirklichung von Rechtsschutzmöglichkeiten realisiert werden. Eine solche Konzeption verstieße gegen das EU- sowie das Völkerrecht der AK, wonach Umweltvereinigungen gerade weitere Rechte als die Individuen haben, wie unter anderem das bereits dargestellte Trianel-Urteil des EuGH expli124 125 126 127
R. Klinger, EurUP 2014, S. 181. Ebd. VG Minden, Beschl. v. 18.03.2014 – 11 L 706/13, Rn. 44, juris. Mehr dazu in: 1. Teil, 2. Kap., C., I., 3.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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zit judizierte.128 Insbesondere Art. 9 Abs. 3 AK beschränkt den Gerichtszugang der Öffentlichkeit nicht auf Verstöße gegen drittschützende Normen des nationalen Umweltrechts.129 Vielmehr muss die klageberechtigte Öffentlichkeit in der Lage sein, jeden Verstoß gegen umweltrechtliche Vorschriften gerichtlich beklagen zu können.130 Ein solches Konzept widerspräche schließlich auch dem Effektivitätsgrundsatz, wenn die betreffenden Vereinigungen keine Verletzung von aus dem Umweltrecht der Union hervorgegangenen Rechtsvorschriften geltend machen können, nur weil Letztere Interessen der Allgemeinheit schützen.131 Der Hauptgrund dafür ist, dass ein solches Rechtskonzept den Umweltschutzvereinigungen weitgehend die Möglichkeit nähme, die Beachtung der aus dem Unionsrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, die in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet sind.132 Eine solche Folge sollte somit auf nationaler Ebene vermieden werden.133 Gerade deswegen muss die oben dargestellte prokuratorische Rechtsmacht der Umweltschutzvereinigungen dahingehend verstanden werden, dass ihr Gegenstand nicht nur aus fremden Individualrechten besteht, sondern noch weitergehend aus fremden Interessen der Allgemeinheit sowie öffentlichen Belangen besteht, die keine subjektivrechtliche Komponente besitzen.134 Eine solche Auslegung würde jedenfalls auch im Einklang mit den Anforderungen des Trianelund Braunbären-Urteils stehen, die, wie bereits gezeigt wurde, einen möglichst weiten und umfangreichen Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auch für die Umweltschutzvereinigungen sicherstellen sollen.135 Diese erweiterte Rechtsschutzkonzeption führt zu dem Schluss, dass es für die Klagebefugnis der anerkannten Umweltschutzvereinigungen (gem. § 3 UmwRG) 128 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802 ff.; so auch EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd); T. Bunge, ZUR 2014, S. 7 ff. 129 R. Klinger, EurUP 2014, S. 181 ff. 130 A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2013, S. 297 ff. 131 W. Frenz, UPR 2014, S. 2. 132 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 46 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802 ff. 133 W. Frenz, UPR 2014, S. 2. 134 Dies ergibt sich vor allem aus: BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 49, 50, ZUR 2014, S. 57. Dort wird charakteristisch festgestellt: „Diese Vereinigungen (d. h. Vereinigungen, die zu der betroffenen Öffentlichkeit gehören) sollen sich die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zum eigenen Anliegen machen.“ 135 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16.
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
aufgrund des § 42 Abs. 2 VwGO künftig keine Rolle mehr spielt, ob eine dem Umweltschutz dienende Vorschrift bestimmten Einzelpersonen subjektive Rechte einräumt oder aber allein objektives Recht enthält.136 5. Zur Frage der Beschränkung der Umweltverbandsklage auf die Verletzung unionsrechtlich begründeter umweltbezogener Vorschriften Beachtenswert ist, dass die oben dargestellte unionsrechtsfreundliche Auslegung – der Ansicht des BVerwG nach – gewährleistet ist, wenn Umweltschutzvereinigungen ebenfalls die Verletzung innerstaatlicher und auf EU-Vorgaben zurückgehender Normen rügen können, die keine subjektiven Rechte Einzelner begründen.137 Diese Beschränkung der Verbandsklagebefugnis nur auf unionsrechtlich begründete Umweltvorschriften ist von der Sache her nicht ganz verständlich. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Umweltgüter wohl auch durch rechtliche Verletzungen gegen rein innerstaatliche umweltbezogene Vorgaben beeinträchtigt werden können. Dabei enthält auch die AK und speziell Art. 9 Abs. 3 AK keine derartigen eingeschränkten Anforderungen.138 Gem. Art. 9 Abs. 3 AK muss die klageberechtigte Öffentlichkeit in der Lage sein, jeden Verstoß gegen umweltrechtliche Vorschriften gerichtlich beklagen zu können, und weder nur solche, die „prokuratorisch“ geltend gemacht werden, noch nur solche umweltbezogenen Vorschriften, die aus dem Unionsrecht folgen.139 Außerdem lässt es sich nur schlecht vermitteln, dass eine Vereinigung im Rahmen einer Klage gegen die Zulassung eines nicht UVP- oder vorprüfungspflichtigen Vorhaben zwar die Verletzung von EU begründeten FFH-Vorgaben (§ 34 BNatSchG) beanstanden kann, nicht aber die – aus seiner Sicht – falsche Anwendung der rein innerstaatlichen Eingriffsregelung (§§ 15 ff. BNatSchG).140 Außerdem, wie schon erklärt wurde,141 ist die Abgrenzung von europarechtlichen und rein innerstaatlichen Vorschriften gerade im Bereich des Umweltrechts i. d. R. sehr schwer.142 Dieses restriktive Verständnis ist eher auf den Sachverhalt des Braunbären-Urteils zurückzuführen,143 wobei der EuGH in seinen Feststellungen bewusst nur 136 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 49, ZUR 2014, S. 57; T. Bunge, ZUR 2014, S. 8. 137 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 16. 138 Vgl. T. Bunge, ZUR 2014, S. 9 ff.; G.-A. Balensiefen, § 2 UmwRG, in: UmwRGKomm., 2013, Rn. 5. 139 A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2013, S. 297 ff. 140 T. Bunge, ZUR 2014, S. 11. 141 s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 1. 142 Vgl. M. Kment, UPR 2013, S. 44; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 762; F. Fellenberg/G. Schiller, UPR 2011, S. 321 ff.; jeweils m.w. N.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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auf den in diesem Fall relevanten umweltschützenden Vorschriften, die aus dem EU-Recht hervorgegangen sind, beharrte.144Allein dies ist daher nicht hinreichend überzeugend, um die Beschränkung der Umweltverbandklage auf die Verletzung von umweltbezogenen Vorschriften, die aus dem Unionsrecht hervorgehen, ausreichend zu begründen. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten aktuellen völkerrechtlichen und unionalen Gesetzgebung und Rechtsprechung sollten die unionsrechtlich begründeten Rechtsvorschriften weit und nicht restriktiv ausgelegt werden. Für eine weite Interpretation dieser Vorschriften spricht eindeutig vor allem der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 AK. Denn er umfasst Rechtsbehelfe gegen die Verletzung von Bestimmungen sowohl der EU als auch der EU-Mitgliedstaaten. Insgesamt wird man deswegen alle Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten als unionsrechtlich begründet ansehen müssen, bei denen es sich thematisch um die Umsetzung von EU-Recht handelt, die also nicht entfallen könnten, ohne dass der Staat seine Umsetzungspflicht verletze.145 Demzufolge wäre es dann nicht sachgerecht, wenn man annähme, dass die Umweltschutzvereinigungen allein die Verletzung derjenigen nationalen Regelungen rügen können müssen, die den EU-Vorgaben „eins zu eins“ entsprechen. Schreibt das Unionsrecht etwa verbindlich einen bestimmten Grenzwert für einen Schadstoff vor, muss es ebenso möglich sein, eine VK auf § 42 Abs. 2 VwGO zu stützen, wenn die korrespondierende deutsche Norm einen niedrigeren Wert statuiert, sich aber aus dem Zusammenhang ergibt, dass es sich um die Umsetzung der unionalen Anforderungen handelt.146 Auf diese Richtung sollte sich auch die gerichtliche Kontrolle richten.147 Deswegen lässt sich mit einer auf § 42 Abs. 2 VwGO gestützten VK (oder ggf. mit einem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO) nicht erreichen, dass sich die Gerichte auch mit dem Inhalt der jeweiligen umstrittenen Pläne, Programme oder Planungsverfahren befassen, wenn dieser nicht ebenfalls auf unionsrechtliche Vorgaben zurückgeht. Anders gilt es somit bei jenen Plänen und Programmen, die aufgrund von Unionsrecht erstellt werden müssen. Hierzu gehören nach deutschem Recht insbesondere wasserwirtschaftliche Maßnahmenprogramme gem. 143 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 46 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ, 2011, S. 803. 144 Ebd., S. 803 ff. 145 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10. 146 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10. 147 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10. Ob z. B. der eingeklagte Planungsträger neben den aus dem EU-Recht hervorgegangenen Vorschriften über die UVP auch sonstige innerstaatliche Normen – etwa Regelungen über den planerisch festzulegenden Inhalt oder sonstige Verfahrensvorschriften – eingehalten hat, hinge davon ab, ob es sich bei ihnen gleichfalls um die Umsetzung von EU-Recht handelt.
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
den §§ 45h WHG und § 82 WHG, Risikomanagementpläne (§ 75 WHG), nationale Aktionspläne zum Schutz von Gewässern vor Nitrateinträgen (§ 62a WHG), Abfallwirtschaftspläne (§ 30 KrWG), Abfallvermeidungsprogramme (§ 33 KrWG), Luftreinhaltepläne (§ 47 BImSchG) und Lärmaktionspläne (§ 47d BImSchG).148 Insoweit führt schließlich dieses Urteil des BVerwG nicht dazu, dass auf eine VK hin etwa Bebauungs- oder Raumordnungspläne im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit sämtlichen rechtlichen Anforderungen zu überprüfen wären.149
III. Auswirkungen des BVerwG-Urteils vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 auf das deutsche Recht Nach dem Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013150 steht die Diskussion über die Auswirkungen dieses Urteils und seine Übertragbarkeit auf andere 148 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10. Hier muss aber beachtet werden, dass nach BVerwG, Urt. v. 12.11.2014 – 4 C 34.13, Rn. 18 ff., ZUR 2015, S. 233 ff. anerkannte Verbände nicht berechtigt sind, die fehlerhafte Behandlung von in Lärmaktionsplänen in dargestellten ruhigen Gebieten durch eine Flugverfahrensfestlegung zu rügen. Solche Verbände sind im Rahmen des UmwRG nicht befugt, die ruhigen Gebiete, die die zuständigen Behörden (hier das Land Berlin und die Gemeinden Teltow und Kleinmachnow) auf der Grundlage des § 47d Abs. 2 S. 2 BImSchG in ihren Lärmaktionsplänen dargestellt haben, gegen die Flugroutenbestimmung in Schutz zu nehmen. Es fehlt hier an einer planwidrigen Regelungslücke, weil sich das UmwRG zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung als seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden hat. Auch § 64 Abs. 1 BNatSchG greift im hier interessierenden Zusammenhang nicht. Eine andere Bestimmung i. S. v. § 42 Abs. 2 S. 1 VwGO, mit der eine objektive Rechtskontrolle ermöglicht wird, ist in diesem Fall irrelevant, denn die vorhandenen, der Durchsetzung umweltrechtlicher Belange dienenden Bestimmungen sind hier nicht einschlägig. Aus Art. 9 Abs. 3 AK lässt sich ein Klagerecht ebenfalls nicht herleiten. Zwar ist § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO der Auslegung zugänglich, dass neben Bestimmungen des Bundes- und des Landesrechts auch Vorschriften des Unionsrechts wie auch andere gesetzliche Bestimmungen eigenständige, von materiellen Berechtigungen losgelöste Klagerechte vermitteln können, und es ist in diesem Fall tatsächlich auch Unionsrecht berührt [nämlich Art. 8 Abs. 1 S. 1 Buchst. b S. 2 RL 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Umgebungslärm-RL), das mit § 47d Abs. 2 S. 2 BImSchG in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist]. Es muss aber berücksichtigt werden, dass Art. 9 Abs. 3 AK wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehaltes derzeit keine unmittelbare Wirkung hat (EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff., Rn. 52, NVwZ 2011, S. 673 ff.). Ein Klagerecht folgt auch nicht aus § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO. Denn der Kläger kann nicht geltend machen, durch die zu erwartende Lärmzunahme in ruhigen Gebieten in seinen Rechten verletzt zu sein. Der hier relevante § 47d BImSchG gilt nach § 47a Abs. 1 BImSchG für den Umgebungslärm, dem Menschen ausgesetzt sind. Als juristische Person wird daher der klagende Umweltverband nicht vom Anwendungsbereich des § 47a BImSchG erfasst. Zwar hat das BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 38 ff., ZUR 2014, S. 52 ff. die Auffassung vertreten, dass ein Klagerecht einer natürlichen Person zur Durchsetzung des Umweltrechts der Union auch anerkannten Umweltvereinigungen zusteht; in diesem Fall aber fehlt es an einem Klagerecht einer natürlichen Person. Dabei ist Art. 8 Abs. 1 S. 1 Buchst. b S. 2 Umgebungslärm-RL keine unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung. 149 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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Bereiche des deutschen Umweltrechts noch am Anfang.151 Jedenfalls erfährt doch die bereits im Hinblick auf die Anerkennung von individuellen Rechten europäisierte Schutznormdoktrin durch die Entscheidung des BVerwG einen weiteren Europäisierungsschub. Denn dadurch wird nunmehr für nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltschutzvereinigungen, die zumindest dem unionsbedingten Umweltrecht zur Durchsetzung verhelfen wollen, der Zugang zu Verwaltungsgerichten gem. § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO eröffnet. Insbesondere liegt jetzt mit diesem Urteil die Bestätigung dafür vor, dass das deutsche Recht der durch den EuGH geforderten Auslegung zugänglich ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich folglich der Anwendungsbereich des § 2 UmwRG als zu eng.152 1. Schwächung der Strukturfunktion der Schutznormdoktrin Eine solche Erweiterung des § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO auf Rechtssätze objektivrechtlicher Natur schwächt deutlich die Strukturierungsfunktion der Schutznormdoktrin. Denn ausgehend von der Tatsache, dass die Funktionsrolle dieser Doktrin die drittschützenden Vorschriften im Rahmen des Individualrechtsschutzsystems von gesetzlich zugewiesenen objektiven Klagerechten im Sinne überindividueller Rechtsbehelfe (§ 42 Abs. 2 HS 1 VwGO) abzugrenzen ist, scheint nunmehr nach dem Grundsatzurteil des BVerwG diese Funktion ins Leere zu laufen.153 Dieses Ergebnis beeinflusst auch die Funktion der § 113 Abs. 1 VwGO, wonach der angegriffene Verwaltungsakt aufzuheben ist, wenn er rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Im Hinblick auf die Begründetheit einer Umweltverbandsklage gem. § 42 Abs. 2 VwGO lässt sich aus der oben dargestellten Analyse ableiten, dass der Begriff der Rechtsverletzung hier denselben Inhalt haben muss wie in § 42 Abs. 2 VwGO. Denn die erstere Vorschrift bildet ja gewissermaßen das Spiegelbild der letzteren. Aufgrund der Tatsache, dass die klagende Umweltschutzvereinigung unter den oben dargestellten Voraussetzungen ein öffentliches Interesse bzw. ein umweltbezogenes Allgemeinheitsrecht zum eigenen Anliegen machen darf, so dass sie dadurch ein subjektives Recht begründen kann, besitzt nun die Voraussetzung in § 113 Abs. 1 VwGO, dass der Verwaltungsakt auch ein subjektives Recht des Klägers verlet150 Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, ZUR 2014, S. 52 ff.; vorlaufend s. zudem VG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2012, 4 K 165/12.WI, und Urt. v. 10.10.2011, 4 K 757/11.WI, sowie VG München, Urt. v. 09.10.2012, M 1 K 12.1046; s. auch T. Bunge, Zur Klagebefugnis anerkannter Umweltverbände – Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2013, ZUR 2014, S. 3 ff.; S. Schlacke, NVwZ 2014, S. 11 ff. 151 M. Sauer, ZUR 2014, S. 197. 152 Vgl. T. Bunge, ZUR 2014, S. 3 ff.; R. Klinger, ZUR 2014, S. 1 ff. 153 So auch S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14.
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
zen muss, in den hier interessierenden Fällen keine selbständige Bedeutung mehr.154 2. Mögliche Erweiterung des Anwendungsbereichs von Verbandsklagen und Vereinfachung der Klagebefugnis Die Erwägungen der dogmatischen Rechtskonstruktion des BVerwG könnten wohl auch über die in diesem Sachverhalt relevanten Rechtsvorschriften des Luftreinhalteplanungsrechts (etwa § 47 Abs. 1 BImSchG) auf alle weiteren denkbaren Sachverhaltskonstellationen ausgedehnt werden. Zwar lässt sich dies diesem Urteil nicht direkt entnehmen,155 es spricht aber gleichzeitig nichts gegen eine analoge Anwendung dieser Rechtskonstruktion auch in weiteren umweltbezogenen Sachverhaltskonstellationen, die nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG sowie des § 64 BNatSchG fallen. Vielmehr würde eine solche Ausdehnung dem Geist und Willen des Braunbären-Urteils hinsichtlich eines effektiven und weiten Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gerecht. Dies steht anscheinend auch in Übereinstimmung mit der dahingehend dargestellten Argumentation des hier diskutierten Urteils. Es scheint, dass es die Tür für eine solche Ausdehnung zugunsten des Umweltrechtsschutzes öffnet. Aufgrund dieses Urteils könnten somit die Klagegegenstände der anerkannten Umweltschutzvereinigungen gegenüber dem abschließenden Anwendungsbereich von § 64 BNatSchG und § 1 UmwRG erheblich erweitert werden. Dass die Verbandsklagegegenstände indes auf unionsrechtlich bedingte Umweltentscheidungen, -maßnahmen oder -unterlassungen beschränkt sind,156 annulliert nicht ihre eindeutige Erweiterung. Denn angesichts der Tatsache, dass das deutsche Umweltrecht ganz überwiegend auf Regelungen der Union zurückgeht, kann das dargestellte Urteil den nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen einen weiten Bereich von zusätzlichen Rechtsbehelfsmöglichkeiten eröffnen. Das hat zur Konsequenz, dass nunmehr Vereinigungen sämtliche Verletzungen von Vorschriften, die sich aus dem Unionsumweltrecht ergeben, gleichgültig, ob sie nun subjektiver oder objektiver, materieller oder verfahrensrechtlicher Natur sind, gerichtlich überprüfen können.157 Die Erweiterung der Einklagbarkeit unionalen Umweltrechts durch das BVerwG könnte dabei zu einer Ausdehnung der Kontrollbreite des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes führen.158 154
T. Bunge, ZUR 2014, S. 12. VG Minden, Beschl. v. 18.03.2014 – 11L 706/13, Rn. 44, juris. 156 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14. 157 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 13; T. Bunge, ZUR 2014, S. 13. 158 S. Schlacke, ZUR 2014, S. 17. Da die Erweiterung von Klagerechten immer auch die Freiheitsentfaltungschancen der Drittbetroffenen beeinträchtigt, schafft diese Tendenz eine grundrechtssensible Gestaltungsaufgabe. Diese Feststellung bekräftigt daher die Einsicht, dass der Vorbehalt des Gesetzes kraft Grundrechtswesentlichkeit auch im Prozessrecht gilt, so: K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 42, m.w. N. 155
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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So könnte z. B. eine anerkannte Umweltschutzvereinigung aufgrund des § 42 Abs. 2 VwG nunmehr etwa ganz generell die Zulassung von Projekten anfechten, sofern sie die Verletzung umweltrechtlicher Bestimmungen rügt, die aus dem EU-Recht hervorgehen. Im Lichte der Rechtskonstruktion des BVerwG-Urteils vom 05.09.2013 könnte es § 42 Abs. 2 VwGO einer anerkannten Umweltschutzvereinigung erlauben, Klage z. B. gegen behördliche Entscheidungen im Gefahrstoff- und Gentechnikrecht zu erheben (etwa gegen die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln oder Entscheidungen aufgrund des Chemikalien- oder des Gentechnikgesetzes). Ebenso könnte man aufgrund dieses Urteils davon ausgehen, dass § 42 Abs. 2 VwGO Umweltschutzvereinigungen zulässt, behördliche Entscheidungen oder Unterlassungen im Bereich des Naturschutzrechts anzufechten, soweit diese auf unionsrechtliche Regelungen zurückgehen.159 Trotzdem darf nicht außer Acht bleiben, dass eine Subjektivierung des objektiven Umweltrechts voraussichtlich dort scheitert, wo es dem materiellen Umweltrecht an jedwedem personalen Kern fehlt, der einer Subjektivierung zugänglich ist. Dies könnte vor allem in weiten Bereichen des Naturschutzrechts der Fall sein (etwa im Artenschutzrecht), insbesondere im Außenbereich, wo es kein Anwohner und kein Bauvorhaben gibt.160 Aus dem bereits skizzierten Art. 9 Abs. 3 AK folgenden, weiten Verständnis des Umfangs der umweltschützenden VK, wonach die anerkannten Umweltschutzvereinigungen berechtigt sind, jegliche Verstöße gegen Umweltschutzvorschriften (seien es solche des Unionsrechts, seien es solche des nationalen Rechts) gerichtlich verfolgen zu lassen, könnte sich ergeben, dass die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen auch gegen rein nationale oder aus dem Unionsrecht hervorgehende Vorsorgevorschriften, die über den Anwendungsbereich der aktuell geltenden natur- und umweltschützenden VK hinausgehen, gerichtlich vorgehen können.161 Die restriktive Rechtsprechung zum Vorsorgeschutz könnte somit nicht mehr haltbar sein.162 Das weite Verständnis des Art. 9 Abs. 3 AK könnte sich auch auf die Praxis der Handhabung des Opportunitätsprinzips des § 47 Abs. 1 OWiG bezüglich der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten auswirken. Danach sind Vollzugsbehörden in der Lage, Verstöße gegen nicht strafbewehrte Umweltschutzvorschriften nicht zu verfolgen, wenn sie dafür legitime Gründe, etwa mangelnde personelle oder finanzielle Kapazitäten, anführen konnten.163 Im Lichte des Art. 9 Abs. 3 AK
159
T. Bunge, ZUR 2014, S. 11, m.w. N. K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 43. 161 R. Klinger, EurUP 2014, S. 182 ff.; zu der Einklagbarkeit der Vorsorgenormen im Rahmen nur des UmwRG s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2. 162 Zu der Rechtsprechung und der Lehre bezüglich der Vorsorgenormen s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., II., 1. ff. 163 R. Klinger, EurUP 2014, S. 183. 160
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1. Teil, 5. Kap.: Tendenzen zur Erweiterung des Umweltrechtsschutzes
kann dieses Opportunitätsprinzip insbesondere im Bereich des Umweltschutzes nicht in dieser Form beibehalten werden. Stellte man sich vor, dass Anwohner eine verkehrsrechtliche Anordnung für eine Verbesserung des Lärmschutzes in ihrem Wohngebiet durchsetzen würden (z. B. durch eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20 km/h), die Einhaltung dieser Beschränkung aber von den zuständigen Behörden wegen mangelnder personeller und finanzieller Kapazitäten nicht ausreichend überprüft werden könnte, dann könnten theoretisch gem. Art. 9 Abs. 3 AK anerkannte Umweltschutzvereinigungen eine solche Unterlassung oder fehlerhafte Handlung anfechten.164 Dies zeigt, wie weit der Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK und möglicherweise einer sich darauf stützenden altruistischen umweltschützenden VK im Gebiet des nationalen Umweltschutzes gehen kann. 3. Rechtliche Inkonsistenzen Parallel dazu soll berücksichtigt werden, dass die durch das BVerwG gewählte dogmatische Konstruktion, die von einer analogen Anwendung des UmwRG absieht, unvermeidlich zu einer weiteren Zersplitterung des Umweltrechtsschutzes führt, je nachdem, ob die VK ihre rechtliche Grundlage in Art. 9 Abs. 2 AK (d. h. Sachverhalte die in den Anwendungsbereich des UmwRG fallen) oder in Art. 9 Abs. 3 AK (d. h. Sachverhalte die sich außerhalb des Anwendungsbereichs des UmwRG befinden) hat. Denn dadurch, dass die Vorschriften des BVerwG nicht analog anwendbar sind, folgt unvermeidlich, dass auch die in § 4 und § 4a UmwRG enthaltenen Einschränkungen des Umweltrechtsschutzes in Verfahren, die nicht unter Art. 9 Abs. 2 AK, sondern unter Art. 9 Abs. 3 AK fallen unanwendbar bleiben.165 Infolgedessen ergibt sich daraus ein uneinheitliches, inkonsistentes Umweltrechtsschutzsystem. Charakteristisch dafür ist, dass das BVerwG die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen für anerkannte Umweltschutzvereinigungen, die ihre Klage auf § 42 VwGO stützen, nicht an zusätzliche Voraussetzungen knüpft. Daraus folgt, dass die vorliegenden Vorgaben des § 2 Abs. 1 UmwRG oder des § 64 BNatSchG keine Rolle spielen bei Fällen, in denen § 42 VwGO die Grundlage für eine VK bildet. Dies bedeutet, dass die jeweils klagende Vereinigung im Prinzip nicht darzulegen braucht, dass sie in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt ist. Auch die Beteiligung der Vereinigung an einem vorhergehenden Verwaltungsverfahren, die eine Äußerung in der Sache einschließt, wird nicht verlangt. Dem entspricht es auch, dass die Vereinigung – anders als nach § 2 Abs. 3 UmwRG und § 64 Abs. 2 BNatSchG – ebenfalls nicht mit Einwendungen präkludiert wird, die sie schon vor der behördlichen Entscheidung hätte erheben können, aber nicht zur Sprache gebracht hat. Etwas anderes gilt nur, wenn andere Normen im Einzelfall 164 165
Ebd. R. Klinger, EurUP 2014, S. 182.
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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einen solchen Ausschluss von Einwendungen vorschreiben, z. B. § 73 Abs. 4 S. 3 und 6 VwVfG und § 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG, außerdem bei Bebauungsplänen § 3 Abs. 2 BauGB und § 47 Abs. 2a VwGO.166 Auf diese Weise wird die Klagebefugnis der Umweltschutzvereinigungen wesentlich vereinfacht. Dadurch können auch verbleibende Vollzugsdefizite im Bereich des Umweltrechts beseitigt werden. Zugleich kann dies im Allgemeinen zu einer Verbesserung des nationalen Umweltrechtsschutzes führen.167 4. Vorrang der Rechtsbehelfe nach § 2 Abs. 1 UmwRG und § 64 BNatSchG Da sich die neuen auf § 42 Abs. 2 VwGO gestützten Verbandsklagemöglichkeiten sachlich weitgehend mit dem Geltungsbereich der Verbandsklagemöglichkeiten des ursprünglichen Umweltrechtsschutzsystems von § 2 Abs. 1 UmwRG und § 64 BNatSchG sowie mit entsprechenden Vorschriften des einschlägigen Landesnaturschutzrechts überschneiden können, stellt sich zu Recht die Frage, in welchem Verhältnis die neuen Verbandsklagemöglichkeiten zu den typischen Rechtsbehelfen der naturschützenden altruistischen VK des BNatSchG und der umweltschützenden altruistischen VK des UmwRG stehen. Obwohl das BVerwG sich nicht explizit mit dieser Frage beschäftigt, lässt sich der Begründung des BVerwG entnehmen, dass die geltenden Vorschriften von § 2 Abs. 1 UmwRG und § 64 BNatSchG als spezielle Vorgaben gegenüber § 42 Abs. 2 VwGO Vorrang besitzen sollen.168 Parallel dazu spricht einiges dafür, dass der Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK, zu dessen Umsetzung das UmwRG im nationalen Recht dienen soll, als lex specialis gegenüber den Vorschriften des Art. 9 Abs. 3 AK verstanden werden sollte. Dies ist vor allem deshalb anzunehmen, weil das Unionsrecht in Verbindung mit der AK keine umfassende Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen gegen Pläne fordert, die keine möglicherweise einer Pflicht zur Durchführung einer UVP unterfallenden Vorhaben ermöglichen (vgl. Art. 11 Abs. 1 UVP-RL, entspr. Art. 9 Abs. 2 S. 1 AK).169 Es ist offensichtlich, dass der Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK sich grundsätzlich auf bestimmte UVP-pflichtige Tätigkeiten bezieht, die in Anhang I der AK ausgeführt sind und für die eine Öffentlichkeitsbeteiligung gem. Art. 6 AK erforderlich ist. Demgegenüber hat Art. 9 Abs. 3 einen deutlich weiteren, eigenständigen Anwendungsbereich in Vergleich zu Art. 9 Abs. 2 AK, denn, wie sein Wortlaut verdeutlicht, 166
T. Bunge, ZUR 2014, S. 11 ff. Ebd., S. 13. 168 Ebd., S. 12. 169 OVG Lüneburg, Urt. v. 30.04.2014 – 1 KN 110/12, Rn. 26, juris; T. Bunge, § 1 UmwRG, UmwRG-Komm., 2013, Rn. 35; B. Schieferdecker, § 1 UmwRG, in: W. Hoppe/M. Beckmann, UVPG-Komm., 2012, Rn. 19; R. Klinger, EurUP 2014, S. 182. 167
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ist er zusätzlich und unbeschadet des Art. 9 Abs. 2 AK anwendbar.170 Gerade deswegen sollte Art. 9 Abs. 2 AK als lex specialis in Verhältnis zu Art. 9 Abs. 3 AK angesehen werden. Der hier skizzierte Vorrang der Rechtsbehelfe nach § 2 Abs. 1 UmwRG und § 64 BNatSchG ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO, nach dem der Kläger die Verletzung eines eigenen Rechts nur geltend zu machen braucht, „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Einen Anhaltspunkt für den Vorrang der Verbandsklagemöglichkeiten aufgrund der erwähnten Vorschriften des UmwRG und des BNatSchG liefert vor allem der Hinweis in der Begründung des BVerwG-Urteils, dass § 1 Abs. 1 UmwRG den Anwendungsbereich des UmwRG abschließend umschreibe.171 In diesem Zusammenhang muss aber beachtet werden, dass sich ein Vorrang des § 2 Abs. 1 UmwRG und des Naturschutzrechts für die Umweltschutzvereinigungen eher nachteilig auswirkt. Denn, wie schon angemerkt wurde, legen diese speziellen Regelungen für die Zulässigkeit und Begründetheit von Rechtsbehelfen der Vereinigungen, die die Verletzung von umweltbezogenen aus dem EURecht ableitenden Vorschriften betreffen, zusätzliche Anforderungen fest, so dass es für die Vereinigungen günstiger wäre, die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO zu bevorzugen.172 Mit der Etablierung der neuen Verbandsklagemöglichkeiten aufgrund § 42 Abs. 2 VwGO verlieren unvermeidlich die oben genannten geltenden Rechtsbehelfe der Umweltschutzvereinigungen teilweise an Relevanz. Denn zuvor waren sie die einzigen Grundlagen, die es anerkannten Vereinigungen erlaubten, die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Entscheidungen in Umweltangelegenheiten zu veranlassen. Seit dem Grundsatzurteil vom 05.09.2013 des BVerwG sind sie folglich spezielle Regelungen für Teilbereiche geworden. Denn nunmehr wird die allgemeine und grundsätzlich weiterreichende Möglichkeit einer umweltschützenden VK durch § 42 Abs. 2 VwGO gewährt.173 5. Übertragung der erweiterten Umweltverbandsklage auf die Normenkontrollbefugnis Aufgrund des Urteils des BVerwG lässt sich davon ausgehen, dass die für § 42 Abs. 2 VwGO entwickelte Argumentation des BVerwG auch für das Verständnis des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO maßgeblich sein soll. § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO erklärt den Normenkontrollantrag eines Einzelnen nur für zulässig, wenn dieser geltend 170
s. o. 1. Teil, 3. Kap., B., IV., m.w. N. Vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2013 – 7 C 21.12, Rn. 31, ZUR 2014, S. 54 ff.; T. Bunge, ZUR 2014, S. 12. 172 T. Bunge, ZUR 2014, S. 12. 173 Ebd., S. 13. 171
B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12
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macht, in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Anerkannte Umweltvereinigungen sind dementsprechend nunmehr gleichfalls befugt, einen Normenkontrollantrag zu stellen, wenn sie die Verletzung einer Umweltschutzvorschrift des Bauleitplanungsrechts mit unionsrechtlicher Grundlage rügen wollen.174 Die Vereinigungen könnten auch nunmehr in allen Fällen ohne weiteres gerichtlich kontrollieren lassen, ob z. B. die zuständige Planungsbehörde die rechtlichen Vorgaben für die strategische Umweltprüfung175 eingehalten hat.176 Nach diesem Urteil vermag nunmehr die anerkannte Umweltvereinigung auch die gerichtliche Kontrolle anderer Pläne und Programme daraufhin zu erreichen, ob die Anforderungen an die Umweltprüfung eingehalten worden sind. Eine solche Möglichkeit besteht vor allem bei Bauleitplänen, Raumordnungsplänen, Bundesbedarfsplänen i. S. d. § 12e EnWG, Bundesfachplänen i. S. d. § 4 NABEG,177 Bundesfachplänen Offshore gemäß § 17a EnWG sowie bei Festlegungen nach den §§ 14 Abs. 2 und 17 Abs. 2 StandAG.178 Gleiches gilt auch bei Plänen und Programmen, die aufgrund Landesrechts einer strategischen Umweltprüfung unterzogen werden müssen.179 Dies sei möglicherweise eine beachtliche Weiterentwicklung. Denn § 2 Abs. 1 UmwRG erlaubt ihnen bisher einen Antrag auf Normenkontrolle (§ 47 VwGO) allein bei Bebauungsplänen, die Zulassungsvoraussetzungen für bestimmte UVPpflichtige Projekte festlegten. Im Übrigen war es – auf die Anfechtungsklage einer Umweltvereinigung hin – lediglich möglich, einen Plan oder ein Programm inzident auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, wenn die planerischen Vorgaben maßgebliche Bedeutung für den angegriffenen Verwaltungsakt haben.180 Entsprechendes gilt auch für eine Verpflichtungsklage.181 6. Keine zwingende Beseitigung des Individualrechtsschutzsystems Eine darüber hinausreichende Beseitigung des Individualrechtsschutzsystems und damit einhergehend eine Änderung des § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO fordert die 174
Ebd., S. 10. Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. EG, Nr. L 197, S. 30). 176 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10. 177 Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) vom 28. Juli 2011 (BGBl. I, S. 1690), geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2730). 178 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2553). 179 T. Bunge, ZUR 2014, S. 10. 180 Ebd. 181 Ebd. 175
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vorliegende Gerichtsentscheidung nicht zwingend. Erweiterungen der Schutznormen i. S. v. § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO könnten durch die aus Art. 9 Abs. 3 AK auch für den nationalen Gesetzgeber resultierende Umsetzungspflicht erforderlich sein.182 Beachtenswert ist, dass das BVerwG trotz seiner progressiven Lösung das traditionelle deutsche System der Verletztenklage in eleganter Weise schont. Vielmehr macht es dieses System zum Vehikel für einen resubjektivierten Verbandsrechtsschutz.183 Trotz der Tatsache, dass die AK mit Blick auf die VK der Art. 9 Abs. 2 und 3 AK über ein bedeutendes Innovationspotenzial verfügt, überwiegen aber die Beharrungskräfte des traditionellen deutschen Individualrechtsschutzsystems.184 Außerdem führt eine allgemeine, vollständige Subjektivierung des objektiven Umweltrechts zu einer Entkernung des Individualrechtsschutzes über das materielle Recht. Diese Gefahr könnte realisiert werden, wenn beliebige Individualrechte künstlich geschaffen werden, um ein prozessual objektives Rechtsdurchsetzungsinteresse der Allgemeinheit zu übertragen, statt individuelle Selbstbestimmung im Prozess zu ermöglichen.185 Es gibt somit keinen Anlass, die Struktur der Verwaltungsgerichtsordnung ausschlaggebend zu ändern. Vielmehr stellt dieses Urteil für das deutsche Individualrechtsschutzsystem einen Anstoß hin zur gesetzlichen Einführung eines – neben dem Individualrechtsschutz entstehenden – unionsrechtlich bedingten Interessentenklagesystems dar.186 In diesem Zusammenhang berief sich die Stellungnahme der Bundesregierung vom Dezember 2013 zu dem seit 2008 laufenden (aber nicht rechtsverbindlichen) Compliance-Verfahren gegen Deutschland vor dem AK-Compliance Committee, unter anderem auch auf das Grundsatzurteil des BVerwG. Sie betont vor allem, dass mit diesem Urteil die traditionelle Schutznormtheorie fortentwickelt wird.187 Das AK-Compliance Committee beurteilt in ihrer Entscheidung vom 20.12.2013 das Urteil des BVerwG als positiv.188 Die mögliche Anwendung des BVerwG-Urteils in allen Bereichen des nationalen Umweltrechts könnte in Einklang mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK stehen. Die Tatsache aber, dass im Allgemeinen keine gesetzliche Bestimmung vorliegt, die den Mitgliedern der Öffentlichkeit (einschließlich der Umweltorganisationen) Zugang zu einem Überprüfungsverfahren gewährleistet, um
182 183 184 185 186 187 188
S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14. K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 43 ff. Ebd. K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 43 ff. S. Schlacke, ZUR 2014, S. 14, m.w. N. M. Sauer, ZUR 2014, S. 201. Vgl. ACCC/2008/31 (Germany), Findings of 20.12.2013, Rn. 98.
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die Rechtmäßigkeit von Privatpersonen oder von Behörden vorgenommenen Entscheidungen, Handlungen oder begangenen Unterlassungen im Gebiet des nationalen Umweltrechts, die über den Anwendungsbereich des UmwRG, des BNatSchG und des USchadG hinausgehen, anzufechten, führt zu dem Schluss, dass die aktuellen, staatlichen Maßnahmen die Klagebefugnis von Umweltorganisationen nicht ausreichend sicherstellen sowie dazu, dass Handlungen oder Unterlassungen, die das nationale Umweltrecht verletzen. Vor diesem Hintergrund sind laut dem AK-Compliance Committee die deutschen Vorgaben in Bezug auf den Umweltrechtsschutz nicht vereinbar mit Art. 9 Abs. 3 AK.189
IV. Fazit Mit dem Urteil 7 C 21.12 vom 05.09.2013 versucht das BVerwG durch eine kreative Verwertung der aktuellen umweltbezogenen Rechtsprechung des EuGH (vor allem des sog. Braunbären-Urteils sowie des Trianel-Urteils) die Problematik der restriktiven Auslegungsräume der deutschen Rechtsordnung in Bezug auf die Klagebefugnis insbesondere im umweltbezogenen Bereich des Luftreinhalterechts rechtstechnisch zu überwinden. Indem das BVerwG die anerkannten Umweltschutzvereinigungen zu Teilhabern an einer allgemeinen Subjektivierung des objektiven Luftreinhalterechts macht, versucht es, die seit Jahrzehnten bestehende heftige Problematik des restriktiven Rechtsschutzes und in einigen Fällen des kaum vorhandenen Rechtsschutzes von überindividuellen Umweltgütern in der deutschen Rechtsordnung zu lösen. Das BVerwG erkennt gem. § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO klagenden Umweltschutzvereinigungen die Möglichkeit zu, gegen die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans, der den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BlmSchG i.V. m. § 27 der 39. BlmSchV genügt, einzuklagen. Das BVerwG stellt fest, dass damit die jeweils klagenden Umweltschutzvereinigungen in ihren Rechten verletzt sind. Dies gilt sogar unbhängig davon, ob das UmwRG den Umweltschutzvereinigungen eine entsprechende Klagemöglichkeit einräumt. Zwar liegt eine Stützung der Verbandsklagebefugnis auf § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO nahe, das BVerwG lehnt aber eine solche Möglichkeit ab. Denn die hier relevante Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 AK erfüllt den nach § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO erforderlichen gesetzlichen Charakter nicht. Diese Norm ist bisher nicht in das deutsche Recht umgesetzt worden. Dabei hat sie keine unmittelbare Wirkung. Im Lichte des Braunbären-Urteils des EuGH betont das BVerwG, dass nach Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK jedenfalls anerkannten Umweltschutzvereinigungen Rechtsschutz gegen Handlungen zu gewähren sei, die im Widerspruch zum unionalen Umweltrecht stehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die den
189
Ebd., Rn. 99 ff.
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Vertragsparteien nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 AK zugebilligte Gestaltungsfreiheit als geringer dar als insbesondere in Deutschland angenommen. Die Tatsache, dass das deutsche Recht keine Kriterien eingeführt hat, welche den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK regeln, könne nicht als genereller Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes verstanden werden. Vor diesem Hintergrund müssten die Vertragsparteien zwar kein System der Popularklage einführen. Sie dürften aber den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK nicht derart beschränken, dass letztlich die Mitglieder der Öffentlichkeit keine Möglichkeit haben, gegen Handlungen und Unterlassungen, die unter den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK fallen, zu klagen. In diesem Zusammenhang wird die Erforderlichkeit unterstrichen, die maßgeblichen deutschen Vorschriften entsprechend weit zu interpretieren, um das Rechtsund Verwaltungssystem an Art. 9 Abs. 3 AK anzupassen. Durch eine Subjektivierung des objektiven Rechts können sich somit die Klagemöglichkeiten der gem. § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen deutlich über den eingeschränkten Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen und umweltschutzrechtlichen VK des BNatSchG und des UmwRG hinaus erweitern. Damit kann ein umweltschützender Verbandsrechtsschutz eingeführt werden, der instrumentell zur Beseitigung der Umweltrechtsanwendungsdefizite, die dem restriktiven Gerichtszugang des deutschen Verletztenklagesystems zugeschrieben werden, entscheidend beitragen kann. Es ist denkbar, dass das BVerwG dadurch einen längst erwarteten rechtlichen Horizont eröffnet, den die Rechtsgemeinschaft (Gesetzgeber, Rechtsprechung und Theorie) eindeutig bestimmen und erklären soll. Durch die aufgrund dieses Urteils entstandene richterrechtliche Flexibilisierung der Schutznormdoktrin kann zugleich dem traditionellen Individualrechtsschutzsystem noch Rechnung getragen werden. Problematisch ist jedenfalls, dass die Anpassung des deutschen Rechts im Wege der oben dargestellten Neuinterpretation der Vorgaben aus § 42 Abs. 2 bzw. § 113 VwGO unvermeidlich durch eine fallweise vorgehende Rechtsprechung erfolgen soll. Zugleich muss beachtet werden, dass ein solcher durch die Rechtsprechung und eigentlich ohne spezielle gesetzliche Grundlage forcierter Wechsel des deutschen Rechtsschutzsystems im Sonderbereich des überindividuellen Rechtsschutzes zwar nicht die Grenzen des § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO sprengt, aber die verfassungsrechtliche Systementscheidung für den Individualrechtsschutz aushöhlt und zu systematischen Friktionen führt. Denn ausgehend von den erweiterten neuen umweltschützenden Verbandsklagemöglichkeiten der Rechtskonstruktion des BVerwG entstehen Wertungswidersprüche und rechtliche Inkonsistenzen zu den Verbandsrechtsbehelfen des § 2 UmwRG und § 64 BNatSchG. Daher ist eine weit über die Grenzen des Anwendungsbereichs des UmwRG hinausgehende gesetzliche Erweiterung des Umweltrechtsschutzes (etwa
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durch ausgedehnte altruistische Umweltverbandsklagemöglichkeiten) empfehlenswert. Damit sollen jedenfalls die Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK vollständig erfüllt werden. Vor dem dargestellten Hintergrund der Problematik der Umweltrechtsschutzdefizite im deutschen Recht und der Entwicklung der deutschen und europäischen Rechtsprechung in die Richtung eines erweiterten Umweltrechtsschutzes sollen im folgenden Kapitel Vorschläge bzw. Lösungsansätze zum Zweck eines effektiven Umweltrechtsschutzes in der deutschen Rechtsordnung vorgestellt werden.
6. Kapitel
Wege zum effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene A. Allgemeines An den vorherigen Stellen wurden Schwachpunkte des deutschen Individualrechtsschutzsystems im besonderen Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes analysiert. Es wurde in erster Linie gezeigt, dass sich die aus dem deutschen Individualrechtsschutzsystem stammende restriktive Klagebefugnis von Klägern im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes überwiegend als problematisch erweist. Denn die restriktive Anwendung der deutschen Schutznormtheorie verhindert vor allem einen vollständigen, effektiven materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtsschutz der überindividuellen Rechte und Interessen in Umweltangelegenheiten.1 Zwar hat der deutsche Gesetzgeber vor allem mit der bundesweiten Einführung einer naturschützenden altruistischen VK im Rahmen des BNatSchG2 und später mit der Einführung einer umfangreicheren umweltschützenden altruistischen VK3 – auch zur Umsetzung seiner aus der sog. AK hervorgegangenen völker- und unionsrechtlichen Pflichten – wichtige Gesetzgebungsinitiativen getroffen, um diese Rechtsschutzdefizite abzubauen, jedoch erweisen sich diese Vorschriften in der Praxis als nicht dazu geeignet, eine hinreichend effektive Gewährleistung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes zu schaffen. Denn die Klagebefugnis von Drittklägern und insbesondere von Umweltschutzvereinigungen in überindividuellen Umweltangelegenheiten bleibt immer noch hinter den Anforderungen des Völker- und Unionsrechts sowie hinter der Entwicklung der unionalen Rechtsprechung zurück.4 Daraus entstehen deutliche Bedenken auch aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH5, dass das aktuell geltende 1
s. ausführlich dazu 1. Teil, 1. Kap. s. ausführlich dazu 1. Teil, 2. Kap. 3 s. ausführlich dazu 1. Teil, 3. Kap. 4 s. o. insb. 1. Teil, 3. Kap., B., III.; 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 1., a); 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 2., a); 1. Teil, 3. Kap., E., V.; 1. Teil, 3. Kap., F., II., 1.; 1. Teil, 3. Kap., F., VI.; G., I., 1. 5 s. o. dazu u. a. 1. Teil, 4. Kap. sowie 1. Teil, 3. Kap., B., III.; 1. Teil, 3. Kap., C., III.; 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3.; 1. Teil, 3. Kap., E., V.; 1. Teil, 3. Kap., F., VI.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 1. 2
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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überindividuelle deutsche Umweltrechtsschutzsystem in verschiedenen Punkten nicht in Einklang mit den völker- und unionsrechtlichen Anforderungen steht. In Hinblick darauf scheint sich auch die aktuelle deutsche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und vor allem des BVerwG dieser Problematik bewusst zu sein. Sie tendiert daher dazu, den klagenden Rechtssubjekten (vor allem den Umweltvereinigungen) eine im Vergleich zu vorher erweiterte Klagebefugnis einzuräumen, um umweltbelastende öffentliche Handlungen und Unterlassungen anzufechten.6 Auch eine solche positive Tendenz erweist sich m. E. als nicht ausreichend, um die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im deutschen Recht vollständig zu lösen. Daher muss der deutsche Gesetzgeber entsprechende gesetzliche Initiativen ergreifen, um diesen Zustand zu verbessern.
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts Zur Behebung der bereits dargestellten bestehenden Rechtsunsicherheiten, Inkonsistenzen, Ungereimtheiten sowie Vollzugsdefizite im Bereich des deutschen Umweltrechtsschutzes wäre es sinnvoll neben den bereits dargestellten Verbesserungsansätzen, die die Funktion des aktuell geltenden UmwRG betreffen,7 weitere Lösungsansätze vorzuschlagen, die zu einer wirksameren Lösung der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes des deutschen Rechts führen könnte. Eine solche Lösung soll nicht nur auf den speziellen Bereich des UmwRG eingeschränkt werden, sondern sie soll auf den Bereich der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung sowie auf das deutsche Grundgesetz ausgestreckt werden. Damit könnte auch die Harmonisierung zwischen den unterschiedlichen Rechtsschutzsystemen der EU-Mitgliedstaaten insbesondere im Bereich des Umweltrechtsschutzes vorangetrieben werden.8 Denn die Zeit der nationalen Autarkie in Bezug auf den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten des öffentlichen Rechts scheint bereits vorbei zu sein. Vielmehr sollen zur Bestimmung eines möglichst einheitlichen und reibungslosen Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten die unionsrechtlichen grundlegenden Gebote des effektiven Rechtsschutzes sowie der praktischen Wirksamkeit des Sekundärrechts (effet utile) im Rahmen der Europäisierung des nationalen Rechts auch in der deutschen Rechtsordnung ausreichend berücksichtigt und adäquat realisiert werden.
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s. ausführlich dazu 1. Teil, 5. Kap. s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 4.; 1. Teil 3. Kap. E., V., 5., a). R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 324.
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
I. Erforderliche Unterscheidung von Umweltverbandsund Individualklage durch Gesetz Es sieht so aus, dass sich der Richter bei dem bereits diskutierten Urteil des BVerwG vom 05.09.2013 der problematischen Lage des überindividuellen Umweltrechtsschutzes bewusst ist. Das BVerwG bevorzugt eine rechtschöpferische Konzeption zugunsten einer erweiterten Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen und eröffnet dem Rechtsschutz im Umweltrecht neue Wege. Eine solche richterliche Fortentwicklung war nicht ganz unerwartet, da die deutsche Rechtsordnung bisher über keine Vorschrift verfügt, die den Umweltschutzvereinigungen zum Schutz des gesamten Umweltrechts (einschließlich der objektiven umweltbezogenen Rechte) eine Klagebefugnis einräumt. Das ist jedoch nur soweit erforderlich, als es im deutschen Recht – nach dem traditionellen Verständnis des § 42 Abs. 2 VwGO – keine spezielle Rechtsgrundlage für die in Art. 9 Abs. 3 AK angesprochenen Verbandsrechtsbehelfe gibt.9 Im Ergebnis aber bietet vor allem Art. 9 Abs. 3 AK auch aus der Sicht des EuGH eine neue Entwicklungsebene im Rahmen des Umweltrechtsschutzes. Denn es sieht so aus, dass diese Vorschrift im Kern einer Interessentenklage im Bereich des Umweltschutzes folgt. Vor diesem Hintergrund wird sich auch das deutsche Recht in diese Richtung ändern müssen.10 Hierdurch wird der bis dahin geltende Anwendungsbereich des § 1 UmwRG offensichtlich überschritten.11 Eine solche Entwicklung ist allerdings nicht ohne rechtliche Bedenken. Denn durch die Einführung einer Interessentenklage für Umweltschutzvereinigungen besteht die Gefahr, die Umweltverbandsklage mit der Individualklage zu vermengen. Eine Umweltverbandsklage soll aber losgelöst von einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte erhoben werden. Vor diesem Hintergrund scheint eine Unterscheidung von Umweltverbands- und Individualklage durch die Gesetzgebung notwendig zu sein.12 Danach müsste die Einhaltung von Umweltrecht weitgehend durch die Umweltschutzvereinigungen über eine umfangreiche VK realisierbar sein. Eine solche umweltschützende VK soll jedenfalls dort eingeführt werden, wo mangels betroffener Schutznormen kein Individualrechtsschutz zur Verfügung steht. Auf diese Weise würde auch das eigenständige Verhältnis der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 3 zu Art. 9 Abs. 2 AK im deutschen Recht nicht ins Leere laufen.13 Das deutsche Verwaltungsprozessrecht soll daher m. E. in
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T. Bunge, ZUR 2014, S. 12. J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1148. 11 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 315 ff.; R. Klinger, EurUP 2013, S. 98; B. Müller, EurUP 2011, S. 166 ff.; W. Frenz, DVBl 2012, S. 812; L. Radespiel, EurUP 2011, S. 239 ff.; J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1257. 12 Vgl. W. Frenz, UPR 2014, S. 1 ff., m.w. N. 13 K.-F. Gärditz, EurUP 2014, S. 44. 10
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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diese Richtung umgestaltet werden und die aktuell geltende altruistische VK im Umwelt- und Naturschutzrecht dahingehend erweitert werden. Es liegt somit am staatlichen Gesetzgeber, auch in Übereinstimmung mit dem Art. 9 Abs. 3 AK diesen Auftrag zu erfüllen. Die nach AK angestrebte Erweiterung des Gerichtszugangs für die Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten soll insoweit als Gestaltungsauftrag verstanden werden, der auch angemessene Abwägungen der Rechtsschutzinteressen in Umweltangelegenheiten gegen gegenläufigen (etwa wirtschaftsbezogenen) Interessen verlangt.14
II. Zur Einführung eines allgemeinen umweltschutzrechtlichen Verbandsklagerechts Gerade um unnötige Ungereimtheiten und Inkohärenzen zu vermeiden und zur Förderung eines möglichst vollständigen, unionsrechtskonformen und effektiven Umweltrechtsschutzes sowie einer verstärkten Rechtssicherheit wäre es m. E. sinnvoll, anstelle des UmwRG und des § 63 BNatSchG ein allgemeines, umfangreiches, einheitliches Verbandsklagerecht zum Schutz des Umweltrechts auf Bundesebene einzuführen.15 Ein solches Klagerecht soll vor allem den anerkannten Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG dank ihrer bereits analysierten, privilegierten Sonderrolle eingeräumt werden. Dieses Klagerecht soll weitere Rechtsbehelfe der VwGO, wie die Anfechtungsklage (in Bezug auf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes), die Verpflichtungsklage (in Bezug auf die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts), eine allgemeine Leistungsklage (in Bezug auf das Begehren eines sonstigen Tuns oder Unterlassens der zuständigen Verwaltung) sowie die Beantragung einer Normenkontrolle zum Rechtsschutz der Umwelt zulassen. Darauf hatte beispielsweise der sog. Alternativgesetzentwurf zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 04.05.2001 zum Zweck der Verbesserung des Rechtsschutzes im Bereich des Umweltrechts hingewiesen.16 Dadurch könnte auch der bestehenden Zersplitterung des Rechtsschutzes im Bereich des Umweltschutzes aufgrund der Existenz von verschiedenen Vorga14 VGH Kassel, Urt. v. 20.03.2013 – 2 B 1716/12, Rn. 81, DVBl 2013, S. 731 ff.; K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 6. 15 In diese Richtung W. Frenz, UPR 2014, S. 2 ff.; T. Bunge, ZUR 2014, S. 13. 16 Vgl. Gesetzentwurf der Abgeordneten E.-M. Bulling-Schröter/K. Naumann/ R. Neuhäuser/W. Wolf/R. Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege (sog. Alternativentwurf), BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 25 ff., S. 30 ff., S. 44 ff.; R. Sparwasser, in: K.-P. Dolde, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1049; M. Gellermann, § 61 BNatSchG, BNatSchG-Komm., Bd. 4 2003, Rn. 1 ff. Vgl. in diese Richtung, aber nur indirekt: Antrag von Bündnis 90/Die Grünen für eine stetige, verlässliche und beschäftigungsfördernde Wachstumspolitik – kein konjunkturpolitischer Aktionismus, vom 12.12.2001.
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
ben (etwa § 64 BNatSchG und § 2 UmwRG), die sich teilweise überschneiden,17 entgegengewirkt werden. Der Umfang eines solchen Rechtsbehelfs soll somit den gesamten materiellund verfahrensrechtlichen Bereich des Umweltrechts – einschließlich der umweltschützenden Vorsorgevorschriften18 – umfassen.19 In diesem Zusammenhang soll der Anwendungsbereich dieses Rechtsbehelfes auch auf das rein innerstaatliche Umweltrecht ausgedehnt werden, unabhängig davon ob die jeweils umstrittenen Vorschriften auf das EU-Recht zurückgehen bzw. dem EU-Recht entstammen. Ein dahingehend möglichst erweiterter Anwendungsbereich dieses Klagerechts könnte die konsequenteste Lösung für einen effektiven Umweltrechtsschutz im deutschen Recht sein. Denn, wie schon gezeigt wurde, ist es schwer ersichtlich, wie die Mitgliedstaaten in der verwaltungsgerichtlichen Praxis zwischen unionalem Umweltrecht und rein nationalem Umweltrecht unterscheiden können.20 Für eine solche Lösung spricht auch, dass eine Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK durch innerstaatliches Gesetz sich im Übrigen nicht darauf beschränken dürfte, allein Rechtsbehelfe gegen die Verletzung jener Umweltrechtsvorschriften zur Verfügung zu stellen, die ihre Grundlage im Unionsrecht haben. Art. 9 Abs. 3 AK begründet mithin eine Verpflichtung, das deutsche Recht an die dort formulierten Vorgaben anzupassen.21 Um nicht die Autonomie der Mitgliedstaaten zu verletzen, müsste allerdings den Autonomie-Interessen der Mitgliedstaaten vielmehr im Rahmen des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips ausreichend Rechnung getragen werden.22 Darüber hinaus soll der Anwendungsbereich dieses Klagerechts möglichst das gesamte Gebiet des Umweltrechts umfassen. Insbesondere sollen dadurch die Rechtsgebiete des Gewässer-, Lärm- und Bodenschutzes, sowie die Rechtsgebiete der Luftverschmutzung, der Flächenplanung und Bodennutzung, der Erhaltung der Natur und der biologischen Vielfalt, der Abfallwirtschaft, der Chemikalien (einschließlich Bio- und Pestiziden), der Biotechnologie und des Immissionsund Emissionsschutzes umfasst werden. Auch der spezielle Rechtsbereich des 17
s. o. 1. Teil, 3. Kap., B., II. Zur neuen Interpretation der Vorsorgevorschriften im Rahmen des UmwRG s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2. 19 Vgl. Gesetzentwurf der Abgeordneten E.-M. Bulling-Schröter/K. Naumann/ R. Neuhäuser/W. Wolf/R. Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege (sog. Alternativentwurf), BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 25 ff.; vgl. auch § 45 UGB-KomE, die weitgehende Klagemöglichkeiten vorsah. Vgl. auch B. Seelig/R. Gündling, NVwZ 2002, S. 1039. 20 Vgl. I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 151 ff.; M. Kment, UPR 2013, S. 44; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 762; jeweils m.w. N.; s. o. in 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 1. 21 T. Bunge, ZUR 2014, S. 13. 22 Vgl. I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 151 ff., m.w. N. 18
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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Klimaschutzes sollte zum Anwendungsbereich des neuen Rechtsbehelfes gehören. Denn sowohl das BNatSchG als auch das UmwRG eröffnen keine konkrete Möglichkeit Klimaschutzaspekte in die gerichtliche Überprüfung außerhalb des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens einzubeziehen. Eine künftige einheitliche VK sollte daher auch den gerichtlichen Schutz gegen Handlungen und Unterlassungen, die klimaschützende Vorschriften verletzen, sicherstellen,23 soweit die objektive Rechtswidrigkeit auf Seiten der klagenden Umweltschutzvereinigung einen tatsächlichen Nachteil hervorruft und somit seine Interessen beeinträchtigt. Das de lege ferenda vorgeschlagene umweltschutzrechtliche Klagerecht könnte systemkonform beispielsweise durch eine neue gesetzgeberische Zuweisung i. S. von § 42 Abs. 1 HS 1 VwGO erfolgen24 oder sogar durch eine partielle Novellierung der VwGO.25 Ziel dieser Novellierung wäre vor allem, dem überindividuellen bzw. Gemeinwohlinteresse an der materiellen Umsetzung des objektiven Umweltschutzrechts zur besseren Durchsetzung zu verhelfen. Eine solche Initiative würde im Einklang auch mit dem Effektivitätsgebot des EU-Rechts sowie mit dem Rechtsschutzgrundsatz des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG stehen. Diese Rechtsgrundlagen würden einer gesetzgeberischen Ausweitung nur dann entgegenstehen, wenn objektive Rechtskontrollverfahren subjektiven Rechtsschutz verdrängen oder faktisch unmöglich machen.26 Ein solches Ereignis sollte aber bei der hier vorgeschlagenen Reform jedenfalls vermieden werden. In diesem Rahmen könnten die Bestimmungen der Rügebefugnis eines solchen umweltrechtlichen Klagerechts so ausgestaltet werden, dass insbesondere anerkannte Umweltschutzvereinigungen ohne eine Verletzung von eigenen Rechten geltend machen zu müssen, sich mit einem Rechtsbehelf nach Maßgabe der VwGO auf eigene Interessen berufen können, um auch Umweltgüter, die der Allgemeinheit dienen, gerichtlich zu schützen. Zu diesem Zweck wäre es sinnvoll die Rechtsfigur des „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“, die der sog. Alternativentwurf zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 04.05.200127 vorgeschlagen hat, geeigneterweise zu verwenden. Die Rechtsfigur des „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ soll insbesondere für den Fall einer umweltschützenden VK relevant sein, so dass unter be23
Ebd. Vgl. J. Berkemann, DVBl 2013, S. 1146. 25 Vgl. z. B. den entsprechenden Vorschlag einer Novellierung des § 42 VwGO in: BT-Drs. 14/5766, S. 25 ff., S. 43 ff.; K.-F. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, D 14 ff. 26 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 63 ff., m.w. N. 27 Vgl. Gesetzentwurf der Abgeordneten E.-M. Bulling-Schröter/K. Naumann/ R. Neuhäuser/W. Wolf/R. Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege (sog. Alternativentwurf), BT-Drs. 14/5766 v. 04.05.2001, S. 30 ff. 24
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
stimmten Voraussetzungen auch der Schutz von Umweltgütern gewährleistet wird, die der Allgemeinheit und nicht nur den öffentlichen subjektiven Rechten i. S. der traditionellen Schutznormtheorie dienen. Ein Klagerecht für eine anerkannte Umweltschutzvereinigung soll immer dann gegeben sein, wenn es auf eine Vorschrift des öffentlichen Rechts gestützt werden kann, die dazu bestimmt ist, einem eigenen Recht der klagenden Vereinigung oder dem öffentlichen Interesse zu dienen, von denen ein Interesse der klagenden Vereinigung umfasst wird.28 Im Rahmen der Zulässigkeit der hier vorgeschlagenen Umweltverbandsklage wäre die auf der behaupteten Rechtswidrigkeit beruhende Verletzung „rechtlich bedeutsamer eigener Interessen“ geltend zu machen. Danach genügt für die Geltendmachung die plausibel dargelegte Behauptung, dass eine objektive Rechtsverletzung vorliegt, die einen rechtlichen oder tatsächlichen Nachteil für das „rechtlich bedeutsame eigene Interesse“ der klagenden Vereinigung bewirkt.29 Insofern müsste jedoch eine Verletzung des „rechtlich bedeutsamen Interesses“ in Fallgestaltungen, in denen die negative Betroffenheit nicht in einer Verletzung eines eigenen Rechts der klagenden Vereinigung besteht, zumindest tatsächlich spürbar sein. Beispielsweise müsse die klagende Umweltschutzvereinigung, die überschrittene Emissionsgrenzwerte geltend macht, selbst von der Überschreitung betroffen sein (z. B. weil diese Überschreitung in ihrem geografischen Tätigkeitsbereich stattfindet und ihre Mitglieder negativ beeinflusst).30 Der schlich28 Der Gesetzesvorschlag des Alternativentwurfes vom 04.05.2001 bezweckte unter anderem eine Novellierung des § 42 Abs. 2 VwGO. Dieser Lösungsansatz sollte aber an dieser Stelle nicht 1:1 angenommen werden. § 42 Abs. 2 VwGO des sog. Alternativentwurfes vom 04.05.2001 lautet: „(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn die klagende Person geltend macht, durch die angegriffene Handlung, ihre Ablehnung oder Unterlassung in einem eigenen Interesse verletzt zu sein, das von Absatz 3 erfasst wird (rechtlich bedeutsames eigenes Interesse).“ § 42 Abs. 3 VwGO des sog. Alternativentwurfes vom 04.05.2001 lautet: „Ein eigenes Interesse ist im Sinne dieses Gesetzes rechtlich bedeutsam, wenn es auf eine Vorschrift des öffentlichen Rechts gestützt werden kann, die dazu bestimmt ist 1. einem eigenen Recht der klagenden Person zu dienen oder 2. öffentlichen Interessen zu dienen, von denen ein Interesse der klagenden Person umfasst wird. Eigene Interessen können nicht gemäß Nummer 2 geltend gemacht werden, wenn sie nur ideeller Natur sind. Das gleiche gilt für sonstige eigene Interessen der klagenden Person, wenn diese nur auf öffentliche Interessen finanzieller oder haushaltsrechtlicher Art gestützt sind.“ Vgl. Gesetzentwurf der PDS-Fraktion und einiger Abgeordneten zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege, vom 05.04.2001, BT-Drs. 14/5766, S. 25 ff.; B. Seelig/R. Gündling, NVwZ 2002, S. 1038 ff. 29 Vgl. sog. Alternativentwurf zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege, BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 44. 30 Vgl. sog. Alternativentwurf zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege, BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 30 ff. Im Ergebnis nähert sich aufgrund des Alternativentwurfs das bundesdeutsche Recht der Klagebefugnis damit der im Recht der Vereinigten Staaten üblichen Zulässigkeitsprüfung mit ihren Kriterien
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
669
te Einschluss von Verbandsinteressen in das von der Norm intendierte Interesse der Allgemeinheit genügt somit für die Zulässigkeit einer VK.31 Um klagebefugt zu sein, wäre es somit erforderlich, dass die klagende Umweltschutzvereinigung zumindest auf irgendeine Weise zu dem Kreis der negativ Betroffenen von der jeweils umstrittenen Handlung oder Unterlassung gehört. Darüber hinaus soll der Streitgegenstand von dem jeweiligen Satzungszweck der klagenden Vereinigung erfasst werden, sowie unter den spezifischen, geografischen Tätigkeitsbereich der Vereinigung fallen. Auf diese Weise könnte die Einführung einer Popularklage zugunsten anerkannter Umweltschutzvereinigungen vermieden werden. Die Verletzung eines „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ bei einer solchen VK soll damit immer dann vorliegen, wenn die objektive Rechtswidrigkeit auf Seiten der klagenden Umweltschutzvereinigung einen tatsächlichen Nachteil hervorruft. Dieser Nachteil soll in einer rein tatsächlichen Belastung zum Ausdruck kommen. Die Prüfung eines solchen tatsächlichen Nachteils soll lediglich in der für den Klageerfolg erforderlichen Feststellung des Gerichts bestehen, ob durch die objektive Rechtsverletzung tatsächlich ein Nachteil für das betroffene Rechtsgut der Allgemeinheit bewirkt wird.32 Es wäre somit erforderlich zu prüfen, ob die objektive Rechtsverletzung zu einem Nachteil tatsächlicher Art führt. Es wäre daher sinnvoll einen Vergleich der tatsächlichen Situation mit und ohne die angegriffene behördliche Handlung oder Unterlassung für den Kläger vorzunehmen, und zwar im Hinblick auf das spezifisch geltend gemachte Interesse. Ist die Situation der klagenden Vereinigung mit der angegriffenen Handlung oder Unterlassung interessenbezogen als ungünstiger zu betrachten, so ist das Interesse verletzt und die VK zulässig (so z. B. wenn eine höhere Immissionsbelastung im Tätigkeitsbereich der Vereinigung vorliegt oder wegen der angegriffenen Handlung oder Unterlassung eine genutzte Fläche ebenfalls im Tätigkeitsbereich der Vereinigung nicht mehr zur Verfügung steht).33 Eine Verletzung des „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ soll keinen besonderen Grad der Beeinträchtigung voraussetzen. Es genügt somit die plausibel dargelegte Behauptung, dass eine objektive Rechtsverletzung vorliegt, die einen tatsächlichen Nachteil für das „rechtlich bedeutsame eigene Interesse“ bewirkt.34 Der oben genannte Nachteil könnte gesundheitlicher, wirtschaftlicher „interest“ (Interesse) und „injury in fact“ (tatsächliche Beeinträchtigung) weitgehend an. Vgl. dazu D. Ehlers, VerwArch 1993, S. 156 ff., 160 ff.; J. Kokott/L.-F. Lee, UTR 1998, S. 235 ff. 31 Vgl. sog. Alternativentwurf zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege, BT-Drs. 14/5766, vom 04.05.2001, S. 45. 32 BT-Drs. 14/5766, S. 47. 33 BT-Drs. 14/5766, S. 44 ff. 34 Ebd.
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
oder sonstiger Art sein.35 Umweltbezogene Benachteiligungen rein ideeller Art müssten allerdings vom Inhalt des „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ nicht erfasst werden.36 Dies wäre von Bedeutung, denn ohne diese Einschränkung wäre zu befürchten, dass die Klagemöglichkeiten fast beliebig konstruiert werden könnten. Eine derartige Ausweitung gerichtlicher Kontrolle, die sich der actio popularis annähert, wäre jedenfalls nicht vorzusehen.37 Im Rahmen der Geltendmachung38 seitens der anerkannten Umweltschutzvereinigungen soll keine Verletzung von eigenen Rechten – im restriktiven Sinne der bisher herrschenden Schutznormtheorie – der klagenden Person geltend gemacht werden, weil sich die klagende Umweltschutzvereinigung bei dem Schutz von Umweltrechtsgütern der Allgemeinheit i. d. R. nicht auf ein eigenes Recht berufen kann. Die vorgeschlagene Rechtsfigur des „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ könnte als Überbrückung dieser Lücke wirken, denn diese Rechtsfigur soll einem entsprechenden „Recht“ gleichgestellt werden ohne das Individualrechtsschutzsystem abzuschaffen. Gerade ein solches Ergebnis impliziert m. E. auch das oben dargestellte Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013. Die klagenden Umweltschutzvereinigungen könnten somit zulässig geltend machen, dass die mit dem Rechtsbehelf angegriffene Handlung, deren Ablehnung oder Unterlassung gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auch denjenigen umweltbezogenen öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, zu deren Wahrung die anerkannte Umweltschutzvereinigung satzungsgemäß berufen ist. Entscheidend wäre vor allem, dass das betroffene Interesse zum gegenständlichen Zielbereich der jeweils umweltbezogenen verletzten Vorschriften gehört. Die in diesem Zusammenhang verletzte Vorschrift müsste somit zumindest einem der folgenden Zwecke dienen: a) Den natürlichen Lebensgrundlagen, auch in Verantwortung für die künftigen Generationen, b) Dem Schutz von Pflanzen und Tieren, sowie der Landschaftspflege auch um ihrer selbst willen, oder c) Der Gesundheit von Menschen, einschließlich der Vorsorge vor Gefahren von erheblichen umweltbezogenen Auswirkungen und Belästigungen für die Gesundheit.39 Im Unterschied zu den bisher geltenden umweltbezogenen Präklusionsvorschriften gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V. m. § 2 Abs. 3 UmwRG bzw. den entsprechenden sonstigen Vorschriften soll die hier vorgeschlagene allgemeine Verbandsklageregelung darüber hinaus nicht mehr unmittelbar an die Ausübung des Beteiligungsrechts gebunden sein. Allerdings soll dieser Rechtsbehelf nicht zulässig sein, wenn die konkrete Möglichkeit der Äußerung im Verwaltungsverfahren nicht genutzt worden ist, obwohl sie genutzt werden könnte. Im Übrigen soll 35 36 37 38 39
Ebd., S. 47. Ebd. Ebd., S. 45. In diese Richtung W. Frenz, UPR 2014, S. 2 ff.; T. Bunge, ZUR 2014, S. 13. BT-Drs. 14/5766, S. 25 ff.
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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noch das allgemeine Verfahrensrecht gelten. Diese mittlere Lösung könnte die Rechtsposition der Vereinigungen insbesondere in den Bereichen, in denen es ein Beteiligungsrecht bislang nicht gegeben hat, verstärken.40 Dadurch sollen auch den entsprechenden unionsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die Präklusionsvorschriften in Umweltangelegenheiten41 Rechnung getragen werden. Die oben beschriebene Regelung einer allgemeinen umweltschützenden VK könnte beispielhaft so lauten42: „(1) Eine gem. § 3 UmwRG n.F anerkannte Vereinigung kann sich mit ihrem Rechtsbehelf auf ein rechtlich bedeutsames eigenes Interesse berufen, wenn sie geltend macht, dass die mit dem Rechtsbehelf angegriffene Handlung oder Unterlassung einer Rechtsvorschrift widerspricht, die umweltrechtlichen öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, zu deren Wahrung die Vereinigung satzungsgemäß berufen ist. (2) Ein Rechtsbehelf nach Absatz 1 ist nicht zulässig, wenn sich die Vereinigung zur Sache nicht geäußert hat, obwohl ihr Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.“
Ergänzend dazu könnte der Begriff des „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ anerkannter Umweltschutzvereinigungen wie folgend definiert werden: „Ein eigenes Interesse einer gem. § 3 UmwRG anerkannten Umweltvereinigung ist rechtlich bedeutsam, wenn es auf eine Vorschrift des öffentlichen Rechts gestützt werden kann, die dazu bestimmt ist, 1. einem eigenen Recht des Klägers zu dienen oder 2. öffentlichen Interessen zu dienen, von denen ein Interesse des Klägers umfasst wird. Eigene Interessen können nicht geltend gemacht werden, wenn sie nur ideeller Natur sind.“
Es handele sich somit um die Einführung einer Interessentenklage zugunsten der Umweltschutzvereinigungen. Damit würde gewährleistet, dass alle Umweltbereiche und im Allgemeinen der Vollzug des gesamten umweltbezogenen Rechts grundsätzlich gerichtlichen Rechtsschutz finden können. Vor diesem Hintergrund wären die Vorgaben der altruistischen naturschutzrechtlichen VK im Rahmen des BNatSchG sowie die umweltschützende VK im Rahmen des UmwRG überflüssig. Dass eine solche Lösung über das europarechtlich zwingend Gebotene vermutlich hinausgeht, bedeutet nicht, dass der staatliche Gesetzgeber ihre Realisierung nicht durchführen soll.43 Außerdem könnte dadurch die Gesetzgebung des Umweltrechtsschutzes deutlich vereinfacht werden. 40
BT-Drs. 14/5766, S. 45. Ausführlich dazu in 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3. ff. 42 s. BT-Drs. 14/5766, S. 25. 43 A. A. K.-F. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, D 14 ff. Dieser Ansicht nach empfiehlt sich das Modell der Interessentenklagen im deutschen Verwaltungsrecht 41
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
III. Zur fortzusetzenden Erweiterung der Klagebefugnis für Private und Gemeinden Dass einerseits durch die Entwicklung des EU- bzw. des deutschen Rechts im Zusammenhang mit den Fortschreitungen der EU- und nationalen Rechtsprechung die gesetzlichen Voraussetzungen für den Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten zugunsten von anerkannten Umweltschutzvereinigungen stark abgesenkt worden sind, aber andererseits diese Voraussetzungen für den betroffenen Einzelnen grundsätzlich unverändert blieben, wird von einem Teil der Literatur als Schieflage im Verhältnis mit dem Verbandsklagerecht und dem Individualrechtsschutz angesehen.44 Denn der Einzelne hat im Ergebnis gegenüber einer Umweltschutzvereinigung einen erschwerten Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren.45 Die UVP-RL aufgrund von Art. 11 Abs. 1 räumt den weiten Zugang zu Gerichten ausdrücklich natürlichen Personen und Nichtregierungsorganisationen ein, indem sie beide – und nicht nur die Umweltschutzorganisationen – als Teil der „Öffentlichkeit“ (gem. Art. 1 Abs. 2 Buchst. d UVP-RL) definiert, der das weite Klagerecht eingeräumt werden soll. Der Einzelne hat danach das gleiche Recht auf Zugang zu Gerichten wie die anderen Mitglieder der Öffentlichkeit.46 Auch der deutsche Gesetzgeber und Richter ist teilweise davon ausgegangen, dass die Richtlinienvorgaben eine konsequente Gleichbehandlung von Individual- und Verbandsklägern fordert und deshalb sowohl eine Besser- als auch eine Schlechterstellung einer dieser Teilgruppen bereits europarechtlich unzulässig sei.47 Schließlich sei auch vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG eine Schlechterstellung des Individualklägers schwer vermittelbar, denn diesem geht es gerade um den Individualrechtsschutz und nicht um die Verbandsklagerechte.48 Diese Auffassung überzeugt m. E. nicht. Denn Art. 10a Abs. 3 UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 Abs. 3 UVP-RL n. F.) sieht ausdrücklich vor, dass – anders als nicht. Eine Stärkung von Funktionen objektiver Verwaltungskontrolle ist abzulehnen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit darf nicht zum Reparaturbetrieb der Verwaltung werden. 44 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347; R. Breuer, in: FS für Kloepfer, 2013, S. 329; E. Künzler, SächsVBl 2013, S. 234. 45 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 763; E. Künzler, SächsVBl 2013, S. 234; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279 ff. 46 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 763; E. Künzler, SächsVBl 2013, S. 234; K.-F. Gärditz, EurUP 2010, S. 218; M. Kment, NVwZ 2007, S. 279 ff. Vgl. auch den Wortlaut in Art. 10a Abs. 3 UVP-RL („betroffene Öffentlichkeit“) und die Definition in Art. 1 Abs. 2 ÖB-RL („Öffentlichkeit: eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und . . . deren Vereinigungen“). 47 Vgl. BT-Drs. 16/2931, S. 6; so auch OVG Schleswig, ZuR 2009, S. 436; auch die Aarhus-Konvention geht von einer Gleichstellung aus (vgl. 9. u. 13. Erwägungsgrund); T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347. 48 Vgl. T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347.
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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eine natürliche Person – eine anerkannte umweltschützende Nichtregierungsorganisation als Träger von Rechten gilt, die verletzt werden können, oder dass ihr Interesse als ausreichend gilt. Der EuGH hat insofern im Trianel-Urteil eindeutig klargestellt, dass anerkannte Umweltschutzvereinigungen nach Art. 10a Abs. 3 UVP-RL (Art. 11 UVP-RL n. F.) ein Recht auf Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne dieses Artikels anzufechten. Dies gilt unabhängig davon, welches Kriterium für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen ein Mitgliedstaat wählt.49 Art. 10a UVP-RL a. F. (nunmehr Art. 11 UVP-RL n. F.) privilegiert damit anerkannte Umweltschutzvereinigungen gegenüber Einzelpersonen, die jeweils im konkreten Fall darlegen müssen, welche subjektiven Rechtspositionen sie für verletzt halten.50 Daraus kann wohl der Schluss gezogen werden, dass das innerstaatliche Recht die Klagemöglichkeiten des einzelnen Bürgers stärker als die einer Umweltschutzvereinigung einschränken kann.51 Auch das Argument, dass vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG eine Schlechterstellung des Individualklägers schwer vermittelbar ist, ist m. E. verfassungsrechtlich nicht haltbar. Denn Art. 19 Abs. 4 GG enthält vielmehr einen Mindeststandard an Rechtsschutz für den Einzelnen, der nicht unterschritten oder gefährdet werden darf.52 Demnach soll aber eine weitergehende Rechtsgewährung, auch durch den Landesgesetzgeber, nicht ausgeschlossen werden.53 Im Ergebnis verlangen die AK (gem. Art. 9 Abs. 3) bzw. die UVP-RL n. F. (gem. Art. 11 Abs. 3) keinesfalls, dass der nationale Gesetzgeber von dem Grundsatz des bisher geltenden § 42 Abs. 2 VwGO abweichen muss, wonach die 49 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 42 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802; GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C115/2009, Rn. 54, Rn. 65 ff., ZUR 2011, S. 82; mehr dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., A., II., 1. ff. 50 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 481 ff.; T. Bunge, NuR 2011, S. 607; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 761; GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010 zu der Rs. C-115/2009, Rn. 54, ZUR 2011, S. 81. 51 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 481 ff.; T. Bunge, NuR 2011, S. 607; W. Durner/M. Paus, DVBl 2011, S. 761; GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010 zu der Rs. C-115/2009, Rn. 54, ZUR 2011, S. 81; dagegen: T. v. Danwitz, UTR 2007, Bd. 93, S. 31 ff.; T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1348 ff.; E. Künzler, SächsVBl 2013, S. 234. 52 Vgl. K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, 1996, S. 79 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, in: T. Maunz/G. Dürig, GGKomm., 2001, Rn. 14. 53 Vgl. U. Battis/U. Dünnebacke, JuS, 1990, S. 90; C.-L. Lässig, NVwZ 1989, S. 97 ff.; s. o. 1. Teil, 2. Kap., C., I., 1.
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
Möglichkeit einer restriktiven Rechtsverletzung gegeben sein muss.54 Trotz aber der Tatsache, dass eine explizite Änderung des nationalen Rechts wegen der vorzunehmenden konventionskonformen Auslegung nicht erforderlich ist, erscheine aber eine solche Modifizierung des deutschen Rechts vor allem zum Zwecke größtmöglicher rechtlicher Klarheit und rechtlicher Konformität auf EU-Ebene sinnvoll.55 Dies stünde im Einklang sowohl mit dem Trianel- und dem Braunbären-Urteil des EuGH und entspräche den Feststellungen des Grundsatzurteils des BVerwG vom 05.09.2013, die deutlich für die innerstaatliche Gewährleistung eines möglichst weiten Zugangs zu Gerichten für die Mitglieder der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten sprechen. Ein solcher Lösungsansatz würde zu einer deutlichen Annäherung der Klagerechte führen. Zugleich würde vermieden, dass subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle gegeneinander ausgespielt werden.56 Denn in der aktuellen modernen Risikogesellschaft sollen subjektive Rechte nicht als Ersatz, sondern als Ausdruck demokratischer Teilhabe verstanden werden. Denn sie können in der Praxis grundsätzlich auch solche Rechte umfassen, die das Interesse der Einzelnen an der Wahrnehmung öffentlicher Interessen bestimmen und sie zu deren Durchsetzung ermächtigen.57 Außerdem eröffnet Art. 9 Abs. 3 AK zwar nicht bloß Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit, sondern jeder Person die Möglichkeit der Anfechtung der Rechtmäßigkeit von Umweltentscheidungen. Dennoch steht diese Vorschrift unter dem doppelten Vorbehalt eines Anknüpfungspunkts, nämlich der Verletztenoder der Interessentenklage, im nationalen Verwaltungsrecht sowie der bislang fehlenden Umsetzung dieser Vorschrift im Unionsrecht.58 In diesem Zusammenhang wäre es daher zum Zweck des möglichst effektiven Umweltrechtsschutzes und der vollständigen Beseitigung der bestehenden Vollzugsdefizite im Umweltrecht sinnvoll, dass der nationale Gesetzgeber Gesetzgebungs- und Auslegungsinitiativen auch in die Richtung einer weiten Klagebefugnis von Privaten und Gemeinden zum Schutz von überindividuellen Umweltgütern ergreift. Dadurch könnten die bereits beschriebenen Schwachpunkte des deutschen Individualrechtsschutzsystems bezüglich des Umweltrechtsschutzes59 weiter abgebaut werden.60 Keinesfalls soll aber der Gesetzgeber umgekehrt die Klagehürden des umweltbezogenen Verbandsklagerechts anheben. 54
Vgl. A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 330 ff. Vgl. R. Klinger, EurUP 2013, S. 100. 56 Ebd., S. 383 ff. 57 Ebd., m.w. N. 58 C. Franzius, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 384. 59 s. o. 1. Teil, 1. Kap., B., VII. ff. 60 Vgl. in diese Richtung T. Leidinger, NVwZ 2011, S. 1347; C. Franzius, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 383. 55
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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Statt alle Hoffnungen auf einen effektiven Rechtsschutz von Umweltgütern der Allgemeinheit ausschließlich in die Fortentwicklung der Umweltverbandsklage zu legen, wäre es empfehlenswert, die im deutschen verwaltungsprozessualen System verankerte Verletztenklage so zu erweitern, dass der Schutz von umweltbezogenen Allgemeininteressen unter Voraussetzungen auch als subjektive Rechte Einzelner anerkannt wird. Dies soll somit zu einer Entobjektivierung der Rechtskontrolle führen.61 Weitergehende als bisher umweltschützende Klagerechte sollen somit nicht nur den anerkannten Umweltschutzvereinigungen, sondern auch Privaten sowie Gemeinden eingeräumt werden. Denn, wie schon ausgeführt wurde, gewährleistet Art. 9 Abs. 3 AK den weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für sämtliche „Mitglieder der Öffentlichkeit“.62 Es ist somit anzunehmen, dass die AK bzw. die UVP-RL die gesamte Öffentlichkeit umfasst, d. h. alle natürlichen und juristischen Personen, einschließlich drittbetroffener Privaten, Gemeinden, Städte und Kreise als Gebietskörperschaften und damit juristische Personen des öffentlichen Rechts.63 Es soll somit auch natürlichen Personen, Gemeinden und sonstigen Personen eine Kontrollfunktion für den mitgliedstaatlichen Vollzug des Umweltrechts zugewiesen werden.64 1. Zur fortzusetzenden Erweiterung der Klagebefugnis für Private Zu diesem Zweck wäre es für den Gesetzgeber empfehlenswert, die Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten durch eine expansive Definition der Schutznormen zu erweitern. Dabei könnte der Gesetzgeber einzelnen Rechtsträgern subjektive Rechte auf Einhaltung bestimmter, bislang rein objektiv gewährter Umweltschutzbestimmungen (z. B. reine Natur-, Landschafts-, Arten-, Klimaschutzvorschriften) ausdrücklich einräumen. Grundsätzlich objektivrechtliche umweltschützende Rechte (etwa Rechte auf Naturschutz, Landschaftsschutz, Artenschutz z. B. im Rahmen des BNatSchG sowie generell Rechte auf Vorsorgeschutz), die grundsätzlich kaum von Privaten anfechtbar sind,65 könnten dadurch auch von sämtlichen Mitgliedern der Öffentlichkeit, wie natürliche Personen, und nicht nur von Umweltschutzvereinigungen gerichtlich geschützt werden.66 Eine legistische Ausformulierung solchermaßen zu erweiternder subjektiver Rechte wäre sinnvoll, weil gesetztechnisch eine dahingehende Öffnung der Kla61
C. Franzius, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 383 ff., m.w. N. Vgl. J. Berkemann, DVBl 2011, S. 1255; A. Schink, DÖV 2012, S. 624; s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., IV. 63 Vgl. N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2006, S. 398; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 328. 64 Vgl. S. Schlacke, ZUR 2011, S. 316; R. Klinger, EurUP 2013, S. 99. 65 Ausführlich zu dieser Problematik s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2. 66 So K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 6. 62
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
gemöglichkeiten bzw. der Klagebefugnis von drittbetroffenen Privaten nicht einfach wäre, denn der subjektive Berechtigungsgehalt wird erst von der Rechtsprechung herausgeschält. Er wird somit i. d. R. nicht in besonderer Weise vom Normtext ausgedrückt.67 Die entsprechenden Anpassungen könnten beispielsweise durch eine funktionelle Subjektivierung von objektiven Rechten im Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 VwGO verwirklicht werden.68 Eine mögliche Novellierung des § 42 Abs. 2 VwGO wäre daher denkbar. Der Wortlaut einer solchen ergänzend des § 42 Abs. 1 VwGO zu empfehlenden Norm könnte folgendermaßen lauten: „Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn die klagende Person geltend macht, durch die angegriffene Handlung, ihre Ablehnung oder Unterlassung in einem rechtlich bedeutsamen eigenen Interesse verletzt zu sein“.69
In Zusammenhang mit der oben vorgeschlagenen Analyse des Begriffs „rechtlich bedeutsames eigenes Interesse“ im Rahmen der hier vorgeschlagenen Einführung einer umfangreichen umweltschützenden VK70 sollte auch hier ein eigenes Interesse als rechtlich bedeutsam angesehen werden, wenn es auf eine Vorschrift des öffentlichen Rechts gestützt werden kann, die dazu bestimmt ist, 1. einem eigenen Recht der klagenden Person zu dienen oder 2. öffentlichen Interessen zu dienen, von denen ein Interesse der klagenden Person umfasst wird.71 Gegebenenfalls könnte neben § 2 UmwRG ein Katalog von konkreten klagefähigen möglicherweise umweltschädlichen Entscheidungen (etwa umweltbelastende UVP-pflichtige Anlagengenehmigungen) auch von drittbetroffene Privaten für das Rechtsgebiet des öffentlichen Umweltrechts erlassen werden.72 Analog zu dem oben dargestellten Vorschlag in Bezug auf eine Erweiterung der Klagebefugnis von Umweltschutzvereinigungen soll für die Begründung der hier vorgeschlagenen erweiternden Klagebefugnis eines drittbetroffenen Privaten die durch die jeweils beanstandete umweltschädliche Handlung oder Unterlassung faktische Betroffenheit seiner Interessen (z. B. Gesundheit, Eigentum) nachweisbar geltend gemacht werden. Es genügt somit die Geltendmachung des drittbetroffenen Pri67
Ebd. Vgl. C. Franzius, in: FS für M. 69 Vgl. z. B. den Gesetzentwurf S. 43 ff. 70 s. o. 1. Teil, 5. Kap., B., II. 71 Vgl. z. B. den Gesetzentwurf S. 43 ff. 72 Vgl. z. B. den Gesetzentwurf S. 43 ff. 68
Kloepfer, 2013, S. 383 ff. in BT-Drs. 14/5766 vom 04.05.2001, S. 25 ff.,
in BT-Drs. 14/5766 vom 04.05.2001, S. 25 ff., in BT-Drs. 14/5766 vom 04.05.2001, S. 25 ff.,
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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vaten, dass eine objektive umweltbezogene Rechtsverletzung vorliegt, die einen tatsächlichen Nachteil für das „rechtlich bedeutsame eigene Interesse“ des Privaten bewirkt. Um den Umfang der Klagebefugnis dieser drittbetroffenen Privaten zu erweitern, wäre es empfehlenswert, dass der deutsche Gesetzgeber auch den Nachbarbegriff ausdehnt. Damit soll der Kreis der subjektiv Berechtigten auf der Grundlage bestehender Schutznormen ausgeweitet werden. Hilfreich dazu könnte die angemessene Verwertung durch den deutschen Gesetzgeber oder Richter des besonders erweiterten Nachbarbegriffs (aufgrund des Konzepts der sog. „ökologischen Nachbarschaft“) der griechischen umweltschützenden Rechtsprechung sein.73 Nach dieser Konzeption der „ökologischen Nachbarschaft“ kann man, um jemanden als ökologischen Nachbar und möglicherweise als Klageberechtigten zu bezeichnen, beispielsweise darauf abstellen: Ob er in einer derartigen geografischen Beziehung zur Verschmutzungsquelle oder zu dem jeweils umweltbelasteten Gebiet steht, dass seine Rechte oder Interessen (etwa Gesundheit, Eigentum, Naturgenuss) von dem entstandenen ökologischen Schaden beeinträchtigt werden oder höchstwahrscheinlich beeinträchtigt werden können. So z. B. muss ein Erholungssuchender dartun, dass er das durch Immissionen gefährdete Erholungsgebiet selbst regelmäßig nutzt, so dass dadurch auch seine Gesundheit oder seine Interessen oder Rechte auf Naturgenuss bzw. auf Erholung in der freien Natur verletzt werden. Der Einwirkungsbereich der Umweltbelastungen sowie die mögliche geografische Ausweitung des drohenden oder eingetretenen Schadens könnten in Zusammenhang mit dem Schweregrad der Gefährlichkeit der Verschmutzungsquelle oder der eventuellen ökologischen Störung als entscheidende Maßstäbe für die Bestimmung der ökologischen Nachbarschaft der jeweiligen Individualkläger auch im deutschen Recht wirken.74 Durch eine solche Entwicklung könnte das deutsche Rechtsschutzsystem der deutschen Verwaltungsordnung effizient zugunsten eines effektiven Umweltrechtsschutzes agieren. Das aktuelle deutsche Rechtsschutzsystem würde dadurch erweiternd modifiziert werden. Der Kern dieses Systems würde allerdings festgehalten werden. Es soll sich somit um eine ausgedehnte, flexiblere, moderne Version des deutschen Individualrechtsschutzsystems handeln. In Zweifelsfällen wäre hier in der Tat eine völkerrechtsfreundliche Interpretation bestehender Regelungen in Bezug auf ihre Schutzrichtung möglich,75 wie schon der EuGH insbesondere im Fall des Braunbären-Urteils gezeigt hat.76 73
Ausführlich dazu s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., III., 1., a). Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 302, m.w. N. 75 K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 6, m.w. N. 76 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; W. Frenz, DVBl 2011, S. 813. 74
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
Es soll aber nicht ignoriert werden, dass eine solche Erweiterung der Klagebefugnis Privater Dritter ausnahmsweise in Umweltangelegenheiten auch rechtsdogmatische und rechtssystematische Probleme in sich birgt. Denn dies könnte zu einem systematischen Bruch des traditionellen deutschen Individualrechtsschutzmodells führen. Dass die oben beschriebene Erweiterung der Klagebefugnis Privater der Richtung einer Interessentenklage in dem Ausnahmenbereich des überindividuellen Umweltschutzes folgen, könnte die Hintertür für eine entsprechende Erweiterung der Klagebefugnis potentieller Drittkläger auch in weiteren Bereichen, die den Allgemeininteressen dienen (etwa Sozialrecht, Haushaltsrecht, Kulturrecht u. a.) öffnen. Auf diese Weise könnte aber das traditionelle deutsche Verletztenklagesystem willkürlich in ein doppelgängiges Rechtsschutzsystem umgewandlet werden, bei dem je nach Fall mal die Erhebung einer Verletztenklage mal die Einreichung einer Interessetenklage relevant wäre. Eine solche Entwicklung scheintt aber m. E. unter den heutigen Umständen nicht vom deutschen Gesetzgeber gewollt zu sein. Obwohl eine auf die oben dargestellte Weise Erweiterung der Klagebefugnis Privater im Bereich des überindividuellen Umweltrechts theoretisch möglich wäre, scheint bisher wegen der oben ausgführten Gründe kurzfristig unwahrscheinlich, dass der deutsche Gesetzgeber eine solche Gesetzesinitiative ergreift. Jedenfalls hängt eine solche Entscheidung von seinem Willen ab. Schlussendlich darf man nicht vergessen, dass sich die Entstehung des deutschen Individualrechtsschutzsystems in erster Linie historisch als ein Zugeständnis im verlorenen Kampf des Bürgertums gegen die Monarchie im Jahr 1848/49 um politische Teilhabe und Demokratie erklären lässt.77 Unter den heutigen Zuständen des modernen, liberalen und demokratischen Rechtsstaats dürfte eine dahingehende Ausformung des Rechtsschutzsystems zugunsten des überindividuellen Umweltrechtsschutzes und zugunsten der Gerechtigkeit und der Demokratie ohne rechtstechnische Hindernisse machbar sein. 2. Zur fortzusetzenden Erweiterung der umweltschützenden Klagebefugnis für Gemeinden Da die Klagebefugnis der Gemeinden schon nach bisherigem Recht gewährleistet ist, hat der moderne Gesetzgeber offenbar davon abgesehen, die Gemeinden in das UmwRG einzubeziehen.78 Der Gesetzgeber ist anscheinend davon aus77 Vgl. B. Wegener, HFR 2000, S. 7, m.w. N. Ausführlich zum Thema der deutschen Revolution von 1848/49 s. u. a. W. Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, 1985, S. 18 ff., m.w. N.; s. o. 1. Teil, 1. Kap., B. II., 1. 78 § 2 UmwRG regelt ausschließlich die Rechtsbehelfe von Vereinigungen i. S. d. § 3 UmwRG, nicht hingegen von natürlichen oder sonstigen juristischen Personen, für die auch weiterhin im Hinblick auf die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen § 42 Abs. 2 VwGO und hinsichtlich der Begründetheit § 113 Abs. 1 und 5 VwGO gelten.
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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gegangen, dass das bestehende Rechtsschutzsystem auch im Hinblick auf umweltrelevante Vorhaben grundsätzlich den unionsrechtlichen Anforderungen entspricht und daher insoweit kein Änderungsbedarf besteht.79 Die Tatsache, dass Gemeinden bisher darauf beschränkt bleiben, Verletzungen ihres Selbstverwaltungsrechts geltend zu machen, so dass die Klagebefugnis der Gemeinden hinter der Klagebefugnis der Individualkläger und hinter der Klagebefugnis der anerkannten Umweltschutzvereinigungen zurückfällt,80 scheint aber aus rechtspolitischer Sicht obsolet zu sein. Denn Gemeinden verfügen immerhin über eine demokratische Legitimation unter anderem zur Durchsetzung von lokal radizierten Allgemeininteressen.81 Auch angesichts der Tatsache, dass die Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG die politische und rechtliche Organisation der örtlichen Gemeinschaft bildet und zu deren Interessenwahrnehmung berufen ist, scheint es im verwaltungsrechtlichen Kontext nicht konsequent, wenn ihre umwelt- und raumbezogene Klageberechtigung hinter derjenigen der anerkannten Umweltschutzvereinigungen zurückbleibt.82 Die bisher restriktive Klagebefugnis der Gemeinden vermag somit nicht mit der progressiven Rechtsprechung insbesondere des Trianel- sowie des Braunbären-Urteils des EuGH zu harmonisieren, die für einen möglichst weiten Zugang zu Gerichten der Öffentlichkeit argumentieren. Daher stellt sich die Frage, ob auch Gemeinden in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung eine umfänglichere gerichtliche Überprüfung der umweltbezogenen Handlungen oder Unterlassungen, die in ihre Interessensphäre fallen, beanspruchen könnten. Für eine weitere Klagebefugnis von Gemeinden (aber auch von Privaten) spricht beispielsweise die Ausweitung der Klagebefugnis der Gemeinden im Bereich des Informationsanspruchs in Umweltangelegenheiten. Dies ist hauptsächlich auf die Auswirkung der UI-RL vom 28.01.2003 (RL 2003/4/EG) und die mit UIG vom 09.12.2006 transformierte AK83 zurückzuführen. Wie sich aus den Erwägungsgründen Nr. 1 und 2 der UI-RL ergibt, soll der Zugang der Öffentlichkeit, den die alte Fassung der UI-RL vom 07.06.1990 (RL 90/313/EWG) bislang gewährt hat, „erweitert“ werden.84 Ziel der UI-RL 2003/4/EG ist es, den mit der UI-RL 90/313/EWG eingeleiteten Wandlungsprozess auszubauen und fortzusetzen (Erwägungsgrund Nr. 2). 79
BT-Drs. 16/2495; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 328 ff., m.w. N. Mehr dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., XII. 81 K.-F. Gärditz, NVwZ 2014, S. 9, m.w. N. 82 R. Breuer, in: FS für Kloepfer, 2013, S. 329. 83 Zur Umsetzung der AK in das deutsche Recht s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., V. 84 Vgl. A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 330 ff.; C. Schrader, ZUR 2004, S. 130 ff. 80
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
Laut dieser Vorgaben wurde eine weite Definition des Begriffs „Informationen über die Umwelt“ (Art. 2 Nr. 1 UI-RL) sowie eine Ausdehnung der informationspflichtigen Stellen (Art. 2 Nr. 2 UI-RL) über den klassischen Behördenbereich hinaus um Personen des Privatrechts, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen bzw. öffentliche Dienstleistungen erbringen, eingeführt. Dabei wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten ausgedehnt. Ein Informationsbedürfnis hinsichtlich umweltrelevanter Daten besteht somit nicht nur im Verhältnis des Bürgers – als natürliche oder als privatrechtlich organisierte Person – zum Staat bzw. zu Stellen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sondern auch bei einer öffentlich-rechtlich verfassten Rechtsperson (etwa eine Stadt oder eine Gemeinde), sofern sie sich „der Öffentlichkeit“ zuordnen lässt.85 Dies ist auch durch die Rechtsprechung des BVerwG zum Informationsanspruch bestätigt.86 Danach können auch juristische Personen (einschließlich Gemeinden) des öffentlichen Rechts als anspruchsberechtigt angesehen werden, wenn sie sich ungeachtet ihres rechtlichen Status nach der Zielsetzung der UI-RL in einer mit „Jedermann“ vergleichbaren Informationslage gegenüber der informationspflichtigen Stelle befinden. Der besondere Status der Gemeinden, der im Anwendungsbereich der UI-RL zu einer aufgabenspezifischen Differenzierung zwingt, ist somit im deutschen Recht, auf das Art. 2 Nr. 6 UI-RL verweist, angelegt. In diesem Rahmen wurde die bisherige Rechtsprechung, wonach eine Gemeinde als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft keinen Informationsanspruch auf der Grundlage des UIG 1994 habe,87 wesentlich geändert. In diesem Zusammenhang stärkt der europäische Gesetzgeber die Bedeutung der Öffentlichkeit z. B. beim Erstellen eines Lärmaktionsplanes im Rahmen der Umgebungslärm-RL (RL 2002/42/EG, vgl. insb. Art. 8 Abs. 7). Danach soll die Öffentlichkeit (einschl. der Gemeinde) über das Erstellen des Lärmaktionsplanes nicht nur informiert werden, sondern auch die Möglichkeit erhalten, am Inhalt des Aktionsplanes mitzuwirken. Der europäische Gesetzgeber überlässt jedoch einen flankierenden Rechtsschutz dem nationalen Prozessrecht. Vor diesem Hintergrund lässt z. B. das OVG Lüneburg offen, ob eine Gemeinde die Maßgeblichkeit ihres Lärmaktionsplanes gegen eine gegenläufige fachaufsichtliche Weisung gerichtlich verteidigen kann.88 Im Hinblick auf eine mögliche Erweiterung der Klagebefugnis von Gemeinden in Umweltangelegenheiten ist auch das Urteil des BVerwG zum Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld beachtenswert.89 Denn in diesem Urteil wurde unter 85
Vgl. C. Schrader, ZUR 2004, S. 130 ff. BVerwG, Urt. v. 21.02.2008 – 4 C 13/07, KommJur 2008, S. 341 ff. 87 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1995 – 1 B 126/95, NVwZ 1996, S. 400 ff. 88 OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.01.2014 – 12 LA 68/13, juris; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 152. 89 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001/04, NVwZ 2006, S. 1055 ff. 86
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
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anderem festgestellt, dass lärmbetroffene Gemeinden im Umfeld des geplanten internationalen Verkehrsflughafens mit der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses eine umfassende (objektivrechtliche) Überprüfung der landesplanerischen Standortentscheidung und der luftverkehrsrechtlichen Planrechtfertigung beanspruchen können. Das BVerwG hat in diesem Urteil erstmals die Frage offengelassen, ob Gemeinden bzw. Kommunen als in ihrem Selbstverwaltungsrecht betroffene Gebietskörperschaften oder zumindest als enteignungsbetroffene Eigentümer bei einer (objektivrechtlichen) Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses beanspruchen können und befugt sind, naturschutzrechtliche Vorschriften zu rügen.90 Hier ist ein Trend eines Teiles der Rechtsprechung unter dem Einfluss der europäischen Vorgaben in Bezug auf die AK zu erkennen, auch Gemeinden eine materiellrechtliche Möglichkeit der Rechtmäßigkeitsprüfung zuzugestehen, sofern sie sich auch auf objektivrechtliche Vorschriften etwa des Natur- und Artenschutzes berufen.91 In diese Richtung hat auch der VGH Kassel festgestellt, dass eine potentiell betroffene Kommune, die infolge eines Verfahrensfehlers (etwa eine möglicherweise fehlerhafte UV-Vorprüfung) eine unterlassene Öffentlichkeitsbeteiligung geltend machen kann, ohne eine subjektive Rechtsbetroffenheit dartun zu müssen. Hauptgrund dafür ist, dass sich aus Art. 11 UVP-RL n. F. Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte für Mitglieder der Öffentlichkeit (einschl. Gemeinden) ergeben. Vor diesem Hintergrund kann auch eine Kommune, die sich zur Wahrung ihrer Rechte auf einfachgesetzliches Eigentum stützt, für die mögliche Beeinträchtigung von FFH-Gebieten durch eine angeblich fehlerhafte UV-Vorprüfung und die Gefährdung ökologischer Schutzfunktionen eine unterlassene Öffentlichkeitsbeteiligung geltend machen.92 Die dargestellte Rechtsprechung scheint tendenziell dafür zu sprechen, dass den Gemeinden jedenfalls nicht von vornherein die Berufung zumindest auf den nationalen und europäischen Natur- und Artenschutz versagt werden soll.93 Parallel dazu muss wiederum unterstrichen werden, dass die besondere Rolle der Gemeinden vor allem im Rahmen der UVP-RL, nach der sie nur dann als „betroffene Öffentlichkeit“ angesehen werden können, soweit es um den Schutz eigener Rechte gem. Art. 28 Abs. 2 GG geht, im Prinzip keine zwingende Erweiterung der Rechtmäßigkeitskontrolle bei kommunalen Klagen aufgrund des gelten90 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001/04, Rn. 494 ff., NVwZ 2006, S. 1055. Danach können lärmbetroffene Gemeinden im Umfeld eines geplanten internationalen Verkehrsflughafens mit der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses eine umfassende (objektiv-rechtliche) Überprüfung der landesplanerischen Standortentscheidung und der luftverkehrsrechtlichen Planrechtfertigung beanspruchen. 91 Vgl. N. v. Schwanenflug/S. Strohmayr, NVwZ 2007, S. 1354; A. Schink, UPR 2005, S. 281 ff. 92 VGH Kassel, Beschl. v. 19.03.2012 – 9 B 1916/11, ZUR 2012, S. 443 ff. 93 Vgl. BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001/04, NVwZ 2006, S. 1055.
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1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
den EU-Rechts begründet.94 Eine Erweiterung der Klagebefugnis der Gemeinden im Bereich des Umweltrechtsschutzes hängt vielmehr vom Willen des nationalen Gesetzgebers ab. Vor dem oben skizzierten Hintergrund wäre vor allem aus rechtspolitischen Gründen empfehlenswert, dass der deutsche Gesetzgeber auch den Gemeinden ein umweltschützendes Klagerecht insbesondere gegen rechtswidrige Handlungen und Unterlassungen von Planungs- und Vorhabenträgern einräume, soweit dadurch Umweltgüter verletzt werden, die die gemeindliche Interessensphäre im weiteren Sinne beeinträchtigen oder beeinträchtigen können. Unter der Beeinträchtigung der gemeindlichen Interessensphäre im weiteren Sinne soll nicht bloß die Beeinträchtigung der gemeindlichen Interessensphäre im herkömmlichen restriktiven Sinne der Planungshoheit oder der Selbstverwaltung verstanden werden. Vielmehr müssen die Gemeinden als demokratisch legitimierte Institutionen, die unter anderem zur Durchsetzung von lokal radizierten Allgemeininteressen ermächtigt sind und zur Interessenwahrnehmung der örtlichen Gemeinschaft (die prinzipiell aus den Gemeindebürgern besteht) berufen sind, eine weitere Klagebefugnis als bisher und zwar gegen umstrittene Handlungen und Unterlassungen erhalten, die umweltbezogene Rechte oder sogar Interessen der Gemeindebürger betreffen oder betreffen können. In diesem Rahmen könnte z. B. eine Gemeinde als klageberechtigt angenommen werden, wenn z. B. die Durchführung eines Bauvorhabens ein Umweltschutzgebiet im Außenbereich und innerhalb der Gemeindegrenzen (etwa durch Immissionen oder Waldrodung) willkürlich beeinträchtigt oder degradiert. Denn dies führte unter anderem zum Verlust eines wichtigen Erholungsgebiets für die Gemeindebürger, so dass auch dadurch umweltbezogene Interessen der Gemeindebürger verletzt seien, die sich gleichwohl auch auf die Interessensphäre der Gemeinde beziehen, zumal dadurch der ökologische Einklang des gemeindlichen Gebiets unzumutbar beeinträchtigt wird. Soweit durch eine umweltschädliche Handlung oder Unterlassung der Verwaltung die Interessensphäre einer Gemeinde bzw. Interessen ihrer Gemeindebürger benachteiligt werden, sollte die Gemeinde berechtigt sein gegen diese Handlungen und Unterlassungen zu klagen. Für die Einräumung einer solchen Klagebefugnis für die Gemeinden in solchen Fällen spricht auch, dass die Verpflichtung Natur und Umwelt zu erhalten weder den anderen Planungsträgern noch der Planungshoheit sowie der Selbstverwaltung der Gemeinden fremd ist. Vielmehr sieht man in der gemeindlichen
94 Vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 24.06.2004 – 4 C 11/03, NVwZ 2004, S. 1229 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 11.12.2007 – 1 C 10303/07 und 1 C 10304/07; BVerwG, Beschl. v. 05.11.2002 – 9 VR 14/02, NVwZ 2003, S. 207 ff., m.w. N.; OVG Koblenz, Urt. v. 12.02. 2009 – 1 A 10722/08, UPR 2009, S. 316 ff.; A. Stapelfeldt/S. Siemko, KommJuR 2008, S. 330 ff.
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
683
Planungshoheit sowie Selbstverwaltung auch eine Verpflichtung Natur und Umwelt zu erhalten (vgl. z. B. § 1 Abs. 4 und 5 Nr. 4, § 7 S. 3 BauGB). Dadurch könnte die Gemeinde im Rahmen ihrer demokratischen, öffentlichen Verpflichtung unter anderem zur Erhaltung der regionalen Umwelt sowie gleichwohl auch als Schützer von umweltbezogenen Rechten und Interessen ihrer Gemeindebürger verstanden werden. Die Verteidigung der umweltbezogenen Allgemeininteressen zugunsten auch der Gemeindebürger soll somit auch als Schutz der gemeindlichen Interessensphäre verstanden werden. Vor diesem Hintergrund könnte der deutsche Gesetzgeber auch den Gemeinden etwa durch ein ausgedehntes Verständnis ihrer Interessensphäre eine im Vergleich zu bisher weitere Klagebefugnis einräumen, so dass auch sie neben Umweltschutzvereinigungen und Bürgern umweltbezogene Handlungen und Unterlassungen, die ihre Interessensphäre (im weiten oben genannten Sinne) verletzen, gerichtlich anfechten können. Die Gemeinden sollen damit als „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 2 Nr. 5 AK angesehen werden und einen weitgehenden Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten genießen – auch in Übereinstimmung mit den Anforderungen der AK. Die besondere Ausgestaltung und Funktion der erweiterten Klagebefugnis der Gemeinden in Umweltangelegenheiten der griechischen Verwaltungsrechtsordnung95 könnte jedenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des deutschen Rechtsschutzsystems von dem deutschen Gesetzgeber entsprechend zum Zweck einer umfangreicheren Klagebefugnis von Vereinigungen verwertet werden. 3. Zur Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz Die Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz im deutschen Recht würde die oben einfachgesetzlich vorgeschlagene Subjektivierung von Rechten der Allgemeinheit zugunsten von natürlichen und juristischen Personen unterstützen. Die Einführung eines solchen Umweltgrundrechts könnte problemlos in das Grundgesetz eingegliedert werden.96 Dies zeigt auch die Tatsache, dass das Umweltverfassungsrecht Bestandteil zahlreicher deutscher Landesverfassungen ist.97 Ein Umweltgrundrecht im deutschen Grundgesetz würde auch den deutschen Rechtsstaat fördern ohne gleichzeitig die bisher geltende Tradition des Individualrechtsschutzsystems in Frage zu stellen. Es hätte wegen der mit dem Um95
s. u. 2. Teil, 3. Kap., E. Hinsichtlich der Argumentation gegen und insbes. für die Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz, die hier nicht dargelegt werden kann, vgl.: T.-J. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltpflicht des Staates, 1996, S. 48 ff.; J. Lücke, DÖV 1976, S. 289 ff.; M. Kotulla, KJ 2000, S. 22 ff.; T. Brönneke, ZUR 1993, S. 154 ff. 97 Zu den umweltspezifischen Landesverfassungsnormen vgl.: M. Kloepfer, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 747 ff. 96
684
1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
weltgrundrecht begründeten persönlichen Klagebefugnis auch Auswirkungen auf den Rechtsschutz der Umweltgüter.98 Denn das Grundrecht auf Umweltschutz stellt ein individuelles, soziales und politisches Grundrecht dar, das unvermeidlich auch eine Ausdehnung des Umfangs der Klagebefugnisse Dritter im Bereich des Umweltschutzes in sich birgt. Ein solches Grundrecht schließt der Sache nach eine weit gefasste einklagbare, individualrechtliche Anspruchsposition zugunsten der Rechtssubjekte auf Schutz einer „menschenwürdigen“ und „sauberen“ Umwelt ein. Aus diesem Grundrecht könnten somit für den Einzelkläger ausgedehnte Klagemöglichkeiten zum Schutz der Umwelt hervorgehen, unabhängig davon, ob die einfache Gesetzgebung sie explizit vorsieht.99 Dadurch könnten auch mögliche, bestehende Gesetzlücken insbesondere im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes gedeckt werden, der sich, wie bereits gezeigt wurde, als unangemessen restriktiv erweist.100 Eine solche Entwicklung könnte offensichtlich zu einem effektiveren gerichtlichen Rechtsschutz der kollektiven bzw. überindividuellen Umweltgüter beitragen. Denn der bisher geltende Abwehranspruch gegen Umweltbelastungen im Rahmen des Grundgesetzes bleibt im Rahmen der traditionellen Schutznormtheorie immerhin eingeschränkt,101 während das Umweltstaatsziel des Art. 20a GG nur ein reines Staatsziel bildet, das die Umweltgrundlagen unter den besonderen Schutz des Staates stellt, ohne dass der Bürger hieraus einen direkten umweltschützenden Anspruch grundsätzlich herleiten kann.102 Durch die Einführung eines Umweltgrundrechts im deutschen Grundgesetz würde somit eine klare grundrechtliche Verankerung des effektiven Umweltrechtsschutzes geschaffen, die dazu beitragen könnte, den jeweils Klageberechtigten eine im Vergleich zu bisher weitere Klagebefugnis zum Schutz auch überindividueller Umweltgüter sicherzustellen.103 Eine Klagemöglichkeit für den Umweltschutz könnte dann nicht nur auf Vorschriften des einfachen Rechts und teilweise auf Grundrechte, die indirekt den Schutz von Umweltgütern mit einbeziehen, solange sie die individuelle Sphäre des Klägers betreffen,104 gestützt wer-
98
Vgl. T. Brönneke, ZUR 1993, S. 154 ff.; M. Kotulla, KJ 2000, S. 23 ff. s. beispielsweise die Funktion des griechischen Grundrechts auf Umweltschutz in 2. Teil, 1. Kap., B., II. ff. 100 In diese Richtung s. auch ausführlich: T. Hayward, Constitutional Environmental Rights, 2012, S. 63 ff., S. 159 ff., m.w. N. 101 s. o. 1. Teil, 1. Kap., C. 102 s. o. 1. Teil, 1. Kap., D., IV. 103 Vgl. E. Benda, UPR 1982, S. 245 ff.; M. Kotulla, KJ 2000, S. 23 ff.; R. Schmidt, in: FS für H. Zacher, 1998, S. 950 ff.; M. Kloepfer, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 757 ff.; F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 343 ff. 104 Mehr dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., C. 99
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
685
den, sondern auch direkt auf das Grundrecht auf Umweltschutz. Daraus könnten somit zugunsten der Einzelkläger subjektive Rechte zum Schutz der Umwelt abgeleitet werden, unabhängig davon, ob die einfache Gesetzgebung (z. B. UmwRG) es explizit vorsieht.105 Eine weitgehende Zahl von Normen, die grundsätzlich einer „menschenwürdigen“ und „sauberen“ Umwelt dienen und bisher grundsätzlich nicht von Individuen einklagbar waren (z. B. Vorsorgenormen, Vorschriften zum Schutz der Natur und der Landschaft usw.) könnten danach problemlos als klagefähige bzw. drittschützende Normen angesehen werden. Grund dafür wäre, dass diese Normen durch die Etablierung eines solchen individuellen Grundrechts auf Umweltschutz auch individualisiert bzw. subjektiviert würden. In diesem Rahmen könnte jede natürliche und juristische Person, die glaubhaft geltend macht, durch rechtswidrige umweltschädliche Handlungen und Unterlassungen betroffen zu sein, klageberechtigt sein. Dadurch könnte die Einführung eines Umweltgrundrechts zu einer deutlichen Stärkung des Umweltrechtsschutzes führen.106 Ein Umweltgrundrecht könnte beispielsweise so lauten: (1) „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die Exekutive und die Rechtsprechung. (2) Jede Person die glaubhaft geltend macht, durch den mangelhaften Vollzug von Vorschriften über den Umweltschutz betroffen zu sein, ist klageberechtigt.“ 107
Die Gestaltung und Funktion des griechischen Grundrechts auf Umweltschutz (gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V.) und die damit verbundenen Erfahrungen der Judikatur und der Verwaltung108 könnten unter anderem von dem deutschen Gesetzgeber als Hilfsmittel genutzt werden, zum Zweck der Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz im deutschen Recht. Es muss allerdings beachtet werden, dass die ausführliche Begründung eines Grundrechts auf Umweltschutz im deutschen Recht über den Gegenstand dieser Arbeit hinausgeht.
105 s. beispielsweise die Funktion des griechischen Grundrechts auf Umweltschutz in 2. Teil, 1. Kap., B., III. ff. 106 Vgl. M. Kotulla, KJ 2000, S. 23 ff., S. 34. 107 In diese Richtung auch der Vorschlag von J. Leimbacher/P. Saladin, in: H. Däubler-Gmelin/W. Adlerstein (Hrsg.), Menschengerecht, 6. Rechtspolitischer Kongreß der SPD, 1986, S. 85 ff., mit Verweis auf Art. 35 Abs. 2 des Entwurfs der schweizerischen Bundesverfassung von A. Kölz und J.-P. Müller in ihrem „Entwurf für eine neue Bundesverfassung“, 1984, a. a. O. 108 Ausführlich über das griechische Grundrecht auf Umweltschutz s. 2. Teil, 1. Kap., II., 3. ff.
686
1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
IV. Fazit Vor dem Hintergrund der schon dargestellten materiell- und verfahrensrechtlichen Schwachstellen des deutschen Individualrechtsschutzsystems im speziellen Bereich des überindividuellen Umweltrechts und in Verbindung mit den bereits gezeigten innenrechtlichen und europarechtlichen Mängeln bezüglich der naturschützenden und umweltschützenden Verbandsklagemöglichkeiten im Rahmen des BNatSchG (gem. § 63 BNatSchG) und des UmwRGscheint es für den deutschen Gesetzgeber unerlässlich, geeignete gesetzliche Initiativen zu ergreifen, um einen effektiveren und europarechtskonformen überindividuellen Umweltrechtsschutz sicherzustellen. Dafür sprechen auch wichtige Urteile des EuGH (wie das sog. Trianel-, das slowakische Braunbären-Urteil, das sog. Altrip-Urteil aber auch das Urteil in der Rechtssache C-137/14), die oben analysiert wurden109, sowie das oben dargestellte Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12.110 Unter diesen Bedingungen wäre anstelle des UmwRG und des § 63 ff. BNatSchG die Einführung eines allgemeinen, umfangreichen, einheitlichen Verbandsklagerechts möglicherweise zum Schutz des gesamten Umweltrechts auf Bundesebene empfehlenswert – eine Einführung, die allerdings nicht mit der geltenden Individualklage vermengt werden sollte. Daher ist eine Unterscheidung dieser Umweltverbandsklage von der aktuellen Individualklage durch die Gesetzgebung wünschenswert. Dieses Klagerecht soll weitere Rechtsbehelfe der VwGO, wie die Anfechtungsklage, die Verpflichtungsklage, die allgemeine Leistungsklage, sowie die Beantragung einer Normenkontrolle zum Rechtsschutz der Umwelt zulassen. Der Umfang eines solchen Rechtsbehelfs soll den gesamten materiell- und verfahrensrechtlichen Bereich des Umweltrechts – einschließlich der umweltschützenden Vorsorgevorschriften – umfassen. Für die Zulässigkeit einer solchen Klagemöglichkeit wäre grundsätzlich die Verletzung eines „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ der klagenden Umweltschutzvereinigung durch eine Handlung oder Unterlassung ausreichend. Neben den Klagemöglichkeiten von Umweltschutzvereinigungen soll auch die Klagebefugnis von Privaten und Gemeinden in Umweltangelegenheiten erweitert werden. Obwohl eine solche Erweiterung nicht unions- oder verfassungsrechtlich erforderlich ist, wäre sie jedoch sachgemäß zum Zweck eines effektiveren Umweltrechtsschutzes, der zur Beseitigung noch bestehender Vollzugsdefizite im Umweltrecht führen könnte. Dies stünde im Einklang mit dem noch nicht umgesetzten Art. 9 Abs. 3 AK, der den weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für sämtliche „Mitglieder der Öffentlichkeit“ gewährleistet. 109 s. o. 1. Teil, 4. Kap., A. ff.; 1. Teil, 4. Kap., B. ff.; 1. Teil, 3. Kap., E., III.–IV.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 2.–3. 110 s. o. 1. Teil, 5. Kap., B. ff.
B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts
687
Eine dahingehende Erweiterung der Klagebefugnis von Privaten in Umweltangelegenheiten kann beispielsweise durch eine expansive Definition der Schutznormen erfolgen. Dabei kann der Gesetzgeber einzelnen Rechtsträgern subjektive Rechte auf Einhaltung bestimmter, bislang rein objektiv gewährter Umweltschutzbestimmungen ausdrücklich einräumen. Ein solches umweltschützendes Klagerecht für Private würde somit der Richtung einer Interessentenklage folgen ohne aber das geltende Verletztenklagesystem zu beseitigen. Es soll sich somit um eine ausgedehnte, flexiblere, moderne Version des Verletztenklagesystems handeln. Eine gesetzliche Verankerung dieser neuen, umfangreichen subjektiven Rechte wäre daher erforderlich, um Missinterpretationen zu vermeiden. Die entsprechenden Anpassungen könnten beispielsweise durch eine funktionelle Subjektivierung in § 42 Abs. 2 S. 2 VwGO verwirklicht werden. Gegebenenfalls könnte ein Katalog von bestimmten klagefähigen Entscheidungen auch von natürlichen Personen für das Rechtsgebiet des öffentlichen Umweltrechts erlassen werden. Auch eine Ausdehnung des Nachbarbegriffs könnte der Erweiterung der Klagemöglichkeiten Privater in Umweltangelegenheiten dienen. Der Einwirkungsbereich der Umweltbelastungen sowie die mögliche geografische Ausweitung des drohenden oder eingetretenen Schadens in Zusammenhang mit der Gefährlichkeit der Verschmutzungsquelle oder dem Schweregrad der eventuellen ökologischen Störung sollten als Maßstäbe für eine ausgedehnte Bestimmung des Nachbarbegriffs im Gebiet des Umweltschutzrechts angesehen werden. Auch die Klagebefugnis der Gemeinden in Umweltangelegenheiten soll erweitert werden. Als demokratisch legitimierte Institutionen, die unter anderem zur Durchsetzung von lokal radizierten Allgemeininteressen ermächtigt und zur Wahrnehmung der Interessen der örtlichen Gemeinschaft (einschl. der Erhaltung der örtlichen Umwelt) berufen sind, sollen die Gemeinden in ihren umweltschützenden Klagemöglichkeiten nicht hinter den Umweltschutzvereinigungen zurück bleiben. Zu diesem Zweck soll der Umfang der bislang eng verstandenen Interessensphäre der Gemeinden weiter ausgelegt werden, so dass darin auch die Verletzung von umweltbezogenen bisher objektiven Rechten (etwa Natur- und Artenschutzrechte im Außenbereich) erfasst werden, soweit dadurch Interessen der Gemeindebürger und daher auch der Gemeinden unzumutbar beeinträchtigt werden. Eine solche Entwicklung stünde auch in Übereinstimmung mit den Anforderungen der AK, wonach auch die Gemeinden als „betroffene Öffentlichkeit“ angesehen werden können. Zum Zweck der effektiven Ausdehnung des Umweltrechtsschutzes ist auch die Einführung eines Umweltgrundrechts im deutschen Grundgesetz empfehlenswert. Dadurch würde eine grundrechtliche Gewährleistung für die jeweils klagenden Personen geschaffen, die eine im Vergleich zu bisher weitere Klagebefugnis im Bereich des Umweltschutzes etablieren könnte. Eine solche Entwicklung steht
688
1. Teil, 6. Kap.: Wege zum Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
auch in Harmonie mit der vorgeschlagenen Erweiterung der Klagebefugnis von Privaten, Gemeinden und Umweltschutzvereinigungen im Bereich des Umweltschutzes. Die hier ausgeführten Vorschläge sind bewusst in groben Zügen dargestellt. Der deutsche Gesetzgeber soll den seinem Ermessen nach bestmöglichen Weg auswählen, um einen weitreichenden Umweltrechtsschutz in voller Übereinstimmung mit den unionalen und völkerrechtlichen Anforderungen sicherzustellen. Zu diesem Zweck könnte auch das rechtswissenschaftliche Instrument der Rechtsvergleichung beitragen.111 Denn die konsequente Beobachtung der Struktur sowie der Entwicklung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in anderen nationalen und internationalen Rechtsordnungen könnte als Wegweiser und Inspirationsquelle für die Verbesserung der bestehenden Umweltrechtsschutzproblematik auch des deutschen Rechts wirken. Gerade deswegen sollen im folgenden Teil II dieser Arbeit die Grundlagen und die Funktion des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im griechischen Recht dargestellt und erörtert werden. Die Darstellung der griechischen Rechtsordnung, die sich für das Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle entschieden hat, wurde vor allem deshalb ausgewählt, da – im Gegensatz zum deutschen Recht – der überindividuelle Umweltrechtsschutz im griechischen Rechtsschutzsystem durch seine große Reichweite und Flexibilität gekennzeichnet ist.112 Die gegenüberstellende Analyse der Struktur und Funktion des griechischen überindividuellen Rechtsschutzes könnte daher nicht nur als Anstoß zur Beseitigung vorhandener Probleme des deutschen überindividuellen Umweltrechtsschutzes wirken, sondern auch als ein weiterer Beitrag zur Tendenz der Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, die auch im Bereich des öffentlichen Umweltrechts wahrnehmbar ist (etwa durch die Umsetzung der AK durch die relevanten Richtlinien). Denn Voraussetzung einer erfolgreichen Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts soll m. E. auch das tiefere Verständnis der nationalen Verwaltungsordnung (hier der griechischen Umweltverwaltungsordnung) sein.
111
Vgl. G. Beaucamp, UPR 2001, S. 134 ff. Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 101 ff.; G. Siouti/G. Gerapetritis, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 262 ff. 112
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 3
Überindividueller Umweltrechtsschutz am Beispiel der altruistischen Verbandsklage in der deutschen, griechischen und europäischen Rechtsordnung Teilband II
Von
Eleftherios Dikaios
Duncker & Humblot · Berlin
ELEFTHERIOS DIKAIOS
Überindividueller Umweltrechtsschutz am Beispiel der altruistischen Verbandsklage in der deutschen, griechischen und europäischen Rechtsordnung
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 3
Überindividueller Umweltrechtsschutz am Beispiel der altruistischen Verbandsklage in der deutschen, griechischen und europäischen Rechtsordnung Teilband II
Von
Eleftherios Dikaios
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.
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Inhaltsübersicht Band I Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im deutschen Recht Einleitung: Zur Problematik der Rechtsschutzdefizite im deutschen Umweltrecht .
13 15
1. Kapitel Das Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht und seine Schwachstellen im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes
27
A. Konzeptionen der Funktion der Rechtskontrolle in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
B. Das subjektive öffentliche Recht in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . .
31
C. Gesetzliche Grundlagen des deutschen Individualrechtsschutzsystems . . . . . . . .
81
D. Umfang des Umweltschutzes im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
E. Die Problematik des Drittschutzes im Bereich des materiellen Umweltrechts . . 113 F. Die Rechtsschutzproblematik im Bereich des umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 G. Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Kapitel Umweltrechtsschutz duch die altruistische Verbandsklage des Bundesnaturschutzgesetzes
232
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 B. Formen der Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 C. Die Entwicklung der altruistischen Verbandsklage im deutschen Recht vor der Einführung des neuen BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 D. Die altruistische naturschützende Verbandsklage auf Bundesebene . . . . . . . . . . . 273
VI
Inhaltsübersicht 3. Kapitel Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG
309
A. Zur Entstehung des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 B. Anwendungsbereich gem. § 1 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 C. Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der umweltschützenden VK gem. § 2 UmwRG vom 21.01.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 D. Zur Anerkennung von Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG . . . . . . . . 415 E. Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern nach § 4 UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 F. Maßgaben zur Anwendung der VwGO (§ 4a UmwRG vom 21.01.2013) . . . . . . 486 G. Die Übergangs- und Überleitungsvorschrift (§ 5 UmwRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 H. Die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 I. Sonderfragen hinsichtlich der Umweltrechtsschutzproblematik . . . . . . . . . . . . . . . 534 J. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 4. Kapitel Ausgewählte Vorlagebeschlüsse des EuGH als Wegweiser für die Erweiterung des nationalen überindividuellen Umweltrechtsschutzes
557
A. Das Trianel-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 B. Die slowakischen Braunbären-Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 5. Kapitel Tendenzen der deutschen Rechtsprechung zur Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes
626
A. Unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Umfangs der Verbandsklagerechte 627 B. Das Grundsatzurteil des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 . . . . . . . . . . . . . . 631 6. Kapitel Wege zum effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene
662
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 B. Lösungsansätze im Rahmen des Bundesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
Inhaltsübersicht
VII
Band II 2. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Recht
689
Einleitung: Ausgedehnter Umweltrechtsschutz als rechtliche Reaktion auf Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 1. Kapitel Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechtsschutzes und des Umweltschutzes
696
A. Der Art. 20 gr. V. als verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsschutzes im griechischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes im Rahmen der griechischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 2. Kapitel Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
735
A. Allgemeines zu den Rechtsbehelfen der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen und Unterlassungen in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 C. Das rechtliche Interesse im Rahmen des umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 D. Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 3. Kapitel Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
811
A. Würdigung und Verbesserungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 B. Rechtsvergleichende Anmerkungen zwischen deutschem und griechischem Recht bezüglich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . 817 3. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im EU-Recht
829
Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831
VIII
Inhaltsübersicht 1. Kapitel Grundlagen des Umweltschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts
835
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 B. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
2. Kapitel Grundlagen und Defizite des Rechtsschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts
852
A. Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auf unionaler Ebene 852 B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 C. Zur Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger . 896 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917
3. Kapitel Die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der EU-Rechtsprechung
922
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922 B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen aus der europäischen Rechtsprechung vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags . . . . . . 930 C. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972
4. Kapitel Versuche des EU-Gesetzgebers zur Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
975
A. Reaktion des europäischen Vertragsgebers durch den Abschluss des LissabonVertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 B. Die europäischen Rechtsakte nach dem Lissabon-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986 C. Stellungnahme zum Streit hinsichtlich der Rechtsakte mit Verordnungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
Inhaltsübersicht
IX
5. Kapitel Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
1001
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV anhand von Beispielen aus der unionalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 B. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 C. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044 6. Kapitel Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
1048
A. Entstehungsgeschichte der AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1048 B. Zweck der AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051 C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054 D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor den EU-Gerichten gegen Beschlüsse der Kommission bezüglich des internen Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1115 7. Kapitel Würdigung
1119
4. Teil Rückblick und Ausblick
1129
A. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1131 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1165 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1174 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1280
Inhaltsverzeichnis Band II
2. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Recht
689
Einleitung: Ausgedehnter Umweltrechtsschutz als rechtliche Reaktion auf Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691
1. Kapitel Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechtsschutzes und des Umweltschutzes
696
A. Der Art. 20 gr. V. als verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsschutzes im griechischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes im Rahmen der griechischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Umweltbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umweltschützende Vorschriften im Rahmen der griechischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Grundrecht auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines zum Inhalt und zu Merkmalen des Grundrechts auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Träger des Grundrechts auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtsnatur des Grundrechts auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Recht auf Umweltschutz als individuelles Grundrecht . . . . . . . b) Das Recht auf Umweltschutz als soziales Grundrecht . . . . . . . . . . . . c) Das Grundrecht auf Umweltschutz als politisches Recht . . . . . . . . . d) Das Grundrecht auf Umweltschutz als gemischtes Recht . . . . . . . . . IV. Drittwirkung des Rechts auf Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zur Missachtung des Grundrechts auf Umweltschutz: ausgewählte Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung des Umweltschutzes durch das griechische Memorandum? VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
701 701 703 706 706 712 713 713 715 720 722 722 725 730 732
XII
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht 735
A. Allgemeines zu den Rechtsbehelfen der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen und Unterlassungen in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . 735 I. Zur Umsetzung der Aarhus-Konvention im griechischen Recht . . . . . . . . . 739 1. Umsetzungsmängel im Bereich der Umweltinformation und der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterscheidung zwischen materiellen Streitigkeiten und Streitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kontrolldichte bei den materiellen Streitigkeiten und den Streitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontrolldichte bei der Prüfung der Tatsachenfeststellung einer Aufhebungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Klagebefugnis des Aufhebungsklägers bei einer Aufhebungsklage . . . 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Aufhebungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründetheitsvoraussetzungen der Aufhebungsklage . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstoß gegen wesentliche Verwaltungsverfahrensanforderungen . . d) Materieller Gesetzesverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gewaltmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das rechtliche Interesse im Rahmen des umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines zur erweiterten Auslegung des rechtlichen Interesses in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff und Umfang des rechtlichen Interesses im griechischen Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Voraussetzungen des rechtlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliches rechtliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsfigur der ökologischen Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbares rechtliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenwärtiges rechtliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zur erweiterten umweltbezogenen Aufhebungsklage der natürlichen Personen: Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
744 744 746 748 750 751 751 753 753 753 754 759 761 762 766 768 768 771 774 774 777 779 780 783
Inhaltsverzeichnis 1. Begrenzungstendenzen des rechtlichen Interesses natürlicher Personen Erweitertes rechtliches Interesse der Selbstverwaltungskörperschaften in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die umweltschützende Aufhebungsklage der Verbände im griechischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die griechische umweltschützende Aufhebungsklage von Verbänden in der Rechtsprechung des Staatsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klagebefugnis von Vereinigungen ohne juristische Persönlichkeit in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Überbelastung des Staatsrates wegen einer erweiterten Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII 785
V.
788 792 796 802 803
D. Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806
3. Kapitel Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
811
A. Würdigung und Verbesserungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 B. Rechtsvergleichende Anmerkungen zwischen deutschem und griechischem Recht bezüglich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . 817
3. Teil Überindividueller Umweltrechtsschutz im EU-Recht
829
Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831
1. Kapitel Grundlagen des Umweltschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff „Umwelt“ im EU-Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gebot eines hohen Umweltschutzniveaus bzw. einer Verbesserung der Umweltqualität gem. Art. 37 EU-GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Querschnittsregelung des Art. 11 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Umweltschutzziele gem. Art. 191 ff. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
835 835 836 838 843 847
B. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
XIV
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Grundlagen und Defizite des Rechtsschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts
852
A. Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auf unionaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 I. Der Grundsatz des effektiven Zugangs zu den Gerichten (Art. 47 EUGRCh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854 II. Gewährleistung wirksamen Individualrechtsschutzes in Kooperation mit der Gerichtsbarkeit der EU-Mitgliedstaaten (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) 859 B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Klageberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privilegierte und teilprivilegierte Klageberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nicht privilegierte Klageberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand der Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zum Umfang der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Drittkläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Allgemeines über die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht privilegierter Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur unmittelbaren Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur individuellen Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gerichtliche Kontrolldichte im EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zur Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erweiterungsversuche der Nichtigkeitsklagegegenstände unter Auflagen auf Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Versuche der Erweiterung der Nichtigkeitsklagegegenstände unter Auflagen auf Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Hintergründe der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger IV. Rechtsschutzdefizite im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens bzw. der europarechtlichen Schadensersatzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
864 867 867 869 871 873 883 884 884 888 894 896 900 905 908 913
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917
3. Kapitel Die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der EU-Rechtsprechung
922
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922 I. Verbände als individualisierte Klageberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
Inhaltsverzeichnis II.
Keine altruistische Verbandsklage im europäischen Umweltrecht . . . . . .
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen aus der europäischen Rechtsprechung vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Urteil „Stichting-Greenpeace“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schlussanträge von Generalanwalt Cosmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Urteil „Danielsson u. a.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Urteil „Jégo-Quéré“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Urteil „Unión de Pequeños Agricultores“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Urteile „EEB u. a.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Urteil „Açores“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Urteil „WWF-UK Ltd“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Das Urteil „Etimine SA und AB Etiproducts Oy“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine Klagebefugnis für Personen, die sich für den Umweltschutz einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ungleichheit hinsichtlich des Rechtsschutzes zwischen Allgemeininteressen und Individual- bzw. Wirtschaftsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mangelhafter dezentraler Rechtsschutz im Bereich des überindividuellen Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Angezweifelte Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . .
XV 925
930 930 933 935 938 942 945 947 949 951 958 960 960 963 966 968
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 4. Kapitel Versuche des EU-Gesetzgebers zur Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
975
A. Reaktion des europäischen Vertragsgebers durch den Abschluss des Lissabon-Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Variante 1 des Art. 263 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Variante 2 des Art. 263 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Variante 3 des Art. 263 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Streit über den Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ . .
975 975 976 980 983
B. Die europäischen Rechtsakte nach dem Lissabon-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzgebungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsakte ohne Gesetzescharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Delegierte Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vertragsdurchführende Rechtsakte ohne Gesetzescharakter . . . . . . . . . . . .
986 986 987 988 988 989
XVI
Inhaltsverzeichnis
C. Stellungnahme zum Streit hinsichtlich der Rechtsakte mit Verordnungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 I. Zum Begriff „Durchführungsmaßnahme“ und seinem Bezug zum Kriterium der „unmittelbaren Betroffenheit“ gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV 997 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
5. Kapitel Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV anhand von Beispielen aus der unionalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Urteil „Arcelor“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das EuG-Urteil im Fall „Microban“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der EuG-Beschluss im Fall „Eurofer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Fall „Inuit“ vor dem EuG und EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1001
1001 1001 1003 1005 1009
B. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 I. Geringfügige Rechtsschutzfortschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 II. Mangelhafter Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019 III. Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes? 1023 IV. Auswirkungen auf den speziellen Bereich des Umweltrechts . . . . . . . . . . 1026 C. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Modifizierung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erweiterte Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Perspektive der Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1033 1033 1034 1040
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044
6. Kapitel Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
1048
A. Entstehungsgeschichte der AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1048 B. Zweck der AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051 C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . I. Antragsziel gem. Art. 10 AK-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gerichtlicher Rechtsschutz nach dem Antrag auf interne Überprüfung . .
1054 1056 1057 1059 1064
Inhaltsverzeichnis V.
XVII
Restriktiver Umfang des Anwendungsbereichs des Art. 10 AK-VO – Beispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1067
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor den EU-Gerichten gegen Beschlüsse der Kommission bezüglich des internen Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Urteile des EuG in den Rechtssachen T-338/08 und T-396/09 . . . . . . . . . II. Das Urteil des EuGH C-401 bis 403/2012 P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik an der EuG- und EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Problematik des Verbandsrechtsbehelfs der AK-VO . . . . . . . . . . . E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts . . . . . . . . . . . . . I. Erweiterter Anwendungsbereich des Antrags auf interne Überprüfung . II. Einräumung von bestimmten Verfahrensgarantien zugunsten der Umweltverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Einführung einer Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Richtlinienvorschlag des EG-Parlaments und des Rates für eine RL über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24.10.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bevorstehende Einführung einer Gerichtszugangsrichtlinie? . . . . . . . . 3. Zweck des Richtlinienvorschlags über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24.10.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Klagebefugnis von Mitgliedern der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anerkennung qualifizierter Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1077 1078 1084 1089 1089 1096 1098 1098 1099 1100
1101 1105 1107 1107 1110 1112 1113
F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1115 7. Kapitel Würdigung
1119
4. Teil Rückblick und Ausblick A. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeiner Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum überindividuellen Umweltrechtsschutz im deutschen Recht (1. Teil) 1. Zum Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht und zu seinen umweltrechtsschützenden Schwachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1129 1131 1131 1132 1132
XVIII
III.
IV.
Inhaltsverzeichnis 2. Zum Umweltrechtsschutz durch die altruistische Verbandsklage des Bundesnaturschutzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zu ausgewählten Vorlagebeschlüssen des EuGH als Vehikel für die Erweiterung des nationalen Umweltrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zu Tendenzen der deutschen Rechtsprechung zur Erweiterung des überindividuellen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zu Wegen zum effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum überindividuellen Umweltrechtsschutz im griechischen Recht (2. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Rechtsschutzes und des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum überindividuellen Rechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu Verbesserungsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum überindividuellen Umweltrechtsschutz im EU-Recht (3. Teil) . . . . . 1. Zu Grundlagen des Umweltschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu Grundlagen und Defiziten des Rechtsschutzes auf der Ebene des EU-Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der Rechtsprechung vor dem Lissabon-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zu Versuchen des EU-Gesetzgebers zur Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zu Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV und zu Lösungsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zum Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene . . . . . . . . . . .
1137 1138 1147 1149 1150 1152 1152 1153 1157 1158 1158 1158 1160 1161 1162 1163
B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1165 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1174 I. Deutsche, englische und französische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1174 II. Griechische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1262 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1280
2. Teil
Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Recht
Einleitung: Ausgedehnter Umweltrechtsschutz als rechtliche Reaktion auf Umweltbeeinträchtigungen Im Kontrast zum deutschen öffentlichen Rechtsschutzsystem folgt das griechische Recht der vor allem aus der französischen Rechtstradition stammenden Rechtsschutzkonzeption der objektiven Rechtskontrolle.1 Parallel zur bereits dargestellten Problematik und Entwicklung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im deutschen Individualrechtsschutzsystem wäre es interessant, näher zu prüfen, wie sich der überindividuelle Umweltrechtsschutz im deutschen Individualrechtsschutzsystem vom griechischen Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle unterscheidet. Dadurch könnten hilfreiche Schlüsse hinsichtlich der Defizite sowie der Effektivität des Umweltrechtsschutzes in beiden Rechtsordnungen gezogen werden. Im Hinblick darauf muss zunächst beachtet werden, dass neben der intensiven Beeinträchtigung der Umweltgrundlagen in Griechenland2 vor allem durch wirt1 Vgl. I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 205 ff.; W. Rotis, in: ders. (Hrsg.), Juristische Texte, 1989, S. 17 ff.; A. Gerontas, in: Organisationssysteme der Justiz in Ländern der Europäischen Union und in Zypern, Bulgarien, Rumänien und Ungarn, 2003, S. 280 ff. Mehr zum Rechtsschutzkonzept des objektiven Rechtsschutzes s. o. 1. Teil, 1. Kap., A., I. Zur historischen Entwicklung des Umweltschutzes in Griechenland vgl. E. Dikaios/T. Papanastasiou, Hellenic Republic (Greece), in: H. Funabashi u. a. (Hrsg.), A General World Environmental Chronology, 2014, S. 621 ff., m.w. N. 2 Laut mehreren Studien ist Griechenland eines der reichsten Länder der Welt in Bezug auf die Artenvielfalt. Rund 6.000 Pflanzenarten wachsen in Griechenland (in Deutschland 3.000 Pflanzenarten) [vgl. P. Burgbacher/W. Brasse, Der Umweltschutz in Griechenland, 1979, S. 209 ff.; EEA, Europe’s Environment – The Fourth Assessment. State of the Environment, Report No. 1/2007, S. 176]. Ein großer Teil davon sind endemische Pflanzenarten. Auch viele Säugetierarten sind indigen (17,1%); gleiches gilt auch für ca. 85% der Süßwasserfische [vgl. A. Legakis, How many are the animal species of Greece?, Greek Ecologists Union and Hellenic Zoological Society National Conference, November 2004]. Die Vielfalt der Pflanzenarten sowie die Vielfalt von Tierarten bestimmter Tiergruppen (etwa Vögel, Reptilien, terrestrische Weichtiere, Asseln) ist eine der höchsten in Europa und im Mittelmeerraum [vgl. EEA, The European environment – state and outlook 2010, Country assessments/Greece, 2010; A. Legakis/ R. Tzanetatou-Polymeni/S. Giokas/K. Sotiropoulos, Faunal Diversity, University of Athens 2006, S. 217; A. Strid, The botanical exploration of Greece, IVth Balkan Botanical Congress, 2006]. Bezüglich der Vielfalt von endemischen Kräutern und Heilpflanzen kommt Griechenland nach Madagasgar auf globaler Ebene die zweite Stelle zu [vgl. A. Strid, The botanical exploration of Greece, IVth Balkan Botanical Congress, 2006; T. Tsinganas, Tapping into Greece’s huge biodiversity, Ekathimerini, 31.05.2011].
692
2. Teil, Einleitung
schaftliche Interessen auch ein erhebliches Organisationsdefizit der zuständigen Behörden hinsichtlich des Umweltschutzes vorliegt.3 Es handelt sich grundsätzlich um die häufig „symbolische“ Anwendung umweltbezogener Gesetzgebung. Damit ist prinzipiell die unzureichende Durchführung der Forst- und Wohnungssowie der Raumordnungsgesetzgebung und -politik gemeint, die vielmals eine mangelnde Transparenz hinsichtlich der Funktion und Verwirklichung der umweltbezogenen Verfahren (einschließlich des Umweltinformations- und Umweltbeteiligungsrechts), eine mangelhafte Ausübung des Umweltverträglichkeitsprüfungsrechts, eine unzureichende Planung und Bewirtschaftung der Wasser- und Bodenschatzressourcen, eine problematische Durchführung des Abfallwirtschaftsrechts sowie eine unbefriedigende Planung einer umweltfreundlichen Agrarpolitik im Zusammenhang mit der Anwendung einer kurzsichtigen Energie-, Emissionsschutz- und Klimaschutzpolitik aufweist, oftmals ohne langfristige Vision. Hinzu kommt die knappe Förderung der Umweltbildung bzw. des Umweltbewusstseins. Im Allgemeinen stößt Griechenland auf Schwierigkeiten bei der Anwendung der europäischen Gesetzgebung.4 Charakteristisch dafür ist, dass Griechenland nach Italien unionsweit zu den Ländern mit den höchsten Verletzungsquoten der unionalen umweltrechtlichen Gesetzgebung gehört.5 Erwähnenswert sind die griechischen Feuchtgebiete als sehr bedeutende Brut- und Wohnstätten für heimische und durchziehende Vögel. Beispielsweise befindet sich das bedeutendste Feuchtgebiet von Europa im griechischen Evros-Delta [vgl. P. Burgbacher/W. Brasse, der Umweltschutz in Griechenland, 1979, S. 209 ff.]. Allerdings wird geschätzt, dass in den letzten 100 Jahren mehr als 150 Pflanzenarten ausgestorben sind. Darüber hinaus befinden sich in Griechenland ca. 13% der Vogel- und 25% der Fischarten in Gefahr und sind vom Aussterben bedroht [vgl. O.E.C.D., Environmental Performance Reviews – Greece, 2000, S. 187]. Dazu muss man die Gefährdung der zahlreichen archäologischen Denkmäler rechnen, die als internationales kulturelles Erbe gelten und auch zu den Umweltgütern gehören, sowie die hervorragende Landschaft des Landes [vgl. G. G. Aperghis/M. Gaethlich, The Natural Environment of Greece: An Invaluable Asset being Destroyed, Southeast European and Black Sea Studies 2006, S. 377 ff., m.w. N.]. 3 Vgl. A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 211 ff.; S. Risos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Die Bürgergemeinschaft und die Implementierung des Umweltrechts, 2007, S. 27 ff.; A. Papakonstantinou, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Die Bürgergemeinschaft und die Implementierung des Umweltrechts, 2007, S. 55 ff.; A. Makrydimitris/C. Chrysanthakis/N. Koulouris/A. Oikonomou, „Ombudsmann“, Die Kontrolle der Verwaltungsdefizite in Griechenland und Europa, 1996, S. 11 ff.; E. Papadimitriou, Umweltpolitik und ökologische Krise, 2006, S. 283 ff.; s. auch E. Dikaios/T. Papanastasiou, Hellenic Republic (Greece), in: H. Funabashi u. a. (Hrsg.), A General World Environmental Chronology, 2014, S. 621 ff.; jeweils m.w. N. 4 Vgl. zu allen diesen umweltbezogenen Defiziten: E. Dikaios, NkF, Dezember 2007, m.w. N.; s. charakteristische Beispiele bezüglich der Umgehung des verfassungsmäßigen Umweltschutzes durch das Recht vgl. A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 211 ff.; A. Kallia-Antoniou, Die Verpflichtungen Griechenlands und die Rechte der Griechen im Rahmen der europäischen Gesetzgebung über Umweltschutz, 1987, S. 19 ff.; jeweils m.w. N. Zu der Problematik der Umweltbeeinträchtigungen in Griechenland aus naturwissenschaftlicher Sicht vgl: A. Valavanidis/T. Vlachogianni, Department of Chemistry, University of Athens, 18.03.2011, S. 3 ff., m.w. N.
2. Teil, Einleitung
693
Der griechische Gesetzgeber hat versucht, gerade auf diese Defizite zu reagieren. In diesem Rahmen wird unter anderem der Begriff der Umwelt nach dem griechischen Recht (aufgrund Art. 24 Abs. 1 und 6 gr. V.; sowie des Rahmengesetzes Nr. 1650/19866, das durch das Gesetz 3010/20027 ergänzt wurde) erweitert aufgefasst. Indizierend dazu ist, dass der Umweltbegriff auch die kulturellen Faktoren erfasst.8 Dabei erkennt er im Gegensatz zum Bundesgesetzgeber seit der Verfassung von 19759 das sog. Recht auf Umweltschutz als Grundrecht (Art. 24 gr. V.) an.10 Obwohl das griechische Rechtsschutzsystem, wie auch das deutsche, grundsätzlich (aufgrund Art. 20 gr. V.) auf den Schutz des Individuums gerichtet ist, erweitert die griechische Rechtsprechung des Staatsrates (oberster Verwaltungsgerichtshof) insbesondere bei Umweltangelegenheiten die Klagebefugnis des jeweiligen Klägers. Durch eine besonders erweiterte Auslegung des rechtlichen Interesses, dessen Begründung erforderliche Zulässigkeitsvoraussetzung einer Aufhebungsklage ist, versucht sie, den Umweltschutz zu verstärken und zumindest teilweise die organisatorischen und administrativen Defizite der griechischen Rechtsordnung zu beseitigen.11 Daraus ergibt sich das Recht von Vereini5 European Commission, Annual Environment Policy Review, Greece, Country Profile 2010, edit. 2013, S. 3. 2010 hatte die Europäische Kommission in 31 umweltrechtlichen Fällen Griechenland vor den EuGH gebracht, während Deutschland nur in 12 umweltrechtlichen Fällen von der Europäischen Kommission verklagt wurde. European Commission, Annual Environment Policy Review, Germany, Country Profile 2010, edit. 2013, S. 3. Zum Beitrag des EuGH zur Anwendung der Umweltpolitik s. W. Christianos, NkF 1995, S. 27 ff. 6 Rahmengesetz Nr. 1650/1985, Über den Schutz der Umwelt (FEK 160/A/16-1086). Dieses Gesetz hat als Rahmengesetz allgemeine Geltung und Anwendung im griechischen Recht. Es regelt die wesentlichen Grundzüge des Umweltschutzes. Weitere detaillierte Regelungen dieses Gesetzes wurden bisher durch dutzende Präsidialverordnungen (PVO), Ministererlasse und Verwaltungsakte erlassen. Das Schrifttum kritisiert allerdings diese Methodik in vielen Fällen als unzureichend. Denn dadurch wird die Umweltgesetzgebung eher fragmentarisch und häufig auf unbestimmte und unsystematische Weise eingeführt. Vgl. u. a. I. Karakostas, PerDik 2002, S. 37 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 189 ff. 7 FEK 160 A’, Harmonisierung des Rahmengesetzes 1650/1986 mit den RL 97/11/ EG und 96/61/EG. Vgl. dazu I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2006, S. 103 ff. 8 Vgl. indizierend dazu P. Dagtoglou, Verfassungsrecht – Individuelle Rechte, 1991, S. 422 ff.; ausführlich über den Schutz der kulturellen Umwelt in Griechenland: A. Tachos, Recht des Umweltschutzes, 2006, S. 242 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 241 ff.; zum nachhaltigen Schutz des kulturellen Erbes insb. in Deutschland vgl. C. Katsos, Nachhaltiger Schutz des kulturellen Erbes, 2011, S. 79 ff.; jeweils m.w. N. 9 Zusammenfassend zur Verfassungsentwicklung Griechenlands bis 1975 vgl. N. Kaltsogia-Tournaviti, JöR 1983, S. 297 ff., m.w. N. 10 Dazu s. u. 2. Teil, 1. Kap., B., III. ff. 11 Vgl. S. Risos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Die Bürgergemeinschaft und die Implementierung des Umweltrechts, 2007, S. 27 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zi-
694
2. Teil, Einleitung
gungen, die eine unmittelbar oder mittelbar umweltbezogene Satzungsaufgabe haben, eine Aufhebungsklage gegen umweltschädliche Verwaltungsmaßnahmen, d.h. eine quasi altruistische VK i. S. d. deutschen Rechts zu erheben. Trotzdem unterscheiden sich die Voraussetzungen und der Anwendungsbereich der griechischen altruistischen VK erheblich von der deutschen entsprechenden VK. Allerdings soll die umfangreiche altruistische VK des griechischen Rechts keineswegs als „Allheilmittel“ hinsichtlich der Umweltschutzdefizite, die Griechenland in diesem Bereich prägen, angesehen werden.12 Es muss von Anfang an berücksichtigt werden, dass das griechische Recht über keine spezielle Vorschrift entsprechend den § 63 ff. BNatSchG oder den § 1 ff. UmwRG, die jeweils eine konkrete altruistische naturschutz- und umweltschutzrechtliche altruistische VK bestimmen, verfügt. Vielmehr hat sich im griechischen Verwaltungsrecht seit langem eine Aufhebungsklage durch die Rechtsprechung der griechischen Verwaltungsgerichte und generell des Staatsrats entwickelt, die den jeweiligen Klägern eine besonders weite Klagebefugnis insbesondere auf dem Rechtsgebiet des Umweltschutzes einräumt. In diesem Rahmen sind nicht nur Umweltschutzvereinigungen, sondern auch Städte, Gemeinden, Kommunen und drittbetroffene natürliche Personen berechtigt, gegen Rechtsakte, die die Umwelt beeinträchtigen, zu klagen, soweit sie in der Lage sind, ein rechtliches Interesse zu begründen.13 Im Gegensatz zu der deutschen Rechtsordnung ist die griechische Rechtsordnung nicht von der Schutznormtheorie beeinflusst. Insofern ist es im griechischen Recht nicht erforderlich, dass die Klagebefugnis des jeweiligen Rechtssubjekts nur aus Normen abgeleitet wird, die dem Schutz des Einzelnen dienen. Vielmehr ist es ausreichend, dass das jeweilige klagende Rechtssubjekt die Verletzung seines rechtlichen Interesses begründet, um klagebefugt zu sein. Um die Funktion der griechischen Aufhebungsklage und ihren Bezug auf einen erweiterten Umweltrechtsschutz auch durch die richterliche Entwicklung der griechischen quasi altruistischen Verbandsklage besser zu erläutern und zu verstehen, sollen in diesem Teil die verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsschutzes14 und insbesondere der Inhalt und die rechtlichen Merkmale des griechischen Grundrechts auf Umweltschutz dargestellt werden.15 Dies ist sinnvoll angesichts der Tatsache, dass sich die Entwicklung der griechischen umweltschützenden VK durch die Rechtsprechung grundsätzlich darauf stützt. Zum anvilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts 2009, S. 102 ff., S. 301 ff. 12 Vgl. E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts 2009, S. 102 ff., S. 301 ff., m.w. N. 13 s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., IV. ff. 14 s. u. 2. Teil, 1. Kap., A. 15 s. u. 2. Teil, 1. Kap., B., III. ff.
2. Teil, Einleitung
695
deren soll versucht werden, die grundlegenden Merkmale, den Umfang sowie die Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der griechischen Aufhebungsklage zu präsentieren.16 Im Hinblick darauf soll insbesondere der Schlüsselbegriff des rechtlichen Interesses als entscheidende Voraussetzung für die Erhebung der Aufhebungsklage sowie die durch die Rechtsprechung geschaffene Erweiterung ihres Inhalts im Rahmen der Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten analysiert werden.17 Denn gerade diese Entwicklung hat entscheidend zur Etablierung der ausgedehnten griechischen umweltschützenden VK beigetragen. Dabei soll die Funktion und Bedeutung der griechischen umweltschützenden VK im Rahmen der Aufhebungsklage analysiert und geklärt werden.18 Zu diesem Zweck werden auch ausgewählte Beispiele der griechischen Rechtsprechung erwähnt werden. Gleichwohl ist beabsichtigt, auch die Vereinbarkeit des griechischen Umweltrechtsschutzsystems mit den Anforderungen der Aarhus-Konvention zu beurteilen.19 Dazu werden auch Vorteile und Nachteile des griechischen Rechtsschutzsystems insbesondere in Bezug auf die griechische VK im Umweltrecht kritisch zusammengestellt werden.20 Schließlich werden die Rechtsschutzsysteme Deutschlands und Griechenlands bezüglich der altruistischen VK zusammengefasst einander vergleichend gegenübergestellt, mit dem Ziel, daraus nützliche Schlüsse für beide Rechtsordnungen ziehen zu können.21
16 17 18 19 20 21
s. u. 2. Teil, 2. s. u. 2. Teil, 3. s. u. 2. Teil, 2. s. u. 2. Teil, 2. s. u. 2. Teil, 3. s. u. 2. Teil, 3.
Kap., B., II., 1. ff. Kap., C., I. ff. Kap., C., VI. ff. Kap., D. Kap., A. Kap., B.
1. Kapitel
Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechtsschutzes und des Umweltschutzes A. Der Art. 20 gr. V. als verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsschutzes im griechischen Recht Um die Funktion des Rechtsschutzes Drittbetroffener in Umweltangelegenheiten im Rahmen des griechischen Rechts grundlegend zu verstehen, ist es zweckmäßig, die Grundlagen des verfassungsmäßigen Rechtsschutzes in der griechischen Rechtsordnung zusammenfassend darzustellen. Es muss berücksichtigt werden, dass im Gegensatz zu Art. 19 Abs. 4 GG1 das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz des Bürgers in dem entsprechenden Art. 20 Abs. 1 gr. V. nicht mit der Verletzung seiner subjektiven Rechte verbunden ist.2 Art. 20 Abs. 1 gr. V. lautet: „Jeder hat das Recht auf Rechtsschutz vor den Gerichten, und jeder kann vor den Gerichten seine Ansichten über seine Rechte und Interessen nach Maßgabe des Gesetzes geltend machen.“
Ergänzend zu Art. 20 Abs. 1 gr. V. lautet Art. 20 Abs. 2 gr. V.: „Das Recht auf rechtliches Gehör des Betroffenen gilt auch bei jeder Tätigkeit oder Maßnahme der Verwaltung zu Lasten seiner Rechte oder Interessen.“
Die Rechtsschutzgarantie des Art. 20 Abs. 1 gr. V. gewährt somit jedermann das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Das Recht auf rechtliches Gehör des Betroffenen besteht bei jeder Tätigkeit oder Maßnahme der Verwaltung zu Lasten seiner Rechte und Interessen. Die Rechtsschutzgarantie dieser Vorschrift unterwirft sämtliche Verwaltungstätigkeit der gerichtlichen Kontrolle. Daraus folgt, dass kein Bereich der griechischen administrativen Tätigkeiten von gerichtlicher Kontrolle ausgeschlossen werden kann.3 Nur die Verfassung darf Ausnahmen hinsichtlich der Anwendung dieses Grundrechts bestimmen. So bestimmt z. B. Art. 91 Abs. 4 gr. V., dass Entscheidungen hinsichtlich 1
Zur Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG s. o. 1. Teil, 1. Kap., C., I. Vgl. N. Rotis, FS für den Staatsrat (1929–1979), 1982, S. 133 ff.; D. Tsikrikas, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 414 ff.; E. SchmidtAßmann, ToS 1990, S. 397 ff.; K. H. Schwab, D 1975, S. 13 ff.; jeweils m.w. N. 3 Vgl. I. Psomas, D 1982, S. 36 ff.; P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1994, S. 42 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 48 ff.; K. Stamatis, D 1982, S. 658 ff.; A. Manitakis, D 1982, S. 658 ff. 2
A. Art. 20 gr. V. als Grundlage des Rechtsschutzes im griechischen Recht
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der Disziplinarkontrolle der Richter von der entsprechenden gerichtlichen Kontrolle ausgenommen sind. Ausgenommen sind auch aufgrund des Art. 45 Abs. 5 der gr. GVO Nr. 170/1973 i.V. m. der PVO 18/1989 sog. „Regierungsakte und Anordnungen“.4 Diese Konzeption führt einerseits zu einer Verstärkung des Rechtsschutzauftrags der Verwaltungsgerichte, andererseits aber auch zu einer deutlichen Subjektivierung des gewährten individuellen Rechtsschutzes. Doch schneidet sie demjenigen, dessen objektiv-rechtliche Interessen faktisch verletzt werden, den Rechtsweg nicht ab, sofern sich die Interessen des Klägers auf ein Gesetz stützen.5 Der durch Art. 20 Abs. 1 gr. V. gebotene umfassende Rechtsschutz insbesondere gegen Maßnahmen der vollziehenden Gewalt wird mit Ausnahme der Festsetzung von Enteignungsentschädigung, wofür stets die Zivilgerichte zuständig sind, ausschließlich von den Verwaltungsgerichten gewährt. Das ist in der griechischen Verfassung an sich geregelt. Nach Art. 95 Abs. 1 Buchst. a) gr. V. ist der Staatsrat u. a. für die Aufhebungsklagen gegen „vollstreckbare Akte der Verwaltungsbehörden“ zuständig. Darunter sind sowohl Rechtsverordnungen als auch Verwaltungsakte im Sinne der deutschen Rechtsformlehre zu verstehen.6 Träger des Rechts auf Rechtsschutz können die jeweils betroffenen natürlichen oder juristischen Personen sein.7 Dadurch entscheidet sich die griechische Rechtsordnung – im Gegensatz zu der deutschen Rechtsordnung und unter dem Einfluss des französischen Rechtsschutzsystems8 – eher für die Rechtsschutzkon4 Dazu gehören beispielsweise Rechtsakte, die die Beziehungen zwischen der Exekutive und der Legislative betreffen (etwa Verordnungen hinsichtlich der Auflösung des Parlaments oder in Bezug auf die Ankündigung von Wahlen); die die internationalen Verhältnisse des Staates bestimmen (Abschluss von internationalen Verträge u. a.) und Rechtsakte, die die allgemeine interne und externe Sicherheit des Staates bezwecken. Vgl. M. Stassinopoulos, Recht der Verwaltungsstreitigkeiten, 1980, S. 178 ff. Obwohl dieses Verhalten von der überwiegenden Rspr. des Staatsrates angenommen wird, wird es im Schrifttum – m. E. nach zu Recht – als verfassungswidrig abgelehnt. Vgl. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1994, S. 59 ff.; A. Rantos, EDD 1978, S. 149; jeweils m.w. N. Die Aufhebungsklage ist der wichtigste Rechtsbehelf zum Schutz der Drittbetroffenen im Bereich des öffentlichen Umweltrechtsschutzes. s. u. 2. Teil, 2. Kap., B. ff. 5 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 118, S. 177 ff. 6 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 119; I. Psomas, D 1982, S. 36 ff.; jeweils m.w. N. 7 Vgl. D. Tsikrikas, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 414 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 119; jeweils m.w. N. 8 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 12 ff., S. 66 ff.; I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 280 ff. Zur Entstehungsge-
698 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
zeption der objektiven Rechtskontrolle der jeweils umstrittenen Rechtsakte, ohne allerdings eine actio popularis anzunehmen.9 Die Tatsache, dass im Rahmen eines solchen Rechtsschutzsystems der klagende Bürger die Hauptrolle eines „Funktionärs“ der Verwaltungskontrolle als eine Art Vertreter von subjektiv-öffentlichen Interessen übernimmt, scheint im Einklang mit den liberalen rechtstaatlichen Anforderungen der griechischen Verfassung zu stehen. Im Gegensatz zur deutschen Rechtsschutzgarantie orientiert sich Art. 20 Abs. 1 gr. V. nicht primär an der Gewährleistung eines effektiven Schutzes der subjektiven öffentlichen Rechte der Rechtssubjekte, sondern am effektiven Schutz der rechtsmäßigen Interessen des Einzelnen. Die griechische Rechtsordnung führt somit eine Interessentenklage ein.10 Daraus folgt, dass der Umfang des Rechtsschutzes im griechischen Recht ausgedehnter ist als im deutschen Recht. Trotz der schon im Wortlaut beider Bestimmungen offensichtlichen Ähnlichkeiten11 ist anzumerken, dass der Anwendungsbereich des deutschen Grundrechts auf Rechtsschutz enger ist als das entsprechende griechische Grundrecht.12 Wie schon dargestellt wurde,13 garantiert Art. 19 Abs. 4 GG keine allumfassende Prüfung behördlicher Entscheidungen, sondern nur eine gerichtliche Prüfung im Hinblick auf eine subjektive Rechtsverletzung durch Rechtsakte, die grundsätzlich nur auf die öffentliche Gewalt eingeschränkt sind.14 Entscheidend dafür sind die unterschiedlichen Rechtstraditionen der hier zu untersuchenden Rechtsordnungen. Denn das deutsche Rechtsschutzsystem, das von der Schutznormtheorie geprägt ist, geht grundsätzlich vom Bürger und nicht vom Staat bzw. der Verwaltung aus. Der Rechtsschutz wird somit nicht um des Staates, sondern vor allem um des Einzelnen willen gewährt.15 schichte des Art. 20 gr. V. Vgl. G. Papadimitriou, D 1982, S. 594 ff.; K. Lamprakis, EllDnh 1986, S. 616 ff. 9 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 48 ff., m.w. N. 10 Vgl. W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 25 ff.; W. Schmitt-Glaeser, ToS 1981, S. 547 ff.; D. Tsikrikas, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 402 ff.; jeweils m.w. N. 11 Rechtshistorisch betrachtet ist zu erwähnen, dass die Fassung des deutschen Grundrechts auf Rechtsschutz das entsprechende griechische Recht beeinflusst hat. Vgl. G. Papadimitriou, D 1982, S. 594 ff.; K. Lamprakis, EllDnh 1986, S. 616 ff.; E. Schmidt-Aßmann, ToS 1990, S. 397 ff. 12 Vgl. K. Beys, Art. 20 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias, gr. V.-Komm 2003, S. 45 ff.; P. Pavlopoulos, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Aufhebungsklage, 1982, S. 175 ff.; N. Klamaris, Das Grundrecht auf Rechtsschutz gem. Art. 20 Abs. 1 gr. V. 1975, 1989, S. 29 ff. 13 s. o. 1. Teil, 1. Kap., C., I. 14 Vgl. u. a. E. Schmidt-Aßmann, ToS 1990, S. 397 ff.; W. Berg, in: FS für C.-F. Menger, 1985, S. 541 ff.; jeweils m.w. N. 15 Vgl. S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 38 ff.; M. Herdegen, in: D. Heckmann/ K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 161 ff.; J. Schwarze, NVwZ 1996, S. 23; J.-M. Woehrling, NVwZ 1998, S. 463; dies., VBlBW
A. Art. 20 gr. V. als Grundlage des Rechtsschutzes im griechischen Recht
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Im Kontrast zur deutschen Rechtsschutzgarantievorschrift umfasst das entsprechende griechische Grundrecht nicht nur Rechtsakte der öffentlichen Gewalt, sondern auch die Legislative und die Rechtsprechung, die den Rechtsschutz bewirken. Deren spezifische Funktion liegt in der Wahrung des Rechts um seiner selbst willen, soweit Rechte und Interessen nach Maßgabe des Gesetzes betroffen sind.16 Das griechische Grundrecht auf Rechtsschutz geht von einer objektiven Rechtskontrolle der jeweils umstrittenen Rechtsakte aus. Der Rechtsschutz von Rechten und Interessen wird grundsätzlich um des Staates willen gewährt. Das klagende Rechtssubjekt übernimmt die Rolle eines „Funktionärs“ der Verwaltungskontrolle.17 Offensichtlich folgt der griechische Gesetzgeber der Rechtstradition des französischen Rechtsschutzsystems, das prinzipiell nach objektiver Rechtskontrolle strebt.18 Aus Sicht des öffentlichen Rechts bezweckt das griechische Grundrecht auf Rechtsschutz prinzipiell, durch gerichtliche Kontrolle die Rechtmäßigkeit der öffentlichen Verwaltung einzuhalten. Ausgehend vom prinzipiellen Ziel des Schutzes des öffentlichen, kollektiven Interesses bezweckt aber der griechische Gesetzgeber auch den Schutz subjektiver Rechte, soweit diese durch gesetzwidrige Akte oder Unterlassungen der Verwaltung betroffen sind.19 Durch eine erweiterte objektive Rechtskontrolle der Rechtmäßigkeit öffentlicher Rechtsakte soll somit auch der effektive Rechtsschutz des Einzelnen sichergestellt werden. Damit rich2008, S. 1 ff.; E. Schmidt-Aßmann (übers. P.-M. Efstratiou), ToS 1990, S. 415 ff. Daher sind die Anforderungen, welche die einzelnen Klageverfahren an das individuelle Vorbringen des Klägers stellen, nicht einheitlich. In diesem Rahmen bilden die Klagearten je nach Maßgabe des mit ihnen zu erreichenden Zwecks unterschiedliche Bindungen an das Klageinteresse des Einzelnen aus. 16 Vgl. W. Schmitt-Glaeser, ToS 1981, S. 553; K. Beys, Art. 20 gr. V. in: G. Kassimatis/K. Mavrias, gr. V.-Komm 2003, S. 45 ff.; I. Psomas, D 1982, S. 36 ff. 17 Vgl. I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 195 ff.; N. Soilentakis, DiDik 1992, S. 241 ff.; A. Manitakis, D 1982, S. 658 ff.; A. Petroglou, EDKA 1987, S. 577 ff. 18 Zum französischen Rechtsschutzsystem vgl. u. a. C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und europäischen Verwaltungsprozessrecht, 1996; S. Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsverfahrens – Eine vergleichende Untersuchung zur öffentlich-rechtlichen Klagebefugnis am Beispiel des Umweltschutzes, 1995; R. Halfmann, VerwArch 2000, S. 74 ff.; J. Schwarze, NVwZ 1996, S. 23; J.-M. Woehrling, NVwZ 1998, S. 463; I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 205 ff.; W. Rotis, in: ders. (Hrsg.), Juristische Texte, 1989, S. 17 ff.; A. Gerontas, in: Organisationssysteme der Justiz in Ländern der Europäischen Union und in Zypern, Bulgarien, Rumänien und Ungarn, 2003. S. 280 ff. Kritisch zu einer weitgehenden, aber nicht ganz begründeten Adoptierung von französischen Rechtsinstitutionen im griechischen Recht vgl. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht 1994, S. 363 ff., S. 496 ff. 19 Vgl. I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 389 ff.; N. Chatzitzanis, DiDik 1997, S. 1089 ff.; in dieselbe Richtung auch K.-A. Bettermann, Armen. 1980, S. 711 ff., W. Schmitt-Glaeser, ToS 1981, S. 554.
700 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
tet sich der Gesetzgeber nach der Etablierung und Förderung des Rechtsstaates aus.20 Beide Rechtsschutzsysteme dienen letztlich dem Rechtsstaatsprinzip, obwohl sie von teilweise unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgehen. Die oben dargestellten Hauptunterschiede beider Rechtsschutzsysteme werden auch durch die Entwicklung der Aufhebungsklage im griechischen verwaltungsprozessualen Rechtssystem bestätigt.21 Dieser Rechtsbehelf geht aus dem französischen Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle hervor. Er weist daher keine auffallenden Unterschiede zu der entsprechenden französischen Aufhebungsklage auf.22 Außerdem steht die Rechtsnatur der Aufhebungsklage mit dem zentralen Zweck des griechischen Rechtsschutzsystems, d.h. der objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle der Rechtsakte, im Einklang.23 Ein entsprechender Rechtsbehelf ist im deutschen Rechtsschutzsystem nicht vorhanden. Zu beachten ist, dass die griechische Aufhebungsklage, die durch Art. 95 Abs. 1 S. 1 gr. V.24 gewährleistet wird, untrennbar mit dem Grundrecht auf Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 1 und 2 gr. V.) verbunden ist. Der h. M. nach stellt Art. 95 Abs. 1 S. 1 gr. V. eine Spezialisierung des Art. 20 Abs. 1 gr. V. dar.25 Die griechischen Gerichte sind somit berechtigt, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen sowie die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit der sonstigen Rechtsakte zu prüfen. Rechtsakte der Verwaltung (z. B. Rechtsverordnungen oder Verwaltungsakte) dürfen gem. Art. 95 Abs. 1 Buchst. a) gr. V. von den Verwal20 Vgl. I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 389 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts 2009, S. 102 ff., S. 301 ff.; E. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995; P. Pavlopoulos, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Aufhebungsklage, 1982; jeweils m.w. N. 21 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. S. 66 ff.; I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 280 ff. 22 Vgl. D. Anagnostou, ToS 1988, S. 668 ff., P. Pavlopoulos, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Aufhebungsklage, 1982, S. 77 ff., S. 138 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 66 ff.; I. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 280 ff.; A. Gerontas, in: Organisationssysteme der Justiz in Ländern der Europäischen Union und in Zypern, Bulgarien, Rumänien und Ungarn, 2003, S. 280 ff.; jeweils m.w. N. 23 Vgl. E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts 2009, S. 105 ff. 24 Art. 95 S. 1 gr. V. lautet: „Der Staatsrat ist insbesondere zuständig: a) für die Aufhebungsklagen gegen vollstreckbare Akte der Verwaltungsbehörden wegen Befugnisüberschreitung oder Gesetzesverletzung; b) für die Revisionsklagen gegen ansonsten rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichte wegen Befugnisüberschreitung oder Gesetzesverletzung; c) für die Entscheidung über die materiellen Verwaltungsstreitigkeiten, die ihm nach der Verfassung und den Gesetzen zugewiesen werden; d) für die Ausarbeitung sämtlicher Rechtsverordnungen.“ 25 Über den Bezug des Art. 20 Abs. 1 gr. V. zu der Aufhebungsklage des Art. 95 Abs. 1 S. 1 gr. V. (1975) s. E. Darsentas, Rechtsstaat und Aufhebungsklage, 1995, S. 305 ff.; P. Pavlopoulos, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Aufhebungsklage, 1982, S. 110 ff.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
701
tungsgerichten u. a. wegen Gesetzesverletzung aufgehoben werden. Demgegenüber aber können im griechischen Rechtsschutzsystem formelle Gesetze nicht unmittelbar angefochten werden:26 Die Verfassungswidrigkeit formeller Gesetze kann aber geltend gemacht werden und zu ihrer Nichtanwendung führen. Ein mit umfassenden Kompetenzen ausgestattetes Verfassungsgericht im deutschen Sinn kennt das griechische Recht nicht. Stattdessen sind alle griechischen Gerichte verfassungsrechtlich berechtigt und verpflichtet, ex officio Fragen der Verfassungskonformität zu berücksichtigen.27
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes im Rahmen der griechischen Verfassung I. Der Umweltbegriff Das Gesetz 1650/1986 über den Schutz der Umwelt28 definiert in Art. 2 Abs. 1 den Rechtsbegriff der „Umwelt“ als „die Gesamtheit der natürlichen und kulturellen Faktoren, die sich in Wechselbeziehungen untereinander befinden und einen Einfluss auf das ökologische Gleichgewicht, die Lebensqualität, die menschliche Gesundheit, die kulturelle Tradition und die ästhetischen Werte ausüben“.
Darüber hinaus wird der Rechtsbegriff „Umweltschutz“ weit verstanden. In Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 1650/1986 wird er definiert als „die Gesamtheit von Tätigkeiten und Maßnahmen, die zum Ziel haben, Beeinträchtigungen der Umwelt zu vermeiden oder die Umwelt wiederherzustellen, zu bewahren oder zu verbessern“.
Umweltschutz wird also nach dem griechischen Gesetzgeber von einem Standpunkt aus verstanden, der die Umwelt in ihren ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekten als ein „Gut“ hervorhebt, das rechtlichen Schutz benötigt.29 Dem Verständnis des griechischen Rechts nach ist somit die Umwelt die Gesamtheit von Gütern, die den Lebensraum des Menschen bilden. Der menschliche Lebensraum umfasst alle natürlichen und technischen Güter, die erforder-
26 Vgl. P. Dagtoglou, in: K.-D. Grothusen (Hrsg.), Südosteuropa-Hdb. Griechenland, 1980, S. 13 ff.; ders., NoB 1988, S. 721 ff. 27 Vgl. Art. 93 Abs. 4 i.V. m. Art. 87 Abs. 2 gr. V.; vgl. dazu P. Dagtoglou, NoB 1988, S. 721 ff.; A. Manitakis, ToS 2003, S. 41 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 49 ff. 28 Ausführlich zu diesem Gesetz vgl. I. Karakostas, PerDik, 2006, S. 103 ff.; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 189 ff. 29 Vgl. G. Siouti, in: O. Kimminich/H. von Lersner/P.-C. Storm (Hrsg.), HdUR, 1994, S. 935; P. Pararas, Die Verfassung und die europäische Menschenrechtskonvention, 2001, S. 155.
702 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
lich für die gesunde Gestaltung und Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen sowie unerlässlich auch für das nachhaltige Überleben, das gesunde Leben und für die Sicherstellung der Lebensqualität sind.30 Es handelt sich somit um die sog. reale Umwelt, die sowohl aus der natürlichen als auch aus der technischen Umwelt besteht. Als natürliche Umwelt sind einerseits Räume des Landes, aber auch Meeres- und Lufträume, die den Menschen zusammen mit Flora, Fauna und den natürlichen Ressourcen umschließen, zu verstehen. Andererseits umfasst die technische Umwelt alle rechtlichen Güter, die aus menschlichen Tätigkeiten hervorgehen. Die technische Umwelt besteht vor allem aus rechtlichen Gütern, die sich auf die wohnbauliche Umwelt beziehen und den grundlegenden Bedürfnissen der gesunden menschlichen Wohlfahrt dienen (z. B. Gebäude oder Einrichtungen, die dem Wohnen, der Unterhaltung, der Gesundheit, der Bildung, der Produktion und der Wirtschaft dienen). Darunter fallen auch Kulturgüter, die als wesentliche Elemente der Kultur angesehen werden. Dazu gehören vor allem Denkmäler und relevante Elemente, die durch menschliche Handlungen hergestellt worden sind. Diese Elemente bilden insoweit das historische, künstlerische, technologische und im Allgemeinen das kulturelle Erbe des Landes. Von Bedeutung ist, dass der griechische Gesetzgeber nicht zwischen dem Begriff der natürlichen und der kulturellen Umwelt unterscheidet.31 Im Gegensatz zu dem griechischen Verständnis des Umweltbegriffs sowie des Umweltschutzbegriffs ist das entsprechende deutsche Verständnis deutlich enger. Denn der deutsche Umweltbegriff ist grundsätzlich auf die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen beschränkt. Soziale, kulturelle und politische Einrichtungen sowie die von Menschen hergestellten Gegenstände, wie z. B. Wohngebäude, bleiben hiervon weiterhin ausgeschlossen.32 Dieses relativ enge Verständnis des Umweltbegriffs seitens des deutschen Rechts im Vergleich zum griechischen Verständnis prägt unvermeidlich auch den Anwendungsbereich des Rechtsschutzes im speziellen Bereich des deutschen Umweltrechts. Auch unter diesem Aspekt kann im Zusammenhang mit der Schutznormtheorie die Zögerlichkeit des deutschen Gesetzgebers, eine umfangreiche Klagebefugnis für Drittbetroffene in Umweltangelegenheiten einzuführen, erklärt werden.
30 Vgl. G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, 2003, S. 13 ff.; I. Karakostas, PerDik 2000, S. 464 ff. 31 Vgl. StE, Urt., Nr. 3146/1985; T. Panagopoulos, in: FS für G. Vlachos, 1995, S. 623 ff.; ders., Umweltrecht, 2004, S. 93 ff.; S. Portolou-Michael, ToS 1978, S. 268 ff.; G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.; G. Panagopoulou-Beka, Armen. 1994, S. 251 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 10 ff. 32 Vgl. M. Kloepfer, Art. 20a GG, in: BK für das GG, 2005, Rn. 50 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 50 ff.; s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., II., 1.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
703
II. Umweltschützende Vorschriften im Rahmen der griechischen Verfassung Hinsichtlich des Grundrechts auf Umweltschutz in der griechischen Verfassungsordnung ist prinzipiell Art. 24 Abs. 1 und 2 gr. V. von Bedeutung. Er lautet: „(1) Der Schutz der natürlichen und kulturellen Lebensgrundlagen ist eine Pflicht des Staates und ein Recht des Einzelnen. Der Staat hat die Aufgabe, spezielle präventive oder repressive Maßnahmen nach dem Nachhaltigkeitsprinzip zur Erhaltung der Umwelt durchzuführen. Angelegenheiten, die sich auf den Schutz des Waldes und der Waldflächen allgemein beziehen, sind gesetzlich zu regeln. Der Staat ist verpflichtet das Waldeintragsbuch aufzustellen. Die Änderung der Nutzung von Staatswäldern sowie staatlichen Waldflächen ist verboten, es sei denn, ihre landwirtschaftliche Ausnutzung oder andere Nutzung, die das öffentliche Interesse auferlegt, ist vorrangig für die nationale Wirtschaft.“ (2) Die neue Raumordnung des Landes, die Bildung, Entwicklung, Planung und Ausweitung der Städte und der sonstigen Siedlungen steht unter der Regelungszuständigkeit und Kontrolle des Staates und hat der Funktionsfähigkeit und Entwicklung der Siedlungen und der Sicherheit bestmöglicher Lebensbedingungen zu dienen.“
Darüber hinaus bestimmt Abs. 6 des Art. 24: „(6) Die Denkmäler und historischen Stätten und Gegenstände stehen unter dem Schutz des Staates. Ein Gesetz wird die zur Verwirklichung dieses Schutzes notwendigen eigentumsbeschränkenden Maßnahmen sowie die Art und Weise der Entschädigung der Eigentümer festsetzen. Die Denkmäler sowie die traditionellen Gebiete und Elemente werden vom Staat geschützt.“33
Neben der oben ausgeführten bedeutenden Verfassungsregelung, die den Umweltschutz direkt betrifft, sind in Bezug auf Umweltschutz folgende grundlegende Vorschriften der griechischen Verfassung relevant, die im Gegensatz zu der oben angeführten Vorschrift den Umweltschutz indirekt betreffen. Diese Vorschriften befinden sich in folgenden Artikeln der gr. V.: Art. 2 Abs. 1 (entspricht dem Art. 1 Abs. 1 GG): „(1) Grundverpflichtung des Staates ist es, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.“
Letztlich können die Achtung und der Schutz der Menschenwürde nicht in einer ungesunden und ungeschützten Umwelt erfolgen. Art. 5 Abs. 1 (entspricht dem Art. 2 Abs. 1 GG): „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf die Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben des Landes, soweit er nicht gegen die Rechte anderer, die Verfassung oder die guten Sitten verstößt.“
33
Vgl. G. Siouti, in: HdUR, 1994, S. 935.
704 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
Art. 5 Abs. 2: „Alle, die sich innerhalb der Grenzen des griechischen Staates aufhalten, genießen ohne Unterschied der Nationalität, der Rasse oder Sprache und religiösen oder politischen Anschauungen den unbedingten Schutz ihres Lebens, ihrer Ehre und ihrer Freiheit. Ausnahmen sind in den vom Völkerrecht vorgesehenen Fällen zulässig.“
Auch die oben dargestellten Vorschriften betreffen unter anderem auch den Schutz der Umwelt, denn die vollständige Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit wie auch der Schutz des Lebens können selbstverständlich innerhalb des Gefüges einer gesunden und geschützten zuträglichen Umwelt verwirklicht werden.34 Darüber hinaus lautet Art. 21 Abs. 3: „Der Staat sorgt für die Gesundheit der Bürger und trifft besondere Maßnahmen zum Schutze der Jugend, des Alters, der Versehrten und für die Pflege Unbemittelter.“
Es wird allgemein angenommen, dass eine gesunde Umwelt offensichtlich eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Gesundheit der Bürger ist. Zu diesem verfassungsmäßigen Zweck ist der Staat unter anderem mittelbar dazu verpflichtet, Sorge für die Erhaltung der Umwelt in einem nachhaltigen Zustand zu tragen. Ferner lautet Art. 22 Abs. 1 gr. V.: „Die Arbeit ist ein Recht und steht unter dem Schutz des Staates, der für die Sicherung der Vollbeschäftigung und für die sittliche und materielle Förderung der arbeitenden ländlichen und städtischen Bevölkerung sorgt.“
Auch hierbei stellt mittelbar der nachhaltige Schutz der Umwelt eine wichtige Voraussetzung dar, die der Staat auch für die Beschäftigung aller Bürger herzustellen hat, da im Prinzip niemand, der in einer ungesunden und unzuträglichen Umwelt lebt und arbeitet, noch gesetzmäßig arbeiten oder effizient produzieren kann.35 Zudem lautet Art. 25 Abs. 1 gr. V.: „Die Rechte des Menschen als Person und Mitglied der Gesellschaft wie auch das Sozialstaatsprinzip werden vom Staat gewährleistet. Alle Staatsorgane sind verpflichtet, deren ungehinderte Ausübung sicherzustellen. Diese Rechte gelten auch in den Rechtsbeziehungen zwischen den Privatleuten. Jede Art von Einschränkung dieser Rechte, die aufgrund der Verfassung auferlegt werden kann, muss entweder direkt von der Verfassung oder von einem Gesetz vorgesehen werden, soweit ein Vorbehalt zugunsten dieses Gesetzes vorliegt, und die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beachtet wird.“ – (Drittwirkung).
Auch die oben angeführte Vorschrift ist hinsichtlich des Umweltschutzes relevant, denn hierin wird unter anderem auch die Pflicht des Staates festgelegt, die 34 Vgl. G. Siouti, HdUR 1994, S. 935; I. Karakostas, D 1995, S. 356 ff.; G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff. 35 Vgl. G. Siouti, HdUR 1994, S. 937; G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
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Rechte jedes Menschen als einzelnes Individuum sowie als Mitglied der Gesellschaft sicherzustellen. Die staatliche Gewährleistung der hierfür relevanten Rechte des Menschen schließt – dem griechischen Verfassungsverständnis nach – unvermeidlich die Gewährleistung des Rechts auf Umweltschutz ein. Denn die nachhaltige Einhaltung der Umwelt wird als grundlegende Voraussetzung für die Existenz des Menschen und seiner Persönlichkeit betrachtet.36 Schließlich gehört auch Art. 106 Abs. 1 gr. V. zu den umweltbezogenen Vorschriften der griechischen Verfassungsordnung, zumal er die Aufgabe des Staates betreffs der nachhaltigen Verwertung des nationalen Reichtums bestimmt: „Zur Sicherung des gesellschaftlichen Friedens und zum Schutze des allgemeinen Interesses plant und koordiniert der Staat die wirtschaftliche Tätigkeit im Lande; dabei sucht er die wirtschaftliche Entwicklung in allen Bereichen der nationalen Wirtschaft zu sichern. Er ergreift die erforderlichen Maßnahmen zur Nutzbarmachung der Quellen des nationalen Reichtums in der Atmosphäre und an unterirdischen oder unterseeischen Schätzen und trifft die Maßnahmen zur Unterstützung der regionalen Entwicklung und zur Förderung besonders der Gebirgs-, Insel- und Grenzgebiete.“
All diese staatlichen Ziele sind selbstverständlich kaum durchführbar ohne Umweltschutz. Daher ist der Staat auch dadurch mittelbar verpflichtet, die Umweltressourcen nur nachhaltig auszubeuten und sie zu schützen. Diese Vorschriften bilden im Ergebnis die Grundlagen der sog. Umweltverfassung bzw. des griechischen Umweltstaates.37 Zusammenfassend spielt der Umweltschutz in der griechischen Verfassungsordnung eine bedeutende Rolle. Der Umweltschutz soll nicht nur als eigenständiges, individuelles, soziales und politisches Grundrecht angesehen werden, sondern setzt auch Grenzen hinsichtlich des Inhalts weiterer Grundrechte, etwa im Bereich des Arbeitsrechts und des Wirtschaftsrechts. Denn bei der Durchführung dieser Grundrechte muss unter bestimmten Voraussetzungen auch die Einhaltung des Grundrechts auf Umweltschutz berücksichtigt werden.38 Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei dem Grundrecht auf Umweltschutz um ein sog. „gemischtes Recht“.39 Neben den Verfassungsvorschriften, die den Umweltschutz betreffen, gibt es im griechischen Recht eine Reihe von speziellen Gesetzen – zum großen Teil 36 Vgl. G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.; s. auch M. Vrontakis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 146 ff.; M. Dekleris, Die 12 Prinzipien der Umwelt: Grundzüge der nachhaltigen Entwicklung, 1996, S. 34 ff.; jeweils m.w. N. 37 Vgl. G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 244 ff.; jeweils m.w. N. 38 Vgl. A. Tachos, Recht des Umweltschutzes, 2006, S. 70 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 24 ff.; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 21 ff.; G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.; jeweils m.w. N. 39 Vgl. T. Antoniou, ToS 1987, S. 116 ff.; G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.; T. Vidalis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Der Artikel 24 der griechischen Verfassung nach seiner Revision, 2002, S. 58 ff.
706 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
auch im Auftrag des EU-Rechts –, die den Schutz sämtlicher Bereiche des griechischen Umweltrechts (wie Natur, Biodiversität, Luft, Wasser, Boden, Abfallwirtschaft, Biotechnologie, Klima) regulieren. Die Analyse dieser Gesetze ginge allerdings über die Ziele dieser Arbeit weit hinaus.
III. Das Grundrecht auf Umweltschutz Eine zentrale Rolle für den Umweltrechtsschutz überindividueller Rechte und Interessen in der griechischen Rechtsordnung spielt das Grundrecht auf Umweltschutz gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V., dessen Inhalt und Merkmale im Folgenden dargestellt werden sollen. 1. Allgemeines zum Inhalt und zu Merkmalen des Grundrechts auf Umweltschutz Durch das Grundrecht auf Umweltschutz wird die natürliche und kulturelle Umwelt eigenständig als spezielles Rechtsgut geschützt, unabhängig davon, ob seine Bestandteile unmittelbar in die Schutzsphäre rein individueller Rechte (etwa Eigentum, Leben, Gesundheit oder Persönlichkeit) fallen.40 Die Bestandteile der Umwelt (etwa Luft, Wasser und Boden) werden somit unabhängig von der Betroffenheit von rein subjektiven Rechten wie das Eigentum oder die Gesundheit geschützt.41 Im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz begnügt sich die griechische Verfassung nicht mit der Einführung einer Umweltstaatszielbestimmung, sondern gewährleistet ein Grundrecht auf Umweltschutz. Wie schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift folgt, ist Gegenstand dieses Grundrechts nicht nur die Umwelt an sich, sondern auch der Umweltschutz.42 Vielmehr ist es auch als ein Grundrecht zu verstehen, das auch ein Recht auf Nutzung und Genuss der Umwelt umschließt.43 Es handelt sich jedenfalls um ein eigenständiges Grundrecht.44 Das Grundrecht auf Umweltschutz bezweckt grundsätzlich die Erhaltung der natürlichen und kulturellen Umweltelemente (etwa Boden, Luft, Wasser), die als 40 Vgl. u. a. StE, Urt. Nr. 2537/96; StE, Urt. Nr. 3478/2000; StE 613/2002; A. Giotopoulou-Maragkopoulou, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1017 ff.; A. Tachos, Recht des Umweltschutzes, 2006, S. 30 ff.; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 244 ff. 41 Ebd. 42 Amtliche Protokolle der Plenarsitzungen des Griechischen Parlaments, Sitzung RQ', 08.02.2001, Athen 2002, S. 253; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 271. 43 Vgl. StE, Urt. v. 3682/86; G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 45 ff. 44 Vgl. StE, Urt. Nr. 810, 811/1977; G. Siouti, Art. 24 der gr. V., in: G. Kassimatis/ K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, 2003, S. 5 ff.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
707
erforderliche Basis des Lebens bezeichnet werden. Da die Umweltgüter für die Menschen unentbehrlich sind, stehen sie also allen Menschen gemeinschaftlich zu. Alle Menschen sind somit berechtigt, in einer Umwelt zu leben, die ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen nicht beeinträchtigt. Allerdings können Umweltbeeinträchtigungen als rechtmäßige Ausübung des Privateigentums oder der Gewerbefreiheit unter Berücksichtigung des Gemeinwohls legitimiert werden.45 Das Grundrecht auf Umweltschutz zielt einerseits auf die Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität, d.h. prinzipiell auf die Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten zugunsten des Einzelnen und der Kollektivität ab. Andererseits aber strebt es auch die Erhaltung einer gesunden und balancierten Umwelt als Rechtsgut, das eigenständigen Wert hat, an.46 Das Grundrecht auf Umweltschutz ist somit das Recht eines jeden Menschen auf die Schaffung und Erhaltung von Lebensbedingungen, die nicht nur das Leben, die Lebensqualität, die Gesundheit (natürlich, sozial, geistig) der Menschen, sondern auch die natürliche und kulturelle Umwelt als unmittelbar schutzbedürftiges Rechtsgut sicherstellen.47 Es hat einen allgemeinen, wandelbaren, flexiblen Inhalt, der nachhaltige, langfristige, umweltfreundliche Ziele vonseiten der Wirtschaft sowie der Raumordnung erfordert.48 Denn ohne die Intakthaltung der Umweltelemente stünde das menschliche Leben in Gefahr. Daher zielt der Gesetzgeber auf die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts und auf die Erhaltung der natürlichen Ressourcen des Landes zum Nutzen auch der zukünftigen Generationen.49 Art. 24 Abs. 1 gr. V. demonstriert somit die anthropozentrische Dimension des Umweltschutzes auch im griechischen Recht.50 Geschützt sind daher alle Umweltgüter, die mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit und dem Eigentum (also mit subjektiven Rechten des Einzelnen) verbunden sind, sowie die Umwelt 45
T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 268. Vgl. StE, Urt. Nr. 400/1986. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 31 ff. Das Grundrecht auf Umweltschutz bestimmt sich danach als das Recht des Einzelnen für die Schaffung, Erhaltung und Wiedergutmachung derlei Bedingungen, die erforderlich für die nachhaltige Gewährleistung des Lebens, der Gesundheit sowie der natürlichen, moralischen, geistigen und sozialen Lebensqualität, aber auch für die nachhaltige Erhaltung der Umwelt als unmittelbar schützbares Rechtsgut sind. Das spezielle Recht auf Umweltnutzung umfasst vor allem das Recht auf eine menschliche, nachhaltige Umwelt. Es nähert sich somit den verfassungsverankerten Menschenrechten an – etwa dem Recht auf saubere Luft, Boden, Wasser usw. –, die eigentlich mit der Schutzpflicht des Staates für die öffentliche Gesundheit gleichzusetzen sind. 47 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 44. 48 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 47. 49 StE, Urt. 2537/96; G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, Bd. 2, 2002, S. 21. 50 Vgl. I. Filolia, PerDik 2002, S. 732 ff. Zum anthropozentrischen Verständnis des deutschen Umweltstaatsziels s. o. 1. Teil, 1. Kap., D., IV., 1. 46
708 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
im Allgemeinen, denn sie gilt als erforderlicher Lebensraum des Menschen.51 Jeder Auslegungsversuch dieses Grundrechts soll daher davon ausgehen, dass dieses Recht zum einen auf der Achtung und dem Schutz der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1 gr. V.) beruht und zum anderen auf der Schaffung optimaler Bedingungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Menschen (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 5 Abs. 1 gr. V.).52 In diesem Zusammenhang ist das Grundrecht auf Umweltschutz ein persönliches Grundrecht, weil es vor allem persönliche Umweltgüter wie das Leben, die Gesundheit u. Ä. schützt.53 Gleichzeitig stellt es aber ein kollektives, ökumenisches Grundrecht dar, weil die Umwelt allen Menschen gehört und alle Menschen beeinflusst.54 Darüber hinaus wird es als Solidaritätsrecht bezeichnet, denn es muss auch den Rechten, den Bedürfnissen zukünftiger Generationen Rechnung tragen, um auch für sie eine lebenswürdige Lebensgrundlage sicherzustellen. Allerdings ist das Grundrecht auf Umweltschutz weder mit den Partikularinteressen, die gegeneinander konkurrieren, noch mit den allgemeinen Interessen, die bei solchen Partikularinteressen auf einen Schiedsspruch abzielen, gleichgesetzt.55 Das Grundrecht auf Umweltschutz wurde zum ersten Mal durch den Art. 24 Abs. 1 gr. V. der im Jahr 1975 geänderten griechischen Verfassung in die griechische Verfassungsordnung eingeführt. Danach ist der Umweltschutz als Pflicht des Staates anzusehen. Die ausdrückliche Einführung der Verpflichtung des Staates, die Umwelt zu schützen, schließt aus, dass es sich beim Art. 24 gr. V. um einen bloßen Programmsatz oder nur um eine Staatszielbestimmung handelt. Es ist sowieso auch im griechischen Recht allgemein anerkannt, dass Verfassungsbestimmungen materielle Rechtsnormen sind, die nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Verwaltung und die Rechtsprechung gelten.56 51
Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 26 ff., 43 ff. Vgl. G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 376; vgl. A. Sakellaropoulos, Gedanken zum Umweltproblem aus juristischer Sicht, 1985, S. 77; G. Statheas, in: Hellenische Gesellschaft für die Opfer (Hrsg.), Die Umwelt als Opfer und ihren Schutz, Symposium vom 21.11.1998, 2000, S. 70 ff.; s. auch P. Häberle, ToS 1982, S. 14 ff. 53 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 28 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 55 ff.; jeweils m.w. N. 54 Vgl. N. Rotis, FS für den Staatsrat (1929–1979) 1982, Band 1, S. 121 ff.; D. Klavanidou, EpiskED 1999, S. 370 ff.; F. Triantafyllou-Albanidou, Das rechtliche Interesse des Klägers, 1995, S. 107 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 55 ff.; jeweils m.w. N. 55 Vgl. G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, Bd. 2, 2003, S. 21; A. Sakellaropoulos, 1982, S. 352; D. Nikas, Die rechtliche Problematik des Umweltschutzes, 1985, S. 245 ff. 56 Vgl. A. Manitakis, ToS 2003, S. 41 ff.; P. Dagtoglou, NoB 1988, S. 91 ff.; speziell für den Art. 24 gr. V. Vgl. G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 393 ff.; T. Antoniou, 52
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
709
In der Regierungsvorlage werden die jugoslawische Verfassung von 1974 sowie die italienische Verfassung von 1948 als Inspirationsquellen des griechischen Verfassunggebers genannt.57 Durch die Revision der griechischen Verfassung im Sommer 2001 wurde dieses Grundrecht weiter konkretisiert, vertieft und verstärkt.58 Aufgrund von Art. 24 Abs. 1 gr. V. bildet nunmehr der Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt nicht nur eine Verpflichtung des Staates, sondern er stellt auch ein Recht des Einzelnen dar.59 Es wurde sogar im geänderten Art. 24 Abs. 1 gr. V. explizit hinzugefügt, dass der Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt „ein Recht für jeden“ ist. In dieser Hinsicht entwickelt Art. 24 Abs. 1 gr. V. auch einen rechtsprozessualen Charakter. Damit wird jedem das Recht eingeräumt, Eingriffe in die Umwelt, in der er seine Persönlichkeit entfaltet, zu kontrollieren und sich dagegen vor Gerichten zu wehren, soweit er ein rechtliches Interesse begründen kann.60 Durch dieses Grundrecht wird im Ergebnis der Umweltschutz „entstaatlicht“. 61 Der Staat ist daher kein exklusiver „Beschützer“ oder „Anwalt“ der Umwelt. Vielmehr hat jeder – unter Voraussetzungen – das Recht, die Umwelt zu schützen, unabhängig davon, ob der Staat zur Erhaltung der Umwelt verpflichtet ist.62 Sofern die Erhaltung der Umwelt ein Element der persönlichen Eigenständigkeit sowie notwendige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Lebens der MenToS 1987, S. 116 ff.; N. Aleiwisatos/P. Pavlopoulos, NoB 1988, S. 1581 ff.; N. Rotis, in: FS für den Staatsrat (1929–1979) 1982, Bd. 1, S. 134 ff.; W. Rotis, ToS 1986, S. 565 ff.; A. Tachos, Recht des Umweltschutzes, 2006, S. 38 ff., S. 43 ff. 57 Vgl. dazu Amtliche Protokolle der Sitzungen des griechischen Parlaments, Sitzungen MQ'-P' vom 06.03.1975, 1975, S. 2292 ff.; zur Geschichte des Art. 24; s. u. a. ausführlich G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 376 ff.; m.w. N. 58 Vgl. u. a. T. Vidalis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Der Artikel 24 der griechischen Verfassung nach seiner Revision, 2002, S. 57 ff.; G. Siouti, Art. 24 der gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, 2003, S. 12 ff.; A. Tachos, Recht des Umweltschutzes, 2006, S. 35 ff.; I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2006, S. 95 ff.; E. Trowa, in: D. Tsatsos/E. Weniselos/X. Contiades (Hrsg.), Die neue Verfassung, 2001, S. 105 ff.; G. Siouti/G. Gerapetritis, in: J. Ebbesson (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 262 ff.; K. Menoudakos, NoB 2002, S. 45 ff.; s. auch G. Deligiannis, ToS 2000, S. 1037 ff.; W. Karakostas, Die Verfassung, Auslegungskommentare – Rechtsprechung, 2006, Art. 24 gr. V., S. 540 ff.; jeweils m.w. N. 59 Vgl. u. a. M. Chaidarlis, NkF 1999, S. 687 ff.; K. Menoudakos, NoB 2002, S. 45 ff.; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 244 ff.; jeweils m.w. N. 60 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 26; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 261; jeweils m.w. N. 61 Amtliche Protokolle der Plenarsitzungen des Griechischen Parlaments, Sitzung RQ', 08.02.2001, Athen 2002, S. 302; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 270; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 71 ff.; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 247 ff.; K. Menoudakos, NoB 2002, S. 50. 62 Vgl. T. Vidalis/I. Tassopoulos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Der Artikel 24 der griechischen Verfassung nach seiner Revision, 2002, S. 61 ff., S. 109 ff.
710 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
schen auf der Erde ist,63 scheint es nicht konsequent, die Erhaltung des Umweltschutzes ausschließlich dem Staat zu überlassen. Denn der Staat wird nicht selten von herrschenden Mächten der Wirtschaft oder der Politik beeinflusst, um eigennützigen, wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen zu dienen, die meistens umweltfeindlich sind.64 Zu der ursprünglichen Fassung des Art. 24 Abs. 1 S. 2 gr. V. wurde hinzugefügt, dass der Staat verpflichtet ist, besondere vorbeugende und hemmende Maßnahmen im Rahmen des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung (Nachhaltigkeitsprinzip) zu treffen.65 Nach gesetzmäßiger Abwägung anderer ebenfalls geschützter kollidierender Rechte oder Rechtsgüter (etwa wirtschaftsbezogene Rechte und Rechtsgüter wie das Eigentum) sowie des allgemeinen öffentlichen Interesses wird dadurch der Staat bzw. die Verwaltung verpflichtet, alle erforderlichen (allgemeinen oder individuellen) Maßnahmen zu treffen, um den Umweltschutz vollständig und effektiv aufrechtzuerhalten. 66 Was das Verhältnis zwischen dem Umweltschutz und dem Schutz anderer kollidierenden Grundrechte betrifft, ist entschieden worden, dass ein stetiges Gleichgewicht all dieser Rechte erreicht werden muss, so dass alle Schutzobjekte jeweils gleiche Bedeutung besitzen. Es ist somit in jedem einzelnen Fall abzuwägen, welches von ihnen den Vorrang erhalten soll. Gleichfalls gilt auch das Prinzip, eher diejenige Lösung zu wählen, die im Einzelfall am besten dem öffentlichen Interesse dient.67 Die Abwägung der kollidierenden Rechte oder Rechtsgüter muss daher im Einklang mit der staatlichen Pflicht des Umweltschutzes stehen.68 Vor diesem Hintergrund ist es auch unter bestimmten Voraussetzungen möglich, dass das Grundrecht auf Umweltschutz durch verfassungsmäßige Abwägung und Ausle63 Vgl. I. Karakostas, Umwelt und Recht 2006, S. 351 ff.; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 160 ff.; jeweils m.w. N. 64 Vgl. T. Vidalis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Der Artikel 24 der griechischen Verfassung nach seiner Revision, 2002, S. 61; A. Tachos, Recht des Umweltschutzes, 2006, S. 70 ff.; in diese Richtung auch C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; D. Frank, NordÖR 2000, S. 487 ff.; jeweils m.w. N. 65 Vgl. V. Vrettou, PerDik 2003, S. 73 ff.; T. Panagopoulos, Umweltrecht, 2004, S. 125; jeweils m.w. N. 66 Vgl. StE, Urt. Nr. 412/93; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2755/94; StE (Vollvers.), Urt. Nr. 462/2010; StE (Vollvers.), Urt. Nr. 613/2002; s. u. a. K. Chiolos, EDDD 1997, S. 321 ff.; G. Dellis, NkF, Januar 2004; jeweils m.w. N. 67 Vgl. G. Dellis, NkF, Januar 2004; D. Nikopoulos, DiDik 1990, S. 753 ff.; I. Symeonidis, DiDik 1991, S. 255 ff.; P. Dagtoglou, DiDik 1991, S. 255 ff.; W. Rotis, Öffnungen der Rechtsprechung in Bezug auf den Umweltschutz, 1984, S. 12 ff.; G. Siouti, HdUR, 1994, S. 942 ff. 68 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 613/02; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 25; G. Dellis, NkF, Januar 2004; D. Nikopoulos, DiDik 1990, S. 753 ff.; jeweils m.w. N.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
711
gung gegenüber anderen Verfassungsvorschriften, die gegen ihn verstoßen, vorrangig ist.69 Insofern ist i. d. R. jedes Recht, das gegen das Grundrecht auf Umweltschutz verstoßt, i. d. R. rückwirkend für nichtig zu erklären.70 Daneben ist auch die Rechtsprechung verpflichtet, vollständigen und effektiven gerichtlichen Umweltrechtsschutz zu gewährleisten.71 In diesem Zusammenhang wurde auch das Nachhaltigkeitsprinzip in Bezug auf den Umweltschutz ausdrücklich in der griechischen Verfassung festgelegt. Dies besagt, dass die Bestandteile der Umwelt zu geschützten Rechtsgütern werden, vor allem zum Zweck der Gewährleistung des ökologischen Einklangs sowie zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen auch zugunsten künftiger Generationen.72 Zudem verweist die Rechtsprechung darauf, dass nur eine derartige nachhaltige Entwicklung verfassungsmäßig ist, die die Umwelt nicht schädigt, und die somit aufrechtzuerhalten und nicht vorläufig ist.73 Es wird daher angenommen, dass die gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V. dem Staat auferlegte Verpflichtung zum Umweltschutz ein grundlegendes Kriterium hinsichtlich öffentlicher Entscheidungen darstellt, so dass das überwiegende Vorsorge- und Vorbeugungsprinzip bezüglich der Umweltschädigung auch zugunsten der zukünftigen Generationen berücksichtigt werden muss.74 Kurzgefasst schließt das Recht auf Umweltschutz ein: a) die Erhaltung des Charakters der natürlichen und kulturellen Umwelt und der Beziehungen, die zwischen ihren Bestandteilen bestehen und ein ökologisches System bilden, b) den Schutz der Umwelt vor den schädlichen Folgen menschlicher Tätigkeiten und Eingriffe und c) die Überwachung der Entwicklung der natürlichen Ressourcen und das Anstreben eines Gleichgewichts zwischen Umweltschutz und ökonomischer Entwicklung.75 Insofern haben die Träger des Grundrechts auf Um69 Vgl. StE, Urt. Nr. 1525/81; StE, Urt. Nr. 1541/81; StE, Urt. Nr. 1239/82; StE, Urt. Nr. 2242/94. 70 G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 44. 71 Vgl. StE, Urt. Nr. 3974/2010. 72 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2537/96; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 613/02; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 22; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 251 ff., jeweils m.w. N. 73 s. z. B. StE Nr. 2759-60-61/94; 2805/97; 2300/97 (Spata-Flughafen), Anm. dazu v. E. Stavroulaki, NkF 1998, S. 164 ff.; 3478/2000 v. E. Trova, PerDik 2001, S. 35 ff.; StE 2805/2002; StE (Vollvers.) Nr. 462/2010; StE (Vollvers.) Nr. 613/2002; K. Chiolos, EDDD 1997, S. 321; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 250 ff. 74 s. z. B. StE 53/1993 (Petrola) 637/98; 2805/97; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 251 ff.; G. Statheas, in: Hellenische Gesellschaft für die Opfer (Hrsg.), Die Umwelt als Opfer und ihr Schutz, Symposium vom 21.11.1998, 2000, S. 61 ff. 75 Vgl. G. Siouti, HdUR, 1994, S. 936 ff. Mehr über die Dreiteilung der Grundrechte in der griechischen Verfassung s. P.-M. Efstratiou, Landesbericht Griechenland, in: C. Starck (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel
712 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
weltschutz einen Anspruch auf Erfüllung der oben kurzgefasst dargestellten Anforderungen. 2. Träger des Grundrechts auf Umweltschutz Art. 24 gr. V. nennt ausdrücklich „jeden“ als Träger des Grundrechts auf Umweltschutz. Damit sind alle Rechtssubjekte gemeint, d.h. alle (natürlichen und juristischen) Personen, die ihren ständigen Wohnsitz oder eine Arbeitserlaubnis innerhalb des griechischen Staatsgebietes haben. Auch Staatenlose können Träger dieses Grundrechts sein. Dieses Verständnis wurde auch schon vor der Revision von 2001 anerkannt.76 Mit anderen Worten gewährleistet Art. 24 gr. V. allen Menschen ein Recht auf Umweltschutz.77 Was insbesondere die juristischen Personen betrifft, wird deutlich angenommen, dass die Verfassungsrechte, wie das Grundrecht auf Umweltschutz, auch für jene gelten, wenn diese ihrem Wesen nach auf jene anwendbar sind.78 Angesichts der Tatsache, dass Art. 25 Abs. 1 gr. V. die Verfassungsrechte dem Menschen nicht nur als „Einzelnem“, sondern auch als „Mitglied der Gesellschaft“ gewährleistet und unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 gr. V., der die Vereinigungsfreiheit garantiert,79 dass jede Gruppe, die irgendeinen Rechtsbestand hat, als Verfassungsträger anerkannt wird,80 folgt, dass das Grundrecht auf Umweltschutz zumindest auch für anerkannte juristische Personen anwendbar ist, soweit der Umweltschutz als Zweck in deren Satzung vorgesehen ist.81 Zu beachten ist, dass sich weder der Staat noch andere juristische Personen des öffentlichen Rechts auf die individuellen Grundrechte (wie das Grundrecht auf Umweltschutz) berufen können, soweit diese nicht unmittelbar einem durch die Verfassungsrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind.82 Vor diesem Hinausländischer Verfassungsentwicklung, 1989, S. 133 ff.; N. Rotis, Die verfassungsrechtliche Begründung des Umweltschutzes, in: FS für den Staatsrat (1929–1979) 1982, Band 1, S. 130 ff. 76 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 75 ff. 77 T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 275 ff. 78 Vgl. P. Dagtoglou, Verfassungsrecht – Individuelle Rechte, Bd. 1, 1991, S. 75 ff. 79 Art. 12 Abs. 1 gr. V.: „Die Griechen haben das Recht, nichtwirtschaftliche Vereinigungen und Vereine nach Maßgabe der Gesetze zu bilden, welche jedoch niemals die Ausübung dieses Rechts von einer vorherigen Erlaubnis abhängig machen dürfen.“ S. Orfanoudakis, DiDik 1999, S. 938 ff. 80 Vgl. P. Dagtoglou, Verfassungsrecht – Individuelle Rechte, Bd. 1, 1991, S. 77 ff.; J. Iliopoulou-Stranga, JöR 1983, S. 416 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 275 ff.; S. Orfanoudakis, DiDik 1999, S. 938 ff.; jeweils m.w. N. 81 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 80 ff. 82 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 276 ff.; G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 84 ff.; P. Dag-
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
713
tergrund werden auch Gemeinden als Träger des Grundrechts auf Umweltschutz beachtet, denn ihnen sind zahlreiche umweltbezogene Zuständigkeiten etwa im Bereich des Umweltschutzes, der Raumordnung oder der Bauplanung aufgrund Art. 102 gr. V. zugeordnet.83 3. Die Rechtsnatur des Grundrechts auf Umweltschutz Von Bedeutung ist, dass die Rechtsnatur des Grundrechts auf Umweltschutz gleichzeitig und ergänzend von den typischen Merkmalen der individuellen, sozialen sowie politischen Rechte geprägt ist.84 a) Das Recht auf Umweltschutz als individuelles Grundrecht Aus juristischer Sicht bedeutet die Eigenschaft eines individuellen Verfassungsrechts, dass es sich um eine Norm der Verfassung handeln muss, aus der dem Einzelnen ein gerichtlich verfolgbarer Anspruch erwächst. Die individuellen Verfassungsrechte sind subjektive Rechte mit Verfassungsrang, die dem Einzelnen einen Anspruch auf Tätigwerden des Staates gegen Eingriffe in diese Rechte sichern. Dadurch wird dem Einzelnen ermöglicht, sich gegen gesetzeswidrige Beeinträchtigungen seiner verfassungsrechtlichen Rechte und Interessen zu wehren.85 Die individuellen Verfassungsrechte haben somit eine objektivrechtliche Bedeutung, denn sie wirken als negative Kompetenzbestimmungen für die staatlichen Gewalten. Darüber hinaus aber wirken sie auch als Richtlinien für den Gesetzgeber und den jeweils zuständigen Richter.86 Mit dem negatorischen Anspruch, den die Abwehrrechte begründen, korrespondiert die Pflicht des Staates, jede für ihre Inanspruchnahme notwendige Maßnahme zu treffen. Bereits aus dem Inhalt des Grundrechts auf Umweltschutz als individuelles Recht87 entsteht somit der Anspruch, jede Handlung zu vermeiden, die die Umwelt gesetzeswidrig beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann. Jede Umweltbe-
toglou, Verfassungsrecht – Individuelle Rechte, Bd. 1, 1991, S. 79 ff.; W. Karakostas, Die Verfassung, Auslegungskommentare – Rechtsprechung, 2006, Art. 25 gr. V., S. 573 ff.; jeweils m.w. N. 83 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 220 ff., m.w. N. 84 Vgl. A. Manessis, Verfassungsrechte, individuelle Freiheiten, 1982, S. 108 ff.; D. Tsatsos, Verfassungsrecht, 1988, S. 192 ff.; G. Papadimitriou, NkF 1994, S. 375 ff.; I. Koufaki, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 84 ff. 85 Vgl. unter anderem: P. Dagtoglou, Verfassungsrecht – Individuelle Rechte, Bd. 1, 1991, S. 8 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 269. 86 Ebd. 87 Griechisches Parlament (Hrsg.), Bericht des Ausschusses für die Revision der griechischen Verfassung, 7. griechisches Parlament zur Verfassungsrevision, 10. Periode – 1. Sitzung, 2000, S. 26 ff.
714 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
lastung muss ausdrücklich vorgesehen und verhältnismäßig sein. Denn aufgrund Art. 25 Abs. 1 S. 4 gr. V. muss jede Einschränkung der Verfassungsrechte entweder direkt in der Verfassung oder, im Fall eines Gesetzesvorbehaltes, in einem Gesetz vorgesehen sein und das Verhältnismäßigkeitsprinzip berücksichtigen.88 Es handelt sich somit um ein individuelles Grundrecht, das z. B. bei gesetzeswidriger, unzumutbarer Verschmutzung der Umwelt einen Anspruch gegen den Störer auf gesetzmäßige Vorbeugung, Verhütung oder Einschränkung der umstrittenen Beeinträchtigung schafft. Danach besitzt der Einzelne ein individuelles Recht auf Erhalt einer menschenwürdigen Umwelt. Gegenstand dieses Grundrechts ist neben dem Erhalt der natürlichen Umwelt auch der zuträgliche Erhalt sozialer und menschenwürdiger Lebensbedingungen. Der konkrete Rechtsinhalt dieses Grundrechts bestimmt sich allerdings nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und den allgemeinen Anschauungen der Gesellschaft.89 Das Grundrecht auf Umweltschutz schafft dem Individuum eine Freiheitssphäre, in die der Staat nicht eingreifen kann. Infolgedessen kann das Individuum unter dem Aspekt der Abwehr vom Staat verlangen, staatliche Eingriffe in diese bestimmte Freiheitssphäre, wenn sie geschehen, zu beseitigen, und wenn sie bevorstehen, zu unterlassen (status negativus oder libertatis).90 Mit anderen Worten schreibt die Verfassung gewissermaßen als negative Verpflichtung vor, dass Verwaltung und Gerichte keine Bestimmung erlassen oder anwenden dürfen, die dem Recht auf Umweltschutz gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V. entgegenstehen. Auch im Falle einer Gesetzeslücke muss die Rechtsprechung direkt diese Verfassungsvorschrift anwenden.91 Von Bedeutung ist, dass das individuelle Grundrecht auf Umweltschutz – wie jedes individuelle Recht – sowohl positiv als auch negativ ausgeübt werden kann. Daraus folgt, dass jeder auf die Ausübung dieses Grundrechts verzichten kann. Demgegenüber aber darf man sich nicht etwa auf seine wirtschaftsbezogenen Rechte berufen, um die Umwelt widerrechtlich zu belasten.92 Unabhängig davon, ob der jeweilige Träger des Rechts auf Umweltschutz seine entsprechenden Rechte auszuüben intendiert oder nicht, hat der einzelne im Rahmen des Art. 24
88 Vgl. StE, Urt. Nr. 810/77; I. Iglesakis, Sozialer Rechtsstaat im Lichte der Verfassungsrevision im Jahr 2001 (Art. 25 Abs. 1 gr.V) und des europäischen sozialen Rechtsstaates, 2005, S. 24 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 272; W. Karakostas, Die Verfassung, Auslegungskommentare – Rechtsprechung, 2006, Art. 25 gr. V., S. 572 ff.; jeweils m.w. N. 89 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 269. 90 Vgl. N. Rotis, in: FS für den Staatsrat (1929–1979), 1982, Bd. 1, S. 130 ff.; G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 4. Vgl. auch B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht 2, 2002, S. 17 ff.; T. Vidalis, Denkschrift für Aristovoulos Manessis, 1998, S. 23 ff. 91 G. Siouti, HdUR, 1994, S. 935 ff. 92 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 271.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
715
Abs. 1 gr. V. ausdrücklich das Recht, die Wahrnehmung dieser Pflicht von der Seite des Staates zu kontrollieren. Daraus folgt auch, dass im Fall der Untätigkeit der Verwaltung hinsichtlich der Gewährleistung des Grundrechts auf Umweltschutz dem Einzelnen der Rechtsweg offensteht, um die entsprechende Untätigkeit rechtlich zu kontrollieren.93 Im Hinblick darauf ist ein negativer Verwaltungsakt gem. Art. 45 Abs. 4 PVO Nr. 18/1989 dann anzunehmen, wenn das Gesetz dem Einzelnen einen Anspruch auf Erlass des unterlassenen Verwaltungsaktes erteilt. Das Grundrecht auf Umweltschutz kann somit einen solchen Anspruch gegen die Verwaltung auf Ergreifung von Umweltschutzmaßnahmen begründen, mit der Folge, dass der Einzelne ein rechtliches Interesse an der Aufhebung des aus der Untätigkeit der Verwaltung resultierenden negativen Verwaltungsaktes geltend machen kann.94 Art. 45 Abs. 4 PVO Nr. 18/1989 muss extensiv ausgelegt werden, so dass die Unterlassung der Verwaltung, etwa vorbeugende Umweltmaßnahmen zu ergreifen, als vollziehbarer Akt zu sehen ist, der mit Aufhebungsklage anzugreifen ist.95 Ansonsten würde die Verfassungsbestimmung zum bloßen Programmsatz geraten und die Umwelt würde ohne vollständigen Schutz bleiben, was keinesfalls dem Willen des Verfassungsgesetzgebers entspräche.96 b) Das Recht auf Umweltschutz als soziales Grundrecht Art. 24 Abs. 1 gr. V. geht davon aus, dass die Umwelt ein Element der Selbstbestimmung der Persönlichkeit bildet, auch wenn sie ein eigenständiges Rechtsgut darstellt.97 Das Recht auf Umweltschutz bezeichnet sich somit auch als soziales Grundrecht auf die Nutzung der Umwelt98 und gehört deshalb zu dem Zustand des „status positivus“.99 Denn der Schutz der Umwelt besteht im griechischen Recht zunächst in einer positiven Verpflichtung des Staates. Das bedeutet, dass Gesetzgeber und Verwaltung das konkrete Gefüge gesetzlicher Regelungen zu errichten haben, das den Schutz der Umwelt und aller ihrer Bestandteile präzisiert und realisiert. Im Hinblick darauf muss hier betont werden, dass das objektiv-rechtliche Verständnis der Verfassungsrechte und die daraus folgende Pflicht des Staates, ihre Ausübung auch aktiv zu schützen, in Art. 25 Abs. 1 gr. V. nor-
93
Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 271. Vgl. StE, Urt. Nr. 2818/97; K. Gogos, EhmDD 2006, S. 116 ff. 95 Vgl. K. Gogos, EhmDD 2006, S. 116 ff. 96 Vgl. StE, Urt. Nr. 2818/97; K. Gogos, EhmDD 2006, S. 116 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 272. 97 Vgl. T. Vidalis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Der Artikel 24 der griechischen Verfassung nach seiner Revision, 2002, S. 58 ff. 98 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 3146/86. 99 G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 26 ff. 94
716 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
mativen Ausdruck finden. Demnach sind alle Staatsorgane verpflichtet, die ungehinderte und effektive Ausübung der Rechte des Menschen sicherzustellen.100 Insbesondere weist Art. 24 Abs. 1 gr. V. den Gesetzgeber an, die geeigneten gesetzlichen Maßnahmen für die Erhaltung und den Schutz der Umwelt als auch für die Schaffung und Erhaltung der freien Existenz der Menschen in einer gesunden ökologischen Umwelt zu ergreifen.101 Damit ist der Staat verpflichtet bestimmte, positive Tätigkeiten zur effektiven Erhaltung von Umweltgütern zu übernehmen und zu diesem Zweck erforderliche gesetzliche sowie administrative vorbeugende und hemmende Maßnahmen zu erlassen. Der Staat hat somit das Recht, in die wirtschaftliche sowie sonstige individuelle oder kollektive Tätigkeit der Gesellschaft verfassungsmäßig einzugreifen.102 Aufgrund dessen können die Träger des Grundrechts auf Umweltschutz gegenüber dem Staat verlangen, Maßnahmen legislativer oder administrativer Art zu unterlassen, die dem Umweltschutz zuwiderlaufen können.103 Vor diesem Hintergrund wird das Grundrecht auf Umweltschutz als überindividuelles soziales Recht bezeichnet.104 Darüber hinaus können sie unter bestimmten Voraussetzungen auch die Einführung von staatlichen Umweltschutzmaßnahmen sowie die direkte Anwendung des Art. 24 Abs. 1 der gr. V. fordern, soweit eine bestimmte „Gesetzeslücke“ vorliegt.105 Parallel aber ist jeweils ein Ausgleich mit anderen Verfassungsgrundrechten sowie mit dem allgemeinen öffentlichen Interesse herzustellen.106 Auch wenn spezielle umweltschutzrechtliche Normen fehlen, ergibt sich direkt aus Art. 24 Abs. 1 gr. V. die Verpflichtung der Verwaltung, die Forderung nach Um-
100 Vgl. I. Iglesakis, Sozialer Rechtsstaat im Lichte der Verfassungsrevision im Jahr 2001 (Art. 25 Abs. 1 gr.V) und des europäischen sozialen Rechtsstaates, 2005, S. 24 ff.; vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 272. 101 Vgl. P. Spiliakos, in: R. Stober (Hrsg.), Wirtschaftsverwaltungsrecht in Europa, 1993, S. 229. 102 Vgl. StE, Urt. Nr. 2731/97, StE, Urt. Nr. 623/02; G. Statheas, in: Hellenische Gesellschaft für die Opfer (Hrsg.), Die Umwelt als Opfer und ihr Schutz, Symposium vom 21.11.1998, 2000, S. 65 ff. 103 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 24 ff.; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 21 ff.; G. Statheas, in: Hellenische Gesellschaft für die Opfer (Hrsg.), Die Umwelt als Opfer und ihr Schutz, Symposium vom 21.11.1998, 2000, S. 66. 104 W. Rotis, Öffnungen der Rechtsprechung in Bezug auf den Umweltschutz, 1984, S. 13 ff. 105 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: C. Starck (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel ausländischer Verfassungsentwicklung, 1989, S. 139 ff. 106 Wenn der umweltrechtliche Schutz gegen andere gleichwertige Grundrechte (z. B. Eigentum, wirtschaftliche Entwicklung) verstößt, muss aber die Verwaltung die kollidierenden Interessen so abwägen, dass sie immer die umweltfreundliche, nachhaltige Entwicklung sicherstellt; G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 265 ff.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
717
weltschutz zu berücksichtigen und sich in dieser Richtung zu bemühen.107 Ferner darf der Staat keine mit diesem Recht unvereinbaren Maßnahmen treffen.108 Außerdem ist gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V. der Staat verpflichtet, im Rahmen des Nachhaltigkeits-109 und Vorsorgeprinzips (Art. 192 Abs. 2 AEUV)110 spezielle präventive und repressive Maßnahmen für die Erhaltung der Umwelt durchzuführen. Parallel aber muss die Rechtsordnung der nachhaltigen Entwicklung dienen, damit die natürlichen Ressourcen nicht übermäßig aufgebraucht werden und die Umweltqualität auch für die zukünftigen Generationen sicher hergestellt wird. Im Hinblick darauf muss die Forderung der Umweltgüterträger (natürliche und juristische Personen) nach staatlichen, positiven, umweltfreundlichen Vorkehrungen ausreichend begründet sein.111 Die verfassungsrechtliche Pflicht der Verwaltung, Maßnahmen zugunsten des effektiven Umweltschutzes vorzunehmen, hat nach der griechischen Rechtsprechung sowie der herrschenden Lehre zur Folge, dass die durch ein Unterlassen belasteten Träger der Umweltgüter berechtigt sind, eine Aufhebungsklage dagegen einzulegen. Der h. M. nach stellt dieses Verhalten ein „Unterlassen einer obligatorischen, gesetzmäßigen Präventionsmaßnahme“ seitens der zuständigen Verwaltung dar. Daher ist ein solches Unterlassen gesetzeswidrig.112 Unterlässt beispielsweise der Staat den Abriss eines gesetzeswidrigen Bauwerks, ist dies ein 107 A. Mastrogamvraki, NoB 1976, S. 1208 ff.; M. Vrontakis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 147 ff.; G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, Bd. 2, 2003, S. 18; StE, Urt. Nr. 3754/81. 108 Vgl. M. Vrontakis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 147; P. Spiliakos, in: R. Stober (Hrsg.), Wirtschaftsverwaltungsrecht in Europa, 1993, S. 229. 109 s. Prinzip Nr. 3, 4, 5, 8 der Rio-Deklaration. Vgl.: I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2000 S. 127 ff.; Staatsratsentscheidungen 2537/96 (Petrola), 772/98, PerDik 1998, S. 254; R. Breuer, in: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, S. 517 ff. 110 Dieses Prinzip ist auch anerkannt in dem Vertrag von Maastricht, der Rio-Deklaration und der Agenda 21; dazu I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2000, S. 19 ff.; s. o. R. Breuer, Umweltschutzrecht, in: 2003, S. 513 ff.; G. Balias, Das Vorsorgeprinzip im Völker-, Europa- und Vergleichungsrecht, 2005, S. 29 ff. 111 Vgl. M. Sgourelli, PerDik 1998, S. 361 ff.; M. Chaidarlis, Der Umweltschutz nach der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Nachhaltigkeitsprinzips, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Referat über die Änderung der griechischen Verfassung, 2002, S. 113 ff.; A. Manessis, Verfassungsrechte, individuelle Freiheiten, 1982, S. 20 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, 2002, S. 17 ff.; W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 191 ff.; I. Karakostas, Der Schutz der Umweltgüter und der geänderte Artikel 24 der griechischen Verfassung, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Symposium über die Änderung der griechischen Verfassung, 2002, S. 101 ff. 112 Vgl. StE, Urt. Nr. 4665/96 über das gesetzeswidrige Unterlassen der Verwaltung, das Ingangsetzen einer Steinbruchanlage zu unterbrechen; s. auch Urt. 439/98 des Staatsrates über das Unterlassen der Verwaltung, den gesetzmäßigen Anspruch der Einwohner eines Gebietes zu befriedigen, die geeigneten Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung und den übermäßigen Lärm eines Elektrizitätswerks zu treffen. G. Siouti, Verfassungsrechtkommntar 2003, S. 19 ff.; K. Gogos, EhmDD 2006, S. 116 ff.
718 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
„Unterlassen einer obligatorischen, gesetzesmäßigen Vorsorgemaßnahme“ und daher der gerichtlichen Kontrolle untergeordnet.113 Für die Aktivierung der sozialen Rechte ist es nicht erforderlich, dass die Verfassungsnorm den Umfang der sozialen Leistung genau bestimmt. Es reicht, wenn die Verfassungsnorm den „Kern“ des Verfassungsrechts gewährleistet und gleichzeitig den Gesetzgeber mit der Konkretisierung des Rechtsinhalts beauftragt. Insofern bestimmt die Gesetzgebung den Inhalt der individuellen Ansprüche näher; der Kern aber des sozialen Rechts, woraus der Anspruch an sich abgeleitet wird, befindet sich schon in der Verfassungsbestimmung.114 Kern des Grundrechts auf Umweltschutz als soziales Recht ist das Prinzip des „umweltrechtlichen Besitzstandes (oder Acquis)“, das ein Verschlechterungsverbot in Bezug auf die Umweltbedingungen enthält.115 Dieses Prinzip zielt auf den Schutz des vorgefundenen Umweltbestandes. Dies bedeutet, dass die Umweltbelastung nicht weiter anwachsen darf. Daher dürfen vom Staat ausgehende umweltbelastende Ziele und Pläne diesen Kern kaum berühren.116 Als Verletzung des umweltrechtlichen Besitzstandes sind z. B. die Zunahme der höchstzulässigen Bebauungsdichte bzw. der Baumassenzahl,117 die Einführung von belastenden gewerblichen Nutzungen in Wohngebieten118, die Abschaffung von Gemeinschaftsräumen in Wohnungsortschaften, soweit eine solche Abschaffung nicht aus zwingenden stadtplanerischen Gründen begründet werden kann,119 anzunehmen.120 Da die Verfassung den Gesetzgeber beauftragt, den Inhalt der sozialen Rechte zu konkretisieren, ist somit der Gesetzgeber von Verfassungs wegen zu einem entsprechenden Tätigwerden verpflichtet. Es ist allgemein anerkannt, dass in den 113 G. Statheas, in: Hellenische Gesellschaft für die Opfer (Hrsg.), Die Umwelt als Opfer und ihr Schutz, Symposium vom 21.11.1998, 2000, S. 65; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2000, S. 483 ff., S. 501 ff. 114 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 101 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 265. 115 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 10/1988; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1528/ 2003; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 123/2007; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 3059/2009; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 415/2011; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1970/2012; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 376/2014; I. Tassopoulos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 110 ff.; vgl. auch W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929– 1979), Bd. 1, 1982, S. 371 ff.; K. Menoudakos, NoB 2002, S. 46; K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 248. 116 Vgl. I. Tassopoulos, 2002, S. 110 ff.; vgl. R. Breuer, Umweltschutzrecht, in: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, S. 513 ff.; I. Karakostas, PerDik 2000, S. 464 ff. 117 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1528/2003. 118 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 123/2007; Anm. dazu W. Chrestou, EhmDD 2007, S. 148 ff. 119 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1970/2012. 120 Vgl. K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 248.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
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Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers die Entscheidungsaufgabe fällt, in welchem Umfang er die verfassungsmäßig gesicherten sozialen Leistungen erbringt.121 Sofern aber der Gesetzgeber das soziale Grundrecht auf Umweltschutz durch bestimmte Maßnahmen materialisiert, kann er es nicht mehr grenzenlos aufheben. Aus den Bestimmungen des Art. 24 gr. V. ist somit ein Verschlechterungsverbot zugunsten der bestehenden natürlichen und wohnbaulichen Umwelt abzuleiten.122 Vor diesem Hintergrund darf der Gesetzgeber die geltende Umweltschutzgesetzgebung nur unter der Bedingung ändern, dass die neue Regelung die Lebensbedingungen verbessert. Wenn der Gesetzgeber Maßnahmen ergreift, die eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot darstellen, um anderen öffentlichen Interessen zu dienen, muss diese Ausnahme speziell und ausführlich begründet sein.123 Gesetzliche und Verwaltungsmaßnahmen, die die Umwelt belasten, sind daher nur in Sonderfällen gestattet und nur unter Berücksichtigung der von der Verfassung gewährleisteten Rechte und des öffentlichen Interesses.124 Die Begründung des öffentlichen Interesses, die Erforderlichkeit der Maßnahme sowie auch die Grenzen der erträglichen Umweltbelastung unterliegen der Gerichtskontrolle.125 Auch wenn spezielle umweltschutzrechtliche Normen fehlen, ergibt sich direkt aus Art. 24 gr. V. infolge der unmittelbaren Geltung des Grundrechts auf Umweltschutz die Verpflichtung der Verwaltung, den Inhalt dieses sozialen Rechts selbst zu bestimmen, die Forderung nach Umweltschutz zu berücksichtigen und sich in dieser Richtung zu bemühen.126 Ferner darf der Staat keine mit diesem Recht unvereinbaren Maßnahmen treffen.127 In diesem Zusammenhang wurde judiziert, dass es sich um eine anfechtbare Untätigkeit der Administrative handelt, wenn keine Maßnahme zur Reduzierung von unzumutbaren Emissionen128 oder zur Erstellung eines Waldregisters129 ge121 Vgl. StE, Urt. Nr. 811/77; StE, Urt. Nr. 1069/84; StE, Urt. Nr. 4481/86; I. Tassopoulos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 110 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 263; I. Karakostas, PerDik 2000, S. 464 ff.; jeweils m.w. N. 122 Vgl. StE, Urt. Nr. 731/89; StE, Urt. Nr. 2294/87; StE, Urt. Nr. 359/1992; StE, Urt. Nr. 3144/2004; J. Mantzouranis,ToS 1986, S. 458 ff. 123 Vgl. StE, Urt. Nr. 150/1990; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 263. 124 Vgl. StE, Urt. Nr. 2281, 2282/1992; D. Nikopoulos, DiDik 1990, S. 753 ff. 125 Vgl. StE, 772/91; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 263. 126 Vgl. u. a. StE, Urt. Nr.3754/81; A. Mastrogamvraki, NoB 1976, S. 1208 ff.; M. Vrontakis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 147 ff.; G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, Bd. 2, 2003, S. 18; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 263. 127 Vgl. M. Vrontakis, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), 2002, S. 147; P. Spiliakos, in: R. Stober (Hrsg.), Wirtschaftsverwaltungsrecht in Europa, 1993, S. 229. 128 Vgl. StE, Urt. Nr. 1439/98; StE, Urt. Nr. 4665/96. 129 Vgl. StE 2818/97.
720 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
troffen wurde, obwohl ein entsprechender Antrag eingereicht wurde, und zwar dessen ungeachtet, dass keine entsprechende Verpflichtung der Administrative aus einer Gesetzesbestimmung herzuleiten ist. Auch diese Verpflichtung wird direkt aus Art. 24 Abs. 1 gr. V. abgeleitet. c) Das Grundrecht auf Umweltschutz als politisches Recht Schließlich ist das Grundrecht auf Umweltschutz – als ein kollektives Recht – als politisches Grundrecht (status activus) anzusehen. Darunter versteht man, dass die Umweltgüterträger gegenüber der Verwaltung berechtigt sind, am Umweltschutz im weiteren Sinne mitzuwirken. Denn es ist allgemein anerkannt, dass die Beteiligung der Rechtsträger an administrativen Entscheidungen diesen grundsätzlich erlaubt, rechtzeitig in kritischen Fragen auch des Umweltschutzes mitzubestimmen, so dass sie nicht bloß im Nachhinein die Möglichkeit bekommen, gegen entsprechende Entscheidungen vorzugehen.130 Vor diesem Hintergrund wird dadurch für die Rechtsträger – im Rahmen des Kooperationsprinzips131 – vor allem das Recht auf Einsichtnahme in Umweltinformationen gewährleistet.132 Durch das Grundrecht auf Umweltschutz wird somit auch das Recht des Einzelnen begründet, über umweltrelevante Planungen vor deren Umsetzung informiert zu werden, sowie ständig auf aktuelle Bestandsaufnahmen zurückgreifen zu können. Denn erst durch erweiterten Informationszugang ist es möglich, auf Verletzungen seiner Rechte aufmerksam zu werden.133 Die Erfüllung des aus Art. 24 Abs. 1 gr. V. abgeleiteten Rechts auf Einsichtnahme in Umweltinformationen setzt darüber hinaus den organisatorischen Aufbau einer dazu geeigneten Infrastruktur sowie die Schaffung der dafür erforderlichen Mittel voraus. Relevant dazu ist auch Art. 10 gr. V., der das Grundrecht auf Petition des jeweils interessierenden Bürgers an die Behörde sowie das daraus abgeleitete Recht auf Kenntnisnahme der Verwaltungsunterlagen bzw. der öffentlichen Informationen, die die zuständigen öffentlichen Behörden besitzen.134 In dieser Hin130 Amtliche Protokolle der Plenarsitzungen des Griechischen Parlaments, Sitzung RQ', 08.02.2001, 2002, S. 300. 131 Vgl. G. Siouti, ToS 1983, S. 9 ff.; s. o. R. Breuer, Umweltschutzrecht 2003, S. 517 ff. 132 Vgl. I. Vasilopoulos, PerDik 1997, S. 23 ff.; G. Siouti, ToS 1983, S. 9 ff.; dies, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 39 ff., S. 227 ff.; jeweils m.w. N. 133 Vgl. E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 83 ff.; A. Tachos, Umweltschutzrecht, S. 152 ff. 134 Art. 10 gr. V. „(1) Jedermann oder auch mehrere gemeinsam haben das Recht, sich unter Beachtung der Gesetze schriftlich an die Behörden zu wenden; diese sind aufgrund der geltenden Vorschriften zum schnellen Handeln und zur schriftlichen Antwort an den Petenten nach Maßgabe der Gesetze verpflichtet. (2) Erst nach Mitteilung der endgültigen Entscheidung der Behörde, an die die Petition gerichtet war, und nur mit ihrer Erlaubnis ist die Verfolgung des Petenten wegen einer in der Petition enthaltenen Rechtsverletzung gestattet.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
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sicht gewährleistet die griechische Rechtsordnung – genauso wie das deutsche Recht135 – das Recht auf Kenntnisnahme der Verwaltungsunterlagen und entsprechenden Akten, ohne grundsätzlich eine weitere Geltendmachung des rechtlichen Interesses aufzufordern.136 Eine andere Facette des Grundrechts auf Umweltschutz als politisches Grundrecht ist die Gewährleistung des Rechts auf Beteiligung stricto sensu Einzelner oder Personengruppen an umweltrelevanten Verwaltungsverfahren und zwar entweder mit lediglich konsultativer Funktion oder mit entscheidender Zuständigkeit, wie z. B. das UVP-Verfahren.137
(3) Die zuständige öffentliche Abteilung oder das Amt ist verpflichtet, auf Anträge für Informationen und für die Angabe von schriftlichen Dokumenten, insbesondere Bescheinigungen, Unterlagen und Bestätigungen, innerhalb einer gewissen Frist, die nicht länger als 60 Tage ist, nach Maßgabe der Gesetze eine Antwort zu geben. Im Falle der ergebnislosen Verstreichung dieser Frist oder der gesetzwidrigen Verweigerung wird, abgesehen von anderen Sanktionen und gesetzlichen Folgen, eine spezielle Geldentschädigung dem Aufhebungskläger nach Maßgabe der Gesetze bezahlt.“ Vgl. unter anderem ausführlich dazu A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 152 ff., m.w. N. Schon vor dem Abschluss der Aarhus-Konvention hat teilweise die griechische Rechtsprechung einen progressiven Weg hinsichtlich des Zugangs des Bürgers zu Umweltinformationen eingeschlagen. Indizierend dazu ist das StE Urt. Nr. 3943/95: Im Fall der Einlegung eines Antrags auf Umweltinformationen an eine zuständige Behörde, die nicht aber die angeforderten Informationen besitzt, ist dann diese Behörde verpflichtet, die angeforderten Informationen bei der Behörde, die sie besitzt, zu suchen sowie dem Aufhebungskläger eine Antwort zu geben. K. Menoudakos, NkF September 2003; ders., NkF (elektr. Zeitschr.), November 2007; jeweils m.w. N. 135 Vgl. dazu u. a. C. Schrader, ZUR 2004, S. 130 ff., m.w. N. 136 Vgl. auch Art. 16 Abs. 1 Gez. Nr. 1599/86, Art. 5 gr. VwVfG (Gez. Nr. 2690/ 1999). Diese Vorschrift bestimmt ein allgemeines Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen (d.h. Unterlagen, die von öffentlichen Behörden verfasst werden) ohne die Geltendmachung eines rechtlichen Interesses. Die Geltendmachung eines rechtlichen Interesses ist erforderlich, falls der Aufhebungskläger Zugang zu privaten Unterlagen, die bei öffentlichen Behörden aufbewahrt werden, beantragt. G. Ziamos, in: K. Menoudakos/G. Papadimitriou (Hrsg.), Umweltinformation und Teilnahme an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten, 2002, S. 15 ff., S. 29 ff. Speziell zum Umweltinformationsrecht vgl. etwa Gesetz Nr. 1650/1986 Art. 1 Abs. 1, 3 z; Art. 5 Abs. 2, auch die RL 90/ 313/EWG (umgesetzt in die griechische Rechtsordnung durch die gemeinsame Ministerialentscheidung 77921/1440/1995 FEK B' 795/1995, RL 2003/4/EG über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt); vgl. auch K. Menoudakos, NkF, November 2007; L. Kefalogianni/C. Synodinos, PerDik 2001, S. 178 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 227 ff.; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 83 ff.; A. Tachos,Umweltschutzrecht, 2006, S. 152 ff.; E. Liaska, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 25 ff.; dies., PerDik 2008, S. 233 ff.; jeweils m.w. N. 137 Vgl. dazu G. Ziamos, in: K. Menoudakos/G. Papadimitriou (Hrsg.), Umweltinformation und Teilnahme an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten, 2002, S. 15 ff., S. 34 ff.; A. Psaila, in: K. Menoudakos/G. Papadimitriou (Hrsg.), Umweltinformation und Teilnahme an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten, 2002, S. 109 ff.; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 115 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 195 ff.; W. Dorovinis, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou
722 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
Vor allem aber gewährleistet das Grundrecht auf Umweltschutz als politisches Grundrecht das Vorhandensein von Rechtsbehelfen, die der Öffentlichkeit den effektiven Zugang zu Gerichten, auch zur gerichtlichen Verfolgung der oben genannten Ansprüche auf Information und Mitwirkung, sicherstellen. Dadurch ist die Öffentlichkeit berechtigt, ungehindert ihre umweltrechtlichen Ansprüche vor Gericht einzuklagen.138 d) Das Grundrecht auf Umweltschutz als gemischtes Recht Die Unterscheidung der oben dargestellten verfassungsmäßigen Merkmale bzw. Facetten des Grundrechts auf Umweltschutz sind allerdings eher schematisch. Vielmehr ergänzen sie sich untereinander und stellen eine systematische Einheit dar.139 Das Grundrecht auf Umweltschutz ist unteilbar verbunden mit der Menschenwürde und der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit genauso wie das Grundrecht auf Leben, auf Freiheit und Gleichheit. Seine Einhaltung stellt somit von der Sache her eine unerlässliche Voraussetzung für die Ausübung der verfassungsmäßigen Rechte dar.140 Das Grundrecht auf Umweltschutz hat im Zusammenhang mit der h. L. und der gerichtlichen Praxis der griechischen Aufhebungsklage schon seit Ende 1970 den Weg zu einer sehr weitgefassten umweltschützenden Aufhebungsklage der betroffenen Bürger sowie ihrer Vereinigungen im griechischen Recht geebnet. Diese Klage könnte insbesondere auf dem Gebiet des Umweltrechts als quasi altruistische Klage verstanden werden. Um diese Klage deutlich zu verstehen, soll zunächst der Begriff der Aufhebungsklage im griechischen Recht erklärt werden.
IV. Drittwirkung des Rechts auf Umweltschutz Die Begründung des Grundrechts auf Umweltschutz in der griechischen Verfassung bringt die mittelbare Drittwirkung dieses Rechts im Bereich des Zivilrechts mit sich.141 Hauptgrund dafür ist, dass der Umweltschutz, der die Erhal(Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 33 ff.; jeweils m.w. N. 138 Vgl. G. Papadimitriou, Umweltverfassung, 1994, S. 191; G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 54 ff.; dies., Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 39 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 48 ff.; jeweils m.w. N. 139 Vgl. G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Art. 24 gr. V., Verfassungskommentar, Bd. 2, 2003, S. 22 ff.; dies., Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 41 ff. 140 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 43 ff. 141 Vgl. J. Iliopoulou-Straga, Die Drittwirkung der individuellen und sozialen Rechte der griechischen Verfassung von 1975 auf die griechische Theorie und Praxis, 1990, S. 23 ff.; Z. Tsolakides, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Der Artikel 24 gr. V. nach seiner Änderung, 2002, S. 154 ff.; jeweils m.w. N.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
723
tung bzw. die Nichtverschlechterung der natürlichen und kulturellen Umwelt einschließt, nicht nur eine Verpflichtung des Staates ist, sondern auch ein individuelles Recht der Bürger. Dadurch wird nicht nur der Inhalt des Art. 24 gr. V. erfüllt, sondern auch der Inhalt des Art. 25 Abs. 1 gr. V., wonach die Rechte des Menschen als Person und Mitglied der Gesellschaft (inkl. somit auch das Grundrecht auf Umweltschutz) vom Staat gewährleistet werden und auch in den Rechtsbeziehungen zwischen den Privatleuten gelten, für die sie sich eignen.142 Wie schon dargestellt wurde, bilden im griechischen Recht die Begriffe der Persönlichkeit und der Umwelt – obwohl sie in der gr. V. getrennt bestimmt und einzeln geschützt werden – eine unteilbare Einheit. So z. B. stellt das Recht auf Nutzung der gemeinnützlichen öffentlichen Güter im gr. BGB (gem. § 967 gr. BGB) mittelbar eine zivilrechtliche Offenbarung des verfassungsmäßigen Rechts auf Umweltschutz dar. Daher bewirkt dieses Recht auch im griechischen Zivilrecht mittelbare Drittwirkung. Dies geschieht grundsätzlich durch Art. 57143 i.V. m. § 914 ff.144 gr. BGB (unerlaubte Handlungen) und § 1003 ff. gr. BGB145 (Einschränkung des Eigentums durch Immissionen).146 Durch die mittelbare Drittwirkung des Grundrechts auf Umweltschutz können somit die Umweltgüterträger, soweit sie ein rechtliches Interesse begründen können, gegen den Verursacher der jeweils umstrittenen Umweltbelastung klagen.147 Dies scheint plausibel zu sein, denn das Grundrecht auf Umweltschutz ist ein Grundrecht, das nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber anderen 142 Vgl. ZLG von Volos, Urt. Nr. 1503/2004, Armen. 2005, s. 12; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2003, S. 40 ff.; P. Dagtoglou, Verfassungsrecht – Individuelle Rechte, 1991, S. 84 ff.; D. Klavanidou, EpiskED 1999, S. 372; I. Karakostas, D 1995, S. 356 ff. 143 Art. 57 gr BGB lautet: „Wer in seinem Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt wird, ist berechtigt, die Beseitigung und die Nichtwiederholung der Verletzung in der Zukunft zu verlangen. Ist die Persönlichkeit einer verstorbenen Person verletzt, bekommt das oben genannte Recht seine Ehefrau, seine Kinder, Eltern, Brüder oder seine durch Testament bestimmten Erben. Ein Anspruch auf Entschädigung ist nicht ausgeschlossen.“ 144 Art. 914 gr. V. lautet: „Jedermann, der eine Person gesetzeswidrig und schuldhaft schädigt, ist verpflichtet, sie zu entschädigen.“ 145 Art. 1003 gr. BGB lautet: „Der Eigentümer eines Grundstücks ist verpflichtet, Immissionen von Rauch, Ruß, Gerüchen, Hitze, Lärm, Erschütterungen oder ähnliche Auswirkungen, die von einem anderen Grundstück ausgehen, zu tolerieren, sofern diese nicht wesentlich die Nutzung des Grundstücks beeinträchtigen oder aus einer gewöhnlichen Nutzung für die Grundstücke des Ortsgebietes, wo die Schäden verursacht werden, hervorgehen.“ 146 Vgl. G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, Bd. 2, S. 22; ausführlich I. Karakostas, PerDik, 2000, S. 243 ff., S. 278 ff.; E. Dakoronia, PerDik, 1997, S. 15 ff. 147 Vgl. ZLG von Nafplio, Urt. Nr. 163/91; ZLG von Athen, Urt. Nr. 10691/97; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2000, S. 29 ff.; S. Stathouli, PerDik, 1999, S. 31 ff.
724 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
Einzelpersonen geltend gemacht werden kann.148 Beispielsweise lässt sich dieses Recht i.V. m. § 57 S. 1149 gr. BGB geltend machen. Danach ist jeder, der in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, berechtigt, die Beseitigung der Verletzung und ihre künftige Unterlassung zu verlangen.150 Sowohl das Recht auf Nutzung der „allgemeingenutzten“ Güter (etwa Atmosphäre oder Luft, Meer, öffentlicher Wald)151 als auch der „gemeinnützlichen“ bzw. öffentlichen Güter (etwa Küsten, Gewässer mit freiem und dauerhaftem Lauf, Straßen, Plätze, Häfen, Ufer, Flussbette, schiffbare Flüsse, große Seen) wird gem. § 966 ff. gr. BGB152 aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Daher kann die Beeinträchtigung der öffentlichen Umweltgüter zur Verletzung der eigenen Persönlichkeit der Menschen sowie ihrer Würde führen.153 Der holistische Charakter als persönliches und kollektives Recht des Rechts auf Nutzung der „allgemeingenutzten“ sowie der „gemeinnützlichen Sachen“ als selbständige Manifestation des Grundrechts auf die freie Entwicklung der Persönlichkeit spricht somit für die Gewährleistung des gerichtlichen Rechtsschutzes dieser Rechte auch im Bereich des Zivilrechts, soweit der Kläger sein rechtliches Interesse begründen kann.154 Angesichts der Tatsache, dass auch juristische Personen Träger des Grundrechts auf Umweltschutz sein können, wird die Auffassung vertreten, dass auch anerkannte juristische Personen (vor allem die Vereinigungen, die sich satzungsmäßig für die Umwelt interessieren) eine Verletzung der Persönlichkeit ihrer Mitglieder aufgrund § 57 gr. BGB rügen können.155
I. Karakostas, PerDik 2000, S. 135 ff. Vgl. I. Karakostas, EDDD, 1990, S. 177 ff. 150 Vgl. I. Karakostas, EDDD, 1990, S. 177 ff.; ders., D 1995, S. 356 ff.; ders., PerDik 2000, S. 143 ff.; D. Klavanidou, EpEmpD 1999, S. 376. 151 Vgl. D. Klavanidou, EpEmpD 1999, S. 376; vgl. I. Karakostas, PerDik 2000, S. 143 ff. 152 § 966 gr. BGB lautet: „Sachen, die außer Geschäftshandel stehen, sind Sachen, die zur Gesamtheit gehören, allgemeingenutzte Sachen sowie Sachen, die dazu bestimmt sind, öffentlichen, kommunalen oder religiösen Zwecken zu dienen.“ § 967 gr. BGB lautet: „Gemeinnützliche Sachen sind grundsätzlich Gewässer mit freiem und dauerhaftem Lauf, die Straßen, die Plätze, die Küste, die Häfen und die Buchten, die Sandbänke der schiffbaren Flüsse, die großen Seen und ihre Ufer.“ 153 Vgl. A. Sakellaropoulos, Gedanken zum Umweltproblem aus juristischer Sicht, 1985, S. 291; D. Klavanidou, PerDik 1999, S. 370 ff.; I. Karakostas, PerDik, 2000, S. 170 ff.; vgl. mehr in Landesgericht ZLG von Messologhi, Urt. Nr. 134/1997, PerDik, 1997, S. 111 ff.; Anm. dazu auch M. Chaidarlis, PerDik, 1997, S. 207 ff. 154 Vgl. StE, Urt. Nr. 2540/2005; StE, Urt. Nr. 3266/2005, ZLG von Ioannina, Urt. Nr. 471/96; E. Kretsi, D 2007, S. 162 ff.; I. Karakostas, EDDDD 1990, S. 177 ff.; E. Koutoupa-Regkakou, in: FS für P. Yessiou-Faltsi, Bd. I, 2007, S. 657 ff. 155 Vgl. I. Karakostas, PerDik 2000, S. 192; ders., in: G. Papadimitriou, Giorgos (Hrsg.), Der Artikel 24 gr. V. nach seiner Änderung, 2002, S. 101 ff. 148 149
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
725
Dies ist eine bemerkenswerte Besonderheit des griechischen Rechts, die zu einem weiten und effektiven Rechtsschutz der Umweltgüter führt. Zu beachten ist, dass ein entsprechendes Recht im deutschen BGB nicht existiert.156
V. Zur Missachtung des Grundrechts auf Umweltschutz: ausgewählte Beispiele Trotz der zentralen Bedeutung des Art. 24 gr. V. in der griechischen Rechtsordnung ist seine Auswirkung in der Praxis in verschiedenen Konstellationen abgeschwächt. Häufig wird durch politische Entscheidungen, die in der Gesetzgebung durchgesetzt werden, der Inhalt des Grundrechts auf Umweltschutz verletzt. Die direkte Geltung und Anwendung des Art. 24 gr. V. reicht von allein nicht aus, um erhebliche organisatorische und rechtliche Defizite bei dem Erlass und der Anwendung umweltschützender Gesetze sowie bei der administrativen Kontrolle des Umweltschutzes zu beseitigen.157 Unter dem Einfluss von wirtschaftspolitischen
156 Vor diesem Hintergrund ist zu beachten, dass in den letzten Jahren auch im griechischen Zivilrecht eine der Rechtsprechung des Staatsrates entsprechende Erweiterung des Begriffs des rechtlichen Interesses festzustellen ist. Nach der herrschenden Auffassung des Schrifttums (vgl. F. Triantafyllou-Albanidou, Das rechtliche Interesse des Klägers, 1995, S. 31 ff.; D. Klavanidou, EpiskED 1999, S. 384 ff.; I. Karakostas, PerDik 2000, S. 463 ff.) können die Verbände, die den Umweltschutz als Satzungsziel haben, eine Klage gegen einen Privaten auch für die Verteidigung des eigenen immateriellen Interesses erheben. Darüber hinaus nimmt die Rechtsprechung der Zivilgerichte an, dass die Verbände als Vertreter der individuellen Rechte ihrer Mitglieder (gem. § 669 gr. ZPO) beiladungsfähig sind (vgl. LZG Nafplio, Urt. 163/91 (NOB 39, S. 786), LZG Chalkida 336/92; Urt. des Berufungsgerichts Athen 6805/89, EllDnh 31, S. 1456; Kritik und Vorschläge für eine Beiladung gem. Art. 80 gr. ZPO s. I. Karakostas, PerDik 2000, S. 464 ff.). Außerdem vertritt ein Teil der Theorie die Auffassung, dass ein rechtliches Interesse den Umweltverbänden nach dem Vorbild des Art. 10 §§ 8, 9 des Gesetzes 2251/94 (über den Verbraucherschutz) [Die Verbandsklage im Rahmen des Gesetzes 2251/94 hat als Gegenstand zum einen gem. Art. 10 § 8 die Verteidigung der Rechte der Verbandsmitglieder, zum anderen gem. Art. 10 § 9 die Verteidigung der kollektiven Interessen der Verbraucher, die aus der Satzung des Verbandes abgeleitet werden; ausführlich dazu I. Karakostas der Schutz des Verbrauchers, 1997, S. 187 ff.; A. Pouliadis, Die Vereinigungen der Verbraucher und die Verbandsklage, 1998, S. 3 ff.] zuerkannt werden muss, um mehr Rechtssicherheit hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verbände zu erreichen [vgl. D. Klavanidou, EpiskED 1999, S. 383 ff.; I. Karakostas, Der Schutz des Verbrauchers, 1997, S. 187 ff.; A. Papathoma-Baetge, in: J. Basedow/K. J. Hopt/H. Kötz/D. Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozesß, 1999, S. 187 ff.]. Eine ähnliche Erweiterung des rechtlichen Interesses im Zivilrecht genießen auch die natürlichen Personen. Diese können beispielsweise die Verletzung ihrer Persönlichkeit durch umweltbelastende Tätigkeiten oder Unterlassungen eines Privaten geltend machen, um eine zivilrechtliche Klage zu begründen (vgl. E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 58 ff., S. 85 ff., m.w. N.). Eine umfassende Analyse dieses Themas sprengt allerdings die Grenzen dieser Analyse. 157 Vgl. u. a. A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 207 ff.; ders., NkF 1998, S. 283; K. Menoudakos, NoB 2002, S. 45 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts,
726 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
Interessen entstehen in der griechischen Rechtsordnung nicht selten Gesetze, die die Umweltschutzgarantien einseitig zugunsten von Investoren einschränken und folglich den verfassungsmäßigen Umweltschutz widerrechtlich verdrängen.158 Beispielsweise tendiert der griechische Staat bestimmte Bauvorhaben, die erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben sollen, durch ein typisches Gesetz und nicht durch den Erlass von Verwaltungsakten zu genehmigen. Vor diesem Hintergrund werden auch die Umweltverträglichkeitsstandards dieser Werke durch ein typisches Gesetz bestimmt.159 Auf diese Weise aber wird die substanzielle Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren hinsichtlich der Umweltverträglichkeitsprüfung in der Praxis willkürlich eingeschränkt und in einigen Fällen annulliert. Auf diese Weise wird die unmittelbare gerichtliche Kontrolle, etwa die Kontrolle der Umweltverträglichkeitsstandards solcher Vorhaben, vermieden und verhindert.160 Es muss beachtet wer-
2003, S. 24 ff.; I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2006, S. 95 ff.; E. Dikaios, NkF, Dezember 2007. 158 Vgl. A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 207 ff.; S. Risos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Die Bürgergemeinschaft und die Implementierung des Umweltrechts, 2007, S. 27 ff.; E. Dikaios, NkF, Dezember 2007. 159 s. u. a. z. B. Art. 7 des Gesetzes Nr. 2338/1995; vgl. dazu K. Menoudakos, NkF November 2007; W. Dorovinis, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 33 ff.; P.-M. Efstratiou, in: K. Menoudakos/G. Papadimitriou (Hrsg.), Umweltinformation und Teilnahme an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten, 2002, S. 93 ff.; A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 212 ff.; Bauwerke, die mit einem solchen Verfahren genehmigt wurden, sind z. B. der internationale Flughafen von Athen (Gesetz Nr. 2338/95), die Brücke Rio-Antirrio (Gesetz Nr. 2395/96), die olympische Marathonlaufstrecke (Gesetz 3069/2002), das neue Museum der Akropolis (Art. 9 Abs. 4 Gesetzes Nr. 3207/2003) und die Umleitung des Achelöos-Flusses (Gesetz Nr. 3481/2006). Insbesondere für die Genehmigung des Umleitungsvorhabens (einschließlich der UVP) des Achelöos-Flusses per Gesetz s. EuGH, Urt. v. 11.09.2012, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a./griechisches Ministerium für Umwelt, Raumordnung und öffentliche Werke u. a.), ZUR 2013, S. 159 ff. Der EuGH hat in diesem Fall unter anderem festgestellt, dass das Umleitungsvorhaben des Achelöos-Flusses, das ein besonderes Schutzgebiet beeinträchtigt, dem EU-Recht (Rl 92/43) entgegensteht, da Angaben oder verlässliche und aktualisierte Daten über die Vogelwelt in diesem Gebiet fehlen (vgl. EuGH, Rn. C 43/10, Rn. 106 ff.). 160 Vgl. StE, Urt. Nr. 1567-8/2005; A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 212 ff.; P.-M. Efstratiou, PerDik 1999, S. 524 ff.; ders., DtA 1999, S. 845 ff.; K. Menoudakos, NkF November 2007. Vgl. zu dieser Problematik aus europäischer Perspektive V. Karageorgou, in: L. Westra/P. Taylor/A. Michelot (Hrsg.), Confronting Ecological and Economic Collapse – Ecological Integrity for Law, Policy and Human Rights, 2013, S. 92 ff.; im Hinblick darauf ist auch die aktuelle Rechtsprechung des EuGH [EuGH, Urt. v. 11.10.2011, Rs. C-128/09, Rn. 54, 57, Rn. 47–48 (Boxus u. a./Région wallonne), NVwZ 2011, S. 1506 ff.] unter anderem zu folgendem Ergebnis gekommen: Dass Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a RL 85/337/EWG dahin auszulegen sind, dass, wenn ein Projekt, das in den Geltungsbereich dieser Bestimmungen fällt, durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt worden ist, die Frage, ob dieser Gesetzgebungsakt die in Art. 1 Abs. 5 RL 85/337/EWG festgelegten Voraussetzungen erfüllt, nach den nationalen Ver-
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
727
den, dass die griechische Rechtsordnung kein Verfassungsgericht und keine Verfassungsbeschwerde – dem deutschen Recht entsprechend – kennt.161 Die Verfassungsmäßigkeit der Umweltverträglichkeitsprüfungsstandards oder weiteren umweltbezogenen Bedingungen kann dann nur inzident gerichtlich kontrolliert werden, wenn z. B. spezielle Verwaltungsakte, die die Durchführung solcher Vorhaben betreffen, gerichtlich angefochten werden. In dieser Hinsicht ersetzt – nicht selten willkürlich – der Gesetzgeber die Funktion der Verwaltung, so dass die Implementierung der Umweltschutzgarantien, die die griechische Verfassung gewährleistet, deutlich abgeschwächt wird. Es ist daher mehr als fraglich, ob diese Rechtspraxis verfassungsmäßig ist.162 Von Bedeutung ist z. B., dass der griechische Staat durch die Verabschiedung eines typischen Gesetzes (Gez. Nr. 3481/2006163) die Erteilung des Bauvorhabens bezüglich der Umleitung des Achelöos-Flusses in Nordgriechenland (sog. Achelöos-Fall), die auch die Errichtung eines großen Wasserstaudammes erfasste, billigte (vgl. Art. 13 ff. des Gesetzes Nr. 3481/2006), so dass die Einhaltung der Umweltstandards dieses Bauvorhabens nicht unmittelbar gerichtlich kontrolliert werden konnte. Gleichzeitig wurden dadurch auch die Anforderungen der Öffentlichkeitsbeteiligung umgegangen.164 Etwas Ähnliches geschah auch im Fall der Bebauungsgenehmigung eines großen Einkaufszentrums (ca. 75.000 m2) in Athen (sog. Mall-Fall). In diesem Fall wurde die Erteilung der Bebauungsgenehmigung dieses Einkaufszentrums durch die Verabschiedung des Gesetzes Nr. 3207/2003 (vgl. insbes. Art. 6)165 durchgeführt. Auf diese Weise aber haben die öffentlichen Behörden die gerichtliche Prüfung der erforderlichen UVP-Standards willkürlich vermieden.166
fahrensvorschriften einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle vorgelegt werden können muss. Falls gegen eine solche Maßnahme kein Rechtsbehelf eröffnet ist, obliegt es jedem nationalen Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit befasst wird, die gesetzmäßige gerichtliche Prüfung durchzuführen und gegebenenfalls die Konsequenzen daraus zu ziehen, indem es diesen Gesetzgebungsakt unangewandt lässt. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 11.01.2000, Rs. C-287/98 (Linster/Luxemburg), NVwZ 2001, S. 421 ff.; V. Karageorgou, PerDik 2013, S. 209 ff. 161 Vgl. K. Chrysogonos, Die Umgehung der Verfassung in Zeiten der Memoranda, 2013, S. 229. 162 Vgl. A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 214; A. Charokopou, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1219 ff. 163 FEK 162/A’/2.8.2006 (Modifizierungen zur Gesetzgebung über das nationale Grundbuch u. a.). 164 Vgl. W. Danilakis, NkF Dezember 2011; E. Trowa, PerDik 2013, S. 666 ff. 165 FEK A’ 302/24.12.2003 (Regelung von Fragen der olympischen Vorbereitung u. a.). 166 Vgl. E. Lappa, Constitutionalism.gr, 01.03.2014; E. Trowa, LegalNews24.gr, 06.02.2014.
728 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
Zu beachten ist, dass der griechische Staatsrat letztlich angenommen hat,167 dass zwar die Bestimmungen der Durchführung von flächennutzungs- und bebauungsplanerischen Maßnahmen ausnahmsweise auch durch die Verabschiedung eines typischen Gesetzes geregelt werden können. Die umstrittenen Vorschriften derartiger Gesetze müssen aber nicht gerichtlich unkontrolliert bleiben, soweit dadurch individuelle Grundrechte oder weitere Verfassungsrechte sowie europäische Rechte verletzt werden.168 Vielmehr muss der Gesetzgeber ausreichend und konkret begründen, aus welchen dringenden Gründen er solche Maßnahmen durch die Verabschiedung eines typischen Gesetzes und nicht durch den Erlass eines Verwaltungsaktes einführen will. Die Begründung des Gesetzgebers unterliegt jedenfalls der gerichtlichen Kontrolle.169 Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, dürfen solche Vorschriften durch Aufhebungsklage so angefochten werden, als ob sie einen Verwaltungsakt darstellten. Der Staatsrat stellt bei solchen Fällen fest, dass die Aufhebungsklage gegen die stillschweigende 167 Nach langjährigen Rechtsstreiten hat schließlich die Vollversammlung des Staatsrates in zwei eigenen Urteilen entschieden, dass die oben ausgeführten gesetzlichen Vorschriften, die die oben erwähnten umstrittenen Bauvorhaben billigten, verfassungsund gesetzwidrig sind. Beim ersten Fall (sog. Achelöos-Fall) hat der Staatsrat festgestellt, dass das Bauvorhaben der Umleitung des Achelöos-Flusses verschiedene Vorschriften nicht nur des Grundrechts auf Umweltschutz (vor allem das Nachhaltigkeitsprinzip) verletzt, sondern auch gegen Vorschriften der Wasserrahmen-RL, der UVP-RL, der FFH-RL sowie des Granada-Übereinkommens zum Schutz des architektonischen Erbes verstoßt. Denn das Bauvorhaben entspricht im Allgemeinen nicht den erforderlichen Umweltstandards [vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 26/2014; s. auch folgende für diesen Fall relevante Urteile: StE, Urt. Nr. 2760/1994; StE, Urt. Nr. 3478/2000; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1688/2005; StE, Urt. Nr. 3053/2009; EA-StE, Urt. Nr. 141/ 2011; EuGH, Urt. v. 11.09.2012, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a./griechisches Ministerium für Umwelt, Raumordnung und öffentliche Werke u. a.), ZUR 2013, S. 159 ff.; W. Danilakis, NkF Dezember 2011; E. Trowa, PerDik 2013, S. 666 ff.]. Auch im Mall-Fall hat schließlich die Vollversammlung des Staatsrates festgestellt, dass die umstrittenen Vorschriften (Art. 6 Gez. Nr. 3207/2003) hinsichtlich der Erteilung der Bebauungsgenehmigung des umstrittenen Einkaufszentrums verfassungs- und gesetzwidrig sind. Hauptgrund dafür war, dass die gesetzlichen Regelungen des umstrittenen Bebauungsvorhabens ohne die Durchführung einer fehlerlosen UVP in Kraft gesetzt wurden. Darüber hinaus gab es keine spezielle Begründung – wie sie das griechische Recht verlangt – für die Rechtfertigung der Überverdoppelung der durchschnittlichen Baumassenzahl, die ausnahmsweise durch den umstrittenen allgemeinen Bebauungsplan für die Errichtung des Einkaufszentrums eingeführt wurde. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Rechtsschutzgarantie gem. Art. 20 Abs. 1 gr. V. sowie gem. Art. 6 EMRK verletzt. Denn die detaillierte ausschöpfende individuelle Regelung von derartigen Verwaltungsmaßnahmen und Zuständen durch den typischen Gesetzgeber entbehrt den interessierten Rechtssubjekten einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz [StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 376/2014; StE, Urt. Nr. 4076/2010; StE, Urt. Nr. 391/2008; E. Lappa, Constitutionalism.gr, 01.03.2014; E. Trowa, LegalNews 24.gr, 06.02.2014]. 168 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. 376/2014; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1847/ 2008; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 3059/2009; WWF, Rechtliche Verbindlichkeiten, die implementiert werden müssen, Sept. 2014, S. 6. 169 Ebd.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
729
Billigung der Durchführung der jeweils derartig umstrittenen individuellen Regelung, die von den zuständigen Verwaltungsbehörden erlassen wurde, zulässig ist.170 Problematisch ist auch, dass die Verwaltungsbehörden in bestimmten Fällen willkürlich aus eigenen Interessen nicht den Anforderungen von Gerichtsurteilen rechtzeitig oder überhaupt nachkommen, obwohl ein solches Verhalten ihre Haftpflicht begründet.171 Charakteristisch dafür ist, dass, obwohl in beiden oben genannten Fällen der Staatsrat schon am Anfang diese Bauvorhaben als verfassungs- und gesetzwidrig beurteilte,172 die Bauarbeiten nichtsdestotrotz fortgesetzt wurden, so dass bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen relevanten Urteile der Vollversammlung des Staatsrates die Bauarbeiten der umstrittenen Vorhaben grundsätzlich vollendet waren. Dadurch hat der Staat willkürlich vollendete gesetzwidrige Ereignisse auch zulasten der Umwelt geschaffen, die in der Praxis im Nachhinein nicht beseitigt werden können oder nur mit erheblichem Aufwand und deutlichen Umweltbelastungen wiedergutgemacht werden können.173 Im Anschluss daran wurden durch den Erlass eines Gesetzes (vgl. insb. Art. 29 des Gesetzes Nr. 2545/1997) große Landflächen, die sich teilweise in einem Natura-2000-geschützten Biotopgebiet befanden, als „Gebiet zur integrierten touristischen Entwicklung“ ausgewiesen, obwohl keine spezielle Raumplanung für dieses Gebiet bestand. Dadurch sollte ein riesiges Urlaubsresort mit mehreren Golfanlagen, Spas und mehr als 250 privaten Schwimmbecken errichtet werden. Dabei mussten aufgrund einer gemeinsamen Ministerialentscheidung (Nr. 1079579/7291/0010/11-10-2004) auch zahlreiche private Grundstücke zugunsten des Investors durch Zwang enteignet werden. Auch in diesem Fall hat die Vollversammlung des Staatsrates dieses Bauvorhaben als verfassungswidrig beurteilt.174 Dieses Urteil wurde allerdings verspätet gefällt. Denn das umstrittene umweltbelastende Bauvorhaben war im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils zum großen Teil fertig gebaut und es war schon in Betrieb.175
170
E. Lappa, Constitutionalism.gr, 01.03.2014; E. Trowa, LegalNews24.gr, 06.02.
2014. 171 Vgl. N.-K. Chlepas/E. Mertziou, Handbuch für den Bürger zum Umweltschutz, 1996, S. 49 ff. 172 Vgl. StE, Urt. Nr. 1965/94, StE, Urt. Nr. 4947/95; E. Trowa, PerDik 2001, S. 36 ff. 173 Vgl. N.-K. Chlepas/E. Mertziou, Handbuch für den Bürger zum Umweltschutz, 1996, S. 49 ff.; A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 53 ff.; jeweils m.w. N. 174 Vgl. Art. 29 des Gesetzes Nr. 2545/1997; diese Vorschrift wurde allerdings für verfassungswidrig erklärt. StE, Urt. Nr. 1593/2007; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 3396/ 2010; E. Dikaios, NkF, September 2010. Das Resort wurde allerdings zum großen Teil in diesem umstrittenen Gebiet gebaut; vgl. dazu P.-M. Efstratiou, PerDik 2000, S. 475 ff. 175 Vgl. E. Dikaios, NkF, September 2010.
730 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
Ein anderes auffallendes Beispiel, das die dargestellte Tendenz weiter bestätigt, ist der unter dem Druck der griechischen Wirtschaftskrise erfolgte Erlass von bestimmten Gesetzen, die durch die Zahlung einer Geldbuße auf die rückwirkende Legalisierung einer großen Menge von illegal gebauten Gebäuden im ganzen Land abzielte.176 Es handelte sich vor allem um das Gesetz Nr. 4014/ 2011,177 das von der Vollversammlung des griechischen Staatsrates für verfassungswidrig erklärt wurde. Öffentliche Zwecke bezüglich des Einkassierens von Einnahmen sind nicht von allein ausreichend, ein öffentliches Interesse zu begründen, so dass Regelungen eingeführt werden, die erhebliche Umweltbeeinträchtigungen verursachen können.178 Trotz der Verfassungswidrigkeit des oben genannten Gesetzes versucht der griechische Staat durch den Erlass des Gesetzes Nr. 4118/2013179 – es handelt sich um eine dubiose modifizierte Variation des oben genannten abgelehnten Gesetzes –, eine kurzfristige (für 50 Jahre) und nicht eine vollständige „Legalisierung“ solcher illegalen Gebäude zu erreichen, um die staatlichen Einnahmen zu fördern. 1. Verletzung des Umweltschutzes durch das griechische Memorandum? Verfassungsmäßig zweifelhaft sind auch Vorschriften des Rahmengesetzes Nr. 3986/2011180 über „Dringende Maßnahmen zur Umsetzung der mittelfristigen Finanzstrategie 2012–2015“.181 Dieses Gesetz wurde zur Implementierung des „griechischen Memorandums“182 erlassen. Zu beachten ist, dass das griechische Memorandum vor dem Hintergrund der griechischen Finanzkrise und unter dem Druck der Kreditgläubiger (Mitgliedstaaten der Eurozone und des IWFs) Griechenlands erlassen wurde. Der Erlass des Memorandums war unerlässliche Bedingung für den Abschluss sowie für die Aktivierung der Implementierung des Darlehensvertrags zwischen der griechischen Regierung und den EU-Mitgliedstaaten sowie dem IWF.183
Vgl. dazu A. Vlantou, NkF September 2011. FEK A’ 209/21.9.2011. 178 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 3341/2013, Rn. 18; P. Dagtoglou, ToS 1986, S. 425 ff.; I. Symeonidis, DiDik 1990, S. 764 ff. 179 FEK A’ 174/08-08-2013. 180 Rahmengesetz, Nr. 3986/2011 (FEK A 152/01-07-2011) über „Dringende Maßnahmen zur Umsetzung der mittelfristigen Finanzstrategie 2012–2015“. 181 Vgl. K. Chrysogonos, Die Umgehung der Verfassung in Zeiten der Memoranda 2013, S. 39 ff. 182 Gesetz Nr. 3845/2010 (FEK A’ 65/6.5.2010) „Über Maßnahmen zur Implementierung des Unterstützungsmechanismus der griechischen Wirtschaft durch die EU-Mitgliedstaaten und den Internationalen Währungsfonds. 183 Für eine ausführliche Analyse der Entstehungsgeschichte der Ursachen der griechischen und unionalen Finanzkrise und der Rechtmäßigkeit sowie der Wirtschaftlichkeit des griechischen Memorandums und des zugehörigen Darlehensvertrags vgl. 176 177
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
731
So bestimmt beispielsweise Art. 13 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 3986/2011, dass der Erlass einer gemeinsamen Ministerialentscheidung bezüglich der Raumplanung eines Investitionsprojekts zur Verwertung öffentlicher Grundstücke mit einer Genehmigung, die ohne Weiteres den Eingriff des Investors sowie die Änderung der Nutzung unter anderem auch von öffentlichen Wäldern oder Waldflächen genehmigt, gleichgesetzt werden kann. Dies aber stehe nicht in Einklang mit dem schützenswerten Charakter des Waldes und der Waldflächen, der aus Art. 24 Abs. 1 gr. V. hergeleitet wird.184 Denn Angelegenheiten, die sich auf den Schutz des Waldes und der Waldflächen allgemein beziehen, sind gesetzlich zu regeln.185 In diesem Hinblick erscheint auch die Verfassungsmäßigkeit des Art. 13 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 3986/2011 fraglich. Danach sind die Umweltverträglichkeitsbedingungen bezüglich der Raumplanung des Investitionsvorhabens zum Zweck der Verwertung öffentlicher Grundstücke nicht von den ursprünglich zuständigen Behörden des Umweltministeriums, sondern ausnahmsweise von dem Zentralrat der „Kasse für die Verwertung des privatrechtlichen Vermögens des hellenischen öffentlichen Staates“ (TAIPED) zu billigen.186 Dabei gilt in einigen Fällen ein umweltbelastendes Projekt als genehmigt, sofern die UVP-pflichtige Genehmigung nicht rechtzeitig von den zuständigen Behörden erteilt werden kann. Auf diese Weise sind die Prozesse der UVP-Genehmigung nahezu neutralisiert. Dadurch verzichtet das Umweltministerium auf UVP-Genehmigungen für wichtige Umweltprojekte wie z. B. Hotelanlagen sowie Freizeitparks und überträgt diese Zuständigkeit an Institutionen, deren Objektivität in der Sache zweifelhaft ist.187 Auch die Verfassungsmäßigkeit des Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 3986/2011 ist fraglich. Diese Vorschrift bestimmt, dass die dem Investor oder seinem Rechtsnachfolger (für max. 50 Jahre) eingeräumte ausschließliche Nutzung der Küste oder des Strandes sowie das Recht auf Durchführung, Nutzung und AufE. Dikaios, Recht, Wirtschaft und Politik in Zeiten der Euro-Rettungspakete, 2012, entsprechend S. 5 ff., S. 174 ff., S. 410 ff., m.w. N. 184 Zum Waldschutz im griechischen Recht vgl. M. Bouzi/W. Pavlopoulos, EDD 2001, S. 28 ff.; E. Maria, Der rechtliche Schutz der Wälder, 1998, S. 7 ff.; S. Charalampidis, NkF 1994, S. 113 ff.; N. Aliwisatos/P. Pavlopoulos, NoB 1988, S. 1581 ff.; jeweils m.w. N. 185 Vgl. StE, Urt. Nr. 1508/2008; StE, Urt. Nr. 951/96; E. Dikaios, Recht, Wirtschaft und Politik in Zeiten der Euro-Rettungspakete, 2012, S. 363 ff., m.w. N.; s. auch M. Karamanov, Die Umwelt in Zeiten der Memoranda-Verträge, Referat bei der Tagung zu dem Thema: „Die Umwelt als Entwicklungssäule. Grünes Unternehmen – Gesetzlicher Rahmen, Athen, 8. Dez. 2012. 186 Vgl. E. Dikaios, Recht, Wirtschaft und Politik in Zeiten der Euro-Rettungspakete, 2012, S. 363. 187 Vgl. M. Karamanov, Die Umwelt in Zeiten der Memoranda-Verträge, Referat bei der Tagung zu dem Thema: Die Umwelt als Entwicklungssäule. Grünes Unternehmen – Gesetzlicher Rahmen, Athen, 8. Dez. 2012. Allgemeines über die umweltrechtliche Vorhabengenehmigung in Griechenland vgl. K. Gogos, EurUP 2015, S. 2 ff.
732 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
wertung von Hafenanlagen oder die Erweiterung schon bestehender Hafenanlagen zum Zweck der Verwertung von öffentlichen Grundstücken aufgrund einer gemeinsamen Ministerialentscheidung erlaubt ist. Angesichts der Tatsache, dass die Küste und Strände gem. Art. 24 Abs. 1 i.V. m. Art. 967, Art. 970 gr. BGB gemeinnützige Umweltsachen sind, besteht die Gefahr einer Umgehung dieser Vorgaben durch die in Frage gestellte Vorschrift.188 Offensichtlich fraglich ist auch die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes Nr. 3986/2011. Diese Bestimmung legalisiert ex post bestehende touristische Anlagen (Hausund Hafenanlagen), die ohne eine gesetzmäßige Genehmigung von der Hellenischen Tourismusorganisation (EOT) oder von einem Dritten im Namen dieser Organisation errichtet wurden.189 Eine solche Regelung verstößt m. E. nach nicht nur gegen das Grundrecht auf Umweltschutz, das auch vor illegaler Raum- und Bauordnung schützt, sondern auch gegen das Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip.190 Es sieht so aus, dass allein die Gewährleistung des Grundrechts auf Umweltschutz durch die griechische Verfassung nicht ausreicht, um den Umweltschutz effektiv zu realisieren. Vor allem ist auch der politische Wille dafür erforderlich, den Umweltschutz vollständig zu implementieren und den deutlichen Abstand zwischen Theorie und Praxis zu überbrücken. Ebenso dezidiert muss aber beachtet werden, dass der finanzielle Notstand Griechenlands im Zusammenhang mit der Erfüllung der finanziellen Forderungen seiner Gläubiger (Mitgliedstaaten der Eurozone und der IWF) keinesfalls als vorrangig gegenüber der Einhaltung des Grundgesetzes und hier insbesondere des Grundrechts auf Umweltschutz betrachtet werden darf.
VI. Fazit Im Gegensatz zum deutschen Recht hat sich der griechische Gesetzgeber für ein Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle entschieden. In diesem Zusammenhang erkennt die griechische Verfassung gem. Art. 20 Abs. 1 gr. V. ein relativ umfangreicheres Grundrecht auf Rechtsschutz – im Vergleich zu Art. 19 Abs. 4 GG – das jedermann das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz und rechtliches Gehör gewährt. Art. 20 Abs. 1 gr. V. richtet sich grundsätzlich nach dem effektiven Schutz der „Interessen“ des Einzelnen und führt eine Interessentenklage ein. Insofern schneidet – im Gegensatz zur deutschen Rechtsschutzgarantie – die Rechtsschutzgarantie des griechischen Rechts jedem Rechtssubjekt, dessen objektiv-rechtliche Interessen faktisch verletzt werden, den Rechtsweg nicht 188 Vgl. E. Dikaios, Recht, Wirtschaft und Politik in Zeiten der Euro-Rettungspakete, 2012, S. 363 ff., m.w. N. 189 Es handelt sich um touristische Anlagen, die vor dem Erlass des Gesetzes Nr. 2837/2000 FEK A’ 178 errichtet wurden. 190 Ebd.
B. Rechtsgrundlagen des Umweltschutzes i. R. d. griechischen Verfassung
733
ab, sofern die Interessen des Klägers sich auf ein Gesetz stützen. Im griechischen Rechtsschutzsystem ist somit die Schutznormtheorie nicht gültig. Vor diesem Hintergrund ist der Umfang des Rechtsschutzes im griechischen Recht deutlich umfassender als im deutschen Recht. Dieses Rechtsschutzmodell führt unvermeidlich auch zu einem umfangreicheren überindividuellen Umweltrechtsschutz im griechischen Recht. Denn auch unter diesen Bedingungen ist das Verständnis des Umwelt- und Umweltschutzbegriffs im griechischen Recht breiter als im deutschen Recht. So z. B. unterscheidet der griechische Gesetzgeber nicht zwischen dem Begriff der natürlichen und der kulturellen Umwelt. Die Umwelt wird somit auf der einen Seite als Einheit von natürlichen und kulturellen Elementen gesehen, die zusammen die Umwelt bilden. Auf der anderen Seite ist der deutsche Umweltbegriff grundsätzlich auf die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen beschränkt. Die griechische Verfassung enthält ein vollständiges System, das den Umweltschutz sicherstellt. Es handelt sich um das sog. griechische Umweltverfassungssystem, das die Richtlinien eines ökologischen Staates bestimmt. Die Einführung des Grundrechts auf Umweltschutz in Art. 24 gr. V. demonstriert den klaren Willen des griechischen Verfassungsgebers, die natürliche und kulturelle Umwelt effektiv und vollständig zu schützen. Geschützt sind dadurch nicht nur Umweltgüter, die mit der Betroffenheit von subjektiven Rechten (Gesundheit, Eigentum) verbunden sind, sondern auch die Umwelt im Allgemeinen, die als erforderlicher Lebensraum des Menschen gilt. Das Grundrecht auf Umweltschutz ist unteilbar mit der Menschenwürde und der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit verbunden. Denn die nachhaltige Erhaltung der Umwelt wird als grundlegende Voraussetzung für die Existenz des Menschen und seiner Persönlichkeit angesehen. Das Grundrecht auf Umweltschutz als individuelles, soziales und politisches Grundrecht verleiht den Rechtsträgern Ansprüche auf die erforderlichen positiven Handlungen des Staates für die nachhaltige Erhaltung und den effektiven Schutz der Umwelt, sowie für die Schaffung und Erhaltung der freien Existenz der Menschen in einer gesunden ökologischen Umwelt. Dabei entsteht aus diesem Grundrecht die negative Verpflichtung des Staates, die Umwelt der Rechtssubjekte sowie die Ausübung ihrer Beteiligungsrechte an den Entscheidungsverfahren nicht zu beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang muss sich der Staat von schädlichen Handlungen gegen die Umwelt im Allgemeinen fernhalten, so dass die erforderlichen Voraussetzungen für die freie Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen sichergestellt werden können. Insofern sind auch die durch ein staatliches Unterlassen von erforderlichen umweltschützenden Maßnahmen belasteten Träger der Umweltgüter dazu berechtigt, Rechtsbehelfe dagegen einzulegen. Schließlich ist das Recht auf Umwelt – als ein kollektives Recht – als politisches Grundrecht (status activus) anzusehen. Im Allgemeinen garantiert die-
734 2. Teil, 1. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Rechts-/Umweltschutzes
ses Grundrecht, dass die Umweltgüterträger gegenüber der zuständigen Verwaltung dazu berechtigt sind, am Umweltschutz mitzuwirken. Dabei bringt die Begründung des Grundrechts auf Umweltschutz in der griechischen Verfassung die mittelbare Drittwirkung dieses Rechts im Bereich des Zivilrechts mit sich. Hauptgrund dafür ist, dass der Umweltschutz, der die Erhaltung bzw. die Nichtverschlechterung der natürlichen und kulturellen Umwelt einschließt, nicht nur eine Verpflichtung des Staates ist, sondern auch ein individuelles Recht der Bürger. Im Ergebnis bildet das Grundrecht auf Umweltschutz ein gemischtes Grundrecht, dessen verfassungsrechtliche Facetten, die seine Rechtsnatur prägen, sich untereinander ergänzen und eine systematische Einheit darstellen, die den Rechtsträgern ausgedehnte Klagemöglichkeiten bieten. Trotz der weitgehenden Gewährleistung des Umweltschutzes, vor allem durch die griechische Verfassung, missachtet der griechische Staat – auch unter dem Einfluss der aktuellen Finanzkrise – nicht selten dessen praktische Anwendung. Trotz des umfangreichen Umwelt- und Umwelrechtsschutzes durch die griechische Verfassung darf nicht außer Acht bleiben, dass in der Praxis und unter dem Druck von wirtschaftspolitischen Interessen der griechische Gesetzgeber sowie die Verwaltung mitunter willkürlich gegen den Umweltschutz agieren. Bezeichnend hierfür sind bestimmte Fälle insbesondere im Bereich des UVP-Rechts sowie des Bau- und Raumordnungsrechts.
2. Kapitel
Überindividueller Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht In Verbindung mit der erweiterten Gewährleistung des Umweltschutzes durch die griechische Verfassung bietet das griechische Verwaltungsprozessrecht berechtigten Rechtssubjekten Rechtsbehelfe, die auch im Bereich des Umweltschutzes angewandt werden können. Auf diese Rechtsbehelfe soll zunächst kurz eingegangen werden, so dass das Klagesystem des griechischen Verwaltungsrechts in Umweltangelegenheiten besser verstanden werden kann. Im Zentrum der Analyse soll vor allem die spezielle, sich durch die Rechtsprechung ergebende Entwicklung des Rechtsbehelfs der Aufhebungsklage stehen, die zu einem außerordentlich weiten Umweltrechtsschutz zugunsten nicht direkt betroffener Dritter auch von überindividuellen Umweltgütern im griechischen Recht beigetragen hat.1
A. Allgemeines zu den Rechtsbehelfen der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen und Unterlassungen in Umweltangelegenheiten Was die hier unternommene Analyse betrifft, kommen zunächst die Rechtsbehelfe der Öffentlichkeit gegen Handlungen und Unterlassungen der Verwaltung in Umweltangelegenheiten (z. B. in Bezug auf Angelegenheiten der Umweltinformation und Öffentlichkeitsbeteiligung an UVP-Verfahren) in Betracht. Diese Rechtsbehelfe werden speziell durch die gemeinsame Ministerialentscheidung Nr. 9269/470/2007 (vgl. insb. Art. 3) bestimmt, die im Rahmen der Umsetzung der zweiten und teilweise der dritten Säule der AK erlassen wurden.2 Danach existieren Rechtsbehelfe zugunsten der Öffentlichkeit sowohl im Rahmen der Verwaltungskontrolle als auch im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes.3 Gemäß Art. 3 Abs. A 1a der gemeinsamen Ministerialentscheidung Nr. 9269/ 470/2007 i.V. m. Art. 24 gr. VwVfG kann der Interessierte den sog. „Heilungs1 Vgl. W. Rotis, ToS 1986, S. 553 ff.; K. Menoudakos, NkF 1997, S. 9 ff.; G. Siouti, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1205 ff. 2 Zum Inhalt der AK s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., III. ff.; zur Umsetzung der AK in der griechischen Rechtsordnung s. u. 2. Teil, 2. Kap. 3 Vgl. E. Koutoupa-Regkakou, in: FS für P. Yessiou-Faltsi, Bd. I, 2007, S. 657 ff.
736
2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
antrag“ (aßthsh qerapeßaò) gegen eine Verwaltungshandlung erheben, die Angelegenheiten des Zugangs zu Umweltinformationen und der Öffentlichkeitsbeteiligung an UVP-Verfahren betrifft. Damit kann er den Widerruf oder die Modifizierung der jeweils umstrittenen Handlung beanspruchen. Empfänger des Widerspruchs muss das Umwelt- und Raumordnungsministerium sein. Die zuständige Behörde muss i. d. R. spätestens innerhalb von 30 Tagen nach der Erhebung des „Heilungsantrages“ dem Interessenten ihre Stellungnahme bekannt geben (vgl. Art. 24 Abs. 2 gr. VwVfG). Der Gesetzgeber bestimmt keine konkrete Ablauffrist für die Erhebung des „Heilungsantrages“. Daher kann der Interessent sie jederzeit erheben.4 Ferner kann der Interessent gemäß Art. 3 Abs. A 1 b.1) der gemeinsamen Ministerialentscheidung Nr. 9269/470/2007 i.V. m. Art. 25 gr. VwVfG vor dem Minister des Umwelt- und Raumordnungsplanungsministeriums Widerspruch (endikoanÞò prosugÞ) gegen eine Verwaltungshandlung, die Angelegenheiten hinsichtlich des Zugangs zu Umweltinformationen und der Öffentlichkeitsbeteiligung an UVP-Verfahren betrifft, einlegen. Damit kann er die Nichtigerklärung oder die Modifizierung der jeweils umstrittenen Handlung, die vom Generalsekretär des jeweils betroffenen Bezirks erlassen wurde, beanspruchen. Der Widerspruch muss innerhalb von 30 Tagen nach dem Erlass der umstrittenen Handlung erhoben werden. Falls die zuständigen Behörden unterlassen haben, ihre Handlungen der Öffentlichkeit bekannt zu geben, beginnt die Widerspruchsfrist 30 Tage nach der Ablauffrist der erforderlichen Bekanntmachung dieser Handlung [vgl. Art. 3 Abs. A 1 b.2 der gemeinsamen Ministerialentscheidung Nr. 9269/470/2007]. Die zuständige Verwaltungsbehörde, nämlich das Ministerium für Umwelt- und Raumplanung, prüft die Gesetzmäßigkeit der jeweils umstrittenen Handlung. Sie ist verpflichtet, innerhalb von 45 Tagen nach der Erhebung des Widerspruchs ihre Entscheidung dem Widerspruchsteller bekannt zu geben [vgl. Art. 3 Abs. A 1 b.3) der gemeinsamen Ministerialentscheidung Nr. 9269/470/2007]. Was den gerichtlichen Rechtsschutz betrifft, kann der Betroffene vor Gericht eine Schadensersatzklage gegen die jeweils zuständige Behörde einreichen [vgl. Art. 3 Abs. A 2 2.1 der gemeinsamen Ministerialentscheidung Nr. 9269/470/ 2007]. Zur Erhebung der Schadensersatzklage sind gem. Art. 24 Abs. 1 PVO 341/1978 nur der Geschädigte und seine Rechtsnachfolger berechtigt. Die besondere Klagebefugnis wird also nicht durch ein rechtliches Interesse, sondern durch das Vorliegen eines Schadens begründet, der auch immaterieller Natur sein kann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.5 Kläger kann somit grundsätzlich 4 Vgl. G. Siouti, in: A. Gerontas/S. Lytras/P. Pavlopoulos/G. Siouti/S. Flogaitis (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2010, S. 228 ff.; P. Lasaratos, DiDik 1993, S. 927 ff.; jeweils m.w. N. 5 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: C. Starck (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel ausländischer Verfassungsentwicklung, 1989, S. 136; I. Ka-
A. Rechtsbehelfe der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen
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nur ein direkt betroffenes Rechtssubjekt und nicht ein Drittbetroffener sein. Da die prozessualen Voraussetzungen dieser Klageart relativ eindeutig und nicht problematisch sind, wird an dieser Stelle darauf nicht weiter eingegangen. Vor allem aber kann der Betroffene eine Aufhebungsklage gegen eine Handlung oder Unterlassung der Verwaltung vor dem Staatsrat einlegen, unabhängig davon, ob ein „Heilungsantrag“ erhoben wurde. Eine Aufhebungsklage kann auch gegen die Verwaltungsentscheidung in Bezug auf den erhobenen Widerspruch eingereicht werden.6 Problematisch dabei ist die Bestimmung der erforderlichen Frist für die Erhebung einer Aufhebungsklage. Die Aufhebungsklage muss innerhalb von 60 Tagen nach der Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben worden sein (Art. 46 Abs. 1 18/89 PVO s. u.).7 Die Klagefrist beginnt nach der Veröffentlichung des jeweils umstrittenen Verwaltungsaktes oder nach seiner Zustellung an den Aufhebungskläger. Soweit jedoch die Zustellung nicht durch das Gesetz gefordert ist, und die Verwaltung ihre Entscheidung dem Aufhebungskläger nicht zugestellt hat, beginnt die Frist dann, wenn der Aufhebungskläger den Verwaltungsakt vollständig zur Kenntnis genommen hat.8 Schwierigkeiten entstehen bezüglich der Berechnung der Klagefrist, wenn der Drittbetroffene Rechtsakte (etwa die Billigung eines UVP-Verfahrens,9 die Genehmigung für die Errichtung oder Inbetriebnahme eines Bauvorhabens oder eine Allgemeinverfügung, z. B. die Ausweisung eines Naturschutzgebietes, die Freigabe von Waldflächen u. a.) angreift, wobei die Adressaten dieser Verwaltungsakte nach allgemeinen Merkmalen bestimmt sind. Denn im letzten Falle ist die Verwaltung nicht verpflichtet, den Verwaltungsakt dem Drittbetroffenen zu-
rakostas, EDDD 1990, S. 177 ff.; E. Koutoupa-Regkakou, in: FS für P. Yessiou-Faltsi, Bd. I, 2007, S. 657 ff.; S. Stathouli, PerDik, 1999, S. 31 ff. 6 Vgl. G. Siouti, in: A. Gerontas/S. Lytras/P. Pavlopoulos/G Siouti/S. Flogaitis (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2010, S. 228 ff.; W. Skouris, in FS zum 50jährigen Bestehen des griechischen Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 371 ff. 7 Vgl. FEK 8/A/09-01-1989; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 90 ff.; O. Zygoura, EllDnh 1992, S. 1163 ff. 8 Vgl. W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 390; D. Melissas, Das rechtliche Interesse und die Frist in baurechtlichen Streitigkeiten, 2007, S. 45 ff.; jeweils m.w. N. 9 Es soll hier beachtet werden, dass die Billigung der UVP-Studie, in der bestimmte Bedingungen für die Errichtung und den Betrieb eines Bauvorhabens festgesetzt werden, einen (individuellen) Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt, der für seinen Adressaten begünstigend und für Dritte belastend ist. Ein solcher Rechtsakt hat somit keinen normativen Charakter und kann daher nicht im staatlichen Amtsblatt veröffentlicht werden. Die gegen ihn gerichtete Aufhebungsklage wird in diesen Fällen grundsätzlich von Drittbetroffenen erhoben. Vgl. StE, Urt. Nr. 2511/02; W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 371 ff.; A. Charokopou, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1219 ff.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
zustellen. Es reicht die Veröffentlichung solcher Verwaltungsakte im griechischen Amtsblatt.10 Die Klagefrist für eine Aufhebungsklage beginnt somit ab der Veröffentlichung dieses Verwaltungsaktes im griechischen Amtsblatt.11 Dieser Zustand führt häufig auch im Bereich des Umweltrechts zu „verspäteten“ und daher nicht zulässigen Aufhebungsklagen.12 Denn es kommt häufig vor, dass der Drittbetroffene in den umstrittenen Verwaltungsakt erst nach der 60-tägigen Klagefrist nach seiner Veröffentlichung Einsicht nimmt. Vor diesem Hintergrund wird zum Teil vertreten, dass der Drittbetroffene auch in solchen Fällen eine Aufhebungsklage erheben kann, solange er begründet beweist, dass er nicht in der Lage war, innerhalb der oben aufgeführten Klagefrist in den umstrittenen Verwaltungsakt Einsicht zu nehmen, so dass er eine Aufhebungsklage nicht rechtzeitig erheben konnte.13 De lege ferenda wäre es wünschenswert, dieses Defizit durch eine absolute 2jährige Klagefrist zu ergänzen, die nach dem Zeitpunkt der Zustellung des jeweils umstrittenen Verwaltungsaktes beginnen würde.14 Gegen eine Aufhebungsentscheidung des Staatsrates kann unter besonderen Voraussetzungen (aufgrund Art. 51 der PVO Nr. 18/1989 VPO) der Rechtsbehelf des „Einspruchs durch einen Dritten“ (tritanakopÞ), d.h. durch einen Drittbetroffenen, der ohne Vorsatz an den umstrittenen Gerichtsverfahren nicht teilgenommen hat und von dem Gerichtsurteil betroffen ist, eingelegt werden. In einem solchen Fall besteht für die Erhebung der Klage des drittbetroffenen Klägers eine 60tägige Frist, die am Tag der Zustellung des Urteils oder nach Bekanntgabe des Urteils für den Drittkläger beginnt.15
10 Vgl. W. Papadimitriou, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 41. 11 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 91 ff.; D. Melissas, Das rechtliche Interesse und die Frist in baurechtlichen Streitigkeiten, 2007, S. 54 ff.; m.w. N. 12 Z. B. s. StE, Urt. Nr. 606/2002; Zusammenfassung von E. Kosta, EDD 2003, S. 137 ff. 13 Vgl. W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 390; W. Papadimitriou, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 41. 14 Vgl. W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 396 ff. 15 Ausführlich: E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2000, S. 590 ff.; I. Karakostas, EDDD 1990, S. 177 ff.
A. Rechtsbehelfe der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen
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I. Zur Umsetzung der Aarhus-Konvention im griechischen Recht Der Inhalt der sog. Aarhus-Konvention (AK) wurde bereits zusammenfassend dargestellt,16 so dass hier nur auf die Umsetzung dieses Übereinkommens in die griechische Rechtsordnung eingegangen wird. Die AK wurde schließlich vom griechischen Gesetzgeber mit dem Gesetz Nr. 3422/2005 am 13.12.2005 ratifiziert.17 Parallel dazu wurde die RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 „über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen“18, die der Umsetzung der ersten Säule der AK auf EG-Ebene diente, durch den Erlass der gemeinsamen Ministerialentscheidung (K.Y.A.) Nr. 11764/ 653/200619 ratifiziert. Dadurch wurde der Zugang der Öffentlichkeit zu öffentlichen Behörden (nämlich zu umweltbezogenen Akten, die den Behörden zur Verfügung stehen) für die Bekanntmachung von Umweltinformationen in der nationalen Rechtsordnung umgesetzt. Andererseits wurde die RL Nr. 2003/35/EG (sog. ÖB-RL) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.05.2003 „über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme . . .“,20 die der Umsetzung der zweiten und teilweise der dritten Säule der AK diente, durch den Erlass von zwei gemeinsamen Ministerialentscheidungen ratifiziert. Zunächst wurde die gemeinsame Ministerialentscheidung Nr. 37111/2021/200321 erlassen. Dadurch wurde die Teilnahme der Öffentlichkeit an UVP-Verfahren sowie die Information der Öffentlichkeit bei diesem Verfahren reguliert.22 Dabei wurden mit der gemeinsamen Ministerialentscheidung Nr. 9269/470/200723 Rechtsbehelfe für den Rechtsschutz der Öffentlichkeit gegen Handlungen und Unterlassungen der Verwaltung in Angelegenheiten des Zugangs zu Umweltinformationen und der Beteiligung der Öffentlichkeit bei UVP-Verfahren eingeführt.24 Obwohl bislang keine Richtlinie zur 1:1-Umsetzung der dritten Säule der AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten eingeführt worden ist, soll nicht ignoriert 16
s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., III. ff. Gesetz Nr. 3422/2005 „Ratifizierung des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ (FEK A’/303/13-12-2005). 18 Richtlinie 2003/4/EG UI-RL des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 (UIRL). 19 FEK B' 327/17-03-2006. 20 ABl. Nr. L 156/17 v. 25-06-2003. 21 FEK B'1391/29-09-2003. 22 Vgl. dazu K. Menoudakos, NkF, November 2007; E. Liaska, PerDik 2008, S. 233 ff. 23 FEK B' 286/02-03-2007. 24 Vgl. dazu K. Menoudakos, NkF, November 2007; E. Liaska, PerDik 2008, S. 233 ff. 17
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
werden, dass die dritte Säule der AK eine bedeutende praktische Rolle auch im griechischen Recht spielt. Denn auch im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des EuGH 25 wirken die völkerrechtlichen Vorschriften der dritten Säule der AK (insb. Art. 9 Abs. 2 und 3 AK) als Mobilisierungsmotor zur Behebung von Umweltrechtsschutzdefiziten, so dass sie auch die Anwendung und Funktion des nationalen Umweltrechtsschutzes indirekt beeinflussen.26 Im Hinblick darauf soll der griechische Staat auch den Anforderungen der dritten Säule der AK27 Rechnung tragen und diese realisieren, so dass der Öffentlichkeit ein angemessen weiter Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gewährleistet wird.28 Dadurch soll der im europäischen Vergleich besonders lange Zeitraum vom Zeitpunkt der Klageeinreichung bis zur abschließenden Beurteilung reduziert werden. Gleiches gilt auch für die Problematik der Bekanntmachung von umweltbezogenen Verwaltungsakten. Denn all diese wirken offensichtlich als Hindernisse der Öffentlichkeit bezüglich ihres Zugangs zu Gerichten.29 1. Umsetzungsmängel im Bereich der Umweltinformation und der Öffentlichkeitsbeteiligung Es liegt nahe, dass Griechenland beide Richtlinien hinsichtlich des Zugangs zu Umweltinformationen als auch hinsichtlich der Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren vollständig umgesetzt hat. Es handelt sich aber eher um eine formale Umsetzung. Es gibt aber Bedenken, dass in der Praxis die Implementierung der entsprechenden Gesetzgebung bisher nicht zur Schaffung der erforderlichen Voraussetzungen geführt hat, so dass das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen im Zusammenhang mit der notwendigen Transparenz bezüglich der umweltbezogenen Verwaltungshandlungen nicht ausreichend effektiv ausgeübt werden kann.30 Hauptsächlich wird die Tendenz des griechischen Gesetzgebers kritisiert, europäische Vorschriften hinsichtlich des Zugangs zu Umweltinformationen ohne die Durchführung eines demokratischen Dialogs umzusetzen und vor allem ohne für 25 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 ff. (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., B. ff. und insb. B., IV. ff. 26 Mehr dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap. B., IV. ff. 27 Ebd. 28 In diese Richtung K. Menoudakos, NkF September 2003; W. Papadimitriou, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 39; E. Liaska, PerDik 2008, S. 233 ff. 29 Ebd. 30 Vgl. E. Liaska, PerDik 2008, S. 234 ff.; P.-M. Efstratiou, in: K. Menoudakos/ G. Papadimitriou (Hrsg.), Umweltinformation und Teilnahme an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten, 2002, S. 87 ff.; jeweils m.w. N.
A. Rechtsbehelfe der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen
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den notwendigen Aufbau von geeigneten administrativen Umweltinformationsstrukturen (z. B. systematische und frei zugängliche Umweltdatenbanken auf staatlicher und kommunaler Ebene) zu sorgen. Darüber hinaus ist ein Vertrauensmangel zwischen der griechischen Verwaltung und der Zivilgesellschaft sowie ein erhebliches Defizit bei der Umweltausbildung und dem Umweltbewusstsein der Gesellschaft festzustellen, das anscheinend bisher nicht hinreichend abgebaut wurde.31 Auch die Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten beschränkt sich grundsätzlich nur auf die letzte Phase des UVP-Verfahrens. Die Öffentlichkeit hat kein Beteiligungsrecht in der Phase des Umweltverträglichkeitsvorprüfungsverfahrens (etwa des Screening-Prozesses zur Ermittlung, ob eine UVP für bestimmte Projekte notwendig erscheint, sowie des Scoping-Prozesses zur anfänglichen Evaluierung, Einschätzung und Festlegung der Untersuchungsinhalte).32 Beim Vorverfahren hat die Öffentlichkeit nur ein Informationsrecht nach der Veröffentlichung des Vorbescheids.33 Nach der Vollendung des UVPVorverfahrens und nach der Einreichung der erforderlichen UVP-Studie34 durch den jeweils interessierten Investor beim Umweltministerium ist das Ministerium
31 Vgl. S. Risos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Die Bürgergemeinschaft und die Implementierung des Umweltrechts, 2007, S. 27 ff.; E. Liaska, PerDik 2008, S. 234 ff.; P.-M. Efstratiou, in: K. Menoudakos/G. Papadimitriou (Hrsg.), Umweltinformation und Teilnahme an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten, 2002, S. 87 ff. Vgl. z. B. den Fall der Weigerung einer Gemeinde des Landkreises von Magnesia, den Bürgern Umweltinformationen hinsichtlich der Qualität des Trinkwassers bekannt zu machen, obwohl erhebliche Indizien vorlagen, dass das Trinkwasser hochgradig verseucht war. Auch die Gemeinde von Athen verweigerte den Zugang eines Unternehmens zu Dokumenten des kontrollierten Parksystems in Athen. Die Gemeinde hat dem Aufhebungskläger kein rechtliches Interesse zuerkannt, weil der Sitz des Unternehmens nicht in der Gemeinde von Athen lag, sondern in einer angrenzenden Gemeinde. Der griechische Ombudsmann hat allerdings festgestellt, dass beim Zugang zu Programmen, die den gesamten Verkehr sowie die Umwelt der Tiefebene von Athen beeinflussen können, kein rechtliches Interesse begründet werden konnte. Vgl. mehr dazu E. Liaska, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 31 ff.; WWF, Rechtliche Verbindlichkeiten, die implementiert werden müssen, Sept. 2014, S. 6. 32 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 200 ff.; s. auch A. Papapetropoulos, Die Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren in der europäischen und griechischen Rechtsordnung, 2003, S. 16 ff.; jeweils m.w. N. 33 Kritisch dazu I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2006, S. 131. 34 Die UVP-Studie, die von dem jeweils interessierten Investor eingereicht wird, muss grundsätzlich folgende Angaben enthalten: Die konkrete Beschreibung der Anlage hinsichtlich Standort und Größe, die Konkretisierung und Bewertung der wichtigsten Umweltauswirkungen durch ihren Betrieb, die Umschreibung der vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen zum Zwecke der Vorbeugung, Schadensverringerung, Schadensvermeidung oder Wiedergutmachung, die Überprüfung von Alternativlösungen und die Darlegung der Gründe für die Wahl der eingeschlagenen Alternative sowie eine Zusammenfassung der UVP-Studie insgesamt. Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 201 ff.; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 109 ff.; m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
verpflichtet, innerhalb von 5 Tagen nach der Einreichung dem jeweils regionalen Präfekturrat eine Kopie dieser Akte zuzustellen. Innerhalb von 5 weiteren Tagen nach der Annahme der Kopie ist dann der Präfekturrat verpflichtet, eine entsprechende Mitteilung in der öffentlichen Presse zu veröffentlichen. Damit muss auch die Öffentlichkeit zu Einsichtnahmen sämtlicher Akten der UVP-Studie eingeladen werden. Vor diesem Hintergrund ist die Öffentlichkeit berechtigt, innerhalb von 30 Tagen nach der Veröffentlichung der UVP-Studie in die diesbezüglichen Akten Einsicht zu nehmen und ihre Äußerungen (Ansichten und Vorschläge) bzw. Einwendungen dazu durch die Verfassung von Gutachten schriftlich vorzubringen (vgl. insb. Art. 4 der Ministerialentscheidung Nr. 37111/2021/2003).35 Die aktuelle Rechtsprechung des Staatsrates vertritt die Auffassung, dass die Veröffentlichung der oben genannten Ermittlungen bezüglich der Umweltverträglichkeitsvorprüfungsstudien oder der Umweltverträglichkeitsprüfungsstudien einen substanziellen Bestandteil des UVP-Verfahrens darstellt. Daraus folgt, dass die Nichtveröffentlichung dieser Ermittlungen zur Nichtigkeit des UVP-Verfahrens führt, da sie als Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift angesehen wird.36 Dadurch hat der Staatsrat seine ältere Rechtsprechung geändert, wonach die Nichtveröffentlichung dieser Ermittlungen die Gesetzmäßigkeit des UVP-Verfahrens nicht beeinflusse, denn diese wurde zu diesem Zeitpunkt nicht als substanzieller Bestandteil des UVP-Verfahrens angenommen.37 Die griechische Rechtsprechung und Rechtslehre unterscheidet sich somit in diesem Fall teilweise von der deutschen Verfahrensfehlerlehre gem. § 46 VwVfG, nach welcher bestimmte Verfahrensfehler trotz fehlender Heilung unbeachtlich sind, wenn offensichtlich ist, dass keine Auswirkung auf die Sachentscheidung besteht.38 Auch die griechische Rechtsverordnung kennt eine Verfahrensfehlerlehre. Diese erscheint allerdings nicht so restriktiv im Vergleich zu der entsprechenden deutschen Lehre.39 Es hängt allerdings von dem Willen der jeweils zuständigen Behörden ab, ob die entsprechenden Äußerungen der Öffentlichkeit bei der abschließenden Entscheidung der Verwaltung berücksichtigt und in der Praxis realisiert werden.
35 Vgl. E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 114 ff.; W. Dorovinis, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 33 ff. 36 Vgl. StE, Urt. Nr. 970/2007; mehr dazu s. u. 2. Teil, 2. Kap., B., IV., 2., b). 37 Vgl. StE, Urt. Nr. 4498/1998; StE, Urt. Nr. 1239/2000; StE, Urt. Nr. 2238/2000; K. Menoudakos, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 23 ff.; A. Tachos, Umweltschutzrecht, 2006, S. 295 ff. 38 Mehr dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., F., II. ff. 39 Vgl. u. a. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141 ff.; P. Lasaratos, DiDik 1993, S. 927 ff.; s. o. 2. Teil, 2. Kap., B., IV., 2., c).
A. Rechtsbehelfe der Öffentlichkeit gegen Verwaltungshandlungen
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Denn die Praxis zeigt, dass die Verwaltung in dieser Angelegenheit einen besonders weiten Ermessensspielraum hat.40 Die Nichtberücksichtigung dieser gesetzlich geregelten Äußerungen des Präfekturrates sowie der Öffentlichkeit muss aber ausreichend begründet werden. Andernfalls stellt ein solcher Tatbestand einen Aufhebungsgrund dar, der zur Nichtigerklärung des umstrittenen Verwaltungsaktes führen kann, da es sich um einen Verfahrensvorfehler im Sinne des griechischen Rechts handelt.41 Meinungsäußerungen bzw. Gutachten der Öffentlichkeit sowie des Präfekturrates, die nach Ablauf der oben genannten Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.42 Dabei wird – insbesondere bei erheblich komplizierten UVP-Verfahren – angezweifelt, ob die oben angeführte 30tägige Frist ausreichend dafür ist, dass die Öffentlichkeit ihre Meinung dazu auf der Basis von gründlichen, wissenschaftlichen Fakten rechtzeitig äußern kann. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Öffentlichkeit i. d. R. keine speziellen technischen Kenntnisse besitzt. Sie hat auch nur eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten.43 Als positiv zu beurteilen ist allerdings die Tatsache, dass – anders als im deutschen Recht44 – im griechischen Verwaltungsrecht eine Präklusionsvorschrift fehlt, so dass der jeweils Betroffene eine Klage gegen einen umweltbezogenen Verwaltungsakt erheben kann, unabhängig davon, ob er an den Mitwirkungsverfahren teilgenommen hat, oder ob er im Verlaufe seiner Mitwirkung diesbezügliche Klageeinwendungen schuldhaft nicht vorgebracht hat, obwohl er Gelegenheit zur Äußerung aller Einwendungen im Mitwirkungsverfahren hatte.45 Während für die Verbände und andere „Interessenten“ im griechischen wie auch im deutschen Recht die Möglichkeit besteht, sich an den Verwaltungsverfahren zu beteiligen (vgl. z. B. Art. 1 Abs. 5 des Gesetzes für nachhaltige Siedlungsentwicklung Nr. 2508/97)46, gibt es hingegen im griechischen Recht keine Präklu-
40 Vgl. W. Dorovinis, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 33 ff.; E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 137 ff., m.w. N. 41 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 126 ff. 42 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. v. 1756-9/02. 43 Vgl. K. Menoudakos, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 24 ff. Ähnliche Bedenken gelten auch für die enge Einwendungs- und Rügefristen im deutschen Umweltschutzrecht; s. o. 1. Teil, 1. Kap., F., IV., 6.; 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 1. 44 s. o. u. a. 1. Teil, 3. Kap., C., VI. ff. 45 Auch das polnische und niederländische Rechtsschutzsystem halten keine materiellen Präklusionsvorschriften vor. Mehr dazu UBA, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem UmwRG, Texte 14/2014, S. 118 ff.; A. Guckelberger/F. Geber, EurUP 2014, S. 169 ff. 46 P.-M. Efstratiou, Grundsätzliches Bauordnungsgesetzbuch, 2001, S. 216 ff.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
sionsvorschrift als Zulassungsvoraussetzung für die Klage einer klagebefugten natürlichen oder juristischen Person.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht I. Definition Der Ausbau des Verwaltungsrechtsschutzes in Griechenland ist vorwiegend der Institution des Staatsrates zu verdanken. Als oberster Gerichtshof des griechischen Verwaltungsrechts entscheidet der Staatsrat einmal über Revisionen gegen Entscheidungen der unteren Instanzen. Zum anderen ist er ein Verwaltungsgericht erster und letzter Instanz, das vor allem über Aufhebungsklagen gegen Verwaltungsakte oder die rechtswidrige Untätigkeit der Verwaltung sowie bestimmte materielle Verwaltungsstreitigkeiten entscheidet.47 Die Aufhebungsklage ist eine allgemeine Verwaltungsklage, die dem französischen „recours pour accès au pouvoir“ vor dem Conseil d’Etat nachgebildet wurde und eine Rechtmäßigkeitskontrolle sowohl von individuellen als auch von normativen Verwaltungsakten ermöglicht. Dieser Rechtsbehelf weist somit durchaus prozessualen Charakter auf und übernimmt, je nach den Umständen, die Funktion einer Anfechtungsklage, einer Verpflichtungsklage, einer Feststellungsklage oder eines Antrags auf Normenkontrolle i. S. d. deutschen Verwaltungsprozessrechts.48 Klageberechtigte der Aufhebungsklage sind sowohl natürliche als auch juristische Personen.49 Kurz gefasst kann eine Aufhebungsklage nur aus Verwaltungshandeln entstehen, das lediglich ein Interesse berühren kann und darüber hinaus gegen eine objektive Rechtsnorm verstoßen muss.50 Es muss aber beachtet werden, dass auch im griechischen Recht nicht jedes Verwaltungshandeln einen Verwaltungsakt darstellt. Denn trotz der umfassenden Rechtsschutzgarantie des Art. 20 Abs. 1 gr. V. kommt es in der griechischen Verordnung auf die Form des Verwaltungshandelns entscheidend an, nicht nur für die Bestimmung der Klageart, sondern vielfach schon für die Frage der Eröffnung des Rechtswegs.51 Das ange47 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 65 ff., m.w. N. 48 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 114 ff.; P. Dagtoglou, in: K. Kerameus/P.-J. Kozyris (Hrsg.), Introduction to Greek Law, 2008, S. 55 ff.; I. Karakostas, EDDD 1990, S. 177 ff. 49 Vgl. W. Skouris, Die Erhebung der Aufhebungsklage durch Dritte, 1982, S. 378 ff. 50 Vgl. M. Stassinopoulos, Recht der Verwaltungsstreitigkeiten, 1980, S. 72 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 123. 51 Vgl. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht 1994, S. 375 ff.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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griffene Verwaltungshandeln bei der Erhebung einer Aufhebungsklage muss ein Verwaltungsakt sein. Art. 45 Abs. 1 der PVO 18/1989 bestimmt, dass die Aufhebungsklage nur gegen die einseitigen, vollziehbaren Akte der Verwaltungsbehörden und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts gerichtet werden kann.52 Als vollziehbarer Akt gilt auch der aus der Untätigkeit einer Behörde im Wege der Fiktion nach Ablauffrist resultierende negative individuelle Verwaltungsakt (gem. Art. 45 Abs. 4 PVO 18/89).53 Vor diesem Hintergrund können Pläne der Verwaltung, wie sie prinzipiell im Bauplanungs-, Umweltschutz- und Wirtschaftsverwaltungsrecht häufig vorkommen, mit der Aufhebungsklage angegriffen werden, soweit sie den Charakter eines Verwaltungsaktes aufweisen.54 Was die Rechtsnatur des angegriffenen Verwaltungsaktes betrifft, umfasst der griechische Verwaltungsakt im Gegensatz zu dem deutschen Begriff des Verwaltungsaktes, der grundsätzlich Einzelfallregelungen umfasst,55 – nach französischem Vorbild – sowohl die individuellen Verwaltungsakte als auch die normativen Verwaltungsakte (etwa Rechtsverordnungen).56 Im griechischen Recht ist es somit für die Erhebung einer Aufhebungsklage nicht entscheidend, ob der angefochtene Verwaltungsakt eine Einzelmaßnahme oder einen untergesetzlichen Normerlass darstellt. Jede Entscheidung der Verwaltung, die den Kläger beschwert bzw. belastet, ist somit ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Daraus folgt, dass im griechischen Recht genauso wie die individuellen Verwaltungsakte auch Rechtsverordnungen mit der Aufhebungsklage angefochten werden können.57 Insofern können auch normative Verwaltungsakte durch eine Aufhebungsklage angefochten werden, soweit der Kläger eine individualisierte Betroffenheit (bzw. einen individualisierten Schaden) nachweist sowie einen Kausalzusammenhang zwischen der Beeinträchtigung seiner Rechte oder Interessen und dem angefochtenen Verwaltungshandeln begründet. Der Staatsrat entscheidet auch über die inzident gerichtliche Kontrolle von normativen Rechtsakten, die z. B. den Bau von 52 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2011, S. 102 ff., m.w. N. 53 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 137; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 90 ff. 54 Ebd. 55 Im deutschen Recht regelt der Verwaltungsakt einen Einzelfall, der konkret-individuellen Charakter hat, d.h., dass er an einen individuell bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichtet ist. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2011, S. 200 ff., m.w. N. 56 Vgl. G. Deligiannis, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), 1982, S. 584 ff. 57 Art. 50 PVO 18/1989, der ausdrücklich die Aufhebung normativer Verwaltungsakte vorsieht. Vgl. u. a. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 53 ff., m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Anlagen im Wald oder Naturschutzgebieten normieren, unabhängig vom Zeitpunkt, zu dem diese Rechtsakte erlassen wurden.58
II. Unterscheidung zwischen materiellen Streitigkeiten und Streitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten Aufgrund der griechischen Verfassung (vgl. Art. 94 Abs. 1, 95 gr. V.) und der Gesetzgebung [vgl. grundsätzlich Art. 2 ff. gr. VwVfG; Gesetz Nr. 1406/83 „Über die ordentlichen Verwaltungsgerichte“; Präsidialverordnung (PVO) Nr. 18/1989, „Über die Aufhebungsklage“]59 unterscheiden sich materielle Streitigkeiten und Streitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten sowohl in Bezug auf den Inhalt der Streitigkeit als auch prozessrechtlich im Hinblick auf die Art und den Umfang der gerichtlichen Kontrolle und des Gerichtsschutzes. Während sich die materiellen Verwaltungsstreitigkeiten auf subjektive Rechte des Berechtigten beziehen,60 können die Streitigkeiten über die Aufhebung von Rehtsakten auch bloßen Interessen des jeweils betroffenen Klägers betreffen.61 Auch bei materiellen Verwaltungsstreitigkeiten werden mutatis mutandis nur Verwaltungsakte angefochten. Hierbei ist der Rechtsbehelf der sog. Beschwerde einschlägig. Die Beschwerde wird allerdings – im Gegensatz zur Aufhebungsklage – nur gegen jene individuellen Verwaltungsakte gerichtet, bei denen das Gesetz dies vorsieht.62 Die Klageverfahren bei materiellen Verwaltungsstreitigkeiten zielen somit auf die Wiedergutmachung der Verletzung subjektiver Rechte ab, während die Klageverfahren bei der Verwaltungsrechtstreitigkeiten über die Aufhebung von rechtsakten die Befriedigung eines gesetzmäßigen Interesses des Betroffenen und die Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit bezwecken.63 Die Aufhebungsklage ist somit für Drittbetroffene das zentrale Rechtsmittel des griechischen Rechts.
58 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 71 ff., m.w. N. 59 Mehr dazu E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2000, S. 416 ff.; P.-M. Efstratiou, 1994, S. 122 ff. 60 Z. B. das „Recht“ eines Beamten auf sein Gehalt für bereits geleistete Arbeit; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts 2011, Bd. 2, S. 26 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 117 ff. 61 Z.B das „Interesse“ eines Beamten auf Gehaltserhöhung; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts 2011, Bd. 2, S. 26 ff.; M. Dekleris, EDDD 1960, S. 6 ff.; P. Vegleris, in: Denkschrift für G. Michailides-Nouaros, Bd. A, 1987, S. 107 ff. 62 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 137; M. Dekleris, EDDD 1960, S. 6 ff. 63 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 117 ff.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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Die herkömmliche materiellrechtliche Unterscheidung zwischen materiellen Verwaltungsstreitigkeiten und Aufhebungsklagen lässt sich nach dem Vorbild des französischen Verwaltungsrechts erklären.64 Abgesehen von der Gegenüberstellung von Rechten und Interessen wurde darauf hingewiesen, dass beide in Wirklichkeit Verwaltungsstreitigkeiten sind, die je nach Sachlage der Aufhebungsoder der materiellen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.65 Die Unterscheidung zwischen materiellen Streitigkeiten und Streitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten geschieht nicht aufgrund ihres angeblich unterschiedlichen Inhalts, sondern wegen der Struktur und des Umfangs des Gerichtsschutzes, der im einen oder im anderen Fall gewährt wird. Daraus folgt, dass die gerichtliche Kontrolle der Exekutive entsprechend dem Umfang, den sie einnimmt und dem Inhalt der Entscheidung, zu der sie führt, entweder aufhebend oder materiell ist. Diese Unterscheidung ist daher in der Praxis rein prozessrechtlicher Natur.66 Es wird daher die Auffassung vertreten, dass sich das Beharren des griechischen Gesetzgebers auf der Unterscheidung zwischen materiellen Verwaltungsstreitigkeiten und Verwaltungsstreitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten in der Praxis als künstlich erweist.67 Dadurch wird der Richter des griechischen Staatsrates – in Kontrast zum restriktiven, deutschen Individualrechtsschutzsystem – im Rahmen des griechischen Verwaltungsrechts nicht daran gehindert, eine Aufhebungsklage auch bei Verletzung eines Interesses des Klägers zuzulassen, wenn dieses Interesse auf dem Gesetz selbst beruht. Eine solche Verletzung von Interessen könnte im griechischen Recht auch die Verletzung von Umweltgütern (Wald, Wasser, Luft u. a.) im Außenbereich begründen. Dies ist vor allem auf die verfassungsrechtliche und gesetzliche Gewährleistung des Umweltschutzes im weiten Sinne als Grundrecht zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund betrifft auch die Verletzung solcher Güter Interessen von Rechtssubjekten, vor allem angesichts der Tatsache, dass ohne die Intakthaltung der Umweltelemente die menschlichen Lebensgrundlagen in Gefahr stünden.68 64 Krit. dazu P. Vegleris, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Probleme, 1977, S. 67 ff. Er spricht über eine Einführung der Aufhebungsklage im griechischen Recht, ohne aber eine historische Begründung anzuführen. 65 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 123 ff. 66 Vgl. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1985, S. 107 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 124. 67 Vgl. P. Vegleris, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Probleme, 1977, S. 6 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, Bd. 2, S. 34 ff.; jeweils m.w. N. 68 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 123 ff.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
III. Kontrolldichte bei den materiellen Streitigkeiten und den Streitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten Die Aufhebungskontrolle vor dem zuständigen Gericht (vgl. Art. 95 gr. V.) bildet im Prinzip eine Rechtmäßigkeitskontrolle. Ihr Gegenstand ist die Feststellung der Übereinstimmung einer bestimmten Verwaltungshandlung oder Unterlassung mit dem Gesetz. Ist das nicht der Fall, hebt das Gericht die betreffende Handlung auf oder erklärt die Unterlassung für rechtswidrig und verweist die Sache an die zuständige Behörde zur Vornahme der gebotenen Handlung zurück.69 Die Rechtsprechung bei der Aufhebungskontrolle darf weder den angegriffenen Verwaltungsakt abändern noch an seiner Stelle einen neuen erlassen. Parallel dazu darf sie weder die rechtswidrig unterlassene Verwaltungshandlung selbst vornehmen noch Schadenersatz zubilligen. Allerdings ist nach Art. 95 Abs. 5 gr. V. sowie nach Art. 50 PVO Nr. 18/1989 die Verwaltung verpflichtet, sich durch positive Vornahme nach den Aufhebungsentscheidungen des Staatsrates zu richten.70 Nur die vor dem Staatsrat und den ordentlichen Verwaltungsgerichten zweiter Instanz ausgetragenen Streitigkeiten haben Aufhebungscharakter.71 Demgegenüber beschränkt sich die materielle Kontrolle nicht auf die Feststellung der Rechtmäßigkeit, sondern kommt auch „zur Sache“ des Falles. Es wird überprüft, ob das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen, auf die sich der Verwaltungsakt stützt, materiell richtig beurteilt wurde, und ob ein Ermessensfehlgebrauch der Verwaltung vorliegt. Stellt das Verwaltungsgericht eine falsche Beurteilung oder einen Ermessensfehler fest, kann das Gericht den angegriffenen Rechtsakt nicht nur aufheben, sondern darüber hinaus auch abändern (z. B. Geldbußen herabsetzen). Dabei kann das materiell entscheidende Gericht bei einer Schadenersatzklage Schadenersatz zubilligen. Der gerichtliche Rechtsschutz bei materiellen Rechtsstreitigkeiten erstreckt sich sowohl auf die Feststellung der Verletzung eines subjektiven Rechts als auch, im Falle eines Schadens, auf die Festsetzung des Schadensersatzes.72
69 Z. B. hebt das Gericht nach Erhebung einer Aufhebungsklage eine mit Rechtsmängeln behaftete Baugenehmigung auf, weil diese von einer unzuständigen Verwaltungsbehörde erlassen wurde. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2000, S. 421; K. Gogos, Die Anfechtung von Unterlassungen der Verwaltung vor Gerichten, 2005, S. 29 ff. 70 Ausführlich: E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2000, S. 582 ff. 71 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2002, S. 416 ff.; I. Symeonidis, DiDik 1991, S. 255 ff. 72 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2002, S. 221 ff.; I. Symeonidis, DiDik 1991, S. 255 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 123 ff.; d.h., es wird überprüft, ob das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen, auf die sich der Verwaltungsakt stützt, materiell richtig beurteilt wurde und ob ein Ermessensfehlgebrauch der Verwaltung vorliegt.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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Es ist daher festzustellen, dass der Gerichtsschutz, der dem Bürger im Falle einer materiellen Verwaltungsstreitigkeit zukommt, umfassender und vollständiger ist als derjenige, der bei einer Rechtsstreitigkeit über die Aufhebung von Rechtsakten gewährt wird. Dafür spricht, dass bei einer materiellen Streitigkeit auch die materielle Seite des Falles überprüft wird. Dabei wird Rechtsschutz nicht nur gegen rechtswidrige Rechtsakte, sondern auch gegen andere administrative Handlungen im Rahmen vertraglicher Beziehungen oder von Realakten gewährleistet. Ferner führt eine Gerichtsentscheidung bei materiellen Streitigkeiten möglicherweise zu einer Wiedergutmachung der verletzten Rechtsstellung des Betroffenen oder zu einer Abänderung des angefochtenen Verwaltungsaktes sowie zu einer Zubilligung einer bestimmten Geldsumme und nicht nur zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes.73 Es muss auch berücksichtigt werden, dass eine gesetzliche Umwandlung des Charakters einer Verwaltungsstreitigkeit von einer Aufhebungsklage in eine Verwaltungsstreitigkeit materiellen Charakters durchaus vereinbar mit der Verfassung ist, sofern sie nicht das Prinzip der Gewaltenteilung sowie den Grundsatz der Rechtsschutzgarantie und insbesondere die allgemeine Aufhebungszuständigkeit des Staatsrates verletzt.74 Deswegen wird angenommen, dass eine solche Umwandlung nicht dem gerichtlichen Schutz des jeweils Betroffenen im Rahmen der Aufhebungsklage vor dem Staatsrat entziehen kann. Dies könnte wohl geschehen, da die Klagebefugnisvoraussetzungen bei Aufhebungsklagen flexibler und lockerer als bei den materiellen Streitigkeiten sind. Denn vor allem ist Bestandteil der materiellen Verwaltungsstreitigkeit ein subjektives öffentliches Recht und nicht bloß ein rechtliches Interesse. Insofern kann dieser Aufhebungsklagebestandteil durch ein subjektives öffentliches Recht nicht ersetzt werden, selbst wenn eine gesetzliche Umwandlung des Charakters einer Verwaltungsstreitigkeit von einer Aufhebungsklage in eine Verwaltungsstreitigkeit materiellen Charakters verwirklicht wurde. Ansonsten beraubt die entsprechende Umwandlung den Kläger des durch die Aufhebungsklage zu erlangenden Gerichtsschutzes und würde die nach der Verfassung gegebene allgemeine Aufhebungszuständigkeit aufheben. Dies gilt auch, wenn der angefochtene Verwaltungsakt die subjektiven öffentlichen Rechte anderer Personen verletzt oder ihnen Sanktionen auferlegt.75
73 Vgl. StE, Urt. Nr. 2434/91; StE, Urt. Nr. 3319/2010; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 33 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 125. 74 E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 12 ff., S. 34 ff., m.w. N. 75 Vgl. StE, Urt. Nr. 1095/87; StE, Urt. Nr. 2754/87; StE, Urt. Nr. 189/2007; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, Bd. 2, S. 34 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 124 ff.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Es darf nicht ignoriert werden, dass vor allem die Bereiche des Bauplanungs-, Umweltschutz- oder Wirtschaftsverwaltungsrechts Besonderheiten hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolldichte aufweisen, denn der Behörde wird oft ein sehr weitreichendes Ermessen eingeräumt. Dies liegt daran, dass für die Erklärung und Verwirklichung der umweltbezogenen Planung unbestimmte Gesetzesbegriffe und Generalklauseln i. d. R. relevant sind. Dabei sind auch spezielle, anspruchsvolle wissenschaftliche Kenntnisse erforderlich. Die gerichtliche Kontrolle solcher Maßnahmen unterliegt im Prinzip den allgemeinen Regeln der gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen der Verwaltung, die in der Tat häufig mangels hinreichender Kenntnisse begrenzt ist.76 Eine ähnliche Tendenz gibt es auch bei der gerichtlichen Kontrolldichte gegenüber umweltschutzbezogenen Verwaltungsmaßnahmen im deutschen Verwaltungsrecht.77 Zusammengefasst werden Verwaltungsentscheidungen generell im griechischen Verwaltungsrecht auf ihre Rechtmäßigkeit und/oder materielle Richtigkeit nach einheitlichen prozessrechtlichen Kontrollmaßstäben überprüft, deren Intensität formell von ihrer Einordnung als materielle Verwaltungsstreitigkeit oder als Rechtsstreitigkeit über die Aufhebung von Rechtsakten und innerhalb jeder einzelnen Kategorie vom materiellen Gesetzesrecht entscheidend abhängt.78 1. Kontrolldichte bei der Prüfung der Tatsachenfeststellung einer Aufhebungsklage In Bezug auf die Kontrolldichte der Tatsachenfeststellung einer Aufhebungsklage muss der Staatsrat kontrollieren, ob die durch das zuständige Verwaltungsorgan vorgenommene Tatsachenfeststellung der Wahrheit entspricht. Ein Irrtum über die Tatbestandsmerkmale liegt grundsätzlich vor, wenn das Verwaltungsorgan irrtümlicherweise angenommen hat, dass die Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Rechtsnorm vorliegen oder nicht vorliegen.79 Der Irrtum muss wesentlich80 sein, aus den Akten hervorgehen und durch ausreichende Beweise
76 Vgl. ausführlich dazu E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 137 ff.; vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 139 ff., S. 148 ff.; jeweils m.w. N. 77 s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., II., 2. 78 Vgl. E. Regkakou-Koutoupa, Umweltrecht, 2008, S. 137 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 139 ff., S. 148 ff. 79 Vgl. P.-M. Efstratiou, 1994, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, S. 146 ff. 80 D.h., den Inhalt der betroffenen Verwaltungsentscheidung beeinflusst hatten.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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von Seiten des Aufhebungsklägers nachgewiesen werden.81 Andererseits soll die materielle Beurteilung der festgestellten Tatsachen, die die rechtlichen Voraussetzungen des Erlasses des Verwaltungsaktes darstellen, nicht der Aufhebungskontrolle des Staatsrates unterliegen, es sei denn, dass die betreffende Beurteilung mit der Ausübung des Verwaltungsermessens zusammenhängt und die Ermessensschranke überschritten ist. Aufhebungsklagen, die Fehler der materiellen Beurteilung der Behörden zu rügen bezwecken, sind daher grundsätzlich unzulässig.82 Im Hinblick auf den Kontrollumfang im Bereich der umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten akzeptiert beispielsweise der Staatsrat nach seiner aktuellen Rechtsprechung, dass insbesondere „die Verletzung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung direkt von dem Richter des Staatsrates nur dann kontrolliert werden kann, wenn sich aus den Elementen der Gerichtsurkunde sowie aus der Lehre der Allgemeinerfahrung ergibt, dass die von dem konkreten umstrittenen Bauprojekt ausgehende Umweltschädigung nicht unerheblich ist und solch umfangreichen Konsequenzen verursacht, dass sie der nachhaltigen Entwicklung zuwiderläuft“.83
IV. Die Klagebefugnis des Aufhebungsklägers bei einer Aufhebungsklage Die Klagebefugnis des Aufhebungsklägers bei einer Aufhebungsklage hängt von den Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen ab, die in Art. 47 und 48 PVO 18/1989 bestimmt sind. Im Folgenden wird zusammenfassend auf diese Voraussetzung eingegangen. Denn sie sind auch für die Klagebefugnis Drittbetroffener in Umweltangelegenheiten von Bedeutung. 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Aufhebungsklage Die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Aufhebungsklage sind in der Präsidialverordnung 18/1989 bestimmt. Diese Voraussetzungen sind die folgenden: a) das Vorliegen des rechtlichen Interesses (Art. 47 PVO 18/1989);84 b) Die Aufhe-
81 StE, Urt. Nr. 1664/62, 2228/87; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2000, S. 484 ff. 82 StE, Urt. Nr.1709/1984, 695/1987; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. SchmidtAßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsund Umweltrecht, 1992, S. 147. 83 StE Urt. Nr. 3478/2000, Anm. dazu E. Trova, PerDik 2003, S. 253; StE, Urt. Nr. 2300/97. 84 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 81 ff.; s. auch P. Marinakis, Verwaltungsprozessrecht, Kommentare – Rechtsprechung, 2005; jeweils m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
bungsklage muss innerhalb von 60 Tagen nach der Zustellung des Widerspruchsbescheides – oder wenn ein solcher nicht erforderlich ist – nach Bekanntgabe (durch Veröffentlichung oder auf andere Weise) des Verwaltungsaktes erhoben worden sein (Art. 46 Abs. 1 PVO 18/1989)85; c) die Erhebung des Widerspruchs im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, wenn ein Gesetz dies erfordert (Art. 45 Abs. 2 PVO 18/1989);86 d) die Aufhebungsklage ist nur gegen die vollziehbaren Rechtsakte der Verwaltungsbehörden und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts zulässig (Art. 45 Abs. 1 PVO 18/89);87 e) die Aufhebungsklage darf keinem anderen gerichtlichen Rechtsbehelf unterworfen sein (Art. 45 Abs. 1 PVO 18/89).88 Wegen der eigenartigen Rechtsnatur der Umwelt als ein kollektives verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut, dessen gerichtlicher Schutz überwiegend durch die Aufhebungsklage angestrebt wird, spielt dieses Rechtsmittel eine besondere Rolle. Was den Umweltrechtsschutz durch Drittbetroffene im griechischen Recht betrifft, ist vor allem die Zulässigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers von Bedeutung. Denn die kollektive Rechtsnatur sowie der überindividuelle Charakter des Umweltbegriffs im griechischen Recht, der vor allem durch das Grundrecht auf Umweltschutz gewährleistet wird, haben im griechischen Recht zu einer bemerkenswerten Erweiterung des rechtlichen Interesses geführt. Diese Erweiterung ist vor allem auf die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates zurückzuführen.89 Denn es gibt bisher keine Gesetzgebung, die das rechtliche Interesse konkret bestimmt und eingrenzt. In dieser Hinsicht wird an dieser Stelle vor allem die Zulässigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses analysiert.90 Da die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen eher technischer Art sind, soll an dieser Stelle nicht auf diese eingegangen werden.
85 Vgl. StE, Urt. Nr. 969/98; mehr darüber: E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 90 ff., m.w. N. Hinsichtlich der Problematik der Klagefrist von umweltschützenden Rechtsbehelfe s. o. in 2. Teil, 2. Kap., A. 86 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 12 ff., S. 99 ff., m.w. N. 87 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 101 ff., m.w. N.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 136 ff. 88 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 117 ff.; I. Karakostas, EDDD 1990, S. 177 ff.; A. Papapanagiotou-Lesa, Die Voraussetzungen der Zulässigkeit von Rechtsbehelfen im Verwaltungsprozess gem. Art. 20 gr. V. hinsichtlich des Rechts auf gerichtlichen Schutz und des Rechtmäßigkeitsprinzips, DiDik 2001, S. 290 ff., jeweils m.w. N. 89 Vgl. u. a. G. Siouti, Die Erweiterung des rechtlichen Interesses in der Aufhebungsklage, 1998, S. 12 ff.; D. Anagnostou, ToS 1988, S. 649 ff.; E. Kretsi, D 2007, S. 162 ff. 90 s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., III. ff.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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2. Begründetheitsvoraussetzungen der Aufhebungsklage a) Allgemeines Der griechische Gesetzgeber hat (gem. Art. 48 PVO 18/1989) auch unter dem Einfluss des französischen verwaltungsprozessualen Vorbilds91 folgende vier Gründe hervorgebracht, die die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begründen können: a) die Unzuständigkeit;92 b) der Verstoß gegen wesentliche Verfahrensanforderungen (gemeint sind hier grundsätzlich die erheblichen Verfahrensfehler i. S. d. griechischen Rechts);93 c) der materielle Gesetzesverstoß;94 d) der Gewaltoder Befugnismissbrauch.95 Mit Ausnahme von Begründetheitsvoraussetzung c) stellen all diese Aufhebungsgründe dennoch nur verschiedene Seiten des einheitlichen Aufhebungsgrundes des Verstoßes gegen objektives öffentliches Recht dar.96 Im Gegensatz zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen werden die Aufhebungsgründe mit Ausnahme des Unzuständigkeitsgrundes97 nicht von Amts wegen berücksichtigt. Der Aufhebungskläger muss sich folglich selbst auf sie berufen.98 Zu beachten ist, dass sich die Aufhebungskläger zulässigerweise nur auf solche Anfechtungsgründe berufen dürfen, an denen sie ein rechtliches Interesse haben. Aufhebungsgründe, auf die sie sich nicht berufen können, werden gerichtlich nicht überprüft.99 Verbände, die die erforderlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen, sind somit beiladungsfähig.100 b) Die Unzuständigkeit Unter dem Begriff der Unzuständigkeit versteht man konkret, dass das Verwaltungsorgan, das einen Verwaltungsakt erlassen hat, nicht dafür zuständig ist. Im 91 Krit.: P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 140 ff. 92 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 122 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141; jeweils m.w. N. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 279 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 122 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141 ff.; jeweils m.w. N. 97 Vgl. StE, Urt. Nr. 643/68. 98 Vgl. StE, Urt. Nr. 643/68; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141 ff., m.w. N. 99 Vgl. K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen, 1989, S. 172 ff.; W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 397 ff. 100 Vgl. StE 1492/2002, 2173/2002.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Rahmen dieses Aufhebungsgrundes wird auch die Einhaltung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes kontrolliert. Denn der Verwaltungsakt, der ohne eine gültige Rechtsgrundlage erlassen wurde, ist rechtsfehlerhaft nicht wegen Gesetzesverletzung, sondern wegen Unzuständigkeit und noch spezieller wegen Befugnisüberschreitung.101 c) Verstoß gegen wesentliche Verwaltungsverfahrensanforderungen Die griechische Verwaltungsverfahrensordnung unterscheidet zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ Verwaltungsverfahrensanordnungen.102 Als Verwaltungsverfahrensanforderungen sind grundsätzlich Regelungen zu verstehen, die das Verwaltungsverfahren bestimmen. Dazu gehört auch die äußerliche Form eines Rechtsaktes.103 Die Unterscheidung zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ Verwaltungsverfahrensanforderungen ist nicht einfach, denn im griechischen Verwaltungsrecht besteht kein Gesetz, das diese Unterscheidung explizit regelt. Die Beurteilung der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der Verwaltungsverfahrensanforderungen hängt somit von der griechischen Rechtsprechung ab.104 Die Unterlassung oder die Nichteinhaltung von wesentlichen Verfahrensanforderungen führt i. d. R. zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes. Hauptkriterium für die Bestimmung einer „wesentlichen“ Verwaltungsverfahrensanforderung und daher für die Begründung dieses Aufhebungsgrundes ist vor allem die Bedeutung der Verletzung dieser Anforderung (etwa durch das Eintreten eines Verfahrensfehlers) für den Schutz der Rechtsposition des Bürgers. In dieser Hinsicht wird z. B. eine Verfahrensanforderung als wesentlich angesehen, wenn sie dazu beiträgt, dem Bürger zu helfen, seine Stellungnahme bzw. Einwendungen bezüglich eines Sachverhaltes, der ihn betrifft, gegenüber der Verwaltung informativ darzustellen.105 Als wesentlich gelten auch Verwaltungsverfahrensanforderungen, die die Öffentlichkeit über ihre Möglichkeiten in Bezug auf ihre vorherige Anhörung bzw. ihre Beteiligung an Verwaltungsverfahren informie101 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 122 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141; jeweils m.w. N. 102 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 125 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141 ff.; jeweils m.w. N. 103 Vgl. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1994, S. 440. 104 E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 125. 105 StE, Urt. Nr. 3516/2003; StE, Urt. Nr. 1916/1979; StE, Urt. Nr. 3598/1987; StE, Urt. Nr. 2271/2004. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 126.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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ren.106 Gleiches gilt auch für verwaltungsverfahrensrechtliche Garantien bezüglich des unparteiischen Urteils des jeweils umstrittenen Falles seitens der Verwaltung.107 Dazu gehören auch Verfahrensanforderungen, die bedeutsam für die ordnungsgemäße Funktion der Verwaltung sowie für die angemessene gerichtliche Kontrolle des jeweils umstrittenen Verwaltungsaktes sind.108 Dies beruht überwiegend auf der Notwendigkeit einer angemessenen Gewährung von Verwaltungsrechtsschutz und der Vermeidung einer sinnlosen Verzögerung oder Vereitelung der Verwaltungsaufgaben.109 Ein weiteres Kriterium für die Erkennung einer Verwaltungsverfahrensanforderung ist der Einfluss der Unterlassung oder die Nichteinhaltung eines Verwaltungsverfahrens auf die Regelung eines Sachverhaltes, die durch den jeweils umstrittenen Verwaltungsakt geschaffen werden soll.110 Es muss allerdings beachtet werden, dass in den Fällen, in denen die zuständige Behörde nicht anders hätte entscheiden können, weil sie rechts- oder tatsachengebunden ist,111 grundsätzlich angenommen wird, dass die Unterlassung oder Nichteinhaltung einer erforderlichen Verfahrensanforderung für den Erlass eines Verwaltungsaktes, dessen Zweck in Wirklichkeit erfüllt ist, keinen Aufhebungsgrund darstellen könne.112 Die Nichteinhaltung des erforderlichen Verwaltungsverfahrens kann nur vor dem Erlass des jeweils umstrittenen Verwaltungsaktes und nicht nachher geheilt werden. Wird z. B. ein vom Gesetz erforderliches Gutachten im Rahmen eines UVP-Verfahrens nach der gesetzlichen Frist fertiggestellt, kann dieser wesentliche Formfehler nicht geheilt werden.113 Dies gilt im griechischen Recht auch,
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StE, Urt. Nr. 2274/2004; StE, Urt. Nr. 2078/1976. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 126. 108 Ebd. 109 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 124 ff., m.w. N. 110 E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 126 111 Es geht vor allem um Fälle, in denen der Verwaltungsakt – trotz eines Verfahrensfehlers – sowohl inhaltlich als auch bei der Angabe seines Adressaten hinreichend bestimmt ist, oder in denen die Garantien zugunsten des Adressaten und anderer, die der Verwaltungsakt betrifft, praktisch eingehalten worden sind. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1994, S. 442 ff. 112 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 142; m.w. N. 113 Kritisch dazu K. Menoudakos, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 24. Es wird zutreffend angemerkt, dass in solchen Fällen einige Ausnahmen von der genannten strengen Regelung – auch im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips – angenommen werden sollten. Denn angesichts der Komplexität der Beurteilung einer UVP-Studie durch die Öffentlichkeit sowie der erheblichen Bedeutung der Teilnahme der Öffentlichkeit an den UVP-Verfahren wäre die unter bestimmten Bedingungen erfolgende nachträgliche Heilung eines Form- und Verfahrensfehlers sinnvoll. Dies 107
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
sofern nicht Ausnahmebedingungen bei dem Erlass der angegriffenen Verwaltungsmaßnahme vorliegen.114 Hervorzuheben ist, dass die Qualifizierung einer Verwaltungsverfahrensanforderung als „unwesentlich“ im Gegensatz zu der deutschen Verfahrensfehlerlehre nach der Rechtsprechung des griechischen Staatsrates eher die Ausnahme ist. Die Verwaltungsverfahrensanforderungen müssen i. d. R. eingehalten werden, um nicht zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu führen. Sie sind daher meistens als „wesentlich“ anzusehen, so dass ihre Nichteinhaltung oder Unterlassung zur Aufhebung des formell rechtsfehlerhaften Aktes führt.115 Wesentliche Verwaltungsverfahrensanforderung im griechischen Recht ist z. B. die ordnungsgemäße Zusammensetzung eines Verwaltungsorgans, das zuständig für die jeweils umstrittene Verwaltungsentscheidung ist,116 oder die eines gutachterlichen Organs (etwa des Präfekturrates im UVP-Verfahren), soweit der angefochtene Verwaltungsakt grundsätzlich auf der Berücksichtigung dieses Gutachtens basiert.117 Auch die nicht rechtmäßige Durchführung oder Unterlassung der vom Gesetz vorgeschriebenen Vorbereitungshandlungen eines komplexen Verwaltungsverfahrens könnten als wesentliche Form- und Verfahrensfehler beurteilt werden118 (z. B. ein mangelhafter Vorbescheid bei dem UVP-Verfahren119 einer Industrieanlage). Gleiches gilt auch bei der Erteilung eines Verwaltungsaktes, der vor Ablauf der gesetzlichen Frist erlassen wurde, innerhalb derer sich die jeweiligen Interessenten am Verwaltungsverfahren beteiligen mussten120 (z. B. Genehmigung eines Bauvorhabens vor Ablauf der Frist für die Äußerungen der Öffentlichkeit). Eine praktisch wichtige „wesentliche“ Verwaltungsverfahrensanforderung stellt auch die Begründung des Verwaltungsaktes dar, die entweder durch ausdrückliche Gesetzesbestimmung vorgeschrieben ist oder aufgrund der Natur des jeweiligen Rechtsaktes erforderlich ist. Eine Begründung ist erforderlich etwa bei belastenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten, die von vorherigen Entscheidungen desselben Verwaltungsorgans oder von Empfehlungen und Gutachten kollegialer Verwaltungsorgane abweichen, aber auch bei Verwaltungsakten, die auf der Grundlage von Vorschriften erlassen werden, die eine Ausnahme würde insbesondere im Bereich der umweltbezogenen Öffentlichkeitsbeteiligung im Einklang mit den AK-Anforderungen stehen. 114 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 127 ff.; P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1994, S. 443. 115 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 127 ff. 116 StE, Urt. Nr. 3516/2013. 117 StE, Urt. Nr. 2271/2004; StE, Urt, Nr. 3598/1987. 118 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 126 ff. 119 Ebd. 120 Vgl. StE, Urt. Nr. 213/1962.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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von der Regel vorsehen, und nicht zuletzt bei Ermessensentscheidungen.121 Die Begründung des angefochtenen Rechtsaktes ist für eine effiziente gerichtliche Kontrolle von grundlegender Bedeutung, weil sie dem Richter zu beurteilen hilft, inwieweit die Verwaltung nach Maßgabe des Gesetzes oder unter Verletzung desselben gehandelt hat. Dadurch wird auch die verfassungsrechtliche Gewährleistung des individuellen Rechtsschutzes ermöglicht. Daher stellt die Begründung eine wesentliche Verwaltungsverfahrensanforderung und keinen materiellen Gesetzesverstoß dar. Insofern sind die begründungsbedürftigen, aber nicht begründeten Verwaltungsakte unabhängig von einer materiellen Gesetzesverletzung aufhebbar.122 Als eine Ermessensentscheidung der Verwaltung ist die Betriebsgenehmigung ein aus der Natur des Rechtsaktes heraus zu begründender Verwaltungsakt. Sie bedarf daher immer einer bestimmten, hinreichenden und speziellen Begründung.123 Die Begründungspflicht, die auch bei Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Betriebsgenehmigung besteht, bezieht sich hauptsächlich darauf, inwieweit der Betrieb der umstrittenen Industrie- oder Gewerbeanlage die natürliche und kulturelle Umwelt im jeweils betreffenden Gebiet beeinträchtigt.124 Vor allem müssen nach eingehender Untersuchung die Gefährlichkeit, die Auswirkungen der Anlage oder die Einrichtung für das Arbeitspersonal, die Nachbarn sowie die Allgemeinheit unter Berücksichtigung der bereits herrschenden Umweltbedingungen und der zukünftigen Entwicklung der Region festgestellt werden. Dazu reicht jedenfalls die allgemeine Aussage von Seiten der zuständigen Behörde, dass die belastenden Auswirkungen aus dem Betrieb einer bestimmten Industrie- oder Gewerbeanlage hinnehmbar seien, nicht aus, wenn die Grenzen dieser Auswirkungen nicht auf Grundlage der mit der Genehmigung auferlegten Schutzmaßnahmen genau konkretisiert und bestimmt werden.125 121 Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 166 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 127; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/ E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 142; jeweils m.w. N. 122 Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 285 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 142; jeweils m.w. N. 123 Vgl. unter anderem: StE, Urt. Nr. 2353/72; StE, Urt. Nr. 3341/75, 1816/90; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 169 ff., m.w. N. 124 Vgl. StE, Urt. Nr. 4360/76; StE, Urt. Nr. 3456/1979; StE, Urt. Nr. 3509/1983; StE, Urt. Nr. 3409/83; StE, Urt. Nr. 3529/1988: StE, Urt. Nr. 601/89; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 169; G. Deligiannis, NkF 1997, S. 261 ff. 125 Vgl. StE, Urt. Nr. 930/82; StE, Urt. Nr. 1608/88; StE, Urt. Nr. 4568/87; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 170, m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Wenn aber die vorhandene und formell hinreichende Begründung in materiellrechtlicher Hinsicht fehlerhaft ist, dann handelt es sich eher um eine mangelhafte Gesetzesauslegung oder um einen Tatsachen- bzw. Sachverhaltsirrtum, der zur falschen Anwendung des Gesetzes führt. Deswegen liegt bei solchen Fällen eine materielle Gesetzesverletzung vor, die einen eigenständigen Aufhebungsgrund darstellt.126 Die griechische Rechtsprechung des Staatsrates sieht somit die Unterlassung einer gesetzlich ausdrücklich gebotenen Begründung als einen Verstoß gegen eine wesentliche Verwaltungsverfahrensanforderung. Andererseits aber sieht sie die Unterlassung oder Verletzung der aus der Natur des angefochtenen Aktes resultierenden Begründungspflicht als einen materiellen Gesetzesverstoß an.127 Diese eher formalistische Unterscheidung erzeugt allerdings kaum praktische Konsequenzen, denn in beiden Fällen liegen Aufhebungsgründe vor. Eine weitere wesentliche Verwaltungsverfahrensanforderung stellt i. d. R. die vorherige Anhörung des Betroffenen dar. Das Recht auf rechtliches Gehör gilt sogar aufgrund Art. 20 Abs. 2 gr. V. „[. . .] auch bei jeder Tätigkeit oder Maßnahme der Verwaltung zu Lasten der Rechte oder Interessen des betroffenen Bürgers.“128 Genauso wie die Begründung eines Verwaltungsaktes ist auch die vom Gesetz vorgesehene vorherige Anhörung, die auch bei umweltbezogenen Verfahren (z. B. UVP-Verfahren) vorgeschrieben ist, unabhängig von ihrem Inhalt erforderlich, und ihre Unterlassung führt ungeachtet einer materiellen Gesetzesverletzung zur Aufhebung des angefochtenen Rechtsaktes.129 Die Einhaltung der Anhörungspflicht wird vom Gericht auf Antrag des Betroffenen hin untersucht. Es obliegt weitgehend der Verwaltung nachzuweisen, dass sie tatsächlich erfolgt ist.130 Die griechische Rechtsprechung und Rechtslehre unterscheidet sich somit in entsprechenden Fällen teilweise von der deutschen Verfahrensfehlerlehre gem. § 46 VwVfG, wonach Verfahrensfehler trotz fehlender Heilung unbeachtlich sind, wenn offensichtlich ist, dass keine Auswirkung auf die Sachentscheidung gegeben ist. Die griechische Verfahrensfehlerlehre scheint, obwohl sie in diesem Bereich nicht ausreichend kodifiziert ist, sondern eher von der Rechtsprechung bestimmt ist, flexibler und ausgedehnter im Vergleich zu der entsprechenden 126
Mehr dazu s. u. 2. Teil, 2. Kap., B., IV., 2., d). Vgl. unter anderem: StE, Urt. Nr. 2331/66; StE, Urt. Nr. 2583/72; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 142, m.w. N. 128 Vgl. M. Stassinopoulos, EDDD 1976, S. 165 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/ E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 143 ff.; jeweils m.w. N. 129 Vgl. StE, Urt. Nr. 2274 2005; StE, Urt. Nr. 2078/76; K. Gogos, EhmDD 2006, S. 116 ff. 130 Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht 1985, S. 286 ff. 127
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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deutschen Verfahrenslehre zu sein. Denn im griechischen Recht hängt die Bestimmung der Wesentlichkeit einer Verwaltungsverfahrensanforderung nicht unbedingt von der Auswirkung des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung, sondern auch von weiteren Faktoren, ab wie etwa der Bedeutung der Einhaltung der jeweils Verwaltungsverfahrensanforderung zum Schutz der Interessen des Bürgers vor einem willkürlichen Verwaltungshandeln.131 Auch dieser Unterschied ist auf das Vorbild des französischen Rechts zugrunde gelegt.132 Insofern gilt die restriktive deutsche Verfahrensfehlerlehre, die sich aus der sog. Kausalitätsrechtsprechung ergibt,133 nicht im griechischen verwaltungsprozessualen Recht. d) Materieller Gesetzesverstoß Der materielle Gesetzesverstoß eines Verwaltungsaktes ist der häufigste Aufhebungsgrund. Durch diesen Aufhebungsgrund wird die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sichergestellt. In Betracht kommen alle einschlägigen Rechtssätze mit Ausnahme der Zuständigkeitsregeln sowie der Verwaltungsverfahrensanforderung.134 Die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit der festgesetzten normativen Regelung unterliegt jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle.135 Der Gesetzesverstoß bezieht sich nicht nur auf die formellen, sondern auch auf die materiellen Gesetze und zwar auf jede Rechtsnorm des öffentlichen Rechts.136 Diese sind in den verschiedenen Rechtsquellen wie in der Verfassung,137 den parlamentarischen Gesetzen, den Rechtsverordnungen, dem Gewohnheitsrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen enthalten.138 Bei Unterlassung einer gesetzlich vorgesehenen Verwaltungshandlung besteht der Aufhebungsgrund in der Verletzung der
131 Vgl. u. a. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 141 ff.; E. Prevedourou, EDDD, 2001, S. 417 ff.; jeweils m.w. N. 132 P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht – Vergleichende Studien zur Rechtslage in Deutschland, Frankreich, Griechenland und in der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 140 ff. 133 Mehr über die deutsche Verfahrensfehlerlehre s. o. 1. Teil, 1. Kap., F. ff. 134 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 127. 135 Vgl. StE, Urt. Nr. 3461/84; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 145; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 132; jeweils m.w. N. 136 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 129 ff. 137 StE, Urt. Nr. 1277/2008; StE, Urt. Nr. 1388/2008. 138 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd 2, 2011, S. 130, m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Rechtsvorschriften, die die Verwaltung zum Erlass des Verwaltungsaktes verpflichten.139 Im Fall von individuellen Rechtsakten, die aufgrund einer gebundenen Verwaltungsbefugnis erlassen worden sind, beschränkt sich die Aufhebungskontrolle auf das Urteil, ob der Gedankenprozess (bzw. der Syllogismus), der zu einer individuellen Regelung durch den Erlass des Verwaltungsaktes geführt hat, rechtmäßig ist. Dieses Urteil umfasst folgende Punkte: a) ob das Verwaltungsorgan die Rechtsnorm, die tatsächlich den jeweils vorliegenden Fall regelt, rechtmäßig angewandt und ihr die geeignete Auslegung gegeben hat; b) ob bei der Festlegung des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Rechtsnorm der Verwaltung kein Sachverhalts- oder Tatsachenirrtum unterlaufen ist; und c) ob die getroffene Regelung ein angemessenes Ergebnis der Subsumtion der festgestellten tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen unter der einschlägigen Norm ist.140 Es handelt sich somit um eine vollständige Rechtsanwendungskontrolle im Sinne einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.141 Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung beinhaltet die Aufhebungskontrolle zusätzlich die Prüfung der Frage, inwieweit die Verwaltung die äußersten Grenzen des Ermessens eingehalten hat. Darüber hinaus wird geprüft, ob die Verwaltung einen Ermessensfehlgebrauch gemacht hat, der dem Zweck der gesetzmäßigen Ermächtigung widerspricht.142 Bei Rechtsverordnungen besteht schließlich die gerichtliche Kontrolle hauptsächlich in der Überprüfung, ob sich die erlassene administrative Norm innerhalb der Rechtssetzungsbefugnis der Verwaltung befindet.143 Verstößt somit ein Verwaltungsakt gegen das materielle Umweltschutzrecht, bildet dies einen materiellen Gesetzesverstoß, d.h. einen Aufhebungsgrund. Eine Verwaltungsmaßnahme, die bestimmte Umweltschutzvorschriften verletzt, kann somit durch die Erhebung einer Aufhebungsklage aufgehoben werden. Beispielsweise unterliegt der Inhalt einer UVP-Studie der Aufhebungskontrolle des Staatsrates. Eine anscheinend mangelhafte UVP, die nicht den gesetzlichen Standards entspräche, könnte somit einen materiellen Gesetzesverstoß darstellen. Geprüft würde vor allem, ob der Inhalt der angegriffenen UVP-Studie im Einklang mit 139 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 131 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 144 ff. 140 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 131 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 144 ff. 141 Ebd. 142 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 133 ff. 143 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 134, m.w. N.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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dem Gesetz hinsichtlich des Umweltschutzes steht. Auch das Vorliegen oder Nichtvorliegen der realen Tatbestandsmerkmale in Bezug auf die ausreichende Rechtfertigung der Notwendigkeit des umstrittenen Vorhabens, die in der UVPStudie enthalten sind, sollten überprüft werden, um einen möglichen materiellen Gesetzesverstoß zu begründen.144 Es muss aber beachtet werden, dass die direkte Einschätzung der Rechtsprechung hinsichtlich der Auswirkungen eines Vorhabens sowie ihre Beurteilung, ob dieses Vorhaben gegen das Nachhaltigkeitsprinzip verstößt, über die Grenze der Aufhebungskontrolle hinausgeht. Denn solche Einschätzungen oder Beurteilungen setzen die substanzielle Beurteilung von realen Zuständen und Angaben, die Untersuchung komplexer, technischer Fragen sowie entsprechende Abwägungen voraus, die grundsätzlich nicht zum Prüfungsbereich der Aufhebungskontrolle gehören.145 e) Gewaltmissbrauch Gemäß Art. 48 S. 4 PVO 18/1989 liegt ein Gewaltmissbrauch vor, wenn ein Verwaltungsakt alle Voraussetzungen der Gesetzmäßigkeit erfüllt, er aber offenkundig einem anderen Zweck als dem Zweck, zu dem er erlassen wurde, dient.146 Ein Ermessensspielraum der Verwaltung ist insofern erforderlich.147 Die Rechtsprechung interpretiert den Inhalt des Gewaltmissbrauchs besonders restriktiv. Sie verlangt, dass der Aufhebungskläger den von der Verwaltung beabsichtigten anderen Zweck äußern und ihn durch überzeugende Nachweise beweisen kann.148 Ein Gewaltmissbrauch besteht z. B., wenn eine Verwaltungsmaßnahme nicht erforderlichen Zwecken des öffentlichen Interesses dient, sondern privaten oder persönlichen Interessen.149 Der Gewaltmissbrauch ist der h. M. der griechischen Rechtsprechung nach150 nicht beim nicht ordnungsgemäßen Erlass von 144 Vgl. StE, Urt. Nr. 1672/2005; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 218. 145 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2173/02; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 218. 146 Vgl. StE, Urt. Nr. 1066/1966; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 145 ff. 147 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 145 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 145 ff.; jeweils m.w. N. 148 Vgl. StE, Urt. Nr. 3149/2006; 4893/83; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 146, m.w. N. 149 Ein Gewaltmissbrauch ist z. B. die Abschaffung einer Straße durch Modifizierung des Stadtplans für die Bedienung privater Interessen (z. B. die Erweiterung einer Industrieanlage) statt für die Bedienung öffentlicher Interessen. Vgl. StE, Urt. Nr. 3149/ 2006; StE, Urt. Nr. 1886/1961. 150 Vgl. StE, Urt. Nr. 2644/1973; StE, Urt. Nr. 1221/78; StE, Urt. Nr. 4893/84; dagegen: P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 111 ff., m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Rechtsverordnungen denkbar, weil es sich in Wirklichkeit in diesem Fall eher um eine Überschreitung der durch die Verfassung oder das Gesetz eingeräumten Normsetzungsbefugnis der Verwaltung und nicht um einen Gewaltmissbrauch handele. In der Praxis misst die Rechtsprechung dem Aufhebungsgrund des Gewaltmissbrauchs nur eine Randbedeutung bei. In der Regel wird die Geltendmachung dieses Aufhebungsgrundes zurückgewiesen, es sei denn, dass die Aufhebungskläger offenkundig die vorsätzliche Verfolgung eines bestimmten Zweckes von Seiten der Behörde ausreichend belegen können, der gesetzwidrig ist.151 Auch im Bereich des Umweltrechtsschutzes spielt das Berufen auf diesen Aufhebungsgrund keine bedeutsame Rolle.
V. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes in Umweltangelegenheiten Besondere Bedeutung im Bereich des Umweltrechtsschutzes hat der Rechtsbehelf des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung einer Verwaltungsmaßnahme (gem. Art. 35 des Gesetzes Nr. 2721/99, der den Art. 52 PVO 18/52 modifiziert hat). Nach der Erhebung einer Aufhebungsklage kann der Aufhebungskläger, der ein rechtliches Interesse hat, durch einen weiteren Antrag die Aussetzung der Vollziehung des schon angefochtenen Verwaltungsaktes vor dem Staatsrat einfordern. Im griechischen Recht gibt es keine bestimmte Frist für die Einlegung dieses Rechtsbehelfes, so dass der Aufhebungskläger einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines umweltbelastenden Verwaltungsaktes jederzeit einlegen kann, soweit das zuständige Gericht kein rechtskräftiges Urteil zur Regelung der jeweils umstrittenen Verwaltungshandlung oder Unterlassung getroffen hat. Die Aussetzung der Vollziehung ist gesetzmäßig, soweit die Vollziehung des jeweils umstrittenen Verwaltungsaktes voraussichtlich irreversible oder schwerlich reversible Schäden verursachen kann.152 Darüber hinaus kann dieser Antrag angenommen werden, auch wenn das öffentliche Interesse es auferlegt, den angefochtenen Rechtsakt einzustellen. Das Vorliegen allerdings eines im Vergleich zu dem Zweck des angefochtenen Verwaltungsaktes vorrangigen öffentlichen Interesses kann auch zur Ablehnung dieses Antrages führen.153 Ein öffentliches Interesse könnte z. B. in der Einhaltung 151
Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 131 ff. Vgl. G. Siouti, HdUR, 1994, S. 940 ff.; dies., Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 127; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 178 ff.; M. Anastasopoulos, PerDik 1997, S. 193 ff.; K. Menoudakos, in: Juristengesellschaft Nordgriechenlands (Hrsg.), Der einstweilige Rechtsschutz bei verwaltungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten, 1994, S. 41 ff.; N.-K. Chlepas/E. Mertziou, Handbuch für den Bürger zum Umweltschutz, 1996, S. 49 ff.; jeweils m.w. N. 153 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Bd. 2, 2011, S. 181; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 127; jeweils m.w. N. 152
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
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der öffentlichen Ordnung, dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, dem Schutz des Waldes, der Sicherstellung der Wirtschaft (z. B. durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen), der Sicherung strategischer Bauwerke vorliegen.154 Eine Abwägung der jeweils kollidierenden Interessen (z. B. Umweltschutz gegen Wirtschaftsfreiheit) ist für die Annahme oder Ablehnung des Antrages ausschlaggebend. Der zuständige Ausschuss des griechischen Staatsrates für die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes kann darüber hinaus nach vorsichtiger Einschätzung der geltenden Zustände (Interessenabwägung) über das Treffen von besonderen Schutzmaßnahmen entscheiden.155 Der betroffene Antragsteller muss einen individuellen, unmittelbaren, konkreten und ausreichend begründeten Schaden bzw. eine diesen Kriterien entsprechende Beeinträchtigung beweisen.156 Die Annahme oder Ablehnung dieses Antrags wird von dem sog. Aussetzungsausschuss des griechischen Staatsrates beurteilt. Die Entscheidung des Aussetzungsausschusses entfaltet vorläufige Rechtskraft, an die die Verwaltung gebunden ist.157 Insofern darf die Verwaltung bis zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung des zuständigen Ausschusses keinen Verwaltungsakt erlassen, der die Beseitigung der Wirkung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes bezweckt.158 Die Rechtsprechung des sog. Aussetzungsausschusses des Staatsrates hat das Vorliegen eines irreversiblen Schadens bei folgenden indizierenden Fällen angenommen: Es handelt sich beispielsweise um die durch die Ausführung eines Bauvorhabens hervorgerufene erhebliche Zerstörung von Plantagen und landwirtschaftlichen Anbauflächen159; die gesetzwidrige Zerstörung oder das Fällen von Obst- oder Olivenbäumen160; die Zerstörung eines Waldes161; die hochwahrscheinliche Gefahr des Kahlschlags von Waldflächen162 (etwa durch die Asphaltierung einer Autobahn163); die willkürliche Veränderung des Waldcharakters ei154 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Bd. 2, 2011, S. 181; P. Dagtoglou, ToS 1986, S. 425 ff., m.w. N. 155 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 134 ff., m.w. N. 156 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Bd. 2, 2011, S. 178 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts 2011, S. 127; jeweils m.w. N. 157 Vgl. StE, Urt. Nr. 4611/2009. 158 Vgl. StE, Urt. Nr. 3312/2009; M. Anastasopoulos, PerDik 1997, S. 193 ff.; K. Menoudakos, in: Juristengesellschaft Nordgriechenlands (Hrsg.), Der einstweilige Rechtsschutz bei verwaltungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten, 1994, S. 41 ff., jeweils m.w. N. 159 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 6/76; EA-StE, Urt. Nr. 38/1978. 160 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 84/76; EA-StE, Urt. Nr. 66/77; EA-StE, Urt. Nr. 79/77; EAStE, Urt. Nr. 62/79; EA-StE, Urt. Nr. 78/79; EA-StE, Urt. Nr. 302/79; EA-StE, Urt. Nr. 219/80; EA-StE, Urt. Nr. 188/87; EA-StE, Urt. Nr. 244/89; EA-StE, Urt. Nr. 265/91. 161 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 125/77; EA-StE, Urt. Nr. 289–290/91. 162 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 29/81. 163 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 779/98.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
nes Grundstücks164 sowie die durch die Erteilung einer Baugenehmigung hervorgerufene wesentliche Veränderung der Umweltzustände eines Gebietes, etwa die wesentliche Veränderung der Landschaft, der Ästhetik sowie der Morphologie bzw. der natürlichen Gestalt der Küste165 oder des Bodens166 oder im Allgemeinen des Lebensraumes167; die Verursachung von Gesundheitsschäden der Einwohner eines Nachbargebietes sowie die Umweltbelastung durch den nicht gesetzmäßigen Betrieb einer Anlage (etwa eines Schweinestalls);168 die Verschlechterung der Lebensbedingungen eines Gebäudekomplexes durch die Verwirklichung eines Bauvorhabens, die zur wesentlichen Einschränkung der Lüftung sowie der Beleuchtung der betroffenen Nachbarn führt169; die hochwahrscheinlich wesentliche Beeinträchtigung eines Pinienwaldes durch die Kanalisation von Abwässern, die aus einer Mülldeponie ausfließen170; die irreversible Veränderung sowie die erhebliche Beeinträchtigung eines Meeres- und Küstenökosystems aufgrund der Errichtung und Betrieb eines Ankerplatzes für Schiffe171; die erhebliche Beeinträchtigung eines geschützten FFH-Feuchtgebiets durch den Bau von Golfanlagen172; die wesentliche Änderung des Flusslaufs sowie der nebenflüssigen Ökosysteme durch die Errichtung eines Staudammes.173 Ein solcher Antrag kann ausnahmsweise auch angenommen werden, selbst wenn der angefochtene Verwaltungsakt keine wesentliche Beeinträchtigung verursacht, soweit offensichtlich ist, dass er nicht zulässig ist (z. B., weil das erforderliche UVP-Vorverfahren kaum durchgeführt wurde).174 Theoretisch aber könnte umgekehrt ein solcher Antrag abgelehnt werden, auch wenn der angefochtene Verwaltungsakt irreversible Umweltschäden verursachen könnte, soweit offensichtlich ist, dass die Aufhebungsklage nicht zulässig ist.175 Es gibt gleichzeitig zahlreiche Fälle, in denen ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes abgelehnt wurde, da nicht ausreichend bestätigt werden konnte, dass der jeweils angefochtene Verwaltungsakt den Umweltschutz irreversibel beeinträchtigen könnte. Dies ist z. B. der Fall bei der Errichtung von Erneuerbare-Energie-Anlagen (z. B. Windparks)176, bei der Errichtung 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176
Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 479/92; EA-StE, Urt. Nr. 2002/2005. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 209/81. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 128/2011. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 205/84; EA-StE, Urt. Nr. 290/92. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 150/81. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 18/88; EA-StE, Urt. Nr. 484/92. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 167/97; EA-StE, Urt. Nr. 335/05. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 51/98. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 732/98. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 46/2001. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 876/03. Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 134. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 957/04.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
765
von Kläranlagen177 oder eines Radars für die sichere Kontrolle der Flüge in einem regionalen Flughafen178; bei der Installation von Hochspannungskabeln, die erforderlich sind für den Betrieb von strategischen Bauwerken (wie z. B. die Brücke von Rio-Antirrio oder Anlagen für den Transport von Elektrizität in Athen zur Sicherung der Stromversorgung).179 Durch Berufung auf das öffentliche Interesse wurden entsprechende Aussetzungsanträge gegen olympische Bauwerke (d.h. Werke für die Vorbereitung der Olympischen Spiele von Athen 2004) abgelehnt. Dies war z. B. der Fall beim Bau einer Autobahn, die die Verbesserung des Transports im sog. olympischen Verkehrsring beabsichtigte.180 Im Allgemeinen soll allerdings angemerkt werden, dass sich der griechische vorläufige Rechtsschutz im Bereich des Umweltrechts in der Praxis als weniger restriktiv und kompliziert im Vergleich zum deutschen vorläufigen Rechtsschutz181 erweist. Während im griechischen vorläufigen Umweltrechtsschutz das Kriterium des Beweises eines individuellen, unmittelbaren, konkreten und ausreichend begründeten irreversiblen oder schwerlich reversiblen Schadens von rechtlichen Interessen des Aufhebungsklägers durch den jeweils umstrittenen Verwaltungsakt ausschlaggebend für die Begründung dieses Rechtsbehelfes ist, ist demgegenüber im Bereich des deutschen vorläufigen Umweltrechtsschutzes das Kriterium des Beweises, dass im Rahmen einer Gesamtabwägung „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen, entscheidend. Dass der deutsche vorläufige Umweltrechtsschutz gem. des rechtlich umstrittenen § 4a Abs. 3 UmwRG.182 ausdrücklich nur auf den Begriff „ernstliche Zweifel“ abstellt, spricht eher dafür, dass der gerichtliche Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes dahingehend eingeschränkt ist.183 Es scheint, dass für die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im deutschen Recht primär die Erfolgsaussichten der jeweils umstrittenen Klage entscheidend sind, nicht jedoch die Vollzugsfolge.184 Im griechischen Recht sind jedoch die Folgen der Vollziehung des in Frage gestellten Rechtsaktes auf das rechtliche Interesse des Aufhebungsklägers maßgeblich für die Begründung des oben genannten Antrags. Dies führt offensichtlich zu einem umfangrei177
Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 762/93. Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 187/98. 179 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 562/99; EA-StE, Urt. Nr. 774/98. 180 Vgl. EA-StE, Urt. Nr. 743/01; E. Trowa, PerDik 2003, S. 242 ff. 181 Mehr über den deutschen vorläufigen Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten s. o. 1. Teil, 1. Kap., F., III., 7.; 1. Teil, 2. Kap., F., IV., m.w. N. 182 1. Teil, 3. Kap., F., IV. ff., m.w. N. 183 Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 2 184 So die Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Regierungsentwurf, BT-Drs. 17/10957, S. 27 ff.; s. o. 1. Teil, 3. Kap., 6.4. ff. 178
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
cheren vorläufigen Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten. Darüber hinaus – auch im Gegensatz zum deutschen Recht – entfällt ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung im griechischen Recht in bestimmten vorgeschriebenen Fällen nicht, etwa bei Widersprüchen und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die lukrative Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen.185
VI. Fazit Die völkerrechtlichen Anforderungen der sog. drei Säulen der AK über den Zugang zu Umweltinformationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten sowie die bisher daraus hervorgegangenen Richtlinien (UI-RL und ÖB-RL) sind auch vom griechischen Recht umgesetzt. Was die praktische Implementierung der zwei ersten Säulen der AK anbelangt, muss unterstrichen werden, dass es sich teilweise in der Praxis um eine typische und nicht substanzielle Umsetzung handelt. Denn die Transparenz und die angemessene Bekanntmachung der Umweltinformationen gegenüber der Öffentlichkeit sowie die Gewährleistung einer effizienten Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren erweist sich bislang im griechischen Recht als nicht ganz hinreichend. Hinsichtlich des Zugangs Dritter zu Gerichten in Umweltangelegenheiten spielt der Rechtsbehelf der Aufhebungsklage eine zentrale Rolle. Hier soll zunächst erwähnt werden, dass die griechische verwaltungsprozessuale Ordnung zwischen materiellen Verwaltungsrechtsstreitigkeiten und Veraltungsstreitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten unterscheidet. Während sich die materiellen Verwaltungsstreitigkeiten auf subjektive Rechte des Berechtigten beziehen, erfassen die Verwaltungsstreitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten auch bloße Interessen des Betroffenen. Einerseits zielen die Gerichtsverfahren bei den materiellen Verwaltungsrechtsstreitigkeiten auf die Wiedergutmachung der Verletzung subjektiver Rechte ab. Andererseits bezwecken die Aufhebungsklagen die Befriedigung eines gesetzmäßigen Interesses des Betroffenen und die Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit. Diese Unterscheidung geschieht in Wirklichkeit nicht aufgrund ihres angeblich unterschiedlichen Inhalts, sondern wegen der Struktur und des Umfangs des Gerichtsschutzes, der im einen oder im anderen Fall gewährt wird. Sie ist somit in Wirklichkeit rein prozessrechtlicher Natur. Jedenfalls werden die Verwaltungsakte generell im griechischen Verwaltungsrecht auf ihre Rechtmäßigkeit und/oder materielle Richtigkeit nach einheitlichen prozessrechtlichen Kontrollmaßstäben überprüft, deren Intensität formell von ihrer Einordnung als materielle Verwaltungsstreitigkeit oder als Verwaltungsstreitigkeit über die Aufhebung von Rechtsakten und innerhalb jeder einzelnen Kate185 Hinsichtlich des relevanten deutschen Rechts vgl. etwa § 212a Abs. 1 BauGB; mehr dazu in 1. Teil, 1. Kap., F., IV, 7.
B. Die Aufhebungsklage im griechischen Verwaltungsrecht
767
gorie vom materiellen Gesetzesrecht entscheidend abhängt. Die gerichtliche Kontrolle umweltbezogener Maßnahmen unterliegt im Prinzip den allgemeinen Regeln der gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen der Verwaltung, die aber häufig mangels hinreichender Kenntnis begrenzt ist. Ähnlich verhält es sich im deutschen System der gerichtlichen Kontrolle. Von Bedeutung ist, dass im Fall der Verwaltungsstreitigkeiten der Drittkläger über die Aufhebung von Rechtsakten – im Kontrast zum restriktiven, deutschen Individualrechtsschutzsystem – nicht daran gehindert wird, eine Aufhebungsklage auch bei Verletzung seiner Interessen zu erheben, wenn diese Interessen auf dem Gesetz selbst beruhen. Vor diesem Hintergrund kann somit auch Verwaltungshandeln, welches kollektive Umweltgüter im Außenbereich rechtswidrig belastet, von Drittklägern angefochten werden, soweit die Kläger nachweisbar belegen, dass ihre Interessen dadurch verletzt sind oder verletzt werden können. Dies ist damit zu begründen, dass ein solches Verwaltungshandeln unter anderem die Lebensgrundlagen im weiten Sinne der Drittkläger willkürlich verschlechtern kann. Dafür spricht auch die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes als Grundrecht gem. Art. 24 gr. V. Jede umweltbezogene Handlung oder Unterlassung der Verwaltung, die Rechte oder Interessen des Klägers belastet, kann somit durch eine Aufhebungsklage vor dem Staatsrat angefochten werden. Genauso wie die individuellen Verwaltungsakte können auch Rechtsverordnungen mit der Aufhebungsklage angefochten werden. In diesem Zusammenhang ist auch hervorzuheben, dass das griechische Recht ebenso einen umfangreichen gerichtlichen Schutz im Fall der Verletzung von umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensanforderungen gewährleistet. Anfechtbar sind im griechischen Recht die sog. „wesentlichen“ Verfahrensanforderungen. Hauptkriterium für die Bestimmung einer „wesentlichen“ Verwaltungsverfahrensanforderung ist vor allem die Bedeutung der Verletzung dieser Anforderung für den Schutz der Rechtsposition des verwaltenden Bürgers. Die Verwaltungsverfahrensanforderungen sind meistens als „wesentlich“ anzusehen, so dass ihre Nichteinhaltung oder Unterlassung zur Aufhebung des formell rechtsfehlerhaften Aktes führt. Das griechische Verwaltungsprozessrecht unterscheidet sich somit in diesem Bereich von der deutschen Verfahrensfehlerlehre, nach welcher Verfahrensfehler trotz fehlender Heilung unbeachtlich sind, wenn offensichtlich ist, dass keine Auswirkung auf die Sachentscheidung gegeben ist. Auch der griechische vorläufige Rechtsschutz im Bereich des Umweltrechts erweist sich in der Praxis als weniger restriktiv im Vergleich zum deutschen vorläufigen Rechtsschutz. Während im griechischen vorläufigen Umweltrechtsschutz das Kriterium des Beweises eines individuellen, unmittelbaren, konkreten und ausreichend begründeten irreversiblen oder schwerlich reversiblen Schadens von rechtlichen Interessen des Aufhebungsklägers durch den jeweils umstrittenen Verwaltungsakt ausschlaggebend für die Begründung dieses Rechtsbehelfes ist,
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
ist es demgegenüber im Bereich des deutschen vorläufigen Umweltrechtsschutzes das Kriterium des Beweises, dass im Rahmen einer Gesamtabwägung „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Abgesehen von den bereits skizzierten Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen für die Erhebung einer Aufhebungsklage spielt für den erweiterten Umfang der Klagebefugnis Drittbetroffener im griechischen Umweltschutzrecht vor allem die Zulässigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers eine entscheidende Rolle. Denn diese Voraussetzung bestimmt in der Tat die Grenzen der Reichweite der Klagebefugnis von Drittklägern in Umweltangelegenheiten. Gerade diese Voraussetzung soll im Folgenden auch im Zusammenhang mit der griechischen umweltschützenden Verbandsklage analysiert werden.
C. Das rechtliche Interesse im Rahmen des umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses I. Allgemeines zur erweiterten Auslegung des rechtlichen Interesses in Umweltangelegenheiten Eine Vertiefung des Begriffs des rechtlichen Interesses ist insbesondere im Bereich des Umweltrechts notwendig. Denn die Erweiterung der Auslegung des rechtlichen Interesses, die ausnahmsweise im Rahmen des umweltbezogenen und umweltschützenden Aufhebungsklageprozesses gilt, ist Anlass für eine umfangreiche Rechtsprechung, die möglichst vielen Bürgern und juristischen Personen den Weg zum umweltrechtlichen Gerichtsschutz zu öffnen versucht, ohne jedoch die gesetzlich ausgeschlossene „actio popularis“ einzuführen.186 Vor diesem Hintergrund stellt die umweltschützende Aufhebungsklage ein effektives Instrument für den Schutz des Allgemeininteresses dar.187 Im Gegensatz zum deutschen Recht ist hervorzuheben, dass es im griechischen Recht keine spezielle Vorschrift gibt, die eine altruistische VK oder eine sonstige im Bereich des Umweltrechts bestimmt. Trotzdem ergibt sich aus der griechischen Verfassung eindeutig die Möglichkeit für Drittbetroffene (Art. 20 und Art. 24 Abs. 1 gr. V.) in Verbindung mit den verwaltungsprozessualen Vorschriften der Aufhebungsklage (aufgrund Art. 47 der Nr.18/1989 PVO) eine umfangreiche umweltschutzrechtliche Interessentenklage188 zu stellen. 186 Vgl. W. Rotis, ToS 1986, S. 553 ff.; K. Menoudakos, NkF 1997, S. 9 ff.; G. Siouti, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1205 ff. 187 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 261 ff. 188 Mehr darüber s. o. W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 12 ff. Die Interessentenklage ist keine Popularklage und trotzdem von der Verletztenklage zu unterscheiden. Der Kreis der anfechtungsberechtigten Personen ist größer als bei der Verletztenklage. Sie bezieht sich auf subjektiv-öffentliche Interessen des Klägers.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
769
Obwohl die griechische Verfassung für den gerichtlichen Rechtsschutz von in erster Linie subjektiven und rechtlichen Interessen und mithin für den primär subjektiv-rechtlichen Charakter auch des Verwaltungsprozesses steht, finden sich in den geltenden Verwaltungsverfahrensgesetzen bei der verwaltungsgerichtlichen Aufhebungskontrolle bestimmte objektiv-rechtliche Elemente, die sich unmittelbar oder indirekt auf Verletzungen des objektiven Rechts – vor allem im Bereich des Umweltrechts – beziehen, ohne dadurch den Schutz subjektiver Rechte in Frage zu stellen.189 Im Gegenteil erweitern diese Elemente deren Schutz, indem sie einer immer größer werdenden Zahl von Bürgern die Klagebefugnis zuerkennen, die sie zur Stellung der Aufhebungsklage gegen die betreffenden Verwaltungsakte berechtigt. Diese Erweiterung wird sogar als eine mittelbare Anerkennung von subjektiven öffentlichen Rechten angesehen.190 Schon während der Diskussion zur Änderung des Art. 24 gr. V. im Jahr 2001 wurde sogar angemerkt, dass es notwendig sei, das rechtliche Interesse zu generalisieren, so dass jedem Bürger die Möglichkeit offen steht, sein Grundrecht auf Umweltschutz wahrzunehmen und zwar unabhängig von seinem Wohnsitz.191 Damit wird schon erkennbar, dass der griechische Verfassungsgeber fast zur Einführung einer Popularklage gegen Umweltbeeinträchtigungen tendiert. Eine weite Ausdehnung des Begriffs des rechtlichen Interesses im griechischen Recht war damit zu erwarten.192 Bei der Konkretisierung und Ausgestaltung der besonderen Kriterien des rechtlichen Interesses insbesondere in den Fällen, in denen Aufhebungsklagen von Dritten gegen Verwaltungsentscheidungen eingelegt werden, die die Umwelt betreffen, hat die Rechtsprechung des Staatsrates einen wertvollen Beitrag geleistet, indem sie den Kreis der klagebefugten Dritten erheblich erweitert hat.193 Wegen der Rechtsnatur und Eigenart der Umwelt als kollektives Rechtsgut, dessen gerichtlicher Schutz durch die Aufhebungsklage angestrebt wird, stellt sich dabei erneut die Frage nach dem spezifischen Charakter dieses Rechtsbe-
189 Vgl. StE, Urt. v. 4046/95; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 177 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 90; jeweils m.w. N. 190 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 179 ff. 191 Amtliche Protokolle der Plenarsitzungen des Griechischen Parlaments, Sitzung PH’, 2001, S. 237. 192 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 272. 193 Vgl. K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen, 1989, S. 373 ff.; W. Skouris, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), 1982, S. 373; W. Rotis, ToS 1986, S. 553 ff.; K. Menoudakos, NkF 1997, S. 9 ff.; G. Siouti, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1205 ff.
770
2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
helfs. Die Annahme der Ansicht, dass die Umwelt ein kollektives Rechtsgut darstellt, im Zusammenhang mit dem Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip, das im Art. 24 Abs. 1 gr. V. sowie im Art. 191 Abs. 2 AEUV verankert ist, führt unvermeidbar zu einer Erweiterung der Auslegung der Zulassungsvoraussetzung des rechtlichen Interesses im Aufhebungsklageprozess. Darüber hinaus führt sie zur Anknüpfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Aufhebungsklage an die Verletzung öffentlicher Sachen, die zwar zu einem weiteren oder engeren Kreis von Bürgern gehören, keineswegs jedoch zu einer stricto sensu individualisierten Gruppengemeinschaft. Solche öffentlichen oder „gemeinnützlichen“ Sachen sind offensichtlich Umweltgüter (z. B. Luft, Meer, öffentlicher Wald, Strände usw.). Daraus ergibt sich zugunsten der Allgemeinheit das Recht, diese Umweltgüter zu nutzen und zu genießen.194 Zweifellos ist der Umweltschutz nach dem griechischen Recht eine andeutende Form des Schutzes des öffentlichen Allgemeininteresses, da die Umweltgüter eine öffentliche, natürliche Ressource darstellen, deren Erhaltung dem Staat von der Gesellschaft vergeben bzw. anvertraut wird.195 Infolgedessen betrifft die Erhaltung von Umweltgütern, wenn zwar nicht die ganze Gesellschaft, dann doch zumindest eine erweiterte Anzahl von Individuen, die eine spezielle Rechtsbeziehung (d.h. ein rechtliches Interesse) zu der jeweiligen Umweltschädigung haben.196 In diesem Sinne wird das Grundrecht auf intakte Umwelt (gem. Art. 24 gr. V.) auch als soziales, überindividuelles Recht bezeichnet.197 Unterlässt oder verletzt der Staat diese Verpflichtungen, ist somit eine große Zahl von natürlichen und juristischen Personen berechtigt, den Umweltschutz gerichtlich anzufordern. Aus Art. 24 Abs. 1 gr. V. ergibt sich nicht nur die direkte Verpflichtung der Verwaltung, geeignete umweltschutzrechtliche Maßnahmen zu treffen.198 Zugleich sind die Gerichte dazu verpflichtet, die Harmonisierung der Verwaltungsmaßnahmen mit den verfassungsrechtlichen Pflichten der Verwaltung zu kontrollieren.199 Vor diesem Hintergrund tendiert die Rechtsprechung des Staatsrates dazu, den Begriff und die Voraussetzungen des rechtlichen Interesses (persönlich, unmittelbar, gegenwärtig) im Gebiet des Umweltrechts objektiv, also nicht rein subjektiv, auszulegen.200 194 Vgl. I. Karakostas, PerDik 2000, S. 235 ff.; G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 261 ff.; dies., Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 101 ff. 195 Vgl. D. Nikolopoulou, DiDik 1990, S. 753 ff. 196 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 262 ff. 197 Vgl. W. Rotis, Öffnungen der Rechtsprechung in Bezug auf den Umweltschutz, 1984, S. 1 ff. 198 Mehr dazu s. o. 2. Teil, 1. Kap., B., III., 1. ff. 199 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 265. 200 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 128 ff.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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II. Begriff und Umfang des rechtlichen Interesses im griechischen Umweltrecht Wie schon erwähnt, hat der griechische Gesetzgeber bewusst – genauso wie der deutsche Bundesgesetzgeber – die Popularklage ausgeschlossen und damit die Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht jedweder Person überlassen, die sich für das rechtlich einwandfreie Funktionieren der Verwaltung interessiert.201 Der Rechtsprechung des Staatsrates nach ist für die Zulässigkeit der Klagebefugnis eines Aufhebungsklägers das Vorliegen eines Schadens, der ein eigenes Recht oder sein rechtliches Interesse betrifft. So hat z. B. der Staatsrat die Aufhebungsklage einer natürlichen Person gegen einen Verwaltungsakt bezüglich der Raumordnung von Bauprojekten der olympischen Spielen (Athen 2004) für unzulässig erklärt, weil er keinen konkreten Schaden geltend gemacht hat.202 Der Gesetzgeber beschränkt daraufhin den Kreis der klageberechtigen Personen entweder auf bestimmte speziell umschriebene Kategorien von vermutlich Betroffenen oder auf die unmittelbar durch den Verwaltungsakt belasteten Personen, soweit sie plausibel geltend machen können, dass der angefochtene Rechtsakt ihre rechtlichen Interessen verletzt.203 Der Begriff des rechtlichen Interesses ist als Voraussetzung der Zulässigkeit der Aufhebungsklage im Art. 47 der Nr. 18/1989 PVO bestimmt.204 Art. 47 Abs. 1 PVO Nr. 18/1989 lautet: „Eine natürliche oder eine juristische Person sind berechtigt eine Aufhebungsklage gegen einen Verwaltungsakt zu erheben, soweit sie dadurch betroffen sind, oder deren rechtliche Interessen, auch immaterieller Art durch den angefochtenen Verwaltungsakt verletzt werden.“ 205
Das rechtliche Interesse ist – der herrschenden Lehre nach – jeder Vorteil oder jede Begünstigung, die dem Einzelnen durch Rechtsnormen verschafft wird, welche die Verwaltung zu einer Handlung oder Unterlassung verpflichten.206 Ein rechtliches Interesse sollte somit nicht nur gegen das geltende objektive Recht verstoßen.207
201
Vgl. StE, Urt. Nr. 3608/80; StE, Urt. Nr. 3606/71; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 81 ff.; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 102 ff., S. 110 ff., 214 ff., m.w. N. 202 StE, Urt. v. 2510/2002. 203 Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 227 ff. 204 Mehr darüber: E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2011, S. 81 ff., m.w. N. 205 Vgl. I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2000, S. 170. 206 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 298 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 128. 207 Ebd.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Im griechischen Recht stellt sich die Rechtsfigur des rechtlichen Interesses auch als Rechtsreflex dar, d.h. als für den jeweiligen Rechtsträger günstige Auswirkung von objektiven Rechtssätzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die eine Verpflichtung der Verwaltung begründen, ohne den Bestand an Rechten und Pflichten der Rechtsträger unmittelbar zu verändern.208 So hat der Bürger ein rechtliches Interesse an der Einhaltung der Normen z. B. den Umweltschutz oder den Städtebau betreffend, die der Verwaltung eine Reihe von Pflichten auferlegen, ohne dass diese dem Bürger unmittelbar subjektive öffentliche Rechte gewähren, deren Einhaltung aber einen ihm günstigen Zustand schafft oder sicherstellt, solange eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem Aufhebungskläger und dem jeweils umstrittenen Verwaltungsakt vorliegt.209 Es reicht somit aus, wenn die relevanten Interessen des Aufhebungsklägers vom objektiven Recht als rechtsschutzwürdig anerkannt werden.210 Eine intakte Umwelt ist ein solcher begünstigender Zustand. Angesichts der Tatsache, dass die Umweltmedien (Boden, Luft, Gewässer, Natur u. a.) in der griechischen Rechtsordnung als Allgemeingüter bzw. als gemeinnützige Sachen anerkannt sind, auf deren Nutzung, Gebrauch und Genuss jeder Einzelne ein individuelles Recht besitzt,211 kann der Schluss gezogen werden, dass der Einzelne dementsprechend über ein rechtliches Interesse an der Einhaltung jeder Norm verfügt, die den Staat zum Umweltschutz verpflichtet. Dies gilt, auch wenn ihm die Verfassung unmittelbar kein individuelles Recht gewährleistet, soweit ihm die Bewahrung der in Frage gestellten umweltschützenden Norm einen mindestens reflexartigen Vorteil oder eine tatsächliche Begünstigung verschafft.212 Eine solche Begünstigung bzw. ein solcher reflexartiger Vorteil ist im griechischen Rechtsschutzsystem ausreichend, um eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem Aufhebungskläger und dem Verwaltungsakt zu schaffen und sein rechtliches Interesse zu begründen.213 Das Vorliegen des rechtlichen Interesses wird zunächst vom Gesetz selbst vermutet, wenn die Aufhebungsklage von dem Adressaten bzw. dem unmittelbar durch den angefochtenen Verwaltungsakt „Betroffenen“ erhoben wird. Hierbei ist das rechtliche Interesse einem subjektiven Recht gleichgestellt. Eine dritte Per208 Vgl. D. Nikas, Die rechtliche Problematik des Umweltschutzes, 1985, S. 247; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 82 ff. 209 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 128; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 82 ff. 210 Ebd. 211 Vgl. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 82 ff.; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 102 ff., S. 214 ff.; I. Karakostas, Umwelt und Recht, 2006, S. 324 ff. 212 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 298. 213 Ebd.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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son, die durch einen adressatenlosen Rechtsakt indirekt betroffen ist, muss immer das Vorliegen ihres rechtlichen Interesses geltend machen, um ihre Klagebefugnis zu begründen.214 Eine weitere Kategorie von Fällen, in denen die plausible Geltendmachung eines speziellen rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers erforderlich ist, betrifft Verwaltungsakte, die sich auch an einen Dritten richten können. In diesem Fall muss zwischen begünstigenden und belastenden Akten unterschieden werden.215 Dabei können begünstigende Verwaltungsakte belastende Auswirkungen für Dritte entfalten, deren Interessen bei objektiver Betrachtung in unmittelbarem Gegensatz zu den Interessen des Adressaten stehen. Dritte haben dann ein rechtliches Interesse, gegen diese Rechtsakte unter Berufung auf deren objektive Rechtswidrigkeit gerichtlich vorzugehen.216 Gegebenenfalls haben Dritte auch ein rechtliches Interesse an der Aufhebung von Verwaltungsakten, die den Adressaten belasten, wenn sich die belastenden Rechtsfolgen des Verwaltungsaktes auf sie erstrecken.217 Dies gilt vor allem für die Fälle, in denen der angegriffene Verwaltungsakt seine Adressaten entweder überhaupt nicht (z. B. bei Rechtsverordnungen) oder jedenfalls nicht individuell (gegebenenfalls bei allgemeinen oder Sammelverfügungen, z. B. einem Raumordnungsplan) bestimmt. In diesen Fällen muss der Aufhebungskläger begründet geltend machen, dass sein rechtliches Interesse durch den umstrittenen Rechtsakt beeinträchtigt wird. Ein solches rechtliches Interesse können auch juristische Personen (hauptsächlich Berufsgenossenschaften oder Vereinigungen) bei der Anfechtung von Rechtsakten geltend machen, die nicht nur eigene Interessen, sondern auch rechtliche Interessen der Gesamtheit oder der Mehrheit ihrer Mitglieder berühren. Allerdings müssen sich diese Interessen auf den durch Satzung oder Gesetz festgelegten Zweck der juristischen Person beziehen.218
214
Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 257 ff. Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 132 ff. 216 So sind z. B. die Nachbarn eines Grundstückes, auf dem die Inbetriebnahme einer Fabrik zugelassen wurde, klagebefugt. Gleiches gilt aber auch für die Konkurrenten des Adressaten einer Gewerbeerlaubnis, wenn sie eine Aufhebungsklage gegen rechtswidrige umweltbelastende Verwaltungsakte einreichen; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/ E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 132 ff. 217 Vgl. StE, Urt. Nr. 3449/74, 165/63; W. Skouris, Die Erhebung der Aufhebungsklage durch Dritte, 1982, S. 380 ff. 218 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 83/2005; StE, Urt. Nr. 2196/82; StE, Urt. Nr. 2301/95; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 204 ff., S. 214 ff., m.w. N. 215
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Wie schon anfänglich erwähnt wurde, sind auch Gemeinden, Städte, Kommunen sowie Präfekturen dazu berechtigt, eine umweltschützende Aufhebungsklage zu erheben.219 Das rechtliche Interesse dieser juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird aus ihrer Zuständigkeit begründet, für die Angelegenheiten ihres Zuständigkeitsgebietes zu sorgen und dazu Entscheidungen zu treffen. Erforderlich dafür ist, dass der umstrittene Verwaltungsakt umweltbezogene Zuständigkeiten dieser regionalen Behörde (z. B. Raumordnungs- und Bauplanungsangelegenheiten, Erteilung von Anlagegenehmigungen, Erhaltung der Forstressourcen oder des Artenschutzes u. a.) betrifft. Das jeweils in Frage gestellte schützende Umweltgut sollte sich i. d. R. innerhalb der verwaltungsrechtlichen Aufsichtsgrenzen der Gemeinde oder der Kommune befinden.220 Der erweiterte Umfang des rechtlichen Interesses im speziellen Bereich des Umweltrechts trägt zur Stärkung des Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten zum Zweck der Bekämpfung von Umweltdefiziten bei. Er stellt im Prinzip eine praktische Anwendung des Demokratieprinzips dar.221 Da die griechische umweltbezogene Aufhebungsklage – der Sache nach – grundsätzlich von Nichtadressaten (Dritten) erhoben wird, beschränkt sich die hier unternommene Analyse nur auf die Kategorie der Nichtadressatenklage.
III. Voraussetzungen des rechtlichen Interesses Das rechtliche Interesse wird von der Rechtsordnung als rechtsschutzwürdig und rechtsschutzbedürftig anerkannt, wenn es persönlich, unmittelbar und gegenwärtig ist. 1. Persönliches rechtliches Interesse Persönlich oder individuell ist das rechtliche Interesse, das dem Kläger aus einer besonderen Rechtsbeziehung zur angegriffenen Verwaltungshandlung oder Unterlassung erwächst, die ihn aus der Allgemeinheit heraushebt.222 Diese Rechtsbeziehung des Aufhebungsklägers zu dem Sachverhalt muss unter einer bestimmten Eigenschaft von der Rechtsordnung anerkannt werden. Gerade diese Rechtsbeziehung soll durch die angegriffene Verwaltungshandlung oder Unter-
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s. o. 2. Teil, Einleitung; s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., V. Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 83/2005; StE, Urt. Nr. 2196/82; StE, Urt. Nr. 2301/95; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 215 ff., 220 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 307 ff.; jeweils m.w. N. 221 Vgl. A. Sakellaropoulos, FS für den Staatsrat, 1982, S. 347. 222 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 102 ff.; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 86 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 129. 220
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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lassung belastet werden.223 Durch den persönlichen Charakter des rechtlichen Interesses wird vermieden, dass sich die Aufhebungsklage zur Popularklage verwandelt. Das rechtliche Interesse muss allerdings nicht ausschließlich und unbedingt auf Seiten des Klägers liegen. Es reicht aus, wenn das geltend gemachte Interesse einem bestimmten Kreis von Personen gemeinsam ist, zu dem auch der Kläger gehört, wenn diese durch geografische, wirtschaftliche oder kulturelle Gemeinsamkeiten miteinander verbunden sind, wie z. B. die Personen, die in einer Gemeinde wohnen, einer Vereinigung oder einer Gesellschaft angehören oder einen gemeinsamen Beruf ausüben.224 Persönlich kann auch das rechtliche Interesse einer juristischen Person sein.225 Das wird besonders bei Personenvereinigungen (Körperschaften, Vereine usw.) bedeutsam. Der Kreis der Betroffenen bestimmt sich insbesondere bei Personenvereinigungen (Körperschaften, Verbände u. a.) nach ihrer Satzung oder dem Gesetz. Aufgrund der Rechtsprechung des Staatsrates und dem Schrifttum ist eine Vereinigung legitimiert, Maßnahmen anzufechten, welche die Interessen ihrer Mitglieder berühren, wenn die Verteidigung dieser Interessen zu den Verbandszielen gehört. Der Staatsrat aber hält deutlich an der Forderung fest, dass entweder alle oder zumindest eine große Zahl der Vereinigungsmitglieder an der Aufhebung des streitigen Verwaltungsaktes rechtlich interessiert sein müssen, damit sie gegen die jeweils umstrittene Maßnahme kollektiv klagen können.226 Insbesondere aber im Bereich des Umweltrechts erkennt der Staatsrat die Begründung eines persönlichen Interesses bei nahezu jedem Satzungszweck an, auch wenn er nur vage formuliert ist.227 223 Vgl. z. B. StE, Urt. Nr., 2998/98; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 299. 224 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 129. 225 Charakteristisch dafür ist das StE, Urt. v. Nr. 4576/1977. 226 Vgl. W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 232; ders., FS für den Staatsrat (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 371 ff.; s. auch P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 129; C. Michailidou, PerDik 2007, S. 208 ff. 227 Vgl. StE, Urt. Nr. 284/61; StE, Urt. Nr. 4576/77; StE, Urt. Nr. 3404/84; StE, Urt. v. 3123/1964; StE, Urt. v. 4256/1979; StE, Urt. v. 2999/1983; StE, Urt. v. 5148/1987; StE, Urt. v. 3487/1989 z.B gem. StE, Urt. v. 4576/77 hat der Staatsrat anerkannt, dass z. B. die Rechtsanwaltskammern ein rechtliches Interesse an der Anfechtung einer umweltbelastender Verwaltungsmaßnahme hätten, weil nach der gesetzlich sanktionierten Satzung „den Rechtsanwaltskammern und ihren Verwaltungsräten die Beratung und Entscheidung über jede Frage, die die Rechtsanwaltskammer oder ihre Mitglieder als solche oder als Berufstand interessiert, sowie über jede Frage nationalen oder gesellschaftlichen Inhalts obliege“; s. auch P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 129; mehr dazu s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., VI.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Zu beachten ist, dass die Rechtsprechung des Staatsrates unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ein rechtliches Interesse zur Erhebung einer Aufhebungsklage gegen umweltbezogene Umweltverwaltungsakte auch einigen Personengruppen anerkennt, obwohl diese keine Rechtspersönlichkeit haben.228 Unter solche fallen z. B. die Bürger einer Gemeinde, die Bewohner einer Gegend, die Nachbarn einer Industrieanlage, die Eigentümer angrenzender Grundstücke.229 Unter dem Einfluss des Grundrechts auf Umweltschutz haben die Voraussetzungen des rechtlichen Interesses einen rechtlichen Inhalt, der nicht statisch und unveränderlich ist, sondern unmittelbar mit der Reichweite der Quelle, von der der konkrete Schaden ausgeht, und der Entfernung des Nachbarn zur Anlage zusammenhängt. In diesem Sinne kann man generell als „Nachbarn“ diejenigen Personen ansehen, die auf unrechtmäßige Weise von den Auswirkungen einer bestimmten Anlage oder Einrichtung betroffen sind und zugleich (in Abgrenzung von der Allgemeinheit) in einer bestimmten räumlichen und zeitlichen Beziehung zu ihrem Betrieb stehen.230 Was die Klagebefugnis von natürlichen Personen betrifft, die zwar ein rechtliches Interesse, aber kein subjektives Recht im strengen Sinne besitzen, ist entschieden worden, dass eine Aufhebungsklage von den Bewohnern eines in ihrer Umwelt geschädigten Gebiets erhoben werden kann ebenso wie von den Bewohnern benachbarter Gebiete, selbst wenn diese nicht in der Nähe des geschädigten Gebiets wohnen. Doch handelt es sich in all diesen Fällen nicht um eine Popularklage.231 Klagebefugt zur Anfechtung einer Verwaltungsmaßnahme, die die Umwelt eines bestimmten Gebiets belastet, können somit – der griechischen Rechtsprechung des Staatsrates nach – jeder einzelne Nachbar, Bewohner, Gemeindebürger sowie jede sich dort aufhaltende Person und überhaupt die Allgemeinheit in der betreffenden Region sein.232 Vor dem Hintergrund des schon dargestellten weiten Verständnisses des Umweltbegriffes als soziales und kollektives Recht sowie der verfassungsmäßigen Gewährleistung des Grundrechts auf Umweltschutz in der griechischen Rechtsordnung wird ständig durch die griechische Rechtsprechung insbesondere in Umweltangelegenheiten auch der Begriff des von Umweltbeeinträchtigungen drittbetroffenen Nachbarn weit ausgelegt. Denn vor allem bei Immissionsbeein228
Mehr dazu s. u. 2. Teil, 2. Kap., C., VI., 2. Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 300, m.w. N. 230 Vgl. StE, Urt. Nr. 3047/80; K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen, 1989, S. 183; A. Sakellaropoulos, in: FS für den Staatsrat (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 311 ff.; S. 135. 231 Vgl. G. Siouti, HdUR, 1994, S. 940 ff. 232 Vgl. StE, Urt. Nr. 4576/77, 1491/78, 1322/89; A. Tachos, Umweltschutzrecht, S. 73 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 179 ff. 229
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trächtigungen ist davon auszugehen, dass sie nicht nur auf ein überschaubares geografisches Gebiet, sondern auf einen weiten, meistens nicht präzise bestimmbaren Raum einwirken können. Daher können davon nicht nur die unmittelbaren Nachbarn der Immissions- oder Emissionsquelle, sondern auch Dritte betroffen sein. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass die Ausweitung von Immissionen grundsätzlich sowohl von der Eigenart der emittierenden Schadstoffe als auch von den jeweiligen klimatischen Bedingungen im Immissionseinwirkungsbereich abhängt. Außerdem kann eine Umweltbeeinträchtigung von verschiedenen zusammenwirkenden oder sogar einzelnen, isolierten Faktoren herrühren, wie Verkehrsimmissionen, Störungen und Immissionen der Industrie- und Gewerbeanlagen, gesetzwidrige Bauplanung usw. Allerdings ist es in der Regel nicht möglich, die genaue Quelle sowie die Schwere der umweltbezogenen Schäden präzise zu bestimmen. Eine restriktive Auslegung des persönlichen Elements des rechtlichen Interesses würde aber in der Praxis häufig zu der Nichtzulässigkeit der Aufhebungsklage Dritter in Umweltangelegenheiten führen. Dies würde aber offensichtlich gegen das Grundrecht auf Umweltschutz verstoßen.233 Im Gegensatz zum deutschen Recht ist somit im griechischen Recht das Vorliegen einer individuell bzw. nachbarschützenden Norm nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung dieses Rechtsbehelfs erforderlich, denn die Schutznormtheorie wurde in der griechischen Rechtsordnung nicht durchgesetzt. a) Die Rechtsfigur der ökologischen Nachbarschaft Unter den oben dargestellten Umständen hat die griechische Rechtsprechung schon Ende der 70er Jahre die Rechtsfigur der sog. „ökologischen Nachbarschaft“ 234 geschaffen, um die erhebliche Ausweitung der persönlichen rechtlichen Interessen bei der Erhebung einer Aufhebungsklage insbesondere von drittbetroffenen natürlichen Personen ausreichend zu begründen. Die Rechtsprechung des Staatsrates nimmt ständig an, dass insbesondere die natürlichen Personen, die eine Aufhebungsklage gegen umweltbezogene Verwaltungshandlungen oder Unterlassungen erheben wollen, bereits eine örtliche Beziehung mit der jeweils umstrittenen Umweltverschmutzungsquelle beweisen müssen, um das Kriterium des persönlichen rechtlichen Interesses hinreichend zu begründen. Diese Beziehung wurde von der Rechtsprechung als rechtliche Beziehung eingestuft. Das Vorliegen dieser rechtlichen Beziehung ist somit bislang ausreichend, um ein persönliches rechtliches Interesse des Aufhebungsklägers zu begründen.235 Eine genaue Abgrenzung der ökologischen Nachbarschaft ist bisher nicht vorgegeben. Denn der Abstand des Ortes des Schadensereignisses von der Quelle 233
Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 301 ff., m.w. N. Vgl. A. Sakellaropoulos, in: FS für den Staatsrat (1929–1979), Bd. 1, 1982, S. 348 ff.; vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 105 ff. 235 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 105 ff., m.w. N. 234
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
der Umweltbeeinträchtigung variiert meistens je nach den Besonderheiten des Einzelfalles. Infolgedessen beurteilt die Rechtsprechung die Vorlage dieses Elements in jedem konkreten Fall.236 Um jemanden als ökologischen Nachbarn zu bezeichnen, muss man darauf abstellen, ob er in einer derartigen geografischen Beziehung zur Verschmutzungsquelle steht, dass er direkt vom entstandenen ökologischen Schaden beeinträchtigt wird. Der Einwirkungsbereich der Umweltbelastungen, aber auch die mögliche geografische Ausweitung des eingetretenen oder des mit hoher Wahrscheinlichkeit künftig eintretenden Schadens wirken als Maßstäbe für die Bestimmung der ökologischen Nachbarschaft des jeweiligen Klägers. Auch der Umfang der Gefährlichkeit der Verschmutzungsquelle oder der eventuellen ökologischen Störung spielt dabei eine zentrale Rolle.237 In diesem Rahmen können beispielsweise folgende Aufhebungskläger als ökologische Nachbarn anerkannt werden: die Bewohner sowie die Bürger einer Gemeinde, deren Umweltgüter auf Grund bestimmter Faktoren wie z. B. Immissionen beeinträchtigt sind238; Bewohner benachbarter umweltbelasteter Siedlungen239; Eigentümer einer Ferienwohnung in einer umweltbelasteten Region240, auch wenn sie nicht gleichzeitig Bewohner dieses Gebietes sind241; Eigentümer von Grundstücken, die sich in der Nähe einer umweltverschmutzenden Anlage befinden.242 Die griechische Rechtsprechung des Staatsrates spricht grundsätzlich die Eigenschaft der Nachbarschaft allen Betroffenen in dem Gebiet zu, in dem die konkrete Anlage betrieben wird. Üblicherweise beschränkt sich die Erweiterung des rechtlichen Interesses auf das bestimmte umweltbelastete Gebiet, in dem der Aufhebungskläger wohnt oder Eigentum besitzt. Ausnahmsweise, aber insbesondere im Fall der Waldschädigung sowie der Verschmutzung der Küste dehnt die griechische Rechtsprechung des Staatsrates den Umfang des rechtlichen persönlichen Interesses von natürlichen Personen noch weiter aus.243 236
Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 301 ff. Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 302, m.w. N. 238 Vgl. StE, Urt. Nr. 2233/79; StE, Urt. Nr. 150/89; StE, Urt. Nr. 1682/2002. 239 Vgl. StE, Urt. Nr. 1163/2002; StE, Urt. Nr. 1071/94; StE, Urt. Nr. 1322/89. 240 Vgl. StE, Urt. Nr. 3047/80; StE, Urt. Nr. 3146/98; StE, Urt. Nr. 2293/98. 241 So hat der StE das rechtliche Interesse der Eigentümer und Mieter von Ferienhäusern und Grundstücken in der Nachbarschaft einer Raffinerie angenommen, um die Aufhebung der Genehmigung der Raffinerie zu fordern. Vgl. StE, Urt. Nr. 797/81; StE, Urt. Nr. 561/93. 242 So hat der StE das rechtliche Interesse der Eigentümer der an einem gemeinnützigen Grundstück angrenzender Grundstücke angenommen. Dadurch bezweckte es, die Aufhebung der Baugenehmigung eines neuen Rathauses auf dem gemeinnützigen Grundstück zu fordern. Vgl. StE, Urt. Nr. 1491/78; StE, Urt. Nr. 563/78; StE, Urt. Nr. 4726/95; StE, Urt. Nr. 148/2002. 243 Vgl. StE, Urt. v. 2381/94, 2753/94, 2756/94, 1790/99; G. Siouti, Umweltrecht, 2000, S. 33; s. u. 2. Teil, 2. Kap., C. 237
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Für die Begründung eines persönlichen rechtlichen Interesses von natürlichen Personen ist ein präziser Nachweis des Schadens in der griechischen Rechtsordnung nicht erforderlich, zumal die Aufhebungskläger, die Bewohner oder der ökologische Nachbar von einer umweltschädlichen verwaltungsrechtlichen Handlung oder Unterlassung als betroffen gelten.244 Die Aufhebungskläger als Bewohner und daher ökologische Nachbar im betreffenden Gebiet besitzen somit ohne weiteres ein rechtliches Interesse an der Aufhebung eines umweltbelastenden Rechtsaktes.245 Angesichts der Tatsache, dass die Schutznormtheorie nicht im griechischen Rechtsschutzsystem anwendbar ist, ist im Gegensatz zum deutschen Recht der Beweis eines besonderen Verhältnisses des Klägers zu der jeweils umweltbelastenden Anlage, dass eine engere räumliche Beziehung des Klägers mit der Störquelle begründen kann, die den Betroffenen von der Gesamtheit der Bewohner deutlich heraushebt, im griechischen Recht nicht erforderlich.246 Dies vereinfacht offensichtlich die Begründung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers und fördert einen weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für die Öffentlichkeit. Dies steht im Ergebnis in Einklang mit den Anforderungen des Grundrechts auf Umweltschutz. 2. Unmittelbares rechtliches Interesse Ferner muss das rechtliche Interesse unmittelbar sein, d.h. dem Kläger direkt und nicht etwa einem Dritten und nur mittelbar jenem zustehen. Mit anderen Worten muss der angefochtene umweltbelastende Rechtsakt bzw. die dadurch erzeugten Schäden direkt bei dem Aufhebungskläger eintreten und nicht bei einer dritten Person. Ausnahmen sind jedoch dort zulässig, wo der Gesetzgeber solche vorschreibt.247 Eine solche Ausnahme kann aus dem Grundrecht auf Umweltschutz gem. Art. 24 gr. V. zugunsten des Umweltschutzes im oben genannten Sinne248 abgeleitet werden.249 Dafür spricht der kollektive Charakter des Grund244 Vgl. StE, Urt. v. 89/81, 2739/87; K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrieund Gewerbeanlagen, 1989, S. 189 ff. 245 Es sollte beachtet werden, dass die griechische Rechtsprechung, insbesondere vor der Einführung des Grundrechts auf Umweltschutz in der griechischen Verfassung des Jahres 1975, einen vollen Beweis des Umfangs des verursachten Schadens des beschwerten Nachbarn verlangte. StE, Urt. Nr. 1428/69; StE, Urt. Nr. 1902/66; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 302, m.w. N. 246 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 304. Mehr zur Problematik der Einklagbarkeit von subjektiven öffentlichen Rechten im Rahmen der deutschen Schutznormtheorie in 1. Teil, 1. Kap., B., VI., 6. ff.; 1. Teil, 1. Kap., E., II. ff. 247 Vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 130. 248 s. o. 2. Teil, 1. Kap., B., I. 249 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 261.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
rechts auf Umweltschutz, der auch den Schutz von überindividuellen Umweltgütern gewährleisten soll,250 ohne streng individualisierte Verbindungen zwischen den Rechtsträgern und den umweltbelastenden verwaltungsrechtlichen Handlungen oder Unterlassungen zu verlangen. Denn die Annahme, dass die Umwelt ein kollektives Rechtsgut bildet, führt unvermeidlich zu einer Lockerung der Voraussetzungen der persönlichen und unmittelbaren Elemente, die ein rechtliches Interesse des Aufhebungsklägers begründen. Dadurch verbindet sich die Zulässigkeit einer Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten mit der Beeinträchtigung von Umweltgütern, die nicht streng individuell sind, sondern einen erweiterten Personenkreis einbeziehen.251 Vor diesem Hintergrund hat beispielsweise der Staatsrat eine Aufhebungsklage zugelassen, bei der sich der Aufhebungskläger für die Begründung der Unmittelbarkeit seines rechtlichen Interesses nicht nur auf die Schädigung seiner Gesundheit wegen der Immissionen einer Anlage berief, sondern auch auf die Gefährdung der Gesundheit seiner bereits kranken Mutter.252 Von Bedeutung ist, dass das rechtliche Interesse einer juristischen Person als persönlich und unmittelbar grundsätzlich unter folgenden Umständen anerkannt werden kann. 1. Wenn die verwaltungsrechtliche Handlung oder Unterlassung ein eigenes Interesse der juristischen Person (z. B. ihr Eigentum, ihre Funktion- und Organisationsweise) betrifft.253 2. Wenn die verwaltungsrechtliche Handlung oder Unterlassung ein rechtliches Interesse der Gesamtheit ihrer Mitglieder betrifft.254 3. Wenn die verwaltungsrechtliche Handlung oder Unterlassung ihre Satzungszwecke betrifft, die etwa auf den Schutz eines kollektiven Rechtsgutes (z. B. Umweltschutz)255 oder auf den Schutz eines sozialen Zwecks abzielen.256 Gerade der letzte Fall trägt zu einer erheblichen Erweiterung des rechtlichen Interesses von Verbänden bei, die deren Zugang zu Gerichten offensichtlich stärkt.257 3. Gegenwärtiges rechtliches Interesse Schließlich muss das rechtliche Interesse gegenwärtig sein. Dies bedeutet, dass es schon zur Zeit der Ausübung des Rechtsbehelfs vorhanden sein muss. Als ge-
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s. o. 2. Teil, 1. Kap., B., III., 1. ff. Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 261. 252 Vgl. StE, Urt. Nr. 930/82; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 316. 253 Vgl. StE, Urt. Nr. 4078/88. 254 Vgl. StE, Urt. Nr. 3433/82; StE, Urt. Nr. 656/84. 255 Vgl. StE, Urt. Nr. 3487/89. 256 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 99 ff., StE, Urt. Nr. 424/1976; StE, Urt. Nr. 3404/1984; StE, Urt. Nr. 3291/1988. 257 G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 103 ff. 251
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genwärtig wird aber auch ein rechtliches Interesse angesehen, dem in unmittelbarer Zukunft mit hinreichender Gewissheit eine Gefahr droht.258 Im Übrigen ist es nicht erforderlich, dass das rechtliche Interesse vermögensrechtlicher Natur ist; es kann auch immaterieller Art sein.259 Um zulässig zu sein, muss das rechtliche Interesse kumulativ zu folgenden Zeitpunkten vorliegen: a) beim Erlass des angegriffenen Verwaltungsakts, b) bei der Einlegung des Rechtsbehelfs und c) am Tag des Gerichtsurteils.260 Bezüglich der Umweltangelegenheiten stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit ein gegenwärtiges rechtliches Interesse auch bei Umweltbelastungen anzunehmen ist, obwohl noch kein Schaden durch diese verursacht worden ist. Im griechischen Recht wird durchaus angenommen, dass das rechtliche Interesse eines Rechtssubjekts auch dann als gegenwärtig angesehen wird, wenn ihm in unmittelbarer Zukunft eine gewisse Gefahr droht. Die Gewissheit der Gefahr soll so weit wie möglich ausgelegt werden, wenn es sich bei den bedrohten Rechtsgütern um Umweltmedien handelt. Ohne Zweifel legt die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates das Element der Gegenwärtigkeit des rechtlichen Interesses großzügig aus. Die griechische Rechtsprechung hält das rechtliche Interesse des Klägers für gegenwärtig, nicht nur wenn den Interessen des Klägers in unmittelbarer Zukunft mit voller wissenschaftlicher Gewissheit eine Gefahr droht, sondern auch, wenn letztlich schwerwiegende Indizien für mögliche Umweltschädigungen bestehen, die die rechtlichen Interessen des Klägers beeinträchtigen können.261 Für die Begründung der Gegenwärtigkeit des rechtlichen Interesses reicht im griechischen Recht bereits der Gefahrenverdacht eines Umweltschadens aus. Außerdem soll unter Beachtung des Nachhaltigkeitsprinzips Sorge für die zukünftigen Generationen getragen werden, so dass das rechtliche Interesse des Klägers auch dann als rechtsschutzbedürftig angesehen werden kann, wenn diesem eine Gefahr in mittelbarer Zukunft droht.262 So hat z. B. der Staatsrat die Zulässigkeit einer Aufhebungsklage der Nachbarn gegen die Genehmigung einer Steingrube bloß mit der Begründung bejaht, dass deren Geltendmachung, dass sich durch den Betrieb der Steingrube ihre Lebensqualität verschlechtere, weil damit der benachbarte Wald erheblich beeinträchtigt Vgl. G. Siouti, PerDik 2000, S. 32. Vgl. P. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1985, S. 231 ff. 260 Vgl. u. a. E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 2000, S. 472 ff. 261 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2000, S. 32; das ergibt sich aus dem Vorsorgeprinzip, insb. dem Vorbeugungsprinzip (174 Abs. 2 EGV); Staatsratsentscheidungen, 4503/97 mit Verweis auf L. Kraemer, Environmental Law, 2000, S. 16–18. 262 Vgl. StE, Urt. v. 2760/94; N. Rotis, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929–1979), Bd. 1, S. 133; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 316 ff. 258 259
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
werde und die Umwelt allgemein irreparabel verschmutzt werde, hinreichend plausibel war.263 Im Gegensatz dazu vertritt die Rechtsprechung des BVerwG264 die Ansicht, dass es sich dann um eine Gefahr handeln könnte, wenn der Kausalzusammenhang zwischen Anlagenbetrieb und möglichem Schaden eindeutig nachgewiesen ist. Eine bloße Vermutung reicht insofern dafür nicht aus. Bei einem durch bestehende Unsicherheiten über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gekennzeichneten Gefahrenverdacht fehle es hingegen an der Schutzpflicht des Staates.265 Dabei liegt beim Gefahrenverdacht in der Regel dann ein Risiko vor, das als Gefahr zu qualifizieren ist, wenn auf Basis vorhandener wissenschaftlicher Erkenntnisse die Wahrscheinlichkeit hinreichend groß ist oder sein wird, dass der prognostizierte Kausalverlauf zu einem Schaden führen wird.266 Im Rahmen der in Deutschland herrschenden Schutznormlehre besteht somit grundsätzlich die Notwendigkeit einer trennscharfen Abgrenzung von Gefahrenabwehr und Vorsorge. Dies liegt daran, dass unter den Einfluss der deutschen Schutznormtheorie dem Vorsorgeprinzip eine individualschützende Wirkung abgesprochen wird und diesem damit das Vorsorgegebot der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugunsten Drittbetroffener entzogen wird. Ansonsten würde die Einklagbarkeit von nicht konkret zurechenbaren und nicht ausreichend individualisierbaren Schutzpflichten das Individualrechtsschutzsystem des deutschen Rechts in Frage stellen.267 Hierbei sind die systematischen Unterschiede zwischen dem griechischen und dem deutschen Rechtsschutzsystem auffällig. Im Gegensatz zum deutschen Recht ist es im griechischen, objektivrechtlich gerichteten Rechtsschutzsystem zulässig, auch vorsorgerelevante Vorschriften problemlos anzufechten, soweit ein rechtliches Interesse des Klägers begründet werden kann.268 In diesem Zusammenhang ist das griechische Recht von keiner strikten Abgrenzung von Gefahrenabwehr 263 Vgl. StE, Urt. Nr. 3277/86; StE, Urt. Nr. 1335/85; StE, Urt. Nr. 1615/88; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 316 ff. 264 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02 (VGH Mannheim), NVwZ 2004, S. 610 (Nanopartikel); J. Gantzer, VBlBW 2004, S. 174 ff. 265 Vgl. R. Breuer, NJW 1986, S. 847 ff.; W. Martens, DVBl 1981, S. 600. Kritisch dazu E. Kutscheidt, in: FS für K. Redeker, 1993, S. 446; R. Sparwasser/R. Engel/ A. Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 10, Rn. 153. 266 Vgl. F. Ekardt/D. Susnjar, ZG 2007, S. 146 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 382 ff., S. 386; ders., DV 2005, S. 246, m.w. N.; mehr zu dieser Problematik s. o. in 1. Teil, 1. Kap., E., II., 1. 267 Vgl. E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991, S. 249 ff. 268 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1264/2005; ZLG von Thessaloniki, Urt. Nr. 26223/2005; A. Papakonstantinou, PerDik, 2006, S. 228; in diese Richtung auch G. Dellis, in: Ehrende Festschrift für den Staatsrat zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1072 ff.
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und Vorsorge als erforderlicher Voraussetzung für die Einreichung einer Aufhebungsklage gekennzeichnet. Infolgedessen können Rechtsmaßnahmen auch unabhängig davon, ob sie individualschützend sind, angefochten werden. Vor diesem Hintergrund haben die Elemente, die das rechtliche Interesse der Aufhebungskläger zum Schutz von Umweltgütern begründen, ein objektives Wesen, das mit der Möglichkeit der Feststellung einer Umweltbeeinträchtigung verbunden ist. Denn diese Beeinträchtigung muss von Beschlüssen der Wissenschaft und der Technik belegt werden.269
IV. Zur erweiterten umweltbezogenen Aufhebungsklage der natürlichen Personen: Beispiele aus der Rechtsprechung Die Erweiterung des rechtlichen Interesses natürlicher Personen in Bezug auf den Umweltrechtsschutz ist im griechischen Recht beachtenswert. Die Grundlagen sowie der Umfang dieser Erweiterung tragen dazu bei, auch die Erweiterung des rechtlichen Interesses der Verbände besser zu erklären und somit den besonders ausgedehnten Umfang sowie die Funktion der umweltschützenden Verbandsklage des griechischen Rechts besser zu verstehen. Zu diesem Zweck sollen hier einige ausgewählte Beispiele dargestellt werden, die die Erweiterungstendenzen des rechtlichen Interesses der natürlichen Personen bei der Erhebung einer Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten genauer nachweisen können. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass der Staatsrat das rechtliche Interesse von Einwohnern im Zentrum Athens wiederholt anerkannt hat. In einem dieser Fälle haben die klagenden natürlichen Personen Verwaltungsakte angefochten, die die Rodung bzw. die Abholzung eines Waldes am Fuß des Gebirges von Pendeli (ca. 40 km vom Zentrum Athens entfernt) genehmigt hatten.270 Obwohl die Einwohner nur wegen ihrer Eigenschaft als Einwohner von Athen indirekt dadurch beeinträchtigt waren, wurde ihre Aufhebungsklage vom Staatsrat als zulässig angenommen. Der Staatsrat behauptete, dass die Tiefebene von Attika aufgrund seiner geografischen Besonderheit eine ununterbrochene Wohnsiedlungseinheit mit niedrigem Grünflächenanteil darstellt, welcher sich stets vermindert. Der Ansicht des Staatsrates nach beeinträchtigen die angefochtenen Rechtsmaßnahmen, die zum Kahlschlag dieses Waldes führten, wesentlich den ökologischen Einklang sowie die Lebensqualität nicht nur der unmittelbaren Nachbarn von Pendeli, sondern auch der Einwohner anderer Gemeinden, die weiter entfernt liegen und dadurch teilweise benachteiligt sein können werden. Letztere könnten 269
G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 262. Vgl. StE, Urt. v. 2281/92; entsprechend auch StE, Urt. v. 1157/91; StE, Urt. v. 2381/94; StE, Urt. v. 2753/94; StE, Urt. v. 2756/94; StE, Urt. v. 2539/96; StE, Urt. v. 1790/99; StE, Urt. v. 2274/2000; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 106 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 304 ff. 270
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
sogar intensiver darunter leiden. Denn es wird geschätzt, dass die Entwaldung dieses Gebietes auch die Umwelt weit entfernter Gebieten (inkl. der Innenstadt Athens) beeinträchtigen könnte. Die Entwaldung dieses Gebietes könnte z. B. Änderungen der mikroklimatischen Bedingungen verursachen und zu einer Zunahme von gesundheitsschädlichen Abgasen führen. Infolgedessen seien die Aufhebungskläger wegen ihrer Eigenschaft als Einwohner der Innenstadt Athen dazu legitimiert, die umstrittenen Verwaltungsakte anzugreifen.271 In diesem Fall hat die Auslegung des Umfangs der Rechtsfigur der ökologischen Nachbarschaft sogar die Grenzen des Gemeindegebietes überschritten. Für die Annahme der Klagebefugnis der Kläger wurde keine besondere örtliche Beziehung verlangt. Es reichte die allgemeine Eigenschaft als Einwohner der attischen Tiefebene aus. Gegen diese Auffassung richtete sich die Minderheitsmeinung des Staatsrates, nach der die Erweiterung des Personenkreises, der eine Aufhebungsklage einreichen dürfe, nicht dazu führen solle, dass keine spezielle Rechtsbeziehung zu dem angegriffenen Verwaltungsakt verlangt werde.272 Dieser Mindermeinung wird allerdings in entsprechenden anderen Urteilen als Begründungsgrundlage nicht gefolgt.273 Parallel dazu hat der Staatsrat sogar das rechtliche Interesse eines Aufhebungsklägers hinsichtlich der Aufhebung der Baugenehmigung des Hauses eines benachbarten Grundstückes anerkannt, da es in einer aufzuforstenden Waldfläche lag, so dass dadurch regionale Umwelt und daher umweltbezogene Interessen des klagenden benachbarten Eigentümers beeinträchtigt wurden. Von Bedeutung ist, dass der Staatsrat, das rechtliche Interesse des Aufhebungsklägers angenommen hat, obwohl er über keine Baugenehmigung in der gleichen Waldfläche verfügte.274 Die Region von Attika wurde auch im Fall des Bauvorhabens einer Go-KartPiste im Vorort Agios Kosmas der Küstengemeinde Ellinikon (bei Athen) als räumliche Einheit anerkannt.275 In diesem Fall hatten Einwohner der Region gegen die durch den Bau der Go-Kart-Piste drohende Umweltbelastung eine Aufhebungsklage erhoben. Obwohl der Staatsrat das rechtliche Interesse des Aufhebungsklägers prinzipiell aus seiner Eigenschaft als Einwohner der Region heraus begründet hat, hat er darüber hinaus betont, dass der Genuss sowie die Nutzung der Küste Attikas ein schutzbedürftiges Rechtsgut aller Einwohner der Tiefebene 271 Mehr zum Schutz des Waldes im griechischen Recht in: N. Aliwisatos/P. Pavlopoulos, NoB 1988, S. 1581 ff.; S. Charalampidis, NkF 1994, S. 113 ff.; M. Bouzi/ W. Pavlopoulos, EDD 2001, S. 28 ff. 272 Vgl. StE, Urt. Nr. 2281/92. Vgl. P. Lasaratos, D 1996, S. 91 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 304. 273 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 305. 274 StE (Vollversamml.), Urt. v. 3095/01; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 112 ff. 275 Vgl. StE, Urt. v. 1709/99.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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von Attika ist. Zwar stellt sich die Nutzbarmachung der griechischen Küsten als ein wichtiger Bereich für das wirtschaftliche Wachstum des Landes dar. Allerdings ist der Küstenschutz aufgrund Art. 24 Abs. 1 gr. V. zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist nur eine eingeschränkte wirtschaftliche Entwicklung der griechischen Küsten erlaubt.276 Im Anschluss daran hat auch der Staatsrat festgestellt, dass allein die Eigenschaft eines Aufhebungsklägers als Einwohner einer Insel durchaus ausreichend ist, um sein rechtliches Interesse zu begründen, so dass er dazu klagebefugt ist, die Aufhebung von Bauvorhaben, die die Morphologie der Küste verändern sowie die Ästhetik der Landschaft beschädigen und negative Auswirkungen auf terrestrische oder Meeresökosystemen verursachen, anzufechten.277 Gleiches gilt hinsichtlich der Erweiterung des rechtlichen Interesses von natürlichen Personen auch in Umweltangelegenheiten, die den Schutz von gemeinnützigen grünen Räumen wie Parks und Gehölzen erfordern.278 1. Begrenzungstendenzen des rechtlichen Interesses natürlicher Personen Andererseits aber hat der Staatsrat in einigen Fällen festgestellt, dass die Eigenschaft der Kläger als Einwohner eines angeblich durch einen Verwaltungsakt umweltbelasteten Ortes an sich nicht reicht, um ein rechtliches Interesse zu begründen.279 In einem Fall dieser Art handelte es sich nämlich um die Anfechtung der Genehmigung einer Kläranlage auf der Insel Paros. Obwohl der Aufhebungskläger Einwohner der Insel war, hat der Staatsrat sein rechtliches Interesse nicht anerkannt. Der Auffassung des Gerichts nach müsste er gleichzeitig Eigentümer von Grundstücken in der konkreten umweltbelasteten Region sein, um sein rechtliches Interesse zu begründen. Er sollte somit weiter beweisen, dass seine Grundstücke in dem Bauvorhabengebiet liegen (und nicht nur in benachbarten Orten) und dass ihm konkreter Schaden von dem Betrieb der Kläranlage droht, denn ansonsten geht es um einen Versorgungsbetrieb, der ihm als Einwohner der Insel „offensichtlich“ zugutekommt.280 Es sieht so aus, dass der Staatsrat den Begriff des rechtlichen Interesses strikter auslege, wenn es sich um Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Genehmigung von Versorgungsbetrieben handelt, in Vergleich zu Rechtsstreitigkeiten, die Ver276 Vgl. StE, Urt. v. 1474/96; StE, Urt. v. 3146/98; E. Kourogenis, PerDik 2002, S. 278 ff. 277 Vgl. StE, Urt. v. 5168/97. 278 Vgl. StE, Urt. v. 1491/78; StE, Urt. v. 2189/82; StE, Urt. v. 1322/89; StE, Urt. v. 2242/94; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 107. 279 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 112; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 306. 280 StE, Urt. v. 1482/99.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
waltungsakte betreffen, die zur Einschränkung bzw. Beeinträchtigung eines Waldes führen.281 Dies ist auch auf den besonderen Schutz des Waldes durch die griechische Verfassung gem. Art. 24 Abs. 1 S. 3–5 gr. V. i. V. mit Art. 117 gr. V. zurückzuführen.282 Auch bei der Anfechtung von Baugenehmigungen durch Aufhebungsklagen interpretiert der Staatsrat das rechtliche Interesse des Aufhebungsklägers restriktiver als bei der Anfechtung von Rechtsakten, die die natürliche Umwelt betreffen. Für die Begründung des rechtlichen Interesses in solchen Fällen reicht die Eigenschaft des Aufhebungsklägers als Einwohner des angeblich durch die Baugenehmigung betroffenen Gebietes oder im Allgemeinen als Nachbar im weitesten Sinne nicht aus. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Aufhebungskläger angrenzender Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks ist, in dem die umstrittene Baugenehmigung erteilt wurde. Der Aufhebungskläger muss in solchen Fällen direkt und unzweifelhaft von den jeweils in Frage gestellten baurechtlichen Verwaltungsakten betroffen sein.283 Nur unter diesen Voraussetzungen könnte sein rechtliches Interesse begründet werden. Anderenfalls erkennt der Staatsrat den Klägern i. d. R. kein rechtliches Interesse zu.284 Die Schrumpfungstendenz des rechtlichen Interesses im Bereich des Baurechts ist auf die Rechtsnatur der Wohnsiedlungsumwelt im Verhältnis zu der natürlichen Umwelt zurückzuführen. Denn im Gegensatz zu der natürlichen Umwelt kann die Wohnsiedlungsumwelt nicht als kollektives und gemeinnütziges Rechtsgut für die Allgemeinheit betrachtet werden.285 Es reichte nicht aus, dass individuelle Personen, die eine Aufhebungsklage gegen Vorschriften der PVO Nr. 250/2003286 gestellt hatten, sich nur auf ihre Eigenschaft als griechische Bürger und Rechtsträger des Grundrechts auf Umweltschutz gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V. berufen, um ihr rechtliches Interesse zur Erhebung der Aufhebungsklage zu begründen. Ihre Geltendmachung, dass die Regelungen der oben genannten PVO die Grundlagen der Raum- und Bauordnung sowie das Grundrecht auf Umweltschutz gem. 24 Abs. 1 gr. V. verletzen, denn dieser Rechtsakt bestimmt willkürlich in konkreten Fällen ähnliche Bedingungen für den Bau von Wohnungen wie für den Bau von touristischen Unterkünften, obwohl bei diesen laut Gesetz eine höhere Baumassenzahl gilt, reichte 281
Vgl. StE, Urt. Nr. 2281/92; s. o. 2. Teil, 2. Kap., C., IV. Zur verfassungsmäßigen Gewährleistung des Schutzes der Wälder und der bewaldeten Flächen vgl. N. Aliwisatos/P. Pavlopoulos, NoB 1988, S. 1581 ff.; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 107. 283 Vgl. unter anderem: StE, Urt. v. 3343/88; StE, Urt. v. 4036/89. 284 Vgl. StE, Urt. v. 878/95; StE, Urt. v. 2251/97; G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 111. 285 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch des Umweltrechts, 2011, S. 111 ff. 286 Durch die PVO 250/2003 wurden unter anderem privilegierte Raumordnungsund Bauordnungsregelungen zugunsten touristischer Unterkünfte eingeführt. 282
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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im Ergebnis nicht aus, um das rechtliche Interesse der Aufhebungskläger zu begründen.287 Der Staatsrat hat in diesem Fall zutreffend festgestellt, dass es für die Zulässigkeit einer Aufhebungsklage nicht von sich aus ausreichend ist, dass die Aufhebungskläger ein allgemeines Interesse an der verfassungsmäßigen Einhaltung des Gesetzes haben. Denn eine solche Tendenz würde zu der Rechtfertigung einer Popularklage führen. In solchen Fällen sei vielmehr ein besonderes rechtliches Interesse des Aufhebungsklägers erforderlich, so dass es vom rechtlichen Interesse der Allgemeinheit hervorgehoben sein müsse. Vor diesem Hintergrund muss der Aufhebungskläger überzeugend aufzeigen, dass er eine besondere Rechtsverbindung zu dem angefochtenen Rechtsakt hat. Er könnte auch sein rechtliches Interesse begründen, indem er sich auf eine persönliche, besondere Eigenschaft oder einen Zustand beruft. Diese Eigenschaft sollte den Kreis – sei er erweitert, sei er eingeschränkt – der in Frage kommenden Aufhebungskläger von der Allgemeinheit unterscheiden.288 Von Bedeutung ist auch der Fall, in dem Einwohner der Gemeinde Hellinikon eine Aufhebungsklage gegen Beschlüsse des interministeriellen Ausschusses für die Entstaatlichung, nach denen Bestandteile des staatlichen Eigentums (Aktien der staatlichen Aktiengesellschaft für die Verwertung der Grundstücke des ehemaligen nationalen Flughafens von Hellinikon) der Kasse für die Verwertung des privatrechtlichen Vermögens des öffentlichen Staates, die zuständig für die Privatisierung des staatlichen Eigentums ist, übertragen wurden. Obwohl der Staatsrat angenommen hat, dass die Beschlüsse des oben genannten Ausschusses der gerichtlichen Kontrolle des Staatsrates unterliegen, hat er schließlich die Aufhebungsklage der Einwohner als unzulässig abgelehnt. Der Auffassung des Staatsrates nach haben die Kläger kein rechtliches Interesse, denn die umstrittene Übertragung der Aktien kann von sich aus keine Umweltbeeinträchtigung der Umgebung der Kläger ausreichend begründen.289 Jedenfalls reicht nicht von sich aus das bloße Interesse der klagenden Personen für den Rechtsstatus oder den Eigentumsstatus der öffentlichen Aktiengesellschaften und für die Umwelt aus, um ihr rechtliches Interesse zu begründen.290 Auf diese Weise stellt der Staatsrat deutliche Grenzen bezüglich der Klagebefugnis natürlicher Personen in Umweltangelegenheiten auf, so dass die Einfüh287
StE, Urt. v. 858/2008. StE, Urt. v. 858/2008; vgl. entsprechend auch StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1051/ 1959; StE, Urt. Nr. 3606/1071; StE, Urt. Nr. 2638/1980; StE, Urt. Nr. 151/1993; StE, Urt. Nr. 735/2000; StE, Urt. Nr. 582/2001; StE, Urt. Nr. 2258/2005; StE, Urt. Nr. 1253/ 2006; StE, Urt. Nr. 3824/2007. 289 StE (Vollversamml.) Urt. Nr. 2185-6/2014; StE (Vollversamml.) Urt. Nr. 2181/ 2014. 290 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2180-6/2014; WWF, Rechtliche Verbindlichkeiten, die implementiert werden müssen, Sept. 2014, S. 11. 288
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
rung einer Popularklage vermieden wird. Gleichzeitig aber verhindert er nicht die Erweiterung des rechtlichen Interesses von natürlichen Personen in Umweltangelegenheiten zugunsten des Umweltschutzes.
V. Erweitertes rechtliches Interesse der Selbstverwaltungskörperschaften in Umweltangelegenheiten Wie bereits ausgeführt wurde, sind auch Gemeinden, Städte, Kommunen sowie Präfekturen dazu berechtigt, eine umweltschützende Aufhebungsklage zu erheben. Der Staatsrat spricht auch denjenigen Selbstverwaltungskörperschaften, in deren Verwaltungsgebiet die jeweils umstrittene Anlage betrieben wird, ein offensichtliches rechtliches Interesse auf Anfechtung der umweltbelastenden Verwaltungsakte zu. Das rechtliche Interesse der Städte, Gemeinden und Präfekturen ist auf ihrer allgemeinen gesetzlichen Kompetenz begründet, sich unter anderem auch um umweltbezogene Angelegenheiten ihrer Region zu kümmern und dazu Entscheidungen zu treffen.291 Erforderlich dafür ist, dass der umstrittene Verwaltungsakt umweltbezogene Kompetenzen dieser Selbstverwaltungskörperschaften (z. B. Raumordnungs- und Bauplanungsangelegenheiten, Erteilung von Anlagegenehmigungen, Erhaltung der Forstressourcen oder des Artenschutzes u. a.) betrifft. Das jeweils umstrittene zu schützende Umweltgut sollte sich in der Regel innerhalb der verwaltungsrechtlichen Aufsichtsgrenzen der Selbstverwaltungskörperschaft befinden.292 Das örtliche Element reicht für die Begründung des rechtlichen Interesses der Selbstverwaltungskörperschaften aus, wenn die umweltbeeinträchtigenden, angegriffenen Verwaltungsakte insbesondere die städtebauliche Entwicklung,293 eine Ansiedlung von Industrieanlagen, die zur Abwertung zumindest der regionalen Umwelt führt294, oder die Aufrechterhaltung der Forstvegetation und im Allgemeinen der Waldressourcen295, den Schutz der kulturellen Umwelt296 oder den Artenschutz der Region297 gefährden.298 291 Vgl. StE, Urt. Nr. 1918/79; StE, Urt. Nr. 3456/79; StE, Urt. Nr. 1615/88; StE, Urt. Nr. 666/89; StE, Urt. Nr. 2690/94; StE, Urt. Nr. 4503/97; StE, Urt. Nr. 375/2000; K. Remelis, Umwelt und Kommunalselbstverwaltung, 1989, S. 61 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 307 ff., m.w. N. 292 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 83/2005; StE (Vollversamml.); StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1756-9/2002; StE, Urt. Nr. 2196/82; StE, Urt. Nr. 312/83; StE, Urt. Nr. 944/85; StE, Urt., Nr. 3682/86; StE, Urt. Nr. 1615/88; StE, Urt. Nr. 150/90; StE, Urt. Nr. 2586/92; StE, Urt. Nr. 2690/94; StE, Urt. Nr. 2301/95; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 120 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 307 ff.; jeweils m.w. N. 293 StE, Urt. Nr. 1071/94; StE, Urt. Nr. 2690/94. 294 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2755/94. 295 StE, Urt. Nr. 1/93. 296 StE, Urt. Nr. 2182/94. 297 StE, Urt. Nr. 2301/95.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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Vor diesem Hintergrund wurde beispielsweise vom Staatsrat das rechtliche Interesse der Stadt Loutraki angenommen, die die Aufhebung der Betriebsgenehmigung einer sich in ihrem Gebiet befindenden Anlage zur Betonanfertigung verlangte.299 Ferner hat der Staatsrat das rechtliche Interesse einer Gemeinde in anderen Fällen anerkannt, bei denen Gemeinden eine Aufhebungsklage gegen umweltbelastende Beschlüsse der zuständigen Behörden eingelegt hatten. Es handelte sich dabei um eine Aufhebungsklage, die sich gegen einen Bebauungsplan innerhalb der Grenzen der Gemeinde von Filothei richtete, der die Bebauung von freien Räumen der Gemeinde bestimmte. Die Gemeinde bezweckte die Aufhebung des Bebauungsplans, der nicht mit dem vom Gesetz anerkannten Charakter dieser Gemeinde als „Gartenstadt“ übereinstimmte.300 Dabei hatte die Gemeinde von Papagos eine Aufhebungsklage gegen die Zulassung der Erweiterung eines Bebauungsplans, der einen Wald beeinträchtigte, der sich teilweise im Gebiet der klagenden Gemeinde Papagos befindet, erhoben. Hierbei wurde das rechtliche Interesse der Gemeinde Papagos dadurch begründet, dass sie für den Schutz dieses Waldes zuständig war.301 Im Anschluss daran wurde aus den gleichen Gründen auch das rechtliche Interesse einer anderen Gemeinde gegen einen Verwaltungsakt, der die Urbarmachung eines regionalen Waldes genehmigte, anerkannt.302 Außerdem dürften aber auch die benachbarten Städte und Gemeinden dazu berechtigt sein, eine Aufhebungsklage einzulegen, wenn es denkbar ist, dass die jeweils in Frage gestellte Umweltbeeinträchtigung, nicht bloß an den Grenzen des Gebiets einer Gebietskörperschaft endet, sondern auch andere angrenzende Selbstverwaltungskörperschaften, die sich im weiteren benachbarten Raum befinden, nachweislich betrifft.303 Das rechtliche Interesse dieser angrenzenden klagenden Gemeinden wird wiederum auf ihre Zuständigkeiten, die Umwelt sowie die Gesundheit der Gemeindebürger, welche sie innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeiten zu schützen hat, gestützt. Vor diesem Hintergrund wurde auch das rechtliche Interesse der Gemeinde Drapetsona sowie der angrenzenden Gemeinde von Piräus an der Widerrufung der Genehmigung für die Erweiterung von Anlagen einer in der Stadt Drapetsona befindlichen Fabrik für die Herstellung chemischer Produkte und Düngemittel 298 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 120 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 307 ff., m.w. N. 299 StE, Urt. Nr. 1919/79; entsprechend auch StE, Urt. Nr. 262/82; StE, Urt. Nr. 4714/86; StE, Urt. Nr. 3529/88; StE, Urt. Nr. 2537/96; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 307. 300 StE, Urt. Nr. 2333/79; StE, Urt. Nr. 89/81. 301 StE, Urt. Nr. 1362/81; StE, Urt. Nr. 3754/81. 302 StE, Urt. Nr. 3123/64. 303 Vgl. K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen, 1989, S. 192 ff.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
anerkannt.304 Gleicherweise wurde auch das rechtliche Interesse mehrerer Gemeinden der Insel Korfu anerkannt. Diese Gemeinden hatten eine Aufhebungsklage gegen eine Genehmigung zum Bau und zur Inbetriebnahme einer regionalen Mülldeponie erhoben. Der Staatsrat argumentierte entsprechend, dass diese Gemeinden ein rechtliches Interesse an der Erhebung der Aufhebungsklage begründen können, weil sie an das betroffene Gebiet des umstrittenen Bauwerks der Mülldeponie angrenzen, so dass auch ihr Gemeindegebiet sowie die Gesundheit ihrer Einwohner beeinträchtigt werden können.305 In einem anderen Fall wurde auch das rechtliche Interesse von benachbarten Gemeinden als zulässig angenommen, die eine Aufhebungsklage gegen die Errichtung und Genehmigung für die Inbetriebnahme einer Fischzuchtanlage eingelegt hatten. Obwohl sich die umstrittene Anlage innerhalb der Grenzen einer anderen, nicht klagenden Gemeinde befand, wurde das rechtliche Interesse der klagenden benachbarten Gemeinden damit begründet, dass die Auswirkungen der Fischzuchtanlage auch die Küsten der benachbarten Gemeinden hochwahrscheinlich beeinträchtige und damit das Recht ihrer Bürger auf Genuss der Natur, der Küsten und des Meeres.306 Andererseits ist beachtenswert, dass der Staatsrat im Fall des Überbrückungsbauvorhabens des Malliakos-Golfes im griechischen Landkreis von Fthiotis nur das rechtliche Interesse von benachbarten Städten und Gemeinden des Landkreises Fthiotis zur Erhebung einer Aufhebungsklage anerkannt hat. Andere Städte und Gemeinden waren diesem Urteil nach nicht berechtigt, eine Aufhebungsklage einzulegen, denn sie befanden sich außerhalb der Verwaltungsgrenzen desjenigen Bezirkskreises, in dessen Gebiet das umstrittene Bauprojekt durchgeführt werden sollte. Sie waren daher nicht direkt von diesem Bauvorhaben betroffen.307 Insofern konnten i. d. R. Städte und Gemeinden, deren Sitz in weiterer Entfernung von dem jeweils umstrittenen Vorhaben lag, kein rechtliches Interesse an der Aufhebung von dessen Genehmigung und der damit zusammenhängenden Verwaltungsakte geltend machen. Es fehlte vor allem an der Unmittelbarkeit des Schadens, auf den sie sich berufen könnten. Auch in Fällen der Klagebefugnis von Gemeinden setzt sich somit der Staatsrat Grenzen hinsichtlich der Bestimmung und Begründung des Kriteriums der örtlichen Beziehung
304 StE, Urt. Nr. 2500/99; ähnlich auch StE, Urt. Nr. 2537/96; StE, Urt. Nr. 312/83; StE, Urt. Nr. 3682/86; StE, Urt. Nr. 2586/92. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 308 m.w. N. 305 StE, Urt. Nr. 2498/99. Mit gleichlaufender Argumentation in einem ähnlichen Fall für die Region von Thessaloniki hat der Staatsrat auch das rechtliche Interesse der benachbarten Gemeinde des weiteren Gebiets anerkannt. StE, Urt. Nr. 2499/99; entsprechend auch StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 4938/95. 306 StE, Urt. Nr. 2846/93. 307 StE, Urt. Nr. 2240/99.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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des Klägers mit der jeweils umstrittenen umweltbelastenden Verwaltungsmaßnahme.308 Der herrschenden Rechtsprechung nach steht die Klagebefugnis schließlich auch den Kommunalverbänden zu. Die Gründung der Institution der Kommunalverbände ist ursprünglich in der Städte- und Gemeindeordnung (vgl. Art. 177– 182 der PVO 76/1985) vorgesehen.309 Zweck dieser Institution sollte die gemeinsame Durchführung und Einhaltung von kommunalen Bauvorhaben, die gemeinsame Versorgung mit Ressourcen, das gemeinsame Angebot von Dienstleistungen, die in den Bereich der kommunalen Kompetenzen fallen, sowie die Planung und Ausgestaltung von Programmen und Methoden für die Entwicklung des weiteren Kommunalraumes sein. Insofern sind auch die Kommunalverbände dazu berechtigt, eine Aufhebungsklage einzureichen, soweit es um Angelegenheiten geht, die unter ihre Kompetenzen fallen. So wurde z. B. das rechtliche Interesse auch der Union der Städte und Gemeinden des Landkreises Aitoloakarnania anerkannt, eine Aufhebungsklage gegen das Bauvorhaben bezüglich der Umleitung des Achelöos-Flusses und der Errichtung eines großen Wasserstaudammes, der in einem benachbarten Bezirkskreis (Thessalien) realisiert werden sollte, zu erheben. Hauptgrund dafür war unter anderem, dass ein solches Bauprojekt die hydrologische Bilanz des gesamten Gebietes des Landkreises Aitoloakarnania, zu dem die Gemeinden und Städte dieser Union gehören, erheblich beeinträchtigen könnte. Besonders würde die Wasserversorgung und Bewässerung dieses Gebietes beeinträchtigt, für deren Einhaltung die Kläger jeweils in ihren einzelnen Gebieten kompetent waren.310 Ferner erkennt der Staatsrat ein rechtliches Interesse auch zu Gunsten der regionalen Behörden zweiten Grades an, d.h. das der Präfekturen, die verantwortlich für diejenigen Verwaltungsbereiche sind, welche nicht in den Kompetenzbereich der lokalen Behörden ersten Grades (d.h. Städte und Gemeinden) fallen. So hat der Staatsrat z. B. das rechtliche Interesse des Präfekturrats Südostattikas festgestellt, der eine Aufhebungsklage gegen die Genehmigung einer UVP für den Betrieb einer Raffinerieanlage erhoben hatte. Angesichts der Tatsache, dass dieses Vorhaben auf dem Gebiet der klagenden Präfektur errichtet werden sollte und die regionale Umwelt sowie die Gesundheit der dortigen Einwohner belasten könnte, hat der Staatsrat diese Aufhebungsklage zugelassen.311 Im Vergleich zu der deutschen Rechtsordnung ist deutlich erkennbar, dass auch der Umfang der Klagebefugnis der griechischen Selbstverwaltungskörperschaften 308
Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 309. StE, Urt. Nr. 1615/1988; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 308. 310 E. Trowa, PerDik 2001, S. 36 ff. 311 StE, Urt. Nr. 1471/2004; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 309. 309
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
in der griechischen Rechtsordnung besonders erweitert ist. Eine erhebliche Rolle dabei spielt die Tatsache, dass im griechischen Recht – im Gegensatz zum deutschen Recht312 – die Klagemöglichkeit der griechischen Selbstverwaltungskörperschaften gegen Maßnahmen, die die Umwelt beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, nicht ausschließlich auf die Verletzung stricto sensu eigener Rechte beschränkt ist. Wie bereits ausgeführt wurde, wird ihr rechtliches Interesse aus ihrer allgemeinen Kompetenz heraus begründet, sich auch um die umweltbezogenen Angelegenheiten ihrer Verwaltungsregion zu kümmern und Maßnahmen zu treffen. Vor diesem Hintergrund leisten im griechischen Recht auch die Selbstverwaltungskörperschaften einen dynamischen Beitrag zum Zweck der Erhaltung der regionalen Umwelt. Sie wirken somit häufig als Sachwalter ihrer Bewohner in Umweltangelegenheiten und tragen entscheidend zu einem weiten überindividuellen Umweltrechtsschutz bei.
VI. Die umweltschützende Aufhebungsklage der Verbände im griechischen Recht Im Gegensatz zum deutschen Recht sind im griechischen Recht die Kriterien der Anerkennung eines Verbandes als Träger des Rechts auf Umweltschutz nicht von dem dispositiven Recht oder von der ausdrücklichen Formulierung einer gesetzlichen Vorschrift abhängig. Vielmehr sind sie in der Rechtspraxis mit der jeweiligen Gesellschafts- bzw. Rechtsprechungsdynamik verbunden.313 Infolgedessen sind im griechischen Recht keine speziellen Anerkennungsvoraussetzungen für die Zulässigkeit der Klagebefugnis des Verbandes in Bezug auf umweltschützende Gerichtsverfahren erforderlich. Ferner ist das Klagerecht eines Verbandes im Bereich des Umweltrechts weder von seiner Beteiligung am vorangegangenen Verwaltungsverfahren noch von der Unterlassung der Äußerung bestimmter umweltrechtlicher Einwendungen im Verwaltungsverfahren (sog. Präklusionsvorschriften) – wieder im Gegensatz zum deutschen Recht – abhängig. Im griechischen Recht gilt allerdings die Beteiligung des Aufhebungsklägers an einem vorgesehenen Verwaltungsverfahren ständig als genügende Voraussetzung für die Begründung seines rechtlichen Interesses bei der Stellung einer Aufhebungsklage.314 Darüber hinaus erstreckt sich der Anwendungsbereich und daher der Prüfungsgegenstand der griechischen umweltschützenden Aufhebungsklage ausnahmslos auf den ganzen Umfang der jeweils umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten und nicht nur auf einen abschließenden, begrenzten Anwendungsbereich wie § 63 312
s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., XII. Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 80. 314 Vgl. StE, Urt. Nr. 1352/94; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 109. 313
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG sowie §§ 1 und 2 Abs. 1 UmwRG.315 Infolgedessen besteht im griechischen Umweltrechtsschutz keine entsprechende Problematik hinsichtlich der strengen Eingrenzung der Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, und weiterer nicht der Umwelt dienenden Vorschriften, die angeblich nicht in den Anwendungsbereich der deutschen umweltschützenden VK fallen dürfen.316 Die Erweiterung des rechtlichen Interesses und daher auch des Klagerechts der Verbände im griechischen Recht kommt insofern im Ergebnis der Institution der Popularklage nahe.317 Abgesehen von der Konstellation der egoistischen VK, die in Kontrast zum deutschen Recht im griechischen Recht gültig ist,318 bei der ein Verband klageberechtigt ist, soweit er die Verletzung von subjektiven Rechten seiner Mitglieder im eigenen Namen geltend macht,319 ist der Fall der umweltschützenden Aufhebungsverbandsklage im griechischen Recht besonders zu beachten, weil dadurch überindividuelle umweltbezogene Interessen effektiv gerichtlich geschützt werden können. Man versteht die altruistische VK aus der Sicht des griechischen Rechts derart, dass der jeweils klagende Verband nicht einzelne, besonders betroffene Mitglieder vor Schäden bewahren will, sondern für die Gesamtheit seiner Angehörigen streitet und Allgemeininteressen wahrnimmt, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen.320 Hervorzuheben ist dabei der erhebliche Beitrag jeder Art von Verbänden (Vereinen, Vereinigungen u. a.), die laut ihrer Satzung den Umweltschutz verfolgen.321 Die Aufhebungsklage der Verbände in Umweltangelegenheiten spielt in der griechischen Rechtsordnung auch eine erhebliche sozialpolitische Rolle. Zu beachten sind beispielsweise die schon ausgeführten erfolgreichen Aufhebungsverbandsklagen gegen das Planfeststellungsverfahren, das nicht nur die Umleitung des Flusses Achelöos, sondern auch die Errichtung eines Wasserdammes sowie den Bau eines Wasserkraftwerks in Thessalien umfasste, d.h. ein Großprojekt mit erheblicher Bedeutung für die nationale Wirtschaft.322 Beachtenswert sind unter 315
s. o. 1. Teil, 2. Kap., D., II., 4., b); 1. Teil, 3. Kap., B. ff. Mehr zu dieser Problematik s. o. 1. Teil, 3. Kap., C., II., 1. 317 Vgl. P. Lasaratos, D 1996, S. 91 ff. 318 Mehr zur egoistischen VK im deutschen Umweltrecht s. o. 1. Teil, 2. Kap., E., I., 1. 319 Vgl. W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 219 ff., S. 232. 320 Ebd. 321 Vgl. hinsichtlich des Beitrags der Umweltorganisationen zum Umweltschutz unter anderem: I. Botetzagias/M. Boudourides, STAGE 2004; M. Boudourides/D. Kalamaras, STAGE 2002; s. auch E. Dikaios/T. Papanastasiou, Hellenic Republic (Greece), in: H. Funabashi u. a. (Hrsg.), A General World Environmental Chronology, 2014, S. 621 ff. 322 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 26/2014; s. auch folgende für diesen Fall relevante Urteile: StE, Urt. Nr. 2760/1994; StE, Urt. Nr. 3478/2000; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 1688/2005; StE, Urt. Nr. 3053/2009; EA-StE, Urt. Nr. 141/2011; EuGH, Urt. v. 316
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
anderem auch weitere aktuelle erfolgreiche Aufhebungsklagen von regionalen Bürgervereinen und Privaten gegen den Bebauungsplan zur Errichtung eines großen Einkaufszentrums (Mall) in der Gemeinde Maroussi (Athen).323 Die Rolle der Verbände war auch hinsichtlich der Vorhaben für die Konstruktion der Olympischen Bauprojekte entscheidend. Obwohl fast alle umweltbezogenen Aufhebungsklagen der Verbände hinsichtlich der Bauvorhaben bezüglich der Organisation der Olympischen Spielen in Athen (2004) von dem Staatsrat abgewiesen wurden, haben die Verbände jedoch positiv dazu beigetragen, dass sie die öffentliche Verwaltung in Bezug auf die Durchführung der Umweltverträglichkeitsstudie sowie die Genehmigung der Umweltstandards dazu gebracht haben, vorsichtiger zu sein.324 Zu erwähnen sind die umweltschützenden Aufhebungsverbandsklagen der „Griechischen Gesellschaft für den Schutz der Umwelt und des kulturellen Erbes“ sowie der „Archäologischen Gesellschaft von Athen“ gegen die Präsidialentscheidung, die die Umweltverträglichkeitsbedingungen für die Errichtung des Olympischen Rudergebiets in Schinias genehmigt hatte.325 Erwähnenswert sind auch die teilweise erfolgreichen Aussetzungsanträge von regionalen Umweltverbänden für die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes bezüglich der Vergrößerung des Poseidonos-Strandboulevards326 sowie die Aufhebungsklagen von Umweltverbänden für die Aussetzung des Vorhabens bezüglich der Konstruktion der Olympischen Marathonlaufstrecke.327 Die griechische Aufhebungsklage der Verbände in Umweltangelegenheiten könnte quasi als eine altruistische, umweltschützende Verbandsklage im Sinne der deutschen altruistischen Umweltverbandsklage gem. §§ 63 ff. BNatSchG i.V. m. § 1 ff. UmwRG verstanden werden, obwohl auffällige (schon dargestellte) Unterschiede bezüglich der rechtlichen Herkunft, dem Umfang und im Allgemeinen der Funktion beider Rechtsbehelfe vorliegen. Ausschlaggebend ist allerdings hierbei für die Charakterisierung der griechischen Aufhebungsklage der Ver11.09.2012, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a./griechisches Ministerium für Umwelt, Raumordnung und öffentliche Werke u. a.), ZUR 2013, S. 159 ff.; W. Danilakis, NkF Dezember 2011; E. Trowa, PerDik 2013, S. 666 ff.; s. 2. Teil., 1. Kap., B., V. 323 Vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 376/2014; StE, Urt. Nr. 4076/2010; StE, Urt. Nr. 391/2008; E. Lappa, Constitutionalism.gr, 01.03.2014; E. Trowa, LegalNews24.gr, 06.02.2014; s. o. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 376/2014; StE, Urt. Nr. 4076/2010; StE, Urt. Nr. 391/2008; E. Lappa, Constitutionalism.gr, 01.03.2014; E. Trowa, LegalNews 24.gr, 06.02.2014. 324 E. Trova, PerDik 2003, S. 240 ff. 325 StE, Urt. Nr. 606/2002 – die A-VK wurde als überfällig abgewiesen; E. Kosta, EDD 2003, S. 137 ff. 326 EA-StE, Urt. Nr. 729/2001 – die VK wurde zum Teil aufgenommen. 327 EA-StE, Urt. Nr. 26/2002, PerDik 2002, S. 590 ff. Das Baumfällen auf der Waldfläche wurde als verfassungswidrig ausgesetzt. Anm. dazu E. Trowa, PerDik 2013, S. 666 ff.
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bände in Umweltangelegenheiten als eine dem deutschen Recht ähnliche „altruistische Verbandsklage“, dass in beiden Fällen die Verbände dazu berechtigt sind, gegen umweltbeeinträchtigende Rechtsakte zu klagen, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend zu machen. Die griechische Rechtsprechung des Staatsrates verfährt bezüglich der Klagebefugnis von juristichen Personen ohne Zweifel großzügig, insbesondere wenn juristische Personen des Privatrechts (vor allem Verbände) eine Aufhebungsklage gegen Verwaltungsmaßnahmen einlegen, die die Umwelt beeinträchtigen oder nachweislich beeinträchtigen können. Die griechische Rechtsprechung des Staatsrates nimmt ständig an, dass ein Verband legitimiert ist, eine umweltschädliche Verwaltungsmaßnahme anzufechten, wenn der Umweltschutz zu den in seiner Satzung genannten Zielen gehört. Im Gegensatz zum deutschen Recht (insb. § 3 UmwRG), das bestimmte Anerkennungsvoraussetzungen für die Umweltschutzvereinigungen vorschreibt,328 akzeptiert die griechische Rechtsprechung das Klagerecht des Verbandes nicht nur, wenn der Umweltschutz überragendes Ziel gemäß der Satzung des Verbandes ist, sondern auch, wenn er als nebensächliches Ziel bezeichnet wird. Daraus folgt, dass das Klagerecht eines Verbandes anerkannt werden kann, auch wenn das Ziel des Umweltschutzes relativ vage und abstrakt in der Satzung des Verbandes formuliert ist.329 Die h. L. sowie die Rechtsprechung halten somit den Umweltschutz (im weiten Sinne), soweit er Satzungsziel der Verbände ist, für ein immateriell-ideelles Verbandsinteresse.330 Beachtenswert ist, dass das rechtliche Interesse der Verbände in der griechischen Rechtsordnung i. d. R. anerkannt wird, unabhängig von dem Ort, an dem sich der Sitz des Verbandes befindet, sowie von der örtlichen Beziehung des Sitzes zu dem Gebiet, in dem die Umweltschädigung entstanden ist.331 Das Ausweiten des rechtlichen Interesses hierin ist im Vergleich zu den natürlichen Personen deutlich größer, da die Entfernung der Umweltbeeinträchtigung von dem Sitz des Verbandes i. d. R. keine erhebliche Rolle hinsichtlich der Begründung seines rechtlichen Interesses spielt.332 Dadurch haben zahlreiche Verbände, Vereine und Vereinigungen, deren Satzungszwecke sich weder unmittelbar noch mittelbar auf den Umweltschutz beziehen, das Recht und somit die Möglichkeit, umweltbelastende Verwaltungsmaßnahmen anzufechten, obwohl sich ihr Sitz weit entfernt von dem Einwirkungsbereich der jeweils beanstandeten umweltschädlichen Maßnahmen befindet. Dies gilt in der Praxis vor allem für landesweit tätige umweltschützende Verbände (etwa WWF). 328 Zu den Anerkennungsvoraussetzungen einer Umweltvereinigung im deutschen Umweltrecht s. o. 1. Teil, 3. Kap., D. ff. 329 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse an der Aufhebungsklage, 1998, S. 273 ff. 330 Vgl. I. Karakostas, PerDik, 2000, S. 458 ff. 331 Vgl. StE, Urt. v. 944/85; StE, Urt. v. 695/86; StE, Urt. v. 4808/87; StE, Urt. v. 150/89; StE, Urt. v. 640/90. 332 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 115.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
1. Die griechische umweltschützende Aufhebungsklage von Verbänden in der Rechtsprechung des Staatsrates Die ersten bedeutsamen Gerichtsurteile, die Verbände dazu legitimiert haben, umweltbelastende Maßnahmen anzufechten, ohne tatsächlich in eigenen Rechten verletzt zu sein, sind im Jahr 1977 getroffen worden. So hat der Staatsrat die Klagebefugnis des „Verbands der Waldfreunde Athens“ mit Sitz in Athen gegen die Errichtungsgenehmigung einer Schiffswerft in der Bucht von Pylos (im Südwesten Griechenlands) mit der Begründung bejaht, dass dieser Verband den Schutz der Umwelt und der griechischen Landschaft und Natur sowie die Bewahrung ihrer besonderen Charakteristika zum Zweck hatte. Darüber hinaus war dieser Verband nicht nur in Athen, sondern in ganz Griechenland tätig.333 Die Minderheitsmeinung hat sich dagegen für das Fehlen einer besonderen Rechtsbeziehung bzw. eines speziellen schutzwürdigen Interesses des klagenden Waldschutzverbandes bezüglich der angegriffenen Genehmigung ausgesprochen, denn das allgemeine Interesse jedes Bürgers an der Einhaltung der Gesetze bei Erlass von Verwaltungsakten reiche für die Zulässigkeit der Aufhebungsklage nicht aus. Sie solle nicht zu einer „actio popularis“ ausarten.334 Abgesehen von der Tatsache, dass der Staatsrat schließlich die Aufhebungsklage des Verbandes als unbegründet abgewiesen hat, da die geeigneten präventiven und repressiven Umweltmaßnahmen gegen die Umweltverschmutzung vom Staat gesetzmäßig getroffen wurden, hat dieses Urteil insbesondere den Verbänden, die nicht in ihren Rechten verletzt sind, den Rechtsweg geöffnet, umweltbelastende Verwaltungsakte anzufechten.335 Des Weiteren ist der Staatsrat in dem Urteil Nr. 4576/77 noch weiter gegangen, indem er die Aufhebungsklage der Rechtsanwaltskammer von Volos gegen die Genehmigung zur Erweiterung der Einrichtung einer Zementfabrik in der Region als zulässig anerkannt hat. Eine besondere Bedeutung kommt diesem Urteil vor allem hinsichtlich der Klagebefugnis der Rechtsanwaltskammer zu. Diese wurde mit der Begründung bejaht, dass den Rechtsanwaltskammern und ihren Verwaltungsräten nach ihrer gesetzlich sanktionierten Satzung die Beratung und Entscheidung u. a. über jede Frage, die die Kammer oder ihre Mitglieder als solche oder als Berufsstand interessiert, sowie über jede Frage, die nationalen und sozialen Inhalts obliegt.
333 Vgl. StE, Urt. v. 810/77; s. auch G. Dellis, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 1057 ff.; O. Papadopoulou/M. Sotiropoulou, in: Richtergesellschaft des Staatsrates (Hrsg.), Die Verfassungsrevision und der Staatsrat, 2001, S. 121 ff.; jeweils m.w. N. 334 W. Rotis, Öffnungen der Rechtsprechung in Bezug auf den Umweltschutz, 1984, S. 13 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 181 ff. 335 Mehr darüber auch bei M. Sgourelli, PerDik 1998, S. 361 ff.
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Diese Zweckbestimmung in der Satzung hat den Sinn, so der Staatsrat, dass zu den Fragen, zu denen sich die Rechtsanwaltskammern als juristische Personen und aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung in der Gesellschaft äußern dürfen, auch der zur Abwendung einer Herabsetzung der menschlichen Lebensqualität zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz gehört. Daher ist die Rechtsanwaltskammer von Volos zur Erhebung dieser Aufhebungsklage klagebefugt, soweit sie sich auf eine durch die vorliegende Genehmigung drohende und nicht wiedergutzumachende Umweltverletzung beruft.336 Die Mindermeinung hat demgegenüber festgestellt, dass die Frage des Umweltschutzes in keinerlei Beziehung zu der Ausübung des Anwaltsamtes steht und daher nicht dem Kreis der sozialen Frage im Sinne jeder Satzungsbestimmung zuzurechnen ist, die die Rechtsanwaltskammer interessiert. Die Literatur bemerkt z. T. dazu, dass, wenn Rechtsanwaltskammern oder andere Kammern (Kammern der Notare, der Mediziner, der Bauingenieure usw.) ein rechtliches Interesse an der Anfechtung jedes Rechtsaktes haben, der sich auf Fragen nationalen oder gesellschaftlichen Inhalts bezieht, sie dann ein rechtliches Interesse an der Anfechtung nahezu jeder Verwaltungsentscheidung allgemeiner Bedeutung haben werden – mit der Folge einer völligen Umgehung des Verbots der actio popularis.337 Trotz der geschilderten Kritik gegen dieses Urteil hat es auch Stimmen gegeben, die die Erweiterung des Kreises der klagebefugten Personen zumindest in Umweltangelegenheiten sehr begrüßt haben.338 Sie sahen darin einen wesentlichen Beitrag der Rechtsprechung zum Schutz der Umwelt und plädierten offen für die ausdrückliche Anerkennung der Popularklage in diesem Bereich. Sie befürworteten insbesondere, dass sich diese Rechtsprechung auch auf andere berufsständische oder wissenschaftliche juristische Personen und Verbände unabhängig von ihrem Sitz erstrecke, wenn der Bereich der Beratung und Entscheidung über nationale Umweltfragen konkludent in ihren Satzungszwecken vermutet ist.339 Bemerkenswert ist des Weiteren, dass der Staatsrat auch die Aufhebungsklage einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, nämlich der Landeskirche (bzw. 336 Vgl. A. Sakellaropoulos, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929– 1979), 1985, S. 346 ff.; G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 68 ff. 337 Vgl. P. Dagtoglou, Verwaltungsprozessrecht, 1994, S. 230 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 129. 338 Vgl. K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen, 1989, S. 190; G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 68 ff.; A. Sakellaropoulos, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929– 1979), 1985, S. 347 ff. 339 Vgl. K. Remelis, Der Umweltschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen, 1989, S. 191 ff.; G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 104 ff., m.w. N.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Metropolis) von Langadas (gem. Art. 4 § 1 Gesetz 590/1977 über die Grundordnung der orthodoxen Kirchen Griechenlands, die die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche regelt) gegen die Betriebsgenehmigung einer Mülldeponie in der Nähe von Thessaloniki, nicht angenommen hat. Die Aufhebungsklage der Landeskirche von Langadas wurde für unzulässig erklärt. Es wurde somit dem Aufhebungskläger kein rechtliches Interesse zuerkannt. Grund dafür war, dass die Grundordnung der orthodoxen Kirche Griechenlands (Gesetz Nr. 590/1977) den Umweltschutz nicht als Zweck umfasst.340 Zu beachten war allerdings die von der Minderheit vertretene Meinung, nach der das rechtliche Interesse der Kirche in diesem Fall nicht auszuschließen ist, weil die Bestimmungen der Grundordnung keine abschließende Aufzählung der Zwecke der Kirche darstellen. Außerdem müsse das Interesse der Kirche anerkannt werden, die Schöpfungsgüter (inkl. die Umwelt) aufrechtzuerhalten. 341 Es sieht allerdings so aus, dass nur eine vermutliche Zielsetzung einer kirchlichen juristischen Person, die Umweltgüter zu schützen, nicht ausreiche, um ihr rechtliches Interesse zu begründen. Vielmehr ist eine präzise, ausdrückliche Bestimmung dieses Zweckes in ihrer Satzung dafür erforderlich. Zu Recht hat schließlich der Staatsrat die Aufhebungsklage der Landeskirche von Langadas abgelehnt. Von 1977 bis heutzutage wurde den zahlreichen, verschiedenartigen Verbänden ein rechtliches Interesse zuerkannt, um umweltbelastende Verwaltungsmaßnahmen jeder Art anzufechten. Zu erwähnen sind beispielsweise die Fälle der Aufhebungsklagen der „Gesellschaft Thessalischer Studien“ sowie u. a. des Verbands „Panthessalisches Dach“ (deren Satzung nur nebensächlich den Umweltschutz als Ziel umfasste) gegen die Planfeststellungsverfahren hinsichtlich der Umleitung des Flusses Achelöos342; die Aufhebungsklage des „Verbandes der Diplomarchitekten“ zur Vereitelung eines Verwaltungsaktes, der die Errichtung von umweltbelastenden Bauwerken im Zentrum Athens genehmigt hat343; des „Ökologischen Instituts für berufliche Umweltbildung“ auf die Aufhebung einer Konzession, aufgrund derer eine große staatliche Waldfläche der Gemeinde Stamata (in der Nähe von Athen) an Private rechtswidrig überlassen wurde344; sowie die Aufhebungsklage desselben Verbandes gegen einen Verwaltungsakt, der die Aufforstung einer großen Waldfläche widerrufen hat.345 Zu erwähnen sind auch die vom Staatsrat als zulässig angenommene Aufhebungsklage des Verbandes „Ökologische Bewegung von Thessaloniki“ gegen den
340
StE, Urt. Nr. 2499/99. Ebd.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 309 ff. 342 StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2759/94, NkF 1995, S. 1962 ff.; Anm. dazu W. Rotis, NkF 1995, S. 176 ff. 343 StE, Urt. Nr. 1965/94; StE, Urt. Nr. 4947/95. 344 StE, Urt. Nr. 2753/94. 345 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 309 ff. 341
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Widerruf eines Verwaltungsaktes, der eine große Fläche der „Gemeinde Chortiatis“ (in der Nähe von Thessaloniki) als wieder aufzuforstend bezeichnet hat346; die Aufhebungsklage des Verbandes „Verband der Waldfreunde Athens“ zum Schutz des versteinerten Waldes auf der nordägäischen Insel von Lesvos347 sowie seine Aufhebungsklage zum Schutz des ästhetischen Waldes von Kaisariani (bei Athen)348; die Aufhebungsklage des „Verbandes der Bau- und Raumplaner“ zur Vereitelung der Baugenehmigung des Goulandri-Museums für Moderne Kunst in einem Stadtpark im Zentrum von Athen349; die Aufhebungsklage des „Verschönerungs-, Kultur- und Sportvereins Varkiza“ gegen die Unterlassung der Verwaltung, einen verpflichtenden, gesetzmäßigen Rechtsakt gegen die gesetzwidrige Errichtung von Bauwerken in Waldflächen der Region von Varkiza vorzunehmen350; die Aufhebungsklage des „Verbandes der Naturfreunde des Landkreises von Fokida“ gegen Verwaltungsakte, die die Küsten des Landkreises belasten sollten,351 sowie mehrere erfolgreiche Aufhebungsklagen des WWF-Hellas gegen umweltbelastende Verwaltungsakte (etwa Baugenehmigungen in naturund artenschützenden Gebieten), die den Wald sowie die Flora und Fauna bzw. die Biodiversität gefährdet haben.352 Im Anschluss daran hat der Staatsrat auch das rechtliche Interesse eines Ortsgestaltungsvereins anerkannt, der die Aufhebung eines Beschlusses forderte, durch den der Strand für Siedlungszwecke genutzt werden durfte.353 Anerkannt wurde auch das rechtliche Interesse des Umweltschutzvereins der Stadt von Ioannina gegen den Beschluss für die Nutzung einer benachbarten Fläche für industrielle Zwecke.354 Auch das rechtliche Interesse eines Bergsteigervereins wurde vom Staatsrat angenommen. Dieser Verein hat eine Aufhebungsklage gegen die Betriebsgenehmigung einer Steingrube gestellt. Der Staatsrat argumentierte dafür, denn zu den Satzungszwecken des Vereines gehörten auch der Schutz der Bergumwelt und die Verbreitung von umweltschonenden Verhaltensweisen für die Gebirge.355 Anerkannt wurde auch das rechtliche Interesse des griechischen Forstwissenschaftsverbandes, dessen Mitglieder verbeamtete Forstwissenschaftler sind. DieStE, Urt. Nr. 2756, 2757/94, NkF 1995, S. 403. StE, Urt. Nr. 491/94. 348 StE, Urt. v. 3557/94. 349 StE, Urt. Nr. 4946/95. 350 StE, Urt. Nr. 686/94; Anm. dazu D. Makris, NkF 1995, S. 98 ff. 351 StE, Urt. Nr. 2161/94. 352 StE, Urt. Nr. 2759/94; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2301/95; StE, Urt. Nr. 2731/ 97; G. Siouti, Das rechtliche Interesse an der Aufhebungsklage, 1998, S. 272 ff. 353 StE, Urt. Nr. 2006/81. 354 StE, Urt. Nr. 919/82. 355 StE, Urt. Nr. 4140/2001; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 311. 346 347
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
ser Verband hat die Aufhebung einer ministeriellen Entscheidung gefordert, nach der die Waldbrandlöschungsaufgabe von der Forstverwaltung abgelöst und an die Feuerwehr übertragen wurde. Damit sollte der Ansicht des klagenden Vereins nach die Effektivität des Waldschutzes abgeschwächt werden. Angesichts der Tatsache, dass Satzungszweck des Aufhebungsklägers prinzipiell die Förderung von Forstwirtschaft und Waldschutz war, hat der griechische Staatsrat das rechtliche Interesse des klagenden Verbands als hinreichend begründet angenommen.356 Zu beachten ist, dass der Staatsrat im Fall einer Aufhebungsklage gegen die Genehmigung für die Errichtung eines Windenergieparks innerhalb des Verwaltungsgebiets der Gemeinde Charakas (Landkreis Arkadien in Peloponnese) das rechtliche Interesse eines Vereins anerkannt hat, dessen Mitglieder aus dieser Gemeinde stammten. Der Satzungszweck dieses Vereins war die Vertiefung der Beziehung der Mitglieder zu ihrem gemeinsamen Stammort sowie die kulturelle Förderung und Verschönerung der Region. Angesichts der Tatsache, dass das in Frage gestellte Bauprojekt die natürliche und kulturelle Landschaft der Gemeinde Charakas beeinträchtigen könnte, hat der Staatsrat das rechtliche Interesse des Aufhebungsklägers anerkannt. Der Ansicht des Gerichts nach umfasse der Satzungszweck des klagenden Verbandes auch den Schutz der regionalen Umwelt vor möglichen Beeinträchtigungen aufgrund von umweltbelastenden Bauprojekten wie der Errichtung eines Windenergieparks.357 Im Anschluss daran hat der Staatsrat auch die Aufhebungsklage eines anderen regionalen Verschönerungsvereins gegen die Betriebserlaubnis einer Steingrube zugelassen. Die Mitglieder des antragstellenden Vereins stammten aus dem Ort, in dem der Steinbruch betrieben werden sollte. Zentraler Satzungszweck dieses Vereines war die Verschönerung sowie die Förderung der touristischen Entwicklung der Region. Im Hinblick darauf stellte das Gericht fest, dass der Betrieb des Steinbruchs die Umwelt belasten würde und damit die touristische Entwicklung der Region erheblich eingeschränkt werden könnte.358 Vor diesem Hintergrund wurde auch in diesem Fall das rechtliche Interesse des Klägers als begründet anerkannt. Zu beachten ist, dass der Staatsrat auch das rechtliche Interesse des Verbandes der Kühlindustrien als begründet anerkannte. Dieser Verband hat eine Aufhebungsklage gegen die Erteilung einer Genehmigung bezüglich der Errichtung einer Industrieanlage eingereicht, die die Verarbeitung, Verpackung und Standardisierung von Fischfängen im Bezirk von Attika zu betreiben bezweckte. Der klagende Verband hat geltend gemacht, dass er diesen Verwaltungsakt angefochten
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StE, Urt. Nr. 565/99. StE, Urt. Nr. 172/2003. StE, Urt. Nr. 2796/2002.
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hat, um die städtische Umwelt im Rahmen des Art. 24 und 106 gr. V. zu schützen. Zu den satzungsmäßigen Zweckbestimmungen dieses Verbandes gehörten die nachhaltige Entwicklung der Kühlindustrieanlagen sowie die Aufsicht der allgemeinen und speziellen Staatsvorkehrungen, die die Branche der Kühlindustrie betreffen sollten. Der Staatsrat hat diese Zweckbestimmungen weit ausgelegt. Er hat somit angenommen, dass diese unter anderem auch dem Nachhaltigkeitsgebot des Art. 24 gr. V. dienen sollen, denn die Implementierung des Nachhaltigkeitsprinzips betrifft auch die Aktivitäten von Wirtschaftstätigen (juristische oder natürliche Personen). Insofern kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Aufhebungskläger ein plausibles rechtliches Interesse hatte, die rationelle Verteilung der Kühlindustrieanlagen aufrechtzuerhalten. Er war somit dazu berechtigt, die Aufhebung des umstrittenen Verwaltungsaktes zu verfolgen.359 Erwähnenswert ist auch der Fall, in dem der Staatsrat das rechtliche Interesse der „Gesellschaft zur Forschung und zum Schutz der dort ansässigen und geschützten Mittelmeermönchsrobbe“ anerkannt hat. Diese Gesellschaft war nicht der Aufhebungskläger. Sie wollte aber gegen den Aufhebungskläger in der Rechtsstreitigkeit für den Umweltschutz gerichtlich intervenieren. Dies war gesetzmäßig angesichts der Tatsache, dass das Rechtsinstitut der gerichtlichen Intervention von Interessenten in der griechischen Verordnung vorgesehen ist. Es ging tatsächlich um eine Aufhebungsklage von Grundstückseigentümern von Inseln der Inselgruppe der Sporaden gegen eine Verordnung, mit der terrestrische und maritime Gebiete der ägäischen Inseln der Sporaden als Meeresnaturpark ausgewiesen wurden. Damit wurden auch Maßnahmen zum Schutz dieses Gebietes getroffen, die die Eigentumsrechte der Kläger einschränkten. Der nebenintervenierende Verband durfte somit für die Weitergeltung dieses umstrittenen umweltrelevanten Rechtsaktes vor Gericht argumentieren, da er offensichtlich dem Umweltschutz des in Frage gestellten Gebietes diente und daher ein rechtliches Interesse an der Verordnung hatte.360 Allerdings hat der griechische Staatsrat in einem anderen entsprechenden Fall zum Schutz der Landschaft eines Naturschutzgebietes das rechtliche Interesse des „Vereins des Lehr- und Forschungspersonals der Universität von Ioannina“ nicht anerkannt, da seine Satzungszwecke den Umweltschutz nicht enthielten. Es handelte sich in diesem Fall um die Nebenintervention dieses Vereins für den Widerruf der Baugenehmigung in der gebirgigen Gemeinde Papingo (bei Ioannina, im Nordwesten Griechenlands). Doch enthielt die Satzung unter anderem als Satzungszweck auch die aktive und verantwortliche Stellungnahme gegenüber gesellschaftlichen Problemen. Die Zweckbestimmung der Satzung dieses Vereines, aktiv und verantwortungsbewusst seine Stellungnahme zu sozialen Pro-
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StE, Urt. Nr. 4207/97. StE, Urt. Nr. 2304/95.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
blemen zu äußern, sei der Ansicht des Staatsrates nach sehr vage formuliert und könne somit keine besondere Rechtsbeziehung des Vereins zum umstrittenen Verwaltungsakt begründen.361 In dieser Richtung hat auch der Staatsrat in seinem Urteil Nr. 4664/97 das rechtliche Interesse eines Umweltverbandes, dessen Satzung den terrestrischen und maritimen Schutz eines bestimmten Gebietes im Landkreis von Korinthos bezweckte, abgelehnt. Der Umweltverband hat eine Aufhebungsklage gegen das Bebauungsvorhaben einer Siedlung im Landkreis Korinthos eingelegt. Der Staatsrat hat argumentiert, dass der Umweltverband nicht gegen jeden Verwaltungsakt vorgehen darf, der die Bebauung in der umstrittenen Siedlung genehmigt, sondern nur gegen (vermutlich) gesetzwidrige Verwaltungsakte, die unmittelbar die Umwelt belasten. Wäre es den Umweltverbänden möglich, allein aufgrund der Zweckbestimmung ihrer Satzung eine Aufhebungsklage gegen jeden bebauungsbezogenen Verwaltungsakt zu stellen, würde das zu einer gesetzwidrigen Einführung einer actio popularis für jeden Umweltverband führen.362 Vergleicht man aber diese Argumentation des Staatsrates etwa im Hinblick auf die Anerkennung des rechtlichen Interesses der Rechtsanwaltskammer von Volos oder des griechischen Verbandes der Kühlindustrien, stellt man in dem oben genannten Fall eine Einschränkung der Anerkennung des rechtlichen Interesses der Verbände fest. Dieses Urteil hat aber die außergewöhnlich erweiterte Klagebefugnis der Verbände in Umweltangelegenheiten nicht im Grunde geändert. Obwohl bislang die Rechtsprechung des Staatsrates keine vollständig feste Rechtsprechung bezüglich der Anerkennung des rechtlichen Interesses von Verbänden in Umweltangelegenheiten gestaltet hat, bleibt die Auslegung des rechtlichen Interesses von Verbänden und daher auch der Umfang der Klagebefugnis von Verbänden im kritischen Bereich des Umweltschutzrechtes immer noch überwiegend großzügig.363 2. Klagebefugnis von Vereinigungen ohne juristische Persönlichkeit in Umweltangelegenheiten Erwähnenswert ist, dass der Rechtsprechung des Staatsrats nach auch Personenvereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit ein rechtliches Interesse an der Erhebung einer Aufhebungsklage haben können.364 Gemäß Art. 62 gr. ZPO i.V. m. Art. 47 § 1 des Staatsratsgesetzes sind auch Personenvereinigungen ohne juristische Persönlichkeit prozessfähig und dürfen die Verwirklichung der Zwecke, für die sie gebildet wurden, vor Gericht verteidigen. Notwendige Voraussetzun361 362 363 364
StE, Urt. Nr. 50/93; NkF 1994, S. 184 ff. StE, Urt. Nr. 4664/97. Anm. dazu C. Chrysanthakis, NkF 1998, S. 361 ff. Vgl. G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 118 ff., m.w. N. StE, Urt. Nr. 4037/79, 18/83, 1485/83 u. a.
C. Rechtliches Interesse i. R. d. umweltrelevanten Aufhebungsklageprozesses
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gen dabei sind einerseits, dass solche Vereinigungen als Träger von Rechten und Pflichten in einem bestimmten Bereich von Rechtsbeziehungen und Aktivitäten von der Rechtsordnung anerkannt werden müssen. Andererseits muss der angefochtene Rechtsakt in denselben bestimmten Bereich fallen und die Umwelt berühren. Darüber hinaus soll eine solche Vereinigung das Vorliegen dieser Voraussetzungen ausreichend beweisen.365 Im Gegensatz dazu sind die Aufhebungsklagen von Personenvereinigungen, die zur Zeit der Erhebung der Aufhebungsklage keine juristische Persönlichkeit besitzen und nicht beweisen können, dass sie zu diesem Zeitpunkt von der Rechtsordnung als Träger von umweltbezogenen Rechten und Aktivitäten anerkannt sind, nicht zulässig.366 Vor diesem Hintergrund wurde z. B. die Aufhebungsklage der Vereinigung ohne juristische Persönlichkeit „Ökologische Bewegung“ gegen die Genehmigung des Betriebs einer Gasanlage anerkannt. Das rechtliche Interesse des Aufhebungsklägers wurde als begründet angenommen, denn die klagende Vereinigung verfolgte in diesem Fall einen Zweck, für den sie gebildet wurde. Dies steht im Einklang mit den Anforderungen des Grundrechts auf Umweltschutz gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V. Denn diese Norm gewährleistet, dass das Recht auf Umweltschutz ein Recht von jeder Person ist, unabhängig davon, ob sie über eine juristische Persönlichkeit verfügt.367 3. Keine Überbelastung des Staatsrates wegen einer erweiterten Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten Die Bedenken eines Teils der Theorie, dass die Erweiterung des rechtlichen Interesses der Aufhebungskläger in Umweltangelegenheiten zu einer Überbelastung des Staatsrates mit Aufhebungsklagen sowie zu der Einführung einer rechtswidrigen Popularklage führe,368 wurden bisher nicht bestätigt. Laut aktuellen (allerdings inoffiziellen) Angaben des griechischen Staatsrates369 beträgt im Zeitraum 2003–2007 die jährliche durchschnittliche Erfolgsquote der umwelt365 Vgl. StE, Urt. Nr. 2302/95, 50/93, DiDik 1996, S. 849; StE, Urt. Nr. 2805/2002. Vgl. E. Trova, PerDik 2003, S. 250 ff.; vgl. auch G. Siouti, Das rechtliche Interesse an der Aufhebungsklage, 1998, S. 276 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 312 ff. 366 StE, Urt. Nr. 3572/2002; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 312 ff. 367 T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 313. 368 Vgl. P. Vegleris, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Probleme, 1977, S. 72 ff. 369 Es wird geschätzt, dass im Zeitraum 2003–2007 insgesamt 6.421 Aufhebungsklagen vor der 5. Kammer des Staatsrates, die für die Umweltrechtsstreitigkeiten zuständig ist, eingereicht wurden. Durchschnittlich werden 1.284 Aufhebungklagen im Bereich der Umweltangelegenheiten pro Jahr eingereicht. Schätzungen zufolge trifft die 5. Kammer durchschnittlich ca 550 Urteile pro Jahr. Ca. 25% dieser Urteile sind für die jeweiligen Aufhebungskläger (natürliche und juristische Personen)erfolgreich.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
bezogenen Aufhebungsklagen vor der zuständigen 5. Kammer des griechischen Staatsrates ca. 25% der gesamten relevanten Urteile.370 Diese Quote scheint deutlich besser zu sein als durchschnittliche Erfolgsquoten in übrigen Rechtsbereichen griechischer Verwaltungsrechtsstreitigkeiten.371 Es gibt bisher keine überzeugende Angabe, die nachweisen kann, dass die Zahl der eingereichten umweltbezogenen Aufhebungsklagen in Umweltangelegenheiten höher als die Klagezahl in anderen Angelegenheiten vor Verwaltungsgerichten ist. Die bisherige Rechtspraxis kann somit weder eine Klageflut noch eine übermäßige bzw. missbräuchliche Einlegung von Aufhebungsklagen von juristischen oder natürlichen Personen infolge der erweiterten Klagebefugnis der Kläger in Umweltangelegenheiten begründen. Eine Rolle dabei spielen auch die knappen Finanzressourcen der potenziellen Kläger372 sowie das mangelhafte Umweltbewusstsein in Griechenland.373 Ferner verschlechtert die aktuelle Finanzkrise Griechenlands auch den finanziellen Zustand der Verbände und mindert daher auch ihre Bereitschaft, altruistische VK zugunsten der Umwelt zu erheben.
D. Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention Von der oben ausgeführten Analyse ausgehend kann hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit der griechischen Rechtsordnung im Bereich des Umweltrechtsschutzes mit den Anforderungen der dritten Säule der AK bezüglich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten der Schluss gezogen werden, dass das griechische Rechtsschutzsystem grundsätzlich im Einklang mit den Anforderungen der AK und der entsprechenden Gesetzgebung des Europarechts wie der RL 2003/35 EG steht. Das griechische Rechtsschutzsystem im Bereich des Umweltschutzes geht möglicherweise sogar über die Anforderungen der AK hinaus. Dafür spricht vor allem die bereits skizzierte Erweiterung des rechtlichen Interesses der Kläger bei der Erhebung einer Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten, die überwiegend der progressiven Rechtsprechung des Staatsrates zu verdanken ist.374 370 Die dargestellten Zahlen wurden dem Verfasser vom griechischen Staatsrat bekanntgemacht, nachdem er einen entsprechenden Informationsantrag gestellt hatte. Diese Angaben sind allerdings nicht offiziell. Bisher fehlt es dem Staatsrat an einer von der Öffentlichkeit direkt zugänglichen, vollständigen statistischen Datenbank. 371 Ebd. 372 Das griechische Recht sieht grundsätzlich keine finanzielle Beihilfe für Personen, die keine Möglichkeit haben, die Prozesskosten eines Gerictsverfahrens zu übernehmen, vor. European Commission, Summary Report on the Inventory of EU Member States’ Measures on Access to Justice in Environmental Matters, Milieu Ltd, 2007, S. 15. 373 Vgl. E. Dikaios, NkF, Dezember 2007. 374 Vgl. K. Menoudakos, NkF September 2003; W. Papadimitriou, in: Rechtsanwaltskammer von Athen/D. Kretikopoulou (Hrsg.), Die Implementation der Aarhus-Konvention. Probleme und Perspektiven, 2007, S. 39; E. Liaska, PerDik 2008, S. 233 ff.
D. Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention
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Das griechische umweltschützende Rechtsschutzsystem dient weitgehend dem geforderten Ziel des Art. 9 Abs. 2 AK, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen der AK einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Aufgrund der erweiterten Klagebefugnis im griechischen Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle wird im griechischen Recht der „betroffenen Öffentlichkeit“ aufgrund von Art. 2 Nr. 5 AK i.V. m. Art. 9 Abs. 2 AK, aber auch den „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ i. S. des Art. 9 Abs. 3 AK ein weiter Zugang zu Gerichten ermöglicht, um diejenigen von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen verstoßen. Der Umfang des Umweltrechtsschutzes im griechischen Umweltrecht geht sogar weit über den Anforderungen (einschl. des Anwendungsbereichs) der AK hinaus. Denn – wie oben gezeigt wurde – das Grundrecht auf Umweltschutz gewährleistet, dass jeder Rechtsakt, der gesetzwidrig die Umwelt belastet, von jeder natürlichen und juristischen Person, die ein rechtliches Interesse hat, angefochten werden kann.375 Charakteristisch dafür ist, dass auch indirekt von umweltbelastenden Handlungen oder Unterlassungen der Verwaltung betroffenen natürlichen Personen ein Aufhebungsklagerecht gegen solche Rechtsakte haben, soweit sie ein rechtliches Interesse dafür nachweisen können. Bemerkenswert ist auch die besonders weite Klagebefugnis der Selbstverwaltungskörperschaften in Umweltangelegenheiten, die das griechische Recht anerkennt. Vor allem aber geht über die Anforderung des Art. 9 Abs. 2 AK die Tatsache, dass die im Rahmen des griechischen Rechts nicht nur anerkannten nichtstaatlichen Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, ein rechtliches Interesse haben, gemäß den Anforderungen der AK zu klagen. Vielmehr können im griechischen Recht auch Verbände, die sich mittelbar bzw. nebensächlich mit Umweltfragen beschäftigen (etwa soziale, wirtschaftspolitische oder berufliche Verbände) sowie auch Vereinigungen ohne juristische Persönlichkeit umweltbelastende Handlungen oder Unterlassungen der Verwaltung anfechten. Es scheint somit, dass diese weitgehend durch die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates erarbeitete Rechtspraxis in Einklang auch mit den weiteren Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK376 im Verhältnis zu Art. 9 Abs. 2 AK377 steht. Daraus folgt, dass im Gegensatz zu dem deutschen Umweltrechtsschutzsystem378 das griechische Umweltrechtsschutzsystem grundsätzlich keine völker- und unionsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die dritte Säule der AK aufweist. 375
s. o. 2. Teil, 1. Kap., B., III. ff. s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., IV. 377 s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., IV. Zum Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 AK s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., IV. ff. 378 Mehr zu völker- und unionsrechtlichen Bedenken des deutschen Umweltrechtsschutzsystems s. o. 1. Teil, 3. Kap., B., III.; 1. Teil, 3. Kap., C., III.; 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3.; 1. Teil, 3. Kap., E., V.; 1. Teil, 3. Kap., F., VI.; 1. Teil, 3. Kap., G., I., 1. 376
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
E. Fazit In Kontrast zum deutschen Recht verfügt das griechische Recht über keine spezielle Vorschrift, die eine umweltschützende, altruistische VK vorgibt. Es muss aber berücksichtigt werden, dass die griechische Rechtsordnung vor dem Hintergund der Rechtsschutzgarantie (gem. Art. 20 Abs. 1 gr. V.) und in Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Umweltschutz (gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V.) sowie den verwaltungsprozessualen Vorschriften der Aufhebungsklage (gem. Art. 47 der Nr. 18/1989 PVO) für eine weit gefasste betroffene Öffentlichkeit die Möglichkeit einer besonders umfangreichen Interessentenklage gegen umweltbelastende Handlungen und Unterlassungen der Verwaltung anbietet. Die Rechtspraxis hat sogar gezeigt, dass die griechische Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten einer Popularklage sehr nahe kommt. Eine Schlüsselrolle dafür spielt das weite Verständnis des Tatsbestandsmerkmals des rechtlichen Interesses im Rechtsgebiet des Umweltrechtsschutzes, das eine erforderliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Aufhebungsklage ist. Unter diesem Begriff ist jeder Vorteil (also auch reflexartiger Vorteil) oder jede Begünstigung zu verstehen, die dem Einzelnen durch Rechtsnormen verschafft wird, welche die Verwaltung zu einer Handlung oder Unterlassung verpflichten. Dieses weite Verständnis des rechtlichen Interesses im griechischen Recht ist auch darauf zurückzuführen, dass das griechische Grundrecht auf Umweltschutz die Umweltrechte unter anderem als soziale überindividuelle Rechte bezeichnet, soweit deren Einhaltung die menschlichen Lebensgrundlagen sicherstellt. Angesichts der Tatsache, dass die Umweltgüter in der griechischen Rechtsordnung als Allgemeingüter bzw. als gemeinnützige Sachen anerkannt sind, auf deren Nutzung, Gebrauch und Genuss jeder Einzelne ein individuelles Recht besitzt, kann der Schluss gezogen werden, dass der Einzelne dementsprechend über ein rechtliches Interesse an der Einhaltung jeder Norm verfügt, die den Staat zum Umweltschutz verpflichtet. Die Erhaltung von Umweltgütern betrifft somit eine erweiterte Anzahl von Individuen, soweit diese eine spezielle Rechtsbeziehung zu der jeweiligen Umweltschädigung haben. Diese Rechtsbeziehung muss jedenfalls ein rechtliches Interesse des Klageberechtigten rechtfertigen, damit ihre Aufhebungsklage gegen umweltschädliche Handlungen und Unterlassungen als zulässig angenommen wird. In diesem Rahmen können gegebenfalls auch Nichtadressaten bzw. Drittkläger ein rechtliches Interesse an der Aufhebung von den Adressaten belastenden Verwaltungsakten haben, wenn sich die belastenden Rechtsfolgen der jeweils umstrittenen verwaltungsrechtlichen Handlung oder Unterlassung auf sie erstrecken. Dadurch verbindet sich die Zulässigkeit einer Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten mit der Beeinträchtigung von Umweltgütern, die nicht streng individuell sind, sondern einen erweiterten Personenkreis einbeziehen.
E. Fazit
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Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich sowie der Prüfungsgegenstand der griechischen umweltschützenden Aufhebungsklage von juristischen und natürlichen Personen im Vergleich zum Anwendungsbereich der deutschen altruistischen umweltschützenden VK deutlich ausgedehnt. Denn er erstreckt sich auf den gesamten Umfang der jeweils umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten, soweit Rechte und Interessen des Aufhebungsklägers verletzt sind. Die oben ausgeführten Hintergründe und Grundsätze ermächtigen somit die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates dazu, das rechtliche Interesse und seine Voraussetzungen (persönlich, unmittelbar, gegenwärtig) im Gebiet des Umweltrechts nicht rein subjektiv auszulegen. In diesem Zusammenhang reicht es für die Begründung des persönlichen rechtlichen Interesses aus, wenn das geltend gemachte Interesse einem bestimmten Kreis von Personen gemeinsam ist, zu dem auch der Kläger gehört, wenn diese Personen durch geografische, wirtschaftliche oder kulturelle Gemeinsamkeiten miteinander verbunden sind. Im Gegensatz zum deutschen Individualrechtsschutzsystem ist im griechischen Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle der Beweis eines besonderen Verhältnisses des Klägers zu der jeweils umweltbelastenden Anlage, das den Betroffenen von der Gesamtheit der Bewohner deutlich heraushebt, nicht erforderlich. Im Hinblick hierauf wird auch die Rechtsfigur des von Umweltbeeinträchtigungen drittbetroffenen Nachbars im griechischen Recht weit ausgelegt. In diesem Kontext ist bemerkenswert, dass das griechische Umweltrecht den Begriff des „ökologischen Nachbars“ entwickelt hat, um insbesondere das rechtliche Interesse von natürlichen Personen, die weit entfernt von der jeweils umstrittenen Störungsquelle wohnen, zu begründen. Insofern muss man, um eine natürliche Person als ökologischen Nachbarn zu bezeichnen, grundsätzlich darauf abstellen, ob sie in einer derartigen geografischen Beziehung zur Verschmutzungsquelle steht, dass sie direkt vom entstandenen ökologischen Schaden beeinträchtigt wird. Dabei fordert das griechische Recht im Bereich des Umweltschutzes eine lato sensu Unmittelbarkeit des rechtlichen Interesses des Klägers. Dafür spricht ebenso der kollektive bzw. überindividuelle Charakter des griechischen Grundrechts auf Umweltschutz. Darüber hinaus und wiederum im Kontrast zum deutschen Recht kennt das griechische Recht keine Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin. Für die Begründung der Gegenwärtigkeit des rechtlichen Interesses in Umweltangelegenheiten reicht somit im griechischen Recht grundsätzlich der Gefahrenverdacht eines Umweltschadens aus, soweit schwerwiegende Indizien für mögliche Umweltschädigungen bestehen. Vor diesem Hintergrund ist von Bedeutung, dass das griechische Recht ein erheblich erweitertes rechtliches Interesse natürlicher Personen in Umweltangelegenheiten kennt. Für die Zulässigkeit der Klagebefugnis von Drittklägern wird durchaus keine besondere örtliche Beziehung verlangt. Es reicht die allgemeine Eigenschaft als Einwohner der attischen Tiefebene aus.
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Charakteristisch dafür ist, dass die Rechtsprechung des Staatsrates das rechtliche Interesse von natürlichen Personen für begründet hält, selbst wenn sie Einwohner einer Stadt sind, soweit die Umwelt dieser Stadt durch die Handlung oder Unterlassung einer Verwaltungsmaßnahme beeinträchtigt wird oder beeintrachtigt werden kann, so dass dadurch auch die Lebensgrundlagen bzw. das Gesundheitswesen der klagenden Stadteinwohner negativ betroffen sind oder ernstlich gefährdet werden können. Denn die umweltschädlichen Wirkungen einer verwaltungsrechtlichen Handlung oder Unterlassung können sich auch auf weit entfernten Raumgebiete erstrecken. Jedenfalls muss die Betroffenheit des klagebefugten Klägers hinreichend dargelegt werden. In der Regel aber besitzt eine natürliche Person, die Bewohner oder ökologischer Nachbar eines von Umweltschäden betroffenen Gebiets ist, ohne weiteres ein rechtliches Interesse an der Aufhebung eines umweltbelastenden Rechtsaktes. Trotz einiger Begrenzungstendenzen hinsichtlich der Ausweitung des rechtlichen Interesses natürlicher Personen in Umweltangelegenheiten (insb. bei Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Genehmigung von Versorgungsbetriebsanlagen) dominiert bisher die Tendenz der erweiterten und flexiblen Auslegung des rechtlichen Interesses natürlicher Personen im Bereich des griechischen Umweltschutzes. Darüber hinaus interpretiert die Sataatsratsrechtsprechung – im Gegensatz zum deutschen Recht – auch das rechtliche Interesse von Gemeinden, Städten, Kommunen sowie Präfekturen entsprechend erweitert. Insofern ist auch der Umfang der Klagebefugnis der griechischen Selbstverwaltungskörperschaften – im Vergeleich zum deutschen Recht – besonders ausgedehnt. Entscheidend dafür ist, dass im griechischen Recht – im Unterschied zum deutschen Recht – die Klagemöglichkeit der griechischen Selbstverwaltungskörperschaften gegen Maßnahmen, die die Umwelt beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, nicht ausschließlich auf die Verletzung eigener Rechte beschränkt ist. Vielmehr wird das rechtliche Interesse von Selbstverwaltungskörperschaften aus ihrer allgemeinen Kompetenz heraus begründet, sich auch um die umweltbezogenen Angelegenheiten ihrer Verwaltungsregion zu kümmern und geeignete, umweltschützende Maßnahmen zu treffen. Unabhängig davon dürfen aber auch die benachbarten Städte und Gemeinden eine Aufhebungsklage einlegen, wenn es denkbar ist, dass die jeweils in Frage gestellte Umweltbeeinträchtigung nicht bloß an den Grenzen des Gebiets einer Gebietskörperschaft endet, sondern auch andere angrenzende Selbstverwaltungskörperschaften, die sich im weiteren benachbarten Raum befinden, nachweislich betrifft. Vor diesem Hintergrund wirken im griechischen Recht die Selbstverwaltungskörperschaften nicht selten als Sachwalter ihrer Bewohner in Umweltangelegenheiten. Außerordentlich weit ist im griechischen Recht insbesondere der Umfang der Klagebefugnis und daher des rechtlichen Interesses von Verbänden im Bereich
E. Fazit
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des gerichtlichen Schutzes der Umwelt. Beachtenswert ist, dass der griechische Gesetzgeber bisher keine spezielle umweltschützende altruistische VK eingeführt hat. Trotzdem können Verbände im griechischen Rechtsschutzsystem altruistisch i. S. d. deutschen UmwRG gegen umweltschädliche Maßnahmen und für den Schutz überindividueller Umweltrechte klagen. Man versteht insofern die altruistische VK aus der Sicht des griechischen Rechts derart, dass der jeweils klagende Verband nicht einzelne, besonders betroffene Mitglieder vor Schäden bewahren will, sondern für die Gesamtheit seiner Angehörigen streitet und Allgemeininteressen wahrnimmt, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen. Angesichts der Tatsache, dass im griechischen Recht keine spezielle naturschützende oder umweltschützende VK – entsprechend dem deutschen Recht – existiert, verlangt das griechische Recht kein vom Gesetz bestimmtes Anerkennungskriterium der jeweils klagenden Verbände als Zuläsigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten. Ferner sind im griechischen Recht die Klagemöglichkeiten eines Verbandes in Umweltangelegenheiten weder von seiner Beteiligung am vorangegangenen Verwaltungsverfahren noch von der Einhaltung von bestimmten Präklusionsvorschriften (i. S. d. §§ 2 Abs. 3 und 4 S. 1 UmwRG und § 64 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG) abhängig. Die ständige Rechtsprechung des griechischen Staatsrates nimmt vielmehr an, dass ein Verband berechtigt ist, einer umweltschädlichen Verwaltungsmaßnahme durch Aufhebungsklage zu begegnen, wenn der Umweltschutz direkt oder indirekt bzw. nebensächlich zu den in seiner Satzung genannten Zielen gehört. Beachtenswert ist auch, dass die Begründung des rechtlichen Interesses der Verbände in der griechischen Rechtsordnung nicht unbedingt von dem Ort, an dem sich der Sitz des Verbandes befindet, sowie von der örtlichen Beziehung des Sitzes zu dem Gebiet, in dem die Umweltschädigung entstanden ist, abhängig ist. In diesem Zusammenhang tendiert die griechische Rechtsprechung des Staatsrates dazu, umweltschützende Aufhebungsklagen auch von Berufskammern (Rechtsanwaltskammern u. a.) oder sogar von Industrieverbänden für zulässig zu halten, soweit der Umweltschutz bzw. die nachhaltige Entwicklung der Umwelt zumindest nebensächlich zu den in der Satzung des jeweils klagenden Verbandes genannten Zielen gehört. Darüber hinaus können im griechischen Recht unter bestimmten Voraussetzungen auch Personenvereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit ein rechtliches Interesse an der Erhebung einer umweltschützenden Aufhebungsklage begründen. Diese Vereinigungen müssen jedenfalls zum Zweck des Umweltschutzes gebildet worden sein. Trotz der besonders umfangreichen Klagebefugnis von natürlichen und juristischen Personen in Umweltangelegenheiten des griechischen Rechts war bisher keine Klageflut in diesem Bereich zu verzeichnen. Es muss auch hervorgehoben werden, dass das griechische Umweltrechtsschutzsystem vor allem dank seiner
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2. Teil, 2. Kap.: Umweltrechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht
Flexibilität und seines umfangreichen Anwendungsbereichs hinsichtlich des Umweltschutzes im Einklang mit den Anforderungen der AK und der entsprechenden Gesetzgebung des Europarechts steht. Der Umfang des Umweltrechtsschutzes im griechischen Umweltrecht geht sogar weit über den Anwendungsbereich der AK hinaus, die grundsätzlich in Teilbereichen des Umweltrechts (insbesondere das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung und das Industrieanlagenrecht) anwendbar ist.
3. Kapitel
Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen A. Würdigung und Verbesserungsansätze Dank der grundsätzlich erweiterten Auslegungstendenz des ideellen, kollektiven rechtlichen Interesses durch die Fortentwicklung der griechischen Rechtsprechung des Staatsrates ließ sich bisher die griechische umweltschützende VK in Umweltangelegenheiten ohne eine spezielle gesetzliche Regelung konstruieren. Im Ergebnis fördert die aktuelle erweiterte Aufhebungsklage bei umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten deutlich die kollektive Motivierung im Umweltschutzbereich und führt somit zu einer effektiveren Teilhabe der Bürger an Umweltfragen. Sie erweitert die Klagemöglichkeiten gegenüber einer „willkürlichen“ Verwaltung und trägt zur Schaffung einer „vernünftigeren“ Verwaltung bei, da letztere angesichts einer möglichen Aufhebungsklage dazu gezwungen ist, sich gesetzmäßig zu verhalten. Die Möglichkeit, durch Gründung einer juristischen Person, etwa eines Vereins oder Verbandes, den Schutz auch überindividueller umweltbezogener Interessen in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einzubringen, ist infolgedessen in Griechenland zu einem wichtigen Instrument der gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung im Bereich des Umweltschutzes geworden.1 Die Erweiterung des rechtlichen Interesses und damit der Klagbefugnis der Klageberechtigten in Umweltangelegenheiten verstärkt deutlich die Rolle der Öffentlichkeit – und vor allem der Verbände – beim Schutz der Umwelt. Dadurch wird die gerichtliche Kontrolle einer großen Anzahl von individuell ausgerichteten und normativen Verwaltungsakten ermöglicht, die ansonsten mangels eines persönlichen Interesses außerhalb gerichtlicher Kontrolle blieben. Wegen der erheblichen Erweiterung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers in Umweltangelegenheiten besteht aber die Gefahr der indirekten Einführung einer speziellen Popularklage zugunsten des Umweltschutzes im griechischen öffentlichen Recht. Dies wäre allerdings rechtswidrig, da sie vom griechischen Gesetzgeber nicht vorgesehen ist. In der Praxis handelt es sich bei der bisher geltenden erweiterten Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten vielmehr um eine Art relativer Popularklage, die nicht ganz unabhängig von der besonderen Rechtsstellung des Aufhebungsklägers gegenüber der Verwaltung und 1
T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 321, m.w. N.
812 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
insbesondere von der individuellen Verletzung seiner subjektiven Rechte oder von rechtlichen (materiellen oder ideellen) Interessen durch die angegriffene umweltbelastende Maßnahme ist.2 Dennoch erfasst sie eine große Zahl von Drittbetroffenen, ohne aber den Kreis der klageberechtigten juristischen oder natürlichen Personen auf bestimmte speziell umschriebene Kategorien von vermutlich Betroffenen oder auf die unmittelbar durch den Verwaltungsakt belasteten Personen zu beschränken.3 Es scheint, dass die Richter des griechischen Staatsrates eine besondere Sensibilität gerade im speziellen Bereich des Umweltrechtsschutzes aufwiesen. Die intensiven Erweiterungstendenzen des rechtlichen Interesses durch die griechische Rechtsprechung des Staatsrates in Umweltangelegenheiten bestätigen dieses Verhalten. In anderen Rechtsgebieten des griechischen Rechts fehlt hingegen eine entsprechende Erweiterungstendenz des rechtlichen Interesses. Vermutlich ist die oben analysierte Erweiterung des rechtlichen Interesses der Aufhebungskläger in Umweltangelegenheiten auch von dem mutmaßlichen Willen der Rechtsprechung getragen, das vorhandene rechtspolitische Defizit im Bereich des Umweltschutzes möglichst effektiv zu beseitigen.4 Das mag auch mit außergesetzlichen sozialpolitischen Phänomenen zusammenhängen wie der Notwendigkeit, vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Umweltkrise in Verbindung mit der Schwäche der Verwaltungsbehörden die bedrohten Umweltgüter ausreichend effektiv zu schützen. Rechtsproblematisch ist allerdings bezüglich dieses Verhaltens, dass dadurch in den letzten Jahren häufig das Grundrecht auf Umweltschutz de facto vorrangig gegenüber kollidierenden weiteren Grundrechten (z. B. gegenüber dem Eigentumsrecht oder der Berufsfreiheit) anerkannt wird.5 Dies entspräche aber nicht 2 Z. B. liegt im Falle von juristischen Personen eine „quasi subjektive (materielle oder ideelle) Verletzung“ durch eine umweltbelastende Verwaltungsmaßnahme vor, wenn der Umweltschutz direkt oder indirekt das Ziel der Verbandssatzung ist. 3 StE 1914/86. 4 Vgl. A. Papakonstantinou, PerDik 2006, S. 227; P.-M. Efstratiou, NoB 1998, S. 1212 ff.; A. Kallia-Antoniou, PerDik 1999, S. 182 ff. 5 Vgl. K. Menoudakos, NoB 2002, S. 45 ff.; A. Papakonstantinou, PerDik 2006, S. 227; A. Kallia-Antoniou, PerDik 1999, S. 182 ff. Hier soll beachtet werden, dass die Abwägung zwischen privaten, wirtschaftlichen Interessen (gem. Art. 17 gr. V.) und öffentlichen, umweltschutzbezogenen Interessen häufig tendenziell nicht zu einer praktischen Harmonisierung dieser Interessen führt, sondern zu einem Vorrang der Umweltgüter gegenüber den Wirtschaftsgütern. Dies gilt sogar trotz der typischen Gleichsetzung der Art. 17 und Art. 24 gr. V. [vgl. StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 2034-6/2011; StE (Vollversamml.), Urt. Nr. 292/84]. Die Zurückstellung des individuellen Grundrechts auf Eigentum vor das Grundrecht auf Umweltschutz wird durch den speziellen Charakter des Grundrechts auf Umweltschutz im Vergleich zum Grundrecht auf Eigentum oder mit der wirtschaftlichen Freiheit begründet. Denn Art. 24 gr. V. enthält konkrete Vorschriften, die Maßnahmen zum Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt bestimmen wie z. B. das Verbot der Änderung der Nutzung von Staatswäldern und staatlichen Waldflächen (Art. 24 Abs. 1 S. 4 gr. V.) oder der Schutz von Denkmälern und histori-
A. Würdigung und Verbesserungsansätze
813
dem originären Willen des griechischen Verfassungsgesetzgebers. Denn im Rahmen der griechischen Verfassung sind alle Grundrechte untereinander gleichrangig.6 Auf diese Weise werden aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie das Prinzip der typischen Gleichrangigkeit der Grundrechte verletzt.7 Eine gerechte und objektive Abwägung der jeweils kollidierenden Grundrechte (einschließlich des Grundrechts auf Umweltschutz) ist jedenfalls unerlässlich. Die Unbestimmtheit und der technische Charakter vieler umweltschützender Maßnahmen tragen auch zu dem oben ausgeführten Ergebnis bei. Außerdem überschreiten die Richter des Staatsrates nicht selten die festgesetzten Schranken ihrer eingeräumten gesetzmäßigen gerichtlichen Kontrolle. Statt es bei der Durchführung einer Gesetzmäßigkeitskontrolle8 zu belassen, führen sie in der Praxis eine Zweckmäßigkeits- bzw. Angemessenheitskontrolle ein, die aber von der Verwaltungsprozessordnung nicht vorgesehen ist. Auf diese Weise erweitern sie willkürlich den gesetzmäßigen Ermessensspielraum der Verwaltungsbehörden.9 Ein verschleierter Vorrang des Grundrechts auf Umweltschutz gegenüber anderen Grundrechten würde demzufolge als rechtssystematisch fehlerhaft betrachtet. Zwar scheint diese Rechtsprechungstendenz eine ausgleichende Reaktion gegen die schon kurz dargestellte staatliche bzw. wirtschaftspolitische Willkür hinsichtlich des Umweltschutzes oder gegen den mangelnden politischen Willen hinsichtlich der Aufstellung einer langfristigen nationalen Umweltschutzstrategie sowie gegen die häufig ineffiziente Anwendung der Umweltvorschriften durch die Verwaltungsbehörden zu sein. Es sollte aber nicht außer Betracht bleiben, dass eine solche Reaktion der Rechtsprechung gegen das rechtspolitische Defizit des griechischen Umweltschutzrechts, die nicht nur auf ausreichend bestimmten und aufgeklärten Regelungen bzw. konkreten rechtlichen Kriterien beruht, in der Praxis das Phänomen eines richterlichen Aktivismus fördert.10 schen Stätten und Gegenständen (Art. 24 Abs. 6 gr. V.). Gerade dieser spezielle Charakter des Grundrechts auf Umweltschutz signalisiert dieser Auffassung nach dessen Vorrang gegenüber anderen Wirtschaftsrechten und Interessen. Dieses Ergebnis wird allerdings als nicht verfassungsmäßig kritisiert: K. Gogos, in: T. Antoniou (Hrsg.), Grundlagen des öffentlichen Rechts, 2014, S. 256, m.w. N. 6 Vgl. G. Siouti, Art. 24 gr. V., in: G. Kassimatis/K. Mavrias (Hrsg.), Verfassungskommentar, 2003, S. 31 ff. 7 In diese Richtung auch A. Papakonstantinou, PerDik 2006, S. 227; P.-M. Efstratiou, DtA 1999, S. 845 ff.; P. Lasaratos, D 1996, S. 92; A. Kallia-Antoniou, PerDik 1999, S. 182 ff. 8 Der Staatsrat begrenzt sich im Prinzip nur auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle des angefochtenen Verwaltungsaktes. Deshalb kann er nicht „zur Sache“ des Falles kommen wie die gerichtliche Kontrolle der materiellen Streitigkeiten. 9 Vgl. P. Lasaratos, D 1996, S. 92; E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 58 ff. 10 Vgl. E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 58 ff.; P.-M. Efstratiou, NoB 1998,
814 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
Vor diesem Hintergrund entsteht die Gefahr, dass die Richter möglicherweise die Grenzen ihrer durch den Verfassungsgesetzgeber eingeräumten Macht überschreiten, indem sie ein erheblich erweitertes rechtliches Interesse der Aufhebungskläger ausnahmsweise nur im Bereich des Umweltschutzes, aber nicht in anderen verfassungsrechtlich gleichrangigen Bereichen (etwa den wirtschaftschutzbezogenen Bereich) anerkennen. Auf diese indirekte Weise mag widerrechtlich angenommen werden, dass sich das Grundrecht auf Umweltschutz vorrangig gegenüber anderen kollidierenden Grundrechten erweist. Obwohl es auf diese Weise erscheint, dass die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates positiv zu dem aus der griechischen Verfassung ausgehenden Gebot des Umweltschutzes beiträgt, ist dieses Vorgehen im Ergebnis kasuistisch und fragmentarisch, sowie rechtsdogmatisch und rechtssystematisch inkonsequent.11 Gerade aber dieses Vorgehen zeigt, dass die griechische Rechtsordnung bezüglich des Umweltschutzes in der Praxis nicht bereit ist, das verfassungsmäßige Gebot auf Umweltschutz ausreichend systemkonsequent und ausgeglichen zu gewährleisten.12 Denn der aufgrund von umstrittenen Handlungen und Unterlassungen des Gesetzgebers und der Verwaltung defizitäre Umweltschutz kann nicht von Gründe auf durch eine Art richterlichen Aktivismus effizient bekämpft werden. Der gem. Art. 24 gr. V. gewährleistete effektive Umweltrechtsschutz kann nicht einfach der erfinderischen Leistung der Rechtsprechung überlassen werden. Dies stünde auch nicht im Einklang mit dem Gebot des Art. 24 Abs. 1 gr. V. für einen vollständigen Umweltschutz. Die ohne Zweifel vorhandene Vorreiterrolle des griechischen Staatsrates im Bereich des Umweltschutzes ist nicht allein ausreichend, um als Ersatz für den Gesetzgeber oder die Verwaltung einen effektiven Umweltschutz zu schaffen. Denn im Ergebnis richtet sich die Justiz – der Sache nach – grundsätzlich auf eine erweiterte, aber kasuistische Beilegung von rechtlichen Fragen hinsichtlich der Reichweite der Klagebefugnis der klagenden Rechtssubjekte in Umweltangelegenheiten. Das aktivistische Verhalten der griechischen Rechtsprechung des Staatsrates dürfe somit nicht auf diese Weise die Defizite der Gesetzgebung, der Verwaltung und letztlich der Politik im Bereich des Umweltschutzes effektiv beseitigen. Die latenten und weit ausgelegten Kriterien der Rechtsprechung bezüglich der Klagebefugnis der Klageberechtigten in Umweltangelegenheiten können S. 1212 ff.; X. Contiadis, DtA 2001, S. 427 ff.; A. Papakonstantinou, PerDik 2006, S. 227. 11 Vgl. E. Dikaios, Der Umweltschutz im Zivilrecht. Vergleichende Studie zu Fragen des griechischen und deutschen Rechts, 2009, S. 58 ff. 12 In diese Richtung auch A. Tachos, NkF 1998, S. 283; S. Risos, DtA, 2001, S. 416 ff.; G. Papadimitriou, NkF, Februar 2008; E. Spiliotopoulos, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 875 ff.; K. Giannakopoulos, in: FS zum 75jährigen Bestehen des Staatsrates, 2004, S. 525 ff.; K. Menoudakos, in: G. Papadimitriou (Hrsg.), Die Bürgergemeinschaft und die Implementierung des Umweltrechts, 2007, S. 111 ff.; P.-M. Efstratiou, DtA 1999, S. 845 ff.
A. Würdigung und Verbesserungsansätze
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nicht von sich aus die sozialpolitischen, aber auch die verfassungsrechtlichen Bedürfnisse bzw. Erfordernisse im Bereich des Umweltschutzes ersetzen. Ein solcher richterlicher Aktivismus kann daher nicht als systemkonform angesehen werden. Eine grenzenlose (d.h. ohne stabile gesetzliche Abgrenzung erfolgende) Erweiterung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers in Umweltangelegenheiten durch die griechische Rechtsprechung könnte außerdem auch den Vertrauensschutz der Bürger in Bezug auf die feste Einhaltung der Gesetze in Zweifel stellen. Offensichtlich leidet die Klagebefugnis im griechischen Umweltschutzrecht unter der Unbestimmtheit des Umfangs der Zulassungsvoraussetzungen – insbesondere des rechtlichen Interesses der drittbetroffenen juristischen und natürlichen Personen in Umweltangelegenheiten. Infolgedessen ist die Erweiterungstendenz des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers in Umweltangelegenheiten – wie schon angemerkt wurde – nicht in allen Fällen von Umweltbeeinträchtigungen sowie in allen umweltschützenden Bereichen und zu allen Zeiten gleich und somit konsequent. Mangels einer konkreten gesetzlichen Bestimmung der Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten ist die Auslegung ihrer Kriterien und vor allem des rechtlichen Interesses durch die Rechtsprechung etwas schwankend und daher rechtsunsicher.13 In diesem Zusammenhang sollte der Gesetzgeber in Kooperation mit der Rechtsprechung deutlichere Grenzen der Klagebefugnis von juristischen und natürlichen Personen in Umweltangelegenheiten setzen. Zwar ist eine Erweiterung des rechtlichen Interesses von Aufhebungsklägern im besonderen Bereich der Umweltstreitigkeiten durchaus erwünscht, um eine möglichst große Effektivierung des Umweltschutzes durch die Bürgergesellschaft zu erreichen. Eine solche Erweiterung ihrer Klagebefugnis darf aber die Grenzen des auch im griechischen Recht eindeutigen Popularklageverbots nicht überschreiten. Vor diesem Hintergrund dürfte die Erhebung eines Rechtsbehelfes zum Schutz der Umwelt nicht auch solchen Verbänden überlassen werden, die sich nicht direkt für den Umweltschutz einsetzen, sondern sich nur mittelbar und gelegentlich für die Umwelt interessieren.14 Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, nicht nur aus Rechtssicherheitsgründen, sondern auch zugunsten einer konsequenten Implementierung des Grundrechts auf Umweltschutz gem. Art. 24 gr. V. sowie eines möglichst optimalen Umweltrechtsschutzes die Voraussetzungen der Klagebefugnis der Kläger in Um-
13 Vgl. G. Siouti, Das rechtliche Interesse in der Aufhebungsklage, 1998, S. 261 ff.; D. Anagnostou, ToS 1988, S. 649 ff.; P. Lasaratos, D 1996, S. 91 ff.; E. Kretsi, D 2007, S. 162 ff.; F. Triantafyllou-Albanidou, Das rechtliche Interesse des Klägers, 1995, S. 31 ff. 14 Vgl. G. Siouti, Lehrbuch für das Umweltrecht, 2011, S. 117 ff.; T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 309 ff.
816 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
weltstreitigkeiten konkret durch eine spezielle gesetzliche Bestimmung festzusetzen.15 Dadurch könnte der besondere, überindividuelle Charakter des Rechts auf Umweltschutz und die Fragen hinsichtlich der weitgehenden Erweiterung des rechtlichen Interesses bei den Umweltrechtsstreitigkeiten ausreichend aufgeklärt werden. Im Hinblick auf den möglichen Erlass einer solchen Norm sollte der griechische Gesetzgeber die oben dargestellte Tradition der gestalterischen Rechtsprechung des Staatsrates bezüglich der Erweiterung des rechtlichen Interesses bei umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten mitberücksichtigen. Damit sollte das Wesen dieser Rechtsprechung gesetzlich fixiert werden. Durch die Einführung einer solchen Norm sollten bestimmte normative Grenzlinien gesetzt werden, so dass der Inhalt und Umfang der Aufhebungsklagebefugnis in Umweltangelegenheiten unabhängig ist von wechselhaften rechtspolitischen Trends sowie von relativierenden Auslegungstendenzen der Rechtsprechung. Auf diese Weise könnte die Rechtssicherheit und die Rechtskonsequenz im Gebiet des griechischen überindividuellen Umweltrechtsschutzes effektiver gewährleistet werden. Auf der anderen Seite sollte auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass in einem besonders empfindlichen und wechselhaften Bereich wie dem Umweltrecht die Voraussetzungen des Klagerechts der Betroffenen nicht übermäßig streng und restriktiv per Gesetz bestimmt werden müssen. Denn auf diese Weise entbehrt die Rechtsprechung in dieser Frage grundsätzlich ihrer Flexibilität, jeden Fall in concreto und im Zusammenhang mit der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Dynamik zu beurteilen.16 Es muss auch mitberücksichtigt werden, dass die Erweiterung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers in Umweltangelegenheiten auf dem oben dargestellten besonderen Charakter des gemischten Grundrechts auf Umweltschutz als gleichzeitig individuellem, sozialem und kollektivem Grundrecht beruhen sollte. Hilfreiche Ansätze für die gesetzliche Einführung einer möglichst optimalen altruistischen umweltschützenden Aufhebungsklage von Verbänden könnten insbesondere die Anerkennungsvorgaben eines umweltschützenden Verbandes des § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 des UmwRG sein.17 Vor allem sollten die klagenden Vereinigungen bzw. Verbände nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend die Ziele des Umweltschutzes fördern. Dabei sollten diese juristischen Personen eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten. Ferner sollte auch die Art und der Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit berücksichtigt werden. Eine Mindestfrist für das Bestehen eines Verbandes sowie die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, das zur Anerkennung eines Verbandes als klagefähig führt, wären m. E. 15 Vgl. A. Sakellaropoulos, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Staatsrates (1929– 1979), Bd. 1, 1982, S. 347; I. Karakostas, 2000, S. 452 ff. 16 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 80 ff. 17 Mehr zu den Anerkennungsvoraussetzungen für deutsche Umweltschutzvereinigungen im Rahmen des UmwRG s. o. 1. Teil, 3. Kap., D.
B. Rechtsvergleich zwischen deutschem und griechischem Recht
817
nach allerdings überflüssig, soweit die oben genannten Kriterien schon erfüllt sind. Denn derartige Bedingungen könnten eher zu einer weiteren, ungewollten Verkomplizierung des Umweltrechtsschutzes durch Verbände führen, wie es die Erfahrung des deutschen Rechts bisher zeigt. Wegen der realen Gefahr einer de facto Umgehung zumindest des Verbots der Popularklage im griechischen Recht erscheint es plausibel, dass der von der Satzung oder dem Gesetz vorgesehene Zweck einer juristischen Person nur dann ein rechtliches Interesse begründen sollte, wenn diese juristische Person nachweislich diesen Zweck ständig, und nicht nur inzident und vorübergehend erfüllt. Indizierend dazu sollte die Tatsache sein, dass dieses rechtliche Interesse auch ein persönliches Interesse ihrer Mitglieder ist, und zwar in ihrer Eigenschaft, in welcher sie der juristischen Person angehören.18 Beispielsweise sollte eine Rechtsanwaltskammer, die zum Schutz der Umwelt eine Aufhebungsklage einreicht, ein rechtliches Interesse dann begründen, wenn es vor allem um öffentliche Maßnahmen geht, die mittelbar oder unmittelbar Anwaltsinteressen beschweren und nicht, wenn es bloß um Umweltangelegenheiten geht, die theoretisch mittelbar nicht nur Mitglieder der Rechtsanwaltskammer, sondern auch möglicherweise jeden Bürger betreffen können. In diese Richtung sollten auch natürliche Personen und Selbstverwaltungskörperschaften eine deutliche Verletzung ihrer Interessen durch die jeweils umstrittenen umweltbelastenden öffentlichen Handlungen und Unterlassungen nachweisen, um ihr rechtliches Interesse ausreichend zu begründen. Jedenfalls sollte aber das vor allem durch die Rechtsprechung des Staatsrates ausgestaltete weite Verständnis des rechtlichen Interesses und somit die umfangreiche Klagebefugnis der Klageberechtigten in Umweltangelegenheiten des griechischen Rechts beibehalten werden.
B. Rechtsvergleichende Anmerkungen zwischen deutschem und griechischem Recht bezüglich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes Die Grundlagen sowie die Funktion des überindividuellen Umweltrechtsschutzes Drittbetroffener und insbesondere der umweltschützenden Verbandsklage im deutschen und griechischen Recht sind schon beschrieben worden. Obwohl beide Rechtsschutzsysteme die Popularklage ausschließen, verstehen sie das Klagerecht der Drittbetroffenen hinsichtlich umweltbezogener Verwaltungsstreitigkeiten weitgehend unterschiedlich. Während das deutsche Rechtsschutzsystem von der Schutznormlehre tief geprägt ist, so dass sich der deutsche Normgeber eindeutig 18 Vgl. in diese Richtung auch P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 122 ff.
818 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
für ein striktes Individualrechtsschutzsystem entschieden hat, wurde der griechische Gesetzgeber eher von der französischen Tradition eines Rechtsschutzsystems, das auf die objektive Rechtskontrolle gerichtet ist, beeinflusst. Vor diesem Hintergrund richtet sich – anders als die deutsche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG – Art. 20 Abs. 1 gr. V. nicht nur auf eine Gewährleistung des effektiven Schutzes der stricto sensu subjektiven öffentlichen Rechte der jeweiligen Rechtssubjekte. Vielmehr wird damit auch der effektive Schutz der rechtmäßigen „Interessen“ der Rechtsträger gewährleistet. Im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems, das im Verwaltungsprozess durch §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 und 5 VwGO bestimmt wird, tritt die Anfechtung eines objektiv rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur in dem Umfang auf, in dem eine Klagebefugnis gegeben ist. Die griechische Rechtsordnung führt somit eine Interessentenklage ein, während die deutsche Rechtsordnung eine Verletztenklage bevorzugt. Es liegt nahe, dass diese Differenzierung zwischen beiden Rechtsschutzsystemen auch den Bereich des Umweltrechtsschutzes und vor allem des überindividuellen Umweltrechtsschutzes beeinflusst. Eine vermutliche Konsequenz dieser Differenzierung ist auch die Verzögerung des deutschen Grundgesetzgebers, ein Grundrecht auf Umweltschutz im deutschen Grundgesetz einzuführen. Denn Art. 20a GG etabliert nur ein reines Staatsziel (Umweltstaatsprinzip), das die Umweltgrundlagen unter den besonderen Schutz des Staates stellt, ohne dass der Bürger hieraus einen unmittelbaren Anspruch herleiten kann.19 Da im Ergebnis in der deutschen Rechtsordnung kein umfassendes individuelles Grundrecht auf eine intakte Umwelt gewährleistet wird, können aber Umweltbelange nur als Bestandteile von sonstigen individuellen Grundrechten erfasst werden. Infolgedessen kann damit nur ein nicht ausreichender, individualbezogener Kernbereich vor umweltbeeinträchtigenden Maßnahmen geschützt werden. Ein Grundrecht auf saubere Umwelt wird nur unter Berufung auf das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 und 2 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründet. Ein solches Recht könnte aber nur als Abwehranspruch gegen schädliche Umwelteingriffe, nicht aber als ein soziales, anspruchsbegründendes Recht verstanden werden.20 Denn die Berufung auf solche Auffanggrundrechte setzt immerhin eine individualisierte besondere Betroffenheit voraus. Art. 1 Abs. 1 GG als Fundamentalnorm findet Anwendung in allen Bereichen menschlicher Lebensverhältnisse und eignet sich daher nicht dafür, Konflikte zwischen einzelnen divergierenden Zielen (etwa zwischen überindividuellem Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit) zu lösen. Schließlich sind gem. Art. 2 Abs. 2 GG keineswegs alle Umweltveränderungen abwehrbar, die das individuelle Wohlbefinden beeinträchtigen, sondern 19 Vgl. H. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, 2004, Art. 20a, S. 579 ff.; s. o. H. Schulze-Fielitz, GG-Komm., S. 229 ff. 20 Vgl. R. Schmidt, Einführung in das Umweltrecht, 2001, S. 46.
B. Rechtsvergleich zwischen deutschem und griechischem Recht
819
nur die extrem umweltfeindlichen Staatseingriffe, die ihrer Wirkung nach körperlichen Schmerzen nahe kommen.21 Im Gegensatz dazu stellt in der griechischen Rechtsordnung das spezielle Grundrecht auf Umweltschutz gem. Art. 24 gr. V. nicht nur ein individuelles Abwehrrecht, sondern auch ein soziales und politisches Recht dar. Der staatliche Verzicht darauf, die Umwelt der Individuen anzutasten, reicht nicht aus, um die Verwirklichung dieses Grundrechts zu erfüllen. Vielmehr ist das Ergreifen von positiven staatlichen Maßnahmen dort gefordert, wo der Staat solche Maßnahmen rechtswidrig unterlässt. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger (natürliche und juristische Personen) einen Anspruch darauf, dass der Staat die entsprechenden positiven Maßnahmen trifft.22 Dadurch wird das Klagerecht auch des drittbetroffenen Bürgers in Umweltangelegenheiten offensichtlich verstärkt. Zu den hier diskutierten Unterschieden zwischen beiden Rechtsordnungen, insbesondere im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes, trägt auch die unterschiedliche verwaltungsprozessuale Struktur zwischen deutschem und griechischem Recht bei. In diesem Zusammenhang unterscheidet das deutsche verwaltungsprozessuale Rechtsschutzsystem23 im Gegensatz zum griechischen24 nicht zwischen materiellen Verwaltungsstreitigkeiten und Aufhebungsklage. Hingegen bilden die Verwaltungsstreitigkeiten im Bundesrecht eine Einheit. Das hat zur Folge, dass im griechischen Recht die Struktur und der Umfang des Gerichtsschutzes je nach Fall unterschiedlich sind. Im Fall der Verwaltungsstreitigkeiten handelt es sich um den Gerichtsschutz subjektiver Rechte des Berechtigten. Im Fall der Aufhebungsklage jedoch erstreckt sich der Gerichtsschutz i. d. R. auch auf die rechtlichen Interessen des (Dritt-)Betroffenen. Hierbei geht der griechische Begriff des rechtlichen Interesses über den deutschen Begriff des „Rechts“ hinaus. Daraus lässt sich folgern, dass eine Aufhebungsklage in der griechischen Rechtsordnung nicht nur bei Beeinträchtigung eines rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers, sondern auch bei Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts generell zugelassen werden kann, wenn dieses Interesse oder Recht auf dem Gesetz selbst beruht (z. B. Grundrecht auf Umwelt, Art. 24 gr. V. i.V. m. Art. 20 Abs. 1, 2 gr. V.; Art. 47 der Nr. 18/1989 PVO). Eine spezielle Klagebefugnis ist allerdings dafür nicht erforderlich. 21 Vgl. H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), GG Kommentar 1998, Bd. 1, Art. 2 Abs. 2, GG Rn. 20. 22 Vgl. G. Siouti, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes, 1985, S. 52 ff. 23 Ausführlich: K. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 1995, S. 62 ff. 24 Ausführlich s. o. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 122 ff.
820 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
In Griechenland ist vor allem die Aufhebungsklage des Staatsrates als Interessentenklage ausgestaltet. Für den gerichtlichen Zugang der Kläger zum Staatsrat in Umweltangelegenheiten ist nur die Frage maßgeblich, welche Personen berechtigt sind, gegen den jeweils umstrittenen umweltbelastenden Verwaltungsakt zu klagen. Die Tatsache, dass der griechische Verwaltungsrechtsschutz grundsätzlich auf eine objektivrechtliche Kontrolle abstellt, führt gleichwohl zu einer umfassenden Überprüfung der Übereinstimmung des angefochtenen Verwaltungsaktes mit dem objektiven Recht. Der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm bleibt damit für den Rechtsschutz irrelevant. Das jeweils angefochtene Recht beschränkt sich somit nicht nur auf die vom Aufhebungskläger geltend gemachten Rechtsverstöße. Vielmehr unternimmt der Staatsrat bei jedem einzelnen Fall eine objektive Überprüfung der Einhaltung des Rechts. Darüber hinaus gibt es – im Gegensatz zum deutschen Recht – im griechischen Umweltrecht keine Präklusionsvorschriften als Zulassungsvoraussetzung für die Klage einer klageberechtigten natürlichen oder juristischen Person. Klagebefugt ist letztlich jeder, der ein persönliches, unmittelbares und gegenwärtiges rechtliches Interesse nachweisen kann. Dieses Interesse kann materieller oder ideeller, faktischer oder rechtlicher, individueller oder kollektiver Natur sein. Vor diesem objektivrechtlich ausgestalteten Hintergrund ist auch die Qualifizierung eines Verwaltungsverfahrensfehlers als „unwesentlich“ im griechischen umweltrelevanten Verfahrensrecht nach der Rechtsprechung des griechischen Staatsrates eher die Ausnahme. Die Form- und Verfahrensanforderungen müssen im griechischen Recht i. d. R. eingehalten werden, um nicht zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu führen.25 Insofern können auch die aus griechischer Sicht wesentlichen Verfahrensfehler, die auch bei umweltbezogenen Verwaltungsverfahren eintreten, angefochten werden, je nachdem, ob sie von Bedeutung für den Schutz der Rechtsposition des betroffenen Bürgers sind, und unabhängig davon, ob sie sich auf die jeweils umstrittene Sachentscheidung auswirken können. Im Unterschied zum griechischen Verwaltungsverfahrensrecht sieht die deutsche Verfahrensfehlerlehre, die sich unter dem Einfluss der Schutznormtheorie aus der sog. Kausalitätsrechtsprechung ergibt, die Aufhebung einer verfahrensrechtlich rechtswidrigen verwaltungsrechtlichen Entscheidung gem. § 46 VwVfG nur dann vor, wenn der Kläger konkret darlegt, dass diese ohne Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, und der Verfahrensfehler eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betrifft. Auch im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechtsschutzes erweist sich die deutsche Rechtsordnung aufgrund der geltenden Schutznormtheorie restriktiver als die griechische. Die griechische Rechtsprechung des Staatsrates dehnt das rechtliche Interesse natürlicher und juristischer Personen bei der Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten besonders aus, um die Möglichkeiten des gerichtlichen Schutzes in 25
Ebd.
B. Rechtsvergleich zwischen deutschem und griechischem Recht
821
Umweltangelegenheiten möglichst auszuweiten. Im griechischen Recht stellt sich die Rechtsfigur des rechtlichen Interesses auch als Rechtsreflex dar. In diesem Zusammenhang hat der Bürger ein rechtliches Interesse an der Einhaltung der Normen – z. B. zum Umweltschutz oder zum Städtebau –, die der Verwaltung eine Reihe von Pflichten auferlegen, ohne dass diese dem Bürger unmittelbar subjektive öffentliche Rechte gewähren, deren Einhaltung aber einen ihm günstigen Zustand schafft oder sicherstellt. Voraussetzung dafür ist jedenfalls, dass eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem Aufhebungskläger und dem jeweils umstrittenen Verwaltungsakt vorliegt. Es reicht allerdings für die Begründung einer solchen Rechtsbeziehung aus, wenn die jeweils betroffenen Interessen vom objektiven Recht als schutzwürdig anerkannt werden. Vor diesem Hintergrund sind die Kreise der klagebefugten Drittbetroffenen im Bereich des griechischen Umweltschutzes erheblich ausgeweitet. Denn im griechischen Recht stellt sich eine Umweltbeeinträchtigung, die aufgrund eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes entsteht, i. d. R. als negative Veränderung des Zustandes des Einzelnen dar, auch wenn dadurch rechtliche Interessen des Klägers indirekt betroffen sind. Insofern kann damit ein rechtliches Interesse begründet werden, die Gefahren oder Störungen und Beeinträchtigungen, die aufgrund eines gesetzwidrigen, umweltbelastenden Rechtsaktes herbeigeführt werden, vor Gericht geltend zu machen.26 Vergleicht man die Kreise der potenziellen klagebefugten Drittkläger im Bereich des Umweltschutzes in Griechenland und in Deutschland, zieht man den Schluss, dass jeder Kläger, der laut deutschem Recht dazu befugt ist, eine umweltbezogene Anfechtungsklage einzulegen, auch im Rahmen des griechischen Verwaltungsrechts dazu berechtigt wäre, eine Aufhebungsklage einzulegen. Umgekehrt aber könnte im deutschen Recht nicht jeder nach griechischem Recht klagebefugte Kläger als berechtigt anerkannt werden. Der Umfang der klagebefugten Drittbetroffenen im griechischen Umweltschutzrecht ist deutlich breiter als im deutschen Recht. Die Erweiterung des Begriffs des rechtlichen Interesses im griechischen Recht führt im Ergebnis aus deutscher Sicht zu einer Art relativer Popularklage. Entscheidend für die Klagebefugnis insbesondere einer natürlichen drittbetroffenen Person in Umweltangelegenheiten sowohl des deutschen als auch des griechischen Rechts ist die Eigenschaft der Nachbarschaft. Auch der Rechtsbegriff des „Nachbars“ wird vom griechischen Recht weiter als der Nachbarbegriff des deutschen Rechts verstanden. Ausschlaggebend für die Begründung eines rechtlichen Interesses eines Drittbetroffenen im griechischen Recht ist grundsätzlich eine (weit ausgelegte) rechtliche Beziehung des Aufhebungsklägers zum angegriffenen Verwaltungsakt. Eine solche rechtliche Beziehung wird im griechi26
T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 319.
822 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
schen Recht als vorhanden angesehen, wenn insbesondere zwischen dem Aufhebungskläger und dem entstandenen oder hochwahrscheinlich entstehenden Umweltschaden eine örtliche Verbindung vorliegt, die allerdings als umfassend verstanden wird. Denn eine örtliche Verbindung zwischen dem Aufhebungskläger und dem bedrohten oder beeinträchtigten Umweltgut kann auch dann vorliegen, wenn der Dritte weit entfernt von der Umweltschadensquelle wohnt. Es reicht bereits allein die Beeinträchtigung oder der Gefahrenverdacht einer hochwahrscheinlichen Beeinträchtigung seines rechtlichen Interesses durch den entstandenen oder möglicherweise entstehenden Umweltschaden aus. Dies ist durch die Entwicklung des schon dargestellten Konzepts der sog. „ökologischen Nachbarschaft“ begründet. Offensichtlich hat die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates die Voraussetzungen der Klagebefugnis bei den umweltbezogenen Drittaufhebungsklägern weitgehend reduziert. Im Gegensatz dazu setzt die Nachbarschaft in der deutschen Rechtsordnung eine engere örtliche und zeitliche Beziehung zwischen dem Kläger und dem Umweltschaden voraus. Der drittbetroffene Kläger muss demnach i. d. R. innerhalb eines gewissen Umkreises von der jeweils umstrittenen Umweltschadensquelle wohnen oder niedergelassen sein. Seine rechtliche Verletzung aus dem in Frage stehenden Umweltschaden muss auch ausreichend bewiesen werden. Im Anschluss daran geht die griechische Rechtsordnung davon aus, dass Selbstverwaltungskörperschaften (etwa Gemeinden, Städte, Kommunen, Präfekturen) berechtigt sind, gegen jeden umstrittenen, umweltbelastenden Verwaltungsakt vorzugehen, der ihr Leistungsfähigkeitsgebiet betrifft. Angesichts der Tatsache, dass Umweltschäden oft die Verwaltungsgrenzen einer Selbstverwaltungskörperschaft überschreiten, erkennt die griechische Rechtsprechung i. d. R. auch eine entsprechend weite Klagebefugnis für benachbarte Selbstverwaltungskörperschaften an. Insofern können dem griechischen Recht nach allerdings auch diese Körperschaften im Rahmen ihrer Kompetenz als Anwälte der Natur bzw. der umweltrechtlichen Allgemeinheitsgüter aktiv werden. Demgegenüber steht den Selbstverwaltungskörperschaften in Deutschland keine allgemeine Klagebefugnis zu, die es ihnen erlaubt, sich auf überindividuelle Interessen und umweltbezogene Allgemeingüter zu berufen, soweit sie nicht nachweislich in ihrem restriktiv ausgelegten Selbstverwaltungsrecht i. S. von Art. 28 Abs. 2 GG verletzt sind. Was die deutsche umweltschützende VK anbelangt, lässt der Bundesgesetzgeber trotz dauerhafter Versuche zur Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes durch die Ausdehnung der Klagebefugnis insbesondere der anerkannten Umweltschutzvereinigungen (gem. § 3 UmwRG) grundsätzlich durch die speziellen Vorschriften der §§ 2 ff. UmwRG sowie der §§ 63 ff. BNatSchG eine altruistische Klagemöglichkeit nur gegen bestimmte grundsätzlich UVP-
B. Rechtsvergleich zwischen deutschem und griechischem Recht
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pflichtige, umweltbelastende Verwaltungsakte zu. Jedenfalls ist als positiv zu bewerten, dass ausnahmsweise nunmehr die anerkannten Umweltschutzvereinigungen verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfe (vor allem die Anfechtungsklage) gegen bestimmte umweltbezogene verwaltungsrechtliche Handlungen und Unterlassungen einlegen können, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen (gem. § 2 Abs. 1 S. 1 UmwRG). Die altruistische VK im Rahmen des deutschen Rechts beschränkt sich streng auf ausdrücklich gesetzlich bestimmte Fälle des Naturschutz- und Umweltrechts. In der Praxis sind aber schutzbedürftige Bereiche des Umweltrechts wie z. B. der Klimaschutz sowie weitere nicht UVP-pflichtige umweltbelastende Vorhaben, die allerdings die Umwelt im Außenbereich, in dem keine natürliche Person wohnt, belasten, grundsätzlich nicht davon umfasst. Trotz des bisher wichtigen Beitrages der deutschen Umweltschutzvereinigungen zum Umweltschutz – vor allem angesichts der Tatsache, dass sie i. d. R. recht aktiv und möglicherweise besser als der durchschnittliche Bürger in Umweltsachen informiert sind – bleiben die Möglichkeiten der Umweltschutzverbände in Deutschland, den Umweltschutz gerichtlich durchzusetzen, im Vergleich zum griechischen Recht deutlich geringer. Daher wird auch ihre Konformität mit dem Völker- und Unionsrecht angezweifelt. Demgegenüber räumt das griechische Recht in der Praxis zahlreichen natürlichen und juristischen Personen und vor allem Verbänden, deren Satzungszwecke unmittelbar oder mittelbar nach Umweltschutz streben, durch eine erweiterte Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses ein erheblich umfangreicheres Aufhebungsklagerecht gegen umweltbelastende, gesetzeswidrige Verwaltungsakte ein. Selbst dann, wenn eine juristische Person nach ihrer Zielsetzung nur nebensächlich mit Fragen des Umweltschutzes befasst ist, wird ihr eine Klagebefugnis zuerkannt. Dies gilt jedenfalls auch unabhängig von der örtlichen Beziehung dieser juristischen Personen zu den beeinträchtigten oder von einer Beeinträchtigung bedrohten Umweltgütern. Im griechischen Recht ist es – im Gegensatz zum deutschen Recht – auch nicht erforderlich, dass der klagende Verband anerkannt ist. Insofern können auch Personenvereinigungen, die keine juristische Persönlichkeit haben, berechtigt sein, eine Aufhebungsklage gegen umweltbelastende Verwaltungsakte zu erheben. Es genügt allein, dass diese Vereinigungen von der Rechtsordnung als Personenzusammenschlüsse, die umweltschützende Aktivitäten ausüben, anerkannt sind. Ferner erstreckt sich im Kontrast zum deutschen Recht die griechische umweltschützende Aufhebungsklage auf den Schutz des gesamten Umweltrechts im weiteren Sinne, soweit der Kläger ein rechtliches Interesse hieran begründen kann. Die Klagemöglichkeiten der klagenden Verbände im griechischen Umweltrecht beschränken sich, im Gegensatz zu den relevanten Bestimmungen des deutschen UmwRG und BNatSchG, nicht nur auf einen abschließenden Klagekatalog. Auch Vorsorgenormen können mit der griechischen umweltschützenden Aufhe-
824 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
bungsklage angefochten werden, soweit der Aufhebungskläger die Verletzung seines rechtlichen Interesses begründen kann. Infolgedessen geht der Beseitigungsanspruch des Drittklägers grundsätzlich aus der Verletzung seiner weit ausgelegten und verstandenen rechtlichen Interessen und Rechte hervor, die nicht selten auch mit der Verletzung von überindividuellen Umweltgütern zusammenfallen. Denn die Erhaltung der umweltbezogenen Allgemeingüter wird in der griechischen Rechtsordnung als unerlässliche Voraussetzung für das gegenwärtige und künftige Bestehen einer nachhaltigen Lebensqualität der Menschen sowie für den nachhaltigen Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen angesehen. In diesem Zusammenhang ist es anzumerken, dass die Bestimmungen der AK den Vertragsstaaten grundsätzlich einen sehr weiten Gestaltungsspielraum überlassen.27 Die erheblichen Unterschiede in Bezug auf den Umfang der Klagebefugnis im Bereich des Umweltschutzes zwischen dem deutschen und griechischen Recht sind ein charakteristisches Beispiel dafür. Es bleibt allerdings abzuwarten, in welchem Maß diese auffallenden Unterschiede zugunsten eines effektiveren Umweltschutzes überbrückt werden können. Es sieht so aus, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes, etwa durch die Einführung einer weit gefassten umweltschützenden altruistischen VK zögert. Die Einführung einer solchen VK, auch wenn sie sich auf den Natur- und Landschaftsschutz bezieht, führe allmählich zur Entkräftung des seit Anfang des 20. Jahrhunderts geltenden rechtlichen Kulturgutes der Schutznormtheorie28 sowie zur Schwächung herkömmlicher Staatsstrukturprinzipien wie des Individualrechtsschutzprinzips oder des Staatsprinzips29 (daher auch des Umweltstaatsprinzips)30, da sie die Staatsstruktur durch eine „Privatisierung des Gemeinwohls“ bedrohe.31 Es wird mit anderen Worten befürchtet, dass ein radikaler Abbau des deutschen juristischen Kulturgutes der Schutznormtheorie durch eine Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes den Erhalt des deutschen Individualrechtsschutzsystems gefährden könnte. Wie bereits angedeutet wurde,32 würde die Erweiterung der Klagebefugnis von Rechtssubjekten (natürlichen und juristischen Personen) in Umweltangelegenhei27
M. Scheyli, AVR, 2000, S. 217. Vgl. C. Sening, NuR, 1980, S. 102 ff., m.w. N. 29 Vgl. J. Salzwedel/W. Preusker, Umweltschutzrecht und Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 38 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 1998, S. 230 ff.; vgl. auch B. Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1990, S. 169 ff. 30 Vgl. C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff.; W. Berg, in: FS für K. Stern, 1997, S. 421 ff. 31 Vgl. insb. C. Calliess, NJW 2003, S. 97 ff., m.w. N. 32 Vgl. insb. 1. Teil, 6. Kap. 28
B. Rechtsvergleich zwischen deutschem und griechischem Recht
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ten im Zusammenhang mit der Einführung einer allgemeinen umfangreichen, umweltschützenden altruistischen VK auf nationaler Ebene keineswegs diese „Phobie“ verwirklichen. Der nationale Gesetzgeber muss ebendiese VK mit den Anforderungen des völkerrechtlichen Aarhus-Übereinkommens und den daraus hervorgegangenen europäischen Richtlinien zur Umsetzung dieses Übereinkommens, die grundsätzlich auf die Verstärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und auf den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten abzielen, harmonisieren. Vor allem der deutsche Gesetzgeber muss daher von dem bisher herrschenden Ansatz eines knappen, minimalistischen Rechtsschutzes Abstand nehmen – insbesondere im Bereich der überindividuellen Umweltgüter, deren Rechtsschutz nicht von der Schutznormtheorie umfasst ist. Freilich sollte keine Popularklage zugunsten der Umwelt eingeführt werden. Es sollte aber ein erweitertes allgemeines Verbandsklagerecht geben, wie es die AK im Zusammenhang mit der aktuellen Rechtsprechung der unionalen Gerichte fordert. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die umweltrechtliche altruistische VK ihre Legitimation auch in einer Ergänzung der staatlichen Vollzugskontrolle durch eine gesellschaftliche, dezentrale Vollzugskontrolle findet, die auf die Einhaltung der vom demokratischen Gesetzgeber erlassenen Gesetze gerichtet ist. In diesem Zusammenhang kann die VK fehlende staatliche Neutralität kompensieren sowie die Beteiligungsrechte, die die Informationsgrundlage der staatlichen Entscheidungsträger wirksam absichern, fördern. Unvermeidlich wird im Zuge dieser Entwicklung die staatlich unanfechtbare Primärverantwortung für das Gemeinwohl in einem gewissen Maß privatisiert33 – dies aber allein mit dem Ziel, die staatliche Gemeinwohlverantwortung dort zu effektuieren, wo sie im Zuge des Wandels der politischen Rahmenbedingungen Defizite aufweist. Auf der Grundlage der Analyse des deutschen und griechischen Rechts muss darauf hingewiesen werden, dass eine erweiterte Klagebefugnis im Umweltrecht nicht unbedingt zur Abschaffung des Individualrechtsschutzsystems führt. Vielmehr kann sie in gesetzlich definierten Fällen innerhalb des Individualrechtsschutzsystems gelten. Denn es wurde schon gezeigt, dass eine solche Möglichkeit weder vom GG noch von der VwGO verboten ist. Hingegen würde eine solche Entwicklung die Teilhabe der Bürger sowohl an den Entscheidungsverfahren als auch an den Gerichtsverfahren eindeutig fördern und das Demokratieprinzip im empfindlichen Bereich des Umweltrechtsschutzes angemessen ergänzen. Sie würde den Staat dazu antreiben, vorsichtiger und verantwortlicher bezüglich dessen umweltbezogenen Maßnahmen zu werden. Schließlich bestätigt die unternommene Analyse, dass die erweiterte Klagebefugnis im Bereich des Umweltrechts zu keiner Überbelastung der Gerichte führt.
33
Vgl. P. Huber, DVBl. 1999, S. 490.
826 2. Teil, 3. Kap.: Verbesserungsansätze und zusammenfassende Anmerkungen
In Zeiten einer intensiven Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts34 muss beachtet werden, dass die Zukunft des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in EU-Mitgliedsländern auch von den rechtlichen Anforderungen des Umweltrechtsschutzes im Völkerrecht und im Unionsrecht abhängt. Im Grunde genommen wirkt das supranationale Recht der Sache nach als Wegweiser bezüglich des Verhaltens des nationalen Gesetzgebers, auch im Bereich des Umweltschutzrechts. Ohne Zweifel spielt das EU-Recht eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Bestimmungen des nationalen Rechts. Hierbei lässt sich auch feststellen, dass der Umweltschutz zu den konstitutionellen Grundwerten von Europa im engeren Sinne gehört.35 Schätzungen zufolge ist die deutsche Gesetzgebung im Umweltrecht bis zu 90% von EU-Recht determiniert.36 Auch der Bereich des Umweltrechtsschutzes wird vom Völker- und EU-Recht beeinflusst. Denn das EU-Recht wirkt – der Sache nach – als Kompass hinsichtlich der Entwicklung und Ausgestaltung des nationalen Rechts (einschl. des Umweltschutzrechts). Eine zentrale Rolle dafür spielen die Aarhus-Konvention und die daraus abgeleiteten europäischen Richtlinien (ÖB-RL, UI-RL).37 Beachtenswert ist allerdings die Tatsache, dass die dritte Säule der Aarhus-Konvention hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten – trotz verschiedener Initiativen – bisher noch nicht vollständig ins EU-Recht umgesetzt wurde. Demzufolge gibt es bisher im EU-Recht keine spezielle Gesetzgebung zum Umweltrechtsschutz (mit Ausnahme der sog. AK-VO Nr. 1367/2003). Unter Berücksichtigung des wichtigen tatsächlichen sowie potentiellen Einflusses des EU-Rechts auf die Bestimmungen des Umweltrechtsschutzes auch auf nationaler Ebene, der auch zur Schaffung einer möglichst optimalen Einheitlichkeit des europäischen Rechtsschutzes im kritischen, immer mehr globalisierten Bereich des Umweltschutzes beitragen kann, soll im folgenden Teil der recht34 Vgl. u. a. W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 41 ff.; T. Schmidt-Kötters, § 42 Abs. 2 VwGO, in: H. Posser/W.-A. Wolff (Hrsg.), BeckOK, 2009, Rn. 165 ff.; M. Gellermann, in: FS für H.-W. Rengeling, 2008, S. 233 ff.; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 179 ff.; K.-H. Millgramm, DVBl 2008, S. 823 ff.; M. Ruffert, in: ders. (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 3 ff.; A. Voßkuhle, in: M. Ruffert (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 89 ff.; H. Lecheler, GewArch 2005, S. 305 ff.; M. Reiling, DÖV 2004, S. 181; C. Calliess, EurUP 2003, S. 10 ff.; H.-W. Rengeling, in: ders. (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 2003, S. 1854 ff.; M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645 ff.; M. Schmidt-Preuß, in: FS für H. Maurer, 2001, S. 792 ff.; R. Wahl, Der Staat 1999, S. 495 ff.; D. Triantafyllou, DÖV 1997, S. 192 ff.; C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 29 ff.; R. Steinberg, AöR 1995, S. 549 ff. 35 Vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2002, S. 533. 36 Vgl. M. Böhm, JA 2009, S. 682. 37 Mehr dazu s. u. 1. Teil, 1. Kap., G., III.
B. Rechtsvergleich zwischen deutschem und griechischem Recht
827
liche Zustand insbesondere des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im EURecht untersucht werden. Dadurch könnten mögliche unionsrechtliche Umweltrechtsschutzdefizite aufgespürt werden, deren Beseitigung zu einer effizienten Vervollständigung des Umweltrechtsschutzes auf EU-Ebene führen könnte. Damit könnten aber auch die Umweltrechtsschutzdefizite der nationalen Rechtsordnungen bzw. ihre Zusammenhänge mit dem EU-Recht eindeutiger erkannt werden. Denn Vor- und Nachteile des EU-Rechts spiegeln sich häufig auch in der Funktion des nationalen Rechts (einschließlich des Umweltrechtsschutzes) wider. Die Etablierung eines vollständigen, effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf EU-Ebene wäre im Ergebnis undenkbar ohne einen entsprechend vollständigen, effektiven Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene, und umgekehrt.
3. Teil
Überindividueller Umweltrechtsschutz im EU-Recht
Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene Es ist anzunehmen, dass die Wechselwirkungen von (grenzüberschreitenden) Ingerenzen durch Umweltbelastungen alle Länder der Welt beeinträchtigen oder in der Zukunft beeinträchtigen können.1 Um globalen Umweltschäden bzw. Umweltbelastungen auf rechtlicher Ebene entgegenzuwirken, sind nicht nur die Initiativen des nationalen Gesetzgebers ausreichend. Vielmehr ist auch der Einsatz des internationalen und insbesondere im Rechtsgebiet der europäischen Union des unionalen Gesetzgebers notwendig. Solche supranationalen Herausforderungen, wie der Umweltschutz, bedürfen supranationaler Antworten, um möglichst effektiv zu sein. Es sieht so aus, dass die rasante Globalisierung des Umweltrechts einen eindeutigen Einfluss auch auf die nationalen Rechtsordnungen mit sich bringt. Dabei können auch die EU-Institutionen eine bedeutende Rolle hinsichtlich der Umsetzung des Umweltrechts im unionalen Raum spielen.2 Außerdem muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der überwiegende Teil des nationalen Umweltrechts der EU-Mitgliedstaaten aus dem EU-Recht selbst hervorgeht. Es ist daher davon auszugehen, dass die unionale umweltbezogene Gesetzgebung das nationale Umweltrecht ausschlaggebend beeinflusst. Im Hinblick darauf soll unter anderem auch der umweltbezogene Rechtsschutz im EU-Recht eine wichtige Rolle beim Schutz der Umweltgüter vor zeitgenössischen globalen Umweltbeeinträchtigungen spielen, die häufig auf der rasanten und vielmals unvorhersehbaren technologischen Entwicklung beruhen. Es ist aber fraglich, ob das EU-Recht bereit ist, einen effektiven Umweltrechtsschutz auf unionaler Ebene zu gewährleisten. Vor allem ist das zweifelhaft im Bereich des unionalen überindividuellen Rechtsschutzes, der schlicht alle nicht auf ein Individuum beschränkten Interessen umfasst. Er bezieht sich somit grundsätzlich auf adressatenlose, unionale Handlungen, die die Umweltgüter der Allgemeinheit belasten können. Es existieren deutliche Indizien, die auf Umweltrechtsschutzdefizite hinweisen. Ebendiese sollen in diesem Teil erörtert werden. Das EU-Recht enthält kein 1
Vgl. A. Gore, An Inconvenient Truth, 2006, S. 42 ff., S. 80 ff., m.w. N. Schon heute sind zahlreiche Rechtsakte der EU dem Umweltvölkerrecht geschuldet. Vor diesem Hintergrund wird auch vorgeschlagen, eine internationale Umweltorganisation als UN-Sonderorganisation zu gründen. Vgl. H.-J. Koch/C. Mielke, ZUR 2009, S. 403 ff., m.w. N. 2
832
3. Teil, Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene
Grundrecht auf Umweltschutz. Zwar sieht das EU-Recht bestimmte rechtsverbindliche primärrechtliche Grundlagen zugunsten des Umweltschutzes vor. Diese wirken aber eher als Leitlinien und als Auslegungsmaßstab für den Unionsgesetzgeber sowie für die unionale Rechtsprechung und Exekutive.3 Obwohl längst erkannt worden ist, dass das Umweltprozessrecht angesichts der Dynamik des materiellen Umweltrechts eine hohe Integrationskraft besitzt und zur Effektuierung des Verwaltungsvollzugs führen kann, bietet das EU-Recht dafür in Wirklichkeit wenig Ansatzpunkte.4 Obwohl das EU-Rechtsschutzsystem sich eher für die Konzeption der objektiven Rechtskontrolle und nicht für die Konzeption des deutschen Individualrechtsschutzsystems entschieden hat, so dass es einer Tendenz hin zur Interessentenklage entspricht und der EuGH auch als Verwaltungsgericht tätig wird,5 ist aber eine überindividuelle Rechtsschutzgewährung in Form des Zugangs zu verwaltungsgerichtlicher Kontrolle zugunsten einzelner Bürger oder Verbände zur Durchsetzung überindividueller Rechte EU-primärrechtlich nicht vorgesehen.6 Die Verletzung von der Allgemeinheit dienenden Umweltgütern durch unionale Handlungen kann insofern nicht direkt von Privatpersonen auf EU-Ebene angefochten werden. Zwar gewährleistet das EU-Recht (gem. Art. 47 EU-GRCh i.V. m. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, der einen lückenlosen Rechtsschutz gegen alle Akte unionsrechtlicher Gewalt erfordert. Es muss aber gleichzeitig beachtet werden, dass die unionale Rechtsschutzgarantie keine erweiterte Zulassung der Direktklage gegen normative Rechtsakte, die über die Grenzen des Anwendungsbereichs der unionalen Nichtigkeitsklage hinausgehen, erzwingt.7 Angesichts der Tatsache, dass der Klagegegenstand sowie die Klagebefugnis Dritter im Rahmen der unionalen Nichtigkeitsklage eingeschränkt sind, ergeben sich deutliche Rechtsschutzdefizite.8 In diesem Zusammenhang erteilt die Rechtsprechung der unionalen Gerichte einer Durchsetzung überindividueller, umweltbezogener Interessen mittels der unionalen Nichtigkeitsklage eine Absage. Ausgehend von der bisher geltenden sog. Plaumann-Formel9, die schon seit dem Jahr 1963 eine enge Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit bei der Erhebung ei-
3
s. u. insb. 3. Teil, 1. Kap., A., II. ff. B. Wegener, in: G. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 145 ff.; J. Berkemann, ZUR 2015, S. 225. 5 s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., III. 6 Vgl. u. a. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 378 ff. 7 s. u. 3. Teil, 2. Kap., A. ff. 8 s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., II. ff. 9 EuGH, Urt. v. 15.07.1963, Rs. C-25/62, Slg. IX (1963), S. 211, S. 238, Rn. I (Plaumann/Kommission), NJW 1963, S. 2246. 4
3. Teil, Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene
833
ner Nichtigkeitsklage festsetzt,10 lehnt die EU-Rechtsprechung i. d. R. die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage von Drittklägern (Privaten und Verbänden) gegen umweltbelastende EU-Handlungen, die der Sache nach meistens abstrakt-genereller Natur sind, vor allem mangels individueller Betroffenheit ab.11 Vor dem Hintergrund dieser Problematik versuchte der EU-Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des AEUV im Rahmen des Lissabon-Vertrages und vor allem mit der Einführung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dieses Rechtsschutzdefizit zumindest partiell zu beseitigen.12 Es ist aber zweifelhaft, ob diese Norm der oben genannten Problematik begegnen kann. Der unbestimmte Wortlaut dieser Norm führt zu unterschiedlichen Auffassungen, während die aktuelle EU-Rechtsprechung diese Norm eher eingeschränkt auslegt, so dass es scheint, dass die Rolle dieser Norm für den überindividuellen Umweltrechtsschutz auf EU-Ebene begrenzt ist.13 Auch das unionale Sekundärrecht schreibt den klageberechtigten Rechtssubjekten des EU-Rechts keine besondere Klagemöglichkeit in Umweltangelegenheiten vor. Die dritte Säule der Aarhus-Konvention, die ihren Parteien, zu denen auch die EU gehört, einen weiten Zugang zu Gerichten sicherstellen will, ist die einzige Säule dieses Übereinkommens, die bisher nicht von der EU umgesetzt wird.14 Es sollte zudem nicht ignoriert werden, dass die sog. AarhusVerordnung (AK-VO) Nr. 1367/200615, die eigentlich nur ein internes EU-verwaltungsgerichtliches Überprüfungsvorverfahren normiert, mithilfe dessen Umweltverbände Verstöße gegen unionsrechtliches Umweltrecht gegenüber EUInstitutionen rügen können, wegen ihres restriktiven Umfangs bisher nicht geeignet zu sein scheint, die Umweltrechtsschutzdefizite auf unionaler Ebene effektiv zu beseitigen.16 Es scheint daher, dass der Umweltschutz im EU-Recht bislang eine schwache Teilverfassung ist, bei dem noch großer Nachholbedarf besteht. 10
s. u. insb. 3. Teil, 2. Kap., C. ff. s. u. insb. 3. Teil, 3. Kap., B., II.–III. 12 s. u. insb. 3. Teil, 4. Kap., A. ff. 13 s. u. 3. Teil, 4. Kap., A., III., 1. ff.; 3. Teil, 5. Kap., A. ff. 14 s. u. 3. Teil, 6. Kap., E., III., 1. 15 EG-VO Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.9.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 v. 25.09.2006, S. 13. Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. Zu beachten ist, dass die EG-Verordnung Nr. 1049/2001 und ergänzend Art. 4–9 der AK-VO den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten regeln. 16 s. u. 3. Teil, 6. Kap., A. ff.; 3. Teil, 6. Kap., C. ff. 11
834
3. Teil, Einleitung: Umweltrechtsschutzdefizite auf EU-Ebene
Zum Zweck einer eindeutigeren Erläuterung der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im EU-Recht soll in den folgenden Kapiteln auf die oben skizzierten brisanten Fragen tiefer eingegangen werden. Im Anschluss daran sollen Lösungsansätze vorgeschlagen werden,17 in der Hoffnung, dass sie zu einem effektiveren unionalen Umweltrechtsschutz führen könnten.
17
Zu Lösungsansätzen s. u. insb. 3. Teil, 4. Kap., C. ff.; 3. Teil, 6. Kap., E. ff.
1. Kapitel
Grundlagen des Umweltschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht Der Schutz der Umwelt ist eine zentrale Fürsorge des primären EU-Rechts. In diese Richtung stellt auch die Rechtsprechung des EuGH durchaus fest, dass der Umweltschutz zu den wesentlichen Aufgaben der EU gehört.1 Dies belegen vor allem Art. 37 EU-GRCh bezüglich des Gebots für ein hohes Umweltschutzniveau und für eine Verbesserung der Umweltqualität i.V. m. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV2 („hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“), die Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV3 (ex-Art. 6 EGV) hinsichtlich der Einbeziehung der Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der EU-Politiken und -maßnahmen sowie die Umweltschutzziele und Grundsätze der Umweltpolitik gem. Art. 191 AEUV4 (ex-Art. 174 ff. EGV) und die Begründung der unionalen Handlungskompetenz im Umweltbereich gem. Art. 192 AEUV.5 Diese Vorgaben sind als rechtsverbindliche, tragende und ge1 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.05.1992, Rs. C-195/90, Slg. 1992, I-3141, Rn. 29 (Kommission/Deutschland); EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. 213/96, Slg. 1998, I-1777, Rn. 32 (Uudenmaan Iääninoikeus); EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Rs. C-284/95, Slg. 1998, I-4301, Rn. 64 (Safety Hi-Tech); EuGH, Urt. v. 17.09.2002, Rs. 513/99, Slg. 2002, I-7213, Rn. 57 (Concordia); EuGH, Urt. v. 07.02.1985, Rs. 240/83, Slg. 1985, S. 531, Rn. 13 (Association de défense des brûleurs d’huiles usagées); EuGH, Urt. v. 20.09.1988, Rs. 302/86, Slg. 1988, S. 04607, Rn. 9 (Kommission/Dänemark). In diesen Urteilen hat der EuGH festgestellt, dass der Umweltschutz ein zwingendes Erfordernis darstellt, das die Anwendung des Artikels 30 EGV (nunmehr Art. 36 AEUV) einschränken kann. Vgl. dazu auch F. Jacobs, JEL 2006, S. 185 ff.; W. Kahl, ThürVBl 1994, S. 225 ff. 2 Vgl. P. Terhechte, Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 55 ff., m.w. N. 3 Vgl. dazu S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 322 ff., m.w. N. 4 Vgl. S. Breier, Art. 191 ff. AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 2089 ff., m.w. N. 5 Vgl. R. Streinz, Europarecht, 2016, S. 491 ff.; H. Jarass, ZUR 2011, S. 563. Da das primäre Unionsrecht ebenso wie das geltende Sekundärrecht keine Definition des primärrechtlichen Begriffs der Umwelt enthält, ist der Umweltbegriff in den europäischen Verträgen entwicklungsoffen gehalten. Auch die Aktionsprogramme enthalten zwar Aussagen zum Umweltbegriff; sie enthalten aber keine Definition. Charakteristisch für die Interpretationsoffenheit des Umweltbegriffes ist, dass M. Kotzur aus der gleichberechtigten Gegenüberstellung von „menschlicher Gesundheit“ und „Umwelt-
836 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
staltende Prinzipien europäischer Umweltpolitik sowie europäischen Umweltrechts anzusehen.6 Das EU-Recht gewährleistet allerdings kein Grundrecht auf Umweltschutz, so dass für den gerichtlichen Rechtsschutz der umweltbezogenen Rechte Drittbetroffener vor allem die Nichtigkeitsklage im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 AEUV maßgeblich ist.
I. Der Begriff „Umwelt“ im EU-Primärrecht Sowohl in den Umweltaktionsprogrammen als auch in der Literatur hat sich ein Konsens für eine Definition des Umweltbegriffs herausgebildet, der zu Recht von einem weiten Ansatz ausgeht. Der h. M. nach umfasst der unionale Umweltbegriff die Umweltmedien – die natürlichen Organismen einschließlich des Menschen –, sämtliche Interdependenzen zwischen diesen sowie die vom Menschen geschaffene Umwelt. Ausgenommen sind allerdings die Sozial- und Kulturbeziehungen des Menschen.7 Danach umfasst der Umweltbegriff die natürliche und die vom Menschen geschaffene gegenständliche Umwelt.8 Der Schutz der Umwelt bildet ein zentrales Anliegen des primären EU-Rechts, wie Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV9 („hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqua-
qualität“ im EU-Recht den Schluss zieht, dass das europäische Umweltrecht für einen ökozentrischen Ansatz offen ist. M. Kotzur, Art. 191 AEUV, in: R. Geiger/D.-E. Khan/ M. Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2010, Rn. 6. Diese Auffassung ist allerdings angesichts der anthropozentrischen Wurzeln des Umweltschutzes sowie des Umweltrechtsschutzes nicht überzeugend. 6 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Rs. C-284/95, Rn. 36 (Safety Hi-Tech), EuZW 1999, S. 252 ff.; EuGH, Urt. v. 18.04.2002, Rs. C-9/00, Rn. 23 (Palin Grani Oy), EuZW 2002, S. 669 ff.; R. Streinz, Europarecht, 2016, S. 491 ff.; W. Kahl, ThürVBl 1994, S. 225 ff.; A. Epiney, NuR 1995, S. 497 ff.; G. Winter, ZUR Sonderheft 2003, S. 137 ff.; M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2003, § 9, Rn. 30; ders., NVwZ 2006, S. 389 ff.; C. Calliess, Art. 174 EUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 3. Aufl., 2007, Rn. 46 ff., m.w. N.; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 145 ff.; C. Hey/A. Volkery/P. Zerle, ZfU 2005, S. 1 ff.; H. Jarass, ZUR 2011, S. 563; K. Heyne, ZUR 2011, S. 578 ff. 7 Vgl. M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der EU, 2012, Rn. 49 ff., m.w. N.; S. Breier, Art. 191 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2010, S. 2094, Rn. 4; ausführlich dazu W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 13 ff.; zur Entstehung und Weiterbildung des umfssenden umweltpolitischen Ansatzes im Europarecht s. u. a. C. Katsos, Nachhaltiger Schutz des kulturellen Erbes. Zur ökologischen Dimension des Kulturgüterschutzes, 2011, S. 395 ff., S. 467 ff., m.w. N. 8 Vgl. S. Breier, Art. 191 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 2094, Rn. 4; ausführlich dazu W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 13 ff. 9 Vgl. P. Terhechte, Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 55 ff., m.w. N.
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
837
lität“), die Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV10 (ex-Art. 6 EGV) und die Art. 191 ff. AEUV11 (ex-Art. 174 ff. EGV) mit dem Titel „Umwelt“ belegen.12 Der Begriff „Umwelt“ ist allerdings nicht „allumfassend“,13 sondern beschränkt sich auf die natürliche und vom Menschen geschaffene Umwelt.14 Im Einzelnen umfasst die natürliche Umwelt die Umweltmedien Mensch, Flora und Fauna, Luft, Boden, Wasser, Klima und Landschaft samt deren Wechselwirkungen sowie sämtliche Organismen. Unter den Inhalt der vom Menschen gestalteten natürlichen Umwelt fällt etwa die städtische Umwelt, deren Schutz zu den explizit genannten Zielen des sechsten Umweltaktionsprogramms zählt.15 Dabei ist zu beachten, dass der europäische Gesetzgeber keine Befugnis zur authentischen Interpretation besitzt und dass der Begriff auch nicht durch entsprechende Rechtsbegriffe der nationalen Rechtsordnungen determiniert wird.16 Räumlich ist der Umweltbegriff nicht auf das Gebiet der Union beschränkt. Vielmehr umfasst er auch Umweltprobleme, die ihren Ursprung in anderen Regionen der Erde haben, solange sie nur Auswirkungen auf die EU haben können. Art. 191 Abs. 4 AEUV geht davon aus, dass die EU international agiert.17 Die 10 Vgl. dazu S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 322 ff., m.w. N. 11 Vgl. S. Breier, Art. 191 ff. AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 2089 ff., m.w. N. 12 Vgl. H. Jarass, ZUR 2011, S. 563. Da das primäre Unionsrecht ebenso wie das geltende Sekundärrecht keine Definition des primärrechtlichen Begriffs der Umwelt enthält, ist der Umweltbegriff in den europäischen Verträgen entwicklungsoffen gehalten. Auch die Aktionsprogramme enthalten zwar Aussagen zum Umweltbegriff, sie enthalten aber keine Definition. Charakteristisch zur Interpretationsoffenheit des Umweltbegriffes ist, dass M. Kotzur aus der gleichberechtigten Gegenüberstellung von „menschlicher Gesundheit“ und „Umweltqualität“ im EU-Recht den Schluss zieht, dass das europäische Umweltrecht für einen ökozentrischen Ansatz offen ist. M. Kotzur, Art. 191 AEUV, in: R. Geiger/D.-E. Khan/M. Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2010, Rn. 6. Diese Auffassung ist allerdings angesichts der anthropozentrischen Wurzeln des Umweltschutzes sowie des Umweltrechtsschutzes nicht überzeugend. 13 Vgl. C. Calliess, Art. 174 EGV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGVKomm., 2007, Rn. 8; M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der EU, 2012, Rn. 49; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 13 ff.; ders., Art. 174 EGV, in: Art. 174 EVG, in: R. Streinz/C. Ohler (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 35 ff.; M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 2. Aufl., 2003, § 9, Rn. 17, jeweils m.w. N. 14 Vgl. S. Breier, Art. 191 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, Rn. 4; M. Kloepfer, Umweltrecht, 2004, § 9, Rn. 84; M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der EU, 2012, Rn. 49, jeweils m.w. N. 15 Vgl. M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der EU, 2012, Rn. 11, 49, m.w. N. 16 Vgl. M. Nettesheim, Art. 174 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der EG, 2009, Rn. 1. 17 Ebd., Rn. 56.
838 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
EU kann auf dieser Ebene ihr gegenüber den Mitgliedstaaten größeres Gewicht dazu einsetzen, die weltumspannenden Auswirkungen vieler Umweltbeeinträchtigungen zu bekämpfen. Der Zielsetzung des Art. 191 Abs. 1 AEUV zufolge sind Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme zu treffen, ihnen kommt allerdings nur deklaratorische Bedeutung zu. An den Nachweis einer möglichen Auswirkung eines Umweltproblems auf die EU dürfen angesichts häufig wissenschaftlich unklarer Kausalverläufe keine hohen Anforderungen gestellt werden.18 Zeitlich sind im Hinblick auf das Ziel einer „nachhaltigen Entwicklung“ auch künftige Entwicklungen zu berücksichtigen.19
II. Das Gebot eines hohen Umweltschutzniveaus bzw. einer Verbesserung der Umweltqualität gem. Art. 37 EU-GRCh Die gem. Art. 6 Abs. 1 EUV mittlerweile rechtsverbindliche GrundrechteCharta der EU beinhaltet in Art. 37 EU-GRCh das Gebot für ein hohes Umweltschutzniveau sowie die Verbesserung der Umweltqualität. Nach den Erläuterungen zur EU-GRCh wurde der Umweltschutz nach Art. 37 EU-GRCh in Anlehnung an Art. 3 Abs. 3 EUV sowie Art. 11 und 191 AEUV niedergelegt.20 Das zeigt sich auch in den Formulierungen und Anforderungen an ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität, welche in die Politik der EU einbezogen werden müssen, ebenso wie in dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung, der nach Art. 37 EU-GRCh den Leitmaßstab für die Sicherstellung der vorstehenden Elemente bildet.21 Art. 37 EU-GRCh verstärkt positiv das Prinzip gemeinsamer Verantwortung und Partnerschaft (Kooperationsprinzip i. S. d. deutschen Rechts) sowie das Subsidiaritätsprinzip.22 Innerhalb der EU-GRCh bildet somit Art. 37 die zentrale Regelung zum Schutz der Umwelt. Dies ist nichts Neues, denn auch der EuGH rechnet den Umweltschutz zu den wesentlichen Aufgaben der EU.23 Aber auch die Aussagen des 18
Ebd. Ebd., Rn. 57, 123, m.w. N. 20 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303, S. 27. 21 Vgl. W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff.; H. Jarass, ZUR 2011, S. 563 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 2 ff. 22 Ebd. Ein grundrechtlicher Schutz ist allerdings abzulehnen: vgl. dazu C. Calliess, Art. 37 GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV, 2011, Rn. 7; dagegen für die Anerkennung von Teilgewährleistungen: C. Nowak, in: S. Heselhaus/ders., Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 60, insb. Rn. 45 ff. 23 Vgl. EuGH, Rs. 195/90, Slg. 1992, I-3141, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. 213/96, Slg. 1998, I-1777, Rn. 32 (Uudenmaan Iääninoikeus); EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Rs. C-284/95, Rn. 64 (Safety Hi-Tech), EuZW 1999, S. 252 ff.; EuGH, Urt. v. 17.09.2002, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland/Helsingin kaupunki u. HKL19
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
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EGMR zu bestimmten Rechten im Bereich des Umweltschutzes sind dafür bedeutsam.24 Die Vorgaben des Art. 37 EU-GRCh dürften in der Sache bereits vor Inkrafttreten der EU-GRCh geltendes Primärrecht gewesen sein.25 Vor diesem Hintergrund wurde dadurch der Zustand des Umweltschutzes im EU-Recht nicht wesentlich geändert.26 Es wird durchaus angenommen, dass diese Norm nur rein objektiv-rechtlich wirkende Gewährleistungen darstellt, so dass sie dem Einzelnen gerade keine Rechte verleiht.27 Art. 37 EU-GRCh enthält somit nur einen Grundsatz i. S. d. Art. 52 Abs. 5 EU-GRCh. Daher haben diese Gewährleistungen in einem Grundrechtskatalog weder begrifflich noch systematisch eine Berechtigung. Überdies sind sie als reine Wiederholung ihrer rechtlich-verbindlichen Verankerung bereits im AEUV eher überflüssig.28 Es scheint, dass der Begriff „Umweltschutz“ vielmehr die anderen Elemente der EU-GRCh abrundet, statt selbst ein zusätzliches einklagbares Recht zu enthalten.29 Geht in Übereinstimmung mit internationalen Abkommen der Umweltschutz im Gehalt nicht über die europavertraglichen Festlegungen hinaus, kann er in der EU-GRCh auch schwerlich eine weitergehende Gewährleistung aufweisen.30 Diese Feststellung spricht schon dafür, dass es sich bei Art. 37 EU-GRCh lediglich um allgemeine Vorgaben ohne subjektiv einforderbaren Gehalt handelt. Die Ausgestaltung eines Umweltgrundrechts nach Art. 37 EU-GRCh als einforderbares Individualrecht wurde auch trotz verschiedener Forderungen abgelehnt.31 Infolgedessen bildet Art. 37 EU-GRCh immerhin nur eine staatszielartige Bestimmung.32 Sie bildet kein autonomes subjektives Recht für ein Bussiliikenne), EuZW 2002, S. 628 ff.; F. Jacobs, JEL 2006, S. 185 ff.; W. Kahl, ThürVBl 1994, S. 225 ff. 24 Vgl. ausführlich zu dem umweltschützenden Inhalt der EMRK sowie der relevanten Rspr.: R. Schmidt-Radefeld, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 66 ff.; S. Heselhaus/T. Marauhn, EuGRZ 2005, S. 549 ff.; S. Hobe, ZUR 1994, S. 15 ff.; F. Francioni, EJIL 2010, S. 41 ff.; U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 525 ff.; J. Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, S. 25 ff.; jeweils m.w. N. 25 Vgl. H. Jarass, GRCh-Komm., 2010, Art. 37, Rn. 1; H.-W. Rengeling, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 161 ff.; jeweils m.w. N. 26 Vgl. H. Vedder, JEL 2010, S. 285 ff.; W. Frenz, UPR 2010, S. 293 ff. 27 Vgl. zum Charakter und zur Funktion der Staatszielbestimmung: R. Steinberg, NJW 1996, S. 1985 ff.; W. Berg, FS für Stern, 1997, S. 421 ff.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 104 ff., 125 ff. 28 Vgl. C. Calliess, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV, Art. 37 GRCh, 2011, Rn. 8; S. Bogojevic´, SSRN 2014, S. 4 ff. 29 Erläuterungen zum Art. 52 Abs. 5 GRCh, ABl. v. 14.12.2007, C 303/35; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 234. 30 Vgl. C. Calliess, Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 1 ff.; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff. 31 Vgl. W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff.; H. Jarass, ZUR 2011, S. 563 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 2 ff.; J. Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, S. 25 ff. 32 Im Hinblick darauf war Hintergrund der „Konstruktion“ des Art. 37 EU-GRCh die Tatsache, dass man sich im Konvent zur Beratung des Verfassungsvertrages von Lissa-
840 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
höheres Umweltschutzniveau. Art. 37 EU-GRCh bietet somit kein individuell einklagbares Recht auf Umweltschutz oder auf die Verbesserung der Umweltqualität.33 Als Rechtserkenntnisquelle sind auch die Befunde, die der EuGH für Menschenrechte der EMRK34 zum Umweltschutz entnommen hat,35 von Bedeutung. Im Hinblick darauf ist zu beachten, dass Subjektivierungstendenzen im Völkerrecht,36 die bislang aber auch nicht in ein explizites und rechtsverbindliches, individuell einforderbares Recht auf Umweltschutz mündeten,37 nicht aufgenommen wurden.38 Das deckt sich mit der EMRK, in die trotz Thematisierung kein Menschenrecht auf Umweltschutz Eingang fand.39 bon nicht auf ein echtes Umweltgrundrecht einigen konnte, aber gleichwohl den Umweltschutz in der EU-GRCh aus Gründen der Bürgernähe berücksichtigen wollte: vgl. C. Calliess, Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 1 ff.; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff. 33 S. Bogojevic ´, SSRN 2014, S. 8 ff., m.w. N. 34 Vgl. S. Hobe, ZUR 1994, S. 15 ff.; U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 525 ff. 35 Vgl. ausführlich zu dem umweltschützenden Inhalt der EMRK sowie der relevanten Rspr.: R. Schmidt-Radefeld, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 66 ff.; S. Heselhaus/T. Marauhn, EuGRZ 2005, S. 549 ff.; S. Hobe, ZUR 1994, S. 15 ff.; F. Francioni, EJIL 2010, S. 41 ff.; U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 525 ff.; S. Theil, NuR 2014, S. 330 ff.; K. Hectors, European Energy and Environmental Law Review 2008, S. 165 ff.; S. Bogojevic´, SSRN 2014, S. 1 ff.; jeweils m.w. N. 36 Vgl. dazu C. Calliess, ZUR 2000, S. 242 ff., m.w. N. 37 W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff.; E. E. Orth, Ein Grundrecht auf Umweltschutz in Europa?, 2007, S. 44 ff., m.w. N. 38 Zwar wird ein Recht auf Umwelt in manchen internationalen Verträgen erwähnt, doch ist dessen rechtliche Bedeutung eher gering und unklar. Unter der EMRK sowie in manchen EU-Mitgliedstaaten hat sich demgegenüber der Ansatz durchgesetzt, etablierte Menschenrechte – wie das Recht auf Leben, das Recht auf Unversehrtheit und das Recht auf Eigentum und insbesondere das Recht auf ungestörtes Privatleben – nach Art. 8 EMRK weit auszulegen und so für einen gewissen Umweltschutz zu aktivieren (vgl. EGMR, Urt. v. 08.07.2003-Nr. 36 022/97 (Hatton/United Kingdom); ausführlich zur Rechtsprechung: S. Heselhaus/T. Marauhn, EuGRZ 2005, S. 549 ff.). Unterhalb der Schwelle einer erheblichen Beeinträchtigung verbleibt den Behörden aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Ermessensspielraum. Das gilt unabhängig davon, ob der Schutz aus der klassischen Abwehrfunktion oder aus einer objektiven Schutzpflicht hergeleitet wird. Vgl. J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. Dauses (Hrsg.), Hdb. des EU-Wirtschaftsrechts, 2012, Teil O, Rn. 65; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff.; H. H. Jarass, ZUR 2011, S. 563 ff.; F. Francioni, EJIL 2010, S. 41 ff.; C. Redgwell, in: F. Francioni (Hrsg.), Access to Justice as a Human Right, 2007, S. 153 ff.; A. Boyle, EJIL 2012, S. 613 ff.; J. Thornton/S. Tromans, JEL 1999, S. 35 ff.; jeweils m.w. N. 39 E. E. Orth, Ein Grundrecht auf Umweltschutz in Europa?, 2007, S. 20 ff.; E. Kastanas, NkF 2000, S. 323 ff.; jeweils m.w. N. Auch die Europäische Sozialcharta bezieht sich in ihrem Art. 11 nur auf die Arbeitsbedingungen, so dass daraus kein allgemeines Recht auf Umweltschutz folgt. Ohnehin enthält diese Bestimmung das Recht und den Schutz der Gesundheit und nicht der Umwelt. Auch wenn explizit die weitest mögliche Beseitigung der Ursachen von Gesundheitsschäden mit benannt ist, wird damit höchstens ein Ausschnitt des Umweltschutzes erfasst. Vgl. auch C. Calliess, 1997, S. 113 ff.; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 233, m.w. N.
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
841
Ein subjektives Recht ist daher auch, bezogen auf den Umweltschutz, in anderen Bestimmungen zu suchen und damit vor allem im Grundrecht auf Leben und Gesundheit oder in der Menschenwürde.40 Im Anschluss daran zieht der EGMR aufgrund von Art. 8 EU-GRCh den Schutz des Privat- und Familienlebens vor.41 Dogmatische Basis dafür sind grundrechtliche Schutzpflichten, die nur einen Mindeststandard gewähren.42 Sie waren vor der Etablierung der EU-GRCh nur wenig ausgeprägt, so dass durch eine lediglich begrenzte subjektive Einforderbarkeit von Umweltstandards nicht etwa der sog. Besitzstand (acquis communautaire) entgegen Art. 53 EU-GRCh unterschritten wird. Das gilt auch im Hinblick auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten, die vielfach wie auch Art. 20a GG lediglich eine objektiv-rechtliche Gewährleistung und nur teilweise ein Individualrecht auf Umweltschutz enthalten.43 An diese Verfassungen ist Art. 37 EU-GRCh auch ausdrücklich angelehnt.44 Der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung, der für sich gesehen auf dem Ausgleich verschiedener Elemente beruht und damit in seinem konkreten Gehalt situationsbedingt erst politisch zu definieren ist, bildet den allgemeinen Fixpunkt von Art. 37 EU-GRCh.45 Er verhindert daher bereits ein subjektives Recht auf inhaltlich bestimmte Maßnahmen. Ein solches könnte höchstens darin bestehen, dass überhaupt wirksame, wenn auch erst noch näher festzulegende Maßnahmen 40 E. Orth, Ein Grundrecht auf Umweltschutz in Europa?, 2007, S. 278 ff., S. Bogojevic´, SSRN 2014, S. 10 ff.; jeweils m.w. N. 41 Zu Art. 8 EU-GRCh hat der EGMR klar betont, dass die Vorschrift kein Recht auf saubere und ruhige Umwelt begründet, ebenso wenig eines auf Naturschutz oder Erhaltung der Natur. Umweltbeeinträchtigungen können aber – wenn sie Gewicht haben – das Recht einer Person auf Achtung ihres Privat- oder Familienlebens oder der Wohnung verletzen. Der Begriff des Privatlebens wird umfassend verstanden; auch die körperliche und psychische Integrität und Gesundheit gehören dazu. Vgl. J. Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, S. 26 ff.; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 233; jeweils m.w. N. 42 Obwohl der Begriff „Gesundheit“ alle körperlichen und seelischen Lebensvorgänge umfasst, ermächtigt der unionale Begriff „Umweltschutz“ nicht zu rein gesundheitspolitischen Aktivitäten. Maßnahmen, die lediglich dem Gesundheitsschutz dienen, finden in Art. 191 AEUV keine Grundlage. Zwar tragen viele Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung und zur Verbesserung der Umweltqualität auch zum Schutz der menschlichen Gesundheit bei. Dementsprechend führen einige Rechtsakte auf dem Gebiet des Umweltschutzes ausdrücklich den Gesundheitsschutz als Ziel auf (z. B. RL 1999/30/EG über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163/41)). Gleichwohl sind diese Maßnahmen nicht überflüssig. Denn Umweltschutz bedeutet nicht immer gleichzeitig auch Gesundheitsschutz. Trotzdem weisen einige Umweltschutzmaßnahmen, wie z. B. im Naturschutz oder der Umwelterziehung, höchstens in entfernter Hinsicht einen Gesundheitsbezug auf. Vgl. S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2010, Rn. 8. 43 Vgl. D. Thym, NuR 2000, S. 557 ff.; E. E. Orth, Ein Grundrecht auf Umweltschutz in Europa?, 2007, S. 36, S. 45, S. 181 ff. ff.; jeweils m.w. N.; mehr über das deutsche Umweltstaatsziel gem. Art. 20a GG s. o. 1. Teil, 3. Kap., D., IV. 44 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303, S. 17 (27). 45 W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff.
842 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
ergriffen werden müssen. Indes liegt darin erst ein verbindlicher Gesetzgebungsauftrag.46 Zudem wird der politische und damit nicht individuell einforderbare Charakter der Vorschrift durch die anderen Elemente des Art. 37 EU-GRCh weiter verstärkt. Das hohe Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen auch in die Politik der Union einbezogen werden. Art. 37 EU-GRCh stellt für die Grundrechte die parallele Rechtslage zur europäischen Politik her und verlangt auch insoweit eine Einbeziehung von Umweltschutzbelangen, als es etwa um grundrechtliche Grenzen für Maßnahmen auf europäischer Ebene geht.47 Der Funktion des Art. 37 EU-GRCh nach geht es vor allem um eine Leistungsgewährung in der Variante der Schutzpflicht.48 Diese Norm enthält somit eine zu den Grundrechten zählende Norm, die inhaltlich eine modifizierte Formulierung der Integrationsklausel nach Art. 11 AEUV, angereichert um den Grundsatz der Nachhaltigkeit, darstellt. Damit erhält die Norm nicht nur Bedeutung für die Rechtfertigung möglicher Eingriffe in andere Grundrechte aus Gründen des Umweltschutzes, sondern könnte auch die Auslegung anderer Grundrechte im Sinne einer Instrumentalisierung zum Umweltschutz fördern.49 Beispielsweise hat der EuGH festgestellt, dass der Umweltschutz ein zwingendes Erfordernis darstellt, das die Anwendung des Art. 36 AEUV (ex-Art. 30 EGV hinsichtlich der Zulassung von Ausnahmen bei Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind) einschränken kann.50 So ist der Umweltschutz im Rahmen des Art. 37 EU-GRCh nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch bei den Schranken-Schranken zu berücksichtigen. Denn diese Vorschrift vermag eine die Grundrechte beeinträchtigende Maßnahme zu legitimieren. Art. 37 EU-GRCh bildet eine wichtige Grundlage für Freiheitseinschränkungen und wirkt gleichzeitig grundrechtsbegrenzend.51 Damit handelt es sich entsprechend der parallel formulierten Querschnittsklausel des 46
E. E. Orth, Ein Grundrecht auf Umweltschutz in Europa?, 2007, S. 166 ff., m.w. N. W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff. 48 Vgl. H. Jarass, EU-GRCh-Komm., 2010, Art. 51, Rn. 52; K. Hectors, European Energy and Environmental Law Review 2008, S. 165 ff. 49 Vgl. J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. Dauses (Hrsg.), Hdb. des EU-Wirtschaftsrechts, 2012, Teil O, Rn. 66. 50 EuGH, Urt. v. 20.09.1988, Rs. 302/86, Slg. 1988, S. 04607, Rn. 9 (Kommission/ Dänemark). 51 W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff. 47
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
843
Art. 11 AEUV (Art. 6 EGV) um Vorgaben bei der Ausarbeitung von europäischer Rechtsetzung und sonstiger Regulierung, nicht hingegen um individuelle Rechte.52 Art. 37 EU-GRCh fördert letztlich die umweltfreundliche Auslegung von Normen des EU-Rechts bzw. des nationalen Umsetzungsrechts und kann Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen.53 Diese Vorschrift könne somit vor Gericht nur bei der Auslegung von Akten der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der EU in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden. Sie erhält demzufolge nur dann Bedeutung für die Gerichte, wenn solche Rechtsakte ausgelegt oder überprüft werden. Sie begründet aber keine direkten Ansprüche auf den Erlass positiver Maßnahmen durch die Organe der Union oder die Behörden der Mitgliedstaaten. Es ist daher offensichtlich, dass Art. 37 EU-GRCh kein unmittelbar einklagbares Recht darstellt.54 Daher ist die Bedeutung des Art. 37 EU-GRCh in Bezug auf Individuen oder Nichtregierungsorganisationen (NRO), die nach Umweltrechtsschutz vor nationalen Gerichten streben, unerheblich.55
III. Die Querschnittsregelung des Art. 11 AEUV Im Zusammenhang mit Art. 37 EU-GRCh und hinsichtlich der Wirkung des Umweltschutzes im Rahmen der EU Politik ist auch die Querschnittsregelung des Art. 11 AEUV zu berücksichtigen. Auch nach Art. 11 AEUV müssen die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen einbezogen werden. Der Anwendungsbereich der Klausel ist damit umfassend und erstreckt sich auf alle Tätigkeitsbereiche, die der EU im Rahmen des EUV und des AEUV eröffnet sind. Die Pflicht zur Einbeziehung geht damit über jene Sachmaterien hinaus, die in gemeinschaftsrechtlicher Terminologie als „Politiken“ bezeichnet werden. Mit „Unionspolitiken“ sind alle auf der Basis des AEUV umgesetzten Aufgaben und Handlungsfelder der EU im Bereich des AEUV gemeint. „Unionsmaßnahmen“ sind dagegen alle auf der Basis des AEUV umgesetzten Aufgaben, wie z. B. der Er-
52
W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff. Vgl. J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. Dauses (Hrsg.), Hdb. des EU-Wirtschaftsrechts, 2012, Teil O, Rn. 66; C. Calliess, Art. 37 EU-GRCH, in: ders./M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 8 ff. 54 Vgl. Erläuterungen zum Art. 52 Abs. 5 EU-GRCh, 14.12.2007, ABl. 2007, C 303/ 35; H. Jarass, EU-GRCh-Komm., 2010, Art. 37, Rn. 3; W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 232 ff. 55 S. Bogojevic ´, SSRN 2014, S. 8. 53
844 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
lass von Sekundärrecht.56 Auch Maßnahmen, die außerhalb eines solchen systematischen Zusammenhangs stehen, müssen den ökologischen Anforderungen entsprechen. Es kommt nicht darauf an, ob eine Maßnahme abstrakt-genereller oder konkret-individueller Natur ist.57 Gem. Art. 11 AEUV (ex-Art. 6 EUV) i.V. m. Art. 191 Abs. 2 S. 3 AEUV (exArt. 174 Abs. 2 S. 3 EGV) müssen die Erfordernisse des Umweltschutzes auch bei der Festlegung und Durchführung von anderen EU-Politiken sowie auch von unionalen Maßnahmen einbezogen werden.58 Dies verlangt, dass Entscheidungen in nicht umweltbezogenen Bereichen (z. B. im Wirtschaftsbereich) nicht ausschließlich an deren spezifischen Gegebenheiten ausgerichtet werden, sondern mit Rücksicht auf die Umweltauswirkungen anders oder im Extremfall sogar überhaupt nicht getroffen werden.59 Insofern lassen sich Art. 11 AEUV allein keine Anhaltspunkte für einen absoluten oder relativen Vorrang des Umweltschutzes entnehmen.60 Aus der Aufgabe der Einbeziehung folgt für sich betrachtet nur das Gebot, die Belange des Umweltschutzes zu berücksichtigen und gegen gegenläufigen Interessen abzuwägen, mit dem Ziel, im Wege praktischer Konkordanz einen möglichst schonenden Ausgleich herbeizuführen.61 Die rechtspoli56 S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2010, Rn. 8. 57 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 15. 58 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.09.2002, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland/Helsingin kaupunki u. HKL-Bussiliikenne), EuZW 2002, S. 628 ff.; Anm. dazu P. Steinberg, EuZW 2002, S. 634 ff. Ausführlich dazu C. Calliess, Art. 6 EGV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., Bd. 3, 2007, Rn. 5 ff., m.w. N.; W. Frenz, UPR 2010, S. 293 ff.; S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, Rn. 1 ff.; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 26, H. Vedder, JEL 2010, S. 289 ff.; jeweils m.w. N. 59 Vgl. S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 322 ff.; C. Calliess, Art. 11 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 8; M. Schröder, Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 2003, § 9, Rn. 27; A. Epiney, NuR 1995, S. 497 ff.; dies., Umweltrecht in der Europäischen Union, 2005, S. 108 ff.; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 178. 60 Ebd. 61 Vgl. S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, S. 322 ff.; C. Calliess, Art. 11 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 8; A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2005, S. 112 ff.; jeweils m.w. N. Dieser Schluss basiert prinzipiell darauf, dass mit dem Umweltschutz und der Einhaltung des Binnenmarkts vielmehr zwei zumindest grundsätzlich gleichrangige, im Wege praktischer Konkordanz auszugleichende Vertragsziele aufeinandertreffen, wie sich etwa aus Art. 3 Abs. 3 AEUV (Art. 2 EUV), Art. 114 Abs. 3 (Art. 95 Abs. 3 EUV), Art. 191 AEUV (Art. 174 EGV) und Art. 37 EU-GRCh i.V. m. Art. 11 AEUV ergibt. Insbesondere aber in für Leben und Gesundheit des Menschen oder das Überleben des Ökosystems Erde wesentlichen Fragen scheint vielmehr – laut einer Minderauffassung – dem Umweltschutz ein relativer Vorrang im Verhältnis zu den anderen Zielen des AEUV (vorher EGV) zuzukommen. Dieser rela-
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
845
tisch immer wieder geforderte substantielle Ökologisierung der europäischen Politiken wird von Art. 11 AEUV insofern nicht schon von Verfassungs wegen erzwungen. Sie bleibt vielmehr der politischen Entscheidung überantwortet.62 In Art. 11 AEUV geht es um die Sicherung der ökologischen (ressourcenökonomischen) Nachhaltigkeit, die durch Art. 11 AEUV an hervorgehobener Stelle im AEUV angesprochen wird. Dieser alte Grundsatz verlangt, dass der Verbrauch erneuerbarer Ressourcen nicht höher sein darf als ihre Regenerationsrate. Entsprechend ist zu verlangen, dass Stoffeinträge in die natürliche Umwelt sich an der Absorptionsfähigkeit der betroffenen Umweltmedien orientieren und diese nicht überschreiten. Darunter ist eine Entwicklung zu verstehen, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Nachhaltige Entwicklung im EU-Recht – genauso wie im nationalen Recht – umfasst daher nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische, soziale und kulturelle Komponenten.63 Teilweise verbindet man mit dem Grundsatz nachhaltiger Entwicklung auch weitergehende Forderungen etwa des Inhalts, dass Nachhaltigkeit ein Verbot wesentlicher Eingriffe in die Natur begründe, jedenfalls aber ein Gebot der Kompensation.64 Letztlich kommt derartigen Überlegungen aber nur geringe rechtliche Relevanz zu. Denn Art. 11 AEUV fordert nicht, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes den konkreten Inhalt einer Entscheidung ersichtlich mitprägen müssen.65 Spannungslagen und Konflikte zwischen umweltpolitischen Zielen und anderen Anliegen müssen nicht dahingehend aufgelöst werden, dass immer ein jedenfalls auch umweltfreundliches Ergebnis getroffen wird. Schon gar nicht
tive Vorrang sollte sich somit im Rahmen der Abwägung mit kollidierenden Gütern als Präferenz- bzw. in-dubio-Regel auswirken. Vgl. W. Kahl, ZUR 2006, S. 88; ders., Art. 174 EUV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 22 ff., 28 ff. Ein pauschaler Hinweis auf die Einhaltung der Einheit des Rechts im Binnenmarkt als fundamentales Ziel der EU, das etwa durch nationale Alleingänge im Bereich des Umweltschutzes gefährdet ist, genügt in der Regel nicht, um von diesem generellen Rangverhältnis im Bereich der Binnenmarktpolitik eine Ausnahme zuzulassen. Vgl. dazu W. Kahl, ZUR 2006, S. 88, m.w. N.; dagegen aber: EuG, Urt. v. 05.10.2005, Rs. T-366/ 03 und T-235/04 (Land Oberösterreich und Österreich/Kommission), ZUR 2006, S. 83; EuGH, Urt. v. 13.09.2007 – C-439/05 (Land Oberösterreich und Österreich/Kommission), EuZW 2007, S. 672 ff.; in dieselbe Richtung auch EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T16/04, Rn. 102 ff. (Arcelor/Parlament und Rat), Eur-Lex. 62 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 22, m.w. N. 63 Vgl. S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, Rn. 10. 64 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 21, m.w. N. 65 C. Calliess, Art. 6 EGV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., Bd. 3, 2007, Rn. 7, m.w. N.
846 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
kann Art. 11 AEUV verhindern, dass zwischen Sektorpolitiken und den Erfordernissen des Umweltschutzes Konflikte auftreten.66 Insofern kann Art. 11 AEUV nicht einmal entnommen werden, dass im Falle einer Kollision gleichwertiger ökologischer und anderer Belange in dubio der Umweltschutz anderen Zielen der EU vorgeht. In ihrer zurückgenommenen, in dogmatischer Hinsicht vor allem ein Argumentations- und Begründungsgebot statuierenden Funktion kann dieser Vorschrift eine derartige materielle Kollisionsregel nicht entnommen werden.67 Auch nach Auffassung der europäischen Gerichtsbarkeit ist den Anforderungen der Norm bereits entsprochen, wenn die einschlägigen ökologischen Belange im Prozess der Entscheidungsfindung erkennbar erfasst und nicht vollständig außer Acht gelassen werden: „Nur wenn ökologische Belange offensichtlich nicht berücksichtigt oder vollständig außer Acht gelassen wurden, kann Art. 11 AEUV als Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtsvorschriften der Gemeinschaft dienen.“ 68
Mit anderen Worten wird man dies rechtspolitisch nur dann beklagen, wenn man die Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des politischen Prozesses gering schätzt und die unionale Verfassungsgerichtsbarkeit als legitimen Mitspieler bei der Suche nach politisch schwierig zu findenden Abwägungsentscheidungen „zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem“ ansieht.69 Die damit angesprochenen inhaltlichen Anforderungen sind gering. Sie laufen auf nicht mehr hinaus, als dass die ökologischen Belange überhaupt erfasst und in Rechnung gestellt werden. Welches Gewicht ihnen im konkreten Entscheidungsprozess zugeschrieben wird, determiniert Art. 11 AEUV allerdings nach dieser Lesart grundsätzlich nicht.70 Die inhaltliche Determinationskraft der Norm ist in der Auslegung, wie sie die unionale Gerichtsbarkeit wählt, insofern nur klein. Die Zurückhaltung, die die Gerichtsbarkeit im Umgang mit Art. 11 AEUV an den Tag legt, ist funktional gerechtfertigt.71 Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Gewichtung ökologischer Belange in einem Einzelfall einmal so offenkundig gegen die Wertungen verstößt, die hinter Art. 191 AEUV stehen, dass die europäische Gerichtsbarkeit einen Verstoß gegen Art. 11 AEUV erken-
66
W. Kahl, Art. 6 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 15. M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 22, m.w. N. 68 GA Geelhoed, Schlussantr. in der Rs. C-161/04 (Österreich/Europäisches Parlament und Rat), Slg. 2006, I-7183, Rn. 59. 69 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 23, m.w. N. 70 S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2010, Rn. 10. 71 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 24, m.w. N. 67
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
847
nen wird. Fälle einer derartig manifesten Verkennung ökologischer Belange sind allerdings bislang, soweit bekannt ist, vor der europäischen Gerichtsbarkeit noch nicht thematisiert worden.72 Schließlich ist nicht zu verkennen, dass das in Art. 11 AEUV begründete Gebot auch eine prozedurale Dimension aufweist. Der in Art. 11 AEUV begründeten Pflicht zur Einbeziehung ökologischer Belange und Erwägungen kann ein EU-Organ nur dann entsprechen, wenn es durch geeignete institutionelle Vorkehrungen sicherstellt, dass die Auswirkungen einer geplanten Maßnahme auf die Umwelt überhaupt ermittelt und richtig erfasst werden. Zugleich muss gewährleistet werden, dass Alternativoptionen in Blick genommen und ihrerseits bewertet werden. Dies lässt sich nur bei Verfügbarkeit angemessener personeller Kapazitäten und unter Einschaltung hinreichenden wissenschaftlichen Sachverstands gewährleisten.73 Vor diesem Hintergrund spielt auch Art. 11 AEUV nur eine unerhebliche Rolle hinsichtlich des gerichtlichen Rechtsschutzes im Bereich des europäischen Umweltrechts.
IV. Die Umweltschutzziele gem. Art. 191 ff. AEUV Art. 191 AEUV (ex-Art. 174 EGV) weist weitreichende Parallelen zu Art. 37 EU-GRCh auf. Daher sind auch die umfangreichen Gehalte der Aufgabenregelung des Art. 191 AEUV bei der Auslegung des Art. 37 EU-GRCh zu berücksichtigen. Art. 191 Abs. 1–3 AEUV formuliert die Ziele und Grundsätze der unionalen Umweltpolitik und Art. 192 AEUV begründet die unionale Handlungskompetenz im Umweltbereich.74 Erwähnenswert ist dabei Art. 191 Abs. 2 AEUV, der im Unterschied zu Art. 20a GG ausdrücklich die Prinzipien der unionalen Umweltpolitik benennt, d.h. die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung, den Grundsatz der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang vor ihrem Ursprung und das Verursacherprinzip. Den Mitgliedstaaten steht es auf Grund der so genannten Schutzverstärkungsklausel in Art. 193 AEUV nicht nur frei, bestehende schutzintensivere Regelungen beizubehalten, sondern sie können auch von dem im jeweiligen EU-Sekundärrecht festgeschriebenen ökologischen Schutzniveau nach oben abweichen.75
72 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 23, m.w. N. 73 M. Nettesheim, Art. 11 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 25, m.w. N. 74 M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2012, Rn. 8 ff. 75 Vgl. S. Breier, Art. 193 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, Rn. 1 ff.
848 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
Bei den in Art. 191 Abs. 1 AEUV genannten umweltpolitischen Zielen76 handelt es sich, trotz der etwas flexiblen Formulierung „beitragen“ und trotz ihrer erheblichen Konkretisierungsbedürftigkeit, um rechtsverbindliche, gewissermaßen staatszielähnliche Aufgabenbeschreibungen der EU.77 Vor diesem Hintergrund wird auch den Berücksichtigungsgeboten des Art. 191 Abs. 3 AEUV von der überwiegenden Meinung in der Literatur eine eher geringe rechtliche Bedeutung zugesprochen. Es handele sich bei ihnen nicht um Rechtsprinzipien. Obwohl es sich in Art. 191 Abs. 1 und 3 AEUV um rechtsverbindliche Abwägungspflichten handelt, stellen sie in der Tat keine Rechtsprinzipien oder gar eine Bedingung für ein Tätigwerden der EU dar. Diese Vorschriften seien daher eng auszulegen.78 Dabei wird die Ansicht vertreten, dass diesen Normen eine problem- und einzelfallbezogene Abwägungspflicht entnommen werden kann, in deren Folge diese bei der Gestaltung der Umweltpolitik in Rechnung gestellt werden müssen. Mit welchem Ergebnis dies in concreto geschehe, ließe sich aus diesen Normen allerdings nicht ableiten. Nur „offensichtliche Beurteilungsfehler“ seien durchaus relevant.79 Im Ergebnis räumen sie daher dem Unionsgesetzgeber einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum ein.80 Auch die Vorgaben des Art. 191 Abs. 2
76 Art. 191 Abs. 1 AEUV: „Die Umweltpolitik der Union trägt zur Verfolgung der nachstehenden Ziele bei: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität; Schutz der menschlichen Gesundheit; umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen; Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme und insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels.“ 77 C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2011, S. 44, m.w. N.; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 19; ders., Art. 174 EGV, in: R. Streinz/C. Ohler (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 41, m.w. N. Sie geben nicht nur vor, was unter den Begriff des Umweltschutzes in der Union fällt, sondern sie bestimmen auch, was zum Erreichen des Umweltschutzes getan werden muss. Sie enthalten insofern ein Optimierungsgebot. Vgl. M. Nettesheim, Art. 174 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der EU, 2012, Rn. 14; M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 9, Rn. 17. 78 Vgl. M. Nettesheim, Art. 174 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der EU, 2012, Rn. 66; J. H. Jans/A.-K. von der Heide, Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 46. 79 EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Rs. 284/95, Slg. 1998, I-4301 (Safety HiTech Srl), NVwZ 1999, 753 (Ls.); M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 9, Rn. 54; W. Kahl, Art. 174 EGV, in: R. Streinz/ C. Ohler (Hrsg.), EUV/EGV-Komm. 2003, Rn. 98 ff.; S. Breier, Art. 191 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2010, Rn. 43. 80 Vgl. W. Kahl, Art. 174 EGV, in: R. Streinz/C. Ohler (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 98 ff.; C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2011, S. 46, m.w. N.
A. Der Umweltschutz im EU-Primärrecht
849
AEUV81 sind – wie der EuGH mehrfach betont hat82 – als rechtsverbindliche, tragende und gestaltende Prinzipien europäischer Umweltpolitik und europäischen Umweltrechts anzusehen.83 Aufgrund von Art. 191 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 174 Abs. 2 EGV) müsse somit die Politik der EU im Einklang mit ihrer Verpflichtung bezüglich der Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus stehen.84 Auch diese Vorschriften bedürfen aufgrund ihrer Abstraktheit immer einer problembezogenen Optimierung. Daher mag ihr konkreter Inhalt im Einzelfall auch nicht einklagbar sein.85 Im Gegensatz dazu aber entfalten die in ihnen enthaltenen umweltrechtlichen Vorgaben jedoch insofern eine – auch im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigende – bindende Wirkung, als sie im Rahmen von konkreten Auslegungsproblemen das Primär- und Sekundärrecht der EU beeinflussen können.86 Darüber hinaus bewirken die ausgeführten umweltschützenden Prinzipien des Art. 191 Abs. 2 AEUV aber auch eine Bindungswirkung für den Unionsgesetzgeber.87 Denn neben einer Legitimationswirkung für in ihrem Geiste erlassene umweltpolitische Maßnahmen entfalten sie einen Rechtfertigungsdruck, wenn in einer Maßnahme von ihrem Inhalt – ihrem Prinzipiencharakter entsprechend – ausnahmsweise abgewichen wird.88 81 Art. 191 Abs. 2 AEUV: „Die Umweltpolitik der Union zielt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Schutzniveau ab. Sie beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip. Im Hinblick hierauf umfassen die den Erfordernissen des Umweltschutzes entsprechenden Harmonisierungsmaßnahmen gegebenenfalls eine Schutzklausel, mit der die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, aus nicht wirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen vorläufige Maßnahmen zu treffen, die einem Kontrollverfahren der Union unterliegen.“ 82 EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Rs. 284/95, Slg. 1998, I-4301, Rn. 36 (Safety HiTech Srl), NVwZ 1999, 753 (Ls.); EuGH, Urt. v. 18.04.2002, Rs. C-9/00, Slg. 2002, I-3533, Rn. 23 (Palin Granit Oy). 83 Vgl. C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2011, S. 48; M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 9, Rn. 30; jeweils m.w. N.; R. Streinz, Europarecht, 2016, S. 491 ff. 84 Vgl. ausführlich dazu S. Breier, Art. 191 AEUV, in: C. O. Lenz/K-D. Borchardt, EUV/AEUV-Komm., 5. Aufl. 2010, S. 2091 ff.; W. Kahl, Art. 174 EGV, in: R. Streinz u. a. (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., Bd. 57, 2003, S. 1691 ff., m.w. N. 85 C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2011, S. 48. 86 EuGH, Urt. v. 18.04.2002, Rs. C-9/00, Slg. 2002, I-3533, Rn. 23 (Palin Granit Oy); W. Kahl, Art. 174 EGV, in: R. Streinz/C. Ohler (Hrsg.), EUV/EGV-Komm. 2003, Rn. 65; M. Schröder, NVwZ 1996, S. 833 ff. 87 C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2011, S. 48, m.w. N. 88 M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 9, Rn. 43; M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2009, Rn. 31 ff.; C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2011, S. 48.
850 3. Teil, 1. Kap.: Grundlagen des Umweltschutzes des unionalen Primärrechts
Aufgrund der Abstraktheit des Art. 191 Abs. 2 AEUV hinsichtlich des Ob und Wie der Verwirklichung einer konkretisierenden und abwägenden Umweltpolitik steht dem Unionsgesetzgeber mithin eine politische Gestaltungsbefugnis zu, die eine nur begrenzte gerichtliche Kontrolle zulässt. Dies gilt umso mehr, als im Gesetzgebungsverfahren auch kollidierenden Prinzipien und Belangen Rechnung zu tragen ist.89 Es muss jedenfalls unterstrichen werden, dass der EuGH Art. 191 AEUV bislang nur materiell-rechtlich versteht,90 so dass der Rechtsschutz gegen durch EU-Richtlinien determiniertes Gesetzesrecht grundsätzlich auf dezentraler Ebene stattfindet. Gerade dieses Phänomen erweist sich durchaus als problematisch.91
B. Fazit Die oben skizzierten gesetzlichen Grundlagen des Umweltschutzes im EU-Primärrecht sind rechtsverbindlich für den Unionsgesetzgeber sowie für die unionale Rechtsprechung und Exekutive. Darüber hinaus bilden diese Grundlagen nicht nur eine Legitimationswirkung für die erlassenen umweltpolitischen Maßnahmen, sondern sie entfalten auch einen Rechtfertigungsdruck, wenn in einer Maßnahme von ihrem Inhalt abgewichen wird. Sie können auch als Auslegungsmaßstab zur Lösung von möglichen Auslegungsproblemen des umweltrelevanten unionalen Primär- und Sekundärrechts funktionieren. Sie stellen letztlich staatszielartige Bestimmungen dar, die maßgeblich für die Einführung bzw. Durchführung der europäischen Umweltpolitik sind. Den umweltschützenden Grundsätzen des EU-Rechts kann allerdings nicht entnommen werden, dass im Falle einer Kollision gleichwertiger ökologischer und anderer Belange in dubio der Umweltschutz anderen Zielen der EU vorgeht. Offensichtlich besteht auf unionaler Ebene immer noch kein Grundrecht auf Umweltschutz. Vor diesem Hintergrund gewährleisten die primärrechtlichen umweltbezogenen unionalen Vorschriften den Einzelklägern keinen speziellen Rechtsschutz im Bereich des unionalen Umweltrechts. Die gesetzlichen Grundlagen des unionalen Umweltschutzes sind nicht einklagbar. Demzufolge entstehen Umweltrechtsschutzdefizite im EU-Recht, denn das EU-Recht garantiert primär89 W. Kahl, Art. 174 EGV, in: R. Streinz/C. Ohler (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 58; M. Schröder, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 9, Rn. 44; M. Nettesheim, Art. 191 AEUV, in: E. Grabitz/M. Hilf/ ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2009, Rn. 31 ff.; C. Calliess, Art. 191 AEUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2011, S. 49; s. auch G. Kremlis, NkF 1998, S. 553 ff. 90 Vgl. etwa: EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Rn. 65 ff. (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 153, m.w. N. 91 Vgl. W. Cremer, DV 2004, S. 165 ff.; D. Steck, NVwZ 2008, S. 524 ff.; J. Berkemann, EurUP 2014, S. 153; jeweils m.w. N.; mehr zu dieser Problematik s. u. 3. Teil, 1. Kap., C., VI.
B. Fazit
851
rechtlich keinen speziellen Rechtsschutz im Bereich des Umweltschutzes. Es gewährleistet freilich auch keinen Rechtsschutz der überindividuellen Rechtsgüter, der grundsätzlich die Einhaltung von Umweltrechtsgütern der Allgemeinheit (Wasser, Luft, Boden, Klima, Biodiversität u. a.) betrifft. Die Verletzung solcher Rechtsgüter durch unionale Handlungen kann insofern nicht direkt auf EU-Ebene gerichtlich angegriffen werden. Vor diesem Hintergrund wird die Wirkungsweise des europäischen Umweltschutzes erst im Sekundärrecht konkretisiert und auf dieser Basis in den Mitgliedstaaten implementiert.92 Die Tatsache aber, dass die Wirkungsweise des Umweltschutzes insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes primärrechtlich begrenzt ist, beeinflusst auch die Gestaltung des unionalen sekundärrechtlichen Umweltrechtsschutzes, der sich mangels einer konkreten primärrechtlichen umweltrechtsschützenden Bestimmung als ineffizient erweist. Um den Umfang und die Natur des Umweltrechtsschutzes auf primärrechtlicher Ebene zu erörtern, ist es zunächst erforderlich, die Grundlagen bezüglich des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im EU-Recht darzustellen.
92
Vgl. u. a. W. Frenz, EuR 2009, Beih. 1, S. 235 ff., m.w. N.
2. Kapitel
Grundlagen und Defizite des Rechtsschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts A. Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auf unionaler Ebene Der EuGH bezeichnet die Gewähr eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in ständiger Rechtsprechung als allgemeinen Rechtsgrundsatz, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. Dieser Grundsatz hat insbesondere in Art. 6 (Recht auf ein faires Verfahren) und 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) der EMRK Ausdruck gefunden, so dass dieser auf das EU-Recht Anwendung finden muss.1 Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, der einen lückenlosen Rechtsschutz gegen alle Akte unionsrechtlicher Gewalt erforderlich macht, ist offensichtlich auch von der EU-Rechtsprechung anerkannt.2 Der Auffassung des EuGH nach ist somit der Zugang zu den Gerichten ein wesentlicher Bestandteil einer Rechtsgemeinschaft. Schon in der damaligen auf den EGV (nun AEUV) gestützten Rechtsordnung sei der effektive Zugang zu den Gerichten dadurch garantiert, dass die EU ein vollständiges Rechtsschutzsystem geschaffen habe, das den EuGH mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der europäischen Organe betraue (sog. Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen EU-Maßnahmen). Danach muss ein Einzelner, der sich durch eine umstrittene europäische Handlung verletzt sieht, die ihm ein aufgrund der EU-Vorschriften bestehendes Recht oder einen Vorteil entzieht, diese Handlung anfechten können und über einen umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz verfügen.3 1 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. C-222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rn. 18 (Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary); EuGH, Urt. v. 15.10.1987, Rs. C-222/86, Slg. 1987, 4097, Rn. 14 (UNECTEF/G. Heylens u. a.); B. Wegener, Art. 220 EGV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2007, Rn. 34 ff., m.w. N.; C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 7 ff.; C.-D. Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtssystem der Europäischen Union, 2010, S. 39 ff., S. 59 ff., S. 320 ff., m.w. N.; vgl. auch T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1108 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1421 ff. 2 Ebd. 3 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23 (Les Verts/Parlament). „. . . dass die EWG eine Rechtsgemeinschaft der Art ist, dass weder
A. Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes
853
Das EU-Rechtsschutzsystem bietet dem Kläger hauptsächlich drei Kontrollinstrumente (konkret die Nichtigkeitsklage, die Untätigkeitsklage und die Schadensersatzklage) an. Erstens zielt die Nichtigkeitsklage (gem. Art. 263 AEUV) auf Wiederherstellung des dem Unionsrecht entsprechenden Zustandes durch die Beseitigung des rechtswidrigen Rechtsaktes. Sie eröffnet somit dem Klageberechtigen die Möglichkeit, Rechtsakte der Unionsorgane auf deren Rechtmäßigkeit hin gerichtlich überprüfen zu lassen.4 Im Rahmen der Nichtigkeitsklage können nur die abschließend in Art. 263 Abs. 2 AEUV aufgezählten Gründen geltend gemacht werden. Diese sind Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften (z. B. Verletzung von Beteiligungs- und Anhörungsrechten), Verletzung des Vertrages bzw. einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder Ermessensmissbrauch.5 Zweitens stellt die Untätigkeitsklage gem. Art. 265 AEUV die Rüge der vertragswidrigen Untätigkeit von Unionsorganen. Klagegegenstand dieser Klage ist das Unterlassen einer Beschlussfassung trotz einer primärrechtlichen Verpflichtung.6 Bisher hat aber die Untätigkeitsklage sich nicht als wirksames Instrument zum Schutze Einzelner erwiesen.7 Drittens eröffnet die Schadensersatzklage (gem. Art. 268 AEUV) geschädigten Privaten eine Schadensersatzklagemöglichkeit. Sie bietet Individualklägern die
die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen. Mit den Art. 173 und 184 EWG-Vertrag auf der einen und Art. 177 auf der anderen Seite ist ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden, innerhalb dessen dem Gerichtshof die Überprüfung der Handlungen der Organe übertragen ist. Natürliche und juristische Personen sind so gegen die Anwendung von Handlungen mit allgemeiner Geltung auf sie geschützt, die sie wegen der besonderen Zulassungsvoraussetzungen des Art. 173 Abs. 2 EWG-Vertrag nicht unmittelbar vor dem Gerichtshof anfechten können. Wenn die verwaltungsmäßige Durchführung dieser Handlungen den Gemeinschaftsorganen obliegt, können natürliche und juristische Personen vor dem Gerichtshof eine direkte Klage gegen die Durchführungsmaßnahmen erheben, die an sie gerichtet sind oder die sie unmittelbar und individuell betreffen. Zur Begründung der Klage können sie die Rechtswidrigkeit des den Durchführungsmaßnahmen zugrunde liegenden allgemeinen Rechtsakts geltend machen. Obliegt die Durchführung den nationalen Stellen, so können die Betroffenen die Ungültigkeit von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung vor den nationalen Gerichten geltend machen und diese veranlassen, sich mit Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu wenden.“ s. ausführliche Analyse dieses Grundsatzes in: C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union. Zum Verhältnis von Art. 47 Abs. 1, 2 EU-GRCh und Art. 263 ff. AEUV, 2008; C.-D. Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtssystem der Europäischen Union, 2010, S. 39 ff., S. 100 ff., m.w. N.; vgl. auch T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1108 ff.; GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der C-50/00, Rn. 38 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 4 S. Hobe, Europarecht, 2014, Rn. 506 ff., m.w. N. 5 S. Hobe, Europarecht, 2014, Rn. 511. Mehr zur Begründetheit der Nichtigkeitsklage s. etwa: A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2014, Rn. 67 ff., m.w. N. 6 S. Hobe, Europarecht, 2014, Rn. 519 ff., m.w. N. 7 M. Herdegen, Europarecht 2013, § 9, Rn. 24.
854
3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Möglichkeit, normative Unionsakte einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterwerfen. Es wird allerdings nicht die Gültigkeit des rechtswidrigen Unionsaktes beseitigt, sondern lediglich Schadensersatz zugesprochen.8 Diese Arbeit beschränkt sich überwiegend auf die Untersuchung des überindividuellen Rechtsschutzes von Drittklägern in Umweltangelegenheiten. Dafür ist vor allem Art. 263 Abs. 4 AEUV relevant, soweit diese Norm die Nichtigkeitsklagemöglichkeiten von Nichtadressaten, natürlichen und juristischen Personen gegen europäische Handlungen sowie gegen europäische Rechtsakte mit Verordnungscharakter bestimmt; während die Schadensersatzklage grundsätzlich für direkt betroffene Adressaten maßgeblich ist und die Untätigkeitsklage sich in der Praxis nicht als wirksames Kontrollinstrument zum Schutz von Drittklägern erweist, findet die Nichtigkeitsklage bei den hier diskutierten Drittklagen in der Praxis häufiger Anwendung.
I. Der Grundsatz des effektiven Zugangs zu den Gerichten (Art. 47 EU-GRCh) Der Grundsatz des effektiven Zugangs zu den Gerichten wurde in Art. 47 EUGRCh aufgenommen.9 Zu beachten ist, dass die gesamten Rechte, Freiheiten und Grundsätze, die in der „Charta der Grundrechte der EU“ vom 07.12.200010 in der am 12.12.2007 in Straßburg angepassten Fassung11 niedergelegt sind, nunmehr mit dem Inkrafttreten des AEUV zum 01.09.2009 rechtsverbindlich geworden sind. Sie besitzen den Rang des primären EU-Rechts, da die „Charta der Grundrechte der EU“ gem. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV denselben Rang wie der EUV besitzt. Infolgedessen ist auch der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes aufgrund von Art. 47 EU-GRCh rechtsverbindlich.12 Nach Art. 6 Abs. 3 EUV sind auch die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des EU-Rechts. Insofern sind
8
S. Hobe, Europarecht, 2014, Rn. 529 ff., m.w. N. Vgl. EuG, Urt. v. 30.01.2002, Rs. T-54/99, Slg. 2002, II-313, Rn. 57 (max.mobil/ Kommission); H.-M. Wolffgang, Art. 6 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV-Komm., 2010, Rn. 1 ff., m.w. N.; H. Jarass, Art. 47 EU-GRCh, in: GRChKomm., 2010, Rn. 1 ff., m.w. N.; C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union. Zum Verhältnis von Art. 47 Abs. 1, 2 EU-GRCh und Art. 263 ff. AEUV, 2008, S. 30 ff. 10 ABl. EG 2000 C 364/1. 11 ABl. EG 2007 C 303/1. 12 Vgl. R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, S. 118 ff., m.w. N. Bereits vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages beeinflusste allerdings die Grundrechte-Charta die Praxis der EU-Organe sowie der europäischen Gerichten und wurde auch von Gerichten der Mitgliedstaaten rezipiert. 9
A. Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes
855
auch die oben erwähnten Vorschriften des Art. 6 und 13 EMRK unionsrechtlich verbindlich.13 Der Grundsatz des effektiven Zugangs zu Gerichten erfasst neben der Bindung der Unionsorgane an Recht und Gesetz auch die Haftung der EU für durch rechtswidriges Verhalten ihrer Organe und Bediensteten verursachte Schäden. Jede Handlung der Unionsorgane im Anwendungsbereich des Unionsrechts muss grundsätzlich einer effektiven gerichtlichen Rechtskontrolle unterliegen, damit die objektiv-rechtsstaatlichen wie auch die subjektiv-individualschützenden Anforderungen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz erfüllt werden.14 Im Hinblick darauf erkannte der EuGH an, dass das unionale Prozessrecht im Lichte des Rechtsschutzgebots auszulegen sei.15 Vor diesem Hintergrund seien die Garantien des gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 47 EU-GRCh sowie die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe nach Art. 263 AEUV sowie durch die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nach Art. 261 AEUV hinsichtlich der in Verordnungen vorgesehenen Zwangsmaßnahmen gewährleistet.16 Notwendige Voraussetzung für die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfes eines Klägers ist gem. Art. 47 Abs. 1 EU-GRCh die Verletzung von individuellen „Rechten“ und „Freiheiten“, die durch das EU-Recht garantiert sind. Mit dem Begriff „Rechte“ und „Freiheiten“ sind nicht nur die Rechte der GrundrechteCharta, sondern auch „sämtliche durch das Unionsrecht garantierten Rechte“ gemeint.17 Subjektive Rechte i. S. d. Art. 47 EU-GRCh können sich aus allen Normen des primären und sekundären Unionsrechts und den Durchführungsvorschriften sowie aus völkerrechtlichen Verträgen (etwa das bereits skizzierte sog. Aarhus-Übereinkommen) ergeben, soweit sie die Union binden. Darüber hinaus gilt Art. 47 EU-GRCh für Rechte, die sich aus Vorschriften der Mitgliedstaaten 13 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. C-222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rn. 18 (Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary); EuGH, Urt. v. 15.10.1987, Rs. C-222/86, Slg. 1987, 4097, Rn. 14 (UNECTEF/G. Heylens u. a.); B. Wegener, Art. 220 EGV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2007, Rn. 34 ff., m.w. N.; C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 7 ff.; C.-D. Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtssystem der Europäischen Union, 2010, S. 39 ff., S. 59 ff., S. 320 ff., m.w. N.; vgl. auch T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1108 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1421 ff. 14 Vgl. M. Schröder, DÖV 2009, S. 62 ff., m.w. N.; E. Pache, Art. 19 EUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 10, m.w. N. 15 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 44 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 3990; EuGH, Urt. v. 17.07.2008, Rs. C521/06 P, Slg. 2008, I-5829, Rn. 45 (Athinaïki Techniki/Kommission). 16 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-274/12 P, Slg. 2014, S. 2062, Rn. 40 (Telefónica/ Kommission), BeckRS 2014, 81153; Anm. dazu C. Seitz, EuZW 2014, S. 776. 17 Charta-Erläuterungen, ABl. 2007, Art. 47, Rn. 16.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
ergeben, sofern die Vorschriften in Umsetzung bzw. Durchführung aus Unionsrecht hervorgegangen sind.18 Hervorzuheben ist, dass die jeweils zu überprüfende Norm dem Einzelnen ein „Recht“ verleihen muss, womit im Ansatz gemeint sein dürfte, was insbesondere im deutschen Recht als „subjektives Recht“ bezeichnet wird. Es geht somit um die Berufung auf die durch eine Rechtsvorschrift eingeräumte Rechtsmacht, mit Hilfe der Vorschrift Eigeninteressen zu verfolgen. Damit korrespondiert ein Recht des Einzelnen auf einen effektiven gerichtlichen Schutz prinzipiell derjenigen Rechte, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie den Art. 6 und 13 EMRK ergeben.19 Ob und wann eine Rechtsvorschrift Rechte verleiht, hängt davon ab, zu wessen „Schutz“ sie dient. Besonders fraglich ist somit, welchen Personen ein Recht verliehen wird. Das dürften in der Regel Personen sein, die ein spezifisches Interesse an der Norm haben, die durch ihre Anwendung bzw. Nichtanwendung unmittelbar und individuell betroffen sind.20 Von besonderer Bedeutung ist, dass Art. 47 EU-GRCh bei der Auslegung der Voraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV)21 für die Nichtigkeitsklage von Bürgern zu berücksichtigen ist. Doch zielt diese Gewährleistung nicht darauf ab, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem, insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen beim EuGH zu ändern. Indizierend dazu ist, dass in den nach Art. 52 Abs. 6 EUGRCh gegebenen Erläuterungen des Konvents gerade für Art. 47 EU-GRCh betont wird, dass die Norm nicht die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen beim EuGH ändern soll.22 Weder die Rechtsschutzgarantie des Art. 47 EU-GRCh noch die Gewährleistungen der EMRK hätten damit eine erweiterte Zulassung der Direktklage gegen normative Rechtsakte erzwungen.23 Eine Umfunktionierung des Art. 263 Abs. 4 AEUV kann also nicht auf Art. 47 EU-
18 Vgl. H. Jarass, Art. 47 EU-GRCh, in: GRCh-Komm., 2010, Rn. 6 ff., m.w. N.; K.-D. Borchardt, Art. 19 EUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2010, Rn. 3, m.w. N. 19 K.-D. Borchardt, Art. 19 EUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2010, Rn. 3 m.w. N. 20 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-59/89, Rn. 19 (Kommission/Deutschland – Blei), NVwZ 1991, S. 86 ff.; Anm. dazu H. H. Rupp, JZ 1991, S. 1034 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-02607, Rn. 14 (Kommission/Deutschland – Trinkwasser-RL), NVwZ 1992, S. 459 ff.; EuGH, Urt. v. 24.02.1994, Rs. C-343/92, Slg. 1994, I-00571, Rn. 42 (Roks u. a./Bestuur van de Bedrijfsverniging voor de Gezondheid u. a.). 21 Mehr dazu 3. Teil, 2. Kap. A., I. 22 Vgl. Erläuterungen zur Grundrechtecharta, ABl. EU 2007 C 303/29. 23 Vgl. B. Wegener, EuR 2008, Beih. 3, S. 49; H. Jarass, Art. 47 EU-GRCh, in: GRCh-Komm., 2010, Rn. 25 ff.; J. Gundel, EWS 2012, S. 67, m.w. N.
A. Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes
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GRCh gestützt werden.24 Zudem wird angemerkt, dass auch die Gleichrangigkeit von Rechtsschutzgarantie des Art. 47 EU-GRCh und Art. 263 AEUV nicht zur Folge hat, dass etwaige Rechtsschutzlücken unter unmittelbarem Rückgriff auf die Grundrechte-Charta geschlossen werden könnten.25 Die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage kann daher nicht unter Berufung auf Art. 47 EU-GRCh über die klaren Vertragsvorgaben hinaus ausgeweitet werden.26 Soweit aber die Vorgaben des EU-Rechts keine ausreichenden Klagemöglichkeiten gewähren, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für ausreichende Abhilfe zu sorgen, auch soweit es um den Rechtsschutz gegen Unionsakte geht.27 Dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes muss zugleich das durch den Lissabon-Vertrag geschaffene System der direkten Klagen genügen. Denn, wie die europäische Gerichtsbarkeit betont hat, enthält die EU ein „umfassendes Rechtsschutzsystem“,28 in dem keine der Handlungen der Organe der EU oder der Mitgliedstaaten einer Rechtskontrolle prinzipiell entzogen sein können.29 Zu diesem Zweck hat der EuGH in den vertraglichen Regelungen angelegte Rechtsschutzlücken durch eine ergänzende Auslegung der einschlägigen Vorschriften z. B. durch Erweiterung der aktiven und passiven Parteifähigkeit des
24 Vgl. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Rn. 36, 44 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; H. Jarass, Art. 47 EUGRCh, in: GRCh-Komm., 2010, Rn. 25 ff., m.w. N.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 555, EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 ff. 25 C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, Zum Verhältnis von Art. 47 Abs. 1, 2 EU-GRCh und Art. 263 ff. AEUV, 2008, S. 121; s. aber gleichwohl das Plädoyer für eine erweiterte Auslegung der individuellen Betroffenheit: in: ders., S. 184 ff. 26 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Rn. 44 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402 ff.; auch V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; J.-D. Braun/ M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff.; EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02, Slg. 2004, I3425, Rn. 36 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; a. A. EuG, Urt. v. 03.05.2002 Rs. C-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 47 (Jégo-Quéré & Cie SA/ Kommission); Anm. dazu M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, S. 415 ff.; C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 32 ff. Vgl. dazu auch F. Mayer, DVBl 2004, S. 609. 27 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 41 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C432/05, Slg. 2007, I-2271, Rn. 38 ff. (Unibet/Justitiekanslern). 28 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23 (Les Verts/Parlament). 29 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23 (Les Verts/Parlament); EuGH, Urt. v. 03.12.1992, Rs. C-97/91, Slg. 1992, I-6313, Rn. 14 (Borelli/Kommission); EuG, Urt. v. 27.06.1995, Rs. T-186/94, Slg. 1995, II-1753, Rn. 23 (Guérin automobiles/Kommission); EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. C-222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rn. 18 (Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary).
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Parlaments im Rahmen der Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen30 sowie durch die Anerkennung der Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen im Bereich von Feststellungsklagen31 schließen können.32 In Teilbereichen aber, wie im Bereich der Direktklagen nicht privilegierter Individualkläger gegen europäische Verordnungen – wie hier belegt werden soll33 –, zeigt bislang die Rechtsprechung des EuGH ungeachtet der hieran geübten Kritik34 Zurückhaltung gegenüber einer Abkehr von der selbst entwickelten restriktiven Interpretation der einschlägigen Zulässigkeitsvoraussetzungen.35 Es scheint somit, dass die ausdrückliche Rechtsverbindung der GrundrechteCharta im Rahmen des Lissabon-Vertrages nicht zu einer eindeutigen Optimierung der Konzeption des Individualrechtsschutzsystems in der EU beigetragen hat. Zwar wurde im Verfassungskonvent die Frage nach einer Verbesserung des als mangelhaft empfundenen Individualrechtsschutzes vor den EU-Gerichten gegenüber EU-Rechtsakten intensiv diskutiert und dabei auch die Einführung einer „Chartabeschwerde“ zum EuGH nach dem Vorbild der Verfassungsbeschwerde erwogen, wie sie in einigen Mitgliedstaaten vor dem jeweiligen Verfassungsgericht möglich ist. Im Ergebnis aber griffen weder die Grundrechte-Charta 2000 noch der Verfassungsvertrag und auch nicht die darauf beruhende Grundrechte-
30 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23 ff. (Les Verts/Parlament); EuGH, Urt. v. 04.10.1991, Rs. C-70/88, Slg. 1990, I-04529, Rn. 12 ff., insbes. Rn. 22 (Parlament/Rat „Tschernobyl II“). 31 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.11.1996, Rs. C-68/95, Slg. 1996, I-6065, Rn. 60 (T. Port/ Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung); S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1421 ff., m.w. N. 32 Vgl. EuGH, Urt. v. 06.12.1990, Rs. C-2/88, Slg. 1990, I-3365, Rn. 23 ff. (Zwartveld u. a./Kommission); S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1421 ff., m.w. N. 33 s. u. insbes. 3. Teil, 1. Kap., D. ff. 34 Vgl. GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores); EuG, Urt. v. 03.05.2002, Slg. 2002, II-2365, Rs. T-177/01 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; Anm. dazu M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, S. 415 ff. Vgl. auch A. Arnull, CML Rev. 1995, S. 7 ff.; D. Ehlers, VerwArch 1993, S. 153; T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1115; B. Wegener, ZEuS 1998, S. 183 ff.; ders., ZUR 1998, S. 131 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 234 ff.; J. Jans/A.-K. v. der Heide, ZUR 2003, S. 391; P. Baumeister, EuR 2005, S. 1 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1112; A. v. Winterfeld, NJW, S. 1410 ff.; a. A. S. Lenz/S. Staeglitz, NVwZ 2004, S. 1421 ff., 1428 ff.; J. Gundel, EWS 2012, S. 65 ff.; jeweils m.w. N. 35 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 43 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402 ff.; auch V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/ 95P, Slg. 1998 I-01651, Rn. 32 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1998, 230067; Anm. dazu B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (Stichting-Greenpeace Council u. a./ Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 69 ff. (WWF-UK Ltd/Rat).
A. Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes
859
Charta 2007 und schließlich der AEUV diesen Ansatz auf.36 Stattdessen beschränkte man sich auf eine eher marginale Änderung der Voraussetzungen einer Individualklage vor dem EuGH, worauf im Folgenden detaillierter eingegangen werden soll.
II. Gewährleistung wirksamen Individualrechtsschutzes in Kooperation mit der Gerichtsbarkeit der EU-Mitgliedstaaten (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) In Zusammenhang mit Art. 47 EU-GRCh verpflichtet Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu, die „erforderlichen Rechtsbehelfe“ zu schaffen, „damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“. Aufgabe der Unionsgerichtsbarkeit ist nicht allein die Kontrolle der Wahrung des Rechts durch Exekutive und Legislative, sondern gleichermaßen auch die Gewährleistung effektiven Individualrechtsschutzes. Auch die Rechtsprechung des EuGH weist auf diese Verpflichtung grundsätzlich hin, ohne aber damit seine restriktive Rechtsauffassung hinsichtlich der individuellen Betroffenheit überzeugend zu begründen.37 Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV bringt zum Ausdruck, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in den vom Unionsrecht betroffenen Bereichen nicht allein der unionalen Gerichtsbarkeit obliegt, sondern ebenso auch den mitgliedstaatlichen Gerichten. Die mitgliedstaatlichen Gerichte bilden zusammen mit dem EuGH und seinen Teilorganen ein System arbeitsteiligen Rechtsschutzes, das einen einheitlichen Justizverbund darstellt. Dieses System ist durch die Einführung von notwendigen Rechtsbehelfen zu gewähren. Die Mitgliedstaaten sind somit nach Art. 19 Abs. 1 EUV verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.38 Kommt ein Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nach, liegt es beim EuGH, auf Antrag der Kommission oder eines anderen Mitgliedstaates eine entspre36 Vgl. F. Mayer, DVBl 2004, S. 606 ff.; M. Burgi, Nichtigkeitsklagen, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann (Hrsg.), Hdb. des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2003, § 7, Rn. 49 ff., 64 ff.; R. Streinz, in: ders./C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, S. 126, m.w. N.; B. Wegener, EuR 2008, 3. Beih., S. 53 ff. 37 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 43 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402; C. Feddersen, EuZW 2002, S. 532 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff.; G. Schohe, EWS 2002, S. 424 ff. 38 Vgl. M. Nettesheim, JZ 2002, S. 932 ff.; F. Mayer, AöR 2004, S. 420 ff.; ders., JuS 2010, S. 191 ff.; E. Pache, Art. 19 EUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 11; H.-A. Petzold, EuZW 2014, S. 290, jeweils m.w. N.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
chende Vertragsverletzung (gem. Art. 228 AEUV) zu konstatieren. Der EuGH könnte allerdings auch nach Analyse des nationalen Rechtsschutzsystems in einem geeigneten Vorlageverfahren (gem. Art. 267 AEUV) zum gleichen Schluss kommen.39 Insofern ist zentraler Individualverwaltungsrechtsschutz durch die europäische Gerichtsbarkeit die Ausnahme gegenüber dem zu eröffnenden dezentralen Rechtsschutz auf mitgliedstaatlicher Ebene.40 Trotz der zunehmenden Verlagerung von Verwaltungsvollzugskompetenzen auf die EU-Ebene nehmen schwerpunktmäßig die Mitgliedstaaten den Vollzug des EU-Rechts wahr. Diese sind letztlich verpflichtet, für einen effektiven und zu einem dem zentralen Rechtsschutzsystem der EU äquivalenten, kohärenten Verwaltungsrechtsschutz zu sorgen.41 Keinesfalls lässt sich aus Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV entnehmen, wie im Einzelnen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Prozessordnungen in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Anforderungen zu bringen haben. Dadurch kann von einer institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten gesprochen werden, die sowohl für die inhaltliche Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Rechtsschutzsysteme als auch für die Frage gilt, ob die Anpassung dieser Rechtsschutzsysteme an die unionsrechtlichen Erfordernisse im Wege der unionskonformen Auslegung oder der Gesetzesänderung erfolgen soll.42 Sofern mit Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV primärrechtlich anerkannt wird, dass die Mitgliedstaaten in Kooperation mit der EU die generell zuständige Rechtsschutzebene bilden, sind demnach die Mitgliedstaaten verpflichtet, bestehende Rechtsschutzdefizite zu beseitigen.43 Die Eröffnung aber von hinreichenden 39 H.-A. Petzold, EuZW 2014, S. 290. Bisher ist allerdings dieser Weg noch nicht eingeschlagen worden, wohl auch, weil die entsprechende vertragliche Verpflichtung noch nicht sehr lange gilt. 40 W. Cremer, DV 2004, S. 169 ff. 41 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 515, m.w. N. 42 Vgl. P. Baumeister, EuR 2005, S. 29 ff.; C. N. Kakouris, CML Rev. 1997, S. 1389 ff.; G. Rodríguez/C. Gill, EuGRZ 1997, S. 289 ff.; E. Pache, Art. 19 EUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 14. 43 Vgl. C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union. Zum Verhältnis von Art. 47 Abs. 1, 2 EU-GRCh und Art. 263 ff. AEUV, 2008, S. 220 ff., m.w. N. Dies führt in der Praxis zum Ausschluss direkter Klagen, auch um eine übergroße Zahl direkter Klagen zu vermeiden. Denn in der Sache kann eine Klageflut der EU-Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur dann erzielt werden, wenn die Möglichkeit innerstaatlichen Rechtsschutzes auch tatsächlich besteht. Vgl. K. Lenaerts, in: Scritti in onore die G.F. Mancini, S. 596 ff., 1998 mit Hinweis auf EuG, Beschl. 20.10.1994, Rs. T-99/94, Slg. 1994, II-00871, Rn. 17 (Asocarne/Rat); EuG, Urt. v. 07.11.1996, Rs. T-298/94, Slg. 1996, II-01531, Rn. 45 (Roquette Frères/Rat); B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 159 ff.; ders., UTR 2008, S. 324 ff.; R. Streinz, EuZW 2014, S. 17 ff.; jeweils m.w. N.
A. Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes
861
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Rechtsakte der EU und ihre Durchführung seitens der Mitgliedstaaten kann nur in einer Zusammenschau der unionalen und der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestimmt werden. Das EU-Primärrecht hat somit die Rechtsprechung des EuGH positiviert, nach der sich aus dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes bei gemeinsamer Betrachtung des Prinzips der Unionstreue die Pflicht der Mitgliedstaaten ergibt, ihre nationalen Prozessordnungen derart auszugestalten, dass den Anforderungen des Rechtsschutzgebotes vor allem unter Berücksichtigung der eingeschränkten Direktklagemöglichkeiten auf EU-Ebene dennoch Genüge getan wird.44 Wenn den jeweils Betroffenen die Direktklage verwehrt ist, „können die Betroffenen die Ungültigkeit von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung vor den nationalen Gerichten geltend machen und diese veranlassen, sich mit Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu wenden“.45
Das Instrument der Gültigkeitsvorlage sollte somit auf restriktive Weise maßgeblich für den Individualrechtsschutz sorgen.46 Zwar ist für Adressaten einer Handlung, die eine Nichtigkeitsklage versäumt haben, der Weg über die Gültigkeitsvorlage i. d. R. präkludiert,47 grundsätzlich aber schließen sich zentraler und dezentraler Rechtsschutz nicht gegenseitig aus.48 Der Konzeption des unionalen Rechtsschutzes nach ist es somit nicht in erster Linie Aufgabe des EuGH, dem Bürger effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Diese Aufgabe fällt vielmehr grundsätzlich den nationalen Richtern zu, die die Wahrung des Unionsrechts zu sichern haben. Eine Beteiligung des EuGH findet in Fällen des individuellen Rechtsschutzes grundsätzlich nur indirekt über das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV statt.49
44 Vgl. EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02, Slg. 2004, I-3425, Rn. 36 (JégoQuéré et Cie SA/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, S. 6677 (Unión de Pequeños Agicultures/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 45 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23 (Les Verts/Parlament); eine eigenständige Ungültigkeitserklärung durch nationale Gerichte ist ausgeschlossen: EuGH, Urt. v. 22.10.1987, Rs. C-314/85, Slg. 1987, 4199 (FotoFrost/Hauptzollamt Lübeck-Ost). Mehr zur Problematik des Rechtsschutzes im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens s. u. 3. Teil, 1. Kap., C., VI. 46 Vgl. M. Kottmann, ZäöRV 2010, S. 553; M. Nettesheim, JZ 2002, S. 928 ff.; U. Everling, EuR 2009, S. 73. 47 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.03.1994, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 13 (TWD Textilwerke Deggendorf GmbH/Bundesrepublik Deutschland); EuGH, Urt. v. 15.02.2001, Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 29 ff. (Nachi Europe/Hauptzollamt Krefeld). 48 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.05.1987, Rs. C-133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289, Rn. 12 (Rau/BALM); EuG, Urt. v. 24.03.1994, Rs. T-3/93, Slg. 1994, II-121, Rn. 69 (Air France/Kommission); M. Schröder, EuR 2011, S. 808 ff., m.w. N.; ders., Agrar- und Umweltrecht 2008, S. 261 ff. 49 Mehr dazu s. u. 3. Teil, 1. Kap., C., VI.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Vor diesem Hintergrund wird durch Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV der Vorrang des Rechtsschutzes auf nationaler Ebene zum Ausdruck gebracht, wonach wirksame Rechtsbehelfe auf nationaler Ebene zur Verfügung gestellt werden müssen.50 Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes erfordert zwar, dass gegen jeden Akt der Union, der eine Privatperson in ihren Rechten trifft, im Ergebnis ein Rechtsbehelf besteht. Es sagt aber nichts darüber aus, auf welcher Ebene entsprechender Rechtsschutz gewährt werden muss.51 Demzufolge ist das System des arbeitsteiligen Rechtsschutzes durch die Verschränkung der dezentralen und zentralen, also der mitgliedstaatlichen und der unionalen Rechtsbehelfe durch das Vorabentscheidungsverfahren gekennzeichnet.52 Die Funktion dieses Systems zielt mit Hilfe des zur Anrufung der nationalen Gerichte ermächtigten Einzelnen sowie des Vorabentscheidungsverfahrens darauf, widerwillige mitgliedstaatliche Gesetzgeber und Verwaltungen „auf Kurs“ zu bringen und so das Europarecht effektiver durchzusetzen.53 Das Tatbestandmerkmal der individuellen Betroffenheit übernimmt somit eine gewisse Kanalisierungsfunktion, indem sie potenzielle Kläger vom zentralen zum dezentralen Rechtsweg umleitet.54 Die mitgliedstaatlichen Gerichte fungieren im Ergebnis als unionale Gerichte bzw. als Unionsgerichtsbarkeit im funktionellen Sinne.55 Andererseits wirken die unionalen Gerichte vielmehr als Berufungsgerichte gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten, die innerhalb des obigen Justizverbunds der Funktion nach als Gerichte erster Instanz betrachtet werden könn50 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 554; K. Lenaerts, International & Comparative Law Quarterly 2010, S. 265. 51 Vgl. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, S. 6677, Rn. 36, Rn. 44 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; H. Jarass, Art. 47 EU-GRCh, in: GRCh-Komm., 2010, Rn. 25 ff., m.w. N.; S. Pötters/ C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 555. 52 Der EuGH hat das europarechtliche Telos, die Einzelnen als Wächter des Unionsrechts zu mobilisieren, schon 1962 im Fall „van Gend & Loos“ zum Ausdruck gebracht. Vgl. EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3 ff. (Van Gend en Loos/Administratie der Belastingen), NJW 1963, S. 974 ff. In diesem Urteil wurde unter anderem Folgendes festgestellt: „Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Rolle ergänzt.“; M. Nettesheim, JZ 2002, S. 928 ff.; M. Schröder, EuR 2011, S. 808 ff.; P. Baumeister, EuR 2005, S. 19 ff.; E. Pache, Art. 19 EUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 12; W. Cremer, DV 2004, S. 175 ff. 53 Vgl. M. Hong, JZ 2012, S. 382, m.w. N. 54 Vgl. P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 44 ff.; M. Kottmann, ZäöRV 2010, S. 553; M. Nettesheim, JZ 2002, S. 928 ff.; W. Cremer, EuZW 2001, S. 456 ff., C. Nowak, EuR 2000, S. 724 ff., m.w. N.; H. Rasmussen, E.L.Rev. 1980, S. 122 ff.; m.w. N. 55 Ebd.
A. Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes
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ten.56 Es sei in erster Linie Aufgabe der nationalen Gerichte, für ausreichenden Rechtsschutz zu sorgen. Denn die nationalen Gerichte legen dem EuGH durch Vorabentscheidungsverfahren Fragen vor, was vor allem aufgrund des Subsidiaritätsprinzips und der ansonsten zu hohen Arbeitsbelastung der unionalen Gerichte sinnvoll erscheint.57 Die nationalen Gerichte hätten nämlich die nationalen Verfahrensvorschriften so anzuwenden, dass die Rechtmäßigkeit unionaler Rechtsakte inzident bei der Überprüfung der auf ihnen beruhenden nationalen Umsetzungsakte geltend gemacht werden kann.58 Vor diesem Hintergrund wird zutreffend behauptet, dass die restriktive Klagebefugnis für nicht privilegierte Kläger vor den unionalen Gerichten in gewisser Weise eine gewollte Systementscheidung zugunsten eines dualistischen Rechtsschutzsystems darstellt, in dem Rechtsschutz für nicht privilegierte Kläger grundsätzlich über die nationalen Gerichte gewährleistet werden soll.59 Es darf aber nicht ignoriert werden, dass das Vorabentscheidungsverfahren des Unionsrechts nicht ausreichend ist, um deutliche Rechtsschutzdefizite des EU-Rechts vollständig und effektiv zu beheben.60 Während aber die Möglichkeit eines Antrags auf Vorabentscheidungsverfahren ohnehin ein wichtiges Element für die Sicherstellung der einheitlichen Anwendung und ordnungsgemäßen Umsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten bildet, darf er nicht gleichzeitig als Rechtfertigung für eine allgemeine Verweigerung des Zugangs der Öffentlichkeit zu unionalen Gerichten dienen, um Handlungen und Unterlassungen der EU-Organe und EU-Einrichtungen einzuklagen. Denn das Vorabentscheidungsverfahrenssystem darf letztlich weder als Berufungssystem in Bezug auf umstrittene Handlungen bzw. Rechtsakte und Unterlassungen der EU-Organe und EU-Einrichtungen noch als Gegengewichtsmittel gegenüber der restriktiven Rechtsprechung der europäischen Gerichte hinsichtlich der Klagebefugnis von Drittklägern61 ausgenutzt werden. Ansonsten besteht unter anderem die Gefahr einer Verletzung der Anforderungen des Aarhus-Übereinkommens.62
56 Vgl. H. Rasmussen, E.L.Rev. 1980, S. 122 ff., m.w. N.; C. Harding, E.L.Rev. 1980, S. 354 ff. 57 D. Triantafyllou, DÖV 1997, S. 198; C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff. 58 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 42 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 546 ff. 59 Vgl. C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff., m.w. N. 60 Ausführlich zu Rechtsschutzdefiziten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens s. u. 3. Teil,2. Kap., C., IV. 61 Mehr zu restriktiven Rechtsprechung der europäischen Gerichten bezüglich der Klagebefugnis Drittkläger s. u. 3. Teil, 2. Kap., C.; 3. Teil, 3. Kap., B., I. ff. 62 Zu Anforderungen des Aarhus Übereinkommens s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., IV. ff., m.w. N.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV Der Grundsatz der Garantie individuellen Rechtsschutzes findet aktuell in Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) seine wichtigste Ausprägung innerhalb des Unionrechts. Danach gilt: „Jede natürliche oder juristische Person kann unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.“
Im Unterschied dazu lautete vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags Art. 230 Abs. 4 EGV: „Jede natürliche oder juristische Person kann unter den gleichen Voraussetzungen gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.“
Die aktuelle Vorschrift des Art. 263 Abs. 4 AEUV regelt die unionsrechtliche Nichtigkeitsklage seitens natürlicher und juristischer Personen. Kennzeichnend für diese Nichtigkeitsklage ist ihre Doppelfunktion als Instrument der objektiven Kontrolle der Handlungen der Union einerseits und als Instrument individuellen Rechtsschutzes andererseits.63 Dieses Rechtsschutzkonzept kombiniert rechtliche Grundsätze sowohl des deutschen Individualrechtsschutzsystems (am Beispiel der deutschen Anfechtungsklage)64 als auch des französischen und des griechischen Rechtsschutzkonzepts der objektiven Rechtskontrolle (am Beispiel der griechischen Aufhebungsklage).65 Ziel des Art. 263 Abs. 4 AEUV ist es, den privaten Klägern die Möglichkeit zu geben, den EuGH zur Wahrung ihrer Interessen und Rechte anzurufen. Privatkläger nach Art. 263 Abs. 4 AEUV haben somit nicht die Aufgabe, für die Wahrung sämtlichen EU-Rechts Sorge zu tragen. Infolgedessen müssen diese Privatkläger stets eine (im Einzelnen jeweils unterschiedliche) Form der Klagebefugnis nachweisen.66 Die europäische Nichtigkeitsklage natürlicher und juristischer Personen übernimmt teilweise die strikt individualschützende Funktion der deutschen Anfech63 Vgl. E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 3 ff., m.w. N.; O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 115. 64 s. o. 1. Teil, 1. Kap., C., II. ff. 65 s. o. 2. Teil, 2. Kap., C. ff. 66 Vgl. A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 84 ff., m.w. N.; O. Dörr/ C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 115; mehr dazu s. u. 2. Teil, 1. Kap., D. ff.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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tungsklage (nach § 42 Abs. 1 VwGO, § 113 Abs. 1 VwGO). Zu beachten ist, dass gleichzeitig die Funktion einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle des EURechts ergänzend hinzutritt. Indizierend dazu ist, dass – anders als bei der deutschen Anfechtungsklage – die Begründung der Nichtigkeitsklage auf europäischer Ebene nicht davon abhängt, ob tatsächlich eine Verletzung subjektiver Rechte des Klägers vorliegt.67 Art. 263 Abs. 4 AEUV normiert drei Varianten, nach denen klageberechtigte Personen eine Nichtigkeitsklage einbringen können. Die erste Variante betrifft an eine klageberechtigte (natürliche oder juristische) Person gerichtete Handlungen. Ihre Klagebefugnis ist durchaus unproblematisch zu bestimmen. Da in diesem Fall der Kläger Adressat einer an ihn gerichteten Handlung ist, bedarf es i. d. R. keiner besonderen Darlegung der Klagebefugnis68. Diese sollte daher nicht weiter analysiert werden. Im Unterschied zur Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO genügt die europäische Nichtigkeitsklage für eine Berechtigung nicht privilegierter Privater zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen EU-Handlungen gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV, dass der Kläger (d.h. seine Rechtsstellung) von der jeweils umstrittenen unionalen Handlung unmittelbar und individuell betroffen wird.69 Mit diesem Kriterium soll sichergestellt werden, dass es erst dann zur Anrufung der unionalen Gerichtsbarkeit kommt, wenn sowohl die Art und Weise als auch der Eintritt der Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Klägers mit Sicherheit feststeht.70 Diese Variante erfasst unter anderem Dritte betreffende Entscheidungen sowie adressatenlose Handlungen.71 Komplizierter bei der zweiten Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV in der Rechtspraxis sind allerdings jene Fallkonstellationen, in welchen eine Handlung an einen Dritten gerichtet ist. Denn in diesen Fällen muss der Kläger das Vorliegen unmittelbarer und individueller Betroffenheit nachweisen.72 Dadurch entstehen Rechtsschutzdefizite, insbesondere in den Fällen, in denen ein europäischer Rechtsakt mit allgemeiner Geltung (etwa eine Verordnung oder Richtlinie)73 den 67
Ebd. Vgl. E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Recht Handkomm., 2012, Rn. 37, m.w. N. 69 Mehr dazu s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., III. ff. 70 Vgl. EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Rs. C-386/96 P, Slg. 1998, I-02309 (Dreyfus/Kommission); EuG, Urt. v. 12.07.2001, Rs. T-225/99, Rn. 96 (Comafrica u. Dole Fresh Fruit Europe/Kommission); EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (JégoQuéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 71 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 40. 72 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 41. 73 Zum Begriff und zu Erweiterungsversuchen der Rechtsakte mit allgemeiner Wirkung s. u. 3. Teil, 2. Kap., C., I. 68
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Individuen Verpflichtungen auferlegt, die unmittelbar, d.h. ohne Vollzugsakt zu befolgen sind, und gegen die sie vor den Unionsgerichten nicht vorgehen können.74 Am problematischsten erweist sich auch aufgrund ihrer Formulierung die dritte Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV. Diese Variante ermöglicht natürlichen und juristischen Personen die Anfechtung von „Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. Dadurch wurde versucht, Rechtsschutzlücken zu vermindern, die aus dem restriktiven Umfang der Vorgängerbestimmung des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV und der darauf beruhenden EuGH-Rechtsprechung resultierten.75 Denn vor dem Inkrafttreten dieser Variante konnten die Kläger mittels Nichtigkeitsklage gegen generell-abstrakte Rechtsakte mit Verordnungscharakter mangels individueller Betroffenheit grundsätzlich nicht vorgehen.76 Die Rechtskontrolle solcher Rechtsakte war auch durch die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV dann nicht zulässig, wenn eine Verordnung – wie in der Mehrzahl der Fälle üblich war – keine nationalen Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe.77 Der Begriff des neuen Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ sowie seine Auswirkungen im Bereich des unionalen Rechtsschutzes sind nicht völlig geklärt. Zwar entfällt der Nachweis individueller Betroffenheit für die Rechtfertigung der Klagebefugnis der Kläger bei dieser Variante; es bleibt jedoch immer noch umstritten, ob die Kläger Rechtsakte generell-abstrakter Art grundsätzlich anfechten können, gleichgültig, ob es sich hierbei um Rechtsakte der Legislative (d.h. Gesetzgebungsakte) oder solche der Exekutive handelt.78 Vor diesem Hintergrund entwickelt sich im EU-Recht eine Problematik hinsichtlich der Frage, inwieweit das primärrechtliche europäische Rechtsschutzsys74 Vgl. R. Streinz, EuZW 2014, S. 18. Mehr dazu s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., IV. ff.; 3. Teil, 4. Kap. A., II. 75 EuG, Urt. v. 03.05.2002 Rs. C-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 47 (Jégo-Quéré & Cie SA/Kommission); GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 38 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 59; K.-D. Borchardt, Art. 263 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV/EUV-Komm., 2010, Rn. 46 ff.; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 42, m.w. N. 76 Mehr zur Entwicklung der Erweiterungsversuche der Nichtigkeitsklage vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon s. u. 3. Teil, 2. Kap., C., I.–II. 77 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 62. Mehr zu Rechtsschutzdefiziten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens s. u. 3. Teil, 2. Kap., C., IV. 78 Vgl. u. a. A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2014, Rn. 62; M. Herdegen, Europarecht, 2013, § 9, Rn. 20.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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tem einen hinreichenden effektiven Rechtsschutz insbesondere für die sog. nicht privilegierten Klageberechtigten, Nichtadressaten und insbesondere natürlichen und juristischen Privatpersonen, die nicht stricto sensu individuelle Rechte und Interessen gerichtlich auf primärrechtlicher europäischer Ebene schützen wollen, im Verhältnis zu den privilegierten und teilprivilegierten oder sogar den nicht privilegierten, aber adressierten Klägern gewährleistet. Die Hintergründe, die Entwicklung und die Auswirkungen dieser Problematik in Zusammenhang mit den sie umschließenden Rechtsschutzdefiziten soll im Folgenden dargestellt werden. Denn dies könnte nicht nur zur systematischen Betrachtung des Rechtsschutzgefüges auf europäischer Ebene, sondern auch zu ihrer kritischen Bewertung beitragen. Finalzweck dieser Untersuchung ist, die Defizite dieser Rechtsschutzproblematik eindeutig zu erläutern und passende Lösungsansätze vorzuschlagen. Zu diesem Zweck soll einführend der Begriff der klageberechtigten Rechtssubjekte der Nichtigkeitsklage sowie deren Gegenstand kurzgefasst dargestellt werden.
I. Klageberechtigte Die Klageberechtigten sind der Motor auch des europäischen Rechtsschutzsystems, da sie es grundsätzlich – im Rahmen des Gesetzes – in Gang setzen können. Ihre Kategorisierung im Rahmen des Art. 263 AEUV ist von der von Art. 230 EGV nicht verschieden. Obwohl diese Arbeit sich grundsätzlich mit der Problematik der Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger im Umweltrecht beschäftigt, ist es zum besseren Verständnis dieser speziellen Thematik erforderlich, zunächst die allgemeinen Kategorien der Klageberechtigten kurz darzustellen bzw. gegenüberzustellen. 1. Privilegierte und teilprivilegierte Klageberechtigte Hinsichtlich der Klagebefugnis und der Geltendmachung eines besonderen Rechtsschutzinteresses auf unionaler Ebene ist zwischen den privilegierten Klageberechtigten des Art. 263 Abs. 2 AEUV und den teilprivilegierten Klageberechtigten nach Art. 263 Abs. 3 AEUV zu unterscheiden. Die Gruppe der privilegierten Klageberechtigten umfasst die EU-Kommission, den EU-Rat, das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten der EU. Privilegierte Klageberechtigte benötigen für die Einbringung der Nichtigkeitsklage nicht den Nachweis eines spezifischen Rechtsschutzinteresses, das etwa auf die Beseitigung eines genau zu bezeichnenden Rechtsakts der EU gerichtet wäre.79 Sie müssen somit aufgrund ihrer zentralen Rolle in den EU-Organen gem. Art. 263 Abs. 2 AEUV weder eine individuelle Betroffenheit durch den streitigen Rechtsakt noch ein besonde79 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 16, m.w. N.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
res Rechtsschutzinteresse geltend machen. Vielmehr wird zugunsten dieser Klageberechtigten ein Interesse an der Wahrung des Unionsrechts unwiderleglich vermutet und zwar auch dann, wenn der Kläger selbst am Zustandekommen des fraglichen Rechtsaktes beteiligt war.80 Art. 263 Abs. 2 AEUV räumt somit den privilegierten Klageberechtigten die Möglichkeit ein, sämtliche Rechtsakte der EU mit Ausnahme richterlicher Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen einer objektiven gerichtlichen Kontrolle zuzuführen.81 Andererseits können gem. Art. 263 Abs. 3 AEUV die teilprivilegierten Klageberechtigten (d.h. der Rechnungshof, die EZB und der Ausschuss der Regionen) eine Nichtigkeitsklage – unter den gleichen Voraussetzungen wie die für die Kategorie der privilegierten Kläger – zur Wahrung ihrer eigenen Rechte anstrengen. Sie müssen daher den Gegenstand des zu schützenden Rechts und die behauptete Begrenzung schlüssig darlegen. Insoweit handelt es sich i. d. R. um eine Verletzung in Anhörungs-, Informations- oder sonstigen Beteiligungsrechten.82 Da der EuGH aufgrund von Art. 19 EUV über die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und der Auslegung der Unionsverträge und über die Einhaltung des institutionellen Gleichgewichts der EU-Organe zu wachen hat, ist der Bestimmung des Art. 263 Abs. 3 AEUV eine weite Auslegung einzuräumen.83 Das Rechtsschutzinteresse bei den privilegierten oder teilprivilegierten Klageberechtigten wird im Hinblick auf deren institutionelle Verantwortung grundsätzlich für die Wahrung des EU-Rechts unterstellt.84 Vor diesem Hintergrund können somit gem. Art. 263 Abs. 2 und 3 AEUV die Mitgliedstaaten, das Euro80 Vgl. u. a. A. Thiele, EuR 2010, S. 36 ff.; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/ W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 22; R. Streinz, Europarecht, 2016, S. 641 ff.; ders., EuZW 2014, S. 18, jeweils m.w. N. 81 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 36 ff.; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/ W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 3 ff., m.w. N. 82 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 28.01.1986, Rs. C-169/84, Slg. 1986, S. 391 ff., Rn. 24 ff. (Cofaz/Kommission). In diesem Fall hatte die Klägerin Beschwerde gegen einen in den Niederlanden geltenden Erdgastarif für die Belieferung bestimmter Kunden erhoben. Die Europäische Kommission leitete daraufhin als zuständige Verwaltungsbehörde ein Beihilfekontrollverfahren ein, stellte dieses aber später, ohne die gewünschten Maßnahmen zu treffen, wieder ein. Der EuGH begründete die Individualisierung der Klägerin, die gegen den Einstellungsbescheid vorgegangen, damit, dass sie die Beschwerde veranlasst habe, die zur Einleitung des Untersuchungsverfahrens geführt habe, sowie weiter damit, dass sie im Verfahren angehört worden sei und ihre Erklärung den Verfahrensablauf weitgehend bestimmt hätten; s. auch R. Streinz, EuZW 2014, S. 18. 83 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 18. 84 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.02.1988, Rs. C-131/86, Slg. 1988, 00905 (Vereinigtes Königreich/Rat), BeckEuRS 1988, 142141; K.-D. Borchardt, Art. 230 EGV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EU/EGV-Komm., 2006, Rn. 53 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 96 ff., m.w. N.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/ M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm. 2011, Rn. 26.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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päische Parlament, der Rat und die Kommission sowie in geringerem Umfang der Europäische Rechnungshof, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Ausschuss der Regionen die Akte der EU-Organe einer objektiven richterlichen Nachprüfung unterziehen lassen. 2. Nicht privilegierte Klageberechtigte Während den so genannten privilegierten und teilprivilegierten Klageberechtigten ein umfassendes Klagerecht zusteht, sind die so genannten nicht privilegierten Klageberechtigten nach Art. 263 Abs. 4 AEUV auf die Anfechtung sie selbst betreffender Rechtsakte und Handlungen beschränkt. Im Gegensatz aber zu den Klagebefugnisvoraussetzungen der privilegierten und teilprivilegierten Klageberechtigten hängt die Klagebefugnis von natürlichen und juristischen Personen (Individuen) von der Erfüllung der Voraussetzung einer der drei Varianten des Art. 263 Abs. 4 AEUV ab.85 Dem Wortlaut des Art. 263 Abs. 4 AEUV nach ist zunächst jede natürliche Person im Rahmen einer Nichtigkeitsklage aktiv beteiligtenfähig. Zu beachten ist, dass unter den Begriff der natürlichen Person auch Staatsangehörige von Drittstaaten, selbst wenn ihr Wohnsitz oder Aufenthaltsort außerhalb des Unionsgebiets liegt, fallen. Die Klagebefugnis hängt allein davon ab, ob die übrigen in Art. 263 Abs. 4 AEUV aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.86 Auf der anderen Seite umfasst der Begriff der nicht privilegierten Klageberechtigten auch „juristische Personen“. Der Rechtsprechung des EuGH nach sind juristische Personen zumindest alle Körperschaften, Verbände und Kapitalgesellschaften des öffentlichen und privaten Rechts, denen nach nationalem Recht Rechtspersönlichkeit verliehen wurde. Hinzu kommen Vereinigungen, die – ohne Rechtspersönlichkeit nach dem Recht eines Mitgliedstaates zu besitzen – der Wahrnehmung der kollektiven Interessen einer Gruppe dienen87 und bei denen zwischen den Interessen der Gruppe und ihrer Mitglieder unterschieden werden kann.88 Die Eigenschaft als „Vereinigung zur Wahrnehmung kollektiver Interessen einer Gruppe“ kann sowohl von einer nationalen Rechtsordnung als auch von der Rechtsordnung des Unionsrechts oder des Völkerrechts verliehen werden. Als juristische Personen gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV sind daher jene Vereinigungen
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Ausführlich dazu s. u. 3. Teil, 3. Kap., A. ff. Vgl. A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 86; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm. 2011, Rn. 26. Mehr dazu s. u. 3. Teil, 1. Kap., D. ff. 87 K.-D. Borchardt, Art. 263 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV/ EGV-Komm., 2010, Rn. 27. 88 EuG, Urt. v. 30.09.1999, Rs. T-122/96, Slg. 1997, II-01559, Rn. 32 ff. (Federolio/ Kommission), BeckEuRS 1997, 221962. 86
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
klageberechtigt, (a) deren Gründung mit dem Ziel der Wahrnehmung kollektiver Interessen erfolgt ist, (b) wenn ihnen selbst aufgrund eines Unionsrechtsakts Verfahrensrechte eingeräumt wurden oder (c) wenn diese in ihrer Eigenschaft als Verband Unternehmen vertreten, die selbst klagebefugt sind.89 Klageberechtigt sind als juristische Personen des öffentlichen Rechts nach nationalem Recht partei- und prozessfähige Gebietskörperschaften, insbesondere die deutschen Bundesländer, Kreise, Gemeinden, Kirchen, Kammern, Anstalten und Stiftungen. Aus dem Kreis der privatrechtlichen Gesellschaftsformen sind neben den juristischen Personen auch sonstigen Vereinigungen, denen das nationale Recht (Teil-)Rechtsfähigkeit zuerkannt hat, also z. B. eine nach deutschem Recht gegründete Offene Handelsgesellschaft (OHG), Kommanditgesellschaft (KG) oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), klageberechtigt. Darüber hinaus wird in der Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen die Aktivlegitimation von partei- und prozessfähigen Berufsvereinigungen, also Gewerkschaften, anerkannt. Zu den auf der Grundlage des Unionsrechts gegründeten juristischen Personen zählen einerseits juristische Personen des öffentlichen Rechts wie z. B. die Europäische Investitionsbank (EIB), aber auch Gesellschaftsformen wie die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) oder die Europäische Aktiengesellschaft/Societas Europaea (SE).90 Auch internationale Organisationen und Nicht-Mitgliedstaaten sind innerhalb der Kategorie der nicht privilegierten Kläger klageberechtigt.91 Im Unterschied zu privilegierten und teilprivilegierten Klägern müssen nicht privilegierte Kläger den Nachweis eines Rechtsschutzinteresses oder eines rechtlichen Interesses erbringen.92 Das Kriterium des Nachweises eines Rechtsschutzinteresses ist zwar getrennt von den Prozessvoraussetzungen der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit des Art. 263 Abs. 4 AEUV zu betrachten, doch ist eine Trennlinie insbesondere im Bereich der unmittelbaren Betroffenheit in der Praxis nicht leicht erkennbar. Ein Mangel an unmittelbarer Betroffenheit kann daher neben dem Fehlen von Rechtsschutzinteressen dann zum Scheitern einer Nichtigkeitsklage führen, wenn der angefochtene Rechtsakt durch Maßnahme eines Mitgliedstaates oder solchen der EU noch durchzuführen ist.93 89 EuG, Urt. v. 30.09.1999, Rs. T-122/96, Slg. 1997, II-01559 (Federolio/Kommission), BeckEuRS 1997, 221962; C. Gaitanides, Art. 230 EGV, in: A. Bardenhewer-Rating/G. Grill/J. Thinam/J. Wölker (Hrsg.), EGV-Komm., 2004, Rn. 46. 90 Vgl. W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm. 2011, Rn. 27, m.w. N.; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 30, m.w. N. 91 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 22. 92 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 23, m.w. N. 93 Ebd.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
871
Von Bedeutung ist zudem, dass der Nachweis des rechtlichen Interesses zum Zeitpunkt der Erbringung der Nichtigkeitsklage vorzuliegen hat.94 Zwar ist nicht der Nachweis einer Beeinträchtigung in subjektiven Rechten des Klägers erforderlich, doch muss das Rechtsschutzinteresse des nicht privilegierten Klägers so beschaffen sein, dass die angefochtene Handlung sein Interesse beeinträchtigt, indem sie seine rechtliche Situation spürbar verändert.95 In diesem Zusammenhang ist auch die Rüge eines Verfahrensfehlers auf unionaler Ebene dann zulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass das angesprochene Verwaltungsverfahren ohne diesen Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.96
II. Gegenstand der Nichtigkeitsklage Die mittels einer Nichtigkeitsklage (gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV) angreifbare Handlung muss eine Handlung sein, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen.97 Da für die Einordnung einer Maßnahme in dem Rechtsquellenkatalog des Art. 288 AEUV Wesen und Inhalt der angefochtenen Maßnahme entscheidend sind, wird in der ständigen Rechtsprechung bereits das Merkmal des Eingriffs in die Rechtspositionen des Klägers, welches zur Determinierung des rechtlichen Interesses dient, zur Bestimmung der Rechtsnatur der angefochtenen Handlung herangezogen.98 Alle Varianten von Handlungen und Rechtsakten, die solche verbindlichen Rechtswirkungen erzeugen, müssen daher anfechtbar sein.99 Für die Erzeugung verbindlicher Rechtswirkungen ist erforderlich, dass eine Maßnahme den Standpunkt der klagenden Person endgültig festlegt. Dabei darf es sich nicht um eine vorbereitende Maßnahme handeln, deren Rechtswidrigkeit mit dem das Verfah-
94 Vgl. EuG, Urt. v. 16.12.1993, T-58/92, Slg. 1993, II-1443 (Andrew Macrae Moat/ Kommission); A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2014, Rn. 24, m.w. N. 95 Vgl. EuG, Urt. v. 18.12.1997, Rs. T-178/94, Slg. 1997, II-2529 (ATM/Kommission), BeckEuRS 1997, 221591; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 24, m.w. N. 96 EuGH, Urt. v. 10.07.1980, Rs. C-30/78, Slg. 1980, S. 02229, Rn. 26 (The Distillers Company Limited/Kommission), GRUR Int. 1981, S. 237 ff.; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 25. 97 EuGH, Urt. v. 11.11.1981, Rs. C-60/81, Slg. 1981, S. 2639, Rn. 9 (IBM/Kommission). 98 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.03.1967, Rs. 8-11/66 (Cimenteries CBR Cementbedreijven/ Kommission), Slg. 1967, 100; EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 56 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff.; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 35. 99 EuGH, Urt. v. 17.07.2008, Rs. C-521/06 P, Slg. 2008, I-5829, Rn. 29 (Athinaïki Techniki/Kommission).
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
ren beendenden Rechtsakt angefochten werden kann.100 Im Rahmen eines mehrphasigen Verfahrens können somit nur solche Rechtsakte angefochten werden, die selbst ein Zwischenverfahren abschließen.101 Dabei muss es sich jedoch um einen Zwischenbeschluss handeln, der ein eigenes, besonderes Verfahren abschließt, welches sich von dem Verfahren in der Hauptsache unterscheidet und nicht bloß eine Phase im Rahmen eines mehrphasigen Verfahrens beendet.102 Zusammengefasst können all diejenigen Rechtsakte angegriffen werden, die in einem ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren im Sinne des Art. 289 Abs. 3 AEUV angenommen worden sind. Einklagbar sind ferner alle rechtlich existierenden Handlungen, die dem Rat, der Kommission, der EZB oder sonstigen Stellen zuzurechnen sind und verbindliche Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen.103 Inexistent sind Rechtsakte nur dann, wenn sie mit besonders schweren und offenkundigen Fehlern behaftet sind.104 Handlungen mit ausschließlich verwaltungsinterner Wirkung sind hingegen nicht mit der Nichtigkeitsklage angreifbar.105 Gleiches gilt auch für richterliche Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Auch Handlungen, die bloß die Absicht eines Organs dartun, wie es sich in bestimmter Weise verhalten oder Handlungen vornehmen will, die als Wiederholung bereits getroffener Handlungen aufzufassen sind, sind hingegen nicht über die Nichtigkeitsklage des Art. 263 AEUV anzugreifen.106 Daneben ist auch die Tatsache zu beachten, dass gem. Art. 263 Abs. 1 und 5 AEUV Handlungen der sonstigen Einrichtungen oder Stellen der EU (z. B. Agenturen) überprüft werden können, soweit diese Handlungen Rechtswirkung gegenüber Dritten haben.107 Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage ist nur binnen einer 100
EuGH, Urt. v. 24.06.1986, Rs. 53/85, Slg. 1986, 1965 (AKZO Chemie/Kommis-
sion). 101 EuGH, Urt. v. 11.11.1981, Rs. C-60/81, Slg. 1981, S. 2639, Rn. 11 (IBM/Kommission). 102 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 36, m.w. N. 103 EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339 (Les Verts/Parlament); A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 28 ff., m.w. N. 104 EuGH, Urt. v. 15.06.1994, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 50 (Kommission/BASF – PCV-Kartell); C. Gaitanides, Art. 230 EGV, in: A. Bardenhewer-Rating/ G. Grill/J. Thinam/J. Wölker (Hrsg.), EGV-Komm. 2004, Rn. 18 ff. 105 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 36 ff.; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/ W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 8 ff., m.w. N. 106 EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Rs. C-180/96, Slg. 1998, I-2256 (Großbritannien/ Kommission). 107 Ausführlich dazu J. Saurer, EuR 2010, S. 51 ff., m.w. N.; F. Mayer, JuS, 2010, 191 ff.; das EuG, Urt. v. 08.10.2008, Rs. T-411/06, Slg. 2008, II-2771, Rn. 37 (Sogelma/EAR), hatte schon festgestellt, dass „jede Handlung einer Gemeinschaftseinrich-
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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Klagefrist von 2 Monaten nach der Veröffentlichung im Amtsblatt oder der Kenntniserlangung der betreffenden Handlung zulässig.108 Im Zusammenhang mit der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Kläger bei der Erhebung einer Nichtigkeitsklage ist immer noch besonders problematisch, inwieweit europäische Handlungen oder Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, nämlich Maßnahmen, die für objektiv bestimmte Situationen gelten (etwa Verordnungen und Richtlinien) und gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen Rechtswirkungen entfalten,109 von nicht privilegierten Kläger mittels einer Nichtigkeitsklage angefochten werden können.110 Auf diese Problematik soll detaillierter in weiteren Teilen dieser Arbeit eingegangen werden.111
III. Zum Umfang der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Drittkläger Die Frage des Umfangs der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Kläger im EU-Recht bezieht sich in erster Linie auf die Funktion des unionalen Rechtsschutzsystems. Parallel zu der aus dem deutschen Recht bekannten Schutznormtheorie dreht sich auch die Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger auf unionaler Ebene um die Unterscheidung zwischen Allgemein- und Individualinteressen. Gefragt wird aber nicht nach der Relevanz oder Berechtigung des klägerischen Vorbringens. Keine eigentliche Rolle spielt somit die Legitimation des Klägers zur Vertretung der von ihm verteidigten Interessen. Verlangt ist vielmehr eine besondere Spezifität oder Eigennützigkeit seines Anliegens, die ihn aus dem Kreis der nur allgemein Betroffenen herauszuheben mag. An Grenzen stößt daher dieses Konzept immer da, wo die Verteidigung von
tung, die dazu bestimmt ist, Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu erzeugen, gerichtlich nachprüfbar sein muss“ [. . .] „[D]ie Situation der Gemeinschaftseinrichtungen mit der Befugnis, Handlungen vorzunehmen, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu erzeugen, [ist] identisch mit der Situation, die zum Urteil Les Verts geführt hat: In einer Rechtsgemeinschaft kann es nicht hingenommen werden, dass solche Handlungen der richterlichen Kontrolle entzogen werden.“, Rn. 37. 108 Vgl. E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 22 ff., m.w. N. 109 Vgl. unter anderem: EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 30 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 551, m.w. N. 110 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.06.1980, Rs. C-789 und 790/79, Slg. 1980, S. 1961 (Calpak/Kommission), NJW 1981, S. 515, Rn. 9; EuGH, Urt. v. 28.03.1996, Rs. C-270/95 P, Slg. 1996, I-1987 (1993) (Kik/Rat und Kommission); J. Gundel, VerwArch 2001, S. 81 ff.; EuG, Urt. v. 01.12.1999, Rs. T-125/96, Slg. 1999, II-3427, Rn. 161 (Boehringer/Rat und Kommission); O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 107, m.w. N. 111 3. Teil, 2. Kap., C. ff.; 3. Teil, 4. Kap., B. ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Interessen weiterer Bevölkerungskreise in Rede steht.112 Dies ist der Sache nach im Bereich des Umweltschutzes häufig der Fall. Der wesentliche Unterschied zur deutschen Rechtsschutzdogmatik besteht darin, dass der EuGH bereits dann eine individuelle Berechtigung des Klägers ebendiesem zuerkennt, wenn die Rechtsnorm zwar nicht den Schutz der Rechtsgüter eines individualisierten Personenkreises bezweckt, aber zum Schutz individualisierbarer Interessen der Allgemeinheit erlassen wurde.113 In der deutschen Terminologie handelt es sich im EU-Recht vielfach um öffentliche oder teilöffentliche Interessen, für die kein subjektives Recht – im Sinne des deutschen öffentlichen Rechts – eingriffe.114 In dieser Hinsicht ist es – anders als im deutschen Recht – damit nicht erforderlich, dass durch einen europarechtlichen Rechtsakt möglicherweise ein subjektives Recht des Klägers – im deutschen Sinne – verletzt wird. Einer Darlegung der Verletzung in subjektiven Rechten bedarf es nicht.115 Anders als die Forderung der Schutznormtheorie, dass die Norm gerade dem Kläger eine einklagbare Position einräumen will, um die Anfechtbarkeit dieser Norm zu ermöglichen, ist laut europäischem Recht in den Schutzbereich einer Norm ein Rechtssubjekt vielmehr schon dann einbezogen, wenn er selbst in dem von der Norm geschützten Interesse tatsächlich betroffen ist.116 Es muss beachtet werden, dass, auch wenn das Europarecht von subjektiven Rechten spricht, dies nicht heißt, dass stets das deutsche Modell dahinter stünde. Denn subjektive Rechte haben im Europarecht eine andere Funktion als im deutschen Recht. Das EU-Rechtsschutzsystem zielt vielmehr – wie Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV verdeutlicht – auf die Abstützung des dezentralen Rechtsschutzes.117 Die Besonderheiten des europarechtlich fundierten subjektiven Rechts liegen somit aufgrund dieser Zielsetzung der unionalen Rechtsordnung weniger darin, dass es der Durchsetzung des objektiven EU-Rechts dient.118 Das Besondere am subjektiven Recht der EU ist vielmehr darin zu sehen, über das Prinzip funktionaler Subjektivierung eine Demokratisierung des Gesamtsystems zu er-
112
Vgl. B. Wegener, ZUR 2003, S. 132. Vgl. C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 82 ff.; F. Schoch, NordÖR 2002, S. 8; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 43. 114 Vgl. G. Winter, NVwZ 1999, S. 470. 115 Vgl. W. Frenz, NVwZ 2010, S. 163 ff., m.w. N.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm. 2011, Rn. 35; C. Gaitanides, Art. 230 EGV, in: A. Bardenhewer-Rating/G. Grill/J. Thinam/J. Wölker (Hrsg.), EGV-Komm., 2004, Rn. 47. 116 Vgl. S. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, S. 390; V. Götz, DVBl 2002, S. 4 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1427. 117 B. Wegener, UTR 2008, S. 334. 118 Vgl. C. Franzius, NuR 2009, S. 386. 113
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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möglichen,119 was dem allgemeinen europäischen Trend zur Objektivierung des Rechtsschutzes dient.120 Konfrontiert mit dem hinhaltenden Widerstand einer gegenüber dem Europarecht nicht immer loyalen und rechtstreuen mitgliedstaatlichen Exekutive sucht die europäische Rechtsprechung seit seiner Grundentscheidung in der Rechtssache „van Gend & Loos“ 121 die Gemeinschaftsbürger für die Durchsetzung des europäischen Rechts vor den nationalen Gerichten zu mobilisieren.122 Im Ergebnis genügt es für das Vorliegen einer individualschützenden Norm im EU-Recht, dass eine Norm intentional dem Schutz von Rechtsgütern dient, die auch im Interesse des Einzelnen liegen, ohne in allen Fällen den Einzelnen von der Allgemeinheit unter übermäßig strengen Bedingungen abzugrenzen. Dies ist i. d. R. der Fall bei Bestimmungen, die dem Verbraucherschutz123, dem Schutz der Volksgesundheit bzw. der individuellen menschlichen Gesundheit124 oder dem Schutz umweltrechtlicher Belange mit Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit dienen, etwa dem Schutz des Grundwassers125 oder der Luft126.127 119
Vgl. u. a. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts,
1997. 120 Vgl. M. Hong, JZ 2012, S. 382; S. Schlacke, NVwZ 2011, S. 804 ff.; dies., ZUR 2011, S. 312 ff.; C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff.; J.-M. Woehrling, VBlBW 2008, S. 1 ff. 121 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend en Loos/Administratie der Belastingen), NJW 1963, S. 974 ff. 122 B. Wegener, HFR 2000, S. 3 ff., m.w. N. 123 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.10.1996, Rs. C-178/94, Slg. 1996, I-4845, Rn. 37, 39 (Dilenkofer u. a./Deutschland); W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 42, m.w. N. 124 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-4983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland); W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 147; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 178 ff., S. 225 ff., S. 245 ff. 125 EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 7 (Kommission/ Bundesrepublik Deutschland), NVwZ 1991, S. 973 ff.; C.-D. Classen, VerwArch 1997, S. 658 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 178 ff., S. 225 ff., S. 245 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 43. 126 EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-59/89, Slg. 1991, I-2607, Rn. 19 (Kommission/ Deutschland – Blei), NVwZ 1991, S. 868 ff.; EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-361/88, Slg. 1991, S. I-2567, Rn. 16 (Kommission/Deutschland – Schwefeldioxid/Schwebestaub), NVwZ 1991, S. 866 ff. Anm. dazu H. H. Rupp, JZ 1991, S. 1034 ff.; C.-D. Classen, VerwArch 1997, S. 658 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 178 ff., S. 225 ff., S. 245 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 43. 127 Es handelt sich um EuGH-Urteile hinsichtlich Anforderungen an die Umsetzung von Vorgaben des gemeinschaftlichen Umweltrechts in das nationale Recht. Danach hat der EuGH eine Umsetzung durch sog. normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften bekanntlich auch deshalb als unzureichend verworfen, weil diese Umsetzungsform es den Einzelnen nicht erlaube, sich auf die in den jeweiligen Vorschriften des gemeinschaftlichen Gewässerschutz- und Luftreinhalterechts enthaltenen Grenzwertfestsetzungen (nämlich Vorschriften der RL 80/68/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe, der RL 82/884/EWG betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft und der RL 80/779/EWG über
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Rechtssätze, die dagegen Gemeinwohlgüter, etwa Umweltgüter, als Eigenwert betreffen, wie etwa Vorschriften zum Naturschutz bzw. zur Bewahrung der Artenvielfalt oder des Klimaschutzes (z. B. der Ozonschichtschutz), entfalten grundsätzlich keine subjektiv berechtigende bzw. individualschutzbedürftige Wirkung. Solche Allgemeininteressen, wie die Bewährung der Biodiversität, wären danach von vornherein untauglich, europäische Individualrechte zu begründen.128 Darüber hinaus muss angedeutet werden, dass die Tatsache, dass eine EU-Norm individualschützend ist, so dass sie gerichtlich anfechtbar ist, nicht ohne weiteres bedeutet, dass die jeweils klageberechtigte Person auch von dem jeweils angegriffenen Rechtsakt individuell betroffen ist. Für die Feststellung der individuellen Betroffenheit des Klägers sind vielmehr weitere Voraussetzungen erforderlich. Hier muss betont werden, dass die Betroffenheit klagefähiger Rechtspositionen nicht privilegierter Kläger nicht unbedingt bedeutet, dass sie gleichzeitig individuell oder unmittelbar betroffen sind. Eine solche Tatsache bringt somit nicht immer mit sich, dass die Klagebefugnis des betroffenen Klägers zulässig sein wird. Dies ist erforderlich zu wissen, um die Tendenz der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger auf europäischer Ebene besser zu verstehen.129 Laut ständiger Rechtsprechung des EuGH130 gibt es somit im Prinzip bei der Feststellung der individualschützenden EU-Normen keine strikte Differenzierung Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub vor Behörden und Gerichten) zu berufen. Der EuGH begründet dieser Auffassung vor allem mit dem Argument, dass die entsprechenden Richtlinien ausweislich expliziter gesetzgeberischer Zielsetzungen zumindest auch dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen sollen. 128 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 C 12/05 („Mühlenberger Loch“), ZUR 2007, S. 479 ff.; C.-D. Classen, VerwArch 1997, S. 658 ff.; B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 178 ff., S. 225 ff., S. 245 ff.; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 147 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 43. Solche Allgemeininteressen begründen zudem auch kein Recht auf Naturgenuss in den jeweils betroffenen Schutzgebieten. Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 C- 12/05, NuR 2007, S. 546 ff. („Mühlenberger Loch“); EuGH, Urt. v. 14.09.2006, Rs. C-244/05, Slg. 2006, I-08445 (Bund Naturschutz in Bayern e. V./Freistaat Bayern), EuZW 2007, S. 61 ff. Obwohl es den Mitgliedstaaten nicht verboten sei, mit der Meldung und Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets auch das Ziel zu verfolgen, ein Gebiet der FFH-RL als Erholungsraum und als Ort der Begegnung des Menschen mit der Natur zu schützen, sei ein solcher Schutz des Naturgenusses auf der Ebene des Europarechts nicht geboten. Der Schutz des gemeinsamen Naturerbes sei zwar von besonderem Interesse, er begründet aber keinen Anspruch zu Gunsten von Einzelnen. Denn zur effektiven Durchsetzung des Rechts eines Einzelnen seien der Rechtsauffassung des BVerwG nach die Mitgliedstaaten nämlich nur verpflichtet, wenn das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen ein Recht verliehen habe. Weil das hinsichtlich des gemeinschaftsrechtlichen Habitatschutzes gerade nicht der Fall sei, müsse ein Mitgliedstaat die Richtlinien auch nicht unbedingt so umsetzen, dass er Einzelnen eine Klagemöglichkeit eröffne. Vgl. B. Wegener, UTR 2008, S. 326 ff. 129 Mehr dazu s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., IV., 1. ff. 130 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.1996, Rs. C-262/95, Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1997, S. 371 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-4983,
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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zwischen dem Schutz des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit. Daher – ähnlich wie im griechischen Recht131 und im Gegensatz zum deutschen Recht132 – besteht im EU-Recht keine deutliche Unterscheidung zwischen individualgüterbezogenem Schutz und allgemeingüterbezogener Vorsorge. Die klare Differenzierung des deutschen Rechtsschutzsystems zwischen einer Norm, die den Einzelnen ausschließlich als Teil der Allgemeinheit schützt, und einer solchen, deren Schutz einen aus der Allgemeinheit herausgehobenen Schutz betrifft, ist dem EU-Recht grundsätzlich fremd.133 In dieser Hinsicht wurde sogar die Auffassung vertreten, dass im Prinzip die Zuordnung von Individualinteressen und Grundfreiheiten auf der einen und Allgemeininteressen auf der anderen Seite eigentlich irreführend ist. Denn die individualrechtlichen Grundfreiheiten beziehen ihre Bedeutung aus der Vermutung, dass sie eine europäische Marktordnung umsetzen, die gesamtwohlfahrtsförderlich ist, und damit im europäischen Allgemeininteresse liegen. Dies bedeutet schließlich, dass die Individualrechte notwendigerweise in kollektiven Zielen wurzeln.134 Gleichwohl ziehen die vom EuGH als „Allgemeininteressen“ kategorisierten Regulierungsziele, wie etwa Verbraucher-, Arbeitnehmer- oder Umweltschutz, ihre Legitimität aus der Tatsache, dass sie die Lebenswelt der Individuen verbessern. Sie wurzeln also im Individualinteresse. Es könnte daher der Schluss gezogen werden, dass das Paradigma Individual- vs. Kollektivinteressen den vollen Umfang der vom EuGH zu lösenden Konflikte im Ergebnis künstlich und daher ungenügend abbildet.135 Obwohl die Schutzzweckausrichtung der EU-Normen deutlich großzügiger als die deutsche Schutznormlehre ausgestaltet ist, ist aber der Kreis der Betroffenen keinesfalls unbegrenzt, sondern wird vor allem durch eine hinreichende räumliche136 oder sachliche137 Nähe des Klägers zum Streitgegenstand determiniert. Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1992, S. 459 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I-06747 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1997, S. 369 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 368; J. Ruthig, BayVBl 1997, S. 293 ff. 131 Mehr dazu s. o. 2. Teil, 2. Kap., C., III., 3. 132 Zur Doktrin der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie im deutschen Recht s. o. 1. Teil, 1. Kap., E., II., 1. 133 Vgl. G. Oestreich, DV 2006, S. 52 ff., m.w. N. 134 C. Klaupa, in: Kollektivität – Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 52. Assistententagung Öffentliches Recht, Bd. 52, Baden-Baden u. a., 2012, S. 34, m.w. N. 135 C. Klaupa, in: Kollektivität – Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 52. Assistententagung Öffentliches Recht, 2012, S. 34. 136 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221, Rn. 39 (Janecek/Freistaat Bayern), NVwZ 2008, S. 984 ff. 137 EuGH, Urt. v. 21.02.2008, Rs. C-426/05, Slg. 2008, I-685, Rn. 36 (Tele2 Telecommunication GmbH v. Telekom-Control-Kommission Austria).
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Eine abstrakte Interessenberührung ist somit für eine Klagebefugnis im EURecht keinesfalls gefordert. Vielmehr ist ein faktisches Betroffensein gefordert. Es genügt somit die Geltendmachung von tatsächlichen Nachteilen in geschützten Individualinteressen durch die angegriffene Rechtsnorm oder Maßnahme.138 Der h. M. nach sind somit für die Bestimmung eines im Klagewege durchsetzbaren Rechts folgende Voraussetzungen erforderlich: (1) dass eine EU-Norm unmittelbar wirksam ist; (2) dass die EU-Norm nach ihrem Schutzzweck durchsetzbare individuelle Rechte bzw. Interessen gewährleistet und (3) dass die individualisierte Betroffenheit des Klägers festgestellt werden kann.139 Auf diese Weise wird auch im Unionsrecht die Popularklage ausgeschlossen. Entscheidend für die Anfechtbarkeit einer EU-Norm von nicht privilegierten Klägern erweist sich in der Rechtspraxis die Tatsache, dass die europarechtlich umstrittene Norm den Einzelnen begünstigt.140 Demzufolge enthalten nicht nur Normen mit einer gezielt individualschützenden Funktion, sondern auch solche, die – jedenfalls aus deutscher Sicht – Allgemeininteressen dienen, einklagbare subjektive Rechte, soweit der Einzelne dadurch begünstigt wird.141 Es genügt somit, dass eine Norm eine Begünstigung des Einzelnen enthält und ein legitimes Interesse an der Einhaltung dieser Norm besteht. Subjektives Recht und legitimes Interesse an einer normativ begründeten Begünstigung laufen im europäischen Recht demnach parallel.142 Als Kriterien zur Identifizierung einer derartigen, den Bürger begünstigenden Vorschrift dienen dem EuGH das Schutzziel der Norm, die Berührung wirtschaftlicher Interessenssphären und die Betroffenheit des Bürgers.143 Maßstab hierfür ist das europäische Recht. Die engen Voraussetzungen der deutschen Schutznormtheorie greifen insoweit nicht.144 138 Vgl. B. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 178 ff., S. 225 ff., S. 245 ff.; S. Schlacke, in: S. Schlacke/C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3 Rn. 175 ff., m.w. N. 139 Vgl. J. Ziekow, NVwZ 2010, S. 794; T. Sieg, DÖV 2012, S. 710. 140 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.1987, C-222/86, Slg. 1987, I-4097, Rn. 14 f.; EuGH, Urt. v. 03. 12.1992, C-97/91, Slg. 1992, I-6313, Rn. S. 13 ff. 141 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.1987, Rs. C-222/86, Slg. 1987, I-4097, Rn. 14 ff. (Union Nationale des Entraineurs et Cadres Technique Professionels du Football (UNECTEF)/Georges Heylens u. a.); EuGH, Urt. v. 03.12.1992, Rs. C-97/91, Slg. 1992, I-6313, Rn. 13 ff. (Oleificio Borelli/Kommission); EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 7 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland – Grundwasser), NVwZ 1991, S. 973 ff. 142 Vgl. S. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, S. 390; V. Götz, DVBl 2002, S. 4 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1427. 143 EuGH, Urt. v. 30.05.1991, C-361/88, Slg. 1991, I-2567, Rn. 16, Anm. dazu H. H. Rupp, JZ 1991, S. 1034 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-4983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1992, S. 459 ff. 144 Vgl. W.-R. Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 2005, § 42, Rn. 153.
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Ausschlaggebend dafür ist vor allem, ob auch der Schutz personaler Rechtsgüter bzw. Interessen bezweckt ist. Diese Voraussetzung kann aber auch gegeben sein, wenn daneben oder darüber hinaus ein sog. Schutz der Allgemeinheit angestrebt wird, sind doch die Individuen auch Teil der Allgemeinheit.145 Erforderlich ist ein Bezug des sachlichen Schutzkonzepts (z. B. Grenzwerte, behördliche Einzelmaßnahmen, Verfahrenspositionen) auf geschützte Rechtsgüter des Einzelnen. Es müssen somit zumindest mittelbar personale Rechtsgüter im engeren Sinne betroffen sein.146 Dieses Konzept spricht somit für eine abgeschwächte Variante der tradierten Schutznormtheorie, etwa eine Art „milderer Schutznormtheorie“.147 Das dargestellte Rechtsschutzkonzept insbesondere hinsichtlich der Individualisierung von einklagbaren Interessen im Rahmen des EU-Rechts ähnelt dem entsprechenden griechischen Rechtsschutzkonzept der Aufhebungsklage, wobei, wie bereits gezeigt wurde, die weite Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzung des „rechtlichen Interesses“ eine zentrale Rolle für die weite Klagebefugnis der Kläger im griechischen Verwaltungsrecht spielt.148 Denn entsprechend bzw. in die gleiche Richtung wie in der herrschenden EU-Rechtspraxis bildet letztlich die entscheidende Zulässigkeitsvoraussetzung des „rechtlichen Interessen“ aus griechischer Rechtssicht „jeder Vorteil oder jede Begünstigung, die dem Einzelnen durch Rechtsnormen verschafft wird, welche die Verwaltung zu einer Handlung oder Unterlassung verpflichten“.149 Ähnlich wie im EU-Recht ist auch im griechischen Recht für die Rechtfertigung des rechtlichen Interesses erforderlich, dass es persönlich, unmittelbar und gegenwärtig ist.150 Auch die Tatsache, dass sich im griechischen Recht die Rechtsfigur des „rechtlichen Interesses“ auch als Rechtsreflex darstellt, d.h. als für den jeweiligen Rechtsträger günstige Auswirkung von objektiven Rechtssätzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die eine Verpflichtung der Verwaltung begründen, ohne den Bestand an Rechten und Pflichten der Rechtsträger unmittelbar zu 145 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.1996, Rs. C-262/95, Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1997, S. 371 ff.; EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-4983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1992, S. 459 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I-06747 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1997, S. 369 ff.; A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2002, S. 368; J. Ruthig, BayVBl 1997, S. 293 ff. 146 Vgl. F. Schoch, NVwZ 1999, S. 465; M. Hong, JZ 2012, S. 382; M. Nettesheim, AöR 2007, S. 359 ff.; A. Epiney, VVDStRL 2002, S. 362 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 47. 147 Vgl. M. Hong, JZ 2012, S. 382. 148 Mehr dazu s. o. 2. Teil, 2. Kap., C., II. ff. 149 Vgl. T. Rizou, Zugang zu Gerichten im Umweltrecht, 2006, S. 298 ff.; P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltung- und Umweltrecht, 1994, S. 128. 150 Mehr dazu s. o. 2. Teil, 2. Kap., C., III., 1. ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
verändern,151 bestätigt die Gemeinsamkeit des griechischen und EU-Rechts hinsichtlich der Ausgestaltung der Klagebefugnis Drittkläger. Es muss aber angemerkt werden, dass die Klagebefugnis von Drittklägern im griechischen Recht insbesondere im Bereich des Umweltschutzes über die entsprechende Klagebefugnis des EU-Rechts hinausgeht. Dies ist auf das Vorliegen eines Grundrechts auf Umweltschutz sowie auf die progressive Fortbildung der Rechtsprechung bezüglich einer weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „rechtlichen Interesses“ zurückzuführen.152 Kurzgefasst kann aufgrund der EuGH-Rechtsprechung der Schluss gezogen werden, dass die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Nichtbeachtung der Maßnahmen, die in Richtlinien über die Qualität der Luft, des Trinkwassers u. Ä. zum Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit vorgegeben werden, die Gesundheit von Personen gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf die in diesen EU-Normen enthaltenen zwingenden Vorschriften zu berufen. Auch wenn z. B. eine Richtlinie mit dem „Schutz der öffentlichen Gesundheit“ lediglich Interessen einer Gesamtheit typisiert, so genügt die Verknüpfung dieses Schutzziels mit einer möglichen Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch Überschreitung der Grenzwerte für die Begründung individueller Rechte kraft EU-Rechts.153 Der Individualrechtsschutzzweck einer Norm kann sich sogar bereits aus den Begründungserwägungen des jeweils relevanten europäischen Gesetzes ergeben.154 Dies gilt beispielsweise bei der UVP-RL, deren 11. Erwägungsgrund den Schutz der menschlichen Gesundheit als Ziel dieser Richtlinie ausdrücklich nennt.155 Darüber hinaus genügt es dem EuGH, wenn eine Norm zum Schutz individualisierbarer Interessen der Allgemeinheit erlassen wurde156 (sog. „Auf151
Vgl. D. Nikas, Die rechtliche Problematik des Umweltschutzes, 1985, S. 247; E. Spiliotopoulos, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2011, S. 82 ff. 152 Mehr dazu s. o. insb. 2. Teil, 2. Kap., C., IV. 153 Vgl. D. Murswiek, JuS 2009, S. 75 ff.; B. Wegener, UTR 2008, S. 324 ff., m.w. N. 154 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.10.1996, Rs. C-178/94, Slg. 1996, I-4845, Rn. 37, 39 (Dilenkofer u. a./Deutschland); W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 42, m.w. N. 155 11. Erwägungsgrund der UVP-RL: „Die Umweltauswirkungen eines Projekts müssen mit Rücksicht auf folgende Bestrebungen beurteilt werden: die menschliche Gesundheit zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten.“ Vgl. T. Bunge, ZUR 2004, S. 140 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff., m.w. N. Im Hinblick darauf lässt auch das sog. „Wells-Urteil“ die Tendenz der EuGH-Rechtsprechung zur Ausweitung umweltrechtlicher klagefähiger Rechtspositionen im Bereich des UVP-Verfahrensrechts erkennen. EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-723 (Wells/Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions), NVwZ 2004, S. 593 ff.; vgl. A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff.; T. Siems, NuR 2006, S. 360 ff.; Carnwath, JEL 2004, S. 325. Mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., E., I. 156 Vgl. ausführlich dazu C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 65 ff.; D. Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeß-
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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ladung der Schutznormlehre“).157 Vor diesem Hintergrund reicht eine europarechtliche Erwähnung personenbezogener Rechtsgüter bereits aus, um dem Grunde nach individuelle Rechte des Klägers zu rechtfertigen.158 Der EuGH hat insofern keine geschlossene Theorie darüber, welche Schutzzwecke von wem einklagbar sein sollen, entwickelt. Wie die individualisierbaren Interessen des Klägers genau zu bestimmen sind, ist somit immer noch nicht mit abschließender Gewissheit festgelegt.159 Aus der sehr punktuellen Rechtsprechung lassen sich aber zumindest einige zentrale Aussagen herleiten: Im Zentrum steht die Einklagbarkeit von Vorschriften, die direkt der menschlichen Gesundheit dienen, z. B. die Durchsetzung von Grenzwerten für Schadstoffe, deren Überschreitung die menschliche Gesundheit gefährden könnte.160 Die Tendenz der EuGH-Rechtsprechung zur deutlichen Ausweitung klagefähiger Rechtspositionen im Bereich des EU-Umweltschutzes konzentriert sich grundsätzlich auf umweltrechtliche Grenzwerte und Verfahrensrechte, die relativ einfach konkretisiert werden können. In dieselbe Richtung hat auch der Vorlagebeschluss des EuGH im Fall „Dieter Janecek“ die Frage, ob ein Einzelner nach dem Europarecht von den zuständigen nationalen Behörden im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen die Erstellung eines Aktionsplans gem. Art. 7 Abs. 3 der Luftqualitäts-RL (über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität) 96/62/EG beanspruchen kann, positiv beantwortet.161 Der EuGH weist darauf hin, dass es mit dem zwingenden Charakter der Richtlinienvorschrift unvereinbar wäre, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit ihr auferlegte Verpflichtung von den betroffenen Personen geltend gemacht werden kann. Außerdem dient die Luftqualitäts-RL nicht nur dem Schutz der Umwelt rechts, 1999, S. 47 ff.; T. Sieg, DÖV 2012, S. 710, m.w. N.; F. Schoch, NordÖR 2002, S. 8. 157 Vgl. D. Ehlers, DVBl 2004, S. 1445; T. Sieg, DÖV 2012, S. 710, m.w. N. 158 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.10.1996, Rs. C-178/94, Slg. 1996, I-4845, Rn. 36, 42 ff. (Erich Dillenkofer u. a./Deutschland). 159 Vgl. C. Moench/W. Sandner, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Hdb. zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 2003, § 46, S. 1754 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 43, m.w. N. 160 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-02567, Rn. 16 (Kommission/Deutschland); EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-59/89, Slg. 1991, I-02607, Rn. 19 (Kommission/Deutschland); EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-4983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1992, S. 459 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I-06747, Rn. 16 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1997, S. 369 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11.1996, Rs. C-262/95, Rn. 14 (Kommission/ Deutschland), NVwZ 1997, S. 371 ff. 161 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Dieter Janecek/Freistaat Bayern), NuR 2008, S. 630; Anm.: D. Murswiek, JuS 2009, S. 74 ff.; A. Scheidler, NVwZ 2008, S. 1083 ff.; relevant dazu auch BVerwG, Urt. v. 27.03.2007 – 7C 9/06, NVwZ 2007, S. 695 ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
insgesamt, sondern auch dem Schutz der menschlichen Gesundheit und damit auch dem Schutz des unmittelbar betroffenen Einzelnen. Insbesondere im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen der Luftqualitäts-RL müssen unmittelbar betroffene Einzelne bei den zuständigen nationalen Behörden die Erstellung eines Aktionsplans erwirken können, auch wenn sie nach nationalem Recht über andere Handlungsmöglichkeiten verfügen sollten, um die zuständigen Behörden dazu zu bringen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu treffen.162 Auch wenn ein anderes Umweltgut geschützt werden soll, womit jedoch mittelbar wiederum der Schutz der menschlichen Gesundheit intendiert ist, will der EuGH die Klagebefugnis gewähren. So bezwecken nach EuGH die Vorschriften der Süßwasser- und die Muschelgewässer-RL, die Gesundheit der Menschen zu schützen, indem die Qualität der Gewässer überwacht wird, in denen das Leben von zu menschlichem Verzehr geeigneten Fischen oder verzehrbaren Muscheln erhalten wird oder erhalten werden könnte.163 Des Weiteren nimmt der EuGH an, dass sich der Schutz der menschlichen Gesundheit als weiteres Ziel hinter dem Grundwasserschutz verbergen dürfte.164 In diesem Sinne hat der EuGH bereits die ursprüngliche Grundwasser-RL 80/68/EWG ohne einen ausdrücklichen Hinweis im Normtext aufgrund eines sachbedingten, weit verstandenen Individualbezuges dahin ausgelegt, dass die Vorschriften dieser RL Rechte und Pflichten des Einzelnen begründen sollen.165 Vor diesem Hintergrund wird von der h. M. angenommen, dass das europäische Umweltrecht individuelle Rechte in größerem Umfang und unter geringeren 162 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Rs. C-237/07, Slg. 2008, I-6221 (Dieter Janecek/ Freistaat Bayern), NuR 2008, S. 630; D. Murswiek, JuS 2009, S. 74 ff.; in diese Richtung auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.03.2009 – 1 KN 12/08, NordÖR 2009, S. 351. Ein weiterer Baustein dieser Rechtsprechung war das Urteil des EuGH, Urt. v. 26.05.2011 – Rs. C-165/09 bis C-167/09, Slg. 2011, I-4599 (Stichting Natuur en Milieu u. a.), EuZW 2012, S. 79 ff. zur sog. NEC-RL 2001/81 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe. Der Ansicht des EuGH nach verleiht Art. 6 der RL 2001/81 unmittelbar betroffenen Einzelnen Rechte, auf die diese sich vor nationalen Gerichten berufen können, um zu verlangen, dass die Mitgliedstaaten während des Übergangszeitraums vom 27. November 2002 bis 31. Dezember 2010 im Rahmen nationaler Programme angemessene und schlüssige Politiken und Maßnahmen einführen oder planen, die in ihrer Gesamtheit geeignet sind, die Emissionen bestimmter Schadstoffe derart zu vermindern, dass die in Anhang I dieser RL vorgesehenen nationalen Höchstmengen spätestens Ende 2010 eingehalten werden, und die für diese Zwecke erstellten Programme der Öffentlichkeit und den betroffenen Organisationen mittels klarer, verständlicher und leicht zugänglicher Informationen zur Verfügung zu stellen. 163 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I-06747, Ls. 1 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1997, S. 369 ff. 164 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 5 ff. (Kommission/Deutschland), NVwZ 1991, S. 973 ff. 165 EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 5 ff. (Kommission/Deutschland), NVwZ 1991, S. 973 ff.; R. Breuer, in: FS für M. Kloepfer, 2013, S. 323, m.w. N.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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Voraussetzungen gewährt, als das dem bislang tradierten Verständnis der Schutznormtheorie nach der Fall ist.166 Das EU-Recht hat im Ergebnis eine Art Mittelweg zwischen der Schutznormtheorie und der Gewährung von Rechtsschutz bei reiner Interessenberührung gewählt.167 Bei dem unionalen Rechtsschutzkonzept verbindet sich das rechtsstaatliche Gebot einer effektiven Durchsetzung individueller Rechte mit dem Ziel der Durchsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten. Dem entspricht insofern eine Tendenz weg von der Verletztenklage hin zur Interessentenklage, die eher dem französischen Rechtsschutzmodell (inkl. des dargestellten griechischen Rechtsschutzmodells, das von dem französischen Rechtsschutzsystem beeinflusst wird) der objektiven Rechtskontrolle ähnelt.168 Trotzdem muss aber angedeutet werden, dass sich in der Praxis die Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger (etwa der Privater und von Umweltschutzvereinigungen) insbesondere im Bereich des Umweltschutzes als erheblich restriktiv erweist. Hauptgrund dafür – aus rein juristischer Sicht – ist die bereits dargestellte von der europäischen Rechtsprechung aus besonders restriktive Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Nichtigkeitsklage, nämlich der unmittelbaren und vor allem der individuellen Betroffenheit des jeweiligen nicht privilegierten Klägers, die aus der sog. Plaumann-Formel hervorgeht.169 Auf diese bestimmte Problematik wird allerdings detaillierter an einer weiteren Stelle dieses Werks eingegangen werden.
IV. Allgemeines über die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht privilegierter Kläger Gegen Beschlüsse, welche an Dritte gerichtet sind, können Einzelne grundsätzlich klagen, wenn sie selbst unmittelbar und individuell betroffen sind (Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV).170 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einreichung einer Nichtigkeitsklage bestimmen im Prinzip den Umfang der Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger auf unionaler Ebene. Es ist daher unerlässlich, insbesondere die für die Klagebefugnis der Drittkläger entscheidenden Kriterien der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit im Folgenden kritisch darzustellen. Dadurch könnte auch die Problematik der Anfechtbarkeit insbesondere umweltbezogener EU-Rechtsakte durch nicht privilegierte Drittkläger im Rahmen der europarechtlichen Nichtigkeitsklage besser erläutert werden. 166
Vgl. u. a. M. Hong, JZ 2012, S. 382; F. Schoch, NordÖR 2002, S. 7, m.w. N. Vgl. J. Endler, in: W. Kuhla/J. Hüttenbrink/J. Endler (Hrsg.), Der Verwaltungsprozess, 2002, L Rn. 81. 168 Vgl. W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, 1979, S. 8 ff. 169 Zum Hintergrund des Festhaltens an der Plaumann-Formel s. u. 3. Teil, 2. Kap. C., III. ff. 170 M. Herdegen, Europarecht, 2013, § 9, Rn. 16. 167
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
1. Zur Betroffenheit Zu beachten ist, dass die europäische Rechtsprechung das Merkmal der Betroffenheit selten isoliert prüft. Vielmehr erörtern die europäischen Gerichte die Klagebefugnis sogleich unter den Gesichtspunkten des unmittelbaren und individuellen Betroffenseins.171 Mit dem Begriff der Betroffenheit wird zunächst festgestellt, ob die jeweils umstrittene Handlung überhaupt in den Interessenkreis des Klägers eingreift und er somit beschwert ist. Der Kläger muss daher geltend machen, dass er ein Interesse an der Aufhebung der angefochtenen unionalen Handlung bzw. an der Aufhebung des Rechtsakts hat. Zugleich muss er dieses Interesse darlegen.172 Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses setzt voraus, dass der Kläger ein rechtlich relevantes, schutzwürdiges Interesse an der Klageerhebung und gerade auch an der Nichtigerklärung bzw. Aufhebung des angegriffenen Rechtsaktes geltend machen kann.173 Genauso wie im deutschen Recht muss auch auf europäischer Ebene der Kläger die Betroffenheit eines subjektiven öffentlichen Rechtes geltend machen. Solche Rechte können jeder unmittelbar geltenden Vorschrift des EU-Rechts entstammen.174 In Betracht kommen hier auf Primärrechtsebene die Unionsgrundrechte, aber auch die Grundfreiheiten sowie durch das Sekundärrecht eingeräumte Rechte. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts auf europäischer Ebene weiter gefasst ist als derjenige nach deutschem Verwaltungsverständnis.175 2. Zur unmittelbaren Betroffenheit Das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit dient dem Ausschluss lediglich potenziell Betroffener aus dem Kreis der Klagebefugten.176 Nach der Rechtspre171 Vgl. W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 35, m.w. N. 172 EuGH, Urt. v. 31.03.1977, Rs. C-88/76, Slg. 1977, S. 709, Rn. 9, 12 ff. (Société pour l’exportation du sucre/Kommission); EuGH, Urt. v. 11.11.1981, Rs. C-60/81, Slg. 1981, S. 2639, Rn. 16 ff. (IBM/Kommission); EuG, Urt. v. 17.09.1992, Rs. T-138/89, Slg. 1992, II-2181, Rn. 33 (Nederlandse Bankiersvereniging und Nederlandse van Banken/Kommission). 173 Vgl. EuG, Urt. v. 18.12.1997, Rs. T-178/94, Slg. 1997, II-2529 (ATM/Kommission), BeckEuRS 1997, 221591. 174 Vgl. D. Triantafyllou, DÖV 1997, S. 192 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 42. 175 Vgl. indizierend dazu W.-R. Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 2005, § 42, Rn. 153; S. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, S. 4 ff.; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 42; jeweils m.w. N.; s. o. 3. Teil, 2. Kap., B., III. 176 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.06.1982, Rs. C-246/81, Slg. 1982, S. 2277 ff. (2291), Rn. 16 (Lord Bethell/Kommission); C. Gaitanides, Art. 230 EGV, in: A. BardenhewerRating/G. Grill/J. Thinam/J. Wölker (Hrsg.), EGV-Komm., 2004, Rn. 47.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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chung des EuGH ist ein Einzelner nur dann unmittelbar betroffen, wenn von der beanstandeten europäischen Handlung, die sich an einen Dritten richtet, ein hinreichend konkreter Eingriff in seine eigene Rechtsstellung bzw. Rechtssphäre ausgeht. Bei Handlungen, die sich an einen Mitgliedstaat richten, kommt es darauf an, ob dem Mitgliedstaat bei der Umsetzung der Handlung (etwa eines Beschlusses) noch ein erheblicher Spielraum bleibt oder nicht. Der Mitgliedstaat, der mit der Durchführung der Handlung betraut ist, darf keinerlei Ermessensspielraum haben.177 Die Durchführung der EU-Handlung soll „quasi automatisch“ erfolgen und sich allein aus der EU-Regelung ergeben, ohne dass dabei weitere vermittelnde Rechtsakte erlassen werden müssten (z. B. bei Produktionsquoten oder Kartellfreistellungen für bestimmte Unternehmen sowie bei direkten Geboten und Verboten).178 Mit anderen Worten müssen die beanstandeten Handlungen den Kläger durch die Tatsache selbst (ipso facto) beeinträchtigen, ohne dass es des Hinzutretens weiterer Umstände oder weiterer Durchführungsmaßnahmen bedarf. Bei an einen Mitgliedstaat gerichteten Handlungen ist dies der 177 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. 41/70, Slg. 1971, S. 411 ff. Rn. 23, 29 (International Fruit Company u. a./Kommission), NJW 1971, S. 1534 ff.; EuGH, Urt. v. 06.03.1979, Rs. C-92/78; EuGH, Urt. v. 29.03.1979, Rs. C-113/77, Slg. 1979, S. 1185, Rn. 11 (Toyo Bearing Company u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Rs. C-386/96, Slg. 1998, I-2309, Rn. 43 (Société Louis Dreyfus & Cie/Kommission); EuGH, Urt. v. 29.03.1979, Rs. C-118/77, Slg. 1979, 1277, Rn. 26 (ISO/Rat); EuGH, Urt. v. 29.03. 1979, Rs. 120/77, Slg. 1979, S. 1303 ff., Rn. 14 (Nippon Seiko u. a./Rat und Kommission); EuGH, Urt. v. 29.03.1979, Rs. 120/77, Slg. 1979, 1337 ff., Rn. 25 (Koyo Seiko u. a./Rat und Kommission); EuGH, Urt. v. 29.03.1979, Rs. 121/77, Slg. 1979, S. 1363, Rn. 11 (Nachi Fujikoshi u. a./Rat), NJW 1979, S. 1097 ff.; EuGH, Urt. v. 17.03.1987, Rs. C-333/85, Slg. 1985, S. 2523, Rn. 14 (Mannesmann Röhrenwerke und Benteler/ Rat); EuGH, Urt. v. 11.07.1985 – 87/77, Slg. 1985, S. 2523, Rn. 31 (Salerno u. a./Kommission und Rat); EuGH, Urt. v. 14.01.1988, Rs. C-55/86, Slg. 1988, Rn. 11–13 (Arposol/Rat); EuGH, Urt. v. 26.04.1988 – 207/86, Slg. 1988, S. 2151, Rn. 12 (Apesco/Kommission); EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Rs. C-404/96 P, Slg. 1998, I-2435, Rn. 41, m.w. N. (Glencore Grain Ltd/Kommission); M. Herdegen, Europarecht, 2013, § 9, Rn. 17. 178 Vgl. EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10, Rn. 27 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff.; EuGH, Urt. v. 05.05.1998, C-386/96 P, Slg. 1998, I-2309, Rn. 43 (Dreyfus/Kommission); EuGH, Urt. v. 10.09.2009, Rs. C-445/07 P und C-455/ 07 P, Slg. 2009, I-7993, Rn. 45 (Kommission/Ente per le Ville vesuviane und Ente per le Ville vesuviane/Kommission); EuGH, Urt. v. 14.10.1977, Rs. C-113/77, Slg. 1979, 1185, Rn. 11 ff., Rn. 46 (Toyo Bearing Company u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Rs. C-386/96 P, Slg. 1998, I-2309 (Dreyfus/Kommission); EuG, Rs. T-225/99, Rn. 96 (Comafrica u. Dole fresh Fruit Europe/Kommission); EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. An der unmittelbaren Wirkung einer an die Mitgliedstaaten gerichteten Gemeinschaftsentscheidung könnte z. B. dann nicht gezweifelt werden, wenn bei einem detaillierten vorbereiteten Gemeinschaftserlass die nationalen Behörden allenfalls noch bei der Bauausführung (z. B. Auftragsvergabe an Unternehmer) handeln könnten, dies aber für die Verbindlichkeit des Aktes keinen Einfluss mehr hätte. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.03.1979, Rs. C-92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 27–30 (Simmenthal/Kommission); W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm. 2011, Rn. 36, m.w. N.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 22, m.w. N.
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Fall, wenn der Mitgliedstaat ohne Ermessensspielraum zur Umsetzung der Handlung verpflichtet ist oder ein Abweichen des Mitgliedstaats von der an ihn gerichteten Handlung nicht zu erwarten ist. Zu beachten ist, dass das Ermessen gerade bei der verletzenden Norm bestehen muss, um die Unmittelbarkeit auszuschließen.179 Sofern dem Mitgliedstaat bei der Umsetzung noch ein Ermessensspielraum bezüglich der Art oder der Intensität des Tätigwerdens eingeräumt ist, kann von Unmittelbarkeit nicht mehr gesprochen werden. Demzufolge kann in dieser Hinsicht Rechtsschutz nicht im Wege der Nichtigkeitsklage gesucht werden.180 Selbst dort, wo die Interessenbeeinträchtigung des Klägers erst durch Handlungen privater Dritter vermittelt wird, muss dies nach der Rechtsprechung des EuGH letztlich außer Betracht bleiben. Grund dafür ist, dass es für die Begründung des unmittelbaren Betroffenseins allein auf die juristischen Auswirkungen der Union ankomme. Denn diese Handlung sei der eigentliche Auslöser des Angriffs und nicht erst der Ausführungsakt von Privaten.181 Vor diesem Hintergrund fehlt es aber i. d. R. bei an die Mitgliedstaaten gerichteten Handlungen bzw. Rechtsakten grundsätzlich an der unmittelbaren Betroffenheit Einzelner.182 Deswegen reicht es nicht für die Feststellung der unmittelbaren Betroffenheit aus, dass die angefochtene Handlung den Kläger benachteiligen kann, falls weitere Umstände hinzutreten.183 Dies gilt grundsätzlich bei direkt an die Mitgliedstaaten gerichteten Normativakten mit abstrakt-generellen Regelungen.184 Auch ein allgemeines Ermessen des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung reicht nicht aus, um die Anfechtbarkeit des Rechtsakts auszuschließen, denn gerade bei
179 Vgl. W. Cremer, in: C. v. Nowak/W. Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, 2002, S. 27 ff.; C. Nowak, EuR 2000, S. 726 ff. 180 H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 21 ff., m.w. N. Dies gilt entsprechend für Verordnungen. Zwar sind diese gem. Art. 288 AEUV (Art. 249 Abs. 2 EGV) von allgemeiner und unmittelbarer Geltung, jedoch entsteht die Betroffenheit von Privaten nicht unmittelbar, sondern wie im Zollrecht erst durch den nationalen Vollzugsakt, z. B. einen Abgabenbescheid bei zollrechtlicher Abfertigung zum freien Verkehr, der möglicherweise im Ermessen der Behörde steht oder von einem Antrag des Anmelders abhängt. 181 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.12.1969, Rs. C-10 u. 18/68, Slg. 1969, 459 (493) (Eridania u. a./Kommission). 182 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.1977, Rs. 113/77, Slg. 1979, S. 1185, Rn. 11 ff. (Toyo Bearing Company u. a./Rat); W. Cremer, Art. 230 Abs. 4 EGV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2003, Rn. 46 ff. 183 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. 41/70, Slg. 1971, S. 411 ff., Rn. 23 (International Fruit Company u. a./Kommission), NJW 1971, S. 1534 ff.; EuGH, Urt. v. 17.01. 1985, Rs. C-11/82, Slg. 1985, 207 (241), Rn. 7 (Peiraiki Patraiki u. a./Kommission); W. Frenz/A.-M. Diselrath, NVwZ 2010, S. 163 ff., m.w. N.; EuGH, Urt. v. 06.03.1979, Rs. C-92/78, Slg. 1979, 777 (Simmenthal/Kommission). 184 Vgl. EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Rs. C-386/96, Slg. 1998, I-2309, Rn. 43 (Société Louis Dreyfus & Cie/Kommission).
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Richtlinien wäre dies regelmäßig der Fall. Damit aber wäre in der Praxis fast kein Rechtsschutz von nicht privilegierten Privaten möglich.185 Andererseits wird die Unmittelbarkeit einer Handlung der EU bei an andere Private gerichteten Entscheidungen nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass sich die (wirtschaftlich) negativen Folgen des umstrittenen Rechtsaktes für den Kläger erst dadurch realisieren, dass der Adressat die durch die Entscheidung vermittelten Befugnisse auch tatsächlich umsetzt. Die Unmittelbarkeit eines europäischen Rechtsaktes kann in der Regel nur verneint werden, wenn mindestens ein weiterer hoheitlicher Umsetzungsakt erforderlich ist.186 Das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit ist somit prinzipiell beim Rechtsschutz gegen Richtlinien relevant, die eines nationalen Umsetzungsaktes bedürfen,187 ebenso wie bei Entscheidungen, die an einen Mitgliedstaat gerichtet sind und von diesem für ein Tätigwerden oder Unterlassen gegenüber seinen Rechtsunterworfenen einen nationalen Rechtsakt verlangen.188 Darüber hinaus kann das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit auch in Fällen erfüllt werden, in denen eine den Kläger beeinträchtigende Maßnahme nachträglich vom Unionsorgan gebilligt wird oder der Mitgliedstaat mit hinreichender Deutlichkeit und Festigkeit die Absicht geäußert hat, dass eine bestimmte mitgliedstaatliche Maßnahme nur noch von einer Ermächtigung der Kommission abhängt.189
185 Vgl. W. Cremer, in: C. v. Nowak/W. Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, 2002, S. 27 ff.; C. Nowak, EuR 2000, S. 726 ff. 186 So ist Unmittelbarkeit im Rahmen der Fusionskontrolle nicht etwa deshalb zu verneinen, weil der Kläger unmittelbare Nachteile erst durch den Zusammenschluss erleidet, denn Kommissionsentscheidung und Zusammenschluss bilden eine Wirkungseinheit. Vgl. EuG, Urt. v. 24.03.1994, Rs. T-3/93, Slg. 1994, II-121, Rn. 69 (Air France/ Kommission); W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUVKomm. 2011, Rn. 38. 187 Vgl. EuG, Urt. v. 10.09.2002, Rs. T-223/01, Slg. 2002, II-3259, Rn. 45 ff. (Japan Tobacco u. a./EP & Rat). Zu beachten ist, dass durch dieses Urteil das EuG die Rechtsprechung, wonach unmittelbares Betroffensein auch dann gegeben ist, wenn die Unionsmaßnahme den Mitgliedstaaten entweder keinen Ermessensspielraum lässt oder das eingeräumte Ermessen nur in einer einzigen Hinsicht ausgeübt werden kann, auch auf Richtlinien angewendet wird. Zwar verneint das EuG sodann nach ausführlicher Prüfung im Ergebnis die unmittelbare Betroffenheit der Klägerinnen, es leibt nach diesem Urteil aber durchaus Raum für eine unmittelbare Betroffenheit durch Richtlinienbestimmungen. Vgl. W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUVKomm., 2011, Rn. 37. 188 Vgl. C. Gaitanides, Art. 230 EGV, in: A. Bardenhewer-Rating/G. Grill/J. Thinam/J. Wölker (Hrsg.), EGV-Komm., 2004, Rn. 81; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 21 ff., m.w. N. 189 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.01.1985, Rs. C-11/82, Slg. 1985, 207 (241), Rn. 7 ff. (Peiraiki Patraiki u. a./Kommission); W. Frenz/A.-M. Diselrath, NVwZ 2010, S. 163 ff., m.w. N.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 36.
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In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit traditionell – auch im Fall des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV – eine weniger entscheidende Rolle bei der Zulässigkeit von Nichtigkeitsklagen nicht privilegierter Privater im Vergleich zu dem Erfordernis der individuellen Betroffenheit hat. Da die Prüfung beider oben genannter Zulässigkeitsvoraussetzungskriterien kumulativ ist, hält die Rechtsprechung die Klagebefugnis von nicht privilegierten natürlichen oder juristischen Personen häufig für unzulässig, selbst wenn festgestellt wird, dass die Klageberechtigten nicht individuell betroffen sind, ohne das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit prüfen zu lassen.190 Dem Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit kommt somit unter der Rechtslage des Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) keine nennenswerte Bedeutung zu, da es für seine Begründung erforderlich ist, dass der beanstandete Rechtsakt keinen weiteren (unionsrechtlichen oder mitgliedstaatlichen) Vollzugsakt nach sich zieht.191 3. Zur individuellen Betroffenheit Die Auseinandersetzung insbesondere hinsichtlich des Umfangs der individuellen Betroffenheit im Europarecht verschärft sich speziell im Bereich des Rechtsschutzes von Umweltbelangen, die der Allgemeinheit dienen. Denn hierbei handelt es sich um öffentliche Interessen, deren Schlüsselmerkmal sich auf die Verwirklichung des Gemeinwohls richtet.192 Das Kriterium der individuellen Betroffenheit verlangt, dass der Kläger sich von der Gruppe aller durch Sekundärrechtsakt der Union betroffenen Personen durch eine intensivere, spezifische Betroffenheit unterscheidet. Diese Unterscheidung ist bislang grundsätzlich danach zu treffen, ob ein Akt allgemeine Geltung besitzt oder direkt an den Kläger gerichtet ist. Ausgangspunkt für die Entstehung und Festlegung dieses Kriteriums war das sog. Plaumann-Urteil des EuGH, wonach festgelegt wurde, dass ein nicht privilegierter Klageberechtigter nur dann geltend machen kann, dass er von einem EU-Rechtsakt individuell betroffen ist, „wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten“.193 190 Vgl. A. Albors-Llorens, CLJ 2003, S. 74 ff.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 37, m.w. N. 191 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 200, m.w. N.; s. z. B. die Fallkonstellationen der europäischen Rspr. in 3. Teil, 3. Kap., B., III.–IV. 192 Vgl. C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff.; ders., NJW 2003, S. 97 ff., m.w. N. 193 EuGH, Urt. v. 15.07.1963, Rs. C-25/62, Slg. IX (1963), S. 211, S. 238, Rn. I (Plaumann/Kommission), NJW 1962, S. 2246 ff. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 24.02.1987, Rs. C-26/86, Slg. 1987, S. 941 (Deutz und Geldermann/Rat); EuGH, Urt. v. 24.05. 1993, Rs. C-131/92, Slg. 1993, I-02573 (Arnaud u. a./Rat), BeckEuRS 1993, 198166; EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 20 (Codorniu SA/Rat),
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Mit dem Verweis auf die „persönlichen Eigenschaften“ sowie die besonderen, den Kläger „aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebenden Umstände“ weist die Plaumann-Formel eine Diktion auf, die der Umschreibung der in Deutschland herrschenden Schutznormtheorie nahekommt. Denn, wie oben dargestellt wurde, verlangt die deutsche Rechtsprechung, dass sich „aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein einschlägiger Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet“.194 Im direkten Gegensatz dazu muss das rechtliche Interesse im griechischen Recht nicht ausschließlich und unbedingt auf Seiten des Klägers liegen. Es reicht für die Begründung eines persönlichen rechtlichen Interesses als Zulässigkeitsvoraussetzung der griechischen Aufhebungsklage, wenn das geltend gemachte Interesse einem bestimmten Kreis von Personen gemeinsam ist, zu dem auch der Kläger gehört, und wenn diese durch geografische, wirtschaftliche oder kulturelle Gemeinsamkeiten miteinander verbunden sind, wie z. B. die Personen, die in einer Gemeinde wohnen, einer Vereinigung oder einer Gesellschaft angehören oder einen gemeinsamen Beruf ausüben.195 Dieser zentrale Unterschied erklärt im Zusammenhang mit dem griechischen Grundrecht auf Umweltschutz gem. Art. 24 gr. V. den erweiterten Zugang zu Gerichten der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten im griechischen Recht.196 Die besondere, individuelle Betroffenheit des Klägers durch die angegriffene unionale Handlung muss durch objektive Umstände des Einzelfalls erfolgen. Insbesondere muss dadurch ausgeschlossen sein, dass sich der Kreis der Betroffenen nach dem Erlass der jeweils umstrittenen Maßnahme noch erweitern kann. Insofern muss der Kreis der Betroffenen bei Erlass der Maßnahme eindeutig festgelegt sein. Maßgeblich ist damit, ob der betroffene Personenkreis offen oder geschlossen ist. Der Ansicht des EuGH nach kann allerdings die erforderliche Individualisierung des jeweils Betroffenen nicht allein durch Dauereigenschaften BeckEuRS 1994, 203771; EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; EuG, Urt. v. 25.06.1998, Rs. T-14/97, Slg. 1998, II-02601, Rn. 35 (Sofivo SAS u. a./Rat), BeckEuRS 1998, 230365; EuG, Urt. v. 30.09.1999, Rs. T-122/96, Slg. 1997, II-01559 (Federolio/Kommission), BeckEuRS 1997, 221962; K.-D. Borchardt, Art. 230 EGV, in: C. O. Lenz/ K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2006, Rn. 28 ff.; S. Breitenmoser/B. Riemer/C. Seitz, Praxis des Europarechts, Grundrechtsschutz, 2006, S. 205 ff.; mehr zur Plaumann-Formel s. u. 3. Teil, 2. Kap., C., III. 194 BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 – 4 C 8/84, DVBl 1987, S. 476 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.07.1987 – 4 C 56/83, DVBl 1987, S. 1265 ff.; BVerwG, Urt. v. 10. 10.2002 – 6 C 8/ 01, NVwZ 2003, S. 605 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 – 4 C 28/91, NJW 1994, S. 1546 ff.; BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 – 4 C 8/84, NVwZ 1987, S. 409 ff.; s. o. 1. Teil, 1. Kap., B., IV.; 1. Teil, 1. Kap., B., VI. 195 s. o. 2. Teil, 2. Kap., C., III., 1.; vgl. P.-M. Efstratiou, in: J. Schwarze/E. SchmidtAßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsund Umweltrecht, 1994, S. 129. 196 s. o. 2. Teil, 2. Kap., III. ff.
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begründet werden. Charakteristisch hierzu ist, dass schon im Plaumann-Urteil die Eigenschaft des Klägers als Teilnehmer am Wettbewerb nicht von allein ausreichend war, um die Zulässigkeit seiner Klage zu rechtfertigen. Denn eine kaufmännische Tätigkeit könne jederzeit von jedermann ausgeübt werden.197 Die namentliche Nennung des Klägers (insb. Produzenten oder Exporteure), deren Name in dem umstrittenen Rechtsakt oder seinen Anhängen ausdrücklich erwähnt sind, erfüllt grundsätzlich diese Anforderungen.198 Solche Rechtsakte werden i. d. R. vom EuGH als „Bündel von Entscheidungen“ oder als „Sammelentscheidungen“ bezeichnet, auch wenn der angefochtene Rechtsakt als Verordnung erlassen wurde.199 Es ist somit jedenfalls von Bedeutung für die Begründung der individuellen Betroffenheit der Kläger, dass die Gruppe der Kläger in ihrer Zahl als feststehend und eingeschränkt erscheint.200 In gleicher Weise individualisierend wirkt die angegriffene Handlung, auch wenn sie eine Gruppe von klageberechtigten Personen trifft, deren Zusammensetzung feststeht und wenn sich diese nicht mehr ändern kann, weil sie nach 197 EuGH, Urt. v. 14.07.1983, Rs. C-231/82, Slg. 1983, S. 2559, Rn. 6–10 (Spijker Kwasten/Kommission). In diesem Fall reichte zur Rechtfertigung der individuellen Betroffenheit nicht einmal aus, dass das klagende Unternehmen in der gesamten Gemeinschaft ersichtlich das einzige war, welches von einer bestimmten Maßnahme betroffen war. Der EuGH begründet diese Stellungnahme mit dem Argument, dass „[. . .] die fragliche Entscheidung die Klägerin allein aufgrund ihrer objektiven Eigenschaften als Importeur der betreffenden Waren in gleicher Weise wie jeden anderen Marktteilnehmer berührt, der sich tatsächlich oder potentiell in einer gleichgelagerten Situation befindet. [. . .] An dieser Schlussfolgerung ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin nach ihrem von der Kommission nicht bestrittenen Vortrag der einzige im BENELUXRaum niedergelassene Importhändler ist, der regelmäßig Bürsten mit Ursprung aus der Volksrepublik China in die Niederlande einführt, und dass die angefochtene Entscheidung anlässlich einer ihrer Einfuhren erlassen wurde.“ 198 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.1977, Rs. C-113/77, Slg. 1979, 1185, Rn. 11 ff. (Toyo Bearing Company u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 30.09.1982, Rs. C-242/81, Slg. 1982, 3213, Rn. 7 (Roquette Frères/Rat); EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-409/96 P, Slg. 1997, I7531, Rn. 32, 37 (Sveriges Betodlares Centralförening/Kommission); EuGH, Urt. v. 21.01.1999, Rs. C-73/97 P, Slg. 1999, I-185, Rn. 17, 30 ff. (Frankreich/Comafrica u. a.); EuGH, Urt. v. 14.03.1990, Rs. C-133/87, Slg. 1990, I-719, Rn. 14 (Nashua Corporation u. a./Kommission und Rat); K.-D. Borchardt, Art. 263 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV/EUV-Komm., 2010, Rn. 29 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1422 ff. 199 Erforderlich ist eine solche namentliche Bezeichnung aber ebenso wenig wie die Kenntnis der Kommission von der Identität der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer. Es genügt, dass die Verordnung im Hinblick auf eine feststehende Zahl von Einzelfällen ergeht. Vgl. EuGH, Urt. v. 07.05.1987, Rs. C-240/84; Slg. 1987, 1809, Rn. 11 (Toyo Bearing Company u. a./Rat); A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 56; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1422 ff.; jeweils m.w. N. 200 EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. 41/70, Slg. 1971, S. 411 ff. (International Fruit Company u. a./Kommission), NJW 1971, S. 1534 ff.; EuGH, Urt. v. 15.02.1996, Rs. C209/94 P, Slg. 1996, I-00615, Rn. 70 (Buralux SA u. a./Rat), BeckEuRS 1996, 212273.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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Umständen definiert ist, die vor dem Erlass der Maßnahme liegen, etwa eine Antragstellung oder vorprozessual durchgeführte Untersuchungen von Behörden, auf denen die angefochtenen Rechtsakte basieren.201 Dies gilt auch, wenn diese Fallgruppe eine Kategorie von Klägern umfasst, die nicht namentlich genannt sind. Zu Umständen, die den Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften aus dem Kreis aller übrigen Personen herausheben können, gehören auch rechtlich geschützte Verfahrensrechte, etwa Beteiligungs-, Informations- oder Mitwirkungsrechte, die den Betroffenen im vorgängigen Verwaltungsverfahren insbesondere im Bereich des Anti-Dumpingrechts sowie des Beihilfen-, Kartell-, Wettbewerbs- und Fusionskontrollrechts eingeräumt worden sind.202 Es ist somit anerkannt, dass eine unionale Handlung gleichzeitig eine generelle Norm und in Bezug auf bestimmte betroffene Wirtschaftsteilnehmer eine Entscheidung sein kann.203 Ein anderer Fall betrifft Verordnungen, die in Wirklichkeit ein Bündel von Einzelfallentscheidungen darstellen. Es handelt sich um die sog. „Scheinverordnungen“ oder „verschleierte Entscheidungen“. Diese stellen der Bezeichnung nach nur Verordnungen dar, in materieller Hinsicht aber sind sie als „Bündel“ von (adressatengerichteten) Einzelbeschlüssen anzusehen.204
201 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. 41/70, Slg. 1971, S. 411 ff. (International Fruit Company u. a./Kommission), NJW 1971, S. 1534 ff.; EuGH, Urt. v. 15.02.1996, Rs. C-209/94 P, Slg. 1996, I-00615, Rn. 70 (Buralux SA u. a./Rat), BeckEuRS 1996, 212273; EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1005, Rn. 11 (Allied Corporation u. a./Kommission), Anm. dazu H.-C. Heydebrand, NJW 1985, S. 1257 ff. Vgl. T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1110. 202 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.1977, Rs. C-26/76, Slg. 1977, 1875 (Metro SB-Großmärkte/Kommission); EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1005 (Allied Corporation u. a./Kommission), Anm. dazu H.-C. Heydebrand, NJW 1985, S. 1257 ff.; EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913 (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026, Rn. 28; EuGH, Urt. v. 20.03.1985, Rs. C-264/82, Slg. 1985, S. 849 ff. (Timex/Kommission), NJW 1985, S. 2088 ff., Rn. 14; EuGH, Urt. v. 28.01.1986, Rs. C-169/84, Slg. 1986, S. 391 ff., Rn. 24–28 (Cofaz/Kommission); EuGH, Urt. v. 27.02.2014 – C-132/12, Rn. 65 ff., curia.europa.eu.europa.eu (StichtingWoonpunt u. a./Kommission); EuG, Urt. v. 13.12.1995, Rs. T-481/93 und T-484/93, Slg. 1995, II-2941 ff. (Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission); T. v. Danwitz, NJW 1993, 1110; H. R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 88 ff., m.w. N.; D. König, JuS 2003, S. 258 ff.; K.-D. Borchardt, Art. 263 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV/EUVKomm., 2010, Rn. 31. 203 EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 19 (Codorniu SA/Rat), BeckEuRS 1994, 203771; EuG, Urt. v. 15.05.1998, Rs. T-175/96, Slg. 1998, II-509 (S. 518), Rn. 23 (Berthu/Kommission). 204 Vgl. A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 91 ff.; R. van der Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 26 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 19 ff., S. 5 ff.; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250; jeweils m.w. N.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Eine solche „Sammelentscheidung“ nimmt der EuGH insbesondere dann an, wenn die Verordnung die Kläger namentlich bezeichnet.205 Eine weitere Fallgruppe, die eine Individualisierung der Kläger rechtfertigen kann, bilden europäische Handlungen und Maßnahmen, die eine Gruppe von Klägern umfassen, die, obwohl sie als Gruppe angesprochen und bezeichnet sind, in ihrer Zahl aber als überschaubar erscheinen.206 Hinzu kommen auch Fallkonstellationen, die aufgrund einer besonderen individuellen Situation die Eingrenzung möglicher Kläger aufgrund dieser Situation leicht vornehmen lassen.207 Zu dieser Fallgruppe gehören beispielsweise jene betroffenen Personen, die bereits Anträge zur Erteilung von bestimmten Lizenzen gestellt haben. Ein indizierendes Beispiel aus der Rechtsprechung ist eine Verordnung, mit der die Erteilung von Einfuhrlizenzen beschränkt wurde. Die Beschränkung geschah allerdings erst, nachdem die Anzahl der Anträge, welche die Verordnung betreffen konnte, feststand. Daher – so der EuGH – habe die Kommission mit der Verordnung über das Schicksal der einzelnen Anträge entschieden.208 Die oben genannte Fallgruppe betrifft überwiegend Fälle aus dem Bereich des Antidumping-, Kartell- und Beihilferechts, in denen – ergänzend zur Verfahrensbeteiligung – bei der Individualisierung auf das materielle Kriterium einer spürbaren Beeinträchtigung der Marktposition oder eines Eingriffs in grundrechtlich geschützte, wohl erworbene Rechte des Klägers abgestellt wird. Dies gilt, denn die Individualisierung der Kläger beruht in diesen Fallgruppen auf den Besonderheiten dieser Rechtsgebiete, zu welchen häufig ein Eingriff in spezifisch normierte Rechte dieser Wirtschaftsteilnehmer hinzutritt.209 205 S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1422 ff. mit Nachweisen auf EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-409/96 P, Slg. 1997, I-7531, Rn. 32, 37 (Sveriges Betodlares Centralförening/Kommission); EuGH, Urt. v. 21.01.1999, Rs. C-73/97 P, Slg. 1999, I-185, Rn. 17, 30 ff. (Frankreich/Comafrica u. a.); EuGH, Urt. v. 29.03.1979, Rs. C-113/77, Slg. 1979, S. 1185, Rn. 11 (NTN Toyo Bearing); EuGH, Urt. v. 14.03.1990, Rs. C-133/ 87, Slg. 1990, I-719, Rn. 14 (Nashua Corporation u. a./Kommission und Rat); EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. C-41/70, Slg. 1971, 411, Rn. 16, 22 (International Fruit Company u. a./Kommission); EuGH, Urt. v. 06.11.1990, Rs. C-354/87, Slg. 1990, I-3847, Rn. 23 (Weddel/Kommission). 206 EuGH, Urt. v. 26.06.1990, Rs. C-152/88, Slg. 1990, I-2477 (Sofrimport/Kommission). 207 K.-D. Borchardt, Art. 263 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUV/ EUV-Komm., 2010, Rn. 38 ff.; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 59; jeweils m.w. N. 208 EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. 41/70, Slg. 1971, S. 411 ff. (International Fruit Company u. a./Kommission), NJW 1971, S. 1534 ff.; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 59, m.w. N. 209 EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. C-41/70, Slg. 1971, 411, Rn. 16, 22 (International Fruit Company u. a./Kommission); EuGH, Urt. v. 06.11.1990, Rs. C-354/87, Slg. 1990, I-3847, Rn. 23 (Weddel/Kommission); EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/89, Slg. 1991, I-2501 (Extramet Industrie/Rat); EuGH, Urt. v. 27.02.2014 – C-132/12, Rn. 65 ff., curia.europa.eu (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission); A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 58.
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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Solche anfechtbaren Rechte können berücksichtigt werden, wenn sie bereits vor dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts vorhanden waren und nur einem begrenzten Personenkreis (zu dem der Kläger gehören muss), nicht aber allen von dem Rechtsakt Betroffenen zustehen.210 Kann beispielsweise ein Unternehmen plausibel darlegen, dass seine Stellung auf dem betreffenden Markt z. B. durch die Gewährung staatlicher Beihilfe spürbar beeinträchtigt wird, ist es nach Ansicht des EuGH individualisiert.211 Schließlich lässt sich noch eine Fallgruppe als individuell betroffen erkennen, wenn der Kläger zu einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gehört, deren Interessen das zuständige Unionsorgan aufgrund einer europäischen Rechtsnorm besonders zu berücksichtigen hat.212 Wie der Fall „Codorniu“ beispielhaft gezeigt hat, kann auch die Beeinträchtigung spezifischer Rechte eines Wirtschaftsteilnehmers, im vorliegenden Fall die von Markenrechten, zusammen mit einem Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen für die Individualisierung des Klägers als ausreichend betrachtet werden.213 Eine Nichtigkeitsklage ist durchaus zulässig, soweit die nicht privilegierte Partei in direktem Wettbewerb mit dem durch den erlassenen EU-Rechtsakt Begünstigten steht und ihre Interessen von diesem Rechtsakt berührt werden. Dieses wesentliche Kriterium sei auf alle Arten von Interessen des Antragstellers anwendbar, auch wenn die Rechtsprechung sich vorrangig auf Fälle von ökonomischen Interessen beziehe. In extremis führt diese Rechtsprechung selbst zum Ausschluss der Klagebefugnis, wenn in concreto lediglich ein einziger Marktteil210 EuG, Urt. v. 10.07.1996, Rs. T-482/93, Slg. 1996, II-609, Rn. 67 ff. (Weber/Kommission); D. Booß, Art. 230 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), EUV/ EGV-Komm., Bd. III, 2009, Rn. 61 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1422 ff.; als Beispiele sind bestehende Verträge [EuGH, Urt. v. 26.06.1990, Rs. C-152/88, Slg. 1990, I-2477 (Sofrimport/Kommission)] und Markenzeichen [EuGH, Urt. v. 18.05. 1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 20 (Codorniu SA/Rat), BeckEuRS 1994, 203771] zu nennen. 211 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.01.1986, Rs. C-169/84, Slg. 1986, S. 391 ff., Rn. 24 ff. (Cofaz/Kommission). In diesem Fall, in der mehrere französische Unternehmen die Gewährung einer staatlichen Beihilfe an niederländische Konkurrenten angriffen, untersuchte der EuGH ergänzend zur Verfahrensbeteiligung der Kläger die Auswirkungen der Beihilfe auf ihre Marktstellung; D. König, JuS 2003, S. 258. 212 Erstmalig wurde dieser Ansatz in der Rechtsache „Peiraiki Patraiki“ vom EuGH angewandt, in der es um die Rechtmäßigkeit von Schutzmaßnahmen Frankreichs gegenüber griechischen Exporteuren von Baumwollgarn ging, die die Kommission in einer an Frankreich und Griechenland gerichteten Entscheidung genehmigt hatte. Die Personen, auf deren Stellung sich die Schutzmaßnahmen wegen bereits abgeschlossener Lieferverträge besonders negativ auswirkten, waren folglich individuell betroffen. Nach einer Klausel im Beitrittsvertrag für Griechenland war die Kommission verpflichtet, bei unvorhergesehenen Marktstörungen möglichst schonende Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb hätte sie ermitteln müssen, welche negativen Auswirkungen ihre Entscheidung auf die betroffenen Unternehmen hätte haben können; EuGH, Urt. v. 17.01.1985, Rs. C-11/ 82, Slg. 1985, 207, Rn. 24 ff. (Peiraiki Patraiki u. a./Kommission). 213 EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 20 (Codorniu SA/Rat), BeckEuRS 1994, 203771; A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/ K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2014, Rn. 59.
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nehmer betroffen ist, der von der Entscheidung erfasste Sachverhalt jedoch objektiv umschrieben ist und der Kreis potentiell Betroffener lediglich nach allgemeinen Merkmalen abgrenzbar ist.214 Die Bestimmung der individuellen Betroffenheit des Klägers erweist sich daher in der Praxis als restriktiv, insbesondere im Hinblick auf allgemeingültige Regelungen – unter anderem auch im Bereich des Natur- und Artenschutzes –, die im Prinzip den Einzelnen nicht besonders herausheben können. Denn im Sinne der traditionellen und immer noch geltenden Plaumann-Formel sollte keine individuelle Betroffenheit vorliegen, wenn eine natürliche oder juristische Person lediglich als Angehöriger einer nach objektiven Kriterien bestimmten Adressatengruppe betroffen ist, und zwar selbst dann nicht, wenn die Gruppe zahlenmäßig feststeht oder grundsätzlich namentlich individualisierbar ist.215
V. Gerichtliche Kontrolldichte im EU-Recht In erster Linie ist zu verneinen, dass das EU-Recht dem nationalen Recht eine bestimmte Kontrolldichte vorschreibt.216 Der EuGH hat außerdem ausdrücklich festgestellt, das EU-Recht verlange nicht, dass die mitgliedstaatliche gerichtliche Kontrolle von komplexen Verwaltungsentscheidungen eine weitergehende Nachprüfung umfassen müsse, als sie der EuGH selbst in vergleichbaren Fällen vornehme.217 Damit steht das EU-Recht einer Umorientierung der nationalen verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht im Wege.218 214 Vgl. A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. Jans/A.-K. v. der Heide, ZUR 2003, S. 391; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff.; R. v. d. Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 30 ff.; A. v. Winterfeld, NJW, S. 1410 ff. 215 EuGH, Urt. v. 06.07.1993, Rs. C-286/93, Slg. 1993, I-3335, Rn. 8 (Atlanta u. a./ Rat); H. R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 85 ff., m.w. N. 216 Vgl. E. Pache, DVBl 1998, S. 380 ff.; F. Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 2000, S. 41, m.w. N. 217 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.1999, Rs. C-120/97, Slg. I 1999, 223 (Upjohn Ltd/The Licensing Authority u. a.), EuZW 1999, S. 503 ff. 218 Andererseits wird aber die Auffassung vertreten, dass diese unionalen Vorgaben zumindest in Fällen, in denen umweltschutzrechtliche Regelungen auf EU-Recht beruhen, Konsequenzen für die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen durch die deutschen Verwaltungsgerichte haben müssen. Es ist vielmehr eine flexible Handhabung der Prüftiefe geboten. Bei Ermessensentscheidungen wäre dies möglich, weil es im deutschen Recht keine Vorschriften gibt, die dem entgegenstehen. Fraglich ist dies jedoch bei Abwägungsentscheidungen. Denn bei diesen gibt es spezielle Regelungen für die Unbeachtlichkeit von Fehlern, die auch materiellrechtlich relevante Aspekte wie die Sachverhaltsermittlung erfassen und die Kontrolldichte insoweit generell einschränken (vgl. z. B. § 75 Abs. 1a VwVfG und § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB). A. Schmidt/ P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), 2006, S. 22 ff.).
B. Über die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV
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Die Prüfung ist auf die Fragen beschränkt, ob die Verfahrens- und Begründungsvorschriften eingehalten worden sind, ob der der Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt.219 Der Auffassung des EuGH nach sei auch bei komplexen wirtschaftlichen Fragen eine unbeschränkte Nachprüfung i. S. v. Art. 6 EMRK vorzunehmen, bei der für das Kriterium des offensichtlichen Beurteilungsfehlers kein Raum sei.220 Der Unionsrichter müsse daher die Rechtmäßigkeitskontrolle auf der Grundlage der vom Kläger zur Stützung seiner Klagegründe vorgelegten Beweise vornehmen und könne nicht hinsichtlich ihrer Bewertung auf den Ermessenspielraum der Kommission verweisen, um auf eine gründliche rechtliche und tatsächliche Kontrolle zu verzichten.221 Im Gegensatz zum deutschen Recht222 prüft der EuGH zwar bei Ermessensund Abwägungsentscheidungen vorrangig die Einhaltung des Verfahrens, grenzt diese Prüfung aber nicht strikt von materiell-rechtlichen Fragen ab, sondern orientiert sich bei der gerichtlichen Kontrolldichte insgesamt an der Zielsetzung der anzuwendenden Vorschrift. Dies ist auch ein Unterschied zu der griechischen Kontrolldichte bei der Rechtskontrolle der Aufhebungsklage, die im Prinzip auf die Rechtmäßigkeitskontrolle eingeschränkt ist.223 Inwieweit ein nicht überprüfbarer Beurteilungs- oder Entscheidungsspielraum der Behörden anerkannt werden kann, muss aus der jeweiligen Zielsetzung dieser Vorschriften – also aus dem materiellen Recht – abgeleitet werden.224 Mit seiner Prüftiefe orientiert sich das EU-Recht prinzipiell an der Finalstruktur des europäischen Rechts und berücksichtigt dabei den Zweck der jeweiligen Regelung.225 Deshalb gehen z. B. die Anforderungen des EuGH an die Sachverhaltsermittlung teilweise über die Kontrolldichte des deutschen und griechischen Rechts hinaus.226 219 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, DVBl 1997, S. 285 ff., m.w. N.; R. Sparwasser, in: Umweltrecht im Wandel 2001, S. 1032. 220 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-274/12 P, Slg. 2014, S. 2062, Rn. 50 ff. (Telefónica/Kommission), BeckRS 2014, 81153; Anm. dazu C. Seitz, EuZW 2014, S. 776. 221 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-274/12 P, Slg. 2014, S. 2062, Rn. 56 (Telefónica/Kommission), BeckRS 2014, 81153; Anm. dazu C. Seitz, EuZW 2014, S. 776. 222 Vgl. unter anderem: BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 – 7 C 55 und 56/89, NVwZ 1991, S. 369 ff. 223 Mehr dazu s. o. 2. Teil, 2. Kap., B., III. ff. 224 A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/ EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), Juni 2006, S. 24 ff., m.w. N. 225 Vgl. F. Ekardt, NuR 2006, S. 221 ff.; F. Schoch, NordÖR 2002, S. 1 ff. 226 Vgl. unter anderem: BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95, NVwZ 1996, S. 788 ff.; BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94, NVwZ 1996, S. 381 ff.; BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 – 7 C 55 und 56/89, NVwZ 1991, S. 369 ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Hinzu kommt dann noch eine Missbrauchskontrolle bei der Ausübung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen.227 Wenn allerdings das jeweils umstrittene Verfahren hohe Anforderungen an den Umweltschutz stellt, gelten bei der Überprüfung insgesamt strenge Maßstäbe.228 Dementsprechend ist auch die Prüftiefe an der effektiven Durchsetzung unionsrechtlicher Umweltvorschriften auszurichten.229 Angesichts der Tatsache, dass eine umweltschützende Nichtigkeitslage durch Drittkläger gegen umweltrelevante Handlungen nur ausnahmsweise zulässig ist, ist die Rolle der gerichtlichen Kontrolldichte im Bereich des Umweltrechtsschutzes gering. Daher soll auf dieses Thema in dieser Arbeit nicht tiefer eingegangen werden.
C. Zur Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger Die Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger in Verbindung mit dem Umfang ihrer Klagemöglichkeiten hinsichtlich der Klagegegenstände der Nichtigkeitsklage bildet eine der umstrittensten Fragen des unionalen Rechtsschutzsystems.230 227 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.1991, Rs. C-58/89, Slg. 1991, I-4983, Rn. 14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1992, S. 459 ff.; EuGH, Urt. v. 21.01.1999, Rs. C-120/97, Slg. 1999, I-00223, Rn. 34 (Upjohn Ltd/The Licensing Authority u. a.), EuZW 1999, S. 503 ff. 228 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02, Slg. 2004, I-07405, „Herzmuschelfischerei“ (Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee u. Nederlandse Vereniging tot Bescheerming van Vogels/Staatssecretaris van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij), NuR 2004, S. 788 ff. In diesem Urteil zur Herzmuschelfischerei, bei dem es um Anforderungen aus der FFH-RL für eine Umweltnutzung ging, prüft der EuGH die Beachtung der materiellrechtlichen Vorgaben bis ins Detail und lastet sämtliche Zweifel an den Prognosen oder Untersuchungsmethoden dem Umweltnutzer an. Diese hohen Anforderungen an die erforderliche Sachverhaltsermittlung lassen sich bei der FFH-RL dadurch rechtfertigen, dass sie strenge Vorgaben für den Naturschutz enthält. Zwar könnte die Sachverhaltsermittlung gerade bei Abwägungsentscheidungen auch als Verfahrensaspekt eingeordnet werden. Entscheidend für die Prüftiefe ist in dem genannten Beispiel aber die materiell-rechtliche Zielvorgabe, dass dem Naturschutz ein hoher Stellenwert zukommt, und dass daher seine Zurückstellung zugunsten anderer Belange im Rahmen der Abwägung einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Als Maßstab für die Kontrolldichte kommt demnach insbesondere die Wertigkeit in Betracht, die entweder dem beeinträchtigten Umweltbelang oder der Art der Beeinträchtigung durch das materielle Europarecht zugemessen wird. Vgl. dazu auch A. Schmidt/P. Kremer, Die Anforderungen der Öffentlichkeitsrichtlinie 2003/35/EG und der Aarhus-Konvention an die Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden (Rechtsgutachten), 2006, S. 24 ff., m.w. N. 229 Vgl. F. Ekardt, NuR 2006, S. 221 ff.; F. Schoch, NordÖR 2002, S. 1 ff. 230 Vgl. U. Everling, EuZW 2010, S. 572 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 86; ders., EuR 2010, S. 39; C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 148 ff., m.w. N.; M. Varju, E.P.L. 2004, S. 43 ff.
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 897
Nicht privilegierte natürliche und juristische Personen können i. d. R. im Rahmen der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) ihre Rechte geltend machen. Sofern der Einzelne selbst Adressat etwa einer Handlung bzw. eines Rechtsaktes des Rates oder der Kommission ist, ist seine Klagebefugnis unproblematisch gegeben. Bedarf etwa eine EU-Verordnung eines Vollzugsaktes auf europäischer Ebene, dann kann i. d. R. der Einzelne mit der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV gegen diesen Vollzugsakt vorgehen. Inzident wird im Rahmen dieses Verfahrens die zu Grunde liegende Verordnung überprüft. Unterlässt das europäische Organ einen Vollzugsakt, kann der Bürger hiergegen mit der Untätigkeitsklage gem. Art. 265 Abs. 3 AEUV (exArt. 232 Abs. 3 EGV) vorgehen. Auch im Rahmen dieses Verfahrens findet eine inzidente Kontrolle der Verordnung statt.231 Andererseits entstehen Rechtsschutzdefizite auf europäischer Ebene. Dies gilt insbesondere bei von europäischen Organen erlassenen abstrakt-generellen Rechtsakten mit genereller Geltung, die sich auf das Gemeinwohl bzw. auf Umweltgüter232 auswirken, wie etwa bei der sog. Ozon-Verordnung233 oder im Falle von an Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidungen über die Verwendung von Mitteln aus der Versteigerung von Emissionsrechten sowie beim zeitlichen Aufschub für die Verbindlichkeit von Grenzwerten oder für Entscheidungen über die Zulassung maßgeblicher Beratungs-, Regelungs- und Prüfungsverfahren für chemische Wirkstoffe, die die Umwelt und die menschliche Gesundheit beeinflussen können.234 Denn insbesondere bei den meisten umweltbezogenen Normativakten mit abstrakt-generellem Regelungsgehalt sind die Mitgliedstaaten und nicht die einzelnen Privaten die Adressaten. Daher sind nur die Mitgliedstaaten direkt klagebefugt.235 Solche Normativakte könnten grundsätzlich von Drittklägern angefochten
231 Vgl. P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 121 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1423 ff. 232 Vgl. B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 390 ff.; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff. 233 Ozon-Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91; ABl. L 189/1. 234 Vgl. z. B. Bestimmungen wie Art. 7 Abs. 3, Art. 19 Abs. 3 VO Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel. Mehrere Beispiele von unionalen umweltbezogenen Bestimmungen, die der Ansicht der EU-Organe nach allgemeine Geltung haben und daher i. d. R. mangels individueller Betroffenheit nicht von adressatenlosen Privaten eingeklagt werden können, s. u. anlässlich der Analyse der Problematik des restriktiven Anwendungsbereichs der AK-VO 3. Teil,6. Kap., C., V. 235 Vgl. A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. Jans/A.-K. v. der Heide, ZUR 2003, S. 391; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff. So ist z. B. im Falle einer Förderung durch den Strukturfonds (gem. Art. 12 der EU-Verordnung 1260/99, ABl. EG 1999, Nr. L 161/1) der Mitgliedstaat der Begünstigte und somit der Adressat.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
werden, soweit sie nachweisen können, dass sie dadurch unmittelbar und individuell betroffen sind. Im Hinblick darauf sind in der Praxis diejenigen Verordnungen besonders problematisch, die ohne weiteres die Tätigkeit von Unternehmen beschränken, ohne dass die Möglichkeit der Beantragung von Ausnahmegenehmigungen oder Ähnlichem besteht, z. B. durch Produktionsquoten, Marktordnungen, Regelungen des Außenhandels oder technische Vorschriften.236 Solche Rechtsakte sind überwiegend europäische Verordnungen, die keinen Vollzugsakt auf europäischer Ebene erfordern. Da aber solche Rechtsakte nicht an den Einzelnen gerichtet sind, kann auch der Einzelne sie vor europäischen Gerichten nicht angreifen, soweit das EU-Recht grundsätzlich keinen direkten Rechtsschutz vorsieht. Dies gilt, auch wenn diese Verordnungen den Einzelnen noch so sehr belasten; es sei denn, die Verordnung ist bei Lichte eine Entscheidung, die den Einzelnen unmittelbar und individuell betrifft.237 Dadurch ist eine Rechtsschutzlücke gegenüber den Nichtadressaten auf europäischer Ebene festzustellen.238 Gleiches gilt auch in Fällen, in denen eine Handlung der EU keine Rechtsnormen enthält. Dies geschieht z. B., wenn die allgemeine und abstrakte Natur der Wirkung der Handlung nicht auf deren normative Natur, sondern auf deren Gegenstand zurückzuführen ist. In solchen Fällen kann somit aufgrund des geltenden europäischen Rechtsschutzsystems eine solche Bestimmung des europäischen Rechts nicht von Privaten mit einer Klage angefochten werden. Solche Fälle könnten von Natur aus häufig bei europäischen Bestimmungen sein, wie z. B. Entscheidungen der Kommission, die eine Unterstützung europäischer Behörden (z. B. europäischer Fonds) für regionale Entwicklung gewähren, deren Wirkungen in die Umwelt eingreifen können.239
236 Vgl. P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 132 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 321; J. Schwarze, DVBl 2002, S. 1300 ff. 237 G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 321; J. Schwarze, DVBl 2002, S. 1300 ff. 238 Vgl. A. v. Winterfeld, NJW 1988, S. 1409; T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1112; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 390 ff.; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff.; R. v. d. Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 30 ff. jeweils m.w. N.; C. Gröpl, EuGRZ 1995, S. 589; J. Sedemund/K. Heinemann, DB 1995, S. 1162; J. Schwarze, DVBl 2002, S. 1300 ff. In diese Richtung auch EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 76 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 554; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 65 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498. 239 Vgl. GA Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 101.
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 899
Dies ist naheliegend insbesondere im Umweltrecht, denn bei dem im Allgemeininteresse liegenden Umweltrecht fehlt oftmals die individuelle Betroffenheit einzelner Personen.240 Die Erhaltung der Umwelt ist letztlich ein berechtigtes Interesse, das theoretisch von allen Personen geteilt werden kann. Der Begriff Umwelt und der Umweltschutz haben daher auch eine soziale Dimension. Je erheblicher der Eingriff in die Umwelt oder die Belastung der Umwelt ist, umso größer ist i. d. R. die Zahl der hiervon betroffenen Personen.241 Diese unbestreitbare Feststellung kann aber freilich nicht zu einem Beiseiteschieben der Prozessvoraussetzungen des unionalen Rechtsschutzsystems mit Rücksicht auf die besondere Natur des berechtigten Umweltinteresses führen.242 Auch wegen der vom EuGH entwickelten unmittelbaren Wirksamkeit und der Vorrangwirkung des EU-Rechts konnten somit insbesondere europarechtliche Rechtsakte mit allgemeiner Wirkung in die Individualrechtssphäre der jeweils Klageberechtigten indirekt oder sogar direkt eingreifen, ohne das Erforderliche von der europäischen Rechtsschutzgarantie zu erfüllen. Demzufolge konnten solche Eingriffe gegen auf Rechtssubjekte i. d. R. von niemandem eingeklagt werden.243 Streng an dem Wortlaut der Plaumann-Formel orientiert ließ die europäische Rechtsprechung – schon lange Zeit vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages – Nichtigkeitsklagen nicht privilegierter Drittkläger zunächst außer gegen Entscheidungen nur gegen Rechtsakte zu, die sich lediglich der äußeren Form nach als Verordnung darstellen, sich bei näherer Betrachtung aber als Entscheidungen oder entscheidungsgleiche Maßnahme erweisen, also als materielle Ent-
240 H. Kirchhof, Individualrechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht unter Berücksichtigung der Geltendmachung von Umweltinteressen, 2005, S. 126 ff., S. 141; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86; obwohl Umweltverbände gemäß Art. 2 Abs. 5 AK als Teil der „betroffenen“ Öffentlichkeit angesehen werden, verneinte z. B. der EuGH die Klagebefugnis von „Greenpeace“, weil Vereinigungen, die zur Wahrnehmung kollektiver Interessen einer Gruppe von Bürgern gegründet werden, von einer Handlung, welche die allgemeinen Interessen dieser Gruppen berührt, nicht individuell betroffen sein würden (EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-01651, Rn. 14, 28 ff. (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.). 241 GA Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 102. 242 GA Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 103. Der Ausgangspunkt für die Prüfung der Klagebefugnis müsste ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Rechtsstreits immer derselbe sein: Der Kläger muss durch die Handlung, die er anficht, individuell betroffen sein. 243 Vgl. E. Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 36 ff., m.w. N.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 19 ff.; B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 97 ff.; H.-R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 87 ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
scheidungen in der Form einer Verordnung (sog. „Scheinverordnungen“ oder „verschleierte Entscheidungen“).244 Der europäischen Rechtsprechung nach war somit für die Abgrenzung zwischen Verordnung und Entscheidung nicht auf das äußere Erscheinungsbild des Rechtsaktes oder seine Bezeichnung abzustellen, sondern darauf, ob dieser Rechtsakt allgemeine Geltung bzw. Wirkung hat oder nicht. Ein und dieselbe Maßnahme kann demzufolge nicht zugleich ein Rechtsakt von allgemeiner Geltung und eine Einzelfallmaßnahme sein.245 Die Anfechtbarkeit „echter“ Verordnungen wurde zunächst aber weitgehend abgelehnt.246 Denn eine „echte“ Verordnung ist letztlich eine Handlung mit allgemeiner Geltung, die für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber einem abstrakt umschriebenen Personenkreis erzeugt.247 Genau diese Vorstellung wirkte aber als Hürde zulasten des gerichtlichen Rechtsschutzes. Denn unter diesen Voraussetzungen waren Nichtigkeitsklagen nicht privilegierter Privater gegen normative europarechtliche Handlungen bzw. Maßnahmen mit allgemeiner Geltung grundsätzlich nicht zulässig.248
I. Erweiterungsversuche der Nichtigkeitsklagegegenstände unter Auflagen auf Verordnungen Vor diesem Hintergrund versuchte die europäische Rechtsprechung – vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages – diese Rechtsschutzlücke einzelfallorientiert vor allem durch Neuinterpretation insbesondere der Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit zu schließen. Dies hatte zur Folge, dass 244 Vgl. A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 91 ff.; R. van der Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 26 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 19 ff.; S. 5 ff.; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250; jeweils m.w. N. 245 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.10.1962, Rs. C-001/62, Slg. 1962, S. 978 ff. (Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes/Rat der EWG); EuGH, Urt. v. 17.06. 1980, Rs. C-789 und 790/79, Slg. 1980, S. 1949 (S. 1961) (Calpak u. a./Kommission), NJW 1981, S. 515, Rn. 9; EuGH, Urt. v. 25.03.1982, Rs. C-45/81, Slg. 1982, S. 1129 (S. 1144), Rn. 17 ff. (Mokse/Kommission); M. Köngeter, NJW 2002, S. 2218 ff.; O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 107. 246 Vgl. A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 91 ff.; R. van der Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 26 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 19 ff., S. 5 ff.; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250; jeweils m.w. N. 247 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.06.1980, Rs. C-789 und 790/79, Slg. 1980, S. 1949 (S. 1961) (Calpak/Kommission) NJW 1981, S. 515, Rn. 9; EuGH, Urt. v. 28.03.1996, Rs. C-270/95 P, Slg. 1996, I-1987 (1993) (Kik/Rat und Kommission); J. Gundel, VerwArch 2001, S. 81 ff.; EuG, Urt. v. 01.12.1999, Rs. T-125/96, Slg. 1999, II-3427, Rn. 161 (Boehringer/Rat und Kommission); O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 107, m.w. N. 248 Vgl. J. Gundel, VerwArch 2002, S. 82 ff., m.w. N.
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 901
Nichtigkeitsklagen Privater gegen „echte“ Rechtsnormen mit offenem Adressatenkreis zulässig sein könnten (z. B. Nichtigkeitsklagen von Drittklägern gegen Anti-Dumping-Verordnungen249 oder andere materiell-rechtliche Verordnungen).250 Die europäische Judikatur erachtete somit – allerdings nicht unter völlig homogenen Voraussetzungen – nicht nur „Scheinverordnungen“, sondern auch „echte“ Verordnungen251, d.h. Rechtsakte, welche allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten (nach Art. 288 Abs. 2 AEUV bzw. Art. 249 Abs. 2 EGV) – grundsätzlich aber auch Richtlinien252 – als tauglichen Klagegegenstand. Der Prüfungsschwerpunkt dieser Rechtsakte wurde vor allem auf das Merkmal der individuellen sowie der unmittelbaren Betroffenheit verlagert.253 Der normative Charakter bzw. die allgemeine Geltung einer Vorschrift sollte somit nicht mehr ausschließen, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer von ihr unmittelbar und individuell betroffen werden.254 Demnach könnten Verordnungen, die sich an die Gesamtheit der Wirtschaftsteilnehmer richten und daher norma-
249 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.03.1990, Rs. C-133/87, Slg. 1990, I-719, Rn. 12 ff. (Nashua Corporation u. a./Kommission u. Rat); EuGH, Urt. v. 14.03.1990, Rs. C-156/87, Slg. 1990, I-781, Rn. 17 ff. (Gestetner Holdings PLC/Rat und Kommission); EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/89, Slg. 1991, I-2501, Rn. 13 ff. (Extramet Industrie/Rat); EuG, Urt. v. 18.09.1996, Rs. T-155/94, Slg. 1996, II-873, Rn. 45 ff. (Climax Paper Converters/Rat); EuG, Urt. v. 19.09.2001, Rs. T-58/99, Slg. 2001, II-2521, Rn. 21 (Mukand Ltd u. a./Rat). 250 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.05.1994, C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 20 (Codorniu SA/Rat); EuG, Urt. v. 13.12.1995, Rs. T-481/93 und T-484/93, Slg. 1995, II-2941 ff. (Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission); O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 109. 251 Hinsichtlich der Klagebefugnis von Verordnungen vgl.: EuGH, Urt. v. 24.10. 1962, Rs. C-001/62, Slg. 1962, S. 961 ff. (S. 979) (Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes/Rat der EWG); EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1005, Rn. 11 (Allied Corporation u. a./Kommission), Anm. dazu H.-C. Heydebrand, NJW 1985, S. 1257 ff.; EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 19 (Codorniu SA/Rat): „Zwar hat die streitige Vorschrift . . . nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Tragweite normativen Charakter, da sie für die beteiligten Wirtschaftsteilnehmer im Allgemeinen gilt; es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sie einige von ihnen individuell betreffen kann.“; EuG, Urt. v. 13.12.1995, Rs. T-481/93 und T-484/93, Slg. 1995, II-2941 ff. (Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission). Zu dieser Problematik s. auch A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 90 ff., m.w. N. 252 Hinsichtlich der Klagebefugnis von Richtlinien vgl.: EuG, Urt. v. 17.06.1998, T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 68 ff. (UEAPME/Rat). Vgl. dazu R. v. d. Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 30 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 94 ff.; mehr dazu 3. Teil, 2. Kap., C., V., 2. 253 s. u. 3. Teil, 2. Kap., D. ff. 254 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 21 ff. (Codorniu SA/Rat); EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02, Slg. 2004, I-3425, Rn. 44, NJW 2004, S. 2006 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission); EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36 (Unión de Pequeños Agicultures – UPA/Rat).
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
tiven Charakter haben, bestimmte Personen unmittelbar und individuell betreffen.255 Ausgehend vom Anti-Dumping-Recht256 wendete der EuGH diese Grundsätze bald auch auf andere Rechtsgebiete wie das Beihilfen-257, Kartell- und Wettbewerbsrecht258, aber auch auf das Fusionskontrollrecht259 an.260 Es sieht allerdings so aus, dass die Vertragsgeber des AEUV diese Judikatur mit dem Erlass des Art. 263 Abs. 4 AEUV vertragstextlich abgesichert haben.261 Beispielsweise ließ der EuGH in den Urteilen „Allied Corporation u. a. vs. Rat“ 262 zum ersten Mal eine Nichtigkeitsklage gegen eine EG-Verordnung explizit zu, wobei er die erforderliche unmittelbare und individuelle Betroffenheit der Kläger anerkannte. Gleichwohl wies das Gericht die Behauptung der Kläger, dass es sich bei der angefochtenen Verordnung um eine „Scheinverordnung“ handelte,
255 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1030, NJW 1985, S. 1277, Rn. 11 (Allied Corporation/Kommission); EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/89, Slg. 1991, I 2501 (S. 2531), Rn. 13, 16 (Extramet Industrie/Rat). 256 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1030, NJW 1985, S. 1277, Rn. 11 (Allied Corporation/Kommission); EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/89, Slg. 1991, I 2501 (S. 2531), Rn. 13 (Extramet Industrie/Rat); EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913 (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026, Rn. 28, 30; EuGH, Urt. v. 20.03.1985, Rs. C-264/82, Slg. 1985, S. 849 ff. (Timex/Kommission), NJW 1985, S. 2088 ff., Rn. 11 ff.; EuGH, Urt. v. 27.11.1991, Rs. C-315/90, Slg. 1991, I-5589 ff. (Gimelec u. a./Kommission); EuG, Urt. v. 11.07.1996, Rs. T-161/94, Slg. 1996, II-00695 (Sinochem Heilongjiang/Rat). Vgl. dazu ausführlich: H. R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 87 ff., m.w. N.; L. Habermann/H. Pietzsch, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Februar 2004, Heft 24, S. 6 ff., m.w. N. 257 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.01.1986, Rs. C-169/84, Slg. 1986, S. 391 ff., Rn. 24 ff. (Cofaz/Kommission); EuG, Urt. v. 30.09.1999, Rs. T-122/96, Slg. 1997, II-1559 (S. 1579), Rn. 58 (Federolio/Kommission); EuGH, Urt. v. 27.02.2014 – C-132/12, Rn. 65 ff., curia.europa.eu (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission). 258 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.1977, Rs. C-26/76, Slg. 1977, 1875, Rn. 13 (Metro/ Kommission); EuGH, Urt. v. 11.10.1983, Rs. C-210/81, Slg. 1983, 3045, Rn. 14 ff. (Demo Studio Schmidt/Kommission); EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853 (1886) (Codorniu SA/Rat), EuZW 1994, S. 434 ff., Rn. 19; EuG, Urt. v. 15.05.1998, Rs. T-175/96, Slg. 1998, II-509 (S. 518), Rn. 23 (Berthu/Kommission); EuG, Urt. v. 09.04.1997, Rs. T-47/95, Slg. 1997, S. 481 (S. 494), Rn. 43 (Terres Rouges/Kommission). 259 Vgl. EuG, Urt. v. 24.03.1994, Rs. T-3/93, Slg. 1994, II-121, Rn. 69 (Air France/ Kommission). 260 Vgl. H. R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 87 ff., m.w. N.; L. Habermann/H. Pietzsch, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Februar 2004, Heft 24, S. 6 ff., m.w. N.; A. Arnull, CML Rev. 2001, S. 7 ff. 261 Vgl. U. Everling, EuZW 2010, S. 572 ff.; ders., EuR 2009, S. 73; 3. Teil, 3. Kap., A., I., 3. 262 EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1005 (Allied Corporation u. a./Kommission); Anm. dazu H.-C. Heydebrand, NJW 1985, S. 1257 ff.; EuGH, Urt. v. 23.05.1985, Rs. C-53/83, Slg. 1985, S. 1621 ff. (Allied Corporation u. a./Rat).
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 903
zurück. Mit diesen Urteilen hat der EuGH Exporteuren aus Drittländern die Möglichkeit eröffnet, direkt gegen Antidumpingzollverordnungen auf europäischer Ebene zu klagen. In den Urteilsgründen wird zum ersten Mal ausdrücklich festgestellt, dass produzierende und exportierende ausländische Unternehmen von einer Antidumpingzollverordnung unmittelbar und individuell betroffen und damit zur Erhebung der Nichtigkeitsklage befugt sein können, wenn sie in der Verordnung der Kommission oder des Rates „namentlich genannt oder von den vorhergehenden (Antidumping-) Untersuchungen betroffen“ sind.263 So hielt der EuGH beispielsweise im Extramet-Fall das klagende Unternehmen für individuell betroffen, da es der größte Importeur der von einer Antidumpingzollverordnung264 betroffenen Ware und zugleich Endverbraucher des Erzeugnisses war.265 Später dehnte der EuGH die zulässige Anfechtung von „echten“ Verordnungen auch auf andere Rechtsbereiche insbesondere des Wettbewerbsrechts aus, beispielsweise im Fall „Codorniu“, bei dem es um die Nutzung des für Schaumweine eingetragenen Markenzeichens „crémant“ auch durch spanische Hersteller ging, obwohl dazu nach einer Gemeinschaftsregelung nur französische und luxemburgische Produzenten berechtigt sein sollten. Hier beurteilte der EuGH den angegriffenen Rechtsakt als „echte“ Verordnung und ermöglichte dann deren Anfechtung durch die spanische Gesellschaft „Codorniu SA“. Der EuGH hatte hier die individuelle Betroffenheit daraus abgeleitet, dass die angegriffene Regelung den klagenden Produzenten daran hindere, sein seit langem eingetragenes Markenrecht auszuüben.266 Nach ständiger Rechtsprechung der europäischen Gerichte bedeutet jedoch der Umstand, dass die Personen, für die eine europäische Handlung bzw. Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, nicht unbedingt, dass diese als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern nur feststeht, dass die jeweils umstrittene Maßnahme aufgrund
263 EuGH, Urt. v. 21.02.1984, Rs. C-239, 275/82, Slg. 1984, S. 1005, Rn. 11 ff. (Allied Corporation u. a./Kommission), kritisch dazu H.-C. Heydebrand, NJW 1985, S. 1257 ff. 264 EWG-Verordnung Nr. 2808/89 des Rates vom 18. September 1989 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Calcium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China und der Sowjetunion und zur endgültigen Vereinnahmung der vorläufigen Antidumpingzölle auf diese Einfuhren. 265 EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/89, Slg. 1991, I-2501 (Extramet Industrie/ Rat). 266 EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 21 (Codorniu SA/Rat); vgl. dazu J. Gundel, VerwArch 2001, S. 92 ff.; A. Arnull, CML Rev. 1995, S. 7 ff., m.w. N. Konkreter wurde der EuGH im ähnlich gelagerten Vorabentscheidungsfall SMW Winzersekt (EuGH, Urt. v. 13.12.1994, Rs. C-306/93, Slg. 1994, I-5555 [SMW Winzersekt/Land Rheinland-Pfalz]), als er feststellte, dass die untersagte Verwendung eines herkömmlich genutzten Markenzeichens einen Eingriff in das Gemeinschaftsgrundrecht auf freie Berufsausübung darstelle.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist.267 Obwohl es möglich ist, die Zahl, aber auch die Identität der betroffenen Personen zu bestimmen, wird somit die Rechtsnatur dieser Handlung als Verordnung nicht ipso facto in Frage gestellt werden.268 Wie der EuGH festgestellt hat, verliert ein Rechtsakt seine allgemeine Geltung und damit seinen Normcharakter nicht dadurch, dass sich die Rechtssubjekte, auf die er in einem bestimmten Zeitpunkt Anwendung findet, der Zahl oder sogar der Identität nach mehr oder weniger genau bestimmen lassen, solange feststeht, dass diese Anwendung aufgrund einer objektiven rechtlichen oder tatsächlichen Situation erfolgt, die in dem Rechtsakt im Zusammenhang mit seiner Zielsetzung umschrieben ist.269
267 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.02.1996, Rs. C-209/94 P, Slg. 1996, I-00615, Rn. 24 (Buralux SA u. a./Rat), BeckEuRS 1996, 212273; EuGH, Urt. v. 15.06.1993, Rs. C-264/91, Slg. 1993, I-3265, Rn. 16 (Abertal u. a./Rat), BeckEuRS 1993, 197882; EuGH, Beschl. v. 24.05.1993, Rs. C-131/92, Slg. 1993, I-02573, Rn. 13 (Arnaud u. a./Rat), BeckEuRS 1993, 198166; EuGH, Urt. v. 16.03.1978, Rs. C-123/77, Slg. 1978, S. 845 (UNICME/ Rat). 268 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.03.1982, Rs. C-45/81, Slg. 1982, S. 1129 (S. 1144), Rn. 17 ff. (Moksel/Kommission). 269 Vgl. EuGH, Urt. v. 29.06.1993, Rs. C-298/89, Slg. 1993, I-3605, Rn. 17 (Gibraltar/Rat). Vgl. auch EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-04017, Rn. 75 ff. (Etimine SA u. a./Kommission). Indizierend dazu sind die Feststellungen des EuG-Urteils in Rn. 76, 78: „Da die Kläger – Wirtschaftsteilnehmer, die Schürfrechte für Borate besitzen und durch die (umstrittene) Maßnahme zur Einstufung dieses Erzeugnisses als gefährlichen Stoff berührt werden – keine anderen, vergleichbare Rechte besitzenden Wirtschaftsteilnehmer identifiziert noch dargelegt haben, aus welchen Gründen diese in Anbetracht ihrer besonderen Eigenschaften einen beschränkten Kreis bilden könnten, und da sie außerdem nicht nachgewiesen haben, dass die fraglichen Einstufungen bezweckten oder bewirkten, den Umfang der geltend gemachten ausschließlichen Rechte zu beeinträchtigen oder gar ihre Ausübung zu verhindern, können sie nicht als von der fraglichen Maßnahme im Sinne des Art. 230 EG individuell betroffen angesehen werden.“ (Rn. 78) „[. . .] Die fraglichen Einstufungen berühren nämlich nicht die ausschließlichen Rechte der Kläger, Borverbindungen in die Union einzuführen und dort zu vertreiben. Der bloße Umstand, dass diese Einstufungen geeignet sind, die Ausübung dieser ausschließlichen Rechte gegebenenfalls zu erschweren, reicht nicht aus, um die Kläger im Sinne des Art. 0230 Abs. 4 EG zu individualisieren, da sie a priori sämtliche Wirtschaftsteilnehmer, die mit dem Import und/oder dem Vertrieb von Borverbindungen in die Union verbundene Tätigkeiten ausüben oder ausüben könnten, gleichermaßen betreffen, ob sie insoweit über ausschließliche Rechte verfügen oder nicht. Die Möglichkeit, dass die Kläger aufgrund der angegriffenen Einstufungen einen – vielleicht sogar erheblichen – wirtschaftlichen Nachteil erleiden, genügt nicht darzutun, dass diese Einstufungen sie gegenüber allen anderen Wirtschaftsteilnehmern, die vergleichbaren Folgen ausgesetzt sein können, individualisieren. Schließlich kann auch der Umstand, dass ein Kläger der größte Einführer von Boraten in die Union ist, diesen nicht gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern individualisieren. Ein kleinerer Wirtschaftsteilnehmer, der über ähnliche Vertriebsrechte verfügt, wird nämlich vergleichbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sein, da diese Einstufungen alle in dieser Eigenschaft und entsprechend ihrer Größe und dem Umfang ihrer mit den Boraten verbundenen Geschäftstätigkeit betreffen.“
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 905
In diesem Rahmen wurde in der Praxis insbesondere das Kriterium der individuellen Betroffenheit für nicht privilegierte Personen nur selten von der europäischen Gerichtsbarkeit als ausreichend dafür angenommen, die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage vor den europäischen Gerichten zu rechtfertigen.270 Unabhängig von der Zahl der tatsächlich betroffenen Personen ist zwischen Normativakt (Verordnung) und Einzelfallentscheidung danach abzugrenzen, ob der Adressatenkreis der Maßnahme nach ihrem Inkrafttreten offen oder geschlossen ist. Ist der personelle Anwendungsbereich des Rechtsakts abstrakt definiert, so dass er sich theoretisch im Laufe der Zeit ändern kann, so behält die Maßnahme ihren allgemeinen Normcharakter auch dann, wenn sich ihre Adressaten der Zahl oder sogar ihrer Identität nach genau bestimmen lassen.271 Ist der Adressatenkreis einer Maßnahme demgegenüber geschlossen (z. B. durch Bezugnahme auf einen zurückliegenden Zeitraum oder einen sonst abgeschlossenen Sachverhalt), so handelt es sich in der Sache um einen anfechtbaren Rechtsakt.272
II. Versuche der Erweiterung der Nichtigkeitsklagegegenstände unter Auflagen auf Richtlinien Entsprechende Grundsätze gelten auch für Richtlinien, obwohl hier die unmittelbare Betroffenheit von Privaten regelmäßig noch problematischer ist. Hauptgrund dafür ist, dass das dargestellte Abgrenzungskriterium des offenen oder geschlossenen Adressatenkreises bei einer Übertragung auf Richtlinien grundsätzlich ins Leere läuft, da Richtlinien stets an die Mitgliedstaaten gerichtet sind.273 Bei inhaltlich detaillierten und abschließenden Richtlinien, die den Mitgliedstaaten praktisch keinen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung mehr las-
270 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.01.1985, Rs. C-11/82, Slg. 1985, 00207, Rn. 5 ff. (Peiraiki Patraiki u. a./Kommission), EuR-Lex; EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853 (Codorniu SA/Rat), BeckEuRS 1994, 203771; EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 100 ff. (Etimine u. a./Kommission). 271 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.04.1988, Rs. C-97, 193, 99 und 215/86, Slg. 1988, 2181, Rn. 13 (Asteris u. a./Kommission); O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 107, m.w. N. 272 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.05.1971, Rs. 41/70, Slg. 1971, S. 411 ff., Rn. 23 (International Fruit Company u. a./Kommission), NJW 1971, S. 1534 ff.; EuGH, Urt. v. 03.05. 1978, Rs. C-112/77, Slg. 1978, 1019, Rn. 9 (Töpfer/Kommission). 273 Vgl. EuG, Urt. v. 17.06.1998, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 66 (UEAPME/Rat); EuG, Urt. v. 27.06.1997, Rs. T-172/98, T-175/98 bis T-177/98, Slg. 2000, II-2487 (S. 2504, 2512), Rn. 30, 58 (Salamander u. a./Europäisches Parlament, Rat); W. Cremer, EuZW 2001, S. 453 ff.; ders., in: C. Nowak/W. Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, 2002, S. 27 ff.; S. 30 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 94 ff.; C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1352 ff., m.w. N.; F. v. Burchard, EuR 1991, S. 140 ff.; D. König, JuS 2003, S. 258 ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
sen, bietet sich allerdings eine Parallele zu Entscheidungen an, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind.274 In Anlehnung an die entsprechende Entwicklung der Rechtsprechung im Bereich der Verordnungen unterliegen zum Teil auch Richtlinien einer Anfechtbarkeit durch nicht privilegierte private Drittkläger. Die Rechtsprechung und der Großteil der Literatur sind bisher einig bezüglich der Anfechtbarkeit der sog. „Scheinrichtlinien“, die in der Sache wie Entscheidungen wirken.275 Der EuGH hat beispielsweise im Asocarne-Urteil anerkannt, dass – unabhängig von ihrer Form – mit der Nichtigkeitsklage sämtliche Rechtsakte angefochten werden können, die den Charakter einer individuellen Entscheidung haben.276 Dies betrifft auch Richtlinienbestimmungen, die in der Form „verschleierter Entscheidungen“ erlassen worden sind.277 Um eine „Scheinrichtlinie“ handelt es sich, sofern der 274 Vgl. F. v. Burchard, EuR 1991, S. 160 ff.; O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 110. 275 Vgl. EuG, Urt. v. 17.06.1998, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 68 ff. (UEAPME/Rat) „[. . .] Ein normativer Akt, der auf alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, kann unter bestimmten Umständen einige von ihnen individuell betreffen.“; EuGH, Urt. v. 29.06.1993, Rs. C-298/89, Slg. 1993, I-3605, Rn. 17 (Gibraltar/Rat); C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union. Zum Verhältnis von Art. 47 Abs. 1, 2 EU-GRCh und Art. 263 ff. AEUV, 2008; C.-D. Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtssystem der Europäischen Union, 2010, S. 39 ff., S. 100 ff., m.w. N.; W. Cremer, EuZW 2001, S. 453 ff., m.w. N. 276 EuGH, Urt. v. 23.11.1995, Rs. C-10/95, Slg. 1995, I-4149 (S. 4156 ff.), Rn. 29 ff. (Asocarne/Rat). 277 EuGH, Urt. v. 23.11.1995, Rs. C-10/95, Slg. 1995, I-4149 (S. 4156 ff.), Rn. 29– 32 (Asocarne/Rat): „Eine Richtlinie stellt, selbst wenn sie grundsätzlich nur für ihre Adressaten, die Mitgliedstaaten, verbindlich ist, normalerweise eine Form der mittelbaren Gesetzgebung oder Regelung dar. Der Gerichtshof hat Richtlinien im übrigen mehrfach als allgemeingültige Handlungen qualifiziert.“ Vgl. insb. EuGH, Urt. v. 22.02. 1984, Rs. C-70/83, Slg. 1984, 1075, Rn. 11 (Kloppenburg/Finanzamt Leer); EuGH, Urt. v. 29.06.1993, Rs. C-298/89, Slg. 1993, I-3605, Rn. 16 (Gibraltar/Rat). Außerdem verliert eine Handlung nach ständiger Rechtsprechung ihren normativen Charakter nicht dadurch, dass sich die Rechtssubjekte, für die sie gilt, nach Zahl oder sogar Identität mit mehr oder weniger großer Genauigkeit bestimmen lassen. [Vgl. EuGH, Urt. v. 11.07.1968, Rs. C-6/68, Slg. 1968, 611 (Zuckerfabrik Watenstedt/Rat); EuGH, Urt. v. 16.04.1970, Rs. C-64/69, Slg. 1970, 221, Rn. 11 (Compagnie française commerciale et financière/Kommission); EuGH, Urt. v. 30.09.1982, Rs. C-242/81, Slg. 1982, 3213, Rn. 7 (Roquette Frères/Rat); EuGH, Urt. v. 26.04.1988, Rs. C-97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, Slg. 1988, 2181, Rn. 13 (Asteris u. a./Kommission); EuGH, Urt. v. 13.07.1988, Rs. C-160/88, Slg. 1988, 06399, Rn. 29 (Fédération européenne de la santé animale u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 24.11.1992, Rs. C-15/91 und C-108/91, Slg. 1992, I-6061, Rn. 25 (Buckl u. a./Kommission); EuGH, Urt. v. vom 15.06.1993, Rs. C-264/91, Slg. 1993, I-3265, Rn. 16 (Abertal u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 29.06.1993, Rs. C-298/89, Slg. 1993, I-3605, Rn. 17 (Gibraltar/Rat).] Im vorliegenden Fall enthält die streitige Richtlinie keine spezielle Vorschrift, die den Charakter einer individuellen Entscheidung hätte; sie stellt eine Handlung mit allgemeiner normativer Geltung dar, die allgemein und abstrakt alle Unternehmer der Mitgliedstaaten betrifft, die bei Ablauf der Umsetzungsfristen die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllen, und muss außer-
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 907
darin angesprochene Kreis der privaten Adressaten der materiellen Regelungen bereits bei Erlass der Richtlinie unveränderlich feststeht.278 Zu beachten ist, dass die Anfechtbarkeit solcher Richtlinien aus der zentralen Absicht bzw. Überlegung des europäischen Gesetzgebers folgt, dass die europäischen Organe den Rechtsschutz, den das Primärrecht für den Einzelnen vorsieht, nicht einfach durch die Wahl der Form des betreffenden Rechtsakts vereiteln sollen.279 Uneinigkeit herrscht jedoch bei der Frage, ob auch „echte“ Richtlinien im Sinne von Art. 288 Abs. 3 AEUV (Art. 249 Abs. 3 EGV), d.h. Richtlinien mit allgemeiner Geltung, die von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen sind und abstrakt für objektiv bestimmte Situationen gelten,280 als taugliche Klagegegenstände einer Nichtigkeitsklage privater Kläger in Betracht kommen.281 Einerseits erkennt das EuG in Anlehnung an die entsprechende Rechtsprechung zu Verordnungen eine solche Anfechtungsmöglichkeit an, sofern der Einzelne durch eine solche Richtlinie unmittelbar und individuell betroffen wird.282 Demgegenüber aber scheint der EuGH weiterhin davon auszugehen, dass „echte“ Richtlinien keiner Anfechtbarkeit unterliegen.283 dem in die jeweilige innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt werden, um anwendbar zu sein. Daher hat das Gericht die Auffassung vertreten können, dass die fragliche Richtlinie keine „verschleierte“ Entscheidung darstelle, und brauchte nicht zu prüfen, ob Richtlinien für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Klage natürlicher oder juristischer Personen gegen eine als Richtlinie ergangene Entscheidung Verordnungen gleichgesetzt werden können. Auch im Urteil zur Tabakwerbung „Salamander“ wird auf die oben erwähnte Rspr. Bezug genommen: EuG, Urt. v. 27.06.1997, Rs. T-172/98, T175/98 bis T-177/98, Slg. 2000, II-2487 (S. 2504, 2512), Rn. 27 ff. (Salamander u. a./ Europäisches Parlament, Rat); „[. . .] Doch selbst ein normativer Akt (in diesem Fall eine Richtlinie), der für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, kann unter bestimmten Umständen einzelne von ihnen unmittelbar und individuell betreffen [. . .] Es ist daher zu prüfen, ob die streitige Richtlinie die Kläger/innen unmittelbar und individuell betrifft.“ 278 Vgl. EuGH, Urt. v. 29.06.1993, Rs. C-298/89, Slg. 1993, I-3605, Rn. 17 (Gibraltar/Rat); EuG, Urt. v. 17.06.1998, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 68 ff. (UEAPME/Rat). 279 Vgl. EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 94 ff. (Arcelor SA/Europäisches Parlament und Rat); A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 94, m.w. N. 280 Vgl. z. B. EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 45 (Arcelor SA/Europäisches Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878. 281 Vgl. E. Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 59 ff.; R. v. d. Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 30 ff., m.w. N.; L. Habermann/H. Pietzsch, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Febr. 2004, Heft 24, S. 23 ff., m.w. N.; W. Cremer, EuZW 2001, S. 453 ff., m.w. N. 282 Vgl. EuG, Urt. v. 17.06.1998, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 68 ff. (UEAPME/Rat); EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 94 ff. (Arcelor SA/Europäisches Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878, m.w. N.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 94, m.w. N. 283 EuGH, Urt. v. 29.06.1993, Rs. C-298/89, Slg. 1993, I-3605, Rn. 23 ff. (Gibraltar/ Rat).
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Es besteht somit noch ein gewisser Klärungsbedarf bei der Beantwortung der Frage, ob auch „echte“ Richtlinien als Klagegegenstände in Betracht kommen.284 Da aber „echte“ Richtlinien oftmals nur einen äußerst geringen Umsetzungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber lassen, spricht vieles dafür, die Anfechtungsfrage analog zur Rechtsprechung bezüglich „echter“ Verordnungen zu lösen. Danach wären Richtlinien dann als taugliche Klagegegenstände vor allem anzuerkennen, wenn der Kläger von diesen als unmittelbar und individuell betroffen in dem schon dargestellten Sinne anzusehen ist.285
III. Hintergründe der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger Schon vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrages bzw. dem Inkrafttreten des AEUV waren im Rahmen des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagebefugnis nicht privilegierter Kläger, insbesondere gegen Rechtsakte mit allgemeiner Wirkung (Verordnungen oder Richtlinien), zentraler Streitpunkt.286 Es wurde behauptet, dass dieses enge Rechtsschutzkonzept nicht den aktuellen Anforderungen des modernen EU-Rechts, das unter anderem auch einen effektiven Rechtsschutz der weit auszulegenden Interessen der Klageberechtigten bezweckt, entsprach. Daher wurde vielmals empfohlen, diese Norm zu modifizieren.287 284 Vgl. E. Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 59 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 95. 285 Vgl. A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 84 ff.; dazu auch R. v. d. Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 30 ff. 286 Vgl. C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008; A. Thiele, Individualrechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof durch die Nichtigkeitsklage, 2006, S. 102 ff., S. 215 ff.; vgl. auch H. H. Fredriksen, ZEUS 2005, S. 106 ff., m.w. N.; J. A. Usher, E.L.Rev. 2003, S. 575 ff.; M. Varju, E.P.L. 2004, S. 43 ff.; H. Rasmussen, E.L.Rev. 1980, S. 112 ff.; C. Koch, E.L.Rev. 2005, S. 511 ff.; M. Hedemann-Robinson, E.P.L. 1996, S. 127 ff.; P. Craig, E.P.L., 2003, S. 493 ff.; A. Albors-Llorens, CLJ 2003, S. 72 ff.; U. Everling, EuR 2009, S. 73 ff. 287 Damit hat sich z. B. auch der 60. Deutsche Juristentag beschäftigt, der im Jahr 1994 in Münster stattfand. Es ist charakteristisch, dass bei seinen Beschlüssen nicht dem Gutachten von M. Dauses gefolgt wurde, wonach, außer hinsichtlich der Klagebefugnis von Gebietskörperschaften, die Grundkonzeption des Vertrages „in sich konsistent und von systemimmanenten Rechtsschutzlücken frei“ sei (M. Dauses, Gutachten, für den 60. DJT 1994, Bd. I, S. 109). Im Gegensatz dazu hatte vielmehr die Abteilung Europarecht des 60. Deutschen Juristentages hinsichtlich des individuellen Rechtsschutzes im Europarecht zusammengefasst folgende Forderungen erhoben: „1. Gegen Gemeinschaftsakte sollte eine Verfassungsbeschwerde zum EuGH wegen Verletzung von Grundrechten nach Erschöpfung des Rechtsweges eingeführt werden. 2. Die Klagebefugnis der Einzelnen sollte auf unmittelbar wirksame Normakte ausgedehnt werden, soweit der Einzelne geltend machen kann, durch diese Akte in seinen subjektiven Rechten, insbesondere seinen Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Positionen verletzt zu sein. 3. Gegen Allgemeinverfügungen und an Dritte gerichtete Entscheidungen muss die Klagebefugnis Einzelner gegeben sein, soweit sie in ihren rechtlich geschützten Interes-
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 909
Trotz der heftigen Diskussion wurde dieses Konzept bis zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages in der rund sechzigjährigen Geschichte der Römischen Verträge nicht grundsätzlich geändert.288 Für die Zulassung der Klagebefugnis eines Drittklägers gegen europäische Rechtsakte mit allgemeiner Wirkung hielten der europäische Gesetzgeber sowie die europäische Rechtsprechung an der oben dargestellten sog. Plaumann-Formel289 fest.290 Obwohl das sog. Plaumann-Urteil des EuGH im Jahr 1963 getroffen wurde, beeinflusst es bis heute den Individualrechtsschutz des europäischen Rechts. Zwar war in der Literatur diesbezüglich vor allem gefordert worden, bei der individuellen Betroffenheit stärker die Eingriffsintensität (etwa in Grundrechte) der angefochtenen Handlung zu berücksichtigen und weniger den Vergleich mit anderen Betroffenen zu suchen.291 Diese These konnte aber bislang nicht durchgesetzt werden. Zu beachten ist, dass der EuGH die Plaumann-Formel bisher keiner wesentlichen erweiterten Änderung in der europäischen Rechtsprechung unterzog.292 Die Plaumann-Formel ist vielmehr das Ergebnis einer überkommenen Auslegung des EGV, die durch ihre Enge das Europarecht von allen mitgliedstaatlichen Rechtssystemen, die ebenfalls dem System objektiven Rechtsschutzes anhängen, ungünstig unterscheidet.293 sen verletzt sind.“ (Beschlüsse, 60. DJT 1994, Bd. II/1, N. 58; D. Booß, Art. 230 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2009, Rn. 136 ff., m.w. N.). Wie gezeigt werden soll, wurden allerdings diese Forderungen nur teilweise von der neuen entsprechenden Rechtsschutznorm des Art. 263 Abs. 4 AEUV realisiert; s. u. 3. Teil, 5. Kap., B. ff. 288 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 546 ff., m.w. N. 289 s. o. 3. Teil, 1. Kap., C., IV., 3. 290 EuGH, Urt. v. 15.07.1963, Rs. C-25/62, Slg. IX (1963), S. 211, S. 238, Rn. I (Plaumann/Kommission), NJW 1963, S. 2246; diesem Urteil wird bisher von der ständigen Rechtsprechung des EuGH gefolgt: EuGH, Urt. v. 24.02.1987, Rs. C-26/86, Slg. 1987, S. 941 (Deutz und Geldermann/Rat); EuGH, Urt. v. 24.05.1993, Rs. C-131/92, Slg. 1993, I-02573 (Arnaud u. a./Rat), BeckEuRS 1993, 198166; EuGH, Urt. v. 18.05. 1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 20 (Codorniu SA/Rat), BeckEuRS 1994, 203771; EuGH, Urt. v. 19.05.1993, Rs. C-198/91, Slg. 1993, I-2487, Rn. 20 (Cook/ Kommission), BeckRS 2004, 74879; EuGH, Urt. v. 15.06.1993, Rs. C-225/91, Slg. 1993, I-3203, Rn. 14 (Matra/Kommission), BeckRS 2004, 75220; EuGH, Urt. v. 22.11. 2007, Rs. C-260/05 P, Slg. 2007, I-10005, Rn. 53 (Sniace/Kommission); EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff., S. 663 ff.; EuG, Urt. v. 25.06.1998, Rs. T-14/97, Slg. 1998, II02601, Rn. 35 (Sofivo SAS u. a./Rat), BeckEuRS 1998, 230365; EuG, Urt. v. 30.09.1999, Rs. T-122/96, Slg. 1997, II-01559 (Federolio/Kommission), BeckEuRS 1997, 221962; K.-D. Borchardt, Art. 230 EGV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV-Komm., 2006, Rn. 28 ff., m.w. N. 291 Vgl. W. Hakenberg/C. Schilhan, ZfRV 2008, S. 107; A. Thiele, EuR 2010, S. 38 ff. 292 Mehr dazu s. u. 3. Teil, 3. Kap., C. ff.; 3. Teil, 5. Kap., A. ff. 293 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 30; T. Katsoufros/K. Popotas, NkF 1994, S. 27 ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Dass die Auslegung einer den Individualrechtsschutz garantierenden Norm durch die Entwicklung der europäischen Rechtsordnung grundsätzlich unberührt blieb, sollte nicht völlig überraschend erscheinen. Angesichts der sich stetig ausweitenden Kompetenzen der EG bzw. EU und der damit einhergehenden, in immer größerem Maße bestehenden Betroffenheit des einzelnen europäischen Bürgers durch Handlungen der EG bzw. EU war vermutlich dieser Befund letztlich nicht unplausibel.294 Unabhängig davon muss beachtet werden, dass neben der Absicht des europäischen Gesetzgebers, eine Klageflut vor den europäischen Gerichten zu vermeiden sowie die Gewährleistung eines möglichst hohen Rechtssicherheitsstandards zu gewährleisten,295 naheliegend erscheint, noch ein anderes wesentliches Motiv anzumerken, das das Beharren der europäischen Rechtsprechung bzw. Gesetzgebung auf der Plaumann-Formel erklären kann. An dieser Stelle drängt sich die Beobachtung auf, dass in der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten direkte Klagen gegen Akte der Legislative unbekannt oder zumindest nur unter stark eingeschränkten Voraussetzungen möglich sind.296 Demzufolge musste die rein richterrechtliche Einführung einer prinzipalen Normenkontrolle gegen „Legislativakte“ (also Rechtsakte mit Gesetzescharakter)297 auf EU-Ebene als problematisch erscheinen. Der ständige Hinweis der EuGH-Rechtsprechung298, es sei Sache der Mitgliedstaaten, das derzeit geltende System gegebenenfalls zu reformieren, deutet ebenfalls in diese Richtung.299 Außerdem findet sich das gleiche Motiv, dass die Staaten nicht zur Einführung einer 294
Vgl. S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1421 ff., m.w. N. Vgl. E. Stein/J. Vining, in: F. Jacobs (Hrsg.), European Law and the Individual, 1976, S. 176 ff.; H. Rasmussen, E.L.Rev. 1980, S. 122 ff., m.w. N.; K.-D. Borchardt, Art. 230 EGV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EU/EGV-Komm., 2006, Rn. 30; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 98, m.w. N.; F. v. Burchard, EuR 1991, S. 146 ff.; M. Eliantonio/N. Stratieva, Maastricht Faculty of Law, Working Paper 2009/ 13, S. 8 ff.; K. Schiemann, Garner Lecture 2010 (UKELA), S. 7; jeweils m.w. N. 296 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 192; U. Wölker, DÖV 2003, S. 573 ff.: In Dänemark und Irland besteht ein Klagerecht gegen Gesetze ohne das Erfordernis individueller Betroffenheit, in Belgien, Deutschland, Österreich, Schweden und dem Vereinigten Königreich ist eine solche Klagebefugnis mehr oder weniger stark eingeschränkt, die (damals) übrigen acht Mitgliedstaaten kennen ein solches Klagerecht überhaupt nicht; M. Dougan, CMLR 2008, S. 675 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1423 ff.; vgl. auch die hierzu relevante Kritik von M. Kottmann, ZaöRV 2010, S. 561 ff. Im griechischen Recht besteht allerdings bisher grundsätzlich keine Klagemöglichkeit gegen Gesetze s. o. 2. Teil, 1. Kap., B., V. 297 Mehr zum Begriff der unionalen Legislativakte s. o. 3. Teil, 4. Kap., B., I. 298 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 31 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I 6677, Rn. 43 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; ausführlich zu dieser Rechtsprechung s. u. 299 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 192; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 546 ff. 295
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 911
prinzipalen Normenkontrolle verpflichtet sind, im Übrigen auch in der Rechtsprechung des EGMR.300 Zwar hat der EuGH angenommen, dass die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklagen im Lichte des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu beurteilen sei. Dieser Grundsatz könne aber nicht über das Erfordernis der individuellen Betroffenheit hinweghelfen. Denn eine so weitgehende Erweiterung der Klagebefugnis setzte sich über den Vertragstext hinweg und könne vermutlich nur durch eine Reform desselben erreicht werden.301 Die restriktive Wirkung der europäischen Gerichtsbarkeit im Zusammenhang mit den oben ausgeführten rechtspolitischen Faktoren (wie die Vermeidung von Klagefluten, die Gewährleistung eines möglichst hohen Rechtssicherheitsstandards, der Schutz des rechtspolitischen Kerns der Gemeinschaft vor der Erhebung unbegründeter Klagen Privater sowie die Verhinderung sogenannter Popularklagen)302 erklärt somit die ständige Tendenz der europäischen Rechtsprechung, die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klagebefugnis von nicht privilegierten Privaten auf der Ebene der europarechtlichen Nichtigkeitsklage besonders restriktiv auszulegen und damit den Zugang dieser Kläger zu europäischen Gerichten einzuschränken.303 Durch eine solche enge Auslegung sollte auch sichergestellt werden, dass es erst dann zur Anrufung der europäischen Gerichtsbarkeit kommt, wenn sowohl die Art und Weise als auch der Eintritt einer wahren Beeinträchtigung der Rechtsstellung der nicht privilegierten Klageberechtigten mit Sicherheit feststeht. Vor diesem Hintergrund äußerte auch der Ministerrat als zentrales Legislativorgan der EU die Befürchtung, es könne zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen, wenn in gemeinschaftsweitem Umfang Normativakte in Frage gestellt werden könnten. Denn es beeinträchtige die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft, wenn 300 Weder Art. 6 noch Art. 13 EMRK erfordern einen Rechtsschutz gegen Normativakte. Vgl. EGMR, Urt. v. 05.05.2002– Nr. 51564/99, Rn. 75 (Conka u. a./Belgien); EGMR, Urt. v. 26.10.2000 – Nr. 30210/96, Rn. 157 (Kudla/Polen); EGMR, Urt. v. 26.10.2000 – Nr. 9006/80; 9262/81; 9263/81; 9265/81; 9266/81; 9313/81; 9405/81, Rn. 205 ff. (Lithgow u. a./Vereinigtes Königreich); EGMR, Urt. v. 21.02.1986 – Nr. 8793/79, Rn. 84 ff. (James u. a./Vereinigtes Königreich); M. Breuer, Art. 13 EMRK, in: U. Karpenstein/F. Mayer (Hrsg.), EMRK-Komm., 2012, Rn. 16, m.w. N. 301 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 44 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 546 ff. 302 Vgl. E. Stein/J. Vining, in: F. Jacobs (Hrsg.), European Law and the Individual, 1976, S. 176 ff.; H. Rasmussen, E.L.Rev. 1980, S. 122 ff., m.w. N.; K.-D. Borchardt, Art. 230 EGV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EU/EGV-Komm., 2006, Rn. 30; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, S. 98, m.w. N.; F. v. Burchard, EuR 1991, S. 146 ff.; M. Eliantonio/N. Stratieva, Maastricht Faculty of Law, Working Paper 2009/ 13, S. 8 ff., m.w. N. 303 Vgl. H. Rasmussen, E.L.Rev. 1980, S. 112 ff., m.w. N.; E. Stein/J. Vining, Citizens’ access to judicial review of administrative action in a transnational and federal context, in: F. Jacobs (Hrsg.), European Law and the Individual, 1976, S. 176 ff., m.w. N.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
auf diesem Wege Rechtsvorschriften aufgehoben würden, die erst nach mühsamen Verhandlungen verabschiedet werden könnten.304 Bemerkenswert ist, dass der Vorläufer der Plaumann-Formel Art. 32 Abs. 2 EGKSV war. Diese Norm lautete: „Die Unternehmen oder die in Artikel 48 genannten Verbände können unter denselben Bedingungen Klage gegen die sie individuell betreffenden Entscheidungen und Empfehlungen oder gegen die allgemeinen Entscheidungen und Empfehlungen erheben, die nach ihrer Ansicht einen Ermessensmißbrauch ihnen gegenüber darstellen.“
Der EGKSV sah also das Rechtsbehelfsinstrument einer Verbandsklage vor. Dieses Instrument diente allerdings nur der Verfolgung von Mitgliederinteressen und nicht dem Schutz von Allgemeininteressen. Trotzdem war die Klagebefugnis von Art. 32 Abs. 2 EGKSV im Vergleich zur Rechtslage der nachkommenden Römischen Verträge weiter, da keine unmittelbare und individuelle Betroffenheit verlangt wurde. Die oben dargestellte Klagebefugnis des EGKSV differenzierte allein nach der Natur des Rechtsaktes. Soweit es sich um individuelle Entscheidungen (d.h. Entscheidungen i. S. d. EWG-Vertrages) oder um individuelle Empfehlungen – wobei kein Äquivalent nach heutiger Rechtslage existiert – handelte, genügte es, dass der Kläger überhaupt „betroffen“ war. Ging es um „allgemeine Entscheidungen“, die teilweise den Verordnungen i. S. d. EWG-Vertrages entsprechen, oder um „allgemeine Empfehlungen“ (quasi Richtlinien i. S. d. EWGV), musste der Kläger einen Ermessensmissbrauch ihm gegenüber geltend machen.305 Die Zulassung direkter Klagen gegen abstrakt-generelle Normen war somit im Rahmen des EGKSV möglich, während die späteren Römischen Verträge sie generell ausschlossen. Während der Begriff der individuellen Betroffenheit unter dem EGKSV allein der Qualifizierung des Rechtsakts als Einzelakt diente, war diese Funktion unter den Römischen Verträgen durch den allgemeinen Begriff „Entscheidung“ erfüllt.306 Dabei bestand kumulativ neben der individuellen Betroffenheit auch das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit als Zulässigkeitsvoraussetzung eines nicht privilegierten Klageberechtigten. Es wurde hierin nämlich eine zusätzliche Einschränkung eingeführt. Erforderlich war dann für den Gesetzgeber sowie für die Rechtsprechung, dass der Kläger aus der Masse der betroffenen Personen aufgrund seiner besonderen Situation klar erkennbar war. 304 Vgl. T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1112; S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1421 ff.; jeweils m.w. N. 305 M. Breuer, DV 2012, S. 189 ff.; ausführlich zum Verhältnis der Rechtsakte nach EGKS-Vertrag und nach EWG-Vertrag vgl.: B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 73 f. m.w. N. 306 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 191, m.w. N.; C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 150.
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 913
Es ist grundsätzlich zu vermuten, dass diese Einschränkung des Zugangs zur Gerichtsbarkeit das Ergebnis einer Reaktion des EWG-Gesetzgebers gegenüber der weiten Klagebefugnis von Unternehmen und Verbänden im Rahmen des EGKSV darstellt. Die restriktive Klagebefugnis der Römischen Verträge war möglicherweise eine bewusste Grundentscheidung des europäischen Gesetzgebers, die mutmaßlich darauf beruht, dass aufgrund der Erweiterung der europäischen Zuständigkeiten der Kreis potentieller Kläger nach den Römischen Verträgen ungleich größer war als unter dem EGKSV.307
IV. Rechtsschutzdefizite im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens bzw. der europarechtlichen Schadensersatzklage Die Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger kann nicht vollständig durch das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) ausreichend beseitigt werden. Denn auch das Vorabentscheidungsverfahren ist von bestimmten Rechtsschutzdefiziten gekennzeichnet, soweit dadurch dem Individuum kein vollständiger Rechtsschutz gewährleistet werden kann.308 Es ist zunächst zu beachten, dass im Vorabentscheidungsverfahren der Kläger nicht entscheiden kann, ob eine Vorlagefrage gestellt wird, welche Handlungen zur Überprüfung vorgelegt oder welche Ungültigkeitsgründe vorgebracht werden. Die nationalen Gerichte sind nicht befugt, europäische Handlungen von allgemeiner Geltung entsprechend dem Begehren des Klägers für ungültig zu erklären. In einem Fall, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer unionsrechtlichen Handlung geht, ist die Zuständigkeit des nationalen Gerichts auf die Feststellung beschränkt, ob die Argumente des Klägers genügend Zweifel an der Gültigkeit der angefochtenen Handlung aufwerfen, um ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu rechtfertigen.309 Es muss beachtet werden, dass wenn ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt wird, es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist, die Fragen zu formulieren, die der EuGH beantworten soll. Individualkläger könnten daher ihr Klagebegehren von der Vorlagefrage neu definiert sehen. Durch die von nationalen Ge-
307 Vgl. O. Riese, EuR 1966, S. 43; M. Borowski, EuR 2004, S. 893; M. Breuer, DV 2012, S. 191, m.w. N. 308 Vgl. P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 103 ff.; GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 42 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat); vgl. auch A. v. Winterfeld, NJW 1988, S. 1413 ff.; C. Gröpl, EuGRZ 1995, S. 589; J. Sedemund/K. Heinemann, DB 1995, S. 1164 ff. 309 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 41 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; W. Frenz, Hdb. Europarecht, Wirkungen und Rechtsschutz, Bd. 5, 2010, Rn. 2304 ff.
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richten formulierten Fragen könnten zum Beispiel der Umfang der unionsrechtlichen Handlungen, die der Kläger anficht, oder die Ungültigkeitsgründe, auf die er sich beruft, eingeschränkt werden.310 Der eng beschränkten Zuständigkeit nationaler Gerichte in Fällen, in denen es um die Gültigkeit von unionsrechtlichen Handlungen geht, kann ihre wichtige Rolle in Fällen gegenübergestellt werden, in denen es um die Auslegung, Anwendung und Durchsetzung des EU-Rechts geht. In derartigen Fällen können nationale Gerichte als ordentliche Gerichte des EU-Rechts bezeichnet werden. Diese Bezeichnung ist jedoch nicht geeignet, wenn nur Fragen der Gültigkeit von unionsrechtlichen Handlungen gestellt werden, da in solchen Fällen die nationalen Gerichte nicht befugt sind, über die streitige Frage zu entscheiden.311 Darüber hinaus können es nationale Gerichte aus eigenen Gründen ablehnen, bestimmte Vorlagefragen an den EuGH zu stellen. Außerdem garantiert im Prinzip die Vorlage an den EuGH allein keinen effektiven Rechtsschutz. Auch wenn letztinstanzliche Gerichte gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 234 Abs. 3 EGV) zur Vorlage verpflichtet sind, sind Rechtsbehelfe innerhalb der nationalen Gerichtssysteme in der Regel mit langen Verfahrensdauern verbunden, die für sich selbst mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit unvereinbar sein könnten.312 Laut Rechtsprechungsstatistik des EuGH für das Jahr 2011 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Vorabentscheidungsersuchen 16,4 Monate (gegenüber 16 Monaten im Jahr 2010).313 Hinzu kommt die Dauer des nationalen Verfahrens, so dass bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung durchaus mehr als drei Jahre vergehen können. Allein durch die Länge der Verfahrensdauer könnte in vielen Fällen die Rechtsposition des Klägers vereitelt werden, selbst wenn er schließlich in der Sache Recht behalten sollte.314 Obwohl nach der Rechtsprechung des EuGH die Möglichkeit für das angerufene Gericht besteht, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren und selbst die Aussetzung einer EG-Verordnung anzuordnen,315 sind außerdem die Voraussetzun310
Ebd. Vgl. GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I06677, Rn. 41 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 111 ff. 312 Vgl. S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1428, m.w. N. 313 Vgl. EuGH, Rechtsprechungsstatistiken 2011; Pressemitteilung Nr. 14/12, Luxemburg, 17.02.2012. 314 Vgl. S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1428, m.w. N. 315 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.1995, Rs. C-465/93, Slg. 1995, I-3761, Rn. 30 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a./Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), NJW 1996, S. 1333 ff.; in diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 22.10.1987, Rs. C-314/85, Slg. 1987, 4199, Rn. 15 ff. (Foto-Frost/Hauptzollamt Lübeck-Ost), NJW 1988, S. 1451 ff.; EuGH, Urt. v. 21.02.1991, Rs. C-143/88, Slg. 1991, I-415, Rn. 17 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen/Hauptzollamt Itzehoe und Hauptzollamt Pad), NJW 1991, S. 2207 ff. 311
C. Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger 915
gen einer solchen Aussetzung eher unbestimmt und daher in der Praxis selten anwendbar.316 Nationale Gerichte selbst höchsten Ranges können zudem bei der ersten Beurteilung der Gültigkeit allgemeiner unionsrechtlicher Handlungen Rechtsfehler begehen und es deshalb ablehnen, dem EuGH Fragen zur Gültigkeit vorzulegen.317 Unabhängig davon – wie schon angedeutet wurde – könnte es für Individualkläger schwierig und in einzelnen Fällen sogar unmöglich sein, europarechtliche Handlungen anzufechten, die keiner Durchführungsmaßnahmen durch die nationalen Behörden bedürfen. Unter diesen Voraussetzungen gibt es somit keine solche Handlung, die geeignet ist, eine Grundlage für eine Klage vor nationalen Gerichten zu bilden. In solchen Fällen könnte somit eine Rechtsverweigerung vorliegen. Der Umstand, dass ein Einzelner, der von einer solchen Handlung betroffen ist, in einzelnen Fällen die Gültigkeit dieser Handlung vor den nationalen Gerichten anfechten könnte, indem er die mit ihr aufgestellten Vorschriften verletzt, um sich dann zu seiner Verteidigung in einem gegen ihn gerichteten Gerichtsverfahren auf die Ungültigkeit dieser Vorschriften zu berufen, mag für die europäische Rechtsordnung kein geeignetes Mittel zur Erlangung gerichtlichen Schutzes und europäischer Rechtssicherheit darstellen.318 Außerdem spricht die Rechtssicherheit dafür, dass eine allgemeine Handlung so früh wie möglich überprüft wird und nicht erst, wenn Durchführungshandlungen ergangen sind.319 Die indirekte Anfechtung von Handlungen von allgemeiner Geltung durch Vorabentscheidungsersuchen zur Gültigkeit nach Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) weist im Vergleich zur Direktklage gemäß Art. 263 AEUV (ex-Art. 230 EGV) beim Gericht auch eine Reihe prozessualer Nachteile auf. Solche Nach-
316 Erforderlich ist insofern, dass das Gericht erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der EU-Verordnung hat und die Gültigkeitsfrage dem EuGH vorlegt (sofern dieser nicht ohnehin bereits damit befasst ist), die Anordnung dringlich ist, um zu vermeiden, dass die beantragende Partei einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden erleidet, das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt wird und das Gericht bei seiner Entscheidung die Entscheidungen der europäischen Gerichte in gleichartigen Fällen beachtet. EuGH, Urt. v. 21.02.1991, Rs. C-143/88, Slg. 1991, I-415, Rn. 22 ff. (Zuckerfabrik Süderdithmarschen/Hauptzollamt Itzehoe und Hauptzollamt Pad), NJW 1991, S. 2207 ff.; EuGH, Urt. v. 09.11.1995, Rs. C-465/93, Slg. 1995, I-3761, Rn. 51 ff. (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), NJW 1996, S. 1333 ff. 317 Vgl. P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 103 ff.; GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 42 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat); vgl. auch A. v. Winterfeld, NJW 1988, S. 1413 ff.; C. Gröpl, EuGRZ 1995, S. 589; J. Sedemund/K. Heinemann, DB 1995, S. 1164 ff. 318 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 43 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat); P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 111 ff., m.w. N. 319 Ebd.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
teile beziehen sich insbesondere etwa auf die Beteiligung des jeweils zuständigen europäischen Organs, das die Handlung erlassen hat, die Verzögerungen und Kosten, den Erlass von einstweiligen Anordnungen oder anderen Maßnahmen.320 Darüber hinaus macht es das Verzögerungspotential, das Verfahren vor nationalen Gerichten mit der Möglichkeit von Rechtsbehelfen innerhalb des nationalen Systems innewohnt, wahrscheinlich, dass in vielen Fällen vorläufiger Rechtsschutz erforderlich wird. Parallel dazu ergeben sich zusätzliche Verzögerungen und Kosten, beispielsweise durch die Möglichkeit des Beitritts Dritter zum Rechtsstreit. Denn die Öffentlichkeit wird über die Erhebung der Klage durch eine Mitteilung informiert, die im Amtsblatt veröffentlicht wird, und Dritte können dem Rechtsstreit gem. Art. 37 der Satzung des EuGH beitreten, sofern sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen können.321 Problematisch dabei ist, dass einzelne Betroffene Erklärungen gem. Art. 20 der Satzung des EuGH nur dann einreichen können, wenn sie dem Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht beigetreten sind. Dies aber kann den Rechtsschutz des Einzelnen erschweren, denn obwohl Mitteilungen über Vorabentscheidungsverfahren im Amtsblatt veröffentlicht werden, ist es möglich, dass einzelne Personen von Klagen vor nationalen Gerichten zu einem für eine Intervention ausreichend frühen Verfahrensstadium keine Kenntnis haben.322 Die nationalen Gerichte sind zwar befugt, eine nationale Handlung, die aufgrund einer EU-Regelung ergangen ist, vorläufig auszusetzen oder eine einstweilige Anordnung zu erlassen, bis der EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen entschieden hat. Doch unterliegt die Ausübung dieser Befugnis einer Reihe von Bedingungen und ist trotz der Versuche des EuGH, eine Richtschnur für die Anwendung dieser Bedingungen zu geben, bis zu einem gewissen Grad vom Ermessen der nationalen Gerichte abhängig. Jedenfalls wären einstweilige Anordnungen eines nationalen Gerichts auf den betreffenden Mitgliedstaat beschränkt, und der Kläger könnte deshalb gezwungen sein, Verfahren in mehreren Mitgliedstaaten einzuleiten. Dies würde wegen der Möglichkeit einander widersprechender Entscheidungen von Gerichten in verschiedenen Mitgliedstaaten die einheitliche Anwendung des EU-Rechts beeinträchtigen und könnte sie in Ausnahmefällen vollständig untergraben.323 320 Vgl. ausführlich dazu P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 102 ff.; GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 102 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 321 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 102 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 322 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 47 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 323 Ebd., Rn. 44; P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 111 ff.
D. Fazit
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Dabei muss beachtet werden, dass die Verfahrensbedingungen der dezentralen Gültigkeitskontrolle von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden ausfallen. Während die deutschen Verwaltungsgerichte besonders kontrollfreudig sind, konzentriert sich beispielsweise das französische, spanische und griechische Verwaltungsprozessrecht eher auf Verfahren mit dem Ziel der Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen, was aber hinsichtlich vorbeugenden und vorläufigen Rechtsschutzes notorisch defizitär aussieht.324 Auch dieser Faktor könnte die Funktion des dezentralen Rechtsschutzes sowie die Gewährleistung einer effizienten, dem Prinzip der Rechtsschutzgewährung entsprechenden Rechtmäßigkeitskontrolle Normativakte des Sekundärrechts abschwächen.325 Auch mit der Erhebung einer Schadensersatzklage nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 288 Abs. 2 EGV) lässt sich der inzwischen bestandskräftig gewordene Rechtsakt auch dann nicht aus der EU-Rechtsordnung entfernen, wenn er rechtswidrig sein sollte.326 Die Schadensersatzklage, die den Eintritt eines unmittelbar durch die Anwendung des streitigen Rechtsakts verursachten Schadens voraussetzt, unterliegt somit grundsätzlich anderen Voraussetzungen für die Zulässigkeit und die Begründetheit als die Nichtigkeitsklage und versetzt den europäischen Richter daher nicht in die Lage, die Rechtmäßigkeitskontrolle, die er ordnungsgemäß durchzuführen hat, in ihrem ganzen Umfang wahrzunehmen. Insbesondere, wenn eine Maßnahme allgemeiner Geltung in Frage gestellt wird, erstreckt sich die Kontrolle des europäischen Richters nicht auf sämtliche Faktoren, die die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme beeinträchtigen könnten, sondern beschränkt sich darauf, die hinreichend qualifizierten Verstöße gegen Rechtsnormen zu sanktionieren, deren Zweck es ist, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.327
D. Fazit Die EU verfügt über ein umfassendes Rechtsschutzsystem, innerhalb dessen dem EuGH die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe übertragen ist. Das EU-Recht gewährleistet den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, der einen lückenlosen Rechtsschutz gegen alle Akte unionsrechtlicher Gewalt erfordert. In diesem Rahmen wird auch der effektive Zugang zu den Gerichten garantiert. Danach muss ein Einzelner, der sich durch eine europarechtli324 Vgl. M. Böhm, DÖV 2000, S. 990 ff.; A. Epiney, EurUP 2006, S. 242 ff.; J.-M. Woehrling, VBlBW 2008, S. 1 ff.; J. Held, NVwZ 2012, S. 461 ff.; jeweils m.w. N. 325 Vgl. V. Götz, DVBl 2002, S. 1351. 326 W. Frenz/A.-M. Diselrath, NVwZ 2010, S. 163 ff.; F. Mayer, DVBl 2004, S. 612 ff. 327 Vgl. EuGH, Urt. v. 06.07.1993, Rs. C-286/93, Slg. 1993, I-3335, Rn. 8 (Atlanta u. a./Rat); EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 46 (JégoQuéré et Cie SA/Kommission), m.w. N.; H. R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 85 ff., m.w. N.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 63; B. Wegener, Art. I-29 EUV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, 2006, Rn. 5.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
che Handlung verletzt sieht, die ihm ein aufgrund der EU-Vorschriften bestehendes Recht oder einen Vorteil entzieht, diese Handlung anfechten können. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes findet insbesondere in Art. 6 EMRK und Art. 13 der EMRK Eingang. Dabei wurde der Grundsatz des effektiven Zugangs zu den Gerichten in Art. 47 EU-GRCh aufgenommen. Mit dem Inkrafttreten des AEUV sind diese Vorschriften rechtsverbindlich auf unionaler Ebene geworden. Es muss aber beachtet werden, dass weder die Rechtsschutzgarantie des Art. 47 EU-GRCh noch die entsprechenden Gewährleistungen der EMRK eine erweiterte Zulassung der Direktklage gegen normative Rechtsakte, die über die Grenzen des Umfangsbereichs der unionalen Nichtigkeitsklage hinausgehen, ermöglichen. Auch die Gleichrangigkeit von Rechtsschutzgarantie des Art. 47 EUGRCh und Art. 263 AEUV führt nicht dazu, dass etwaige Rechtsschutzlücken unter unmittelbarem Rückgriff auf die EU-Grundrechte-Charta geschlossen werden könnten. Soweit aber die Vorgaben des EU-Rechts keine ausreichenden Klagemöglichkeiten auch gegen EU-Rechtsakten gewähren, sind nach Art. 19 Abs. 1 AEUV die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist. In diesem Zusammenhang bilden die mitgliedstaatlichen Gerichte zusammen mit dem EuGH und seinen Teilorganen ein System arbeitsteiligen Rechtsschutzes, das einen einheitlichen Justizverbund darstellt. Der EuGH beteiligt sich an diesem System nur indirekt über das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV. Der aktuelle Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) normiert drei Varianten, nach denen klageberechtigte Personen eine Nichtigkeitsklage einbringen können. Sie stellt die wichtigste Ausprägung der unionalen individuellen Rechtsschutzgarantie dar. Bezüglich des Rechtsschutzes nicht privilegierter Klageberechtigter muss angemerkt werden, dass die enge Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Nichtigkeitsklage der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit der Kläger Probleme bereitet. Dies liegt vor allem an dem dauerhaften Festhalten der seit längerer Zeit von der EuGH-Rechtsprechung eingeführten sog. Plaumann-Formel. Denn dadurch wird der Umfang der Klagebefugnis insbesondere der nicht privilegierten Drittkläger und daher ihr Rechtsschutz erheblich eingeschränkt. Dies gilt trotz des auffallenden Unterschieds des EU-Rechts im Verhältnis zum deutschen Recht hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Drittkläger. Dieser Unterschied besteht darin, dass die EU-Rechtsprechung bereits dann eine individuelle Berechtigung des Klägers anerkennt, wenn die Rechtsnorm zwar nicht den Schutz der Rechtsgüter eines individualisierten Personenkreises bezweckt, aber zum Schutz individualisierbarer Interessen der Allgemeinheit erlassen wurde.
D. Fazit
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Vor diesem Hintergrund enthalten nicht nur Normen mit einer gezielt individualschützenden Funktion, sondern auch solche, die Allgemeininteressen dienen, einklagbare subjektive Rechte, soweit der Einzelne begünstigt wird. Es genügt somit für die Begründung der Betroffenheit einer klagefähigen Rechtsposition eines Einzelnen, dass eine Norm eine Begünstigung des Einzelnen enthält und ein legitimes Interesse an der Einhaltung dieser Norm besteht. Ein faktisches Betroffensein ist dafür gefordert. Es genügt die Geltendmachung von tatsächlichen Nachteilen in geschützten Individualinteressen durch die angegriffene Partei. Als besonders problematisch in Bezug auf den Umfang der Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV erweisen sich vor allem die zweite und die dritte Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV. Bei der zweiten Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV sind in der Rechtspraxis vor allem jene Fallkonstellationen problematisch, in welchen eine EU-Handlung an einen Dritten gerichtet ist. Denn in diesen Fällen muss der Kläger das Vorliegen unmittelbarer und individueller Betroffenheit nachweisen. Dadurch entstehen Rechtsschutzdefizite, insbesondere in den Fällen, in denen ein europäischer Rechtsakt mit allgemeiner Geltung (etwa eine Verordnung oder Richtlinie) den Individuen Verpflichtungen auferlegt, die unmittelbar, d.h. ohne Vollzugsakt zu befolgen sind, und gegen die sie vor den Unionsgerichten nicht vorgehen können. Aufgrund ihrer unklaren Formulierung erweist sich auch die neue dritte Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV als problematisch. Diese Norm ermöglicht natürlichen und juristischen Personen die Anfechtung von „Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. Zwar entfällt damit der Nachweis individueller Betroffenheit für die Rechtfertigung der Klagebefugnis der Kläger bei dieser Variante. Es bleibt jedoch immer noch umstritten, ob die Kläger Rechtsakte generell-abstrakter Art zumindest anfechten können, gleichgültig, ob es sich hierbei um Rechtsakte der Legislative oder solche der Exekutive handelt. Trotz des erweiterten Verständnisses des Umfangs der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Drittkläger im EU-Recht schränkt in der Praxis das unionale Rechtsschutzsystem wegen des Festhaltens an der Plaumann-Formel die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagebefugnis nicht privilegierter Kläger grundsätzlich auf typische Merkmale ein und achtet grundsätzlich nicht darauf, ob die Rechte bzw. Interessen von Personenkreisen von der jeweils umstrittenen Handlung wesentlich betroffen sind. Demzufolge hat die Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Klageberechtigter nur Ausnahmecharakter, denn eine juristische oder natürliche Person kann nur unter engen Kriterien von einer Verordnung oder Richtlinie betroffen sein.328 328 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 37 (Unión de Pequeños Agicultures – UPA/Rat); EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02, Slg. 2004, I-3425, Rn. 45 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.
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3. Teil, 2. Kap.: Grundlagen des Rechtsschutzes des unionalen Primärrechts
Zwar konnte die europäische Rechtsprechung im Laufe der Zeit dieses zurückhaltende Verhalten lockern. Dies geschah aber nur vereinzelt (etwa in den Rechtsgebieten des Kartell- und Wettbewerbsrechts). Bisher sind allerdings klare Kriterien für die Auswahl dieser Fälle nicht erkennbar, was zu einer mehr oder weniger unübersichtlichen Kasuistik, die sich nicht immer in ein strenges Schema einfügen lässt, führt. Zu Recht wurde somit das europäische Rechtsschutzsystem trotz der Ausweitungsversuche der Klagemöglichkeiten gegen europäische Handlungen und Rechtsakte als restriktiv kritisiert. So muß z. B., wenn für die Umsetzung einer allgemein geltenden EU-Handlung kein Vollzugsakt erforderlich ist, der Betroffene einen Gesetzesverstoß begehen, um einen anfechtbaren Rechtsakt zu erhalten. Vor diesem Hintergrund können i. d. R. nicht privilegierte Kläger vor den europäischen Gerichten nicht direkt wegen allgemein geltender Rechtsakte klagen, sondern sie müssen einen Vollzugsakt abwarten. Dies betrifft grundsätzlich europäische Verordnungen (seltener aber auch Richtlinien), die unmittelbar Gebote oder auch Verbote aussprechen. Daraus folgt, dass eine Nichtigkeitsklage gegen Handlungen mit abstrakt-generellem Inhalt regelmäßig nicht in Betracht kommt, selbst wenn der jeweilige Rechtsakt dadurch unmittelbar in die Rechtssphäre von Betroffenen eingreift, dass er ihnen z. B. ein bestimmtes Verhalten für die Zukunft vorschreibt oder verbietet, ohne dass es hierfür eines weiteren Zutuns der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber oder Behörden bedürfte, so dass es an einem vor den nationalen Gerichten angreifbaren Vollzugs- oder Umsetzungsakt fehlt. Dies geschieht beispielsweise, wenn gegen europäische selbstvollziehende („self-executing“) Rechtsakte mangels Durchführungsmaßnahmen auch vor nationalen Gerichten kein hinreichender Rechtsschutz zu erlangen ist, da es in einem solchen Fall an einem gerichtlich angreifbaren innerstaatlichen Vollzugsakt fehlt. Insbesondere bei allgemeingeltenden EU-Handlungen und Rechtsakten, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, sieht das EU-Recht eine Rechtsschutzlücke dadurch vermieden, dass Individuen, die einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit haben, die Ungültigkeit solcher Handlungen vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Die nationalen Gerichte seien dann, wenn es erforderlich wäre, nach Art. 267 AEUV verpflichtet, die Frage der Gültigkeit der jeweils zu beanstandenden EU-Handlung oder des Rechtsakts dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Zwar bestünde im nationalen Recht diese Möglichkeit. Auch dann bliebe aber das Problem der langen Verfahrensdauer oder einer möglichen Sonderstellung des BVerfG bestehen. Problematisch ist zudem, dass auch auf mitgliedstaatlicher Ebene viele zusammenhängende Faktoren den effektiven Zugang zu nationalen Gerichten verhindern. Zu erwähnen sind weitreichenden Unterschiede der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hinsichtlich der Klagebefugnis der Kläger in Umweltangelegenheiten, die erheblichen Risiko- und Prozesskosten sowie die begrenzte Verfügbarkeit von Maßnahmen mit aufschiebender Wirkung.
D. Fazit
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Es ist fraglich, ob diese Rechtsschutzdefizite in Einklang mit dem oben dargestellten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes stehen. Da die EU ein vollständiges Rechtsschutzsystem zu schaffen bezweckt, müsste der Einzelne Rechtsschutz immer dann erlangen können, wenn er in seiner Rechtsposition unmittelbar beeinträchtigt wird, weil seine Rechte eingeschränkt sind oder ihm Pflichten auferlegt werden. Vor dem bisher geltenden, oben dargestellten Hintergrund scheint allerdings dies nicht in vollem Umfang möglich zu sein. Diese Mängel beeinflussen wohl auch den Sonderbereich des Umweltrechtsschutzes, wie es unten noch eingehender analysiert werden soll.
3. Kapitel
Die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der EU-Rechtsprechung A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht? Angenommen, dass ein überindividuelles Rechtsschutzsystem die Befugnis von Rechtssubjekten gewährleistet, ohne Geltendmachung eigener formeller oder materieller Interessen- oder Rechtsverletzungen Klage erheben zu können,1 muss vor dem Hintergrund der dargestellten Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger im EU-Recht angemerkt werden, dass das europäische Rechtsschutzsystem in der Praxis keinen überindividuellen Rechtsschutz in dem oben genannten Sinne für juristische oder natürliche Personen gewährt. Die Union weist vor allem die gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten zugunsten von Individuen aus. Im EU-Rechtsschutzsystem obliegt die gerichtliche Durchsetzung individueller Interessen eher den EU-Organen (vor allem der Kommission) und den Mitgliedstaaten.2 Es muss beachtet werden, dass im Allgemeinen die europäische Rechtsprechung die Beeinträchtigung überindividueller Interessen von Einzelpersonen bzw. von Verbänden, die sich für den Umweltschutz einsetzen, nicht als ausreichend ansieht, um ihre Klagebefugnis zu begründen. Die europäische Rechtsprechung verneint in solchen Fällen ihre Klagebefugnis, da Einzelpersonen nicht individuell betroffen sind, wenn die jeweils angefochtene Maßnahme nur die gemeinsamen Interessen der Kläger beeinträchtigt.3
1
Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 487 ff., m.w. N. Ebd., S. 515 ff. 3 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.03.1975, Rs. 72/74, Slg. 1975, S. 401 (Union Syndicale u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 11.07.1979, Rs. 60/79, Slg. 1979, S. 2429, S. 2432 (Fédération nationale des producteurs de vins de table et vins de pays); EuGH, Urt. v. 10.07.1986, Rs. 282/85, Slg. 1986, S. 2475, 2480 (DEFI/Kommission); EuGH, Urt. v. 05.11.1986, Rs. 117/86, Slg. 1986, S. 3255, 3260 (UFADE/Kommission und Rat); EuG, Urt. v. 28.10.1993, Rs. T-476/93, Slg. 1993, II-1187, 1196 (FRSEA, FNSEA/Rat); EuG, Urt. v. 28.11.1996, Rs. T-447-449/93, Slg. 1995, II-1971, 1994 (AITEC/Kommission); EuG, Urt. v. 04.10.1996, Rs. T-197/95, Slg. 1996, II-1283, 1296, Rn. 29 (Sveriges Betodlares Centralförening u. a./Kommission). B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 132 ff., m.w. N. 2
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht?
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I. Verbände als individualisierte Klageberechtigte Was die Klagemöglichkeiten der Verbände im europäischen Rechtsschutzsystem anbelangt, sind allerdings die sog. egoistischen Verbandsklagen auf unionaler Ebene unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Im Rahmen der egoistischen europäischen VK – und im Gegensatz zum deutschen Verständnis der egoistischen VK, die aufgrund des Erfordernisses der Verletzung in eigenen Rechten nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht zulässig ist4 – kann der Verband beeinträchtigte Rechte oder Interessen seiner Mitglieder im eigenen Namen geltend machen. Solche Klagen sind Klagen von Verbänden gegen europäische normative Rechtsakte, die als solche einen Teil der Verbandsmitglieder oder eine größere Gruppe von Individuen betreffen, zu welcher die Verbandsmitglieder zählen. Dies gilt vor allem, wenn ein Verband in Prozessstandschaft die Interessen seiner Mitglieder und zugleich die Interessen eines ganzen Sektors (etwa im Wirtschaftsbereich) wahrnimmt. Dem EuGH reicht die satzungsmäßige Verankerung aus, um eine Berührung der Interessen des klagenden Verbands zu begründen.5 Eine hierauf gestützte Klage ist allerdings nur zulässig, wenn die jeweils betroffenen Mitglieder des Verbands selbst eine zulässige Klage erheben könnten.6 Dies bedeutet, dass Verbandsmitglieder ihre unmittelbare und individuelle Betroffenheit durch den jeweils umstrittenen europäischen Rechtsakt nachweisen müssen.7 In verschiedenen Fällen beriefen sich daher die Verbandskläger zur Begründung ihrer Klagebefugnis auf die Beeinträchtigung von Gruppeninteressen ihrer Mitglieder, deren Wahrnehmung ihre Aufgabe ist.8 Werden Verbände durch einen europäischen Rechtsakt in eigenen Rechten verletzt, sind sie aufgrund dessen unmittelbar und individuell betroffen.9 Verbände sind daher im Europarecht ebenso wie Einzelpersonen klagebefugt, wenn sie durch den jeweils angefochtenen Rechtsakt individuell und unmittelbar 4
Mehr dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., B., II. EuG, Urt. v. 24.01.1995, Rs. T-114/92, Slg. 1995, II-147, Rn. 29 (BEMIM/Kommission); S. Schlacke, in: dies./Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 195. 6 EuGH, Urt. v. 02.02.1988 – 67/85, 68/85 und 70/85, Slg. 1988, S. 219 ff., Rn. 17 (van der Kooy/Kommission); EuG, Urt. v. 28.11.1996, Rs. T-447-449/93, Slg. 1995, II1971, S. 1994, Rn. 60 (AITEC/Kommission); S. Schlacke, in: dies./Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 195. 7 Vgl. B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 130 ff., m.w. N. 8 EuGH, Urt. v. 14.12.1962 – 16/62, C-17/62 (Confédération nationale des producteurs de fruits und legumes u. a./Rat EWG); EuGH, Urt. v. 18.03.1975, Rs. 72/74, Slg. 1975, 401 (Union Syndicale u. a./Rat). 9 Vgl. EuG, Urt. v. 17.06.1998, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 71 (UEAPME/ Rat), B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 113 ff., S. 125 ff., m.w. N. 5
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
in ihren verbandseigenen Interessen betroffen werden.10 Als eigene Interessen der Verbände zählen vor allem das Interesse am Bestand des Verbandes, das Interesse an der ungehinderten Ausübung der Verbandstätigkeit, sog. „funktionelle Interessen“ der Verbände, sowie das Interesse am Verbandsvermögen. Die Beeinträchtigung solcher Interessen durch europäische Maßnahmen dürfte allerdings selten sein. Rechtsakte der europäischen Organe, die den Bestand oder den Status eines Verbandes gefährden, dürften eine Ausnahme darstellen.11 Von Bedeutung ist allerdings, dass Verbände in bestimmten Fällen allein aufgrund der ihnen im Verwaltungsverfahren zustehenden Beteiligungsrechte als durch die verfahrensabschließende Entscheidung individuell betroffen angesehen werden. Verfügt somit ein Verband über unionsrechtlich verankerte Informations-, Anhörungs- oder Mitwirkungsrechte und hat er diese im Rahmen eines unionalen Verwaltungsverfahrens wahrgenommen, so sieht der EuGH darin ein ihn individualisierendes Kriterium und bejaht mithin seine Klagebefugnis.12 Verbände können daher in diesen Fällen eine Nichtigkeitsklage gegen europäische Maßnahmen einreichen, wenn sie nachweisen können, dass ihre Beteiligungsrechte in erster Linie der indirekten Unterstützung des Entscheidungsträgers und damit dem öffentlichen Interesse an der Gewährleistung richtiger Sachentscheidungen dienen.13 Die europäische Rechtsprechung lehnt jedoch eine individuelle Betroffenheit von Verbänden ab, wenn ihre Verfahrensmitwirkung allein auf ihre Eigeninitiativen oder auf einem außerhalb des Verfahrens vorgetragenen Anliegen beruht.14 10 Vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 18.03.1975, Rs. 72/74, Slg. 1975, S. 401, 417 (Union syndicale u. a./Rat); EuGH, Urt. v. 08.10.1974, Rs. T-18/74, Slg. 1974, S. 933, 944 (Syndicat général du personnel des organismes européens/Kommission); B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 125 ff., m.w. N. 11 Vgl. B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 126 ff., S. 149 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 516; jeweils m.w. N. 12 EuGH, Urt. v. 02.02.1988 – 67/85, Slg. 1988, S. 219 ff., Rn. 17 ff. (van der Kooy/ Kommission); EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913, Rn. 28 ff. (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026 ff.; EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/ 93, Slg. 1995, II-02205, Rn. 59 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; S. Schlacke, in: dies./Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 194, m.w. N. 13 Vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913 (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026 ff.; EuG, Urt. v. 27.04.1995, Rs. T-12/93, Slg. 1995, S. 1247, 1270, Rn. 48 (CCE de Vittel/Kommission), NZA 1995, S. 1015; EuG, Urt. v. 17.06.1998, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 71 (UEAPME/Rat); B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 113 ff., S. 165 ff., m.w. N. 14 EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205, Rn. 56 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuG, Urt. v. 13.12. 1995, Rs. T-481/93 und T-484/93, Slg. 1995, II-2941 ff., Rn. 59 (Vereniging van Ex-
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht?
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Solche Fälle betreffen überwiegend Wirtschaftsverbände, die die Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen vertreten. Nichtkommerziellen Verbänden (wie Umweltschutzverbänden) werden auf EU-Ebene nur selten vergleichbare Beteiligungsrechte eingeräumt.15 Es ist schließlich festzustellen, dass die Klagebefugnis von Verbänden auf europäischer Ebene nicht von der Klagebefugnis von Einzelpersonen differenziert werden darf.16
II. Keine altruistische Verbandsklage im europäischen Umweltrecht Im Gegensatz zu den egoistischen Verbandsklagen steht bei altruistischen Verbandsklagen im Vordergrund, dass sie grundsätzlich nicht die Interessen der einzelnen Verbandsmitglieder vertreten, sondern weiter gespannte Interessen, deren Wahrnehmung und Vertretung grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegt, wie z. B. das Interesse am Schutz der Umwelt, der Gesundheit, das Interesse der Steuerzahler an einer sparsamen öffentlichen Haushaltsführung sowie ideelle Interessen wie die Denkmalpflege.17 Da aber eine solche Klage auf europäischer Ebene, wie schon gezeigt wurde, bisher nicht vorgesehen ist, kann sie vor den europäischen Gerichten nicht als zulässig betrachtet werden. Was den speziellen Bereich des Umweltschutzes betrifft, fehlt es aufgrund der Kompetenzstruktur der EU grundsätzlich an anfechtbaren Rechtsakten der unionalen Exekutive. Denn auf dem Gebiet der umweltrechtlichen Eingriffsverwaltung besitzt die EU keine Kompetenzen. Laut Art. 191 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 174 Abs. 4 EGV) liegt die Kompetenz zum Vollzug des europäischen Umweltrechts bei den Mitgliedstaaten. Immerhin sind die Adressaten von umweltbezogenen Entscheidungen oder Beschlüssen der europäischen Kommission oder des europäischen Rates i. d. R. die Mitgliedstaaten. Infolgedessen ist der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten vor nationalen Gerichten zu suchen.18 porteurs in Levende Varkens u. a./Kommission). S. Schlacke, in: dies./Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsschutz im Umweltrecht, Aarhus-Hdb., 2010, § 3, Rn. 194, m.w. N. 15 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 516 ff. 16 Vgl. B. Lindner, NVwZ 2003, S. 569 ff.; D. König, JuS 2003, S. 257 ff.; B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 135 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff.; A. Cygan, ICLQ 2003, S. 995 ff.; E. Biernat, Jean Monnet WP, 12/03, S. 11 ff. 17 Vgl. B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 201 ff. 18 Vgl. B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 201 ff.; G. Schohe, EWS 2002, S. 424 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/A.-K. von der Heide,
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
Dies ist z. B. der Fall, auch wenn die Kommission ihre Regelungsautorität auf europäischer Ebene in Bezug auf den Marktzugang von gefährlichen Produkten oder Stoffen ausübt. Obwohl das Verfahren, das letztlich zu einer Entscheidung der Kommission führt, durch den Antrag bzw. die Ankündigung eines privaten Wirtschaftsteilnehmers i. d. R. eingeleitet wird, ist die daraus resultierende Entscheidung an die Mitgliedstaaten gerichtet, dessen zuständige Behörde den Fall auf europäischer Ebene eingeführt hatte. Eine besondere Ausnahme bilden beispielsweise Entscheidungen der Kommission über die Kontrolle der Einführung bestimmter Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, soweit sie einzelnen Unternehmern Importquoten auf europäischer Ebene zuordnen.19 Gleiches gilt auch für Entscheidungen der Kommission oder des Rates hinsichtlich des Zugangs zu Unterlagen, die umweltbezogene Informationen gem. Vorschriften der VO Nr. 1049/2001 (vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission)20 beinhalten und auf Antrag von juristischen Personen erlassen sind. Bei solchen Fällen sollen ausnahmsweise die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen, die den Adressaten den Zugang zu umweltbezogenen Informationen verweigern, vor den europäischen Gerichten für gegeben gehalten werden.21 Umweltbezogene unionale Handlungen müssen grundsätzlich bestimmte Wirtschaftsinteressen Einzelner beeinträchtigen, um anfechtbar zu sein. Sie beschränken sich somit in erster Linie auf das Gebiet des Wirtschaftsrechts. In diesem Rahmen gilt die Beeinträchtigung der Umwelt als Nebensache und kann somit nur ganz begrenzt von den europäischen Gerichten kontrolliert werden. Darüber hinaus werden vor europäischen Entscheidungen über die Vergabe von Fondsmitteln für staatliche Projekte, die durch die Realisierung des Projekts die Umwelt indirekt beeinträchtigen können,22 i. d. R. keine Verwaltungsverfahren durchgeführt, bei denen potentiell betroffene Einzelpersonen Beteiligungsrechte hätten.23 ZUR 2003, S. 390 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff.; L. Malferrari/C. Lerche, EWS 2003, S. 254 ff. 19 Vgl. Art. 7 der EG-Verordnung Nr. 2037/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.06.2000 über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, ABl. L 244/1 i.V. m. Beschluss 2009/51/EG v. 15.12.2008. 20 ABl. L 145/43. 21 Vgl. EuG, Urt. v. 25.04.2007, Rs. T-264/04, Slg. 2007, II-00911 (WWF European Policy Programme/Rat); M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 294. 22 Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205, 2229 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651, 1715 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; um die Zuschussvergabe für bestimmte angeblich umweltgefährliche Projekte ging es auch in den Rechtssachen: EuG, Urt. v. 24.09. 1993, T-461/93 Slg. 1994, II-733 (An Taisce u. WWF UK/Kommission); EuGH, 11.07.
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht?
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Das Festhalten des europäischen Gesetzgebers und Richters an der sog. Plaumann-Formel in Zusammenhang mit der Kompetenzstruktur der Union lässt grundsätzlich auch in solchen Konstellationen für die Einreichung einer altruistischen VK auf europäischer Ebene keinen Raum. Aufgrund der diesbezüglichen ständigen europäischen Rechtsprechung lässt sich die Ansicht nicht halten, dass zumindest ein zur Verteidigung von Kollektivinteressen gegründeter Verband von einer die allgemeinen Interessen dieser Gruppe berührenden Maßnahme individuell und unmittelbar betroffen wird.24 Es ist offensichtlich, dass das EU-Recht den anerkannten Verbänden, die sich für den Schutz des Gemeinwohls bzw. des Umweltschutzes einsetzen, keine Sonderklagemöglichkeiten (etwa eine entsprechende dem deutschen UmwRG altruistische VK) vorsieht, um direkt gegen umweltbelastende europäische Maßnahmen gerichtlich vorzugehen. Selbst wenn Umweltverbände durch umweltbezogene europäische Maßnahmen in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich beeinträchtigt werden, ist es praktisch unmöglich, im Rahmen des EU-Rechtsschutzsystems die erforderliche Klagebefugnisvoraussetzung der individuellen Betroffenheit zu begründen. Auch bei Konstellationen, bei denen Verbände mit altruistischer Zielsetzung als Prozessstandschafter an die Stelle einzelner Mitglieder treten, die ihrerseits eine zulässige Klage hätten erheben können, ist es für die Zulässigkeit dieser VK eine Voraussetzung, dass mindestens ein Verbandsmitglied unmittelbar und individuell betroffen ist. Gerade aber im Bereich des Umweltschutzes dürfte der Nachweis der individuellen Betroffenheit grundsätzlich nicht gelingen.25 Daher würde eine Prozessstandschaft von Verbänden auf dem Gebiet des Umweltrechts schon daran scheitern, dass keines der Verbandsmitglieder die Voraussetzungen 1996 – C-325/94 P, Slg. 1996, I-3727 (An Taisce u. WWF UK/Kommission); EuG, Urt. v. 06.02.1995, Slg. 1993, II-1257 (Tête u. a./Europäische Investitionsbank). 23 Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205, 2229 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651, 1715 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; um die Zuschussvergabe für bestimmte angeblich umweltgefährliche Projekte ging es auch in den Rechtssachen: EuG, Urt. v. 24.09. 1993,T-461/93 Slg. 1994, II-733 (An Taisce u. WWF UK/Kommission); EuGH, 11.07.1996 – C-325/94 P, Slg. 1996, I-3727 (An Taisce u. WWF UK/Kommission). 24 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.03.1975, Rs. 72/74, Slg. 1975, 401 (Union Syndicale u. a./ Rat); EuGH, Urt. v. 11.07.1979, Rs. 60/79 Slg. 1979, S. 2429, S. 2432 (Fédération nationale des producteurs de vins de table et vins de pays); EuGH, Urt. v. 10.07.1986, Rs. 282/85, Slg. 1986, S. 2475, 2480 (DEFI/Kommission); EuGH, Urt. v. 05.11.1986, Rs. 117/86, Slg. 1986, S. 3255, 3260 (UFADE/Kommission und Rat); EuG, Urt. v. 28.10.1993, Rs. T-476/93, Slg. 1993, II-1187, 1196 (FRSEA, FNSEA/Rat); EuG, Urt. v. 28.11.1996, Rs. T-447-449/93, Slg. 1995, II-1971, 1994 (AITEC/Kommission); EuG, Urt. v. 04.10.1996, Rs. T-197/95, Slg. 1996, II-1283, 1296, Rn. 29 (Sveriges Betodlares Centralförening u. a./Kommission). B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 132 ff., m.w. N. 25 Ebd.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
der Klagebefugnis erfüllt.26 Denn letztlich betreffen umweltbezogene Maßnahmen i. d. R. entweder tatsächlich oder potentiell die Allgemeinheit bzw. eine Vielzahl von Rechtssubjekten. Vor diesem Hintergrund können diese Maßnahmen die Umweltverbandskläger offensichtlich nicht wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühren und sie daher in ähnlicher Weise wie den Adressaten einer Maßnahme individualisieren. Infolgedessen wird sich eine Geschlossenheit des Kreises der Betroffenen auf dem Gebiet des Umweltschutzes kaum jemals nachweisen lassen. Zwar könnten die jeweiligen potentiellen Kläger sich auf ihre Eigenschaft als Ortsansässige sowie auf ihre Interessen am Schutz der Umwelt, der Landwirtschaft, der Fischerei oder der Gesundheit berufen. Es wäre allerdings für sie besonders problematisch, im Rahmen der Plaumann-Formel darzulegen, inwieweit sie sich von allen anderen ortsansässigen oder in den betroffenen Regionen arbeitstätigen Personen unterscheiden. Denn solche Rechtsakte stellen i. d. R. Maßnahmen oder Handlungen dar, die objektiv, allgemein und abstrakt jede Person betreffen können, die im betroffenen Gebiet eine Tätigkeit ausübt.27 Angesichts der Tatsache, dass ein Gruppen- oder Kollektivinteresse das gemeinsame Interesse einer Gruppe von Personen ist, kann folglich von einer Beeinträchtigung von Gruppeninteressen nur dann gesprochen werden, wenn von einer unionsrechtlichen Maßnahme nicht nur die individuellen Interessen einzelner Personen, sondern die identischen Interessen mehrerer Personen, nämlich der Gruppenangehörigen, in irgendeiner Form tangiert werden. Da die Zahl der Gruppenangehörigen oft nicht mit der Zahl der Verbandsmitglieder übereinstimmen dürfte – nur bei Zwangsverbänden kann eine Deckungsgleichheit von Gruppenangehörigen und Verbandsmitgliedern sichergestellt werden – kann nicht behauptet werden, dass es sich um einen geschlossenen Betroffenenkreis im Sinne der schon skizzierten europäischen Rechtsprechung handelt. In diesem Rahmen könnte eine Individualisierung eines Nichtadressaten-Klägers in ähnlicher Weise wie bei einem Adressaten unter alleiniger Berufung auf ein verletztes Kollektivinteresse nicht gelingen.28 Wären insbesondere Verbände allein aufgrund einer Verletzung der von ihnen wahrgenommenen Kollektivinteressen klagebefugt, könnte der vom EU-Rechtsschutzsystem ungewollte Fall eintreten, dass ihnen ein Klagerecht zusteht, ob26 B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 206. 27 Ebd. 28 Vgl. EuG, Urt. v. 13.12.1995, Rs. T-81/93 und T-484/93, Slg. 1995, II-2941 ff. (Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission); EuG, Urt. v. 28.11.1996, Rs. T-447-449/93, Slg. 1995, II-1971, 1996 (AITEC); B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 135 ff., m.w. N.
A. Überindividueller Rechtsschutz im EU-Recht?
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wohl keines seiner Mitglieder die Voraussetzungen der Klagebefugnis erfüllen könnte. Denn die Verbandsmitglieder könnten zwar in diesem Kontext lediglich betroffen sein, sie wären aber nicht im Sinne des Unionsrechts individuell betroffen. Demzufolge könnten sie jedoch nicht allein mit dem Hinweis auf die Beeinträchtigung des Gruppeninteresses zugleich auch ihre individuelle Beeinträchtigung begründen. Ein solcher Ansatz wäre aber nicht mit den europäischen Verträgen vereinbar. Denn eine Privilegierung von Gruppenklägern gegenüber Einzelpersonen ist im Rahmen des europäischen Primärrechts nicht vorgesehen.29 Die Einräumung einer Klagebefugnis vor den europäischen Gerichten für bestimmte Verbände, deren Interesse an der Erhaltung der Umwelt durch eine Handlung eines unionalen Organs beeinträchtigt würde, wäre im Rahmen des restriktiven EU-Rechtsschutzsystems gleichbedeutend mit der Anerkennung einer Popularklage in allen umweltbezogenen Fällen. Eine Neuorientierung der Rechtsprechung in diese Richtung wäre somit unmöglich, weil sie, ganz abgesehen von den praktischen Hindernissen, denen man begegnen würde, dem Wortlaut des Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) zuwiderlaufen würde. Ebenso unmöglich wäre es, unter den aktuellen Gesetzgebungsbedingungen für Fälle, die Fragen des Umweltschutzes aufwerfen, besondere Voraussetzungen für die Klagebefugnis aufzustellen, die sich von den in der genannten Bestimmung aufgestellten unterschieden.30 Unter dem Einfluss der AK31 versuchte das EU-Recht, dieser Problematik teilweise mit dem Erlass der sog. AK-VO Nr. 1367/200632 zumindest teilweise entgegenzuwirken. Dies war ein erster Schritt seitens der europäischen Rechtsordnung in die Richtung, die Europäische Gerichtsbarkeit als Verwaltungsgericht zur Kontrolle der Einhaltung von europäischen Umweltrecht in Anspruch zu nehmen, ohne dass eine für die Erhebung einer Direktklage erforderliche individuelle Betroffenheit gewährleistet sein muss. Dadurch hat der europäische Gesetzgeber anerkannte umweltschützende Nichtregierungsorganisationen (NROen) mit einer 29 Vgl. B. Lindner, NVwZ 2003, S. 569 ff.; D. König, JuS 2003, S. 257 ff.; B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 135 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff.; A. Cygan, ICLQ 2003, S. 995 ff.; E. Biernat, Jean Monnet WP, 12/03, S. 11 ff.; jeweils m.w. N. 30 Ebd. 31 Mehr dazu s. u. 1. Teil, 1. Kap., G., III. ff. 32 EG-VO Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.9.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 v. 25.09.2006, S. 13. Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
überindividuellen Befugnis ausgestattet, mit Hilfe derer umweltbezogene Verwaltungsakte europäischer Organe oder Einrichtungen gerichtlich angegriffen werden können. Dieser Ansatz des europäischen Sekundärrechts soll in einem weiteren Teil dieser Arbeit erörtert werden.33
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen aus der europäischen Rechtsprechung vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags Schon vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags ist es charakteristisch, dass die Rechtsprechung der europäischen Gerichte die Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger im speziellen Bereich des Umweltschutzes klar aufzeigt.
I. Das Urteil „Stichting-Greenpeace“ 34 Indizierend für die Problematik des restriktiven Verständnisses des Zulässigkeitskriteriums der individuellen Betroffenheit ist prinzipiell der sog. StichtingGreenpeace-Fall.35 In diesem Fall handelte es sich um eine Musterklage, mit der sich die anerkannte Umweltvereinigung Greenpeace und eine Reihe lokale Einzeleinwohner (Fischer, Bauer, Tourismusunternehmer u. a.) gegen einen Beschluss der EG-Kommission gewandt hatten.36 Laut diesem Kommissionsbeschluss sollten der spanischen Regierung über 108 Millionen ECU aus dem Europäischen Regionalentwicklungsfonds für den Bau zweier konventioneller 33
Mehr dazu s. u. 3. Teil, 6. Kap. A. ff. Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04. 1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; Anm. dazu B. Wegener, ZUR 1998, S. 132 ff.; N. Gérard, JEL 1998, S. 338 ff.; vgl. auch A. Ward, YEEL 2000, S. 137 ff.; F. Berrod, CMLRev. 1999, S. 635 ff.; E. Prevedourou, PerDik 1998, S. 205 ff. 35 Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04. 1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (Stichting Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; Anm. dazu B. Wegener, ZUR 1998, S. 132 ff.; N. Gérard, JEL 1998, S. 338 ff.; vgl. auch A. Ward, YEEL 2000, S. 137 ff.; F. Berrod, CMLRev. 1999, S. 635 ff. 36 Es handelt sich um die Entscheidung der Kommission C(91) 440 über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung an das Königreich Spanien bis zu einem Höchstbetrag von 108.578.419 ECU für Infrastrukturinvestitionen. Diese finanzielle Unterstützung richtete sich auf ein Vorhaben der Unión Eléctrica de Canarias SA zur Errichtung zweier Elektrizitätswerke auf den kanarischen Inseln Gran Canaria und Teneriffa. Die Entscheidung der Kommission ist auf die EWG-VO Nr. 1787/84 des Rates vom 19. Juni 1984 betreffend den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ABl. L 169, S. 1) gestützt. 34
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
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Elektrizitätswerke auf den Kanarischen Inseln zugewiesen werden. Für den Bau der Elektrizitätswerke wurden allerdings keine UVP-Verfahren durchgeführt. Nach Ansicht der Kläger widersprach die Auszahlung der Gelder Art. 7 der EG-VO über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds37, wonach „die Aktionen, die Gegenstand einer Finanzierung durch die Strukturfonds [. . .] oder ein sonstiges Finanzinstrument sind, [. . .] den Bestimmungen der Verträge und der aufgrund der Verträge erlassenen Rechtsakte sowie den Gemeinschaftspolitiken, insbesondere hinsichtlich [. . .] des Umweltschutzes, entsprechen müssen“.38
In diesem Rahmen sei die Finanzierung rechtswidrig gewesen, weil es zum Zeitpunkt der Kommissionsentscheidung an der für den Bau der Werke nach Gemeinschaftsrecht erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung gem. RL 85/337/ EWG gefehlt habe. Nicht alle Kläger stützten sich auf genau die gleichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände. Manche von ihnen brachten vor, dass sie in Gebieten wohnen, die in geringer Entfernung von den betreffenden Arbeiten liegen, andere, dass sie Eigentümer von Grundstücken in diesen Gebieten sind, und wieder andere, dass sie dort einer Beschäftigung nachgehen. Andere beriefen sich auf die negative Auswirkung der betreffenden Bauarbeiten auf die Gesundheit der Bevölkerung, auf den Tourismus, die Fischerei, die Landwirtschaft, die Kindererziehung, die lokale Flora und Fauna sowie auf Sporttätigkeiten in Zusammenhang mit Windsurfen. Insbesondere beriefen sich die Rechtsmittelführer vage darauf, dass sie „ganz in der Nähe“ der Bauarbeiten wohnen, ohne dass man allerdings diesem unsubstantiierten Vortrag hätte entnehmen können, dass sich ihre Situation von der anderer Personen unterschiede. Das EuG hielt in diesem Fall an der traditionellen Plaumann-Formel auch in Bezug auf nicht rein wirtschaftliche Sachverhalte fest. Eine individuelle Betroffenheit der Kläger wurde mangels eigener Beteiligungsstellung im Verfahren und eines eigenen Interesses im Sinne der diesbezüglichen herrschenden europäischen Rechtsprechung nicht angenommen. Die Klage wurde daher als unzulässig abgewiesen.39 Die Kläger erhoben ein Rechtsmittel vor dem EuGH gegen die Entscheidung des EuG. Auch diese Klage blieb ohne Erfolg. Der EuGH berief sich wieder auf die ständige Plaumann-Rechtsprechung und bestätigte letztlich den Beschluss des EuG. Danach war die Existenz erlittener oder zu erwartender Schädigungen nicht ausreichend, um den Drittkläger zu individualisieren. Grund dafür war vor allem, 37
VO (EWG) Nr. 2052/88 des Rates von 24.06.1988, ABl. EG 1988, L 185, S. 9 ff. Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Rn. 10, Slg. 1995, II-02205 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540. 39 EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540. 38
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
dass die Schädigungen allgemein und abstrakt eine große Menge von Personen betreffen, die nicht im Voraus zu bestimmen seien und sich nicht in gleicher Weise wie die Adressaten einer Entscheidung von der Allgemeinheit abhoben. Außerdem unterscheide sich die Betroffenheit durch die von den Kraftwerken ausgehenden Beeinträchtigungen des lokalen Tourismus, der Gesundheit oder der Umwelt eines lokalen Bewohners der Kanarischen Inseln, eines ansässigen Fischers, Landwirts oder anderer Personen nicht von allen anderen Menschen, die in den betroffenen Gebieten lebten oder arbeiteten. Sie unterscheide sich auch nicht von anderen lokalen Bewohnern, Fischern oder Touristen, die sich in der gleichen Situation befänden oder zukünftig befinden würden.40 Ebenso wenig lasse sich erkennen, warum oder in welchem Umfang Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus oder andere Sporttätigkeiten durch die betreffenden Bauarbeiten hätten beeinträchtigt werden sollen oder ob die wahrscheinliche Auswirkung auf solche Betätigungen die Drittkläger mit besonderer Schwere getroffen hätte, so dass es gerechtfertigt gewesen wäre, ihnen eine Klagebefugnis einzuräumen.41 Daher hat das Gericht aus den von den Rechtsmittelführern vorgetragenen Tatsachen nicht den Schluss gezogen, dass diese im Hinblick auf die angefochtene Entscheidung individualisiert seien. Darüber hinaus werde den Klägern mit der Abweisung ihrer vor die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit getragenen Klage auch nicht jeder wirksame Rechtsschutz genommen. Der EuGH wies darauf hin, dass die Beschwerde der Kläger nicht so sehr in der Finanzierungsentscheidung, sondern im Unterlassen der Durchführung einer UVP liege. Hiergegen könne Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden. Er bejahte auch die Möglichkeit jedenfalls mittelbaren Rechtsschutzes gegen die Genehmigungsentscheidung der Kommission vor nationalen Gerichten. Denn die Kläger könnten die vermeintliche Verletzung ihrer aus der UVP-RL abzuleitenden Rechte vor den nationalen Gerichten geltend machen. Zwar hatten die dort anhängigen Verfahren und die gegen die Kommissionsentscheidung gerichtete Klage unterschiedliche Gegenstände. Die möglicherweise verletzten Rechte seien jedoch die gleichen und würden in vollem Umfang durch die nationalen Gerichte geschützt, die gegebenenfalls ihrerseits den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchen könnten.42 Ausdrücklich wandte der EuGH sich dabei gegen die Argumentation der Kläger, das traditio-
40 EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95P, Slg. 1998, I-1651, Rn. 23 ff. (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; so auch EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Rn. 51 ff., Slg. 1995, II-02205 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540. 41 Ebd. 42 EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95P, Slg. 1998, I-1651, Rn. 46 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; B. Wegener, ZUR 2003, S. 132; E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 660 ff.
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
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nelle Verständnis von der Klagebefugnis nach ex-ex Art. 173 Abs. 4 EGV werde dem Wesen und der Besonderheit der von ihnen verteidigten Umweltinteressen nicht gerecht.43 Dadurch aber übersah der EuGH in diesem Fall, dass die umstrittene Finanzierungsentscheidung der Kommission nicht der spanischen Gerichtsbarkeit unterfällt. Daher könnte diese Entscheidung von den Klägern nicht in einem Verfahren vor einem spanischen Gericht unmittelbar oder mittelbar gerügt werden. Dass die Kläger die vermeintliche Verletzung ihrer aus der UVP-RL abzuleitenden Rechte vor den nationalen Gerichten geltend machen können, gewährt ihnen nicht einen effektiven Rechtsschutz im Rahmen des Europarechts. Es darf nicht ignoriert werden, dass Zweck ihrer Klage in diesem Fall die Verhinderung von Fehlallokationen (unmittelbar durch die Kommission) knapper, umweltschädlicher Gemeinschaftsmittel war und nicht der Schutz ihrer aus der UVP-RL abzuleitenden öffentlichen subjektiven Rechte.44 1. Die Schlussanträge von Generalanwalt Cosmas Die Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas erleuchten charakteristisch den Streitpunkt hinsichtlich der engen Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger im Bereich der umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten. Generalanwalt Cosmas plädierte in seinen Schlussanträgen in dem oben ausgeführten Rechtsmittelverfahren zwar für eine Auflockerung der Rechtsprechung zur individuellen Betroffenheit bei umweltbezogenen Klagen von Einzelnen hin. Er lehnte aber eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung bei umweltschützenden VKen unter Hinweis auf die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ab. Eine Auflockerung des Zulässigkeitskriteriums der individuellen Betroffenheit durch den EuGH in dem begehrten Umfang könnte missbraucht werden und zu abwegigen Folgen führen. Natürliche Personen, denen eine Klagebefugnis nach europäischer Gesetzgebung nicht zustünde, könnten dieses Prozesshindernis durch Gründung einer Umweltschutzvereinigung umgehen. Selbst wenn diesem Hindernis begegnet werden könnte, indem z. B. eine Klagebefugnis nur den Vereinigungen zustünde, die vor Erlass der angefochtenen Maßnahme gegründet worden wären, müsste doch berücksichtigt werden, dass in der Gemeinschaft die Zahl der juristischen Personen, die sich dem Schutz und der Erhaltung der Umwelt widmen, besonders hoch ist. Sollte der EuGH einem solchen Konzept folgen, so wäre zu erwarten, dass in Zukunft jede Maßnahme eines Gemeinschaftsorgans, die die Umwelt be-
43 EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651, Rn. 45 ff. (Stichting Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1998, 230067; Anm. dazu B. Wegener, ZUR 1998, S. 132 ff.; vgl. auch A. Ward, YEEL 2000, S. 137 ff.; F. Berrod, CMLRev. 1999, S. 635 ff. 44 Vgl. B. Wegener, ZUR 2003, S. 132.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
träfe oder sich auf sie auswirkte, jedes Mal von einer Fülle von Umweltschutzvereinigungen mit einer Klage beantwortet würde.45 Folgte man einer weiten Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit, würde dies somit auf die Schaffung einer dritten Kategorie von Klageberechtigten nach europäischem Recht extra legem hinauslaufen. Man würde mit anderen Worten zwischen die in ex-ex-Art. 173 Abs. 2 EGV (nun Art. 263 Abs. 2 AEUV) genannten privilegierten Kläger, die kein berechtigtes Interesse nachzuweisen haben, und die in ex-ex Art. 173 Abs. 2 EGV (nun Art. 263 Abs. 4 AEUV) nicht privilegierten natürlichen oder juristischen Personen, die durch die angefochtene Maßnahme unmittelbar und individuell betroffen sein müssen, die Umweltschutzvereinigungen einschieben, für die die Vermutung der Klagebefugnis gälte, wann immer die angefochtene Maßnahme die Umwelt oder irgendeine Auswirkung auf sie beträfe.46 Im Hinblick darauf müsste angenommen werden, dass der gerichtliche Rechtsschutz innerhalb einer vom Rechtsstaatsgedanken beherrschten Rechtsordnung dazu bestimmt ist, die Rechte und Interessen zu schützen, die diese Rechtsordnung den ihr unterworfenen Personen übertragen hat. Die prozessuale Bedeutung des berechtigten Interesses als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage könne somit nicht absolut von der materiellen Bedeutung dieses Interesses getrennt werden, das die Rechtsordnung zugunsten der berechtigten Person schützen will. Somit sollte die besondere Natur jedes durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Interesses bei der Ermittlung der besonderen Prozessvoraussetzungen berücksichtigt werden, unter denen die Person, zu deren Gunsten die Vorschriften, die dieses Interesse begründet haben, erlassen wurden, gerichtliche Hilfe bei der Wahrung dieser Grundsätze erlangen kann.47 In diesem Zusammenhang mache eine Auslegung geschriebener Prozessregeln, die dazu führt, dass einer Person, der ein Recht oder berechtigtes Interesse (im materiellen Sinne) zusteht, völlig der Zugang zu den Gerichten zwecks Verteidigung ihrer Interessen innerhalb der Rechtsordnung versperrt wird, die Anerkennung dieser Rechte und berechtigten Interessen durch das materielle Recht in der Praxis wertlos. Dieses Verhalten ist somit als rechtlich unrichtig anzusehen, weil die Prozessregeln von der Rechtsordnung festgelegt werden, um einen strukturellen Rahmen dafür zu schaffen, dass die Rechte und berechtigten Interessen, die den der Rechtsordnung unterworfenen Personen gewährt werden, soweit wie
45 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I1651, Rn. 99 ff., 114 ff. (Stichting Council u. a./Kommission). 46 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 118. 47 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 115.
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
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praktisch vertretbar, zur Wirksamkeit gelangen, und nicht, um sie absolut und durchgehend von jedem Rechtsschutz abzuschneiden. Sonst verfehlte nämlich die Rechtsordnung, wenn Personen, die unter dem Schutz bestimmter Rechtsnormen stehen, durch Prozessregeln völlig vom gerichtlichen Schutz abgeschnitten würden, schlicht ihre Aufgabe.48 Vor diesem Hintergrund betont Generalanwalt Cosmas zutreffend, dass es übertrieben streng sei, „[w]enn man von Einzelpersonen, die eine Kommissionsentscheidung über die Fortsetzung der Finanzierung der betreffenden Arbeiten anfechten wollen, verlangt, dass sie den Schaden, den sie vermutlich infolge dieser Arbeiten erleiden werden, vollständig nachweisen, da ja wegen des Fehlens der UVP die Folgen dieser Arbeiten im wesentlichen unbekannt bleiben. Es sollte daher eine besondere Rechtsnorm zugrunde gelegt werden, wonach beim Fehlen einer UVP für bestimmte Arbeiten Personen, die eine Kommissionsentscheidung anfechten, mit der Finanzierungshilfe für diese Arbeiten gewährt wird, und nachweisen müssen, weshalb die angefochtene Entscheidung sie individuell betrifft, nicht verpflichtet sind, für die Auswirkungen auf ihre persönliche Situation infolge der tatsächlichen oder potentiellen Umweltbeeinträchtigung durch diese Arbeiten vollständig und konkrete Beweise zu erbringen. Sie brauchten daher nur ihren Status als Bewohner des weiteren Gebiets, in dem die Arbeiten durchgeführt werden, oder als in diesem Gebiet Berufstätige geltend zu machen.“49
II. Das Urteil „Danielsson u. a.“ 50 Im Juni 1995 kündigten die französischen Behörden an, dass sie beabsichtigten, eine Reihe zusätzlicher Atomtests auf Mururoa abzuhalten. Am 28. Juli 1995 forderte das Europäische Parlament die Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Artikel 34 und 35 EAG-Vertrag genauestens beachtet würden. Danach ist jeder Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet besonders gefährliche Versuche stattfinden sollen, verpflichtet, zusätzliche Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz zu treffen. Er hat hierzu vorher die Stellungnahme der Kommission einzuholen. Besteht die Möglichkeit negativer Auswirkungen der Versuche auf die Hoheitsgebiete verpflichtet Art. 35 EAG-Vertrag die Mitgliedstaaten, die notwendigen Einrichtungen zur ständigen Überwachung des Gehalts der Luft, des Wassers und des Bodens an Radioaktivität sowie zur Überwachung der Einhaltung der Grundnormen zu schaffen. Er verpflichtet auch dazu, der Kommission den Zugang zu diesen Überwachungseinrichtungen und die Prüfung von deren Arbeitsweise und Wirksamkeit zu ermöglichen.
48 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 104. 49 Ebd., Rn. 113, Rn. 128. 50 EuG, Urt. v. 22.12.1995, Rs. T-219/95 R, Slg. 1995, II-03051, Rn. 72 (Danielsson u. a./Kommission).
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Am 11.08.1995 stimmte die Französische Republik einem Treffen französischer Sachverständiger mit Sachverständigen der Kommission zu, das am 25.08. 1995 stattfand, ebenso wie der Entsendung einer Abordnung der Kommission an Ort und Stelle der Tests. Am 05.09.1995 wurde der erste Test auf Mururoa durchgeführt. Am 6. September 1995 teilte der Präsident der Kommission dem Europäischen Parlament mit, dass die Kommission nicht zur Anwendbarkeit des Art. 34 EAG-Vertrag Stellung nehmen könne, bestätigte jedoch deren Absicht, sich an einer Abordnung zur wissenschaftlichen Bewertung zu beteiligen. Auch eine Nachprüfung im Rahmen von Artikel 35 EAG-Vertrag fand vom 18. bis 29.09.1995 statt, und die aus drei Beamten der Kommission gebildete Kontrollgruppe veröffentlichte ihren Bericht am 03.10.1995. Sie gelangte zu dem Ergebnis, dass das geprüfte Überwachungssystem und die erhaltenen Informationen unter dem Gesichtspunkt der grundlegenden Sicherheitsbestimmungen eine zufriedenstellende Situation zeigten, erklärte jedoch, dass sie zu bestimmten Anlagen keinen Zugang habe erhalten können, und dass ihr bestimmte Informationen nicht gegeben worden seien. Der zweite Atomtest der Serie fand am 01.10.1995 statt. Am 23.10.1995, vier Tage vor dem dritten Test, gab die Kommission eine abschließende Stellungnahme zur Frage der Anwendung des Art. 34 EAG-Vertrag auf die fraglichen Atomtests ab. Diese Stellungnahme wurde vom Präsidenten der Kommission am nächsten Tag dem Europäischen Parlament vorgelegt.51 Nach dem Standpunkt der Kommission, wie ihn deren Präsident erläuterte, ist Art. 34 EAG-Vertrag sowohl auf militärische Tests als auch auf zivile Tests anwendbar; ein Test sei als besonders gefährlich im Sinne dieses Artikels anzusehen, wenn er für Arbeitskräfte oder die Bevölkerung das spürbare Risiko einer bedeutsamen Belastung durch radioaktive Strahlen bedeute. Ein Test, der die Explosion eines Sprengkörpers beinhalte, könne ein Risiko dieser Art schaffen und könne daher unter bestimmten Voraussetzungen als „besonders gefährlich“ angesehen werden. Die Kommission gelangte auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass die in Französisch-Polynesien durchgeführten Tests kein spürbares Risiko einer erheblichen Belastung der Arbeitskräfte oder der Bevölkerung durch radioaktive Strahlen darstellten. Eine wissenschaftliche Bewertung habe gezeigt, dass selbst im schlimmsten Fall die Grundnormen eingehalten würden. Die Kommission kam somit zu dem Ergebnis, dass Art. 34 EAG-Vertrag keine Anwendung finde.52 Diese Stellungnahme war die Handlung, deren Nichtigerklärung drei Privatpersonen, Einwohner Tahitis, mit einer Klage im Verfahren zur Hauptsache 51 Europäisches Parlament, ausführlicher Sitzungsbericht, 24. Oktober 1995, S. 32 und 33. 52 EuG, Urt. v. 22.12.1995, Rs. T-219/95 R, Slg. 1995, II-03051 (Danielsson u. a./ Kommission).
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begehrten, und für die sie die Aussetzung des Vollzugs im Verfahren der einstweiligen Anordnung beantragten. Die Antragsteller machten geltend, dass die angefochtene Handlung sie besonders schwer getroffen und die verhängnisvollen Auswirkungen der streitigen Atomtests auf ihre Gesundheit nicht angemessen berücksichtigt hatte, obwohl sie zur Bevölkerung im Sinne von Artikel 30 EAGVertrag gehörten, deren Gesundheitsschutz insbesondere im Rahmen der Durchführung des Artikels 34 EAG-Vertrag gewährleistet werden müsse.53 Das EuG ist aber diesem Vorbringen nicht gefolgt, da die angefochtene Entscheidung die Drittkläger nur in ihrer objektiven Eigenschaft als Einwohner von Tahiti in gleicher Weise wie alle anderen in Polynesien wohnhaften Personen betrifft. Dem EuG nach tragen die Antragsteller nichts vor, was die Feststellung erlauben könnte, dass die angefochtene Entscheidung sie schon wegen bestimmter Eigenschaften oder besonderer Umstände betreffe. Sie tragen somit nicht vor, dass diese Entscheidung sie in einem Rechte verletze, das ihnen spezifisch zustünde und das es erlaubte, sie im Hinblick auf diese Entscheidung aus dem Kreis aller anderen in Polynesien wohnenden Personen herauszuheben.54 Insofern konnte keine individuelle Betroffenheit festgestellt werden. Von Bedeutung ist, dass das Gericht der Auffassung ist, „[d]ass[,] selbst wenn man unterstellt, dass die Antragsteller gegebenenfalls im Zusammenhang mit angeblich verhängnisvollen Folgen der fraglichen Atomtests für die Umwelt oder für die Gesundheit der Bevölkerung einen persönlichen Schaden erleiden könnten, dieser Umstand allein nicht ausreichen würde, sie in ähnlicher Weise wie den Adressaten der streitigen Entscheidung zu individualisieren, wie dies Artikel 146 Abs. 4 EAG-Vertrag verlangt, da ein Schaden der von ihnen geltend gemachten Art unterschiedslos alle in dem betreffenden Gebiet wohnenden Personen betreffen kann.“55
Im Anschluss daran sei auch die Kommission bei der Prüfung der möglichen Auswirkungen der streitigen Atomtests auf die gesamte Bevölkerung und die betroffenen Arbeitskräfte nicht verpflichtet, die besondere Lage jedes einzelnen Bewohners und Arbeitnehmers des von einem bestimmten Test betroffenen geographischen Gebietes zu berücksichtigen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die eine solche individuelle Berücksichtigung im Rahmen der verfolgten Zwecke rechtfertigen können.56 Daher hat schließlich das EuG den Antrag der nicht privilegierten Kläger auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen.
53
Ebd. EuG, Urt. v. 22.12.1995, Rs. T-219/95 R, Slg. 1995, II-03051, Rn. 72 (Danielsson u. a./Kommission). 55 EuG, Urt. v. 22.12.1995, Rs. T-219/95 R, Slg. 1995, II-03051, Rn. 71 (Danielsson u. a./Kommission). 56 EuG, Urt. v. 22.12.1995, Rs. T-219/95 R, Slg. 1995, II-03051, Rn. 74 (Danielsson u. a./Kommission). 54
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III. Das Urteil „Jégo-Quéré“ 57 Der Fall „Jégo-Quéré“ betraf die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen Art. 3d und 5 der EG-VO Nr. 1162/2001 der Kommission vom 14.06.2001 mit Maßnahmen zur Regeneration des Seehechtbestands in bestimmten Meeresgebieten und Vorschriften zur Überwachung der dort tätigen Fischereifahrzeuge.58 Diese VO wurde erlassen, da der Bestand an Seehechten südlich von Irland im Dezember 2000 dramatisch abgenommen hatte. Ziel dieser VO war, den Fang junger Seehechte zu begrenzen, für bestimmte Fanggebiete unabhängig von der Fischart für die Netze größere Mindestmaschenöffnungen vorgeschrieben wurden. In diesem Rahmen hat Art. 3d der oben genannten EG-VO Grundschleppnetze verboten, an denen ein Steert mit einer Maschenöffnung von weniger als 100 mm auf andere Weise angebracht ist als in den vorderen Teil des Netzes eingenäht. Art. 5 dieser EG-VO hat auch die geographischen Gebiete abgegrenzt, in denen die Vorschriften der EG-VO gelten sollen. „Jégo-Quéré“ war eine Fischfang-Reederei mit Sitz in Frankreich, die Netze mit einer geringeren als der vorgeschriebenen Maschenweite (d.h. 80 mm) verwendete und südlich von Irland in dem von der umstrittenen Verordnung erfassten Gebiet ständig gezielten Wittlingfang betrieb. Wittlingfang betrage über zwei Drittel der Ausbeute des Unternehmens. Das Unternehmen stellte eigenen Angaben nach die bedeutendste Reederei dar, die in dem von der umstrittenen EG-VO erfassten Gebiet tätig war, sowie die einzige Gesellschaft, die ständig im keltischen Meer mit Schiffen von über 30m Länge den Wittlingfang betrieb. „Jégo-Quéré“ focht gem. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV beim EuG die erwähnte Verordnung an. Sie argumentierte vor allem, dass diese Vorschrift keine allgemeine Geltung habe und deshalb wie eine Entscheidung behandelt werden müsse. Denn sie betreibe im keltischen Meer die Wittlingfischerei konkurrenzlos und werde, weil die vergrößerte Maschenöffnung zu einem erheblich geringeren Fang vor allem junger Wittlinge führe, durch deren Regelungen unmittelbar und individuell betroffen. Die angegriffenen Vorschriften seien – ihrer Auffassung nach – rechtswidrig. Denn sie beeinträchtigten vor allem ihre wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, verstießen gegen den Gleichheitsgrundsatz und verletzten das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ihren Argumenten zufolge verfüge sie im Falle der
57 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/ Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; Anm. dazu C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 342 ff.; M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/ 02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; krit. dazu J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff. 58 ABl. EG Nr. L 159 vom 15.06.2001, S. 4. Verordnung (EG) Nr. 1162/2001 der Kommission vom 14. Juni 2001 mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Seehechtbestands in den ICES-Gebieten III, IV, V, VI und VII sowie VIII a, b, d, e und Vorschriften zur Überwachung der dort tätigen Fischereifahrzeuge.
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Unzulässigkeit ihrer Nichtigkeitsklage über keinen Rechtsbehelf mehr, da es keinen auf nationaler Ebene erlassenen Rechtsakt gab, der gerichtlich angefochten werden konnte. Die Reederei forderte daher das EuG unter Hinweis auf exArt. 230 Abs. 4 EGV (nunmehr Art. 263 Abs. 4 AEUV) auf, diese Bestimmung weit auszulegen. Das EuG entwickelte zunächst einen neuen, weiter gefassten Ansatz zur Zulässigkeit einer individuellen Nichtigkeitsklage gegen Verordnungen.59 Trotz vielfältiger relevanter Kritik in der Literatur60 ist zunächst das EuG in seiner Entscheidung von den in der sog. Plaumann-Rechtsprechung vorgegebenen Kriterien abgewichen. Das EuG stellte zunächst fest, dass die angegriffenen Vorschriften zwar allgemeine Geltung besäßen, die Klägerin jedoch unmittelbar beträfen, weil sie sich direkt auf ihre Rechtsstellung auswirkten und ohne weitere vermittelnde Rechtsakte oder Ermessensspielräume gleichsam von selbst vollzögen. Dies sei vorliegend mit der klaren und eindeutigen Festsetzung von Mindestmaschenöffnungen in Fangnetzen der Fall.61 Größere Schwierigkeiten bereitete dem EuG indessen die Annahme der individuellen Betroffenheit, die traditionell auf die Plaumann-Formel gestützt ist. Das zu diesem Zweck von der Klägerin ins Feld geführte Argument, sie sei die einzige Reederei, die in den Gewässern südlich von Irland Wittlinge fische und insoweit Nachteile erleide, wies das EuG insofern zurück. Dieser Umstand sei nicht geeignet, die Klägerin zu individualisieren, da die Regelungen sie nur in ihrer objektiven Eigenschaft (als Wittlingfischer) mit einer bestimmten Fangtechnik beträfen und daher wie jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer belasteten, der sich tatsächlich oder potenziell in der gleichen Lage befände.62 Daraus ergebe sich, „dass die Klägerin nach den bisher in der Gemeinschaftsrechtsprechung entwickelten Kriterien nicht als im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EGV individuell betroffen angesehen werden kann.“ 63 59 EuG, Urt. v. 03.05.2002, T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/ Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 60 Vgl. C.-D. Classen, VerwArch 1997, S. 645 ff.; C. Calliess, NVwZ 2002, S. 1577 ff.; T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1108 ff.; P. Baumeister, EuR 2005, S. 1 ff.; D. Dittert, EuR 2002, S. 708 ff.; T. Siegel, DÖV 2007, S. 237 ff.; J. Berkemann, Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 71, 03.11.2011, S. 1 ff.; G. Schohe, EWS 2002, S. 424 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 390 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff.; L. Malferrari/C. Lerche, EWS 2003, S. 254 ff. 61 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 26 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 62 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 38 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 63 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 38 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.
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Parallel dazu hat aber das EuG das Fehlen von anfechtbaren Durchführungsmaßnahmen der umstrittenen Vorschriften anerkannt. Das EuG hat angenommen, dass die Klägerin für den Fall der Unzulässigkeit ihrer Klage nirgendwo sonst Rechtsschutz erlangen und die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften überprüfen lassen könne, und zwar weder vor einem europäischen Gericht noch – mangels nationaler Durchführungsmaßnahmen – vor dem Gericht eines Mitgliedstaates.64 Unter diesen Bedingungen könnte der Kläger keinen ausreichenden effektiven Rechtsschutz im Rahmen des europäischen sowie des nationalen Rechts erlangen. Dies aber verletze den europarechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes.65 Daraus zog das EuG den interessanten Schluss, dass wer von einer Gemeinschaftsbestimmung, die ihn unmittelbar betrifft, in seiner Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt wird, weil sie seine Rechte einschränkt oder ihm Pflichten auferlegt, als individuell betroffen anzusehen ist, um wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen zu gewährleisten.66 Zur Begründung dieser Ausweitung des Individualrechtsschutzes bezog sich nämlich das EuG auf die Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs, die einen Rechtsschutz auch gegen Verordnungen allgemeiner Geltung fordere. Da im vorliegenden Fall der Klägerin Verpflichtungen bezüglich der Maschenöffnungen auferlegt wurden, galt sie nach diesem EuG-Urteil als individuell betroffen. Künftig wäre es somit für den nicht privilegierte Kläger erforderlich, nur noch einen unmittelbaren Eingriff in eigene Rechte zu behaupten und auf fehlenden Gerichtsschutz zu verweisen, um die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage vor den europäischen Gerichten zu begründen.67 Die Zahl oder Situation anderer Personen, deren Rechtsposition durch die Bestimmung ebenfalls beeinträchtigt wird oder werden kann, seien insoweit für die Zulassung einer Nichtigkeitsklage keine maßgeblichen Gesichtspunkte.68 Das EuG betonte aber gleichzeitig, dass ein solcher Umstand keine Änderung des Rechtsschutzsystems gestatten kann, das der (damals) EGV geschaffen hat und das die Gemeinschaftsrichter mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe betraut. Keinesfalls ermöglicht es, die von einer natürlichen oder juristischen Person erhobene Nichtigkeitsklage, die nicht die Voraus64 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 45 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 65 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 45 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; J. Jans/A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 392; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 239 ff. 66 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 45 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 67 Vgl. H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, S. 415 ff. 68 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 51 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission). Vgl. ausführlich Anm. dazu C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 342 ff.; M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.
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setzungen des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV erfüllt, für zulässig zu erklären.69 Doch gibt es kein zwingendes Argument für die These, dass das Zulässigkeitskriterium der individuell betroffenen Person im Sinne von ex-Art. 230 Abs. 4 EGV verlangt, dass ein Einzelner, der eine Maßnahme allgemeiner Geltung anfechten möchte, in ähnlicher Weise individualisiert ist wie ein Adressat.70 Der EuGH hat schließlich dieses EuG-Urteil zurückgewiesen und an der Anwendung der sog. Plaumann-Formel festgehalten.71 Sollte der EuGH der vom EuG eingeschlagenen Rechtsprechungslinie folgen, wäre damit im Primärrecht das größte Hindernis für das Klagerecht von Umweltverbänden auf der Ebene des europäischen Primärrechts beseitigt. Der Auffassung des EuGH nach habe die Vorinstanz die Nichtigkeitsklage der Fischereigesellschaft zu Unrecht für zulässig erachtet. Zwar habe der EGV ein vollständiges System von Rechtsbehelfen geschaffen, das den effektiven Schutz der Rechte gewährleisten soll, die die Bürger aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleiten. Allerdings könne ein Einzelner nicht die Nichtigerklärung einer Gemeinschaftshandlung mit allgemeiner Geltung, wie einer Verordnung, unmittelbar bei den Gemeinschaftsgerichten erwirken. Nur in den Fällen, in denen natürliche oder juristische Personen Adressaten einer sie unmittelbar und individuell betreffenden Gemeinschaftshandlung sind, bestehe die Möglichkeit, diese Handlung vor dem Gemeinschaftsrichter mit einer Nichtigkeitsklage anzufechten. Diese Rechtsprechung führe jedenfalls nicht dazu, dass juristischen oder natürlichen Personen jegliches Rechtsmittel gegen eine europäische Vorschrift genommen werde. Vielmehr könnten die klagenden Betroffenen, sofern sie an einem Verfahren beteiligt sind, in dem eine solche Verordnung mittelbar in Frage gestellt wird, inzident die Rechtmäßigkeit dieser Verordnung bestreiten. Den Betroffenen bleibe es unbenommen, vor den nationalen Gerichten die Ungültigkeit dieser Verordnung geltend zu machen und die Anrufung des EuGH zu beantragen, um die Frage nach der Gültigkeit im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht zu klären.72 Soweit das Gemeinschaftsrecht keine Direktklage nach ex-Art. 230 EGV (nun Art. 263 AEUV), ex-Art. 232 EGV (Art. 265 AEUV) vorsehe, sei es gem. exArt. 10 EGV (nun Art. 4 Abs. 3 S. 2 AEUV) Sache der Mitgliedstaaten, einen Zugang zu einem nationalen Gericht sicherzustellen. Das nationale Gericht muss das einschlägige europäische Recht inzident prüfen und kann bzw. muss dem 69 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 47 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 70 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 48 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 71 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/ Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; L. Malferrari/C. Lerche, EWS 2003, S. 254 ff. 72 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 29 ff. (JégoQuéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
EuGH gem. ex-Art. 234 EGV (nun Art. 267 AEUV) Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen. Dies gelte auch für den Rechtsschutz gegen EG-Verordnungen. Dieser Systematik folgend könne es keine Rechtsschutzlücke im EGV geben. Rechtsschutzlücken können allenfalls im nationalen Bereich auftreten, zu deren Schließung der Gemeinschaftsrichter aber nicht befugt ist. Es überschreite seine Kompetenz, in jedem Einzelfall das nationale Verfahrensrecht darauf zu überprüfen, ob eine solche Lücke tatsächlich vorliegt.73 Mit diesem Urteil des EuGH wurde letztlich klar gezeigt, dass die mangelnde Verfügbarkeit nationalen Rechtsschutzes nicht geeignet ist, die Klagebefugnis nach Art. 230 Abs. 4 EGV bzw. Art. 263 Abs. 4 AEUV zu erweitern.74
IV. Das Urteil „Unión de Pequeños Agricultores“ 75 Obwohl es sich nicht um rein umweltschützende Vorschriften handelt, ist auch das Urteil „Unión de Pequeños Agricultores“ (oder UPA) für die Abgrenzung des überindividuellen Rechtsschutzes von Bedeutung. Dadurch wird das restriktive Konzept der Klagebefugnis nicht privilegierter Kläger bei Nichtigkeitsklagen wieder bestätigt. Es handelte sich um die Klage auf teilweise Nichtigerklärung der EG-VO Nr. 1638/98 des Rates vom 20.07.1998 zur Änderung der EWG-VO Nr. 136/66 über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette.76 Durch diese Verordnung wurde unter anderem eine gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl geschaffen, die ein System garantierter Preise sowie Erzeugungsbeihilfen vorsah. Die durch die Verordnung geschaffenen Mechanismen wurden mehrfach geändert. Die so geänderte gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl umfasste Regelungen über Interventionspreise, Erzeugungsbeihilfen, Verbrauchsbeihilfen, Lagerhaltung sowie Ein- und Ausfuhren. Infolgedessen wurde die vorhergehende Interventionsregelung aufgehoben und durch eine Beihilferegelung mit Verträgen über private Lagerhaltung ersetzt. Die Verbrauchsbeihilfe und die besondere Beihilfe für Kleinerzeuger wurden abgeschafft. Auch der Stabilisierungsmechanismus für die Erzeugungsbeihilfe, der auf einer garantierten Höchstmenge für die gesamte Gemeinschaft beruhte, wur73 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 31 ff. (JégoQuéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff. 74 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 43 ff. (JégoQuéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff., S. 343 ff.; E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 660. 75 EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Unión de Pequeños Agicultures/Rat); vgl. Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402; C. Feddersen, EuZW 2002, S. 532 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff.; G. Schohe, EWS 2002 S. 424 ff.; U. Wölker, DÖV 2003, S. 574 ff. 76 ABl. EG Nr. L 210, S. 32.
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de durch die Einführung einer Aufteilung dieser garantierten Höchstmenge auf die Erzeugermitgliedstaaten in Form garantierter einzelstaatlicher Mengen geändert. Schließlich wurden die nach dem 01.05.1998 angepflanzten Olivenhaine, von Ausnahmen abgesehen, von jeder zukünftigen Beihilferegelung ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund erhob die UPA, ein Berufs- und Interessenverband von kleinen spanischen Landwirtschaftsbetrieben, der nach spanischem Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, gem. ex-ex Art. 173 Abs. 4 EGV Klage auf Nichtigerklärung dieser Verordnung mit Ausnahme der Bestimmungen über die Beihilferegelung für Tafeloliven. Das EuG hat die Klage als offensichtlich unzulässig abgewiesen. Hauptgrund dafür war, dass die Klägerin nicht dargetan hat, dass die angefochtene Verordnung ihre Mitglieder wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührte. Der Hinweis darauf, dass die angefochtene Verordnung zur Zeit ihres Erlasses die Mitglieder der Klägerin, die damals auf dem Olivenölmarkt tätig waren, betraf und möglicherweise zur Beendigung der Tätigkeit einiger von ihnen geführt hatte, war offensichtlich nicht geeignet, sie aus dem Kreis aller übrigen Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft herauszuheben, die sich in einer objektiv umschriebenen Situation befinden. Die angefochtene VO betreffe somit die Mitglieder der Klägerin nur in ihrer objektiven Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmer, die auf diesen Märkten tätig sind, ebenso wie alle anderen auf diesen Märkten tätigen Wirtschaftsteilnehmer.77 Individuelles Betroffensein könne somit nicht anerkannt werden, wenn lediglich geltend gemacht wird, dass die Vorschriften einer umstrittenen europäischen Verordnung einen bestimmbaren und eventuell sehr kleinen Kreis von Marktteilnehmern betreffen und diesem bestimmte Beschränkungen auferlegen.78 Darüber hinaus hat das EuG hinzugefügt, dass die Klägerin die Zulässigkeit ihrer Klage nicht darauf stützen könne, dass die angefochtene VO besondere Interessen beeinträchtige, die sie als Vereinigung habe. Die Klägerin sei somit nach keinem der Kriterien, die die Rechtsprechung für die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage eines Vereins aufgestellt habe, aus dem Kreis der übrigen Wirtschaftsteilnehmer herausgehoben.79 Die Klägerin argumentierte zudem, dass die Gefahr bestehe, keinen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu erhalten, soweit ihre Klage unzulässig ist. Denn mangels eines mitgliedstaatlichen Durchführungsakts, welcher nach spanischem Recht Voraussetzung für eine zulässige Klageerhebung vor spanischen Gerichten 77 EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357, Rn. 50 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat). 78 Vgl. V. Götz, DVBl 2002, S. 1350. 79 EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357, Rn. 53 ff. (Unión de Pequeños Agricultores/Rat).
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gewesen wäre, könnte sie keine inzidente Überprüfung der Verordnung vor mitgliedstaatlichen Gerichten herbeiführen. Demgegenüber hat das EuG auf die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens gem. Art. 177 EGV (nun Art. 267 AEUV) hingewiesen. Der Grundsatz der Gleichheit aller Rechtsbürger hinsichtlich der Voraussetzungen des Zugangs zum Gemeinschaftsrichter im Wege der Nichtigkeitsklage verbiete es, diese Voraussetzungen von der besonderen Ausgestaltung des Gerichtssystems jedes Mitgliedstaats abhängig zu machen. Zudem seien die Mitgliedstaaten aufgrund des in Art. 5 EGV (nun Art. 4 Abs. 3 EUV) verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit80 gehalten, zur Vervollständigung des europäischen Rechtsschutzsystems beizutragen, das mit dem EGV geschaffen wurde und innerhalb dessen dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane übertragen sei.81 Das EuGH-Urteil der zweiten Instanz hat den Beschluss des EuG bestätigt. Der EuGH beschäftigte sich mit der Frage, ob auch ein nicht individuell Betroffener Nichtigkeitsklage erheben kann, wenn vor den nationalen Gerichten ein entsprechender Rechtsbehelf überhaupt nicht zur Verfügung steht. Seiner Auffassung nach gebiete die Gemeinschaftsrechtsordnung i.V. m. allgemeinen Rechtsgrundsätzen, dass Unionsbürger einen effektiven Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten. Der EG-Vertrag hat mit den ex-ex-Art. 173 (jetzt Art. 263 AEUV) und ex-ex-Art. 184 EGV (jetzt Art. 277 AEUV) einerseits und ex-ex-Art. 177 (jetzt Art. 267 AEUV) andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird, gewährleisten soll. Nach diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des ex-ex-Art. 173 Abs. 4 EGV (nun Art. 263 Abs. 4 AEUV) Gemeinschaftshandlungen allgemeiner Geltung nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach ex-ex-Art. 184 EGV (jetzt Art. 277 AEUV) wegen den aus den in ex-ex-Art. 173 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 263 Abs. 2 AEUV) eingeschränkten Gründen vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen feststellen können, zu veranlassen, dem EuGH insoweit Fragen zur Vorabentscheidung (gem. ex-exArt. 177 EGV/jetzt Art. 267 AEUV) vorzulegen.82
80 Vgl. dazu D. Haider, Art. 4 Abs. 3 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2012, Rn. 14 ff. 81 EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357, Rn. 61 ff. (Unión de Pequeños Agricultores/Rat), m.w. N. 82 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 40 (Unión de Pequeños Agicultures/Rat).
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Darüber hinaus betonte der EuGH, dass nach dem durch den EGV geschaffenen System der Rechtmäßigkeitskontrolle eine natürliche oder juristische Person nur dann Klage gegen eine Verordnung erheben kann, wenn sie nicht nur unmittelbar, sondern auch individuell betroffen ist. Diese Voraussetzung ist zwar im Licht des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der verschiedenen Umstände, die einen Kläger individualisieren können, auszulegen; doch kann eine solche Auslegung nicht, ohne dass die den Gemeinschaftsgerichten durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten würden, zum Wegfall der fraglichen Voraussetzung, die ausdrücklich im EG-Vertrag vorgesehen ist, führen.83 Der EuGH gab damit einem dezentralen Rechtsschutz den Vorzug. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet zu gewährleisten, dass ihre Bürger nationale Maßnahmen gerichtlich angreifen und dabei die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Verordnung in Frage stellen könnten. Auch wenn das nationale Verfahrensrecht diesen Vorgaben nicht gerecht wird, halten die Richter eine Direktklage vor den Gerichten der EU für unzulässig. Andernfalls müsste der EuGH das nationale Verfahrensrecht auslegen. Dies wäre jedoch eine Kompetenzüberschreitung. Um die Lücke im Rechtsschutz zu schließen, müssten demnach die Mitgliedstaaten eine Änderung des EG-Vertrages beschließen. Auch wenn ein anderes System der Rechtmäßigkeitskontrolle der Gemeinschaftshandlungen allgemeiner Geltung als das durch den EGV geschaffene sicherlich vorstellbar ist, so wäre es doch Sache der Mitgliedstaaten, das derzeit geltende System gegebenenfalls zu reformieren.84 1. Die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs Von Bedeutung ist, dass im Gegensatz zu dem oben skizziert zusammengefassten EuGH-Urteil Generalanwalt Jacobs sich in seinen Schlussanträgen zu dieser Rechtssache für eine neue Auslegung des Begriffs der individuellen Betroffenheit aussprach. Demnach soll ein Einzelner als individuell von einer Gemeinschaftshandlung betroffen zu betrachten sein, „wenn die Handlung auf Grund seiner persönlichen Umstände erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder haben kann“.85 Zudem vertrat er die Auffassung, dass das Verfahren vor europäischen Gerichten gem. ex-Art. 230 EGV (nun Art. 263 AEUV) generell geeigneter sei, um 83 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 44 (Unión de Pequeños Agicultures/Rat). 84 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 45 (Unión de Pequeños Agicultures/Rat); M. Burgi, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann (Hrsg.), Hdb. des Rechtsschutzes in der EU, 2003, § 7, Rn. 49; W. Cremer, DV 2004, S. 175 ff. 85 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 103 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.
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über Gültigkeitsfragen zu entscheiden als das Vorabentscheidungsverfahren nach ex-Art. 234 EGV (nun Art. 267 AEUV). Hauptgrund dafür ist, dass das Organ, das die angefochtene Handlung erlassen hat, von Anfang bis Ende als Partei beteiligt ist. Dabei führt eine Direktklage zu einem vollständigen Austausch der Argumente – im Gegensatz zu einmaligen Stellungnahmen, denen mündliche Ausführungen vor dem EuGH folgen. Die Möglichkeit, aufgrund der in allen Mitgliedstaaten geltenden Art. 242 EGV und Art. 243 EGV (nun Art. 278 und Art. 279 AEUV) vorläufigen Rechtsschutz zu erhalten, stellt einen weiteren großen Vorteil für Individualkläger und für die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts dar.86 Laut dieser Ansicht sei die restriktive Rechtsprechung zur Klagebefugnis Einzelner mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unvereinbar. Eine Überprüfung von Handlungen in Verfahren vor nationalen Gerichten mag zwar geeignet sein, wenn sich in einem Fall gleichzeitig Auslegungs- und Gültigkeitsfragen im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht stellen, doch sind Verfahren vor den europäischen Gerichten gem. ex-Art. 230 EGV (nun Art. 263 AEUV) eindeutig geeigneter, wenn ein Fall ausschließlich die Gültigkeit einer Handlung betrifft. Da solche Fälle definitionsgemäß Rechtsfragen aufwerfen, stellte die Möglichkeit eines auf Rechtsfragen beschränkten Rechtsmittels gem. ex-Art. 225 EGV (nun Art. 256 AEUV) sicher, dass der EuGH wirksam die endgültige Kontrolle über die Entscheidungen des EuG ausüben könnte.87 Dadurch würde dem Kläger ein tatsächliches Recht auf Zugang zu einem Gericht gewährt, das Abhilfe schaffen kann. Dabei würden Fälle möglicher Rechtsverweigerung vermieden und der gerichtliche Rechtsschutz in verschiedener Hinsicht verbessert. Außerdem stünde eine solche neue Auslegung des europäischen Rechtsschutzsystems in Einklang mit der schon dargestellten allgemeinen Tendenz in der Rechtsprechung, die Reichweite des gerichtlichen Rechtsschutzes als Reaktion auf die Ausweitung der Befugnisse der Gemeinschaftsorgane auszudehnen. In diesem Rahmen erschiene auch die Befürchtung einer Überlastung des Gerichts als übertrieben. Denn es gibt ausreichende prozessuale Mittel, um einen moderateren Anstieg der Zahl der Rechtssachen zu bewältigen. Insbesondere die zweimonatige Klagefrist des ex-Art. 230 Abs. 5 EGV (nun Art. 263 Abs. 6 AEUV) sowie das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit könnten ein unüberwindbares Ansteigen der Zahl der Rechtssachen verhindern.88 Der EuGH hat aber, wie schon ausgeführt wurde, die oben dargestellte Konzeption abgelehnt. Er hat grundsätzlich darauf hingewiesen, dass ein solcher An86 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 45 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 87 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 49 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 88 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 102 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.
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satz nicht über die Hürden des Wortlauts des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nun Art. 263 Art. 4 AEUV) hinweghelfen können und eine derart grundlegende Änderung des europäischen Rechtsschutzsystems dem Verfahren nach Art. 48 EUV vorbehalten sei.89
V. Die Urteile „EEB u. a.“ 90 Die Rechtsprechung der Plaumann-Formel insbesondere im Bereich des Umweltschutzes wurde auch in den hier genannten EEB-Fällen91 bestätigt. Im Fall [EuG, 28.11.2005, T-94/04 European Environmental Bureau u. a. (EEB) gegen Kommission] handelte es sich um die Nichtigkeitsklage von Umweltschutzvereinigungen,92 Gewerkschaften, die Arbeitnehmer verschiedener Branchen, u. a. des Bereichs Landwirtschaft und Plantagen, vertreten93, sowie einer Gesellschaft, die die Förderung nachhaltiger Lösungsalternativen zur Verwendung von Pestiziden bezweckte.94 Die erhobene Nichtigkeitsklage richtete sich gegen die Richtlinie 2003/112 zur Änderung der Richtlinie 91/414 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln zwecks Aufnahme des möglicherweise umweltbelastenden und gesundheitsgefährdenden giftigen Pestizidwirkstoffs Paraquat, der als Herbizid für Pflanzenschutzmittel verwendet werden darf.95 Das EuG hielt diese Klage für unzulässig. Der Ansicht des EuG nach kann mit den negativen Auswirkungen des angefochtenen Rechtsakts auf die von den Vereinigungen vertretenen Interessen sowie auf die Eigentumsrechte der Klägerin „Svenska Naturskyddföreningen“ nicht nachgewiesen werden, dass diese von 89 Vgl. ausführlich dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff. 90 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919 (EBB u. a./Kommission); EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-236/04, T-241/04, Slg. 2005, II-04945 (EBB, Stichting Natuur en Milieu/Kommission). 91 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919 (EBB u. a./Kommission). 92 European Environmental Bureau (EEB) mit Sitz in Brüssel (Belgien)/Stichting Natuur en Milieu mit Sitz in Utrecht (Niederlande), Svenska Naturskyddföreningen mit Sitz in Stockholm (Schweden). Die Naturskyddförening ist außerdem Eigentümerin eines Landguts, Osaby, im Südosten Schwedens, bei dem eine vollständig organische Landwirtschaft gewährleistet ist. Nach dem Vorbringen der Kläger machen der Standort des Gutes Osaby und der ganz einzigartige Charakter der Biotope, die dort erhalten sind, das Gut zu einem vollständig geeigneten Lebensraum für Amphibien wie den Kammmolch (Triturus cristatus) und den Moorfrosch (Rana arvalis), die nach der Richtlinie 92/43 geschützt sind. 93 International Union of Food, Agricultural, Hotel, Restaurant, Catering, Tobacco and Allied Workers’ Associations (IUF) mit Sitz in Genf (Schweiz)/European Federation of Trade Unions in the Food, Agricultural and Tourism sectors and allied branches (EFFAT). Dieser ist ein belgischer Verband und gilt als regionale Zweig der IUF. 94 Pesticides Action Network Europe mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich). 95 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919, Rn. 9 ff. (EBB u. a./ Kommission).
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dem Rechtsakt individuell betroffen sind. Hauptgrund dafür ist, dass die Bestimmungen dieses Rechtsakts sie in ihrer objektiven Eigenschaft als Umweltschutzorganisationen berühren und zwar in der gleichen Weise wie jede andere Person in der gleichen Lage.96 Auch die Tatsache, dass die Kläger einen besonderen Status als Berater bei den Gemeinschaftsorganen und/oder bei nationalen und supranationalen Behörden besitzen, erlaubt als solche nicht die Annahme, dass sie von dem angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen sind. Denn die Tatsache, dass eine Person in irgendeiner Weise in das Verfahren eingreift, das zum Erlass eines Gemeinschaftsrechtsakts führt, ist nur dann geeignet, diese Person hinsichtlich des fraglichen Rechtsakts zu individualisieren, wenn für sie in der anwendbaren Gemeinschaftsregelung bestimmte Verfahrensgarantien vorgesehen wurden.97 Die Grundsätze der Normenhierarchie lassen es nicht zu, dass eine Maßnahme des abgeleiteten Rechts Einzelnen, die nicht die Erfordernisse des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV erfüllen, eine Klagebefugnis verleiht.98 Die Tatsache, dass die Kommission in der Begründung des Vorschlags für eine Verordnung des Aarhus-Übereinkommens99 angibt, dass die Kläger klagebefugt seien, befreit diese nicht von dem Nachweis, dass sie von dem angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen sind. Denn der EG-Vertrag hat mit den ex-Art. 230 EGV und ex-Art. 241 EGV einerseits und ex-Art. 234 EGV andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird, gewährleisten soll. Nach diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des ex-Art. 230 Abs. 4 EG Gemeinschaftshandlungen allgemeiner Geltung nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach ex-Art. 241 EG vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen feststellen können, 96 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919, Rn. 53 (EBB u. a./Kommission); vgl. auch Compliance Committee, Aarhus Convention, Report, ACCC/C/ 2008/32 (Part I), 2011, S. 8 ff. 97 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919, Rn. 57 (EBB u. a./Kommission). Vgl. auch EuG, Beschl. v. 29.04.2002, Rs. T-339/00, Slg. 2002, II-2287, Rn. 51 (Bactria/Kommission); s. mehr dazu EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008 (WWF-UK Ltd/Rat); Anm. dazu M. Till, ZUR 2009, S. 194 ff.; EuGH, Urt. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat). 98 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919, Rn. 66 ff. (EBB u. a./ Kommission). 99 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Århus-Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft (KOM[2003]622 endg.).
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zu veranlassen, dem EuGH insoweit Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.100 Aus ähnlichen Gründen wurde auch eine weitere Nichtigkeitsklage der Umweltvereinigungen EEB und Stichting Natuur en Milieu gegen die Entscheidungen 2004/248 und 2004/247 über die Nichtaufnahme des umweltschädlichen und gesundheitsgefährdenden Pestizidwirkstoffs Atrazin bzw. Simazin in Anhang I der Richtlinie 91/414 und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesen Wirkstoffen als unzulässig abgelehnt.101
VI. Das Urteil „Açores“ 102 Im Açores-Fall hatte das EuG die Gelegenheit, die Plaumann-Formel erneut zu überprüfen. Die autonome Region Portugals, Região Autónoma dos Açores, erhob eine Nichtigkeitsklage gegen Vorschriften der EG-VO Nr. 1954/2003 des Rates zur Steuerung des Fischereiaufwands für bestimmte Fanggebiete und Fischereiressourcen der Gemeinschaft.103 Der Auffassung der Klägerin nach würde diese Verordnung für sie schädliche Konsequenzen hervorbringen, denn sie öffnete in der Tat die Fischerei auf Tiefseearten in den Gewässern der Azoren auch für nicht-portugiesische mitgliedstaatliche Schiffe. Die Klägerin behauptete, dass insbesondere durch den Zugang der spanischen Schiffe zu diesen Gewässern die Fischbestände erheblich geschädigt würden, was ihr nicht unerhebliche wirtschaftliche und umweltbezogene Schäden verursachen würde.104 Auch in diesem Fall wurde eine individuelle Betroffenheit der Klägerin abgewiesen. Denn das allgemeine Interesse, das die Klägerin als die für die in ihrem Gebiet auftretenden Wirtschaftsfragen und insbesondere für die Fischerei zuständige Einheit an einem für den Wohlstand dieses Gebietes günstigen Ergebnis haben kann, reichte für sich genommen nicht aus, um sie als im Rahmen des 100 EuG, Urt. v. 28.11.2005, Rs. T-94/04, Slg. 2005, II-4919, Rn. 62 (EBB u. a./Kommission), m.w. N. Vgl. auch Compliance Committee, Aarhus Convention, Report, ACCC/C/2008/32 (Part I), 2011, S. 8 ff. 101 EuG, Urt. v. 07.07.2005, Rs. T-236/04, T-241/04, Slg. 2005, II 04945, insb. Rn. 56, 58, 61–62, 66, 71–72 (EBB, Stichting Natuur en Milieu/Kommission). Vgl. auch Compliance Committee, Aarhus Convention, Report, ACCC/C/2008/32 (Part I), 2011, S. 8 ff. 102 EuG, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04 P, Slg. 2004, II-2153 (Região autónoma dos Açores/Rat); EuG, Urt. v. 01.07.2008, T-37/04, Slg. 2008, II-103 (Região autónoma dos Açores/Rat); EuGH, Urt. v. 26.11.2009, Rs. C-444/08 P, Slg. 2009, I-200 (Região autónoma dos Açores/Rat). 103 EG-VO Nr. 1954/2003 des Rates vom 04.11.2003 zur Steuerung des Fischereiaufwands für bestimmte Fanggebiete und Fischereiressourcen der Gemeinschaft, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 685/95 und (EG) Nr. 2027/95, Amtsblatt Nr. L 289, 07/11/2003, S. 0001 ff. 104 EuGH, Urt. v. 26.11.2009, Rs. C-444/08, Slg. 2009, I-200, Rn. 20 (Região autónoma dos Açores/Rat).
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
ex-Art. 230 Abs. 4 EGV betroffen anzusehen. Ebenso wenig reicht es zur Glaubhaftmachung der individuellen Betroffenheit der Klägerin aus, dass sie einen besonderen Schutz nach dem EGV (gem. Art. 299 Abs. 2 EGV) dadurch genießt, dass der angefochtene Rechtsakt sie ausdrücklich und namentlich anführt oder dass der Rat beim Erlass der angefochtenen Verordnung die Lage der Klägerin zu berücksichtigen hatte.105 Die Klägerin müsse letztlich laut der Plaumann-Formel glaubhaft machen, dass sie durch den angefochtenen Rechtsakt aufgrund von Umständen betroffen wird, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen, darunter die anderer äußerster Randgebiete, herausheben. Dies könne dem ersten Anschein nach der Fall sein, wenn sie glaubhaft machen könne, dass die angefochtene Verordnung wesentliche und unmittelbare Auswirkungen auf ihre Rechtsstellung habe, weil ihr durch die Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung die Befugnis zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Fischerei genommen werde, weil die Fischereitätigkeiten, die einen wichtigen Teil ihrer Wirtschaft darstellen, durch die angefochtene Verordnung beeinträchtigt werden, und weil ihre Lage besonders geartet ist, was das marine Ökosystem und die Fischereitätigkeiten angeht.106 Diese Voraussetzungen gelten aber nach Ansicht des zuständigen Gerichts nicht in diesem Fall. Zudem war von Bedeutung, dass das EuG feststellte, dass Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens letztlich auf die strikten Rechtsschutzkriterien des nationalen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats verweist, die durch Art. 230 Abs. 4 EGV sowie durch die europäische Rechtsprechung festgelegt sind.107 Da auch die Klagebefugnisvoraussetzungen von Art. 10–12 der EG-VO Nr. 1367/2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkom105
EuG, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04, Slg. 2004, II-2153, Rn. 116 ff. (Região autónoma dos Açores/Rat). 106 EuG, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04, Slg. 2004, II-2153, Rn. 116 ff. (Região autónoma dos Açores/Rat); EuGH, Urt. v. 26.11.2009, Rs. C-444/08, Slg. 2009, I-200, Rn. 44 ff. (Região autónoma dos Açores/Rat). 107 EuG, Urt. v. 01.07.2008, T-37/04, Slg. 2008, II-103, Rn. 93 (Região autónoma dos Açores/Rat), „[. . .] it should be recalled that Article 9(3) of the Aarhus Convention refers expressly to ,the criteria, if any, laid down in [the] national law’ of the contracting parties which are laid down, with regard to actions brought before the Community judicature, in Article 230 EC.it is true that the conditions for admissibility laid down in that provision are strict, the fact remains that the Community legislature adopted, in order to facilitate access to the Community judicature in environmental matters, Regulation (EC) No 1367/2006 of the European Parliament and of the Council of 6 September 2006 on the application of the provisions of the Aarhus Convention (OJ 2006 L 264, p. 13). Title IV (Articles 10 to 12) of that regulation lays down a procedure on completion of which certain non-governmental organisations may bring an action for annulment before the Community judicature under Article 230 EC. Since the conditions laid down in Title IV of that regulation are manifestly not satisfied in the present case, it is not for the Court to substitute itself for the legislature and to accept, on the basis of the Aarhus Convention, the admissibility of an action which does not meet the conditions laid down in Article 230 EC. That argument, also, must therefore be rejected.“
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
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mens von Aarhus108 offensichtlich nicht erfüllt waren, konnte das EuG aufgrund des Aarhus-Übereinkommens die Nichtigkeitsklage der Klägerin nicht als zulässig annehmen.109 Wegen der restriktiven Voraussetzungen der sog. Plaumann-Formel konnte im Ergebnis auch hier die Nichtigkeitsklage der Klägerin nicht als zulässig angenommen werden, trotz der Tatsache, dass sie in der Praxis wirtschaftliche und umweltbezogene Schäden erlitten hat.
VII. Das Urteil „WWF-UK Ltd.“ 110 In diesem Fall handelte es sich um eine Nichtigkeitsklage einer Nichtregierungsorganisation gegen eine mit Sekundär- und Primärrecht konfligierende Fischfangquotenverordnung des Rates. Auch diese Klage wurde aus Mangel an individueller Betroffenheit als unzulässig abgewiesen. In Bezug auf seinen Sachverhalt sandte der Exekutivausschuss des Regionalen Fischereiberatungsgremiums für die Nordsee („North-Sea Regional Advisory Council“, hiernach: NS-RAC) am 12.12.2006 an die Kommission und den Rat eine Empfehlung zum Quotenverordnungsvorschlag der Kommission für das Jahr 2007. Teil dieser Empfehlung war eine so genannte „abweichende Meinung“ der anerkannten nichtstaatlichen umweltschützenden Organisation WWF-UK, die Mitglied des Exekutivausschusses des NS-RAC war, die darauf hinwies, dass der „Internationale Rat für die Erforschung der Meere“ [„International Council for the Exploration of the Seas“ (hiernach: ICES)], d.h. ein internationales Gremium von Meereswissenschaftlern, das jedes Jahr der Kommission ein Gutachten über den Bestand und die Nutzbarkeit der durch die Gemeinschaftsfischereien befischten Bestände zur Verfügung stellt, für die letzten fünf Jahre ein Fangverbot für Nordseekabeljau empfohlen hätte. Grund für diese Empfehlung war die Tatsache gewesen, dass die fraglichen Bestände sich während dieser Zeit außerhalb sicherer biologischer Grenzen befunden hatten.111 Der WWF-UK wies darauf hin, dass er vor diesem Hintergrund dem Vorschlag der Kommission nicht zustimmen könne, sondern ebenfalls ein Fangverbot für die Kabeljaubestände, für die ja auch die sog. Wiederauffüllungsplans-Verordnung112 gelte, empfähle. Schlussendlich setzte der Rat in den strittigen Regelun108
s. ausführlich dazu unten 3. Teil, 6. Kap., C. ff. EuG, Urt. v. 01.07.2008, T-37/04, Slg. 2008, II-103, Rn. 93 (Região autónoma dos Açores/Rat). 110 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008 (WWF-UK Ltd/Rat); Anm. dazu M. Till, ZUR 2009, S. 194 ff.; EuGH, Urt. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat). 111 M. Till, ZUR 2009, S. 194, m.w. N. 112 EG-VO Nr. 423/2004 des Rates vom 26.02.2004 mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung der Kabeljaubestände, ABl. 2004, Nr. L 70/8. 109
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
gen seiner Fangquotenverordnung für 2007 aber eine Fangmenge von 30.000 Tonnen für die fraglichen Bestände fest. Im März 2007 reichte der WWF-UK dann eine Klage vor dem EuG ein, die auf die Nichtigerklärung genau dieser Vorschriften der Jahresfangmengenverordnung abzielte. In seiner Klageschrift (am 12.12.2006) vertrat der WWF-UK die Auffassung, dass die strittigen Regelungen gegen geltendes Gemeinschaftsrecht verstießen. Zum einen widersprächen sie den Fangmengenbeschränkungen, dem sog. „Total Allowable Catch“ (TAC) in Art. 7 der sog. Wiederauffüllungsplans-Verordnung. Zum anderen verstießen sie gegen das Vorsorgeprinzip, wie es in den Art. 5 Abs. 3 und 2 Abs. 1 der sog. Fischereigrundverordnung113, ex-Art. 174 EGV (nun Art. 191 AEUV) und den Art. 5 und 6 des „VN-Fischereiabkommens über weitwandernde Arten“ festgeschrieben sei. Alternativ wurde vorgebracht, dass, wenn der Wiederauffüllungsplan kein Fangverbot zulasse bzw. gebiete, dieser dann selbst gegen das Vorsorgeprinzip in den Art. 5 Abs. 2 und 2 Abs. 1 der FischereigrundVO verstoßen würde.114 Um die Zulässigkeit seiner Nichtigkeitsklage zu begründen leitet der WWFUK seine individuelle Betroffenheit vor allem aus den Regeln des Gemeinschafts- und Völkerrechts ab, die ihn, seiner Auffassung nach, im fischereirechtlichen Gesetzgebungsverfahren mit besonderen Rechten ausstatten. Daraus ergibt sich, dass die Mitglieder des NS-RAC und vor allem die Mitglieder des Exekutivausschusses eine geschlossene und identifizierbare Personengruppe darstellen.115 Im Anschluss daran führt der WWF-UK an, dass sich aus den ihm durch die AK und der zu ihrer Umsetzung auf Gemeinschaftsebene erlassenen sog. AarhusVO (AK-VO) Nr. 1367/2006116 verliehenen Rechten ein besonderer Status be113
EG-VO Nr. 2371/02 des Rates vom 20. Dezember 2002 über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik, ABl. 2002 Nr. L 358/59. 114 M. Till, ZUR 2009, S. 194, m.w. N. Vgl. GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 59 (Unión de Pequeños Agricultores); M. Kottmann, ZäöRV 2010, S. 558. 115 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 42 ff. (WWFUK Ltd/Rat). Der WWF-UK hat angeführt, dass er als Mitglied des Exekutivausschusses des NS-RACs ermächtigt sei, an dem Gesetzgebungsverfahren, das zur Annahme der angegriffenen Fangverordnung führte, teilzunehmen. Dieses Recht ergebe sich aus den Art. 4 Abs. 2 Buchst. d, f, Art. 5 Abs. 4 und Art. 31 Abs. 5 der FischereigrundVO. Art. 4 Abs. 2 der FischereigrundVO lege fest, dass Bestandserhaltungsmaßnahmen „unter Berücksichtigung der verfügbaren wissenschaftlichen Gutachten (. . .) wie auch etwaiger Stellungnahmen der regionalen Beratungsgremien gemäß Art. 31 ausgearbeitet“ werden. Nach Art. 31 Abs. 5 Buchst. a FischereigrundVO könnten die Beratungsgremien der Kommission oder eines Mitgliedstaats „von sich aus oder auf Ersuchen der Kommission oder eines Mitgliedstaates (. . .) Empfehlungen und Anregungen zu Bestandsbewirtschaftungsmaßnahmen unterbreiten“. Zwar sei die Kommission gemäß Art. 31 Abs. 4 FischereigrundVO nicht verpflichtet gewesen, die RACs zu konsultieren; sie hätte es aber im vorliegenden Fall hinlänglich getan und dies auch in offiziellen Dokumenten zum Ausdruck gebracht.
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
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züglich des Verfahrens ergebe, welches zur Annahme der strittigen Verordnung geführt habe. Aufgrund dieses Status sei er durch die angegriffene Fangverordnung unmittelbar und individuell i. S. d. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nun Art. 263 Abs. 4 AEUV) betroffen.117 Vor dem Hintergrund der Art. 6 Abs. 2 und 2 Abs. 5 AK und Art. 9 Abs. 2 und 3 der AK-VO habe der WWF-UK als Teil der Öffentlichkeit das Recht gehabt, frühzeitig informiert und in das Quotenfestsetzungsverfahren involviert zu werden.118 Würde dem WWF-UK die Möglichkeit der Direktklage vor dem EuG versagt, gäbe es keine alternative Möglichkeit, ein Klageverfahren vor den mitgliedstaatlichen Gerichten anzustrengen. Des Weiteren gäbe es aber auch keinen anderen Kläger, der bereit sei, die Ratsverordnung einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen. Dadurch würde aber das Prinzip des effektiven Rechtsschutzes verletzt.119 Letztlich wurde auch das Argument vorgetragen, dass unter den aufgezeigten Bedingungen die Gefahr eines irreparablen ökologischen Schadens bestehe und der Machtmissbrauch der Gemeinschaftsinstitutionen (nämlich das Außerachtlassen der am Bestandsschutz orientierten Regeln zugunsten kurzfristiger politischökonomischer Interessen) ein Klagerecht nach ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nun Art. 263 Abs. 4 AEUV) rechtfertige.120 Das EuG akzeptierte grundsätzlich das Argument, dass die Verfahrensbeteiligung einer Person in einem Gemeinschaftsgesetzgebungsprozess geeignet sein könne, diese Person im Hinblick auf das in dem entsprechenden Verfahren erlassene Gesetz derart von anderen Personen zu unterscheiden, dass diese individuell i. S. d. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nun Art. 263 Abs. 4 AEUV) betroffen ist. Dies gelte allerdings nur, insoweit die Beteiligung auf einem qualifizierten, einem sogenannten „bestimmten Beteiligungsrecht“ basiere.121 116 EG-VO Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.9.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltanagelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 v. 25.09.2006, S. 13. Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/ J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. Zu beachten ist, dass die EG-Verordnung Nr. 1049/2001 und ergänzend Art. 4–9 der AK-VO den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten regeln. 117 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 53 (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N. 118 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 54 ff. (WWFUK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196 ff. 119 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 60 (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196 ff. 120 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 56 ff. (WWFUK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196. 121 Ebd. Rn. 69, m.w. N.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
Obwohl das EuG bestätigte, dass der WWF-UK am Gesetzgebungsverfahren der strittigen Fangquotenverordnung beteiligt gewesen sei, verweigert es aber, dass die in den Art. 4 Abs. 2 Buchst. d, f und Art. 31 Abs. 1 und 4 der Fischereigrund-VO der EG Nr. 2371/02 und Art. 7 Abs. 3 der Ratsentscheidung Nr. 585/ 04122 niedergelegten Beteiligungsrechte des NS-RAC als „bestimmte Beteiligungsrechte“ i. S. der Rechtsprechung zur unmittelbaren und individuellen Betroffenheit zu qualifizieren sind. Grundsätzlich geht das EuG davon aus, dass keine Vorschrift im geltenden europäischen Recht, weder in der FischereigrundVO noch im Ratsbeschluss Nr. 585/04, den WWF konkret-individuell mit den in der Rechtsprechung beschriebenen „bestimmten Verfahrensrechten“ ausstattet.123 Aufgrund der Abwesenheit einer solchen ausdrücklichen, konkret-individuellen Ermächtigung widerspreche es sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV, dem WWF-UK ein Klagerecht einzuräumen.124 Sollten die Vorschriften über den NS-RAC als „bestimmte Verfahrensrechte“ zu qualifizieren sein, würden diese sich lediglich an die Institution des NS-RAC als solchen und nicht an seine Mitglieder richten.125 Das EuG erklärt auch, dass, selbst wenn die Teilnahmerechte des WWF an den RAC als qualifizierte Verfahrensrechte zu bewerten wären, die Klage nicht auf den Schutz dieser Rechte ausgerichtet sei. Die Mitglieder des NS-RAC oder seines Exekutivausschusses könnten nicht als geschlossene und identifizierbare Personengruppe bewertet werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Klageschrift des NS-RAC vom 12.12.2006 die „abweichende Meinung“ des WWF-UK enthielt.126 Angesichts der vorliegenden Situation, dass für den Kläger kein effektiver Rechtsschutz gewährleistet sei, erwidert das EuG, dass ex-Art. 230 EGV zwar grundsätzlich im Lichte des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes interpre-
122 Laut Art. 7 Abs. 3 des Ratsbeschlusses Nr. 585/04 vom 19. Juli 2004 zur Einsetzung regionaler Beiräte für die Gemeinsame Fischereipolitik: „Die Mitglieder des Exekutivausschusses nehmen Empfehlungen möglichst einvernehmlich an. Wird kein Einvernehmen erzielt, so werden die abweichenden Meinungen in die Empfehlungen aufgenommen, die von der Mehrheit der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder angenommen werden. Die Kommission und gegebenenfalls die beteiligten Mitgliedstaaten beantworten die Empfehlungen präzise binnen einer angemessenen Frist und spätestens innerhalb von drei Monaten, nachdem sie diese Empfehlungen in schriftlicher Form erhalten haben.“ 123 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 75 (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196. 124 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 87 ff. (WWFUK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196. 125 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 72 (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196. 126 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 74 (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196.
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tiert werden müsse; eine solche Interpretation aber nicht dazu führen könne, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift außer Kraft gesetzt werden.127 Bezüglich der Einräumung von Beteiligungsrechten durch die AK führt das EuG aus, dass Art. 6 Abs. 2 AK dem WWF Beteiligungsrechte lediglich als Teil der Öffentlichkeit zur Verfügung stelle. Eine solche Ermächtigung vermöge aber gerade nicht, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen im Sinne der traditionellen PlaumannFormel der individuellen Betroffenheit herauszuheben.128 Gegen den Beschluss des EuG hat der WWF-UK ein Rechtsmittel vor dem EuGH eingereicht. Der EuGH hat grundsätzlich die Argumentation des EuG bestätigt und hat somit das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen.129 Der EuGH hat festgestellt, dass eine juristische Person, die sich an Verfahren zur Ergreifung von EU-Maßnahmen beteiligt hat, als individuell von diesen Maßnahmen betroffen angesehen werden kann, soweit die geltenden EU-Rechtsvorschriften ihr bestimmte Verfahrensgarantien gewährleisten.130 Sieht somit ein europäischer Rechtsakt in Bezug auf die Ergreifung von Maßnahmen ein bestimmtes Verfahren vor, unter dem eine natürliche oder juristische Person Rechte, etwa das Anhörungsrecht, geltend machen kann, dann kann diese Person als klagebefugt im Rahmen von ex-Art. 230 Abs. 4 EGV betrachtet werden.131 Wenn solche Verfahrensrechte einer Institution, die aus mehreren Mitgliedern besteht, eingeräumt sind und der strittige Rechtsakt nur die Institution aber nicht ihre Mitglieder ausdrücklich aufführt, dann kann nur die Institution – und 127 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 87 ff. (WWFUK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 197. 128 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 74 (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196. 129 EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 41 ff. (WWFUK Ltd/Rat). 130 EuGH, Beschl. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 42 (WWF-UK Ltd/Rat); EuGH, Urt. v. 16.09.2005, Rs. C-342/04 P, Rn. 39 (Schmoldt u. a./Kommission). 131 EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 43 (WWF-UK Ltd/Rat); EuGH, Urt. v. 25.10.1977, Rs. C-26/76, Slg. 1977, 1875, Rn. 13 (Metro SB-Großmärkte/Kommission); EuGH, Urt. v. 16.09.2005, Rs. C-342/04 P, Rn. 39 (Schmoldt u. a./Kommission). Moreover where a provision of Community law requires, for the adoption of a Community act, a procedure to be followed under which a person may claim rights, such as the right to be heard, the particular legal position in which that person is thereby placed sets him apart for the purposes of the fourth paragraph of Article 230 EC (see, to that effect, Case 26/76 Metro SB-Großmärkte v Commission [1977] ECR 1875, paragraph 13, and order in Schmoldt and Others v Commission, paragraph 40 and the case-law cited). Where such procedural rights are conferred on an entity composed of a number of members, only the entity expressly named in the Community provision conferring those rights may be regarded as individually concerned for the purposes of the fourth paragraph of Article 230 EC, and not its members taken individually (see the order in Schmoldt and Others v Commission, paragraphs 41 and 42).
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
nicht ihre Mitglieder – im Fall einer Verletzung dieser Rechte gem. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nun Art. 263 AEUV) als individuell betroffen angesehen werden.132 Der EuGH zieht somit den Schluss, dass, auch wenn man akzeptiere, dass der Gesetzgeber für die jeweils klagende Institution bestimmte Verfahrensgarantien vorsieht, dies allerdings nicht bedeutet, dass sie berechtigt ist, den materiellrechtlichen Inhalt der strittigen Rechtsvorschriften gerichtlich anzufechten. Der genaue Umfang des Anfechtungsrechts eines Einzelnen gegenüber einer Unionshandlung hängt von seiner durch das Unionsrecht bestimmten rechtlichen Stellung zum Schutz der so anerkannten legitimen Interessen ab.133 Diese Urteile wurden allerdings scharf kritisiert.134 Zunächst wurde vorgetragen, dass das EuG nicht ausreichend erklärte, warum es die in der Fischereigrundsverordnung und der NS-RAC-Entscheidung niedergelegten Beteiligungsrechte nicht als entsprechende Ansprüche bewertet. Es wird die Ansicht vertreten, dass aus den auf die hier Bezug genommenen Normen und Gesetzesbegründungen135 der Wille des Rates klar erkennbar sei, Umweltschutzinteressen stärker als 132 EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 43 (WWF-UK Ltd/Rat); EuGH, Urt. v. 16.09.2005, Rs. C-342/04 P, Rn. 41–42 (Schmoldt u. a./Kommission). 133 EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 44 (WWF-UK Ltd/Rat). 134 Vgl. M. Till, ZUR 2009, S. 194 ff. 135 Aufgrund Art. 4 Abs. 2 FischereigrundVO „werden Bestandserhaltungsmaßnahmen unter Berücksichtigung [. . .] etwaiger Stellungnahmen der regionalen Beratungsgremien [. . .] ausgearbeitet“. Für eine qualifizierende Wirkung dieser Vorschrift könnte sprechen, dass sowohl dieser als auch andere Artikel der FischereigrundVO und der Entscheidung, die die RACs etablieren, den politischen Willen des Rates abbilden, die Beteiligung von allgemeinen und insbesondere Umweltinteressen(gruppen) im Fangmengengesetzgebungsprozess innerhalb der Gemeinsamen Fischereipolitik zu stärken. Auch Erwägungsgrund (27) der FischereigrundVO erklärt: „Zur erfolgreichen Umsetzung der Gemeinsamen Fischereipolitik sollten regionale Beratungsgremien eingesetzt werden, die dazu beitragen, das Wissen und die Erfahrung der betroffenen Fischer und sonstiger Beteiligter für die Gemeinsame Fischereipolitik zu nutzen und den unterschiedlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Gemeinschaftsgewässern Rechnung zu tragen“. Des Weiteren erklärt Erwägungsgrund (1) der Ratsentscheidung 585/04, dass durch die in den Artikeln 31 und 32 der FischereigrundVO geschaffenen regionalen Beratungsgremien „neue Formen der Mitwirkung von Interessengruppen“ an der Gestaltung der Gemeinsamen Fischereipolitik eingeführt werden. Art. 31 Abs. 2 der FischereigrundVO definiert dann, welche Interessen durch die Interessengruppen vertreten werden sollen. Danach bestehen die RACs hauptsächlich aus „Fischern und anderen Vertretern der von der Gemeinsamen Fischereipolitik betroffenen Interessen, wie z. B. [. . .] von Umwelt- und Verbrauchergruppen [. . .]“. Dementsprechend garantieren die Art. 1 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 3 der Ratsentscheidung 585/04 den Umweltorganisationen Sitze in der Generalversammlung und dem Exekutivausschuss der RACs. Artikel 7 Abs. 3 der Ratsentscheidung 585/04 gewährt den Mitgliedern, die im Prozess der Empfehlungsgebung überstimmt wurden, das Recht, dass ihre abweichende Meinung in die Empfehlung mit aufgenommen wird.
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
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bisher und damit über das Maß der regulären Partizipation im politischen Entscheidungsprozess in das Gesetzgebungsverfahren zu integrieren und zu fördern. Dies könnte somit nur durch die effektive Teilnahme personaler Vertreter dieser Allgemeininteressen am Gesetzgebungsverfahren geschehen.136 Insofern erscheint die Entscheidung, diesen Vertretern des zu fördernden Allgemeininteresses den Zugang zu den Gerichten mit dem Argument zu verwehren, sie seien nicht individuell betroffen, eben weil sie Allgemeininteressen vertreten, konträr zum Willen des europäischen Gesetzgebers.137 Die Argumentation, dass ein etwa bestehendes Verfahrensrecht nicht dem WWF-UK, sondern dem NS-RAC zustünde, scheint sinnwidrig. Denn die NSRACs sind lediglich Institutionen, die den Vertretern gesetzlich näher bestimmter Allgemeininteressen dazu dienen sollen, ihre Auffassung über Gesetzesvorlagen aus der Perspektive des durch sie vertretenen Allgemeininteresses zu kommunizieren. Bei Erlass der Vorschriften über die NS-RACs ging es dem Gesetzgeber in keiner Weise um ein genuines Interesse der NS-RACs als solche. Vor diesem Hintergrund erscheint es somit fehlerhaft, nur den NS-RAC als individualisierbar zu denken.138 Angesichts der Tatsache, dass das EuG grundsätzlich Rechtsverletzungen nur soweit prüft, wie der Vortrag der Parteien reicht,139 ist es erwähnenswert, dass der WWF-UK in seiner Klage die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus Art. 9 Abs. 3 und 4 der AK140 ergeben, unbeachtet lässt. Selbst wenn man vor dem Hintergrund der schwachen Verpflichtung des Art. 9 Abs. 3 AK und der Unbestimmtheit des Begriffs „effektiv“ in Art. 9 Abs. 4 AK den Unterzeichnern einen weiten Ermessensspielraum zur Umsetzung dieser Vorschriften einräumt, scheint es unvereinbar mit dem Sinn und Zweck insbesondere der Vorschriften
136
M. Till, ZUR 2009, S. 197 ff. Ebd. 138 Ebd. 139 Vgl. E. Pache, DVBl 1998, S. 384 ff. 140 Art. 9 Abs. 3 AK schreibt vor, dass die Mitglieder der Öffentlichkeit, „sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen [. . .], Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und von Behörden vorgenommenen Handlungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“. Diese Verfahren sollen nach Art. 9 Abs. 4 AK einen „angemessenen und effektiven Rechtsschutz“ darstellen, der „fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer ist“. Es ist allerdings umstritten, ob oder inwieweit sich aus den genannten Vorschriften eine Verpflichtung der Vertragsstaaten ergibt, der Öffentlichkeit, insbesondere Umweltverbänden, einen Zugang zu Rechtsschutz-Normkontrollklagen zu ermöglichen. Vgl. indizierend dazu S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 242 ff.; SRU, Stellungnahme, Februar 2005, S. 9 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff.; jeweils m.w. N. Zum Inhalt und eigenständigen Funktionswert des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK. s. o. auch 1. Teil, 1. Kap., G., IV.; 1. Teil, 4. Kap., B., IV. 137
958
3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK, wenn Umweltverbände, wie der WWF-UK, letzten Endes überhaupt keinen Zugang zu Rechtsschutzverfahren haben.141 Dies gilt vor allem deshalb, weil das Ziel dieser Vorschriften ist, dass „die Öffentlichkeit, einschließlich Organisationen, Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben soll, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird“.142
Würde die Rechtsprechung auf ihrem restriktiven Standpunkt bestehen, bliebe die Frage offen, warum die EG die AK unterzeichnet hat, wenn sie in der Praxis den bestehenden gemeinschaftsprozessrechtlichen Status quo aufrechterhalten wollte. Letztlich blieben die Normen des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK für das Gemeinschaftsrecht dann bedeutungslos, was wiederum gegen den Grundsatz der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (effet utile) verstieße.143
VIII. Das Urteil „Etimine SA und AB Etiproducts Oy“ 144 Im Fall „Etimine SA und AB Etiproducts Oy“145 ging es um eine Klage auf teilweise Nichtigerklärung der RL 2008/58/EG der Kommission zur Anpassung der RL 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt146 und der EG-VO Nr. 790/2009 der Kommission zur Änderung der EG-VO Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt,147 soweit durch diese Rechtsakte die Einstufung bestimmter Borate geändert wird. Die Kläger waren Wirtschaftsteilnehmer, die Schürfrechte für Borate besaßen. Sie behaupteten, dass sie durch die oben genannten Normen zur Einstufung dieses Erzeugnisses als gefährlichen Stoff beeinträchtigt würden.
141
M. Till, ZUR 2009, S. 198. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 18, Art. 2 Abs. 4, 5 AK. 143 M. Till, ZUR 2009, S. 198. 144 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959 (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 145 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959 (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 146 RL 67/548/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt, ABl. 2000, L 246, S. 1. 147 EG VO, Nr. 790/2009 der Kommission vom 10. August 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, ABl. L 235, S. 1. 142
B. Restriktiver Umweltrechtsschutz anhand von ausgewählten Beispielen
959
Obwohl die Kläger von der angefochtenen Handlung allgemeinen Charakters i. S. d. ex-Art. 230 EGV individuell betroffen sein könnten, denn sie gehören zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern, stellte das EuG fest, dass der Umstand, dass die Rechtssubjekte, für die diese Maßnahme galt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar waren, keineswegs bedeutete, dass sie als von dieser Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind. Daher war das Bestehen ausschließlicher Rechte, Borate aus einem Drittstaat in die Union einzuführen und dort zu vertreiben, nicht als solches geeignet, den Inhaber dieses Rechts zu individualisieren, insbesondere wenn andere Wirtschaftsteilnehmer über vergleichbare Rechte verfügen und sich damit in der gleichen Lage wie dieser Inhaber befinden könnten.148 Da die Kläger keine anderen, vergleichbare Rechte besitzenden Wirtschaftsteilnehmer identifiziert noch dargelegt haben, aus welchen Gründen diese in Anbetracht ihrer besonderen Eigenschaften einen beschränkten Kreis bilden könnten, und da sie nicht nachgewiesen haben, dass die fraglichen Einstufungen bezweckten oder bewirkten, den Umfang der geltend gemachten ausschließlichen Rechte zu beeinträchtigen oder gar ihre Ausübung zu verhindern, konnten sie nicht als von der fraglichen Maßnahme i. S. d. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV individuell betroffen angesehen werden.149 Der bloße Umstand, dass diese Einstufungen geeignet waren, die Ausübung dieser ausschließlichen Rechte gegebenenfalls zu erschweren, reichte nicht aus, um die Kläger i. S. d. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV zu individualisieren. Grund dafür war, dass sie a priori sämtliche Wirtschaftsteilnehmer, die mit dem Import und/ oder dem Vertrieb von Borverbindungen in die Union verbundene Tätigkeiten ausüben oder ausüben könnten, gleichermaßen betreffen, unabhängig davon, ob sie insoweit über ausschließliche Rechte verfügen oder nicht.150 Auch die Möglichkeit, dass die Kläger aufgrund der angegriffenen Einstufungen einen – vielleicht sogar erheblichen – wirtschaftlichen Nachteil erleiden, genügte nicht darzutun, dass diese Einstufungen sie gegenüber allen anderen Wirtschaftsteilnehmern, die vergleichbaren Folgen ausgesetzt sein könnten, individualisieren. Schließlich konnte auch der Umstand, dass ein Kläger der größte Einführer von Boraten in die Union war, diesen nicht gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern individualisieren. Ein kleinerer Wirtschaftsteilnehmer, der über ähnliche Vertriebsrechte verfügte, würde nämlich vergleichbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sein, da diese Einstufungen alle in dieser Ei148 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 100 ff. (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 149 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 104 ff. (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 150 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 106 ff. (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission).
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
genschaft und entsprechend ihrer Größe und dem Umfang ihrer mit den Boraten verbundenen Geschäftstätigkeit betreffen.151 Ferner waren die Art. 6 bis 10 der Verordnung Nr. 793/93 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe, die das Risikobewertungsverfahren betreffen, das sich von dem Verfahren zur Einstufung eines Stoffes als gefährlichen Stoff unterscheidet, nicht auf das Einstufungsverfahren anwendbar. Sie konnten daher – auch in Einklang mit dem Fall WWF-UK Ltd/Rat152 – nicht für eine aktive Teilnahme der Kläger am Verfahren angeführt werden. Sie waren daher nicht geeignet, die Kläger hinsichtlich der Einstufungen, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach ex-Art. 230 EGV waren, zu individualisieren, da diese Einstufungen nicht das Ergebnis des entsprechenden Risikobewertungsverfahrens waren.153
C. Auswirkungen 154 I. Keine Klagebefugnis für Personen, die sich für den Umweltschutz einsetzen Aus der europäischen Rechtsprechung (zumindest vor dem Abschluss des AEUV) folgt, dass unter den Rechtsschutzbedingungen des EGV insbesondere im Bereich des Umweltrechts Entscheidungen von europäischen Organen oder Einrichtungen, die an juristische oder natürliche Personen unmittelbar und individuell gerichtet sind, die absolute Ausnahme sind. Aus dieser Rechtsprechung geht hervor, dass jede natürliche und juristische Person, der das EU-Recht bestimmte Rechte einräumt, jedenfalls deren Nichteinhaltung durch staatliche Behörden oder Gerichte feststellen lassen können muss. Dieser Grundsatz räumt den Zugang zu Gerichten allerdings nur in einem individuellen Rahmen ein und erstreckt sich daher nicht auf den Bereich der Allgemeininteressen.155 151 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 106 ff. (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 152 EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008 (WWF-UK Ltd/Rat); Anm. dazu M. Till, ZUR 2009, S. 194 ff.; EuGH, Urt. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat). 153 EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 116 ff. (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 154 Ergänzend dazu s. u. 3. Teil, 5. Kap., B., IV. 155 Vgl. EuGH, Urt. v. 03.12.1992, C-97/91, Slg. 1992, I-6313, par. 14 (Borelli/ Komm.); EuGH, Urt. v. 11.07.1991, C-87, 88, 89/90, Slg. 1991, I-3757, Rn. 24 (Verholen etc./Sociale Verzekeringsbank Amsterdam); C. Pirotte, Aménagement-Environnement, 2010, S. 14; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff. G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 390 ff.; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff.
C. Auswirkungen
961
Was speziell die Klagebefugnis von Personen (Umweltschutzverbänden und einzelnen Privaten), die gegen adressatenlose umweltschädliche europäische Maßnahmen klagen wollen, betrifft, lehnt die europäische Rechtsprechung ihre Klagebefugnis in Anwendung der sog. Plaumann-Formel meistens mangels individueller Betroffenheit grundsätzlich ab. Allgemeinwohlinteressen (und insbesondere Umweltschutzinteressen) könnten somit in der Praxis durch Einzelkläger oder Umweltschutzverbände vor den europäischen Gerichten grundsätzlich nicht geltend gemacht werden. Angesichts der Tatsache, dass i. d. R. die nicht privilegierten Drittkläger im Umweltrecht nach gerichtlichem Schutz von überindividuellen umwelt- und gesundheitsbezogenen Interessen suchen, können sie in der Praxis nicht das Zulässigkeitskriterium der individuellen Betroffenheit im Rahmen der Plaumann-Formel erfüllen. Obwohl ein Umweltschutzverband Rechte seiner Mitglieder, die für sich klagebefugt sind, geltend machen könnte, kann auf der anderen Seite die bloße Berührung der satzungsmäßigen Ziele von Umweltschutzverbänden keine individuelle Betroffenheit im Sinne der in der europäischen Rechtsprechung bisher herrschenden Plaumann-Formel begründen. Es gibt somit im europäischen Rechtsschutzsystem nicht genügend Platz für die Zulässigkeit von Klagerechten von Umweltschutzverbänden oder adressatenlosen Privaten, die den Schutz überindividueller Interessen bezwecken.156 Das Fehlen einer europäischen Vorschrift, die den Umweltschutzverbänden eine Klagebefugnis einräumt, um überindividuelle bzw. kollektive Interessen vor den europäischen Gerichten einzuklagen, ist spürbar. Zudem blieben Nichtigkeitsklagen zumindest im Rahmen des EGV gegen umweltbezogene Rechtsakte allgemeiner Geltung in der Praxis regelmäßig aussichtlos. Denn die dargestellten Schwierigkeiten hinsichtlich der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage waren nicht nur auf Kläger beschränkt, die umweltbezogene Allgemeininteressen schützen wollten, insb. anerkannte Umweltschutzverbände.157 Wie schon anhand der ausgewählten Beispiele der Rechtsprechung gezeigt wurde, begegneten ähnliche Schwierigkeiten auch Klägern, die den gerichtlichen Schutz von eigenen (wirtschaftlichen) Interessen158 oder sogar kommunalen In-
156 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 27; L. Krämer, EC Environmental Law, 2007, S. 159, S. 163; J. H. Jans, in: R. Macrory (Hrsg.), Reflections on 30 Years of Environmental Law, 2006, S. 478; E. Storskrubb/J. Ziller, in: F. Francioni (Hrsg.), Access to Justice as a Human Right 2007, S. 197; C. Poncelet, JEL 2012, S. 299. 157 Vgl. z. B. die oben dargestellten Fälle: EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; EuGH, Urt. v. 05.05. 2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat). 158 Vgl. z. B. die oben dargestellten Fälle: EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 44 (Unión de Pequeños Agi-
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
teressen159 anstrebten, die durch Handlungen oder Maßnahmen auf dem Gebiet des europäischen Umweltrechts beeinträchtigt wurden. Vor dem Hintergrund der herrschenden Plaumann-Formel erweist sich durchaus die Tatsache als besonders schwierig, die Klagebefugnis von nicht adressierten Dritten, die sich aus objektiv-öffentlichen Gründen gegen eine europäische Handlung oder Maßnahme wenden, zu begründen.160 Der Wortlaut des exArt. 230 Abs. 4 EGV mit seinem Erfordernis eines individuellen und unmittelbaren Interesses und seine Interpretation durch den EuGH schien Umweltinteressen geradezu fundamental entgegengesetzt.161 So waren weder altruistische Verbandsklagen zulässig, noch erschien eine Konstellation denkbar, in der eine Individualklage in Umweltangelegenheiten jemals diese restriktiven Kriterien erfüllen könnte. Angesichts der Tatsache, dass i. d. R. auch nicht adressierte Privatkläger in Fällen von umstrittenen umweltbezogenen europäischen Handlungen im primärrechtlichen europäischen Rechtsschutzsystem grundsätzlich nicht als klagebefugt betrachtet werden könnten, ist auch in der Praxis die Anerkennung egoistischer Verbandsklagen wenig hilfreich. Selbst die Erhebung einer Verbandsklage in Fällen, in denen der klagende Umweltschutzverband Beteiligungsrechte in Bezug auf den Erlass der jeweils umstrittenen europäischen Handlung – etwa an einem Expertenausschuss mit der Verpflichtung, jedes Jahr der Kommission ein Gutachten über den Bestand und die Nutzbarkeit der durch die Gemeinschaftsfischereien befischten Bestände zur Verfügung zu stellen – genoss, reichte nicht aus, um seine Klagebefugnis zu rechtfertigen. Laut der dargestellten europäischen Rechtsprechung könnte ein Umweltschutzverband, der sich an Verfahren zur Ergreifung von EU-Maßnahmen beteiligt hat, als nur in dem Umfang individuell von diesen Maßnahmen betroffen angesehen werden, wie die geltenden EU-Rechtsvorschriften ihm bestimmte bzw. explizite Verfahrensgarantien gewährleisten.162 Vor diesem Hintergrund wäre eine Nichtigkeitsklage gegen europäische umweltschädliche Handlungen insbesondere im Umweltbereich, in dem grundsätzlich keinerlei bestimmten Mitcultures/Rat); EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959 (Etimine SA und Etiproducts Oy/Kommission). 159 Vgl. z. B. den oben dargestellten Fall: EuG, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04 P, Slg. 2004, II-2153 (Região autónoma dos Açores/Rat); EuG, Urt. v. 01.07.2008, T-37/04, Slg. 2008, II-103 (Região autónoma dos Açores/Rat); EuGH, Urt. v. 26.11.2009, Rs. C444/08 P, Slg. 2009, I-200 (Região autónoma dos Açores/Rat). 160 Vgl. A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. Jans/A.-K. v. der Heide, ZUR 2003, S. 391. 161 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.03.1985, Rs. C-264/82, Slg. 1985, S. 849 ff. (Timex/Kommission), NJW 1985, S. 2088 ff. 162 EuGH, Beschl. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 42 (WWF-UK Ltd/Rat); EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 87 ff. (WWF-UK Ltd/Rat), m.w. N.; M. Till, ZUR 2009, S. 196; s. auch EuGH, Urt. v. 16.09. 2005, Rs. C-342/04 P, Rn. 39 (Schmoldt u. a./Kommission).
C. Auswirkungen
963
wirkungsrechte bzw. Verfahrensgarantien auf europäischer Ebene anerkannt sind,163 erfolglos.164
II. Ungleichheit hinsichtlich des Rechtsschutzes zwischen Allgemeininteressen und Individual- bzw. Wirtschaftsinteressen Die restriktive Anwendung des Kriteriums der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit, insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes von Umweltgütern, die der Allgemeinheit dienen, führt im Ergebnis zu paradoxen Konsequenzen und Ungereimtheiten. Denn in diesem Zusammenhang wird in der Praxis der primärrechtliche europarechtliche Umweltrechtsschutz desto unwahrscheinlicher gemacht, je mehr potenziell Betroffene es gibt.165 Damit ist i. d. R. die Klagebefugnis des nicht privilegierten Einzelnen (natürliche oder juristische Person) umso eher abzulehnen, je schwerer die Schädigung des Gemeinwohls bzw. der überindividuellen Umwelt und je größer die davon betroffene Gruppe ist. Unter diesen Bedingungen wurde zurecht zusammengefasst angemerkt, dass „je mehr Personen von einem Rechtsakt betroffen sind, desto eingeschränkter [ist] ihre Klagebefugnis“.166 Darüber hinaus könnten im Rahmen des europäischen Rechtsschutzsystems die Rechtsschutzmöglichkeiten, die das europäische Primärrecht dem Einzelnen gegenüber umweltschädlichen Handlungen verbürgt, durch die Wahl der Form des betreffenden Rechtsakts von den zuständigen europäischen Organen ausgeschlossen werden. Insofern könnte der europäische Gesetzgeber theoretisch juristisch zweifelhafte Rechtsakte erlassen, die in der Praxis von niemandem gerichtlich angefochten werden könnten.167 Denn die bereits skizzierte mangelhafte 163 Vgl. A. Wesselink/J. Paavola/O. Fritsch/O. Renn, Environment and Planning 2011, S. 2688 ff. 164 Vgl. S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu nationalen und europäischen Gerichten für Verbände und Individualkläger als Beitrag zum Umweltschutz – Die Klagebefugnis unter Reformdruck, § 6.5, m.w. N. 165 Vgl. GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I6677, Rn. 59 (Unión de Pequeños Agricultores); M. Kottmann, ZäöRV 2010, S. 558. 166 Vgl. GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I6677, Rn. 59 (Unión de Pequeños Agricultores), Rn. 59; Anm. dazu C. Calliess/Lais G. Winter, NVwZ 1999, S. 467 ff.; J. Jans/A.-K. v. der Heide, ZUR 2003, S. 391; B. Wegener, UTR 2008, S. 319 ff.; M. Till, ZUR 2009, S. 194, m.w. N. 167 Zur Kritik dieser Problematik vgl.: E. Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 24 ff., m.w. N.; C.-D. Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtssystem der Europäischen Union, 2010, S. 385 ff.; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 32 ff.; P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren,2009, S. 242 ff.; T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1108 ff.; P. Baumeister, EuR 2005, S. 1 ff.; C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff.; H. H. Fredriksen, ZEuS 2005, S. 99 ff.; J. Gundel, VerwArch 2001, S. 92 ff.; W. Cremer, EuGRZ 2004, S. 577 ff.; M. Kloepfer, in: FS für E. Kutscheidt zum 70. Geburtstag, 2003, S. 93 ff.;
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
Ausstattung einer bestandsschutzorientierten Öffentlichkeit und insbesondere die der Umweltschutzverbände mit Klagerechten führt dazu, dass Kommission und Rat durch tendenziell ökonomisch ausgerichtete Entscheidungen bestandsschutzorientierte umweltbezogene Regelungen unterlaufen können, ohne dass diese Handlungen und Unterlassungen einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden.168 Denn einerseits machen bei entsprechenden Fällen privilegierte Kläger, wie Mitgliedstaaten, regelmäßig keinen Gebrauch von ihren möglichen Klagerechten. Andererseits haben in der geltenden Praxis nicht privilegierte, bestandsschutzorientierte Kläger keine Klagebefugnis, um solche Handlungen anzufechten. Diese Situation scheint vor dem Hintergrund der rechtlichen Prämisse des effektiven Rechtsschutzes sowie der beschriebenen Entwicklungen im Prozessund Umweltschutzrecht nur schwerlich hinnehmbar.169 Unter diesen Umständen wird deutlich, dass im Rahmen des europarechtlichen Rechtsschutzsystems eine auffallende Ungleichheit hinsichtlich des Rechtsschutzes zwischen Allgemeininteressen und Individual- bzw. Wirtschaftsinteressen besteht. Denn Allgemeininteressen beispielsweise bezüglich des Umweltschutzes konnten grundsätzlich nicht entsprechend den Interessen der Wirtschaft bzw. der Verbraucher170 gerichtlich geschützt werden. Wirtschaftsteilnehmer können i. d. R. M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; F. Mayer, AöR 2004, S. 411 ff.; ders., DVBl 2004, S. 606 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; B. Lindner, NJW 2003, S. 569 ff.; U. Wölker, DÖV 2003, S. 570 ff.; L. Malferrari/C. Lerche, EWS 2003, S. 254 ff.; B. Kluttig, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Sept. 2004, S. 5 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; B. Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 97 ff., S. 210 ff.; H.-R. Schwensfeier, Individuals’ Access to Justice Under Community Law, 2009, S. 245 ff.; P. Craig, OJLS 1994, S. 515 ff.; M. Hedemann-Robinson, E.P.L. 1996, S. 138; A. Albors-Llorens, CLJ 2003, S. 72 ff.; M. Varju, E.P.L. 2004, S. 43 ff.; C. Koch, E.L.Rev. 2005, S. 511 ff.; E. Stein/J. Vining, in: F. Jacobs (Hrsg.), European Law and the Individual, 1976, S. 176 ff.; K. Lenaerts, in: Scritti in onore die G. F. Mancini, Vol. II, 1998, S. 591 ff.; ders., CDE 2009, S. 711 ff.; GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 59 (Unión de Pequeños Agricultores); EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; Anm. dazu M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, S. 415 ff.; C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 32 ff. 168 Vgl. etwa: EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04.1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (Stichting-Greenpeace Council u. a./ Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.; mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., I. 169 M. Till, ZUR 2009, S. 198. 170 Vgl. z. B. RL 98/27 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. L 166 v. 11.6.1998, S. 51. Aufgrund dieser RL ist den unabhängigen öffentlichen Organen bzw. anerkannten NGOs, die auf den Schutz von kollektiven Verbraucherinteressen abzielen und als „qualifizierte Einrichtungen“ bezeichnet sind, das Recht eingeräumt, Aufhebungsklagen gegen Handlungen und Unterlassungen, die die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu erheben. Ziel dieses Rechts ist die ordnungsgemäße Gewährleistung der Funktion des Binnenmarktes.
C. Auswirkungen
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ihre wirtschaftlich individualisierten Interessen – im Vergleich zum Rechtsschutz kollektiver umweltschützender Interessen – ohne entsprechende Probleme gerichtlich geltend machen.171 Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaftsteilnehmer i. d. R. finanziell besser ausgestattet und einflussreicher als die Umweltverbände sind, erschweren ökonomische Faktoren, die auf möglichst hohen Profit abzielen, die Umsetzung der Umweltschutzpolitik.172 Anders als z. B. im Bereich des Wettbewerbsrechts, in dem sich die Konkurrentenklage als dezentrales Vollzugselement besonders bewährt hat,173 ergeben sich die Klagebefugnisse im Umweltbereich nicht ohne weiteres aus einer möglichen Verletzung umweltschützender Bestimmungen. Dies gilt, auch wenn die Rechtsprechung des EuGH nicht die engen Kriterien der Schutznormtheorie für die Bestimmung der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Drittkläger anwendet.174 Denn wie bereits ausgeführt wurde, besteht der wesentliche Unterschied der europäischen Rechtsschutzordnung zur deutschen Rechtsschutzdogmatik darin, dass der EuGH bereits dann eine individuelle Berechtigung des Klägers zuerkennt, wenn die Rechtsnorm nicht den Schutz der Rechtsgüter eines individualisierten Personenkreises bezweckt, sondern zum Schutz individualisierbarer Interessen der Allgemeinheit erlassen wurde.175 Während sich die europäische Rechtsprechung bezüglich des Individualisierungsumfangs anfechtbarer umweltbezogener europarechtlicher Bestimmungen grundsätzlich großzügig zeigt, erweist sich die Großzügigkeit hinsichtlich des Umfangs der Klagebefugnis von Drittklägern in Umweltangelegenheiten als äußerst sparsam. Es ist generell anzunehmen, dass der unionale Umweltschutzbereich keine originären Sachwalter hat, die aus eigenen Interessen und zur Verteidigung ihrer
171 Vgl. J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 390 ff.; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff. 172 Vgl. etwa: G. Hager, UTR 2001, S. 8 ff., m.w. N. 173 Vgl. unter anderem: L. Krämer, in: G. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 7 ff.; O. Schlichter, GewArch 1978, S. 313 ff. 174 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C-59/89, Slg. 1991, I-2607, Rn. 19 (Kommission/Deutschland – Blei), NVwZ 1991, S. 868 ff.; EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Rs. C361/88, Slg. 1991, S. I-2567, Rn. 16 (Kommission/Deutschland – Schwefeldioxid/ Schwebestaub), NVwZ 1991, S. 866 ff.; EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 7 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland – Grundwasser), NVwZ 1991, S. 973 ff. Vgl. auch B. Wegener, in: G. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 158 ff. 175 Vgl. C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 82 ff.; F. Schoch, NordÖR 2002, S. 8; W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 43; s. o. 3. Teil, 2. Kap., B., III.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
individuellen Rechte über dessen Einhaltung wachen und diese notfalls auch gerichtlich geltend machen können.176
III. Mangelhafter dezentraler Rechtsschutz im Bereich des überindividuellen Umweltrechts Darüber hinaus muss verständlich werden, dass der indirekte Rechtsschutz von Umweltgütern durch nicht privilegierte Kläger vor den mitgliedstaatlichen Gerichten mit der anschließenden Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens grundsätzlich nicht in der Lage ist, das festgestellte Rechtsschutzdefizit auszugleichen. Eine dezentralisierte Umsetzung der EU-Vorgaben insbesondere im überindividuellen Umweltbereich ist nur zum Teil realisierbar. Dies gilt, weil im Umweltbereich zur Verteidigung von Kollektivgütern, wie Flora, Fauna, Luft, Wasser, biologische Vielfalt oder der ästhetische Wert einer Landschaft, i. d. R. nur öffentliche Organe oder halbstaatliche Institutionen berechtigt sind. Diese gehen aber häufig mit weniger Härte oder Nachdruck der Verfolgung dieser Rechte nach, als es der Sache nach angemessen wäre.177 Es ist daher nicht immer möglich, eine umweltbezogene europäische Handlung vor den nationalen Gerichten anzufechten.178 Dadurch entstehen zu Recht Bedenken, dass das klassische Argument des EuGH, „[m]angels direkter Klagemöglichkeit auf Gemeinschaftsebene sei es eben Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet werden könne“,179 176 Vgl. I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff.; L. Krämer, in: G. LübbeWolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 7 ff.; R. Marcrory, CML Rev. 1992, S. 367 ff.; A. Sussmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, 2006, S. 39 ff.; jeweils m.w. N. 177 Vgl. C. Pirotte, Aménagement-Environnement, 2010, S. 14. Charakteristisches Beispiel dafür ist die bereits in 1. Teil 2. und 3. Kap. analysierte Problematik der deutschen naturschützenden und umweltschützenden VK. 178 Vgl. GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I6677 (Unión de Pequeños Agricultores); EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357, insb. Rn. 50 ff. (Unión de Pequeños Agricultores/Rat), Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 29 ff. (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; Anm. dazu C. Calliess/ M. Lais, ZUR 2002, S. 342 ff.; M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; Compliance Committee, Aarhus Convention, Report, ACCC/C/2008/ 32, 14.04.2011, Rn. 89; M. Breuer, DV 2012, S. 195 ff. 179 Vgl. EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 31 (JégoQuéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-
C. Auswirkungen
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dem Grundanliegen der Rechtsschutzeffektivität nicht gerecht wird.180 In Zusammenhang mit der Problematik der Verbandsklage in Deutschland macht die dauerhafte Problematik hinsichtlich deren Inhalts, Umfangs, Funktion sowie Konformität mit dem EU-Recht exemplarisch deutlich, dass bei Mitgliedstaaten nicht gerade von einer ausreichenden Bereitschaft auszugehen sein wird, Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit und insbesondere Umweltverbänden einen nationalen umfangreichen Auffangrechtsbehelf gegen umweltbezogene europäische Rechtsakte zu gewähren.181 Angesichts der Tatsache, dass nationale Rechtsordnungen, wie die deutsche Rechtsordnung, einen relativ restriktiven überindividuellen Umweltrechtsschutz gewähren und auch eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht ziehen – ggf. unter Verstoß gegen ihre Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV –, könnte in einem solchen Fall im Rahmen des deutschen Rechts das nationale Verfassungsgericht wegen Entzugs des gesetzlichen Richters angerufen werden.182 Problematisch ist allerdings, dass in der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten, wie z. B. in Griechenland, ein solcher Prozess unbekannt ist. Auch eine Staatshaftungsklage könnte in einem solchen Fall Schäden nur in begrenztem Umfang ausgleichen.183 Zwar könnte die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission von dem jeweils Betroffenen angeregt, nicht aber erzwungen werden.184 Außerdem macht die Kommission von diesem Instrument nur selten Gebrauch.185 Diesbezüglichen Rechtsschutz über die nationalen Gerichte sicherzustellen, die dem EuGH lediglich durch ein Vorabentscheidungsverfahren Fragen vorlegen können, erscheint somit unbefriedigend. Vielmehr muss ein Angreifen von Handlungen der Organe eines supranationalen Gebildes, das weit in die Sphäre Einzelner eingreift, auch vor europäischen Gerichten selbst möglich sein und kann nicht ausschließlich auf nationale Gerichte abgewälzt werden. Zumal das Verfahren über die nationalen Gerichte zahlreiche Nachteile mit sich bringt und insgesamt – nicht zuletzt wegen der vielfach zu restriktiven Klagebefugnis vor nationalen Gerichten – erhebliche Rechtsschutzlücken bestehen können.186 50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 43 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 180 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 195; C. Calliess, ZUR 2002, S. 402; C. Feddersen, EuZW 2002, S. 532 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff. 181 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 195 ff. 182 Vgl. BVerfG, Urt. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, NJW 1987, S. 577 ff. 183 M. Breuer, DV 2012, S. 195 ff., m.w. N. 184 EuGH, Urt. v. 23.05.1990, Rs. C-72/90, Slg. 1990, I-02181, Rn. 13 (Asia Motor France/Kommission). 185 M. Breuer, DV 2012, S. 195 ff., m.w. N. 186 Vgl. S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 414 ff.; GA F. Jacobs, Schlussantr. in der Rs. C-50/0 P (Unión de Pequeños Agricultores), Rn. 102 ff.; D. Dittert, EuR 2002,
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
Zwar scheint eine Reform der nationalen Klagebefugnis an vielen Stellen ebenfalls wünschenswert und notwendig.187 Dennoch können die bestehenden Rechtsschutzlücken nicht allein über eine Einflussnahme auf die nationale Klagebefugnis geschlossen werden, auch wenn eine ebensolche Einwirkung von europäischer Seite bereits in zunehmendem Maße eingesetzt hat. Obwohl das Europarecht den Einzelnen vor nationalen Gerichten als Instrument dezentraler Vollzugskontrolle ansieht,188 wird diese Rolle dem Einzelnen allerdings vor europäischen Gerichten nicht eingeräumt. So wurde aufgrund der in ex-Art. 230 Abs. 4 EGV eingeschränkt formulierten und durch die Gemeinschaftsgerichte ebenso restriktiv gehandhabten Klagebefugnis für Individualkläger und Verbände vor den Gemeinschaftsgerichten in Umweltangelegenheiten einerseits und der wachsenden europäischen Einflussnahme auf die nationale Klagebefugnis in Umweltangelegenheiten andererseits vielfach zutreffend der Vorwurf eines Doppelstandards erhoben.189
IV. Angezweifelte Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention Vor dem dargestellten Hintergrund der äußerst restriktiven europäischen Rechtsprechung ist schließlich anzuzweifeln, dass der von der europäischen Rechtsprechung eng ausgelegte Inhalt der Zulässigkeitskriterien einer Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Dritter mit dem Wortlaut und dem Geist der AK im Einklang steht. Obwohl die AK die Vertragsparteien (einschließlich der EU, die auch Partei der AK ist) verpflichtet, der Öffentlichkeit Zugang zu Gerichtsverfahren in Umweltangelegenheiten hinsichtlich der Anfechtung von umstrittenen Handlungen und Unterlassungen der öffentlichen Behörden und nicht aber der Legislativorgane (einschließlich der EU-Legislativorgane) zu gewährleisten, darf nicht übersehen werden, dass die EU-Organe in einigen Fällen als öffentliche Behörden und nicht als Legislativorgane wirken. Dies ist vor allem der Fall, wenn sich eine Handlung oder Unterlassung eines EU-Organs auf ihre Zuständigkeit als öffentliche Behörde stützt und sich auf umweltrelevante Maßnahmen beS. 715; K. Lenaerts/T. Corthaut, YEL 2003, S. 16; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2928 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 156 ff.; a. A.: P. Baumeister, EuR 2005, S. 18 ff.; M. Nettesheim, JZ 2002, S. 933; J. Schwarze, DVBl 2002, S. 1307 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216. 187 Vgl. J. Ebbesson, in: ders. (Hrsg.), Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 20 ff., m.w. N.; hinsichtlich der Reformvorschläge für einen erweiterten überindividuellen Umweltrechtsschutz im deutschen Recht s. o. 1. Teil, 6. Kap. A. ff. 188 Vgl. M. Nettesheim, JZ 2002, S. 928 ff.; M. Schröder, EuR 2011, S. 808 ff.; P. Baumeister, EuR 2005, S. 19 ff.; E. Pache, Art. 19 EUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht Handkomm., 2012, Rn. 12; W. Cremer, DV 2004, S. 175 ff. 189 Vgl. B. Wegener, ZEuS 1998, S. 195 ff.; N. Gérard, JEL 1996, S. 152 ff.; J.-H. Jans/H. Vedder, European Environmental Law, 2008, S. 220; K. Lenaerts/T. Corthaut, YEL 2003, S. 16; A. Ward, YEEL 2000, S. 156 ff.
C. Auswirkungen
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zieht.190 Es handelt sich somit grundsätzlich um Rechtsakte der EU-Organe ohne Gesetzescharakter.191 Charakteristisches Beispiel einer solchen Handlung ist der Beschluss der Kommission192 im oben dargestellten Fall Stichting-Greenpeace193, wonach der spanischen Regierung über 108 Millionen ECU aus dem Europäischen Regionalentwicklungsfonds für den Bau zweier Elektrizitätswerke auf den Kanarischen Inseln zugewiesen werden. Denn in diesem Fall agierte die Kommission eher als öffentliche Behörde und traf Maßnahmen, die auch die Umwelt betrafen.194 Daraus folgt, dass zumindest in solchen Fällen die EU-Organe sowie die europäischen Gerichte die Anforderungen der EU berücksichtigen müssen.195 Anlässlich der zu dieser Thematik eingeschränkten Rechtsprechung der europäischen Gerichte196 stellt das „Compliance Committee for the Aarhus Convention“197 fest, dass diese Rechtsprechung zu streng ist, so dass zweifelhaft ist, ob sie in Einklang mit den Bestimmungen des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK steht. Es 190 Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 70, 72. 191 Zum Begriff der unionalen Rechtsakte ohne Gesetzescharakter s. u. 3. Teil, 4. Kap., B., II. 192 Es handelt sich um die Entscheidung der Kommission C(91) 440 über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung an das Königreich Spanien bis zu einem Hoechstbetrag von 108.578.419 ECU für Infrastrukturinvestitionen. Diese finanzielle Unterstützung richtete sich auf ein Vorhaben der Unión Eléctrica de Canarias SA zur Errichtung zweier Elektrizitätswerke auf den kanarischen Inseln Gran Canaria und Teneriffa. Die Entscheidung der Kommission ist auf die EWG-VO Nr. 1787/84 des Rates vom 19. Juni 1984 betreffend den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ABl. L 169, S. 1) gestützt. 193 Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04. 1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (Stichting Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., I. 194 Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 73. 195 In diese Richtung Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 69 ff. 196 Vgl. unter anderem: EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008 (WWF-UK Ltd/Rat); EuGH, Urt. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat); EuG, Urt. v. 07.07.2004, Rs. T-37/04 P, Slg. 2004, II-2153 (Região autónoma dos Açores/Rat); EuG, Urt. v. 01.07.2008, T-37/04, Slg. 2008, II-103 (Região autónoma dos Açores/Rat); EuGH, Urt. v. 26.11.2009, Rs. C-444/08 P, Slg. 2009, I-200 (Região autónoma dos Açores/Rat). 197 Mehr über die Rolle des sog. Compliance Committee for the Aarhus Convention s. V. Koester, Environmental Policy and Law 2007, S. 83 ff.; E. Liaska, PerDik 2011, S. 608 ff.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
scheint, dass die beschriebene restriktive Auslegung Zulässigkeitskriterien der Nichtigkeitsklage insbesondere im Bereich des Gemeinwohlschutzes (vor allem im Umwelt- und Gesundheitsschutz) nicht die Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK, den Mitgliedern der Öffentlichkeit einen weiten und effektiven Zugang zu Gerichten sicherzustellen, hinreichend berücksichtigt.198 Denn eine derart enge Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für Nichtigkeitsklagen in Umweltangelegenheiten stellt offensichtlich keinen effektiven und weiten Zugang zu Gerichten sicher. Zudem scheint ein solches zurückhaltendes Verhalten der europäischen Rechtsprechung bezüglich der Reichweite der europäischen Klagebefugnis bei Klagen gegen die Kommission widersprüchlich zu aktuellen Feststellungen des EuGH bezüglich Klagen gegen die Mitliedstaaten, etwa im Fall des sog. slowakischen Braunbären-Urteils, zu sein. Wie bereits dargestellt wurde,199 hat der EuGH in diesem Fall die Klagebefugnis des klagenden slowakischen Umweltschutzverbandes aus Art. 9 Abs. 3 AK über ein Zusammenspiel mit dem EU-primärrechtlichen Effektivitätsprinzip gerechtfertigt. Danach müsse das EU-Umweltrecht wirksam werden und daher einklagbar sein. Deswegen sind die nationalen Gerichte verpflichtet, „das Verfahrensrecht so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen“.200
Daraus entsteht die Frage, warum denn diese Überlegungen nicht auch bei Klagen Privater gegen EU-Organe angewandt werden sollten, soweit auch sie versuchten, bestimmte umweltbezogene Vorgaben der EU-Gesetzgebung im Nachhinein zu unterlaufen. Es scheint hierbei so zu sein, dass die europäische Rechtsprechung insbesondere des EuGH bei der Anwendung und Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK hinsichtlich der EU-Organe und der Mitgliedstaaten mit zweierlei Maß misst.201 Im Hinblick darauf war das Compliance Committee der Ansicht, dass schon ex-Art. 230 Abs. 4 EGV so ausgelegt werden könnte, dass er sowohl qualifizierten Individuen als auch qualifizierten Nichtregierungsorganisationen eine weitge198 Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 86 ff. 199 Mehr zu diesem Fall s. o. 1. Teil, 4. Kap., B. ff. 200 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483, Rn. 54 (Impact/Minister for Agriculture and Food u. a.), NZA 2008, S. 581 ff.; EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-02271, Rn. 44 (Unibet [London] Ltd. u. a./Justitiekansler), EuZW 2007, S. 247 ff. Mehr zu Auslegungsgrenzen der AK in Bezug auf das EU-Recht s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., V. 201 Vgl. J. Berkemann, ZUR 2015, S. 230; F. Ekardt, LTO, 22.01.2015.
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hende Klagebefugnis einräume, die in Einklang mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK stehe.202 Gerade in diesem Zusammenhang hat Generalanwalt Jacobs ausdrücklich die bereits skizzierte Auffassung unterstützt, dass „es kein zwingendes Argument für die These gibt, dass der Begriff der individuell betroffenen Person i. S. v. Art. 230 Abs. 4 EGV es verlangt, dass ein Einzelner, der eine Maßnahme allgemeiner Geltung anfechten möchte, in ähnlicher Weise individualisiert ist wie ein Adressat“.203
Falls diese restriktive Rechtsprechung hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten unverändert fortbestehe – es sei denn, sie würde durch angemessene administrative Nachprüfungsverfahren kompensiert –, würde im Ergebnis dieses Verhalten nicht rechtskonform mit Art. 9 Abs. 3 AK sein.204 Denn unter diesen Auslegungsbedingungen könnte in der Praxis niemand individuell betroffen sein, soweit die jeweils umstrittene europäische Maßnahme, die sein umweltbezogenes Interesse beeinträchtigt, allgemeine Geltung hat.205 Außerdem kann behauptet werden, dass die restriktive europäische Rechtsprechung insbesondere im Bereich des Umweltrechtsschutzes im Widerspruch zu der Bedeutung steht, die der europäische Gesetzgeber selbst, aber auch internationale Erklärungen, wie die Rio-Deklaration und die AK, dem Umweltrechtsschutz zuweisen, nämlich europäisches Handeln vor europäischen Gerichten auf die Einhaltung von Umweltschutzstandards hin überprüfbar zu machen.206 Gerade Individualkläger und Umweltschutzverbände müssten eine solche gerichtliche Überprüfung herbeiführen können. Dafür sprechen auch die wichtige Rolle, die dieser Klägergruppe insgesamt bei der Durchsetzung von Umweltrecht zukommt, sowie das Fehlen sonstiger Kläger im Bereich des überindividuellen Umweltschutzes.207 Denn eine nichtstaatliche Umweltorganisation ist Ausdruck kollektiver Interessen und verfügt über einen Grad an technischer Sachkunde, die der Einzelne nicht haben kann, so dass damit die Effektivität, Legitimität und Qualität der Rechtsprechung und des Rechtsschutzes, die normalerweise mit beschränkten 202 Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 86. 203 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 200, I-06677, Rn. 59 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., IV., 1. 204 Compliance Committee for the Aarhus Convention, Draft findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/C/2008/32 concerning compliance by the European Union (adopt. 14 April 2011), Rn. 88. 205 Ebd. 206 B. Wegener, ZUR 1998, S. 135. 207 Vgl. GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 26, 27; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 414 ff.
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
Gerichtsressourcen einhergeht, gesteigert werden kann.208 Parallel dazu stärkt die herausragende Rolle der Umweltverbände die Beteiligung der Öffentlichkeit sowohl in der vorgerichtlichen als auch in der gerichtlichen Phase der Entscheidungsfindung.209 Auch aus der besonderen Rolle, die den nichtstaatlichen Umweltverbänden durch die AK zugewiesen wurde, sollte sich insofern ein wirksamer Rechtsschutzmechanismus auch auf europäischer primärrechtlicher Ebene zur Prävention von Umweltschäden ergeben.210 Die besondere Position der Umweltschutzverbände im Rahmen der AK, die auch von der EuGH-Rechtsprechung anerkannt wurde,211 spricht somit gegen die dargestellte zurückhaltende Tendenz der europäischen Rechtsprechung.
D. Fazit Im Rahmen des europäischen Rechtsschutzsystems – schon vor, aber auch nach dem Abschluss des Lissabon-Vertrages – verfügen juristische oder natürliche Personen über kein spezielles Klagerecht, um bloße Interessen der Allgemeinheit im Bereich des Umweltschutzes vollständig anzufechten. Zwar ist im Europarecht eine egoistische VK zulässig, die Verbände sind aber ebenso wie Einzelpersonen klagebefugt, wenn sie durch den jeweils angefochtenen Rechtsakt individuell und unmittelbar in ihren verbandseigenen Interessen betroffen werden. Im Ergebnis sind die Verbände mit gleichen Rechtsschutzdefiziten wie die Privaten konfrontiert. Das Festhalten des europäischen Gesetzgebers und Richters an der sog. Plaumann-Formel in Zusammenhang mit der Kompetenzstruktur der Union lässt für die Einreichung einer altruistischen umweltschützenden VK auf europäischer Ebene keinen Raum. Vor diesem Hintergrund sieht die europäische Rechtsprechung – trotz Verbesserungsvorschlägen von Generalanwälten und vereinzelten Versuchen des EuG wie etwa im Fall „Jégo-Quéré“ 212 – die Beeinträchtigung überindividueller Interessen von Einzelpersonen bzw. von 208 Vgl. GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 51, ZUR 2011, S. 82. 209 Die herausragende Rolle, die den nichtstaatlichen Umweltorganisationen zukommt, findet ihren Ausgleich in der Entscheidung, eine Popularklage in Umweltangelegenheiten nicht zwingend vorzuschreiben; GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 51 ff., ZUR 2011, S. 79 ff. 210 GAin E. Sharpston, Schlussantr. v. 16.12.2010 in der Rs. C-115/2009, Rn. 51 ff., ZUR 2011, S. 79 ff. 211 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 50 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Slg. 2009, I09967, Rn. 50 ff. (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff. 212 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/ Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.
D. Fazit
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Verbänden, die sich für den Umweltschutz einsetzen, im Rahmen der europäischen Nichtigkeitsklage nicht als ausreichend an, um ihre Klagebefugnis zu begründen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage Dritter und vor allem das Tatbestandsmerkmal der individuellen Betroffenheit sind im Grunde genommen sehr restriktiv ausgelegt. Selbst wenn nicht adressierte Umweltverbände durch umweltbezogene europäische Maßnahmen in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich beeinträchtigt werden, ist es mangels individueller Betroffenheit nicht möglich, eine zulässige Nichtigkeitsklage gegen europäische umweltschädliche Maßnahmen bzw. Handlungen zu erheben. Demzufolge können Allgemeinwohlinteressen sowie Umweltschutzinteressen nicht durch Einzelkläger vor den europäischen Gerichten effektiv geltend gemacht werden. Dieses Verhalten führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass die Klagebefugnis des nicht privilegierten Einzelnen (natürliche oder juristische Person) umso eher abzulehnen ist, je schwerer die Schädigung des Gemeinwohls bzw. der überindividuellen Umwelt und je größer die davon betroffene Gruppe ist. Außerdem führt die mangelhafte Ausstattung einer zum Umweltschutz hin orientierten Öffentlichkeit mit Klagerechten dazu, dass europäische Organe durch tendenziell ökonomisch ausgerichtete Entscheidungen umweltschutzrelevante Regelungen unterlaufen können, ohne dass diese Rechtsakte einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden. Es ist daher ein deutliches Ungleichgewicht hinsichtlich des Rechtsschutzes von umweltbezogenen Allgemeininteressen und Wirtschafts- und Verbraucherinteressen festzustellen. Dieses Konzept erzeugt Rechtsschutzdefizite, denn die Praxis zeigt, dass es nicht immer möglich und realisierbar ist, eine umweltschädliche europäische Handlung vor den nationalen Gerichten anzufechten. Die schon analysierte Problematik der umweltschützenden altruistischen VK in Deutschland weist exemplarisch darauf hin, dass zumindest auch bei einigen EU-Mitgliedstaaten von einer ausreichenden Bereitschaft nicht auszugehen sein wird, Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit und insbesondere Umweltverbänden einen umfangreichen nationalen Auffangrechtsbehelf gegen umweltbezogene europäische Rechtsakte zu gewähren. Auch die Möglichkeit der Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens ist nicht immer ausreichend, um solche Rechtsschutzdefizite effektiv zu beseitigen. Gleichzeitig ist zweifelhaft, dass die restriktive Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes in Einklang mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK, die einen effektiven Zugang zu Gerichten für Mitglieder der Öffentlichkeit gewährleisten, steht. Dies liegt vor allem an der Tatsache, dass im Rahmen des oben skizzierten europäischen Rechtsschutzsystems, zumindest vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrages, in der Praxis niemand als individuell betroffen
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3. Teil, 3. Kap.: Überindividueller Umweltrechtsschutz in EU-Rechtsprechung
angesehen werden konnte, soweit die jeweils umstrittene europäische Maßnahme, die umweltbezogene Interessen des Klägers beeinträchtigte, allgemeine Geltung hatte. Angesichts der besonderen Rolle, die den nichtstaatlichen Umweltverbänden aufgrund der AK zugewiesen wurde, sollte sich ein wirksamer Rechtsschutzmechanismus auch auf europäischer Ebene zur Prävention von Umweltschäden ergeben. Der Unionsgesetzgeber versuchte allerdings im Rahmen des Abschlusses des sog. Lissabon-Vertrages, vor allem mit der Einführung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf diese Rechtsschutzproblematik zu reagieren und den Rechtsschutz von Drittklägern auf unionaler Ebene zu verbessern. Auf diese Reaktion und ihre Folgen im speziellen Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes soll im folgenden Kapitel detaillierter eingegangen werden.
4. Kapitel
Versuche des EU-Gesetzgebers zur Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger A. Reaktion des europäischen Vertragsgebers durch den Abschluss des Lissabon-Vertrags Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsschutzdefizite und prinzipiell der unbefriedigenden Situation des Rechtsschutzes nicht privilegierter Drittkläger, die eine Nichtigkeitsklage gegen europäische Rechtsakte mit allgemeiner Geltung einreichen wollen, reagierte der unionale Gesetzgeber, um die alte Rechtsschutzregelung zu reformieren. Er hat damit die alte Fassung des Art. 230 Abs. 4 EGV mit dem Ziel abgeändert, eine klarere Antwort zu dieser Problematik zu geben.1 Die Frage ist allerdings, ob und inwieweit die Bestimmungen des neuen Art. 263 Abs. 4 AEUV zur Lösung dieser Problematik beigetragen haben. In diesem Kapitel wird versucht, die wesentlichen Änderungen des neuen Art. 263 Abs. 4 AEUV im Verhältnis zu Art. 230 Abs. 4 EGV darzustellen. Zugleich sollen auch ihre Auswirkungen auf das europäische Rechtsschutzsystem, insbesondere im Bereich des Umweltrechtsschutzes, untersucht und bewertet werden.
I. Die Variante 1 des Art. 263 Abs. 4 AEUV Aus den Bestimmungen des neuen Art. 263 Abs. 4 AEUV entstehen die nachfolgenden drei Rechtsschutzalternativen auf unionaler Ebene. Nach der Var. 1 des Art. 263 Abs. 4 AEUV können natürliche und juristische Personen gegen die an sie gerichteten „Handlungen“ Klage erheben. Die Norm unterscheidet sich von ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 1 EGV dadurch, dass an die Stelle von „Entscheidungen“ nunmehr „Handlungen“ getreten sind. Mit der Nutzung des weiter auszulegenden Begriffs „Handlungen“ erweitert diese Vorschrift die Kategorien von mittels der Nichtigkeitsklage angreifbaren unionalen Rechtsakten. Denn der Begriff „Handlung“ umfasst jeden abgeleiteten Rechtsakt der Union, soweit dieser nur Rechtswirkung entfaltet, und eben nicht nur Entscheidungen. Dadurch bezweckt der EU-Gesetzgeber, auch jene atypischen Rechtsakte, die
1
Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 300 ff., m.w. N.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
Rechtswirkungen gegenüber den Klägern entfalten, mit Hilfe der Nichtigkeitsklage anfechtbar zu gestalten.2 Dieser neue Rechtsakttyp unterscheidet sich jedenfalls in der Sache von dem Rechtsakttyp der „Entscheidung“ nach dem EGV. Während die „Entscheidung“ des EGV dadurch gekennzeichnet war, dass sie einen Adressaten hat, kennt Art. 288 Abs. 4 AEUV nun zwei Kategorien von Beschlüssen: den adressatenlosen Beschluss und den an einen Adressaten gerichteten Beschluss. Der an einen Adressaten gerichtete Beschluss nach Art. 288 Abs. 4 S. 2 AEUV entspricht der „Entscheidung“ nach dem EGV. Nur solche Beschlüsse, soweit sie eine natürliche oder juristische Person zum Adressaten haben, kommen dann als „Handlungen“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 Var. 1 AEUV in Betracht. Vor diesem Hintergrund sind nach Art. 263 Abs. 4 Var. 1 AEUV nach wie vor diejenigen natürlichen und juristischen Personen ohne weiteres klagebefugt, die Adressaten eines sie belastenden abgeleiteten Unionsrechtsakts sind, mag dieser sich Entscheidung, Beschluss oder Handlung nennen.3 Insofern geht grundsätzlich mit der Ersetzung von „Entscheidung“ in Art. 230 Abs. 4 Var. 1 EGV durch „Handlung“ in Art. 263 Abs. 4 Var. 1 AEUV in der Sache keine Erweiterung der Klagebefugnis in Verhältnis zu ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 1 EGV einher.4 Deswegen ist diese Variante für die an dieser Stelle untersuchte Problematik der Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger ohne erhebliche Bedeutung.
II. Die Variante 2 des Art. 263 Abs. 4 AEUV Bei der 2. Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV handelt es sich um Nichtigkeitsklagen natürlicher oder juristischer Personen gegen Handlungen, deren 2 A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUVKomm., 2014, Rn. 29; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 31 ff.; jeweils m.w. N. 3 Vgl. A.-M. Lengauer, Art. 263 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/ AEUV-Komm., 2014, Rn. 39, 43; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 37 ff.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 31, jeweils m.w. N. 4 Vgl. E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 37 ff.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 31, jeweils m.w. N. Dieser Befund wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der AEUV die Entscheidung im Sinne von ex-Art. 249 Abs. 4 EGV als Rechtsakttyp nicht mehr kennt. An die Stelle der Entscheidung ist nunmehr gem. Art. 288 Abs. 4 AEUV ein Rechtsakttyp getreten, der in der deutschen Fassung des AEUV als „Beschluss“ firmiert. Vergleichbare Umetikettierungen finden sich in weiteren Sprachfassungen des AEUV (so z. B. in der dänischen und niederländischen Sprachfassung), wenn der Rechtsakttyp auch in den meisten Sprachfassungen begrifflich keine Veränderung erfährt (z. B. in der englischen, französischen und griechischen Sprachfassung).
A. Reaktion des europ. Vertragsgebers durch Abschluss des Lissabon-Vertrags
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Adressat ein anderer ist oder die keinen Adressaten haben.5 Solche Nichtigkeitsklagen sind zulässig, soweit die Handlungen den Kläger unmittelbar und individuell betreffen. Auch bei dieser Alternative tritt der Begriff „Handlungen“ an die Stelle von „Entscheidungen“ in Art. 230 Abs. 4 EGV. Während nach dem Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EGV Klagegegenstand der Individualnichtigkeitsklage ausschließlich „Entscheidungen“ sein konnten, eröffnet nunmehr der neue Art. 263 Abs. 4 Var. 1 und 2 AEUV im Rahmen der Individualnichtigkeitsklage eine Klagemöglichkeit gegen alle rechtlich existenten Unionshandlungen mit Außenwirkung (nämlich alle Maßnahmen der EU, die verbindliche Rechtswirkungen gegenüber Dritten nach außen erzeugen und sie einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union zuzurechnen sind). Auch atypische Handlungsformen sind von Unionshandlungen erfasst.6 Damit ist klargestellt, dass private Kläger gegen alle in Art. 288 AEUV (ex-Art. 249 EGV) genannten klassischen Handlungsformen der Union – also gegen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse – vorgehen können. Ausgenommen sind lediglich die unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen.7 Zum ersten Mal liegt nun ausdrücklich im europäischen Rechtsschutzsystem eine Kodifizierung der oben geschilderten richterlichen Rechtsfortbildung hinsichtlich der Ausweitung der Zulässigkeit von Individualklagen vor. Gleichwohl ist damit auch das Enumerationsprinzip im Bereich des Individualrechtsschutzes ausdrücklich überwunden.8 Es ist allerdings nicht völlig eindeutig, ob dadurch eine progressive Neufassung des europäischen Rechtsschutzes erfolgt oder ob es sich in der Praxis um eine bloße Wortlaut-Anpassung an den bereits erwähnten Codorniu-Fall9 handelt.10 Es ist nämlich fraglich, ob die Neuregelung des Lissabon-Vertrags eine eindeutige Position zu dieser Frage – bewusst – vermieden hat.11 Dass sich durch das Verschwinden des Entscheidungsbegriffs in dieser Bestimmung neue Spiel-
5 Vgl. E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 43 ff.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 33, jeweils m.w. N. 6 Vgl. C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 174; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 31 ff.; jeweils m.w. N. 7 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 39 ff.; W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUVKomm., 2011, Rn. 56 ff. 8 Vgl. J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 555; H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 444. 9 EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 21 (Codorniu SA/ Rat); vgl. dazu J. Gundel, VerwArch 2001, S. 92 ff.; A. Arnull, CML Rev. 1995, S. 7 ff., m.w. N.; s. o. 3. Teil, 2. Kap., C., I. 10 Vgl. W. Cremer, DÖV 2010, S. 60; A. Thiele, EuR 2010, S. 41; M. Kotzur, EuRBeih. 2012, S. 17 ff. 11 Vgl. M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 17 ff.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
räume für eine Überwindung der sog. Plaumann-Formel ergeben, die in Einzelfällen zur Erweiterung des Umfangs des europäischen Rechtsschutzes führen können, ist unter diesen Umständen denkbar, aber nicht zwingend.12 Die europäische Judikatur kann damit die Möglichkeit ergreifen, den zentralen Individualrechtsschutz, etwa angesichts der gesteigerten Grundrechtsrelevanz, zu stärken, soweit Wahrung und Fortbildung des Rechts auch nach Lissabon-Vertrag in richterliche Integrationsverantwortung gestellt bleiben.13 Diese Auffassung scheint allerdings zu optimistisch, wenn man die bisherige zurückhaltende Ansicht des EuGH zu dieser Thematik näher betrachtet.14 Legt man die Judikatur der Unionsgerichtsbarkeit zu Grunde, bringt die Erweiterung der Klagegegenstände auf alle „Handlungen“ der Union in Art. 263 Abs. 4 AEUV in der Sache wiederum keinen Fortschritt. Denn, wie schon dargestellt wurde,15 waren nach gefestigter Rechtsprechung, nämlich auch schon vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, neben Entscheidungen und Scheinverordnungen trotz des teilweise unterschiedlichen Normwortlauts auch Verordnungen und Richtlinien zulässige Klagegegenstände i. S. v. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV. Es sieht daher so aus, dass diese Rechtsprechung durch die Neufassung von Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV aufgegriffen und abgesichert wurde. Diese Intention verfolgte auch der Verfassungskonvent, so dass es nicht zu überzeugen vermag, wenn in der Theorie trotz des Festhaltens am Erfordernis des individuellen und unmittelbaren Betroffenseins bereits im Hinblick auf Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV (bzw. Art. III-370 Abs. 4 EVV) die Auffassung vertreten wird, schon angesichts der Ersetzung von „Entscheidungen“ durch „Handlungen“ bestehe Raum für eine im Vergleich zu der restriktiven Haltung des EuGH erweiterte Neuinterpretation der Klagebefugnis nicht privilegierter
12 Vgl. F. Mayer, DVBl 2004, S. 610; U. Everling, EuR 2009, S. 73; ders., EuZW 2010, S. 573; J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 555; in diese Richtung auch A. Thiele, EuR 2010, S. 30 ff.; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff. 13 M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 18; J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 555. 14 Vgl. EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 69 ff. (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff. (s. o. 3. Teil, 5. Kap., A., IV.). Es sollte nicht außer Acht bleiben, dass einer weiteren Auslegung der individuellen Betroffenheit, wie sie GA F. Jacobs im Fall „Unión de Pequeños Agricultores“ angestoßen [GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03. 2002 in der Rs. C-50/0 P (Unión de Pequeños Agricultores), insb. Rn. 59 ff., Rn. 102 ff.] und wie sie das EuG aufgegriffen hatte [EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. C177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 47 (Jégo-Quéré & Cie SA/Kommission)], der EuGH unter Berufung auf das Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung eine eindeutige Absage erteilte, auch dort, wo ein nationales Rechtsschutzinstrument fehlt [EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02, Slg. 2004, I-3425, Rn. 36 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.]. 15 Mehr dazu s. o. 3. Teil, 2. Kap., C., I.–II.
A. Reaktion des europ. Vertragsgebers durch Abschluss des Lissabon-Vertrags
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Privater auf europäischer Ebene.16 Der h. M. nach betrifft diese Änderung nur die zulässigerweise angreifbaren Rechtsakttypen, nicht aber die Anforderungen an die Betroffenheit. Eine Erweiterung der Klagebefugnis durch die Ersetzung von „Entscheidungen“ durch „Handlungen“ vom Verfassungskonvent und Änderungsgesetzgeber scheint letztlich nicht intendiert zu sein.17 Es darf nicht ignoriert werden, dass die Zulässigkeit von Klagen Privater wie bisher davon abhängen sollte, ob der Kläger unmittelbar und individuell betroffen ist. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass der EuGH bei der Anwendung der umstrittenen Bestimmung weiter die Plaumann-Rechtsprechung beibehalten wird.18 Vor diesem Hintergrund ist vielmehr davon auszugehen, dass die Erweiterung der Individualklage auf alle „Handlungen“ im Vertrauen auf die bisherige zurückhaltende Interpretation des Zulässigkeitskriteriums individuelle Betroffenheit durch den EuGH vorgenommen wurde.19 Dies bedeutet grundsätzlich, dass im Anwendungsbereich dieser Vorschrift die dargestellte Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger weiterhin bleibt. Denn die traditionell strikte Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit würde immerhin eine wesentliche Lockerung der Klagebefugnis dieser Variante der neuen modifizierten europäischen Nichtigkeitsklage des Art. 263 Abs. 4 AEUV verhindern. Es scheint schließlich, dass die geänderte Bestimmung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV eher eine Anpassung an die europäische Rechtsprechung anlässlich des Falles Codorniu manifestiert. Positiv zu bewerten ist allerdings die Tatsache, dass mit der Anerkennung von (sämtlichen) Handlungen als Klagegegenstand nach Art. 263 Abs. 4 Var. 1 und 2 AEUV der Streit, ob neben Entscheidungen bzw. Beschlüssen und „Scheinverordnungen“ auch „echte“ Verordnungen i. S. v. ex-Art. 249 Abs. 2 EGV Richtlinien i. S. v. ex-Art. 249 Abs. 3 EGV und „Scheinrichtlinien“ zulässiger Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 sein können, erledigt wurde.20 Diese Änderung stellt generell eine begrüßenswerte Vereinfachung und Klärung des Gesetztextes dar.21
16 Vgl. A. Hatje/A. Kindt, NJW 2008, S: 1767; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58; ders., Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 68. 17 Vgl. M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 17; W. Cremer, DÖV 2010, S. 60; H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 67 ff.; A. Limante, W. P. for the Annual Conference of EGPA, September 2011, S. 16 ff. 18 Ebd. 19 Vgl. W. Kahl/L. Ohlendorf, JA 2011, S. 41 ff., m.w. N. 20 Vgl. U. Everling, EuZW 2010, S. 572 ff.; W. Cremer, Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 29, m.w. N. 21 Vgl. M. Kottmann, ZÄöRV 2010, S. 559 ff.; U. Everling, EuR 2009, S. 73; ders., EuZW 2010, S. 573; W. Frenz/A.-M. Diselrath, NVwZ 2010, S. 162 ff.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
III. Die Variante 3 des Art. 263 Abs. 4 AEUV Wie schon analysiert wurde, erweist sich die Klageberechtigung von Privatpersonen im Rahmen der Nichtigkeitsklage als die Achillesferse des unionalen Rechtsschutzsystems. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV stellt die bedeutendste Neuregelung des Lissabon-Vertrags hinsichtlich des unionalen Rechtsschutzsystems dar. Er lässt zum ersten Mal ausdrücklich eine Nichtigkeitsklage gegen „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zu, soweit diese den Einzelnen (nämlich nicht privilegierte adressatenlose Individualkläger) „unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. Dem ersten Anschein nach sieht es so aus, dass der AEUV durch die Aufnahme dieser weiteren neuen Variante in Art. 263 Abs. 4 AEUV die Rechtsschutzmöglichkeiten für nicht privilegierte Individualkläger im Verhältnis zu der älteren Rechtslage (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) deutlich ausgeweitet hat. Wie schon ausgeführt wurde, konnten nach alter Rechtslage natürliche und juristische Privatpersonen nur dann gegen einen Rechtsakt vorgehen, wenn sie durch ihn individuell und unmittelbar selbst betroffen waren. Dies war aber grundsätzlich bei solchen Verordnungen, die ihrem Inhalt nach eigentlich eine Entscheidung darstellen (sog. „Scheinverordnungen“), der Fall.22 Eine substanzielle Erweiterung der bislang in ex-Art. 230 Abs. 4 EG geregelten restriktiven Klagemöglichkeiten des nicht privilegierten adressatenlosen Einzelnen gegen unionale Rechtsakte wurde schon auf dem Konvent zur Beratung des Verfassungsvertrages in einem Arbeitskreis diskutiert.23 Die unter anderem erhobene Forderung nach einer europäischen Grundrechtsbeschwerde konnte sich aber nicht durchsetzen.24 Vielmehr setzten sich jedoch die Bedenken der Mehrheit der Mitgliedstaaten und vor allem des Präsidenten des EuGH durch, der eine uferlose Flut von Klagen und damit eine Überlastung der Unionsgerichte befürchtete.25 Es wurde schließlich ein Kompromiss auf der Basis der Unterscheidung zwischen von Rat und Kommission beschlossenen Gesetzen („Gemeinschaftsgesetze“) einerseits und den zu deren Durchführung beschlossenen Verordnungen der Kommission andererseits („Rechtsakte mit Verordnungscharakter“) vorgesehen.26 22
S. Hobe, Europarecht, 2014, Rn. 513. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 2. Kap., C. Vgl. H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 67 ff.; U. Everling, EuR 2009, S. 73; ders., EuZW 2010, S. 573; H. H. Fredriksen, ZEuS 2005, S. 118; W. Cremer, DÖV 2010, S. 62; jeweils m.w. N. 24 Vgl. W. Cremer, DÖV 2010, S. 58 ff. 25 Vgl. Europäischer Konvent, Schlussbericht, 25.03.2003, CONV 636/03, par. 22. 26 Nach der vorgeschlagenenen Vorschrift des Art. III-365 Abs. 4 VVE könnte jede natürliche und juristische Person unter den Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 der Bestimmung „gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter [nicht aber gegen Gemeinschaftsgesetze], die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnah23
A. Reaktion des europ. Vertragsgebers durch Abschluss des Lissabon-Vertrags
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Im Unterschied zu Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV bestimmt die neue Sonderregelung als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Nichtigkeitsklage gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter also nicht, dass der Kläger durch einen solchen Rechtsakt individuell, sondern nur unmittelbar betroffen ist.27 Es handelt sich grundsätzlich um die einzige substanzielle Änderung des Lissabon-Vertrags bezüglich der Nichtigkeitsklage.28 Dieser Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV liegt das weite Verständnis des „intérêt pour agir“ i. S. d. französischen Verwaltungsprozessrechts zugrunde, denn ein solches Interesse wird im französischen Recht häufig – aber auch nicht unbegrenzt – bejaht.29 Auf den ersten Blick scheint, dass mit der Einfügung dieser neuen Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV ein Ventil für Direktklagen Einzelner gegen Normativakte geschaffen wurde, was als zumindest punktuelle Korrektur der herrschenden und von der sog. Plaumann-Formel geprägten europäischen Rechtsprechung betrachtet werden kann. Denn die strengen Voraussetzungen der Plaumann-Rechtsprechung – zumindest, was das Zulässigkeitskriterium der individuellen Betroffenheit des Klägers anbelangt – müssen nunmehr nicht erfüllt werden, um die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage zu rechtfertigen.30 Es sieht so aus, dass durch den Verzicht auf das Kriterium der individuellen Betroffenheit teilweise dem Anliegen des EuG im Fall Jégo-Quéré31, dem der EuGH nicht gefolgt ist,32 Rechnung ge-
men nach sich ziehen, Klage erheben.“ Diese Formulierung wurde später fast wörtlich in den Art. 263 Abs. 4 AEUV übernommen. Vgl. H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 73 ff., m.w. N.; W. Cremer, EuGRZ 2004, S. 577 ff.; M. Borowski, EuR 2004, S. 909 ff. 27 Vgl. W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 54 ff.; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 40 ff.; jeweils m.w. N. 28 Vgl. J. Gundel, EWS 2012, S. 65, m.w. N. 29 Ausführlich dazu C.-D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und europäischen Verwaltungsprozeßrecht, 1996; J.-M. Woehrling, NVwZ 1998, S. 462 ff.; E. Rehbinder, Revue européenne de droit de l’environnement 1997, S. 16 ff. 30 Vgl. J. Gundel, EWS 2012, S. 65 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 557 ff.; M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 18; U. Everling, EuZW 2010, S. 573; J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 546 ff. jeweils m.w. N. 31 EuG, Urt. v. 03.05.2002, T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/ Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; Anm. dazu C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 342 ff.; M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff. 32 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/ Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; krit. dazu u.a: J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); vgl. Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402; C. Feddersen, EuZW 2002, S. S. 532 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; vgl. auch J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff.; G. Schohe, EWS 2002, S. 424 ff.; U. Wölker, DÖV 2003, S. 574 ff. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., III.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
tragen wird.33 Angesichts der Tatsache, dass das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit sich i. d. R. auch bei umweltschützenden Nichtigkeitsklagen als unproblematisch erweist,34 sei durch den Verzicht der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf die damals erforderliche Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit ein bedeutendes Hindernis für die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Drittkläger und insbesondere von Umweltverbänden gegen europäische Rechtsakte mit Verordnungscharakter beseitigt.35 Ausgangspunkt des Klagegegenstandsbegriffs des neuen Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV scheint vordergründig die Absicht zu sein, die bereits aufgezeigte Rechtsschutzlücke insbesondere des Art. 230 Abs. 4 EGV auch im Bereich des Umweltschutzes zu schließen.36 Eine Auslegung dieser Bestimmung sollte allerdings im Lichte des systematischen Zusammenhangs der aktuellen drei Varianten der Individualnichtigkeitsklage des AEUV erfolgen. Denn das Tatbestandsmerkmal der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ lässt sich grundsätzlich im Wege der Abgrenzung zu den Klagegegenstandsbegriffen der ersten bzw. der zweiten Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV erschließen.37 Zu beachten ist, dass die Neuregelung nach dem Grundsatz „tempus regit actum“ auf alle Klagen Anwendung findet, die seit dem Inkrafttreten dieser Vorschrift eingereicht wurden.38 Wie weitreichend die neue Variante des Art. 263 AEUV Abs. 4 AEUV das bisherige Rechtsschutzsystem reformiert, ist allerdings – aufgrund des recht uneindeutigen Wortlauts dieser Vorschrift – bislang unklar, zumal dieser Begriff an keiner Stelle der Verträge definiert wird. Besonders umstritten ist die Frage, was „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ sind.39 Um die Auswirkungen dieser Vorschrift auf das europäische Rechtsschutzsystem und insbesondere auf den Rechtsschutz der Umwelt genauer bestimmen zu können, ist es zunächst erforderlich, den Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ genauer zu analysieren sowie seine Grenzen zu bestimmen.
33 Vgl. W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 54; R. Streinz, JuS 2012, S. 472; J. Gundel, EWS 2012, S. 65; A. Hatje/A. Kindt, NJW 2008, S. 1767; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 548. 34 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 200, m.w. N.; s. o. auch 3. Teil, 2. Kap., B., IV., 3. 35 M. Breuer, DV 2012, S. 200. 36 s. o. 3. Teil, 2. Kap., B. ff. 37 Vgl. N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 248. 38 Vgl. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 34 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff.; EuG, Urt. v. 05.12.2008, Rs. T-532/08, Slg. 2010, II03959 (Norilsk Nickel Harjavalta Oy und Umicore SA/NV/Kommission); EuG, Urt. v. 07.09.2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-04017 (Etimine und Etiproducts). 39 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); vgl. Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402; C. Feddersen, EuZW 2002, S. 532 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff.; G. Schohe, EWS 2002 S. 424 ff.; U. Wölker, DÖV 2003, S. 574 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 557 ff.
A. Reaktion des europ. Vertragsgebers durch Abschluss des Lissabon-Vertrags
983
1. Der Streit über den Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ Der Normsatz des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV ließ von Beginn an mehr Fragen offen, als er lösen sollte. Das Problem stellt sich, weil im Vertrag von Lissabon aus wenig einsichtigen Gründen die Differenzierung in der Bezeichnung zwischen Verordnungen als Gesetzgebungsakte und als sonstige Rechtsakte aufgegeben wurde.40 Uneindeutigkeit und damit Streit ergibt sich vor allem bezüglich des Inhalts des Begriffs „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“. Konkret geht es hierbei um die Frage, ob die neue oben genannte Bestimmung nur die Verordnungen des Verfassungsvertragsentwurfs als untergesetzliche (Ausführungs-)Regelung oder auch die Verordnungen des EGV und des neuen AEUV meint, also das „Europäische Gesetz“ i. S. d. Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 2 VVE,41 nämlich Legislativakte, die in einem Verfahren nunmehr nach Art. 289 AEUV erfolgen.42 Anders formuliert ist kurzgefasst folgende Frage zu stellen: Sind eigentlich mit Art. 263 Abs. 4 Var. 4 AEUV als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ alle möglichen Verordnungen im Rahmen des Lissabon-Vertrags (also Verordnungen mit und ohne Gesetzescharakter) qualifiziert oder nur untergesetzliche Rechtsakte, die unabhängig von ihrer Handlungsform keinen Gesetzescharakter haben, also Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, die nicht in einem Rechtssetzungsverfahren verabschiedet wurden?43 Ein Teil der Theorie versteht den Begriff des „Rechtsaktes mit Verordnungscharakter“ in Anlehnung an die Verordnung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV 44 oder verweist zumindest im untechnischen Sinne auf den „normativen Charakter des Rechtsaktes“.45 Obwohl die umstrittene Norm aus Art. III-365 40
R. Streinz, JuS 2012, S. 473, m.w. N. Art. I-33 Abs. 1 UA 2 VVE: „Das Europäische Gesetz ist ein Gesetzgebungsakt mit allgemeiner Geltung. Es ist in allen seinen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“ 42 Vgl. H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 445; ders., Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 67 ff., S. 121; C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1353 ff., m.w. N.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 62 ff. 43 Vgl. M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 18; s. ausführliche Analyse beider Aspekte: C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1352 ff.; jeweils m.w. N. 44 Vgl. J. Schwarze, in: FS für D. H. Scheuing, 2011, S. 199 ff. M. Kottmann, ZäöRV 2010, S. 559; U. Everling, EuZW 2010, S. 575 ff.; W. Frenz/A.-M. Diselrath, NVwZ 2010, S. 165 ff., J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 556; S. Balthasar, E.L.Rev. 2010, S. 544 ff. 45 Vgl. vor allem N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 248. In diese Richtung auch A. Hatje/A. Kindt, NJW 2008, S. 1767; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58; ders., Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 68; A. Limante, W. P. for the Annual Conference of EGPA, Sept. 2011, S. 8 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff.; A. Thiele, EuR 2010, S. 43 ff.; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2008, S. 94; B. Wegener, EuR-Beih. 3/2008, S. 51 ff.; D. Classen, JZ 2006, S. 160; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 549 ff. 41
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
Abs. 4 VVE, der auf den Verordnungscharakter und nicht den Gesetzescharakter des betreffenden Rechtsaktes abstellt, in Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV unverändert übernommen wurde, wird behauptet, dass diese Vorschrift einen anderen Inhalt erhält, als auf den ersten Blick ihr Wortlaut aufweist. Denn sie bezeichnet mit der Nutzung des Begriffs „Verordnungscharakter“ nicht mehr wie im VVE eine den „Gesetzen“ nachgeordnete Kategorie.46 Danach sind Rechtsakte mit Verordnungscharakter solche, die in ihrem Charakter der Verordnung nach Art. 288 Abs. 2 AEUV ähnlich sind, also unmittelbare und allgemeine Geltung besitzen. Dies seien sämtliche Verordnungen und außerdem unmittelbar anwendbare Richtlinien.47 Diese Ansicht beruft sich prinzipiell darauf, dass Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV die Unterscheidung des Verfassungsvertrags zwischen Verordnungen als Gesetzgebungsakte und als sonstige Rechtsakte nicht aufgreift. Denn eine restriktive Auslegung angesichts der seit langem erhobenen Forderung nach Verbesserung des Individualrechtsschutzes sei unverständlich.48 Laut dieser Auffassung sieht es so aus, dass die Formulierung der zitierten Vorschrift auf die schon dargelegte Rechtsschutzlücke abzielte, die nach der bisherigen Regelung des exArt. 230 Abs. 4 Var. 2 EGV bestand, wenn Rechtsakte mit allgemeiner Geltung Verpflichtungen begründeten, die nicht mehr konkretisiert werden mussten.49 Dadurch sollte der Rechtsschutz in der EU umfassend rechtsschutzfreundlich und möglichst lückenlos gewährleistet werden. Der Lissabon-Vertrag sollte Raum für ein umfassendes System des Rechtsschutzes gegen Normativakte bieten, das sich weniger an deren hierarchisch bestimmter Normqualität als vielmehr am Kriterium der Unmittelbarkeit orientiert.50 Der Begriff „Verordnung“ sollte daher einheitlich weit verstanden werden.51 Dies werde besonders bei dem Um46
Vgl. U. Everling, EuR 2009, S. 74, m.w. N.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 557 ff. 47 Vgl. U. Everling, EuZW 2010, S. 575; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 549; S. Balthasar, E.L.Rev. 2010, S. 544 ff. 48 Ebd. 49 Vgl. A. Haratsch, EuR-Beiheft 3/2008, S. 94; K. Lenaerts, CDE 2009, S. 719, A. v. Waeyenberge/P. Pecho, CDE 2008, S. 123. s. auch aus der Rspr. EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. C-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 45 (Jégo-Quéré & Cie SA/Kommission); Anm. dazu M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, S. 415 ff.; C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 32 ff. 50 Vgl. M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 18; J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 546 ff.; S. Balthasar, E.L.Rev. 2010, S. 544 ff.; W. Frenz/A.-M. Distelrath, NVwZ 2010, S. 165; M. Kottmann, ZaöRV 2010, S. 559 ff.; U. Everling, EuR 2009, S. 74 ff.; ders., EuZW 2010, S. 574 ff. 51 Vgl. J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 546 ff.; S. Balthasar, E.L.Rev. 2010, S. 544 ff.; W. Frenz/A.-M. Distelrath, NVwZ 2010, S. 165; M. Kottmann, ZaöRV 2010, S. 560; U. Everling, EuR 2009, S. 74 ff.; ders., EuZW 2010, S. 574 ff.; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 248; E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EU-Handkomm., 2012, Rn. 40, jeweils m.w. N.
A. Reaktion des europ. Vertragsgebers durch Abschluss des Lissabon-Vertrags
985
stand deutlich, dass in Folge des Fehlens von Durchführungsmaßnahmen auch eine Inzidentnormkontrolle der betreffenden Rechtsakte weitgehend ausscheidet.52 Die vielfach befürchtete Flut von direkten Klagen Privater vor dem EuGH dürfte wegen des Zulässigkeitskriteriums der unmittelbaren Betroffenheit kaum eintreten. Richtlinien dürften grundsätzlich in der Praxis nicht erfasst sein, weil sie ohne Umsetzung Einzelne nicht belasten können und damit keinen Anlass zur Klage vor dem EuGH geben.53 Andererseits entwickelt die engere Gegenansicht den Begriff des „Rechtsakts mit Verordnungscharakter“ nicht in Anlehnung an Art. 288 AEUV, sondern in Abgrenzung zum Gesetzgebungsakt (gem. Art. 289 Abs. 3 AEUV). Hiernach sollen insbesondere Rechtsakte ohne Gesetzescharakter (gem. Art. 290 AEUV) und Durchführungsrechtsakte (gem. Art. 291 AEUV) erfasst sein. Nach dieser Ansicht sind „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ im Gegensatz zu Gesetzgebungsakten entweder rangniedere oder delegierte Rechtsakte, unabhängig von ihrer Einordnung als Verordnung, Richtlinie oder Beschluss.54 Ein solches Verständnis entspricht dem deutschen verfassungsrechtlichen Verständnis des Begriffs „Rechtsverordnung“ (gem. Art. 80 Abs. 1 GG) als Gegenbegriff zum formellen Gesetz.55 Es geht also um „untergesetzliche“ Normen, die lediglich der Konkretisierung und Ausfüllung eines vom Parlament erlassenen Gesetzes dienen.56 Die Mehrheit der Theorie legt sich allerdings nicht abschließend auf die erfassten Rechtsakte fest. Insofern sind Rechtsakte nach Art. 290 AEUV nur als Hauptanwendungsfall genannt.57 Dazu sollten etwa auch „autonome“ Verordnungen der Kommission, die auf Grundlage von Einzelnormen erlassen werden, gehören.58 Die Vertreter der engeren Auslegung berufen sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte des AEUV. Gegenüber der insoweit gleichlautenden Vorschrift des Art. III-365 Abs. 4 des gescheiterten Verfassungsvertrags (EVV), die sich 52
Vgl. M. Dauses, EuZW 2014, S. 122. Vgl. U. Everling, EuR 2009, S. 74; M. Dauses, EuZW 2014, S. 122. 54 Vgl. A. Hatje/A. Kindt, NJW 2008, S: 1767; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58; ders., Art. 263 AEUV, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 68; A. Limante, W.P. for the Annual Conference of EGPA, Sept. 2011, S. 8 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff.; A. Thiele, EuR 2010, S. 43 ff.; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2008, S. 94; B. Wegener, EuR-Beih. 3/ 2008, S. 51 ff.; D. Classen, JZ 2006 S. 160; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 549 ff.; H.-A. Petzold, EuZW 2014, S. 289 ff.; jeweils m.w. N. 55 S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 549 ff., m.w. N. 56 Vgl. A. Hatje/A. Kindt, NJW 2008, S. 1767; A. Thiele, EuR 2010, S. 43 f.; D. Classen, JZ 2006, S. 160; B. Wegener, EuR-Beih. 3/2008, S. 51 ff. 57 So z. B. A. Hatje/A. Kindt, NJW 2008, S. 1767. 58 A. Thiele, EuR 2010, S. 43 ff. 53
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
auf eine eingeschränkte, den Unionsgesetzen nachgeordnete Kategorie der Verordnung bezog, sei keine Ausweitung der Direktklage beabsichtigt gewesen. Danach sollte Privaten eine erweiterte Klagemöglichkeit gegen Rechtsakte mit Gesetzescharakter nicht zukommen. Diese habe sich aber wegen der dort bereits in der Bezeichnung der Rechtsakte zum Ausdruck kommenden Differenzierung zwischen Akten mit Gesetzgebungscharakter (Europäisches Gesetz, Europäisches Rahmengesetz, vgl. Art. I-34 EVV) und untergesetzlichen Akten mit Verordnungscharakter (Art. I-35 EVV) nicht auf Gesetzgebungsakte bezogen.59 Hierfür sprechen sowohl die Wahl des Wortlauts der umstrittenen Norm („Verordnungscharakter“ statt „Verordnung“ oder „Rechtsakt mit Gesetzescharakter“) als auch ein Textvergleich des geltenden Gesetzestextes mit dem Text des Entwurfes für die Europäische Verfassung, die das Klagerecht auf Durchführungsverordnungen beschränkte. Von Bedeutung ist auch, dass die Diskussionen im Konvent zur Beratung des Lissabon-Verfassungsvertrages der Einführung einer Klage gegen Legislativakte ausdrücklich eine Absage erteilten.
B. Die europäischen Rechtsakte nach dem Lissabon-Vertrag Um den Streit hinsichtlich des Begriffs von „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“ sowie das aktuelle EU-Rechtsschutzsystem ausreichend zu verstehen und zu klären, ist es – exkursiv – erforderlich, die grundlegenden Formen der europäischen Rechtsakte gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV darzustellen.
I. Gesetzgebungsakte Gem. Art. 289 Abs. 3 AEUV handelt es sich um Gesetzgebungsakte, wenn Rechtsakte nach einem Gesetzgebungsverfahren angenommen worden sind. Zu diesen Gesetzgebungsverfahren zählen sowohl das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 289 Abs. 1 AEUV als auch das besondere Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 289 Abs. 2 AEUV. Nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren wird ein von der Kommission vorgeschlagener Gesetzgebungsakt gemeinsam von Rat und Europäischem Parlament angenommen. Nach dem besonderen Gesetzgebungsverfahren wird ein Rechtsakt entweder vom Europäischen Parlament mit Beteiligung des Rates oder vom Rat mit Beteiligung des Europäischen Parlaments angenommen. In beiden Fällen handelt es sich aber eben um Gesetzgebungsakte, wobei ausweislich von Art. 289 Abs. 1 und 2 AEUV ausgehend neben Verordnungen und Richtlinien auch Beschlüsse als Gesetzgebungsakte verabschiedet werden können.60 59 60
Vgl. R. Streinz, JuS 2012, S. 473, m.w. N. W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 56.
B. Die europäischen Rechtsakte nach dem Lissabon-Vertrag
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Entscheidend für die Qualifizierung einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses als Gesetzgebungsakt ist allein, dass der Rechtsakt im (ordentlichen oder besonderen) Gesetzgebungsverfahren angenommen wurde. Der h. M. nach sind solche Rechtsakte sämtlich keine Rechtsakte mit Verordnungscharakter i. S. v. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV, sondern Rechtsakte mit Gesetzescharakter, nämlich Gesetzgebungsakte gem. Art. 289 Abs. 3 AEUV.61
II. Rechtsakte ohne Gesetzescharakter Neben den Rechtsakten mit Gesetzescharakter kennt der AEUV auch Rechtsakte ohne Gesetzescharakter. Für den vorliegenden Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sämtliche oder ggf. welche Rechtsakte ohne Gesetzescharakter als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV zu qualifizieren sind. In dieser Hinsicht ist von Bedeutung, von vornherein zu erwähnen, dass Empfehlungen und Stellungnahmen als zulässige Klagegegenstände gem. Art. 263 AEUV aus dem Katalog der in Art. 288 AEUV aufgelisteten lediglich ausscheiden. Genauso wie nach dem EGV sind grundsätzlich Empfehlungen und Stellungnahmen gem. Art. 288 Abs. 5 AEUV rechtlich nicht bindend und mithin schon keine Rechtsakte im engeren Sinne.62 Bei den verbindlichen Rechtsakten ohne Gesetzescharakter sind drei Fallkonstellationen zu unterscheiden:
61 Vgl. W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 56; ders., DÖV 2010, S. 58 ff.; A. Thiele, EuR 2010, S. 30 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff.; C. Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 154; C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1357; R. Streinz, in: ders./C. Ohler/ C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, S. 94 ff.; jeweils m.w. N.; a. A. U. Everling, EuR 2009, S. 73; ders., EuZW 2010, S. 573; J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 555; F. Mayer, AöR 2004, S. 427 ff. 62 Vgl. W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 58, m.w. N. Der Grund dafür liegt vor allem in der Vorläufigkeit der vorbereitenden Verfahrenshandlung, der i. d. R. eine Stellungnahme oder eine Empfehlung dient. Diese bereitende Verfahrenshandlung erzeugt daher keine verbindliche Rechtswirkung. Insofern könnte eine Nichtigkeitsklage gegen eine Stellungnahme oder eine Empfehlung das Gericht zu einer Entscheidung über eine Frage zwingen, zu der sich die jeweils zuständigen EU-Organe (z. B. die Kommission) zu diesem Zeitpunkt noch nicht äußern müssten. Damit würden die verschiedenen Phasen des Verwaltungs- und des gerichtlichen Verfahrens und die im Vertrag vorgesehene Zuständigkeitsverteilung zwischen Kommission und Gericht durcheinander gebracht. Es bedarf also einer endgültigen Entscheidung, die Beschwerde zurückzuweisen und das Verfahren einzustellen. Auf eine endgültige Entscheidung hat der Kläger aber erst einen Anspruch, wenn die Sache entscheidungsreif bzw. die Bearbeitungszeit missbräuchlich überschritten ist. Ab diesem Zeitpunkt ist die Untätigkeitsklage (wieder) zulässig. Weist die Kommission eine Beschwerde endgültig zurück, kann diese Zurückweisung Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. Vgl. S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1421 ff., m.w. N.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
1. die delegierten Rechtsakte (Art. 290 AEUV; ex-Art. 249b EGV); 2. die Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV; ex-Art. 249c EGV); 3. die unmittelbar auf die Verträge gestützten Rechtsakte, welche der Durchführung bestimmter Einzelbestimmungen der Verträge (AEUV und EUV) dienen, die aber im AEUV – anders als im VVE – im Abschnitt über „Die Rechtsakte der Union“ (Art. 288–292 AEUV) nicht nur keine nähere Regelung erfahren, sondern nicht einmal Erwähnung finden;63 wichtig ist, dass die in Art. 288 AEUV definierten Instrumente für alle Bereiche der Verträge gelten, einschließlich des bisherigen zweiten und dritten Pfeilers.64
III. Delegierte Rechtsakte Delegierte Rechtsakte sind solche Rechtsakte, mit denen die Kommission bestimmte, nicht wesentliche Bestimmungen eines Gesetzgebungsakts ergänzen und insbesondere auch abändern kann. Diese Delegation gesetzgeberischer Gewalt muss durch den Gesetzgeber in dem zugrundeliegenden Gesetzgebungsakt ausdrücklich festgelegt werden und zwar bestimmt hinsichtlich Ziel, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung. Delegierte Rechtsakte können durch einen Gesetzgebungsakt jederzeit verändert oder außer Kraft gesetzt werden. Sinn dieses Instruments ist es, die europäischen Gesetzgebungsakte von technischen Einzelheiten zu entlasten und diese der Kommission zur Regelung zu übertragen. Dies begegnet der geläufigen Kritik eines zu großen Detaillierungsgrads europäischer Gesetzgebungsakte. Bei den delegierten Rechtsakten handelt es sich zwar nicht um formelle, wohl aber um materielle Gesetzgebung. Daher muss der europäische Gesetzgeber die politische Kontrolle über diese Rechtsetzung behalten. Dies geschieht durch die Kontrollinstrumente in Art. 290 Abs. 2 AEUV: die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs der Befugnisübertragung und des Vorbehalts vorheriger Zustimmung.65
IV. Durchführungsrechtsakte Von den delegierten Rechtsakten zu unterscheiden sind die Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 AEUV. Die Durchführung des Unionsrechts liegt zunächst gem. Art. 291 Abs. 1 AEUV in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Falls dies für die einheitliche Durchführung eines Gesetzgebungsakts jedoch erforderlich ist, kann dieser der Kommission – oder in den in den Verträgen vorgesehenen Ausnahmefällen auch dem Rat – die Befugnis zum Erlass von Durch63 Vgl. Auswärtiges Amt, Denkschrift zum Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007, AS-RK 2007, S. 125. 64 Ebd., S. 126. 65 Ebd.
B. Die europäischen Rechtsakte nach dem Lissabon-Vertrag
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führungsrechtsakten übertragen. Im Unterschied zu den delegierten Rechtsakten können derartige Durchführungsrechtsakte den zugrunde liegenden europäischen Gesetzgebungsakt nicht abändern. Es verbleibt allerdings ein gewisser Überschneidungsbereich hinsichtlich der Ergänzung des zugrunde liegenden Gesetzgebungsakts. Hier hat der europäische Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum, welches Instrument er für angemessen erachtet.66 Angesichts der vorrangigen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Durchführung des Unionsrechts ist gem. Art. 291 Abs. 3 AEUV eine Kontrolle der Kommission hinsichtlich ihrer Wahrnehmung dieser Durchführungsbefugnisse vorgesehen – und zwar durch die Mitgliedstaaten. Diese Kontrolle obliegt also, anders als bei den delegierten Rechtsakten, den Mitgliedstaaten und nicht dem europäischen Gesetzgeber. Die Einzelheiten dieser Kontrolle werden dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemäß durch Verordnungen im Voraus festgelegt. Diese entsprechen den bisherigen Komitologiebeschlüssen.67
V. Vertragsdurchführende Rechtsakte ohne Gesetzescharakter Es gibt auch Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, welche der Durchführung bestimmter Einzelbestimmungen des AEUV und des EUV dienen, die aber im AEUV – anders als im VVE – im Abschnitt über „Die Rechtsakte der Union“ (Art. 288–292 AEUV) nicht nur keine nähere Regelung erfahren, sondern nicht einmal Erwähnung finden. Es handelt sich mithin um „vertragsdurchführende Rechtsakte ohne Gesetzescharakter“, die sich angesichts einer fehlenden besonderen Regelung im AEUV – und im Unterschied zu delegierten Rechtsakten nach Art. 290 Abs. 3 AEUV und den Durchführungsrechtsakten nach Art. 291 Abs. 4 AEUV – freilich terminologisch von Rechtsakten mit Gesetzescharakter nicht unterscheiden lassen. Diese verbindlichen Rechtsakte ohne Gesetzescharakter können unmittelbar auf die Verträge gestützt werden, sofern die entsprechende Rechtsgrundlage nicht ausdrücklich das ordentliche oder ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vorsieht. Es handelt sich dann um Rechtsakte, die unmittelbar zur Durchführung der Verträge dienen, ohne dass es eines zugrunde liegenden Gesetzgebungsakts bedarf. Diese Befugnis kommt typischerweise dem Rat zu, es gibt aber auch einige Fälle, in denen die Kommission oder auch die EZB solche unmittelbar auf die Verträge gestützten Rechtsakte erlassen. Als Beispiel für eine Kompetenz des Rates zum Erlass eines solchen Rechtsakts in Gestalt einer Verordnung mag etwa Art. 106 Abs. 3 AEUV und Art. 109 AEUV angeführt werden, der die Ermächtigung des Rates auf den Erlass von Verordnungen begrenzt.68 66
Ebd. Ebd. 68 Ebd.; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 60; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 554 ff. 67
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
Schließlich lässt sich eine weitere, im Abschnitt über die Rechtsakte der Union nicht genannte und in den Verhandlungen des VVE und des Lissabon-Vertrags offenbar gänzlich übersehene Kategorie von Rechtsakten ohne Gesetzescharakter identifizieren. Nach wie vor sind Sekundär- bzw. Tertiärrechtsakte nicht stets und allein auf Durchführung durch die Mitgliedstaaten – auf solche Konstellationen bezieht sich Art. 290 AEUV –, sondern auch auf Durchführung bzw. Anwendung durch Unionsorgane oder -einrichtungen angelegt, insbesondere durch die Kommission und verschiedene Agenturen. Im Rahmen dieses sog. unmittelbaren unionsrechtlichen Vollzugs ergehen vor allem an bestimmte Adressaten gerichtete Beschlüsse im Sinne von Art. 288 Abs. 4 S. 2 AEUV, welche die Kommission etwa im Wettbewerbsrecht vielfach erlässt.69 Im Bereich des Umweltrechts sind aber solche Rechtsakte ohne erhebliche Bedeutung.
C. Stellungnahme zum Streit hinsichtlich der Rechtsakte mit Verordnungscharakter Der hier vertretenen Ansicht nach erfasst das erweiterte Direktklagerecht des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV durchaus Sekundärrechtsakte, die nicht im Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden.70 Von der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV sollen primär Durchführungsverordnungen der Kommission erfasst werden, die nach Art. 290 Abs. 1 AEUV ausdrücklich keinen Gesetzescharakter aufweisen.71 Danach werde davon ausgegangen werden müssen, dass lediglich die „weniger bedeutenden“ Verordnungen, nämlich die Verordnungen ohne Gesetzescharakter, von der zitierten Vorschrift erfasst sein sollen.72 Unter „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“ seien allerdings Rechtsakte ohne Gesetzescharakter unabhängig von ihrer Handlungsform zu verstehen, also Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, die nicht nach einem „Gesetzgebungsverfahren“ nach Art. 289 AEUV erlassen wurden.73 Soweit ein Rechtsakt 69 W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 60. 70 Vgl. J. Gundel, EWS 2012, S. 69; W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUVKomm., 2011, Art. 263, Rn. 58 ff.; jeweils m.w. N. 71 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 44; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff., m.w. N. 72 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 44; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff., m.w. N. 73 Vgl. C. Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 154; C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1357; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, S. 94; A. Thiele, EuR 2010, S. 44; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58 ff.; ders., in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 67; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff. Hinsichtlich der Differenzierung zwischen legislativen und nicht-legislativen Rechtsakten vgl.: A. Limante, W. P. for the Annual Conference of EGPA, Sept. 2011, S. 9 ff., m.w. N.
C. Stellungnahme zum Streit der Rechtsakte mit Verordnungscharakter
991
dagegen in einem Gesetzgebungsverfahren i. S. v. Art. 289 Abs. 3 AEUV angenommen wurde, ist er als Rechtsakt mit Gesetzescharakter ausschließlich nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV angreifbar – nicht aber nach Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV.74 Im Wege der systematischen Auslegung scheint logischerweise der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ enger zu sein als derjenige der „Handlungen“ i. S. d. Art. 263 Abs. 4 Var. 1 und 2 AEUV. Er soll damit eine bloße Teilmenge der Gesamtheit der rechtserheblichen Unionshandlungen darstellen.75 Im Hinblick darauf wird zurecht das Argument angeführt, dass die „Handlungen“ des Art. 263 Abs. 4 Var. 1 und 2 AEUV nicht gleichzeitig tauglicher Klagegegenstand auch des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV sein können. Würden von Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV sämtliche Handlungen mit allgemeiner Geltung erfasst, verlöre die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Handlungen“ und „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ ihren Sinn.76 Unter diesen Bedingungen fände die nun als zweite Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV beibehaltene Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit bei normativen Rechtsakten praktisch keinen Anwendungsbereich mehr, wenn die dritte Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV auf alle Rechtsakte (mit und ohne Gesetzescharakter) anwendbar sein soll. In diesem Fall hätte es näher gelegen, diese Voraussetzung ganz zu streichen, was aber nicht geschah.77 Auch die im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV gelockerten Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Klageerhebung würden durch den Privatkläger unterlaufen.78 Deswegen müsse mit dem Begriff „Rechtsakte mit Verwaltungscharakter“ eine engere Kategorie des Begriffs „Handlungen“ gemeint sein.79 Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein mangels einer ausdrücklichen Differenzierung nunmehr zumindest alle Verordnungen (mit und ohne Gesetzescharakter) i. S. d. Art. 288 AEUV auch von der umstrittenen Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV erfasst werden. Denn damit kommt es nun zu der sprachlich widersprüchlichen Konsequenz, dass es nach dem Vertrag von Lissabon Verordnungen gibt, die keinen Verordnungscharakter aufweisen.80 74
Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 36 ff.; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/ AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 68; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff.; A. Hatje/ A. Kindt, NJW 2008, S. 1767; A. Thiele, EuR 2010, S. 36 ff. 75 N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250. 76 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 59 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff.; R. Streinz, EuZW 2014, S. 20. 77 Vgl. N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250; J. Gundel, EWS 2012, S. 68, m.w. N. 78 N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250. 79 R. Streinz, EuZW 2014, S. 20. 80 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 44; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58 ff.; M. Schröder, DÖV 2009, S. 63 ff., m.w. N.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
Die Tatsache, dass der neue Klagegegenstandsbegriff des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV„Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, die „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“, umfasst, als integraler Bestandteil dieses Klagegegenstandsbegriffs das entscheidende Instrument zur tatbestandlichen Aussonderung von allgemein geltenden normativen Rechtsakten darstellen soll, die gegebenenfalls lediglich über Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV anfechtbar sind. Ausgesondert werden an dieser Stelle folglich all diejenigen Rechtsakte mit normativem Charakter, die schon mittelbar über Durchführungsmaßnahmen angreifbar seien und bei denen folglich kein praktisches Bedürfnis bestehe, unmittelbaren Rechtsschutz über die Vorschriften des Art. 263 AEUV zu gewähren.81 Auch an Dritte gerichtete normative „Handlungen“ sollen grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV ausgeschlossen sein.82 Diese Handlungsformen sind weiterhin gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV angreifbar, sofern der Individualkläger „unmittelbar und individuell“ betroffen ist. Dies soll sowohl für die Fallgruppe der Scheinverordnungen83 als auch für die Fallgruppe der sog. Hybridverordnungen gelten, die zwar formal normativen Charakter haben, faktisch aber für bestimmte einzelne Personen wie eine adressatenbezogene Handlung wirken können und sich im Übrigen letztlich auch nur über das Kriterium der individuellen Betroffenheit erschließen lassen, dem Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV und nicht Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV zuzuordnen sind. Auch angesichts der Tatsache, dass Hybridverordnungen Durchführungsakte nach sich ziehen, können sie schon deshalb von der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nicht erfasst werden.84 In denjenigen seltenen Fällen, in denen aber beim Vollzug von Hybridverordnungen ohne Gesetzescharakter Durchführungsmaßnahmen nicht erforderlich sind, dürfte im Ergebnis davon auszugehen sein, dass derartige Hybridverordnungen über Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV anfechtbar sein können. Als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ könnten auch autonome Verordnungen der Kommission verstanden werden, also solche, die von ihr unmittelbar aufgrund einer vertraglichen Ermächtigung erlassen werden, die der Durchfüh81
Vgl. N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 251; W. Cremer, DÖV 2010, S. 65. Vgl. C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 177 ff. 83 Vgl. M. Pechstein, EU-Prozessrecht, 2011, Rn. 407; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250. Mehr zum Begriff der „Scheinverordnungen“ s. o. 84 Vgl. M. Pechstein, EU-Prozessrecht, 2011, Rn. 407; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 251. Erkennt man nämlich mit der Rechtsprechung des EuGH die Rechtsfigur der Hybridverordnung an, so kommt man nicht umhin, die in einem solchen Fall verfahrensgegenständliche Verordnung insoweit als materiell adressatenbezogene Handlung anzusehen, als eine individuelle Betroffenheit des Klägers vorliegt. Damit scheidet dann aber – trotz des formal-normativen Charakters derartiger Verordnungen – eine Klassifizierung als „normativer“ Rechtsakt im Sinne eines „Rechtsakts mit Verordnungscharakter“ jedenfalls im Hinblick auf den unmittelbar und individuell betroffenen Kläger aus. 82
C. Stellungnahme zum Streit der Rechtsakte mit Verordnungscharakter
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rung bestimmter Einzelbestimmungen der AEUV und EUV dienen. Normative Rechtsakte der Kommission können auch dann der Nichtigkeitsklage des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV unterliegen, wenn sie sich unmittelbar auf Rechtsgrundlagen im Primärrecht stützen.85 Dafür spricht vor allem, dass auch diese nicht in einem Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.86 Infolgedessen können wegen der Beschränkung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, die „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“, bestimmte wichtige Rechtsakte nicht von Einzelnen gerichtlich angefochten werden. Diese seien vor allem Rechtsakte allgemeiner Geltung, die als Gesetze oder Rahmengesetze ergehen. Insbesondere werden durch das Merkmal der fehlenden Durchführungsmaßnahmen die vom Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV erfassten Rechtsakte im Wesentlichen auf die Fallgruppe der formellen unmittelbar betreffenden Rechtsakte reduziert. Erfasst werden im Ergebnis grundsätzlich Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die Ge- bzw. Verbote selbst festlegen, ohne dass weitere Ausführungsmaßnahmen zu deren wesentlicher Konkretisierung oder nationale Umsetzungsmaßnahmen ungeachtet des Konkretisierungsgrades erforderlich seien.87 Es sei somit davon auszugehen, dass auch nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags direkte Klagen vor den europäischen Gerichten gegen Verordnungen und Richtlinien, sofern diese „Gesetzescharakter“ haben, ausgeschlossen sind.88 Die hier vertretene Ansicht findet vor allem in der Entstehungsgeschichte des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV Unterstützung.89 Der vom Präsidium des Konvents eingesetzte „Arbeitskreis betreffend den Gerichtshof“ sollte u. a. zu dieser Frage 85
J. Gundel, EWS 2012, S. 69. Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 44. 87 Vgl. C. Last, Garantie wirksamen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Union, 2008, S. 188; A. Thiele, EuR 2010, S. 44 ff.; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 251. 88 Vgl. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, T-18/10 (Inuit u. a./Parlament und Rat), Rn. 50, 56, EuZW 2012, S. 395 ff.; M. Breuer, DV 2012, S. 199. Diese Auslegung scheint im Grundsatz mit den Anforderungen der Aarhus-Konvention kompatibel zu sein. Die Auffassung gegenüber einer Zulassung prinzipaler Normenkontrollen gegen Legislativakte hat auch in der Aarhus-Konvention ihren Niederschlag gefunden. Denn gem. Art. 2 Ziff. 2 S. 2 AK sind „Gremien oder Einrichtungen, die in [. . .] gesetzgebender Eigenschaft handeln,“ vom Anwendungsbereich der Konvention ausgenommen; vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 199 m.w. N.; M. Pallemaerts, Compliance by the European Community with its Obligations on Access to Justice as a Party to the Aarhus Convention, 2009, S. 12. 89 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 263 Abs. AEUV vgl. u. a. Rat der Europäischen Union, Nr. 11218/07, Mandat für die Regierungskonferenz, 26.06.2007. Es muss allerdings angemerkt werden, dass die verfügbaren Materialien zu den dem LissabonVertrag unmittelbar vorangegangenen Verhandlungen zur Regierungskonferenz sowie die Beratungen im Europäischen Konvent selbst keine weitere Information zum Umfang der Klagebefugnis juristischer und natürlicher Personen gegen Rechtsakte der Union geben. 86
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
Stellung nehmen: Sollte der Wortlaut von Art. 230 Abs. 4 EGV insbesondere betreffend die unmittelbare Klage natürlicher Personen gegen Rechtsakte allgemeiner Geltung der Organe geändert werden?90 Nach kontroverser Diskussion91 empfahl der zuständige Arbeitskreis eine Fassung der umstrittenen Norm,92 die von der endgültigen Fassung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3. AEUV sowie des Art. III-365 Abs. 4 Var. 3 VVE 93 und des Art. III-270 Abs. 4 Var. 3 des Konventsentwurfs für einen Vertrag über eine Ver-
90 Vgl. Europäischer Konvent, Schlussbericht des Arbeitskreises betreffend den Gerichtshof, CONV 543/03, 07.02.2003. 91 Vgl. Europäischer Konvent, Schlussbericht des Arbeitskreises betreffend den Gerichtshof, CONV 636/03, 25.03.2003, S. 7 ff., par. 19 ff.; W. Cremer, in: C. Calliess/ M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 64. Vgl. auch zu diesen Themen: H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 34 ff., S. 73 ff., m.w. N. 92 Die Formulierung lautete: „Jede natürliche oder juristische Person kann unter den gleichen Voraussetzungen gegen die an sie ergangenen Rechtsakte oder Rechtsakte, die sie unmittelbar und individuell betreffen, sowie gegen Rechtsakte [allgemeiner Geltung/ ohne Gesetzgebungscharakter], die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen enthalten, Klage erheben.“ Vgl. CONV 636/03, S. 7 Rn. 20. 93 Art. III-365 Abs. 4 VVE knüpfte an die Regelung der Hierarchie der Rechtsakte an, die im Entwurf des Verfassungsvertrags vorgesehen war. Deswegen stufte Art. I-33 Abs. 1 VVE die bisherigen Rechtsformen der Verordnungen und Richtlinien als „Europäische Gesetze“ und „Rahmengesetze“ ein, die im Gesetzgebungsverfahren nach Art. I-34 VVE beschlossen werden sollten. Art. III-365 Abs. 4 Var. 3 VVE erfasste damit die genannten, untergesetzlichen „Europäischen Verordnungen“ des Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 4 VVE (d.h. ein Rechtsakt ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung, der in allen seinen Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt). Diese Regelung wurde in Art. I-33 Abs. 1 VVE erstmals auch bei den Rechtsakten zwischen Europäischen (Rahmen-) Gesetzen und Verordnungen differenziert. Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 4 VVE sah „Europäische Verordnungen“ als „Beschlüsse ohne Gesetzescharakter“ vor, zu deren Erlass Rat oder Kommission unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt werden konnten. Genau für „Europäische Verordnungen“ wurde im VVE das Kriterium der individuellen Betroffenheit beseitigt. Das Kriterium der individuellen Betroffenheit als Voraussetzung für die Klagebefugnis blieb jedoch bei „Gesetzen“ und „Rahmengesetzen“ bestehen. Für diese verblieb damit auch die bezeichnete Rechtsschutzlücke, obwohl sie dort viel gewichtiger ist. Diese halbherzige Regelung, die alsbald kritisiert wurde (vgl. z. B. W. Hakenberg/C. Schilhan, ZfRV 2008, S. 107 ff., m.w. N.), beruhte wohl darauf, dass „Gesetze“ nach dem Gesetzesverständnis einiger Mitgliedstaaten, anders als Verordnungen, gerichtlicher Kontrolle entzogen sein sollten. Derartige delegierte „Europäische Verordnungen“ zur Durchführung von Gesetzgebungsakten sollten allgemein oder für den Adressaten verbindlich sein. Entsprechendes sollte für „Europäische Beschlüsse“ gem. Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 5 VVE gelten. Im Übrigen sind die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber und Gerichte aufgerufen, ihre Rechtsschutzsysteme soweit zu reformieren, dass der dezentrale Rechtsschutz gegen europäische Gesetze und europäische Rahmengesetze den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz genügt. B. Wegener, Art. I-29 EUV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, 2006, Rn. 7, m.w. N.; A. Thiele, EuR 2010, S. 43; U. Everling, EuZW 2010, S. 573; J. Bast, in: A. v. Bogdandy/J. Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 546 ff.
C. Stellungnahme zum Streit der Rechtsakte mit Verordnungscharakter
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fassung für Europa94 abwich. Denn die relevanten Klagegegenstände wurden nicht als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ bezeichnet. Mangels Verständigung wurde hierzu für eine Variante zwei Alternativen vorgeschlagen.95 Dadurch wurden die relevanten Klagegegenstände als „Rechtsakte allgemeiner Geltung“ oder als „Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter“ bezeichnet.96 Die Mitglieder des Arbeitskreises, die sich für eine Änderung von Artikel 230 Abs. 4 EGV ausgesprochen hatten, führten vor allem an, dass eine Einzelperson in bestimmten Ausnahmefällen unmittelbar von einem Rechtsakt mit allgemeiner Geltung betroffen sein könnte, der keine interne Durchführungsmaßnahme enthält. Sie waren der Auffassung, dass die damaligen Kriterien für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage, die vorsahen, dass eine Person „unmittelbar und individuell“ betroffen sein muss, die Überwachung durch den EuGH in diesem speziellen Fall nicht ermöglichen. In diesem Sinne empfahl das Präsidium eine Lockerung der Bedingungen für die Erhebung einer Direktklage. Die Mitglieder des Arbeitskreises, die eine Änderung des Art. 230 Abs. 4 EGV befürworteten, haben sich vorzugsweise für die Option ausgesprochen, in der die „Rechtsakte mit allgemeiner Geltung“ durch die Neuregelung anfechtbar sein sollten.97 Einige Mitglieder hielten es allerdings für besser, den Begriff „Durchführungsrechtsakt“ zu wählen, was eine Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsrechtsakten ermöglicht und zwar unter Beibehaltung des restriktiven Ansatzes in Bezug auf die Klagebefugnis von Einzelpersonen gegen Gesetzgebungsakte (für die das Kriterium „unmittelbar und individuell betroffen“ weiterhin gilt) und unter Einführung eines offeneren Ansatzes hinsichtlich der Klagen gegen Durchführungsrechtsakte. Das Präsidium hat sich für die letztgenannte Option entschieden.98 Damit sollte vermieden werden, dass ein Kläger zunächst gegen ein Gesetz verstoßen muss, um dann eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Sanktion zu haben.99 Der Verfassungskonvent hat sich letztlich keiner der beiden Formulierungen angeschlossen. Stattdessen hat er die Formulierung „Rechtsakte mit Verord94 Europäischer Konvent, Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa, CONV 850/03, 18.07.2003. 95 Angesichts der Formulierung „[allgemeiner Geltung/ohne Gesetzgebungscharakter]“ könnte man auch ein (drittes) Verständnis in Betracht ziehen, wonach die beiden Voraussetzungen (mit allgemeiner Geltung und ohne Gesetzescharakter) kumulativ erfüllt sein müssen; dieses Verständnis war ausweislich von Rn. 22 des Abschlussberichts CONV 636/03, 25.03.2003, S. 8 aber (wohl) nicht intendiert. So auch W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 64. 96 W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 64. 97 Europäischer Konvent, 02.05.2003, CONV 734/03, S. 20. 98 Europäischer Konvent, 02.05.2003, CONV 734/03, S. 20. 99 Vgl. auch H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 34, S. 73 ff., m.w. N.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
nungscharakter“ gewählt, welche sich nunmehr auch im AEUV findet. Im Gegensatz zum VVE fehlt es insofern im AEUV an Rechtsakten, welche als „Europäische Gesetze“ bzw. „Europäische Rahmengesetze“ firmieren. Während die „Verordnungen“ und „Richtlinien“ des EGV nach dem Verfassungsvertrag zu „Europäischen Gesetzen“ bzw. „Europäischen Rahmengesetzen“ transformiert werden sollten,100 wurde diese Umetikettierung durch den Lissabon-Vertrag – evtl. wegen vermeintlicher „Staatsnähe“101 – wieder rückgängig gemacht.102 Wenn aber der Lissabon-Vertrag am Begriff des „Rechtsakts mit Verordnungscharakter“ festhält, so kann nicht unterstellt werden, dass hierdurch gleichsam stillschweigend der direkte Rechtsschutz gegen Legislativakte eingeführt werden sollte, zumal dies vom Mandat der Regierungskonferenz nicht umfasst gewesen wäre.103 In erster Linie scheint, dass mit dieser umstrittenen Formulierung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV die verschiedenen Auffassungen im Verfassungskonvent gebündelt werden, um in der Folge letztendlich den Unionsrichter über die „korrekte“ Auslegung dieser Vorschrift entscheiden zu lassen.104 Obwohl der Lissabon-Vertrag den Gesetzesbegriff wieder fallen gelassen hat, hat er dies aber nicht vollständig gemacht. Denn auch ohne den Begriff „europäische Gesetze“ zu nutzen, spricht Art. 289 AEUV von Gesetzgebungsverfahren, zumal die in diesem Verfahren angenommenen Rechtsakte als Gesetzgebungsakte verstanden werden.105 Festgehalten wurde indes an der im VVE vorgesehenen Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten (Art. 289 Abs. 3 AEUV) und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter (Art. 290 Abs. 1 AEUV).106 Die Tatsache, dass der europäische Vertragsgeber die Formulierung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV ohne weitere Erklärungen beibehalten hat, obwohl er eine deutlichere Formulierung hätte wählen können, um diesen Streit zu lösen, spricht allerdings eher für eine enge Auslegung der umstrittenen Vorschrift. Gegen eine Einbeziehung von unionalen Rechtsakten ohne Gesetzescharakter in den Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ (i. S. d. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV) soll auch folgendes Argument sprechen: Es ist m. E. Absicht des europäischen Gesetzgebers, dass es in Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nicht heißt, 100
Vgl. Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 VVE einerseits und Art. 249 Abs. 2 und 3 EGV andererseits. 101 Vgl. M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 18, m.w. N. 102 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 547 ff.; M. Breuer, DV 2012, S. 198; C. Nowak/K. Behrend, EuR 2014, S. 90. 103 Vgl. P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, 2009, S. 244; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, S. 116; M. Breuer, DV 2012, S. 199. 104 C. Nowak/K. Behrend, EuR 2014, S. 90. 105 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 42; U. Everling, EuZW 2010, S. 574. 106 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 42; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/ AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 56 ff., m.w. N.
C. Stellungnahme zum Streit der Rechtsakte mit Verordnungscharakter
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der Einzelne kann „gegen Verordnungen“ Klage erheben, sondern „gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter“. Die Betrachtung des Wortlautes der unionalen Amtssprachen zeigt auf, dass die sprachliche Nähe zwischen den Rechtsakten mit Verordnungscharakter nach Art. 263 Abs. 4 AEUV und der Verordnung nach Art. 288 Abs. 1 AEUV in der deutschen Vertragsfassung nicht ausreichend ist, um eine allgemeine Gleichsetzung des Verordnungsbegriffs mit dem Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zu rechtfertigen.107 Zwar findet sich eine entsprechende terminologische Übereinstimmung etwa im englischen, französischen, griechischen, spanischen sowie portugiesischen Wortlaut („regulatory act“ – „regulation“/„actes réglementaires“ – „règlements“/„kanovistikÝò prÜceiò“ – „kanonismoß“/„reglamentos“ – „actos reglemantarios“/„regulamentos“ – „actos regulamentares“). Anderes gilt jedoch nach der niederländischen („regelgevingshandelingen“ – „verordeningen“), der dänischen („regelfastsættende retsakter“ – „forordninger“), der schwedischen („regleringsakt“ – „förordningar“) sowie der polnischen („akty regulacyjne“ – „rozporza˛dzenia“) Fassung.108 Durch diese begriffliche Differenz wird bereits die These einer absoluten Gleichsetzung von „Verordnungen“ und „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“ zweifelhaft. Infolgedessen spricht die Wortlautauslegung eher gegen die Interpretation, der Terminus „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ verweise auf den Begriff „Verordnung“ in Art. 288 Abs. 2 AEUV.109 Eine inhaltliche Bezugnahme des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf den Verordnungsbegriff des Art. 288 Abs. 2 AEUV bzw. der entsprechenden Regelungen des gescheiterten Verfassungsvertrags scheint somit auch mit der Wortauslegung des Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht vereinbar zu sein.110
I. Zum Begriff „Durchführungsmaßnahme“ und seinem Bezug zum Kriterium der „unmittelbaren Betroffenheit“ gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV Der h. M. nach ist eine Durchführungsmaßnahme jedwede nationale oder europäische Handlung, die dem angegriffenen Rechtsakt nachgeschaltet ist. Davon 107 Vgl. W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 63; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 554 ff.; C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1352; A. Limante, W. P. for the Annual Conference of EGPA, Sept. 2011, S. 8 ff. 108 Vgl. W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 63; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 554 ff.; R. Barents, CML Rev. 2010, S. 726; in diese Richtung auch GAin J. Kokott, Schlussantr. v. 17.01.2013 in der Rs. C583/11 P, Rn. 31 (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat), BeckRS 2013, 80130. 109 Ebd. 110 Vgl. J. Kokott, Schlussantr. v. 17.01.2013 in der Rs. C-583/11 P, Rn. 31 (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat), BeckRS 2013, 80130; N. Görlitz/P. Kubicki, EuZW 2011, S. 250 ff.; M. Kottmann, ZaöRV 2010, S. 560.
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3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
wären in erster Linie Verwaltungsakte erfasst, durch die das Gebot eines Rechtsakts mit Verordnungscharakter konkretisiert wird.111 Ob ein bestimmter Rechtsakt Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, ist eine Frage des Einzelfalls. Vor dem dargestellten Hintergrund lässt sich allgemein nur feststellen, dass durch die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit Richtlinien als angreifbare Rechtsakte nach Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV grundsätzlich ausscheiden.112 Die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit soll somit im gleichen Sinne wie im Rahmen des ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 2 EGV (nunmehr Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV) verstanden werden. Sie sollte im Prinzip mit dem Kriterium „keine Durchführungsmaßnahmen“ deckungsgleich sein.113 Denn unmittelbare Betroffenheit nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV ist gegeben, wenn die Maßnahme den Kläger ipso facto beeinträchtigt, sie also grundsätzlich keines weiteren Umsetzungsaktes bedarf. Gemeinsamer Inhalt beider Voraussetzungen („unmittelbar betroffen“ und „ohne Durchführungsmaßnahme“) ist dann, dass ein Vorgehen über Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV im Ergebnis nur gegen selbstvollziehende Rechtsakte möglich ist, also dann, wenn es an jedweder Durchführungsmaßnahme gleich welcher Art fehlt ungeachtet dessen, ob sie auf europäischer oder nationaler Ebene angewandt werden sollte.114 Es ist anzumerken, dass die Auswirkungen der 3. Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV im Gebiet des Umweltschutzrechts eingeschränkt sind. Denn umweltrechtliche Vorgaben ziehen i. d. R. der Sache nach Durchführungsmaßnahmen nach sich. Dies gilt vor allem in Bezug auf umweltbezogene Richtlinien, die i. d. R. eine Umsetzung in die nationale Rechtsordnung erfordern.115
D. Fazit Es scheint, dass die Nichtigkeitsklagenorm des neuen Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht wesentlich die schon beschriebene Lage der Nichtigkeitsklage des ex111 S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 559 ff. Das passt zu dem System des unionalen Rechtsschutzes: Bedarf es noch weiterer, typischerweise nationaler Durchführungsakte, gilt der Vorrang des mitgliedstaatlichen Rechtsschutzes: Die Bürger müssen zunächst gegen die Durchführungsakte vorgehen. Nur dort, wo sie gegen sie unmittelbar treffende Rechtspflichten verstoßen müssten, gibt ihnen das Unionsrecht eine direkte Klagemöglichkeit. Eine solche Beschränkung ist auch aus dem nationalen Verfassungsrecht bekannt. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer „unmittelbar“ durch den angegriffenen Akt beschwert ist und nicht erst gegen einen Vollzugsakt vorgehen kann. 112 EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 123 (Arcelor/Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 1508878. 113 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 560, m.w. N. 114 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 560, m.w. N. 115 J. H. Jans, in: R. Macrory (Hrsg.), Reflections on 30 Years of Environmental Law. A High Level of Protection, 2006, S. 485; C. Poncelet, JEL 2012, S. 301. Mehr zum Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit s. o. 3. Teil, 2. Kap., B., IV., 2.
D. Fazit
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Art. 230 Abs. 4 EGV geändert hat. Der Kern der Problematik der restriktiven Klagebefugnis nicht privilegierter Drittkläger mag daher im Prinzip weiterhin bestehen bleiben. Art. 263 Abs. 4 Var. 1 und 2 AEUV unterscheidet sich von den entsprechenden Vorschriften des ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 1 EGV darin, dass an die Stelle von „Entscheidungen“ nunmehr „Handlungen“ getreten sind. Dadurch bezweckt der EU-Gesetzgeber, auch jene atypischen Rechtsakte, die Rechtswirkungen gegenüber den Klägern entfalten, mit Hilfe der Nichtigkeitsklage anfechtbar zu gestalten. Obwohl diese Modifizierung eine begrüßenswerte Vereinfachung und Klärung des Gesetztextes ist, bedeutet dies aber in der Praxis weder eine wesentliche Ausweitung der Klagegegenstände noch eine entscheidende Verbesserung der Klagebefugnisvoraussetzungen der Kläger im Vergleich zu der früheren Rechtslage des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV. Denn schon vor dem Inkrafttreten des AEUV hat die europäische Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur europäische Entscheidungen, sondern auch Verordnungen und Richtlinien als zulässige Gegenstände einer Nichtigkeitsklage i. S. d. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV angenommen. Es scheint, dass die Vorschrift des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV nunmehr diese Rechtsprechung aufgegriffen und abgesichert hat. Die sog Plaumann-Formel-Rechtsprechung kann aber dadurch nicht überwunden werden. Die wichtigste Neuregelung des Lissabon-Vertrags in Bezug auf das unionale Rechtsschutzsystem stellt Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dar. Von Bedeutung ist, dass im Unterschied zu Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV die neue Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV für „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, die „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“, nicht verlangt, dass der Kläger durch einen solchen Rechtsakt individuell, sondern nur unmittelbar betroffen ist. Es handelt sich grundsätzlich um die wichtigste substanzielle Änderung des Lissabon-Vertrags bezüglich der Nichtigkeitsklage. Dadurch wurde ein bedeutendes Hindernis für die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Drittkläger und insbesondere von Umweltverbänden gegen europäische Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, beseitigt. Da aber der Wortlaut der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nicht hinreichend eindeutig ist, erweist sich der Umfang des Klagegegenstands der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV als umstritten. Besonders problematisch sind der Inhalt und die Auslegung des Begriffs „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, der die Grenzen der Klagegegenstände dieser Neuregelung bestimmen soll. Der hier vertretenen Ansicht nach soll dieser Begriff eng ausgelegt werden. Darunter sollen nur Rechtsakte (nämlich Verordnungen, Beschlüsse und Richtlinien) ohne Gesetzescharakter fallen. Erfasst werden im Ergebnis grundsätzlich Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die Ge- bzw. Verbote selbst festlegen, ohne dass weitere Ausführungsmaßnahmen zu deren wesentlicher Konkretisierung oder nationale Umsetzungsmaßnahmen ungeachtet des Konkretisierungs-
1000
3. Teil, 4. Kap.: Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Kläger
grades erforderlich sind. Eine erweiterte Klagemöglichkeit gegen Rechtsakte mit Gesetzescharakter sollte jedoch Privaten nicht zukommen. Diese Auffassung stützt sich grundsätzlich auf die Entstehungsgeschichte sowie auf die Wortlautauslegung dieser Vorschrift. Wegen der Beschränkung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, die „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“ sowie wegen der restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals der individuellen Betroffenheit gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV können bestimmte wichtige unionale Rechtsakte nicht von Einzelnen (weder gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV noch gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV) direkt vor europäischen Gerichten angefochten werden. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, folgt auch die aktuelle europäische Rechtsprechung einer engen Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV, die mit der oben dargestellten Auffassung im Grunde übereinstimmt.
5. Kapitel
Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV Aufgrund der bisherigen Analyse bleibt offen, ob und inwieweit die Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht privilegierter Drittkläger insbesondere gegen allgemeingültige Unionshandlungen und Rechtsakte verbessert. Zu fragen ist auch, wie sie sich auf den besonderen Bereich des Umweltrechtsschutzes auswirkt und ob dadurch die schon ausgeführten Umweltrechtsschutzdefizite reduziert oder vollständig beseitigt werden können. Es wird hier versucht, diese Fragen zu beantworten. Zu diesem Zweck soll zunächst die aktuelle unionale Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung des besonders umstrittenen Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dargestellt werden. Danach sollen die Auswirkungen der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV auch im Bereich des Umweltrechtsschutzes kritisch geprüft und bewertet werden. Zum Schluss sollen Lösungsansätze vorgestellt werden.
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV anhand von Beispielen aus der unionalen Rechtsprechung Die unionale Rechtsprechung tendiert bisher dazu, Art. 264 Abs. 4 Var. 3 AEUV eng auszulegen. Sie teilt daher die oben skizzierte restriktive Auffassung der Theorie1 hinsichtlich der umstrittenen Interpretation dieser Norm.
I. Das Urteil „Arcelor“ 2 In diesem Zusammenhang verdient das Urteil des EuG vom 02.03.2010,3 das die Basisrichtlinie 2003/87/EG „über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der RL 96/61/ EG“ 4 für gültig erklärt, Beachtung. In diesem Fall werden Bestimmungen der RL 2003/87/EG angefochten, da diese ihren Anwendungsbereich gem. Art. 2 der 1
s. o. 3. Teil,4. Kap., A., III., 1. EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211 (Arcelor/Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878. 3 Ebd. 4 ABl. L 2003/275, S. 32. 2
1002 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
2003/87/EG-RL nur auf eine Reihe von Tätigkeiten beschränkt, die im Wesentlichen in den Bereichen Energie, Eisenmetallerzeugung und -verarbeitung, in den Bereichen der mineralverarbeitenden Industrie sowie der Herstellung von Zellstoff, Papier und Pappe beschrieben werden können. Art. 30 Abs. 2 der 2003/87/ EG-RL sieht allerdings nur eine mögliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der RL auf die Sektoren Chemie, Aluminium und Verkehr vor. Der Kläger, ein Großstahlproduzent, bestreitet die Gültigkeit der in den Richtlinienvorgaben der Art. 4, Art. 6 Abs. 2 Buchst. e, Art. 9, Art. 12 Abs. 3 u. a. relevanten Bestimmungen der 2003/87/EG-RL unter Bezugnahme auf den Gleichheitssatz des Unionsrechts, da wichtige industrielle Sektoren von dem Regime des Handels mit Treibhausemissionszertifikaten nicht erfasst werden, obwohl diese Sektoren zumindest ähnlich hohe Kohlendioxid-Emissionen wie der Stahlsektor aufweisen. Hinsichtlich der Frage der Klagebefugnis hat der Kläger in diesem Fall mit Bezug auf das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit auf die unbedingte Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten der in den angesprochenen RL-Bestimmungen enthaltenen Vorschriften hingewiesen. Er begründet seine Betroffenheit vor allem mit dem Argument, dass er zu einer geschlossenen Gruppe gehöre, die aus einer begrenzten Anzahl von Herstellern von Stahl und Roheisen bestehe, so dass auch das Kriterium individueller Betroffenheit als erfüllt angesehen werden könne.5 Das EuG hat im Ergebnis diese Argumentation nicht angenommen. Es hielt wiederum an der sog. Plaumann-Formel fest. Das EuG hat festgestellt, dass ex-Art. 174 und 175 Abs. 1 EGV (nunmehr Art. 191 und 192 Abs. 1 AEUV) als Rechtsgrundlagen für die Regelungstätigkeit der EU im Bereich des Umweltrechts anzusehen seien. Diese Vorschriften können allerdings nicht als konkrete höherrangige Normen des EU-Rechts betrachtet werden, nach denen der europäische Gesetzgeber verpflichtet werden könne, den Interessen des Klägers bzw. des Herstellers von Roheisen und Stahl in besonderer Weise Rechnung zu tragen.6 5 EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 102 ff., 104 ff. (Arcelor/Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878. 6 EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 102 ff. (Arcelor/Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878: „Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es keine ausdrückliche und spezifische Norm höherrangigen oder abgeleiteten Rechts gibt, nach der der Gemeinschaftsgesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, im Verfahren des Erlasses der angefochtenen Richtlinie der Situation der Hersteller von Roheisen oder Stahl, oder gar derjenigen der Klägerin, gegenüber der Situation der Marktteilnehmer aus den anderen von Anhang I dieser Richtlinie erfassten Industriebereichen besonders Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2002, Rica Foods/Kommission, T-47/00, Slg. 2002, II-113, Rn. 41 und 42, vgl. auch Beschlüsse des Gerichts vom 6. Mai 2003, DOW AgroSciences/Parlament und Rat, T-45/ 02, Slg. 2003, II-1973, Rn. 47, vom 25. Mai 2004, Schmoldt u. a./Kommission, T-264/ 03, Slg. 2003, II-1515, Rn. 117, und vom 16. Februar 2005, Fost Plus/Kommission, T142/03, Slg. 2005, II-589, Rn. 61 bis 65). So sehen insbesondere Art. 174 EG und Art. 175 Abs. 1 EG als Rechtsgrundlagen für die Regelungstätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Umwelt keine solche Verpflichtung vor. Im Übrigen beruft sich die Klägerin, abgesehen von einer Bezugnahme auf ihre Grundrechte und auf bestimmte, sie
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
1003
Darüber hinaus verfügen die Mitgliedstaaten gem. Art. 9 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 der angefochtenen Richtlinie sowohl bei der Zuteilung von Kontingenten an Zertifikaten an die einzelnen Industriesektoren als auch bei der Vergabe von Zertifikaten an einzelne Betreiber und deren Einziehung, auch im Fall der Stilllegung einer Anlage, über einen weiten Ermessensspielraum.7 Es wurde somit festgestellt, dass die angefochtenen Bestimmungen der RL 2003/87/EG generell und abstrakt für die Marktbürger gelten.8 Demzufolge könnte der Kläger nicht als unmittelbar und individuell betroffen angesehen werden. Daneben stellte das EuG ausdrücklich klar, dass die angefochtene Richtlinie angesichts des weiten Ermessensspielraums, über den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der angefochtenen Richtlinie verfügen, nicht als ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, i. S. v. Art. 263 Abs. 4 AEUV angesehen werden kann.9 Das EuG schloss sich damit der engen Auslegung der 3. Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV an.10
II. Das EuG-Urteil im Fall „Microban“ 11 Die restriktive Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV wurde auch vom EuG im Fall „Microban“ bestätigt.12 In diesem Fall lag allerdings ein Beschluss der Kommission und damit kein Gesetzgebungsakt, sondern ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter vor. Um konkreter zu sein, richtete sich hierbei die Klage gegen einen Kommissionsbeschluss,13 mit dem die Aufnahme eines Stoffs (Trischützende allgemeine Rechtsgrundsätze, auf keine konkrete höherrangige, sie spezifisch oder zumindest die Hersteller von Roheisen und Stahl betreffende Rechtsnorm, die geeignet wäre, eine solche Verpflichtung zu ihren Gunsten zu schaffen.“ 7 EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 114, 123 (Arcelor/ Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878. 8 EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 102 ff. (Arcelor/Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878; Anm. dazu A.-M. Lengauer, ZfRV 2010, S. 101 ff. 9 EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, Slg. 2010, II-00211, Rn. 123 (Arcelor/Parlament und Rat), BeckEuRS 2010, 508878. Zur engen Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV s. u. 3. Teil, 4. Kap., A., II. 10 Mehr zur 3. Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV s. u. 3. Teil, 4. Kap., A., III., 1. 11 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff. 12 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff. 13 Beschluss Nr. 2010/169/EU über die Nichtaufnahme von Triclosan in das in der Richtlinie 2002/72 enthaltene Unionsverzeichnis von Additiven, die bei der Herstellung von Materialien und Gegenständen aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, verwendet werden dürfen (ABl. L 75, S. 25). Als Rechtsgrundlage stützte sie diesen Beschluss auf Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.10.2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu
1004 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
closan) in die EU-Liste der zur Verwendung in Lebensmittelbedarfsgegenständen zugelassenen Substanzen abgelehnt worden war. Kläger waren die Unternehmen Microban International Ltd und Microban (Europe) Ltd, die in der Herstellung und im Verkauf antimikrobieller und antibakterieller Additiver tätig waren, welche einer breiten Palette von Produkten einen antimikrobiellen und antibakteriellen Schutz verleihen sollten. Der Auffassung des EuG nach sei der angefochtene Kommissionsbeschluss nicht auf die formale Kategorie einer Verordnung i. S. v. Art. 288 Abs. 2 AEUV abzustellen. Maßgeblich ist, dass es sich bei dem angefochtenen Rechtsakt nicht um einen Rechtsakt mit Gesetzgebungscharakter handelt, sondern um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter.14 Unter Verweis auf den oben dargestellten EuG-Beschluss im Inuit-Fall (insb. Rn. 56) schloss sich somit der EuG der Ansicht an, dass der Begriff „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ i. S. v. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dahingehend aufzufassen ist, dass er sich auf Rechtsakte von allgemeiner Geltung mit Ausnahme von Gesetzgebungsakten bezieht.15 Beachtenswert ist, dass das EuG sich im Fall „Microban“ erstmals mit dem Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit als Element der 3. Var. des Art. 263 Abs. 4 AEUV auseinandergesetzt hat. Das EuG hielt fest, dass dieses neue Erfordernis nicht enger ausgelegt werden könnte als das entsprechende Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit des Art. 230 Abs. 4 EGV.16 Dafür spricht, dass Art. 263 Abs. 4 AEUV – schon aufgrund der EuG-Rechtsprechung im Fall „Inuit“ 17 – „einer natürlichen oder juristischen Person das Recht einräumt, gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage zu erheben. Dies verfolgt das Ziel einer Öffnung der Voraussetzungen für die Erhebung von Klagen. Da im vorliegenden Urteil festgestellt worden ist, dass die Kläger von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar betroffen sind i. S. d. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV,18 sind sie es durch den angefochtenen Beschluss auch i. S. des mit Art. 263 Abs. 4 AEUV neu eingeführten Begriffs des unmittelbaren Betroffenseins“.19 kommen, und zur Aufhebung der Richtlinien 80/590/EWG und 89/109 (ABl. L 338, S. 4) in geänderter Fassung. 14 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff., Rn. 25. 15 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff., Rn. 21. 16 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff., Rn. 27, 31 ff.; R. Breuer, DV 2012, S. 200. 17 EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 21, 50 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 397 ff.; s. u. 3. Teil, 5. Kap., A., IV. 18 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff., Rn. 30. 19 EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff., Rn. 32.
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
1005
Da auch die übrigen Voraussetzungen gegeben waren, ist der Fall „Microban“ der erste Anwendungsfall einer erfolgreich auf Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV gestützten Klage. Für die Prüfung bietet sich die Streitfrage geradezu an, wie bei Bestätigung der restriktiven Ansicht des nachfolgend von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV geforderten Rechtsschutzes ebendieser zu gestalten ist.20 Im Ergebnis dürfte diese Annäherung an das Erfordernis des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV einen Gleichklang mit der bisherigen Rechtsprechung begründen, nach der die unmittelbare Betroffenheit auch dann vorliegt, wenn zwar noch Umsetzungsakte erforderlich sind, deren Inhalt aber bereits vollständig vorgezeichnet ist.21 Im Übrigen erklärte das EuG den angefochtenen Beschluss für nichtig. Denn die Kommission hat gegen die Verordnung Nr. 1935/ 2004 und die Richtlinie 2002/72 verstoßen, indem sie den angefochtenen Beschluss der Kommission über die Nichtaufnahme eines Zusatzstoffs in die Positivliste allein darauf gestützt hat, dass der ursprüngliche Antrag, Triclosan in diese Liste aufzunehmen, zurückgezogen wurde. Grund dafür war letztlich, dass es für den Erlass eines derartigen Beschlusses keine ausreichende Rechtsgrundlage gab.22
III. Der EuG-Beschluss im Fall „Eurofer“ 23 Das oben genannte Ergebnis wird auch mit dem Fall „Eurofer“ bestätigt. Es sieht grundsätzlich so aus, dass auch nach der neuen Rechtsschutzvorschrift des Lissabon-Vertrags die europäische Rechtsprechung am Auslegungsgeist der Plaumann-Formel festhält. Bei diesem Fall handelte sich um eine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/278/EU 24 der Kommission vom 27.04.2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gem. Art. 10a der RL 2003/87/EG des
20
R. Streinz, JuS 2012, S. 475. J. Gundel, EWS 2012, S. 70 ff., m.w. N. 22 Vgl. EuG, Urt. v. 25.10.2011, Rs. T-262/10 (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 152, Rn. 51 ff., 69. 23 Vgl. EuG, Beschl. v. 04.06.2012, Rs. T-381/11 (Eurofer/Kommission), ZUR 2012, S. 548 ff.; entsprechend auch EuG, Beschl. v. 04.06.2012, Rs. T-379/11 (Hüttenwerke Krupp Mannesmann u. a./Kommission). 24 ABl. L 130, S. 1. Nach Art. 2 des angefochtenen Beschlusses regelt dieser die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für ortsfeste Anlagen im Sinne von Kapitel III der Richtlinie 2003/87 in Handelszeiträumen ab 2013, ausgenommen die übergangsweise kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten zur Modernisierung der Stromerzeugung gemäß Art. 10c dieser Richtlinie. Nach dem ersten Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278/EU müssen die Zuteilungen vor Beginn der Handelsperiode feststehen, damit der Markt reibungslos funktionieren kann. In Anhang I des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission die Produkt-Benchmarks festgelegt. So hat sie für die Produkt-Benchmark „Heißmetall“ einen Benchmarkwert von 1,328 Zertifikaten pro Tonne vorgesehen. 21
1006 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Europäischen Parlaments und des Rates.25 Kläger war der Europäische Wirtschaftsverband der Eisen- und Stahlindustrie (Eurofer) ASBL, ein Wirtschaftsverband, der gemäß seiner Satzung die Interessen der europäischen Eisen- und Stahlindustrie vertritt. Die Mitglieder von Eurofer betreiben Hochöfen und Stahlwerke zur Herstellung von Roheisen und Stahl. Eurofer behauptete, sich an dem Konsultationsverfahren als betroffener Interessenträger der Unternehmen der Stahlindustrie im Interesse seiner Mitglieder beteiligt zu haben. Der Verband übermittelte seine Positionen und Meinungsäußerungen in diesem Verfahren, da seiner Ansicht nach die Festsetzung der Produkt-Benchmark für Heißmetall von der Kommission seine Mitglieder erheblich beeinträchtigte. Er machte nämlich geltend, dass die Produkt-Benchmarks für Heißmetall von der Kommission nicht richtig festgelegt worden seien. Vor diesem Hintergrund rügte er eine Verletzung der Pflicht der Kommission zur Begründung des oben genannten Beschlusses sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Mit dem Hinweis auf seine Beteiligung am Konsultationsverfahren machte allerdings Eurofer im Wesentlichen kein eigenes Interesse geltend, sondern bezog sich auf die Interessen seiner Mitglieder. Daraus folgt, dass Eurofer mangels Beeinträchtigung eines eigenen Interesses nur dann zur Erhebung der vorliegenden Klage befugt ist, wenn seine Mitglieder oder einige unter diesen individuell klagebefugt sind.26 Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass der angefochtene Beschluss einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung darstellte, da er auf objektiv bestimmte Situationen anwendbar war und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen nach sich zog.27 Dieser war an die Mitgliedstaaten gerichtet. Somit waren weder Eurofer noch seine Mitglieder Adressaten dieses Rechtsakts. Unter diesen Umständen könne nach Art. 263 Abs. 4 AEUV Eurofer gegen den genannten Rechtsakt nur dann Nichtigkeitsklage erheben, 25 Nach Art. 10a der RL 2003/87 erlässt die Europäische Kommission unionsweite und vollständig harmonisierte Durchführungsmaßnahmen für die harmonisierte Zuteilung von kostenlosen Emissionszertifikaten. Die Kommission ist danach insbesondere verpflichtet, Benchmarks für die einzelnen Sektoren festzulegen und dabei als Ausgangspunkt die Durchschnittsleistung der effizientesten Anlagen eines Sektors oder Teilsektors in der Union in den Jahren 2007 und 2008 zu nehmen. Auf Grundlage dieser Benchmarks wird die Zahl der ab 2013 jeder betroffenen Anlage kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate berechnet. Nach Art. 10a Abs. 1 UAbs. 5 und Art. 10a Abs. 2 UAbs. 1 der RL 2003/87 konsultiert die Kommission die betroffenen Interessenträger einschließlich der betroffenen Sektoren bzw. Teilsektoren zur Definition der Grundsätze zur Festlegung der Ex-ante-Benchmarks für die jeweiligen Sektoren bzw. Teilsektoren und für die Bestimmung des Ausgangspunkts bei der Festlegung der Grundsätze für die Ex-ante-Benchmarks für die einzelnen Sektoren bzw. Teilsektoren. Der Kläger beteiligte sich an dieser Konsultation. 26 EuG, Urt. v. 04.06.2012, Rs. T-381/11 (Eurofer/Kommission), ZUR 2012, S. 548 ff., Rn. 24. 27 Ebd., Rn. 29.
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
1007
wenn seine Mitglieder unmittelbar und individuell von diesem betroffen sind oder der angefochtene Beschluss einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter darstellt, der sie unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht. Der Umstand aber, dass die Mitglieder von Eurofer Betreiber von ortsfesten Anlagen gem. Kap. III der RL 2003/87 waren, war laut EuG nicht dazu geeignet, sie zu individualisieren. Der Auffassung des EuG nach wäre es nicht akzeptabel, nur aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Betreiber dieser Anlagen – ebenso wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer, der sich tatsächlich oder potenziell in der gleichen Situation befand – von dem Beschluss betroffen zu sein.28 Auch die Tatsache, dass die Kommission verpflichtet sei, die betroffenen Interessenträger zur Definition der Grundsätze der Ex-ante-Benchmarks für die jeweiligen Sektoren bzw. Teilsektoren zu konsultieren,29 ist nicht ausreichend, die individuelle Betroffenheit des Klägers bzw. seiner Mitglieder zu begründen. Der europäischen Rechtsprechung nach ist grundsätzlich die Tatsache, dass sich eine Person an dem Verfahren beteiligt, das zum Erlass einer Unionshandlung führt, nur dann geeignet, diese Person hinsichtlich der fraglichen Handlung zu individualisieren, wenn die anwendbare Unionsregelung bestimmte Verfahrensgarantien für sie vorsieht. Wenn durch eine unionsrechtliche Bestimmung für den Erlass einer Entscheidung die Anwendung eines Verfahrens vorgeschrieben ist, in dessen Rahmen eine Person gegebenenfalls Rechte wie das Anhörungsrecht geltend machen kann, ist diese aufgrund ihrer besonderen rechtlichen Situation im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV individualisiert.30 In Übereinstimmung mit dem EuGH-Beschluss WWF-UK/Rat31 hat aber das EuG im vorliegenden Fall festgestellt, dass eine Person oder eine Organisation, die über ein solches Verfahrensrecht verfügt, welche Verfahrensgarantie auch immer vorliegen mag, grundsätzlich nicht die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit einer Unionshandlung anfechten kann.32 Dass die Mitglieder von „Eurofer“ als Interessenträger über ein Recht auf Anhörung durch die Kommission verfügten 28
Ebd., Rn. 30. Eurofer behauptete, dass ohne diese Konsultation die Kommission nicht über die notwendigen Daten verfügt hätte und die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht gewährleistet gewesen wäre. Nach diesen Bestimmungen müsse die Kommission die Stellungnahmen der angehörten Interessenträger zur Kenntnis nehmen und würdigen. Jedenfalls seien die Mitglieder von Eurofer durch die Inanspruchnahme dieser Konsultation gegenüber allen übrigen Personen herausgehoben. EuG, Urt. v. 04.06. 2012, Rs. T-381/11 (Eurofer/Kommission), ZUR 2012, S. 548 ff., Rn. 32. 30 EuGH, Urt. v. 16.09.2005, Rs. C-342/04 P, Rn. 39, 40 (Schmoldt u. a./Kommission). 31 EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 43 ff. (WWFUK Ltd/Rat). Mehr zu diesem Urteil s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., VII. 32 EuG, Urt. v. 04.06.2012, Rs. T-381/11 (Eurofer/Kommission), ZUR 2012, S. 548 ff., Rn. 35. 29
1008 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
und die Kommission sie daher vor Erlass des angefochtenen Beschlusses über die in den genannten Bestimmungen enthaltenen Grundsätze konsultieren musste, begründet keine Pflicht der Kommission, die in den von Eurofer für seine Mitglieder übermittelten Erklärungen enthaltenen Vorschläge umzusetzen. Der Auffassung des EuG nach kann gemäß der umstrittenen Vorschriften den Mitgliedern von Eurofer keine Möglichkeit eingeräumt werden, die materiell-rechtliche Gültigkeit des umstrittenen Beschlusses anzufechten.33 Allein die Tatsache, dass vor dem Unionsrichter das Bestehen einer Verfahrensgarantie geltend gemacht wird, kann nicht die Zulässigkeit der Klage nach sich ziehen, sofern sie auf Klagegründe gestützt wird, mit denen ein Verstoß gegen materielle Regeln gerügt wird. Denn Eurofer versuchte nicht die Verfahrensrechte seiner Mitglieder zu wahren, sondern die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses zu bestreiten und kann daher nicht als individuell betroffen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV angesehen werden.34 Hinsichtlich des Streits über den Inhalt der Rechtsakte mit Verordnungscharakter im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 AEUV ist von Bedeutung, dass das EuG die Auffassung vertrat, dass der Begriff des „Rechtsakts mit Verordnungscharakter“ im Sinne dieser Bestimmung so verstanden werden muss, dass er jeden Rechtsakt mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme von Gesetzgebungsakten erfasst.35 Im vorliegenden Fall hat der angefochtene Beschluss allgemeine Geltung. Er ist nämlich ein aufgrund von Art. 10a Abs. 1 der RL 2003/87 erlassener Rechtsakt der Kommission mit Verordnungscharakter, der Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nach sich zieht. Denn die Mitgliedstaaten sind aufgrund der Bestimmungen der RL 2003/87 verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um die Schaffung eines Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der EU zu verwirklichen, das sich auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen sowie die Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen auswirken kann.36 Da allerdings – wie oben ausgeführt wurde – Eurofer nicht von dem angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen ist, ist der Verband nicht gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV klagebefugt. Insofern wurde die Klage als unzulässig abgewiesen. Eurofer könnte aber grundsätzlich die nationalen Durchführungsmaßnahmen des umstrittenen Beschlusses anfechten und in diesem Zusammenhang dessen Rechtswidrigkeit vor den nationalen Gerichten geltend machen.37 33 EuG, Urt. v. 04.06.2012, Rs. T-381/11 (Eurofer/Kommission), ZUR 2012, S. 548 ff., Rn. 37. 34 Ebd., Rn. 37 ff., m.w. N. 35 Ebd., Rn. 42. 36 Ebd., Rn. 44–56. 37 Ebd., Rn. 60 ff.
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
1009
IV. Der Fall „Inuit“ 38 vor dem EuG und EuGH Das EuG scheint im Fall „Inuit“ die oben vertretene Auffassung zu unterstützen, dass Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV eng ausgelegt werden muss, indem der Tatbestandsmerkmal „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ nur Rechtsakte ohne Gesetzescharakter umfasst. In diesem Fall war die Nichtigkeitsklage im Januar 2010 eingereicht worden, so dass ihre Zulässigkeit nach dem neuen Recht des Lissabon-Vertrags zu beurteilen war. Die Kläger, verschiedene Organisationen und Einzelpersonen überwiegend aus Kanada und Grönland (d.h. Kläger aus dem Volk der Inuit, die Robben jagen und Robbenfallen stellen, Organisationen, die deren Interessen vertreten, sowie natürliche und juristische Personen, die im Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen tätig sind), wandten sich gegen die EG-VO Nr. 1007/2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen39 sowie gegen die dazu ergangene Durchführungsverordnung der Kommission (EG/737/2010).40 Diese Verordnungen untersagen das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen, sofern sie nicht aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften zum Zwecke ihres Lebensunterhalts betrieben wird. Dadurch wurde schließlich ein Verbot des Handels von Robbenprodukten auf der Grundlage von Art. 95 EGV (nun Art. 114 AEUV) erlassen. Zwar bemühte sich dieses Verbot zugleich um den Schutz der indigenen Bevölkerung, indem Ausnahmen für Produkte vorgesehen sind, die der traditionellen Robbenjagd der Inuit entstammen. Die Kläger haben diese Ausnahmen jedoch als unzureichend angesehen und die Importverbotsverordnung durch eine Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV angegriffen.41 Andererseits verteidigten sich Rat und Parlament gegen die Klage und beantragten, unterstützt von den Niederlanden und der Kommission, gem. Art. 114 § 1 VerfO/EuGH, vorab über deren Zulässigkeit zu entscheiden. Dabei brachten sie
38 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, T-18/10 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff.; EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff. 39 EG-VO, Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009, ABl. EG Nr. L 286, S. 36 ff. 40 EU-VO, Nr. 737/2010 der Kommission vom 10. August 2010 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Handel mit Robbenerzeugnissen, ABl. EG Nr. L 216/1. 41 Klageschrift vom 11.1.2010, ABl. EU 2010 Nr. C 100/41. Sie rügten dabei Art. 95 EGV (nun Art. 114 AEUV) als unzutreffende Rechtsgrundlage, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 EUV) sowie ihre fehlende Anhörung durch Rat und Parlament und Verstöße gegen Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK sowie Art. 8 EMRK i.V. m. den Art. 9 und 10 EMRK in der Auslegung durch den EuGH. Damit sei die Verordnung für nichtig zu erklären.
1010 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
unter anderem vor, die angegriffenen Verordnungen haben keinen „Verordnungscharakter“. Die Kläger bestritten aber dieses Vorbringen.42 Das EuG nimmt zur Klärung dieser entscheidenden Rechtsfrage eine „wörtliche, historische und teleologische Interpretation“ von Art. 263 Abs. 4 AEUV vor. Zu beachten ist, dass das EuG feststellte, dass zu den bisherigen beiden Klagemöglichkeiten in Art.ex-230 Abs. 4 EGV eine dritte hinzugefügt wurde. Diese beziehe sich auf Rechtsakte anderer Art als die in Art. 263 Abs. 1 AEUV genannten Gesetzgebungsakte („legislative acts“), die auch Gegenstand einer Individualklage nach den beiden ersten Varianten des Art. 263 Abs. 4 AEUV sein könnten. Diese Unterscheidung zwischen Legislativakten und solchen mit Verordnungscharakter („regulatory acts“) sieht das EuG auch in anderen Vorschriften des Vertrags, namentlich in Art. 114 AEUV.43 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung des EuG, dass diese neue Klagemöglichkeit nicht auf delegierte Rechtsakte nach Art. 290 AEUV beschränkt sein soll, sondern alle „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ („regulatory acts“) erfasst.44 Das EuG geht unter Ausschöpfung der klassischen Auslegungsmethoden45 darauf ein, dass der Zweck der Neuregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV „darin besteht, es natürlichen oder juristischen Personen zu ermöglichen, gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung, die keine Gesetzgebungsakte sind, sie aber unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage zu erheben, und dadurch zu vermeiden, dass sie gegen das Recht verstoßen müssten, um Zugang zu den Gerichten zu erhalten [. . .] Wie aus der vorstehenden Analyse hervorgeht, ist nach der Formulierung in Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht gegen alle Handlungen, die die Kriterien des unmittelbaren Betroffenseins und des Fehlens von Durchführungsmaßnahmen erfüllen, und auch nicht gegen alle Handlungen mit allgemeiner Geltung, die diese Kriterien erfüllen, eine Klagemöglichkeit gegeben, sondern nur 42 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 6, 12, 36 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff. 43 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 44 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat). 44 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 48 (Inuit u. a./Parlament und Rat). 45 Das EuG verglich Art. 263 AEUV mit Art. 230 EGV und die neu eingefügte Variante 3 des Abs. 4 mit den Varianten 1 und 2 und interpretierte die Systematik dahingehend, dass „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ ebenfalls allgemeine Geltung haben, aber sich nicht auf sämtliche Handlungen mit allgemeiner Geltung beziehen, sondern nur auf eine engere Kategorie dieser Handlungen und eben nicht auf Gesetzgebungsakte. Der Ansicht des EuG nach ergibt sich dies aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Denn, wie bereits ausgeführt wurde, habe man in Art. III-365 des gescheiterten Verfassungsvertrags (EVV) bewusst eine Formulierung gewählt, die nur „Europäische Verordnungen“, nicht aber „Europäische Gesetze“ umfasste. Mit dieser Formulierung schloss der EU-Gesetzgeber aber Rechtsakte mit Gesetzgebungscharakter aus. Bei der Übernahme in den Vertrag von Lissabon, durch den diese terminologische Differenzierung des Art. I-33 EVV wegfiel, habe man insoweit keine sachliche Änderung vorgenommen. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 49 (Inuit u. a./Parlament und Rat); R. Streinz, EuZW 2014, S. 18.
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
1011
gegen eine spezifische Kategorie der letztgenannten Handlungen, nämlich die der Rechtsakte mit Verordnungscharakter. Demzufolge sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage gegen einen Gesetzgebungsakt nach wie vor restriktiver als bei einer Klage gegen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter“.46
Eine Klage nach Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV gegen die vorliegenden Vorschriften scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei ihr nicht um einen „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ handelt. Ein Vorgehen gegen die Durchführungsverordnung wäre ausgeschlossen, weil hier dem Kläger die Klagebefugnis fehlen würde.47 Damit wird an das (gem. ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 2 EGV) bisherige Verständnis des Begriffs der Betroffenheit angeknüpft, wie es für Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV entwickelt wurde.48 In diesem Rahmen lehnte das EuG die von den Klägern geforderte erweiterte Auslegung49 des Art. 263 Abs. 4 AEUV ab. Es bezog sich daher auf die in ständiger Rechtsprechung herangezogenen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung, die schon der EuGH durch ständige Rechtsprechung50 betont hatte.51 Das EuG postuliert ausdrücklich: „Nach ständiger Rechtsprechung können nämlich die Unionsgerichte die Voraussetzungen, unter denen ein Einzelner Klage gegen eine Verordnung erheben kann, nicht so auslegen, dass es zu einer Abweichung von diesen Voraussetzungen, die im Vertrag ausdrücklich vorgesehen sind, kommt, ohne damit ihre Befugnisse zu überschreiten; dies gilt auch im Licht des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.“ 52 46 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 50 (Inuit u. a./Parlament und Rat); H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 448, m.w. N.; R. Streinz, JuS 2012, S. 474 ff. 47 Dort prüft die Rechtsprechung bisweilen zunächst die Betroffenheit im Sinne einer Klagebefugnis, bevor sie sich der Frage der individuellen und unmittelbaren Betroffenheit zuwendet. In der Praxis tritt die Funktion als Klagebefugnis freilich zumeist hinter den Voraussetzungen der individuellen Betroffenheit zurück. S. Pötters/C. Werkmeister/ J. Traut, EuR 2012, S. 559. 48 Dort prüft die Rechtsprechung bisweilen zunächst die Betroffenheit im Sinne einer Klagebefugnis, bevor sie sich der Frage der individuellen und unmittelbaren Betroffenheit zuwendet. In der Praxis tritt die Funktion als Klagebefugnis freilich zumeist hinter den Voraussetzungen der individuellen Betroffenheit zurück. S. Pötters/C. Werkmeister/ J. Traut, EuR 2012, S. 559. 49 Unter Berufung auf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes im EU-Recht sowie in internationalen Konventionen: EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat). 50 Vgl. EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); EuG, Urt. v. 03.05.2002, T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff. 51 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 ff., Rn. 55 (Inuit u. a./Parlament und Rat). 52 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 (Inuit u. a./Parlament und Rat).
1012 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Auch das Argument der Kläger, dass die EU durch die Aarhus-Konvention und das 1992 in Rio de Janeiro unterzeichnete Übereinkommen über die biologische Vielfalt zu einer „weiten“ Auslegung des Art. 263 Abs. 4 AEUV verpflichtet sei, weist das EuG zum einen mangels Substanziierung, zum anderen bereits deshalb zurück, weil „mit dem Vertrag ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen wurde, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der die Unionsgerichte betraut werden, gewährleisten soll. Die Bestimmungen der geltend gemachten internationalen Übereinkommen dürfen nicht von dieser Regelung des Primärrechts der Union abweichen“.53
Das EuG beruft sich auf die Rechtsprechung des EuGH im Fall „Kadi“54 sowie auf die Rechtsprechung des EuG im Fall „Microsoft“55. Dies entspricht zwar dem Vorrang des Primärrechts vor völkerrechtlichen Verträgen (vgl. Art. 218 Abs. 11 AEUV), entbindet die EU aber nicht von der Beachtung des Völkerrechts.56 Im konkreten Fall war eine entsprechende völkerrechtliche Verpflichtung aber weder dargetan noch ersichtlich.57 „Aus alldem ergibt sich, dass der Begriff ,Rechtsakt mit Verordnungscharakter‘ i. S. von Art. 263 Abs. 4 AEUV dahin zu verstehen ist, dass er mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte jede Handlung mit allgemeiner Geltung erfasst. Eine natürliche oder juristische Person kann gegen einen Gesetzgebungsakt (bzw. Legislativakt) daher nur dann Nichtigkeitsklage erheben, wenn sie von ihm unmittelbar und individuell betroffen ist.“58
Kurzgefasst postulierte das EuG, dass das Tatbestandsmerkmal des Verordnungscharakters keine Gesetzgebungsakte umfasse.59 Gleichzeitig erkannte das EuG, dass Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV, der schon beschriebenen Rechtsschutzlücke auf unionaler Ebene nur hinsichtlich Verordnungen, die nicht in einem Ge53
EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 55 (Inuit u. a./Parlament und Rat). EuGH, Urt. v. 03.09. 2008, C-402/05 P u. C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rn. 306 ff. (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission), NJW 2008, S. 3697 ff. 55 EuG, Urt. v. 17.09.2007, Rs. T-201/04, Slg. 2007, II-3601, Rn. 798 (Microsoft/ Kommission), BeckRS 2007, 70806. 56 Vgl. R. Streinz, JuS 2012, S. 474 ff., m.w. N. 57 Ebd. 58 EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 51 ff., Rn. 56 (Inuit u. a./Parlament und Rat). 59 Vgl. EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10 (Inuit u. a./Parlament und Rat). Vgl. dazu H. A. Petzold, EuR 2012, S. 446 ff.; J. Gundel, EWS 2012, S. 65 ff. In Anschluss daran muss berücksichtigt werden, dass das EuG in einem Urteil über eine Klage, auf die danach Art. 263 Abs. 4 AEUV ohnehin keine Anwendung mehr gefunden hätte, festgehalten hat, dass eine Richtlinie, die den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum gibt, jedenfalls kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sein könne, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht. EuG, Urt. v. 02.03.2010, Rs. T-16/04, EWS 2010, S. 157 ff. (Arcelor SA/Parlament und Rat); EuG, Urt. v. 15.06.2011, Rs. T259/10, Slg. 2011, II-00176 (Ax/Rat), BeckRS 2011, 81058, Rn. 24 ff. 54
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
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setzgebungsverfahren erlassen werden, geschlossen wird. Die Einbeziehung von Gesetzgebungsakten bliebe aber einer weiteren Vertragsänderung vorbehalten.60 Demzufolge erteilte das EuG dem Ansatz der erweiterten Auslegung, Rechtsakte mit Verordnungscharakter seien alle Rechtsakte, die materiell einer Verordnung ähnelten, eine ausdrückliche Absage.61 Die Abgrenzung sei nicht nach dem materiellen Charakter der Norm – abstrakt-generell oder konkret individuell – vorzunehmen, sondern formal nach dem Verfahren, in dem die Norm erlassen wurde.62 „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ seien daher alle abstrakt-generellen Rechtsakte, die nicht Gesetzgebungsakte sind.63 Das EuG folgt somit mit seiner Auslegung der Mehrheitsmeinung im Konvent und der engeren Sicht, dass nämlich Individualklagen gegen Gesetze grundsätzlich ausgeschlossen sein sollen.64 Dies entspricht auch dem Standard über alle Mitgliedstaaten hinweg, die diese Möglichkeit teils gar nicht, sonst aber regelmäßig nur mit erheblichen Einschränkungen vorsehen.65 Da die konkret angefochtene Verordnung auf Art. 114 AEUV gestützt wurde und wegen des dafür vorgesehenen ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (Art. 294 AEUV) als Gesetzgebungsakt i. S. des Art. 289 Art. 3 AEUV einzustufen war, kam allein eine Klagebefugnis unter den Voraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV in Betracht. Das EuG prüfte die für die Klagebefugnis erforderliche individuelle und unmittelbare Betroffenheit der Kläger entsprechend der hierfür einschlägigen Plaumann-Formel. Danach ist zwar ein Teil der Kläger unmittelbar betroffen.66 Bei allen Klägern fehlt aber die individuelle Betroffenheit.67 Der Auffassung des EuG nach gilt die angefochtene Verordnung für objektiv festgelegte Situationen und entfaltet Rechtswirkungen gegenüber Personengruppen, die allgemein und abstrakt bestimmt sind. Insbesondere ist das vorgenannte allgemeine Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen mit Ausnahme von Robbenerzeugnissen aus indigener Jagd allgemein formuliert und 60
R. Streinz, EuZW 2014, S. 18. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 43 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 550; R. Streinz, JuS 2012, S. 472 ff.; H. A. Petzold, EuR 2012, S. 446 ff. 62 Vgl. EuG, Beschl. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 61 ff., 65 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 398. 63 Vgl. EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 398. Krit. U. Everling, EuZW 2012, S. 379 ff. 64 Vgl. R. Streinz, JuS 2012, S. 474 ff.; H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 448. 65 Vgl. H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 19 ff.; R. Streinz, JuS 2012, S. 474 ff.; jeweils m.w. N. 66 EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 79 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 398. 67 EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 88 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 398; R. Streinz, JuS 2012, S. 475. 61
1014 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
kann unterschiedslos für jeden Wirtschaftsteilnehmer gelten, der unter die angefochtene Verordnung fällt. Insofern sind die unmittelbar betroffenen Kläger, die im Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen tätig sind, von der angefochtenen Verordnung wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer betroffen, der Robbenerzeugnisse in den Verkehr bringt.68 Daher können sie somit nicht individuell betroffen sein. Vor diesem Hintergrund wies schließlich das EuG die Klage insgesamt ab. Gegen den oben dargestellten Beschluss des EuG haben die Kläger ein Rechtsmittel vor dem EuGH eingelegt. In seinem Urteil hat der EuGH den erstinstanzlichen Beschluss des EuGH grundsätzlich bestätigt.69 Der EuGH hat die Auffassung vertreten, dass „Gesetzgebungsakte“ i. S. von Art. 289 Abs. 3 AEUV nicht unter den Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ i. S. von Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV fallen.70 Vor diesem Hintergrund können Verordnungen, die vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam (im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, Art. 289 Abs. 2 und Art. 294 AEUV) oder zusammen (in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren, Art. 289 Abs. 2 AEUV) erlassen werden, von Individuen nicht direkt mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden. In Frage kommt allein eine inzidente Prüfung (vgl. Art. 277 AEUV), sei es im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV gegen eine unionale Vollzugsmaßnahme (delegierte Verordnung, Durchführungsverordnung, Beschluss), sei es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) nach Vorlage durch ein nationales Gericht, das gegen einen nationalen Vollzugsakt verstößt,.71 Durch das Zusammenwirken von Nichtigkeitsklage, Inzidentkontrolle und Vorabentscheidungsverfahren sei ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen worden, das die Rechtmäßigkeitskontrolle der Unionshandlungen gewährleisten soll, mit der der Unionsrichter betraut wird.72 Im Hinblick auf den durch Art. 47 EU-GRCh gewährten Schutz weist der EuGH darauf hin, „dass diese Vorschrift nicht darauf abzielt, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen bei den EU-Gerichten zu ändern, wie auch aus den Erläuterungen zu diesem Artikel hervorgeht, die gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der 68 EuG, Urt. v. 06.09.2011, Rs. T-18/10, Rn. 89–90 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 398. 69 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff.; Anm. dazu R. Streinz, EuZW 2014, S. 17 ff.; T. Guretzki, NVwZ 2014, S. 58 ff.; C. Nowak/K. Behrend, EuR 2014, S. 90; A. Thiele, LTO, 04.10.2013; W. Cremer, ZG 2014, S. 82 ff. 70 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 50 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff. 71 R. Streinz, EuZW 2014, S. 20 ff. 72 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 92 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff.
A. Die Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV
1015
EU-GRCh für deren Auslegung zu berücksichtigen sind. Demzufolge sind die in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen im Licht des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auszulegen, ohne dass dies den Wegfall der in diesem Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen zur Folge hätte“.73
Jedenfalls verlange der in Art. 47 EU-GRCh verbürgte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nicht, dass ein Betroffener unmittelbar vor dem EuGH uneingeschränkt eine Nichtigkeitsklage gegen Gesetzgebungsakte der Union anstrengen könne.74 Darüber hinaus verlangt weder das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gem. Art. 47 EU-GRCh noch Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, dass ein Betroffener gegen solche Rechtsakte in der Hauptsache vor den nationalen Gerichten Klage erheben kann.75 Mit dieser relativ lapidaren – aber nicht vollkommen überzeugenden76 – Feststellung reagierte der EuGH auf das Argument der Rechtsmittelführer, wonach die vom Gericht vertretene Auslegung des in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Begriffs „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zu einer Lücke beim gerichtlichen Rechtsschutz führen würde und mit Art. 47 EU-GRCh unvereinbar sei, da sie zur Folge hätte, dass jeder Gesetzgebungsakt praktisch von einer gerichtlichen Kontrolle ausgenommen wäre. Als entscheidend für das enge Verständnis des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV sieht der EuGH den Unterschied der Variante 3 zur Variante 2 an.77 Während bei Variante 2 die Kläger unmittelbar und individuell betroffen sein müssen, verzichte die neu eingefügte Variante 3 auf das Kriterium der individuellen Betroffenheit. Würden davon aber sämtliche Handlungen mit allgemeiner Geltung erfasst, würde die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Handlungen“ und „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ ihren Sinn verlieren, weshalb mit letzterem eine engere Kategorie derartiger Handlungen gemeint sein müsse.78 Zudem ließe die unveränderte Überführung von Art. III-365 IV VVE ins Primärrecht, der laut Übermittlungsvermerk des Präsidiums des Konvents „unter Beibehal73 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 97–98 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff., m.w. N. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/ 02, Slg. 2004, I-3425, Rn. 36 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 44 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 74 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 105 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 53 ff.; T. Guretzki, NVwZ 2014, S. 59. 75 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 106 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff. 76 Kritik dazu s. u. 3. Teil, 4. Kap., B. ff. 77 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 56 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff. 78 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 58 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff.; R. Streinz, EuZW 2014, S. 20.
1016 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
tung des restriktiven Ansatzes in Bezug auf die Klagebefugnis von Einzelpersonen gegen Gesetzgebungsakte“ vorgesehen war, keinen anderen Schluss zu.79 Eine ähnliche Auffassung vertritt auch die Generalanwältin Kokott bei ihren Schlussanträgen in der Rechtssache „Inuit“.80 Die Entstehungsgeschichte, die man im Gegensatz zu den Gründungsverträgen und früheren Änderungen wegen der jetzt insoweit bestehenden Transparenz heranziehen könne, spreche für die restriktive Interpretation des unionsrechtlichen Ausdrucks „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ als Begriff sui generis.81 Die Generalanwältin weist unter anderem darauf hin, dass die neu eingefügte Klageberechtigung bei einer restriktiven Interpretation auch nicht leerlaufe, da sich der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ nicht auf Verordnungen i. S. v. Art. 288 Abs. 2 AEUV beschränke, sondern gegebenenfalls auch andere rechtsverbindliche Akte wie Richtlinien und Beschlüsse erfassen könne und nicht alle Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse Gesetzgebungsakte seien.82 Andererseits bestätigt der EuGH genauso wie das EuG im Fall „Inuit“ die Einhaltung der sog. Plaumann-Formel. Die Rüge der Rechtsmittelführer, dass das EuG durch seine enge Auslegung der Voraussetzungen der individuellen Betroffenheit einen Rechtsfehler begangen habe und zwar nicht dadurch, dass sie die in ständiger Rechtsprechung des EuGH verwendete sogenannte Plaumann-Formel falsch angewendet hätten, sondern durch deren Beibehaltung, wurde vom EuGH abgelehnt. Gleiches gilt auch für ihre Aufforderung, dass der EuGH diese Beurteilungskriterien revidieren und durch das Kriterium der „erheblichen nachteiligen Auswirkungen“ ersetzen müsse.83 Der EuGH sah dazu keine Veranlassung, da der Wortlaut des ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 2 EGV im aktuellen Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV nicht verändert wurde und auch durch den Verfassungsvertrag nicht verändert werden sollte.84 Der EuGH stellt daher fest, dass die Rechtsmittelführer durch die beanstandete Handlung nicht unmittelbar und individuell betroffen sind. Vor diesem Hintergrund wurde das Rechtsmittel zurückgewiesen. Damit wurde schließlich der Ausschluss von Gesetzgebungsakten als Gegenstand von Individualklagen gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV geklärt. Gleichzeitig wurde ein 79 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 59 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff., m.w. N. auf u. a. Sekretariat des Europäischen Konvents, Schlussbericht des Arbeitskreises über die Arbeitsweise des Gerichtshofs vom 25. März 2003, CONV 636/ 03, Randnr. 22 und Übermittlungsvermerk des Präsidiums des Konvents vom 12. Mai 2003, CONV 734/03, S. 20; T. Guretzki, NVwZ 2014, S. 59. 80 J. Kokott, Schlussantr. v. 17.01.2013 in der Rs. C-583/11 P, Rn. 29 ff. (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat), BeckRS 2013, 80130. 81 Ebd., Rn. 32–47; W. Cremer, ZG 2014, S. 88 ff. 82 Ebd., Rn. 48. s. auch R. Streinz, EuZW 2014, S. 19 ff., m.w. N. 83 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, C-583/11P, Rn. 69 (Inuit Tapiriit u. a.), NVwZ 2014, S. 54 ff. 84 Ebd., Rn. 70 ff.
B. Auswirkungen
1017
umfassender Individualrechtsschutz gegen abstrakt-generelle Regelungen auf unionaler Ebene vom EuGH auch nach Inkrafttreten des AEUV weiterhin abgelehnt. Auch nach den dargestellten Urteilen des EuG und des EuGH im Fall „Inuit“ bleibt somit der Individualrechtsschutz auf europäischer Ebene defizitär. Denn gegen eine Vielzahl abstrakt-genereller europäischer Regelungen können betroffene Bürger weiterhin nicht direkt vor den EU-Gerichten klagen, selbst dann nicht, wenn einzelne Bestimmungen Grundrechte erheblich beeinträchtigen.85 Diese Urteile wurden vermutlich auch aus pragmatischen und prozessökonomischen Gründen getroffen sowie, um den Mitgliedstaaten in kritischen Zeiten nicht mehr zuzumuten, als diese mitzugehen bereit sind.86
B. Auswirkungen I. Geringfügige Rechtsschutzfortschritte Aus der oben dargestellten Rechtsprechung ergibt sich, dass die neue Norm des Art. 263 Abs. 4 AEUV zu keiner deutlichen Verbesserung in Bezug auf die dargestellte Problematik der restriktiv ausgelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen des nicht privilegierten Drittklägers beiträgt. Denn mit dem Lissabon-Vertrag hat sich an der schon seit langem problematischen Unanfechtbarkeit von Legislativakten durch nicht privilegierte Privatkläger grundsätzlich nichts geändert.87 Es ist davon auszugehen, dass für Gesetzgebungsakte nach Art. 289 Abs. 3 AEUV i.V. m. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV bislang weiterhin die Plaumann-Formel gilt. Denn der Inhalt sowie die enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale der unmittelbaren sowie der individuellen Betroffenheit bleiben insofern in solchen Konstellationen wie vor dem Abschluss des AEUV unverändert.88 Andererseits ist die Tatsache, dass durch die Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV die untergesetzlichen Rechtsakte nach Art. 290 AEUV (nämlich Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung, die zur 85
A. Thiele, LTO, 04.10.2013. Vgl. M. Kotzur, EuR-Beih. 2012, S. 18; H. A. Petzold, EuR 2012, S. 446 ff. Daneben hat ein Teil der Theorie angemerkt, dass, wenn die EU-Gerichte im Fall „Inuit“ in einer weiten Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV eine unzulässige Rechtsfortbildung im Ergebnis sehen, diese Feststellung widersprüchlich gegenüber der EuGHRechtsprechung scheint. Denn der EuGH hat schon die Klagerechte mehrfach extensiv ausgelegt, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu entsprechen. Hier gehe es aber nicht darum, den Vertrag durch Richterspruch fortzubilden, sondern den durch Vertragsänderung fortgebildeten Vertrag sinngemäß und rechtsschutzkonform auszulegen. s. U. Everling, EuZW 2012, S. 379, m.w. N.; R. Streinz, EuZW 2014, S. 19. 87 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 555 ff.; EuG, Beschl. v. 06.09.2011, T-18/10, Rn. 49 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff.; C. Poncelet, S. 301 ff. 88 Vgl. S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 555 ff.; EuG, Beschl. v. 06.09.2011, T-18/10, Rn. 42 (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff. 86
1018 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des jeweils betreffenden Gesetzgebungsaktes erlassen sind) und Art. 291 AEUV (nämlich erforderliche Maßnahmen, die von Mitgliedstaaten zur Durchführung der verbindlichen EU-Rechtsakte ergriffen worden sind) durch die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon neu in den Vertrag eingeführt wurden,89 als positiv zu bewerten. Mit der Ergänzung des Art. 263 Abs. 4 AEUV durch die 3. Variante dieser Vorschrift ist somit eine eindeutige Erweiterung der Direktklagemöglichkeiten des nicht privilegierten Drittklägers verbunden. Denn im Unterschied zu Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV90 verlangt die 3. Variante also nicht, dass der Kläger durch einen „Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht“ individuell betroffen ist. Darzulegen und zu beweisen wird nunmehr bei solchen „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“ nur noch eine eher generelle unmittelbare Betroffenheit Privater sein.91 Es ist daher begrüßenswert, dass der Klagegegenstand nicht privilegierter Kläger erweitert wurde. Vor allem in Konstellationen, in denen der Kläger mangels eines mitgliedstaatlichen Durchführungsakts, welcher nach nationalem Recht Voraussetzung für eine zulässige Klageerhebung vor nationalen Gerichten gewesen wäre, keine inzidente Überprüfung der umstrittenen Verordnung vor mitgliedstaatlichen Gerichten herbeiführen könnte, sollte nunmehr gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dem Betroffenen ein Direktklagerecht zur Unionsgerichtsbarkeit offen stehen. Während im Rahmen der vorherigen Rechtslage (gem. ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) Nichtigkeitsklagen gegen im Sekundärrecht vielfach vorgesehene Leistungs-, Einstufungs- oder andere ausführende Kommissionsmaßnahmen stets wegen fehlender individueller Betroffenheit der Kläger als unzulässig abgewiesen worden wären,92 sofern diese nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als Antragsteller eine besondere Stellung geltend machen konnten, um ihre individuelle Betroffenheit hinreichend zu begründen,93 würden nunmehr entsprechende Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen (gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV), i. d. R. als zulässig angenommen.
89 Vgl. K. Lenaerts, CDE 2009, S. 726 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 556 ff., m.w. N. 90 Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV betrifft Nichtigkeitsklagen von nicht privilegierten Klageberechtigten, sowohl von natürlichen als auch juristischen Personen, gegen Handlungen, deren Adressat ein anderer ist oder die keinen Adressaten haben. Solche Nichtigkeitsklagen sind zulässig, soweit die Handlungen sie unmittelbar und individuell betreffen. Vgl. W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 33 ff., m.w. N. 91 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 26 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff.; B. Wegener, EuR-Beih. 3, 2008, S. 53 ff. 92 Vgl. unter anderem: EuG, Urt. v. 05.12.2008, Rs. T-532/08, Slg. 2010, II-03959, Rn. 93 ff. (Norilsk Nickel Harjavalta Oy und Umicore SA/NV); EuG, Urt. v. 07.09. 2010, Rs. T-539/08, Slg. 2010, II-3959, Rn. 97 ff. (Etimine u. a./Kommission). 93 Vgl. J. Gundel, EWS 2012, S. 69, m.w. N.
B. Auswirkungen
1019
Der partielle Verzicht auf das Kriterium der individuellen Betroffenheit bewirkt letztlich eine wesentliche Erleichterung des Individualrechtsschutzes bei dem bestimmten Tatbestandsmerkmal des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV. Es sieht so aus, dass damit der AEUV die Konsequenzen aus dem obiter dictum des EuGH in der Rechtssache „Unión de Pequeños Agricultores“ zum Teil zieht, wonach es in Wirklichkeit einer Vertragsänderung bedarf, um europäischen Handlungen allgemeiner Geltung einer individuellen Anfechtung zugänglich zu machen.94
II. Mangelhafter Rechtsschutz Trotz der oben dargestellten begrüßenswerten Besserung des unionalen Rechtsschutzes durch Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV ist davon auszugehen, dass bei der Auslegung des Art. 263 Abs. 4 AEUV, wie sie jetzt auch von der europäischen Rechtsprechung vorgenommen wird,95 immer noch eine eindeutige Rechtsschutzlücke bestehen bleibt. Die verbleibende Rechtsschutzlücke umfasst nunmehr insbesondere noch EU-Handlungen (mit und ohne Gesetzescharakter), die die jeweiligen Kläger nicht unmittelbar und individuell betreffen sowie Legislativsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Einzelnen nicht unmittelbar betreffen.96 Gleiches gilt für selbstvollziehende Legislativakte und solche die bei Verstoß ein Sanktionsverfahren nach sich ziehen.97 Denn eine Klagemöglichkeit für Privatpersonen insbesondere gegen Legislativakte i. S. d. Art. 289 Abs. 3 AEUV, die keinen Vollzugsakt voraussetzen, besteht i. d. R. weder vor einem EU-Gericht noch vor einem staatlichen Gericht, und dies sogar unabhängig davon, ob solche Rechtsakte in der Praxis den Einzelnen belasten können. Offensichtlich fehlt im EU-Recht eine Analogie zur Verfassungsbeschwerde des deutschen Rechts.98 Gegen unionale Legislativakte, die keiner Umsetzung mehr bedürfen, wäre nur im Extremfall zumindest innerhalb der deutschen 94 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00, Rn. 44 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. Angesichts der Tatsache, dass die Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV anscheinend nur unionale Rechtsakte ohne Gesetzescharakter umfasst, sind somit grundsätzlich nur ausführende, untergesetzliche unionale Rechtsakte (vor allem Verordnungen und Beschlüsse) durch Einzelne angreifbar. Daher ist die vorher bestehende Rechtsschutzlücke, die unter anderem von GA F. Jacobs im Fall „Unión de Pequeños Agricultores“ aufgezeigt wurde, nur teilweise geschlossen worden. 95 EuG, Urt. v. 25.10.2011 – T-262/10, Rn. 21 ff. (Microban/Kommission), LMuR 2011, S. 146 ff.; EuG, Beschl. v. 06.09.2011, T-18/10, Rn. 36 ff. (Inuit u. a./Parlament und Rat), EuZW 2012, S. 395 ff. 96 Vgl. U. Everling, EuZW 2010, S. 575; H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 49. 97 Vgl. H.-A. Petzold, EuZW 2014, S. 289 ff. 98 Vgl. M. Möstl, Vertrag von Lissabon, Einführung und Kommentierung, 2010, S. 77.
1020 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Rechtsordnung direkt über die unmittelbare Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 93 Abs. 3 BVerfGG) vorzugehen. Dadurch könnte aber nur unter strengen Voraussetzungen Abhilfe gegen solche Rechtsakte geschaffen werden. Dies könnte nur mit dem Antrag geschehen, den jeweils umstrittenen europäischen Rechtsakt für in der Bundesrepublik Deutschland unanwendbar zu erklären. Dann müsste das BVerfG allerdings mangels eigener Verwerfungskompetenz die Frage dem EuGH vorlegen und wäre auch an dessen Gültigkeitsentscheidung gebunden. Auf der prozessualen Ebene darunter käme eine erweiterte Auslegung des Prozessrechts, insbesondere der VwGO, in Betracht.99 Eine solche Lösung wäre unter dem Aspekt des zeitnahen Rechtsschutzes wenig befriedigend.100 Andererseits gibt es in Griechenland101 sowie in anderen EU-Mitgliedstaaten keine entsprechende Verfassungsbeschwerdemöglichkeit,102 so dass es möglich ist, dass i. d. R. solche Rechtsakte von keinem staatlichen oder unionalen Gericht kontrolliert werden können. Im Zweifel ist der Rechtsschutz (insbesondere gegen Rechtsakte mit Gesetzescharakter, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen) durch geeignete Maßnahmen auf der zuständigen nationalen Ebene sicherzustellen.103 Die Möglichkeit aber des Einzelnen, den Rechtsschutz gegen unionale allgemein geltende Legislativakte, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten zu suchen, indem der Kläger gegen sie eine negative Feststellungsklage oder Verpflichtungsklage vor den nationalen Verwaltungsgerichten erheben könnte,104 führt am Kern des eigentlichen Problems vorbei. 99 Vgl. H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht, S. 56 ff., 85 ff.; ders., EuR 2012, S. 49, m.w. N. 100 Vgl. H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 49. 101 Indizierend dazu s. o. 2. Teil, 1. Kap., B., V. 102 Griechenland, Niederlande, Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Malta und Schweden folgen dem Modell der diffusen Verfassungsgerichtsbarkeit. Danach gibt es in diesen Ländern keine Verfassungsgerichte, die das alleinige Monopol auf verfassungsrechtliche Normenkontrolle besitzen. Dabei sind abstrakte Normenkontrollverfahren dem diffusen Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit fremd. S. Kneip, in: O. Gabriel/S. Kropp (Hrsg.), Die EU-Staaten im Vergleich: Strukturen, Prozesse, Politikinhalte, 2008, S. 633 ff. 103 Vgl. EuGH, Rs. C-199/06, Slg. 2008, S. 469 (CELF/SIDE), EuZW 2008 S. 145 ff.; H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 49. 104 Diese Möglichkeit geht davon aus, dass in Deutschland der entsprechende Rechtsschutz gegen abstrakt-generelle europäische Rechtsakte im Rahmen einer vorbeugenden Feststellungsklage nach § 43 VwGO oder einer Verpflichtungsklage zu gewähren sei. Soweit das mitgliedstaatliche Gericht die einschlägige europäische Gesetzgebung für rechtswidrig erachtet, ist nach der europäischen Rechtsprechung [Vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, S. 4199, Rn. 11 ff. (Foto-Frost/Hauptzollamt Lübeck-Ost).] die Sache vorzulegen. Soweit die Rechtswidrigkeit eines europäischen Rechtsaktes im Rahmen einer Feststellungsklage geltend gemacht werden solle, sei der entsprechende Antrag darauf zu richten, festzustellen, dass keine Verpflichtung aus dem für nichtig gehaltenen europäischen Gesetz besteht und eine entgegenstehende Handlung nicht durch einen deutschen Rechtsakt bzw. eine deutsche Behörde sanktioniert
B. Auswirkungen
1021
Gleichzeitig erweist sie sich auch als denkbares Rechtsschutzdefizit. Denn diese Möglichkeit übersieht häufig mitgliedstaatliche strukturelle Unterschiede. Sie vermag daher Defizite des in dieser Form konstruierten europäischen Rechtsschutzsystems nicht hinreichend zu beseitigen.105 Demzufolge kann sie dem Unionsbürger keinen völlig effektiven, effizienten und unionseinheitlichen Rechtsschutz garantieren.106 Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV schließe keineswegs die bereits dargestellten Rechtsschutzlücken, die man insbesondere nach dem Urteil des EuGH im Fall UPA107 beseitigen wollte, da Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV nur den bereits bislang bestehenden Grundsatz des Gebots effektiven Rechtsschutzes gegebenenfalls auch durch die Gerichte der Mitgliedstaaten formell verankert. Diese Norm habe daher dem bestehenden Recht nichts hinzugefügt.108 Im Hinblick darauf sollte hier daran erinnert werden, dass Art. 4 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 10) die Mitgliedstaaten zur unionalen Treue verpflichtet, worin auch der Zugang zu Gerichten eingeschlossen ist. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung auch dieser Verpflichtung ergreifen müssen.109 Die Pflicht aber zur loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 AEUV) könne nicht so weit gehen, den Mitgliedstaaten vorzuschreiben, einen Zugang zu den nationalen Gerichten zu schaffen, wenn keine staatliche Handlung vorliegt, zumal dann, wenn das Fehlen innerstaatlicher Rechtsbehelfe gegen staatliche Gesetzgebungsakte in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten zugleich als Argument für die restriktive Auslegung verwendet wird.110 Jedenfalls scheint der praktizierte Rechtsschutz gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nicht die Bedenken auszuräumen, die zur Änderung von Art. 230 EGV geführt haben.111 Denn der Individualrechtsschutz auf unionaler Ebene, der in Reaktion auf die schon skizzierten Urteile des EuGH in den Fällen „UPA“ und „Jégo-Quéré“ erweitert werden sollte, wird im Ergebnis durch die restriktive Gewerden darf. Vgl. B. Wegener, Art. I-29 EUV, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, 2006, Rn. 7 ff., m.w. N.; S. Lenz/S. Staeglich, NVWZ 2004, S. 1421 ff. 105 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 43. 106 s. auch 3. Teil, 3. Kap., C., III. 107 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat). 108 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 29.05.2013 in der Rs. C-132/12 P, Rn. 60 (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission), BeckRS 2013, 81086. 109 Vgl. S. Breitenmoser/B. Riemer/C. Seitz, Praxis des Europarechts, Grundrechtsschutz, 2006, S. 206; D. Haider, Art. 4 Abs. 3 AEUV, in: H. Mayer/K. Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., 2012, Rn. 14 ff., Rn. 25 ff. 110 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 29.05.2013 in der Rs. C-132/12 P, Rn. 60 ff. (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission), BeckRS 2013, 81086; R. Streinz, EuZW 2014, S. 19. 111 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 29.05.2013 in der Rs. C-132/12 P, Rn. 58 (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission), BeckRS 2013, 81086.
1022 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
setzgebung und Interpretation des neuen Art. 263 Abs. 4 (insb. Var. 2 und 3) AEUV wieder verkürzt. Schließlich würde gerichtlicher Rechtsschutz nicht dadurch effektiv, dass es für den Einzelnen theoretisch möglich wäre, seine nationale Verwaltung zur Anwendung eines Gesetzgebungsakts der Union auf seine persönliche Situation zu befragen, und zwar in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten, die er vor einem Gericht anfechten kann, das seinerseits ein Vorabentscheidungsverfahren einleiten kann.112 In diesem Zusammenhang hat außerdem der EuGH schon betont, dass ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz nicht gewährleistet ist, wenn ein Einzelner keine andere Wahl hat, als gegen das Recht zu verstoßen, um die zuständige nationale Behörde dazu zu bringen, eine Vollzugshandlung vorzunehmen, gegen die er sich vor einem Gericht verteidigen müsste, das ein Vorabentscheidungsersuchen stellen könnte.113 Betrachtet man generell das Bestehen von dezentralen Rechtsschutzdefiziten – was zumeist mit den Unsicherheiten und Verzögerungen des dezentralen nationalen Rechtsschutzweges insbesondere bei der Anwendung bzw. Implementierung europäischer Rechtsakte auf nationaler Ebene begründet wird114 –, verstärkt sich der Schluss, dass die oben dargestellte Erweiterung des Direktklagerechts gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf halbem Wege steht.115 Die neue Norm des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV erweist sich als problematisch, auch weil sie mit dem das entfallene Erfordernis individueller Betroffenheit ersetzenden Kriterium des Fehlens von Durchführungsmaßnahmen bei Rechtsakten mit Verordnungscharakter zwar implizit auf den in diesen Fällen häufig fehlenden dezentralen Rechtsweg anspielt, das Kriterium aber der Rechtswegerschöpfung bezüglich der gerichtlichen Kontrolle dieser Handlungen und Rechtsakte nicht ausdrücklich aufnimmt.116 Es ist daher kein Zufall, dass das Compliance Committee der AK einen Bericht verabschiedet hat, in dem die Zugangsmöglichkeiten zu den Unionsgerichten als defizitär bezeichnet werden.117 Sollte die Union ihrerseits nicht bereit 112 GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 29.05.2013 in der Rs. C-132/12 P, Rn. 62 ff. (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission), BeckRS 2013, 81086. 113 EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-02271, Rn. 64 (Unibet u. a./ Justitiekansler), EuZW 2007, S. 247 ff.; GA M. Wathelet, Schlussantr. v. 29.05.2013 in der Rs. C-132/12 P, Rn. 63 (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission), BeckRS 2013, 81086; a. A. GAin J. Kokott, Schlussantr. v. 17.01.2013 in der Rs. C-583/11 P, Rn. 27 ff., Rn. 48 ff. (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat), BeckRS 2013, 80130. 114 s. o. 3. Teil, 3. Kap., C., III. 115 J. Gundel, EWS 2012, S. 65. 116 B. Wegener, EuR-Beih. 3, 2008, S. 53 ff. 117 Vgl. M. Pallemaerts, IEEP-Report for WWF-UK, June 2009, S. 20 ff.; so Compliance Committee, Aarhus Convention, Report, ACCC/C/2008/32, 14.04.2011, S. 21, Rn. 94 ff. In diese Richtung auch EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 65 ff.
B. Auswirkungen
1023
sein, die Anforderungen zu erfüllen, die sie an ihre Mitgliedstaaten stellt, bildet dieses Verhalten einen eindeutigen Hintergrund, der eben zu Rechtsschutzdefiziten (insbesondere im kritischen Bereich des Umweltschutzes) auf mitgliedstaatlicher Ebene führt.118
III. Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes? Dass ausgerechnet untergesetzliche europäische Rechtsakte einer erleichterten unmittelbaren zentralen Kontrolle durch die europäischen Gerichte, die wichtigeren aber Normen mit Gesetzescharakter weiterhin nur einer mittelbaren dezentralen Kontrolle – und dies nur, soweit es machbar ist – vor den nationalen Gerichten unterliegen, könnte mit dem Hinweis auf die besondere Dignität letzterer Normen gerechtfertigt werden. Der h. M. nach liegen die Unterschiede in den Rechtsschutzmöglichkeiten zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten mit Verordnungscharakter vor allem in dem unterschiedlichen Grad demokratischer Legitimation. Denn – im Gegensatz zu Rechtsakten mit Verordnungscharakter nach Art. 290 ff. AEUV – besteht bei Gesetzgebungsakten, die nach Art. 289 Abs. 3 AEUV ein Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben, ein höheres Maß an demokratischer Legitimation. Da der Rat und das Europäische Parlament bei der Entstehung von Gesetzgebungsakten nach Art. 289 Abs. 3 AEUV im Regelfall mitwirken, ist im EU-Recht schon im Rechtsetzungsverfahren solcher Rechtsakte eine erhöhte Aufmerksamkeit und Kontrolle zu erwarten.119 Diese Rechtfertigung scheint aber m. E. nicht ausreichend überzeugend zu sein, um die Unterschiede der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV zwischen Rechtsakten mit und ohne Gesetzescharakter hinreichend zu erklären und zu begründen. Denn der unterschiedliche Grad demokratischer Legitimation dieser Rechtsakte und Handlungen bezieht sich nicht in erster Linie auf den vollständigen und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz der Privatpersonen gegen diese. Vielmehr widerspricht der faktische Ausschluss jeder Klagemöglichkeit von Privatklägern (auf unionaler oder staatlicher Ebene) insbesondere gegen unionale Gesetzgebungsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, dem unionalen Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, den insb. Art. 47 EU-GRCh120 gewährleisten soll.121 Potenziell (Stichting Natuur en Milieu & Pesticide Action Network Europe/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 69 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 550 ff. 118 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 173; C. Herman, JEEPL 2010, S. 405 ff. 119 Vgl. J. Gundel, EWS 2012, S. 67 ff.; K. Lenaerts, CDE 2009, S. 726 ff.; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 556 ff., m.w. N. 120 Zum unionalen Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes s. o. 3. Teil, 2. Kap., A. ff. 121 C. Nowak/K. Behrend, EuR 2014, S. 90.
1024 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
rechtswidrige Unionshandlungen der richterlichen Kontrolle zu entziehen kann nicht mit Gründen der Effizienz der Verwaltung oder der Gesetzgebung gerechtfertigt werden. Vielmehr muss der Schutz des Gesetzgebungsprozesses durch geeignete materielle Standards erreicht werden. Das in Art. 47 EU-GRCh niedergelegte Unionsgrundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz spricht an sich eher für eine weite Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV. Vor diesem Hintergrund sieht es so aus, dass die herrschende restriktive Auslegung dieser Norm nicht den Anforderungen des Art. 47 EU-GRCh entspricht. Angesichts der Tatsache, dass Art. 47 EU-GRCh das Recht jeder Person, deren durch das EU-Recht garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, gewährleistet, erweist sich – der hier vertretenen Ansicht nach – der enge Anwendungsumfang des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV, der nur auf untergesetzliche EU-Rechtsakte eingeschränkt ist, als nicht vereinbar mit Art. 47 EU-GRCh. Dies gilt vor allem bei Konstellationen, bei denen die von EU-Rechtsakten betroffenen Personen keinen Rechtsschutz auch auf der dezentralen Rechtsschutzebene vor mitgliedstaatlichen Gerichten der Sache nach genießen können. Dies ist der Fall z. B. bei europäischen selbstvollziehenden Rechtsakten, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, so dass auch vor nationalen Gerichten kein hinreichender Rechtsschutz zu erlangen ist, da es an einem gerichtlich angreifbaren innerstaatlichen Vollzugsakt fehlt.122 Daher scheint somit der vermutliche Willen des unionalen Gesetzgebers und Richters, den Umfang des erleichterten unionalen Rechtsschutzes gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf untergesetzliche Rechtsakte einzuschränken, nicht in vollständigem Einklang mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu stehen. Ferner führt die Tatsache, dass die Klagemöglichkeiten zur Nichtigerklärung eines unionalen Legislativaktes weiterhin restriktiver als bei einem Durchführungsakt sind, zu divergierenden und rechtssystematisch problematischen Ergebnissen.123 Denn es scheint nicht rechtlich konsequent und systematisch zu sein, einerseits untergesetzliche Rechtsakte allgemeiner Geltung, die keine Durchführungsmaßnamen nach sich ziehen, auf Unionsebene anfechtbar, andererseits aber Legislativakte allgemeiner Geltung, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, nicht auf Unionsebene anfechtbar zu gestalten. Hinzu kommt, dass auch adressatenlose Handlungen im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV nicht erfolgreich vor europäischen Gerichten angefochten werden können. Denn, wie schon gezeigt wurde,124 können die Drittkläger – we122 Vgl. C. Nowak/K. Behrend, EuR 2014, S. 90, m.w. N. In diese Richtung auch B. Wegener, EuR Beih. 3, 2008, S. 53 ff. 123 Vgl. R. Barents, CML Rev. 2010, S. 724 ff.; E. Biernat, Jean Monnet, W. P., 12/ 03; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff.; W. Cremer, EuGRZ 2004, S. 577 ff.; H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 448 ff. 124 s. 3. Teil, 3. Kap., C., I.; 3. Teil, 5. Kap., B., II.
B. Auswirkungen
1025
gen der aufgrund der Plaumann-Formel restriktiven Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit – i. d. R. kaum zulässige Nichtigkeitsklagen gegen solche Handlungen einreichen. Dadurch wird der Zugang zu den europäischen gerichtlichen Instanzen den betroffenen nicht privilegierten Privaten immer noch verbaut. Mit ihrem weiteren Festhalten am Erfordernis der individuellen Betroffenheit in der weiten Gegenstandsreichweite des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV erlaubt diese Vorschrift keine Überwindung der aufgezeigten Strukturprobleme der Rechtsprechung zur Individualnichtigkeitsklage.125 Diese Einschränkung führt somit insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes nicht privilegierter Dritter im Bereich des Umweltrechts zum EuGH ggf. nur über den Umweg von Vorabentscheidungsverfahren, zu denen die Individuen aber auch erst gelangen müssen, zur gerichtlichen Verfolgung ihrer betroffenen Rechtspositionen. Neben der unionsrechtlich nicht vorgesehenen Möglichkeit, diese zu erzwingen, ist fraglich, – wie oben angemerkt wurde –, ob und wie in allen Mitgliedstaaten die jedenfalls zur Vermeidung der unzumutbaren Konstellation einer vorhergehenden Rechtsverletzung erforderlichen Rechtsbehelfe geschaffen werden können.126 Im Ergebnis verhindert auch dieser Zustand die vollständige Verwirklichung des rechtsstaatlich und unionsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz. Selbst wenn der geforderte nationale Rechtsschutz in allen Mitgliedstaaten idealerweise ausreichend sein sollte, könnte das europäische Rechtsschutzsystem schon aufgrund dieser Komplexität kaum als ein modernes und zukunftsfähiges bezeichnet werden.127 In diesem Zusammenhang erweist sich als besonders problematisch, dass in solchen Fällen der Rechtsschutz Privater von der Form des jeweils in Frage gestellten Rechtsaktes abhängig ist. Dies aber steht auch nicht im Einklang mit der Tendenz der europäischen Rechtsprechung, die eher den Inhalt und nicht die Form des Rechtsaktes als ausschlaggebend für die Auslegung des Erfordernisses der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit betrachtet.128 Auch dies sorgt für Rechtsunsicherheit und wirkt zulasten eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die Unionsbürger. 125 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 42; W. Hakenberg/C. Schilhan, ZfRV 2008, S. 109; A. Limante, W. P. for the Annual Conference of EGPA, Sept. 2011, S. 8 ff. 126 R. Streinz, EuZW 2014, S. 21, m.w. N.; s. o. 3. Teil, 3. Kap., C., III. 127 Vgl. A. Thiele, EuR 2010, S. 39 ff., m.w. N.; in dieser Hinsicht hat auch das sog. Compliance Committee der AK am 04.04.2011 einen Bericht verabschiedet, in dem die Zugangsmöglichkeiten zu den Unionsgerichten als defizitär bezeichnet werden. Compliance Committee, Aarhus Convention, Report, ACCC/C/2008/32, 14.04.2011, S. 21, Rn. 94 ff. 128 Vgl. R. Barents, CML Rev. 2010, S. 724 ff.; E. Biernat, Jean Monnet, W. P., 12/ 03; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff.; W. Cremer, EuGRZ 2004, S. 577 ff.; H.-A. Petzold, EuR 2012, S. 448 ff.; A. Thiele, LTO, 04.10.2013.
1026 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Aus diesen Befunden könnte der Schluss gezogen werden, dass die Mitgliedstaaten als die „Herren der Verträge“ hier die Chance vertan haben, korrigierend einzugreifen und eine angemessene Abgrenzung der Rechtsschutzebenen vorzunehmen. Im Ergebnis haben sie es versäumt, den Individualrechtsschutz angemessen und eindeutig im AEUV zu regeln.129
IV. Auswirkungen auf den speziellen Bereich des Umweltrechts Wie die bisherige unionale Rechtsprechungspraxis gezeigt hat, scheinen die unionalen Gerichte noch nicht bereit zu sein, eine erweiterte Klagebefugnis zugunsten nicht privilegierter Dritter in Bezug auf sämtliche Handlungen und Unterlassungen der unionalen Organen und Einrichtungen anzuerkennen. Das dauerhafte Festhalten der europäischen Rechtsprechung an dem besonders eng ausgelegten Zulässigkeitskriterium der individuellen Betroffenheit der sog. Plaumann-Formel, die auch im Rahmen des neuen Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV grundsätzlich unverändert bleibt, wirkt immer noch als Stolperstein gegenüber den jeweiligen nicht privilegierten Dritten, die insbesondere im Bereich des überindividuellen Umweltrechts die Allgemeinheit gerichtlich zu schützen anstreben. Die bereits dargestellte Kritik zu dieser Problematik, die schon vor der Einführung des neuen Art. 263 Abs. 4 AEUV ausgeübt wurde,130 bleibt grundsätzlich weiterhin bestehen und soll daher nicht 1:1 wiederholt werden. Dabei könnten vor allem von der Kommission erlassene adressatenlose umweltbezogene Handlungen (mit und ohne Gesetzescharakter), die unter den Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV fallen, mangels individueller Betroffenheit erfolglos angefochten werden. Es darf nicht übersehen werden, dass die Adoptierung der Plaumann-Formel auch im Bereich des unionalen Umweltrechtsschutzes dazu geführt hat, dass bisher keine Nichtigkeitsklage von Verbänden oder natürlichen Personen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, gegen umweltbeeinträchtigende Unionshandlungen zumindest von der EuGH-Rechtsprechung als zulässig angenommen worden ist.131 Insofern bleiben der aktuellen unionalen Rechtslage nach Rechtsakte allgemeiner Geltung (mit Gesetzescharakter), die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, die etwa das Agrarund Umweltrecht betreffen, ohne gerichtliche Kontrolle seitens des nicht privilegierten Klägers.132 129 130 131
So A. Thiele, LTO, 04.10.2013; ders., EuR 2010, S. 43, m.w. N. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., C., I.–IV. Vgl. einschlägige Rspr. etwa in 3. Teil, 3. Kap., B., I.–VIII.; 3. Teil, 5. Kap., A.,
I.–IV. 132 Vgl. W. Hakenberg/C. Schilhan, ZfRV 2008, S. 109. In dieselbe Richtung auch H.-A. Petzold, Individualrechtsschutz an der Schnittstelle zwischen deutschem und Gemeinschaftrecht, 2008, S. 122; P. Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabent-
B. Auswirkungen
1027
Es ist somit festzustellen, dass mit der Einführung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV keine erhebliche Erleichterung bezüglich der Klagebefugnis umweltschützender Drittkläger erreicht wurde. Denn die überwiegende Mehrzahl der potentiell umweltschädlichen EU-Maßnahmen sind – der Sache nach – Unionshandlungen mit und ohne Gesetzescharakter, die i. d. R. Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und daher eher unter den – im Verhältnis zu ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 2 EGV – unveränderten Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV fallen. Nur eine geringe Zahl unionaler untergesetzlicher, umweltbezogener Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, gehören zu dem dargestellten Inhalt des neu eingeführten Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV. Während im deutschen Recht die Hauptursache der eingeschränkten Klagebefugnis von Drittklägern im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes vornehmlich die Unwilligkeit des Gesetzgebers ist, der etwa die Einführung einer weitreichenden Klagebefugnis von Umweltverbänden zu vermeiden tendiert, rühren die Widerstände auf der Ebene des EU-Rechts in ähnlicher Weise von der Unwilligkeit des unionalen Vertragsgebers sowie des sterilen Festhaltens der europäischen Judikatur an der Plaumann-Formel her. Diese Schwierigkeiten beruhen nämlich auf der Tatsache, dass tradierte Rechtsgrundsätze des Zugangs zu den Gerichten beider Rechtsordnungen – im Bereich des deutschen Rechts die Schutznormtheorie, im Bereich des europäischen Rechts die Plaumann-Formel – nicht auf die besonderen Funktionsbedingungen des Umweltschutzrechts, das der Sache nach den Schutz vor allem überindividueller umweltbezogener Interessen und Rechte bezweckt, deren Verletzung allerdings auch den Einzelnen betreffen können, Rücksicht nehmen konnten. Charakteristisch dafür ist, dass der Entstehungszusammenhang beider tradierten Grundsätze außerhalb des Umweltrechts liegt. Denn ursprünglich ist das beharrliche Festhalten des unionalen Gesetzgebers und des EuGH an der PlaumannFormel sowie das beharrliche Festhalten des deutschen Gesetzgebers und Richters an der Schutznormtheorie grundsätzlich den historischen Divergenzen ihrer rechtspolitischen Entwicklung geschuldet, die im Wesentlichen zu einer Abwehr prinzipaler Normenkontrollen vor allem bei Rechtsakten allgemeiner Geltung oder entsprechend bei objektiven Rechten bezweckte, ohne aber den Rechtsschutzdefiziten im Bereich des überindividuellen Umweltschutzes hinreichend
scheidungsverfahren, 2009, S. 247; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, § 13 III; C. Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 154; A. Thiele, EuR 2010, S. 44; A. Hatje/ A. Kindt, NJW 2008, S. 1767; W. Cremer, DÖV 2010, S. 58; ders., in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Art. 263, Rn. 68; M. Schröder, DÖV 2009, S. 64; C. Herrmann, NVwZ 2011, S. 1352 ff.; A. Limante, EGPA-Conference, 07.–10. Sept. 2011, W. P., S. 16 ff.; M. Eliantonio/N. Stratieva, Maastricht Faculty of Law, W. P. 2009/13, S. 1 ff.; jeweils m.w. N.
1028 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Rechnung zu tragen.133 Im Gegensatz dazu beruht die ausgedehnte Klagebefugnis von Drittklägern im Rahmen der Aufhebungantragsklage der griechischen Rechtsordnung auf der Konzeption der objektiven Rechtskontrolle, für die sich das griechische Rechtsschutzsystem entschieden hat, sowie auf dem Grundrecht auf Umweltschutz gem. Art. 24 gr. V. Die Erweiterung der Zuläsigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses in Umweltangelegenheiten durch die griechische Rechtsprechung des Staatsrates wird damit begünstigt. Der bereits skizzierte defizitäre Zustand im Bereich des unionalen primärrechtlichen Umweltrechtsschutzes verschlechtert sich, wenn man dazu berücksichtigt, dass bisher die EU-Foren, die umweltbezogene Vorgaben erarbeiten, sowohl für einzelne Individuen als auch für Umweltvereinigungen bestenfalls nur eingeschränkt oder kaum zugänglich sind.134 Außerdem ist anzunehmen, dass die EU den größten Teil des Umweltrechts vorgibt, ohne zugleich über eigene Vollzugsbehörden zu verfügen. Die bereits beschriebene Zurückhaltung im Bereich des unionalen Rechtsschutzes ist dabei umso bemerkenswerter, zumal die sog. „Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts“135 angeblich ein Modell herausbildet, welches der EuGH seinerseits gegenüber den Mitgliedstaaten für die effektive Durchsetzung des Unionsrechts einsetzt.136 Die AK hat ebendieses Modell in Gestalt der altruistischen mitgliedstaatlichen Verbandsklage adaptiert, um den weiten Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu fördern.137 Gerade diese Zielsetzung der AK findet in der Praxis keinen wesentlichen Stützpunkt in der unionalen primärrechtlichen Gesetzgebung bezüglich des Rechtsschutzes von Privaten sowie in der relevanten Rechtsprechung des EuGH.138 Obwohl die Bürger und Verbände als Vollzugshelfer per Partizipation und Drittklage zentrale Akteure auch des unionalen Umweltrechtsschutzes sein sollten,139 läuft diese Forderung in der Praxis leer und ist 133
In diese Richtung M. Breuer, DV 2012, S. 204. Vgl. A. Wesselink/J. Paavola/O. Fritsch/O. Renn, Environment and Planning 2011, S. 2688 ff., m.w. N. 135 Vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997; B. Gebers/R. Jülich/P. Küppers/G. Roller, Bürgerrechte im Umweltschutz, 1996; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 223 ff.; M. Zschiesche, ELNI Review 2002, S. 21 ff.; zur Rolle des EuGH hinsichtlich des Umweltschutzes s. u. a. T. Katsoufros/K. Popotas, NkF 1994, S. 27 ff.; W. Christianos, NkF 1995, S. 27 ff. 136 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3 ff., 26 (Van Gend en Loos/ Administratie der Belastingen), NJW 1963, S. 974 ff.; M. Breuer, DV 2012, S. 204; G. Oestreich, DV 2006, S. 45. 137 Vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 24 ff.; S. Pernice-Warnke, EuR 2008, S. 410 ff. 138 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 204; T. v. Danwitz, UTR 2007, S. 31 ff.; T. Crossen/ V. Niessen, RECIEL 2007, S. 336 ff. 139 Vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997; B. Gebers/R. Jülich/P. Küppers/G. Roller, Bürgerrechte im Umweltschutz, 1996; F. Ekardt, ThürVBl 2001, S. 223 ff.; M. Zschiesche, ELNI Review 2002, S. 21 ff.; zur 134
B. Auswirkungen
1029
von der Realität weit entfernt. Die geltende Rechtslage auf dem Gebiet des Umweltrechtsschutzes widerspricht auch der relativ großzügigen Tendenz – im Verhältnis zu dem deutschen von der Schutznormtheorie beeinflussten Individualrechtsschutzsystem – des unionalen Rechtsschutzsystems, betroffene Personen als Klageberechtigte ohne restriktive Voraussetzungen zu individualisieren. Denn, wie bereits betont wurde, im Unterschied zu der Forderung der Schutznormtheorie, dass die Schutznorm gerade dem Kläger eine einklagbare Rechtsposition einräumen will, ist laut europäischem Recht in den Schutzbereich einer Norm ein Rechtssubjekt vielmehr schon dann einbezogen, wenn er selbst in dem von der Norm geschützten Interesse tatsächlich betroffen ist.140 Unabhängig davon darf nicht unterschätzt werden, dass die Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV teilweise zu einer Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter auf diesem Rechtsgebiet führt. So könnte beispielsweise gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nur ein untergesetzlicher umweltbezogener „Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht“ (z. B. eine Verordnung, die die zulässige Maschengröße von Fischfangnetzen entsprechend des Falles „Jégo-Quéré“141 bestimmt) von einem nicht privilegierten Privaten angefochten werden. Denn in einem solchen Fall genügt für die Feststellung der Zulässigkeit der Klagebefugnis eines Privaten schon die Erfüllung des Erfordernisses der unmittelbaren Betroffenheit. Wäre aber eine gleichartige umweltbezogene Maßnahme in einer legislativen Handlung (also eine Handlung mit Gesetzescharakter) beeinhaltet, muss ein Privater unmittelbar und individuell betroffen sein, um seine Klage zulässig zu machen.142 In diesem Rahmen ist es positiv zu bewerten, dass nach diesem Maßstab die damals vom EuGH wegen Unzulässigkeit abgelehnte Nichtigkeitsklage im Fall „Jégo-Quéré“143 (oder in entsprechenden Fällen) nunmehr im Ergebnis zulässig gewesen wäre.144 Hauptgrund dafür wäre, dass in diesem Fall ein umstrittener Rolle des EuGH hinsichtlich des Umweltschutzes s. u. a. T. Katsoufros/K. Popotas, NkF 1994, S. 27 ff.; W. Christianos, NkF 1995, S. 27 ff. 140 Vgl. S. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, S. 390; V. Götz, DVBl 2002, S. 4 ff.; S. Lenz/S. Staeglich, NVwZ 2004, S. 1427. Ausführlich dazu s. o. 3. Teil, 2. Kap., B., III. 141 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/ Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff.; Anm. dazu C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 342 ff.; M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff.; EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/ 02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff.; krit. dazu J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 233 ff. 142 Vgl. R. Barents, CML Rev. 2010, S. 724 ff., m.w. N. 143 EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Jégo-Quéré et Cie/ Kommission), NJW 2004, S. 2006 ff. 144 Vgl. J. Kokott/I. Dervisopoulos/T. Henze, EuGRZ 2008, S. 15. In diese Richtung auch E. Pache, Art. 263 AEUV, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), EUHandkomm., 2012, Rn. 44; R. Barents, CML Rev. 2010, S. 724 ff.; C. Herman, JEEPL 2010, S. 404 ff.
1030 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Beschluss der Kommission und damit kein Gesetzgebungsakt, sondern ein untergesetzlicher Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, vorläge.145 Allerdings kann das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dann zu Schwierigkeiten bezüglich des Rechtsschutzes führen, wenn z. B. in der unionalen Fischereipolitik [(etwa bei Verordnungen die zulässigen Gesamtfangmengen pro Mitgliedstaat (total allowable catches, TAC)] durch eine Verordnung festgelegt sind,146 die dann für die Aufteilung auf die einzelnen Fischer der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfen.147 Gleiches gilt auch bei verschiedenen weiteren bedeutsamen umweltrelevanten Bestimmungen von Durchführungsverordnungen oder -beschlüssen über die Zulassung des Inverkehrbringens von GVOs,148 über die Genehmigung von chemischen Wirkstoffen,149 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen,150 über die Verlängerung der Frist für die Erreichung von umweltbezogenen festgesetzten Grenzwerten151 sowie über Richtlinienvorschriften, die unter anderem die 145
W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Komm., 2011, Rn. 70. Derzeit gültige Verordnung (EU) Nr. 57/2011 des Rates vom 18.01.2011 zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in den EU-Gewässern sowie für EU-Schiffe in bestimmten Nicht-EU-Gewässern (2011), ABl. EU Nr. L 24/1. 147 Vgl. etwa Art. 7 EG-VO, Nr. 2371/02 des Rates vom 20. Dezember 2002 über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik; vgl. EuG, Beschl. v. 02.06.2008, Rs. T-91/07, Slg. 2008, II-0008, Rn. 42 ff. (WWF-UK Ltd/Rat). 148 Z. B. Beschluss der Kommission 2010/135 vom 2. März 2010 über das Inverkehrbringen eines genetisch veränderten Kartoffelerzeugnisses (Solanum tuberosum L. Linie EH92-527-1) mit erhöhtem Amylopectingehalt in der Stärke gemäß der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie des Beschlusses der Kommission 2010/136 vom 2. März 2010 über die Zulassung des Inverkehrbringens von Futtermitteln, die aus der genetisch veränderten Kartoffelsorte EH92-527-1 (BPS25271-9) gewonnen werden, und des zufälligen oder technisch nicht zu vermeidenden Vorhandenseins dieser Kartoffelsorte in Lebensmitteln und Futtermitteln gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates. 149 Z. B. Bestimmungen der EG-VO Nr. 1143/2007 zur Genehmigung des (hinsichtlich des Umweltschutzes umstrittenen) Wirkstoffs Prochloraz; Bestimmungen der EUVO Nr. 359/2012 zur Genehmigung des (auch umstrittenen) Wirkstoffs Metam; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 der Kommission vom 24. Mai 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid sowie des Verbots der Anwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit diese Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde. 150 Z. B. Verordnungsvorschriften (etwa der EG-VO Nr. 149/2008), die Rückstandshöchstgehalte für die Erzeugnisse festlegen, die in Anhang I der EG-VO Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.02.2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs aufgeführt sind, und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates. 151 Z. B. Entscheidung C (2009)2560 über eine Fristverlängerung nach Art. 22 der RL 2008/50/EG. 146
B. Auswirkungen
1031
Verwendung weiterer umstrittener Pestizide zum Schutz von Landwirtschaftsprodukten erlauben152. Solche Maßnahmen ziehen grundsätzlich Durchführungsmaßnahmen nach sich und daher unterliegen sie nicht der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV. Bei solchen Konstellationen fällt es offensichtlich schwer, angesichts der Tatsache, dass solche Rechtsakte i. d. R. Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, vom Vorliegen unmittelbarer Betroffenheit auszugehen153. Deutlich wird damit, dass unter den gewandelten Umständen des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV eine umweltschützende Verbandsklage vor den Unionsgerichten keineswegs ohne weiteres zulässig sein wird.154 Die vorstehenden Befunde skizzieren, auf welche Schwierigkeiten die Begründung einer Klagebefugnis von Drittklägern, die sich für den Umweltschutz einsetzen, auf innerstaatlicher sowie auf unionsrechtlicher Ebene gestoßen sind. Unglücklicherweise ist bisher eine spezifische individuelle Betroffenheit bei Umweltangelegenheiten den Individuen (natürlichen oder juristischen Personen), die sich für den Umweltschutz einsetzen, im Rahmen des neuen Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV nicht gegeben. Obwohl das Vollzugsdefizit des europäischen Umweltrechts schon seit Jahren von mehreren Autoren betont worden ist,155 hat die EU bislang keinen speziellen Gesetzestext zur Einführung einer Klage für die Durchsetzung der Interessen der Allgemeinheit im Bereich des Umweltschutzes auf unionsrechtlicher Ebene verabschiedet.156
152 Z. B. Richtlinie 2008/116/EG der Kommission vom 15. Dezember 2008 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Aclonifen, Imidacloprid und Metazachlor, ABl. L 337 vom 16.12.2008, S. 86–91. 153 Vgl. M. Breuer, DV 2012, S. 201; C. Herman, JEEPL 2010, S. 405 ff. 154 M. Breuer, DV 2012, S. 200 ff. 155 Gerade im Bereich des europäischen Umweltrechts sind Vollzugsdefizite in maßgeblichem Umfang festzustellen, wie schon die Jahresberichte der Kommission über die Durchführung und Durchsetzung des Umweltrechts auf europäischer Ebene sowie verschiedene Autoren eindrücklich belegen. Vgl. EG-Kommission, Jahresbericht über die Durchführung und Durchsetzung des Umweltrechts in der Gemeinschaft, SEK (2002), 1041, v. 1.10.2002; s. ferner Jahresberichte SEK (2003) 804 v. 7.7.2003 sowie SEK (2004) 1025 v. 27.7.2004, SEK (2005) 1055 v. 17.8.2005 und schließlich SEK (2006) 1143 v. 8.9.2006; H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 370; A. v. Winterfeld, NJW 1988, S. 1409; T. v. Danwitz, NJW 1993, S. 1112; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 58 ff.; G. Schohe/C. Arhold, EWS 2002, S. 320 ff.; M. Köngeter, NJW 2002, S. 2216 ff.; B. Wegener, ZUR 1998, S. 131 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; H. H. Jans/ A.-K. von der Heide, ZUR 2003, S. 390 ff.; dies., Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 248 ff.; A. Ward, YEEL 2000, S. 149 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 248 ff.; R. v. d. Hout, Individualklagen gegen Richtlinien, 2003, S. 30 ff.; C. Gröpl, EuGRZ 1995, S. 589; J. Sedemund/K. Heinemann, DB 1995, S. 1162; J. Schwarze, DVBl 2002, S. 1300 ff.; J. M. Cortés Martín, MJ 2004, S. 234 ff.; jeweils m.w. N. 156 Vgl. L. Krämer, EC Environmental Law, 2007, S. 423 ff., S. 442 ff., m.w. N.; C. Pirotte, Aménagement-Environnement, 2010, S. 13 ff.
1032 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Es scheint, dass die EU der Problematik des Umweltrechtsschutzes mangelhaft begegnet. Denn es fehlt letztlich an einem gesetzlichen Rechtsinstrument, das eindeutig, einheitlich und effektiv die Schließung der dargestellten Rechtsschutzlücke im europäischen Umweltschutzbereich bewirkt.157 Obwohl der EuGH seine Auslegungskompetenz zu Art. 9 AK im schon dargestellten Braunbären-Urteil des EuGH bereits bejaht hat,158 folgt aus der bisherigen Rechtspraxis auf der Ebene des EU-Primärrechts, dass die Forderung dieser Norm bezüglich eines besseren Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für die betroffene Öffentlichkeit nicht zu den höchsten Prioritäten der Union gehört. Aus der Auffassung des Braunbären-Urteils des EuGH, dass mangels unmittelbarer Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK die nationalen Gerichte verpflichtet sind, „das Verfahrensrecht, so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen“,159
könnte wohl der Schluss gezogen werden, dass die erforderlichen Zulässigkeitskriterien der unionalen Klagebefugnis (gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV) von den EU-Organen (einschließlich des EuGH) auf eine entsprechende umweltrechtsschutzfreundliche Weise ausgelegt werden könnten, dass sie so weit wie möglich im Einklang mit den festgelegten Zielen und Verpflichtungen der AK (wie dem Ziel des weiten und effektiven Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gem. Art. 9 Abs. 3 AK) stehen. Dieses Argument stünde auch in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Charta der Grundrechte der EU. Denn, wie schon präsentiert wurde, wird gem. Art. 47 EU-GRCh in Zusammenhang mit Art. 35 und 37 EU-GRCh ein Recht auf effektive gerichtliche Überprüfung sowie ein Recht auf ein hohes Gesundheits- und Umweltschutzniveau auf primärrechtlicher unionaler Ebene gewährleistet.160 Es mutet befremdlich an, wenn zwar wirtschaftliche Interessen wegen ihres Individualbezugs ohne weiteres aufgrund einer relativ lockeren Interpretation der 157
Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 308. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. s. o. 1. Teil, 4. Kap., B. ff. 159 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-02483, Rn. 54 (Impact/Minister for Agriculture and Food u. a.), NZA 2008, S. 581 ff.; EuGH, Urt. v. 13.03.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-02271, Rn. 44 (Unibet [London] Ltd. u. a./Justitiekansler), EuZW 2007, S. 247 ff. Mehr zu Auslegungsgrenzen der AK in Bezug auf das EU-Recht s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., V. 160 Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 302; mehr dazu s. o. 3. Teil, 1. Kap., A., II. sowie 3. Teil, 2. Kap. B., I. 158
C. Lösungsansätze
1033
individuellen Betroffenheit im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV einklagbar sind,161 die gerichtliche Durchsetzbarkeit des Umweltrechts unter Verweis auf den Allgemeinbezug jedoch generell verneint wird. Letztlich dient das Umweltrecht jedem Einzelnen, indem es ihm ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt ermöglicht. Um einem völligen Ungleichgewicht dieser beiden Interessen entgegenzuwirken, ist es somit naheliegend, den Rechtsschutz im Umweltbereich anders zu konzipieren. Wenn in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ein Trend hin zur Öffnung des Rechtsschutzes zur Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen zu beobachten ist,162 ist nicht recht einzusehen, warum sich daraus nicht, ähnlich wie es bei den Grundrechten der Fall ist, gewisse Rückkoppelungseffekte für das EU-Recht ergeben können.163
C. Lösungsansätze Im Hinblick auf die oben skizzierte Problematik des unionalen primärrechtlichen Umweltrechtsschutzes erscheinen m. E. nachfolgende Lösungsansätze empfehlenswert.
I. Modifizierung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV Eine klare Lösung wäre die Modifizierung des problematischen Wortlauts und Inhalts des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV. Zuständig und im weiteren Sinne verantwortlich für eine solche Änderung sind in Wirklichkeit die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge.164 Der unionale Gesetzgeber könnte diese Bestimmung dahingehend modifizieren, dass auch Rechtsakte mit Gesetzescharakter, die die klagenden Personen unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, durch die Einreichung einer Nichtigkeitsklage auf unionaler 161 Vgl. beispielsweise: EuGH, Urt. v. 18.05.1994, Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853 (Codorniu SA/Rat); EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/89, Slg. 1991, I-2501 (Extramet Industrie/Rat); EuGH, Urt. v. 25.10.1977, Rs. C-26/76, Slg. 1977, 1875 (Metro SBGroßmärkte/Kommission); EuGH, Urt. v. 27.02.2014 – C 132/12, Rn. 65 ff., curia. europa.eu (Stichting-Woonpunt u. a./Kommission). In diesem Fall hat der EuGH entschieden, dass, wenn durch Änderungen einer staatlichen Beihilferegelung in den Niederlanden die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeiten von Wohnungsbaugesellschaften verschlechtert werden und die Nichtigerklärung eines Beschlusses, soweit er diese Beihilferegelung betrifft, dazu führte, dass die früheren und für die Wohnungsbaugesellschaften vorteilhafteren Bedingungen fortgälten, diese Unternehmen ein rechtlich begründetes Interesse an der Nichtigerklärung des Änderungsbeschlusses haben. Dabei sind die Rechtsmittelführerinnen dadurch unmittelbar und individuell betroffen. Eine aus diesem Grund erhobene Nichtigkeitsklage kann daher jedenfalls nicht für unzulässig erklärt werden. Entsprechendes würde aber aufgrund der bisher herrschenden europäischen Rspr. nicht im Bereich des Umweltschutzes gelten. 162 J. Ebbesson, Access to Justice in Environmental Matters, 2002, S. 4 ff., m.w. N. 163 A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86, m.w. N. an: H. Kirchhoff, Individualrechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 126, S. 141. 164 Vgl. indizierend: A. Thiele, LTO, 04.10.2013.
1034 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Ebene gerichtlich kontrolliert werden könnten.165 Dadurch wären sämtliche Verordnungen und außerdem unmittelbar anwendbare Richtlinien auf unionaler Ebene gerichtlich anfechtbar.166 Die Aussichten für eine solche Vertragsänderung stehen allerdings im aktuellen Zeitpunkt schlecht. Denn es scheint momentan – auch unter dem Einfluss der Finanzkrise –, dass andere Themen auf der europäischen Agenda stehen.167
II. Erweiterte Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV Was die Problematik des aktuellen Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV insbesondere hinsichtlich der engen Interpretation des Zulässigkeitskriteriums der individuellen Betroffenheit in Umweltangelegenheiten anbelangt, sollte eine erweiterte Auslegung von der unionalen Rechtsprechung etabliert werden. Eine solche Auslegung sollte in erster Linie auf eine umweltfreundliche und mit den Zielsetzungen des gemischten Übereinkommens von Aarhus vereinbare Modifizierung der bisher herrschenden Plaumann-Formel abzielen. Der europäische Richter sollte eine Nichtigkeitsklage gegen möglicherweise umweltschädliche Unionshandlungen nicht ohne weiteres allein aus dem Grund abweisen, dass die mögliche Beeinträchtigung der Umwelt durch die angegriffene Unionshandlung ihrer Natur nach Gruppen von Personen allgemein, objektiv und abstrakt betrifft. In dieser Hinsicht wäre es empfehlenswert, dass die europäische Rechtsprechung eine angemessene Lockerung der bisher restriktiven Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit vornimmt.168 Eine dahingehende Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit zur Überwindung der aktuell herrschenden Plaumann-Formel zur dargestellten Problematik könnte grundsätzlich von den Schlussanträgen des Generalanwalts Jacobs169 zum Fall „Unión de Pequeños Agricultores“170 und des Generalanwalts 165 Diese wäre in Übereinstimmung mit der oben skizzierten Auffassung der weiten Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV etwa von: U. Everling, EuZW 2010, S. 575; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 549; S. Balthasar, E.L.Rev. 2010, S. 544 ff. 166 Vgl. U. Everling, EuZW 2010, S. 575; S. Pötters/C. Werkmeister/J. Traut, EuR 2012, S. 549; S. Balthasar, E.L.Rev. 2010, S. 544 ff. 167 A. Thiele, LTO, 04.10.2013. 168 In diese Richtung GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/ 95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 104. 169 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. Ausführlich dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., IV. 1. 170 EuG, Urt. v. 23.11.1999, Rs. T-173/98, Slg. 1999, II-3357 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Unión de Pequeños Agricultores/Rat); vgl. Anm. dazu C. Calliess, ZUR 2002, S. 402; C. Fed-
C. Lösungsansätze
1035
Cosmas171 zum Fall „Stichting-Greenpeace“ 172 sowie von der Argumentation des Urteils des EuG im Fall „Jégo-Quéré“173 inspiriert werden. Zu diesem Zweck könnte die unionale Rechtsprechung beispielsweise die Feststellung des Generalanwalts Jacobs zum Fall „Unión de Pequeños Agricultores“, dass ein Kläger von einer unionalen Handlung individuell betroffen ist, wenn die jeweils umstrittene Unionshandlung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder haben kann.174 Im Anschluss daran könnte auch die Argumentation des EuG im Fall „Jégo-Quéré“ Abhilfe leisten, die die Position des Generalanwalts Jacobs weiter erklärt und fortsetzt. Es ist daran zu erinnern, dass das EuG in diesem Fall festgestellt hat, dass, wer von einer europarechtlichen Handlung, die ihn unmittelbar betrifft, in seiner Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt wird, weil sie seine Rechte einschränkt oder ihm Pflichten auferlegt, als individuell betroffen anzusehen sein kann. Auf diese Weise könnte ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz des Einzelnen auf europarechlicher Ebene gewährleistet werden.175 Denn letzlich gibt es kein zwingendes Argument für die These, dass das Zulässigkeitskriterium der individuell betroffenen Person im Rahmen der europäischen Nichtigkeitsklage verlangt, dass ein Einzelner, der eine Maßnahme allgemeiner Geltung anfechten möchte, in ähnlicher Weise individualisiert ist wie ein Adressat.176 Vielmehr soll angenommen werden, dass das Primärrecht bis zu einem gewissen Maße entwicklungsoffen angelegt ist.177 Grenzen für den europäischen Gesetzgeber ergeben sich jedoch daraus, dass er die einschränkenden Voraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) nicht generell aushebeln und die Unterscheidung zwischen privilegierten und nicht privilegierten Klägern nicht aufheben darf.178 dersen, EuZW 2002, S. 532 ff.; V. Götz, DVBl 2002, S. 1350 ff.; F. de Lange, RECIEL 2003, S. 115 ff.; J.-D. Braun/M. Kettner, DÖV 2003, S. 64 ff.; G. Schohe, EWS 2002, S. 424 ff.; U. Wölker, DÖV 2003, S. 574 ff. 171 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651. 172 Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (StichtingGreenpeace Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04. 1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (Stichting-Greenpeace Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., I. 173 EuG, Urt.v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365 (Jégo-Quéré et Cie SA/ Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. Mehr dazu s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., III. 174 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677, Rn. 103 ff. (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 175 EuG, Urt.v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 45 ff. (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 176 EuG, Urt.v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 48 (Jégo-Quéré et Cie/Kommission), EuZW 2002, S. 412 ff. 177 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86. 178 Ebd.
1036 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Im Hinblick darauf sind auch die Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas zum Fall „Stichting-Greenpeace“ für eine de lege ferenda modern erweiterte Auslegung der individuellen Betroffenheit maßgeblich. Danach sollte die unionale Rechtsprechung der Tatsache Rechnung tragen, dass eine Handlung, die sich auf die Umwelt auswirkt, nicht selten große Gruppen von Bürgern allgemein und abstrakt beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann. Gleichwohl können eine oder mehrere der betroffenen Personen, die eine „geschlossene Gruppe“ bilden, besonders betroffen sein und sich damit von jeder anderen Person unterscheiden, d.h. im Sinne der sog. Plaumann-Formel aus dem Kreis aller anderen herausgehoben sein. Denn ein Eingriff in die Umwelt findet i. d. R. in einem bestimmten geografischen Gebiet statt. Vor diesem Hintergrund wird i. d. R. die Stärke bzw der Schweregrad der Beeinträchtigung geringer, je weiter man sich vom Gebiet des Eingriffs entfernt. Personen in der Nähe etwa der jeweils umstrittenen umweltschädlichen Bauarbeiten leiden darunter anders und intensiver als weiter entfernte Personen, da sie sich in einem größeren Radius des Epizentrums des Eingriffs in die Umwelt befinden. Es lässt sich daher feststellen, dass Personen in der Nähe des Epizentrums des umweltschädlichen Eingriffs eine besonders enge und erkennbare „Gruppe“ bilden können und sich in einer Situation befinden können, dass sie aus dem Kreis aller anderen Personen herausgehoben sein können.179 Dies liefe quasi in eine ähnliche Richtung wie die nationalen Ausweitungstendenzen des Umweltrechtsschutzes, etwa durch eine ausgedehnte Auslegung des Nachbarbegriffs.180 Es ist im Ergebnis dann Sache der europäischen Gerichte, auf der Grundlage solcher angemessenen Kriterien die Größe dieser Gruppe oder des geografischen Radius festzulegen, um die faktische Beeinträchtigung der schutzbedürftigen Rechtspositionen des Klägers festzustellen und daher seine individuelle Betroffenheit zu begründen. Demzufolge sollten Personen innerhalb dieser Gruppe als befugt gelten, eine Nichtigkeitsklage gegen eine umweltbezogene Entscheidung zu erheben.181 Diese Kriterien sollten allerdings nicht unbedingt nur geografischer Art sein. Obwohl in der Praxis die räumliche Nähe ein entscheidendes Kriterium zur Rechtfertigung der individuellen Betroffenheit ist, muss sie aber gegen die Natur der Auswirkungen abgewogen werden, die der Eingriff in die Umwelt hat oder höchstwahrscheinlich haben wird und zwar unter Berücksichtigung des Ausmaßes, d.h. der Schwere dieser Auswirkungen auf die Rechtsposition des jeweiligen
179 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 104. 180 s. o. 1. Teil, 1. Kap., G., II. (in Bezug auf das deutsche Recht); 2. Teil, 2. Kap., C., III., 1., a) (in Bezug auf das griechische Recht). 181 Ebd.
C. Lösungsansätze
1037
Klägers.182 Die Schwere der Auswirkung, die eine Maßnahme für eine Person hat oder haben kann, könnte somit zu einer Situation führen, die diese Person aus dem Kreis aller anderen heraushebt. Dies könnte gelten, wie schon das EuG im Fall „Jégo-Quéré“ indizierend festgestellt hat, weil die umstrittene europarechtliche umweltbezogene Maßnahme die Rechte des Klägers einschränkt oder ihm Pflichten auferlegt. Im Hinblick darauf sollte den Klägern, die vor Inkrafttreten der umstrittenen umweltschädlichen Handlung eines EU-Organs etwa eine Lebensqualität erreicht hatten, die durch die angegriffene Unionshandlung besonders stark beeinträchtigt wird oder beeinträchtigt werden kann, Rechtsschutz zuteil werden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung die Klagebefugnis nicht privilegierter Personen in Fällen bezüglich adressatenloser Unionshandlungen bejahte, in denen diese den Schutz wohlerworbener Rechte im Bereich des Wettbewerbs- bzw. Handelsrechts geltend machten.183 Die Schwere der möglichen Beeinträchtigung der Lebensqualität des Klägers oder jedes anderen mit der Umwelt zusammenhängenden Interesses sollte somit von besonderer Bedeutung für die Begründung der individuellen Betroffenheit des Klägers sein. Insofern könnte jedenfalls die Darlegung einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität des Klägers etwa durch umweltschädliche Unionshandlungen diesen zur Gruppe der Personen mit Klagebefugnis gehören lassen, wobei auf die Natur des Eingriffs in die Umwelt und die Lage des Klägers zu achten wäre.184 Die individuelle Beziehung des Klägers zu der angefochtenen Handlung muss weiterhin das entscheidende Kriterium für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage bleiben, so dass es sich um keine willkürliche Änderung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV durch die Rechtsprechung handele.
182 Die Schwere der Auswirkungen auf die Umwelt war beispielsweise eines der grundlegenden Kriterien, die bei der Ausgestaltung der Anhänge der sog. UVP-RL Nr. 85/337/EWG sowie bei der Unterscheidung von Arbeiten berücksichtigt wurden, bei denen eine UVP obligatorisch, und solchen, bei denen diese Prüfung nur fakultativ ist. Gerade deswegen können der Bau eines konventionellen Kraftwerks und der Bau eines Atomkraftwerks nicht gleich behandelt werden. GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I1651, Rn. 105, Fn. 119, 120. 183 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.05.1994, C-309/89, Slg. 1994, I-01853 (1886), EuZW 1994, S. 434 ff., Rn. 19 ff. (Codorniu SA/Rat); EuGH, Urt. v. 16.05.1991, Rs. C-358/ 89, Slg. 1991, I-2501, Rn. 13 ff. (Extramet Industrie/Rat); EuGH, Urt. v. 23.11.1971, Rs. 62/70, Slg. 1971, 897 (Bock/Kommission); EuGH, Urt. v. 17.01.1985, Rs. 11/82, Slg. 1985, S. 207 (Piraiki-Patraiki/Kommission); EuGH, Urt. v. 26.06.1990, Rs. C-152/ 88, Slg. 1990, I-2477 (Sofrimport). 184 In diese Richtung GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/ 95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651, Rn. 109.
1038 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
Nachteilig ist allerdings, dass die oben erwähnten Kriterien der Sache nach relativ unklar sind. Denn solche Kriterien sind i. d. R. von verschiedenen Faktoren abhängig, die nicht von vornherein konkret bestimmt werden können. Die Angemessenheit der Definition der geschlossenen Gruppe natürlicher Personen mit Klagebefugnis hängt letztlich von den Kriterien ab, die der europäische Richter durch die Rechtsprechung heranziehen wird. Durch eine erweiterte Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV wäre es im Ergebnis für den nicht privilegierten Kläger erforderlich, nur noch einen unmittelbaren Eingriff in seine Rechtsposition geltend zu machen und ausreichend darzulegen, um seine individuelle Betroffenheit einer Nichtigkeitsklage vor den europäischen Gerichten zu begründen.185 Die Zahl anderer Personen, deren Rechtsposition durch eine EU-Handlung ebenfalls beeinträchtigt wird oder werden könnte, sollte für die Begründung des Tatbestandsmerkmals der individuellen Betroffenheit kein maßgeblicher Gesichtspunkt sein.186 Eine solche Lösung könnte die Rechtsschutzhindernisse der schon analysierten Problematik der geltenden Plaumann-Formel grundsätzlich beseitigen. Dadurch könnten bisher problematische Fälle möglicher Rechtsverweigerung vermieden werden. Gleichzeitig wird der gerichtliche Rechtsschutz in verschiedener Hinsicht verbessert. Eine erweiterte, flexible Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit würde dem Kläger ein tatsächliches Recht auf Zugang zu einem Gericht gewähren. Zudem könnte der unter der gegenwärtigen Rechtsprechung bestehende Widerspruch, dass der Zugang zu einer effektiven gerichtlichen Überprüfung mit der steigenden Zahl von Betroffenen immer unwahrscheinlicher wird, beseitigt werden. Parallel dazu sollten die wegen der Plaumann-Formel-Rechtsprechung zunehmend kompliziert interpretierten Regeln zur Klagebefugnis von Drittklägern durch eine einfachere Prüfung ersetzt werden, durch die sich der Schwerpunkt der Rechtssachen vor den Unionsgerichten von formellen Zulässigkeitsfragen auf materielle Fragen verlagert. Eine solche Auslegung entspräche auch der allgemeinen Tendenz in der Rechtsprechung, die Reichweite des gerichtlichen Rechtsschutzes als Reaktion auf die Ausweitung der Befugnisse der unionalen Organe auszudehnen.187
185
Vgl. H.-P. Schneider, NJW 2002, S. 2927 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, S. 415 ff. EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 51 (Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission). Vgl. eine ausführliche Anm. dazu C. Calliess/M. Lais, ZUR 2002, S. 342 ff.; M. Kment, BayVBl 2002, S. 666 ff. 187 GA F. Jacobs, Schlussantr. in der Rs. C-50/0 P (Unión de Pequeños Agricultores), Rn. 102.4; s. dazu beispielsweise EuGH, Urt. v. 23.04.1986, Rs. C-294/83, Slg. 1986, S. 1339 (Les Verts/Parlament); EuGH, Urt. v. 22.05.1990, Rs. 70/88, Slg. 1990, I02041 (Parlament/Rat „Tschernobyl I“); EuGH, Urt. v. 31.03.1971, Rs. 22/70, Slg. 1971, 263 (Kommission/Rat, „AETR“). 186
C. Lösungsansätze
1039
Dies stünde nicht nur in Einklang mit der Zielsetzung der dritten Säule der AK, einen weiten Zugang zu Gerichten für die Öffentlichkeit zu gewährleisten, sondern vor allem mit den primärrechtlichen, bereits skizzierten umweltschützenden Grundsätzen der Art. 11 und Art. 191 ff. AEUV in Zusammenhang mit Art. 37 EU-GRCh, wonach die zuständigen EU-Organe (einschließlich der Unionsgerichte) verpflichtet sind, bei Erlass und Anwendung von Unionshandlungen und Rechtsakten der Erhaltung der Umwelt Rechnung zu tragen, so dass sie im Einklang mit dem Gebot für ein hohes Umweltschutzniveau und für eine Verbesserung der Umweltqualität im Rahmen des EU-Rechts stehen.188 Es soll nicht übersehen werden, dass diese gesetzlichen Grundlagen des Umweltschutzes im EU-Primärrecht sowohl für den Unionsgesetzgeber als auch für die unionale Rechtsprechung rechtsverbindlich sind.189 Die Befürchtung eines Teils der Theorie,190 dass eine erweiterte Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit zu einer Überlastung der unionalen Gericht führen könne, ist m. E. übertrieben. Vor allem die zweimonatige Klagefrist des Art. 263 Abs. 6 AEUV und das zusätzliche Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit reichen aus, um ein unüberwindbares Ansteigen der Zahl der Rechtssachen verhindern.191 Es gibt somit prozessuale Mittel, um einen moderaten Anstieg der Zahl der Rechtssachen zu bewältigen.192 Außerdem ist es nicht sachmäßig, die Befürchtung wachsender Arbeitslast der Unionsgerichte wegen eines weiten Individualrechtsschutzes durch weite Auslegung des Art. 263 Abs. 4 AEUV als Rechtfertigung für Zugangsbeschränkungen zu Unionsgerichten heranzuziehen. Dies gilt vor allem, wenn dadurch der Rechtsschutz der Betroffenen geschmälert wird.193 Der unionale Gesetzgeber kann wohl auch im Bereich des Sekundärrechts geeignete gesetzliche Maßnahmen einführen, um der beschriebenen Problematik des unionalen Umweltrechtsschutzes entgegenzuwirken. Dies hat er bisher teilweise durch den Erlass der EG-Verordnung Nr. 1367/2006 getan, deren Inhalt und Funktion im folgenden Kapitel erörtert werden soll.
188 Ausführlich zu dem Inhalt und der Funktion der Art. 11 AEUV, Art. 191 ff. AEUV und Art. 37 EU-GRCh s. o. 3. Teil, 1. Kap., A., II.–IV. 189 Ausführlich zu dem Inhalt und der Funktion der Art. 11 AEUV, Art. 191 ff. AEUV und Art. 37 EU-GRCh s. o. 3. Teil, 1. Kap., A., II.–IV. 190 Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 302. 191 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/0 P (Unión de Pequeños Agricultores), Rn. 102.5. 192 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/0 P (Unión de Pequeños Agricultores), Rn. 102.5. In diese Richtung auch die Studie von N. de Sadeleer/G. Roller/M. Dross, Access to Justice in Environmental Matters, ENV.A.3/ETU/2002/0030, Final Report, 2003, S. 198 ff. 193 Vgl. M. Dauses, EuZW 2014, S. 122.
1040 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
III. Zur Perspektive der Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene Neben den oben vorgeschlagenen Lösungsansätzen wäre es empfehlenswert, die Perspektive der Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene zu diskutieren. Die Etablierung eines solchen Rechts könnte die Einklagbarkeit von Umweltnormen aktivieren, die bisher nicht von Privaten eingeklagt werden könnten. Denn, wie schon betont wurde, besteht auf unionaler Ebene immer noch kein Grundrecht auf Umweltschutz.194 Die primärrechtlichen unionalen Umweltschutzgrundsatznormen (wie Art. 37 EUGRCh, Art. 11 AEUV, Art. 191 ff. AEUV, Art. 3 Abs. 3 EUV) gewährleisten den individuellen Klägern keinen Rechtsschutz im Bereich des unionalen Umweltrechts. Sie begründen kein autonomes individuelles Recht auf Umweltschutz sowie keine direkten Ansprüche auf den Erlass positiver Maßnahmen durch die Organe der Union oder die Behörden der Mitgliedstaaten. Beeinträchtigungen von Umweltrechtsgütern auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene können daher i. d. R. nicht von Privatklägern eingeklagt werden, soweit sie nicht durch die Verletzung ihrer eigenen Rechte (etwa Eigentum oder Gesundheit) einbezogen sind.195 Es sieht so aus, dass sowohl auf europarechtlicher als auch auf völkerrechtlicher Ebene die Bedingungen bislang nicht gegeben sind, um ein Grundrecht auf Umweltschutz als Menschenrecht einzuführen.196 Es herrscht bislang eine individualistische Perspektive der Menschenrechte, die überwiegend von internationalen Gerichten und Aufsichtsgremien konzipiert und adoptiert wurde.197 Danach wird der Bereich der Menschenrechte grundsätzlich als eine abgeschlossene Disziplin betrachtet, die im formellen Rahmen der völkerrechtlichen Standards 194 Vgl. T. Hayward, Constitutional Environmental Rights, 2014, S. 27 ff., S. 54 ff., m.w. N. 195 EuGH, Urt. v. 13.02.2014 – Rs. C-530/11, Rn. 70 (Kommission/Vereinigtes Königsreich), curia.europa.eu.europa.eu; EuGH, Urt. v. 21.12.2011, Rs. C-28/09, Slg. 2011, I-13525 (Kommission/Österreich); EuGH, Urt. v. 04.06.2009, Rs. C-142/05, Slg. 2009 I-04273, Rn. 33 (Mickelsson and Roos), EuZW 2009, S. 617 ff.; EuGH, C-142/ 05, Slg. 2009, I-04273, Rn. 33 (Mickelsson and Roos); S. Bogojevic´, SSRN 2014, S. 11 ff., m.w. N. 196 C. Calliess, Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 9 ff. 197 Vgl. z. B. EGMR, Urt. v. 09.12.1994 – 16798/90 (López-Ostra/Spanien); EGMR, Urt. v. 30.11.2004 – 48939/99 (Öneryildiz/Turkey); EGMR, Urt. v. 19.02.1998 – 116/ 1996/735/932 (Guerra/Italien); EGMR, Urt. v. 10.11.2004 – 46117/99 (Taskin/Türkei); EGMR, Urt. v. 09.06. 2005 – 55723/00 (Fedayeva/Russland); EGMR, Urt. v. 08.07. 2003 – 36022/97 (Hatton/United Kingdom); EGMR, Urt. v. 02.12.2010 – 12853/03 (Athanasov/Bulgarien); EGMR, Urt. v. 10.02.2011 – 30499/03 (Dubetska/Ukraine); EGMR, Urt. v. 21.07.2011 – Nr. 38182/03 (Grimkovskaya/Ukraine); EGMR, Urt. v. 22.05.2003 – Nr. 41666/98 (Kyrtatos/Griechenland); s. dazu u. a. L. Loucaides, British Yearbook of International Law 2004, S. 249 ff.; A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 502 ff.; jeweils m.w. N.
C. Lösungsansätze
1041
Rechte des Einzelnen begründet und gewährleistet. Eine Erweiterung des Rechtsschutzes der Menschenrechte über die bislang herrschende individuelle Dimension hinaus könnte zu einer uneingeschränkten „actio popularis“ führen. Dadurch aber könnten die Menschenrechte bedroht werden. Denn eine solche Stärkung der Kollektivität sowie der kollektiven Kläger könnte die Individuen der Tyrannei der jeweiligen Kollektivität unangemessen unterstellen.198 Andererseits könnte ein unionales Grundrecht auf Umweltschutz dazu beitragen, das Umweltschutzniveau in der gesamten Union zu erhöhen, ohne unbedingt eine Popularklage einzuführen. Die Schwierigkeiten hinsichtlich einer allgemein akzeptablen Definition der idealen Umwelt als Menschenrecht könnten dadurch entschärft werden, dass die jeweils zuständigen Aufsichtsinstitutionen zur Einhaltung der Menschenrechte sowie die Gerichte eigene Auslegungen zur genaueren Bestimmung dieses Begriffs entwickeln, genauso wie sie es für verschiedene andere Menschenrechte getan haben.199 Eine menschenrechtliche Perspektive des Umweltschutzes würde den Umweltbelangen größeres Gewicht in ihrer Konkurrenz mit anderen Grundrechten gewähren.200 Sie könnte wohl zur Steigerung der Umweltstandards und schließlich zu einer optimalen Versöhnung kollidierender menschlicher und umweltrelevanter Interessen führen. Dabei würde sie die Demokratisierung und die Transparenz der nationalen Entscheidungsprozesse verstärken.201 Die Einführung eines Umweltgrundrechts auf unionaler Ebene würde den Inhalt des öffentlichen Interesses im Kontext eines erweiterten Umweltschutzes sowie einer geförderten nachhaltigen Entwicklung verstärken.202 Statt in Art. 11 und Art. 191 AEUV enthaltene Vorgaben in Art. 37 EU-GRCh zu wiederholen, hätte es somit nahegelegen, ein europäisches Grundrecht auf Umweltschutz einzuführen.203 Ein solches Grundrecht könnte etwa in der gem. Art. 6 Abs. 1 EUV mittlerweile rechtsverbindlichen EU-GRCh, die rechtlich gleichrangig mit den uniona198 Vgl. C. Gearty, Journal of Human Rights and the Environment 2010, S. 7 ff.; F. Francioni, EJIL 2010, S. 54 ff.; jeweils m.w. N.; dagegen: M. Kotulla, KJ 2000, S. 22 ff.; S. Bogojevic´, SSRN 2014, S. 5 ff.; R. Schmidt-Radefeld, Ökologische Menschenrechte, 2000; C. Calliess, EELR 1997, S. 113 ff.; ders., Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 9 ff.; S. Hobe, ZUR 1994, S. 15; A. Boyle, EJIL 2012, S. 613 ff.; jeweils m.w. N. 199 Vgl. A. Kiss/D. Shelton, International Environmental Law, 2000, S. 174 ff. 200 Vgl. A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 507 ff. 201 Ebd., S. 510. 202 Vgl. L. Krämer, EU Environmental Law, 2011, S. 349 ff.; S. Bogojevic ´ , SSRN 2014, S. 6 ff.; s. auch R. Schmidt-Radefeld, Ökologische Menschenrechte, 2000; C. Calliess, EELR 1997, S. 113 ff.; ders., Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGVKomm., 2011, Rn. 9 ff.; S. Hobe, ZUR 1994, S. 15; A. Boyle, EJIL 2012, S. 613 ff.; jeweils m.w. N. 203 Vgl. C. Calliess, Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 9 ff.; D. Shelton, Santa Clara Journal of International Law 2015, S. 27 ff.
1042 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
len Verträgen ist, bzw. in der EMRK, deren Grundrechte gem. Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des EU-Rechts sind, eingeführt werden. Daraus könnten auch Verfahrensrechte abgeleitet werden, die es dem jeweils Betroffenen ermöglichen, seine Belange und Interessen im Umweltschutz auf unionaler Ebene zur Geltung zu bringen.204 Zu diesem Zweck könnte auch die AK zu Hilfe genommen werden. Denn aufgrund des Abschlusses der AK und ihrer Umsetzung durch die EU-Mitgliedstaaten haben sich schon drei Bausteine eines zumindest prozeduralen Umweltgrundrechts herauskristallisiert: ein Recht auf Beteiligung des Bürgers an umweltrelevanten Entscheidungen der Verwaltung, ein Recht auf angemessenen Zugang zum Gericht sowie ein Recht auf umweltbezogene Informationen. In diesem Zusammenhang könnte die Formulierung eines unionalen Umweltgrundrechts in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtslage wie folgt lauten: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt sowie deren Erhaltung und Schutz. Dieses wird durch Rechte auf Information, Beteiligung im Verwaltungsverfahren und effektiven Zugang zum Gericht gewährleistet.“ 205
Ein solches Umweltgrundrecht sollte gleichzeitig den Erfordernissen einer begrenzten Subjektivierung des Gemeinwohlbelangs des Umweltschutzes in effektiver Weise Rechnung tragen.206 Gleichzeitig sollte es nicht der traditionellen individualbezogenen Struktur der Menschenrechte der EU-GRCh sowie der EMRK schaden. Auch der weite Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten – insbesondere wenn sie ökonomische, ökologische und soziale Ziele komprimieren müssen – sollte hinreichend berücksichtigt werden und nicht unangemessen eingeschränkt werden.207 Im Hinblick darauf würde die weitere Ausarbeitung der Verfahrensrechte, die sowieso auf der AK beruhen, nicht nur die Umsetzung eines Umweltgrundrechts erleichtern, sondern auch weltweit die Rolle der Nichtregierungsorganisationen im Bereich der umweltbezogenen Interessenvertretung bzw. des Rechtsschutzes des öffentlichen Interesses bei umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten eindeutig fördern. In Zeiten der globalen Risikogesellschaft wäre eine solche Entwicklung die Frucht der logischen Erweiterung der vorliegenden internationalen und nationalen Politiken im Bereich des Umweltschutzes. Sie wäre eine Ausstrahlung der progressiven Rechtsentwicklung.208
204 C. Calliess, Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 11. 205 C. Calliess, Art. 37 EU-GRCh, in: ders./M. Ruffert, EUV/EGV-Komm., 2011, Rn. 13. 206 Vgl. C. Calliess, ZUR 2000, S. 253 ff.; T. Hayward, Constitutional Environmental Rights, 2014, S. 27 ff., S. 54 ff. 207 Vgl. ausführlich dazu A. Boyle, EJIL 2012, S. 613 ff., S. 641 ff., m.w. N. 208 A. Boyle, EJIL 2012, S. 641 ff.
C. Lösungsansätze
1043
Es muss aber berücksichtigt werden, dass Menschenrechtsgarantien, wie die Einführung eines Umweltgrundrechts, wenig helfen, wenn über ihre Einhaltung nicht internationale Kontrollorgane wachen, die genügend Autorität haben, um mit ihren Entscheidungen bei den Staaten Gehör zu finden.209 Dabei könnte die AK als wertvolle Orientierungshilfe dienen.210 Denn das detaillierte Regelwerk der AK spiegelt alle wichtigen verfahrensrechtlichen Facetten des Schutzes von Individuen und Gruppen von Individuen, einschließlich der Nichtregierungsorganisationen, gegen umweltwidriges Verhalten staatlicher Stellen wider. Zudem ebnet sie den Weg zu einer menschenrechtlichen Absicherung des Partizipationsgebotes. Da sie strukturell Gemeinsamkeiten mit einem Menschenrechtsinstrument aufweist, dürfte sie somit Vorbild für eine stärkere Konturierung und inhaltliche Substantiierung des prozeduralen ökologischen Menschenrechtsschutzes sein.211 Die Entwicklung eines ökologischen Menschenrechtsschutzes dürfte aussichtsreicher sein. Er sollte allen Individuen und Gruppen zugute kommen, die unter der Degradierung elementarer Naturgüter besonders schwer leiden. In diesem Zusammenhang muss es dem Einzelnen menschenrechtlich garantiert sein, dass er an allen einschlägigen nationalen Entscheidungsprozessen aktiv beteiligt wird. Für den Fall, dass ihm dies verwehrt bleiben sollte, muss er sich hierüber bei einer internationalen Instanz beschweren können. Gleiches müsse auch für die Implementierung eines internationalen Umweltschutzübereinkommens ins nationale Recht gelten. Wenn z. B. ein Staat seiner Implementierungspflicht nicht ordnungsgemäß nachkommt und dadurch die Verwirklichung eines ökologischen Menschenrechts behindert, müssen sich seine Bürger hierüber vor einem internationalen Menschenrechtsorgan beklagen können. In diesem Falle würde der jeweilige Staat – auch auf internationaler Ebene – erheblich unter Druck geraten. Jede weitere Ökologisierung des Menschenrechtsschutzes hätte demnach zur Folge, dass das Umweltvölkerrecht an praktischer Durchschlagskraft hinzugewänne. Eine solche Entwicklung mag heute noch von vielen Staaten sowie von wirtschaftspolitischen Interessenvertretern missbilligt werden.212 Sie wird sich aber m. E. wegen der globalisierten Intensivierung von Umweltschäden vor allem durch die technologische Entwicklung auf langfristige Sicht nicht aufhalten lassen. Es ist zu erwarten, dass gerade diese rasante Entwicklung zu einer immer stärkeren Internationalisierung des Umweltschutzes etwa durch intensivere Durchsetzung auch von völkerrechtlichen Maßnahmen für die nachhaltige Ent209
U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 541. Ebd., S. 540. 211 Ebd., S. 539. 212 Vgl. D. Bollier/B. H. Weston, in: S. Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, 2014, S. 417. 210
1044 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
wicklung, den Schutz der Biodiversität sowie des Klimas213 führt. Vor diesem Hintergrund werden sich die zuständigen Institutionen der Notwendigkeit der Einführung eines Menschenrechts auf Umweltschutz mehr und mehr bewusst werden.214 Angesichts der Tatsache, dass eine Kodifizierung eines Umweltgrundrechts auf völkerrechtlicher bzw. unionaler Ebene zumindest nicht kurzfristig absehbar ist, ist allerdings darauf zu setzen, dass die Kontrollorgane der verschiedenen Menschenrechtsschutzsysteme den bereits vorhandenen Menschenrechtsbestimmungen künftig eine noch stärkere ökologische Schutzwirkung abgewinnen werden. Im Rahmen des bisher begrenzten Schutzes, den materielle ökologische Menschenrechtsgarantien in leistungsschwachen Staaten vermitteln können, erscheint es als besonders wichtig und wohl auch am aussichtsreichsten, umweltschützende Garantien auf der Basis der AK zu entwickeln und inhaltlich näher auszudeuten.215 Eine weitere Analyse der Möglichkeit der Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene ginge allerdings über die Zwecke dieser Arbeit hinaus.
D. Fazit Die bisherige unionale Rechtsprechung folgt einer restriktiven Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV. Dies scheint kongruent mit dem mutmaßlichen Willen des EU Gesetzgebers zu sein. Denn angesichts der Tatsache, dass der AEUV-Gesetzgeber sich eher für eine restriktive Rechtsschutzvariante im Wortlaut des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV entschieden hat, wäre es für die Rechtsprechung nicht akzeptabel, den Willen des Gesetzgebers anderweitig zu interpretieren, auch wenn dies zum Abbau der umstrittenen Plaumann-Formel führen könnte. Eine solche Modifizierung könnte – laut der bisherigen Rechtsprechung – eher durch eine dahingehende Vertragsänderung von den EU-Mitgliedstaaten erzielt werden. Die Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV stellt eine eindeutige Erweiterung der Direktklagemöglichkeiten des nicht privilegierten Drittklägers dar. Denn im Unterschied zu Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV verlangt die 3. Variante nicht, dass der Kläger durch einen „Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht“, individuell betroffen ist. 213 Zur Internationalisierung insbesondere des Klimaschutzrechts s. z. B. R. Cox, Utrecht Journal of International and European Law 2014, S. 125 ff.; B. Mayer, European Journal of International Law 2013, S. 947 ff.; E. Dikaios, NkF, November 2009 (www.nomosphysis.org); jeweils m.w. N. 214 Vgl. A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 510 ff.; U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 542. 215 Vgl. S. Bogojevic ´ , SSRN 2014, S. 5 ff.; U. Beyerlin, ZaöRV 2005, S. 542; jeweils m.w. N.
D. Fazit
1045
Dies wirkt positiv, vor allem in Konstellationen, in denen der Kläger mangels eines mitgliedstaatlichen Durchführungsakts, welcher vor der Erweiterung nach nationalem Recht Voraussetzung für eine zulässige Klageerhebung vor nationalen Gerichten gewesen wäre, keine inzidente Überprüfung des jeweils umstrittenen Rechtsakts (etwa einer Verordnung) vor mitgliedstaatlichen Gerichten herbeiführen könnte, da dem Betroffenen nunmehr gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV ein Direktklagerecht zur Unionsgerichtsbarkeit offen stehen soll. Trotz dieser Verbesserung des unionalen Rechtsschutzes durch Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV muss angemerkt werden, dass die neue 3. Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV eine wesentliche unionale Rechtsschutzlücke unberührt lässt. Die verbleibende Rechtsschutzlücke umfasst gegenwärtig insbesondere noch EUHandlungen, die die jeweiligen Kläger nicht unmittelbar und individuell betreffen, sowie Legislativakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Einzelnen nicht unmittelbar betreffen, sowie selbstvollziehende Legislativakte und solche, die bei Verstoß ein Sanktionsverfahren nach sich ziehen. Was die Auswirkung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV auf den unionalen Umweltrechtsschutz anbelangt, muss angemerkt werden, dass sie nur geringe Wirkungen erzeugt. Dies liegt vor allem an der Tatsache, dass umweltrechtliche Vorgaben regelmäßig Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, so dass sie i. d. R. nicht in den Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV fallen können. Hinzu kommt, dass adressatenlose umweltbezogene Handlungen (mit und ohne Gesetzescharakter), die unter den Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV fallen, mangels individueller Betroffenheit nicht erfolgreich angefochten werden können. Die beharrliche Anwendung der Plaumann-Formel auch im Bereich des unionalen Umweltrechtsschutzes hat zu dem unangenehmen Ergebnis geführt, dass bisher keine Nichtigkeitsklage von Verbänden oder natürlichen Personen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, gegen umweltbeeinträchtigende Unionshandlungen von der EuGH-Rechtsprechung als zulässig angenommen worden ist. Vor diesem Hintergrund bleiben auch unionale umweltbezogene Rechtsakte allgemeiner Geltung (mit Gesetzescharakter), die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, ohne jegliche gerichtliche Kontrolle. Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl der potentiell umweltschädlichen EU-Maßnahmen Unionshandlungen sind, die unter den – im Verhältnis zum ex-Art. 230 Abs. 4 Var. 2 EGV – grundsätzlich unveränderten Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 3 Var. 2 AEUV fallen, kann man den Schluss ziehen, dass mit der Einführung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV keine wesentliche Erleichterung bezüglich der Klagebefugnis umweltschützender Drittkläger geschaffen wurde. Der Willen des unionalen Gesetzgebers und Richters, den Umfang des erleichterten unionalen Rechtsschutzes gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nur auf un-
1046 3. Teil, 5. Kap.: Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und Var. 3 AEUV
tergesetzliche Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, einzuschränken, scheint nicht in Einklang mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu stehen. Denn der Wortlaut und Inhalt des in Art. 47 EU-GRCh niedergelegten Unionsgrundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, der für jede durch das EU-Recht in ihren Rechten verletzte Person ein Recht auf Rechtsschutz gewährleistet, spricht eher für eine weite Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV, so dass daraus entstehende Rechtsschutzdefizite möglichst effektiv vermieden werden. Mit der engen Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 4 AEUV kann aber nicht vollständig sichergestellt werden, dass einer durch das EU-Recht betroffenen Person hinreichender Rechtsschutz gewährleistet wird. Dies gilt beispielsweise, wenn eine Person von europäischen Rechtsakten, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, betroffen ist. Denn in einem solchen Fall fehlt es an einem gerichtlich angreifbaren innerstaatlichen Vollzugsakt, so dass auch ein dezentraler Rechtsschutz vor mitgliedstaatlichen Gerichten der Sache nach nicht möglich wäre. Auch die Anforderung der AK bezüglich eines weiten Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten findet in der Praxis keinen konkreten Ausdruck in der unionalen primärrechtlichen Gesetzgebung sowie in der unionalen Rechtsprechung. Vor diesem Hintergrund kann ebenso die Anforderung insb. des Art. 9 Abs. 3 AK, die Bürger und die anerkannten Umweltschutzverbände als Vollzugshelfer per Partizipation und Drittklage zu zentralen Akteuren des Umweltrechtsschutzes auch auf unionaler Ebene zu machen, nicht realisiert werden. Das bisherige Ausbleiben der Schaffung eines Rechtsinstruments, das eindeutig, einheitlich und effektiv das bisherige vorhandene Rechtsschutzdefizit im Umweltschutzbereich zumindest auf primärrechtlicher Ebene zu schließen imstande wäre, fördert nicht die Beseitigung der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes und ist daher als negativ zu bewerten. Es scheint im Ergebnis, dass die EU der Problematik des Umweltrechtsschutzes zumindest auf primärrechtlicher Ebene mangelhaft begegnet. Denn es fehlt letztlich an einem gesetzlichen Rechtsinstrument, das eindeutig, einheitlich und effektiv die Behebung des bisher vorhandenen Rechtsschutzdefizites im europäischen Umweltschutzbereich bewirkt. Um diese Problematik zu lösen, könnte der aktuelle Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dahingehend modifiziert werden, dass auch Rechtsakte mit Gesetzescharakter, die die klagenden Personen unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, durch die Einreichung einer Nichtigkeitsklage auf unionaler Ebene gerichtlich kontrolliert werden können. Angesichts der Tatsache, dass aus Art. 263 Abs. 3 Var. 2 AEUV kein zwingendes Argument für die These hervorgeht, dass das Zulässigkeitskriterium der individuellen Betroffenheit verlangt, dass ein Einzelner, der eine Maßnahme allgemeiner Geltung anfechten möchte, in ähnlicher Weise individualisiert ist wie ein Adressat, ist es empfehlenswert, eine erweiterte, umweltfreundliche Auslegung
D. Fazit
1047
des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV zu etablieren. Eine solche Auslegung sollte grundsätzlich zu einer angemessenen Lockerung des bisher besonders restriktiven Verständnisses der Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit in Umweltangelegenheiten führen. Zu diesem Zweck könnte die Argumentation der Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs216 zum EuGH-Urteil „Unión de Pequeños Agricultores“, des Generalanwalts Cosmas217 zum EuGH-Urteil „Greenpeace-Stichting“ 218 sowie die Argumentation des EuG-Urteils im Fall „Jégo-Quéré“ verwertet werden, so dass die Rechtsschutzhindernisse der Plaumann-Formel überwunden werden können. Auch die Einführung eines prozeduralen Grundrechts auf Umweltschutz als Menschenrecht auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene ist vorstellbar. Dadurch könnten Verfahrensrechte abgeleitet werden, die es dem Betroffenen ermöglichen, seine Belange und Interessen im Umweltschutz auf unionaler Ebene zur Geltung zu bringen. Dies könnte wohl zur Steigerung der Umweltstandards und schließlich zu einer optimalen Versöhnung kollidierender wirtschaftlicher und umweltrelevanter Interessen führen. Bisher aber scheint die Kodifizierung eines Umweltgrundrechts zumindest mittelfristig nicht absehbar zu sein. Im Bereich des unionalen Sekundärrechts wurde allerdings ein Rechtsbehelf zugunsten qualifizierter Umweltverbände durch die EG-Verordnung Nr. 1367/ 2006 (sog. AK-VO) eingeführt, dessen Funktion im folgenden Kapitel analysiert werden soll. Zudem sieht es so aus, dass die Kommission neue aktuelle Gesetzgebungsinitiativen etwa in Richtung des Erlasses einer Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu übernehmen beabsichtigt. Gerade auf diese Perspektive soll im folgenden Kapitel eingegangen werden. Im Anschluss daran sollen auch eigene Lösungsansätze vorgeschlagen werden.
216 GA F. Jacobs, Schlussantr. v. 21.03.2002 in der Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-06677 (Unión de Pequênos Agricultores/Rat), ZUR 2002, S. 399 ff. 217 GA G. Cosmas, Schlussantr. v. 23.09.1997 in der Rs. C-321/95 P (Stichting Council u. a./Kommission), Slg. 1998, I-1651. 218 Vgl. EuG, Beschl. v. 09.08.1995, Rs. T-585/93, Slg. 1995, II-02205 (GreenpeaceStichting Council u. a./Kommission), BeckEuRS 1995, 207540; EuGH, Urt. v. 02.04. 1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1651 (Greenpeace-Stichting Council u. a./Kommission), ZUR 1998, S. 136 ff.
6. Kapitel
Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene A. Entstehungsgeschichte der AK-VO Während die EG in mehreren Richtlinien den Anforderungen der AK in ihrem Zuständigkeitsbereich gegenüber den Mitgliedstaaten nachgekommen ist,1 hat sie in Bezug auf ihre eigenen Organe und Einrichtungen die drei Säulen der AK in einem Rechtsinstrument, nämlich der EG-Verordnung Nr. 1367/2006 „über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft“ (sog. Aarhus-Verordnung bzw. AK-VO)2, zusammengeführt und in diesem gemeinsame Regelungen hinsichtlich der Ziele und Begriffsbestimmungen festgelegt. Diese Verfahrensweise sollte zur Rationalisierung der Rechtsvorschriften und Transparenz der von den Gemeinschaftsorganen und -einrichtungen ergriffenen Umsetzungsmaßnahmen beitragen.3 Durch die verstärkte Einbeziehung der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten sollte die Qualität der zu treffenden Entscheidungen besser, die Entscheidungsverfahren nachvollziehbarer und transparenter, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für Um-
1
Ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 1. Kap., G, V. ABl. EG 2006 Nr. L 264/13; Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.9.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L 264 vom 25.09.2006, S. 13. Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law 2011, S. 273 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. Zu beachten ist, dass die EG-Verordnung Nr. 1049/2001 und ergänzend Art. 4–9 der AK-VO den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten regeln. 3 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 der EG-VO 1367/2006: „(5) Die drei Säulen des Århus-Übereinkommens – Zugang zu Informationen, Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten – sollten in einem einzigen Rechtsinstrument behandelt, [sic!] und gemeinsame Bestimmungen hinsichtlich der Ziele und der Begriffsbestimmungen festgelegt werden. Das trägt zur Rationalisierung der Rechtsvorschriften und zur Transparenz der Umsetzungsmaßnahmen, die von Gemeinschaftsorganen und -einrichtungen ergriffen werden, bei.“ 2
A. Entstehungsgeschichte der AK-VO
1049
weltbelange geschärft sowie die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen gefördert werden.4 Schon im Jahr 2003 hatte die Kommission einen „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft“ (AK-VO-Vorschlag)5 entworfen. Wie die Begründung des AK-VO-Vorschlags6 unterstrich, müssen aufgrund Art. 1 Abs. 2 EUV auf unionaler Ebene „Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden“. Eine offene demokratische Gesellschaft müsse ihre Bürger in den Entscheidungsprozess einbinden und sicherstellen, dass ihre politischen und administrativen Maßnahmen so transparent wie möglich seien. Im Anschluss daran wurden diese Grundsätze auch im Weißbuch der Europäischen Kommission über das Europäische Regieren7 aufgegriffen und bekräftigt. Darin wurde betont, dass die ersten beiden Grundsätze eines guten Regierens Offenheit („Die Organe sollten offener arbeiten.“) und Partizipation („Verstärkte Teilhabe bewirkt größeres Vertrauen in das Endergebnis und die Politik der Institutionen.“) sind. Die Grundsätze der AK, die auch die Effektivierung des Rechtsschutzes mitumfassen, scheinen somit nichts anderes zu sein als die Anwendung der Grundsätze guten Regierens auf den Umweltsektor.8 Darüber hinaus hob die Kommission in ihrer einschlägigen Begründung9 hervor, dass die Annahme eines institutionellen Instruments, wie der AK-VO-Vorschlag, der auf die Anwendung der Bestimmungen der AK auf Organe und Einrichtungen der EU abzielt, keine erheblichen finanziellen Kosten zur Folge haben dürfte.10 Auf der anderen Seite, wenn die EG (bzw. EU) untätig bliebe, würde dies in erster Linie zu einem Verlust an politischer Glaubwürdigkeit führen. Denn, wie schon erwähnt wurde, hat die EG die AK zusammen mit den Mitgliedstaaten unterzeichnet. Vor diesem Hintergrund kann somit die rechtliche und praktische Umsetzung der Grundsätze der AK nicht allein den Mitgliedstaaten überlassen werden. Außerdem können die Anforderungen des Weißbuches 4 Vgl. Erwägungsgrund (2) EG-VO 1367/2006; KOM (2003) 622 endg., S. 3; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 79; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 273 ff.; jeweils m.w. N. 5 KOM (2003) 622 endg., 24.10.2003, 2003/0242 (COD). 6 Vgl. Begründung des AK-VO-Vorschlags KOM (2003) 622 endg., 24.10.2003, 2003/0242 (COD), S. 4 ff. 7 KOM (2001) 428 vom 25 Juli 2001. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Begründung des AK-VO-Vorschlags KOM (2003) 622 endg., 24.10.2003, 2003/ 0242 (COD), S. 5 ff.
1050
3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
über Europäisches Regieren, das der Information und der Beteiligung der Bürger zentrale Bedeutung beimisst und für eine Verbesserung der derzeitigen Situation plädiert, nicht ignoriert werden.11 Auch die entsprechenden Schlussfolgerungen des Weltgipfels der Vereinten Nationen über die nachhaltige Entwicklung, etwa in Johannesburg12 vom Jahr 2002, müssen in diesem Zusammenhang beachtet werden.13 Nach heftigen Debatten insbesondere hinsichtlich des Umfangs der internen Überprüfung und des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten bei europäischen Organen oder Einrichtungen14 wurde der oben ausgeführte Vorschlag zum Teil modifiziert. Es war daraus ein neuer Verordnungsentwurf entstanden.15 Die Grundlagen dieses Verordnungsvorschlags wurden jedoch grundsätzlich eingehalten.16 Nachdem der damalige EG-Rat die AK durch den Beschluss Nr. 2005/370 vom 17.05.2005 genehmigt hatte,17 war dabei die Erklärung abgegeben worden, die AK auch im Hinblick auf die eigenen Organe und Einrichtungen der damaligen EG anwenden zu wollen. Unter diesen Umständen wurde letztlich im Jahr 2006 die sog. AK-VO 1367/2006 erlassen.18 Die sog. AK-VO ist seit dem 28.09.2006 in Kraft und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ab dem 28.06.2007. Durch Erlass der EG-Verordnung Nr. 1367/2006 hat somit die EG die drei Säulen der AK (Zugang zu Umweltinformationen/Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren/Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten) für ihre eigenen Institutionen umgesetzt.19 Allein der Titel der AK-VO zeigt, dass die AK-VO die Bestimmungen der AK in Bezug auf die Institutionen der EG bzw. der EU anzuwenden beabsichtigt. Es ist offensichtlich, dass diese Verordnung auch den Zugang zu Gerichten als eine zentrale Säule der AK umfasst.20 Eine innerunionsrechtliche Umsetzung der dritten Säule der AK (insb. des Art. 9 11
Ebd. Vgl. dazu zusammenfassend: M. Pallemaerts, RECIEL 2003, S. 1 ff., m.w. N. 13 Begründung des AK-VO-Vorschlags KOM (2003) 622 endg., 24.10.2003, 2003/ 0242 (COD), S. 5 ff. 14 Vgl. EG-Rat Dok. 15153/04, 29.11.2004 at 16 n. 26. 15 Vgl. EG-Rat Dok. 15153/04, 29.11.2004. 16 Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law 2011, S. 290 ff. 17 Beschluss Nr. 2005/370 des Rates vom 17.05.2005, ABl. 2005 L 124, S. 1. 18 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff.; M. Pallemaerts, Compliance by the European Community with its Obligations on Access to Justice as a Party to the Aarhus Convention, 2009, S. 32. 19 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 196. 20 Vgl. C. Kiss/P. C ˘ erny´, Justice & Environment 2008, S. 1; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. 12
B. Zweck der AK-VO
1051
Abs. 3 AK) hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten ist jedoch bislang gescheitert.21 Von besonderer Bedeutung ist jedenfalls, dass durch die AK-VO erstmals auf europäischer sekundärrechtlicher Ebene Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung von Umweltschutzinteressen zugunsten von qualifizierten Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, eingeführt wurden.22 Es handelt sich um einen europäischen Verbandsrechtsbehelf, auf dessen Inhalt, Funktion und Problematik im Folgenden tiefer eingegangen werden soll. Diese Arbeit beschränkt sich grundsätzlich auf die Umsetzung der dritten Säule der AK durch die AK-VO.
B. Zweck der AK-VO Der europäische Gesetzgeber versuchte, durch den Erlass der EG-Verordnung Nr. 1367/2006 auf den mangelhaften Rechtsschutz, diesmal im Bereich der internen Überprüfung von europäischen Verwaltungsakten in Umweltangelegenheiten, die von europäischen Behörden erlassen worden sind, zu reagieren.23 Denn offensichtlich waren auch in diesem Bereich erhebliche Rechtsschutzdefizite festzustellen, zumal es vor der Einführung der AK-VO keine Möglichkeit gab, europäische interne Rechtsakte anzufechten.24 Mit der AK-VO sollen der h. M. nach die europäischen Behörden den Vorgaben der AK unterworfen werden. Denn die damalige EG (nunmehr EU) war als Unterzeichnerinstitution der AK und Mitglied dieses Übereinkommens verpflichtet, die Vorgaben der AK auch für Handlungen von Organen und Einrichtungen der Union umzusetzen.25 Die Rolle der AK hinsichtlich der Einführung der AKVO war somit besonders wichtig.26 Die Einführung einer solchen Gesetzgebung auf europäischer Ebene galt als rechtspolitisch unvermeidlich, denn im Rahmen des Geistes der AK wurde herausgearbeitet, dass die aus der AK abgeleiteten 21
M. Breuer, DV 2012, S. 196 ff.; J. Berkemann, ZUR 2015, S. 226. Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 395 ff. 23 Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 302; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 53 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. 24 Vgl. G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 60 ff.; E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 650 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85; M. Breuer, DV 2012, S. 201 ff.; jeweils m.w. N. 25 Vgl. F. Fellenberg/G. Schiller, in: R. v. Landmann/G. Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 68. Ergänzungslief., 2013, § 13, Rn. 34; C. Kiss/P. C˘erny´, Justice & Environment 2008, S. 1; M. Breuer, DV 2012, S. 201 ff.; C. Poncelet, JEL 2012, S. 302 ff. 26 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 23 ff.; ders., in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 650 ff.; C. Poncelet, JEL 2012, S. 296 ff.; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 287 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 60 ff. 22
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Vorgaben so zu lesen sind, dass auch gegen europäische umweltschützende Vorschriften verstoßende Maßnahmen einer nachträglichen Kontrolle zugänglich sein müssen.27 Es ist charakteristisch, dass der 21. Satz der Präambel von AK-VO ausdrücklich ausführt: „Wurde einem vorhergehenden Antrag auf interne Überprüfung nicht stattgegeben, sollten die betreffenden Nichtregierungsorganisationen in der Lage sein, gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags vor dem Gerichtshof ein Gerichtsverfahren einzuleiten.“
Es ist allerdings nicht völlig eindeutig, ob die Verabschiedung der AK-VO aus europarechtlicher Sicht zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der AK erfolgte. Im Hinblick darauf hat die Kommission im Verfahren vor dem Compliance Committee den Standpunkt vertreten, mit der Verordnung sei der Gemeinschaftsgesetzgeber über das von Konventionswegen Geforderte freiwillig hinausgegangen.28 Dies scheint aus Sicht der Kommission folgerichtig, da diese Vorgabe in Übereinstimmung mit dem EuGH die Art. 230, 234 EGV (nun Art. 263, 267 AEUV) als ein umfassendes System der Rechtsschutzgewährung angesehen hat.29 Diese Auffassung überzeugt nicht. Denn für eine Umsetzung der Verpflichtungen aus der AK durch die AK-VO spricht vor allem der Inhalt der AK-VO. Aus Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der AK-VO geht nämlich hervor, dass es Ziel der AK-VO ist, zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der AK insbesondere dadurch beizutragen, dass „in Umweltangelegenheiten der Zugang zu Gerichten auf Gemeinschaftsebene zu den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen gewährt wird“. Zudem nimmt der 18. Erwägungsgrund der AK-VO ausdrücklich auf Art. 9 Abs. 3 AK Bezug.30 Darüber hinaus ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass aus Art. 9 Abs. 3 AK Verpflichtungen erwachsen, und dass mit 27 Vgl. E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 658; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 287 ff. 28 Auf eine Diskriminierung von Umwelt- gegenüber wirtschaftlichen Interessen hatten die Beschwerdeführer in dem Verfahren vor dem Compliance Committee abgestellt. Vgl. Beschwerdeschrift, S. 13 ff. Die Kommission hatte in ihrer Beschwerdeerwiderung dezidiert dagegen Stellung bezogen. Vgl. Submissions of the European Commission, on behalf of the European Community, to the Aarhus Convention Compliance Committee concerning communication ACCC/C/2008/32, Rn. 89. 29 Submissions of the European Commission, on behalf of the European Community, to the Aarhus Convention Compliance Committee concerning communication ACCC/ C/2008/32, Rn. 52; M. Breuer, DV 2012, S. 201 ff. 30 Erwägungsgrund 18 der EG-VO Nr. 1367/2006: „Artikel 9 Abs. 3 AK enthält Bestimmungen über den Zugang zu gerichtlichen oder anderen Überprüfungsverfahren, um Handlungen und Unterlassungen von Privatpersonen und Behörden anzufechten, die gegen Bestimmungen des Umweltrechts verstoßen. Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten sollten mit dem Vertrag in Einklang stehen. In diesem Zusammenhang sollten in dieser Verordnung nur Handlungen und Unterlassungen von Behörden erfasst sein.“ Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 303.
B. Zweck der AK-VO
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der Verordnung Nr. 1367/2006 die die Unionsorgane betreffenden Bestimmungen des Art. 9 Abs. 3 AK umgesetzt werden sollen.31 Außerdem spricht der EuGH ausdrücklich davon, mit der AK-VO hätten „die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 3 AK umgesetzt werden sollen“.32 Es sollte somit festgestellt werden, dass die AKVO insbesondere zur Erfüllung der sich aus Art. 9 Abs. 3 der AK ergebenden internationalen Verpflichtungen der Union erlassen worden ist.33 In dieser Hinsicht ist die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 AK allgemein auf eine gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem nationalen Umweltrecht abzielt, in erster Linie auch für die Organe und Einrichtungen der EG (bzw. der EU) von Bedeutung. Angesichts der Tatsache, dass ein Beitritt der EG zu der AK erst dann möglich wäre, wenn rechtlich verbindliche, für die EG geltende Maßnahmen eingeführt worden sind, sei es europarechtlich konsequent und sinnvoll, dass sich die Regelungen der AK auch auf Organe und Einrichtungen der EG (und nunmehr auf Organe und Einrichtungen der EU) erstrecken. Insofern müssen die Vorschriften der EG (bzw. EU) auch im Bereich der europäischen Organe und Einrichtungen umgesetzt werden. Das geeignete Rechtsinstrument hierfür wäre eine Verordnung, soweit die Adressaten dieses Rechtsinstruments die Organe und Einrichtungen der EG (bzw. EU), nicht aber die EG-Mitgliedstaaten sein sollten. Deswegen käme in diesem Fall eine Richtlinie nicht in Frage.34 In Bezug auf supranationale Organisationen als Vertragsparteien, wie die EG (bzw. EU), müsse somit die Bezugnahme von Art. 9 Abs. 3 AK auf das innerstaatliche Recht als Bezugnahme auf das europäische Recht verstanden werden.35 Der Erlass der AK-VO soll schließlich eine bessere Übereinstimmung der europäischen Rechtsordnung mit Art. 9 Abs. 3 AK sicherstellen.36
31 Vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 39, 41, ZUR 2011, S. 320 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky). 32 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 41, ZUR 2011, S. 320 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky). 33 So auch EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 58 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 553; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 58 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 34 A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 287 ff. 35 Ebd. Es ist zu beachten, dass die Europäische Gemeinschaft nach der Ratifikation der AK von der EG im Jahr 2005 Folgendes geäußert hat: „[. . .] the Community institutions will apply the Convention within the framework of relevant rules of Community law in the field covered by the Convention.“ [2005], OJ L 124/3. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 274 ff.; C. Poncelet, JEL 2012, S. 303.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO Was insbesondere die interne Überprüfung von europäischen Verwaltungsakten sowie den gerichtlichen Rechtsschutz nach entsprechender Überprüfung betrifft, sind Art. 10–12 der AK-VO maßgeblich. Durch die Art. 10–12 der AK-VO hat die EU grundsätzlich Art. 9 Abs. 3 AK in Bezug auf ihre Organe und Einrichtungen umgesetzt.37 Damit hat der europäische Gesetzgeber ein internes Überprüfungsverfahren zugunsten von Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, eingeführt. Dem liegt ein zweistufiges Konzept zugrunde. Einerseits eröffnen diese Bestimmungen den Weg für die interne Überprüfung von Verwaltungsakten, die von EU-Behörden (Organen oder Einrichtungen) angenommen wurden oder – im Falle einer behaupteten Unterlassung – hätten angenommen werden sollen (vgl. Art. 10–11 AK-VO). Im Hinblick darauf kann das Überprüfungsverfahren der AK-VO mit einem Vorverfahren gleichgesetzt werden.38 Denn am Ende dieses Verfahrens steht eine „schriftliche Antwort“ des betroffenen Organs39, gegen die der betroffene Umweltverband, sollte er mit der gegebenen Antwort nicht zufrieden sein, Klage vor den zuständigen europäischen Gerichten erheben kann (Art. 12 Abs. 1).40 Die AK-VO bestimmt somit, dass Nichtregierungsorganisationen, die den Antrag auf interne Überprüfung nach Art. 10 gestellt haben, gemäß den einschlägigen Bestimmungen des seinerzeitigen EGV (nun AEUV) eine Klage vor den europäischen Gerichten erheben können (vgl. Art. 12 AK-VO).41 Insofern richtet sich eine Klage vor dem EuG gem. Art. 12 AK-VO nicht gegen den streitigen Verwaltungsakt, sondern gegen die Antwort der europäischen Einrichtung oder des Organs, die oder das über den Antrag auf interne Überprüfung entscheidet. Es handelt sich somit eher um eine Informationsklage. Eine NRO kann schließ-
36 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 18 der EG-VO Nr. 1367/2006; C. Poncelet, JEL 2012, S. 303. 37 Art. 9 Abs. 2 AK besitzt dagegen mangels eigener Vollzugskompetenzen bei umweltrechtlichen Entscheidungen mit konventionsrechtlicher Partizipation keine unmittelbare Bedeutung für die EU. Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 24. 38 Vgl. E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 663 ff. 39 In dem Kommissionsentwurf war insoweit noch von „Entscheidung“ die Rede. Vgl. M. Pallemaerts, Compliance by the European Community with its Obligations on Access to Justice as a Party to the Aarhus Convention, 2009, S. 32. Gleichwohl wird die „schriftliche Antwort“ als „Entscheidung“ i. S. d. Art. 230 Abs. 4 EG qualifiziert. Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3 Rn. 220. 40 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff.; M. Pallemaerts, Compliance by the European Community with its Obligations on Access to Justice as a Party to the Aarhus Convention, 2009, S. 32. 41 Vgl. C. Poncelet, JEL 2012, S. 303.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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lich nur über die Einrede der Rechtswidrigkeit (gem. Art. 277 AEUV) eine Sachprüfung verlangen.42 Dadurch wird versucht, die dem Interessentenschutzmodell geschuldete erforderliche individuelle Betroffenheit des Klägers für die Erhebung einer Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage im Rahmen des Art. 12 AK-VO zu einer überindividuellen Klagebefugnis zu wandeln.43 Schon vor der Einführung des Art. 263 Abs. 4 AEUV suchte somit die AK-VO das Problem der fehlenden individuellen Betroffenheit von Umweltverbänden – noch in den Kategorien der alten Plaumann-Formel – dadurch zu beseitigen, dass sie der Klage vor den Unionsgerichten ein internes verwaltungsbehördliches Überprüfungsverfahren vorschaltete (vgl. Art. 10 EG-VO 1367/2006). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass bis zu einem gewissen Maße die europarechtliche Klagebefugnis auch von der Ausgestaltung des Sekundärrechts beeinflusst wird. Es ist nicht irrelevant, dass Art. 263 AEUV keine einengenden Anforderungen an die Adressateneigenschaft statuiert.44 Durch die Vorschaltung des Überprüfungsverfahrens erhalten die Umweltverbände im Rahmen des Anwendungsbereichs der AK-VO die ihnen ansonsten fehlende individuelle Betroffenheit.45 Es muss aber betont werden, dass gegen die interne Überprüfung von Verwaltungsakten in Art. 10–12 AK nur für besonders qualifizierte Einrichtungen eine Rechtsschutzmöglichkeit vorgesehen wurde. Grund dafür ist prinzipiell die Vermeidung einer Popularklage. Aufgrund des besonderen Sachverstands der Umweltorganisationen verspricht man sich von ihnen eine effektive Durchsetzung des Umweltrechts und insoweit ein Abheben von der Allgemeinheit.46 Das interne Überprüfungsverfahren der AK-VO sollte grundsätzlich dazu beitragen, dass die angerufenen Stellen Verstößen gegen das europäische Umweltrecht abhelfen.47 Die AK-VO bezweckt grundsätzlich, die interne Überprüfung von EG-Handlungen bzw. Unterlassungen von EG-Behörden, insbesondere im Bereich des Umweltrechts, zu verbessern. Das Verfahren des Antrags auf interne Überprüfung von Verwaltungsakten und Unterlassungen auf europäischer Ebene wurde schließlich eingeführt, um nicht die Ausübung des Rechts auf Zugang zu Gerichten gemäß ex-Art. 230 EGV (nun Art. 263 AEUV) im Bereich der internen 42
J. Berkemann, ZUR 2015, S. 229. Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 241. 44 Vgl. C. Walter, EuR 2005, S. 321; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86. Mehr zu klageberechtigten Personen im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 AEUV s. u. 3. Teil, 2. Kap., B., I. ff. 45 M. Breuer, DV 2012, S. 201 ff. 46 Vgl. E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 663 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86. 47 Ebd. 43
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Überprüfung von europäischen Verwaltungsakten zu behindern, nach dem eine Person bei europäischen Gerichten gegen Entscheidungen eine Klage anstrengen kann, wenn sie als Individuum direkt betroffen ist.48 Einerseits ebnet die AK-VO den Weg für die interne Überprüfung von umweltrechtlichen Verwaltungsakten der europäischen Behörde. Andererseits räumt sie bestimmten NROen Zugang zu EU-Gerichten gemäß den einschlägigen Bestimmungen des europäischen Primärrechts ein.
I. Antragsziel gem. Art. 10 AK-VO Noch konkreter führt Art. 10 AK-VO ein internes Überprüfungsverfahren (ein Quasi-Widerspruchsverfahren) bei dem Organ oder der Einrichtung der Union, die einen Verwaltungsakt nach dem Umweltrecht angenommen hat – oder im Fall einer behaupteten Unterlassung – einen solchen Akt hätte annehmen sollen, ein. Unterlassung ist nach Art. 2 Abs. 1h AK-VO „der pflichtwidrige Nichterlass eines Verwaltungsaktes i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g durch ein Organ oder eine Einrichtung der Gemeinschaft“. Das behördliche Kontrollverfahren wird durch einen schriftlichen Antrag unter Angabe der Gründe für die interne Überprüfung eingeleitet. Der Antrag muss Fragen auf der Gemeinschaftsebene betreffen und innerhalb von höchstens sechs Wochen ab dem Zeitpunkt des Erlasses, der Bekanntgabe oder der Veröffentlichung des Verwaltungsakts gestellt werden, je nachdem, was zuletzt erfolgte (Art. 10 Abs. 1 AK-VO). Sofern der jeweilige Antrag „nicht offensichtlich unbegründet“ ist, müssen die betreffenden Stellen ihn prüfen. Sie müssen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens jedoch 12 Wochen nach seinem Eingang in einer schriftlichen Antwort ihre Gründe darlegen (Art. 10 Abs. 2 AK-VO).49 Art. 10 Abs. 3 AK-VO regelt, wie die Organe und Einrichtungen zu verfahren haben, wenn sie nicht imstande sind, gem. Art. 10 Abs. 2 AK-VO zu handeln, und schreibt ihnen vor, jedenfalls innerhalb von 18 Wochen ab Eingang des Antrags zu handeln. Der gerichtliche Rechtsschutz wird in Art. 12 AK-VO geregelt. Nichtregierungsorganisationen, die einen Antrag nach Art. 10 AK-VO gestellt haben, können nach den einschlägigen Bestimmungen des AEUV Klage vor den europäischen Gerichten erheben, damit er indirekt die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der umweltrechtlichen Maßnahme prüft. Mit der Formulierung des Art. 12 Abs. 1 AK-VO „gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags“ ist vor allem die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) und bei Untätigkeit der angegangenen
48 Vgl. C. Walter, in: W. Durner/ders. (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 18. 49 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85 ff.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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Stellen die Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV (ex-Art. 232 EGV) gemeint.50 Im Hinblick darauf lässt sich Art. 12 Abs. 1 AK-VO mit dem Prüfauftrag des EuGH in Einklang bringen. Die AK-VO normiert somit keine parallel zum Primärrecht anwendbaren Klagearten, sondern verweist auf die einschlägigen Rechtsschutzbestimmungen des EU-Rechts. Das europäische Rechtsschutzsystem bleibt daher von der Einführung einer Verbandsklage unberührt.51 Stattdessen normiert der europäische Gesetzgeber ein internes Überprüfungsverfahren, in dem Umweltverbände Verstöße gegen europäisches Umweltrecht gegenüber europäischen Institutionen rügen können. Wird ihrem Begehren nicht stattgegeben, so sind diese Umweltverbände durch diese ablehnende Maßnahme ausreichend individualisiert und können somit eine Klage im Rahmen des AEUV erheben.52 Zweck der internen Überprüfung der AK-VO ist letztlich, den betroffenen EG bzw. EU-Einrichtungen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Entscheidungen oder unterlassenen Maßnahmen einer eigenen Überprüfung zu unterziehen.53 Das Ziel des internen Überprüfungsverfahrens ist die Abhilfe im Fall der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes oder auf Vornahme desselben im Fall des rechtswidrigen Unterlassens.54
II. Antragsberechtigung Um nicht das Primärrecht abändern zu müssen, hat die Europäische Kommission strikt darauf geachtet, die Antragsberechtigung für das interne Überprüfungsverfahren der AK-VO gering zu halten und den qualifizierten Einrichtungen sodann das Recht einzuräumen, als Adressaten der Überprüfungsentscheidung gerichtlich dagegen zu klagen,55 ohne ein ausreichendes Interesse oder einen Verstoß gegen ein Recht nachweisen zu müssen.56 Dieses Verfahren kann somit nur von qualifizierten Einrichtungen, d.h. anerkannten Umweltverbänden in Gang gesetzt werden. Die Legitimation dieser Einrichtungen für die Wahr50 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85 ff.; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/ T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 220 ff. 51 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 197. 52 Ebd. 53 19. Erwägungsgrund der AK-VO. 54 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 205. 55 Vgl. KOM (2006) 81 endg., S. 17; vgl. auch Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments, Empfehlung für die Zweite Lesung, A6-0381/2005, S. 24; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86. 56 Vgl. KOM (2003) 622 endg., S. 18; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86; J. Falke, in: ders./S. Schlacke (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz – Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2004, S. 116.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
nehmung von Umweltinteressen wird im Überprüfungsverfahren nach Maßgabe bestimmter sekundärrechtlich festgelegter Kriterien geprüft (s. Art. 10 i.V. m. Art. 11 AK-VO). Es handelt sich vor allem um institutionelle Bedingungen (d.h. eine juristische Person ohne Erwerbszweck/Zielsetzung der NRO in Bezug auf die Förderung des Umweltschutzes mit umweltrechtlichen Mitteln/mehr als zweijähriges Bestehen und Zielfolgerung/eine auf den Streitgegenstand bezogene Anforderung, nämlich dass der Gegenstand, für den eine interne Überprüfung beantragt wird, unter das Ziel und den Tätigkeitsbereich des Verbandes fällt).57 Es muss sich mithin um eine Organisation mit einer Rechtspersönlichkeit handeln, die überdies gemeinnützig ist. Vorrangiges Ziel dieser Vereinigung muss die Förderung des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung sein. Nicht durchsetzen konnten sich somit die Forderungen, natürlichen und juristischen Personen, also auch Bürgerinitiativen oder NROen wie Gewerkschaften, die Antragsberechtigung zuzugestehen.58 In diesem Zusammenhang hat beispielsweise die Kommission den Antrag auf interne Überprüfung der „European Platform Against Windfarms“ (EPAW) gegen die delegierte Verordnung (EU) Nr. 1391/2013 der Kommission vom 14. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse, weil der Antragsteller keine qualifizierte juristische Person war.59 Zu beachten ist, dass der Begriff der juristischen Person auf europäischer Ebene nicht gleichbedeutend mit demjenigen der Mitgliedstaaten ist.60 Zu beachten ist auch, dass die Widerspruchsbefugnis im Rahmen der AK-VO nicht die Geltendmachung eines ausreichenden Interesses oder die Beeinträchtigung eines individuellen Rechts voraussetzt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Umweltverband die oben genannten Voraussetzungen des Art. 11 AK-VO erfüllt. Hierbei muss angemerkt werden, dass die Beschränkung der Antragsberechtigung der AK-VO insbesondere gem. Art. 11 AK-VO auf bestimmte repräsentative 57 Vgl. G. Harryvan/J. Jans, Review for European and Administrative Law 2010, S. 53 ff.; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3 Rn. 203; J. Jans, in: R. Macrory (Hrsg.), Reflections on 30 Years of Environmental Law. A High Level of Protection, 2006, S. 477 ff.; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 24 ff. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass diese Begrenzungen der Antragsbefugnis sich innerhalb des durch Art. 9 Abs. 3 AK eingeräumten Ermessensspielraums bewegen; C. Poncelet, JEL 2012, S. 304 ff. 58 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85 ff.; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/ T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 203; m.w. N. 59 Vgl. Entscheidung der Kommission [1b(2014) s290192 vom 07.02.2014] anlässlich eines Antrags auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environ ment/aarhus/pdf/requests/20/reply.pdf. 60 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 203.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
1059
Gruppen der Öffentlichkeit rechtskonform mit den völkerrechtlichen Bestimmungen der AK ist. Dafür spricht der Inhalt des Art. 9 Abs. 3 AK, wonach die Vertragsparteien den „Mitgliedern der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren gewähren“. Danach muss die Antragsberechtigung nicht generell der (betroffenen) Öffentlichkeit zustehen, sondern darf auf Teile von ihr nach Maßgabe einschränkender Kriterien beschränkt werden.61 Für die Angleichung des Unionrechts an die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 3 AK betreffend den Zugang zu den Gerichten wurde es allerdings nicht als sinnvolle Option erachtet, ein Recht auf Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten für jede natürliche und juristische Person einzuführen. Wie oben skizziert wurde, implizierte dies eine Änderung der Art. 263 AEUV (ex-Art. 230 EGV) und Art. 265 AEUV (ex-Art. 232 EGV), welche nicht durch sekundäre Rechtsvorschriften erfolgen kann. Vielmehr sieht dieses Rechtsinstrument eine Begrenzung der Klagebefugnis auf qualifizierte Umweltorganisationen auf europäischer Ebene vor, die eine Reihe von erforderlichen Bedingungen erfüllen. Eine solche Begrenzung dürfte sich mit Art. 9 Abs. 3 AK vereinbaren lassen, da – wie schon gezeigt wurde – diese Bestimmung den Vertragsparteien die Möglichkeit gibt, Kriterien für die Mitglieder der Öffentlichkeit festzulegen, die Klagebefugnis erhalten sollen.62
III. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens Als besonders problematisch im Rahmen der AK-VO erweisen sich die Beschränkungen hinsichtlich des Gegenstands des Überprüfungsverfahrens. Nach Art. 10 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 Buchst. f AK-VO bezieht sich der Gegenstand des Überprüfungsverfahrens auf Maßnahmen im Bereich des Umweltrechts. Danach erfasst der Begriff Umweltrecht „Rechtsvorschriften der Gemeinschaft (nunmehr der Union), die unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage zur Verfolgung der im Vertrag niedergelegten Ziele der gemeinschaftlichen (bzw. unionalen) Umweltpolitik beitragen: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität, Schutz der menschlichen Gesundheit, umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen sowie Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung lokaler, regionaler und globaler Umweltprobleme.“
61 Vgl. KOM (2003) 622 endg., S. 17; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86; E. Rehbinder, in: C. Gaitanides/S. Kadelbach/C. G. Rodriguez Iglesias (Hrsg.), FS für M. Zuleeg, 2005, S. 666; in diese Richtung auch T. Durner, in: ders./C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 75; A. Epiney, ZUR 2003, S. 180; M. Scheyli, AVR 2002, S. 246. 62 Begründung des AK-VO-Vorschlags KOM (2003) 622 endg., 24.10.2003, 2003/ 0242 (COD), S. 17 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86.
1060
3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Der Begriff „Umweltrecht“ im Bereich der AK-VO ist somit weit gemeint. Diese Legaldefinition knüpft an den Wortlaut von Art. 191 Abs. 1 AEUV (exArt. 174 Abs. 1 EGV) an. Sachlich beschränkt sich dieser Begriff nicht nur auf Rechtsvorschriften, die gem. Art. 192 AEUV (ex-Art. 175 EGV), also auf der umweltrechtlichen Kompetenzgrundlage der Union ergangen sind. Er nimmt somit nicht auf einen bestimmten Kompetenztitel Bezug, wohl jedoch auf die allgemeine Umweltpolitik.63 Für die Interpretation des Begriffs „beitragen“ ist zudem zu beachten, dass laut Art. 11 AEUV (ex-Art. 6 EGV) die Erfordernisse des Umweltschutzes bei allen umweltpolitischen Maßnahmen der Union einbezogen werden müssen, um insbesondere das Ziel der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen.64 Daraus folgt, dass nicht nur Maßnahmen, die auf umweltrechtliche Kompetenzgrundlagen zurückgeführt werden können, unter den Begriff „Umweltrecht“ fallen. Denn einen Beitrag zum Umweltschutz können etwa auch wirtschaftsbezogene, gesundheitsbezogene oder regionalpolitische Entscheidungen leisten. Demzufolge ist die inhaltliche Zielsetzung der einzelnen Maßnahme ausschlaggebend.65 Die Kommission steht jedoch in der Praxis auf dem Standpunkt, dass nur die Einhaltung des Umweltrechts, nicht aber anderer Regelungen des Europarechts Gegenstand der Überprüfung sei.66 Aus dieser Auffassung folgt, dass in Wirklichkeit das Überprüfungsverfahren grundsätzlich auf umweltbezogene Verwaltungsakte beschränkt ist. Beispielsweise bestehe danach keine Klagebefugnis nach der AK-VO bei beteiligungspflichtigen indirekt umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken. Der Ansicht der Kommission nach gehört etwa die Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009 nicht zum Begriff des „Umweltrechts“ i. S. v. Art. 10 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 Buchst. f AK-VO. Diese Verordnung geht aus Art. 172 AEUV und nicht aus Art.191 ff. AEUV hervor, der die gesetzliche Grundlage für unionale Maßnahmen zur Förderung des Verbunds und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Energienetze sowie des Zugangs zu diesen Netzen darstellt. Diese Grundlage ist daher von der gesetzlichen umweltschützenden Grundlage des Art. 191 AEUV zu unterscheiden.67 63 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 208. 64 Vgl. dazu S. Breier, Art. 11 AEUV, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), AEUVKomm., 2010, S. 322 ff., m.w. N. 65 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 208. 66 Kommission, Access to information, public participation to decision-making and access to justice in environmental matters – A practical Guide, 2008, S. 7.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
1061
Parallel dazu fehlt in anderen indirekt umweltbezogenen Bereichen, wie dem Verbraucherschutzrecht, in denen die EU die Mitgliedstaaten zur Einführung überindividueller Klagebefugnisse verpflichtet hat, gänzlich eine derartige Klagebefugnis auf europäischer Ebene.68 Unabhängig von den defizitären gerichtlichen Kontrolle dieser indirekt umweltbezogenen Rechtsgebiete führt diese Tatsache durchaus den Überprüfungsgegenstand zu Abgrenzungsproblemen hinsichtlich seines Umfangs, wie schon die beschriebene Erfahrung der deutschen altruistischen VK, allerdings auf nationaler Ebene gezeigt hat.69 Unerlässliiche Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags auf interne Überprüfung ist, dass ein Verwaltungsakt oder die Unterlassung des Erlasses eines Verwaltungsaktes durch ein Organ oder eine Einrichtung der EU in Frage steht. Als Verwaltungsakt ist gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO, „jede Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls zu verstehen, die von einem Organ oder einer Einrichtung der EU getroffen wird, rechtsverbindlich ist und Außenwirkung hat“.70
Das Kriterium der Rechtsverbindlichkeit stellt darauf ab, dass konkrete Rechtsfolgen bei der Nichtberücksichtigung der Maßnahme eintreten. Bloße Meinungsäußerungen, Mitteilungen und vorbereitende respektive interne Maßnahmen können somit keine Rechtswirkungen entfalten und gehören nicht zum Verwaltungsakt der AK-VO.71 Denn Mitteilungen sind Dokumente der allgemeinen Politik, die nicht an konkrete Betroffene gerichtet sind. Darüber hinaus sind sie nicht rechtsverbindlich und haben somit keine Außenwirkung.72 Ähnliches gilt auch für Erklärungen der Kommission hinsichtlich umweltbezogener EG- bzw. EU-Maßnahmen, denn sie weisen i. d. R. nur einen politischen 67
Entscheidung der Kommission ener.b.1/AR/lb(2014) s290675 v. 07.02.2014 anlässlich des Antrags von „J&E“ auf internes Überprüfungsverfahren, abrufbar: http:// ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/21/reply.pdf. 68 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 242, m.w. N. 69 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 24 ff. 70 EuGH, Urt. v. 24.10.1989, Rs. C-16/88 (Kommission/Rat), Slg. 1989, S. 3457, Rn. 9, 11, 16. Diese Definition des Verwaltungsakts hat bisher keine genaue Entsprechung im Primärrecht. Sie ist in der Sache eine Unterkategorie der neuen Rechtskategorie „Beschluss“ nach Art. 288 Abs. 5 AEUV. 71 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 212. 72 Eine solche ist z. B. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen unter dem Titel: Erneuerbare Energien: Ein wichtiger Faktor auf dem europäischen Energiemarkt; COM/2012/0271 final; s. dazu Entscheidung der Kommission (Generaldirektion Energie) 1 (2012) 1664829 vom 21.01.2013 anlässlich des Antrags von „EPAW“ auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/ aarhus/pdf/requests/13.Reply.letter.to.EPAW.Jan.2013.pdf. Der Antrag wird als unzulässig betrachtet.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Charakter auf.73 Auch Entscheidungen der Kommission bezüglich der Personalwahl für EU-Einrichtungen oder -Organe fallen nicht in den Anwendungsbereich der AK-VO. Solche Entscheidungen weisen von Natur aus nur internen Charakter innerhalb des jeweils zuständigen Organs auf. Sie sind daher nicht rechtsverbindlich und haben keine Außenwirkung.74 Ferner sind gem. Art. 2 Abs. 2 AK-VO Verwaltungsmaßnahmen, die gerichtliche und gesetzgebende Eigenschaften haben oder die im Rahmen von Untersuchungsverfahren, in denen Organe und Einrichtungen der Union als Aufsichtsbehörde handeln, getroffen wurden, davon nicht erfasst. Insofern fallen Anträge auf interne Überprüfung von Entscheidungen der Kommission, die z. B. das Schließen eines Vertragsverletzungsverfahrens bezüglich der Durchführung eines Staudammprojekts in Portugal bezwecken, nicht in den Anwendungsbereich der AKVO. Denn in solchen Fällen handelt die Kommission als Aufsichtsbehörde und unterliegt somit dem Inhalt des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b AK-VO, wonach Verwaltungsakte eines Organs oder einer Einrichtung der EU von den genannten Verwaltungsakten oder Unterlassungen ausgenommen sind, wenn diese in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde handeln, wie etwa im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 258–260 AEUV (ex-Art. 226–228 EGV).75 73 Vgl. z. B. Entscheidung der Kommission C (2009) 3337 v. 27.04.2009 anlässlich des Antrags von „Client Earth“ auf interne Überprüfung einer Erklärung der Kommission bezüglich des Vorschlags zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/client_ earth_reply.pdf; vgl. dazu auch G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 60. 74 Vgl. Entscheidung der Kommission (Generaldirektion Umwelt, Generaldirektion Unternehmen und Industrie) vom 12.12.2007 anlässlich der Anträge von „Friends of the Earth Europe (FEE)“, „Women in Europe for a Common Future (WECF)“, „European Environmental Bureau (EEB)“ und „Health and Environment Alliance (HEAL)“ auf interne Überprüfung einer Entscheidung der Kommission bezüglich der Ernennung des Geschäftsführers von ECHA. In dieser Entscheidung hat die Kommission gem. Art. 84 Abs. 1 der EG-VO Nr. 1907/2006 eine Liste von nur 2 Kandidaten für den Vorstand der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) für die Ernennung des Geschäftsführers vorgeschlagen. Die Kläger waren besorgt, weil dadurch das Wahlspektrum des Geschäftsführers für den Vorstand des ECHA erheblich eingeschränkt war. Darüber hinaus behaupteten die Kläger, dass auch geeignete Kandidaten im Zuge des Auswahlverfahrens willkürlich ausgeschlossen wurden. Vor diesem Hintergrund stellten sie somit einen Antrag auf die interne Überprüfung der oben dargestellten Entscheidung der Kommission, damit die Kommission eine neue Liste mit einer breiteren Palette von qualifizierten Kandidaten erstelle. Die Kommission hielt allerdings die Anträge für unzulässig. Der Ansicht der Kommission nach hat die angefochtene Entscheidung keine Außenwirkung, da die Annahme einer Liste von Kandidaten einen nicht wesentlichen Bestandteil des Verfahrens für die Ernennung des Geschäftsführers von ECHA bildet; abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/requests.htm. Die Anträge sind als unzulässig anzusehen. Vgl. auch G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 59. 75 Entscheidung der Kommission (Generaldirektion Umwelt) vom 23.10.2008 anlässlich des Antrags von der „Liga para a Protecção da Natureza“ (LPN) auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/title_iv/english%
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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Gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a–d AK-VO sind Verwaltungsmaßnahmen gemeint, etwa im Rahmen von: a) den Artikeln 101, 102, 106 und 107 AEUV (exArt. 81, 82, 86 und 87 EGV) (Wettbewerb); b) den Artikeln 258 und 260 AEUV (ex-Art. 226 und 228 EGV) (Vertragsverletzungsverfahren); c) Artikel 228 AEUV (ex-Art. 195 EGV) (Maßnahmen des Bürgerbeauftragten); d) Artikel 325 AEUV (ex-Art. 280 EGV) (Maßnahmen des OLAF).76 Im Ergebnis hat jede Maßnahme mit externen Effekten Außenwirkung. Da auch vorgelagerten Entscheidungen in einem mehrstufigen, vertikalen Kooperationsverfahren – wie z. B. die Aufnahme eines FFH-Gebiets in die Kommissionsliste – eine Außenwirkung gegenüber dem Mitgliedstaat zukommt, sind auch derartige Akte mittels eines internen Überprüfungsverfahrens kontrollfähig.77 Von Bedeutung ist, dass gerade der Einzelfallcharakter einer Maßnahme an einen individuellen Anwendungsbereich anknüpft. Ein Verwaltungsakt muss insoweit eine konkret-individuelle Wirkung und gerade keine allgemeine Geltung entfalten.78 Hierfür kommt es nicht auf die äußere Form eines Rechtsakts an, sondern allein auf seine unmittelbaren und individuellen Wirkungen für Einzelpersonen. In Abgrenzung zu Rechtsakten mit allgemeiner Geltung, wie etwa Verordnungen und Richtlinien, handelt es sich somit hierbei nicht um Akte mit Rechtswirkungen für allgemein und abstrakt umrissene Personengruppen, die auf objektiv bestimmte Sachverhalte anwendbar sind.79 Dies bedeutet aber, dass Rechtsakte mit allgemeiner Geltung nicht im Rahmen der AK-VO überprüft werden können. Dies führt im Ergebnis zu einer erheblichen Einschränkung des Anwendungsbereichs des Verbandsrechtsbehelfs der AK-VO. Denn die meisten umweltbezogenen Maßnahmen sind wegen des kollektiven Charakters des Umweltschutzes – der Sache nach – Handlungen mit allgemeiner Geltung.80 Begründet wurde die Herausnahme derartiger Akte damit, dass der Ablauf der Untersuchungsverfahren ernsthaft behindert würde, wenn diese Entscheidungen 20translation %20of%20the%20LPN%20letter.pdf; auch dieser Antrag wurde von der Kommission als unzulässig abgelehnt; vgl. dazu G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 60. 76 In diesem Rahmen sind aus dem Anwendungsbereich der AK-VO auch umweltbezogene Beihilfemaßnahmen im Rahmen des Art. 107 AEUV, etwa die Leitlinien für staatlichen Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020 (ABl. EU C 201/01 v. 28.06.2014) wie auch der Beschluss der Kommission [D 2014/104829 v. 23.10.2014] anlässlich des Antrags von „Friends of the Earth“ auf interne Überprüfung dieser Leitlinien (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/27/reply. pdf) eingeschlossen. 77 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 213. 78 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 210. 79 Vgl. 11. Erwägungsgrund AK-VO. 80 Ausführlich dazu s. u. 3. Teil, 2. Kap., C.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
einer weiteren Prüfung zugeführt werden könnten.81 Einen Einzelfallcharakter können mithin auch Maßnahmen aufweisen, bei denen es sich nur der äußeren Form, nicht aber auch der Sache nach um eine Verordnung (sog. Scheinverordnung) oder eine Richtlinie handelt (sog. Scheinrichtlinie). Bei den Scheinverordnungen oder Scheinrichtlinien sind demnach materielle Entscheidungen oder ein Bündel von Entscheidungen, die konkret-individuelle Wirkungen zeitigen, in Form der Verordnung oder Richtlinie ergangen.82 Zusammengefasst ist zu beachten, dass Legislativakte, die im Gesetzgebungsverfahren nach Art. 189 Abs. 2 AEUV durch das Parlament und den Rat erlassen wurden, sowie Entscheidungen im Aufsichtsverfahren (s. Art. 2 Abs. 2 AK-VO i.V. m. Erwägungsgrund 11 AK-VO) nicht als Verwaltungsakte betrachtet werden können.83 Darüber hinaus sind unter dem Begriff „Organe oder Einrichtungen der EU“ alle Organe, Einrichtungen, Stellen oder Agenturen, die durch den AEUV oder auf dessen Grundlage geschaffen wurden, zu verstehen. Allerdings gelten gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c AK-VO Organe oder Einrichtungen der EU, die in ihrer Eigenschaft als Gericht oder, soweit es nicht um den Dokumentenzugang geht, als Gesetzgeber handeln, nicht als Organe oder Einrichtungen.84 Die AK-VO beschränkt sich somit nicht auf die in Art. 13 EUV aufgezählten Organe, sondern gilt z. B. auch für die Europäische Umweltagentur, die Europäische Investitionsagentur, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen.85 Dadurch können unterschiedliche Regelungen vermieden werden. Selbst die europäischen Gerichte unterliegen dieser Verordnung, wenn sie nur verwaltend tätig werden. In der Praxis dürfte somit die Bedeutung der AK-VO für die Judikative gering sein.86
IV. Gerichtlicher Rechtsschutz nach dem Antrag auf interne Überprüfung Der gerichtliche Rechtsschutz auf unionaler Ebene nach dem Antrag auf interne Überprüfung wird in Art. 12 AK-VO geregelt. Diese Vorschrift gewährt le81 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 210. 82 Ebd., § 3, Rn. 211, m.w. N. 83 Solche Beispiele sind Verwaltungsakte des Europäischen Bürgerbeauftragten nach Art. 228 AEUV, Verwaltungsakte in Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV und Art. 260 AEUV, Verwaltungsakte innerhalb des Wettbewerbs gemäß Art. 101, 102, 106, 107 AEUV oder Maßnahmen des OLAF gem. Art. 325 AEUV; vgl. A Guckelberger, NuR 2008, S. 85; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 24. 84 Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 80; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 277 ff., m.w. N. 85 Ebd. 86 Ebd.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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gitimierten Verbänden Rechtsschutz gegen umweltrechtliche Verwaltungsakte der Organe und Einrichtungen der EU, soweit der klagende Verband einen Antrag auf interne Überprüfung gestellt hat, der abschlägig oder gar nicht beschieden worden ist. Dieses Klagerecht gilt nur nach Maßgabe der Bestimmungen des AEUV. Aufgrund von Art. 12 Abs. 1 AK-VO sind Art. 263 AEUV (ex-Art. 230 EGV) sowie Art. 265 AEUV (ex-Art. 232 EGV) gemeint, die entsprechend die Voraussetzungen der Untätigkeitsklage bestimmen.87 Insofern gelten aber auch in diesem Fall die schon dargestellten Probleme hinsichtlich der Klagebefugnis nicht privilegierter Dritter weiter. Art. 6 des Beschlusses der Kommission 2008/401 zur Änderung ihrer Geschäftsordnung in Bezug auf Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1367/200688 erklärt diese Situation weiter und bestimmt: „Gegen eine Antwort, in der der Nichtregierungsorganisation mitgeteilt wird, dass ihr Antrag ganz oder teilweise unzulässig ist oder dass der Verwaltungsakt, dessen Überprüfung beantragt wird oder die behauptete Unterlassung gegen das Umweltrecht verstoßen, kann die Nichtregierungsorganisation unter den Bedingungen der Artikel 230 und 195 des EG-Vertrags (nunmehr entsprechend Art. 264 und 228 AEUV) die ihr offen stehenden Rechtsbehelfe – Klage gegen die Kommission, Beschwerde beim Bürgerbeauftragten oder beides – einlegen.“
Vor diesem Hintergrund können anerkannte Nichtregierungsorganisationen, die einen Antrag nach Art. 10 AK-VO gestellt haben, nach den oben einschlägigen Bestimmungen des AEUV Klage vor dem EuG erheben, damit er indirekt die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der umweltrechtlichen Maßnahmen prüft. Prüfungsgegenstand einer verbandlichen Nichtigkeitsklage ist die das interne Überprüfungsverfahren abschließende, abschlägige Antwort der zuständigen EU-Behörde. Das EuG muss die materielle und inhaltliche Rechtmäßigkeit des Überprüfungsbescheids kontrollieren.89 Der Erlass oder das Unterlassen eines Verwaltungsaktes wird somit im Rahmen der Nichtigkeitsklage inzident mit überprüft. Die Individualnichtigkeitsklage ist mithin auf Aufhebung der Antwort gerichtet, nicht aber auf Aufhebung oder Vornahme des mittels des internen Überprüfungsverfahrens angegriffenen Verwaltungsakts. Das gerichtliche Urteil im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex-Art. 230 Abs. 4 EGV) ist ein Gestaltungsurteil mit der Folge der Nichtigkeit der angegriffenen Ent-
87
Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 24 ff. Vgl. 2008/401/EG, Euratom: Beschluss der Kommission vom 30. April 2008 zur Änderung ihrer Geschäftsordnung, in Bezug auf Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. Nr. L 140 vom 30/05/2008, S. 0022–0025. 89 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 27. 88
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
scheidung.90 Die Nichtigerklärung einer Entscheidung der jeweils zuständigen Institution durch die Rechtsprechung hat Gestaltungswirkung und versetzt die Parteien in die Lage zurück, die vor dem Erlass des für nichtig erklärten Aktes bestand.91 Der Beklagte hätte dann die nach Art. 266 AEUV (ex-Art. 233 EGV) gebotenen Maßnahmen hinsichtlich des Erstbescheids zu ergreifen.92 Hierbei kann es sich nur um eine Rechtsgrund-, nicht aber um eine Rechtsfolgenverweisung handeln, denn Sekundärrecht kann die einschlägigen Rechtsschutzbestimmungen des AEUV nicht ändern. Es kann daher durch die AK-VO nicht eine Klagebefugnis geschaffen werden, sofern sie ihrer Art nach nicht in Art. 263 und 265 AEUV vorgesehen ist. Rechte Einzelner sind im Ergebnis nicht vorgesehen.93 Der den Antrag stellende Verband, der die Kriterien des Art. 11 Abs. 1 AK-VO erfüllt, wird durch die Einleitung des internen Überprüfungsverfahrens zur Partei dieses Verfahrens. Gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV besitzt jede Person die Klagebefugnis, an die der Verwaltungsakt gerichtet ist. Der das Verfahren abschließende Bescheid ist gem. Art. 10 Abs. 2 S. 2 AK-VO an diese Person zu richten. Insofern hat i. d. R. der antragstellende Verband als Adressat des Bescheids das Recht, eine Nichtigkeitsklage gegen den abschließenden Bescheid des Verfahrens vor dem EuG einzureichen.94 Problematisch ist aber, dass die Qualität der das Verfahren abschließenden Stellungnahme als Verwaltungsakt umstritten ist. Art. 10 Abs. 2 AK-VO spricht nicht von einem das Verfahren abschließenden Überprüfungsbescheid, sondern entgegen dem Kommissionsvorschlag nur von einer „Antwort“ mit Darlegung der Gründe. Nicht eindeutig geregelt ist, welche Anforderungen an eine „Antwort“ i. S. v. Art. 10 Abs. 2 S. 2 AK-VO zu stellen sind, damit sie als eine das Vorverfahren ordnungsgemäß abschließende Handlung gelten kann. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Qualifizierung einer Reaktion als Stellungnahme nicht darauf an, ob diese das Anliegen des Klägers befriedigt. Es reicht vielmehr aus, dass die Untätigkeit der Behörden auf die Unterlassung einer Entscheidung oder einer Stellungnahme zurückzuführen ist und nicht auf den Erlass eines anderen als des vom Kläger gewünschten oder für notwendig gehaltenen 90 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 220. 91 Ebd., Rn. 239. 92 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 27. 93 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 24 ff. 94 Vgl. konkreter dazu P. Wennerås, The Enforcement of EC Environmental Law, 2007, S. 238; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 220; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 86; J. Jans/H. Vedder, European Environmental Law, 2008, S. 218; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 295.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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Akts.95 Der h. M. nach liegt nur dann eine Stellungnahme i. S. v. ex-Art. 232 Abs. 2 EGV (nun Art. 265 Abs. 2 AEUV) vor, wenn eine unmissverständliche und endgültige Weigerung, den begehrten Rechtsakt zu erlassen, vorliegt. Hinhaltende Stellungnahmen oder die Ankündigung weiterer Prüfungen sind keine Stellungnahmen i. S. v. ex- Art. 232 Abs. 2 EGV (nun Art. 265 Abs. 2 AEUV).96 Obwohl einfache Verwaltungsschreiben entsprechend ihrem Inhalt durchaus als Verwaltungsakt qualifiziert worden können,97 liegt es im Hinblick auf den Wortlaut und insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vorschrift98 nahe, die „Antwort“ als eine bloße Mitteilung über das Ergebnis der Überprüfung und nicht als Verwaltungsakt zu verstehen.99 Dadurch sollte die Einräumung einer automatischen Klagebefugnis für den entsprechenden Adressaten im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex. 230 Abs. 4 EGV) vermieden werden.100 Allerdings gibt es Fälle in der europäischen Rechtsprechung, in denen schriftlichen Antworten bzw. Mitteilungen in anderen Bereichen des EU-Rechts (z. B. im Wettbewerbsrecht oder im Sanktionsrecht) als anfechtbare Rechtsakte gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV (ex. 230 Abs. 4 EGV) gelten.101
V. Restriktiver Umfang des Anwendungsbereichs des Art. 10 AK-VO – Beispiele aus der Praxis Der Anwendungsbereich des internen Überprüfungsverfahrens gem. Art. 10 AK-VO scheint im Rahmen des Rechtsschutzes der AK-VO in Realität besonders eingeschränkt zu sein. Die Praxis zeigt bisher, dass nur eine sehr geringe Anzahl der Anträge auf interne Überprüfung zu einem finalen Beschluss der Kommission führt. Davon wurden bisher in allen geprüften Fällen die Anträge 95 Vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 13.07.1971, Rs. 81/71, Slg. 1971, 705, Rn. 2 (Komponistenverband/Kommission). 96 S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 215, m.w. N. 97 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.03.1967, Rs. C-8-11/66 (Cimenteries CBR Cementbedreijven/Kommission), Slg. 1967, 100, 122–124. 98 Vgl. dazu M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 287 ff.; E. Rehbinder, in: FS für M. Zuleeg, 2005, S. 657 ff. 99 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 27. 100 Dieses Ergebnis wurde von dem Verband der Europäischen chemischen Industrie begrüßt, denn der Begriff „schriftliche Antwort“ statt „Entscheidung“ steht im Einklang mit einer gezielten erweiterten Einbeziehung der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten und der Scherung der geordneten Rechtspflege. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 295. 101 EuGH, Urt. v. 15.03.1967, C-8-11/66, SA Cimenteries CBR Cementsbedrijven NV and others v. Kommission (curia.europa.eu); M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 295.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
von der Kommission meist als unzulässig und teilweise als unbegründet abgewiesen.102 Die bisherige Praxis der Kommission im Nachprüfungsverfahren im Rahmen der AK-VO ist durch die auffallende Tendenz gekennzeichnet, den Begriff des Verwaltungsaktes sehr eng zu interpretieren.103 Dese Tatsache wirkt als erheblich einschränkend bezüglich des Umfangs des Anwendungsbereichs des internen Überprüfungsverfahrens im Rahmen der AK-VO, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Der Auffassung der Kommission nach stellen rein interne bzw. abstrakt-generelle Maßnahmen keinen Verwaltungsakt im Rahmen der AK-VO dar.104 So werden z. B. an Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen über die Verwendung von Mitteln aus der Versteigerung von Emissionsrechten und der zeitliche Aufschub für die Verbindlichkeit von Grenzwerten als allgemeingültige Entscheidungen105 und nicht als Verwaltungsakte i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO betrachtet.106 Ähnliches gilt auch für Entscheidungen über die Zulassung maßgeblicher Beratungs-, Regelungs- und Prüfungsverfahren (etwa Art. 7 Abs. 3, Art. 19 Abs. 3 VO Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel). Solche Entscheidungen sind Durchführungsrechtsakte und sind als Verordnung, Richtlinie oder Beschluss mit allgemeiner Geltung und nicht als Verwaltungsakt i. S. v. Art. 10 AK-VO anzusehen.107 Auch Entscheidungen der Kommission über operationelle Verkehrsprogramme von Mitgliedstaaten [z. B. Entscheidung C (2007)6367, die das operationelle Verkehrsprogramm der Tschechischen Republik billigte] unterliegen nicht dem Anwendungsbereich des internen Überprüfungsverfahrens der AK-VO.108 Zwar ist 102 Vgl. G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 55 ff.; C. Poncelet, JEL 2012, S. 303 ff.; jeweils m.w. N. Vgl. Sammlung von Dokumenten bezüglich Anträgen von NGOs auf interne Überprüfung im Rahmen der AK-VO, abrufbar unter: http:// ec.europa.eu/environment/aarhus/requests.htm. 103 Vgl. L. Krämer, JEEPL 2009, S. 17. 104 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 25; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 85. 105 Der Ansicht der Rspr. nach: „Eine Maßnahme hat allgemeine Geltung, wenn sie für objektiv bestimmte Situationen gilt und gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen Rechtswirkungen entfaltet.“ Vgl. unter anderem: EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 30 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 551, m.w. N. 106 Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 283 ff.; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 25. 107 Vgl. M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 283 ff.; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 25. 108 Beschluss der Kommission [007629 v. 06.08.2008] anlässlich des Antrags auf interne Überprüfung der Kommissions-Entscheidung C(2007)6367 vom 10.12.2007, die das operationelle Verkehrsprogramm 2007–2013 für die Tschechische Republik angenommen hat. Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/title_iv/Re ply%20to%20EPS.pdf.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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eine solche Entscheidung eine Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls, die von einem Organ der Union getroffen wird, zudem rechtsverbindlich, allerdings hat sie keine Außenwirkung. Diese Entscheidungen ermöglichen der Kommission, Verpflichtungen in Bezug auf den Haushalt der Union aufzuerlegen, mit dem Ziel, nationale Maßnahmen zu ergänzen und sie in die Prioritäten der Union zu integrieren. Operationelle Programme bauen vor allem eine Entwicklungsstrategie mit einem kohärenten Bündel von Prioritäten auf, während ihre Umsetzung unter der Zuständigkeit der nationalen Behörden steht. Zwar sind solche Entscheidungen an Mitgliedstaaten gerichtet, sie erzeugen aber der Meinung der Kommission nach keine Außenwirkung und gehören daher nicht zum Prüfgegenstand des internen Überprüfungsverfahrens der AK-VO.109 Im Anschluss daran wurde auch der Antrag des „EEB“ auf interne Überprüfung des Beschlusses 2013/687/EU der Kommission vom 26. November 2013 über einen von der Hellenischen Republik mitgeteilten nationalen Übergangsplan nach Art. 32 RL 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Industrieemissionen als unzulässig abgelehnt. Der Ansicht der Kommission nach hat der umstrittene Beschluss allgemeine Geltung und ist daher nicht als Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls zu verstehen i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO.110 109 C. Kiss/P. C ˘ erny´, Justice & Environment 2008, S. 2 ff.; G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 59 ff.; Beschluss der Kommission [007629 v. 06.08.2008] anlässlich des Antrags auf interne Überprüfung der Kommissions-Entscheidung C(2007)6367 vom 10.12.2007, die das operationelle Verkehrsprogramm 2007–2013 für die Tschechische Republik angenommen hat, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/ pdf/title_iv/Reply%20to%20EPS.pdf. 110 Der Antragsteller hat behauptet, dass, obwohl der griechische nationale Übergangsplan die in seinem Anhang aufgelisteten Anlagen ermögliche, von ihrer Verpflichtung bezüglich der Einhaltung der in Art. 30 RL 2010/75/EU festgelegten Emissionsgrenzwerte nur vorübergehend ausgenommen zu werden, der nationale Übergangsplan willkürlich keine Emissionsgrenzwerte für jede einzelne Anlage festgesetzt habe, sondern nur die Gesamtobergrenze für die Emissionen. Im Hinblick darauf habe die Kommission unverhältnismäßig in ihrer Entscheidung 2013/687/EU keine Einwände gem. Art. 32 Abs. 5 RL 2010/75/EU gegen den griechischen Übergangsplan erhoben. Vgl. Beschluss der Kommission [Ref. Ares(2014)1102834 v. 08.04.2014] anlässlich des Antrags von „EEB“ auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environ ment/aarhus/pdf/requests/22/reply.pdf. Eine ähnliche Ansicht hat die Kommission in Beschlüssen hinsichtlich der internen Überprüfung von entsprechenden Entscheidungen der Kommission bezüglich der nationalen Übergangspläne von Polen und Bulgarien vertreten. Vgl. Beschluss der Kommission [DG ENV/JM/adb Ares (2014) v. 12.06.2014] anlässlich des Antrags von „EEB“ und „HEAL“ auf interne Überprüfung der Entscheidung der Kommission 2014/804 vom 17. Februar 2014 über die Mitteilung eines nationalen Übergangsplans i. S. v. Art. 32 der RL 2010/75/EU von der Republik Polen, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/24/reply.pdf und Beschluss der Kommission [DG ENV/JM/adb Ares (2014) v. 11.07.2014] anlässlich des Antrags von „EEB“ u. a. auf interne Überprüfung der Entscheidung der Kommission 2014/804 vom 31. März 2014 über die Mitteilung eines nationalen Übergangsplans i. S. v. Art. 32 der RL 2010/75/EU von der Republik Bulgarien, abrufbar unter: http:// ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/25/reply.pdf. In diese Richtung auch Be-
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Dabei fallen der Auffassung – der Kommission nach – sowohl Bestimmungen der EG-VO Nr. 1143/2007111 zur Genehmigung des (hinsichtlich des Umweltschutzes umstrittenen) Wirkstoffs Prochloraz112, als auch Bestimmungen der EUVO Nr. 359/2012113 zur Genehmigung des (auch umstrittenen) Wirkstoffs Metam nicht unter die Definition der „Verwaltungsakte“ i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO.114 Denn es handelt sich wiederum um Maßnahmen, die allgemeine Geltung haben und nicht zur Regelung eines Einzelfalles getroffen wurden, und die gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO von einem Organ oder einer Einrichtung der Union erlassen wurden. Gleiches gilt für die Bestimmungen der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 582/2012 der Kommission vom 2. Juli 2012 zur Genehmigung des Wirkstoffs Bifenthrin gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission.115 Mit ähnlichen Argumenten wurde auch der Antrag von „PAN Europe“ auf interne Überprüfung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 365/2013 der Kommission vom 22. April 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung des Wirkstoffs schluss der Kommission [C(2012) 8382 final v. 12.11.2012] anlässlich des Antrags von „ELS“ auf interne Überprüfung der Entscheidung C (2012) 4576 vom 6. Juli 2012 über den Antrag gemäß Art. 10c Abs. 5 der RL 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates auf kostenlose Übergangszuteilung für die Modernisierung der Stromerzeugung, mitgeteilt von der Tschechischen Republik, abrufbar unter: http://ec.europa. eu/environment/aarhus/pdf/requests/16/reply.pdf. 111 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1143/2011 der Kommission vom 10. November 2011 zur Genehmigung des Wirkstoffs Prochloraz gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln sowie zur Änderung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission und der Entscheidung 2008/934/EG der Kommission, ABl. EG L 293 vom 11.11.2011, S. 26–30. 112 Beschluss der Kommission [Ref. Ares(2012)284818 v. 09.03.2012] anlässlich des Antrags von „Greenpeace“ und „PAN“ auf interne Überprüfung der EG-VO Nr. 1107/ 2009, die den Wirkstoff Prochloraz billigt; abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environ ment/aarhus/pdf/requests/11_reply.pdf. 113 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 359/2012 der Kommission vom 25.04.2012 zur Genehmigung des Wirkstoffs Metam gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission. 114 Beschluss der Kommission (Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher) vom 16.08.2012 anlässlich des Antrags von „MDGF“ auf interne Überprüfung der EU-VO 359/2012 zur Genehmigung des Wirkstoffs Metam; abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ environment/aarhus/pdf/requests/12.Letter %20to%20FARO%20&%20GOZLAN.pdf. 115 Beschluss der Kommission [Ref. Ares(2012)1271350 v. 26.10.2012] anlässlich des Antrags von „Client Earth“, „Générations Futures“ und „PAN Europe“ auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/15/ reply.pdf.
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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Glufosinat als unzulässig abgelehnt.116 Gleiches gilt auch für die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 408/2014 der Kommission vom 23. April 2014 zur Genehmigung von synthetischem amorphem Siliciumdioxid als alten Wirkstoff zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 18117 sowie für den Beschluss der Kommission vom 27. Oktober 2014 zur Festlegung eines Verzeichnisses der Sektoren und Teilsektoren, von denen angenommen wird, dass sie im Zeitraum 2015–2019 einem erheblichen Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen ausgesetzt sind, gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.118 Der Ansicht der Kommission nach gehört auch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 der Kommission vom 24. Mai 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid sowie des Verbots der Anwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit diese Wirkstoffe enthaltenden, Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, nicht zum Anwendungsbereich der AK-VO. Denn diese VO habe unmittelbare Wirkung und allgemeine Geltung, so dass sie keinen Verwaltungsakt i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g darstelle. Demzufolge konnte die Unterlassung der Kommission zusätzliche Einschränkungsmaßnahmen hinsichtlich der Nutzung der oben erwähnten Wirktoffe nicht im Rahmen der AK-VO intern überprüft werden.119 In diesem Zusammenhang wurde auch der Antrag von NROen auf interne Überprüfung einer Unterlassung der Kommission, einen erforderlichen Vorschlag hinsichtlich der Durchführung von Maßnahmen (nämlich Maßnahmen zur Einhaltung des Kraftstoffbasisstandards sowie Methoden zur Messung der Treibhausgasemissionen) zur Minderung der Treibhausgasemissionen gem. Art. 7a RL 2009/30/EG120 zu machen, als unzulässig abgelehnt. Grund dafür war vor allem, 116 Beschluss der Kommission [Ref. Ares(2013)2834293 v. 08.03.2013] anlässlich des Antrags von „PAN Europe“ auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http:// ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/18/reply.pdf. 117 Beschluss der Kommission [Ref. Ares(2014)2559021 v. 01.08.2014] anlässlich des Antrags von „Client Earth“ auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http:// ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/26/reply.pdf. 118 Beschluss der Kommission [C(2015) 1539 final v. 03.03.2015] anlässlich des Antrags von „Greenpeace“ auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ environment/aarhus/pdf/requests/28/reply.pdf. 119 Beschluss der Kommission [Ref. Ares (2013)3210021 v. 09.10.2013] anlässlich des Antrags von „Pan Europe“ und „Confédération Paysanne“, abrufbar unter: http:// ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/requests/19/reply.pdf. 120 Richtlinie 2009/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Änderung der Richtlinie 98/70/EG im Hinblick auf die Spezifikationen für Otto-, Diesel- und Gasölkraftstoffe und die Einführung eines Systems zur Überwachung und Verringerung der Treibhausgasemissionen sowie zur Änderung der Richtlinie 1999/ 32/EG des Rates im Hinblick auf die Spezifikationen für von Binnenschiffen gebrauchte Kraftstoffe und zur Aufhebung der Richtlinie 93/12/EWG.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
dass ein solcher Vorschlag nicht rechtsverbindlich ist und keine Außenwirkung hat. Unabhängig davon hat die Kommission festgestellt, dass die angebliche Verpflichtung, der Kommission geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, allgemeine Geltung hat und nicht auf die Regelung eines Einzelfalls abzielt. Sie stellt daher keinen Verwaltungsakt i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO dar.121 Gleiches gilt auch für Bestimmungen der EG-VO 43/2009 des Rates122 zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten und begleitenden Fangbedingungen für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in den Gemeinschaftsgewässern sowie für Gemeinschaftsschiffe in Gewässern mit Fangbeschränkungen. Da der Rat diese VO erlassen hat, hat er auch den Antrag von „Greenpeace“ auf interne Überprüfung dieser Verordnung geprüft. Der Ansicht des Rates nach stellt die angefochtene Verordnung keinen Verwaltungsakt im Sinne der AK-VO dar. Auch sie kann somit nicht als ein Bündel von rechtsverbindlichen Entscheidungen individueller Geltung, die an bestimmte Mitgliedstaaten gerichtet sind, angesehen werden. Zwar setzt die umstrittene Verordnung Nr. 43/2009 Fangquoten für bestimmte geografische Gebiete fest, sie ist aber anwendbar für eine unbestimmte Anzahl von Fischerei-Unternehmen. Denn letztlich sind die Mitgliedstaaten zuständig, die Fangquoten für einzelne Fischerei-Unternehmen konkret zu bestimmen. Diese Verordnung weist daher keinen individuellen Charakter im Rahmen der AK-VO auf.123 Auch Richtlinienvorschriften124, die unter anderem die Verwendung weiterer umstrittener Pestizide (etwa Imidacloprid) zum Schutz von Landwirtschaftsprodukten erlauben, gehören – der Ansicht der Kommission nach – nicht zum Prüfungsgegenstand der AK-VO. Der Auffassung der Kommission nach sind auch solche Maßnahmen als Maßnahmen mit allgemeiner Geltung anzusehen, denn sie sind an Mitgliedstaaten und nicht an einem bestimmten Kreis von Personen gerichtet. Insofern entfalten sie Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen und zielen nicht auf die Regelung eines 121 Beschluss der Kommission [C(2014) 2465 final v. 07.04.2014] anlässlich des Antrags auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/aarhus/ pdf/requests/23/reply.pdf. 122 Verordnung (EG) Nr. 43/2009 des Rates vom 16.01.2009 zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten und begleitenden Fangbedingungen für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in den Gemeinschaftsgewässern sowie für Gemeinschaftsschiffe in Gewässern mit Fangbeschränkungen (2009) (ABl. EG L 22 vom 26.01.2009). 123 Beschluss des Rates (Generaldirektion Umwelt) vom 07.05.2009 anlässlich des Antrags von „Greenpeace“ auf interne Überprüfung der EG-VO Nr. 43/2009. Greenpeace strebte die Verbesserung der Fangquote des Blauflossen-Thunfischs an. Der Antrag wurde von der Kommission als unzulässig betrachtet. Vgl. dazu G. Harryvan/ J. Jans, REALaw 2010, S. 58. In diese Richtung auch EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK Ltd/Rat). 124 Vgl. z. B. Richtlinie 2008/116/EG der Kommission vom 15.12.2008 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Aclonifen, Imidacloprid und Metazachlor, ABl. L 337 vom 16.12.2008, S. 86–91.
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Einzelfalls ab, die von einem Organ oder einer Einrichtung der Union ergeht. Sie können somit nicht als „Verwaltungsakte“ i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO betrachtet werden.125 Ferner können Verordnungsvorschriften (etwa der EG-VO Nr. 149/2008)126, die Rückstandshöchstgehalte für die Erzeugnisse festgelegen, die in Anhang I der EG-VO Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.02.2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates127 aufgeführt sind, nicht im Rahmen der AK-VO intern überprüft werden. Vor diesem Hintergrund wurden beispielsweise die Anträge der niederländischen Umweltverbände „Stichting Natuur en Milieu“ und „Pesticide Action Network Europe“ auf interne Überprüfung der EG-VO Nr. 149/2008128 durch den Beschluss der Kommission vom 01.07.2008 als unzulässig abgelehnt.129 Die antragsberechtigten Umweltverbände vertraten die Auffassung, dass die in der umstrittenen EG-VO Nr. 149/2008 beinhalteten Rückstandshöchstgehalte umwelt- und gesundheitsschädlich sein können. Sie behaupteten auch, dass diese Bestimmungen ein der internen Überprüfung zugänglicher Verwaltungsakt seien. Denn die umstrittene EG-VO sollte als Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls und als Bündel von Entscheidungen betrachtet werden. Die Kommission hat wiederum dieser Auslegung nicht zugestimmt. Sie argumentierte dagegen, dass die EG-VO Nr. 149/2008, die auf Art. 5 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 sowie Art. 22 Abs. 1 der EG-VO Nr. 396/2005 gestützt ist, die europarechtlich geltenden Höchstgehalte an Pestizidrückständen festlegt, die für 125 Vgl. Beschluss der Kommission (Generaldirektion) vom 21.04.2009 anlässlich des Antrags von „Stichting Natuur en Milieu“ für die interne Überprüfung von Vorschriften der RL-2008/116 EG. Mehr dazu G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 56 ff. 126 Verordnung (EG) Nr. 149/2008 der Kommission vom 29.01.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Anhänge II, III und IV mit Rückstandshöchstgehalten für die unter Anhang I der genannten Verordnung fallenden Erzeugnisse, ABl. EG L 58 vom 01.03. 2008, S. 1–398. 127 ABl. EG L 70, S. 1. 128 Verordnung (EG) Nr. 149/2008 der Kommission v. 29.01.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Anhänge II, III und IV mit Rückstandshöchstgehalten für die unter Anhang I der genannten Verordnung fallenden Erzeugnisse. 129 Vgl. Beschluss der Kommission [(2008) D530586 v. 01.07.2008] anlässlich der Anträge von „Stichting Natuur en Milieu“ und „Pesticide Action Network“ (PAN) auf die interne Überprüfung einer Entscheidung, die Rückstandshöchstgehalte für Pestizide bestimmt. Diese Anträge wurden als unzulässig abgelehnt, abrufbar unter: http://ec. europa.eu/environment/aarhus/pdf/title_iv/Reply%20to%20SNM.pdf. Vgl. G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 56 ff.
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alle Wirtschaftsteilnehmer des Nahrungsmittelsektors anwendbar sind. Deswegen kann sie nicht als Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO und auch nicht als ein Bündel von Entscheidungen angesehen werden. Die Kommission erachtete deshalb die dargestellten Anträge der Umweltverbände auf interne Überprüfung der EG-VO Nr. 149/2008 als unzulässig.130 Im Anschluss daran fallen auch Beschlüsse der Kommission, die bestimmten Mitgliedstaaten ausnahmsweise die Verlängerung der Frist für die Erreichung von umweltbezogenen festgesetzten Grenzwerten sowie eine Befreiung von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung entsprechender Grenzwerte z. B. für Partikel (PM 10) einräumen, nicht unter den Anwendungsbereich der AK-VO. Im Hinblick darauf teilte am 15.07.2008 das Königreich der Niederlande der Kommission nach Art. 22 der RL 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (Luftqualitäts-RL)131 mit, dass es eine Verlängerung der Frist für die Erreichung des für Stickstoffdioxid festgesetzten Jahresgrenzwerts in Anspruch nehme. Am 07.04.2009 erließ die Kommission die Entscheidung C (2009) 2560 über eine Fristverlängerung nach Art. 22 der RL 2008/50/EG. In diesem Rahmen stellten die niederländischen Umweltschutzverbände „Vereniging Milieudefensie“ und „Stop Luchtverontreiniging Utrecht“ nach Art. 10 Abs. 1 AK-VO einen Antrag bei der Kommission auf interne Überprüfung der oben genannten Entscheidung der Kommission C (2009) 2560 mit der Begründung, dass die Niederlande die Voraussetzungen des Art. 22 der RL 2008/50/EG nicht erfüllen würden. Die Kommission lehnte aber mit ihrem Beschluss vom 28.07.2009 diesen Antrag ab. Damit sieht die Kommission die oben dargestellte Entscheidung vom 07.04.2009 nicht als Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls an. Auch dieser Beschluss wurde für unzulässig erklärt, denn sie ist an einen bestimmten Mitgliedstaat gerichtet und stellt abstrakt und objektiv eine allgemeingültige Regelung auf dem Gebiet der Bewertung und Begrenzung des Ausstoßes von Schadstoffen auf. Sie bezieht sich somit nicht auf einen Verwaltungsakt i. S. v. Art. 10 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g. der AK-VO.132 130 Ebd.; a. A. EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), Rn. 83, NuR 2012, S. 555; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 69 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 499. 131 ABl. EG L 152, S. 1. Die Entscheidung 2009(2560) wurde auf der Grundlage der RL-2008/50/EG erlassen. Diese Vorschrift erlaubte es den Mitgliedstaaten, unter bestimmten Bedingungen die Fristen für das Erreichen bestimmter Grenzwerte zu verlängern und von der Verpflichtung zur Anwendung bestimmter Grenzwerte ausgenommen zu werden, sofern die Kommission keine Einwendungen gegen diese Verlängerung und Befreiung erhoben hat. Gegen die oben genannte Entscheidung hat aber die Kommission keine Einwände erhoben. 132 Vgl. Beschluss der Kommission [C (2009) 6121 v. 28.07.2009] anlässlich des Antrags von „Vereniging Milieudefensie“ u. a. auf interne Überprüfung der Entscheidung
C. Interne Überprüfungsverfahren gem. Art. 10 ff. AK-VO
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Beachtenswert ist, dass die zwei oben ausgeführten Beschlüsse der Kommission (vom 01.07.2008 und vom 28.01.2009) vom EuG wegen Verstoßes der Rechtsfigur „Verwaltungsakte“ gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO gegen Art. 9 Abs. 3 AK für nichtig erklärt wurden.133 Der EuGH hat allerdings in einem umstrittenen Urteil der Ansicht des EuG nicht zugestimmt und hat bislang zumindest das EuG-Urteil T-396/09 aufgehoben. Diese Rechtsprechung soll im nächsten Unterkapitel dieser Arbeit intensiver dargestellt und erörtert werden. Beschlüsse der Kommission im Bereich des Stoff- und Gentechnikrechts [z. B. Entscheidungen über die Zulassung besonders gefährlicher Stoffe oder deren Widerruf (gem. Art. 60 und Art. 61 Abs. 1 UAbs. 4 Abs. 3 REACH-VO) sowie Entscheidungen über die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel (gem. Art. 3, 7 und 19 der VO Nr. 1829/2003)], Entscheidungen der Registrierungsverfahren (z. B. das Verlangen nach Ergänzung der Unterlagen oder Prüfnachforderungen nach Art. 20 und Art. 51 der VO Nr. 1907/2006 – REACH-VO) werden als Verwaltungsakte i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO angesehen.134 Zwar werden i. d. R. solche Entscheidungen als Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. g AK-VO angesehen, allerdings wurden die bisherigen Anträge auf interne Überprüfung dieser Entscheidungen von der Kommission als unbegründet zurückgewiesen.135 Dies ist der Fall beispielsweise bei dem Antrag der „J&E“ auf interne Überprüfung von Bestimmungen der Entscheidungen der Kommission 2007/701/ EG136, 2007/702/EG137, 2007/03/EG138 über die Zulassung des Inverkehrbrin-
der Kommission; mehr dazu G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 57 ff.; J. Berkemann, ZUR 2015, S. 222 ff. 133 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 65 ff. (Stichting Natuur en Milieu & Pesticide Action Network Europe/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 69 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 550 ff. 134 Vgl. M. Bronckers/Y. van Gerven, CML Rev. 2009, S. 1860 ff.; A. Keesen, EELR 2007, S. 28 ff. 135 Vgl. insb. G. Garçon, EurUP 2012, S. 72 ff.; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 283 ff.; E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 25. 136 Beschluss der Kommission 2007/701/EG vom 24. Oktober 2007 über die Zulassung des Inverkehrbringens von aus der genetisch veränderten Maissorte NK603xMON810 (MON-ØØ6Ø3-6xMON-ØØ81Ø-6) bestehenden, diese enthaltenden oder aus dieser gewonnenen Erzeugnissen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2007) 5140). 137 Beschluss der Kommission 2007/702 vom 24. Oktober 2007 über die Zulassung des Inverkehrbringens von aus der gentechnisch veränderten Maissorte 59122 (DAS59122-7) bestehenden, diese enthaltenden oder aus dieser gewonnenen Erzeugnissen ge-
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
gens von aus der genetisch veränderten Maissorte bestehenden, diese enthaltenden oder aus dieser gewonnenen Erzeugnissen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates. In diesem Fall wurden die Behauptungen der Antragsteller, dass die Etikettierungsvorschriften der oben genannten Erzeugnisse mangelhaft und daher nicht vereinbar mit der europäischen Gesetzgebung sind, als unbegründet abgelehnt.139 Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht auch der Beschluss der Kommission vom 06.07.2010 anlässlich des Antrags der „J&E“ auf interne Überprüfung des Beschlusses der Kommission 2010/135 vom 2. März 2010 über das Inverkehrbringen eines genetisch veränderten Kartoffelerzeugnisses (Solanum tuberosum L. Linie EH92-527-1) mit erhöhtem Amylopectingehalt in der Stärke gemäß der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, sowie des Beschlusses der Kommission 2010/136 vom 2. März 2010 über die Zulassung des Inverkehrbringens von Futtermitteln, die aus der genetisch veränderten Kartoffelsorte EH92-527-1 (BPS-25271-9) gewonnen werden, und des zufälligen oder technisch nicht zu vermeidenden Vorhandenseins dieser Kartoffelsorte in Lebensmitteln und Futtermitteln gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates. Der Ansicht der Kommission nach wurde dieser Antrag als unbegründet abgelehnt. Denn die Mitgliedstaaten und die Kommission haben dafür ausreichend gesorgt, dass die umstrittenen GVO, die Gene enthalten, welche Resistenz gegen in der ärztlichen oder tierärztlichen Behandlung verwendete Antibiotika vermitteln, bei einer UVP besonders berücksichtigt wurden, und zwar im Hinblick auf die Identifizierung und schrittweise Einstellung der Verwendung von Antibiotikaresistenzmarkern in GVO, die schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt herbeiführen können (vgl. Art. 4 Abs. 2 RL 2001/18/ EG). Mögliche schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die unmittelbar oder mittelbar durch den Gentransfer von GVO auf andere Organismen auftreten können, wurden somit gesetzmäßig Fall für Fall sorgfältig geprüft. Es besteht somit kein Grund für eine interne Überprüfung.140 mäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2007) 5142). 138 Beschluss der Kommission 2007/703 vom 24. Oktober 2007 über die Zulassung des Inverkehrbringens von aus der genetisch veränderten Maissorte 1507xNK603 (DAS-Ø15Ø7-1xMON-ØØ6Ø3-6) bestehenden, diese enthaltenden oder aus dieser gewonnenen Erzeugnissen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2007) 5142). 139 Beschluss der Kommission [D(2008)510302 v. 26.05.2008] anlässlich des Antrags von J&E auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environ ment/aarhus/pdf/title_iv/Reply%20to%20J_E.pdf. 140 Beschluss der Kommission [C(2010)4632 v. 06.07.2010] anlässlich des Antrags von J&E auf interne Überprüfung, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/ aarhus/pdf/requests/9_reply%20.pdf. Vgl. auch beispielsweise die Anträge der NROen
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor EU-Gerichten 1077
Die Tatsache, dass kein Antrag auf interne Überprüfung im Rahmen der AKVO bisher von der zuständigen Überprüfungsbehörde angenommen wurde, zeigt eindeutig die problematische Funktion des hier relevanten Verbandsrechtsbehelfs und bestätigt die restriktive Auslegung der AK-VO.141
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor den EU-Gerichten gegen Beschlüsse der Kommission bezüglich des internen Überprüfungsverfahrens Von besonderem Interesse im Hinblick auf die Auslegung der Rechtsfigur des „Verwaltungsaktes“ im Rahmen der AK-VO sind die Nichtigkeitsklagen, die qualifizierte NROen, die schon einen Antrag auf interne Überprüfung im Rahmen der AK-VO an die Kommission gestellt hatten, vor dem EuG gegen die (bereits dargestellten) ablehnenden Beschlüsse der Kommission vom 01.07.2008 hinsichtlich Bestimmungen von Rückstandshöchstgehalten im Rahmen der EGVO Nr. 149/2008142 und gegen den Beschluss vom 28.07.2009 hinsichtlich der Entscheidung der Kommission C (2009)2560 über eine Fristverlängerung nach Art. 22 der RL 2008/50/EG143 erhoben haben.
„Testbiotech“, „European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility e. V. (ENSSER)“, „Gesellschaft für ökologische Forschung“, „Zukunftsstiftung Landwirtschaft“, „Sambucus“, „Manfred-Hermsen-Stiftung“ [v. 06.08.2012] auf die interne Überprüfung des Durchführungsbeschlusses der Kommission Nr. 2012/347 vom 28. Juni 2012 über die Zulassung des Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die genetisch veränderte Sojabohnen der Sorte MON 87701 MON 89788 (MON-877Ø1-2 MON-89788-1) enthalten, aus ihnen bestehen oder aus ihnen gewonnen werden, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel. Mit dem Beschluss der Kommission vom 08.01.2013 wurden diese Anträge als unbegründet abgelehnt. In dieser Hinsicht wandten sich die Antragsteller vor dem EuG gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Überprüfung der Zulassung genetisch veränderter Sojabohnen [vgl. EuG, Rs. T-177/13 (TestBioTech u. a./Kommission), eingereicht am 18.03.2013, ABl. EG C 178, S. 11]. 141 Vgl. N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 129, m.w. N. (curia.europa.eu). 142 Vgl. Beschluss der Kommission [(2008) D530586 v. 01.07.2008] anlässlich der Anträge von „Stichting Natuur en Milieu“ und „Pesticide Action Network“ (PAN) auf die interne Überprüfung einer Entscheidung, die Rückstandshöchstgehalte für Pestizide bestimmt. Diese Anträge wurden als unzulässig abgelehnt, abrufbar unter: http://ec. europa.eu/environment/aarhus/pdf/title_iv/Reply%20to%20SNM.; vgl. G. Harryvan/ J. Jans, REALaw 2010, S. 56 ff. 143 Vgl. Beschluss der Kommission [C (2009) 6121 v. 28.07.2009] anlässlich des Antrags von „Vereniging Milieudefensie“ u. a. auf interne Überprüfung der Entscheidung der Kommission; mehr dazu G. Harryvan/J. Jans, REALaw 2010, S. 57 ff.; J. Berkemann, ZUR 2015, S. 222 ff.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
I. Urteile des EuG in den Rechtssachen T-338/08 und T-396/09 Von Bedeutung ist, dass in beiden hier relevanten Urteilen das EuG angenommen hat,144 dass Art. 10 Abs. 1 AK-VO nicht mit Art. 9 Abs. 3 AK vereinbar ist. Grund dafür ist, dass Art. 10 Abs. 1 AK-VO in unzulässiger Weise den Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK nur auf „Verwaltungsakte als Maßnahmen zur Regelung eines Einzelfalls“ i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO beschränkt. Die Argumentation des EuG war in beiden Fällen grundsätzlich identisch, so dass es nicht erforderlich ist, beide Urteile einzeln darzustellen. Die Kläger machen zur Stützung ihres Nichtigkeitsantrags in beiden Fällen grundsätzlich zwei Klagegründe geltend. In erster Linie tragen sie vor, die Kommission habe ihre oben dargestellten Anträge auf interne Überprüfung zu Unrecht als unzulässig angesehen, da es sich um eine Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls handele. Dieser Klagegrund sei dahingehend auszulegen, dass er im Wesentlichen auf einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO gestützt wird. Hilfsweise machen die Klägerinnen geltend: Sollte der erste Klagegrund zurückgewiesen werden, sei davon auszugehen, dass Art. 10 Abs. 1 AK-VO dadurch, dass er den Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 der AK auf „Verwaltungsakte“ beschränke, die zudem in Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der AK-VO als „Maßnahme[n] . . . zur Regelung eines Einzelfalls“ definiert würden, gegen diese Bestimmung der AK verstoße.145 Die Kläger, die sich nicht auf die unmittelbare Wirkung der Bestimmungen des Übereinkommens beriefen, haben nämlich inzident gemäß ex-Art. 241 EGV (nun Art. 277 AEUV) die Gültigkeit des Art. 10 Abs. 1 der VO Nr. 1367/2006 im Hinblick auf die AK in Frage gestellt. Der EuG hat in beiden Fällen den ersten Klagegrund abgewiesen. Im Fall hinsichtlich des abgelehnten Antrags der Klägerinnen auf interne Überprüfung der Entscheidung der Kommission über eine Fristverlängerung nach Art. 22 der Luftqualitäts-RL 2008/50/EG vermochte das Vorbringen der Kläger, die angefochtenen Rechtsakte seien eine Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls, da sie nur gegenüber dem Königreich der Niederlande Rechtswirkungen entfalten, nicht zu überzeugen. Das EuG stellte einerseits fest, dass mit der angefochtenen Entscheidung der Kommission C (2009)2560 dem Königreich der Niederlande gestattet wird, Handlungen mit allgemeiner Geltung vorzunehmen, die für alle
144 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 553; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/ Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 145 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 20 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 26 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 550 ff.
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor EU-Gerichten 1079
natürlichen oder juristischen Personen gelten, die in den von dieser Entscheidung erfassten niederländischen Gebieten und Ballungsräumen wohnen bzw. ansässig sind oder dort einer Tätigkeit nachgehen. Diese Entscheidung entfaltet daher Rechtswirkungen nicht nur gegenüber dem Königreich der Niederlande, sondern auch gegenüber allen diesen Personen.146 Des Weiteren wurde auch das Argument der Kläger, dass die EG-RL 2008/50 keine Maßnahmen enthalte, die für eine oder mehrere allgemein und abstrakt bezeichnete Personengruppen gelten, da sie an die Mitgliedstaaten, die einen Gestaltungsspielraum bei der Durchführung der Richtlinie behielten, und nicht an Bürger oder Unternehmen gerichtet sei, abgelehnt. Das EuG weist darauf hin, dass eine Richtlinie eine normative, allgemeine und abstrakte Handlung ist147, wie die EuGH-Rechtsprechung schon festgestellt hat.148 Dass das Königreich der Niederlande bei der Wahl der zur Umsetzung der Richtlinie 2008/50 geeigneten Form und Mittel einen Gestaltungsspielraum behält, kann daher nicht die allgemeine Geltung der Richtlinie in Frage stellen.149 Auch im Fall hinsichtlich des abgelehnten Antrags der Kläger auf interne Überprüfung der EG-VO Nr. 149/2008 hat das EuG entsprechende Argumente der Kläger abgelehnt. Das EuG stellte fest, dass unter Berücksichtigung des Gegenstands und des Inhalts der umstrittenen EG-VO Nr. 149/2008 diese für objektiv bestimmte Situationen gilt. Zudem entfaltet sie Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen, nämlich gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern, die die von den Anhängen der Verordnung Nr. 396/2005 erfassten Erzeugnisse herstellen, anbauen, einführen oder produzieren, und gegenüber den Inhabern von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die in diesen Anhängen bezeichneten Stoffe enthalten. Demgemäß hat das EuG entschieden, dass die EG-VO Nr. 149/2008 eine Maßnahme mit allgemeiner Geltung darstellt. Sie kann daher nicht als Verwaltungsakt i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO angesehen werden.150 Von erheblicher Bedeutung ist die Tatsache, dass in beiden Fällen das EuG den zweiten Klagegrund der Kläger, dass Art. 10 Abs. 1 der AK-VO, der den Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK auf „Verwaltungsakte“ beschränke, die zudem in Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO als „Maßnahme[n] . . . zur Regelung 146 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 38 (Vereniging Milieudefensie Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 147 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 39 (Vereniging Milieudefensie Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 148 Vgl. unter anderem: EuGH, Beschl. v. 23.11.1995, Rs. C-10/95, Slg. 1995, 4149, Rn. 37 (Asocarne/Rat). 149 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 39 (Vereniging Milieudefensie Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 150 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 38 ff. (Stichting Natuur en Milieu Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 550 ff.
u. u. Iu. u.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
eines Einzelfalls“ definiert würden, gegen Art. 9 Abs. 3 AK verstoße, angenommen hat.151 Es ist davon auszugehen, dass die Kläger mit diesem Klagegrund eine Einrede der Rechtswidrigkeit des Art. 10 Abs. 1 AK-VO i.V. m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO (gem. Art. 277 AEUV) erhoben haben. Im Hinblick darauf hat das EuG grundsätzlich geprüft, ob der Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK dahingehend auszulegen ist, dass er sich i.V. m. Art. 10 Abs. 1 AK-VO auf „Maßnahme[n] . . . zur Regelung eines Einzelfalls“ beschränkt. Angesichts der Tatsache, dass der Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK nicht definiert wird, sollte ein völkerrechtlicher Vertrag wie die AK nach seinem Wortlaut und im Licht der Ziele der AK auszulegen sein.152 Zudem muss auch beachtet werden, dass nach Art. 300 Abs. 7 EGV (nun Art. 216 Abs. 2 AEUV) die von der Gemeinschaft (nunmehr Union) geschlossenen Abkommen für ihre Organe verbindlich sind und daher Vorrang vor den Bestimmungen des daraus abgeleiteten Sekundärrechts haben.153 Vor diesem Hintergrund haben die Bestimmungen der von der EG geschlossenen AK Vorrang vor den Vorschriften des europäischen Sekundärrechts.154 Das EuG stellt fest, dass nach ständiger Rechtsprechung der Unionsrichter die Gültigkeit einer Verordnungsbestimmung nur dann an einem völkerrechtlichen Vertrag messen kann, wenn dessen Art und Struktur dem nicht entgegenstehen und seine Bestimmungen außerdem inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen.155 Das EuG hat in beiden Fällen unter Bezugnahme auf die Recht-
151 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 50 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 552 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 43 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 497 ff. 152 Der Art. 31 der Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge und vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, die Ausdruck des Völkergewohnheitsrechts sind, bestimmen insoweit, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen ist. Vgl. EuGH, Urt. v. 10.01.2006, C-344/04, Slg. 2006, I-403 ff., Rn. 40 (IATA und ELFAA), NJW 2006, S. 351 ff., m.w. N.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T338/08, Rn. 72 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 552 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 61 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 497 ff. 153 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 51 ff., m.w. N. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 552 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 51 ff., m.w. N. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498. 154 Ebd. 155 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 21.12.2011 – Rs. C-366/10, Rn. 54 (Air Transport Association of America u. a.), DVBl 2012, S. 288 ff.
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor EU-Gerichten 1081
sprechung des EuGH (insb. der Urteile Fediol/Kommission156 und Nakajima/ Rat157) darauf hingewiesen, dass der EuGH die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union an den Bestimmungen eines internationalen Übereinkommens zu messen hat, durch die für den Bürger nicht das Recht begründet wird, sich vor Gericht auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn die Union eine bestimmte im Rahmen dieses Übereinkommens übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder der Rechtsakt des abgeleiteten Rechts ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen dieses Übereinkommens verweist.158 Unter diesen Voraussetzungen muss der Unionsrichter die Rechtmäßigkeit einer Verordnung, mit der eine den Unionsorganen durch diesen völkerrechtlichen Vertrag auferlegte Verpflichtung erfüllt werden soll, an diesem Vertrag messen können, ohne zuvor zu prüfen, ob die oben genannte Voraussetzung des unbedingten und hinreichend genauen Inhalts der jeweils umstrittenen Bestimmungen einer Verordnung erfüllt ist.159 Das EuG ist des Weiteren davon ausgegangen, dass die AK-VO – wie aus Art. 1 Abs. 1 (insb. aus Art. 1 Abs. 1 Buchst. d AK-VO) sowie aus dem 18. Erwägungsgrund der AK-VO hervorgehe – zur Erfüllung der sich aus Art. 9 Abs. 3 AK ergebenden internationalen Verpflichtungen der Union erlassen worden sei.160 Im Hinblick darauf weist das EuG auf die Ziele der AK hin. Es wird angemerkt, dass aus dem 6. und 8. Absatz der Präambel der AK hervorgeht, dass dessen Verfasser „in der Erkenntnis, dass ein angemessener Schutz der Umwelt für das menschliche Wohlbefinden und die Ausübung grundlegender Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben, unabdingbar ist“ 156 EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913, Rn. 19 ff. (Fediol/ Kommission), NJW 1984, S. 2026 ff. In dieser Rechtssache stellte die Klägerin die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Kommission, mit der ihr Antrag auf Eröffnung eines Prüfverfahrens gegen Handelspraktiken Argentiniens abgelehnt worden war, in Frage. Hierfür berief sie sich auf die Verordnung (EWG) Nr. 2641/84 des Rates vom 17. September 1984 zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken und fügte hinzu, die genannten Handelspraktiken liefen auch mehreren Bestimmungen des GATT zuwider. 157 EuGH, Urt. v. 07.05.1991, C-69/89, Slg. 1991, I-2069 ff., Rn. 31 (Nakajima/ Rat). In dieser Rechtssache berief sich die Klägerin nach Art. 184 EWG auf die Unanwendbarkeit der Bestimmungen einer Antidumping-Verordnung und machte dabei insbesondere geltend, diese Verordnung verstoße gegen bestimmte Vorschriften des GATTAntidumpingkodex. 158 Vgl. unter anderem: EuGH, Urt. v. 07.05.1991, C-69/89, Slg. 1991, I-2069 ff., Rn. 31 (Nakajima/Rat). 159 Vgl. EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 53 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 552 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 53 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 497 ff. 160 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 57–58 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 552 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 57–58 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
der Auffassung sind, dass „Bürger zur Wahrnehmung dieses Rechts und zur Erfüllung dieser Pflicht Zugang zu Informationen, ein Recht auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten haben müssen, [wobei] sie in dieser Hinsicht gegebenenfalls Unterstützung benötigen, um ihre Rechte wahrnehmen zu können.“
Weiter heißt es im 9. Absatz der Präambel der AK, dass „im Umweltbereich ein verbesserter Zugang zu Informationen und eine verbesserte Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren die Qualität und die Umsetzung von Entscheidungen verbessern, zum Bewusstsein der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten beitragen, der Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen, und es den Behörden ermöglichen, diese Anliegen angemessen zu berücksichtigen“.161
Zudem bestimmt Art. 1 („Ziel“) der AK: „Um zum Schutz des Rechts jeder männlichen/weiblichen Person gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer seiner/ihrer Gesundheit und seinem/ ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt beizutragen, gewährleistet jede Vertragspartei das Recht auf Zugang zu Informationen, auf Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen.“ 162
Vor diesem Hintergrund zieht das EuG den Schluss, dass ein Verfahren der internen Überprüfung, das nur Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen beträfe, eine sehr beschränkte Tragweite hätte. Dafür spricht, dass die im Umweltbereich vorgenommenen Handlungen in den meisten Fällen Handlungen mit allgemeiner Geltung sind. Angesichts der Ziele und des Gegenstands der AK sei eine solche Beschränkung jedoch nicht gerechtfertigt.163 Dabei wurde auch angemerkt, dass Art. 9 Abs. 3 AK seinem Wortlaut nach den Vertragsparteien der AK einen gewissen Spielraum hinsichtlich der Bestimmung der Personen, die Verwaltungs- oder gerichtliche Verfahren anstrengen können, und der Art des Verfahrens (Verwaltungs- oder gerichtliches Verfahren) belässt. Nach dieser Bestimmung können nämlich nur „Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben“.
Im Gegensatz dazu belässt jedoch Art. 9 Abs. 3 AK nicht den gleichen Spielraum bei der Definition und Bestimmung der anfechtbaren „Handlungen“. Da161
Ebd., 63–64. Ebd. 163 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 76 (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 554; EuG, Urt. v. 14.06. 2012, Rs. T-396/09, Rn. 65 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498. 162
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor EU-Gerichten 1083
her besteht kein Grund für eine Auslegung des Begriffs „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK dahingehend, dass er sich nur auf „Handlungen zur Regelung von Einzelfällen“ bezieht.164 Auch hinsichtlich der übrigen Bestimmungen der AK ist festzustellen, dass nach dessen Art. 2 Abs. 2 der Begriff „Behörde“ letztlich „keine Gremien oder Einrichtungen umfasst, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft (gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c AK-VO) handeln“. Somit sind Handlungen, die von einer Einrichtung oder einem Gremium der Union in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft vorgenommen werden, vom Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 der AK auszunehmen. Das EuG aber betonte zutreffend, dass dieser Ausschluss jedoch nicht zulässt, den Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK auf Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen zu beschränken. Denn es besteht in Wirklichkeit keine Korrelation zwischen Handlungen mit allgemeiner Geltung und von einer Behörde in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft vorgenommenen Handlungen. Dafür spricht, dass „Handlungen mit allgemeiner Geltung“ nicht notwendig Handlungen sind, die von einer Behörde in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft vorgenommen werden.165 Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Art. 263 Abs. 4 AEUV den Umfang der Handlungen nicht auf eine solche enge Weise, die durch eine Nichtigkeitsklage angefochten werden können, beschränkt. Stattdessen bestimmt Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV offensichtlich, dass eine Nichtigkeitsklage auch gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die den Kläger unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, eingereicht werden kann. Das heißt, dass dadurch auch allgemeingültige Handlungen angefochten werden können. Eine solche Beschränkung nur auf Maßnahmen zur Regelung eines Einzel-
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Ebd., Rn. 66. Bezüglich der durch die umstrittene EG-VO 149/2008 festgesetzten Höchstgehalte an Pestizidrückständen stellt das EuG fest, dass die Kommission bei Erlass dieser VO nicht als Gesetzgeber gehandelt hat. Denn in Anbetracht der Bestimmungen, auf deren Grundlage diese Verordnung ergangen ist, ist die Kommission vielmehr in Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse tätig geworden. Dies ist dahingehend zu begründen, dass die EG-VO Nr. 149/2008 die EG-VO Nr. 396/2005 in der Weise geändert hat, dass sie in diese die Anhänge II bis IV eingefügt hat. Die EG-VO Nr. 149/2008 wurde somit von der Kommission auf der Grundlage der Art. 5 Abs. 1, 16 Abs. 1, 21 Abs. 1 und 22 Abs. 1 der EG-VO Nr. 396/2005 erlassen, die das Verfahren für die Erstellung dieser Anhänge vorsahen. Die Kommission wird also als Behörde im Sinne von Art. 9 Abs. 3 AK angesehen. Dieser Leitfaden ist zwar rechtlich nicht verbindlich, doch ist das Gericht durch nichts daran gehindert, sich von ihm bei der Auslegung von Art. 2 Abs. 2 der AK leiten zu lassen; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 65 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 554. In diese Richtung auch EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 67 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498. 165
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
falls i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK scheint daher nicht in Einklang mit Art. 263 Abs. 4 AEUV zu sein.166 Der Auffassung des EuG nach ist Art. 9 Abs. 3 AK nicht dahingehend auszulegen, dass er sich nur auf Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen bezieht. Infolgedessen sei der Ansicht des EuG nach Art. 10 Abs. 1 der AK-VO, soweit er den Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK auf die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO definierten „Verwaltungsakte“ beschränkt, nicht mit Art. 9 Abs. 3 der AK vereinbar.167
II. Das Urteil des EuGH C-401 bis 403/2012 P Gegen das oben dargestellte Urteil des EuG vom 14.06.2012 (Rs. T-396/2009) legten der Rat der EU, das Parlament und die Kommission gem. Art. 56 der Satzung des EuGH ein Rechtsmittel vor der großen Kammer des EuGH ein. Im Mittelpunkt steht das Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, die Eigenständigkeit des Unionsrechts zu wahren und dem Willen zur Einhaltung der sich aus den Verträgen, an denen die Union beteiligt ist, ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen auszugleichen.168 Der Rat, das Parlament und die Kommission argumentieren grundsätzlich, dass das EuG einen Rechtsfehler begangen habe, als es angenommen habe, dass Art. 9 Abs. 3 AK herangezogen werden könne, um zu prüfen, ob Art. 10 Abs. 1 AK-VO mit der zuerst genannten Vorschrift vereinbar sei. Hilfsweise haben sie geltend gemacht, das EuG sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus Art. 10 Abs. 1 AK-VO entgegenstehe.169 Außerdem haben die Kläger (Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht) ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie geltend gemacht haben, dass das EuG im angefochtenen Urteil dadurch einen Rechtsfehler begangen habe, dass es Art. 9 Abs. 3 AK nicht wenigstens insoweit unmittelbare Wirkung zuerkannt habe, als er vorsehe, dass diejenigen „Handlungen“, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatliches Rechts verstießen, anfechtbar sein müssten, und es infolgedessen unterlassen habe, die Rechtmäßigkeit von Art. 10 Abs. 1 AK-VO im Hinblick auf diese Bestimmung der AK zu beurteilen.170 166 Vgl. C. Kiss/P. C ˘ erny´, Justice & Environment 2008, S. 8; C. Poncelet, JEL 2012, S. 303. 167 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 76 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 550 ff. 168 N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 1 ff. (curia.europa.eu); J. Berkemann, ZUR 2015, S. 223. 169 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 35–36 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 170 Ebd., Rn. 29.
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Der Rat hat vorgetragen, dass es sich bei beiden EuGH-Urteilen (Fediol171 und Nakajima172), auf die das erstinstanzliche EuG-Urteil Bezug genommen hat,173 um Ausnahmefälle handele, denen der vorliegende Sachverhalt jedenfalls nicht entspreche. Denn zum einen sei die im Urteil Fediol gewählte Lösung durch die besonderen Umstände der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, gerechtfertigt, da in dieser die fragliche Verordnung den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern das Recht verliehen habe, sich auf die Vorschriften des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (sog. GATT) zu berufen. Daher sei diese Lösung nicht außerhalb des spezifischen Regelungsbereichs dieses Abkommens anwendbar. Zum anderen vertritt der Rat in Bezug auf die mit dem EuGH-Urteil Nakajima begründete Rechtsprechung die Auffassung, dass diese nur den Fall betreffe, dass die Union eine im Rahmen des GATT übernommene besondere Verpflichtung habe erfüllen wollen, was in der vorliegenden Rechtssache auch nicht der Fall sei.174 Im Anschluss daran führte die Kommission zum Urteil Fediol ergänzend aus, dass dieses nur den Fall betreffe, dass eine Handlung der Union ausdrücklich auf bestimmte Vorschriften des GATT verwiesen habe. Was das Urteil Nakajima betrifft, war sie der Meinung, dass dies nicht dahin ausgelegt werden kann, dass jede unionsrechtliche Handlung im Hinblick auf das internationale Übereinkommen, das durch diese Handlung ggf. umgesetzt werde, geprüft werden könne. Um eine solche Kontrolle durchführen zu können, müsse daher die unionsrechtliche Handlung eine unmittelbare und umfassende Durchführung des internationalen Übereinkommens darstellen und eine sich daraus ergebende hinreichend klare und bestimmte Verpflichtung betreffen. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall.175 Daneben wies sie darauf, dass es der EuGH in seinen Urteilen Intertanko u. a.176 und Air Transport Association of America u. a.177 abgelehnt habe, die Gültigkeit einer Richtlinie anhand eines internationalen Übereinkommens zu prüfen, obwohl diese Richtlinie auf das Übereinkommen Bezug genommen habe.178 171 EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913 (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026. 172 EuGH, Urt. v. 07.05.1991, C-69/89, Slg. 1991, I-2069 ff. (Nakajima/Rat). 173 Vgl. EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 53 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 497 ff.; EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-338/08, Rn. 53 ff. (Stichting Natuur en Milieu u. Pesticide Action Network Europe/Kommission), NuR 2012, S. 552 ff. 174 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 37–39 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 175 Ebd., Rn. 41–42. 176 EuGH, Urt. v. 03.06.2008 – Rs. C-308/06 (Intertanko u. a.), EuZW 2008, S. 439 ff. 177 EuGH, Urt. v. 21.12.2011 – Rs. C-366/10 (Air Transport Association of America u. a.), DVBl 2012, S. 288 ff. 178 EuGH, Urt. v. 13.01.2015 – Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 47 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff.
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In diesem Zusammenhang behauptete das Parlament zusätzlich, dass das Urteil Fediol nur den Fall eines ausdrücklichen Verweises einer Handlung des Sekundärrechts auf ganz bestimmte Vorschriften des GATT darstelle, bei dem es sich nicht um eine bloße Bezugnahme auf diese Vorschriften, sondern um eine Übernahme derselben handele. Folglich könne sich das EuG nicht auf den 18. Erwägungsgrund der AK-VO stützen, durch den Art. 9 Abs. 3 AK nur umschrieben werde, um anzunehmen, dass diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt sei. Zudem gehe aus dieser Rechtsprechung des EuGH jedenfalls hervor, dass die von einer Verordnung der Union übernommenen Vorschriften eines internationalen Übereinkommens nur geltend gemacht werden könnten, um die Gültigkeit der Rechtsakte zu überprüfen, die gemäß dieser Verordnung erlassen worden seien, nicht aber, um die Gültigkeit der Verordnung selbst zu prüfen.179 In Bezug auf das Urteil Nakajima führte das Parlament aus, dass es in der mit diesem Urteil getroffenen Entscheidung um den Fall gehe, dass mit einer Handlung des Sekundärrechts eine besondere durch ein internationales Übereinkommen auferlegte Verpflichtung durchgeführt werde, in deren Rahmen die Union verpflichtet werde, in einer bestimmten Weise tätig zu werden. Insofern verfüge sie über keinerlei Ermessensspielraum. Bei den sich aus Art. 9 Abs. 3 AK ergebenden internationalen „Verpflichtungen“ der Union hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Unionsebene, auf die das erstinstanzliche Urteil des EuG Bezug nehme, handele es sich aber nicht um „besondere“ Verpflichtungen i. S. d. Urteils Nakajima, da die Vertragsparteien der AK in Bezug auf die Ausgestaltung der Durchführungsmodalitäten der „verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren“ i. S. v. Art. 9 Abs. 3 AK über ein weites Ermessen verfügten, sofern die Anforderungen seines Art. 9 Abs. 4 AK eingehalten würden.180 Der EuGH hat die Argumentation der Rechtsmittelführer grundsätzlich geteilt. Zwar hat er angenommen, dass nach Art. 300 Abs. 7 EGV (jetzt Art. 216 Abs. 2 AEUV) die von der Union geschlossenen Übereinkünfte für ihre Organe verbindlich sind und daher Vorrang vor den durch sie erlassenen Rechtsakten haben.181 Insofern betonte der EuGH, dass bei der Entscheidung darüber, welche Wirkungen die Bestimmungen eines Abkommens zwischen der Union und Drittstaaten in der Union entfalten, der völkerrechtliche Ursprung der fraglichen Bestimmungen nicht außer Acht gelassen werden darf. Nach den Grundsätzen des Völkerrechts bleibt es aber den Unionsorganen, die für das Aushandeln und den Abschluss eines solchen Abkommens zuständig sind, unbenommen, mit den be179
Ebd., Rn. 43. Ebd., Rn. 44. 181 EuGH, Urt. v. 13.01.2015 – Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 52 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff., m.w. N. auf EuGH, Urt. v. 03.06.2008 – Rs. C-308/06, Rn. 42 (Intertanko u. a.), EuZW 2008, S. 439 ff. 180
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troffenen Drittstaaten zu vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen dieses Abkommens in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen. Ist diese Frage in dem Abkommen nicht ausdrücklich geregelt (genauso wie im hier untersuchten Fall der AK-VO), haben die zuständigen Gerichte und hat insbesondere der EuGH im Rahmen seiner Zuständigkeit aufgrund des AEUV über diese Frage ebenso wie über jede andere Auslegungsfrage im Zusammenhang mit der Anwendung des Abkommens in der Union zu entscheiden.182 Im Hinblick darauf argumentiert der EuGH, dass nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Bestimmungen eines internationalen Vertrags, dessen Vertragspartei die Union ist, zur Begründung einer Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Sekundärrechts der Union oder einer Einrede der Rechtswidrigkeit einer solchen Handlung nur unter der Voraussetzung geltend gemacht werden können, dass zum einen Art und Struktur des betreffenden Vertrags dem nicht entgegenstehen und zum anderen diese Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen.183 Vor diesem Hintergrund erschließt der EuGH, dass Art. 9 Abs. 3 AK keine unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung enthält, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte. Da nur „Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“, Inhaber der in Art. 9 Abs. 3 AK vorgesehenen Rechte sind, hängen die Durchführung und die Wirkungen dieser Vorschrift vom Erlass eines weiteren Rechtsakts ab.184 Zwar habe auch der EuGH insbesondere in den schon erwähnten Rechtssachen Fediol und Nakajima entschieden, dass es, wenn die Union eine bestimmte Verpflichtung umsetzen wollte, die sie im Rahmen der mit der WTO geschlossenen Verträge übernommen hat, oder wenn die unionsrechtliche Handlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist, Sache des 182 EuGH, Urt. v. 13.01.2015 – Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 52 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff., m.w. N. auf EuGH, Urt. v. 09.09.2008 – Rs. C-120/06 und C-121/06 P, Rn. 108 (FIAMM u. a./Rat und Kommission), DÖV 2009, S. 38 ff. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 30.09.1987 – Rs. C-12/86, Rn. 17 (Demirel/Stadt Schwäbisch Gmünd), EuR 1988, S. 46 ff. 183 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 53 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff., m.w. N. auf EuGH, Urt. v. 09.09.2008 – Rs. C-120/06 P und C-121/06 P, Rn. 110 (FIAMM u. a./Rat und Kommission), DÖV 2009, S. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 03.06.2008 – Rs. C-308/06, Rn. 45 (Intertanko u. a.), EuZW 2008, S. 439 ff.; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 – Rs. C-366/10, Rn. 54 (Air Transport Association of America u. a.), DVBl 2012, S. 288 ff. 184 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 55 und Rn. 68 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff., m.w. N. auf EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 51, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
EuGH ist, die Rechtmäßigkeit der fraglichen Handlung an den Regeln der WTOÜbereinkünfte zu messen.185 Der Ansicht des EuGH nach wurden diese beiden Ausnahmen jedoch nur durch die Besonderheiten der Verträge gerechtfertigt, die zu ihrer Anwendung geführt haben.186 Einerseits im Gegensatz zum EuGH-Urteil Fediol187 verweise im vorliegenden Fall Art. 10 Abs. 1 AK-VO weder unmittelbar auf ganz bestimmte Vorschriften der AK noch begründet er ein Recht für den Einzelnen.188Andererseits im Kontrast zum EuGH-Urteil Nakajima189 betreffe die vorliegende Rechtssache jedoch nicht die Durchführung der besonderen Verpflichtungen i. S. d. Nakajima-Urteils durch Art. 10 Abs. 1 AK-VO, da – wie aus Art. 9 Abs. 3 AK hervorgeht – dessen Vertragsparteien in Bezug auf die Ausgestaltung der Durchführungsmodalitäten der „verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren“ über ein weites Ermessen verfügen.190 185 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 56 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff., m.w. N. auf etwa EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C-191/82, Slg. 1983, S. 2913, Rn. 19–23 (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026; EuGH, Urt. v. 07.05. 1991, C-69/89, Slg. 1991, I-2069 ff., Rn. 29–32 (Nakajima/Rat). 186 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 57 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 187 In diesem Urteil wurde festgestellt, dass der in jener Rechtssache in Rede stehende Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2641/84 des Rates vom 17. September 1984 zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken (ABl. L 252, S. 1) ausdrücklich auf die Regeln des Völkerrechts verwies, die sich im Wesentlichen auf das GATT stützten und für die Betroffenen das Recht begründeten, sich im Rahmen eines Antrags nach dieser Verordnung auf die Bestimmungen des GATT zu berufen. EuGH, Urt. v. 04.10.1983, Rs. C191/82, Slg. 1983, S. 2913, Rn. 19 (Fediol/Kommission), NJW 1984, S. 2026. 188 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 58 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 189 Bezüglich dieses Urteils ist darauf hinzuweisen, dass die dort maßgeblichen Handlungen des Unionsrechts mit dem Antidumpingsystem verbunden waren, das sowohl hinsichtlich seiner Gestaltung als auch hinsichtlich seiner Anwendung in dem Sinne sehr dicht ist, dass es Maßnahmen für diejenigen Unternehmen vorsieht, denen Dumpingpraktiken vorgeworfen werden. Insbesondere war die in jener Rechtssache in Rede stehende Grundverordnung in Übereinstimmung mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft festgelegt worden, u. a. denen des Übereinkommens zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, das im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 80/271/EWG des Rates vom 10. Dezember 1979 über den Abschluss der multilateralen Übereinkommen, die im Zuge der Handelsverhandlungen von 1973 bis 1979 ausgehandelt wurden (ABl. 1980 L 71, S. 1, angenommen wurde. EuGH, Urt. v. 07.05.1991, C-69/89, Slg. 1991, I-2069 ff., Rn. 30 (Nakajima/Rat). 190 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 59 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff.
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Nach alledem stellt der EuGH im Ergebnis fest, dass die EU mit dem Erlass der AK-VO nicht die Absicht gehabt habe, Art. 9 Abs. 3 AK für die Organe der EU umzusetzen.191 Das EuG habe somit mit seinem erstinstanzlichen Urteil, dass die Rechtmäßigkeit von Art. 10 Abs. 1 AK-VO anhand von Art. 9 Abs. 3 AK beurteilt werden könne, einen Rechtsfehler begangen, so dass das angefochtene EuG-Urteil aufzuheben ist.192
III. Kritische Anmerkungen Die oben dargestellten Urteile, die zum Weiterbestehen der Problematik des Umweltrechtsschutzes auch auf unionaler sekundärrechtlicher Ebene beitragen, sollen nicht ohne Kritik bleiben. 1. Kritik an der EuG- und EuGH-Rechtsprechung Wie schon dargestellt wurde, fordert das EuGH-Urteil, dass Art. 9 Abs. 3 AK inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sein sollte, um als Kontrollmaßstab ein Kriterium für die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts (nämlich in diesem Fall des Art. 10 Abs. 1 AK-VO) sein zu können. Gerade in diesem Zusammenhang stellt und prüft das EuGH-Urteil als ein Subkriterium dafür die Frage, ob Art. 9 Abs. 3 AK eine inhaltlich unbedingt und hinreichend genaue Verpflichtung enthält, welche die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar (d.h. dass die Erfüllung dieser Verpflichtung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen) regeln könnte.193 Der EuGH beantwortet diese Frage schließlich mit der Untersuchung, ob Art. 10 Abs. 1 AK-VO ein Recht für den Einzelnen begründe.194 Der Ansicht des EuGH nach enthält Art. 9 Abs. 3 AK keine unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung, welche „die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte“. Grund dafür ist, dass „Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“, Inhaber der in Art. 9 Abs. 3 AK vorgesehenen Rechte sein könnten.195 Insofern betrifft die vorliegende Rechtssache nicht die Durchführung der besonderen Verpflichtungen i. S. d. EuGH-Urteils Nakajima durch Art. 10 Abs. 1 AK-VO, da – wie aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus hervorgeht – dessen Vertragsparteien in Bezug 191
Ebd., Rn. 60. Ebd., Rn. 61–62. 193 J. Berkemann, ZUR 2015, S. 227, m.w. N. 194 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 58–59 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 195 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 55 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 192
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auf die Ausgestaltung der Durchführungsmodalitäten der „verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren“ über ein weites Ermessen verfügen.196 Aus der Argumentation des EuGH ergibt sich mit anderen Worten folgender nicht überzeugender Schluss: Wenn nach Art. 9 Abs. 3 AK die Vertragsparteien in Bezug auf die Ausgestaltung der Durchführungsmodalitäten der „verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren“ über ein weites Ermessen verfügen, dann hat die EU eben dieses weite Ermessen mit der AK-VO ausgeübt. Demzufolge stellt der EuGH überraschenderweise fest, dass die EU mit dem Erlass der AK-VO nicht beabsichtigt habe, Art. 9 Abs. 3 AK für die unionalen Organe und Einrichtungen der EU umzusetzen.197 Auf diese Weise ohne überzeugende Begründung ignoriert der EuGH sowohl den schon analysierten Zweck und Inhalt der AK-VO,198 als auch die darauf bezogene bereits dargestellte Argumentation des erstinstanzlichen Urteils des EuG.199 Vor allem aber verwechselt der EuGH Kontrollmaßstab und Kontrollgegenstand. Denn der Kontrollgegenstand dieser Rechtssache betrifft eigentlich die Frage, ob Art. 10 Abs. 1 AK-VO dadurch, dass er den Begriff „Handlungen“ in Art. 9 Abs. 3 AK nur auf den Begriff „Verwaltungsakte“ beschränke, die zudem in Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der AK-VO als „Maßnahme[n] . . . zur Regelung eines Einzelfalls“ definiert würden, gegen Art. 9 Abs. 3 AK verstoße.200 Es geht somit um die Frage der Gültigkeit des Art. 10 Abs. 1 AK-VO im Hinblick auf die AK. Daneben ist Kontrollmaßstab dieser Rechtssache die Auswirkung des Art. 9 Abs. 3 AK und insbesondere des hier umstrittenen Begriffs „Handlungen“ auf Art. 10 Abs. 1 AK-VO. Freilich bedarf Art. 9 Abs. 3 AK der Auslegung des EuGH, er darf aber nicht den Kontrollgegenstand ersetzen. Denn es ist ein grundlegender Irrtum, dass Kontrollmaßstab und Kontrollgegenstand inhaltlich identisch sein müssen.201 Verneint man, dass eine Unionsnorm hinreichend genau und unbedingt ist, verliert man nicht nur deren unmittelbare Anwendungsfähigkeit, sondern es wird gleichzeitig hingenommen, dass die Unionsnorm auch nicht als Kontrollmaßstab in einem Normenkonflikt fungieren kann. Dadurch aber wird jede konforme Integrationsmöglichkeit solcher Normen in der unionalen Rechtsordnung in der Praxis konterkariert.202 196
Ebd., Rn. 59. Ebd., Rn. 60. 198 Ausführlich dazu s. o. 3. Teil, 6. Kap., B. 199 Vgl. insbes. EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 57–58, Rn. 63 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498; ausführlich dazu s. o. 3. Teil, 6. Kap., D., I. 200 Vgl. EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09, Rn. 20 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 495 ff. 201 J. Berkemann, ZUR 2015, S. 229, m.w. N. 202 Ebd., S. 228. 197
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Gerade diesen Irrtum begeht aber der EuGH. Statt den oben genannten Kontrollgegenstand (die Gültigkeit des Art. 10 Abs. 1 AK-VO im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 AK) durch die Hilfe der Auslegung des hier relevanten Kontrollmaßstabs (also des Art. 9 Abs. 3 AK) zu prüfen, beurteilt der EuGH willkürlich die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit und Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK in Zusammenhang mit ihren rechtlichen Konsequenzen auch im Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 AK-VO. Dadurch wird das Erfordernis der Vollständigkeit einer völkerrechtsverträglichen Regelung mit der Frage nach einer „unmittelbaren Wirkung“ identifiziert.203 Außerdem übersieht die verallgemeinernde Feststellung des EuGH, dass Art. 9 Abs. 3 AK keine unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung, welche „die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte“ enthalte, die Tatsache, dass die Privilegierung der Umweltschutzvereinigungen nach Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auch bei der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 AK erhalten bleibt.204 Die Auffassung des EuGH sieht den Begriff des „Einzelnen“ – genauso wie die europäische Rechtsprechung seit dem Urteil Kupferberg205 – als eine individuelle, natürliche oder juristische Person, der subjektive Rechte zugewiesen werden können. Sie beschäftigt sich kaum mit der Sonderfrage, ob etwas anderes im Kontext des initiierten Verbandsklagerechts des Art. 9 Abs. 3 AK für die klagenden anerkannten umweltschützenden NROen gelten kann. Im Hinblick darauf ist daran zu erinnern, dass aufgrund des bereits analysierten Trianel-Urteils des EuGH206 den nichtstaatlichen Umweltorganisationen ein von subjektiven Zugangsvoraussetzungen unabhängiges, nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten stehendes Klagerecht eingeräumt wird, um „die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit“ umweltrelevanter Entscheidungen im Rahmen der UVP-RL gerichtlich überprüfen zu lassen.207 Dies gilt unabhängig davon, welches Kriterium ein Mitgliedstaat für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen wählt.208 Auf diese Weise wird für anerkannte Umweltschutzver203
Ebd. K.-F.Gärditz, NVwZ 2014, S. 7. Mehr dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., IV. 205 EuGH, 26.10.1982, Rs. 104/81, NJW 1983, S. 508 ff. (Hauptzollamt Mainz/Kupferberg & Cie). 206 Ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., A., II., 1. 207 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. So auch EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd). Vgl. D. Murswiek, JuS 2011, S. 1149; T. Bunge, NuR 2011, S. 607. 208 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 40–42 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 802. So auch EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08, 204
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
einigungen eine Klagebefugnis fingiert, welche wiederum nicht durch nationales Recht eingeschränkt werden kann.209 Eine Umweltschutzvereinigung muss somit zumindest nach der Intention der UVP-RL sowie der AK immer schon beim Vorliegen eines ausreichenden Interesses klagen können.210 Daraus folgt analog, dass bei dem hier zu untersuchenden Fall – wobei die Kläger NROen sind und den Verbandsrechtsbehelf des Art. 12 AK-VO verwerten wollen – die Vertragsparteien der AK in Bezug auf die Ausgestaltung der Durchführungsmodalitäten der „verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren“ im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 AK über kein weites Ermessen verfügen. Denn die anerkannten NROen müssen aufgrund Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK immer klagen können, soweit sie ein ausreichendes Interesse haben. Die oben ausgeführte Feststellung des EuGH trägt der Beurteilung des Trianel-Urteils des EuGH nicht ausreichend Rechnung. Auch dieser Befund zeigt, dass es ein wesentlicher Wertungsfehler des EuGH ist, das Kriterium der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Regelung (hier des Art. 9 Abs. 3 AK) als erforderliche Bedingung einer Rechtskontrolle zu postulieren. Denn dies kann auch zu einer Verwechslung des Adressatenkreises der jeweiligen Regelung führen, wenn man mit aus dem Völkerrecht abgeleitetem Recht zu tun hat, wie es im vorliegenden Fall geschah.211 Ferner widersprechen die Feststellungen des bereits dargestellten slowakischen Braunbären-Urteils des EuGH212 bezüglich der Auslegungsgrenzen des Art. 9 Abs. 3 AK213 der ausgeführten einschränkenden Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK durch das hier diskutierte EuGH-Urteil, die im Ergebnis das Erfordernis der Gültigkeit des Art. 10 Abs. 1 AK-VO mit der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit und Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK identifiziert. Es ist darauf hinzuweisen, dass, obwohl die Slowakische Republik keine Maßnahmen getroffen hat, Art. 9 Abs. 3 AK innerstaatlich „umzusetzen“, die nationalen Gerichte aufgefordert werden, aus Gründen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sich durch die Gewährleistung eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens „so weit wie möglich“ den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK anzunähern.214
Rn. 45, ZUR 2010, S. 31 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd). 209 Vgl. H.-W. Louis, NuR 2004, S. 287/290. 210 Vgl. u. a. B. Seelig/R. Gündling, NVwZ 2002, S. 1040. 211 J. Berkemann, ZUR 2015, S. 228. 212 Ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., B. ff. 213 Ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., V. ff. 214 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 11.10.2011, Rs. C-128/09, Rn. 53 ff. (Boxus u. a./ Région wallonne), NVwZ 2011, S. 1506 ff. Mehr dazu 1. Teil, 4. Kap., B., V. ff.
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor EU-Gerichten 1093
Vor diesem Hintergrund ist noch ein Wertungswiderspruch zwischen beiden vorgenannten Urteilen auszuräumen. Während das Braunbären-Urteil Art. 9 Abs. 3 AK zugunsten der klagenden NRO weit auslegt, obwohl es ihm keine unmittelbare Wirkung zuweist, interpretiert das EuGH-Urteil in der Rechtssache 401-403/2012 P die gleiche Norm aus einer besonders restriktiven Sicht. Dies ist aber m. E. widersprüchlich, denn die EU hat mit dem Erlass der AK-VO für ihren Bereich eine Umsetzung des 9 Abs. 3 AK vorgenommen. Daher kann das zurückhaltende Vorgehen des EuGH im vorliegenden Fall nicht überzeugend erklärt werden.215 Dafür spricht auch die Tatsache, dass der EuGH seine Auslegungskompetenz zu Art. 9 Abs. 3 AK bereits im sog. Braunbären-Urteil bejaht hat.216 Danach steht außer Frage, dass auch der EuGH als unionales Organ an die AK gebunden ist.217 Charakteristisch dafür ist, dass der EuGH darauf hingewiesen hat, dass mit den Bestimmungen des Art. 9 Abs. 3 AK, auch wenn sie allgemein formuliert sind, darauf abgezielt wird, die Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes zu ermöglichen.218 Art. 9 Abs. 3 AK als gemischte Bestimmung sieht letztlich eine für die Vertragsparteien klar identifizierbare Ergebnispflicht vor.219 In diese Richtung muss auch die Union (nicht nur die Mitgliedstaaten) tätig sein, weil sie auch (genauso wie die EU-Mitgliedstaaten) Vertragspartei der AK ist, so dass auch sie zur Erfüllung der Anforderungen der AK in Bezug auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes beitragen muss. Vor diesem Hintergrund scheint, dass das hier diskutierte Urteil zu Rechtssachen C-401 bis 403/2012 im Ergebnis nicht den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK dient.220 Es bleibt daher der Eindruck bei der Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK, dass der EuGH hinsichtlich der EU-Organe und der Mitgliedstaaten mit zweierlei Maß misst.221 Außerdem dient das EuGH-Urteil praktisch nicht der Demokratie, denn in Wirklichkeit sendet dieses Urteil die Botschaft, dass die Kommission die Fristen für die Luftreinhaltung ohne parlamentarische Kontrolle oder ohne eine durch die NRO vermittelte Öffentlichkeit aussetzen kann.222 Stellt man die 215 In diese Richtung GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 69 (curia.europa.eu); J. Berkemann, ZUR 2015, S. 228. 216 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. Ausführlich dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., B., V., 1. 217 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 69 (curia.europa.eu). 218 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 46 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320. 219 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 92 (curia.europa.eu). 220 Ebd., Rn. 132. 221 Vgl. J. Berkemann, ZUR 2015, S. 230; F. Ekardt, LTO, 22.01.2015. 222 J. Berkemann, ZUR 2015, S. 230.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Frage, wem dieses Urteil Gewinne bringt („cui bono“?), sind die Gewinner sicher nicht die Umweltschützer. Hier darf man jedenfalls nicht außer Acht lassen, dass anscheinend auch die Begründung des erstinstanzlichen Urteils des EuG223 einen deutlichen Rechtsfehler begangen hat. Gerade auf diesen Rechtsfehler weist der Generalanwalt T. Jääskinen in seinen Schlussanträgen deutlich hin.224 Seiner Ansicht nach hat das EuG einen bestimmten Rechtsfehler begangen, indem es in der vorliegenden Rechtssache die Rechtsprechung in den vorgenannten Urteilen Fediol und Nakajima angewandt hat. Dies sei fehlerhaft, weil diese Urteile eine eng gefasste, im Rahmen der Rechtsprechung zum GATT und zum WTO-Übereinkommen entwickelte Ausnahme betreffen, und nicht allgemein die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Unionsrechts behandeln.225 Zur Verdeutlichung dieser Auffassung führt er sogar insgesamt 65 Judikate des EuGH an. Damit versucht er das Schwanken des EuGH zwischen einer monistischen und einer eher dualistischen Transformation des Völkervertragsrechts zu erfassen.226 Vor diesem Hintergrund war keine Überraschung, dass die eingelegten Rechtsmittel gegen das EuG-Urteil T-396/09, die schließlich das EuGH-Urteil227 geteilt hat, leicht die Besonderheiten der beiden genannten Urteile sowie ihre Untauglichkeit für die Begründung des erstinstanzlichen Urteils aufzeigen konnten. Der Generalanwalt Jääskinen analysiert zutreffend, dass Art. 9 Abs. 3 AK einerseits Umsetzungsmaßnahmen erfordere. Die Gewährleistung eines den Anforderungen der AK entsprechenden effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sei andererseits geboten. Der gemischte Charakter von Art. 9 Abs. 3 AK zeigt sich daran, dass dem Gesetzgeber auf der nationalen Ebene ein Wertungsspielraum zur Bestimmung der Kriterien eingeräumt wird, die eine Organisation erfüllen muss, um einen Verstoß gegen das Umweltrecht anzufechten. Es scheint jedoch unbestreitbar, dass die aus der AK abgeleitete Verpflichtung, Zugang zu den Gerichten zu gewähren, hinreichend klar ist, um einer Vorschrift (wie Art. 10 Abs. 1 AK-VO) entgegenzustehen, deren Gegenstand oder Wirkung darin besteht, bestimmte nicht legislative Entscheidungen der öffentlichen Behörden dem Bereich der durch die nationalen Gerichte auszuübenden Kontrolle zu entziehen.228 223 EuG, Urt. v. 14.06.2012, Rs. T-396/09 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2012, S. 498 ff. 224 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 29 ff. (curia.europa.eu). 225 Ebd. 226 Ebd., Rn. 30 ff. 227 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P, Rn. 58 ff. (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff. 228 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 94 (curia.europa.eu).
D. Nichtigkeitsklagen von Nichtregierungsorganisationen vor EU-Gerichten 1095
Außerdem ist es klar, dass die AK-VO ausdrücklich zur Erfüllung der sich aus Art. 9 Abs. 3 AK ergebenden internationalen Verpflichtungen der Union erlassen worden ist. Denn wie schon ausgeführt wurde,229 aus Art. 1 Abs. 1 Buchst. d AKVO geht hervor, dass es Ziel dieser AK-VO ist, zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der AK insbesondere dadurch beizutragen, dass „in Umweltangelegenheiten der Zugang zu Gerichten auf [Unions-]Ebene zu den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen gewährt wird“. Der 18. Erwägungsgrund der AK-VO nimmt ausdrücklich auf Art. 9 Abs. 3 AK Bezug. Deutlicher kann eigentlich der Rechtssetzungswille nicht ausgedrückt werden.230 Insofern ist Art. 9 Abs. 3 AK in Anbetracht seines Zwecks und seiner Systematik eine hinreichend klare Vorschrift, um die Grundlage für eine Rechtmäßigkeitskontrolle hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten durch die nach nationalem Recht oder nach Unionsrecht klagebefugten Organisationen bilden zu können. Art. 9 Abs. 3 AK könnte somit als Referenzkriterium für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane dienen.231 Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass der Anwendungsbereich der AK-VO den Zugang zu Gerichten dadurch einschränkt, dass der Rechtsakt, der unter das Überprüfungsverfahren fällt, im Hinblick auf den Anwendungsbereich der AK äußerst restriktiv definiert wird, weist der Generalanwalt zutreffend darauf hin, dass eine konforme Auslegung in der vorliegenden Rechtssache ausgeschlossen sei.232 Zur Lösung des schon beschriebenen Rechtsfehlers weist der Generalanwalt erhellend auf das sog. Biotech-Urteil des EuGH und ergänzend auf das Racke-Urteil des EuGH hin.233 In Biotech-Urteil hatte der EuGH klar festgestellt, dass „auch wenn Bestimmungen des WTO-Übereinkommens keine unmittelbare Wirkung hätten, also keine Rechte schaffen sollten, auf die sich der Einzelne vor den Gerichten berufen kann, so hindert das den Richter doch nicht daran, die Einhaltung der Verpflichtungen zu prüfen, die der Gemeinschaft als Vertragspartei obliegen“.234
229
s. o. 3. Teil, 5. Kap., B. J. Berkemann, ZUR 2015, S. 230. 231 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 95, Rn. 103 (curia.europa.eu). 232 Ebd., Rn. 137. 233 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 67 (curia.europa.eu), m.w. N. auf EuGH, Urt. v. 09.10.2001 – C-377/98, Rn. 54 (Niederlande/Parlament und Rat), EuZW 2001, S. 691 ff.; EuGH, Urt. v. 16.06.1998, Rs. C-162/96, Rn. 45, 47 und 51 (Racke), EuZW 1998, S. 694 ff. 234 EuGH, Urt. v. 09.10.2001 – C-377/98, Rn. 54 (Niederlande/Parlament und Rat), EuZW 2001, S. 691 ff.; EuGH, Urt. v. 16.06.1998, Rs. C-162/96, Rn. 45, 47 und 51 (Racke), EuZW 1998, S. 694 ff. 230
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Er schlägt im Ergebnis unter anderem vor, den Rechtsstreit an das EuG zurückzuverweisen.235 2. Zur Problematik des Verbandsrechtsbehelfs der AK-VO Es sieht so aus, dass insbesondere Art. 10 AK-VO eine unzulängliche Regelung hinsichtlich Art und Umfang und damit der Maßstäbe für die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung darstellt. Angesichts der Tatsache, dass es sich hierbei um Kernfragen handelt, die die Angemessenheit und Wirksamkeit des Rechtsschutzes berühren, fehlt eine Vorschrift wie Art. 93 Abs. 3 REACHVO,236 wonach die Widerspruchskammer die gleichen Befugnisse wie die Ausgangsbehörde hat.237 Eine Gewähr, dass ein Widerspruch wegen „funktionaler Kontinuität“ von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde zu umfassender Nachprüfung hinsichtlich der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit der tatsächlichen Feststellungen und der Ermessensausübung führt, besteht offensichtlich beim Überprüfungsverfahren nach der AK-VO mangels entsprechender Regelungen nicht.238 Obwohl das Verfahren der Überprüfung durch den Beschluss der Kommission 2008/401 „zur Änderung ihrer Geschäftsordnung in Bezug auf Durchführungsbestimmungen zur EG-VO Nr. 1367/2006“ 239 in den Grundzügen geregelt worden ist, fehlen jedoch Garantien für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der für die Entscheidung Verantwortlichen. Charakteristisch dafür ist, dass durch die Zuständigkeit der Ausgangsdienststelle für die Entscheidung über die Zulässigkeit 235 GA N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 143 (curia.europa.eu). 236 EG-VO Nr. 1907/2006 des Europäischen Paralaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/ EG der Kommission (ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1 ff.). Ausführlich zur REACHVO s. K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 19, Rn. 12 ff., m.w. N. 237 Art. 93 Abs. 3 REACH-VO lautet: „Die Widerspruchskammer kann alle Befugnisse der Agentur ausüben oder den Fall zur weiteren Entscheidung an das zuständige Gremium der Agentur überweisen.“ Ausführlich zur REACH-VO s. K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 19, Rn. 12 ff., m.w. N. Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 26. 238 E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 26. 239 Vgl. 2008/401/EG, Euratom: Beschluss der Kommission vom 30. April 2008 zur Änderung ihrer Geschäftsordnung in Bezug auf Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft. ABl. Nr. L 140 vom 30/05/2008, S. 0022–0025.
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sowie für die Verneinung der Begründetheit aufgrund des Kommissions-Beschlusses 2008/401 dafür gesorgt wird, dass die unmittelbar interessierte Dienststelle sich selbst überprüft. Instruktiv dazu sind die Vorschriften des Art. 4 Abs. 2–4 des Beschlusses der Kommission Nr. 2008/401.240 Vor diesem Hintergrund wird angezweifelt, ob das oben dargestellte Verfahren der AK-VO mit den Anforderungen der Art. 9 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 AK, die unter anderem auch die Gewährleistung angemessenen, unabhängigen und unparteiischen Rechtsschutzes durch ein Verwaltungsorgan anstelle gerichtlichen Rechtsschutzes bezwecken,241 vereinbar ist.242 Es muss auch berücksichtigt werden, dass nach der sog. Deggendorf Rechtsprechung die Nichtigkeit einer Entscheidung der Kommission nicht in einem Gerichtsverfahren vor einem nationalen Gericht gegen Behörden, die diese Entscheidung implementieren wollen, vorgebracht werden darf, wenn der Antragsteller keine Nichtigkeitsklage im Rahmen des Art. 263 AEUV erhoben hat oder sie nicht erheben könnte.243 Angesichts der Tatsache, dass der Geltungsbereich der AK-VO und insbesondere der Begriff der „Verwaltungsakte“ gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO besonders restriktiv ist, hätte die Anwendung der Deggendorf Rechtsprechung im Hinblick auf das europäische Umweltrecht zur Folge, dass der jeweilige betroffene Antragsteller nur selten sein Recht auf ein Vorlageverfahren vor den nationalen Behörden bzw. Gerichten beanspruchen könnte. Denn die überwiegende Mehrheit hat der erlassenen Handlungen im Bereich des Um240 Vgl. Art. 4 Abs. 2–4 des Beschlusses der Kommission Nr. 2008/401: „(2) Die betreffende Kommissionsdienststelle stellt fest, ob die Nichtregierungsorganisation befugt ist, einen Antrag auf interne Überprüfung nach dem Beschluss 2008/50/EG der Kommission zu stellen. (3) Die Befugnis, über die Zulässigkeit eines Antrags auf interne Überprüfung zu entscheiden, wird gemäß Artikel 14 der Geschäftsordnung an den betreffenden Generaldirektor oder Dienststellenleiter übertragen. Entscheidungen über die Zulässigkeit des Antrags umfassen alle Entscheidungen über die Befugnis der den Antrag stellenden Nichtregierungsorganisation gemäß Absatz 2, den fristgerechten Eingang des Antrags nach Artikel 10 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 und bezüglich der genannten, näher ausgeführten Gründe für den Antrag nach Artikel 1 Absätze 2 und 3 der Entscheidung 2008/50/EG. (4) Kommt der Generaldirektor oder Dienststellenleiter nach Absatz 3 zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf interne Überprüfung ganz oder teilweise unzulässig ist, wird die den Antrag stellende Nichtregierungsorganisation schriftlich – gegebenenfalls auf elektronischem Weg – unter Angabe von Gründen darüber unterrichtet.“ 241 Vgl. u. a. M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff.; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/ T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, S. 375 ff. 242 Vgl. E. Rehbinder, EurUP 2012, S. 26; M. Pallemaerts, in: ders. (Hrsg.), The Aarhus Convention at Ten Interactions and Tensions between Conventional International Law and EU Environmental Law, 2011, S. 285 ff.; so auch Compliance Committee for the Aarhus Convention, Report, Findings and Recommendations of the Compliance Committee with regard to Communication ACCC/C/2008/32 (Part I) Concerning Compliance by the European Union, adopted on 14 April 2011, S. 22 ff. 243 EuGH, Urt. v. 09.03.1994, Rs. C-188/92, Rn. 26, Slg. 1994, I-833 (TWD Textilwerke Deggendorf GmbH/Bundesrepublik Deutschland).
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weltrechts allgemeinen und nicht individuellen Charakter i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO. Dieser Zustand vereitelt gerade die gerichtliche Kontrolle der unionalen umweltrechtlichen Handlungen.
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts Zur Beseitigung der oben dargestellten Umweltrechtsschutzdefizite im Bereich des EU-Sekundärrechts sind nachfolgende Lösungsansätze vorzuschlagen.
I. Erweiterter Anwendungsbereich des Antrags auf interne Überprüfung Angesichts der dargestellten Problematik des engen Umfangs des Verbandsrechtsbehelfes der AK-VO wäre es sinnvoll, die Rechtsinstrumente der AK-VO auf eine extensive Weise zu modifizieren, so dass der problematische Begriff des „Verwaltungsaktes“ der AK-VO nicht nur „jede Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls, die von einem Organ oder einer Einrichtung der EU getroffen wird, rechtsverbindlich ist und Außenwirkung hat“
(i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO), erfasst.244 Hier ist vorzuschlagen den Begriff des „Verwaltungsaktes“ dahingehend zu modifizieren, so dass er jede Verwaltungsmaßnahme, die von Organen oder Einrichtungen der Union im Rahmen des Umweltrechts getroffen wird und rechtsverbindliche sowie externe Wirkung hat, erfasst – und nicht nur „jede Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls“. Entsprechend weit sollte auch der Begriff der „Unterlassung“, der pflichtwidrige Nichterlass eines Verwaltungsakts durch ein Organ oder eine Einrichtung der EU, gefasst sein. Im Hinblick darauf ist zu beachten, dass der Entwurf der AK-VO in seiner ursprünglichen Fassung den Begriff des „Verwaltungsaktes“ als „jede Verwaltungsmaßnahme, die von Organen oder Einrichtungen der (damals) Gemeinschaft im Rahmen des Umweltrechts getroffen wird und rechtsverbindliche sowie externe Wirkung hat“
definiert. Die Ergänzung „zur Regelung eines Einzelfalls“ sei erst im Stadium des Gemeinsamen Standpunkts des Rates aufgetaucht und vom Parlament in zweiter Lesung ohne jede Begründung übernommen worden.245
C. Kiss/P. C˘erny´, Justice & Environment 2008, S. 9. N. Jääskinen, Schlussantr. v. 08.05.2014 in der Rs. C-401 bis 403/12 P, Rn. 126 (curia.europa.eu). 244 245
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
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Dies stünde auch im Einklang mit dem aus der AK hervorgehenden Ziel, dass die betroffene Öffentlichkeit und prinzipiell die Umweltvereinigungen einen weiten Zugang zu Gerichten haben müssen, so dass die Verantwortlichkeit und Transparenz bei Entscheidungsverfahren gefördert werden und die öffentliche Unterstützung für Entscheidungen über die Umwelt bekräftigt wird.246
II. Einräumung von bestimmten Verfahrensgarantien zugunsten der Umweltverbände Wie bereits ausgeführt wurde, hat die Rechtsprechung des EuGH festgestellt, dass eine juristische Person (etwa eine Umweltschutzvereinigung), die sich an Verfahren zur Ergreifung von umweltbezogenen (vor allem umweltschützenden) EU-Maßnahmen beteiligt hat, als individuell von diesen Maßnahmen betroffen angesehen werden kann, soweit die geltenden EU-Rechtsvorschriften ihr bestimmte Verfahrensgarantien gewährleisten.247 Dies bedeutet allerdings nicht, dass diese Person berechtigt ist, den materiellrechtlichen Inhalt der strittigen Rechtsvorschriften gerichtlich anzufechten. Denn der genaue Umfang des Anfechtungsrechts eines Einzelnen gegenüber einer Unionshandlung hängt von seiner durch das Unionsrecht bestimmten rechtlichen Stellung zum Schutz der so anerkannten legitimen Interessen ab.248 Diese Auffassung ist aber insbesondere im Umweltbereich problematisch. Denn in diesem Rechtsgebiet sieht der EU-Gesetzgeber keinerlei bestimmte Verfahrensgarantien zugunsten der Umweltverbände vor,249 so dass Nichtigkeitsklagen von Umweltverbänden gegen umweltschädliche EU-Handlungen i. d. R. erfolglos bleiben.250 Hinzu kommt, dass die Erarbeitung der unionsrechtlichen umweltbezogenen Gesetzgebung, sowie für einzelne Individuen als auch für Umweltvereinigungen bestenfalls nur eingeschränkt oder kaum zugänglich sind.251 Im Hinblick auf diese Problematik könnte sich der EU-Gesetzgeber sekundärrechtlich etwa durch den Erlass einer relevanten Verordnung entschließen, qualifizierten Umweltverbänden ausdrücklich bestimmte Verfahrensgarantien hinsichtlich der Ergreifung von umweltbezogenen, insb. umweltschützenden EU246
Vgl. Präambel der AK Satz 10 i.V. m. Art. 9 Abs. 2 S. 3. EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 42 (WWF-UK Ltd/Rat); EuGH, Urt. v. 16.09.2005, Rs. C-342/04 P, Rn. 39 (Schmoldt u. a./Kommission). 248 EuGH, Beschl. v. 05.05.2009, Rs. C-355/08 P, Slg. 2009, I-73, Rn. 44 (WWF-UK Ltd/Rat). 249 Vgl. A. Wesselink/J. Paavola/O. Fritsch/O. Renn, Environment and Planning 2011, S. 2688 ff. 250 Vgl. S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu nationalen und europäischen Gerichten für Verbände und Individualkläger als Beitrag zum Umweltschutz – Die Klagebefugnis unter Reformdruck, 2009, § 6.5, m.w. N. 251 Vgl. A. Wesselink/J. Paavola/O. Fritsch/O. Renn, Environment and Planning 2011, S. 2688 ff., m.w. N. 247
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Handlungen (etwa in der Fischereipolitik, im Bereich des Artenschutzes, des Waldschutzes u. a.) einzuräumen.252 Dadurch würden die Anforderungen der oben genannten geltenden Rechtsprechung eindeutig gesetzlich erfüllt werden. Insofern würden qualifizierte Umweltschutzverbände, die sich an bestimmten vom Gesetz garantierten Verfahren zur Ergreifung von umweltbezogenen bzw. umweltschützenden EU-Handlungen beteiligt haben, als individuell gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV von diesen Handlungen betroffen angesehen werden. Sie könnten daher problemlos eine zulässige Nichtigkeitsklage gegen solche Handlungen einreichen. Auf diese Weise könnte eine umweltschützende VK im EUSekundärrecht geschaffen werden. Die Einführung einer solchen VK auf EU-Ebene erwiese sich als hlfreiches Korrelat zu dem sich auf mitgliedstaatlicher Ebene fortentwickelnden System überindividuellen Rechtsschutzes. Dadurch könnte der im Mehrebenensystem der EU-Rechtsordnung sich immer stärker verzahnende europäische Umweltverwaltungsverbund angemessen kontrolliert werden.253
III. Zur Einführung einer Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten Neben den oben vorgeschlagenen Lösungsansätzen im Rahmen des unionalen Primärrechts254 und vor allem zum Zweck eines europaweiten, effektiven, gerichtlichen Umweltschutzes, der zum Abbau der mitgliedstaatlichen Rechtsschutzdefizite beitragen wird, wäre es empfehlenswert im Bereich des unionalen Sekundärrechts den gerichtlichen Zugang in Umweltangelegenheiten entsprechend dem Informationszugang und der Öffentlichkeitsbeteiligung durch die Einführung einer Richtlinie auf EU-Ebene zu implementieren. 255 Dies wäre sinnvoll, denn insbesondere die Durchsetzung des Rechts im kritischen Bereich des Umweltschutzes obliegt in erster Linie den Behörden und hängt von zahlreichen Faktoren ab, wie den verfügbaren (materiellen und immateriellen) Mitteln oder der politischen Bedeutung, die dem Umweltschutz jeweils beigemessen wird. Es ist offensichtlich, dass die sich daraus ergebenden Unterschiede zu erheblichen Diskrepanzen zwischen den Systemen der Mitgliedstaaten führen.256 Das Fehlen einer gemeinsamen unionalen Rahmenregelung führt zu 252
Vgl. M. Till, ZUR 2009, S. 198. In diese Richtung S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 533. 254 s. o. 3. Teil, 5. Kap., C. ff. 255 Vgl. z. B. den ursprünglichen Vorschlag von C. Calliess hinsichtlich der Einführung einer umweltschützenden Verbandsklage für Verfahren vor dem EuGH. C. Calliess, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, 1994, S. 87 ff. 256 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 3. 253
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
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einer unterschiedlichen Durchsetzung des Umweltrechts in den Mitgliedstaaten, so dass das Funktionieren des Binnenmarkts insoweit beeinträchtigt ist, als es für ungleiche Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedstaaten sorgt.257 Daraus ergibt sich bei den EU-Mitgliedstaaten ein unterschiedlich hoher Umweltschutz,258 der ständige Rechtskonflikte zwischen den Mitgliedstaaten oder zwischen den Mitgliedstaaten und der EU verursachen kann, wie schon die dargestellte Gegenüberstellung des deutschen und griechischen Verbandsklagerechts sowie die oben skizzierten Vorlagebeschlüsse des EuGH in der Rechtssache Trianel oder in der Rechtssache Slowakische Braunbären gezeigt haben. Ein solches Ergebnis könnte aber auch die Zielsetzung bzw. Aufgabe der EU in Bezug auf die Förderung eines hohen Maßes an Umweltschutz und ihre Hinwirkung auf die Verbesserung der Umweltqualität (Art. 3 Abs. 3 EUV i.V. m. Art. 191 ff. AEUV)259 unzumutbar gefährden. Das Umweltrecht sollte keinesfalls „graue Theorie“ bleiben, sondern Praxis werden, indem es in der ganzen EU angemessen durchgesetzt werden kann. Denn das Umweltrecht hat nur dann die vom EU-Gesetzgeber gewünschte Wirkung, wenn seine Durchsetzung in der ganzen EU einheitlich gewährleistet ist. Im Hinblick darauf ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Einhaltung der Umweltschutzvorschriften gerichtlich überprüft werden kann. Der Erlass einer Gerichtszugangs-RL könnte somit die Durchsetzung des Umweltrechts verbessern, insbesondere wenn repräsentative Umweltschutzvereinigungen aber auch generell die betroffene Öffentlichkeit die Möglichkeit erhalten könnte, ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren in Umweltangelegenheiten einzuleiten. Eine solche Richtlinie wäre auch notwendig, um die Ziele des AK und insbesondere den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, vollständig zu gewährleisten. 1. Der Richtlinienvorschlag des EG-Parlaments und des Rates für eine RL über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24.10.2003 Nach der Unterzeichnung der AK im Jahr 1998 und deren Inkrafttreten (am 30.10.2001) hat die Europäische Kommission am 24.10.2003 ein sogenanntes legislatives Paket vorgelegt. Dieses Paket enthielt drei Gesetzgebungsvorschläge, nämlich außer dem im Folgenden dargestellten Richtlinienvorschlag über den Zu257
Ebd. Vgl. unter anderem: A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht. Rechtsvergleich, völker- und europarechtliche Vorgaben und Perspektiven für das deutsche Recht, 2002; A. Schmidt/F. Sperfeld, Vergleich oder Urteil bei umweltrechtlichen Verbandsklagen? Empirische Untersuchung der Entwicklung und der Inhalte von Vergleichsabschlüssen bei Verbandsklagen im Umweltund Naturschutzrecht, UfU, Dezember 2010; C. Winkelmann, ZUR 1994, S. 12 ff. 259 Mehr zu dieser Frage in 3. Teil, 1. Kap., A., II.–IV. 258
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
gang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten,260 einen Verordnungsvorschlag über die Anwendung der Bestimmungen der Aarhus-Konvention auf die EG-Institutionen sowie einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ratifikation der Aarhus-Konvention.261 Hintergrund der Kommissionsvorschläge waren zum einen die seit vielen Jahren diskutierten Defizite hinsichtlich des Vollzugs des europäischen Umweltrechts in den Mitgliedstaaten. Zum anderen hat sich die Gemeinschaft als Signatar der AK verpflichtet, deren Bestimmungen umzusetzen. Diese Verpflichtung verstand dieses legislative Paket in zwei Richtungen. Neben dem Richtlinienvorschlag über den Gerichtszugang, der von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft umzusetzen sein wird, zielte der ebenfalls vorgelegte Verordnungsentwurf darauf, den Gerichtszugang auch auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen. Im Verlauf des Konsultationsprozesses, an dem sich Mitgliedstaaten, Beitrittsländer, Nichtregierungsorganisationen und Verbrauchervereinigungen, Industrieverbände sowie kommunale und regionale Verbände beteiligten, erstellte die Generaldirektion Umwelt sukzessive zwei sogenannte Arbeitspapiere, anhand derer sich die Entwicklung des Richtlinienvorschlags über den Zugang zu den Gerichten nachzeichnen lässt.262 Mit dem oben genannten Richtlinienvorschlag sollte die sogenannte dritte Säule der AK (Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten) umgesetzt werden (vor allem Art. 9 Abs. 3 AK). Zudem sollte er zusätzlich zu den in der ÖBRL (2003/35/EG) enthaltenen Regelungen über den Gerichtszugang Klagerechte im Umweltbereich sicherstellen.263 Dieser Richtlinienentwurf bezweckte, Umweltverbänden durch einen europäischen Rechtsakt den Zugang zu mitgliedstaatlichen Gerichten weitgehend zu eröffnen. Diese Initiative war jedoch am Widerstand einiger Mitgliedstaaten, die unter anderem die (damals) gemeinschaftsrechtliche Kompetenz in Bezug auf die entworfene Regelung bezweifelten, sehr früh gescheitert.264
260 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. v. 24.10. 2003, S. 17 ff.; vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff. 261 Dieses Paket ist abrufbar unter: http://europa.eu.int/comm/environment/aarhus/ index.htm. Vgl. u. a. I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff.; M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 107; T. v. Danwitz, NVwZ 2004, S. 272 ff.; M. Dross, ZUR 2004, S. 153 ff.; jeweils m.w. N. 262 Mehr zu den sog. Arbeitspapieren: M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff.; s. auch Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264, endg. v. 24.10.2003, S. 8 ff. 263 Vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff. 264 Vgl. B. Wegener, in: W. Cremer/A. Fisahn (Hrsg.), Jenseits der marktregulierten Selbststeuerung – Perspektiven des Umweltrechts, 1997, S. 189 ff.; vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 263; B. Wegener, in:
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
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Bemerkenswert war, dass bereits 10 Jahre vorher ein solcher Richtlinienvorschlag im Arbeitsprogramm der Kommission vorgesehen gewesen war. In diesem Rahmen wurde eine Arbeitsgruppe zu „Access to Justice“ bereits 1993 eingerichtet.265 Diese konnte aber bis zur UN-ECE Konferenz im Rahmen des „Umwelt für Europa“-Prozesses266 im dänischen Aarhus keine wesentlichen Fortschritte verzeichnen.267 Andererseits passierte der RL-Vorschlag vom 24.10.2003 in erster Lesung zwar das Europäische Parlament,268 nach einer Stellungnahme des Wirtschaftsund Sozialausschusses269 blieb er aber beim EG-Rat liegen.270 Der RL-Vorschlag ist nicht über das Stadium des Vorschlags hinausgekommen, vor allem weil dieser der Mehrzahl der Mitgliedstaaten zu weit ging, so dass die Gemeinschaft diesen Vorschlag nicht weiterverfolgt hat.271 Die Vorschläge der Europäischen Kommission wurden in der Folge von allen beteiligten Seiten scharf kritisiert. Die Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten stellten die Gesetzgebungskompetenz der EG zum Erlass einer Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Frage und verwiesen auf das Subsidiaritätsprinzip des EG-Vertrags.272 Sie vertraten die Auffassung, es handle sich im Kern nicht um eine Umsetzung der Aarhus-Konvention, vielmehr würden weitergehende Rechte geschaffen werden.273 Die Interessenvertreter der Wirtschaft wandten sich vor allem gegen die W. Cremer/A. Fisahn (Hrsg.), Jenseits der marktregulierten Selbststeuerung – Perspektiven des Umweltrechts, 1997, S. 185 ff. 265 Der Text dieses im Auftrag der Kommission erstellten Richtlinienentwurfes ist abgedruckt in: M. Führ/B. Gebers/T. Ormond/G. Roller, ELNI Newsletter 1994, S. 3 ff.; vgl. auch KOM (92) 23, endg. v. 27.3.1992, S. 84 ff. (unter dem Titel: „Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung („Towards Sustainability“). Ein Programm der Europäischen Gemeinschaft für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung“). 266 Vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff. Zum Hintergrund dieses Prozesses vgl. http://www.unece.orgenv/wgso/welcome.html. 267 M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff. 268 European Parliament, Legislative resolution on the proposal for a European Parliament and Council directive on access to justice in environmental matters (COM (2003) 624 – C5-0513/2003 – 2003/0246(COD)) T5-0239/2004, ABl. EG C 103 v. 29.03.2004, S. 451. 269 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“, CES0667/2004, ABl. EG C 117 v. 30.04.2004, S. 55–57. 270 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 262 ff.; S. Schlacke, ZUR 2011, S. 313, m.w. N. 271 Vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2007, S. 378; so auch OVG Schleswig, Urt. v. 12.03 2009 – 1 KN 12/08, NordÖR, 2009, S. 348. 272 Vgl. I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff.; M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 107; jeweils m.w. N. 273 Vgl. T. Danwitz, NVwZ 2004, S. 272 ff.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Möglichkeit, eine Klage gegen Privatpersonen erheben zu können. Dagegen bewerteten Nichtregierungsorganisationen die Kommissionsposition als zu restriktiv und befürworteten die Einführung einer Popularklage im Umweltbereich.274 Indizierend zu den Gründen der jahrelangen Blockierung dieses Richtlinienvorschlags aus deutscher Sicht ist insbesondere die relevante Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI e. V.) unter anderem zu diesem Richtlinienvorschlag.275 Zusammengefasst war der BDI folgender Auffassung: „Wird die Umsetzung des Aarhus Übereinkommens auf europäischer Ebene dennoch weiterverfolgt, sollte zumindest über eine 1:1-Umsetzung nicht hinausgegangen werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb von den Regelungen des AarhusÜbereinkommens durch den vorgeschlagenen Richtlinien- und Verordnungsentwurf in erheblichem Maße zu Lasten der deutschen Wirtschaft abgewichen werden sollte [. . .]. Die vorgeschlagene Einführung der Klagerechte von Verbänden sind [sic!, richtig: ist] rechtssystematisch und wirtschaftspolitisch bedenklich. Auch die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Richtlinien- und des Verordnungsentwurfs praktisch auf alle Bereiche des Umweltrechts geht zu weit und ist für die deutsche Wirtschaft nicht tragfähig. Folge der Ausweitung des Anwendungsbereiches der Entwürfe und damit der Ausweitung des Klagerechts ist eine erhebliche Verzögerung der Verwaltungsverfahren in allen Bereichen. Hierdurch kommt es zu Innovationshemmnissen und Investitionshindernissen. Die Finanz- und Planungssicherheit von Unternehmen sinkt erheblich. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind nicht absehbar.“ 276
Diese Bedenken scheinen allerdings nicht völlig überzeugend zu sein, wie die bisherige praktische Erfahrung gezeigt hat. Denn, wie schon angemerkt wurde, trägt eine umfangreichere gerichtliche Kontrolle der umweltbezogenen Verwaltungsentscheidungen durch qualifizierte Umweltverbände durchaus effektiv zu einem Abbau von Vollzugsdefiziten bei ohne gleichzeitig die Durchführung von gesetzmäßigen Infrastrukturvorhaben zu verhindern.277 Vor dem Hintergrund des Scheiterns dieses Richtlinienvorschlags versuchte die EG als Gegengewicht des 274
Vgl. M. Dross, ZUR 2004, S. 153 ff. Verordnungsentwurf über die Anwendung des Aarhus-Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft, vom 24.10.2003 [KOM (2003) 622 endg.]. 276 Indizierend zu den Gründen der Ablehnung dieses Richtlinienentwurfs vgl.: Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI), Stellungnahme zum Richtlinienentwurf über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten [KOM (2003) 624 endg.] und zum Verordnungsentwurf über die Anwendung des Aarhus-Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft [KOM (2003) 622 endg.], Berlin, 19.01.2004, S. 2 ff.; vgl. auch I. Pernice/V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff.; A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. 277 Vgl. insb.: A. Schmidt, NuR 2008, S. 544 ff.; ders., ZUR 2011, S. 296 ff.; jeweils m.w. N.; mehr dazu s. o. in 1. Teil, 3. Kap., H., II. 275
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
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dargestellten Scheiterns durch eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung von Umweltverbänden, sie für die Kontrolle der Einhaltung des europäischen Umweltrechts in den Mitgliedstaaten zu mobilisieren.278 2. Bevorstehende Einführung einer Gerichtszugangsrichtlinie? Bis vor einigen Jahren schien dieser Vorschlag politisch „tot“ zu sein.279 Angesichts des mittlerweile jahrelangen Aufhörens des Rechtsetzungsverfahrens wäre fraglich, ob der oben genannte RL-Vorschlag jemals rechtliche oder praktische Relevanz entfalten würde.280 Inzwischen hat allerdings die EG mit der schon analysierten Verordnung Nr. 1367/2006 von 06.09.2006 die Anwendung der AK auf die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft normiert.281 Obwohl der oben genannte Vorschlag vom 24.10.2003 für eine Gerichtszugangsrichtlinie, mit dem Art. 9 Abs. 3 AK umgesetzt werden sollte, bisher nicht verabschiedet wurde, scheint es so, dass die Europäische Kommission beabsichtigt andere Möglichkeiten zu prüfen, um den Verpflichtungen aufgrund der AK nachzukommen. Im Einzelnen will die EU-Kommission seit einiger Zeit in diesem Bereich wieder aktiv werden. Bereits in einer Mitteilung der Kommission vom 07.03.2012,282 aber ebenso im aktuellen 7. Umweltaktionsprogramm283 hat die Kommission angekündigt, den zwischenzeitlichen Entwicklungen, vor allem auf Grund der Spruchpraxis des EuGH, Rechnung tragen zu wollen.284 Es ist daher nicht zufällig, dass die Kommission von Ende Juni bis Ende September 2013 eine fragenbogenbasierte EU-weite öffentliche Konsultation durchgeführt hat,285 278 Vgl. Beschluss 97/972 des Rates v. 16.12.1997 über ein Aktionsprogramm zur Förderung von hauptsächlich im Umweltschutz tätigen Nichtregierungsorganisationen, ABl. EG L 354 v. 30.12.1997; S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 263. 279 J. H. Jans, SSRN papers, 07.05.2011, S. 3. 280 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 273; J. Jendros´ka, JEEPL 2005, S. 18 ff. 281 ABl. 2006 L 264 vom 25.09.2006, S. 13. Vgl. A. Guckelberger, NuR 2008, S. 78 ff. 282 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen; Konkrete Vorteile aus den Umweltmaßnahmen der EU: Schaffung von Vertrauen durch mehr Informationen und größere Reaktionsbereitschaft der Behörden, COM (2012) 95 final vom 07.03.2012. 283 Vgl. Beschluss Nr. 1386/2013/EU des Europäischen Parlamentes und des Rats über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der EU für die Zeit bis 2020 „Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenze unseres Planeten“, ABl. EU vom 28.12.2013, Nr. L 354, S. 171, dort unter anderem Rn. 62. Vgl. M. Hedemann-Robinson, EEELR 2014, S. 162 ff. 284 M. Sauer, ZUR 2014, S. 201 ff., m.w. N. 285 s. mehr unter: http://ec.europa.eu/environment/consultations/access_justice_en. htm.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
mit der die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit eines neuen Vorschlags für einen verbindlichen Rechtsakt untersucht werden sollte.286 Am 02.10.2013 hat die Europäische Kommission im Rahmen einer Mitteilung zum Bürokratieabbau-Programm (sog. REFIT 287) angekündigt, dass sie den Vorschlag aus dem Jahre 2003 zurückziehen wird.288 Die amtliche Rücknahme des oben genannten Richtlinienvorschlags durch die Kommission geschah schließlich am 21.05.2014.289 Mit einer Folgenabschätzung („Impact Assessment“) hat die Kommission begonnen, einen neuen Richtlinienvorschlag über dieses Thema vorzubereiten. Zugleich wird aber erläutert, dass die Europäische Kommission ihren Verpflichtungen nach der AK auf andere Weise nachkommen will und dafür aktuell eine interne Gesetzesfolgenabschätzung durchführt.290 Auch wenn diese Verfahren fortgesetzt werden, lässt sich gegenwärtig noch nicht einschätzen, ob und gegebenenfalls wann ein solcher neuer Entwurf vom Europäischen Parlament und vom Rat beschlossen wird.291 Es muss aber angemerkt werden, dass eine solche Initiative jedenfalls die Chance bieten würde, die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten europaweit einheitlich zu interpretieren.292 Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll den Inhalt des gescheiterten Richtlinienvorschlags vom 24.10.2003 darzustellen. Denn dieser Vorschlag – unabhängig von seinem bisherigen Zurückziehen durch die Kommission – bildet 286 s. das Hintergrundpapier der Europäischen Kommission zu dieser Konsultation unter: http://ec.europa.eu/environment/consultations/pdf/access.pdf. Eine Auswertung der Ergebnisse dieser Konsultation wurde allerdings bislang noch nicht veröffentlicht. Vgl. M. Sauer, ZUR 2014, S. 201. 287 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT): Ergebnisse und Ausblick, COM (2013) 685 final vom 02.10.2013, dort S. 9 und dort Fn. 15 (http://ec.europa.eu/ smart-regulation/docs/20131002-refit_de.pdf) sowie im Anhang zu dieser Mitteilung S. 9 und dort Fn. 35 (http://ec.europa.eu/smart-regulation/docs/20131002-refit-annex_ de.pdf). 288 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 2.10.2013: Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT): Ergebnisse und Ausblick, Dok.COM (2013) 685 final, S. 10 und Anhang hierzu, S. 9; Arbeitsprogramm der Kommission 2014, Dok.COM (2013) 739 final, S. 21. 289 ABl. EU C 153/3 v. 21.05.2014. 290 M. Sauer, ZUR 2014, S. 201 ff. s. EC, Roadmap, Commission initiative on Access to justice in environmental matters at Member State level in the field of EU environment policy, ENV/D4, 11/2013, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/smartregulation/impact/planned_ia/docs/2013_env_013_access_to_justice_en.pdf; vgl. auch Maastricht University Faculty of Law, Possible initiatives on access to justice in environmental matters and their socio-economic implications, DG ENV.A.2/ETU/2012/ 0009rl. Final Report, 9 January 2013, S. 15 ff. 291 T. Bunge, ZUR 2014, S. 13. 292 M. Sauer, ZUR 2014, S. 201 ff.
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
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jedenfalls eine einflussreiche Leitlinie hinsichtlich einer möglichen Gesetzgebungsinitiative der Kommission im Bereich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Er könnte daher wohl als Lösungsausgangspunkt gegenüber der Problematik des Umweltrechtsschutzes auf unionaler Ebene wirken. Der EUGesetzgeber könnte nämlich diesen Vorschlag in erster Linie als rechtliche Basis nutzen, um einen unionsweiten effektiven Umweltrechtsschutz zu fördern. 3. Zweck des Richtlinienvorschlags über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24.10.2003 Der RL-Vorschlag sollte einen Rahmen mit den Mindestvorschriften für den Zugang zu Gerichts- und Verwaltungsverfahren in Umweltangelegenheiten schaffen. Durch die Umsetzung der dritten Säule der AK bezweckte er vor allem die Anwendung des Umweltrechts auf europäischer Ebene zu verbessern und damit zu einer besseren Umwelt beizutragen. Dadurch sollten vorhandene Mängel bei der Durchsetzung des Umweltrechts beseitigt werden, die unter anderem auf das fehlende finanzielle Interesse von privater Seite an der Durchsetzung des Umweltrechts sowie auf die Tatsache, dass in einigen Mitgliedstaaten (etwa Deutschland) die Klagebefugnis auf die Personen beschränkt ist, die direkt von der Rechtsverletzung betroffen sind, zurückzuführen ist.293 Dabei sollten die umweltpolitischen Zielsetzungen der EU auf längere Sicht erreicht werden.294 Der RL-Vorschlag räumt daher bestimmten Mitgliedern der Öffentlichkeit (d.h. eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und ihre Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen) eine Klagebefugnis ein, aufgrund derer sie die Möglichkeit erhalten, wegen des Erlassens eines Verwaltungsakts oder der Unterlassung eines Verwaltungsakts, der gegen Umweltrecht verstößt, ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren einzuleiten. Er sollte somit den Zugang zu nationalen Gerichten zumindest für die Überprüfung der Verletzungen von Umweltrecht europarechtlichen Ursprungs eröffnen.295 4. Anwendungsbereich Zu beachten ist, dass der Begriff „Umweltrecht“ in diesem Richtlinienvorschlag ganz allgemein definiert ist, damit alle umweltrelevanten Rechtsvorschriften einbezogen werden können. Im Hinblick darauf 293 Vgl. 1. Erwägungsgrund des RL-Vorschlags; Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 2 ff., m.w. N. 294 Ebd. 295 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 11.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
„bedeutet ,Umweltrecht‘ eine Rechtsvorschrift der Gemeinschaft zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, deren Ziel der Schutz oder die Verbesserung der Umwelt, einschließlich der menschlichen Gesundheit und des Schutzes der rationellen Nutzung natürlicher Ressourcen, insbesondere auf folgenden Gebieten ist [. . .]“.
Relevant hierzu sind aufgrund des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 g RL-Vorschlages Vorschriften im Bereich: i) Gewässerschutz, ii) Lärmschutz, iii) Bodenschutz, iv) Luftverschmutzung, v) Flächenplanung und Bodennutzung, vi) Erhaltung der Natur und biologische Vielfalt, vii) Abfallwirtschaft, viii) Chemikalien, einschließlich Bioziden und Pestiziden, ix) Biotechnologie, x) sonstige Emissionen, Ableitungen und Freisetzungen in die Umwelt, xi) Umweltverträglichkeitsprüfung, xii) Zugang zu Informationen und die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren.296 Der herrschenden Auffassung nach umfasst die weite Definition des Begriffs „Umweltrecht“ eine nicht abschließende Aufzählung der Rechtsbereiche, die das gesamte Umweltrecht der EU (bzw. EG) abdeckt.297 Dies ist zutreffend, denn der Bereich des Umweltrechts entwickelt sich ständig weiter. Insofern brächte die Aufstellung einer vollständigen Liste Probleme mit sich, da ein Verfahren zur regelmäßigen Änderung und Aktualisierung möglicherweise nicht selten vorgesehen werden müsste.298 Mit der oben ausgeführten Definition wird gewährleistet, dass alle Umweltbereiche und der Vollzug des umweltrelevanten Rechts insgesamt erfasst werden.299 Von besonderer Bedeutung ist, dass die Mitgliedstaaten auch originär innerstaatliches Umweltrecht einbeziehen können.300 Denn gem. Art. 2 Abs. 2 des RL-Vorschlages können die Mitgliedstaaten in die Definition des Begriffs „Umweltrecht“ gem. Art. 1 Abs. 1 Buchst. g des RL-Vorschlags auch ausschließlich innerstaatliche Umweltrechtsvorschriften einbeziehen. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Klagebefugnis ist somit nicht explizit vorgeschrieben. Im Rahmen der oben erwähnten Vorschriften (d.h. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 des RL-Vorschlags) könnte behauptet werden, dass der RL-Vorschlag diesbezüglich nur ein Minimum dahingehend setzt, dass mindestens die Geltendmachung umweltrechtlicher Vorschriften der Gemeinschaft vor den mitgliedstaatlichen Gerichten gewährleistet werden muss. Erfasst sein sollten sowohl das EU-Recht als auch das aufgrund des EU-Rechts erlassene nationale Umwelt296 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) S. 624 endg. vom 24.10.2003. 297 Vgl. M. Dross, ZUR, 2004, S. 155. 298 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 13. 299 Vgl. C. Calliess, ZUR 2008, S. 351. 300 Vgl. M. Dross, ZUR, 2004, S. 152 ff.
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
1109
recht.301 Schon bei der Begründung des RL-Vorschlags wurde Folgendes ausgeführt: „Die vorgeschlagene Richtlinie steckt mit ihren Mindestvorschriften den Rahmen für die Klagebefugnis ab, der es gestattet, die nationalen Systeme mit einer weiter reichenden Klagebefugnis beizubehalten.“ 302
Die Erfassung des ohne gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund bestehenden nationalen Umweltrechts könnte daher möglicherweise mittels nationaler Ausdehnung der Rügebefugnis erfolgen. Der RL-Vorschlag sieht auch keine Beschränkung des Prüfmaßstabs und -umfangs des jeweiligen Kontrollgegenstandes vor. Vor diesem Hintergrund kann aus dem systematischen Zusammenhang und aus dem Zweck des RL-Vorschlags, Art. 9 Abs. 3 AK umzusetzen, eine umfängliche Kontrolle der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme abgeleitet werden.303 Die Rechtsbehelfe des RL-Vorschlags sind somit auf eine umfassende objektive Rechtskontrolle gerichtet.304 Es scheint, dass diese Gerichtszugangsregelung letztlich den aus Zweck und Systematik der AK resultierenden Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK entspricht.305 Die Klagebefugten sollen im Rahmen des RL-Vorschlags Zugang zu Verfahren in Umweltangelegenheiten haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts oder die Unterlassung eines solchen anzufechten, der gegen Umweltrecht verstößt. Damit würde die ursprüngliche Konzeption einer opt-out-Klausel aufgegeben.306 Daraus folgt, dass etwa die Einschränkung des Anwendungsbereichs der deutschen Umweltverbandsklage im Rahmen des UmwRG grundsätzlich nur auf UVP-Vorschriften, nicht vereinbar mit diesem Richtlinienvorschlag wäre. Dadurch sollten die jeweiligen grundsätzlich nur für die UVP vorgesehenen Bestimmungen hinsichtlich des gerichtlichen Zugangs auf alle Verfahren in Umweltangelegenheiten ausgedehnt werden. Vor diesem Hintergrund wäre auch die gerichtliche Überprüfung der sich auf die Vorsorge beziehenden Rechtsvorschriften 301 In diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 49, Rn. 58 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NordrheinWestfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ, 2011, S. 803; so auch VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, S. 284 ff., m.w. N. 302 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, 3.6, S. 12. 303 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. v. 24.10. 2003, Rn. 271. 304 Ebd. 305 Vgl. C. Calliess, ZUR 2008, S. 351. 306 Vgl. M. Dross, ZUR, 2004, S. 155.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
(z. B. die Vorsorgepflichtnormen) mangels drittschützenden Charakters unzulässig, obwohl der Vorsorgegrundsatz einen der die IVU-RL bzw. IE-RL prägenden Ansätze darstellt.307 Der breite Inhalt des Umweltrechtsbegriffes in diesem Entwurf könnte Klarheit zu dem bereits skizzierten Streit hinsichtlich der Eingrenzung der UmwRGBestimmungen „Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ 308 zugunsten eines umfangreichen Umweltrechtsschutzes bringen, wie der RL-Vorschlag es bestimmt. Von diesem Standpunkt aus würden auch die oben dargestellten umstrittenen Präklusionsregelungen, sowie die abschließenden, einklagbaren Verfahrensfehler im Rahmen des UmwRG nicht vereinbar mit dem Wortlaut dieser Vorschrift der RL sein. Denn, wie schon gezeigt wurde, schränken sie vor allem den Zugang der betroffenen Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten erheblich ein.309 Aus dem Wortlaut sowie der Begründung dieses RL-Vorschlags ergibt sich, dass solche Hindernisse des Umweltrechtsschutzes dem grundlegenden Ziel des RL-Vorschlags sowie der AK einen weiten Zugang zu Gerichten für die Mitglieder der Öffentlichkeit zu gewährleisten, entgegenstehen. 5. Klagebefugnis von Mitgliedern der Öffentlichkeit Der RL-Vorschlag differenziert zwischen zwei Gruppen von Klageberechtigen: Zum einen müssen Mitglieder der Öffentlichkeit Zugang zu Überprüfungsverfahren in Umweltangelegenheiten erhalten (Art. 4 RL-Vorschlag). Zum anderen wird eine Klagebefugnis zugunsten qualifizierter Einrichtungen vorgesehen (Art. 5 RL-Vorschlag). In Art. 4 des RL-Vorschlags310 sind die Kriterien enthalten, anhand derer bestimmt werden kann, welche Mitglieder der Öffentlichkeit befugt sind, ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gegen einen Verwaltungsakt oder seine Unter307
Vgl. C. Calliess, ZUR 2008, S. 351; P. Sczcekalla, DVBl 2008, S. 300, S. 306. Mehr dazu s. o. 1. Teil, 3. Kap., C. II. ff. 309 Mehr dazu s. o. insbes. 1. Teil, 3. Kap., C., VI., 4. 310 Art. 4 des RL-Vorschlages lautet: „1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit Zugang zu Verfahren in Umweltangelegenheiten erhalten, die auch einen vorläufigen Rechtsschutz umfassen, um die verfahrens- oder materiellrechtliche Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten oder der Unterlassung von Verwaltungsakten, die gegen eine Umweltrechtsvorschrift verstoßen, anzufechten, soweit sie (a) ein ausreichendes Interesse haben oder (b) eine Rechtsverletzung geltend machen, wenn das Verwaltungsprozessrecht dies als Vorbedingung verlangt. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist nicht an die Einhaltung des in Artikel 6 vorgesehenen Verfahrens geknüpft. 2. Die Mitgliedstaaten legen für die Zwecke von Absatz 1 nach ihrem innerstaatlichen Recht im Hinblick darauf, einen möglichst umfassenden Zugang zu Gerichten zu gewährleisten, fest, worin ein ausreichendes Interesse und eine Rechtsverletzung bestehen.“ 308
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
1111
lassung im Rahmen des RL-Vorschlags anzustrengen, und auch Anspruch auf einen vorläufigen Rechtsschutz haben. Gem. Art. 2 Abs. 1 b „bedeutet ,Mitglied der Öffentlichkeit‘ eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen sowie nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts die von diesen Personen gebildeten Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“.
Im Hinblick auf die Klagebefugnis von „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ räumte Art. 4 Abs. 1 des RL-Vorschlags den Mitgliedstaaten – entsprechend Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK – zunächst die Möglichkeit ein, als Voraussetzung a) entweder ein ausreichendes Interesse oder b) eine Rechtsverletzung vorzusehen, wenn das nationale Verwaltungsverfahrensrecht dies als Vorbedingung verlangt. Zu berücksichtigen ist, dass Art. 4 Abs. 2 des RL-Vorschlags bestimmt, dass die Mitgliedstaaten – gleichgültig was sie für ein Rechtssystem adoptiert haben – ein innerstaatliches Recht festlegen müssen, um einen möglichst umfassenden Zugang zu Gerichten zu gewährleisten. Dies sei im Einklang mit der Anforderung der AK sowie mit der bisher neuesten Rechtsprechung des EuGH.311 Durch die Einführung dieses Kriteriums hat sich die Kommission gegen eine allgemeine Klagebefugnis für jede natürliche Person entschieden, da die allgemeinen Voraussetzungen einer Popularklage mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht zu vereinbaren ist – jedenfalls dann, wenn man bedenkt, dass auch die AK die Möglichkeit vorsieht, dass im innerstaatlichen Recht entsprechende Kriterien für die Zulassung einer Klagebefugnis festgelegt werden.312 Nach dem RL-Vorschlag sind somit Mitglieder der Öffentlichkeit, die die genannten Kriterien erfüllen, befugt, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, das sowohl die formelle als auch die materielle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts oder der Unterlassung eines Verwaltungsakts zum Gegenstand hat, soweit er bzw. sie gegen Umweltrecht verstößt.313 Was mögliche Verfahren gegen Privatpersonen anbelangt, die auch in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK fallen, legt die vorgeschlagene Richtlinie gem. Art. 3314 das Ziel des Zugangs zu Gerichten fest. Aus Gründen der Sub311 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-01255 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff.; EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – Rs. C-243/15 („Slowakischer Braunbär II“), ZUR 2017, S. 86 ff.; Anm. dazu R. Klinger, ZUR 2017, S. 90 ff. 312 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 13. 313 Ebd. 314 Art. 3 des RL-Vorschlags lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, die die in innerstaatlichem Recht vorgesehenen Kriterien erfüllen, Zugang zu Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren haben, um gegen einen Akt oder
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
sidiarität beschränkt sich diese Vorschrift aber darauf, die Vorschriften über verwaltungsrechtliche oder im Allgemeinen gerichtliche Überprüfungsverfahren für Akte und Unterlassungen von Behörden genauer festzulegen. Sie überlässt es somit den Mitgliedstaaten, die Kriterien für den gerichtlichen Zugang im innerstaatlichen Recht festzulegen.315 Vorschriften für Verstöße von Privatpersonen würden zu sehr in die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten eingreifen. Das würde bedeuten, dass sich das EU-Recht mit Fällen befassen würde, die sehr ähnlich gelagert sind wie Klagen von Privatpersonen gegen andere Privatpersonen, die eindeutig in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen.316 6. Anerkennung qualifizierter Einrichtungen Neben der Eröffnung des Zugangs von Bürgern zu Überprüfungsverfahren wird mit Art. 5 des RL-Vorschlags qualifizierten Einrichtungen eine Klagebefugnis gegen Maßnahmen von Verwaltungsbehörden eingeräumt. Als „qualifizierte Einrichtung“ zählt nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 1c des RL-Vorschlags jede Vereinigung, Organisation oder Gruppe, deren Ziel der Umweltschutz ist, die die nach Art. 8 des RL-Vorschlags statuierten Kriterien erfüllt und zudem nach dem Verfahren des Art. 9 RL-Vorschlags anerkannt worden ist. Gem. Art. 8 des RLVorschlags muss es sich nicht unbedingt um einen rechtsfähigen Verein handeln, sondern um eine unabhängige Rechtsperson, die nach geltendem Recht gegründet wurde. Die Zielsetzung der Einrichtung muss auf den Schutz der Umwelt gerichtet sein und darf keinen Erwerbscharakter haben (Art. 8 Buchst. a RL-Vorschlag). Insofern ist der Begriff der Einrichtung weit gefasst und bezieht internationale, nationale, regionale und lokale Vereinigungen, Organisationen oder Gruppierungen ein.317 Ferner muss sie organisatorische Vorkehrungen treffen, um eine angemessene Verfolgung der satzungsgemäßen Ziele zu gewährleisten (Art. 8 Buchst. b RL-Vorschlag). Die Mitgliedstaaten können festlegen, wie lange die Einrichtung bereits für den Umweltschutz tätig geworden sein muss. Allerdings dürfen sie nicht mehr als einen Zeitraum von bis zu drei Jahren verlangen (Art. 8 c RL-Vorschlag). Außerdem haben sie zu bestimmen, in welchem Zeitraum die Vereinigung ihre Jahresabschlüsse von einem zugelassenen Buchprüfer kontrollieren lassen muss (Art. 8 d RL-Vorschlag).318 die Unterlassung von Handlungen von Privatpersonen, der bzw. die gegen Umweltrecht verstößt [sic!, richtige Ergänzung: ,bzw. verstoßen‘] (st), nein Stephan, hier ist das Subjekt der Akt und der Akt ist Singular, also ist ,verstößt’ richtig (as) vorzugehen.“ 315 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 5. 316 Ebd., S. 13. 317 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 265.
E. Lösungsansätze im Rahmen des unionalen Sekundärrechts
1113
Art. 9 des RL-Vorschlags legt Anforderungen an das Verfahren der Anerkennung qualifizierter Einrichtungen fest. Den Mitgliedstaaten werden zwei Verfahren zur Auswahl gestellt: Eine Voraberkennung oder eine Anerkennung von Fall zu Fall („Ad-Hoc-Verfahren“) (Art. 9 Nr. 1 RL-Vorschlag). Ferner haben die Mitgliedstaaten die für das Anerkennungsverfahren zuständige Behörde zu bestimmen (Art. 9 Nr. 2 RL-Vorschlags). Dabei stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass bei Ablehnung eines Anerkennungsantrags gegen diese Entscheidung bei einem Gericht oder einer durch Gesetz geschaffenen, unabhängigen und unparteiischen Einrichtung Widerspruch erhoben werden kann. Schließlich wird die Regelung aller weiteren Einzelheiten des Anerkennungsverfahrens den Mitgliedstaaten unter der Maßgabe überantwortet, dass sie angemessene und wirksame Verfahren sicherstellen, die objektiv, gerecht, zügig und nicht zu teuer sind (Art. 9 Nr. 4 i.V. m. Art. 10 RL-Vorschlag).319 Die entsprechenden deutschen Vorschriften des UmwRG sind somit vereinbar mit den oben skizzierten Vorschriften des RL-Vorschlags. 7. Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen Während die Überprüfungsverfahren zugunsten von Mitgliedern der Öffentlichkeit weitgehend dem Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten überlassen werden, enthält der RL-Vorschlag in Bezug auf die Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen sehr konkrete Vorgaben hinsichtlich der Verfahren zur Kontrolle der Umsetzung und des Vollzugs gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften durch die Mitgliedstaaten.320 Art. 5 des RL-Vorschlags321 sieht vor, dass qualifizierten Einrichtungen, auch dann Zugang zu einem Verfahren (inkl. vorläufigem Rechtsschutz) in Umweltangelegenheiten zu gewähren ist, wenn sie kein ausreichendes Interesse bzw. keine Rechtsverletzung nachweisen können. Erforderliche Bedingung ist lediglich, dass 318
Ebd. Ebd., Rn. 266 320 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 267; SRU, Rechtsschutz für die Umwelt, 2005, Rn. 27. 321 Art. 5 des RL-Vorschlages lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die gemäß Artikel 9 anerkannten qualifizierten Einrichtungen in dem Mitgliedstaat Zugang zu auch einen vorläufigen Rechtsschutz umfassenden Verfahren in Umweltangelegenheiten erhalten, ohne ein ausreichendes Interesse oder eine Rechtsverletzung nachweisen zu müssen, wenn der zu überprüfende Sachverhalt, zu dem ein Verfahren angestrengt wird, in den satzungsgemäßen Tätigkeitsbereich und die Überprüfung in das geografische Tätigkeitsgebiet speziell dieser Einrichtung fällt. 2. Eine nach Artikel 9 in einem Mitgliedstaat anerkannte qualifizierte Einrichtung kann eine interne Überprüfung in einem anderen Mitgliedstaat unter den in Absatz 1 genannten Bedingungen beantragen. 3. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist nicht an die Einhaltung des in Artikel 6 vorgesehenen Verfahrens geknüpft.“ 319
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
sie staatlicherseits anerkannt waren und der Streitgegenstand von ihrem jeweiligen Satzungszweck erfasst wurde und ihrem spezifischen, geografischen Tätigkeitsbereich unterfiel.322 Klagegegenstand des Art. 5 RL-Vorschlags ist die Einführung eines Überprüfungsverfahrens zugunsten umweltschützender Nichtregierungsorganisationen auch für sonstige, nicht von den UVP- und IVU-Richtlinien erfasste umweltbezogene Maßnahmen.323 Bei der Klagebefugnis „qualifizierter Einrichtungen“ des RL-Vorschlages fehlt somit eine Verknüpfung mit den Individualrechten. Hauptgrund dafür ist die Auffassung der Kommission, dass Verbandsklagen vor allem eine Verbesserung der wirksamen Durchsetzung des Umweltrechts gerade dadurch herbeiführen sollen, dass ihre Klagebefugnis nicht wie bei Individual- bzw. Einzelklagen auf die Personen beschränkt ist, die direkt von der Rechtsverletzung betroffen sind.324 Demzufolge wurde der Ausgestaltungsspielraum für die Klagebefugnis anerkannter Umweltschutzverbände nahezu auf Null reduziert. Mithin wäre die Klagebefugnis von anerkannten Vereinigungen weitgehend umfassend. Vereinsklagen, welche nur an subjektive Rechte Einzelner rückgebunden werden, wären ungeeignet zur Erreichung der Ziele des verbesserten Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten sowie der verbesserten Durchsetzung des europäischen Umweltrechts.325 Dadurch sollte schließlich eine grundsätzlich einheitlich altruistische Umweltverbandsklage auf mitgliedstaatlicher Ebene geschaffen werden. Mit diesem Entwurf geht somit die Kommission über die von Art. 9 Abs. 3 AK geforderte Kontrolleröffnung für innerstaatliches Umweltrecht hinaus, ohne allerdings eine Popularklagebefugnis einzuführen.326 Beachtenswert ist auch, dass gem. Art. 5 Abs. 2 RL-Vorschlag die qualifizierte Einrichtung die interne Überprüfung in einem anderen Mitgliedstaat unter 322 Vgl. Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. v. 24.10.2003, S. 14; F. Ekardt/K. Pöhlmann, NVwZ 2005, S. 532; T. v. Danwitz, in: Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (Hrsg.), Aarhus-Konvention – Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, Dokumentation zur 27. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 2003, S. 35–36. 323 Vgl. ausführlich dazu S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – AarhusHdb., 2009, § 3, Rn. 262 ff. 324 Vgl. Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003), 624 endg. v. 24.10.2003, S. 3. Vgl. dazu M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff.; I. Pernice/ V. Rodenhoff, ZUR 2004, S. 149 ff.; C. Calliess, ZUR 2008, S. 350 ff. 325 In diese Richtung vor allem: EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009, Rn. 37 ff. (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NordrheinWestfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff. 326 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 268.
F. Fazit
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den in Art. 5 Abs. 1 RL-Vorschlag genannten Bedingungen beantragen kann.327 Der RL-Vorschlag bietet somit auch die Möglichkeit, in grenzübergreifenden Fällen ein Verfahren in Umweltangelegenheiten einzuleiten. So könnte eine anerkannte Nichtregierungsorganisation, in einem anderen Mitgliedstaat wegen eines Verstoßes gegen das Umweltrecht ein Verfahren in Umweltangelegenheiten einleiten, vorausgesetzt, dass dieser in ihren satzungsgemäßen Tätigkeitsbereich sowie ihr geografisches Tätigkeitsgebiet fällt.328 Absicht des EG-Gesetzgebers in der Bestimmung von Art. 5 des RL-Vorschlags ist es grundsätzlich die Klagebefugnis von qualifizierten Einrichtungen konkreter und klarer zu bestimmen.
F. Fazit Die bisherige Rechtspraxis zeigt, dass die Möglichkeit von qualifizierten, umweltschützenden NGOs, europäische Handlungen einzuklagen, durch die sekundärrechtliche Einführung des Verbandsrechtsbehelfs der AK-VO nicht prinzipiell verbessert worden ist. Es ist anzumerken, dass das Rechtsinstrument der internen Überprüfung von Verwaltungsakten im Rahmen der AK-VO an deutlichen Defiziten leidet, so dass es nicht effektiv realisiert werden kann. Obwohl der europäische Gesetzgeber durch die AK-VO versucht hat, die interne Überprüfung von Verwaltungsakten, die von EU-Behörden erlassen worden sind, der Öffentlichkeit verfahrensrechtlich und gerichtlich zugänglich zu machen, scheint dieses Rechtsinstrument ineffizient zu sein. Hauptgrund dafür ist grundsätzlich der oben skizzierte besonders restriktive Anwendungsbereich des Verbandsrechtsbehelfs der AK-VO. Daran orientiert sich auch die herrschende Rechtsprechung des EuGH, nach deren Auffassung ein enges Verständnis bzw. die restriktive Auslegung des Begriffs „Verwaltungsakt“ (gem. Art. 10 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AK-VO) in Einklang mit Art. 9 Abs. 3 AK stehe. Dabei ergibt sich aus der aktuellen Praxis eindeutig, dass die EU-Behörden bislang wenig Bereitschaft zeigen, verfahrensrechtlich oder gerichtlich von qualifizierten, umweltschützenden NGOs kontrolliert zu werden. Vor diesem Hintergrund bleiben die bereits dargestellten Rechtsschutzdefizite des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV im Bereich des überindividuellen Umweltschutzes weiterhin bestehen. Denn unionale Handlungen, die die Umwelt beeinträchtigen, stellen im Prinzip wegen ihres allgemeinen Charakters und ihrer allgemeinen Geltung keine Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls dar, die von einem Organ oder einer Einrichtung der EU getroffen 327
Ebd. Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 264 endg. v. 24.10.2003, S. 14. 328
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
wird, rechtsverbindlich ist und Außenwirkung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. g AKVO hat. Zur Lösung dieser Problematik wird hier vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des Antrags auf interne Überprüfung dahingehend zu erweitern, dass der Begriff des „Verwaltungsaktes“ i. S. d. AK-VO jede Verwaltungsmaßnahme, die von Organen oder Einrichtungen der Union im Rahmen des Umweltrechts getroffen wird und rechtsverbindliche sowie externe Wirkung hat, erfasst. Daneben könnte der EU-Gesetzgeber auch in Einklang mit der aktuellen EuGH Rechtsprechung (wie in den Urteilen „Trianel“ und „slowakische Braunbären“) qualifizierten Umweltverbänden ausdrücklich bestimmte umweltrelevante bzw. umweltschützende Verfahrensgarantien einräumen. Auf diese Weise könnten Umweltschutzverbände, die sich an bestimmten vom Gesetz garantierten Verfahren zur Ergreifung von umweltrelevanten EU-Handlungen beteiligt haben, als individuell gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV von diesen Handlungen betroffen angesehen werden, soweit diese Handlungen gesetzwidrig die Umwelt beeinträchtigen. Sie könnten daher zulässig als klagebefugte Kläger eine zulässige Nichtigkeitsklage gegen die oben genannten EU-Handlungen einlegen. Dadurch könnte eine umweltschützende Verbandsklage im unionalen Sekundärrecht gestaltet werden. Parallel dazu könnte die Einführung einer Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten entscheidend zur Vereinheitlichung des Umweltrechtsschutzes auf mitgliedstaatlicher Ebene beitragen. Zu diesem Zweck hat die Kommission den Vorschlag vom 24.10.2003 für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten initiiert. Noch der amtlichen Rücknahme – Mitte 2014 – des oben genannten Richtlinienvorschlags versucht die Kommission aktuell, einen neuen Richtlinienvorschlag zu diesem Thema vorzubereiten. Der oben genannte zurückgenommene Richtlinienvorschlag vom 24.10. 2003 könnte als Basis für die Aufstellung einer entsprechenden Richtlinie verwertet werden. Dies wäre m. E. begrüßenswert, denn dadurch könnte die unionale Aufgabe im Rahmen der Umsetzung der dritten Säule der AK, eine umfangreiche und effektive Umweltverbandsklage auf mitgliedstaatlicher Ebene zu schaffen, zum größten Teil erfüllt werden. Verschiedene noch offene Fragen, die in dieser Arbeit bereits diskutiert wurden, etwa hinsichtlich der Problematik der Abgrenzung des Geltungs- und Anwendungsbereiches, der Prüfungsgegenstände der umweltrechtlichen Klagen nicht privilegierter Dritter (insb. der altruistischen Verbandsklagen), der Streit in Bezug auf die Eingrenzung der Rügebefugnis von Verfahrensfehlern sowie hinsichtlich der unionsrechtlichen Konformität der Präklusionsregelungen, könnten dadurch zugunsten der Rechtssicherheit und der Effektuierung des Umweltrechtsschutzes zum großen Teil aufgelöst werden. Würde der RL-Vorschlag in diesem oder entsprechenden Kontext verabschiedet, bestünde dann für den deutschen Gesetzgeber aufgrund seines weit gefassten
F. Fazit
1117
Anwendungsbereichs, der sämtliche Prüfungsgegenstände erfasst, die in den satzungsgemäßen Tätigkeitsbereich und das geografische Tätigkeitsgebiet einer qualifizierten Einrichtung fallen, ein über die existierenden überindividuellen Klagebefugnisse hinausgehender Anpassungsbedarf.329 Die bereits dargestellte Rechtskonzeption des Grundsatzurteils des BVerwG vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 löst nur teilweise die Problematik. Erforderlich ist vielmehr das gezielte Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers. Angesichts der Tatsache, dass die aktuelle EuGH-Rechtsprechung330 bereits versucht hat, die Rechtsschutzlücken hinsichtlich der Klagebefugnis nicht privilegierter Dritter im Bereich des Umweltschutzes zu schließen, indem sie der betroffenen Öffentlichkeit und vor allem den Umweltverbänden erweiterte Rechtsschutzmöglichkeiten zugewiesen hat, so dass die Mitgliedstaaten daran gehindert werden, unzumutbare Rechtsschutzhindernisse für die Öffentlichkeit zu schaffen, wäre es entsprechend für den unionalen Gesetzgeber wie auch für den nationalen Gesetzgeber empfehlenswert, gegenüber dieser Problematik eine holistische europaweite Strategie zugunsten der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit zu entwickeln. Gleichzeitig muss selbstverständlich die Einhaltung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, nach dem die Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens den Mitgliedstaaten obliegt, berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang sollte der mögliche Erlass einer entsprechenden Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, die zur Festlegung eines Minimums der Harmonisierungsstandards zwischen den Mitgliedstaaten in Umweltangelegenheiten abzielt, ernsthaft zur Diskussion gebracht werden, auch weil die Rechtsprechungstendenz, die für einen erweiterten überindividuellen Umweltrechtsschutz spricht, relativ neu und bislang nicht vollkommen eindeutig ausgestaltet ist. Eine solche Richtlinie könnte auf der Basis des RL-Vorschlages des Europäischen Parlaments und des Rates von 24.10.2003 über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten331 erarbeitet werden. Angesichts der dargestellten, unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention sich aktuell vollziehenden Entwicklung der europäischen Rechtsprechung sowie der nationalen Gesetzgebung im Bereich des Umweltrechtsschutzes scheinen die 329 Vgl. S. Schlacke, in: dies./C. Schrader/T. Bunge (Hrsg.), Aarhus-Hdb., 2009, § 3, Rn. 273. 330 Vgl. vor allem die bereits dargestellten Vorlagebeschlüsse wie EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), NVwZ 2011, S. 673 ff.; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-115/2009 (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V./Bezirksregierung Arnsberg), NVwZ 2011, S. 801 ff.; EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Rs. C-263/08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening/Stockholms kommun genom dess marknämnd), ZUR 2010, S. 28 ff.; EuGH, Urt. v. 07.11. 2013 – Rs. C-72/12 (Altrip), ZUR 2014, S. 36 ff. 331 KOM (2003) S. 624 endg. v. 24.10.2003. Vgl. dazu M. Dross, ZUR 2004, S. 152 ff.
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3. Teil, 6. Kap.: Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene
Umstände für die Annahme einer solchen Gesetzgebungs-Initiative auf EUEbene reifer als früher zu sein. Es ist sinnvoll, dass die europäischen und nationalen Gesetzgeber geeignete Maßnahmen zur Förderung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes treffen, um die noch bestehenden Defizite und Diskrepanzen im Bereich des Umweltrechtsschutzes effizient zu beseitigen. Dies würde auch zugunsten der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie auf nationaler und europäischer Ebene wirken. Außerdem sprechen dafür auch pragmatische Gründe, die mit der offensichtlich zunehmenden technologischen Intensivierung der Ausbeutung der Umweltressourcen bzw. der Beeinträchtigung der Umweltgüter durch die zeitgenössische Zivilisation zusammenhängen.
7. Kapitel
Würdigung Anders als das deutsche Rechtsschutzsystem, das sich überwiegend an der Gewährleistung eines effektiven Schutzes der subjektiven öffentlichen Rechte der Rechtssubjekte orientiert, und abweichend vom griechischen Rechtsschutzsystem, das vor allem den effektiven Schutz der rechtmäßigen Interessen des Einzelnen bezweckt, sieht es so aus, dass die unionale Rechtsschutzkonzeption vielmehr das rechtsstaatliche Gebot einer effektiven Durchsetzung individueller Rechte im weiten Sinne des EU-Rechts mit dem Ziel der Durchsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten verbindet. Der Konzeption des unionalen Rechtsschutzes nach ist es somit nicht in erster Linie Aufgabe der unionalen Rechtsprechung, dem Bürger effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Diese Aufgabe fällt vielmehr grundsätzlich den nationalen Richtern zu, die die Wahrung des Unionsrechts zu sichern haben. Dies ist grundsätzlich auf die überstaatliche Geltung und Funktion des unionalen Rechtsschutzsystems zurückzuführen, die aus Art. 19 Abs. 1 EUV i.V. m. Art. 47 EU-GRCh hervorgeht. Insofern bilden die mitgliedstaatlichen Gerichte zusammen mit dem EuGH und seinen Teilorganen ein System arbeitsteiligen Rechtsschutzes, das einen einheitlichen Justizverbund darstellen soll. Vor diesem Hintergrund erzwingen die unionalen Rechtsschutzgarantien keine erweiterte Zulassung von Klagen auf EUEbene (insb. Nichtigkeitsklagen gem. Art. 263 AEUV) gegen normative Rechtsakte, die über die Grenzen des Bereichs der unionalen Gesetzgebung hinausgehen. Demzufolge könnten etwaige Rechtsschutzlücken keinesfalls unter unmittelbarem Rückgriff auf die EU-Grundrechte-Charta geschlossen werden. Soweit aber die Vorgaben des EU-Rechts keine ausreichenden Klagemöglichkeiten gegen EU-Rechtsakte gewährleisten können, sind nach Art. 19 Abs. 1 EUV vielmehr die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist. Über das Prinzip funktionaler Subjektivierung versucht die EU-Rechtsordnung letztlich eine Demokratisierung des Gesamtsystems zu ermöglichen, was dem allgemeinen europäischen Trend zur Objektivierung des Rechtsschutzes dient.1 1 Vgl. M. Hong, JZ 2012, S. 382; S. Schlacke, NVwZ 2011, S. 804 ff.; dies., ZUR 2011, S. 312 ff.; C. Calliess, NJW 2002, S. 3577 ff.; J.-M. Woehrling, VBlBW 2008, S. 1 ff.
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3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
Dass das unionale Rechtsschutzsystem anderen Zielen als das deutsche und griechische Rechtsschutzsystem dient, prägt auch die Entwicklung des unionalen Umweltrechtsschutzes, dessen Verwirklichung überwiegend den mitgliedstaatlichen Gerichten anvertraut wird. Diese Hintergründe erläutern auch die Abgeneigtheit des unionalen Gesetzgebers, den überindividuellen Umweltrechtsschutz durch die Einführung spezieller Vorgaben auf EU-Ebene zu regeln. Denn die unionale Rechtsordnung sieht bisher keine Sonderbestimmung bezüglich des Umweltrechtsschutzes vor. Das unionale Rechtsschutzsystem verfügt – im Gegensatz etwa zur deutschen Rechtsschutzordnung – ebenso über keine altruistische natur- und umweltschützende Verbandsklage. Ferner gewährleistet – anders als im griechischen Recht – das EU-Recht kein Umweltgrundrecht auf Umweltschutz, was zu einem erweiterten Umweltrechtsschutz auch überindividueller umweltschützender Rechte beitragen könnte. Die unionalen Grundsätze des Umweltschutzes (Art. 37 EU-GRCh, Art. 11 AEUV, Art. 191 ff. AEUV) stellen eher staatszielartige Bestimmungen dar, die maßgeblich für die Durchführung der europäischen Umweltpolitik sind. Überindividuelle Umweltgüter und umweltschützende Rechte sind somit auf unionaler Ebene grundsätzlich durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gerichtlich nur anfechtbar, soweit sie mit subjektiven Interessen und Rechtspositionen von klageberechtigten juristischen und natürlichen Personen zusammenfallen. Die Rechtspraxis zeigt, dass die Nichtigkeitsklage von Nichtadressaten gegen umweltschädliche bzw. höchstwahrscheinlich umweltschädliche unionale Handlungen bzw. Unterlassungen schwer zu begründen ist. Das seit dem Jahr 1963 ständige Festhalten der europäischen Rechtsprechung aber auch der Gesetzgebung an der sog. Plaumann-Formel in Zusammenhang mit der Kompetenzstruktur der EU lässt für die Schaffung eines überindividuellen Umweltrechtsschutzes sowie für die Gestaltung einer altruistischen umweltschützenden VK auf europäischer Ebene bisher fast keinen Raum. Denn unter dem Einfluss der PlaumannFormel sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen der unionalen Nichtigkeitsklage gegen adressatenlose unionale Handlungen und vor allem das Tatbestandsmerkmal der individuellen Betroffenheit sehr restriktiv ausgelegt, so dass ein Nichtadressat nur dann klagebefugt sein kann, wenn eine unionale Handlung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten. Zwar hat die europäische Rechtsprechung im Laufe der Zeit versucht, die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals zugunsten eines erweiterten Rechtsschutzes durch richterliche Fortbildung zu relativieren und zu flexibilisieren, konnte dies aber nur eingeschränkt vor allem in bestimmten wirtschaftsrechtlichen Bereichen (etwa im Bereich des Antidumping-, Kartell-, Marken- und Beihilferechts) und
3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
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nicht im Bereich des Umweltrechts erzielen. Hauptgrund dafür ist angeblich, dass in diesen Rechtsgebieten bei der Individualisierung der Drittkläger auf das materielle Kriterium einer spürbaren Beeinträchtigung der Marktposition oder eines Eingriffs in grundrechtlich geschützte wohl erworbene Rechte des Drittklägers abgestellt werden kann, wohingegen sich der Bereich des Umweltschutzes als wesentlich abstrakter und weniger bestimmt darstellt. Während die Individualisierung der Kläger bei den wirtschaftsrechtlichen Bereichen auf den Besonderheiten dieser Rechtsgebiete, zu welchen häufig ein Eingriff in spezifisch normierte Rechte dieser Wirtschaftsteilnehmer hinzutritt, beruht, gilt dies i. d. R. nicht im Bereich des Umweltrechts. Denn es muss beachtet werden, dass der Bereich des unionalen Umweltrechts meistens durch europäische Handlungen und Rechtsakte reguliert wird, die für objektiv bestimmte Situationen gelten und gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen Rechtswirkungen entfalten. Unter diesen Bedingungen können in diesem kritischen Bereich Drittkläger nicht wie die Adressaten individualisiert werden. Dies gilt selbst wenn anerkannte Umweltverbände durch umweltbezogene europäische Maßnahmen in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich beeinträchtigt werden. Demzufolge können Drittkläger in der Praxis keine zulässige Nichtigkeitsklage gegen umweltschädliche unionale Maßnahmen einreichen. Insofern können Allgemeinwohlinteressen sowie Umweltschutzinteressen nicht durch Einzelkläger vor den europäischen Gerichten effektiv geltend gemacht werden. Die Klagebefugnis von Drittklägern ist somit paradoxerweise umso eher abzulehnen, je schwerer die Schädigung des Gemeinwohls bzw. der überindividuellen Umweltgüter und je größer die davon betroffene Gruppe ist. Dies führt unvermeidlich zu einem Ungleichgewicht bezüglich des Rechtsschutzes zwischen wirtschafts- und umweltbezogenen Interessen. Denn die EU-Organe können durch tendenziell rein wirtschaftlich ausgerichtete Entscheidungen umweltschutzbezogene Regelungen umgehen, ohne dass diese Rechtsakte bzw. Handlungen oder Unterlassungen einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden. Dabei erweist sich die Ausgestaltung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes durch die nationalen Rechtsordnungen nicht immer als befriedigend, wie es die Erfahrungen mit der Problematik der deutschen natur- und umweltschützenden altruistischen VK exemplarisch gezeigt haben. Auch die Möglichkeit des Antrags auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. 267 AEUV genügt nicht, um solche Rechtsschutzdefizite bzw. Rechtsverletzungen in allen problematischen Fällen vollständig zu beseitigen. Denn das Ingangsetzen eines solchen Verfahrens hängt vielmehr vom Willen des nationalen Richters und nicht des Klägers ab. Ein solches Modell entspricht – der hier vertretenen Ansicht nach – auch insbesondere nicht den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK, die zur dritten
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3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
und bisher nicht umgesetzten Säule der gemischten völkerrechtlichen AK gehören, und die in erster Linie den Mitgliedern der Öffentlichkeit einen effektiven Zugang zu Gerichten sicherstellen wollen. Obwohl die AK als gemischtes Übereinkommen, dessen eine Vertragspartei die EU bzw. damalige EG ist, sich nicht eignet, um als „lex posterior“ den primärrechtlichen Rechtsschutzgrundsatz des ex-Art. 230 Abs. 4 EGV (nunmehr Art. 263 Abs. 4 AEUV) zu ändern, hat der EuGH aber schon im Braunbären-Urteil festgestellt, dass durch die nicht unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK das zentrale Ziel der AK, nämlich die Ermöglichung der Gewährleistung eines effektiven Gerichtszugangs, nicht annulliert werden darf.2 Vor diesem Hintergrund kann analog der Schluss gezogen werden, dass die EU-Organe (etwa der EuGH und das EuG) – genauso wie die mitgliedstaatlichen Organe – verpflichtet sind, auch die Zulässigkeitskriterien der unionalen Klagebefugnis einer Nichtigkeitsklage (gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV) umweltrechtsschutzfreundlich auszulegen. Damit würden diese Kriterien so weit wie möglich in Einklang mit den Anforderungen der AK (und vor allem mit dem Ziel eines weiten und effektiven Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gem. Art. 9 Abs. 3 und 4 AK) stehen. Dies stünde auch in Einklang mit den Anforderungen des Art. 47 EU-GRCh in Zusammenhang mit Art. 35 und 37 EU-GRCh. Es muss berücksichtigt werden, dass der Unionsgesetzgeber im Rahmen des Abschlusses des Lissabon-Vertrages vor allem mit der Einführung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV versuchte, die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagebefugnis von Drittklägern bei der Einreichung einer Nichtigkeitsklage zu vereinfachen und zu erleichtern. Denn im Unterschied zu Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV verlangt die neue Sonderregelung als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter nicht die individuelle Betroffenheit des Klägers durch einen solchen Rechtsakt, sondern nur seine unmittelbare Betroffenheit. Es handelt sich grundsätzlich um eine entscheidende substanzielle Änderung des Lissabon-Vertrages bezüglich der Nichtigkeitsklage, die deren Anwendungsbereich teilweise erweitert, indem sie ein bedeutendes Hindernis für die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Drittkläger, nämlich das eng ausgelegte Tatbestandsmerkmal der individuellen Betroffenheit gegen unionale Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, beseitigt. Besonders problematisch sind aber wegen des unbestimmten Wortlautes der Inhalt und daher auch die Auslegung des Begriffs „Rechtsakte mit Verordnungs2 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-240/09, Rn. 50 (Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo zˇivotného prostredia Slovenskej republiky), ZUR 2011, S. 320; mehr dazu s. o. 1. Teil, 4. Kap., B. ff.
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charakter“, der letztlich den Umfang der Klagegegenstände dieser Neuregelung bestimmen soll. Die aktuelle unionale Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der h. M. der Lehre hat bisher gezeigt, dass dieser Begriff eher eng ausgelegt werden soll. Darunter sollen nur Rechtsakte ohne Gesetzescharakter fallen. Eine erweiterte Klagemöglichkeit gegen Rechtsakte mit Gesetzescharakter sollte jedoch Privatklägern nicht zukommen. In Bezug auf den restriktiven unionalen Rechtsschutz hat somit die Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nur zu einer geringen Erweiterung des Umfangs des Umweltrechtsschutzes (nämlich im Bereich von umweltbezogenen Rechtsakten ohne Gesetzescharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Einzelnen unmittelbar betreffen) geführt. Dies erfasst insbesondere Konstellationen, in denen der Drittkläger mangels eines mitgliedstaatlichen Durchführungsakts keine inzidente Überprüfung der jeweils umstrittenen Verordnung vor mitgliedstaatlichen Gerichten herbeiführen kann. Gerade wegen dieser eingeschränkten Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV können bestimmte wichtige unionale Rechtsakte nicht von Einzelnen (weder gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV noch gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV) direkt vor europäischen Gerichten angefochten werden. Diese sind etwa EU-Handlungen, die den Einzelnen nicht unmittelbar und individuell betreffen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Einzelnen nicht unmittelbar betreffen, selbstvollziehende Legislativakte oder solche die bei Verstoß ein Sanktionsverfahren nach sich ziehen. Das Festhalten an der Anwendung der problematischen Plaumann-Formel bleibt somit weiterhin auch nach dem Abschluss des Lissabon-Vertrages bestehen. Die Einschränkung des Umfangs des erleichterten unionalen Rechtsschutzes gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV nur auf untergesetzliche Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, widerspricht – der hier vertretenen Ansicht nach – dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Denn während der Wortlaut und Inhalt des in Art. 47 EU-GRCh niedergelegten Unionsgrundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz eher für eine weite Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV spricht, gewährleistet die enge Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV keinen ausreichenden Rechtsschutz für natürliche oder juristische Personen, die etwa durch unionale selbstvollziehende Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, betroffen sind. Denn in solchen Fällen fehlt es offensichtlich an einem gerichtlich angreifbaren, innerstaatlichen Vollzugsakt, so dass auch ein Rechtsschutz für diese Personen vor den mitgliedstaatlichen Gerichten nicht möglich ist. Die Tatsache, dass die Anforderung der AK gem. Art. 9 Abs. 3 AK bezüglich der Gewährleistung eines weiten Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für die Mitglieder der Öffentlichkeit keinen Stützpunkt in der unionalen primärrechtlichen Gesetzgebung sowie in der unionalen Rechtsprechung findet,
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3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
unterminiert die Implementierung der dritten Säule des völkerrechtlichen Übereinkommens von Aarhus (hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten), das unter anderem darauf abzielt, die Bürger und die anerkannten umweltschützende Verbände als Vollzugshelfer per Partizipation und Drittklage zu zentralen Akteuren auch des unionalen Umweltrechtsschutzes zu machen. Die Bekämpfung der Problematik insbesondere des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf unionaler Ebene scheint somit unter den geltenden aktuellen Bedingungen zu kurz zu greifen. Die Beseitigung der vorhandenen Rechtsschutzdefizite hängt überwiegend von dem Willen des unionalen Gesetzgebers ab. In einer künftigen Vertragsänderung könnte der unionale Gesetzgeber den bisher geltenden Wortlaut des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dahingehend modifizieren, dass auch Rechtsakte mit Gesetzescharakter von klageberechtigten Personen anfechtbar sind, soweit diese Rechtsakte diese Personen unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang sollte auch das Zulässigkeitskriterium der individuellen Betroffenheit einer Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV insbesondere in Umweltangelegenheiten flexibler und erweitert ausgelegt werden, so dass die restriktive Plaumann-Formel, die offensichtlich zu Umweltrechtsschutzdefiziten geführt hat, überwunden wird. Zu diesem Zweck könnte die bereits dargestellte Argumentation der Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum EuGH-Urteil „UPA“,3 des Generalanwalts Cosmas zum EuGH-Urteil „Stichting-Greenpeace“ 4 und vor allem die Argumentation des EuG-Urteils im Fall „Jégo-Quéré“5 angepasst verwertet werden. Es wäre daher durchaus empfehlenswert, die individuelle Betroffenheit einer klageberechtigten Person dann anzunehmen, wenn diese Person von einer unionalen Handlung, die sie unmittelbar betrifft, in ihrer Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt wird, weil diese Handlung ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt. Die Zahl anderer Personen, deren Rechtsposition durch eine unionale Handlung ebenfalls beeinträchtigt wird oder beeinträchtigt werden könnte, sollte somit – der hier vertretenen Auffassung nach – für die Begründung der individuellen Betroffenheit kein maßgeblicher Gesichtspunkt sein. Auf diese Weise könnten die negativen Folgen der Plaumann-Formel im Bereich des unionalen Umweltrechtsschutzes zumindest teilweise beseitigt werden. Eine solche Entwicklung stünde nicht nur in Einklang mit den Zielen der unionalen umweltschützenden Grundsätze, sondern auch mit dem Ziel des unionalen Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (gem. Art. 47 EUGRCh i.V. m. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV), der einen lückenlosen Rechtsschutz 3 4 5
s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., IV., 1. s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., I., 1. s. o. 3. Teil, 3. Kap., B., III.
3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
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gegen alle Akte unionsrechtlicher Gewalt fordert. Eine derartige Verstärkung des unionalen Rechtsschutzes könnte auch zur Stärkung der unionalen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie beitragen. Außerdem könnte der Umweltrechtsschutz durch die Einführung eines (zumindest prozeduralen) Grundrechts auf Umweltschutz als Menschenrecht auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene unterstützt werden. Denn dadurch könnten Verfahrensrechte abgeleitet werden, die es dem jeweils Betroffenen ermöglichen würden, seine Belange und Interessen im Umweltschutz auf unionaler Ebene zur Geltung zu bringen. Die Einführung eines Umweltgrundrechts ist allerdings m. E. zumindest mittelfristig nicht absehbar. Trotz des Erlasses der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV hält der unionale Gesetzgeber und Richter im Prinzip an der traditionell restriktiven Wahrnehmung des primärrechtlichen Rechtsschutzes auch im speziellen Bereich des überindividuellen Umweltschutzes fest. Die bisher einzige Regelung, die teilweise der Umsetzung der dritten Säule der AK hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf EU-Ebene dient, ist im Bereich des unionalen Sekundärrechts die EG-Verordnung Nr. 1367/2006 (sog. AK-VO) „über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus [. . .] auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft“. Damit wurde versucht (vor allem mit Art. 10 bis 12 AK-VO), die interne Überprüfung von Verwaltungsakten, die von EU-Behörden erlassen worden sind, der Öffentlichkeit verfahrensrechtlich und gerichtlich zugänglich zu machen. Handelt das betreffende EU-Organ oder die betreffende EU-Einrichtung im internen Überprüfungsverfahren nicht rechtmäßig, so kann die antragstellende qualifizierte Nichtregierungsorganisation nach den einschlägigen Bestimmungen des AEUV Klage vor dem EuGH erheben. Die Rechtspraxis hat bisher allerdings gezeigt, dass das Rechtsinstrument der internen Überprüfung von Verwaltungsakten im Rahmen der AK-VO an erheblichen Rechtsschutzdefiziten leidet, so dass dieser Rechtsbehelf nur schwerlich zum Umweltrechtsschutz beitragen kann. Die Möglichkeit von qualifizierten, umweltschützenden Nichtregierungsorganisationen, europäische Handlungen durch den Verbandsrechtsbehelf der AK-VO einzuklagen, wurde somit auch durch die Einführung der AK-VO im Prinzip nicht verbessert. Hauptgrund dafür ist der restriktive Anwendungsbereich des Verbandsrechtsbehelfs der AK-VO, der auch von der aktuellen Rechtsprechung des EuGH bestätigt wurde.6 Denn er beschränkt sich nur auf Maßnahmen (Verwaltungsakte) des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls, die von einem Organ oder einer Einrichtung der EU getroffen wurden, rechtsverbindlich sind und Außenwirkung 6 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 P (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff.; s. o. 3. Teil, 6. Kap., B.
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3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
haben. Angesichts aber der Tatsache, dass EU-Handlungen, die sich auf die Umwelt negativ auswirken oder negativ auswirken können, i. d. R. allgemeine Geltung haben, fallen diese nicht unter den Anwendungsbereich der AK-VO. Insofern können die aus Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV ausfließenden Rechtsschutzdefizite im Bereich des überindividuellen Umweltschutzes nicht beseitigt werden. Dieses Ergebnis steht aber m. E. weder mit den Anforderungen des AarhusÜbereinkommens noch mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (insbesondere die Urteile „Trianel“ und „slowakische Braunbären“) in Einklang, die einen weiten und effektiven Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten verlangen. Denn angesichts der erweiterten Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK durch den EuGH im Rahmen des Braunbären-Urteils gegenüber der Slowakischen Republik und der engen Auslegung dieser Vorschrift insbesondere in der bereits analysierten Rechtssache des EuGH C-401-403/12 P gegenüber den EU-Organen7 sieht es so aus, dass der EuGH hinsichtlich der unionsrechtlichen Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK mit zweierlei Maß misst. Zur Behebung der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes wäre es sinnvoll, den Anwendungsbereich des Antrags auf interne Überprüfung der AK-VO deutlich zu erweitern. Zu diesem Zweck sollte der Begriff des „Verwaltungsaktes“ im Rahmen der AK-VO jede umweltbezogene Verwaltungsmaßnahme, die von Organen oder Einrichtungen der Union getroffen wird und rechtsverbindliche sowie externe Wirkung hat, erfassen. Daneben könnte der EU-Gesetzgeber (etwa durch den Erlass einer Verordnung) qualifizierten Umweltschutzverbänden umweltbezogene Verfahrensgarantien einräumen. Auf diese Weise könnten qualifizierte Umweltschutzverbände, die sich an bestimmten vom Gesetz garantierten Verfahren zur Ergreifung von umweltschützenden EU-Maßnahmen beteiligt haben, als individuell gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV von diesen Handlungen betroffen angesehen werden. Damit würde die unter dem Einfluss der Plaumann-Formel problematische, restriktive Auslegung des Zulässigkeitskriteriums der individuellen Betroffenheit im Umweltschutzbereich aufgegeben werden. Zur Verbesserung und zur möglichst optimalen Vereinheitlichung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf unionaler Ebene könnte auch die Einführung einer unionalen Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten beitragen. Zu diesem Zweck sollte der EU-Gesetzgeber in Bezug auf den überindividuellen Umweltrechtsschutz – jedenfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – eher eine holistische Strategie erarbeiten. 7 EuGH, Urt. v. 13.01.2015, Rs. C-401/12 P bis 403/12 (Vereniging Milieudefensie u. Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission), ZUR 2015, S. 160 ff.; s. o. 3. Teil, 6. Kap., D., II.
3. Teil, 7. Kap.: Würdigung
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In diesem Zusammenhang hat die Kommission den Vorschlag vom 24.10.2003 für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten initiiert. Die Umsetzung dieses Richtlinienvorschlags konnte allerdings aus rechtspolitischen Gründen von den Mitgliedstaaten nicht realisiert werden. Daher wurde Mitte 2014 dieser Richtlinienvorschlag von der Kommission zurückgenommen. Die Kommission versucht allerdings bisher einen neuen dahingehenden Richtlinienvorschlag vorzubereiten. Der oben genannte Richtlinienvorschlag vom 24.10.2003 könnte als Basis für die Aufstellung einer entsprechenden Richtlinie verwertet werden. Dies wäre empfehlenswert, denn dieser Richtlinienvorschlag führt unter anderem eine erweiterte, effiziente altruistische umweltschützende Verbandsklage ein, deren Anwendung auf mitgliedstaatlicher Ebene den überindividuellen Umweltrechtsschutz in der EU entscheidend harmonisieren könnte. Zugleich könnten dadurch mitgliedstaatliche, rechtliche Ungereimtheiten und Differenzen im kritischen Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes, die bisher als Hindernisse für einen möglichst einheitlichen Umweltrechtsschutz in der EU wirken, überbrückt werden. In Zeiten der zunehmenden anthropogenen Umweltzerstörung, die die Lebensgrundlagen der Menschen global gefährdet oder gefährden kann, scheint es somit unerlässlich, dass der EU-Gesetzgeber und Richter – in enger Kooperation mit dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber und Richter – effiziente Initiativen in Richtung eines erweiterten und effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutzes ergreift, so dass den in diesem Werk analysierten noch bestehenden Umweltrechtsschutzlücken auf nationaler und europäischer Ebene zugunsten des Gemeinwohls, der Nachhaltigkeit und der Demokratie möglichst effektiv entgegengetreten werden können.
4. Teil
Rückblick und Ausblick
A. Rückblick I. Allgemeiner Rückblick In diesem Werk wurde die Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in drei Rechtsordnungen, die unterschiedliche Rechtsschutzsysteme ausgestaltet haben, untersucht. Die deutsche Rechtsordnung entschied sich Ende des 19. Jahrhunderts für das Modell des Individualrechtsschutzes. Hintergrund dieser prägenden Entscheidung war der historische Kompromiss zu Zeiten des deutschen Konstitutionalismus bezüglich der Gewaltenteilung zwischen Bürgertum und Monarchie. Dadurch wurde einerseits teilweise die Freiheit des Privaten und der Privatinitiative garantiert, andererseits aber blieb die Sorge um das Gemeinwohl als Verpflichtung der Verwaltung. Leitbild im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems ist somit der „persönlich Betroffene“, nicht etwa der sozial, kulturell oder politisch Engagierte, der schlicht die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns überprüfen lassen will. Die traditionelle Schutznormtheorie bestimmt die Funktion dieses Rechtsschutzmodells, dessen gesetzliche Grundlagen in Art. 19 Abs. 4 GG, § 42 Abs. 2 VwGO, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und § 47 VwGO zu finden sind. Gerade diese gesetzlichen Grundlagen gewährleisten ein Verletztenklagesystem. Im Gegensatz dazu legt beispielsweise die griechische Rechtsordnung das Rechtsschutzmodell der objektiven Rechtskontrolle zugrunde. Dieses Konzept, das rechtshistorisch von den Anforderungen der französischen Revolution an objektive Rechtskontrolle beeinflusst wurde, sieht den klagenden Bürger als Funktionär der Verwaltungskontrolle und in bestimmten Fällen als Vertreter des öffentlichen Interesses. Die gesetzlichen Grundlagen dieses Rechtsschutzkonzepts beruhen vor allem auf Art. 20 gr. V. und Art. 47 der Nr. 18/1989 PVO „über die Aufhebungsklage“. Dadurch wird ein Interessentenklagesystem gestaltet. Im Unterschied sowohl zum deutschen als auch zum griechischen Rechtsschutzsystem hat sich die unionale Rechtsordnung für eine Art Mittelweg zwischen dem deutschen Rechtsschutzkonzept des Individualrechtsschutzes und dem Rechtsschutzmodell der objektiven Rechtskontrolle der griechischen Rechtsordnung entschieden. Das unionale Rechtsschutzkonzept versucht vorwiegend, das rechtsstaatliche Gebot einer effektiven Durchsetzung individueller Rechte auf unionaler Ebene mit dem Ziel der Durchsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten zu verbinden. Denn im Gegensatz zu der Forderung der deutschen Schutznormtheorie, dass die Schutznorm gerade dem Kläger eine einklagbare Rechtsposition einräumen will, ist laut EU-Recht in den Schutzbereich einer
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
Norm ein Rechtssubjekt schon dann einbezogen, wenn es selbst in dem von der Norm geschützten Interesse tatsächlich betroffen ist. Es genügt somit die Geltendmachung des Klägers von tatsächlichen Nachteilen in geschützten Individualinteressen durch die jeweils beanstandete unionale Rechtsnorm oder Maßnahme. Das unionale Rechtsschutzsystem wird grundsätzlich von Art. 47 GRCh und Art. 19 Abs. 1 EUV gewährleistet. Zentraler Ausdruck dieses Systems ist die europäische Nichtigkeitsklage, die in Art. 263 AEUV bestimmt wird. Das EURechtsschutzsystem neigt eher zu einem Interessentenklagesystem. Die Art des Rechtsschutzsystems, dem eine Rechtsordnung folgt, ist von besonderer Bedeutung. Denn sie spielt unvermeidlich eine ausschlaggebende Rolle für die Ausgestaltung der Struktur, des Inhalts, der Funktion sowie der Reichweite des überindividuellen Rechtsschutzes im kritischen Bereich des Umweltrechts. Die in dieser Arbeit durchgeführte Analyse der Thematik bestätigt diesen Befund.
II. Zum überindividuellen Umweltrechtsschutz im deutschen Recht (1. Teil) 1. Zum Individualrechtsschutzsystem im deutschen Recht und zu seinen umweltrechtsschützenden Schwachstellen Was die von der Schutznormtheorie geprägte deutsche Rechtsordnung anbelangt, ist eine deutliche Auftrennung in Rechtsschutz individueller Rechte bzw. Interessen und in Rechtsschutz überindividueller Rechte bzw. Interessen festzustellen. Diese Unterscheidung manifestiert sich besonders im Bereich des Umweltrechts, da Rechte, die aus Vorschriften des natürlichen Umweltschutzes abgeleitet werden, grundsätzlich dem Allgemeininteresse zuzuordnen sind. Das deutsche Rechtsschutzkonzept des Individualrechtsschutzes führt dazu, dass insbesondere der Rechtsschutz überindividueller Rechte und Interessen häufig legitimerweise vernachlässigt werden kann. Denn überindividuelle umweltbezogene Rechte und Interessen können i. d. R. nur dann von Einzelnen angefochten werden, soweit klagefähige subjektive öffentliche Rechte auch überindividuelle Rechte einschließen. Es wurde schon früh von der Theorie kritisiert, dass gerade dieses Rechtsschutzmodell insbesondere im Bereich des Umweltschutzes nicht nur zur Einschränkung der Rechtsschutzgarantie und der gerichtlichen Kontrolle des Staates führt, sondern dass es auch ein prozessuales Ungleichgewicht zwischen dem Umweltschutz und der Umweltnutzung herbeiführt (1. Teil, 1. Kap., B. ff.). Aus Art. 19 Abs. 4 GG i.V. m. § 42 Abs. 2 VwGO, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und § 47 VwGO ergibt sich bereits, dass nicht schon der Verstoß gegen objektives Recht, sondern erst die dadurch begründete Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts zum Klageerfolg führen kann. Objektive Rechtswidrigkeit
A. Rückblick
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oder bloß faktische Betroffenheit rechtlich nicht geschützter Interessen eines Rechtssubjekts begründen von vornherein keine Rechtsverletzung. Allerdings ermächtigt der Vorbehalt in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO („soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt wird“) den deutschen Gesetzgeber, von der Prozessvoraussetzung der Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte abzusehen. Im Rahmen dieses Gesetzesvorbehalts kann der deutsche Gesetzgeber i. S. d. Modells der Interessentenklage von einer subjektiven Rechtsverletzung absehen und den Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit von einer Betroffenheit in Interessen des Klägers abhängig machen. Diese Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber bisher nur sehr zurückhaltend ausgenutzt (1. Teil, 1. Kap., C. ff.). Im Anschluss daran enthält das deutsche Grundgesetz kein Grundrecht auf Umweltschutz, sondern nur eine Staatszielbestimmung bezüglich des Umweltschutzes (Art. 20a GG). Aus Grundrechten (wie Art. 2 Abs. 1 und 2 S. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG) kann nur eingeschränkt ein Abwehranspruch von Rechtssubjekten zugunsten der Umwelt abgeleitet werden. Erforderliche Voraussetzung dafür ist, dass eine Umweltbelastung die individuelle Sphäre des Rechtssubjekts betrifft. Dies bedeutet aber, dass überindividuelle umweltbezogene Rechte etwa im Außenbereich i. d. R. keinen Rechtsschutz auch im Rahmen des Grundgesetzes genießen können, es sei denn, dass die Verletzung von überindividuellen umweltbezogenen Rechten gleichzeitig ein subjektives öffentliches Recht des Rechtssubjekts beeinträchtigt. Dies geschieht aber selten, denn solche Rechte dienen i. d. R. der Allgemeinheit (1. Teil, 1. Kap., D. ff.). Im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems sind grundsätzlich auch umweltschutzbezogene Vorsorgevorschriften nicht einklagbar. Denn sie sind nicht auf die Berücksichtigung der Belange individualisierbarer Dritter ausgerichtet. Dieser Tatbestand wird insbesondere von der sog. Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin bestimmt, die zu einer strengen Unterscheidung von einklagbaren Normen, die der Gefahrabwehr dienen, und nicht einklagbaren Normen, die der Vorsorge dienen, führt (1. Teil, 1. Kap., E. ff.). Die Problematik der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie in Verbindung mit der restriktiven Klagebefugnis des deutschen Individualrechtsschutzsystems hat zur Folge, dass in erster Linie nur eine geringe Zahl umweltrechtlicher Normen drittschützende Wirkung aufweist. Zentralen Normen des materiellen Umweltrechts (etwa § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) wird durchaus nur eine geringe drittschützende Funktion zuerkannt, da sie vor allem das Gemeinwohl und keine individuellen Rechtspositionen schützen sollen. Es bestehen aber Bedenken bezüglich der Rechtskonformität dieser Doktrin mit Anforderungen des EU-Rechts und vor allem mit dem Effektivitätsgebot. Außerdem entspricht eine solche restriktive Einklagbarkeit von Vorsorgenormen nicht der modernen, rasanten Entwicklung der Technologie und der Naturwissenschaften. Denn angesichts der aktuellen Unerforschtheit und Ungewissheit vieler Risikoursachen und Schadensmöglichkeiten
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
neuer Produktionsverfahren und Schadstoffe wird bei der Beurteilung von Anlagen- und Stoffrisiken oft nur eine unsichere, nicht auf Erfahrung beruhende Prognose möglich sein (1. Teil, 1. Kap., E., II:, 2.). In diesem Zusammenhang scheint es sachgerecht, die Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin dahingehend zu modifizieren, dass auf der Grundlage des Vorbehalts in § 42 Abs. 2 HS 1 VwGO zumindest die Verletzung aller in Rechts- und Verwaltungsvorschriften niedergelegten Grenzwerte in Bezug auf Immissionen oder Emissionen als für die drittbetroffenen Nachbarn rügefähig angesehen wird. Daneben wäre es empfehlenswert, den Begriff des Gefahrenverdachts auf eine Gefahr anzuwenden, sofern er auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruht und nicht nur auf reinen Spekulationen, bzw. wenn er hypothetische umwelt- und gesundheitsschädliche Möglichkeiten beinhaltet (1. Teil, 1. Kap., E., II., 3.). Es ist allerdings anzumerken, dass anders als im Immissionsschutzrecht und aufgrund des besonderen Risikopotentials im Rechtsgebiet des Atomrechts die atomrechtlichen Vorschriften, die der Gesundheitsvorsorge dienen (etwa die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 AtG), weitgehend drittschützenden Charakter besitzen. Unabhängig davon ist durchaus festzustellen, dass umweltbezogene Rechtsgebiete in der deutschen Rechtsordnung, wie das Klimaschutzrecht, das Gentechnikrecht, das Wasserrecht, dass Abfallrecht, das Bergrecht, das Bodenschutzrecht, das Natur- und Landschaftsschutzrecht, nur in wenigen Ausnahmefällen drittschützende Vorschriften enthalten, die von drittbetroffenen Personen einklagbar sind (1. Teil, 1. Kap., E., III. ff.). Es sieht außerdem so aus, dass das aktuelle deutsche Rechtsschutzsystem nicht selten zur Vergesellschaftung der Zurechnung von umweltschädlichen Technikfolgen führt. Dies gilt vor allem, weil die Klagebefugnis des Klägers i. d. R. dann zu verneinen ist, wenn eine subjektivrechtlich relevante Umweltbelastung nicht einer bestimmten Störungsquelle eindeutig zugerechnet werden kann. Gleiches geschieht auch, wenn Rechte des Drittklägers von raum-zeitlich nicht mehr zurechenbaren Umweltbelastungen verletzt oder bedroht werden. Infolgedessen bleiben häufig die Umweltschäden unzugerechnet und die betroffenen öffentlichen Umweltinteressen weitgehend gerichtlich ungeschützt. Der Versuch des deutschen Gesetzgebers, die UH-RL vor allem durch die Einführung des USchadG umzusetzen, hat nur geringfügig zur Beseitigung dieses Rechtsschutzdefizites beigetragen. Dadurch wird Betroffenen und anerkannten Umweltvereinigungen eine Antragsbefugnis auf Aufforderung der Behörden zum Tätigwerden (§ 10 USchadG) sowie eine Klagebefugnis gegen eine Entscheidung oder das Unterlassen einer Entscheidung der zuständigen Behörde im Rahmen des USchadG (§ 11 USchadG) eingeräumt. Der deutsche Gesetzgeber schafft in der Praxis damit nur ein eigenes Rechtsgebiet mit geringem Anwendungsbereich, so dass dieser Problematik nicht hinreichend entgegengewirkt werden kann (1. Teil, 1. Kap., E., XI. ff.).
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Ein weiterer Faktor, der das Rechtsschutzpotenzial von überindividuellen umweltbezogenen Rechten und Interessen einschränkt, ist die restriktive Klagebefugnis von Gemeinden. Grund dafür ist vor allem, dass eine Gemeinde im deutschen Recht nur insoweit klagebefugt ist, als sie geltend macht, dass sie durch die jeweils umstrittene Maßnahme in eigenen Selbstverwaltungsrechten (gem. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) verletzt ist oder die Möglichkeit besteht, dadurch verletzt zu sein. Daraus ergibt sich in der Praxis, dass umweltbezogene Belange der Allgemeinheit bzw. der Gemeindebürger, die nicht dem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind, nicht von Gemeinden mit Erfolg eingeklagt werden können (1. Teil, 1. Kap., E., XII.). Umweltrechtsschutzdefizite werden aber auch im Bereich des umweltrelevanten Verwaltungsverfahrensrechts aufgespürt. Denn im Rahmen des deutschen Individualrechtsschutzsystems wurde die sog. Kausalitätsrechtsprechung entwickelt, die für die Begründetheit einer Klage einen Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Sachentscheidung fordert. Gem. § 46 VwVfG ist somit ein Verfahrensfehler unbeachtlich, wenn er auf die Sachentscheidung offensichtlich keinen Einfluss hat. Diese Konzeption führt somit nicht selten dazu, dass die Nichteinhaltung von Verfahrensbestimmungen für sich genommen nicht zur Aufhebung selbst einer offensichtlich fehlerhaften Verwaltungsentscheidung führt. Hinzu kommt, dass Verwaltungsverfahrensrechte grundsätzlich keine subjektiven Rechte begründen. Sie sind daher i. d. R. nicht einklagbar (1. Teil, 1. Kap., F. ff.). Nur die sog. „absoluten Verfahrensrechte“ räumen ausnahmsweise den Rechtssubjekten eine selbständige Klagebefugnis unabhängig von einer Verletzung von materiellen Rechtspositionen ein. Sie gewähren somit einen Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein aufgrund des Verfahrensverstoßes. Es handelt sich um Verfahrensnormen, die das Verfahren auf dem Weg zur anschließenden Sachentscheidung „um seiner selbst willen“ schützen. Dazu gehören etwa die unterlassene Durchführung einer erforderlichen UVP oder einer erforderlichen UVP-Vorprüfung (gem. § 4 Abs. 1 UmwRG sowie Mitwirkungsrechte von Naturschutzvereinigungen gem. § 63 BNatSchG). Ein weiteres Rechtsschutzhindernis im Bereich des umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensrechts entsteht auch aus der Tatsache, dass vor allem gem. § 45 Abs. 2 VwVfG, § 114 S. 2 VwVfG sowie gem. § 17e Abs. 4 FStrG Verfahrensfehler noch während des Gerichtsprozesses oder sogar in einigen Fällen durch ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren nach Ende des Prozesses (§ 75 Abs. 1a VwVfG) geheilt werden können. Grund dafür ist, dass solche Heilungsmöglichkeiten in Verbindung mit Irrelevanzregelungen für Verfahrensfehler zu einer Herabsetzung des Verwaltungsverfahrens und des Rechtsschutzes führen können. Denn nicht selten wirken der verwaltungsprozessuale Zeitdruck und die häufig wechselnden Umstände des jeweiligen Sachverhaltes in Zusammenhang mit der Komplexität der bestehenden, kollidierenden Wirtschaftsinteressen zulas-
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ten eines vollständig offenen und ausreichend fairen Verwaltungsverfahrens (1. Teil, 1. Kap., F., II., 1. ff.). Im Anschluss daran sollte nicht außer Acht bleiben, dass sich aus dem sog. „beschleunigten“ Verwaltungsrecht noch weitere Einschränkungen des Rechtsschutzes im Bereich des Umweltverfahrensrechts ergeben. Denn mit dem Erlass der sog. „Beschleunigungsgesetze“ wurde unter anderem „weniger Staat“ durch weniger Beteiligung und eben auch weniger Drittklagerechte auch im Bereich von umweltbezogenen Verwaltungsverfahren bezweckt. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Hindernis-Kaskade des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts den effektiven Rechtsschutz bzw. die Erfolgsaussichten von umweltbezogenen Klagen weiterhin reduziert. Verwaltungsverfahrensbeschleunigende Reformmaßnahmen, die zu weiteren Rechtsschutzhindernissen führen, sind etwa die Verkürzung der Antragsfrist bei Normenkontrollverfahren gem. § 47 Abs. 2 VwGO von zuvor zwei Jahren auf nunmehr ein Jahr, die Verschärfung der Präklusionsvorschrift des § 47 Abs. 2a VwGO hinsichtlich des Antrags einer natürlichen oder juristischen Person, der einen Bebauungsplan oder eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 3 BauGB oder § 35 Abs. 6 BauGB zum Gegenstand hat, die Einführung der Regelfallzuständigkeit des Einzelrichters in verwaltungsgerichtlichen Verfahren (gem. § 6 Abs. 1 VwGO), die Verkürzung des Instanzenzuges für Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Eisenbahnbetriebsanlagen, Bundesfern- und Bundeswasserstraßen sowie für Magnetschwebebahnen. Hinzu kommt die verwaltungsrechtliche Einschränkung der Widerspruchsverfahren im Zuge der Reform der Verwaltungen der Bundesländer (etwa der Verzicht auf die Durchführung verwaltungsinterner Widerspruchsverfahren gem. Art. 15 Nr. 2 BayAGVwGO), die gesetzliche Tendenz zu engen (z. B. zweiwöchigen) Rüge- bzw. Einwendungsfristen gegen umweltbelastende Vorhaben im Verwaltungsverfahren (etwa § 73 Abs. 4 S. 2 VwVfG, § 10 Abs. 3 S. 2 und S. 3 BImSchG) und die relativ eingeschränkte aufschiebende Wirkung von Klagen gegen umweltbelastende Vorhaben (etwa gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO) [1. Teil, 1. Kap., F., III., 7.]. Vor dem Hintergrund der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes wurde insbesondere von der deutschen Rechtsprechung teilweise versucht, den Umfang der Klagebefugnis von Drittklägern zu erweitern, etwa durch Lockerung des abgegrenzten und individualisierten Personenkreises im Nachbarrecht. Angesichts aber der Tatsache, dass es der deutschen Rechtsordnung an Gesetzen fehlt, die eine großzügige Ausweitung des Umweltrechtsschutzes bestimmen, erweisen sich diese Ausweitungstendenzen in der deutschen Rechtsordnung als ineffizient für die Schaffung eines effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutzes (1. Teil, 1. Kap., G. ff.). Zur Sicherstellung unter anderem eines weiten und effektiven Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten und zur Bekämpfung der
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Problematik der Umweltrechtsschutzdefizite auf völkerrechtlicher und europäischer, mitgliedstaatlicher Ebene ist am 25.06.1998 das völkerrechtliche Übereinkommen von Aarhus (AK) „über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten“ unterzeichnet worden, die nicht nur von allen EU-Mitgliedstaaten sondern auch von der EU (seit 17.02.2005) ratifiziert wurde. Von Bedeutung ist, dass insbesondere im Rahmen der dritten Säule der AK hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten die AK darauf hinweist, dass die nationale Gesetzgebung immerhin mit dem Ziel in Einklang stehen muss, der „betroffenen Öffentlichkeit“ einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren (1. Teil, 1. Kap., G., III.). Die AK setzt vor allem gem. Art. 9 AK Rechtsschutzmöglichkeiten für Einzelpersonen und Umweltschutzverbände fest. Was den Umweltrechtsschutz betrifft, ist vor allem beachtenswert, dass die AK anerkannten Umweltschutzverbänden eine privilegierte Rolle für den effektiven Umweltrechtsschutz einräumt. Diese Umweltschutzverbände sind ipso jure als „betroffene Öffentlichkeit“ anzusehen. Dabei haben sie gem. Art. 9 Abs. 2 AK immer ein ausreichendes Interesse, so dass sie immer im Rahmen der AK klagebefugt sein müssen. Dies gilt sogar unabhängig von dem Rechtsschutzsystem, das jede Vertragspartei ausgewählt hat (1. Teil, 1. Kap., G., IV, 4.). Es muss aber angemerkt werden, dass die EU bisher zögert, die dritte Säule der AK auf europäischer Ebene umzusetzen. Dies wirkt jedoch zulasten der Rechtssicherheit und Rechtseinheit auch des überindividuellen Umweltrechtsschutzes sowohl auf unionaler als auch auf nationaler Ebene. Die einzige gesetzliche Maßnahme der EU, die der Umsetzung der dritten Säule der AK – allerdings nur auf der internen Ebene der europäischen Organe und Einrichtungen – dient, ist bisher die sog. Aarhus-VO Nr. 1367/2006/EG „über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft“ (1. Teil, 1. Kap., G., V.). 2. Zum Umweltrechtsschutz durch die altruistische Verbandsklage des Bundesnaturschutzgesetzes Zum Abbau der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes wurde die Einführung der sog. altruistischen VK vorgeschlagen. Darunter versteht man die Befugnis von Umweltschutzvereinigungen, ohne die Geltendmachung einer Verletzung eigener Mitwirkungsrechte oder materieller Rechtspositionen die Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu rügen, die allein öffentlichen Interessen dienen (1. Teil, 2. Kap., A. ff., 2. Kap., B. ff.). Nach heftigen, dauerhaften staatsrechtlichen Auseinandersetzungen wurde zunächst (erst ab
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1979) in einigen Bundesländern eine naturschützende altruistische VK eingeführt. Der Anwendungsbereich der landesrechtlichen naturschützenden altruistischen VKen war und ist bisher durchaus restriktiv. Er beschränkt sich fragmentarisch auf – je nach Bundesland – unterschiedliche Konstellationen des landesrechtlichen Naturschutzes und der Landschaftspflege. Die Entwicklung der landesrechtlichen altruistischen naturschützenden VKen ebnete aber stufenweise den Weg für die Einführung der altruistischen VK auf Bundesebene (gem. § 61 BNatSchG a. F.) erstmals im Jahr 2002. Mit dem am 01.03.2010 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege wurde diese Norm zu § 64 BNatSchG n. F. geringfügig geändert (1. Teil, 2. Kap., C. ff.). Die bundesweite, naturschützende, altruistische VK kann aber im Ergebnis nicht entscheidend zur effektiven Bekämpfung der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes beitragen. Hauptgrund dafür ist der enge Anwendungsbereich der bundesweiten naturschützenden altruistischen VK. Denn eine solche VK kann grundsätzlich nur gegen bestimmte Verwaltungsakte eingelegt werden. Dazu gehören z. B. VKen gegen die Erteilung bestimmter naturschutzbezogener Befreiungen von Geboten und Verboten, gegen Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich Planfeststellungsverfahren, die von Behörden des Bundes oder im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels von Behörden der Länder durchgeführt werden, sowie gegen Plangenehmigungen, die von Behörden des Bundes erlassen werden und an die Stelle einer Planfeststellung i. S. d. § 63 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG treten, soweit eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist. Eine Rolle spielen dabei auch die relativ komplizierten Zulässigkeitsvoraussetzungen dieser VK (etwa die Beteiligungsvoraussetzungen gem. § 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG und die Präklusionsregelungen gem. § 64 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG) (1. Teil, 2. Kap., D. ff.). 3. Zum Umweltrechtsschutz im Rahmen des UmwRG Angesichts der geringen Auswirkung der naturschützenden altruistischen VK auf den überindividuellen Umweltrechtsschutz und unter dem Einfluss der Anforderungen der AK auf den effektiven Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten erließ der deutsche Gesetzgeber das „Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der ÖB-RL 2003/35/EG“ vom 7. Dezember 2006 (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG). Mit diesem Gesetz wurde schließlich eine umweltschützende altruistische VK eingeführt, die grundsätzlich neben der naturschützenden altruistischen VK gültig ist. Insbesondere § 64 Abs. 1 S. 1 BNatSchG stellt explizit klar, dass die naturschutzrechtliche altruistische VK und die Rechtsbehelfe nach § 2 UmwRG nebeneinander anwendbar sind. Dadurch wurde ein überkompliziertes System von naturschützenden und umweltschützenden VKen mit teilweise überschneidenden Anwendungsbereichen ausgestaltet. Beachtenswert ist, dass das
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UmwRG vor allem unter dem Druck der europäischen Rechtsprechung im Bereich des Umweltrechtsschutzes bislang vielmals geändert wurde. Die bislang letzten ausschlaggebenden Änderungen des UmwRG erfolgten durch Art. 1 des „Gesetzes zur Änderung des UmwRG und anderer umweltrechtlicher Vorschriften“ vom 21.01.2013 (1. Teil, 3. Kap., A. ff.), durch Art. 1 des „Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12“ vom 20.11.2015 (1. Teil, 3. Kap., E., V. ff., G, II ff.), sowie durch Art. 1 des „Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben“ vom 29.05.2017 (1. Teil, 3. Kap., H.). Obwohl das UmwRG den überindividuellen Umweltrechtsschutz über die restriktive Grenze des Natur- und Landschaftsschutzes hinaus erweitert, trägt es auch nur begrenzt zur Verbesserung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes im deutschen Recht bei. Indizierend dafür ist, dass sich der Anwendungsbereich der naturschützenden altruistischen VK hauptsächlich auf Entscheidungen in Zulassungsverfahren für UVP-pflichtige Vorhaben bzw. Anlagen im Rahmen der IE-RL (RL 2010/75/EU) erstreckt, während die große Menge des nicht UVP-bezogenen Umweltrechts, soweit keine subjektive öffentliche Rechte betroffen sind, einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich ist. Daher erweist sich der Anwendungsbereich des UmwRG im Vergleich zu dem umfangreichen Beeinträchtigungspotential öffentlicher Umweltgüter als eng (1. Teil, 3. Kap., B., H., II.). Begrüßenswert ist allerdings, dass gem. § 1 UmwRG vom 29.05.2017 anerkannte Umweltschutzvereinigungen (gem. § 3 UmwRG) auch störfallrechtlich relevante Entscheidungen (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a, 2b UmwRG), bestimmte strategische umweltprüfungspflichtige Pläne und Programme (SUP), wie etwa Luftreinhaltepläne der Kommunen, Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die nicht-UVP-pflichtige Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften zugelassen werden und Verwaltungsakte über Überwachungsund Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den § 1 Abs. 1 S. 1, Nr. 1 bis 5 UmwRG hinsichtlich der Einhaltung umweltbezogener Vorschriften, gerichtlich überprüfen lassen können. Rechtsproblematisch bleibt aber, dass andere umweltrelevante Pläne aus dem Katalog ausgenommen werden. Solche sind etwa die Bundesfachplanung nach § 15 Abs. 3 S. 2 NABEG, der Bundesfachplan Offshore oder die Verkehrswegeplanung auf Bundesebene (1. Teil, 3. Kap., H., II.). Zwar fordert das EU-Recht nicht zwangsweise einen zu erweiternden Anwendungsbereich des UmwRG. Es wäre vor allem aus rechtspolitischen Gründen, die prinzipiell mit der möglicherweise ungewissen Umweltbeeinträchtigung durch die rasche, aktuelle technologische Entwicklung zu tun haben, allerdings sinnvoll, den Anwendungsbereich des UmwRG auch auf Verwaltungsentscheidungen von nicht UVP-pflichtigen Vorhaben zu erweitern (1. Teil, 3. Kap., B., H.).
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Von Bedeutung ist jedenfalls, dass gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG auch objektive umweltbezogene Rechtsvorschriften im Rahmen des UmwRG, die keine Rechte Einzelner begründen müssen, von anerkannten Umweltschutzvereinigungen eingeklagt werden können. Daraus folgt, dass auch Vorsorgenormen von Umweltschutzvereinigungen des UmwRG anfechtbar sind, soweit diese Normen unter den Anwendungsbereich des UmwRG fallen. Dies führt unvermeidlich zu einem begrüßenswerten Nachgeben der Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin im speziellen Bereich der umweltschützenden altruistischen VK. Diese Entwicklung ist ein Indiz dafür, dass die einschränkenden Auswirkungen der Schutznormtheorie im Bereich des Umweltrechtsschutzes abgebaut werden können, soweit der Gesetzgeber es wirklich will (1. Teil, 3. Kap., C., IV., 2.). Andererseits sind die Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen des UmwRG gem. § 2 restriktiv und relativ unklar normiert. Daraus entstehen offene Fragen, die den überindividuellen Umweltrechtsschutz im deutschen Recht erschweren. In diesem Zusammenhang ist auch die Rechtmäßigkeitskontrolle der jeweils umstrittenen umweltbezogenen Maßnahmen im Rahmen des UmwRG begrenzt, denn sie ist grundsätzlich auf den umweltschutzbezogenen Gehalt der jeweils umstrittenen Norm eingeschränkt. Eine solche Beschränkung (z. B. gem. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 UmwRG) verhindert aber in der Praxis eine umfangreiche Rechtskontrolle etwa eines Bebauungsplans. Es ist daher zweifelhaft, ob sie in Einklang mit den Anforderungen des Art. 11 UVP-RL n. F. sowie des Art. 25 IE-RL i.V. m. Art. 9 Abs. 2 AK stehen (1. Teil, 3. Kap., C., II. ff.; 3. Kap., C., VIII. ff., H., III.). Zweifelhaft war auch die Unionskonformität der Präklusionsnormen des UmwRG (§ 2 Abs. 3 UmwRG i.V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG vom 21.01. 2013). Insbesondere die enge Einwendungs- bzw. Auslegungsfrist sowie die nicht im deutschen Recht geregelte individualisierte Benachrichtigung der anerkannten Umweltschutzvereinigungen werden europarechtlich als problematisch angesehen. Die Tatsache, dass mit den Präklusionsvorschriften Rügen, die eine Verletzung des EU- oder des nationalen Rechts beinhalten, wohl von einer gerichtlichen Überprüfung komplett ausgeschlossen werden können, scheint vor allem gegen die Zielsetzung des Art. 9 Abs. 2 und 3 AK und den daraus hervorgegangenen Vorgaben des Art. 11 UVP-RL n. F. und Art. 25 IE-RL, die die Rechtsschutzmöglichkeiten in Umweltangelegenheiten durchaus erweitern sollen, zu verstoßen (1. Teil, 3. Kap., C., VI. ff.; 3. Kap., C., VI., 3. ff.). Dies wurde auch von der aktuellen Rechtsprechung des EuGH anlässlich eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland in der Rechtssache C-137/14 bestätigt. Aufgrund dieses Urteils müssen die Präklusionsregelungen in Umweltangelegenheiten nicht angewandt werden. Allerdings fordert dieses Urteil kein absolutes „Präklusionsverbot“. Vielmehr obliegt die Feststellung des Missbrauchs des Einwendungsrechts den Verwaltungsgerichten [1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3., d)].
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Dies könnte gegebenfalls die rechtliche Position der Umweltverbände stärken, denn sie sind häufig überfordert von dem Zeitdruck bezüglich der rechtzeitigen und gründlichen, detaillierten sowie präzisen Äußerung ihrer Einwendungen innerhalb des Verwaltungsverfahrens. Zugleich darf aber nicht ignoriert werden, dass der Wegfall der Präklusionsvorschriften im deutschen Umweltrecht einen deutlichen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand für die Behörden und die Vorhabenträger herbeiführen kann. Es sieht so aus, dass sie zukünftig noch vorsichtiger bei der Erarbeitung und Prüfung der Zulassungsanforderungen der jeweiligen Bauprojekte sein werden müssen, um eine spätere Klage zu vermeiden. Dies könnte allerdings zugunsten einer noch sorgfältigeren und nachhaltigeren Kontrolle dieser Projekte im Verwaltungsverfahren führen, was letztlich auch den Umweltschutz begünstigen könnte [1. Teil, 3. Kap., C., VI., 3. d)]. Zur Beseitigung dieser Problematik könnte der deutsche Gesetzgeber entweder die Präklusionsvorschriften abschaffen oder die Präklusionsvorschriften auflockern. Dies könnte z. B. durch die Vereinfachung des Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu Informationen hinsichtlich der jeweils zu beanstandenden Verfahren und Unterlagen, durch die Einführung einer individualisierten Benachrichtigung der anerkannten Umweltschutzvereinigungen über das jeweilige Gestattungsverfahren, durch die Verlängerung je nach Komplexität des jeweils umstrittenen Vorhabens der bisher geltenden Auslegungs- und Einwendungsfristen, aber auch durch die Einführung von geringeren Anforderungen an die Substantiierung der Einwendungen sowie von erweiterten Möglichkeiten zur Nachbesserung des Klagevorbringens im Gerichtsverfahren geschehen. Jedenfalls wäre es sachgerecht, die erstmalige Geltendmachung von Einwendungen vor einem Gericht durch geeignete Vorschriften auszuschließen, soweit erkennbar ist, dass sie ausschließlich der Verzögerung des Vorhabens dienen (1. Teil, 3. Kap., C., VI., 4.). Von Bedeutung ist, dass die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017, aufgrund des EuGH-Urteils (C-137/14), § 2 Abs. 3 UmwRG a. F. aufhebt. Der durch den EuGH für unionswidrig erklärte § 73 Abs. 4 VwVfG wurde allerdings durch diese Novelle nicht vollständig aufgehoben. Vielmehr wird eine formelle und materielle Präklusion für Vorhaben i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3–6 UmwRG aufrechterhalten, was unions- und völkerrechtswidrig zu sein scheint. Es wäre daher empfehlenswert, die zu Art. 9 Abs. 2 AK ergangene Rechtsprechung zur Unvereinbarkeit mit den Präklusionsvorschriften auf Art. 9 Abs. 3 AK zu übertragen und die Anwendung von Präklusionsvorschriften für sämtliche Entscheidungen i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG aufzuheben, um weitere unions- und völkerrechtlichen Verstöße zu vermeiden (1. Teil, 3. Kap., H., IV.). Dabei enthält § 5 UmwRG vom 29.05.2017 eine Ausnahme, die auch der EuGH zuließ. Danach verliert ein Rechtsbehelfsführer seine Einwendungsbefugnis im gerichtlichen Verfahren, wenn er sich vorprozessual missbräuchlich oder unredlich verhalten hat. Was genau „missbräuchliches“ oder „unredliches“ vorprozessuales Verhalten ist, hat die Rechtsprechung zu klären (1. Teil, 3. Kap., H., VII.).
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In Bezug auf die Anerkennungsvoraussetzungen der inländischen und ausländischen Umweltschutzvereinigungen gem. § 3 UmwRG ist andererseits anzumerken, dass sie einigermaßen unnötig kompliziert zu sein scheinen. Es sieht aber dennoch so aus, dass sie europarechtskonform sind (1. Teil, 3. Kap., C., II. ff.; 3. Kap., C., III.). Schon längst waren rechtliche Bedenken hinsichtlich der Unionsrechtskonformität insbesondere des § 4 Abs. 1 UmwRG vom 21.01.2013 entstanden, der die Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern im Rahmen des UmwRG durch eine abschließende Auflistung von absoluten Verfahrensfehlern bestimmte. Eine solche Einschränkung der umweltbezogenen Klagemöglichkeiten schien vor allem nicht vereinbar mit den einschlägigen völkerrechtlichen und unionalen Anforderungen einer weiten und effektiven gerichtlichen Prüfung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von umweltbezogenen Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen zu sein (1. Teil, 3. Kap., E., I. ff.). Denn eine abschließende Einschränkung der Verbandsklagemöglichkeiten auf bestimmte Verfahrensfehlertypen ist in den relevanten Vorgaben des Art. 11 UVP-RL n. F. sowie des Art. 25 IE-RL nicht vorgesehen. Im Gegensatz zur deutschen Kausalitätsrechtsprechung ist aus Sicht des EU-Rechts der Ausgang des Entscheidungsverfahrens bei der Anwendung der UVP-RL nicht der grundlegende Aspekt für die Aufhebung eines umstrittenen Verwaltungsaktes, der an Verfahrensfehlern leidet. Vielmehr können laut EU-Recht als wesentliche Verfahrensfehler vor allem solche angesehen werden, die grundsätzlich den Inhalt des jeweils beanstandeten Rechtsaktes beeinflussen. Das EU-Recht fordert somit eine effektive Durchsetzung des EU Umweltrechts auch im Rahmen der UVP-Verfahren unabhängig davon, ob es sich um Verfahrens- oder materielles Recht handelt. Es sollte daher keine Nachrangigkeit des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht bestehen (1. Teil, 3. Kap., E., II., 1.). Der EuGH hat allerdings keine ausreichend klare Antwort zu dieser Problematik gegeben. Zwar hat der EuGH im sog. Altrip-Urteil die Rechtmäßigkeit der deutschen Kausalitätsrechtsprechung gebilligt. Gleichzeitig hat er aber unterstrichen, dass der nationale Gesetzgeber keinen Rechtsbehelf einführen darf, der die Gründe, die zur Stützung eines Rechtsbehelfes in Bezug auf die Anfechtung von Verfahrensfehlern vorgebracht werden können, so einschränkt, dass der unionsrechtlich vorgegebene weite Zugang zu Gerichten übermäßig erschwert wird. Ferner ist der EuGH der Ansicht, dass für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine verfahrensfehlerhafte Entscheidung unter anderem auch der Schweregrad des jeweils in Frage gestellten Verfahrensfehlers berücksichtigt werden muss. Dies kann aber nicht durch den abschließenden und engen Verfahrensfehlerkatalog des § 4 UmwRG ausreichend gewährleistet werden. Von besonderer Bedeutung ist vor allem, dass der EuGH – in Kontrast zu der bislang herrschenden Gesetzeslage im deutschen Recht gem. § 46 VwVfG – eine
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Umkehr der Beweislast zugunsten des Rechtsbehelfsführers gefordert hat. Er hat nämlich festgestellt, dass die Beweislast dafür, dass die jeweils angegriffene Entscheidung ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler anders bzw. nicht anders ausgefallen wäre, nicht dem Rechtsbehelfsführer, sondern dem Beklagten bzw. den jeweils zuständigen Behörden aufgebürdet werden darf. Daher müsse die relevante deutsche Rechtsprechung und Gesetzgebung (insb. § 46 VwVfG) dahingehend geändert werden (1. Teil, 3. Kap., E., III., 1. ff.). Der Ansicht des AltripUrteils des EuGH hat sich auch das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 vom 15.10.2015 grundsätzlich angeschlossen (1. Teil, 3. Kap., E., IV., 1. ff.). Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Gesetzgeber die Fassung des § 4 UmwRG vom 21.01.2013 durch das „Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12“ vom 20.11.2015 entsprechend modifiziert. Durch diese begrüßenswerte Fassung des § 4 Abs. 1 bis 1a UmwRG vom 20.11.2015 hat der deutsche Gesetzgeber einen relativ offenen und flexiblen Wortlaut ausgewählt, der die Gefahr der Unzulänglichkeit der gerichtlichen Anfechtung von Verfahrensfehlern effektiv vermeiden könnte (1. Teil, 3. Kap., E., V. ff.). Danach sind nicht nur die unterbliebene erforderliche UVP und UV-Vorprüfung sowie die fehlerhaft durchgeführte UV-Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit, die nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 UVPG des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genügt, als absolute Verfahrensfehler bestimmt. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber zusätzlich dazu auch weitere Fälle als absolute Verfahrensfehler (d.h. eine i. S. v. § 9 UVPG oder i. S. v. § 10 BImSchG erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung, soweit sie weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist) explizit normiert (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG n. F.). Darüber hinaus sind gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG n. F. weitere Klagemöglichkeiten gegen unbenannte Fälle von Verfahrensfehlern vorgesehen, die unter anderem qualitativ mit denen aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG vergleichbar sein müssen (1. Teil, 3. Kap., E., V., 1.; E., V., 2.). Beachtenswert ist, dass der Umgang mit Verfahrensfehlern im Rahmen der UVP durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 gem. § 4 Abs. 1 und Abs. 1a UmwRG vom 29.05.2017 auf die SUP für Pläne und Programme übertragen wurde. Allerdings können diese Verfahrensfehler bei der SUP nur Umweltvereinigungen rügen, aber immer noch nicht Individualkläger. Dies erschwert in der Praxis die Kohärenz des Umweltrechtsschutzes. Aufgrund der Schlechterstellung des Individualklägers gegenüber dem Verbandskläger scheint es zweifelhaft, ob eine dem Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz entsprechende ausreichende Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK vorliegt (1. Teil, 3. Kap., H., VI.). Von Bedeutung ist, dass § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG vorschreibt, dass für Verfahrensfehler, die nicht unter § 4 Abs. 1 UmwRG fallen – es handelt sich nämlich um relevante Verfahrensfehler –, § 46 VwVfG anwendbar ist. Im Anschluss
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
daran führt § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG die durch den EuGH verlangte Umkehr der Beweislast zugunsten des Rechtsbehelfsführers bei Verfahrenfehlerfällen gem. § 46 VwVfG ein. Diese Entwicklung führt jedoch nicht zu einem Abschied von der deutschen Kausalitätsrechtsprechung, es geht vielmehr um eine rechtmäßige Anpassung des deutschen Verfahrensrechts an das unionale Äquivalenz- und Effektivitätsgebot. Zu beachten ist, dass gemäß § 4 UmwRG auch Privatkläger i. S. d. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO gegen Verfahrensfehler klagen können, soweit durch die Verfahrensfehler ihnen zustehende subjektive bzw. materielle Rechtspositionen und nicht nur rein verfahrensrechtliche Rechtspositionen verletzt sind. Diese Gesetzeslage ist unionsrechtskonform. Denn Art. 11 UVP-RL sowie Art. 25 IE-RL erlauben es schließlich den Mitgliedstaaten, den Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht davon abhängig zu machen, dass insbesondere Einzelkläger i. S. d. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen können. Das aktuelle EuGH-Urteil in der Rechtssache C-137/14 hat für diese Auffassung plädiert. Daraus folgt, dass auch die grundlegende verwaltungsrechtliche Regelung des § 113 Abs. 1 VwGO unionsrechtkonform ist. Was die Klagebefugnis der Individualkläger i. S. d. § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO gegen umweltbezogene Verfahrensfehler angeht, dürfe allerdings der Effektivitätgrundsatz des EU-Rechts nicht vernachlässigt werden. Im Hinblick darauf sollten die individuellen Klagemöglichkeiten auch in Bezug auf Verfahrensfehler im Rahmen des UmwRG auf der Basis subjektiv-öffentlicher Rechte möglichst erweiternd ausgelegt werden. Für die Zulässigkeit der Klagebefugnis eines Privatklägers im Fall eines umstrittenen relativen Verfahrensfehlers müsse es daher ausreichen, dass sich durch die jeweils umstrittene verfahrensrechtliche Handlung oder Unterlassung nachweisbare Auswirkungen auf personale Rechtsgüter des Klägers im weiteren Sinne ergeben (1. Teil, 3. Kap., E., V., 5.). Andererseits verursachte die Regelung des § 4a UmwRG a. F., die restriktive Maßgaben zur Anwendung der VwGO im Rahmen des UmwRG bestimmte, eher mehr Probleme, als sie löste. Denn sie stellte grundsätzlich strenge Bedingungen bezüglich der Erhebung einer umweltschützenden Klage im Rahmen des UmwRG auf [wie die Einführung einer zwingenden sechswöchigen Begründungsfrist für Klagen (gem. § 4a Abs. 1 UmwRG), die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle bei Beurteilungsermächtigungen auf eine Art Plausibilitätsprüfung (gem. § 4a Abs. 2 UmwRG), die Einschränkung des gerichtlichen Entscheidungsspielraums hinsichtlich der Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes (gem. § 4a Abs. 3 UmwRG)] (1. Teil, 3. Kap., F. ff.). Vor diesem Hintergrund wurde diese Norm zu Recht durch die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 aufgehoben (1. Teil, 3. Kap., H., VIII.). Begrüßenswert ist auch, dass gem. die § 6 S. 1 UmwRG vom 29.05.2017 die Klagebegründungsfrist im Rahmen des UmwRG von sechs auf zehn Wochen er-
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weitert wurde. Dies ist positiv zu bewerten, denn die sechswöchige Klagebegründungsfrist des § 4a Abs. 1 UmwRG a. F. erwies sich in der Praxis, insbesondere, wenn die Zulassung größerer Infrastrukturprojekte angefochten wurde, als zu eng für die Kläger des UmwRG (1. Teil, 3. Kap., H., IX.). Zu beachten ist, dass der neue § 7 Abs. 5 UmwRG vom 29.05.2017 eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 führen lassen soll, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Die Fehlerheilung wird damit für gebundene Entscheidungen nicht nur durch den Vorhabenträger oder die Genehmigungsbehörde, sondern durch das Gericht erfolgen. Nunmehr werden somit auch immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren, an deren Ende eine gebundene Entscheidung steht, etwa eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, erfasst. Daraus folgt allerdings nicht nur, dass Vorhabenplanungen und Verwaltungsentscheidungen mit weniger Sorgfalt erfolgen können, da praktisch eine unbegrenzte Heilung im Gerichtsverfahren erfolgen kann. Es bedeutet auch, dass Umweltvereinigungen grundsätzlich bei höchst defizitären Verwaltungsakten nicht mehr erfolgreich klagen können, da alle Fehler im Gerichtsverfahren geheilt werden können. In diesem Rahmen könnte diese Bestimmung gegen das unionsrechtliche Effektivitätsgebot sowie gegen die Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verstoßen (1. Teil, 3. Kap., H., X.). Auch die Übergangs- und Überleitungsvorschriften des § 5 UmwRG vom 21.01. 2013 waren rechtlich problematisch. Vor allem § 5 Abs. 1 UmwRG vom 21.01. 2013 erwies sich aufgrund des sog. Altrip-Urteils des EuGH als nicht unionsrechtskonform. Im Gegensatz zu dieser Vorschrift hat der EuGH in diesem Fall festgestellt, dass der Zugang zu Gerichten nach dem Unionsrecht auch für solche Zulassungsverfahren im Anwendungsbereich des UmwRG eröffnet sein muss, die vor dem 25.06.2005, also dem Stichtag für die Umsetzung der ÖB-RL eingeleitet worden sind und zu diesem Stichtag noch anhängig waren (1. Teil, 3. Kap., G., I., 2.). Dieser Ansicht war der EuGH auch in seinem Urteil vom 15.10.2015 in der Rechtssache 137/14. Darüber hinaus hat dieses Urteil festgestellt, dass § 5 Abs. 4 UmwRG a. F., der bestimmte, dass für Verwaltungsverfahren, die am 25.06. 2005 bereits liefen und vor dem 12.05.2011 abgeschlossen wurden, die ursprüngliche Fassung des § 2 Abs. 1 und 4 UmwRG galt, die die Rüge- und Kontrollbefugnis der Umweltschutzvereinigungen nur auf subjektive öffentlich-rechtliche Normen begrenzte, nicht im Einklang mit dem Grundsatz des weiten Zugangs zu Gerichten gem. Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL steht (1. Teil, 3. Kap., G., I., 3.). Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Gesetzgeber die alte Fassung des § 5 UmwRG durch das „Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12“ vom 20.11.2015 entsprechend geändert, so dass diese
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
Norm als unionsrechtkonform angesehen werden kann. Der deutsche Gesetzgeber müsste allerdings eine spezielle Regelung einführen, um die jetzige unklare Rechtslage der Kontrollmöglichkeit der oben genannten Verwaltungsverfahren, die am 25.06.2005 bereits liefen und vor dem 12.05.2011 abgeschlossen wurden, zu verdeutlichen, und rechtliche und wirtschaftliche Komplikationen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang gelten aufgrund der neuen Überleitungsvorschrift des § 8 Abs. 2 der Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 die Klagerechte der Neufassung des UmwRG auch für alle Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4–6 UmwRG, die am 02.06.2017 noch keine Bestandskraft erlangt haben, oder die nach diesem Zeitpunkt ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Insofern ist die Zulässigkeit der geführten Rechtsmittel hinsichtlich der neuen Verbandsklagerechte mit Rückwirkung geregelt worden (1. Teil, 3. Kap., H., XI.). Obwohl die Novelle des UmwRG vom 29.05.2017 den Umfang sonderverfahrens- und -prozessrechtlicher Vorschriften erheblich erweitert hat, bleiben allerdings immer noch rechtliche Lücken und Fragen hinsichtlich der unions- und völkerrechtlichen Konformität verschiedener Bestimmungen des UmwRG, die dazu führen, dass der Umweltrechtsschutz auch nach Verabschiedung dieser Novelle nicht zur Ruhe kommen wird, und keine Rechtssicherheit einkehrt. Dies betrifft vor allem die weiterhin unzureichende Umsetzung der Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 9 Abs. 3 AK. Es sieht so aus, dass das UmwRG durch seine aufeinanderfolgenden Novellierungen den ihm zugewiesenen sektoralen Rechtsbereich quasi verlässt und sich mehr und mehr zu einem Gesetz wandelt, das parallel zum VwVfG und der VwGO angewandt wird. Gleichzeitig führt die Auslagerung zentraler, abweichender verwaltungsverfahrens- und prozessrechtlicher Vorschriften in ein umweltbezogenes Sondergesetz zu rechtssystematischen Friktionen (1. Teil, 3. Kap., H., XII.). Durch diese Befunde wird eindeutig, dass sich die deutsche Rechtsordnung trotz der Einführung der altruistischen umweltschützenden VK bezüglich des überindividuellen Rechtsschutzes im Umweltrecht überwiegend zurückhaltend verhält, so dass die Vereinbarkeit relevanten und in dieser Arbeit analysierten deutschen Normen mit den Anforderungen des EU- und Völkerrechts immer noch zweifelhaft ist. Infolgedessen ist das deutsche Rechtsschutzsystem für bestimmte Kategorien von Klagen im prekären Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes entweder nicht oder nur unter restriktiven Voraussetzungen zugänglich (1. Teil, 3. Kap., J.). Zu beachten ist auch, dass die bisherige Entwicklung der altruistischen, umweltschützenden VK auf der deutschen und europäischen Ebene nicht die Bedenken eines Teils der Literatur bestätigt hat, die darin bestehen, dass die Erweiterung der Verbandsklagemöglichkeiten im Umweltrecht zur Abschreckung der Investoren zulasten der Wirtschaft führe (1. Teil, 3. Kap., I., II.). Dabei sollte die Erweiterung der Verbandsklagemöglichkeiten keinesfalls als Anlass für eine Re-
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duzierung der Reichweite der Kontrolldichte in Umweltangelegenheiten ausgenutzt werden. Eine solche Überlegung stützt sich nicht auf die unionale Gesetzgebung und sie verletzt das Effektivitätsgebot (1. Teil, 3. Kap., I., II.). 4. Zu ausgewählten Vorlagebeschlüssen des EuGH als Vehikel für die Erweiterung des nationalen Umweltrechtsschutzes Es scheint, dass insbesondere die europäische aktuelle Vorlagerechtsprechung eine wichtige Rolle bei der Verstärkung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auch auf nationaler Ebene spielt. Denn bestimmte Vorlagebeschlüsse des EuGH wirken als positiver Katalysator für die Erweiterung des nationalen überindividuellen Umweltrechtsschutzes. Im Hinblick darauf ist in erster Linie das sog. Trianel-Urteil des EuGH beachtenswert. In diesem Fall hat der EuGH judiziert, dass in Anbetracht des Art. 10a UVP-RL a. F. jede anerkannte Umweltschutzvereinigung zur betroffenen Öffentlichkeit zählt. Solche Umweltschutzvereinigungen haben nach Art. 10a Abs. 3 S. 2 und 3 UVP-RL a. F. (entsprechend auch Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 AK) ein Recht auf Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren, um die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne der UVP-RL anzufechten. Dies gilt sogar unabhängig davon, welches Kriterium ein Mitgliedstaat für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen wählt. Daraus folgt, dass eine erweiterte Klagebefugnis für anerkannte Umweltschutzvereinigungen fingiert wird, welche wiederum nicht durch nationales Recht eingeschränkt werden kann (1. Teil, 4. Kap., A. ff.). Es wurde mit diesem Urteil schließlich klargestellt, dass nunmehr anerkannte Umweltschutzvereinigungen die Verletzung von Vorschriften im Rahmen der UVP-RL altruistisch rügen können, auch wenn diese Vorschriften nur der Allgemeinheit dienen. Darüber hinaus wurde damit die unmittelbare Wirkung von Art. 10a UVP-RL a. F. (nun Art. 11 UVP-RL n. F.) begründet. Dieses Urteil ebnete den Weg für eine umweltfreundlichere Novellierung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. Unter dem Einfluss des Trianel-Urteils des EuGH plädierte die deutsche Rechtsprechung auch für die unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 2 AK auf die staatliche Rechtsordnung (1. Teil, 4. Kap., A., II., 4. ff.). Das TrianelUrteil stellte somit einen wichtigen Eckpunkt im europaweiten Wettstreit zwischen den Systemen des subjektiven Rechtsschutzes und der objektiven Rechtskontrolle dar. Sie dient dabei der schrittweisen Annäherung beider Modelle im langen Prozess der europäischen Integration. Dieses Urteil sieht aber davon ab, eine Erstreckung sämtlicher Umweltklagen auf alle umweltschützenden Rechtsvorschriften zu fordern. Es fordert daher keine Änderung des Kerns des deutschen Individualrechtsschutzsystems (1. Teil, 4. Kap., A., IV.). Von Bedeutung sind auch die sog. Braunbären-Urteile. In dieser Rechtssache hat der EuGH eine weite Auslegungskompetenz seiner Zuständigkeit anerkannt,
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um vor allem mit dem unionsrechtlichen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz vereinbar zu sein. Obwohl der EuGH festgestellt hat, dass Art. 9 Abs. 3 AK keine unmittelbare Wirkung auf die nationale Rechtsordnung hat, hat er gleichzeitig darauf hingewiesen, dass der aus der AK abgeleitete Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten nicht durch mitgliedstaatliche Handlungen oder Unterlassungen verletzt bzw. konterkariert werden dürfe (1. Teil, 4. Kap., B. ff.). Der EuGH hat betont, dass die Anwendung des Art. 9 Abs. 3 AK einen weitgehenden Bereich des materiellen umweltschützenden EU-Rechts abdeckt, der auch den in diesem Fall relevanten Bereich des Habitatrechtsschutzes umfasst. Diese Vorschrift sollte daher von den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Eine völkerrechtliche Vorschrift wie Art. 9 Abs. 3 AK, die dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten dient, kann letztlich sowohl auf Sachverhalte, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen, als auch auf Sachverhalte, die dem Unionsrecht unterliegen, Anwendung finden. Es besteht daher ein eindeutiges Interesse daran, diese Vorschrift unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll bzw. ob sie unmittelbare oder mittelbare Wirkung hat, einheitlich auszulegen, um in Zukunft voneinander abweichende Auslegungen zu verhindern. Der EuGH sieht damit die Notwendigkeit, das unionsrechtliche Umweltrecht klagefähig zu machen. Denn er will nicht hinnehmen, dass der nationale Gesetzgeber – obwohl er durch Art. 9 Abs. 3 AK zum effektiven Umweltrechtsschutz verpflichtet ist – untätig bleibt (1. Teil, 4. Kap., B., III. ff.). Dem EuGH slowakische Braunbären-Urteil II nach müssen Umweltverbände und unmittelbar betroffene Einzelne jeden Verstoß gegen umweltschützende Vorschriften des Unionsrechts, egal ob sie dem Schutz des Menschen oder der Natur dienen, gerichtlich rügen können. Es sieht so aus, dass die Argumentation des EuGH hinsichtlich der Begründung eines Klagerechts des Einzelnen, einen Verstoß im Rahmen der FFH- oder der Vogelschutz-RL, anzufechten, basiert sich grundsätzlich auf die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und das dabei verfolgte Ziel, ein hohes Niveau des Umweltschutzes zu gewährleisten (1. Teil, 4. Kap., B., VI.). Im Ergebnis sind damit die nationalen Gerichte aufgerufen, das nationale Recht so weit wie möglich so auszulegen, dass Umweltschutzvereinigungen gegen jede Verletzung des unionalen Umweltrechts gerichtlich vorgehen können. Es sieht so aus, dass der EuGH dadurch der völkerrechtlichen dritten Säule der AK eine Gestalt verliehen hat. Vor diesem Hintergrund wäre ein Verstoß gegen die AK festzustellen, wenn der Gesetzgeber eines Mitgliedstaates hinter den vorgeschriebenen Standard des Art. 9 Abs. 3 AK zurückfiele (1. Teil, 4. Kap., B., V.). Die Braunbären-Urteile des EuGH unterstreichen vorwiegend die Verantwortung der nationalen Rechtsordnungen, insbesondere für die Einhaltung der aus
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der AK hergeleiteten völkerrechtlichen Bindungen des Art. 9 Abs. 3 AK zu sorgen, soweit es sich um einen weitgehend vom EU-Recht erfassten Bereich des Umweltrechts handelt. Diese Urteile tragen dazu bei, dass der überindividuelle Umweltrechtsschutz als eigenständiges Element des EU-Rechts – im Sinne eines von subjektiven Rechten abgelösten status procuratoris – angesehen werden kann. Es muss aber gleichwohl angemerkt werden, dass eine beliebige und vorbehaltlose Öffnung des Rechtsschutzes aus diesen Urteilen nicht abgeleitet werden kann (1. Teil, 4. Kap., B., VII. ). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung darf die in der Novelle des UmwRG vom 29.05.2016 vorgesehener, erweiterter Anwendungsbereich des UmwRG gem. § 1 umso mehr bezweifelt werden. Denn danach müssen Umweltverbände und unmittelbar betroffene Einzelne jeden Verstoß gegen umweltschützende Vorschriften des Unionsrechts, egal ob sie dem Schutz des Menschen oder der Umwelt bzw. der Natur dienen, gerichtlich rügen können (1. Teil, 4. Kap., B., VI.). 5. Zu Tendenzen der deutschen Rechtsprechung zur Erweiterung des überindividuellen Rechtsschutzes Auch unter dem Einfluss der relevanten Rechtsprechung des EuGH bemüht sich die aktuelle deutsche Rechtsprechung, dem deutschen Recht zu einer Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes zu verhelfen. Beachtenswert ist vor allem das Urteil 7 C 21.12 vom 05.09.2013 des BVerwG. Mit diesem Urteil hat das BVerwG durch eine kreative Verwertung der aktuellen umweltbezogenen Rechtsprechung des EuGH die Problematik der restriktiven Auslegungsräume der deutschen Rechtsordnung in Bezug auf die Klagebefugnis einer Umweltschutzvereinigung im speziellen Bereich des Luftreinhalterechts, das nicht unter den Anwendungsbereich des UmwRG fällt, rechtstechnisch überwunden (1. Teil, 5. Kap., B. ff.). Im Anschluss an die Feststellungen des EuGH im Fall des Braunbären-Urteils nimmt das BVerwG an, dass nach Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK jedenfalls anerkannten Umweltschutzvereinigungen Rechtsschutz gegen Handlungen zu gewähren ist, soweit sie gegen das unionale Umweltrecht verstoßen. Die Tatsache, dass das deutsche Recht keine konkrete Bestimmungen eingeführt hat, welche den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 AK regeln, könne nicht als genereller Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes auch bei Fällen, die nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG (etwa das Luftreinhalterecht bei dem hier relevanten Urteil) fallen, angesehen werden. Zwar müssen die Vertragsparteien der AK kein System der Popularklage einführen. Sie dürfen aber den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK nicht derart beschränken, dass letztlich die Mitglieder der Öffentlichkeit keine Möglichkeit haben, gegen Handlungen und Unterlassungen, die unter den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK fallen, zu klagen. Dies bedeutet, dass Deutschland als Vertragspartei der AK eine geringere Gestaltungsfreiheit des überindividuellen Umweltrechts-
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schutzes hat, als üblicherweise bislang angenommen wurde (1. Teil, 5. Kap., B., II., 4. ff.). In diesem Zusammenhang ist es somit für die deutsche Rechtsordnung erforderlich, die maßgeblichen deutschen Vorschriften entsprechend weit auszulegen, um ihr jeweiliges Rechts- und Verwaltungssystem an Art. 9 Abs. 3 AK anzupassen. Angesichts der Tatsache, dass gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, leitet das BVerwG schließlich aus § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO eine Klagebefugnis für Umweltschutzvereinigungen ab, um umweltbelastende Handlungen und Unterlassungen anzufechten, die nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG fallen. Indem das BVerwG die anerkannten Umweltschutzvereinigungen zu Teilhabern an einer allgemeinen Subjektivierung des objektiven Luftreinhalterechts macht, versucht es, die Problematik des restriktiven Rechtsschutzes und in einigen Fällen des kaum vorhandenen Rechtsschutzes von überindividuellen Umweltgütern im deutschen Verwaltungsrecht zu lösen. Auf diese Weise können sich die Klagemöglichkeiten der gem. § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen deutlich über den eingeschränkten Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen und umweltschutzrechtlichen VK des BNatSchG und des UmwRG hinaus erweitern, was die Reduzierung der Rechtsschutzdefizite im Bereich des überindividuellen Umweltrechts bewirken kann (1. Teil, 5. Kap., B., II., 2. ff.). Zugleich muss aber beachtet werden, dass eine solche durch die Rechtsprechung und eigentlich ohne spezielle gesetzliche Grundlage forcierte Umwandlung des Umweltrechtsschutzes im deutschen Recht zwar nicht über die Grenzen des § 42 Abs. 2 HS 2 VwGO hinausgeht, aber dennoch die Systematik des Individualrechtsschutzes untergräbt. Denn sie führt systematische Friktionen (etwa Wertungswidersprüche und rechtliche Inkonsistenzen bei den Verbandsrechtsbehelfen des § 2 UmwRG und § 64 BNatSchG) herbei. Vor diesem Hintergrund ist eine gesetzliche Erweiterung des Umweltrechtsschutzes empfehlenswert, dessen Anwendungsbereich sich deutlich über den Anwendungsbereich des UmwRG hinaus erstreckt. Eine solche Erweiterung sollte jedenfalls in Einklang mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK stehen (1. Teil, 5. Kap., B., III. ff.). 6. Zu Wegen zum effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutz auf nationaler Ebene Obwohl eine Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Drittklägern in Umweltangelegenheiten nicht unions- oder verfassungsrechtlich erforderlich ist, wäre es plausibel zum Zweck des effektiven Umweltrechtsschutzes, dass der nationale Gesetzgeber Initiativen in die Richtung einer weiten Klagebefugnis insbesondere von Drittklägern zum Schutz von überindividuellen Umweltgütern ergreift. Dies stünde im Einklang vor allem mit dem noch nicht umgesetzten Art. 9 Abs. 3 AK, der den weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten für sämtliche „Mitglieder der Öffentlichkeit“ gewährleistet. Gerade dieser Grundsatz
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soll als Gestaltungsauftrag verstanden werden, der auch angemessene Abwägungen der Rechtsschutzinteressen in Umweltangelegenheiten gegen gegenläufige (etwa wirtschaftsbezogene) Interessen verlangt (1. Teil, 6. Kap., A.). Um Ungereimtheiten und Inkohärenzen zu vermeiden und zur Förderung eines möglichst unionsrechtskonformen und effektiven Umweltrechtsschutzes sowie einer verstärkten Rechtssicherheit wäre es sinnvoll, ein allgemeines Verbandsklagerecht zum Schutz des gesamten Umweltrechts auf Bundesebene einzuführen. Daneben wäre es empfehlenswert, die im deutschen verwaltungsprozessualen System verankerte Verletztenklage so zu erweitern, dass der Schutz von umweltbezogenen Allgemeininteressen unter bestimmten Voraussetzungen auch als subjektives Recht Einzelner anerkannt wird. Dies sollte zu einer Entobjektivierung der Rechtskontrolle zugunsten des überindividuellen Umweltrechtsschutzes führen. Mit einer solchen weitreichenden Ausdehnung des Individualrechtsschutzsystems könnte der Gesetzgeber kritische Bereiche des bisher rein objektiven und daher nicht von Privaten einklagbaren Umweltrechts je nach seinem Willen subjektivieren, ohne den Kern des Individualrechtsschutzsystems abzubauen (1. Teil, 6. Kap., A., I.). Im Hinblick darauf wäre auch die Einführung eines umfangreichen, einheitlichen Verbandsklagerechts zum Schutz der Umwelt auf Bundesebene zu empfehlen, die allerdings nicht mit der geltenden Individualklage vermengt werden sollte. Daher wäre eine Unterscheidung dieser Umweltverbandsklage von der aktuellen Individualklage durch die Gesetzgebung wünschenswert. Dieses Klagerecht sollte weitere Rechtsbehelfe der VwGO wie die Anfechtungsklage, die Verpflichtungsklage, die allgemeine Leistungsklage sowie die Beantragung einer Normenkontrolle zum Rechtsschutz der Umwelt zulassen. Der Umfang eines solchen Klagerechts sollte den gesamten materiell- und verfahrensrechtlichen Bereich des Umweltrechts – einschließlich der umweltschützenden Vorsorgevorschriften – umfassen. Für die Zulässigkeit einer solchen Klagemöglichkeit wäre grundsätzlich die Verletzung eines „rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses“ der klagenden Umweltschutzvereinigung durch eine Handlung oder Unterlassung ausreichend. Damit könnten die bisher kurzgreifenden, sich teilweise überschneidenden und europarechtlich problematischen naturschutzrechtlichen und umweltschutzrechtlichen Verbandsklagemöglichkeiten des BNatSchG und des UmwRG zugunsten der Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes ersetzt werden (1. Teil, 6. Kap., A., II.). Neben der Erweiterung der Klagemöglichkeiten von Umweltschutzvereinigungen sollte auch die Klagebefugnis von Privaten und Gemeinden in Umweltangelegenheiten erweitert werden. Dies könnte beispielsweise durch eine expansive Definition der Schutznormen erfolgen. Dabei könnte der Gesetzgeber einzelnen Rechtsträgern subjektive Rechte auf Einhaltung bestimmter, bislang rein objektiv gewährter Umweltschutzbestimmungen ausdrücklich einräumen. Ein solches um-
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weltschützendes Klagerecht für Private würde somit der Richtung einer Interessentenklage folgen, ohne aber das geltende Verletztenklagesystem abzuschaffen. Es sollte sich im Ergebnis um die Gestaltung einer ausgedehnten, flexibleren, modernen Version eines Verletztenklagesystems handeln (1. Teil, 6. Kap., A., III., 1.). Auch die Klagebefugnis der Gemeinden in Umweltangelegenheiten sollte erweitert werden. Als demokratisch legitimierte Institutionen, die unter anderem zur Durchsetzung von lokal radizierten Allgemeininteressen ermächtigt sind und zur Wahrnehmung der Interessen der örtlichen Gemeinschaft (einschl. der Erhaltung der örtlichen Umwelt) berufen sind, sollten die Gemeinden in ihren umweltschützenden Klagemöglichkeiten nicht hinter den Umweltschutzvereinigungen zurückbleiben. Zu diesem Zweck sollte der Umfang der bislang eng verstandenen Interessenssphäre der Gemeinden weiter ausgelegt werden, so dass darin auch die Verletzung von umweltbezogenen, bisher objektiven Rechten (etwa Natur- und Artenschutzrechte im Außenbereich) erfasst werden, soweit dadurch Interessen der Gemeindebürger und daher auch der Gemeinden (als legale Schützer der regionalen Umwelt) unzumutbar beeinträchtigt werden. Eine solche Entwicklung stünde auch in Übereinstimmung mit den Anforderungen der AK, wonach auch die Gemeinden als „betroffene Öffentlichkeit“ anzusehen sind (1. Teil, 6. Kap., A., III., 2.). Zum Zweck der effektiven Ausdehnung des Umweltrechtsschutzes ist schließlich auch die Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz im deutschen Grundgesetz wünschenswert. Ein solches individuelles, soziales und politisches Grundrecht auf Schutz einer „sauberen“ und „menschenwürdigen“ Umwelt führte der Sache nach zu einer Ausdehnung des Umfangs der Klagebefugnisse Dritter in Umweltangelegenheiten. Denn daraus würden für den Einzelkläger ausgedehnte Klagemöglichkeiten zum Schutz der Umwelt hervorgehen, unabhängig davon, ob die einfache Gesetzgebung solche Klagemöglichkeiten explizit vorsieht. Als Leitbild hierfür könnte das griechische Grundrecht auf Umweltschutz dienen (1. Teil, 6. Kap., I., III., 3.).
III. Zum überindividuellen Umweltrechtsschutz im griechischen Recht (2. Teil) 1. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Rechtsschutzes und des Umweltschutzes Im Rahmen des griechischen Rechtsschutzsystems der objektiven Rechtskontrolle kennt die griechische Verfassung gem. Art. 20 Abs. 1 gr. V. ein relativ umfangreicheres Grundrecht auf Rechtsschutz als das des Art. 19 Abs. 4 GG. Art. 20 Abs. 1 gr. V. gewährt jedermann das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör. Er richtet sich grundsätzlich auf den effektiven Schutz der „Interessen“ des Einzelnen und führt eine Interessentenklage ein. Im Gegensatz zur Rechtsschutzgarantie des deutschen Grundgesetzes schneidet die Rechtsschutzgarantie des griechischen Rechts jedem Rechtssubjekt, dessen objektiv-
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rechtliche Interessen verletzt werden, den Rechtsweg nicht ab, sofern die Interessen des Klägers sich auf ein Gesetz stützen (2. Teil, 1. Kap., A.). Unter diesen Bedingungen ist der Umfang des Rechtsschutzes vor allem hinsichtlich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes deutlich umfassender als im deutschen Recht. In diesem Zusammenhang ist auch das Verständnis des Umwelt- und Umweltschutzbegriffs im griechischen Recht ausgedehnter als im deutschen Recht, denn die Umwelt wird aus griechischer Sicht einheitlich und lato sensu als natürlich und kulturell betrachtet. Die Erhaltung der umweltbezogenen Allgemeingüter wird in der griechischen Rechtsordnung als unerlässliche Voraussetzung für das gegenwärtige und künftige Bestehen einer nachhaltigen Lebensqualität der Menschen sowie für den nachhaltigen Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen angesehen. Ausdruck des klaren Willens des griechischen Verfassungsgebers, die natürliche und kulturelle Umwelt effektiv und vollständig zu schützen, ist die 1975 erfolgte Einführung des Grundrechts auf Umweltschutz in Art. 24 gr. V. (2. Teil, 1. Kap., B. ff.). Das griechische Grundrecht auf Umweltschutz stellt ein gemischtes (individuelles, soziales und politisches) Grundrecht dar, dessen einander gegenseitig ergänzende verfassungsrechtliche Facetten den klageberechtigten Rechtssubjekten ausgedehnte Klagemöglichkeiten bieten. Denn es verleiht ihnen weitgehende Ansprüche auf die erforderlichen positiven Handlungen des Staates für die nachhaltige Erhaltung und den effektiven Schutz der Umwelt sowie für die Schaffung und Erhaltung der freien Existenz der Menschen in einer gesunden ökologischen Umwelt. Parallel dazu sind auch die durch ein staatliches Unterlassen von erforderlichen umweltschützenden Maßnahmen belasteten Träger der Umweltgüter dazu berechtigt, Rechtsbehelfe dagegen einzureichen. Denn die Erhaltung der umweltbezogenen Allgemeingüter wird in der griechischen Rechtsordnung als unerlässliche Voraussetzung für das gegenwärtige und künftige Bestehen einer nachhaltigen Lebensqualität der Menschen sowie für den nachhaltigen Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen angesehen (2. Teil, 1. Kap., B., III., 3 ff.). Trotz des umfangreichen Umweltschutzes und Umweltrechtsschutzes im Rahmen der griechischen Verfassung muss allerdings betont werden, dass der griechische Gesetzgeber sowie die griechische Verwaltung unter dem Druck von wirtschaftspolitischen Interessen nicht selten das Umweltschutzrecht willkürlich umgehen (2. Teil, 1. Kap., B., V. ff.). 2. Zum überindividuellen Rechtsschutz im griechischen Verwaltungsrecht Die griechische verwaltungsprozessuale Ordnung unterscheidet zwischen materiellen Verwaltungsrechtsstreitigkeiten und Verwaltungsrechtsstreitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten. Diese Unterscheidung geschieht im Prinzip
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nicht aufgrund ihres vermeintlich unterschiedlichen Inhalts, sondern wegen der Struktur und des Umfangs des Gerichtsschutzes, der im einen oder anderen Fall gewährt wird. Sie ist somit in Wirklichkeit rein prozessrechtlicher Natur. Während sich die materiellen Verwaltungsstreitigkeiten auf subjektive Rechte des Berechtigten beziehen, erfassen die Aufhebungsklagen auch Interessen des jeweils von einer verwaltungsrechtlichen Handlung oder Unterlassung betroffenen Rechtssubjekts. Während die Gerichtsverfahren bei den materiellen Verwaltungsrechtsstreitigkeiten auf die Wiedergutmachung der Verletzung subjektiver Rechte abzielen, bezwecken die Aufhebungsklagen bei den Verwaltungsrechtsstreitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten die Befriedigung eines gesetzmäßigen Interesses des Klageberechtigten sowie die Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit. Von besonderer Bedeutung ist, dass im Fall der Verwaltungsrechtsstreitigkeiten über die Aufhebung von Rechtsakten im griechischen Recht der Drittkläger – im Kontrast zum restriktiven, deutschen Individualrechtsschutzsystem – nicht daran gehindert wird, eine Aufhebungsklage auch bei Verletzung seiner Interessen zu erheben, wenn diese Interessen auf dem Gesetz selbst beruhen. Im Gegensatz zu den relevanten Bestimmungen des deutschen UmwRG sowie des BNatSchG erstreckt sich der Anwendungsbereich der griechischen Aufhebungsklage nicht nur auf einen abschließenden Klagekatalog (2. Teil, 2. Kap., A.). Mit einer Aufhebungsklage können somit auch Verwaltungshandlungen und Unterlassungen, die kollektive Umweltgüter im Außenbereich rechtswidrig beeinträchtigen, von Drittklägern angefochten werden, soweit sie nachweisbar belegen, dass ihre Interessen dadurch verletzt wurden oder höchstwahrscheinlich verletzt werden könnten. Eine solche Verletzung könnte damit begründet werden, dass die jeweils umstrittene Verwaltungshandlung oder Unterlassung unter anderem die Lebensgrundlagen im weiten Sinne der Drittkläger willkürlich verschlechtern kann. Jede umweltbezogene Handlung oder Unterlassung der Verwaltung, die jeweils Rechte oder Interessen des Klägers belastet, kann somit durch eine Aufhebungsklage vor dem Staatsrat angefochten werden (2. Teil, 2. Kap., B.). In diesem Zusammenhang bietet das griechische Recht ebenso einen umfangreichen gerichtlichen Schutz im Fall der Verletzung von umweltbezogenen Verwaltungsverfahrensbestimmungen. Maßgeblich ist vor allem die Bedeutung der Verletzung dieser Bestimmungen für den Schutz der Rechtsposition des Klägers. In der Praxis sind somit die Verwaltungsverfahrensanforderungen meistens als „wesentlich“ anzusehen, so dass ihre Nichteinhaltung oder Unterlassung zur Aufhebung des formell rechtsfehlerhaften Aktes führt. Das griechische Verwaltungsprozessrecht unterscheidet sich somit in diesem Bereich eindeutig von der deutschen, aus der hier relevanten Kausalitätsrechtsprechung hervorgegangenen Verfahrensfehlerlehre, nach welcher Verfahrensfehler selbst trotz fehlender Heilung unbeachtlich sind, wenn offensichtlich ist, dass keine Auswirkung auf die Sachentscheidung gegeben ist [2. Teil, 2. Kap., B., IV., 2., c)].
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Die Tatsache, dass der griechische Verwaltungsrechtsschutz insbesondere durch das Rechtsmittel der Aufhebungsklage grundsätzlich auf eine objektivrechtliche Kontrolle ausgerichtet ist, steuert auch zu einer umfassenden Überprüfung der Übereinstimmung des angefochtenen Verwaltungsaktes mit dem objektiven Recht bei. Der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm bleibt damit für den Rechtsschutz irrelevant. Der Staatsrat unternimmt bei einer Aufhebungsklage eine objektive Überprüfung der Einhaltung des Rechts. Darüber hinaus ist anzumerken, dass bisher im griechischen Umweltrecht keine entsprechenden Präklusionsvorschriften wie im deutschen Recht erlassen worden sind (2. Teil, 2. Kap., B., III., 1.). Es ist von Bedeutung, dass in Kontrast zum deutschen Recht das griechische Recht bisher über keine spezielle Vorschrift verfügt, die eine umweltschützende, altruistische VK eingeführt hat. Die Klagebefugnisvoraussetzungen des Aufhebungsklägers sind in der griechischen Verwaltungsgerichtsordnung durch die allgemeinen Vorschriften der Art. 47 und 48 der PVO 18/1989 normiert. Trotzdem ist beachtenswert, dass die griechische Rechtsordnung vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie (gem. Art. 20 Abs. 1 gr. V.) in Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Umweltschutz (gem. Art. 24 Abs. 1 gr. V.) besonders weite Aufhebungsklagemöglichkeiten gegen umweltbelastende Handlungen und Unterlassungen der Verwaltung gewährleistet. In der Praxis kommt die griechische Aufhebungsklage in Umweltangelegenheiten einer Popularklage sehr nahe. Klagebefugt ist im Prinzip jeder, der ein persönliches, unmittelbares und gegenwärtiges rechtliches Interesse nachweisen kann. Dieses Interesse kann materieller oder ideeller, faktischer oder rechtlicher, individueller oder kollektiver Natur sein (2. Teil, 2. Kap., C., III. ff.). Das Tatbestandsmerkmal des rechtlichen Interesses im Rechtsgebiet des Umweltrechtsschutzes, das eine erforderliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Aufhebungsklage ist, ist weit zu verstehen. Unter diesem Begriff ist jeder Vorteil oder jede Begünstigung zu verstehen, der oder die dem Einzelnen durch Rechtsnormen verschafft wird, welche die Verwaltung zu einer Handlung oder Unterlassung verpflichten. Indizierend dazu ist, dass im Gegensatz zum deutschen Recht das griechische Recht keine entsprechende Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin kennt. Für die Begründung der Gegenwärtigkeit des rechtlichen Interesses in Umweltangelegenheiten reicht sogar der Gefahrenverdacht eines Umweltschadens aus, soweit schwerwiegende Indizien für mögliche Umweltschädigungen bestehen. Auch Vorsorgenormen können somit mit der griechischen umweltschützenden Aufhebungsklage angefochten werden, soweit der Aufhebungskläger die Verletzung seines rechtlichen Interesses begründen kann (2. Teil, 2. Kap., C., III., 3.). Vor diesem Hintergrund wirkt die griechische Rechtsprechung des Staatsrates rechtsfortbildend und erkennt i. d. R. – von einigen Begrenzungstendenzen der
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
Rechtsprechung abgesehen (2. Teil, 2. Kap., C., IV., 1.) – eine weite Klagebefugnis für die klagenden natürlichen und juristischen Personen und vor allem für die klagenden Vereinigungen in Umweltangelegenheiten an. In diesem Zusammenhang wurde auch der Rechtsbegriff des ökologischen „Nachbarn“ vom griechischen Recht ausgestaltet, um den Umfang des Nachbarbegriffs und daher auch die Klagemöglichkeiten von Drittklägern in Umweltangelegenheiten besonders zu erweitern. Ausschlaggebend für die Begründung eines rechtlichen Interesses eines Drittbetroffenen im griechischen Recht ist im Prinzip eine lato sensu rechtliche Beziehung des Aufhebungsklägers zum angegriffenen Verwaltungsakt. Eine solche rechtliche Beziehung wird im griechischen Recht als gegeben angesehen, wenn insbesondere zwischen dem Aufhebungskläger und dem entstandenen oder hochwahrscheinlich entstehenden Umweltschaden eine örtliche Verbindung vorliegt, die im weiten und flexiblen Sinne verstanden wird. Denn eine örtliche Verbindung zwischen dem Aufhebungskläger und dem bedrohten oder beeinträchtigten Umweltgut kann auch dann vorliegen, wenn der Dritte weit entfernt von der Umweltschadensquelle wohnt, soweit die jeweils umstrittene Handlung faktisch das rechtliche Interesse des Klägers verletzt [2. Teil, 2. Kap., C., III., 1.; 2. Kap., C., III., 1., a)]. In diesem Zusammenhang hält die Rechtsprechung des Staatsrates das rechtliche Interesse von natürlichen Personen für begründet, selbst wenn sie Einwohner einer Stadt sind, soweit die Umwelt dieser Stadt durch die Handlung oder Unterlassung einer Verwaltungsmaßnahme beeinträchtigt wird oder beeinträchtigt werden kann, so dass dadurch auch ihre Lebensgrundlagen negativ betroffen sind oder hochwahrscheinlich betroffen sein könnten (2. Teil, 2. Kap., C., IV.). Im Anschluss daran geht die griechische Rechtsordnung davon aus, dass Selbstverwaltungskörperschaften (etwa Gemeinden, Städte, Kommunen, Präfekturen) berechtigt sind, gegen jeden umstrittenen, umweltbelastenden Verwaltungsakt vorzugehen, der ihr Leistungsfähigkeitsgebiet betrifft. Grundlegende Voraussetzung für die Rechtfertigung des rechtlichen Interesses einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, dass der jeweils beanstandete Verwaltungsakt ihre weit verstandenen umweltbezogenen Kompetenzen betrifft. Insofern ist auch die Klagebefugnis von Selbstverwaltungskörperschaften im griechischen Umweltrecht deutlich weiter als die im deutschen Recht (2. Teil, 2. Kap., C., V.). Außerordentlich weit ist im griechischen Recht vor allem die Reichweite der Klagebefugnis und insbesondere die des rechtlichen Interesses von Verbänden bei den umweltbezogenen Aufhebungsklagen. Die fortbildende Rechtsprechung des Staatsrates hat in der Praxis eine altruistische, umweltschützende VK geschaffen. Im Hinblick darauf ist die altruistische VK aus der Sicht des griechischen Rechts derart zu verstehen, dass der jeweils klagende Verband nicht einzelne, besonders betroffene Mitglieder vor Schäden bewahren will, sondern für die Gesamtheit seiner Angehörigen streitet und Allgemeininteressen wahrnimmt,
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ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen (2. Teil, 2. Kap., C., VI. ff.). In diesem Zusammenhang nimmt die Rechtsprechung des griechischen Staatsrates an, dass ein Verband (gleichgültig, ob er vom Staat als umweltschützend anerkannt ist) berechtigt ist, einer umweltschädlichen Verwaltungsmaßnahme durch Aufhebungsklage zu begegnen, soweit der Umweltschutz direkt oder indirekt zu den in seiner Satzung genannten Zielen gehört. Beachtenswert ist auch, dass die Begründung des rechtlichen Interesses der Verbände in der griechischen Rechtsordnung nicht unbedingt von dem Ort, an dem sich der Sitz des Verbandes befindet, abhängig ist. Selbst dann, wenn eine Vereinigung nach ihrer Zielsetzung nur nebensächlich mit Fragen des Umweltschutzes befasst ist, wird ihr regelmäßig eine Klagebefugnis zuerkannt. Dies gilt jedenfalls auch unabhängig von der örtlichen Beziehung dieser juristischen Personen zu den beeinträchtigten Umweltgütern (2. Teil, 2. Kap., C., VI., 1.). Daneben ist es im griechischen Recht – im Gegensatz zum deutschen Recht – nicht unbedingt erforderlich, dass der klagende Verband anerkannt ist oder sogar juristische Persönlichkeit hat (2. Teil, 2. Kap., C., VI., 2.). Aus all diesen Punkten ergibt sich, dass das griechische Umweltrechtsschutzsystem dank seiner Flexibilität grundsätzlich im Einklang mit den Anforderungen der AK und der daraus hervorgehenden europäischen Gesetzgebung steht (2. Teil, 2. Kap., D.). 3. Zu Verbesserungsansätzen Zwar scheint die griechische Rechtsprechungstendenz des Staatsrates in Bezug auf eine weite Klagebefugnis der Drittkläger in Umweltangelegenheiten eine ausgleichende Reaktion auf die teilweise staatliche bzw. wirtschaftspolitische Willkür hinsichtlich der Anwendung und Einhaltung des Umweltschutzrechts zu sein. Es sollte aber nicht außer Acht bleiben, dass eine solche Reaktion der Rechtsprechung, soweit sie nicht auf bestimmten, speziellen Regelungen beruht, auch als unzumutbares Phänomen des richterlichen Aktivismus betrachtet werden kann. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Richter möglicherweise die Grenzen ihrer durch den Verfassungsgesetzgeber eingeräumten Macht überschreiten, indem sie ein erheblich erweitertes rechtliches Interesse der Aufhebungskläger ausnahmsweise nur im Bereich des Umweltschutzes, aber nicht in anderen verfassungsrechtlich gleichrangigen Bereichen anerkennen. Außerdem könnte eine ohne konkrete gesetzliche Abgrenzung erfolgende Erweiterung des rechtlichen Interesses des Aufhebungsklägers in Umweltangelegenheiten durch die griechische Rechtsprechung auch den Vertrauensschutz der Bürger in Bezug auf die feste Einhaltung der Gesetze in Zweifel ziehen (1. Teil, 3. Kap., A.). Es ist daher empfehlenswert, dass der griechische Gesetzgeber die Initiative des Erlasses einer speziellen Norm zur Regelung der Klagebefugnis der Kläger
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
im prekären Bereich der Umweltstreitigkeiten ergreift. Zu diesem Zweck müsste die progressive Tradition der gestalterischen Rechtsprechung des Staatsrates bezüglich der Erweiterung des rechtlichen Interesses bei umweltbezogenen Rechtsstreitigkeiten mitberücksichtigt und schließlich gesetzlich explizit stipuliert werden. Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass der Inhalt und Umfang der Aufhebungsklagebefugnis in Umweltangelegenheiten von gelegentlichen, wechselhaften rechtspolitischen Trends und relativierenden Auslegungstendenzen der Rechtsprechung möglichst unbeeinträchtigt bleibt. Gerade wegen der potentiellen Gefahr einer de facto Umgehung zumindest des Verbots der Popularklage im griechischen Recht erscheint es allerdings sinnvoll, dass der von der Satzung oder dem Gesetz vorgesehene Zweck einer juristischen Person nur dann ein rechtliches Interesse begründen sollte, wenn diese juristische Person nachweislich diesen Zweck ständig und nicht nur inzident und vorübergehend erfüllt. Trotz der besonders weiten Klagemöglichkeiten, die die griechische Rechtsordnung den Rechtssubjekten zum Schutz auch der überindividuellen Umweltgüter gewährt, bedarf auch das griechische Recht in diesem Bereich angemessener Verbesserungsinitiativen (2. Teil, 3. Kap., A.).
IV. Zum überindividuellen Umweltrechtsschutz im EU-Recht (3. Teil) 1. Zu Grundlagen des Umweltschutzes auf der Ebene des unionalen Primärrechts Der überindividuelle Umweltrechtsschutz erweist sich auch im Rahmen des EU-Rechts als defizitär. Obwohl die gesetzlichen Grundlagen des Umweltschutzes im EU-Primärrecht (Art. 37 EU-GRCh, Art. 11 AEUV, Art. 191 und 192 AEUV) rechtsverbindlich für den Unionsgesetzgeber sowie für die unionale Rechtsprechung und Exekutive bezüglich der Gestaltung und Durchführung der europäischen Umweltpolitik sind, räumen sie allerdings den Einzelklägern keinen speziellen Rechtsschutz im Bereich des unionalen Umweltrechts ein. Dabei besteht auf unionaler Ebene kein Grundrecht auf Umweltschutz. Diese gesetzgeberische Zurückhaltung im Bereich des primärrechtlichen Umweltrechtsschutzes wirkt auch auf die Gestaltung und Funktion des Umweltschutzes des unionalen Sekundärrechts restriktiv (3. Teil, 1. Kap., A. ff.). 2. Zu Grundlagen und Defiziten des Rechtsschutzes auf der Ebene des EU-Primärrechts Angenommen, dass der unionale Gesetzgeber einer Art Mittelweg zwischen der deutschen Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes und der griechischen Rechtsschutzkonzeption der objektiven Rechtskontrolle folgt, so ist laut EURecht eine klageberechtigte Person in den Schutzbereich einer Norm dann einbe-
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zogen, wenn sie selbst in dem von der Norm geschützten Interesse tatsächlich betroffen ist. Dem entspricht insofern – im Gegensatz zur Schutznormtheorie – eine Tendenz hin zur Interessentenklage (3. Teil, 2. Kap., B., III.). Es muss aber unterstrichen werden, dass das deutsche Rechtsschutzsystem nicht den gleichen Zielen wie das griechische Rechtsschutzsystem dient. Das EU-Recht zielt – wie Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV verdeutlicht – auf die Abstützung des dezentralen Rechtsschutzes und weniger auf die Durchsetzung des objektiven EU-Rechts. Über das Prinzip funktionaler Subjektivierung versucht es eher, eine Demokratisierung des Gesamtsystems zu ermöglichen. Dafür spricht eindeutig, dass der unionale Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (gem. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV i.V. m. Art. 47 EU-GRCh), der einen lückenlosen Rechtsschutz gegen alle Akte unionsrechtlicher Gewalt erfordert, explizit bestimmt, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in den vom EU-Recht betroffenen Bereichen nicht allein der unionalen Gerichtsbarkeit obliegt, sondern auch den mitgliedstaatlichen Gerichten. Diese Tatsache beruht prinzipiell auf der überstaatlichen Geltung und Funktion des unionalen Rechtsschutzsystems, die grundsätzlich aus Art. 19 Abs. 1 EUV i.V. m. Art. 47 EU-GRCh hervorgehen (3. Teil, 2. Kap., A. ff.). Trotz des erweiterten Verständnisses des Umfangs der individualisierten klagefähigen Rechtspositionen nicht privilegierter Drittkläger im EU-Recht schränkt in der Praxis das unionale Rechtsschutzsystem im Rahmen der unionalen Nichtigkeitsklage (gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV) die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagebefugnis nicht privilegierter Kläger grundsätzlich auf typische Tatbestandsmerkmale (etwa individuelle und unmittelbare Betroffenheit) ein. Im Hinblick darauf achtet die EU-Rechtsordnung nicht besonders darauf, ob die Rechte bzw. Interessen von Personenkreisen von der jeweils umstrittenen unionalen Handlung oder Unterlassung wesentlich betroffen sind. Demzufolge weist die unionale Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Klageberechtigter nur einen Ausnahmecharakter auf (3. Teil, 2. Kap., B. ff.). Dieses System führt unvermeidlich zu einem besonders mangelhaften überindividuellen Umweltrechtsschutz in der EU-Rechtsordnung. Im Ergebnis sind überindividuelle Umweltgüter und umweltschützende Rechte auf EU-Ebene durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gem. 263 Abs. 4 AEUV nur so weit gerichtlich anfechtbar, wie sie mit subjektiven Interessen und Rechtspositionen von klageberechtigten juristischen und natürlichen Personen zusammenfallen. Die Rechtspraxis zeigt, dass die Nichtigkeitsklage von Drittklägern gegen umweltschädliche bzw. höchstwahrscheinlich umweltschädliche unionale Handlungen bzw. Unterlassungen schwer zu begründen ist (3. Teil, 2. Kap., C. ff.). Hauptgrund dafür ist das seit 1963 andauernde Festhalten an der von der europäischen Rechtsprechung ausgestalteten sog. Plaumann-Formel. Dies hat insbesondere bei Nichtigkeitsklagen nicht privilegierter Drittkläger zu einer engen
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
Auslegung ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen (insbesondere des Tatbestandsmerkmals der individuellen Betroffenheit) geführt. Demzufolge kann ein Drittkläger nur dann klagebefugt sein, wenn eine unionale Handlung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten. Insofern kann eine Nichtigkeitsklage gegen Handlungen mit abstrakt-generellem Inhalt, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, was bei Umweltrechtsstreitigkeiten die Regel ist, im Prinzip mangels individueller Betroffenheit keinen Erfolg haben. Zwar hat sich die europäische Rechtsprechung im Laufe der Zeit bemüht, diese restriktive Auslegung zugunsten eines erweiterten Rechtsschutzes durch richterliche Fortbildung zu lockern, konnte dies aber nur eingeschränkt und kasuistisch vor allem in wirtschaftsrechtlichen Bereichen, aber nicht im kritischen Gebiet des Umweltschutzrechts erreichen (3. Teil, 2. Kap., C. ff.). Eine alternative Möglichkeit des Rechtsschutzes auf EU-Ebene durch die Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens gem. 267 AEUV reicht bei solchen Fällen praktisch nicht aus, um mögliche Rechtsverletzungen vollständig zu beseitigen. Dies liegt daran, dass das In-Gang-Setzen dieses Verfahrens vom Willen des nationalen Richters und nicht des Klägers abhängt. Problematisch ist zudem, dass auch auf mitgliedstaatlicher Ebene wegen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten keine einheitliche Rechtsschutzgarantie vorliegt, so dass viele zusammenhängende Faktoren je nach Eigenschaften jeder staatlichen Rechtsordnung den effektiven Zugang zu nationalen Gerichten verhindern können (3. Teil, 2. Kap., III., 4.). 3. Zur Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der Rechtsprechung vor dem Lissabon-Vertrag Unter diesen Umständen gewährt das EU-Recht – nicht nur vor, sondern auch nach dem Abschluss des Lissabon-Vertrages – keine altruistische umweltschützende VK. Es lässt nur eine egoistische VK zu. Für die Klagebefugnis der klagenden Verbände gelten somit die gleichen Voraussetzungen wie für Einzelpersonen, die sich für die erfolgreiche Anfechtung umweltschädlicher europäischer Handlungen und Unterlassungen nicht eignen. Die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte hat diesen Befund vor dem Abschluss des Lissabon-Vertrags eindeutig belegt. Trotz Verbesserungsvorschlägen von Generalanwälten und vereinzelten richterlichen Versuchen insbesondere des EuG (3. Teil, 3. Kap., B. ff.) erweist sich die Beeinträchtigung überindividueller Rechte und Interessen von juristischen oder natürlichen Personen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, im Rahmen der europäischen Nichtigkeitsklage nicht als ausreichend, um ihre Klagebefugnis zu begründen. Charakteristisch dafür ist, dass bisher keine Nichtigkeitsklage von umweltschützenden Verbänden oder von natürlichen Personen,
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die sich für den Umweltschutz einsetzen, gegen umweltbeeinträchtigende europarechtliche Handlungen, Rechtsakte und Unterlassungen von der EuGH-Rechtsprechung als zulässig akzeptiert wurde (3. Teil, 3. Kap., A. ff.; 5. Kap., A. ff.). Dieses Verhalten führt zum paradoxen Ergebnis, dass die Klagebefugnis des nicht privilegierten Einzelnen (natürliche oder juristische Person) umso eher abzulehnen ist, je schwerer die Schädigung des Gemeinwohls bzw. der überindividuellen Umwelt und je größer die davon betroffene Gruppe ist. Darüber hinaus führt die mangelhafte Ausstattung einer zum Umweltschutz hin orientierten Öffentlichkeit mit Klagerechten dazu, dass europäische Organe durch rein ökonomisch ausgerichtete Entscheidungen umweltschutzrelevante Regelungen verletzen können, ohne dass diese einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden. Daraus entsteht aber ein unzumutbares Ungleichgewicht hinsichtlich des Rechtsschutzes von umweltbezogenen Allgemeininteressen und Wirtschaftsinteressen (3. Teil, 3. Kap., C. ff.). 4. Zu Versuchen des EU-Gesetzgebers zur Verbesserung des Rechtsschutzes nicht privilegierter Dritter Mit der Einführung der Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV versuchte der EU-Gesetzgeber im Rahmen des Abschlusses des AEUV die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagebefugnis von Drittklägern bei der Einreichung einer Nichtigkeitsklage zu erleichtern. Im Unterschied zu Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV verlangt die oben genannte Sonderregelung als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, die individuelle Betroffenheit nicht. Es wird ausschließlich die unmittelbare Betroffenheit durch einen solchen Rechtsakt vorausgesetzt. Damit beseitigt in diesem Fall der Gesetzgeber das eng ausgelegte Tatbestandsmerkmal der individuellen Betroffenheit (3. Teil, 4. Kap., A. ff). Auslegungsprobleme dieser Norm ergeben sich grundsätzlich aus ihrem unbestimmten Wortlaut sowie der Unklarheit des Inhalts des hier ausschlaggebenden normativen Begriffs „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, der letztlich den Umfang der Klagegegenstände dieser Neuregelung bestimmen soll (3. Teil, 4. Kap. A., III., 1.). Von Bedeutung ist, dass die aktuelle unionale Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung der Lehre und der unionalen Rechtsprechung bisher darauf hinweist, dass dieser Begriff eher eng ausgelegt werden muss. Darunter sollen nur Rechtsakte ohne Gesetzescharakter fallen. Eine erweiterte Klagemöglichkeit gegen Rechtsakte mit Gesetzescharakter sollte aber gemäß dieser Neuregelung den Privatklägern nicht zukommen (3. Teil, 4. Kap. C.; 3. Teil, 5. Kap., A. ff.). Wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV sowie wegen der restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals der in-
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
dividuellen Betroffenheit gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV können wichtige unionale Handlungen und Rechtsakte (etwa Handlungen der EU-Organe, die den Einzelnen nicht unmittelbar und individuell betreffen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Einzelnen nicht unmittelbar betreffen sowie selbstvollziehende Legislativakte) nicht von Einzelnen direkt vor europäischen Gerichten angefochten werden. Insofern verbessert die Sonderregelung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV den unionalen Umweltrechtsschutz nur geringfügig. Dies liegt vor allem an der Tatsache, dass umweltrechtliche Vorgaben regelmäßig Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, so dass sie i. d. R. nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV fallen können (3. Teil, 5. Kap., B. ff.). 5. Zu Auswirkungen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 und 3 AEUV und zu Lösungsansätzen Die herrschende enge Auslegung des Anwendungsbereichs des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV sowie des Tatbestandsmerkmals der „individuellen Betroffenheit“ im Rahmen des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV scheint nicht in Einklang mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu stehen. Damit kann nicht vollständig sichergestellt werden, dass einer durch das EU-Recht betroffenen Person hinreichender Rechtsschutz gewährleistet wird. Vielmehr spricht der Wortlaut und Inhalt vor allem des in Art. 47 EU-GRCh niedergelegten Unionsgrundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, der für jede durch das EU-Recht in ihren Rechten verletzte Person ein Recht auf Rechtsschutz gewährleistet, eher für eine weite Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV, so dass daraus entstehende Rechtsschutzdefizite möglichst effektiv vermieden werden. Dies gilt vorzugsweise, wenn eine Person von europäischen Rechtsakten mit Gesetzescharakter, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, betroffen ist. Denn in einem solchen Fall fehlt es an einem gerichtlich angreifbaren innerstaatlichen Vollzugsakt, so dass auch ein dezentraler Rechtsschutz vor mitgliedstaatlichen Gerichten nicht möglich ist. Dieses Verhalten widerspricht auch den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK, die einen effektiven und weiten Zugang zu Gerichten gewährleisten und auch für die EU gelten, soweit sie Vertragspartei der AK ist (3. Teil, 3. Kap., C., III. ff.; 3. Teil, 5. Kap., B. ff.). Um dieser Problematik entgegenzutreten, könnte der aktuelle Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV dahingehend modifiziert werden, dass auch Rechtsakte mit Gesetzescharakter, die die klagenden Personen unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, durch die Einreichung einer Nichtigkeitsklage auf unionaler Ebene gerichtlich kontrolliert werden können (3. Teil, 5. Kap., C., I.). Parallel dazu und angesichts der Tatsache, dass aus Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV kein zwingendes Argument für die These abgeleitet werden kann, dass
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das Zulässigkeitskriterium der „individuellen Betroffenheit“ es verlangt, dass ein Einzelner, der eine Maßnahme allgemeiner Geltung anfechten möchte, in ähnlicher Weise individualisiert ist wie ein Adressat, ist es empfehlenswert, eine erweiterte, umweltfreundlichere Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV zu begründen. Zu diesem Zweck sollte die Argumentation des EuG im Fall „JégoQuéré“ herangezogen werden, wonach derjenige, der von europäischen Handlungen und Unterlassungen, die ihn unmittelbar betreffen, in seiner Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt wird, weil sie seine Rechte einschränken oder ihm Pflichten auferlegen, als „individuell betroffen“ anzusehen ist. Wegweisend können auch die Gedanken der Generalanwälte insbesondere bei den Rechtssachen „Stichting-Greenpeace“ und „UPA“ sein, die ebenfalls eine weitreichende Klagebefugnis der Drittkläger in europäischen Umweltangelegenheiten begründen wollen. Dadurch könnten die Rechtsschutzhindernisse der Plaumann-Formel zugunsten eines wirksameren Umweltrechtsschutzes auf europäischer Ebene beseitigt werden (3. Teil, 5. Kap., C., II.). Wünschenswert, aber zumindest nicht kurzfristig absehbar ist auch die Einführung eines Grundrechts auf Umweltschutz auf unionaler und völkerrechtlicher Ebene. Das völkerrechtliche Aarhus-Übereinkommen ebnet den Weg dafür, denn es wirkt nicht nur im EU-Recht, sondern auch im Völkerrecht als leitender Apparat für die Verankerung und Gewährleistung eines effektiven und umfangreichen Umweltschutzes (3. Teil, 5. Kap., C., III.). 6. Zum Umweltrechtsschutz auf sekundärrechtlicher Ebene Die einzige Regelung, die teilweise der Umsetzung der dritten Säule der AK hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf EU-Ebene dient, ist die EG-VO Nr. 1367/2006 (sog. AK-VO). Mit dieser wurde versucht (grundsätzlich mit Art. 10 bis 12 AK-VO), die interne Überprüfung von Verwaltungsakten, die von EU-Behörden erlassen worden sind, qualifizierten umweltschützenden Verbänden verfahrensrechtlich und gerichtlich zugänglich zu machen (3. Teil, 6. Kap., A. ff.). Es ist aber anzumerken, dass dieses Rechtsinstrument sich als rechtsschutzdefizitär erweist. Hauptgrund dafür ist der besonders restriktive Anwendungsbereich des Verbandsrechtbehelfs der AK-VO. Dieser beschränkt sich nur auf Maßnahmen (Verwaltungsakte) des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls, die von einem Organ oder einer Einrichtung der EU getroffen werden, rechtsverbindlich sind und Außenwirkung haben. Da aber die meisten umweltschädlichen EUHandlungen der Sache nach allgemeine Geltung haben, fallen diese i. d. R. nicht unter den Anwendungsbereich der AK-VO (3. Teil, 6. Kap., C., III. ff.). Die bisherige Rechtsprechung des EuGH (C-401-403/12 P) hat sogar festgestellt, dass dieser enge Anwendungsbereich in Einklang mit Art. 9 Abs. 3 AK steht (3. Teil, 6. Kap., D. ff.). Diese Rechtsprechung verdient aber Kritik und
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4. Teil: Rückblick und Ausblick
überzeugt nicht. Denn angesichts der erweiterten Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK durch den EuGH, etwa anlässlich des Braunbären-Urteils, scheint eine so enge Bestimmung des Gegenstandes des internen Überprüfungsverfahrens der AK-VO nicht mit Art. 9 Abs. 3 AK vereinbar. Vielmehr sieht es so aus, dass der EuGH hinsichtlich der unionsrechtlichen Auslegung des Art. 9 Abs. 3 AK unangemessen mit zweierlei Maß misst (3. Teil, 6. Kap., D., III. ff.). Zur Lösung dieser Problematik wird vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des Antrags auf interne Überprüfung dahingehend zu erweitern, dass der Begriff des „Verwaltungsaktes“ i. S. d. AK-VO jede Verwaltungsmaßnahme erfasst, die von Organen oder Einrichtungen der Union im Rahmen des Umweltrechts getroffen wird und rechtsverbindliche sowie externe Wirkung hat (3. Teil, 6. Kap., E., I.). Daneben könnte der EU-Gesetzgeber im Lichte der aktuellen EuGH Rechtsprechung qualifizierten Umweltverbänden ausdrücklich bestimmte umweltrelevante Verfahrensgarantien einräumen. Auf diese Weise könnten Umweltschutzverbände, die sich an bestimmten vom Gesetz garantierten Verfahren zur Ergreifung von umweltrelevanten EU-Handlungen beteiligt haben, als individuell gem. Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV von diesen Handlungen betroffen angesehen werden, soweit diese Handlungen gesetzwidrig die Umwelt beeinträchtigen (3. Teil, 6. Kap., E., II.). Empfehlenswert ist auch die Einführung einer Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Damit soll die aus Art. 9 Abs. 2, 3 AK hervorgehende Aufgabe (im Rahmen der Umsetzung der dritten Säule der AK), eine umfangreiche und effektive Umweltverbandsklage auf mitgliedstaatlicher Ebene zu schaffen, deutlich erleichtert werden. Diese würde zur Vereinheitlichung des Umweltrechtsschutzes auf mitgliedstaatlicher Ebene führen. Dadurch könnten auch die noch bestehenden staatlichen Ungereimtheiten im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes effizienter ausgeräumt werden. Eine solche Richtlinie könnte auf der Basis des älteren, aber kürzich zurückgenommenen RL-Vorschlages des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.2003 über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten erarbeitet werden (3. Teil, 6. Kap., E., III. ff.). Zum Abbau der Problematik des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in der EU erweist sich die Entwicklung einer dahingehend holistischen Strategie als notwendig. Zwar soll eine solche Strategie unter Berücksichtigung der eigenen Rechtskultur sowie der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten aufgestellt werden, sie würde aber unvermeidlich zu einer Europäisierung der mitgliedstaatlichen Verwaltungsgerichtsordnung im speziellen Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes führen. Eine solche Entwicklung würde jedenfalls positiv zugunsten einer effizienten, gerichtlichen Kontrolle staatlicher, aber auch überstaatlicher Maßnahmen, die Umweltgüter der Allgemeinheit beeinträchtigen, wir-
B. Ausblick
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ken. Sie würde gleichermaßen auch die demokratische Rolle der Bürgergesellschaft zum Schutz des Gemeinwohls stärken.
B. Ausblick Aus der vergangenen Analyse kann der allgemeine Schluss gezogen werden, dass Rechtsordnungen (wie die griechische Rechtsordnung), die dem Rechtsschutzsystem der objektiven Rechtskontrolle entsprechen, einen völker- und europarechtlich umfangreichen und relativ effektiven überindividuellen gerichtlichen Umweltrechtsschutz gewährleisten können. Rechtsordnungen (wie die deutsche), die sich für ein restriktives Individualrechtsschutzsystem entschieden haben, begegnen offensichtlich Schwierigkeiten bezüglich der Durchsetzung eines unionsrechtskonformen und praktisch effizienten überindividuellen Umweltrechtsschutzes. Die langjährige Unschlüssigkeit der unionalen Rechtsordnung, die dritte Säule des völkerrechtlichen Aarhus-Übereinkommens umzusetzen sowie primärrechtlich die Klagebefugnis nicht privilegierter Kläger bei der Erhebung der Nichtigkeitsklage etwa in Umweltangelegenheiten entscheidend zu erweitern, manifestiert die Abgeneigtheit des EU-Gesetzgebers, den innovativen umweltrechtsschützenden Anforderungen des Aarhus-Übereinkommens vollständig zu dienen. Wie bereits gezeigt wurde, ist die Rechtsprechung der europäischen Gerichte (vor allem des EuGH) zu dieser Thematik eher widersprüchlich. Einerseits beharrt sie auf einer restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals der individuellen Betroffenheit auch in Umweltrechtsstreitigkeiten gem. der sog. Plaumann-Formel (3. Teil, 3. Kap., B., I. ff.; 3. Teil, 5. Kap., A., 1. ff.). Parallel dazu argumentiert sie dafür, dass der enge Anwendungsbereich der AK-VO bei der internen Überprüfung von unionalen Rechtsakten in Umweltangelegenheiten in Einklang mit Art. 9 Abs. 3 AK steht und daher völker- und europarechtskonform ist (3. Teil 6. Kap., D. ff.). Andererseits aber judiziert die EuGH-Rechtsprechung (insbesondere bei bestimmten aktuellen Vorlagebeschlüssen) über eine weite Auslegung der umweltrechtsschützenden Anforderungen der AK seitens der Mitgliedstaaten, so dass damit die Unionsrechtskonformität dieser Anforderungen optimal sichergestellt wird [1. Teil, 3. Kap., C., VI, 3., c); 1. Teil, 4. Kap., A. ff., B. ff.]. Es sieht somit so aus, dass die europäische Rechtsprechung des EuGH bei der Anwendung und Auslegung insbesondere des Art. 9 Abs. 3 AK hinsichtlich der EU-Organe und der Mitgliedstaaten offenbar mit zweierlei Maß misst. Das oben dargestellte Verhalten erweist sich als ein zentraler Hemmfaktor für die Etablierung eines umfassenden überindividuellen Umweltrechtsschutzes (zumindest auf unionaler Ebene) und zeigt charakteristisch, dass das EU-Recht insbesondere im Bereich des überindividuellen Umweltrechtsschutzes schlechthin
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ein Kollisionsfeld von sich heftig miteinander auseinandersetzenden, schwankenden Tendenzen ist. Der juristische Prozess für die Durchsetzung eines befriedigenden, effektiven überindividuellen Umweltrechtsschutzes ähnelt einem Tauziehen gegenläufiger Interessen. Im Ergebnis sieht es so aus, dass verschiedene Interessen dieser rechtlichen Initiative persistenten Widerstand entgegensetzen. Es ist letztlich kein Geheimnis, dass verschiedene Lobbys die Gesetzgebungsprozesse in vielen Institutionen (national und international) beeinflussen.1 Vor diesem Hintergrund scheint, dass der Regulierungsapparat, auch wenn er notwendige Funktionen erfüllt, zumindest in der hier untersuchten Problematik nicht in der Lage ist, seinen gesetzlichen Auftrag ausreichend zu erfüllen. Insbesondere im prekären Bereich des Umweltschutzes, der offensichtlich eine globale Dimension aufweist, kommen weitere Faktoren hinzu, die die umweltbezogenen Aufgaben der staatlichen und überstaatlichen Institutionen erschweren. Im Hinblick darauf ist es anzunehmen, dass der Bedarf an Integrationsleistung in Prozessen der Globalisierung, der Individualisierung, der Technisierung des Alltags und der Wettbewerbsintensivierung durch Technologieentwicklungen zugenommen hat.2 Die wissenschaftliche, technische und industrielle Entwicklung und die mit ihr Hand in Hand gehenden Umweltrisiken, Spezialisierung, Bevölkerungsvermehrung und Arbeitsteilung haben die Lebensverhältnisse zunehmend verkompliziert und verändert. Dadurch wurden auch die Aufgaben der zuständigen Institutionen gesteigert und verändert. Staatliche und überstaatliche Institutionen werden somit zu einem Stück Selbstorganisation der modernen Industriegesellschaft, deren Konflikte in den Prozess politischer Einheits- und staatlicher Willensbildung eingehen und hier ausgetragen und befriedet werden müssen.3 Gerade diese moderne technisch-wissenschaftliche Entwicklung hat weithin zu der gegenwärtigen Ausformung demokratischer Ordnung geführt. Unter diesen Bedingungen wurde die Beteiligung des Volkes am politischen Prozess abgeschwächt. Denn diese Entwicklung stützt sich überwiegend auf spezielle und nicht einfach vom Volk und der Gesellschaft überschaubare sowie kontrollierbare Fragen und Entscheidungen, so dass in der Praxis nur wenige Rechtssubjekte diese Fragen kompetent beurteilen können. Demzufolge ist die Regulierung häufig dem Einfluss der Bürger und der Rechenschaftspflicht entzogen. Der Spielraum politischer Willensbildung, der die Offenheit der demokratischen Ordnung 1 Vgl. u. a. B. Wegener, ZUR 2009, S. 169 ff.; M. Hirschler, FoR 1994, S. 126 ff.; D. Dick/K. Ponert, FoR 1995, S. 82 ff.; C. Hey, ZUR Sonderheft 2003, S. 145 ff.; D. Bollier/B. H. Weston, in: S. Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, 2014, S. 417. In diese Richtung auch J. Berkemann, ZUR 2015, S. 222 ff. 2 H. Anheier/V. Then, in: dies. (Hrsg.), Zwischen Eigennutz und Gemeinwohl, 2004, S. 12. 3 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 7.
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ermöglichen soll, hat sich merklich verengt und zu Gewichtsverlagerungen zwischen dem Parlament und der Regierung und Verwaltung sowie zu Erschwerungen der Rolle der Opposition geführt.4 Insbesondere im Bereich der „Daseinsvorsorge“ sieht sich der Staat heute vielfach vor Aufgaben gestellt, denen er sich nicht entziehen kann und deren Erfüllung nur begrenzte Alternativen zulässt. Diese Verengungstendenz der Öffentlichkeitsbeteiligung an den demokratischen Entscheidungsprozessen wird auch von der zunehmenden Verflechtung sowie der Tätigkeit internationaler Organisationen nicht zuletzt anlässlich der aktuellen globalen Finanzkrise verstärkt, deren Regelungen häufig innerstaatlicher politischer Willensbildung keinen oder nur eingeschränkten Raum lassen.5 „Alles aber, was dem die Macht Ausübenden gegenübersteht, nennt man Volk.“ 6 Wenn aber dessen demokratische Teilnahme geringer wird, ergibt sich daraus auch im interdisziplinären Rechtsgebiet des Umweltschutzes ein auffälliges Demokratiedefizit. Denn Demokratie ist vor allem in der unmittelbaren politischen Willensbildung sowie in Legitimierung und Kontrolle der Regierenden auf aktive und verantwortliche Bürger angewiesen.7 Vor dem Hintergrund dieser Parameter des Verwaltungsstaates und des modernen Politikkonsenses ist er in Sachen Umweltrecht an den Grenzen der rechtsstaatlichen Innovation und einer glaubhaften Führungsrolle der zuständigen Institutionen angelangt.8 Es sieht im Ergebnis aber so aus, dass die bisher geltende Form des subjektiven Rechtsschutzes (etwa im deutschen, aber auch im EU-Recht) nicht ausreichend verhindern kann, dass sich Partikular- und Sonderinteressen auf Kosten von allgemeinen Interessen durchsetzen.9 Die bisher herrschende enge Auslegung und das Verständnis des Anwendungsbereichs der subjektiven öffentlichen Rechte (etwa im deutschen Individualrechtsschutzsystem) bzw. der individuellen Betroffenheit der Kläger als Tatbestandsmerkmal für die Zulässigkeit einer europäischen Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV insbesondere in Um4 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 73 ff. 5 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 73 ff.; D. Trinatafyllou, EuR 2014, S. 458 ff.; M. Bartl, ELJ 2015, S. 23 ff.; E. Dikaios, Recht, Wirtschaft und Politik in Zeiten der Euro-Rettungspakete, 2012, S. 25 ff., S. 954 ff. (auf Griechisch); jeweils m.w. N. 6 Thucydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges (Historiae) (herausgegeben und übersetzt von G. P. Landmann), Bd. 2, S. 505 (6, 89, 4 „p@n dÊ tÎ nantioýmenon tÁµ dunasteýonti dmoò nümastai“). 7 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 7.3. 8 Vgl. D. Bollier/B. H. Weston, in: S. Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, 2014, S. 417. 9 Vgl. L. Michael, DV 2004, S. 35 ff.; H. Anheier/V. Then, in: dies. (Hrsg.), Zwischen Eigennutz und Gemeinwohl, 2004, S. 12.
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weltangelegenheiten erweist sich daher als unzureichend, um den stetig wechselnden umweltschutzbezogenen Herausforderungen der modernen globalen Gesellschaft zu genügen. Denn, obwohl eine große Zahl von Rechtssubjekten von der anthropogenen Umweltzerstörung faktisch betroffen ist, können diese in der Praxis mangels eines erweiterten überindividuellen Rechtsschutzsystems ihre betroffenen Rechte und Interessen nicht gerichtlich schützen. Gerade aber dort, wo sich der für die Wahrung auch der umweltbezogenen Gemeinwohlbelange primär zuständige Staat als überfordert oder mangelhaft kontrollierbar erweist, soll die Subjektivierung dieser Gemeinwohlbelange als kompensatorisches Werkzeug gegenüber der staatlichen Aufgabenüberforderung eine besondere Bedeutung erhalten.10 Im Anschluss daran darf nicht ignoriert werden, dass der Mensch heutzutage durch die Entwicklung der Wissenschaft und Technik in der Lage ist, Umwelteingriffe solcher Quantität und Qualität vorzunehmen, dass dadurch für ihn lebensgefährliche, irreversible Schäden des globalen Ökosystems entstehen können.11 Der Sache nach überschreitet häufig die durch anthropogene Handlungen und Unterlassungen erfolgte Verletzung von kollektiven Umweltgütern die typischen räumlichen Grenzen und betrifft häufig mittelbar oder unmittelbar eine schwer bestimmbare Zahl natürlicher und juristischer Personen. So z. B. ist von der Wissenschaft nachgewiesen, dass übermäßige Emissionen und Immissionen von Schadstoffen (etwa PM10, PM2,5, SO2, NOx) zu erheblichen Gesundheitsschäden wie auch zum Tod einer erheblichen Zahl von Menschen weltweit führen.12 Vor diesem Hintergrund ist m. E. eine ausschlaggebende Erweiterung des überindividuellen Rechtsschutzes kollektiver Umweltgüter nicht nur unerlässlich, sondern auch angesichts der absehbaren, intensiven technologischen Entwicklung unvermeidlich. Es gehört daher unvermeidbar zur Zukunft, dass die Trennlinie zwischen öffentlichen und privaten Interessen sowohl auf nationaler als auch auf unionaler und internationaler Ebene weiter aufweichen wird.13 Entsprechend soll sich die Reichweite der schutzwürdigen Privatsphäre der Rechtssubjekte erstrecken. Es darf nicht außer Acht bleiben, dass die nachhaltige Erhaltung der kollektiven, gemeinnützigen Umweltgüter (Luft, Meer, Boden, Wasser, Klima, Flora und Fauna) eine notwedige Voraussetzung für die regionale, aber letztlich auch für die globale Bewahrung der Lebensgrundlagen für die gegenwärtigen und künftigen Generationen darstellt. Eine saubere und gesunde Umwelt ist für das 10
Vgl. C. Calliess, ZUR 2000, S. 246 ff. W. Berg, FS für K. Stern, 1997, S. 432. 12 Vgl. M. Holland, Health Impacts of Emissions from Large Point Sources, 2006, S. 5 ff.; U. Lahl/U. Steven, Pneumologie 2005, S. 704 ff.; E. Dikaios, NkF, Januar 2009; jeweils m.w. N. 13 In diese Richtung C. Strünk, Gibt es ein Recht auf Gemeinwohl?, 2014, S. 13. 11
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menschliche Leben essentiell.14 Es ist daher kein Zufall, dass der Umweltschutz zu den konstitutionellen Grundwerten von Europa im engeren Sinne gehört.15 Bestimmte völkerrechtliche, aber nicht rechtsverbindliche Instrumente in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte – insbesondere nach der 1972 abgehaltenen Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen von Stockholm (sog. UNCHE), die als Beginn der internationalen Umweltpolitik gilt,16 – haben den engen Zusammenhang zwischen Menschenrechten und der Umwelt durch ihre Erklärungen eindeutig anerkannt und explizit ausgedrückt.17 14 United Nations Human Rights Council, Analytical study on the relationship between human rights and the environment. General Assembly, A/HRC/19/34, 16.12. 2011, Rn. 15 ff. 15 Vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2002, S. 533. 16 Stockholm Declaration on the Human Environment, U.N. Doc. A/CONF.48/14/ Rev. 1 (June 16, 1972); ausführlich dazu L. B. Sohn, HARV. INT’L L.J. 1973, S. 451 ff. 17 Vgl. United Nations Human Rights Council, Analytical study on the relationship between human rights and the environment. General Assembly, A/HRC/19/34, 16.12. 2011, Rn. 15 ff.; C. Calliess, ZUR 2000, S. 247 ff.; A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 575 ff.; R. Churchill, in: A. Boyle/M. Anderson (Hrsg.), Human Rights Approaches to Environmental Protection, 1996, S. 89 ff., jeweils m.w. N. So z. B. wurde auf der Konferenz von Stockholm zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht, dass zu einer dauerhaften Verbesserung der Lebensverhältnisse aller die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben müssen und dass, um dies zu erreichen, eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit nötig ist. In der Erklärung von Stockholm wurde festgestellt, dass die Umwelt für das Wohlbefinden und die Ausübung wichtiger Menschenrechte essentiell ist. Dabei wurde der Schwerpunkt auf die Lösung von Umweltproblemen gelegt, ohne jedoch die sozialen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Aspekte zu vergessen. So hat der Mensch laut dem Grundsatz 1 der Stockholm-Erklärung das fundamentale Recht auf Freiheit, Gleichheit und adäquate Lebensbedingungen in einer qualitativen Umwelt, die ein würdiges Leben sowie das Wohlbefinden ermöglichen. Gleichzeitig trägt der Mensch volle Verantwortung für den Schutz und die Verbesserung der Umwelt zugunsten der gegenwärtigen und künftigen Generationen (L. B. Sohn, HARV. INT’L L.J. 1973, S. 451 ff.; A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 475 ff.; jeweils m.w. N.). Auch Art. 24 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (1983) bestimmt, dass „[a]lle Völker das Recht auf eine Umwelt haben, die insgesamt zufriedenstellend und ihrer Entwicklung günstig ist“. In diesem Zusammenhang manifestiert Art. 16 Abs. 1 und 2 dieser Charta, dass „[j]edermann ein Recht auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit hat“. „Die Vertragsparteien dieser Charta werden die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit ihres Volkes zu schützen und um sicherzustellen, dass jedermann im Krankheitsfall medizinisch versorgt wird“ [vgl. A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 474 ff.]. In diesem Zusammenhang hat im sog. „Ogoniland“-Fall die Afrikanische Kommission für Menschenrechte festgestellt, dass „eine Umwelt, die von Verschmutzung degradiert wurde und durch Zerstörung ihrer Schönheit und Vielfalt unkenntlich verunstaltet ist, ebenso im Gegensatz zu zufriedenstellenden Bedingungen für das Leben und die Entwicklung steht wie der Zusammenbruch der grundlegenden ökologischen Gleichgewichte die physische und moralische Gesundheit schädigt“ („an environment degraded by pollution and defaced by the destruction of all beauty and variety is as contrary to satisfactory living conditions and development as the breakdown of the fundamental ecologic equilibria is harmful to physical and moral health“), [African Commission on Human and Peoples’ Rights, Comm.
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Zwar konnten bisher diese völkerrechtlichen Konventionen und Erklärungen vor allem aus juristisch technischen, bürokratischen und wirtschaftspolitischen Gründen18 nicht als ein spezifisches Menschenrecht auf saubere und gesunde Umwelt durchgesetzt werden, sie wirken aber als Ausgangspunkt und Leitlinie für eine umfangreiche Öffnung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene fort. Denn allein in nicht rechtsverbindlichen umweltspezifischen Erklärungen und Vereinbarungen finden sich sowohl materielle als auch prozedurale Aspekte eines Umweltgrundrechts.19 Es ist daher aus rechtlicher Sicht kein Zufall, dass Umweltzerstörung oft mit der Verletzung von Menschenrechten (insb. das Recht auf Gesundheit und Eigentum, aber auch das Recht auf Wohlbefinden von Menschen sowie das Recht auf die Achtung der Wohnung und das Recht des Privat- und Familienlebens) verbunden ist.20 No. 155/96 (2001), The Social and Economic Rights Action Center and the Center for Economic and Social Rights v. Nigeria (Ogoniland)]. In diese Richtung bestimmt auch Art. 24 Abs. 2 Buchst. c des Übereinkommens über die Rechte der Kinder der Vereinigten Nationen [Convention on the Rights of the Child, G.A. Res. 44/25, Annex, 44 U.N. GAOR Supp, U.N. Doc. A/44/49 (Nov. 20, 1989)], dass sich die Vertragsstaaten bemühen müssen, die volle Verwirklichung des Rechts der Kinder auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit unter Berücksichtigung der Gefahren und Risiken der Umweltverschmutzung zu erreichen [vgl. R. Churchill, in: A. Boyle/M. Anderson (Hrsg.), Human Rights Approaches to Environmental Protection, 1996, S. 92 ff., m.w. N.]. Hinsichtlich der menschenrechtlichen Garantien für Umwelt ist auch die in Rio de Janeiro verabschiedete Deklaration (1992) von Bedeutung [Rio Declaration on Environment and Development, U.N. Doc. A/CONF.151/26/Rev.1 (June 14, 1992); D. Shelton, Yearbook of International Environmental Law 1992, S. 75 ff.; C. Calliess, ZUR 2000, S. 248]. Denn schon im Grundsatz 1 wird explizit erklärt, dass „die Menschen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung stehen. Die Menschen haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur“. Es wird somit dadurch ein materielles Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur für die Menschen formuliert, das durch die verfahrensrechtliche Trias von Information, Partizipation und Rechtsschutz in Grundsatz 10 der Rio-Deklaration ergänzt wird [Kritisch zu der Zurückhaltung der Rio-Konferenz, ein Menschenrecht auf saubere Umwelt anzuerkennen, s. D. Shelton, Yearbook of International Environmental Law 1992, S. 82.]. Vor allem aber das Aarhus-Übereinkommen knüpft direkt schon in seiner Präambel daran an, dass „ein angemessener Schutz der Umwelt für das menschliche Wohlbefinden und die Ausübung grundlegender Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben, unabdingbar ist“ (Präambel, Erwägung 6). In die gleiche Richtung erkennt es an, dass „jeder Mensch das Recht hat, in einer seiner Gesundheit und seinem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leben, und dass er sowohl als Einzelperson als auch in Gemeinschaft mit anderen die Pflicht hat, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern“ (Präambel, Erwägung 7) [vgl. M. Scheyli, AVR 2000, S. 217 ff.; A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 575 ff.]. 18 Vgl. United Nations Human Rights Council, Analytical study on the relationship between human rights and the environment. General Assembly, A/HRC/19/34, 16.12. 2011, S. 2 ff. 19 C. Calliess, ZUR 2000, S. 248 ff. 20 Vgl. EGMR, Urt. v. 30.11.2004 – 48939/99 (Öneryildiz/Türkei); EGMR, Urt. v. 09.12.1994 – 16798/90 (López-Ostra/Spanien) EGMR, Urt. v. 19.02.1998 – 116/1996/ 735/932 (Guerra/Italien); EGMR, Urt. v. 10.11.2004 – 46117/99 (Taskin/Türkei);
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Die Bekämpfung der bereits skizzierten rechtlichen und faktischen Problematik des kollektiven Umweltrechtsschutzes benötigt eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen oder überstaatlichen Behörden und Bürgern sowie bürgerlichen Institutionen. Denn Umweltschutz wird letztlich erfolgreich sein, wenn es gelingt, Exekutive und Gesellschaft gemeinsam auf dieses Ziel hin auszurichten. Es wäre daher nicht sachgemäß, die hohe Fähigkeit der Privaten zur Erkundung und Lösung unter anderem auch umweltpolitischer Probleme durch monopolähnliche Ausweitung des staatlichen Umweltschutzes zu verhindern.21 So, wie der „aktivierende Sozialstaat“ auf nationaler und internationaler Ebene die Bürgergesellschaft braucht, braucht der „Umweltstaat“ national und international den ökologisch engagierten Bürger.22 Denn, wie schon gezeigt wurde, reichen obrigkeitsstaatliche Befehls- oder Gehorsamkeitsstrukturen allein nicht aus, um die Zerstörung der kollektiven Umweltgüter und die damit einhergehende Verletzung von Rechten und Interessen zu verhindern.23 Aus dieser Sicht ist somit die Förderung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes in Zusammenhang mit der Verstärkung der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit an umweltbezogenen Entscheidungen ein wertvolles und direktes Mittel bezüglich der Einhaltung der Balance von ökologischen, sozial- und wirtschaftsbezogenen Interessen.24 Außerdem hat bisher die Rechtspraxis gezeigt, dass sich die Funktion des überindividuellen Rechtsschutzes insbesondere bei Rechtsschutzsystemen, die einen weiten überindividuellen Umweltrechtsschutz normiert haben (etwa Griechenland,25 USA,26 Frankreich27 u. a.), als tragfähig erwiesen hat. Auf diese Weise können überindividueller Umweltrechtsschutz und Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltrelevanten Verwaltungsentscheidungen als Gegengewicht gegenüber einer immer stärker werdenden, aber auch weiterhin überfordert bleibenden Verwaltung wirken. Sie können somit auch zum Ausgleich im SpanEGMR, Urt. v. 09.06.2005 – Nr. 55723/00 (Fedayeva/Russland); EGMR, Urt. v. 08.07. 2003 – 36022/97 (Athanasov/Bulgarien); EGMR, Urt. v. 10.02.2011 – 30499/03 (Dubetska/Ukraine); EGMR, Urt. v. 21.07.2011 – Nr. 38182/03 (Grimkovskaya/Ukraine); A. Boyle, Fordham Environmental Law Review 2007, S. 502 ff., m.w. N. 21 M. Kloepfer, Umweltrecht, 2004, § 3, Rn. 35. 22 Vgl. C. Calliess, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, 1994, S. 71 ff. 23 Vgl. W. Berg, in: W. Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 438. 24 In diese Richtung auch EGMR, Urt. v. 10.11.2004 – 46117/99 (Taskin/Türkei); Inter-Am. Ct. H.R. (Inter-American Court of Human Rights), Case 12.053, Report Nr. 40/04, OEA/Ser.L/V/II.122 Doc. 5 rev. 1 at 727/2004 (Maya Indigenous Cmty. of the Toledo Dist. v. Belize), Rn. 154 ff.; Soc. and Econ. Rights Action Ctr. v. Nigeria, OAU Doc. CAB/LEG/67/3 rev. 5, Rn. 51 ff. 25 s. o. 2. Teil. 26 Vgl. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 425 ff., m.w. N. 27 Vgl. J.-M. Woehrling, NVwZ 1999, S. 502 ff., m.w. N.
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nungsverhältnis zwischen gerichtlicher Kontrolle und Verwaltungseffizienz und zur Stärkung der direkten Demokratie beitragen. Selbstverständlich müssen hierfür die jeweiligen gesetzlichen Grenzen eingehalten werden, um eine Ökodiktatur etwa mittels der Einführung einer beliebigen umweltschützenden Popularklage, die zu einem Klagemissbrauch in Umweltangelegenheiten führen würde, zu vermeiden. Beachtet man die oben skizzierten Einflussfaktoren, tendiert man zum Schluss, dass die bisher schleppende und strittige Entwicklung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene als Vorstufe einer sich in der Zukunft stufenweise ausdehnenden Rechtsbildung verstanden werden kann, die zu einem sich erweiternden überindividuellen Umweltrechtsschutz auf der nationalen, unionalen und völkerrechtlichen Ebene führen kann. Die Begründung und Festsetzung eines völkerrechtlichen und europarechtlichen Umweltgrundrechts28 ist als mögliche zu erwartende Frucht dieses Prozesses auch nicht auszuschließen. Die bisher vorhandenen Schwierigkeiten, auch wegen der Vagheit möglicher materieller Inhalte des Begriffs „Umwelt“ und „Umweltschutz“ 29 den überindividuellen Umweltrechtsschutz zu erweitern sowie ein Umweltgrundrecht einzuführen, mögen in der Zukunft stufenweise abgebaut werden. Diese Perspektive kann auf dem absehbar zu erwartenden Fortschritt der Wissenschaft und der Technologie gegründet werden. Dadurch nimmt das Verständnis immer stärker zu, dass die durch anthropogene Handlungen und Unterlassungen verursachte globale Degradierung der Umwelt und die Verletzung von Menschenrechten kausal miteinander verknüpft sind, was in der Folge ein steigendes Umweltbewusstsein des Volks und daher einen durch die Gesetzgebung zunehmend ausgedehnten überindividuellen Umweltrechtsschutz bewirken dürfte.30 Es muss aber gleichzeitig unterstrichen werden, dass eine solche Erweiterung des überindividuellen Rechtsschutzes auch durch die Einführung eines völker28 Ausführlich zur Begründung eines Menschenrechts auf zuträgliche Umwelt s. T. Hayward, Constitutional Environmental Rights, 2014, S. 37 ff., m.w. N. 29 United Nations Human Rights Council, Analytical study on the relationship between human rights and the environment. General Assembly, A/HRC/19/34, 16.12. 2011, Rn. 76. 30 Im Hinblick darauf soll m. E. mitberücksichtigt werden, dass laut F.-C. v. Savigny das Recht als naturnotwendiger Bestandteil der Volkskultur grundsätzlich organisch aus dem „gemeinsamen Bewusstsein des Volkes“ (Volksgeist) erwachse. Es entwickle sich zunächst durch Sitte und Volksglaube, später durch Rechtswissenschaft. Die Fortentwicklung des Rechts erfolgt somit entsprechend den in einer Kultur geltenden und sich weiterentwickelnden ideologischen Anschauungen und Lebensverhältnissen. Insofern ist das Staatsgebiet kulturell geprägtes Land, ein „Kultur-Raum“ und kein „Faktum brutum“. Vgl. F.-C. v. Savigny, ZsfGRw 1815, S. 5 ff.; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1998, S. 622 ff.; ders., Europäische Rechtskultur, 1997, S. 16 ff.; N. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2004, S. 97 ff.
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rechtlichen und unionalen Umweltgrundrechts jedenfalls nicht zu unverkraftbaren Behinderungen für jede wirtschaftliche Tätigkeit führt und als solche verstanden werden soll, sondern eher als Schutzmittel der natürlichen Lebensgrundlagen gegenüber der Übernutzung von Umweltgütern. Denn es ist eine Tatsache, dass die Menschheit über knappe Ressourcen verfügt, während sie zunehmende Emissionen, Immissionen und Abfälle erzeugt, die progressiv immer mehr individualisierte und kumulative Umweltauswirkungen verursachen. Eine solche Entwicklung würde somit eher dem gerechten Ausgleich zwischen konfligierenden umweltschützenden und umweltnützlichen Interessen dienen. Die angemessene Erweiterung des überindividuellen Umweltrechtsschutzes auf zentraler und dezentraler Ebene könnte schließlich als Katalysator und Wegweiser wirken für eine stärkere Ausdehnung des überindividuellen Rechtsschutzes sowie der Öffentlichkeitsbeteiligung auch auf weitere kritische Rechtsgebiete, die ebenfalls dem Gemeinwohl dienen (wie das Verbraucherschutzrecht, das Lebensmittelrecht, das Sozialrecht, das Finanzrecht, das Kulturrecht u. a.),und die der Sache nach nicht direkt von individuellen Rechtssubjekten gerichtlich kontrolliert werden können. Insbesondere im Rahmen der heutigen Risikogesellschaft könnte eine solche Entwicklung die aktive Kontrolle der Willkür der jeweils staatlichen oder überstaatlichen Gewalt wesentlich fördern. Gleichzeitig würde sie auch präventiv gegen potentielle Rechtsverletzungen (z. B. durch intransparente Behördenentscheidungen) fungieren. Die Etablierung eines angemessenen zentralen und dezentralen überindividuellen Rechtsschutzsystems sollte als strategisches Instrumentarium zur Herstellung einer stärkeren demokratischen Legitimation staatlicher und überstaatlicher Verwaltungsentscheidungen sowie als Mittel zur Vorbeugung und Bekämpfung von Korruptionsphänomenen genutzt werden. Aus diesen Gründen würde sich – ausgehend auch von der hier analysierten Problematik – die weitere Untersuchung des überindividuellen Rechtsschutzes zum Zweck des Schutzes des Gemeinwesens als Manifestation einer gerechten demokratischen Kontrolle der Öffentlichkeit gegenüber eigennützigen Machtinteressen lohnen.
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Stichwortverzeichnis Aarhus Compliance Committee 24, 315, 355, 616, 636 Aarhus-Konvention 6, 20, 212–228, 592– 623 – Auslegungsgrenzen 602–604 – Ratifizierung 212–214 – Umsetzung 739–740, 804–805, 826 Aarhus Verordnung 8, 231, 591–592, 833, 950–951, 952–953, 1048–1077 – Entstehungsgeschichte 1048–1051 – interne Überprüfungsverfahren 1054– 1077 – Kritik 1089–1098 – Zweck 1051–1053 Abfallwirtschaft 150, 306, 666, 706, 1108 Abwägungsfehler 130, 181–182, 447 Abwägungsfehlerlehre 181 Abwehranspruch 102–103, 112, 684, 1133 Adressatentheorie 51–52 Alleenschutz 291, 292, 549 Allgemeininteressen 20, 31, 46, 49, 53, 57, 78, 80, 140, 152, 241, 313, 562, 640, 675, 678–679, 682, 768, 770, 809, 876–878, 899, 912, 919, 957, 960–961, 963–964, 973, 1132, 1161 Allgemeinwohl 148, 247, 251, 258–259, 961 Altruistische Verbandsklage 1, 3, 5–6, 8, 20–21, 88, 96–97, 231–234, 237–238, 241–245, 248, 250, 254–255, 258–260, 264, 270–275, 277, 281, 288, 295–296, 302, 305–307, 309, 311–314, 316, 320–321, 323, 331, 334, 336, 338, 340, 342–344, 352–353, 360, 362, 487, 501, 539–541, 547, 549, 551, 632, 646, 655, 662, 665, 694–695, 768, 793, 795, 804, 806, 809, 823–825, 925, 927, 962, 973,
1137–1138, 1061, 1116, 1121, 1137– 1140, 1155–1156 Anerkennung 237, 247, 275, 300, 317, 341, 365, 378, 415–420, 423, 506, 619, 641, 643 Anerkennungsnormen 421, 423 Anfechtungsklage 2, 41, 51, 92, 94–97, 168, 181, 195–197, 201, 240, 296, 331, 398, 657, 665, 686, 744, 821, 823, 864, 865, 115 Anthropozentrik 3, 77–78, 108, 111–112, 707 Antragsberechtigung 1057–1059 Antragsfrist 189–190, 200, 1136 Anwälte der Natur 78, 259, 268, 274, 822 Äquivalenzgrundsatz 25, 381, 410, 412, 428, 449, 484, 503, 505, 526, 528, 530, 571–572, 606, 616, 623 1143–1144, 1148 Atomrecht 135, 137, 140, 141, 142, 144, 172, 184, 242, 1134 Aufhebungsklage 693–695, 697, 700, 715, 717, 722, 728, 735, 737, 738, 744–747, 766, 767, 768, 769, 770, 811, 864, 879, 889, 1131, 1154, 1155, 1156, 1157 – Begründetheitsvoraussetzungen 751– 753 – Zulässigkeitsvoraussetzungen 753–761 Aufschiebende Wirkung 195, 196, 197, 200, 201, 499, 545, 766, 1136 Ausschließliche Wirtschaftszone 236, 277, 282, 283, 285, 306, 331, 1138 Bauplanungsrecht 205, 209, 745, 750 Baurecht 55–57, 79, 204, 348, 350, 786 Beachtlichkeit 182, 427, 437, 449, 472– 473, 533, 555
Stichwortverzeichnis Beanstandungsverfahren 243, 271, 273, 274, 275, 304, 313 Bebauungsplan 267, 276, 284, 288–289, 306, 320, 323–324, 326, 344, 367, 405, 407–409, 412, 473–474, 485, 655, 657, 789, 794, 1136, 1140 Befreiung 236, 252, 257, 260–265, 269– 272, 277–282, 285, 292–294, 305–306, 324, 332, 336–337, 496, 548–550, 628, 1074, 1138 Begründetheit einer Klage 90, 177, 198, 301, 342, 346, 356, 406–408, 460, 462, 564, 651, 656, 917, 1097, 1135 Begründetheitsprüfung 28, 92, 353, 406, 407, 409, 410, 412, 481, 581 Begründetheitsvoraussetzungen 340, 406–412, 552, 581, 695, 751, 753, 768, 1140 Bergrecht 151, 173, 306, 522, 627, 628, 1134 Berufung 48, 53, 192–193, 200, 497, 545, 862, 863 Beschleunigungsgesetz 188, 189, 194, 374, 1136 Beteiligung 155, 174, 175, 179, 180, 183, 186, 956, 1171 – anerkannter Naturschutzverbände 284, 289 Betroffenheit 48, 70, 79, 90, 93, 96, 97, 100, 103, 123, 169, 176, 187, 205, 233, 378, 385, 430, 480, 640, 641, 642, 645, 668, 681, 706, 733, 808, 878, 884, 919, 932, 979 – individuelle 69, 833, 373, 619, 832, 859, 862, 865–867, 870, 876, 883, 884, 888–890, 894, 899–900, 902–903, 905, 909,911–912, 918–919, 923–924, 927, 929–931, 933–934, 937, 939, 945, 949–952, 954–955, 961, 963, 973, 979, 981–982, 991–992, 1002, 1007–1008, 1013, 1015–1019, 1025–1026, 1031, 1033–1034, 1036–1039, 1047, 1055, 1120, 1122, 1124, 1126, 1161–1163, 1165, 1167
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– unmittelbare 340, 870, 884, 886–888, 901, 905, 912, 946, 978, 982, 985, 997, 1002, 1004–1005, 1029–1031, 1122 Beweislast 398, 457, 458, 459, 471, 472, 483 – Umkehr 318, 457, 458, 465, 472, 484, 553, 1142, 1143, 1144 Biodiversität 255, 706, 799, 851, 876, 1044 Biodiversitätsschäden 158–159 Bodenschutzrecht 18, 138, 151, 152, 155, 158, 173, 205, 344, 666, 1108, 1134 Bürgerinitiative 29, 245, 641, 1058 Chemikalien 653. 666. 1108 Darlegungslast 179, 404 Demokratie 4, 9, 37, 38, 216, 248, 541, 550, 678, 1093, 1118, 1125, 1127, 1167, 1172 Demokratieprinzip 216, 230, 245, 248, 774, 825 Demokratisierung 37, 874, 1041, 1119, 1159 Denkmal 93, 294, 702, 703 Denkmalschutz 307, 927 Direktwirkung 431, 578, 582 Diskrepanz 1100, 1118 Diskriminierungsverbot 381, 383 Dreieckverhältnisse 54 Drittschutz 17, 18, 52–55, 71, 74, 113, 118, 123, 126–129, 135, 138, 140, 143–149, 151–153, 159, 170, 173, 176, 179, 184, 186, 197, 201–202, 204, 206, 210, 228–229, 344, 360, 624, 1110, 1133 – Problematik 113–174, 176–201 Drittschützende Normen 19, 44, 46, 64, 68, 73–74, 113–114, 117–123, 124– 125, 132–135, 139–144, 148, 150–152, 170, 172–173, 179, 186–187, 198–199, 309, 311, 313, 318, 337, 346, 351, 407, 445, 448, 583, 585–586, 647, 651, 685, 1110, 1113, 1133–1134
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Stichwortverzeichnis
Durchführungsmaßnahme 864, 866, 885, 915, 919–920, 940, 980, 985, 992–993, 995, 997–1000, 1003, 1007–1008, 1010, 1018–1024, 1026–1027, 1029–1031, 1033, 1044–1046, 1083, 1122–1124, 1160–1162 Durchsetzungsschwäche 2, 242, 245, 247, 561, 651, 674 Effektivität 6, 15, 82, 164, 174, 216, 223, 243, 258, 264, 306, 380, 387, 389, 446, 590–591, 606, 609, 612, 692, 800, 967, 971 Effektivitätsgrundsatz 23, 25, 82, 86, 132, 134, 171, 207, 381–383, 387, 397, 412, 427–428, 446, 449, 479, 484, 486, 503, 505, 526, 528–529, 532, 536, 552, 554, 562, 567, 571–574, 581, 606, 609, 612, 614, 616, 623–624, 643–645, 647, 663, 667, 958, 970, 1133, 1143–1145, 1147–1148 Egoistische Verbandsklage 238, 240, 795, 923, 925, 962, 972, 1160 Eigenrechte der Natur 75–76, 78 Eingriffsregelung 50, 298, 344, 648 Einklagbarkeit 114, 117, 129, 137, 169– 170, 176, 472, 652, 782, 881, 1040, 1133 Einstweiliger Rechtsschutz 23,195–196, 286, 296, 342, 496–500, 504, 541, 543, 765, 858, 914, 1144 Einwendungsfrist 193–194, 200, 366, 370, 383, 388, 391–392, 396, 400, 413–414, 1136, 1141 Empirische Studien 256–257, 376, 379, 420, 493, 541–544, 547–549 Enteignung 130, 180, 251, 681, 697 Entscheidungserheblichkeit 426, 449, 451, 463–464, 466, 470, 497, 510, 531 Enumerationsprinzip 29, 33, 61, 264, 319, 449, 599, 977 Ermessen 146, 161, 282, 363, 416, 490, 492, 578, 580, 609, 633, 688, 750, 760, 886, 916, 1086, 1088, 1090, 1092 Ermessensausübung 41, 107, 150, 1096
Ermessensentscheidungen 33, 148, 181, 750, 757, 760, 767 Ermessensmissbrauch 853, 895, 912 Ermessensspielraum 130, 164, 268, 622, 743, 761, 813, 840, 885–887, 896, 939, 257, 1003, 1012, 1042, 1058, 1086 Europäische Menschenrechtskonvention 728, 840, 852, 854–856, 895, 911, 918, 1042 Fachplanungsrecht 160, 194, 266, 352, 374, 386, 388–389, 413, 438 Feinstaubimmissionsgrenzwerte 124– 125, 361 Festlandsockel 236, 277, 282, 285, 306, 319, 331, 520, 1138 Feststellungklage 296, 326, 744, 858, 1020 FFH-Gebiet 169, 236, 268, 496–497, 509, 534, 537–540, 559, 609, 681, 1063 FFH-Richtlinie 25, 155, 268–269, 281, 299, 322, 360, 496, 511, 537–539, 558–560, 565, 572, 575–576, 588–589, 598, 606–608, 610–611, 622–624, 628, 728, 876, 896 Flugverfahren 330–331, 650 Friktionen 8, 313, 344, 407, 501, 505, 529, 533–534, 554, 660, 1146, 1150 Gefahr-Vorsorge-Dichotomie-Doktrin 113–114, 125–126, 129, 134–135, 137– 138, 142, 144, 149, 153, 169–170, 172, 206, 807, 1133–1134, 1140, 1155 – Bedenken 125–134 Gemeinde 18, 169, 174, 180, 190, 450– 451, 453, 475, 509–510, 650, 672, 674–675, 678–683, 686–688, 694, 713, 741, 774–776, 778, 783–784, 787–791, 794, 798, 808, 822, 870, 889, 1135, 1151–1152, 1156 – Drittschutz 165–169 Gemeinwohl 4–5, 33, 36–37, 39, 41, 49, 57–58, 62–63, 94, 132, 149, 172, 218, 230, 243–245, 249–251, 258–259, 270– 272, 537–538, 540–541, 643, 667, 707,
Stichwortverzeichnis 824–825, 876, 888, 897, 927, 961, 963, 970, 973, 1033, 1042, 1121, 1127, 1131, 1133, 1161, 1165, 1168, 1173 Gentechnik(recht) 9, 18, 116, 126, 135– 137, 144–146, 171–172, 207, 306–307, 361, 653, 1075, 1134 Gerechtigkeit 9–10, 260, 612, 678 Gerichtliche Kontrolle 699, 726, 745, 747, 750, 755, 757, 759–760, 767, 811, 813, 850, 855, 894, 1026, 1045, 1053, 1098, 1104 Gerichtliche Zurückweisungsmöglichkeiten 23, 488, 490 Gesetzgebungsakt 726–727, 866, 983– 989, 994–996, 1003–1004, 1008, 1010– 1018, 1021–1023, 1030 Gewaltenteilung 68, 78, 206, 248, 749, 1131 Gewaltmissbrauch 761–762 Gleichheit 46, 245–246, 251, 254, 944, 1002, 1169 Globalisierung 826, 831, 1043, 1166 Grenzwert 119–122, 124, 128, 132–135, 137, 140, 142–143, 170–171, 266, 325, 350, 359–360, 628, 631–633, 649, 668, 841, 875–876, 879–880, 882, 897, 1030, 1068–1069, 1074, 1134 Grundrecht 36, 39–41, 43, 47, 51, 61, 69–75, 79, 82–83, 86, 88, 90, 97–98, 102–104, 106–107, 136, 151, 180, 183, 205, 240, 361, 338, 724, 728, 812–813, 839, 842–843, 854–855, 858, 884, 892–893, 903, 908–909, 918, 978, 1002, 1017, 1032–1033, 1119, 1121, 1132 – auf Leben und körperliche Unversehrtheit 51, 57, 71, 98, 100, 102–104, 114, 136, 141, 180, 205, 360–361, 703, 708, 722, 818, 841, 1133 – auf Rechtsschutz 39, 86–87, 370, 502, 536, 552, 593, 667, 698–700, 732, 855, 906, 1015, 1024, 1123, 1152–1153, 1162 – auf Umweltschutz 18, 112, 98–100, 105, 112, 683–685, 687, 694, 705, 708–712, 714–716, 719–723, 725, 728,
1283
732–734, 747, 752, 767, 769, 776–777, 779, 786, 805–806, 812–814, 818–819, 832, 836, 839–840, 850, 859, 880, 889, 1028, 1040–1044, 1047, 1120, 1125, 1133, 1152–1153, 1155, 1158, 1163, 1170, 1172–1173 Heilungsmöglichkeiten 182–183, 199, 531, 1135 Heilungsvorschriften 438, 447, 474 Individualinteressen 1–2, 20, 31, 42, 45– 46, 49–51, 53, 57–58, 74, 78–79, 85– 87, 90–91, 152, 241, 873, 877–878, 919, 1132 Individualrechtsschutz 3–4, 18, 37–38, 63, 80–83, 88–92, 97, 142, 208, 218, 230, 244, 247, 259, 462, 492, 551, 565–566, 570, 625, 658, 660, 664, 672, 858–859, 861, 880, 909–910, 940, 977–978, 984, 1017, 1019, 1021, 1026, 1039, 1131, 1150 Individualrechtsschutzsystem 3, 17, 19, 23, 25, 27, 31, 39, 41, 57, 70, 80–81, 92, 95–98, 100, 104, 111–114, 116– 117, 132, 137–138, 153–154, 170, 172, 176, 181, 189, 198, 202, 228, 232, 243, 248, 251, 442, 477, 482, 651, 657–658, 660, 662, 670, 674, 677–678, 683, 686, 691, 747, 767, 782, 807, 818, 824–825, 832, 858, 864, 1029, 1131–1133, 1135, 1147, 1151, 1154, 1165, 1167 – gesetzliche Grundlagen 81–98, 1131 – Schwachstellen 27, 32, 231–232, 557, 686, 1132 Industrieanlagen 20, 128, 225, 314, 320, 364, 468, 521, 529, 583, 756, 776, 788, 800, 810 Informationsrecht 250, 741 Instanzenzug 191–192, 200, 209, 1136 Interesse 1, 3–4, 7, 11, 15, 17, 21, 28, 33, 36, 41, 43–49, 51–53, 55, 57, 59, 61–62, 66–70, 74, 76–80, 84, 86, 89, 90, 93–97, 99–100, 102–103, 118–119, 129, 133, 141, 143–144, 147–148, 150, 160–162, 172–174, 181, 204, 209–210,
1284
Stichwortverzeichnis
217–219, 224, 229, 234, 242, 247, 249–250, 253–255, 269, 275, 297–298, 302, 337, 342–343, 370, 377–378, 385, 397, 422, 442, 480, 499, 555, 559, 562–563, 572–573, 576, 578, 585, 589, 639, 641–645, 647, 662, 665, 668–671, 674, 679, 682–683, 686–687, 696–699, 706, 708, 710, 713, 732, 744–747, 758–759, 761, 763, 766–767, 773, 775, 784, 793, 795–796, 807, 817–818, 821, 831–832, 844, 856, 867, 871, 874–888, 893, 899, 908, 916, 918–919, 922–929, 931, 933–934, 945, 956, 958, 961–965, 972–974, 1006–1007, 1 02 1027, 1029, 1031–1033, 1035, 1037, 1042, 1047, 1051, 1058, 1099, 1119–1121, 1132– 1135, 1148, 1151–1155, 1159–1161, 1166–1168, 1171, 1173 – ausreichendes 157, 217–219, 343, 312, 563, 567, 569–570, 600, 673, 1057– 1058, 1092, 1110 – kollektives 58, 66, 76, 80, 257, 699, 725, 869–870, 899, 961, 964 – öffentliches 1–2, 4, 29, 33, 45, 50, 80, 89, 89, 95, 114, 149, 152, 169, 172, 176, 193, 198, 241, 248, 282, 370, 497–498, 538, 651, 668, 670–671, 674, 676, 698, 710, 716, 719, 730, 761–762, 924–925, 1041–1042, 1131, 1137 – rechtliches 694, 697, 709, 715, 723– 725, 732, 736, 741, 749, 752–753, 762, 765, 768–776, 779–780, 785–788, 790– 792, 795, 797–803, 805–809, 814, 817, 820–821, 823, 889, 1153, 1155–1158 – überindividuelles 2, 87, 165, 169, 174, 245, 253, 274, 370, 552, 662, 822, 922, 961, 972 Interessensphäre 679, 682, 683, 687 Interessentenklage 3, 93–94, 96–97, 157, 275, 478, 570, 578, 658, 664, 671, 674, 678, 687, 698, 732, 768, 806, 818, 820, 832, 883, 1131–1133, 1152, 1159 Interessentheorie 35 Investition 197, 430, 500, 534–535, 551, 731, 766, 870, 1064, 1104 Investoren 54, 257, 271, 537, 555, 726, 729, 731, 741, 1146
Inzidentkontrolle bzw. inzidente Überprüfung 267, 324, 330, 474, 657, 727, 745, 863, 897, 941, 944, 948, 988, 1014, 1018, 1045, 1065, 1078, 1123 Judikatur 114, 123, 179, 236, 446, 475, 685, 901–902, 978, 1027 Juristische Person 36, 65, 157–158, 194, 218, 221, 324, 417, 419, 475, 565, 569, 638–640, 642, 650, 672, 675, 680, 685, 712, 717, 724, 744, 771, 773, 795, 797, 802–803, 817, 819, 823, 853, 864–865, 869–870, 894, 897, 941, 944–945, 948, 955, 960, 963, 973, 975–976, 980, 994, 1009, 1012, 1058–1059, 1091, 1099, 1107, 1111, 1123, 1157–1158, 1161 Justiz 33, 245, 814, 859, 862, 1119 Kartellrecht 891–892, 902, 920, 1120 Kausalitätsrechtsprechung 18, 177–178, 184–185, 188, 198, 425, 428, 431, 433, 437, 439, 452, 454, 472, 478, 482–484, 759, 1135, 1142, 1144, 1154 Kausalzusammenhang 114–115, 165, 170, 174, 177, 198, 464–466, 745, 782, 1135 Klagebefugnis 2–4, 6, 18, 20–21, 28, 39, 43–44, 48–51, 52, 59, 63, 65, 70–71, 75, 79, 86, 89–92, 94–97, 108, 113– 114, 132–133, 139–140, 151–152, 154, 160, 162, 165, 168, 172–174, 178, 180, 187, 198, 204–206, 209–212, 216, 219–220, 229, 231–233, 235, 239, 243, 246, 251, 255, 260, 265, 267, 269–270, 272, 285, 292, 297, 304, 306, 311, 313, 317, 337, 341, 343–346, 348, 350, 363–364, 366–367, 385, 387, 392–394, 396–397, 411–412, 420, 434, 446, 448, 469, 478–480, 485–487, 515, 522, 535, 549, 554, 561, 564, 566–568, 570, 587, 602, 608, 615–616, 625–636, 640–643, 645–648, 652, 655–656, 659, 662–664, 668, 672, 674–680, 682–684, 684, 686–688, 693–694, 702, 736, 749, 751, 768–769, 771, 773, 776, 784, 787, 790–792, 795–796, 884, 888, 893, 896–897, 899, 901, 908–913, 918–920,
Stichwortverzeichnis 923–925, 927–930, 932–934, 942, 946, 948, 950, 960–965, 967–968, 970–971, 973, 976, 978–979, 993–995, 999, 1002, 1011, 1013, 1016, 1026–1029, 1031–1032, 1037–1038, 1045, 1055, 1059–1061, 1065–1067, 1092, 1107– 1115, 1117, 1121–1122, 1133–1136, 1144, 1147, 1149–1152, 1155–1161, 1163, 1165 Klagebegründungsfrist 23, 302, 488, 490–492, 501, 504, 509, 530, 564, 1144 Klageberechtigte 28, 48, 143, 246, 300, 358, 362, 358, 362, 404, 547, 638, 647–648, 677, 684, 744, 806, 811–812, 814, 817, 820, 833, 865, 867–868, 876, 888, 890, 899, 908, 918, 923, 934, 1029, 1120, 1124, 1153–1154, 1158–1159 – nicht privilegierte 7, 593, 858, 863, 865, 867, 869–871, 873, 876, 878, 883, 887–888, 893, 896–897, 899–900, 905– 906, 908, 911–913, 918–920, 922, 930, 933–934, 937, 940, 942, 961, 963–966, 968, 973, 975–976, 978–980, 982, 999, 1001, 1017–1018, 1025–1026, 1029, 1035, 1037–1038, 1044, 1065, 1116– 1117, 1122, 1159, 1161, 1165 – privilegierte 511, 571, 601, 614, 645, 665, 673, 867–870, 964, 1035, 1137 – teilprivilegierte 867–870 Klageflut bzw. Prozessflut 68, 71, 211, 251, 254, 271–272, 543, 555, 625, 804, 809, 860, 910–911 Klagefrist 381, 383, 386, 403, 4015, 526, 737–738, 873, 946, 1039 Klimaschutz 18, 138–139, 172, 181, 350, 667, 675, 692, 823, 876, 1134 Kollektives Recht 80, 232, 720, 724, 733, 776 Kombinationstheorie 35, 43 Kommission 116, 212, 226–227, 236, 312, 314, 390–391, 459–463, 497, 591, 594, 859, 862, 867, 869, 872, 887, 892, 895, 897–898, 903, 922, 925–926, 930–933, 935–938, 947–948, 951–952, 954, 958, 962, 964, 967, 969–970, 980, 985–990, 992–994, 1003–1009, 1011,
1285
1018, 1026, 1030, 1047, 1049, 1052, 1057–1058, 1060–1063, 1065–1078, 1081, 1083–1085, 1093, 1096–1097, 1101–1107, 1111, 1114, 1116, 1127 Kompetenz 15, 49, 129, 163, 245–246, 257, 349, 358, 393, 495, 575, 592, 594–595, 602–603, 610–613, 624–625, 701, 713, 788, 791–792, 808, 822, 835, 847, 860, 910, 925, 927, 942, 945, 972, 989, 1020, 1032, 1060, 1093, 1102– 1103, 1120, 1147, 1156 Konstitutionalismus 36–38, 61, 78, 1131 Kontrolldichte 129–131, 171, 201, 249, 304, 432, 487–488, 534–536, 552, 748, 750, 894–896, 1147 Kontrollumfang 3, 524, 536, 582–583, 751 Kooperation 401, 613, 815, 859–860, 1063, 1127 Kooperationsprinzip 305, 720, 838 Kosten 159–160, 497, 531–532, 804, 916, 920, 1049 Kostenberechnung 206, 307 Landschaftsschutz 21, 152, 172, 233, 274, 276, 297, 309, 350, 675, 824, 1134, 1139 Lärmaktionsplan 619, 650, 680 Lärmauswirkung 266, 307 Lärmschutz 121, 297, 304, 335, 348, 654, 1108 Leistungsklage 91, 94, 276, 296, 489, 531–532, 632, 665, 686, 1151 Liberalisierung des gerichtlichen Zugangs 209–210, 229 Lissabon-Vertrag 593, 833, 857–858, 864, 899–900, 908–909, 930, 972–975, 977–978, 980–981, 983–984, 986, 990– 991, 993, 996, 999, 1005, 1009–1010, 1017–1018, 1122–1123, 1160 Lobby 487–488, 1166 Luftreinhalteplan 25, 91, 120, 124, 364, 521, 608, 619, 627–628, 631–634, 636, 638–639, 642, 644, 646, 650, 652, 659, 1139
1286
Stichwortverzeichnis
Luftreinhalterecht 359, 631, 635, 639– 642, 659, 875, 1149 Luftreinhaltung 120–121, 137, 480, 486, 627 Memorandum 730–731 Methodik 1, 9–10, 693 Missbrauch 63, 239, 246, 254, 386, 397– 398, 402, 414, 493, 528–529, 555, 753, 804, 896, 933, 953, 987, 1140–1141, 1172 Mitwirkungsrecht 20, 162, 178, 180, 235–237, 241, 260, 275–279, 281, 287, 290, 292, 301, 366, 638, 681, 891, 924, 1135 Nachbar 46, 55–57, 63, 65, 90, 118–120, 123–124, 129, 137, 143–144, 147–148, 170–173, 197, 203–205, 228–229, 238, 320, 325, 333, 565, 677, 687, 757, 764, 773, 776–779, 781, 783–786, 789, 807–808, 821, 1036, 1134, 1156 Nachbarrecht 68, 146–147, 173, 1146 Nachbarschaft 90, 118, 120, 144, 147, 170, 203–204, 228–229, 325, 333, 677, 777–778, 784, 821–822 – ökologische 778–779 Nachbarschutz 18, 54–56, 120, 123, 134, 146, 151, 170–173, 197, 205, 777 Nachhaltige(r) Entwicklung/Erhaltung/ Schutz 377, 704–707, 710, 716–717, 733, 743, 751, 801, 809, 824, 838, 841, 845, 1041, 1043, 1050, 1058, 1060, 1127, 1141, 1153, 1168, 1170 Nachhaltigkeitsprinzip 107, 704–707, 710, 716–717, 733, 743, 751, 801, 809, 824, 838, 841, 845, 1041, 1043, 1050, 1058, 1060, 1127, 1141, 1153, 1168, 1170 Naturschützende Verbandsklage 78, 231, 235, 245, 253, 259, 264, 270–275, 289, 291, 304–306, 308, 340, 343, 347, 541, 547, 549, 551, 557, 634, 655, 662, 686, 809, 1137–1139
Naturschutzgebiet 255, 260, 265, 272, 277–278, 280, 294, 298, 306, 589, 737, 746, 806 Naturschutzrecht 18, 58, 65, 71, 79, 138, 155, 205, 227, 231, 248, 251–252, 269–270, 274, 290–291, 297, 313, 318, 322, 344–345, 350, 360, 380, 537–538, 541, 546–547, 559, 568, 583, 620, 626, 646, 653, 655–656, 665, 681 Nichtdrittschützende Normen 114, 117, 119, 123–124, 132, 139, 150, 170, 187, 199, 344, 346, 357, 577, 583, 585–586 Nichtigkeitsklage 7, 442, 448, 832–833, 836, 853–854, 856–857, 861, 864–873, 883, 886, 888, 893, 896, 897, 899–903, 905–907, 911, 917–920, 924, 926, 938–944, 947, 949, 951–952, 960–962, 968, 970, 973, 975–977, 979–982, 987, 993, 998–999, 1006, 1009, 1011–1012, 1014–1015, 1018, 1025–1026, 1029, 1033–1038, 1045–1046, 1056, 1065– 1066, 1077, 1083, 1097, 1099–1100, 1116, 1119–1122, 1124, 1132, 1159– 1162, 1165, 1167 Normenkontrolle 2, 91–92, 97, 276, 324, 329, 342, 367, 407, 409, 474, 629, 657, 665, 686, 744, 910–911, 993, 1020, 1027, 1151 Normenkontrollverfahren 138, 189, 200, 368, 405, 409–410, 412, 1020, 1136 Objektive Rechtskontrolle 3–4, 19, 27– 33, 41–42, 74, 78–80, 83, 88, 95, 97, 138, 233, 242, 244–245, 248, 251, 343, 525, 587, 650, 667, 674, 688, 691, 698–700, 732, 805, 807, 818, 832, 864, 868–869, 883, 904, 1028, 1109, 1131, 1147, 1152, 1158, 1165 Objektive Rechtswidrigkeit 90, 97, 177, 667, 669, 773, 1132 Objektives Recht 2, 4, 28–29, 31, 34, 43, 50, 67, 80, 87, 97, 235, 248, 251, 257, 274, 304, 345, 402, 570, 624, 643, 660, 676, 687, 769, 772, 820–821,879, 1027, 1152, 1155 Öffentlichkeit 24, 169, 194, 209, 212, 214–215, 217–218, 222–224, 226–228,
Stichwortverzeichnis 230–231, 255, 258, 281, 287, 330, 338, 358, 369, 380, 385, 397, 399–401, 413–414, 421, 425, 428, 443–444, 449, 469–470, 482, 484, 561, 566, 590, 600, 603–604, 609, 615, 618, 623, 625, 629, 637, 639, 641, 647–648, 663, 665, 672, 675, 679–680, 722, 735–736, 739–743, 754–756, 766, 774, 779, 804, 811, 863, 882, 889, 916, 926, 953, 955, 957–958, 964, 968, 973, 1028, 1032, 1039, 1048, 1051, 1059, 1067, 1082, 1093, 1115, 1117, 1122, 1125, 1136, 1138, 1161, 1163, 1173 – betroffene 169, 183, 190, 211, 214, 216–219, 230, 232, 255, 337, 343, 348, 355–356, 369, 383, 385, 388, 390–391, 393–395, 412, 414, 421, 424, 440, 443, 445, 453, 455–456, 465, 469, 475, 477–478, 483, 500, 511–513, 517–518, 527, 536, 565, 569–570, 573, 597, 604, 623, 639, 643, 647, 672, 674, 681, 683, 687, 805–806, 899, 967, 973, 1032, 1059, 1099, 1101, 1110, 1117, 1137, 1141, 1147, 1152, 1171 Öffentlichkeitsbeteiligung 6, 20, 179, 183, 187–188, 199, 214, 217, 220, 222, 225, 230, 282, 282, 289, 308, 328, 358, 366, 369, 371, 383, 391, 394, 400, 421, 424, 426–428, 432, 440, 442, 453, 456–457, 464–465, 469–470, 478, 482, 484, 494, 502, 523, 527, 553, 561, 569, 619, 655, 681, 726–727, 735–736, 739–741, 766, 825, 1048–1049, 1082, 1108, 1137–1138, 1143, 1167, 1171, 1173 Öffentlichkeitsmitglieder 209, 212, 220– 222, 339, 589, 597–598, 600, 603–604, 611, 614, 616, 618–620, 630, 658, 660, 672, 674–675, 681, 686, 805, 957, 970, 973, 1059, 1082, 1087, 1089, 1107, 1110–1111, 1113, 1122–1123, 1149– 1150 Offshore Windparks 277, 332, 364 Ökosystem 112, 126, 539, 561, 764, 785, 844, 880, 950, 1168 Ökozentrischer Ansatz 77, 112, 836–837
1287
Planfeststellungsbeschluss 94, 130, 149– 150, 166–167, 181–182, 191, 194–196, 198, 200–201, 240, 260–261, 264, 272, 283–286, 289, 294, 298–299, 304, 307, 319, 321–323, 326, 335–337, 347, 371, 380, 420, 438, 451, 466, 468, 496–497, 509, 520, 531, 537, 544–546, 559, 681, 1136 Plangenehmigung 181, 195–196, 236, 262, 264, 285–290, 303, 321, 327, 336, 1138 Popularklage 4, 28, 48, 71, 85, 93–96, 119, 205, 241, 245–246, 248, 251, 259, 271–272, 275, 300, 346, 478, 617, 619, 637, 639, 660, 669, 768–769, 771, 775–776, 797, 793, 797, 803, 806, 811, 815, 817, 821, 825, 878, 911, 929, 972, 1041, 1055, 1104, 1111, 1114, 1149, 1155, 1158, 1172 Präklusion 22, 66, 175, 190–191, 301, 370, 373–381, 383, 386, 390–391, 397, 400–402, 413, 451, 525, 526, 529 Präklusionsfrist 191, 380, 399, 413 Präklusionsverbot 398, 400, 414, 1140 Präklusionsvorschriften 162, 190–191, 194, 200, 301, 303, 307, 365, 367–370, 372, 374–3780, 382–388, 390, 393– 403, 413–414, 525–526, 528, 552, 555, 670, 743, 792, 809, 820, 1110, 1116, 1136, 1138, 1140–1141, 1155 Privatisierung des Gemeinwohls 244, 271, 541, 551, 824 Prozessstandschaft 76, 241, 345, 923, 927 Prüfmaßstab 28, 345, 496, 504, 1109 Qualifizierte Einrichtungen 964, 1055, 1112–1114 Querschnittsklausel 835, 837, 842 Querschnittsregelung 843–847 Rechtsakt 157, 286, 297, 305, 320, 342, 354, 378, 381, 387, 391, 448, 520, 526, 580, 589, 594–596, 598, 604 – delegierter 985, 988–989, 1010
1288
Stichwortverzeichnis
– mit Verordnungscharakter 854, 864, 866, 919, 980–987, 995–1000, 1003– 1004, 1007–1016, 1018, 1022–1023, 1029–1030, 1044, 1083, 1122, 1161 – ohne Gesetzescharakter 969, 983, 985, 097, 989–996, 999, 1009, 1017, 1019, 1023, 1026–1027, 1045, 1123, 1161– 1162 – selbstvollziehender 920, 998, 1019, 1024, 1045, 1123, 1162 Rechtsbehelf 2–3, 5–6, 9, 11, 23, 44, 66, 88, 95, 97, 107, 113, 162–164, 185, 194, 197, 214, 232, 234, 262, 276, 290–292, 294–296, 299, 301, 310–311, 319, 321, 323, 325, 327–328, 331, 333–337, 340–344, 346, 354, 356, 363, 365–366, 376, 378–382, 385, 392, 396, 399, 403–404, 406–410, 412, 415, 417, 422, 493, 496–498, 500–502, 504–505, 507, 512, 515–516, 519–520, 523–525, 527–529, 531–533, 564–566, 570–573, 576, 582, 585, 589, 599, 603, 623, 637, 640–642, 649, 651, 654–656, 660, 664–667, 670–671, 673, 678, 686, 697, 700, 722, 727, 733, 735, 738–739, 744, 746, 752, 762, 765–767, 771, 777, 780–781, 794, 815, 823, 855, 859, 862, 912, 914, 916, 918, 939–941, 944, 948, 966–967, 973, 1012, 1014, 1021, 1025, 1047, 1051, 1063, 1065, 1077, 1091– 1092, 1096, 1098, 1109, 1115, 1117, 1119, 1125, 1138, 1142, 1146–1147, 1150–1151, 1153 Rechtsbehelfsbefugnis 365, 421, 476– 477, 485 Rechtsbehelfsführer 23, 318, 396, 406, 455, 465–466, 472, 484, 529–530, 553, 1141–1144 Rechtsbehelfsverfahren 162, 324, 329, 368, 372, 381, 405, 435, 476, 506, 509, 511, 528, 531–532, 1117 Rechtsgut 17, 21, 32, 49, 57, 71, 91, 102, 118, 127, 136, 140, 145, 152, 155, 180, 205–206, 448, 459, 479–481, 486, 559, 564, 576, 642, 647, 669–670, 706–707, 710–711, 715, 752, 769–770,
780–781, 784, 786, 851, 874–875, 879, 881, 918, 965, 1040, 1144 Rechtshistorische Grundlagen 32–42, 1131 Rechtsordnung 1, 3–11, 15, 22, 25, 27– 28, 30–32, 34–35, 39, 41, 57, 60–61, 78–80, 84–85, 89, 111–112, 114, 127, 153, 176, 205, 207–208, 210–211, 229–230, 249–250, 271, 303, 314, 345, 361, 381, 386, 400, 423, 423, 428, 457, 462, 503, 505, 529, 534, 562, 571, 583–585, 587–588, 590, 592, 598, 600, 602, 606–607, 621, 631, 659, 661, 663–664, 683, 688, 691, 693–698, 706, 717, 721, 725–727, 739, 772, 774, 776–777, 779, 791–793, 795, 803–804, 806, 809, 814, 818–820, 822–824, 827, 831, 837, 852, 861, 869, 874, 907, 910, 915, 917, 920, 929, 934–935, 941, 944, 967, 998, 1020, 1027–1028, 1053, 1087, 1090, 1100, 1119–1121, 1131– 1132, 1134, 1136, 1146–1150, 1153, 1155–1160, 1165 Rechtsreflex 18, 47, 50–51, 93, 772, 821, 879 Rechtsschutzgarantie 61, 79, 81–82, 128, 170, 193, 200, 532, 696, 698–699, 728, 732, 744, 749, 806, 818, 832, 856–857, 899, 918, 1119, 1132, 1145, 1152, 1155, 1160 Rechtsschutzhindernisse 19, 24, 153, 174, 182, 188–189, 198–200, 501, 1038, 1047, 1117, 1135–1136, 1163 Rechtssicherheit 37, 55, 68, 79, 144, 190, 227, 230, 303, 305, 340, 369, 380, 382–384, 388–389, 392, 397, 402, 405, 431, 463, 473, 485, 494, 500, 505, 510, 517–518, 526, 533, 609, 624, 640, 665, 725, 815–816, 910–911, 914–915, 1116–1117, 1137, 1146, 1151 Rechtsstaat 4, 27–28, 33–34, 38, 40, 83, 129, 137, 272, 603, 678, 683, 700, 934 Rechtsstaatlichkeit 4, 9, 37–38, 1118, 1125 Rechtsstaatsgebot 245, 248, 883, 1119, 1131 Rechtsstaatsprinzip 71, 83, 700
Stichwortverzeichnis Rechtsvergleich 10–11, 42, 131, 171, 203, 688, 817–827 Rechtsverordnung 67, 120, 138, 193, 260, 292, 294, 330, 350, 352–353, 522, 697, 700, 742, 745, 759–760, 762, 767, 773, 985 Restrisiko 104, 143 Risikobewertung 116, 127, 130–131, 361, 495, 539, 960 Risikogesellschaft 9, 59, 207, 338, 674, 1042, 1173 Risikovorsorge 126–127, 130, 135–136, 140–141, 143–144 Rügebefugnis 138, 157, 255, 265, 268– 269, 311, 313, 318, 337, 344–347, 361, 364, 384, 413, 436, 521, 523–525, 559, 568, 571, 583, 667, 1109, 1116 Sachwalter 5, 48–49, 167, 218, 233, 244, 268, 274, 360, 370, 552, 562, 642, 645, 792, 808, 965 Schadensersatzklage 736, 853–854, 913, 917 Scheinrichtlinie 906, 979, 1064 Scheinverordnung 891, 900–902, 978– 980, 992, 1064 Schlussanträge 394, 396, 422, 455–456, 564, 568–570, 599, 933, 945, 1016, 1034, 1036, 1047, 1094, 1124 Schutznormtheorie 16–17, 22, 26, 43– 49, 51–52, 55, 57, 59–70, 72–74, 78– 81, 85, 89, 95–97, 113, 123, 125, 134, 145, 148, 165, 173, 202, 269, 295, 300, 311, 345, 360, 425, 480, 557, 568, 587, 658, 662, 668, 670, 684, 694, 698, 702, 733, 777, 779, 782, 820, 824–825, 873–874, 878–879, 883, 889, 965, 1027, 1029, 1131–1132, 1140, 1159 Schutzpflicht 100–102, 104, 115, 117– 120, 126–127, 129, 141, 170, 205–206, 229, 707, 782. 840–842 Schweregrad 456, 483, 677, 687, 1036, 1142 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen 319, 331, 520 Sperrgrundstücksklage 238–240
1289
Staatsrat 203, 693–694, 697, 700, 728– 730, 737–738, 742, 744–745, 747–752, 756, 758, 760, 762–763, 767–771 775– 778, 780–781, 783–791, 794–805, 807– 809, 811–814, 816–817, 820, 822, 1028, 1154–1158 Strahlenschutzrecht 138, 140, 144 Subjektives öffentliches Recht 17–18, 25, 30–31, 34–36, 38–48, 50–51, 54–55, 60–62, 65–66, 69–75, 78–80, 83–85, 89, 91, 95, 97–98, 112, 124, 137, 140, 152, 172, 190, 202, 208, 228, 232, 235, 240, 312–313, 341, 345, 435, 437, 460–461, 466–467, 475, 477, 478–481, 483, 486, 515, 554, 559, 562, 574, 642, 698, 768, 698, 749, 769, 779, 818–819, 884, 1119, 1132–1133, 1144, 1167 Subjektives Recht 4, 17, 28–27, 25, 31– 35, 39–41, 43, 45, 47–49, 51 53, 55– 56, 59, 69–70, 72, 74, 80, 84–86, 88– 89, 91–92, 95, 97, 132, 147, 171, 176, 178, 180, 185, 198, 206–207, 210, 217, 229, 240, 243–244, 260, 240, 260, 340, 461, 435, 445, 459–460, 462, 466–467, 477, 568, 621–622, 624, 639, 641–645, 648, 651, 664, 668, 675 687, 696, 699, 706–707, 733, 746, 748, 766, 769, 772, 776, 793, 812, 819, 839, 841, 856, 865, 874, 871, 874, 878, 908, 933, 1133, 1135, 1147, 1149, 1151, 1154 Subsidiarität 158, 334, 666, 838, 863, 1009, 1103, 1106, 1111 Substantiierung 140, 372, 377, 380, 384, 413–414, 1043, 1141 Tierschutz 107, 273 Transparenz 15, 421, 692, 740, 766, 1016, 1041, 1048, 1099 Treuhand 58, 62, 234, 241, 248, 251, 274–275, 305, 552,645 Übergangsvorschriften 305, 554, 1005 Überindividueller Rechtsschutz 1–3, 5, 7–8, 27, 81, 138, 174, 189, 229, 313, 487, 624–625, 660, 688, 831–832, 854,
1290
Stichwortverzeichnis
922, 942, 1100, 1132, 1146, 1149, 1153, 1168, 1171–1173 Überleitungsvorschriften 424–426, 474, 485, 505.527, 532, 1145 Überprüfungsverfahren 6, 156–157, 216–218, 220, 222–223, 327, 339, 354, 385–386, 388–389, 391, 396, 411, 443, 455, 485, 553, 566, 578–579, 598, 600–602, 607, 611, 615, 620, 625, 658, 673, 1052, 1054–1060, 1063, 1065– 1069, 1077, 1092, 1095–1096, 1110, 1112–1114, 1125, 1144 Umweltbeeinträchtigung 103, 154, 214, 257, 340, 360, 370, 493, 691, 707, 730, 769, 776–778, 783, 787, 789, 795, 807–808, 815, 821, 831, 838, 841, 847, 849, 935, 1139 Umweltbegriff 101, 693, 701–702, 733, 752, 776, 835–837, 899, 1059 Umweltbelastung 17, 54, 67, 102–103, 112, 116, 154, 173, 349, 356, 677, 684, 687, 718–719, 723, 729, 764, 778, 781, 784, 831, 1133–1134 Umweltgesetzbuch 315, 327, 535 Umwelthaftung 20, 155, 158, 251 Umweltinformation 6, 214, 217, 224, 230, 258, 358, 693, 720–721, 735, 739–741, 766, 1050 Umweltnutzung 10, 64, 66, 79, 103, 707, 896, 1132 Umweltqualität 358, 392, 512, 560, 611, 717, 835, 837–838, 840–842, 1039, 1101 Umweltrechtsschutz 1–3, 5–10, 15, 24– 27, 32, 81, 90, 144–145, 160, 164, 174, 177, 181, 183, 188–189, 191, 193, 200–201, 210, 216, 227–230, 232, 264, 272, 295, 307–309, 315–316, 318, 344, 346, 356, 413, 496, 503, 505, 519–520, 528–529, 533–534, 552–553, 555–557, 568, 572, 588, 604–605, 608–609, 618–619, 624–626, 652, 654–655, 659– 666, 671, 674, 677–678, 682, 684–688, 691, 694–695, 706, 711, 733, 735, 740, 752, 762, 765, 767–768, 783, 792–793, 804–806, 812, 814–819, 822, 824–827,
831, 833–834, 843, 850–851, 896, 921–922, 930, 963, 967, 971, 974–975, 1001, 1026–1029, 1032–1033, 1036, 1039, 1045–1046, 1048, 1089, 1107, 1110, 1116–1117, 1120–1127, 1131– 1132, 1136–1140, 1143, 1146, 1153, 1155, 1157–1160, 1162–1166, 1170– 1173 Umweltrechtsschutzdefizite 6, 8, 10, 20, 26, 70, 80–81, 309, 353, 360, 661, 740, 827, 831, 833, 850, 1001, 1098, 1124, 1135–1136 Umweltschaden 104, 153–165, 173–174, 212, 327, 522, 764, 781, 807–808, 822, 831, 972, 974, 1043, 1134, 1155–1166 Umweltschadensgesetz 154–155, 158– 165, 173–174, 327, 516, 659, 1134 Umweltschützende Verbandsklage 108, 230, 271, 300, 313, 318, 332, 340, 345, 367, 420, 519, 551, 564, 653–656, 667, 671, 676, 694–695, 793, 807, 809, 812, 822, 933, 966, 972, 1100, 1120, 1138, 1146 1156, 1160 – Anwendungsbereich 276–295 – Begründetheitsvoraussetzungen 406– 410 – Entstehung 273–276, 309–319 – Verhältnis zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage 333–337 – Zulässigkeitsvoraussetzungen 340–405 Umweltschutzniveau 610, 835, 838, 840, 842, 849, 1032 Umweltschutzvereinigungen 5–6, 20–23, 25, 118, 138–139, 255, 257–259, 300, 306–307, 311, 313, 317–318, 323–324, 326–330, 333–335, 337, 339, 342, 344–346, 348, 350–352, 354, 356, 360, 362–370, 372–375, 377–378, 384, 387– 389, 397, 399, 401, 404, 409–423, 434, 440, 443, 461, 468–469, 474–476, 485, 491–493, 499–500, 504, 511, 515, 518, 521, 536–537, 550, 552, 554–555, 562–563, 565–567, 569–577, 579, 581, 583, 585–588, 600–602, 603–604, 606, 608–610, 613–620, 623–625, 627–629, 631–633, 635–636, 638–649, 651–656,
Stichwortverzeichnis 659–660, 662–665, 667–673, 675–676, 679, 683, 686–688, 694, 795, 822–823, 833, 883, 933–934, 947, 1091–1092, 1099, 1101, 1137, 1139–1141, 1145, 1147–1152 Umweltstaatsziel 18, 105, 107–108, 112, 377, 684, 706 Umweltverträglichkeitsprüfung 18, 21, 225, 295, 298, 309, 319, 341, 349, 424–427, 432, 434, 464, 467–468, 476, 519–520, 527, 692, 726–727, 742, 810, 931, 1108, 1143 Unbeachtlichkeitsregelungen 175, 447, 471, 553, 894 Ungleichgewicht 64, 66, 79, 388, 487, 491, 499, 973, 1033, 1121, 1132, 1161 Ungleichheit 32, 963–964 Unionsrechtliche Bedenken 337–340, 354–356, 405, 407–410, 438–450, 501– 504, 509–511, 671, 805 – Konformität 24, 309, 313–314, 354, 379, 382, 384, 393, 407, 413, 417, 421, 423, 433, 452, 500, 519, 523, 533, 554–555, 558, 674, 823, 967, 1116, 1133, 1140, 1142, 1146, 1165 Unmittelbare Anwendbarkeit 576, 682, 585, 590, 598, 620 Unmittelbare Wirkung 21, 339, 345, 429, 562–563, 577, 580, 584, 589, 587–598, 602, 621, 635, 885, 650, 659, 885, 899, 1032, 1071, 1078, 1084, 1091, 1095, 1122, 1147–1148 Untätigkeitsklage 853–854, 858, 897, 987, 1055, 1057, 1065 Verbandsverletzte Verbandsklage 238– 240 Verbraucherschutz 139, 250–251, 725, 875, 1061, 1173 Verfahrensautonomie 381, 405, 428, 513, 567, 606, 616, 1117, 1126, 1160, 1164 Verfahrensfehler 18–19, 23, 168, 174– 188, 198–199, 265, 299, 318, 328, 371, 409, 424–425, 427, 429, 441, 443–447, 449–486, 489, 527–528, 533, 553–555,
1291
742, 753–756, 758–759, 767, 820, 871, 1110, 1116, 1135, 1142–1144 Verfahrensfehlerkatalog 433–434, 438, 459, 482–483, 1142 Verfahrensfehlerlehre 18, 183, 188, 409, 455, 742, 756, 758–759, 767, 820, 1154 Vergesellschaftung 153–154, 159, 164, 173, 1134 Verhältnismäßigkeit 134, 166, 171, 530, 1009, 1106 Verhältnismäßigkeitsprinzip 666, 704, 714, 732, 813, 938, 1006–1007 Verletztenklage 94, 97, 157, 238, 311, 562, 566, 571, 625, 658, 660, 675, 678, 687, 759, 818, 883, 1131, 1151–1152 Verpflichtungsklage 51, 90–92, 94, 97, 296, 328, 657, 665, 676, 687, 744, 1020, 1151 Verwaltungsakt 2, 41, 51–52, 54, 84, 89, 91, 94–97, 106, 163, 178–180, 183, 195, 197–198, 211, 233, 238, 259, 264, 267, 276, 294–295, 302–304, 318, 323, 331, 342, 366, 415, 436, 443, 460, 464, 471, 487, 489, 495, 497–499, 507, 520–522, 524, 526, 531–532, 547, 651, 657, 665, 693, 697,700, 715, 726–728, 737–738, 740, 743–746, 748–749, 751– 769, 771–776, 781, 783–786, 788–790, 794, 798, 802, 806, 811–812, 818, 820–823, 930, 998, 1051, 1054–1057, 1060–1068, 1070–1075, 1077–1079, 1084, 1090, 1097–1098, 1107, 1109– 1111, 1115–1116, 1125–1126, 1135, 1138–1139, 1142, 1145, 1155–1156, 1163–1164 Verwaltungsgerichtsbarkeit 27, 32–33, 38–40, 96–97, 243–245, 271, 535, 672, 1133 Verwaltungsverfahren 19, 22, 66, 129, 131, 157, 161, 174–177, 182–183, 188–189, 193–194, 196, 198–200, 208, 232, 268, 286, 300, 302, 321–322, 330, 339, 365–370, 375–376, 380, 384–386, 390–397, 399–400, 402, 412–414, 424– 426, 432, 439, 441, 443, 446, 451, 457, 464, 482, 485, 491, 507–508, 512,
1292
Stichwortverzeichnis
526–529, 531, 533, 554–555, 566, 589, 602, 607–609, 620, 629, 654, 670, 721, 743, 752, 754–759, 767, 769, 792, 809, 820, 871, 891, 924m 926, 1042, 1104, 1107, 1111, 1135–1136, 1141, 1145– 1146, 1154 Vogelschutzgebiet 236, 278, 294–295, 609 Vollzugsakt 190, 866, 886, 888, 897– 898, 919–920, 999, 1014, 1019, 1024, 1046, 1123, 1162 Vollzugsdefizit 5, 15–16, 126, 161, 183, 232, 241, 244, 252, 257, 273–275, 281, 306–307, 551, 561–562, 571, 624, 655, 663, 674, 686, 1031, 1104 Vollzugskontrolle 549–550, 825, 968 Vorabentscheidungsverfahren 861–862, 866, 913, 916, 918, 946, 966–967, 1014, 1022, 1025, 1121 Vorlagebeschlüsse 345, 393, 422, 451, 509, 557–558, 563, 576, 881, 1101, 1147, 1165 Vorläufiger Rechtsschutz 195, 223, 280, 287, 342, 496, 499–500, 504, 541, 543, 765, 858, 914, 1144 Vorsorgepflicht 116, 118, 120, 126–127, 133–135, 1110 Waffengleichheit 254, 271, 370, 487, 493–494 Wasserrecht 75, 38, 146–149, 155, 173, 193, 262, 292, 306, 313, 320, 325–326, 350, 359, 404–405, 468, 559, 568, 1134 Wettbewerbsrecht 891, 902, 917, 920, 965, 990, 1037, 1067 Widerspruch bzw. Widerspruchverfahren 163–164, 183, 193, 195–197, 200–201, 296, 303, 328, 341, 366, 403, 524, 526, 736–738, 752, 766, 1056, 1058, 1096, 1113, 1136 Willenstheorie 34–35
Wirtschaft bzw. Wirtschaftlichkeit 2, 4, 9, 15, 37, 62–63, 66–67, 75, 79, 111, 181, 189, 192–193, 197, 200, 207, 239, 266, 285, 297, 304, 313, 348, 430, 472, 517–518, 534, 702–703, 705, 707, 710, 716, 726, 730, 763, 775, 785, 793, 801, 807, 813, 818, 844, 887, 889, 891–893, 895, 904, 923, 931, 938, 949–951, 959, 1008, 1103–1104, 1120, 1146, 1153, 1169–1170, 1173 Wirtschaftsinteresse 2, 4, 67, 93, 110, 181–182, 199, 342, 725, 734, 878, 926, 961, 963–965, 973, 1032, 1047, 1052, 1121, 1135, 1151, 1153, 1171 Wirtschaftsrecht 254, 271, 705, 926, 1120–1121, 1160 Wirtschaftsteilnehmer 890–893, 901, 904, 906–907, 926, 939, 943, 958–959, 964–965, 1007, 1014, 1074,1079, 1085, 1121 Wirtschaftsverwaltungsrecht 46, 131, 207, 745, 750 Zersplitterung 344, 502, 654, 665 Zivilgesellschaft 216, 230, 494, 741 Zugang zu Gerichten 2, 6, 8, 20, 209, 211, 214, 216, 218–219, 221, 223, 225, 228, 230–231, 314, 333, 335, 343, 348, 355, 358, 383, 390, 392, 397, 412, 421, 430, 452–455, 461, 463, 465, 482–483, 494, 500, 502, 505, 511, 513, 517, 523, 529, 552, 554, 565–568, 573, 586, 604, 609, 613, 616–618, 636, 647, 660, 663, 672, 675, 679, 683, 686, 722, 740, 766, 779–780, 805, 825, 833, 889, 960, 968, 970, 973, 1021, 1039, 1047–1050, 1052, 1055, 1082, 1095, 1099–1103, 1107, 1110–1111, 1116–1117, 1122, 1126–1127, 1137, 1142, 1145, 1149, 1150, 1162, 1164 Zulassungsberufung 192, 200 Zurechnung von Umweltschäden 153– 154, 159, 164, 173, 1134