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German Pages 295 Year 2013
Schriften zur Rechtstheorie Band 267
Die Theorie des Rechtserzeugerkreises Eine rechtstheoretische Untersuchung des Verhältnisses von Völkerrecht zu Staatsrecht am Beispiel der österreichischen Rechtsordnung
Von Lando Kirchmair
Duncker & Humblot · Berlin
LANDO KIRCHMAIR
Die Theorie des Rechtserzeugerkreises
Schriften zur Rechtstheorie Band 267
Die Theorie des Rechtserzeugerkreises Eine rechtstheoretische Untersuchung des Verhältnisses von Völkerrecht zu Staatsrecht am Beispiel der österreichischen Rechtsordnung
Von Lando Kirchmair
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, Wien, und der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg.
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg hat diese Arbeit im November 2012 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-14177-7 (Print) ISBN 978-3-428-54177-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84177-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Öffentliches Recht – Völkerrecht an der Paris-Lodron-Universität Salzburg entstanden ist. Meiner ehem. Chefin und akademischen Lehrerin, Univ.-Prof. Dr. Kirsten Schmalenbach, bin ich für Ihre wertvollen Ratschläge und Ihre stete Ermunterung, meine Dissertation voranzubringen, zu großem Dank verpflichtet. Nicht minder lehrreich waren die verschiedensten Aufgaben, die ich während meiner Zeit an Ihrem Lehrstuhl überantwortet bekam. Ohne Ihre Unterstützung wäre diese Arbeit weder entstanden, noch hätte sie in der vorliegenden Form beendet werden können. Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin bin ich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens zu Dank verpflichtet. Seine messerscharfe Kritik und die gleichzeitige Bereitschaft zur Diskussion während der Vorbereitung zur Drucklegung dieser Arbeit waren trotz oder gerade wegen unterschiedlicher Auffassungen in vielerlei Hinsicht äußerst stimulierend sowie fordernd und fördernd. Univ.-Prof. Dr. Michael Thaler möchte ich an dieser Stelle nicht nur für seine wunderbare Rolle des Advocatus Diaboli bei diversen Präsentationen und schriftlichen Ausfertigungen meiner Dissertation meinen Dank aussprechen. Darüber hinaus war er stets bemüht, seine schützende Hand über meine heranreifenden Gedanken zu halten. Univ.-Prof. Dr. Michel Verpeaux danke ich für die großzügige Einladung zum „Rencontres Internationales Université de Salzbourg-Université Paris 1“ an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne. Die Präsentation theoretischer Ausschnitte aus meiner im Entstehen begriffenen Arbeit und deren kritische Diskussion haben so manchen Gedanken in der vorliegenden Arbeit geprägt. Kritische Kommentare u. a. von Univ.-Prof. DDr. Otto Pfersmann, dem ich dafür gleichzeitig meinen Dank aussprechen möchte, sind dabei besonders in Erinnerung geblieben. In diesem Zusammenhang dürfen auch Dissertantenseminare an der Paris-Lodron-Universität Salzburg nicht ungenannt bleiben. Die stete Aufforderung und Ermöglichung der Diskussion von Gedanken zum Dissertationsvorhaben in Dissertantenseminaren von Univ.-Prof. Dr. Kirsten Schmalenbach, Univ.-Prof. Dr. Michael Thaler und Univ.-Prof. Dr. Michael Geistlinger haben das Vorhaben ungemein bereichert. Herzlichst danken möchte ich ebenso Mag. Thomas Rauter, Mag. Alexander Brenneis und Mag. Robert Kogler, die mir nicht nur zahlreiche un-
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Vorwort
gemein wertvolle Kommentare zum Manuskript zuteilwerden ließen. Ihr Einfluss durch interessante und fordernde Diskussionen sowie die entstandene Freundschaft, die sich während der Zeit am Institut entwickelt hat, sind auch dieser Arbeit nicht verborgen geblieben. Weiters schulde ich em. Univ.-Prof. Dr. Wolfram Karl, LL.M (Cambridge) großen Dank dafür, dass er sich nicht nur mehrfach mit verschiedensten Ausführungen meinerseits auseinandergestzt hat, sondern mir auch seine großzügige Unterstützung während und nach meiner Zeit in Salzburg zuteilwerden ließ. Ebenso danke ich Univ.-Prof. Dr. Stephan Kirste für wertvolle Diskussionen sowie Unterstützung und Motivation. Univ.-Prof. Dr. Benjamin Kneihs, Ass.-Prof. Dr. Ulrike Brandl, Mag. Thomas Horvath und Mag. Dr. Rainer Palmstorfer, LL.M (McGeorge) möchte ich großen Dank für Ihre Auseinandersetzung mit diversen Ausschnitten meiner Dissertation aussprechen. Auch sie haben durch Ihr kritisches Feedback wesentlich zur vorliegenden Arbeit beigetragen. Bei Dr. Barbara Gabl möchte ich mich besonders für das Korrekturlesen der Arbeit bedanken. Der Paris-Lodron-Universität Salzburg bin ich im Allgemeinen für fruchtbarste Rahmenbedingungen und im Speziellen für die Anerkennung eines Forschungsstipendiums zu Dank verpflichtet. Der Österreichischen Forschungsgemeinschaft sowie der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg sei Dank für die großzügige Unterstützung bei der Bewältigung des Druckkostenzuschusses ausgesprochen. Dem bzw. der anonymen GutachterIn danke ich für wertvolle Hinweise. Herrn Dr. Florian R. Simon, LL. M. (Cornell) und dem ganzen Team vom Verlag Duncker & Humblot sei für die großartige Betreuung herzlich gedankt. Trotz dem ausgesprochenen Dank und der großartigen Unterstützung die mir zuteilwurde, soll – wenn auch deklaratorisch, da dem Naturell einer Dissertation innewohnend – nochmals klargestellt werden, dass alle verbliebenen Fehler und womöglich provokante Ideen allein in meiner Verantwortung verbleiben. Den größten Dank den ich aussprechen möchte, der zugleich nur schwer in Worte gefasst werden kann, richtet sich an meine Mutter Evi KirchmairKrismer und an meinen Vater Dipl.-Vw. Gerhard Kirchmair, welche mich während meiner gesamten Studienzeit bedingungslos unterstützt und mir durch Ihre Erziehung den bis dato eingeschlagenen Weg erst ermöglicht haben. Salzburg/Straßburg, im April 2013
Lando Kirchmair
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Monismus vs. Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ziel und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rezeptionstechniken und deren Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inkorporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die (unmittelbare) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schlichte Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individualisierende Norm des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abhandlung des Rechtsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prolegomena zur Definition des Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . c) Definition des Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Recht und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Recht und Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Recht, Moral und soziale Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsquelle und Hierarchie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Rechtserzeugerkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Was ist ein Rechtserzeugerkreis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konflikte zwischen unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen . . . . c) Die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlagen der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises bb) Rechtsfolge bei Bruch der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verbindung zwischen den Rechtserzeugerkreisen bei übereinstimmenden Mitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Begriff der Rechtsordnung und der Rechtserzeugerkreis . . . . e) Der Staat als besondere Form des Rechtserzeugerkreises . . . . . . . f) Der Stufenbau der Rechtsordnung und der Rechtserzeugerkreis . .
34 34 34 35 38 40 41 42 43 45 46 46 46 48 58 61 65 66 68 72 72 74 78 78 83 84 86 89 92
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Inhaltsverzeichnis aa) bb) cc) dd)
Die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . Die Lehre vom Stufenbau und die nationale Rechtsordnung . Die Lehre vom Stufenbau und die EU Rechtsordnung . . . . . . Die Lehre vom Stufenbau und die völkerrechtliche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Europäische Union und der Rechtserzeugerkreis . . . . . . . . . . . . h) Das Völkerrecht und der Rechtserzeugerkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Der Rechtserzeugerkreis vs. Dualismus und Monismus . . . . . . . . . 3. Relativität der Größe des Rechtserzeugerkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Psychologische Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unmittelbare Anwendbarkeit als absolute Konstante . . . . . . . . . . . . a) Die unmittelbare Anwendbarkeit kraft Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . b) Identifikation der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Interpretation des völkerrechtlichen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . cc) Vertragsänderung durch spätere (Spruch-)Praxis . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die unmittelbare Anwendbarkeit im Lichte nicht vertraglicher Völkerrechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die „Auflösung“ der Rechtsanwenderperspektive oder die Individualisierung im internationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Praktische Anwendung am Beispiel der österreichischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Rechtserzeugerkreis vs. Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die österreichische Rechtsordnung . . 1. Ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehung von ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wirkung von ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ius cogens und die österreichische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . 2. Der völkerrechtliche Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wirkung des völkerrechtlichen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Der völkerrechtliche Vertrag und die österreichische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zuständigkeit nach dem B-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der Lehre der fiktiven „Identität“ der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtssatzform des Staatsvertrages in der österreichischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . dd) Die innerstaatlichen Ermächtigungsnormen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Das österreichische Spezifikum des Erfüllungsvorbehaltes . . ff) Die Kontrolle des VfGH von potentiell verfassungswidrigen völkerrechtlichen Verträgen gem. Art. 140a B-VG . . . . . . . . . 3. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehung des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wirkung des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Völkergewohnheitsrecht und die österreichische Rechtsordnung. . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zuständigkeit nach dem B-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der Lehre der Rezeption von Völkergewohnheitsrecht in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung . . dd) Art. 9 Abs. 1 B-VG als innerstaatliche Ermächtigungsnormen zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . 4. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehung der allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . cc) Wirkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Rechtsgrundsätze und die österreichische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zuständigkeit nach dem B-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Begründung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen? . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einseitige Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehung einseitiger Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wirkung einseitiger Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einseitige Rechtsgeschäfte und die österreichische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis bb) Zuständigkeit nach dem B-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der Lehre der einseitigen Rechtsgeschäfte als selbständige Rechtssatzform des österreichischen Rechts . . . . . . . dd) Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Begründung einseitiger Rechtsgeschäfte im Völkerrecht . . . . . . . . . . . 6. Rechtsakte internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehung der Rechtsakte von internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wirkung der Rechtsakte von internationalen Organisationen . b) Rechtsakte internationaler Organisationen und die österreichische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zuständigkeit nach dem B-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der Lehre der Rezeption von Rechtsakten internationaler Organisationen in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Art. 9 Abs. 2 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen mit Rechtssetzungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU gem. Art. 50 Abs. 1 Z. 2 B-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 242 244 245 245 245 250 252 253 253 255
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257 259
C. Zusammenfassende Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
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anderer Ansicht Absatz Archiv des Völkerrechts Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung American Journal of International Law American University International Law Review Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Annuaire Suisse de Droit International Australian Yearbook of International Law Archiv für Völkerrecht Band Bundesgesetzblatt Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrats British Yearbook of International Law beispielsweise (österreichisches) Bundesverfassungsgesetz Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle Columbia Journal of Transnational Law Cornell International Law Journal das heißt Document deutsch Duke Journal of Comparative & International Law Duke Law Journal Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention European Society of International Law et alii Europäische Union Europäisches Gericht
12 EuGH European JIL European RPL FS German YIL GG GRUR Int GS Harvard ILJ HFR Hrsg. ibid. ICJ ICJ Rep. ICLQ ICTY id. i. d. F. i. d. R. i. e. S. IGH ILC Indian JIL insbes. IRRC Isreal LR Italian YIL i. V. m. i. w. S. JBl. JRP JWT JZ Leiden JIL Lfg. LGDJ m. a. W. Michigan JIL MLR
Abkürzungsverzeichnis Gerichtshof der Europäischen Union European Journal of International Law European Review of Private Law Festschrift German Yearbook of International Law Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gedächtnisschrift Harvard International Law Journal Humboldt Forum Recht Herausgeber ibidem International Court of Justice International Court of Justice Reports International and Comparative Law Quarterly International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia idem in der Fasssung in der Regel im engeren Sinn Internationaler Gerichtshof International Law Commission Indian Journal of International Law insbesondere International Review of the Red Cross Israel Law Review Italian Yearbook of International Law in Verbindung mit in weiterem Sinn Juristische Blätter Journal für Rechtspolitik Journal of World Trade Juristenzeitung Leiden Journal of International Law Lieferung Librairie Génerale de Droit et de Jurisprudence mit anderen Worten Michigan Journal of International Law Modern Law Review
Abkürzungsverzeichnis MPEPIL m. w. N. Netherlands ILR New York University JILP n. F. NJW Nordic JIL Northwestern University LR NYU Rev. L&SC ÖBl.
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Max Planck Encyclopedia of Public International Law mit weiteren Nachweisen Netherlands International Law Review New York University Journal of International Law and Politics neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Nordic Journal of International Law
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Yale LJ YILC Z. ZaöRV ZfRV ZÖR ZRPhil ZSR z. T.
Abkürzungsverzeichnis Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen Yale Law Journal Yearbook of the International Law Commission Ziffer Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtsphilosophie Zeitschrift für schweizerisches Recht zum Teil
Fallverzeichnis (Ständiger) Internationaler Gerichtshof StIGH, Exchange of Greek and Turkish Populations, Gutachten vom 21. Februar 1925, Series B, Nr. 10. StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, Gutachten vom 3. März 1928, Series B, Nr. 15. StIGH, Rights of Minorities in Upper Silesia (Minority Schools), Urteil vom 26. April 1928, Series A, Nr. 15. IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Rep. (1949) 174. IGH, Asylum Case (Columbia vs. Peru), Urteil vom 20. November 1950, ICJ Rep. (1950) 266. IGH, Fisheries Case (United Kingdom vs. Norway), Urteil vom 18. Dezember 1951, ICJ Rep. (1951) 116. Separate Opinion von Richter McNair, in: IGH, International Status of South-West Africa, Gutachten vom 11. Juli 1950, ICJ Rep. (1950) 128. IGH, Right of Passage over Indian Territory, Merits, Urteil vom 12. April 1960, ICJ Rep. (1960) 6. IGH, South West Africa Cases (Ethiopia vs. South Africa; Liberia vs. South Africa) Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Rep. (1966) 6. Dissenting Opinion von Richter Tanaka, in: IGH, South West Africa Cases (Ethiopia vs. South Africa; Liberia vs. South Africa (Second Phase), Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Rep. (1966) 6. IGH, North Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany vs. Denmark; Federal Republic of Germany vs. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, ICJ Rep. (1969) 3. Separate Opinion Richter Fitzmaurice, in: IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium vs. Spain) (New Application: 1962), Urteil vom 5. Februar 1970, ICJ Rep. (1970) 64. IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. (1974) 253. IGH, Nuclear Tests (New Zealand vs. France) Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. (1974) 457. IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. United States), Merits, Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. (1986) 14.
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Separate Opinion von Richter Singh, in: IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Merits), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. (1986) 151. IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua vs. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. (1988) 69. IGH, Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador/Honduras: Nicaragua intervening), Urteil vom 11. September 1992, ICJ Rep. (1992) 3. Separate Opinion von Richter Lauterpacht, in: IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina vs. Serbia and Montenegro) (Further Requests for the Indication of Provisional Measures), Order vom 13. September 1993, ICJ Rep. (1993) 407. IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. (1996) 66. IGH, Avena and Other Mexican Nationals (Mexico vs. United States of America), Urteil vom 31. März 2004, ICJ Rep. (2004) 12. IGH, LaGrand (Germany vs. USA), Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Rep. (2001) 466. IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. (1996) 226. Dissenting Opinion Richterin Higgins, in: IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. (1996) 583. IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002) (Democratic Republic of the Congo vs. Rwanda), Urteil über die Jurisdiktion und Zulässigkeit vom 3. Februar 2006, ICJ Rep. (2006) 6. IGH, Request for Interpretation of the Judgment of 31 March 2004 in the Case Concerning Avena and Other Mexican Nationals (Mexico vs. United States of America) (Mexico vs. United States of America), Urteil vom 19. Januar 2009, ICJ Rep. (2009) 3. IGH, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea vs. Democratic Republic of the Congo), Urteil vom 30. November 2010. IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany vs. Italy: Greece Intervening), Urteil vom 3. Februar 2012. IGH, Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Belgium v. Senegal), Urteil vom 20. Juli 2012.
Völkerstrafrechtliche Tribunale Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, Nuremberg, 14 November 1945 – 1 October 1946, Bd. I [Abrufbar unter http://www. loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/NT_Vol-I.pdf Stand März 2012]. ICTY, Prosecutor vs. Delalic et al., TC, Urteil vom 16. November 1998, IT-96-21. ICTY, Prosecutor vs. A. Furundzija, TC, Urteil vom 10. Dezember 1998, IT-95-17/1.
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ICTY, Prosecutor vs. Kunarac et al., TC, Urteil vom 22. Februar. 2001, IT-96-23, IT-96-23/1. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR, Tyrer vs. the United Kingdom, Urteil vom 25. April 1978, Beschwerde Nr. 5856/72. EGMR, Ely Ould Dah vs. France, Zulässigkeitsentscheidung vom 17. März 2009, Beschwerde Nr. 13113/03 16. Gerichtshof der Europäischen Union EuGH, Van Gend & Loos, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. C 26/62, Slg. 1963, 3. EuGH, Costa/ENEL, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251. EuGH, Internationale Handelsgesellschaft, Urteil vom 17. Dezember 1970, Rs. C 11/70, Slg. 1970, 1125. EuGH, Simmenthal II, Urteil vom 9. März 1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629. EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation, Urteil vom 3. September 2008, verb. Rs. C-402/05P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351. EuGH, Bank Melli Iran, Urteil vom 16. November 2011, Rs. C-548/09 P, Slg. 2011. Nationale Gerichte Deutschland BVerwG, Urteil vom 29. April 2009, Az 6 C 16.08. Österreich OGH, Entscheidung vom 20. Februar 1986, 7Ob1/86. OGH, Entscheidung vom 15. Dezember 1998, 11Os139/98. OGH, Entscheidung vom 12. Juli 2007, Bsw74613/01. OGH, Entscheidung vom 26. August 2008, 17Ob18/08h. OGH, Entscheidung vom 30. September 2008, 1Ob225/07f. VfGH, Erkenntnis vom 10. Januar 1931, VfSlg. 1375, Slg. Bd. 10, 193. VfGH, Erkenntnis vom 24. Juni 1954, Slg. 2680. VfGH, Erkenntnis vom 18. Juni 1960, VfSlg. 3.741, Slg. Bd. 25, 246. VfGH, Erkenntnis vom 27. Mai 1961, VfSlg. 3.950, Slg. Bd. 26, 214.
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Fallverzeichnis
VfGH, Erkenntnis vom 14. Oktober 1965, VfSlg. 5.102, Slg. Bd. 30, 628. VfGH, Erkenntnis vom 14. Dezember 1974, VfSlg. 7.448, Slg. Bd. 39, 425. VfGH, Erkenntnis vom 27. Juni 1975, VfSlg. 7.608, Slg. Bd. 40, 603. VfGH, Erkenntnis vom 26. Januar 1978, VfSlg. 8233/1978, Slg. Bd. 43, 16. VfGH, Erkenntnis vom 15. Oktober 1987, VfSlg. 11.508. VfGH, Erkenntnis vom 12. Dezember 1987, VfSlg. 11.585/1987. VfGH, Erkenntnis vom 01. März 1990, VfSlg 12.281. VfGH, Erkenntnis vom 30. November 1990, VfSlg. 12.558. VfGH, Erkenntnis vom 4. Dezember 2000, VfSlg. 15.970. VfGH, Beschluss vom 30. September 2008, VfSlg. 18.576. VfGH, Beschluss vom 11. März 2009, VfSlg. 18.740. VfGH, Erkenntnis vom 2. Juli 2009, B559/08. VfGH, Beschluss vom 12. Juni 2010, SV1/10. VfGH, Beschluss vom 27. September 2010, SV2/10. VfGH, Erkenntnis vom 14. März 2012, U 466/11, U 1836/11. VwGH, Erkenntnis vom 29. Januar 1991, VwSlg. 13.373 A/1991. VwGH, Erkenntnis vom 2. Juli 1992, 91/16/0077. VwGH, Erkenntnis vom 2. Juli 1998, VwSlg. 14.941 A/1998. VwGH, Erkenntnis vom 8. Juni 2005, 2004/03/0116. Vereinigte Staaten von Amerika US Supreme Court, Foster vs. Neilson, Urteil vom Januar 1829, 27 U.S. (2 Pet.) 253, 314 (Marshall, C.J.). US Supreme Court, Sanchez-Llamas vs. Oregon, Urteil vom 28. Juni 2006, 548 US 331. US Supreme Court, Medellin vs. Texas, Urteil vom 25. März 2008, No. 06-984.
Einleitung I. Thema Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, folgende Frage zu erörtern: Hat es das nationale Recht in seinen Händen, welche Wirkung das Völkerrecht in der nationalen Rechtsordnung entfaltet? Das Thema des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht, bekannt auch unter dem Titel Völkerrecht und Landesrecht, kann wohl zweifelsohne als juristischer Dauerbrenner bezeichnet werden. Seit der Existenz des internationalen Rechts galt es schon das Verhältnis zum nationalen Recht herzustellen bzw. zu (er)klären. Viele unterschiedliche Theorien wurden entwickelt, um die komplexen und umstrittenen Beziehungen des Verhältnisses von Völkerrecht zu Staatsrecht grundlegend erklären zu können. Dementsprechend wurden im Sinne diverser Theorien viele Begriffe okkupiert. Ein Umstand, der es heutzutage erschwert, auch nur einen kurzen Themenabriss neutral zu verfassen, ohne sich an eine bestimmte Theorie anzulehnen. Bezeichnungen, wie Rezeption, Inkorporation, Adoption und Transformation können nur schwerlich unvorbelastet einer Ausführung zu Grunde gelegt werden. Selbst beim Begriff der Rechtsordnung ist Vorsicht geboten, um nicht zugleich als ein Verfechter dieser oder jener Lehre gebrandmarkt zu werden. Die Begriffsverwendung „der Rechtsordnung“ oder „der Rechtsordnungen“ sagen hierüber unbedacht schon sehr viel aus. Gleichzeitig ist es aber ebenso wenig angebracht, mit den Stimmen derer, die des Streits überdrüssig sind, zu sagen, der langanhaltende und tiefschürfende Diskurs sei künstlich und führe an der Realität vorbei.1 Nicht zuletzt die voranschreitende 1 G. G. Fitzmaurice, The general principles of international law considered from the standpoint of the rule of law, 92 RdC Bd. II (1957), 1 (71), bezeichnete den Diskurs als „unreal, artificial and strictly beside the point“ und behauptete darüber hinaus (71 f.): „In the same way it would be idle to start a controversy about whether the English legal system was superior to or supreme over the French or viceversa, because these systems do not pretend to have the same field of application.“ Dies fortführend H. Keller, Rezeption des Völkerrechts (2003), 6 ff. Kritik an dieser Geringschätzung des theoretischen Hintergrunds des Verhältnisses von Völkerrecht zu Staatsrecht ließ aber nicht lange auf sich warten. Siehe dafür S. Griller, Völkerrecht und Landesrecht in: R. Walter/C. Jabloner/K. Zeleny (Hrsg.), Hans Kelsen und das Völkerrecht – Ergebnisse eines internationalen Symposiums in Wien (2004), 83 (84, insbes. Fn. 3).
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Einleitung
„Globalisierung des Rechts“2, von einigen Autoren bereits als die „Konstitutionalisierung des Völkerrechts“3 umschrieben, zeigt die aktuelle und in Zukunft weiter zunehmende Brisanz des Themas. Die Europäische Union ist gestützt auf völkerrechtliche Verträge, die tief in und durch das nationale Rechtssystem ihrer Mitgliedstaaten (ein)wirken. Ähnliche Entwicklungen sind für andere regionale und internationale Organisationen zumindest zukünftig vorstellbar. Auch die zunehmende Entwicklung des Völkerstrafrechts zeigt die Interdependenz von internationalem und nationalem Recht. Die aktuelle Praxis im UN-Sicherheitsrat weist schlussendlich ebenfalls die erhöhte Einwirkung von internationalem Recht in nationale Souveränitätsrechte aus. Beispiele dafür sind u. a. die Sicherheitsratsresolutionen 1970 und 1973 bezogen auf Libyen und anderer Staaten,4 wie generell Sicherheitsratsresolutionen, die so genannte Asset Freeze Maßnahmen zur Terrorismus-bekämpfung zum Ziel hatten.5 Die Wirkung dieser Sicherheitsratsresolutionen in den nationalen Rechtssystemen der UN-Mitgliedstaaten dreht sich ebenfalls direkt um die Frage des Verhältnisses von Völkerrecht zu Landesrecht.6 Weitere Beispiele hierzu könnten nahezu beliebig fortgesetzt werden.
II. Monismus vs. Dualismus Wohl keine andere juristische Fragestellung hat die zwei Begriffe Monismus und Dualismus für sich derart in Anspruch genommen, wie es die des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht getan hat. Die Be2 Vgl. für eine solche Bezeichnung J.-B. Auby, Globalisation et droit public, 14 European RPL (2002), 1219 (1219): „De tous les phénomènes qui ont affecté l’évolution de nos systèmes juridiques à la fin du siècle dernier, et qui détermineront le cours de leur évolution pendant celui-ci, la globalisation est l’un des plus importants: c’est probablement même le plus important.“ Siehe auch A. Peters, The globalization of state constitutions, in: J. Nijman/A. Nollkaemper (Hrsg.), New perspectives on the divide between national and international law (2007), 251 ff.; vgl. ebenso D. J. Bederman, Globalization and international law (2008). 3 Siehe dafür grundlegend A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft (1926); wie kürzlich J. Klabbers et al. (Hrsg.), The constitutionalization of international law (2009); und neuerdings T. Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht – Konstruktion und Elemente einer idealistischen Völkerrechtslehre (2012). 4 Siehe UN Doc. S/RES/1970 vom 10. März 2011 wie UN Doc. S/RES/1973 vom 17. März 2011. 5 Siehe dazu UN Doc. S/RES/1267 (1999), vom 15. Oktober 1999 wie UN Doc. S/RES/1333 (2000), vom 19. Dezember 2000. Vgl. dazu überblicksartig T. Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – Das Sanktionsregime gegen die Taliban und Al-Qaida vor dem Hintergrund des Rechts der VN und der Menschenrechte (2007). 6 Siehe dazu unten A.II.2.h) und insbes. Fn. 230.
II. Monismus vs. Dualismus
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griffe haben in ihrer sprachlichen Bedeutung gemeinsam, dass sie auf ein bestimmtes System bzw. eine gewisse Ordnung abzielen. Der eine Begriff kennt eine (mono) und der andere zwei (dual) Ordnungen des Rechts, in dem nunmehr seit Jahrhunderten andauernden Diskurs. Bereits diese Gemeinsamkeit zeigt aber deutlich die theoretischen Divergenzen dieser Theorien. Dualisten vertreten die Sichtweise von zwei voneinander zu unterscheidenden, unabhängigen Rechtsordnungen des Völkerrechts wie des Landesrechts.7 Dies wurde mit der Phrase von Heinrich Triepel begründet, welche besagt: „Völkerrecht und Landesrecht sind nicht nur verschiedene Rechtstheile, sondern auch verschiedene Rechtsordnungen. Sie sind zwei Kreise, die sich höchstens berühren, niemals schneiden.“8 Diese Trennung basiert auf der Annahme, dass Völkerrecht und nationales Recht aus verschiedenen Rechtsquellen fließen, was zwangsläufig zu unterschiedlichen Rechtsordnungen mit unterschiedlichen Geltungsgründen führen müsse.9 In weiterer Folge schließe dies sogar die theoretische Möglichkeit eines identen Inhalts wie identer Adressaten beider Rechtsordnungen aus,10 was zugleich zur Negation eines wie auch immer gearteten Normkonflikts zwischen internationalem und nationalem Recht führe.11 Konsequenterweise vermag somit weder internationales nationalem oder auch nationales internationalem Recht zu derogieren.12 Das hat zur Folge, dass internationales Recht auf irgendeine Weise in nationales Recht umgewandelt, in der Sprache der Dualisten „transformiert“ werden muss, um auf der innerstaatlichen Ebene wirksam zu sein.13 Völkerrecht an sich könne nämlich nur Verpflichtungen für Staaten, aber nie für Individuen generieren.14 Diese radikale Position wich im 7
Als Vertreter des Dualismus muss erwähnt werden H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899), 8 f.; siehe des Weiteren D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts I: Einführung – Allgemeine Lehren, vom Verfasser durchgesehene und autorisierte Übertragung nach der 3., erweiterten und revidierten italienischen Auflage von C. Bruns und K. Schmid (1929), 36, 45 ff.; wie auch W. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht – Theoretische und dogmatische Untersuchungen über die Anwendung völkerrechtlicher Normen in der Bundesrepublik Deutschland (1967), 158; vgl. für einen Überblick C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren (2003), 80 ff. 8 H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 7), 111. 9 D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 38 f. 10 H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 7), 9, 11, 228 f.; D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 41 f. 11 H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 7), 254 ff.; D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 42. 12 H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 7), 257 f.; D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 38. 13 D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 41, 45 f. 14 H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 7), 228 f., 119 f., 271; D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 41 ff.; vgl. aber auch G. A. Walz, Völkerrecht und staatliches Recht – Untersuchung über die Einwirkungen des Völkerrechts auf das innerstaatliche Recht
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Einleitung
Laufe der Zeit einem gemäßigten Dualismus, welcher bspw. eine Interpretation der nationalen, transformierten Norm anhand der ursprünglichen internationalen Norm zulässt.15 Grundsätzlich wird aber am theoretischen Fundament der Trennung beider Rechtsordnungen nicht gerüttelt. Monisten gehen dementgegen von einer einheitlichen rechtlichen Weltordnung, m. a. W. einer einzigen Rechtsordnung aus.16 Freilich mussten sich Monisten der Frage stellen, ob nun die souveränen Staaten oder eben doch das Völkerrecht die Spitze dieser einen Rechtsordnung ziert. Die zentrale Frage ist, welches Recht im Konfliktfall Vorrang haben soll. Die so bezeichnete Primatfrage entzweite die monistische Lehre zunächst zum einen in den Monismus mit Primat, also Diktion des Landesrechts17 und zum anderen in den Monismus mit Primat des Völkerrechts18. Eine Entscheidung, die sich im Grunde schon aus der Begriffswahl ergibt, kann doch nicht ein einheitliches weltumspannendes System von knapp zweihundert verschiedenen Nationalstaaten von diesen jeweils souverän, also möglicherweise unterschiedlich diktiert werden.19 Dies führte dazu, dass der Monismus mit (1933), 238 f., welcher als so genannter gemäßigter Dualist bereits 1933 die Unmöglichkeit der direkten Interaktion zwischen Völkerrecht und Individuen als in dieser Zeit gegeben, aber nicht als theoretische Unmöglichkeit ansah. Walz schlug sogar eine Unterscheidung zwischen an Staaten und an Individuen gerichtetes Völkerrecht vor (242–244). 15 D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 41; G. A. Walz, Völkerrecht (Fn. 14), 239; vgl. dazu auch allg. K. Schmalenbach, Article 27, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 33. 16 Als Vertreter des Monismus gelten v. a. H. Krabbe, Die moderne Staatsidee2 (1919, Neudruck von 1969); L. Duguit, Souveraineté et liberté (1922); G. Scelle, Précis de droit des gens: Principes et systématique, Bd. I Introduction, le milieu intersocial (1932); H. Kelsen, Les rapports de système entre le droit interne et le droit international public, 14 RdC Bd. IV (1926), 231 (299); A. Verdross, Le fondement du droit international, 16 RdC Bd. I (1927), 247 (287); für weitere Vertreter siehe C. Amrhein-Hofmann, Monismus (Fn. 7), 152 ff. 17 Als Vertreter des Monismus mit Primat des Landesrechts gelten G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), §330 ff.; A. Décencière-Ferrandière, Considerations sur le droit international dans ses rapports avec le droit de l’état, 40 RGDIP (1933), 45 (64 ff.); G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge (1880), 7, 40 aber schon widersprüchlich auf 45. Als aktuellen Vertreter dieses Konstrukts siehe R. Pfeffer, Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht – Eine kritische Betrachtung alter und neuer Lehren unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (2009), 116 siehe aber auch widersprüchlich dazu 86 f. 18 Als Vertreter des Monismus mit Primat des Völkerrechts siehe die in Fn. 16 bezeichneten Autoren (exkl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), 339 ff., der die Unterscheidung zwischen den beiden monistischen Varianten schlußendlich als eine politische Entscheidung bezeichnet); siehe aber Fn. 20. 19 Siehe die aus diesem Grunde erfolgte Bezeichnung als „pseudomonistisch“ bei G. A. Walz, Völkerrecht (Fn. 14), 40.
II. Monismus vs. Dualismus
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Primat des Landesrechts heutzutage auch nicht mehr ernsthaft als mögliche Deutungsvariante vertreten wird.20 Um eine einheitliche Rechtsordnung des Völkerrechts wie des nationalen Rechts etablieren zu können, wurde von den Monisten, allen voran Hans Kelsen, eine gemeinsame Basis in Form der all bekannten Grundnorm vorausgesetzt.21 Um einen gemeinsamen Geltungsgrund von internationalem und nationalem Recht argumentieren zu können, wurde eine hypothetische Einheit in Kauf genommen, welche ihre Gestalt in Form eines Delegationszusammenhangs annimmt (Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit).22 Jegliche staatliche Rechtssetzungsfähigkeit beruht somit auf einer internationalen Ermächtigung.23 Auf Grund dieser fiktiven Annahme werden in weiterer Folge Normkonflikte zwischen internationalem und nationalem Recht gelöst. Der radikale Monismus stipuliert die Nichtigkeit von Völkerrecht widersprechendem Landesrecht, was sich in Kelsens’ Worten darin äußert, dass eine nationale Norm nicht einmal rechtswirksam geschaffen werden kann, also „von vornherein nichtig ist“, insofern sie mit einer völkerrechtlichen Norm konfligieren würde.24 Diese radikale Annahme wurde von Vertretern des so genannten gemäßigten Monismus dahingehend abgeschwächt, dass mit Völkerrecht konfligierendem nationalen Recht innerstaatlich so lange Gültigkeit zugestanden wird, bis dieses in einem internationalen Verfahren als ungültig festgestellt und somit vernichtet wird.25 Wiederum zielt die gemäßigte Variante ausschließlich auf 20 Vgl. bspw. J. G. Starke, Monism and dualism in the theory of international law, 17 British YIL (1936), 66 (77): „Reduced to its lowest terms, the doctrine of state primacy is a denial of international law as law, and an affirmation of international anarchy.“ H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts: Beitrag zu einer reinen Rechtslehre2 (1928, Neudruck von 1960), 317 selbst bezeichnete den Monismus mit Primat des Landesrechts als die „Negation des Rechtes überhaupt“. Freilich ist v. a. seine spätere Position jedoch beherrscht von der rechtlichen Austauschbarkeit beider monistischen Deutungsvarianten, die schlichtweg auf Grund einer politischen Entscheidung zu treffen sei. Siehe dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 196 ff., 339 ff. 21 Vgl. zur Grundnorm allg. H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 196 ff. 22 H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 196 ff., 221 f.: „Eine Norm des allgemeinen Völkerrechtes ermächtigt ein Individuum oder eine Gruppe von Individuen auf Grund einer wirksamen Verfassung eine normative Zwangsordnung als legitime Regierung zu erzeugen und anzuwenden; sie legitimiert so diese Zwangsordnung für den territorialen Bereich ihrer tatsächlichen Wirksamkeit als gültige Rechtsordnung und die durch diese Zwangsordnung konstitutierte Gemeinschaft als Staat im Sinne des Völkerrechts.“ 23 Siehe ibid.; vgl. ebenso A. Verdross, Verfassung (Fn. 3), 35; siehe des Weiteren H. Krabbe, Staatsidee2 (Fn. 16), 305 ff. und 309. 24 H. Kelsen, Problem (Fn. 20), 113, 146. 25 Siehe als ersten Vertreter des gemäßigten Monismus A. Verdross, Verfassung (Fn. 23), 36 f.; id./B. Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis3 (1984), 54; in einer berühmten „Kehre“ ging Kelsen von seinem Konstrukt des radi-
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Einleitung
eine ergebnisorientierte Kosmetik. Das grundlegend theoretische Gebilde des Delegationszusammenhanges liegt auch dem Konzept des gemäßigten Monismus zu Grunde. Der Dualismus verlangt eine Rezeptionstechnik, welche die völkerrechtliche in eine nationale Norm umwandelt, um innerstaatliche Geltung erlangen zu können. Daraus folgt entsprechend der unterschiedlichen Rechtsordnungen die Trennung des Geltungsgrundes der internationalen und der nationalen Norm.26 Wird diese Annahme allerdings bspw. auf aktuelle Entwicklungen im internationalen Recht übertragen, wird die Kritikwürdigkeit dieser Annahme augenscheinlich. Eine internationale Organisation müsste demzufolge auf einem internationalen und auf entsprechend der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten vielen nationalen Geltungsgründen beruhen, was weder in Anbetracht ihrer einheitlichen Rechtssubjektivität, noch in Bezug auf ihre Rechtssetzungsfähigkeit v. a. im nationalen Recht ihrer Mitgliedstaaten eine theoretisch einwandfreie Basis darstellt.27 Darüber hinaus kann die Annahme, internationale und nationale Normen könnten weder denselben Inhalt noch dieselben Adressaten haben, heutzutage nicht mehr aufrechterhalten werden. Nicht nur das Beispiel der EU sondern auch vielerlei andere internationale Regelungen, welche direkt an Individuen gerichtet sind, widerlegen diese Behauptung.28 Damit kann zum einen die Individualisierung des Rechts, also die direkte Interaktion des Völkerrechts mit Individuen ohne staatliche Mediation, nur äußerst schwer in Einklang gebracht werden.29 Zum anderen wird ebenso die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Bestimmung dem Dualismus folgend – trotz möglicherkalen Monismus ab und schloss sich der Ansicht von Verdross an. Siehe dafür H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 330. 26 D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 38 f. 27 Siehe für diese Argumentation S. Griller, Völkerrecht (Fn. 1), 97; diese offensichtliche Lücke der dualistischen Doktrin erklärt G. Arangio-Ruiz, international law and interindividual law, in: J. Nijman/A. Nollkaemper (Hrsg.), New perspectives on the divide between national and international law (2007), 15 (22), durch die im Entstehungszeitpunkt der dualistischen Doktrin nur schwer vorhersehbaren Entwicklung des Völkerrechts. Er versucht dementsprechnd die dualistische Doktrin zu adaptieren (43 ff.), indem er internationales Recht von interindividuellem Recht (worunter sowohl nationales Recht als auch das interne Recht internationaler Organisationen fallen) trennt. 28 Vgl. dazu bereits A. Verdross, Die normative Verknüpfung von Völkerrecht und staatlichem Recht, in: M. Imboden et al. (Hrsg.), FS Adolf Julius Merkl (1970), 425 (432 ff.); wie auch R. P. Mazzeschi, The marginal role of the individual in the ILC’s articles on state responsibility, 14 Italian YIL (2004), 39 (42 f. m. w. N. in Fn. 12): „This means that international law now regulates some relationships between States and individuals in a formal manner (and not only in a substantive one).“ Siehe auch IGH, LaGrand (Germany vs. USA), Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Rep. (2001), Rz. 77.
II. Monismus vs. Dualismus
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weise expliziter Anordnung des Völkerrechts – vom innerstaatlichen Recht bestimmt. Selbstverständlich sind es einzelne, souveräne Staaten, die zur Schaffung von Völkerrecht tätig werden müssen. Genauso selbstverständlich sollte aber sodann auch die Geltung des geschaffenen Rechts, nicht durch nachträgliche Umsetzungs- bzw. Abänderungspraktiken mit Hilfe von innerstaatlichen Rezeptionsbestimmungen geändert oder gar eingeschränkt werden dürfen. Wenn auch internationales wie nationales Recht nach wie vor aus unterschiedlichen Rechtsquellen fließt, vermag diese Tatsache allein die Aufrechterhaltung der dualistischen Doktrin nicht zu rechtfertigen. Aus heutigen Umständen ist dieses theoretische Erklärungsmodell folglich als nicht mehr zeitgemäß zu bezeichnen. Der Monismus hingegen ist der Kritik ausgesetzt, ein fiktives, „einheitliches rechtliches Weltbild“30 zu behaupten, welches in Form eines Delegationszusammenhanges sowohl internationales als auch nationales Recht in ein gemeinsames Rechtssystem untergliedert. Die hypothetische Grundnorm stellt dabei die gemeinsame Basis dar,31 von der alle weiteren Normen abgeleitet werden.32 Die gemeinsame Grundnorm ist dabei zentral für eine einheitliche Rechtsordnung,33 welche durch den Delegationszusammenhang, also einer Ermächtigung der jeweils höheren Norm als Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen der jeweils niedrigeren Norm zusammengehalten wird. Wird allerdings die aktuelle rechtliche Situation betrachtet, kann auch der monistischen Doktrin keine einwandfreie Erklärung des status quo zugebilligt werden. Die Diskussion um die Fragmentierung des Völkerrechts,34 wie auch das noch immer stark präsente Selbstverständnis der souveränen Staaten,35 lassen die Einheit des rechtlichen Weltbildes kri29 Siehe schon die Kritik bei A. Verdross, Verknüpfung (Fn. 28), 432 ff.; wie auch id., Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung (1923), 45 f.; vgl. auch S. Griller, Völkerrecht (Fn. 1), 96 ff.; wie R. P. Mazzeschi, Marginal role (Fn. 28), 42 f. 30 Vgl. A. Verdross, Einheit (Fn. 29); und des Weiteren H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 329; wie auch G. Arangio-Ruiz, International law (Fn. 27), 18, welcher u. a. „the natural unity of human kind“ „[a]s a matter of pure speculation“ bezeichnet. 31 H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 228. 32 Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 196 ff. und insbes. 221; wie auch A. Verdross, Verfassung (Fn. 23), 35. 33 H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 193. 34 Vgl. nur M. Koskenniemi (chairman of the Study Group of the ILC), Fragmentation of international law: Difficulties arising from the diversification and expansion of international law. Report of the Study Group of the International Law Commission (2006), UN Doc. A/CN.4/L.682. 35 Vgl. für dieses Argument A. Peters, Rechtsordnungen und Konstitutionalisierung: Zur Neubestimmung des Verhältnisses, 65 ZÖR (2010), 3 (19 ff.); wie bezo-
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tikwürdig erscheinen.36 Umso mehr muss in weiterer Folge der behauptete Delegationszusammenhang in Frage gestellt werden. Wackelt allerdings dieses theoretische Konstrukt, so kommt die monistische Doktrin als solche ins Wanken. Wird doch ihr größter praktischer Output, den sie zum Normenkonflikt zwischen internationalen und nationalen Normen leisten will, auf den Delegationszusammenhang gestützt. Nicht zuletzt kann auch im späten Werk Kelsens eine gewisse Abkehr von dem einheitlichen monistischen Weltbild in Form des Delegationszusammenhangs entdeckt werden, insofern Kelsen selbst „die Geltung einer Norm durch den Willensakt bedingt“37, und eben „die Existenz einer Norm, das ist ihre Geltung, nicht [mehr] aus der Existenz einer anderen Norm, das ist aus der Geltung einer anderen Norm, logisch folgen“ lassen will.38 Mag auch der Delegationszusammenhang ein einleuchtendes Kriterium darstellen, um eine einheitliche Weltrechtsordnung zu behaupten, so vermag dieses Kriterium die Unterschiede der komplexen Normgefüge die heutzutage im Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht vorgefunden werden nicht zutreffend in einem Deutungsmuster abzuhandeln. Der Monismus überbordet dementsprechend das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Staatsrecht, indem ersterem eine zu dominante Rolle zugewiesen wird, das dieses weder stets auszufüllen vermag noch selbst einnehmen will. Der stete Vorrang des Völkerrechts sieht sich folglich mit der Situation konfrontiert, dass selbst das Völkerrecht nicht immer fähig oder auch willens ist, diese dominante Rolle auszufüllen. Ein derart vollständig geregeltes Verhältnis, wie es die Darstellung einer gen auf die EU M. Potacs, Das Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten im Lichte traditioneller Modelle, 65 ZÖR (2010), 117 (129). 36 Siehe zur monistischen Position A. Verdross, Verfassung (Fn. 23), 35: „Die staatliche Freiheit ist daher nichts anderes als eine den Staaten vom Völkerrecht zugestandene Sphäre freien Ermessens.“ Dementsprechend sieht er (48 ff.), als völkerrechtlichen Gesetzgeber nicht die Staaten, sondern die Völkerrechtsgemeinschaft an, welche durch ein völkerrechtliches Organ mit überstaatlicher Autorität als Völkerrechtserzeuger agiert. Vgl. auch H. Krabbe, Staatsidee2 (Fn. 16), 305 ff. insbes. 309: „[J]edenfalls wird die internationale Obrigkeit Selbständigkeit besitzen müssen, denn nur dann kann die Geltung des Rechts unabhängig gemacht werden von den Staaten, die diesem Rechte gegenüber in Unterworfenheit gebracht und erhalten werden müssen.“ 37 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (1979, post mortem herausgegeben von K. Ringhofer/R. Walter), 187. 38 Ibid., 186, wie auch 329 Fn. 154; vgl. dazu auch J. Kammerhofer, Uncertainty in international law – A Kelsenian perspective (2011), 192 f., welcher diese allgemeinen Überlegungen zur Theorie der Normen Kelsens auf seine Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht überträgt und damit die monistische Theorie, welche die Einheit der (weltlichen) Rechtsordnung auf Grundlage der Grundnorm wie des Delegations-zusammenhangs postuliert, ins Wanken bringt. Vgl. dazu des Weiteren id., Kelsen – Which Kelsen? A reapplication of the pure theory to international law, 22 Leiden JIL (2009), 225 (240 ff. m. w. N.).
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einzigen geschlossenen, weltumfassenden Rechtsordnung nahelegt, ist unpassend und zu fiktiv, als dass daraus konkrete rechtliche Sanktionsfolgen für jede völkerrechtliche Norm und dem potentiell folgenden Konflikt mit widersprechenden nationalen Normen abgeleitet werden könnte. Das monistische Rollenverständnis entspricht folglich ebensowenig wie das dualistische Verständnis dem aktuellen Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht.39 Des Weiteren verstärkt eine geschichtliche Betrachtung der jeweiligen Entstehungszeitpunkte der monistischen als auch der dualistischen Doktrin den politischen Gehalt, welcher einer jeden dieser Theorien zugeschrieben werden kann.40 So kann der Entstehungszeitpunkt des Monismus mit Primat des Landesrechts ins 18. Jahrhundert rückdatiert werden. Diese Lehre wurde bis ins 19. Jahrhundert vertreten. Gleich den politischen Machtverhältnissen zu dieser Zeit kann diese Lehre als äußerst nationalistisch bezeichnet werden, was auch die Bezeichnung des Völkerrechts als „äußeres Staatsrecht“41 terminologisch umschreibt. Die darauffolgende, politisch moderatere Periode, machte sich als „reinigendes Gewitter“42 im Rahmen der dualistischen Doktrin bemerkbar, indem eine angepasste theoretische Umschreibung des Verhältnisses dem Völkerrecht Eigenständigkeit gegenüber dem Landesrecht einräumte. Was damals als fortschrittlich zu qualifizieren war, muss aber auf Grund von neuen Entwicklungen heute als nicht mehr zeitgemäß zurückgewiesen werden. Nicht zuletzt waren die beiden Weltkriege und die darauffolgende, befriedende Phase der geschichtliche Kontext, in den die Entwicklung der monistischen Lehre mit Primat des internationalen Rechts, als ein stark pazifistisch orientiertes Erklärungsmodell,43 eingebettet werden kann.44 Der jeweilige politische Hintergrund, aus dem 39 Siehe dazu bereits L. Kirchmair, Die autonome Rechtsordnung der EU und die Grenzen von Monismus und Dualismus, in: M. C. Kettemann (Hrsg.), Grenzen im Völkerrecht – Grenzen des Völkerrechts: Beiträge zum 6. Workshop des Arbeitskreises junger Völkerrechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (AjV) in Graz (20.–21. Oktober 2012) (2013), 275 (283). 40 Siehe dazu v. a. A. Cassese, International law2 (2005), 213 ff. Vgl. des Weiteren allg. J. Nijman/A. Nollkaemper, Introduction, in: J. Nijman/A. Nollkaemper (Hrsg.), New perspectives on the divide between national and international law (2007), 1 (9); wie auch A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 35), 25 f. 41 Vgl. dazu G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 17), § 330 ff., § 547. 42 Für diese Bezeichnung siehe A. Verdross, Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten (1920), 34. 43 Vgl. dazu bspw. J. Nijman/A. Nollkaemper, Introduction (Fn. 40), 9. 44 Siehe dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre (1934), 142 selbst, wenn er sagt: „Das Dogma der Staatssouveränität mit dem daraus resultierenden Primat der eigenstaatlichen Rechtsordnung entspricht durchaus jener subjektivistischen, in ihrer letzten Konsequenz dem Solipsismus verfallenden Anschauung, die das Einzelindividuum, d.h. aber das Ich als Zentrum der Welt und dieser daher nur als Wille und Vorstellung des Ich begreifen will. Es ist ein radikaler Staats-Subjektivismus, dem
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die Theorien hervorgingen, ist nicht spurlos an ihnen vorübergegangen und verwässert dementsprechend ihre Leistungsfähigkeit als theoretisch einwandfreie Erklärungskonstrukte für das aktuelle Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht. Darüber hinaus muss noch angemerkt werden, dass die Verfechter der unterschiedlichen Erklärungsversuche im Lauf der Jahre den Diskurs befriedeten. Die Abschwächung der vormals radikalen Thesen führte zu einer gewissen Verschmelzung der dualistischen mit der monistischen Lehre in eine jeweils gemäßigte Variante, welche bis heute noch vertreten werden. Anstatt sich allerdings auf eine Sichtweise einigen zu können, dreht sich der aktuelle Diskurs um einen gemäßigten Dualismus45 und einen gemäßigten Monismus46, welchen zumindest im Resultat eine „weitgehende Kongruenz“ bescheinigt wird.47 Diese Übereinstimmung der Primat der Völkerrechtsordnung als Ausdruck einer spezifischen objektivistischen Welt- und Rechts-Anschauung gegenübertritt.“ Vgl. dazu auch H. Kelsen, Problem (Fn. 20), 317: „Ohne damit eine Entscheidung zwischen beiden Weltanschauungen [und damit i. w. S. zwischen dem Monismus mit Primat des Völkerrechts und dem des Staatsrechts] treffen zu wollen, muß doch hervorgehoben werden, daß die subjektivistische Rechtsanschauung [Monismus mit Primat des Staatsrechts] letzten Endes zu einer Negation des Rechtes überhaupt und sohin der Rechtserkenntnis, der Rechtswissenschaft führen muß.“ Diese wohl dem Monismus mit Primat des Völkerrechts nahestehende Haltung wurde von H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 18), 339 ff. aber sodann zurückgezogen, indem die Wahl zwischen den zwei Primaten betont offen gelassen wird; vgl. auch H. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, 19 ZaöRV (1958), 234 (246 ff.); siehe dazu auch J. von Bernstorff, The public international law theory of Hans Kelsen – Believing in universal law (2010), 104 ff.; wie auch S. Griller, Völkerrecht (Fn. 1), 85 m. w. N.. Kritisch zu einem „Monismus [. . .] [als] Theorie einer Weltrechtsordnung“ positioniert sich T. Öhlinger, Die Einheit des Rechts – Völkerrecht, Europarecht und staatliches Recht als einheitliches Rechtssystem?, in: S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2004), 160 (161 ff., insbes. 167 f.), indem er zumindest den Monismus von Kelsen „in seiner letzten Fassung“ [2. Auflage der Reinen Rechtslehre] auf die Aussage: „dass wenn man Völkerrecht als Recht begreift, dieses mit dem staatlichen Recht eine Einheit bildet – eine Einheit, die freilich nur auf der ganz abstrakten Ebene der Geltungsbegründung von Recht besteht und keinerlei inhaltliche Aussagen über das geltende Recht impliziert“ [Hervorhebung im Original] reduziert. Dies geschieht freilich in dem Bewusstsein, der monistischen Doktrin mit dieser reduktionistischen Interpretation nahezu jegliche Normkonfliktlösungskompetenz absprechen zu müssen (168). 45 Siehe dazu v. a. D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 7), 36 ff.; wie wohl auch G. A. Walz, Völkerrecht (Fn. 14), 239. 46 Siehe dafür v. a. A. Verdross, Kriegshandlung (Fn. 42), 34 ff.; und A. Brodherr, Alfred Verdross’ Theorie des gemäßigten Monismus (2004). 47 Siehe für eine derartige Bezeichnung S. Griller, Völkerrecht (Fn. 1), 95. G. Arangio-Ruiz, International Law (Fn. 27), 17, attestiert einigen Kommentatoren: „an obscure middle course between monism and dualism“. Ähnlich erkennt C. Schreuer, Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte (1977), 173, im
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mag zwar praktisch durch eine ergebnisorientierte Anwendung der jeweiligen gemäßigten Theorie zufriedenstellen, theoretisch wie dogmatisch verbleiben aber unüberbrückbare Differenzen,48 wobei keine der beiden Denkschulen mit einem theoretisch einwandfreien Fundament für die Klärung des Verhältnisses aufwarten kann. Aufgezeigte theoretische Kritikpunkte der ursprünglichen, monistischen wie dualistischen Doktrin sind durch die gemäßigten Varianten nicht beseitigt worden.49 Im Gegenteil, gerade die ergebnisorientierte Annäherung der gemäßigten Varianten zeigt, dass die ursprünglichen Annahmen auf das heutige Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht nicht mehr angewendet werden können. Die gemäßigten Varianten heben sich vor allem durch die Abmilderung der Rechtsfolgen von ihren radikalen Vorläufern ab. Die theoretischen Grundannahmen verbleiben dieselben. Auch die gemäßigten Theorien verlangen grundsätzlich unterschiedliche Rezeptionstechniken, die im innerstaatlichen Recht zu divergierenden rechtlichen Verpflichtungen, wie einer generell unterschiedlichen Rechtsgültigkeit von Völkerrecht im innerstaatlichen Recht schlechthin führen. Darüber hinaus tragen große Unsicherheiten durch verschiedenste Begriffsbezeichnungen diverser Rezeptionstechniken ihr Übriges zu einer oftmals schwierig zu beurteilenden Rechtslage bei. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass der Theorienstreit zu einer Vermengung der Fragen bezüglich Entstehung und Geltung und damit im weiteren Sinne der Verbindlichkeit des Rechts geführt hat. So irrt der Dualismus, wenn er für die – wohlgemerkt innerstaatliche50 – Geltung des Völkerrechts innerstaatliche Normen beruft. Dem Monismus hingegen kann vorgeworfen werden, dass bei der Entstehung des Rechts – wird doch von dieser Denkschule die Fiktion einer fundamentalen Grundnorm samt Delegationszusammenhang bemüht – zu wenig auf die souveränen Staaten abgestellt wird.
Theorienstreit unterschiedliche Ausgangspunkte wie Zielrichtungen, wobei allerdings auch nach Schreuer (174), die „Milderung der Gegensätze [. . .] dem Theorienstreit viel von seiner praktischen Bedeutung geraubt [haben].“ Vgl. dazu auch L. Wildhaber, Treaty-making power and constitution – An international and comparative study (1971), 7 f. m. w. N. 48 Siehe nur C. Amrhein-Hofmann, Monismus (Fn. 7), 332 m. w. N. und 334; und R. Pfeffer, Verhältnis (Fn. 17), 82. 49 Vgl. dazu W. Rudolf, Völkerrecht (Fn. 7), 146: „Die Theorie wirkt „unterschwellig“ in der praktischen Lösung mit.“ 50 Der Monismus mit Primat des Landesrechts bezieht die Geltung des Völkerrechts schlechthin auf das Landesrecht, was zu einem noch unverständlicheren Ergebnis führt.
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Einleitung
III. Ziel und Gang der Arbeit In dieser Arbeit soll auf Grund der soeben erörterten, grundlegenden Schwierigkeiten, mit denen die monistische wie die dualistische Denkschule heutzutage konfrontiert sind, weder die eine, noch die andere Lehre mit weiterführenden Argumenten verfochten werden.51 Vielmehr soll versucht werden, die Frage des Verhältnisses zwischen internationalem und nationalem Recht anhand von strukturrechtlichen Gesichtspunkten zu deuten. Demzufolge soll der Blick in dieser Arbeit verstärkt darauf gelenkt werden, was nach Ansicht des Verfassers als gemeinsamer Nenner des internationalen und des nationalen Rechts identifiziert wurde; der Rechtserzeugerkreis.52 Erst dieser abstrakte, gemeinsame Nenner lässt die Vergleichbarkeit von Völkerrecht und Staatsrecht überhaupt zu, ohne das Verhältnis anhand von zu engen, vordefinierten Strukturen zu deuten. Über den Theorienstreit hinaus ist dieses rechtstheoretische Fundament nicht zuletzt deshalb notwendig, weil bspw. das Postulat der Umsetzungsfreiheit von Völkerrecht im nationalen Recht auch ohne das Abstellen auf eine der beiden Denkschulen rechtstheoretisch unbegründet als allgemein gültig im Raum steht.53 Diese Ungewissheit, die einen grundlegenden Pfeiler des Völkerrechts betrifft, setzt sich darin fort, dass nach wie vor große Rechtsunsicherheit besteht, wenn die Wirkung von bestimmten Völkerrechtsquellen wie bspw. die des Gewohnheitsrechts oder auch der Rechtsakte von internationalen Organisationen im innerstaatlichen Recht bestimmt werden soll. Genauso wenig kann die Position, die unmittelbare Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Bestimmungen werde von innerstaatlichen Normen bestimmt, auf einen rechtstheoretisch fundierten Hintergrund verweisen.54
51 Siehe für eine kurze aber treffende Abhandlung dessen S. Griller, Völkerrecht (Fn. 1), 83 ff.; wie die ausführliche Abhandlung von C. Amrhein-Hofmann, Monismus (Fn. 7). 52 Siehe dazu unten A.II.2.a); sowie bereits S. Griller, Völkerrecht (Fn. 1), 84: „Die [. . .] Annäherung zwischen den Theorien macht die Auseinandersetzung mit den Grundsatzfragen nicht überflüssig. Man entkommt ihnen nicht, indem man sie für obsolet oder praxisfern erklärt. Welche Norm auf Grund welchen Rechtserzeugungszusammenhanges in einer konkreten Situation verbindlich ist, ist eine in der Praxis vielleicht bisweilen vernachlässigte, aber im Grunde „unentrinnbare“, allenfalls implizit beantwortete Frage;“ [Hervorhebung im Original; Fn. ausgelassen]. 53 Vgl. dazu J. Delbrück, Grundfragen der innerstaatlichen Geltung des Völkerrechts, in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/1 (1988), 98 (101), der eben dies wie folgt ausdrückt: „Das Völkerrecht fordert nur, daß es, aber sagt nicht, wie es im inländischen Recht durchgesetzt werden soll.“ Siehe dazu näher unten A.III.2., insbes. Fn. 276. 54 Siehe dazu unten A.III.2., insbes. Fn. 275.
III. Ziel und Gang der Arbeit
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Da wie zuvor ausgeführt, weder die Lehre des Monismus noch des Dualismus ein zufriedenstellendes Fundament für diese Fragen im Rahmen des aktuellen Verhältnisses von Völkerrecht zu staatlichem Recht bereitstellen, eine rechtstheoretisch einwandfreie Grundlage aber unumgänglich erscheint, soll versucht werden, das Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht in Form eines neu zu beschreitenden Wegs zu skizzieren. Wichtig erscheint dabei aufzuzeigen, dass dieses Verhältnis aktuell keiner einheitlichen (politischen) Ordnung, d.h. keiner Rechtsordnung folgt, wie dies von den zuvor beschriebenen Theorien als Ausgangslage angenommen wurde.55 Vor allem in der aktuellen Diskussion förderte der langanhaltende Diskurs zum gewählten Thema eine neue Sichtweise zu Tage, die vorschlägt, verstärkt inhaltliche Übereinstimmungen zwischen internationalem und nationalem Recht herauszustreichen, als auf ein rechtskonstruktives Fundament entweder des einen oder des anderen Rechtssystems zu rekurrieren.56 Ein ähnlicher, ebenso von Harmonie geprägter Ansatz, kann auch in der jüngsten IGH Rechtsprechung entdeckt werden, wenn bspw. im Diallo case zur inhaltlichen Verfestigung einer Entscheidung nicht nur einschlägige regionale, afrikanische und überregionale Menschenrechtsabkommen, sondern auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, folglich anderweitiger regionaler Rechtsspruchkörper, basierend auf formell „eigentlich“ nicht anwendbaren Menschenrechtsabkommen zur Begründung herangezogen wurden.57 Die sicherlich zu begrüßende, harmonisierende Interpretation von internationalem und nationalem Recht, bezogen auf Regeln des jeweils anderen Rechtssystems, soll hier nicht in Frage gestellt, aber auch nicht fortgeführt werden. Vielmehr soll das Hauptaugenmerk in dieser Arbeit auf ein gemeinsames, juristisches Fundament gelegt werden. Das Verhältnis zwischen 55 Für eine ausführliche Begründung dieses Geburtsfehlers beider Theorien siehe L. Kirchmair, Rechtsordnung (Fn. 39), 281. Für eine Kritik bezogen auf die Territorialität dieser Theorien siehe C. Brölmann, Deterritorialization in international law: Moving away from the divide between national and international law, in: J. Nijman/A. Nollkaemper (Hrsg.), New perspectives on the divide between national and international law (2007), 84 ff. 56 Siehe dazu A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 35), 22 f. m. w. N.; und A. Nollkaemper, Rethinking the supremacy of international law, 65 ZÖR (2010), 65 (76 ff.). 57 Siehe IGH, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea vs. Democratic Republic of the Congo), Urteil vom 30. November 2010, Rz. 68; Vgl. dazu auch als Bsp. für Österreich das VfGH, Erkenntnis vom 2. Juli 2009, B559/08, Rz. 79, indem der VfGH auch auf Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist. Siehe dazu E. Handl-Petz, Austria, in: D. Shelton (Hrsg.), International law and domestic legal systems – Incorporation, transformation, and persuasion (2011), 55 (85 f.).
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Einleitung
Völkerrecht und staatlichem Recht soll v. a. in dogmatischer Hinsicht, also unter Berücksichtigung der hinter diesem Verhältnis stehenden Lehrsätze untersucht werden.58 Ziel ist es, eine rechtstheoretische Erklärung zu erarbeiten, welche den gemeinsamen Nenner sowohl des Völkerrechts als auch des nationalen Rechts hervorkehrt. Dieser gemeinsame Nenner soll die Interaktion beider Ebenen und etwaiger Normkonflikte anhand eines ausschließlich juristischen Fundaments aufzuzeigen bzw. aufzulösen erlauben. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die Struktur des Rechts gerichtet. Das hier entwickelte Denkmodell des Rechtserzeugerkreises ist eine strukturelle Skizze, die den Blick idealtypisch auf den gemeinsamen Nenner des Völkerrechts und des nationalen Rechts zuspitzt. Wie ein roter Faden führt die Theorie des Rechtserzeugerkreises durch die gesamte Arbeit. Die Arbeit wurde mit einer bewusst sehr kurz gehaltenen kritischen Erläuterung der Monismus vs. Dualismus Debatte eingeleitet, was in einen aktuellen Problemaufriss samt Darlegung der Ziele dieser Arbeit überleitet. Aus diesen Erläuterungen ergibt sich sodann der Ausschluss der gängigsten Begriffe für die Umschreibung der Beziehung des internationalen zum nationalen Recht [A.I.]. Zum einen soll damit eine Abgrenzung zu den altbekannten Erklärungsversuchen hergestellt werden, was von diesen Theorien hervorgerufenen Missverständnissen durch einen losgelösten Erklärungsversuch vorbeugt. Zum anderen soll gerade durch das spartanische Verwenden von der Debatte altbekannten Begriffen der bewusste Abstraktionsgrad hergestellt werden, der nötig sein wird, um den gemeinsamen Nenner von internationalem und nationalem Recht zu Tage zu fördern. Eben dieser gemeinsame Nenner wird dann in weiterer Folge in dem ersten inhaltlichen Kapitel [A.II.2.] genauer erläutert, damit im Rahmen des zuvor angedeuteten rechtstheoretischen Grundverständnisses die rechtliche Grundlage des Verhältnisses von Völkerrecht zu staatlichem Recht in den Vordergrund gerückt wird. Um dies transparent und methodisch nachvollziehbar bewerkstelligen zu können, wird eine kurze Abhandlung des Rechtsverständnisses, welches dieser Arbeit zu Grunde liegt, vorangestellt [A.II.1.]. Auf diesen rechtstheoretischen Grundlagen aufbauend, wird sodann die praktische Anwendung anhand des Beispiels des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes in dogmatischer, überblicksartiger Sicht aufgezeigt [B.]. Zu Beginn des Teils B. werden die theoretischen Ergebnisse mit dem Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung in Verbindung gesetzt [B.II.]. Daran anschließend wird das Verhältnis des Völkerrechts zur österreichischen Rechtsordnung anhand der entwickelten theoretischen Ausführungen des Teils A. entsprechend eingeordnet [B.III.]. Die Gliederung dieser prakti58 Zum Begriffsverständnis der Rechtsdogmatik siehe S. Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie (2010), 36 ff.
III. Ziel und Gang der Arbeit
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schen Abhandlung orientiert sich an den Rechtsquellen des Völkerrechts. Es werden jeweils zuerst die allgemeinen Charakteristika der Völkerrechtsquelle vorgestellt und diese mit dem hier entwickelten Rechtsverständnis abgeglichen, um sodann auf die einschlägigen Bestimmungen im B-VG genauer eingehen zu können.
A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses I. Rezeptionstechniken und deren Bezeichnung 1. Rezeption Der Begriff der Rezeption wird in der aktuellen Literatur durchaus allgemein gebraucht, ohne dass auf eine bestimmte Theorie Bezug genommen wird.1 Der Rezeptionsbegriff kann somit als eine wert- wie theoriefreie Umschreibung der Beziehung des Völkerrechts zum nationalen Recht verwendet werden. Somit kann je nach Theorieverständnis sowohl die Umsetzung also auch die Aufnahme bzw. die Anwendung von Völkerrecht in innerstaatlichem Recht ganz allgemein als Rezeption umschrieben werden.2 1
Siehe zum (allgemeinen) Rezeptionsbegriff H. Keller, Rezeption des Völkerrechts (2003), 42 f. L. Wildhaber, Reception of international law into domestic law: Comparative european approaches, in: L. Wildhaber (Hrsg.), Wechselspiel zwischen Innen und Aussen (1996), 50 ff. scheint dieses Begriffsverständnis ebenso zu teilen wie auch I. Brownlie, Principles of public international law7 (2008), 47. So ebenfalls G. Baumgartner, Der Rang des Gemeinschaftsrechts im Stufenbau der Rechtsordnung, 8 JRP (2000), 84 ff.; und P. Hilpold, Österreichs Neutralität nach Lissabon im Lichte der Beistands- und Solidaritätsverpflichtung, ÖJZ (2010), 590 (596, wie Fn. 30), der Rezeption ebenso allgemein verwendet. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899), 169, beschreibt verschiedene Arten der Rezeption und versteht allgemein darunter: die „[. . .] Aufnahme eines von einer Rechtsquelle geschaffenen Rechtssatzes durch eine andere [Rechtsquelle].“ Allerdings ist der Vorgang, welcher von Triepel als „echte Reception“ bzw. „ausdrückliche Wiederholung ausdrücklich formulierter Rechtssätze einer anderen Quelle“ beschrieben wird, in weiterer Folge sodann als Transformation bezeichnet worden. Siehe H. Triepel, Völkerrecht (siehe oben), 112 bzw. siehe unten unter A.I.3. Vgl. auch C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren (2003), 99. Der Rezeptionsbegriff wird aber auch für interdisziplinären Austausch bzw. Einflüsse von anderen Wissenschaften gebraucht, siehe J. Lüdemann, Netzwerke, Öffentliches Recht und Rezeptionstheorie, in: S. Boysen et al. (Hrsg.), 47. Assistententagung Öffentliches Recht – Netzwerke (2007), 266 (275). Im allgemeinen Sprachgebrauch steht lt. Wictionary „Rezeption“ u. a. für die „Aufnahme oder Übernahme fremden Gedanken- und Kulturguts“. Als Synonyme werden u. a. „Übernahme“ und „Aneignung“ angeführt. Siehe [http://de.wiktionary.org/wiki/Rezeption, Stand April 2013] Ein spezifischer Begriffsgebrauch findet sich bei P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht4 (2007), 81 (102). 2 So wohl auch M. Bedjaoui, The reception by national courts of decisions of international tribunals, in: T. M. Franck/G. H. Fox (Hrsg.), International law decisions in national courts (1996), 21 (22 f.).
I. Rezeptionstechniken und deren Bezeichnung
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Dieses allgemeine Begriffsverständnis ist (größtenteils) unumstritten und klar. Dementsprechend kann es ohne weitere Erläuterungen sinngemäß der Fragestellung zugrunde gelegt werden. 2. Inkorporation Im Gegensatz zum Rezeptionsbegriff wird der Begriff der Inkorporation3 in der aktuellen Literatur durchaus unterschiedlich gebraucht. Teilweise wird er einem dualistischen Verständnis untergeordnet. Für die innerstaatliche Geltung völkerrechtlicher Normen nach der dualistischen Lehre ist naturgemäß eine Eingliederung des internationalen Rechts in innerstaatliches Recht unentbehrlich.4 Die Verknüpfung des Inkorporationsbegriffes mit der dualistischen Lehre wird auch durch das sprachliche Begriffsverständnis unterstützt.5 Die völkerrechtliche Norm wird dementsprechend in die innerstaatliche Rechtsordnung6 inkorporiert, also „eingegliedert“. Auffällig ist allerdings, dass dieses Begriffsverständnis vor allem in Österreich nicht weit verbreitet ist. In Österreich wird diesem Begriffsverständnis ein Inkorporationsbegriff entgegengesetzt, der größtenteils ganz allgemein verwendet wird. Ohne auf eine bestimmte Theorie Bezug nehmen zu wollen, wird er synonym mit dem Rezeptionsbegriff gebraucht.7 Neben diesen divergierenden Auffassun3
Vgl. F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht, Recht der Europäischen Union und Landesrecht, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. I – Textteil4 (2004), 111 (114 ff.). 4 Ein solches Verständnis des Inkorporationsbegriffes kann u. a. gefunden werden bei L. Wildhaber, Reception (Fn. 1), 50 ff.; P. Malanczuk/M. B. Akehurst, Akehurst’s modern introduction to international law7 (1997), 65; und B. A. Boczek, International law: A dictionary (2005), 10. Dualism – Monism 6. 5 Siehe Wiktionary, wo „inkorporieren“ und „einverleiben“ als Synonyme gelten. [http://de.wiktionary.org/wiki/einverleiben]. Siehe darüber hinaus B. A. Garner, Black’s law dictionary7 (2001), 769 f.: „ ‚Incorporation‘: 2. Constitutional law. The process of applying the provisions of the Bill of Rights to the states by interpreting the 14th Amendment’s Due Process Clause as encompassing those provisions“. Lt. Wiktionary wird im allgemeinen Sprachgebrauch auf Englisch unter „incorporation“ u. a. „the union of something with a body already existing“ verstanden. Also die „Einfügung/Eingliederung“. [http://en.wiktionary.org/wiki/incorporation] Siehe dazu auch W. E. Butler, International and municipal law: Some reflections on british practice, in: W. E. Butler (Hrsg.), International law and the international system (1987), 67 (70): „incorporate means to combine, unite or embody into a single mass“. 6 Aus dualistischer Sichtweise stellen wie oben beschrieben das Landesrecht und das Völkerrecht zwei getrennte Rechtsordnungen dar. 7 Siehe dafür u. a. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis3 (1984), 540; F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 3), 113 ff.; B. Simma, Das Völkergewohnheitsrecht, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. I – Textteil4 (2004), 33 (43); und K. Zemanek, Ändert sich das völkerrechtliche Neutralitätsrecht und mit ihm die österrei-
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
gen wird der Terminus Inkorporation von einigen Autoren auch stellvertretend für die monistische Lehre gesehen. Gemäß einer konsequent monistischen Sichtweise gilt allerdings das Völkerrecht auf Grund der Einheit des Völkerrechts und des nationalen Rechts automatisch auch im nationalen Recht. Jedwede Rezeptionstechnik, die internationalem Recht innerstaatliche Geltung verschafft, wird folglich als entbehrlich erachtet.8 Die Vermittlung durch eine „Vollzugsnorm“ ist folglich entbehrlich oder rein deklaratorisch.9 chische Neutralität?, ÖJZ (1992), 177 (178 f.). Scheinbar als Synonym zur Rezeption wird der Begriff von G. Baumgartner, Rang (Fn. 1), 91 f. gebraucht. A. Reinisch, Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von EWR-Recht, ZfRV (1993), 11 (20 f.), umfasst mit Inkorporationstechnik sowohl Transformation als auch Adoption und verwendet somit ebenso einen allgemeinen – theorieneutralen – Begriff, wie auch W. Hummer, Vorrang für EWR-Recht in der österreichischen Rechtsordnung? – Zum Beschluß 4 Ob 88/94 des OGH vom 4.10.1994, 43 ÖBl. (1994), 243 (246 f.), wenn er unter Inkorporation auch die Adoption versteht. Ebenso S. Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (1989), 352 ff.; id., Der Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung nach dem EU-Beitritt, 8 JRP (2000), 273 ff., welcher explizit die Begriffe der Transformation wie der Adoption unabhängig von der dualistischen wie auch der monistischen Lehre sehen will. Siehe ebenso W. Obwexer/H. Niedermühlbichler, Das EU-Recht in der österreichischen Rechtsordnung, ecolex (1995), 145 ff., deutlich wird dies vor allem durch den Verweis auf das Begriffsverständnis der generellen Transformation von Griller in Fn. 20, wo dieser die generelle Transformation – ausdrücklich unter Ausschluss eines monistisch oder dualistisch theorienbesetzten Verständnisses – mit der Adoption gleichsetzt. 8 Siehe dazu A. J. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht (1927), 110 f.; A. Verdross, Das Verhältnis der verfassungsmäßigen Staatenverträge zum österreichischen Gesetzesrecht, insbesondere zum Strafrecht, JBl. (1917), 541 ff.; id., Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten (1920), 35; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925, Neudruck von 1966), 124. Vgl. dazu auch T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 99 f. 9 Siehe dafür v. a. die Bezeichnung als „doctrine of incorporation“ (welche der dualistisch angehauchten „doctrine of transformation“ entgegentritt) bei M. N. Shaw, International law6 (2008), 140; und T. Hillier, Sourcebook on public international law (1998), 39 f. Malanczuk bzw. Akehurst unterscheiden scheinbar „doctrince of incorporation“, welche in dem hier genannten Sinne verwendet wird von „incorporation“, siehe dazu P. Malanczuk/M. B. Akehurst, Akehurst’s (Fn. 4), 69; genauso bei B. A. Boczek, Dictionary (Fn. 4), 18. International Law in National (Municipal) Law: Custom 12. Obwohl T. Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht – Eine theoretische, dogmatische und vergleichende Untersuchung am Beispiel Österreichs (1973), 101, 133 den Terminus Inkorporation äußerst spärlich verwendet, scheint er diesen ebenfalls der Schule des gemäßigten Monismus bzw. dem Adoptionsprinzips zuzuordnen; wie Adamovich und Rack, welche den Begriff der Inkorporation vor allem auf das Völkergewohnheitsrecht, also Art. 9 B-VG beziehen, siehe L. Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts6 (1971), 54; wie R. Rack, Das Völkerrecht im staatlichen Recht – Transformation und Adoption (1979), 19 und Fn. 38. Brownlie’s Begriffsverständnis der britischen „doctrine of incorporation“ weist ebenso einen starken Bezug zum Völkergewohnheitsrecht auf, siehe I. Brownlie, Principles7 (Fn. 1), 41 ff.
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Diese gravierenden Unterschiede im Verständnis ein und desselben Begriffs lassen sich auf die historische Entwicklung der Rezeption von Völkerrecht im nationalen Recht zurückführen. Seinen Ursprung hat der Inkorporationsbegriff in der anglo-sächsischen Rechtstradition. Die Inkorporationstheorie kann auf die englische Gerichtspraxis, wie die berühmte Formel von Blackstone, „international law is part of the law of the land“,10 zurückgeführt werden.11 Diese Theorie hat die automatische Geltung völkerrechtlicher Normen im nationalen Recht zur Folge. Ihr kann das Konzept des Monismus angeheftet werden. M. a. W., die Inkorporationstheorie entspringt dem Monismus.12 Da sich allerdings weder der radikale Monismus, noch der radikale Dualismus durchgesetzt haben, wurden auch die entsprechenden Rezeptionstechniken gemäßigt. So ist es zu erklären, dass mittlerweile die Inkorporationstheorie mit dualistischen, wie auch monistischen Elementen durchsetzt ist.13 Eine klare Zuordnung des aktuellen Begriffsverständnisses zu einer der beiden (radikalen) Theorien ist deshalb nicht mehr möglich. Der Einfluss dieser Entwicklung auf den Begriff der Inkorporation beruht demzufolge nicht auf einem einheitlichen Theorieverständnis. Vielmehr wird der Begriff – wie oben dargestellt – einmal in diesem und einmal in jenem Sinne gebraucht. Diese gravierenden Abweichungen machen das Verwenden des Inkorporationsbegriffs, zumindest ohne weitere Erläuterung des dahinter verstandenen Konzepts und der exakten zugedachten Wirkung, durchaus problematisch.14 Anstatt von übereinstimmenden Ansätzen des Inkorporationsbegriffs und der damit gemeinten Rezeptionstechnik muss dem10 Siehe W. Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Bd. IV (1769), 67; und das Zitat bei G. A. Walz, Völkerrecht und staatliches Recht – Untersuchung über die Einwirkungen des Völkerrechts auf das innerstaatliche Recht (1933), 276 f. insbes. Fn. 6. 11 Vgl. Fn. 32 unten. Aus der „adoption theory“ basierend auf den Erläuterungen von Blackstone zu den Ausführungen von Lord Chancellor Talbot im Barbuit’s case (1735), wurde die „doctrine of incorporation“. Siehe dazu D. W. Greig, International law2 (1970), 49; W. E. Butler, Law (Fn. 5), 68; und G. A. Walz, Völkerrecht (Fn. 10), 275 f. 12 Auch wenn W. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht – Theoretische und dogmatische Untersuchungen über die Anwendung völkerrechtlicher Normen in der Bundesrepublik Deutschland (1967), 154, dies anhand der Adoptionstheorie beschreibt, ist faktisch dasselbe gemeint. 13 Vgl. dazu K. Schmalenbach, Article 27, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 33 ff.; J. Delbrück, Das Verhältnis von Völkerrecht und staatlichem Recht nach dem Recht einzelner Staaten, in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/1 (1988), 104 (105); und so ähnlich P. Kunig, Völkerrecht (Fn. 1), 102. 14 Die parallele Begriffsverwendung der Inkorporation von Staaten wird hier nicht weiter problematisiert. Die wortgleiche Verwendung ist sicherlich nicht wünschenswert, wird allerdings aufgrund des Kontextes nicht zu Verwirrung oder gar Verwechslungen führen.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
entsprechend zumindest zum Teil von einem unklaren „Verschwimmen“ der jeweiligen Begriffe und auch der Theorien gesprochen werden. Ein (mittlerweile) vermeintlich neutraler Begriff kann somit weiterhin gewissen Sinngehalt der ursprünglich zugeordneten Theorie enthalten. Dies beeinflusst die Interpretation des jeweiligen Themas gewollt oder ungewollt. Wenn auch der Begriff der Inkorporation zur Beschreibung der Einflussnahme des internationalen auf das nationale Recht in Österreich am gebräuchlichsten ist, so wird der Begriff aus besagten Gründen in dieser Arbeit nicht gebraucht. Das hat den Grund, dass das Vorbeugen von Missverständnissen in Hinblick auf eine von Dualismus wie Monismus unabhängige Lösung der Rezeptionsfrage gegenüber dem offensichtlich gängigen Gebrauch des Begriffes vorteilhafter erscheint. Der Begriff der Rezeption hingegen wird sowohl national und international theorienübergreifend als allgemeiner Begriff zur Beschreibung des Verhältnisses von Völkerrecht zu nationalem Recht gebraucht. Das Begriffsverständnis dieser Arbeit soll sich dementsprechend – wenn überhaupt von Nöten – ausschließlich an einem allgemeinen Rezeptionsbegriff orientieren. 3. Transformation Heinrich Triepel hat die dualistische Lehre sowie die nach ihr naturgemäß notwendige Rezeptionstechnik geprägt. Den Vorgang, der heute hauptsächlich als Transformation bezeichnet wird, beschreibt er als einer der ersten ausdrücklich. Den Begriff der Transformation selbst verwendet er in seinem berühmten Werk „Völkerrecht und Landesrecht“ allerdings nicht.15 Dieser bildet sich vielmehr erst aus der Rezeption der Triepel’schen dualistischen Sichtweise im letzten Jahrhundert heraus.16 Der Begriff der Transformation ist der dualistischen Lehre entsprechend notwendig, um das „Umgießen“ bzw. „Umwandeln“ der völkerrechtlichen Norm in innerstaatliches Recht zu bewerkstelligen.17 Entsprechend der gemäßigten monistischen Lehre entwickelte sich ein gemäßigter Dualismus. Dies wirkt sich auch auf das Verständnis des Transformationsbegriffes in nicht unerheblichem Maße aus. 15
H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 1). Siehe dazu oben A.I.1., insbes. Fn. 1; wie auch W. Rudolf, Völkerrecht (Fn. 12), 3, in Fn. 13; und T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 48. 17 Nach Ansicht der Dualisten sind das Völkerrecht und das Landesrecht zwei voneinander getrennte Rechtsordnungen. Siehe dazu oben, Einleitung, Fn. 7; vgl. H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 1), 111 f.; und des Weiteren D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts I: Einführung – Allgemeine Lehren, vom Verfasser durchgesehene und autorisierte Übertragung nach der 3., erweiterten und revidierten italienischen Auflage von C. Bruns und K. Schmid (1929), 36, 45 ff.; wie W. Rudolf, Völkerrecht (Fn. 12), 158. 16
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Noch mehr als beim Inkorporationsbegriff können durch ein unterschiedliches Verständnis der dem Transformationsbegriff zu Grunde liegenden Rezeptionstechnik Missverständnisse wie Ungereimtheiten entstehen.18 Im Ergebnis äußert sich dies dahingehend, dass die spezielle oder auch individuelle Transformation von der generellen Transformation unterschieden wird. Bei der speziellen Transformation schlägt das ursprünglich dualistische Verständnis durch. Dies erfolgt in dem Sinne, dass diese Rezeptionstechnik jede völkerrechtliche Norm in eine innerstaatliche Rechtsquelle transformiert, also „umwandelt“, um deren Geltung im innerstaatlichen Recht bewirken zu können.19 Nach erfolgter Transformation existieren sodann eine völkerrechtliche und eine nationale Norm. Die generelle Transformation hingegen entspricht – unabhängig von der begrifflich naheliegenden Verwandtschaft zur dualistischen Lehre – vielmehr einem monistischen Konzept.20 Generell transformiertes Völkerrecht wird entweder als Völkerrecht, das auf Grund eines bestimmten staatlichen Aktes im nationalen Recht gilt, angesehen21 oder aber auf Grund einer (verfassungsrechtlichen) Transformationsbestimmung generell, d.h. in Bausch und Bogen in nationales Recht übernommen.22 Vielsagend bezüglich der begrifflichen Verwirrung ist die unterschiedliche Bezeichnung, die österreichische Autoren für denselben Vorgang wählen.23 Einige bevorzugen nach wie vor den Begriff der generellen Transformation,24 andere wiederum den der Adoption.25 Diese wie jene Bezeichnung umschreibt mittlerweile allerdings einen Rezeptionsvorgang, welcher sich nach herrschender Auffassung vom Theorienstreit losgelöst hat. Dementsprechend kann auch von einem einigermaßen neutralisierten Begriff gesprochen werden.26 Gewisse ursprüngliche, historische Eigenheiten der jeweiligen Theo18 Darauf weisen u. a. R. Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1972), 165 f., in Fn. 2; T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 133, in Fn. 72; und S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 352 f., in Fn. 22 hin. 19 Vgl. dazu S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 352; R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 18), 166; und T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 101, 145 f. 20 Siehe dazu T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 120. 21 So bspw. R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 18), 166. 22 Vgl. dazu auch S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 352. 23 Mittlerweile wird die generelle Transformation als Synonym für den Adoptionsbegriff gebraucht, siehe allg. dazu F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 3), 115. 24 Siehe bspw. S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 357. 25 Siehe bspw. I. Seidl-Hohenveldern, Transformation or adoption of international law into municipal law, 12 ICLQ (1963), 88 (103); und T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 133. 26 Siehe u. a. R. Walter, Die Neuregelung der Transformation völkerrechtlicher Verträge in das österreichische Recht, ÖJZ (1964), 449 (450); und H. Miehsler, Alfred Verdross’ Theorie des gemäßigten Monismus und das Bundesverfassungsgesetz vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, JBl. (1965), 566 (570). Vgl. dazu auch den Ausdruck „Transformations-(Adoptions)Norm“ bei H. R. Laurer, Der Beitritt Öster-
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
rien werden allerdings nicht vollständig zu bereinigen sein.27 Das Ziel dieser Arbeit ist es u. a. aufzuzeigen, dass der Transformationsbegriff nicht unumgänglich ist. Für die Beschreibung der Rezeption von Völkerrecht in Österreich wird er daher dieser Arbeit nicht zu Grunde gelegt. 4. Adoption Die Adoption bzw. das Adoptionsprinzip wird als innerstaatlicher Anwendungsbefehl für völkerrechtliche Normen gesehen28 und somit der monistischen Lehre zugeordnet.29 Dies entspreche einer gemäßigten monistischen Sichtweise, nach welcher der „Vollzugs- bzw. Anwendungsbefehl“ der völkerrechtlichen Norm im nationalen Recht zur Geltung verhilft.30 Durch diesen nationalen Vollzugsbefehl wird es ermöglicht, dass völkerrechtliche Normen auch national gelten. Charakteristisch dafür ist die Identität der Völkerrechtsquelle mit der nationalen Rechtsquelle. Es wird kein neues nationales Recht geschaffen, sondern vielmehr dem Völkerrecht als Völkerrecht Geltung im nationalen Recht verschafft. Ihren Ursprung hat die Adoptionstheorie im anglo-sächsischen Recht.31 Das Naheverhältnis des Adoptionsbegriffes zum Inkorporationsbegriff ist im ursprünglichen Sinne noch größer, als jenes zum Begriff der generellen Transformation.32 Zusätzlich ist auch das Begriffsverständnis der Adoption nicht frei von unterschiedlichen Bedeutungen.33 Zusammenfassend muss auch hier ein wechselreichs zu internationalen Organisationen als Problem der innerstaatlichen Normerzeugung, 20 Österreichische ZföR (1970), 341 (350). 27 Vgl. dazu T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 131. Siehe ebenso die Kritik bei C. Schreuer, Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte (1977), 177 f. 28 Siehe F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 3), 115. 29 Vgl. dazu W. Rudolf, Völkerrecht (Fn. 12), 154; S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 352 f. Anders aber E. Kaufmann, Traité international et loi interne, in: P. Vellas (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Gilbert Gidel (1961), 383 (385 ff.); wie id., Normenkontrollverfahren und völkerrechtliche Verträge in: O. Bachof et al. (Hrsg.), GS Walter Jellinek (1955), 445 (447 ff.), der sich als Dualist – vor allem bezogen auf das Völkergewohnheitsrecht – für das Adoptionsprinzip ausspricht. Dies begründet er auf einem beide Rechtsordnungen umfassendes Naturrecht. 30 Vgl. ganz allgemein dazu ibid., 114 f. 31 Die „adoption theory“ geht zurück auf Blackstone, welcher damit den Ansatz von Lord Chancellor Talbot im Barbuit’s case 1735 erklärte. Siehe dazu D. W. Greig, Law2 (Fn. 11), 47; wie W. E. Butler, Law (Fn. 5), 68. Siehe dazu auch W. Blackstone, Commentaries (Fn. 10), 67: „the law of nations [. . .] is [. . .] adopted in its full extent by the common law, and is held to be part of the law of the land“. 32 Siehe die synonyme Verwendung der Begriffe, bzw. die Erläuterung der Entwicklung von der „adoption theory“ zur „doctrine of incorporation“ bei D. W. Greig, Law2 (Fn. 11), 49. Siehe auch Fn. 11; wie weitere Hinweise bei W. E. Butler, Law (Fn. 5), 68 f.
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haftes Verständnis auf Grund eines unterschiedlichen Verwendens des Adoptionsbegriffs angeprangert werden.34 Wie oben gezeigt, wird der Begriff der Adoption großteils austauschbar mit dem Begriff der generellen Transformation gebraucht. Dementsprechend gilt zuvor Gesagtes auch für den Adoptionsbegriff. Wenn auch das Begriffsverständnis nicht mehr theoriebezogen gebraucht wird, wird es doch durch die unterschiedlichen Rezeptionstechniken der ursprünglichen Theorie belastet.35 Aus demselben Grund aus dem andere Rezeptionsbegriffe bzw. -techniken in dieser Arbeit nicht verwendet werden, wird in dieser Arbeit auch auf den Adoptionsbegriff verzichtet. Die hier vertretene Grundlage des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht kann ganz allgemein auf die beschriebene Terminologie verzichten. Wird in der Folge generell über das Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht sowie etwaiger spezieller Techniken gesprochen, die dieses Verhältnis begründen bzw. aufrechterhalten, wird dies als Rezeption bzw. als Rezeptionstechnik vollkommen wertwie technikfrei getan.36 Werden spezielle Techniken erläutert, so werden diese mit den für sie am genausten zutreffenden, gebräuchlichen Termini der allgemeinen juristischen Sprache bezeichnet.37 5. Die (unmittelbare) Anwendbarkeit Vielmehr Sprengkraft im Vergleich zu den oben diskutierten – theoriebehafteten – Begriffen über die Rezeption von völkerrechtlichen Normen, liegt bei der (praktischen) Wirkung und somit beim Begriff der (unmittelbaren) Anwendbarkeit dieser.38 Auch terminologisch scheint es gelungener anhand dieses Begriffs die entscheidende Wirkung völkerrechtlicher Normen im nationalen Recht darzustellen, da dieser Begriff zumindest nicht in 33
Siehe oben unter A.I.3., insbes. Fn. 24, 25. Vgl. ebenso den Vorschlag, eine weite Auslegung der Adoption könnte als Überbegriff zu Inkorporation und Transformation verwendet werden bei W. E. Butler, Law (Fn. 5), 70. 34 Ebenso W. E. Butler, Law (Fn. 5), 67 f. 35 Vgl. dazu M. S. Mc Dougal, The impact of international law upon national law: A policy oriented perspective, 4 South Dakota LR (1959), 25 (72): „The fact is that such terms as ‚transformation‘, ‚incorporation‘ and ‚adoption‘ are but metaphors of ill-defined reference, deriving whatever meaning they have from the limiting conception of law, international and national, as abstracted rules.“ 36 Siehe dazu auch oben A.I.1. 37 Siehe bspw. dazu die unmittelbare Anwendbarkeit. 38 Vgl. auch T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 135 f.; a. A. J. Delbrück, Das Individuum im Völkerrecht, in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/2 (2002), 259 (262 f.), der eine echte Völkerrechtsunmittelbarkeit nicht gegeben sieht, da Völkerrecht nur auf Grund eines nationalen Gesetzes oder eben einer allgemeinen nationalen Rechtsnorm im nationalen Recht wirksam werde.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
dem Ausmaß wie oben beschriebene Begriffe von einer der zwei Theorien vereinnahmt wurde. Zu gravierend unterschiedlichen Auffassungen was unter diesem Begriff zu verstehen ist bzw. sei, kam und kommt es allerdings auch ohne Theorienstreit.39 Deshalb soll auf den Begriff der (unmittelbaren) Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Bestimmungen bereits hier an dieser Stelle näher eingegangen werden. Diesem Begriff und die ihm zugrunde liegenden Wirkung wird als ausschlaggebend für die Rezeption von Völkerrecht im Staatsrecht angesehen. a) Schlichte Anwendbarkeit Die schlichte völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten im Allgemeinen, deren einzige Voraussetzung die generelle Geltung dieser völkerrechtlichen Bestimmung ist,40 soll hier in weiterer Folge als Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Norm bezeichnet werden. Die Wirkung der schlichten Anwendbarkeit verpflichtet einen Staat, der in rechtsgültiger Weise völkerrechtliche Verpflichtungen auf sich genommen hat, diese verbindlich einzuhalten wie bspw. jene Änderungen vorzunehmen die zur Erfüllung der übernommenen Verpflichtung nötig sind.41 Nichts anderes besagt auch die grundlegende völkerrechtliche Norm pacta sunt servanda (Art. 26 WVK),42 die als grundlegendes Prinzip des guten Glaubens auf Einhaltung von rechtlichen Verpflichtungen für jedwedes Recht gilt, unabhängig von der Rechtsquelle aus 39 Vgl. dazu schon A. Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich (1971), 42; W. N. Ferdinandusse, Direct application of international criminal law in national courts (2006), 136 ff.; Y. Iwasawa, The doctrine of self-executing treaties in the United States: A critical analysis, 26 Virginia JIL (1986), 627 (635 ff.); und J. H. F. van Panhuy, Relations and interactions between international and national scenes of law, 112 RdC Bd. II (1964), 1 (76). 40 Vgl. bspw. die Unterscheidung zwischen Anwendbarkeit und Geltung bei T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 112, Fn. 4 m. w. N. Hier wird dieser Unterscheidung in weiterer Folge nicht weiter nachgegangen. Die Unterscheidung dieser Begriffe beschränkt sich auf einige wenige Ausnahmekonstellationen wie bspw. die des „toten Rechts“. Dieses steht zwar auf Grund einer verbindlichen Willensübereinkunft in Geltung, wird aber auf Grund seines „toten“ Inhaltes nicht angewendet. In diesem Sinne kann von der Geltung als Voraussetzung für die Anwendbarkeit gesprochen werden. Siehe auch Y. Iwasawa, 26 Virginia JIL (Fn. 39), 632, Fn. 26. 41 Siehe StIGH, Exchange of Greek and Turkish Populations, Gutachten vom 21. Februar 1925 Series B, Nr. 10 Rz. 52; sowie K. Vasak, Was bedeutet die Aussage, ein Staatsvertrag sei „self-executing“? – Zum Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27.6.1960, B 469/59, 24 JBl. (1961), 352 (353). 42 Siehe dazu S. Rosenne, Developments in the law of treaties 1945–1986 (1989), 39: „It is axiomatic that a treaty, made between States, is binding upon each State as a whole, upon each one of its organs. This is implicit in the lapidary formulation of the pacta sunt servanda rule in article 26 of the Vienna Conventions.“
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dem es stammt.43 Eine schlicht anwendbare völkerrechtliche Bestimmung hat dementsprechend einen rein zwischenstaatlichen Inhalt. In der Regel können die allermeisten völkerrechtlichen Bestimmungen als schlicht anwendbare Bestimmungen eingeordnet werden. b) Unmittelbare Anwendbarkeit Die unmittelbare Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Bestimmungen bezieht sich sodann darauf, ob die völkerrechtliche Norm unmittelbar, also ohne Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Rechtssetzungs-Aktes, außer der Ratifikation, innerstaatliche Wirkung entfaltet.44 Die unmittelbare Anwendbarkeit dreht sich um die Frage, ob bspw. der innerstaatliche Richter, also allgemein gesprochen ein innerstaatliches, rechtsanwendendes Organ, die völkerrechtliche Norm unmittelbar anwenden darf, kann bzw. muss.45 Dieses zentrale Element der Durchgriffswirkung der unmittelbaren Anwendbarkeit spiegelt sich auch im Englischen Ausdruck der „self-executing treaties“ wider.46 Dies kann sich in weiterer Folge so auswirken, dass Rechte wie Pflichten von Individuen direkt durch die völkerrechtliche Norm begründet werden,47 was u. a. als unmittelbare Anwendbarkeit i. e. S., also quasi einem Unterfall der unmittelbaren Anwendbarkeit an sich, bezeichnet wurde.48 43
Siehe IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua vs. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. (1988), Rz. 94; und IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. (1974), Rz. 46 und 49. 44 Vgl. auch A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht3 (Fn. 7), 550; wie S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 355, der die unmittelbare Anwendbarkeit [wenn auch bezogen auf die EU] als: „die innerstaatliche Geltung der einzelnen Völkerrechtsnormen [. . .] ohne Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Aktes“ mit „Durchgriffswirkung“ umschreibt. Vgl. auch A. Reinisch, ZfRV (Fn. 7), 15 m. w. N. in Fn. 40; und Y. Iwasawa, 26 Virginia JIL (Fn. 39), 632, Fn. 27; vgl. auch T. Buergenthal, Self-executing and non-self-executing treaties in national and international law, 235 RdC Bd. IV (1992), 303 (317). 45 Siehe dazu auch K. Kaiser, Treaties, Direct applicability, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2011), Rz. 1: „A treaty is ‚self-executing‘ or ‚directly applicable‘ in domestic law, when its provisions will be applied by courts or executive agencies as provisions of domestic law without the need of further legislative or administrative measures.“ Auch wenn Vasak zwei unterschiedliche Inhalte unter dem Begriff „self-executing“ subsumierte, scheint er ebenso diesem Begriffsverständnis zugeneigt zu sein, K. Vasak, JBl. (Fn. 41), 352. 46 Zur Entstehung self-executing treaties-Doktrin vgl. v. a. J. J. Paust, Self-executing treaties, 82 American JIL (1988), 760 (766 ff.), mit dem Hinweis auf deren erstmaliges Auftreten in US Supreme Court, Foster vs. Neilson, Urteil vom Januar 1829, 27 U.S. (2 Pet.) 253, 314 (Marshall, C.J.). 47 Siehe dazu StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, Gutachten vom 3. März 1928, Series B, Nr. 15. Vgl. ebenfalls A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht3
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Die unmittelbare Anwendbarkeit wurde auch in eine internationale und eine innerstaatliche unmittelbare Anwendbarkeit aufgespalten.49 Allerdings ist die Unterscheidung zwischen der internationalen wie der innerstaatlichen unmittelbaren Anwendbarkeit mit Vorsicht zu genießen. Insofern sie auf eine von dem Parteiwillen der völkerrechtlichen Norm offen gelassene unmittelbare Anwendbarkeit einer bestimmten internationalen Norm abzielt,50 ist die Aufspaltung zutreffend. Werden aber durch diese Differenzierung, unabhängig vom Parteiwillen, autonome Beurteilungsmaßstäbe für die internationale wie die innerstaatliche Ebene gerechtfertigt, ist dies nicht richtig.51 In dieser Arbeit soll den Ausführungen zu Folge die unmittelbare Anwendbarkeit v. a. im Sinne der Durchgriffswirkung auf das nationale Recht, also bspw. den innerstaatlichen Rechtspruchkörper verstanden werden, woran sich auch das Begriffsverständnis dieser Arbeit orientiert. Der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit umfasst zwei zentrale Wirkungen, die meist, aber nicht immer zusammenfallen. Zum einen die Rechtswirkung, die auf das Individuum durchschlägt, und zum anderen die allgemeine Rechtswirkung im innerstaatlichen Recht, die auf den innerstaatlichen Richter, wie andere innerstaatliche Organe durchschlägt.52 Die (Fn. 7), 255 ff.; G. Winkler, Zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Staatsverträgen, JBl. (1961), 8 (8); wie auch aktuelle Judikatur: IGH, LaGrand (Germany vs. USA), Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Rep. (2001), Rz. 77 bezogen auf Art. 36 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen; siehe dazu A. Nollkaemper, The direct effect of public international law, in: J. M. Prinssen/A. Schrauwen (Hrsg.), Direct effect – Rethinking a classic of EC legal doctrine (2002), 157 (157 f.). Vgl. aber auch das wiederum zurückhaltende Urteil bezogen auf Art. 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen IGH, Avena and Other Mexican Nationals (Mexico vs. United States of America), Urteil vom 31. März 2004, ICJ Rep. (2004), Rz. 113; und wiederum dazu A. Nollkaemper, Rethinking the supremacy of international law, 65 ZÖR (2010), 65 (72). Für eine zurückhaltende Interpretation der Wirkung dieses Urteils siehe sodann IGH, Request for Interpretation of the judgment of 31 march 2004 in the Case Concerning Avena and Other Mexican Nationals (Mexico vs. United States of America) (Mexico vs. United States of America) Urteil vom 19. Januar 2009, ICJ Rep. (2009), 3, Rz. 44; und dazu A. Peters, Rechtsordnung und Konstitutionalisierung: Zur Neubestimmung des Verhältnisses, 65 ZÖR (2010), 3 (21). 48 Siehe dazu A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht3 (Fn. 7), 551; vgl. für die Bezeichnung als „Plus“ zur unmittelbaren Anwendbarkeit A. Reinisch, ZfRV (Fn. 7), 15; ebenso G. Buchs, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen – Am Beispiel der Rechtsprechung der Gerichte Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika (1993), 40 f. 49 Vgl. dazu bspw. T. Buergenthal, 235 RdC Bd. IV (Fn. 44), 317–322, welcher zwischen der innerstaatlichen wie der internationalen unmittelbaren Anwendbarkeit unterscheidet. 50 Siehe dazu unten im Detail A.III.2. 51 Siehe dazu unten A.III.3.
I. Rezeptionstechniken und deren Bezeichnung
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Durchgriffswirkung auf den innerstaatlichen Richter hat zumeist auch direkte Auswirkungen für die Rechte und Pflichten von Individuen. Die unmittelbare Anwendbarkeit kann, muss folglich aber nicht immer in der Verleihung von subjektiven Rechten an Individuen resultieren.53 c) Individualisierende Norm des Völkerrechts Eine Durchgriffswirkung internationalen Rechts auf ein Individuum bedeutet hingegen nicht immer, dass diese Bestimmung von einem innerstaatlichen Organ, wie bspw. einem innerstaatlichen Richter anzuwenden ist. Als Beispiel sei an dieser Stelle das Völkerstrafrecht genannt. Auch Art. 34 EMRK ist unter diese Konstellation zu subsumieren. Individuen können also zur Verantwortung gezogen werden, bzw. ihre Rechte einfordern, d.h. internationale Normen können für diese Individuen direkt anwendbar sein, ohne dass eine Entscheidung eines innerstaatlichen Rechtspruchkörpers, die sich auf diese völkerrechtliche Norm stützt, dazwischentreten muss.54 Dies wird hier – um den Unterschied auch sprachlich zu betonen – schlicht als die Individualisierung des Völkerrechts bezeichnet.55 Die Wirkung dieser Bestimmungen wird sodann nicht als unmittelbar anwendbare, sondern als individualisierende Wirkung der völkerrechtlichen Normen umschrieben. Der Unterschied zu unmittelbar anwendbaren internationalen Normen liegt v. a. darin, dass die Rolle des Staates als Mediator im Bereich der Rechtsanwendung bei individualisierenden Normen wegfällt. Der Unterschied zwischen der unmittelbaren Anwendbarkeit und der Individualisierung des Völkerrechts kann somit auch in der unterschiedlichen Rechtsanwenderperspektive, einmal des Individuums und einmal des Staates, als zwischengeschalteter Mediator gesehen werden. 52 Siehe dazu auch J. H. Jackson, Status of treaties on domestic legal systems: A policy analysis, 86 American JIL (1992), 310 (316–318); wie auch K. Schmalenbach, Article 27 (Fn. 3), Rz. 40. 53 Siehe dazu auch G. Ress, Wechselwirkungen zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, in: G. Ress/C. Schreuer (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge (1982), 7 (104): „Ich darf in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, daß die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit und die Frage nach den aus einer Vertragsbestimmung sich ergebenden subjektiven Rechten zwei verschiedene Kategorien darstellen, die sauber voneinander zu trennen sind.“ 54 Vgl. dazu auch die Aufzählung bei J. Delbrück, Individuum (Fn. 38), 263 f. m. w. N. 55 Siehe dazu unten A.III.3. Vgl. zum Terminus „Individualisierung“ wie auch allg. S. Griller, Völkerrecht und Landesrecht, in: R. Walter/C. Jabloner/K. Zeleny (Hrsg.), Hans Kelsen und das Völkerrecht – Ergebnisse eines Internationalen Symposiums in Wien (2004), 96, 98 ff.
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II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor 1. Abhandlung des Rechtsverständnisses a) Einleitende Bemerkungen Die Frage, was Recht sei, bzw. wie Recht definiert werden solle, wurde schon vielerorts gestellt.56 Keine Strömung kann für sich allerdings in Anspruch nehmen, eine absolut unwiderlegbare Definition gewonnen zu haben. Vielmehr werden je nach Deutungsvariante unterschiedliche Elemente des Rechts in den Vordergrund gerückt, was Vorteile zur Erklärung spezieller Rechtsprobleme bringen kann. Damit gehen aber in der Regel Nachteile für die Erklärung anderer Problemfelder und dafür zentrale, aber eben vernachlässigte Elemente des Rechtsbegriffs einher. Unverblümt muss zugleich an dieser Stelle klargestellt werden, dass sich der Autor nicht anmaßt, mit der hier sogleich folgenden Definition den Versuch zu unternehmen, dieses Faktum der Unzulänglichkeit beseitigen zu können. Warum wird aber dennoch eine eigene Arbeitshypothese aufgestellt? Wie bereits dargelegt, will die hier sogleich vorgestellte Definition des Rechts keine in irgendeiner Art verbesserte, allgemeine Rechtstheorie sein. Vielmehr soll mit Blick auf das hier zu behandelnde Thema, dem Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht, eine Arbeitshypothese, d.h. ein Rechtsbegriff gewählt werden, der speziell die Elemente in den Vordergrund rückt, welche für dieses Thema von Relevanz sind. Dies geschieht in der Hoffnung, aufbrechende Nachteile einer entsprechend fokussierten Definition an jenem Ort belassen zu können, der speziell für die Frage des Verhältnisses der untersuchten Rechtsgebiete zueinander nur von sekundärer Bedeutung ist. Bezogen auf die hier untersuchte Fragestellung bedeutet das, dass ein möglichst abstraktes Rechtsverständnis als Arbeitshypothese zu Grunde gelegt wird, um den gemeinsamen Nenner der Rechtsgebiete des Völkerrechts und des nationalen Rechts zu finden. Erst eine derart abstrakte Definition erlaubt die Vergleichbarkeit dieser Rechtsgebiete miteinander. Dementsprechend müssen Elemente jener Rechtsbegriffe in den Hintergrund rücken, die auf Grund der Betrachtung von komplexen Gesellschaftsverhältnissen auf einem mehrschichtigen, soziologischen, empirischen Rechtsbegriff aufbauen. Nochmals soll aber betont werden, dass die hier gewählte Arbeitshypothese in keinster 56 Vgl. nur die überblicksartige Auflistung der wichtigsten Strömungen allg. bei P. Koller, Theorie des Rechts2 (1997), 19 ff. Speziell bezogen auf das Völkerrecht siehe U. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht – Zu Rechtscharakter, Quellen, Systemzusammenhang, Methodenlehre und Funktionen des Völkerrechts (1991), 32 ff.; wie auch G. Kreuzbauer, Die Norm im Völkerrecht – Eine rechtsphilosophische und rechtstheoretische Untersuchung (2006), 30 ff.
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Weise ein Angriff auf jene Theorien darstellen soll. Die Unterschiede in den Rechtsbegriffen, in diesem Sinne also der Arbeitshypothese, sind vielmehr zumeist auf den unterschiedlichen Untersuchungsgegenstand zurückzuführen. Somit ist klargestellt, dass Theorien die auf einem anderen Rechtsbegriff aufbauen, welcher eben der Untersuchung eines anderen Rechtsgebietes wie bspw. dem des Staatsrechts geschuldet ist, in ihrem Rahmen viele komplexe Fragestellungen zu erklären bzw. zu lösen im Stande sind, was wiederum mit den hier ins Zentrum gerückten Elementen nicht in gleichem Ausmaß zu bewerkstelligen wäre. Durch den Fokus auf andere Elemente eines solchen Rechtsbegriffs, sind die dort gezeichneten Rechtsbegriffe allerdings für eine Anwendung auf die Frage der Beziehung von internationalem zu nationalem Recht im Umkehrschluss ebenso nur begrenzt geeignet. Dies zeigt sich bspw. darin, dass eine strikte Anwendung eben jener Theorien, bzw. der ihnen zu Grunde liegenden Elemente des jeweiligen Rechtsbegriffs nicht selten entweder zur Leugnung des Völkerrechts oder zur Aufweichung bzw. Verbiegung wesentlicher Elemente der jeweiligen Theorie führen würde.57 Obwohl dargelegt wurde, dass der spezielle Untersuchungsgegenstand eine ebenso spezielle Arbeitshypothese erfordert, soll dennoch bei der nachstehenden Definition nicht auf bereits herausgearbeitete Eigenschaften bzw. Elemente der unterschiedlichen Rechtsbegriffe verzichtet werden. Ohne Zweifel ist das hier behandelte Thema von derart zentralem Interesse, dass ihm bereits viele Abhandlungen gewidmet wurden. Dementsprechend wurden die speziellen Eigenschaften, welche dieses Thema an den Rechtsbegriff stellt, auch schon andernorts untersucht. Anstatt jedoch einer bestimmten Strömung nachzufolgen, wird versucht eine eigene Arbeitshypothese aufzustellen. Dabei werden die in den Vordergrund gerückten Elemente der hier vertretenen Rechtsdefinitionen – jeweils bezogen auf ein bestimmtes Element der Definition – unter Berücksichtigung des jeweiligen Hintergrundes in den hier geführten Diskurs eingebettet, um den Erkenntnisgewinn der jeweiligen Diskussion bezogen auf einzelne Elemente des Rechtsbegriffs gebührend berücksichtigen zu können. Der Leser sei aber zugleich dazu aufgerufen, sich nicht durch die hier vorgenommene Definition des Rechts, welche möglicherweise seiner Rechtsauffassung widerspricht, von der weiteren Lektüre abzuwenden. Der mit der hier gewählten Rechtsdefinition nicht einverstandene Leser sei dementsprechend zu dem Gedankenspiel animiert, seine eigene Auffassung des Rechts an Stelle der hier vorgenommen Definition einzufügen, um sodann die weiteren Ausführun57 Vgl. für die Ablehnung von Standards des nationalen Rechts als Überprüfung der Rechtseigenschaft des Völkerrecht M. Dixon, Textbook on international law6 (2007), 1 f.
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gen zum Rechtserzeugerkreis darin einzubetten. Ein Unterfangen, das hier aus Platzgründen wie auch aus Überzeugung in Bezug auf die gewählte Rechtsdefinition nicht unternommen wird, aber durchaus lohnenswerte Ergebnisse zu erzielen im Stande wäre. b) Prolegomena zur Definition des Rechtsbegriffs Die Definition des Begriffs des Rechts oder m. a. W. die Entstehung des Rechts, bzw. der ersten rechtlichen Regel, kann nirgendwo anders, als in der rechtlichen Wüste beginnen.58 Um aber nicht Gefahr zu laufen soziologische, psychologische oder gar naturwissenschaftliche Behauptungen aufstellen und verteidigen zu müssen, welche selbstverständlich auch auf einer wissenschaftlich-empirischen Begründung fußen müssten,59 wird dem hier vertretenen Rechtsverständnis eine hypothetische Basis vorausgesetzt.60 Diese Basis, die rechtliche Wüste, soll hier ganz neutral als vorrechtlicher Zustand ohne weitere Spezifikationen verstanden werden. Ob der Naturzustand empirisch betrachtet ein anarchischer Zustand ist, indem jeder gegen jeden kämpft,61 bereits natürliche Rechte vorgefunden werden, um deren Schutz sich der Gesellschaftsvertrag kümmern soll,62 oder jeder im Naturzustand zuerst seiner Besitztümer entledigt werden soll, damit die Bildung des „volonté generale“ ermöglicht wird,63 welcher erst den Blick 58
Vgl. dazu die diversen Theorien vom Gesellschaftsvertrag, überblicksartig dargestellt bei P. Koller, Neue Theorien des Sozialkontrakts (1987). 59 Vgl. dazu J. Klabbers, An introduction to international institutional law (2002), 34: „Legal theorists ordinarily have little business in trying to explain why states co-operate: such belongs to the social sciences properly. Moreover, the legal theorist is generally ill equipped to perfrom such a task: whenever lawyers engage in political analysis, more often than not the results fail to persuade professional political scientists.“ 60 Siehe dazu auch F. Loos, Zur Wert- und Rechtslehre Webers (1970), 111: „Die logische Struktur der Rechtswissenschaft [von Kelsen] ist demgemäß dieselbe wie die der Sozialphilosophie i. S. Webers. Rechtswissenschaft und Sozialphilosophie suchen von hypothetischen vorausgesetzten Werten aus sinnhafte Konsequenzen zu entfalten, sind also in diesem Sinne normative Wissenschaften.“ [Fn. ausgelassen]. Vgl. für den Schwenk in den Lehren des Sozialkontrakts von einer reellen zu einer „hypothetischen Konstruktion“ P. Koller, Theorien (Fn. 58), 14, welcher v. a. I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), 153, als die Stimme in der Gesellschaftslehre zitiert, welche die Fiktion der grundlegenden Willensübereinkunft als erste am klarsten zum Ausdruck brachte. 61 Siehe dazu T. Hobbes, Leviathan (1651, übersetzt von J. Schlösser 1996), 96 ff. 62 Vgl. J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1690 Two Treatises of Government, übersetzt von H. J. Hoffmann 1977), 201 ff.
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auf gemeinsame Interessen zu legen erlaubt, soll hier dahinstehen bleiben. Der hier vorausgesetzten rechtlichen Wüste liegt die Annahme zu Grunde, dass in der rechtlichen Wüste die Willensübereinkunft zwischen zwei oder mehreren Individuen die einzige Variante ist, welche eine objektive64, von den an der Willensübereinkunft beteiligten Individuen65 unabhängige Betrachtung bzw. Beurteilung der durch diese Willensübereinkunft geschaffenen rechtlichen Regel zulässt.66 Ob dieser hypothetische Zustand mit einem Gedankenexperiment einer Naturkatastrophe oder sonstigen Gewaltereignissen erreicht wird, sei der Phantasie des Lesers überlassen. Ähnlich wie dies in der Ideengeschichte des Gesellschaftsvertrages vorgefunden werden kann, wird auch hier das Element der Willensübereinkunft in weiterer Folge auf die abstrakte Grundregel pacta sunt servanda und ein abstraktes pacta tertiis Prinzip gestützt,67 welche sozusagen aus vorrechtlichen, vernünftigen 63 Siehe dazu J. J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts (1762, Du contract social; ou principes du droit politique, übersetzt von H. Brockard 1986), 1. Buch, 6. Kapitel, 17 f. Vgl. dazu P. Koller, Theorien (Fn. 58), 25. 64 Obwohl die Objektivität vielfach umstritten ist, kann eine gewisse, zumindest intersubjektiv begründete Objektivität angenommen werden. Vgl. bspw. K. R. Popper, Objektive Erkenntnis – Ein evolutionärer Entwurf2 (1974). Ob eine vollständige Objektivität auch durch eine übereinstimmende Willensübereinkunft zu erreichen ist, sei hier dahin gestellt. Der Einfachheit halber wird aber dennoch der Begriff der Objektivität gebraucht. Vgl. dazu auch R. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: R. Alexy (Hrsg.), Recht, Vernunft, Diskurs – Studien zur Rechtsphilosophie (1995), 127 (129), welcher die Diskurstheorie, als: „eine prozedurale Theorie der praktischen Richtigkeit [umschreibt]. Nach ihr ist eine Norm dann richtig und deshalb gültig, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur, nämlich der eines rationalen praktischen Diskurses, sein kann.“ [Fn. Ausgelassen] Vgl. dazu ebenso J. Habermas, Die Einbeziehung des Anderen2 (1997), 299 f.; wie auch id., Die postnationale Konstellation (1998), 175; und id., Faktizität und Geltung – Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats (1992), 138, wobei: „genau die Regelungen Legitimität beanspruchen dürfen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.“ So ähnlich auch S. Benhabib, Another universalism: On the unity and diversity of human rights, 81 Proceedings and addresses of the American Philosophical Association (2007), 7 (21). 65 Unter Individuen werden in weiterer Folge natürliche Personen verstanden. Die Begriffe werden dementsprechend synonym gebraucht. 66 Vgl. dazu auch die Argumentation Weinbergers’ zum Ausschluss diverser Naturrechtslehren O. Weinberger, Norm und Institution – eine Einführung in die Theorie des Rechts (1988), 72 f., wie auch 73: „Der Positivismus geht demgegenüber vom Non-Kognitivismus aus, demgemäß es keine Möglichkeit gibt, richtiges Recht zu erkennen und überhaupt Normen rein kognitiv – d. h. ohne willensmäßige Stellungnahme – zu begründen.“ [Hervorhebung im Original]. 67 Vgl. hierzu überblicksartig P. Koller, Theorien (Fn. 58), 12 f.: „Die Vorstellung, von der alle Konzeptionen des Gesellschaftsvertrages ausgehen, wie sehr sie sich sonst auch unterscheiden mögen, ist offenbar die folgende: Wenn jemand eine
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Gründen für geltend angesehen werden. John Rawls erkennt im Vernünftigen „erstens die Bereitschaft, faire Kooperationsbedingungen vorzuschlagen und zu achten, und zweitens die Bereitschaft, die Bürden des Urteilens anzuerkennen und ihre Konsequenzen zu akzeptieren.“68 Bei rationalen Menschen ist hingegen nach Rawls unklar, „welche Ziele sie verfolgen, [. . .] nur, daß sie dies auf intelligente Weise tun“ ist gegeben.69 Obwohl diese Unterscheidung umso geringer zu werden scheint, desto eher der Mensch als soziales Wesen betrachtet wird, der von Natur aus kooperativ ausgerichtet ist,70 so soll hier grundlegend auf dem Gedanken aufgebaut werden, welcher von Rawls den vernünftig handelnden Menschen zugeschrieben wird. Im Bewusstsein, dass diese Voraussetzungen nicht willkürlichen Inhalts sein dürfen, da die getroffene Fiktion nicht gravierend von den vorstellbaren bzw. aktuell bereits geklärten Fragen dieses vorrechtlichen Zustandes vertragliche Vereinbarung mit anderen trifft, so gibt er seine Zustimmung zu den Rechten und Pflichten, die ihm aus dieser Vereinbarung erwachsen. Sofern seine Zustimmung freiwillig und unter der Bedingung seiner gleichberechtigten Beteiligung an den Vertragsverhandlungen erfolgt, hat er kein Recht, sich über die aus der Vereinbarung resuliterenden Rechte und Pflichten zu beklagen, und muß sie als für sich verbindlich akzeptieren, nach dem Motto: Volenti non fit iniuria! Dieser Art der Rechtfertigung von Rechten und Pflichten durch vertragliche Zustimmung liegt die Annahme zugrunde, daß jemand, der freiwillig eine vertragliche Übereinkunft eingeht, seine wohlerwogenen Interessen wahrt und sich nicht auf etwas einläßt, was ihm zum Schaden gereicht. Voraussetzung hierfür ist, daß die Vertragspartner einander als gleichberechtigte Personen gegenüberstehen und ihre Übereinkunft unter fairen Bedingungen herbeiführen, so daß eine Übervorteilung des einen durch den anderen ausgeschlossen ist.“ 68 Siehe J. Rawls, Politischer Liberalismus (1998, dt. Übersetzung von Wilfried Hinsch, im Original: Political liberalism, 1993), 120, insbes. Fn. 1. 69 Ibid. Dies Unterscheidung trifft Rawls in Anlenhung an Kant’s Metaphysik der Sitten, W. M. Sibley, The rational versus the reasonable, 62 Philosophical Review (1953), 554 ff. und T. M. Scanlon, Contractualism and utilitarianism, wiederabgedruckt in: T. M. Scanlon, The difficulty of tolerance: Essays in political philosophy (2003), 124 (137 ff.). 70 Siehe dafür, dass die Intuition scheinbar eine Präferenz für nicht egoistisches Handeln kennt bspw. „Die Zeit-Online“ vom 19.09.2012 mit Verweis auf D. G. Rand/J. D. Greene/M. A. Nowak, Spontaneous giving and calculated greed, 489 Nature (2012), 427 ff. Dass dies wohl zumindest z. T. auch von Rawls (123 f.), so gesehen wird, tritt daran zum Vorschein, dass er rationalen Menschen „die besondere Form der moralischen Sensibilität, die dem Wunsch zugrunde liegt, sich an der Kooperation als solcher zu beteiligen, und zwar unter Bedinungen, die vernünftigerweise erwarten lasen, daß andere diesen ebenfalls zustimmen“ abschreibt und rationale Menschen bei zu ausgeprägtem egoistischen Verhalten Psychopathen annähert. Für eine Kritik an diesem von Rawls gewählten Vernunftbegriff, der bereits eine gewisse Orientierung zur politischen Kooperation voraussetze, siehe A. J. Simmons, Justification and legitimacy, 109 Ethics (1999), 739 ff., wiederabgedruckt in: A. J. Simmons, Justificaction and legitimacy – Essays on rights and obligations (2001), 122 (150 f.).
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abweichen darf, sei eine kurze Erläuterung dieser Annahme erlaubt. Hinter der vorrechtlichen Geltung der pacta sunt servanda Regel71 steht die Annahme, dass sich vernünftigerweise wohl alle an der Willensübereinkunft zur Rechtserzeugung beteiligten Individuen an den getroffenen Kompromiss halten müssen, um nicht das Ergebnis des Erreichten oder auch den Schluss eines zukünftigen, für sie wiederum positiven Kompromisses,72 zu gefährden.73 Dies setzt freilich die Annahme voraus, dass Individuen überhaupt 71 Die vorrechtliche Geltung an sich besagt schon, dass das Prinzip pacta sunt servanda ganz allgemein bezüglich der verbindlichen Geltung von Recht und eben nicht spezifisch auf Vertragsrecht bezogen wird. 72 Unter Kompromiss wird in der Folge immer ein per Willensübereinkunft erzielter Konsens verstanden. Unabhängig davon dass Kompromiss und Konsens nicht deckungsgleich sind, da nicht jeder Konsens auch ein Kompromiss sein muss, werden beide Begriffe hier in weiterer Folge synonym gebraucht. Vgl. zum Kompromiss auch N. Hoerster, Was ist Recht? Grundfragen der Rechtsphilosophie (2006), 133: „Die Bewertung des Rechts bzw. die Aufstellung normativer Anforderungen an das Recht ist in ihrer Begründung auf ethische Prämissen angewiesen. Nach der hier vertretenen Auffassung können diese Prämissen letztlich nur auf die Realisierung individueller Interessen bzw. eines Kompromisses solcher Interessen Bezug nehmen.“ 73 Siehe [allerdings zum Vertrag, was aber der Vergleichbarkeit keinen Abbruch tut] schon I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), II. Hauptstück 2. Abschnitt § 19 insbes. 100 f.: „Die Frage war: warum soll ich mein Versprechen halten? Denn daß ich es soll, begreift ein jeder von selbst. [. . .] Es ist ein Postulat der reinen (von allen sinnlichen Bedingungen des Raumes und der Zeit, was den Rechtsbegrif betrift, abstrahierenden) Vernunft, [. . .].“ Vgl. dazu ebenso die Definition der Verbindlichkeit des Rechts von Brierly. Wenn er auch nicht den Konsens für seine Definition von der Verbindlichkeit des Rechts voraussetzt, so kann doch seiner Definition, die mit dem Bewusstsein der Notwendigkeit des Rechts der Rechtsadressaten in Verbindung gebracht werden kann, ein gewisses Element der bewusst gewollten Einhaltung von Recht entnommen werden. Dies kann schlussendlich abstrakt gesehen noch von einem impliziten Konsens umfasst sein. Siehe J. L. Brierly, The law of nations (1963), 56: „The ultimate explanation of the binding force of all law is that man, whether he is a single individual or whether he is associated with other men in a state, is constrained, in so far as he is a reasonable being, to believe that order and not chaos is the governing principle of the world in which he has to live.“ Vgl. auch [allerdings zu pacta sunt servanda auf der Ebene des völkerrechtlichen Vertragsrechts, was aber der Vergleichbarkeit keinen Abbruch tut] G. Dahm, Völkerrecht, Bd. I (1958), 12 wie auch Fn. 17: „Der Mindestbestand der völkerrechtlichen Ordnung muß zunächst die Regel pacta sunt servanda umfassen, ein Gebot zwar nicht der Logik, aber der praktischen Vernunft.“ Siehe auch J. Delbrück, Begriff, Geltung u. Erscheinungsformen des Völkerrechts in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/1 (1989), 27 (37), wenn er sagt: „Wer den Konsens als Quelle des verbindlichen Völkerrechts gelten läßt, setzt damit schon stillschweigend das Bestehen einer Rechtsordnung voraus, aus der sich die Verbindlichkeit des Konsenses ergibt, die also zum mindesten den Grundsatz pacta sunt servanda enthält.“ Dies ist folgerichtig, hier wird dieser Grundsatz [zusammen mit dem pacta tertiis Grundsatz] allerdings nicht stillschweigend als eine vorgeschaltete „Rechtsordnung“, sondern
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ein beiderseitiges bzw. reziprokes Interesse haben, rechtliche Regeln zum besseren Zusammenleben zu schließen und sich kooperativ zu verhalten. Der Kompromiss für sich wird folglich in der allgemeinen Annahme eine für beide bzw. alle Seiten positive Auswirkung zu erzielen getroffen. Diese Annahme scheint gerade deshalb zulässig, da ohne sie der Schluss einer verbindlichen Willensübereinkunft an sich bereits sinnlos wäre. Im Gegensatz zu den Gesellschaftsvertragsmodellen soll es hier aber nicht darum gehen, bestimmte staatliche Organisationsmodelle zu legitimieren oder unumstößliche Gerechtigkeitsprinzipien74 zu finden.75 Genausowenig wird ein zeitunabhängiger Rechtsbegriff und dafür notwendige Voraussetzungen verfochten. Ohne auf konkrete inhaltliche Ergebnisse abzuzielen, soll der Blick auf ein strukturelles Konzept gerichtet werden. vielmehr als aus vernünftigen Gründen geltendes Prinzip angesehen. Siehe auch (41 f.): „Das Völkerrecht gilt, weil es notwendig ist.“ „[S]ie [die Regel pacta sunt servanda] ist notwendiges Recht in dem Sinne, daß ohne dessen Geltung das internationale Leben dem Chaos und der Anarchie anheimfallen müßte.“ Vgl. auch id., Verbindlichkeit und Geltungsbereich der Verträge, in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/3 (2002), 600 (600 f.), wo das pacta sunt servanda wie das pacta tertiis Prinzip als „selbstverständliches ius necessarium“ bezeichnet wird. Vgl. ebenso J. Basdevant, Règles generals du droit de la paix, 58 RdC Bd. IV (1936), 471 (642). G. Scelle, Précis de droit des gens: Principes et systematique, Bd. I: Introduction, le milieu intersocial (1932), 31, lokalisiert die grundlegende Geltungsbegründung des Völkerrechts wie des Rechts überhaupt in dem „fait social“, einem „sozialen Faktum“: „[L]a source du droit intersocial est la même que celle de toute autre disciplie juridique: elle est unique et se trouve dans le ‚fait social‘. Toute norme sociale ou intersociale dérive d’une contrainte qui s’impose d’elle-même aux individus. Si elle n’est pas respectée, s’il n’y a pas réalisation de la solidarité dans le groupe, celui-ci s’évanouit et disparaît. La source du droit international découle des rapports internationaux, comme la source du Droit des rapports individuels. Son caractère obligatoire dérive de la nécessité de ces rapports, qu’ils soient originairement indispensables à la vie de chaque groupe, ou gu’ils acquièrent, par la division du travail, la force d’une nécessité biologique.“ Ähnlich zum Völkerrecht auch H. Wehberg, Pacta sunt servanda, 53 American JIL (1959), 775 (782). Vgl. zu pacta sunt servanda auch überblicksartig K. Schmalenbach, Article 26, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 13–22 m. w. N. 74 Siehe dafür J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (1975, dt. Übersetzung auf Basis eines anläßlich der deutschen Ausgabe vom Autor revidierter Texts von H. Vetter, im Original: A theory of justice, 1971); id., Das Recht der Völker (2002, dt. Übersetzung von W. Hinsch, im Original: The law of peoples, 1999). 75 Vgl. hierzu nur P. Koller, Theorien (Fn. 58), 17, der darauf hinweist dass die Gesellschaftsvertragskonzeptionen zum einen einen „akzeptablen Ausgangszustand bestimmen [müssen], von dem aus eine faire Übereinkunft aller Beteiligten über die Grundsätze ihres Zusammenlebens zustandekommen kann“. Über die hier vorgenomme Abhandlung hinaus, zielen die Gesellschaftsvertragsmodelle zum anderen darauf ab, zu „zeigen, welche Grundsätze unter der Voraussetzung dieses Ausgangszustandes die vernünftige Zustimmung aller Beteiligten finden würde[n]“.
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In einer Situation aber, in der durch einen geschlossenen Kompromiss eine Lage entsteht, wobei nicht alle Interessen der beteiligten Individuen in gewisser Weise gleich gewichtet berücksichtigt werden, d.h. eine Situation, in der ein beteiligtes oder wenige beteiligte Individuen, also eine Minderheit, derart stark benachteiligt sind, sodass dies die Grenze ihrer Akzeptanz sprengt, stellt dies keinen Kompromiss bzw. Konsens im hier betrachteten Sinn dar. Dem benachteiligten Einzelnen bzw. der Minderheit bleibt in dieser Situation dementsprechend die faktische Möglichkeit, sich gegen diesen oktroyierten Kompromiss aufzulehnen, also zu revoltieren. Dies wird vor dem Hintergrund des Grundprinzips der pacta tertiis nec nocent nec prosunt Regel gesehen, welche parallel zur pacta sunt servanda Regel, aus vorrechtlichen, vernünftigen Gründen76 als geltend angesehen wird. In Anlehnung an die Theorien des Gesellschaftsvertrages werden die an der Willensübereinkunft beteiligten Individuen als gleich betrachtet. So wurde bereits argumentiert, dass sich ein von einer bestimmten Willensübereinkunft betroffenes Individuum, welches am Entstehungsprozess der Willensübereinkunft nicht gebührend beteiligt war, mit all seiner Kraft gegen eine ohne seine freiwillige Zustimmung gefasste Regel wehren kann. Alleinschon diese Möglichkeit der faktisch nicht begrenzbaren Möglichkeit der Auflehnung eines jeden benachteiligten Individuums, wird sein(e) Gegenüber dazu veranlassen, niemanden in einen gröblich benachteiligenden Kompromiss zu drängen.77 Das dadurch entstehende Gefährdungspotential wird von den übrigen an der Willensübereinkunft beteiligten Individuen dementsprechend nicht in Kauf genommen. Hat Thomas Hobbes die Gleichheit der Menschen in der zuvor beschriebenen Form noch als empirische Tatsache angenommen,78 so wurde sie von John Locke als natürliches 76 Siehe zum Unterschied von vernünftig und rational oben, A.II.1.b), S. 29 f., insbes. Fn. 68–70. 77 Vgl. hierzu die empirische Annahme von T. Hobbes, Leviathan (Fn. 61), 102: „Die Natur hat die Menschen in den körperlichen und geistigen Fähigkeiten so gleich geschaffen, daß sich zwar zuweilen einer finden lassen mag, der offensichtlich von großer Körperkraft oder schnellerem Auffassungsvermögen ist als ein anderer; jedoch wenn man alles zusammenrechnet, ist der Unterschied zwischen Mensch und Mensch nicht so beträchtlich, daß ein Mensch daraufhin irgendeinen Vorteil für sich fordern kann, auf den ein anderer nicht so gut wie er Anspruch erheben könnte. Denn was die Körperkraft betrifft, so hat der Schwächste genügend Kraft, den Stärksten zu töten, entweder durch einen geheimen Anschlag oder durch ein Bündnis mit anderen, die sich in derselben Gefahr wie er befinden. Und was die geistigen Fähigkeiten betrifft [. . .], so finde ich noch eine größere Gleichheit unter den Menschen als hinsichtlich der Körperkraft.“ 78 Vgl. T. Hobbes, Leviathan (Fn. 61), 102; siehe dazu kritisch P. Koller, Theorien (Fn. 58), 18 f.
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Recht vorausgesetzt.79 Jean Jacques Rousseau wiederum erkannte die Gleichheit der Menschen ebenso als fundamentale Voraussetzung für seine Version des Gesellschaftsvertrages.80 Letztendlich hat John Rawls mit seinem Gedankenexperiment über die Individuen im Urzustand den „Schleier des Nichtwissens“ gelegt, damit sich die über die gerechteste Gesellschaftsstruktur verhandelnden Individuen gleich zu gleich gegenüberstehen.81 Hier soll nicht der Versuch unternommen werden, die Gleichheit der Individuen in einer neuartigen Form parallel zu den gerade umschriebenen Wegen herzuleiten. Vielmehr soll im Bewusstsein ihrer offensichtlichen Wichtigkeit nach dem Blick auf den Großteil der Gesellschaftstheoretiker ein vages Gleichgewicht angenommen werden, welches sich in der vorrechtlichen, fundamentalen Gleichheit der Individuen ausdrückt.82 Gleichgewicht deshalb, da prinzipiell von einem Informations- wie Möglichkeitengleichstand aller Individuen im vorrechtlichen Zustand ausgegangen wird. Vage ist das Gleichgewicht deshalb, da dieser Gleichstand kein vollkommener ist. M. a. W. gewährleistet eine Gemeinschaft nicht jeder partizipierenden natürlichen Person die Erfüllung der für die menschliche Existenz ganz grundlegenden Bedürfnisse, so wird das dadurch entstehende Gefährdungspotential dieses benachteiligten Individuums derart groß sein, sodass es für die Gemeinschaft günstiger ist, diesem Potential vorzubeugen, als die kurzfristi79 Siehe J. Locke, Abhandlungen (Fn. 62), 203, wenn er sagt: „Im Naturzustand herrscht ein natürliches Gesetz, das jeden verpflichtet. Und die Vernunft, der dieses Gesetz entspricht, lehrt die Menschheit, wenn sie sie nur befragen will, daß niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll.“ 80 Siehe J. J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag (Fn. 63), 1. Buch, 6. Kapitel, 17 f., welcher dementsprechend eine radikale Enteignung aller am Gesellschaftsvertrag Beteiligter verlangte, um eben die dringend benötigte Gleichheit herstellen zu können: „Diese Bestimmungen [des Gesellschaftsvertrages] lassen sich bei richtigem Verständnis sämtlich auf eine einzige zurückführen, nämlich die völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes.“ 81 Vgl. J. Rawls, Theorie (Fn. 74), 36. Vgl. aber auch die Kritik an der Idee der Gleichheit bei R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopie (1974, Anarchy, State, and Utopia, übersetzt von H. Vetter, 1976), 214 ff. Siehe aber ebenso J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, zwischen Anarchie und Leviathan (1975, The limits of liberty, between anarchy and Leviathan, 1984), 1 ff., welcher sein Modell des Gesellschaftsvertrages ohne die Gleicheit der Individuen konstruiert. Vgl. dazu P. Koller, Theorien (Fn. 58), 19, 188. Dennoch schreibt J. M. Buchanan, Grenzen (Fn. 81), 2: „Im Gegensatz [zum elitären Kollektivisten, von dem man erwartet, daß er die Ziele für die Gesellschaft näher bestimmt] muß der methodologische Individualist die Existenz seiner Mitmenschen und deren Wertvorstellungen anerkennen. Er würde von Anbeginn gegen seine Prinzipien verstoßen, wenn er Menschen unterschiedliches Gewicht verleihen würde. Auch wenn es noch so verlockend ist, er kann nicht einfach Gott spielen.“ 82 Siehe für eine überblicksartige Darstellung zur Gleichheit in der Rechtsphilosophie S. Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie (2010), 136 ff.
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gen etwaigen Profite aus der Benachteiligung zu ziehen. Rein deshalb wird somit eine rechtliche Regel nur sinnvoll abgeschlossen werden können, wenn jedes betroffene Individuum die Regel auf irgendeine Art und Weise akzeptiert und somit mitträgt. Allgemein kann gesagt werden, je weitreichender die Nachteile für das Individuum sind, umso stärker wird es der oktroyierten Regel widersprechen. Daraus folgt aber auch, dass ein Verstoß gegen diese, aus vernünftigen Gründen existierende pacta tertiis nec nocent Regel zumindest bis zu einem gewissen Grad nicht mit Absolutheit ausgeschlossen werden kann. Dies geht aus der Vagheit des beschriebenen Gleichgewichts hervor. Dennoch ist diese Möglichkeit des Nichtberücksichtigtbleibens dieses Grundprinzips, also die Verneinung der absoluten vorrechtlichen Gleichheit aller Individuen, kein absoluter Grund dafür, das pacta tertiis Prinzip und die vage Gleichheit der Individuen im Allgemeinen als vorrechtliche Voraussetzungen auszuschließen. Eine weitere, tiefer schürfende Erörterung dieser Aussagen würde allerdings eine soziologische Untersuchung unausweichlich machen, was den Rahmen dieser Arbeit eindeutig sprengen würde. Im weiteren Bewusstsein, dass dies ebenso wenig im primären Wissenschaftsgebiet des Autors liegt, sei die Annahme der getroffenen Äußerungen ohne empirischer Untermauerung erlaubt, insofern sie zumindest im Grunde schon vielerorts getroffen wurden83 und ihnen keine gravierenden Fehlannahmen zu Grunde liegen. Einer etwaigen Fehlannahme könnte zudem auch die Verankerung dieser beiden Prinzipien, sowohl im Völkerrecht, als auch auf abstrakter Weise im nationalen Recht entgegengehalten werden.84 Den Ausführungen zu Folge unterliegt also die Willensübereinkunft zwischen Individuen, welche die erste(n) Rechtsregel(n) erschaffen, den vorrechtlichen Voraussetzungen des Rechts, insbesondere den vernunftbasierten Prinzipien pacta sunt servanda wie pacta tertiis. Insofern Individuen und deren Willensübereinkunft die Grundlage des hier skizzierten Rechtsverständnisses darstellen, so stellt dieser Ausgangspunkt gewissermaßen eine Verbindung zu der beschriebenen rechtlichen Wüste dar. Basierend auf vernunftbasierter Argumentation85 werden die abstrakten Prinzipien pacta sunt servanda und pacta tertiis als geltend angesehen.86 Insoweit in ähnlicher Weise ein vages Gleichgewicht zwischen Individuen vorausgesetzt wird,87 ist dies eine weitere Annahme, die eine Anlehnung an eine vernunftbasierte, doch gewissermaßen naturrechtliche 83
Siehe oben Fn. 78 bis 82. Vgl. nur Art. 26 und 35 WVK. 85 Siehe zum Unterschied von vernünftig und rational oben, A.II.1.b), S. 29 f., insbes. Fn. 68–70. 86 Siehe dazu oben A.II.1.a), S. 49 f. 87 Siehe dazu oben A.II.1.a), S. 53 ff. 84
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Ausgangsposition darstellt.88 Diese Annahmen dürfen in weiterer Folge nicht eingeschränkt werden, soll eine gültige Willensübereinkunft zu Stande kommen. Darüber hinaus soll aber weder die erste zu treffende Willensübereinkunft mit weiteren inhaltlichen Bedingungen aufgeladen, noch in ein darauf möglicherweise aufbauendes Normensystem sonst wie eingegriffen werden. Des Weiteren kann gesagt werden, dass durch diese Annahme im Prinzip eine bereits von Kelsen an demselben Punkt vorgenommene Trennung der Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaften vorgenommen wird, welche einer Verunreinigung des Rechtsbegriffs und dessen Elementen in der späteren, rein rechtlichen Analyse der Reinen Rechtslehre vorzubeugen sucht.89 Insofern kann in dieser vorrechtlichen Annahme eine Parallele zur Kelsen’schen Grundnorm gesehen werden.90 Die Grundnorm ist notwendig, 88 Vgl. dazu die Umschreibung des Naturzustandes in den diversen Ausformulierungen der Lehren des Sozialkontrakts überblicksartig vorgestellt bei P. Koller, Neue Theorien des Sozialkontrakts (1987). 89 Siehe bereits H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), 1: „Als Theorie will sie [die Reine Rechtslehre] ausschließlich und allein ihren Gegenstand erkennen. Sie versucht, die Frage zu beantworten, was und wie das Recht ist, nicht aber die Frage, wie es sein oder gemacht werden soll. Sie ist Rechtswissenschaft, nicht aber Rechtspolitik.“ Siehe dazu wenn auch kritisch O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik (1987), 38, Fn. 49: „Die Faktizität der durch eine konkrete Grundnormhypothese bestimmten Ordnung könnte gegebenenfalls als Verifikationskriterium herangezogen werden, doch macht dies Kelsen ebenso wie die anderen Vertreter der Reinen Rechtslehre nicht, denn dies würde die Geltungsfeststellung von soziologischer Empirie abhängig machen; und dies würde die „Reinheit“ aufheben.“ Kritisch kann der Forderung zu mehr soziologischer Empirie gegenübergestellt werden, dass dies gewissermaßen menschliche Schwächen bezüglich einer bewussten Verhaltensweise unterstellt. Wird Recht ausschließlich anhand soziologischer Kriterien zu erklären versucht, impliziert dies die Unterstellung, dass sich Menschen nicht auf ein verobjektiviertes Prozedere zur Rechtsschaffung einigen und in weiterer Folge halten können, da sie auf Grund von – „vor determinierter“ – natürlich zwanghafter Verhaltensweisen gesteuert sind, welche es sodann durch empirisch soziologische Methoden zu ergründen gilt. Anstatt bewusst rationaler Steuerung, wird Recht und die Schaffung bzw. Einhaltung rechtlicher Verhaltensaufforderungen auf Grund von unbewusster, natürlicher Verhaltensmuster zu identifizieren versucht. 90 Siehe zur Grundnorm H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 196 ff.; R. Walter, Entstehung und Entwicklung des Gedankens der Grundnorm, in: R. Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre (1992), 47 ff.; id., Die Grundnorm im System der Reinen Rechtslehre, in: A. Aarnio et al. (Hrsg.), FS Krawietz (1993), 85 ff.; und H. Mayer, Rechtstheorie und Rechtspraxis, in: C. Jabloner/F. Stadler (Hrsg.), Logischer Empirismus und Reine Rechtslehre (2002), 319 ff. R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, in: Hans Kelsen-Institut (Hrsg.), Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion (1982), 38 (39), bemerke v. a. die Trennung der „Funktion der Grundnorm als Einheitskonstituante“. Zur Kritik siehe allg. N. Hoerster, Recht (Fn. 77), 134 insbes. 138 ff.; P. Koller, Meilensteine des Rechtspositivismus im 20. Jahrhundert: Hans Kelsens Reine Rechtslehre und H. L. A. Harts „Concept of Law“, in: O. Weinberger/W. Krawietz (Hrsg.), Reine Rechts-
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um die Reine Rechtslehre aufrecht zu erhalten, in der die Rechtswissenschaft als reine Wissenschaft ohne empirischen Einfluss aufgefasst wird.91 Das ist eine Hypothese, die es erlaubt die Rechtswissenschaft als „reine“ Wissenschaft zu verstehen. Der Ursprung dieser reinen Rechtswissenschaft wird aber zu Gunsten des Vorteils des „Reinen“ ausgeklammert bzw. an einem anderen Punkt festgesetzt. Der Ursprung des Rechts ist – wie auch der Einfluss der Wirksamkeit auf grundlegende Regeln bei Kelsen92 zeigt – eben gerade kein im Kelsenschen Sinne rechtswissenschaftlicher, sondern vielmehr ein soziologischer, psychologischer und weiterer anderer wissenschaftlicher Disziplinen. Er führt nämlich in die oben kurz angeführte rechtliche Wüste, in der Fragen auftauchen, wie bspw. diejenige, warum Menschen miteinander agieren wollen bzw. müssen und wie sie das am besten tun. Gerade dieser Einfluss der tiefschürfenden und gleichzeitig (noch) nicht vollständig geklärten Fragen der Menschheit soll sich durch die „Zwischenschaltung“ einer fiktiven Grundnorm nicht auf die Anwendung bzw. Interpretation des Rechts auswirken.93 Dies ist allerdings nicht gleichzusetzten mit der Grundnorm als einzige Voraussetzung für die Geltung allen weiteren Rechts.94 Demzufolge kann bspw. dieser nützlichen Abgrenzung ebenfalls Rechnung gezollt werden, indem gegenstandsabgrenzend die Rechtswissenschaft als Wissenschaft eines bereits existenten Normensystems oder abstrakter als Wissenschaft rechtlicher Regeln definiert wird, lehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker (1988), 129 (157 ff. m. w. N.); S. Griller, Völkerrecht (Fn. 55), 87 ff.; wie auch W. Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem – Eine Untersuchung zu den rechtsdogmatischen, rechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Systemdenkens im Europäischen Gemeinschaftsrecht (2002), 75 ff. 91 Siehe dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 1; wie wenn auch kritisch O. Weinberger, Recht (Fn. 89), 38 Fn. 49. 92 Siehe H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 219. Vgl. weiter dazu unten A.II.1.d). 93 Durch diesen Schnitt ist es auch nicht schadhaft, dass H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 219 für die Geltung einer Verfassung bzw. der auf der Verfassung basierenden Rechtsordnung sehr wohl die Wirksamkeit des Rechts anführt, da dies nicht in die Materie der Rechtswissenschaft sondern durch die vorausgesetzte Grundnorm vielmehr in andere Wissenschaftsbereiche bspw. der Politikwissenschaft, der Soziologie und weiterer Wissenschaften hineinwirkt. In der Rechtswissenschaft, also von der Grundnorm abwärts, kann aber sodann nie die Wirksamkeit einer bestimmten Norm die Geltung derselbigen beeinflussen. Diese leitet sich sodann immer von der Grundnorm ab. 94 Siehe dazu nur H. Mayer, Reine Rechtslehre und Gemeinschaftsrecht, in: R. Walter et al. (Hrsg.), Hans Kelsen und das Völkerrecht – Ergebnisse eines internationalen Symposiums in Wien (2004), 121 (127): „Dass die Grundnorm als erkenntnistheoretische Annahme keiner Norm Geltung verschaffen und auch kein ‚Rechtssystem rechtlich legitimieren‘ kann, wurde insb von Walter in den letzten Jahrzehnten mehrfach deutlich hervorgehoben.“ [Fn. ausgelassen] Vgl. weiters, oben Fn. 90.
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ohne dass zugleich die Fiktion der Grundnorm inklusive aller ihr attestierten Eigenheiten in Kauf genommen werden muss.95 Dabei geht allerdings die vernünftige Erklärung96 verloren, warum rechtliche Regeln gelten und warum diese nur an der Rechtsschaffung beteiligte Individuen binden. Denn ein vorausgesetztes Normensystem muss sich zwar keiner vorrechtlichen Voraussetzungen bedienen, gleichfalls muss aber bspw. die Frage der Geltung des Rechts schlichtweg behauptet werden. Recht gilt in diesem Fall, weil das Normsystem dies dementsprechend festsetzt. c) Definition des Rechtsbegriffs Nach diesen kurzen Erläuterungen zu den vorrechtlichen Voraussetzungen des Rechtsbegriffs, soll nun die dieser Arbeit zu Grunde gelegte Definition des Begriffs des Rechts vorgenommen werden: Recht ist abstrakt definiert, der Konsens der natürlichen Personen, der sich in einer für alle an der Konsensfindung beteiligten Individuen verbindlichen Willensübereinkunft widerspiegelt. Der Begriff der Geltung soll hier in den Zusammenhang mit der hier umschriebenen Willensübereinkunft gesetzt werden, was die Verbindlichkeit derselben – als konstitutives Merkmal des Rechts an sich – impliziert.97 Das Element der Willensübereinkunft, das auf unterschiedliche Weise, wie bspw. durch explizite, konkludente Zustimmung oder auch durch stillschweigende Akzeptanz erfüllt sein kann, soll bei den folgenden Ausführungen im Vordergrund stehen.98 Einzig durch eine freiwillige Wil95 Diesen Anwendungsbereich grenzt S. Griller, Völkerrecht (Fn. 55), 89 entsprechend ein, wenn er schreibt, dass es genügt „festzulegen, dass Gegenstand der Rechtswissenschaften im Großen und Ganzen wirksame Systeme von Rechtsnormen sind“. H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts: Beitrag zu einer reinen Rechtslehre2 (1928, Neudruck von 1960), VIII warnt aber: „Nur unkritischer Dogmatismus kann vermeinen, ein System positiven Rechts sei voraussetzungslos möglich. Worauf es allein ankommt ist: sich des – relativen – a priori dieses System bewußt zu werden.“ 96 Siehe zum Unterschied von vernünftig und rational oben, A.II.1.b), S. 29 f., insbes. Fn. 68–70. 97 Vgl. dazu auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 9 f. und 196. Siehe aber ebenso die Kritik von E. Bulygin, Das Problem der Geltung bei Kelsen, in: S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2004), 80 (82 ff., 94). Fürein anderes Verständnis des Geltungsbegriffes siehe R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (1992), 137 ff. 98 Kritisch gegenüber der Zustimmung zum Element der Willensübereinkunft – wenn auch im Rahmen der Gesellschaftsvertragslehre und ihrem Ziel der Legitimierung des Staates – siehe A. J. Simmons, Justification (Fn. 70), 155 f. Für eine Auseinandersetzung mit dem tacit consent in der Gesellschaftsvertragslehre bei Locke, siehe ebenso A. J. Simmons, „Denisons“ and „Aliens“: Locke’s Problem of Political Consent, 24 Social Theory & Practice (1998), 161 ff., wiederabgedruckt in: A. J.
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lensübereinkunft zwischen natürlichen Personen kann eine objektive, da gemeinsame Regel zu Stande kommen.99 Die Willensübereinkunft wird hier abstrakt verstanden. Zentral ist, dass überhaupt der Gemeinwille zum Ausdruck kommt, was in der abstrakten Form der Schnittmenge, also des Kompromisses der Individualinteressen, gesehen wird. Wie dies am besten ermittelt wird, soll hier außer Acht gelassen werden.100 Die Willensübereinkunft wird somit als „quasi-Ausgangspunkt“ festgesetzt. Dies sei erlaubt, da sich das hier gestellte Thema mit dem Verhältnis zwischen verschiedenen Rechtsebenen auseinandersetzt und nicht in den Diskurs der rechtlichen bzw. politischen Theorien zur grundlegenden Entstehung des Rechts eintauchen will. Dem Ansinnen, diese Fiktion als utopisch zu disqualifizieren, sei aber bereits jetzt entgegengesetzt, dass die Schwierigkeit unterschiedliche Interessen in einer Gemeinschaft zusammenzuführen keineswegs ignoriert wird. Vielmehr reicht es, gerade im Bewusstsein dieser Unterschiede, einen gemeinsamen Kompromiss für notwendig zu erachten, welcher jedenfalls – so die Annahme – besser ist als ungeregeltes Chaos. Nach einem gefundenen Kompromiss kann nicht mehr jedes Individuum gefragt werden, ob der aktuelle Kompromiss seinen subjektiven Vorstellungen entspricht, sondern nur noch, ob der entstandene Kompromiss dem ungeregelten Chaos vorgezogen wird. Für die hier vorgebrachten Ausführungen wird vor allem die Überzeugung der Rechtserzeuger, einen für beide bzw. alle Seiten positiven Kompromiss zu schließen, der dementsprechend als verbindlich erachtet wird,101 als ausreichend stabilisierendes wie konkretisierendes Merkmal des Simmons, Justicifaction and legitimacy – Essays on rights and obligations (2001), 158 ff. Für eine rechtspositivistische Definition des Rechts siehe T. Hobbes Leviathan (Fn. 61), 26. Kap. 223 ff., Der Souverän ist Gesetzgeber und befiehlt den Untertanen durch staatliche Gesetze; wie auch J. Austin, The Province of Jurisprudence Determined (1832), 136 f. gefunden werden: „Every law or rule [. . .] is a command“. (5 f.): „Every positive law, or every law simply and strictly so called, is set by a sovereign person, or a sovereign body of persons, to a member or members of the independent political society wherein that person or body is sovereign or supreme.“ Vgl. dazu auch P. Koller, Meilensteine (Fn. 90), 136 f. m. w. N. Dieser als Imperativtheorie bezeichneten Definition des Rechts ist allerdings eine unbegrenzte Macht des Souveräns ohne Autorisierung durch die Unterworfenen eigen, die mittlerweile als „überholt“ bezeichnet werden kann und demnach auch von der hier gewählte Definition keinesfalls geteilt wird, wenn abstrakt bereits die Willensübereinkunft von natürlichen Personen als Recht definiert wird. 99 Siehe zum Stichwort objektiv bereits oben Fn. 64. Vgl. auch O. Weinberger, Norm (Fn. 66), 73. 100 Für das hier gewählte Thema ist nicht der Weg zur Willensübereinkunft sondern diese im Vergleich mit weiteren Willensübereinkünften von primärem Interesse. 101 Die Verbindlichkeit wird demzufolge als implizites Merkmal einer Willensübereinkunft, folglich als schlichte rechtliche Pflicht angesehen. Vgl. dazu E. Bulygin, Problem (Fn. 97), 88 f. m. w. N., 95, der dies aus begriffstechnischen Gründen
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Rechtsbegriffs angesehen. Recht kann somit auch als die Errungenschaft angesehen werden, das zukünftige Verhalten an der Willensübereinkunft beteiligter vorhersehbar zu machen, indem verbindlich der Rahmen für zukünftige Verhaltensweisen abgesteckt wird.102 Darin spiegelt sich auch die aus vernünftigen Gründen103 zu beachtende pacta sunt servanda Regel wieder. Zentral ist folglich das Element der übereinstimmenden Willen der Individuen.104 Wie diese allererste Willensübereinkunft erkannt wird, ist allerals Anwendbarkeit bezeichnet. Von einem „weitgehend unangefochtene[m] Spezifikum des Rechts [. . .]“ als „umfassender und unbedingter Verbindlichkeitsanspruch“, welcher „nicht auf rechtstheoretisch zwingenden Gründen [beruht], sondern [. . .] vor allem nützliche Konvention [ist,]“ spricht auch M. Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 25. 102 Vgl. dazu auch N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), 144: „Recht wird also nicht einfach mit mächtiger politischer Unterstützung nur behauptet und dann, mehr oder weniger, durchgesetzt. Sondern es ist überhaupt nur Recht, wenn erwartet werden kann, daß normatives Erwarten normativ erwartet wird.“ 103 Siehe zum Unterschied von vernünftig und rational oben, A.II.1.b), S. 29 f., insbes. Fn. 68–70. 104 Vgl. auch den Rechtsbegriff bei H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 4, der das Recht als „eine normative Ordnung menschlichen Verhaltens, und das heißt, ein System von menschliches Verhalten regelnden Normen“ definiert. Auch Hart setzt mit seiner Konzeption des Rechtssystems in primäre und sekundäre Regeln bereits ein Gesellschaftssystem voraus. Dies wird v. a. dadurch deutlich, dass sein Typus der sekundären Erkennungsregel [„rule of recognition“, dt. Terminus übernommen von P. Koller, Meilensteine (Fn. 90), 144] bei primitiven Gesellschaften gar nicht notwendig und auch nicht vorhanden ist. H. L. A. Hart, Der Begriff des Rechts (1973, dt. Übersetzung von A. v. Baeyer, im Original: The concept of law, 1961), 131 ff., 142 ff. Vgl. zu beiden überblicksartig P. Koller, Theorie2 (Fn. 56), 150 ff. und 162 ff. Keinem der beiden Konzepte soll hier durch die aufgestellte Definition entgegengetreten werden. Gerade aber in Hinblick auf das Thema dieser Arbeit, welche das Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht zu ergründen sucht, ist eine abstrakte, weniger spezifische Definition des Rechts, die nicht per se bereits auf ein soziales Gesellschaftssystem abstellt, von entscheidendem Vorteil. Siehe dazu bereits oben A.II.1.a). Im Sinne ähnlich wie hier allerdings ebenfalls bezogen auf einen „Oberbegriff“ des Rechts als Regeln einer Gesellschaft N. Luhmann, Rechtssoziologie I (1972), 105, wenn er Recht: „als Struktur eines sozialen Systems, die auf kongruenter Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen beruht“ definiert. Dies wird bestärkt durch die weiterführende Aussage (105 f.): „daß das Recht eine notwendige Funktion in jeder sinnhaft konstituierten Gesellschaft erfüllt und daher immer vorhanden sein muß. Die Entwicklung des Rechts ist nicht als Sprung von vorrechtlichen zu rechtlichen Gesellschaften zu begreifen, sondern als allmähliche Ausdifferenzierung und funktionale Verselbständigung des Rechts. In diesem Entwicklungsprozeß hat freilich die Schaffung besonderer Rollen für Rechtsentscheidung und Sanktion eine wichtige Funktion, aber diese Funktion kann man nur begreifen, wenn man das Recht nicht damit erst beginnen läßt, sondern darin nur einen wichtigen Schritt der Ausdifferenzierung des Rechts sieht, der eine stärkere Trennung des Rechts von der
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dings wiederum ein vorrechtliches Problem. Allen Individuen müssen somit vergleichbare kognitive Fähigkeiten unterstellt, also vorausgesetzt werden, um die gemeinsame Willensübereinkunft auch als solche identifizieren zu können. Darüber hinaus darf das zuvor beschriebene vage Gleichgewicht zwischen Individuen nicht beeinträchtigt werden, um eine Willensübereinkunft noch als gültig ansehen zu können.105 Diese Schwierigkeit betrifft allerdings hauptsächlich die allererste, ursprüngliche Willensübereinkunft. Für darauf aufbauende Willensübereinkünfte können sodann bestimmte Maßstäbe bzw. Prozesse festgesetzt werden, welche die Identifikation der weiteren Willensübereinkünfte zu objektivieren verhelfen. Um einen gefundenen Kompromiss effektiver auszugestalten und das Finden der Kompromisse pro futuro zu erleichtern, können in „zweiter Reihe“ weitere Merkmale, wie bspw. prozessuale Entstehungsvoraussetzungen für zukünftige Kompromisse hinzukommen, die allerdings nicht zwangsläufig immer dieselben und auch nicht immer gleich stark ausgeprägt sein müssen. Sie werden vielmehr im Sinne einer rechtlichen Willensübereinkunft festgelegt und sind nicht Teil des abstrakten Rechtsbegriffes an sich.106 d) Recht und Zwang Das Zwangselement in dem hier gewählten Rechtsbegriff ist dadurch relativiert, dass jeder, der an der Rechtserzeugung beteiligt ist, in einem abstrakten Verständnis mit dem Normunterworfenen ident ist. Zum einen wird der Kompromiss für sich in der allgemeinen Annahme getroffen, eine für beide bzw. alle Seiten positive Auswirkung zu erzielen. Zum anderen werden sich alle an der Rechtserzeugung beteiligten Individuen an den aktuelSprache, der Wahrheit, der Kunst und der rationalen Praxis ermöglicht.“ Ähnlich auch E. R. Bierling, Juristische Prinzipienlehre I (1894, Neudruck von 1961), 19. Vgl. ebenso zum Rechtsbegriff als Summe der geltenden Rechtsnormen B. Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts5 (2010), 36 ff.; die Gerechtigkeitsidee wird von Rüthers/Fischer (39 f. sowie allg. 222 ff.), ebenso getrennt abgehandelt. Siehe auch D. Anzilotti, Lehrbuch (Fn. 17), 35, der „die Feststellung, daß Normen, die dem sich deckenden Willen mehrerer Staaten ihre Entstehung verdanken und zur Regelung ihres gegenseitigen Verhaltens bestimmt sind, ohne jeden Zweifel existieren“ genügen lässt. 105 Vgl. dazu oben A.II.1.a) und A.II.1.b), insbes. S. 53 ff. 106 Vgl. dazu die Ausführungen unten zur formellen Rechtsquelle A.II.1.g). Siehe ebenso H. L. Hart, Begriff (Fn. 104), 91 ff.: der„Primär- und Sekundärnormen“ voneinander trennt, wobei erstere Normen sind, welche Gebote, Verbote oder Erlaubnisse enthalten und letztere Normen sind welche Erlaubnisse oder Gebote für die Entstehung oder Durchsetzung Ersterer enthalten. An der Spitze der Sekundärnormen steht die „rule of recognition“ (101). Siehe dazu S. Kirste, Einführung (Fn. 82), 96 f.
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len Kompromiss halten müssen, um nicht die Errungenschaft des erzielten Kompromisses sowie den Schluss eines zukünftigen, für sie wiederum positiven Kompromisses, zu gefährden.107 Darin spiegelt sich das aus vernunftbasierten, vorrechtlichen Gründen grundlegende Prinzip pacta sunt servanda.108 Dem Begriff der Zwangsordnung kann dahingehend zugestimmt werden, als er sich auf das Zwangselement eines geschlossenen Kompromisses bezieht, welcher die Freiheit eines jeden Einzelnen nur soweit einschränkt, wie dies die durch den Kompromiss abgesicherte Freiheit eines jeden anderen verlangt.109 Wird die Vereinbarung, sich an verbindliche rechtliche Kompromisse zu halten, in diesem Sinne als Zwang bezeichnet, d.h. wird nichts anderes als die durch den zwar positiven aber für jedes In107 Vgl. dazu auch W. Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? Konzeptionen und Begriffe des Rechts in der modernen Rechtstheorie, in: O. Weinberger/W. Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker (1988), 315 (325 f. m. w. N. in Fn. 40–42); und G. G. Fitzmaurice, The foundations of the authority of international law and the problem of enforcement, 19 MLR (1956), 1 (2): „The law is not binding because it is enforced: it is enforced because it is already binding.“ Vgl. auch W. Schroeder, Gemeinschaftsrechtssystem (Fn. 90), 211 ff.; und M. Knauff, Regelungsverbund (Fn. 101), 25 jeweils m. w. N. Zur Dekonstruktion des Zwangselements siehe auch U. Fastenrath, Lücken (Fn. 56), 45–52; und G. Dahm, Völkerrecht, Bd. I (Fn. 73), 14: „Es ist eine ganz lebensfremde Vorstellung, daß nur Recht sei, was notfalls im Wege des physisch wirkenden Zwanges durchgesetzt werden könne.“ 108 Siehe dazu bereits oben unter A.II.1.a). 109 Vgl. zum Zwangselement schon I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, I (1797), Einleitung §D, 35: „Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden.“ Gefragt kann aber werden, ob Kant die unbedingte, zwangsweise Durchsetzung des Rechts als konstitutiv für den Rechtsbegriff ansah oder ob er schlicht auf die Notwendigkeit des Verzichts auf einen Teil eines jeden Einzelnen Freiheit abzielen wollte, die eben im letzten Fall durch Zwang gewährleistet sein muss, da von der Hypothese ausgegangen wird, dass der Verlust auch nur eines Teils seiner eigenen Freiheit von keinem Individuum freiwillig hingenommen werden wird, „nur“ um dadurch die Freiheit eines jeden anderen nicht einzuschränken. Vgl. dazu den Begriff der Freiheit bei I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten2 (1786), 100, der: „jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, notwendig auch die Idee der Freiheit leihen [will], unter der es allein handle.“ [Hervorhebung vom Verfasser]. Dahingehend ähnlich auch M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie5 (1921), (Hrsg.), J. Winckelmann (1972), 24, wenn er Recht nicht nur vom physischen sondern auch vom psychischen Zwang garantiert ansieht. Siehe sogar zum Zwangselement im Völkerrecht H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925, Neudruck von 1966), 124 f.: „Denn nur wenn diese Normen [des Völkerrechts] mit allen anderen als Recht geltenden Normen in die Einheit eines und desselben Systems eingehen, können auch sie als ‚Recht‘ bezeichnet werden. Demgegenüber ist es ein sekundärer Gesichtspunkt, ob die als Völkerrecht bezeichneten Normen auch ein Zwangsmoment enthalten.“ Demzufolge lässt sich sogar Kelsens hier vorgenommene Argumentation zum Zwangselement ähnlich der Kant’schen Interpretation auf eine gewisse Art und Weise auf das angesprochene „psychische Freiheitselement“ reduzieren.
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dividuum auch die Freiheit einschränkenden Kompromiss im Sinne des psychologischen Elements der Selbstrestriktion als Zwangselement im Recht gewertet, so deckt sich dies mit den hier getätigten Äußerungen. Dieses Zwangselement stellt allerdings insofern keinen objektiven Zwang für das Individuum dar, als der Kompromiss ja bereits unter der Prämisse geschlossen wird, dass für jedes Individuum eine selbstgewählte, vorteilhaftere Situation entsteht, als dies ohne Kompromiss der Fall wäre. Von diesem Verständnis des Zwangselements ist aber die Interpretation im Sinne einer Zwangsvollstreckung bzw. Sanktionsfolge zu unterscheiden. Diese Durchsetzung mit Zwangsgewalt, der als verbindlich geschaffenen bzw. erachteten Regeln, kann sodann eine gesatzte Folge einer bestimmten Willensübereinkunft darstellen, welche die Funktionsfähigkeit bzw. die Einhaltung der getroffenen Willensübereinkunft erhöht. Ausdrücklich muss aber festgehalten werden, dass diese Zwangsvollstreckung oder auch nur die Androhung der selbigen kein konstitutiver Bestandteil des abstrakten Rechtsbegriffs an sich ist.110 Dies kann des Weiteren auch darauf gestützt 110 Siehe zum Zwangselement im Sinne einer Zwangsvollstreckung bzw. Sanktionsfolge aber R. v. Jhering, Der Zweck im Recht4, Bd. I (1904, Neudruck von 1970), 249; wie auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 36: „Als Zwangsordnung unterscheidet sich das Recht von anderen Gesellschaftsordnungen. Das Zwangsmoment, das ist der Umstand, daß der von der Ordnung als Folge eines für gesellschaftsschädlich angesehenen Sachverhaltes statuierte Akt auch gegen den Willen des davon betroffenen Menschen und – im Falle des Widerstandes – mit der Anwendung physischer Gewalt zu vollstrecken ist, ist das entscheidende Kriterium.“ Dass Kelsen das Zwangsmoment bereits auf eine Ordnung bezieht, schadet im Vergleich mit dem hier bereits unter der einfachen Rechtsdefinition angeführten nicht, (4): „[d]enn das Recht [. . .] ist eine normative Ordnung menschlichen Verhaltens, und das heißt, ein System von menschliches Verhalten regelnden Normen.“ Aber ähnlich wie zuvor bei Kant kann auch bei Kelsen gefragt werden, ob das Zwangsmoment konstitutiver Bestandteil des Rechts ist, wenn Kelsen selbst sagt (35): „[d]aß das Recht eine Zwangsordnung ist, besagt, daß seine Normen der Rechtsgemeinschaft zuschreibbare Zwangsakte statuieren. Das bedeutet nicht, daß in jedem Fall ihrer Vollziehung physischer Zwang anzuwenden ist. Dies hat nur dann zu geschehen, wenn der Vollziehung Widerstand entgegengesetzt wird, was normalerweise nicht der Fall ist.“ Noch deutlicher (36): „[d]aß das Recht eine Zwangsordnung ist, bedeutet nicht [. . .], daß es zum Wesen des Rechtes gehört, das rechtmäßige, von der Rechtsordnung gebotene Verhalten zu ‚erzwingen‘.“ Ebenso wird die oben zu Kant getroffene Aussage zum psychischen Zwang, oder anders gesagt zur Motivation zur Einhaltung von Rechtsnormen auch von anderen Elementen als vom Zwangsmoment der Rechtsordnung ausgelöst bei Kelsen explizit wiedergefunden (36): „Psychischen Zwang übt jede bis zu einem gewissen Grad wirksame Gesellschaftsordnung, und manche – wie etwa die religiöse – noch in einem höheren Maße aus als die Rechtsordnung. Dieser psychische Zwang ist kein das Recht von anderen Gesellschaftsordnungen unterscheidendes Merkmal.“ Vgl. dazu kritisch H. L. A. Hart, Begriff (Fn. 104), 34 ff., 37 f., 53 ff.; siehe auch M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H L A Harts – Ein kritischer Vergleich (1993), 70, 77 m. w. N. in
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werden, dass eine oder einige wenige rechtliche Regeln im abstrakten Sinn ohne eine solche Zwangsandrohung sehr wohl bereits existenzfähig sind bzw. existiert haben, wie auch aktuell existieren und nicht erst durch die Zusammenfassung in einem Regelsystem bzw. einer übergreifenden Ordnung, wie bspw. derer eines Staates mit Zwangsgewalt, konstitutiv als Recht geschaffen wurden oder werden.111 Zugegebenermaßen, in praktischer Hinsicht, vor allem bei zunehmender Anzahl an Individuen, welche gemeinsam eine Willensübereinkunft – möglicherweise im Rahmen eines institutionellen Gefüges – treffen, wird die Einsicht eines jeden Einzelnen, sich schlicht auf Grund der Wichtigkeit des geschlossenen Kompromisses für das Zusammenleben an diesen zu halten, wegen der zunehmenden Abstraktheit des Kompromisses, abnehmen.112 Die etwaige Durchsetzung des Kompromisses mit Zwangsgewalt gewinnt folglich mehr und mehr an Bedeutung, um die Funktionsfähigkeit einer größeren Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten.113 Freilich wird es aber auch in einem derart komplexen und stark reglementierten Regelsystem stets eine große Anzahl an Regeln geben, welche weder ausschließlich auf Grund von Zwangsandrohungen eingehalten werden, noch diese überhaupt benötigen, um von den Individuen eingehalten zu werden.114 Ähnlich wie mit dem Zwangselement Fn. 7. Vgl. ebenso die Kritik zum Zwangselement im Rechtsbegriff sowohl in der Imperativtheorie als auch in der Lehre Kelsens exemplarisch dargestellt an den Ausführungen Harts bei P. Koller, Meilensteine (Fn. 90), 139 ff. 111 Siehe dazu aber Kelsen, der die Existenz rechtlich nicht erzwingbarer Normen auf Grund einer so nicht funktionierenden Gesellschaftsordnung anzweifelt H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 25 f. 112 Als Vorgriff zu weiteren Ausführungen: Diese Tendenz ist aber wieder rückläufig auf der Ebene der rein zwischenstaatlichen Normen des Völkerrechts, da Staaten, sich als Gefüge unter einem qualitativen Grundkonsens zwischen ihren Staatsbürgern konstitutiv zusammenfassen. Diese „Komprimierung“ zu der Institution Staat macht die folgenden Kompromisse die zwischen Staaten geschlossen werden für diese wiederum weniger abstrakt. M. a. W., die Relevanz der Durchsetzung rechtlicher Normen zwischen Staaten mit Zwangsgewalt nimmt zwischen den Staaten wieder ab, obwohl die Anzahl der Individuen, welche vertreten durch Staaten an einem solchen zwischen Staaten geschlossenen Kompromisses gemäß der hier gewählten Definition größer ist, als die Anzahl der beteiligten Individuen, welche innerhalb eines Staates eine Willensübereinkunft treffen. Näher dazu unten A.II.2. 113 Vgl. dazu H. L. A. Hart, Begriff (Fn. 104), 115 ff., 130, 132. Anders aber H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 34 ff., der nicht das Element der rechtlichen Verbindlichkeit, sondern das Zwangselement als Unterscheidung zu anderen Gesellschaftsordnungen ansieht. Siehe auch unten A.II.2.d). 114 Siehe dazu schon H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 1), 110: „Daraus ergibt sich aber, dass auch dann, wenn die Rechtsquelle diese Selbstbeschränkung freiwillig oder nothwendiger Weise schon in Bezug auf den allerersten Satz übt, den sie aus sich entlässt, dieser Satz nicht schon darum etwas anderes sein muss als andere Kinder derselben Mutter, denen sie selbst eine, sei es auch bessere Wehr zur Seite stellt. Ein Satz also, der nach seiner Entstehung und seinem Inhalte ein Rechtssatz sein
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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verhält es sich mit dem Element der effektiven Durchsetzung.115 Das Element der effektiven Durchsetzung spielt allerdings bereits mehr in den Bereich der Wirksamkeit des Rechts hinein. e) Recht und Wirksamkeit Die Wirksamkeit von rechtlichen Regeln wird hier ebensowenig wie das Zwangselement als konstitutives Element des Rechtsbegriffs verstanden.116 Die Wirksamkeit von Recht wird zuweilen entscheidend dafür sein, dass sich die Rechtserzeuger zu einem gewissen Konsens entschließen. Nichts anderes entspricht der Grundfunktion des Rechts. Ist dieser Konsens aber einmal geschlossen, kann aus rechtlicher Perspektive die mangelnde Wirksamkeit dieses Konsenses nicht den Grund für ein berechtigtes einseitiges Abgehen von diesem darstellen. Die faktisch wohl unausweichliche Folge der übereinstimmenden Beendigung eines unwirksamen Konsenses auf Grund von allseitig fehlendem Interesse bleibt davon unberührt. Das „Nicht-Einhalten“ von getroffenen Willensübereinkünften kann dementsprechend nur als Bruch der getroffenen Willensübereinkunft oder als „politisch-motiviertes“ Neu-verhandeln zur (Ab-)Änderung der Willensübereinkann, ist nicht bloss deshalb als Nichtrechtssatz zu bezeichnen, weil ihm das ‚Zwangsmoment‘ fehlt. Er mag im Werthe den anderen nachstehen, seinem Wesen nach aber ist er ihnen gleich.“ Vgl. dazu auch F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts – Allgemeines Friedensrecht2, Bd. I (1975), 13 f.; wie J. Wiegandt, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? – Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, 71 ZaöRV (2011), 31 (50 ff.). 115 Siehe A. D’Amato, Is international law really ‚law‘?, 79 Northwestern University LR (1985), 1293 (1293 ff.); a. A. P. Koller, Theorie2 (Fn. 56), 41 f. 116 Siehe aber H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 219: „Die Normen einer positiven Rechtsordnung gelten, weil die Grundregel ihrer Erzeugung bildende Grundnorm als gültig vorausgesetzt wird, nicht weil sie wirksam sind; aber sie gelten nur, wenn, das heißt nur solange als diese Rechtsordnung wirksam ist. Sobald die Verfassung, und das heißt die auf ihrer Grundlage gesetzte Rechtsordnung als Ganzes ihre Wirksamkeit verliert, verlieren die Rechtsordnung und damit jede einzelne ihrer Normen ihre Geltung.“ [Hervorhebung im Original]. Vgl. dazu ähnlich N. Hoerster, Recht (Fn. 77), 48 ff., wie auch 51: „Wichtig ist: Die Wirksamkeit einer bestimmten Norm ist keinesfalls eine Voraussetzung ihrer Existenz als Rechtsnorm. Es verhält sich vielmehr genau umgekehrt [. . .]“. Dies gilt für Hoerster aber nur für von einer Verfassung abgeleitete Normen. Für die grundlegenden Normen der Verfassung spielt die Wirksamkeit für Hoerster wiederum sehr wohl eine Rolle: (56). So wohl auch E. Bulygin, Problem (Fn. 97), 93 f. Dem kann allerdings nur zugestimmt werden, insofern die Wirksamkeit als Grundlage für die Verfassung nur auch zur Abänderung derselbigen nach ihren formellen Voraussetzungen bzw. ganz allgemein nur bei entsprechender desuetudo aller an der Willensübereinkunft beteiligten gemeint ist. So auch S. Kirste, Einführung (Fn. 82), 102. M. a. W., ist eine Willensübereinkunft getroffen, kann die mangelnde Wirksamkeit nicht als Grund für ein berechtigtes einseitiges Abweichen herangezogen werden.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
kunft interpretiert werden. Somit ist diese Situation ähnlich der Situation vor dem Abschluss der Willensübereinkunft. Der Unterschied, d.h. der Mehrwert einer getroffenen Willensübereinkunft, liegt darin diese einhalten zu wollen bzw. zu müssen, da bei einem wiederholten Bruch der Willensübereinkunft diese selbst und die durch sie beabsichtigte Verhaltensgleichschaltung ad absurdum geführt werden würde. Als wichtigstes Instrumentarium zur Regelung der Gemeinschaftsverhältnisse ist die Sinnentleerung des Kompromisses aber keinerseits gewollt.117 Dementsprechend reduziert sich das (teilweise) Nicht-Einhalten von getroffenen Willensübereinkünften auf die „politisch-motivierte“ Verhandlung, diese (ab-)zuändern. f) Recht, Moral und soziale Regeln Eine strenge Abgrenzung von Recht und „sozialen Regeln“ ist aus abstrakter Sichtweise nicht zwingend notwendig.118 Soziale bzw. moralische und rechtliche Regeln haben einen gemeinsamen Nenner. Sie haben schlichtweg zum Ziel, das Zusammenleben in einer Gemeinschaft bestmöglich zu gewährleisten. Der Unterschied zwischen rechtlichen und anderen sozialen Regeln äußert sich vordergründig einzig in der Wichtigkeit der jeweiligen Regel, um diesen Zweck gewährleisten zu können. Diese Wichtigkeit wird von den Rechtserzeugern, den Individuen derart bestimmt, dass sie für sie wichtige Regeln als verbindlich erachten und dementsprechend als Recht festsetzen. Die Einhaltung von anderen sozialen Regeln ist hingegen nur erwünscht. Für das Zusammenleben der Gemeinschaft werden sie nicht als unbedingt notwendig, also als unverbindlich erachtet.119 Ähnlich verhält es sich mit der Unterscheidung von Recht und Moral.120 Unumwunden kann gesagt werden, dass moralische Vorstellungen wie mo117
Siehe dazu bereits oben unter A.II.1.a). Siehe dazu allg. P. Koller, Theorie2 (Fn. 56), 38. 119 Vgl. dazu R. Stammler, Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft, in: P. Hinneberg (Hrsg.), Kultur der Gegenwart2, Bd. II, VIII. Abteilung (1913), 1 (21): „Das allgemeingültige Merkmal, nach dem Recht und Sitte formal sich unterscheiden, kann nur in dem Sinne des Geltungsanspruches beider Regelarten gelegen sein.“ Zitiert nach R. Pfeffer, Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht – Eine kritische Betrachtung alter und neuer Lehren unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (2009), 8 f., siehe insbes. Fn. 29. Siehe dazu auch [allerdings bezogen auf das Element opinio iuris im Völkergewohnheitsrecht] A. D’Amato, The concept of custom in international law (1971), 49 Fn. 3 m. w. N. auf F. Suárez, De legibus ac deo legislatore (1612), übersetzt von G. Williams et al., A treatise on laws and god the lawgiver, book VII Of unwritten law which is called custom (1944), 446, der „legal“ von „irrelevant“ und „civil“ custom unterscheidet. Siehe auch F. Gény, Méthode d’interprétation et sources en droit privé positif (1899), § 110. 118
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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ralische Verhaltensstandards bei der Entstehung von Recht eine große Rolle spielen.121 Dies rührt daher, dass – wie auch den sozialen Regeln – allen besagten Regeln gemein ist, das Zusammenleben in einer Gemeinschaft gewährleisten zu wollen. Dementsprechend spiegeln sich zumindest großteils die von einem durchschnittlichen Menschen als allgemein wichtig eingestuften sozialen bzw. moralischen Regeln auch in den aktuellen rechtlichen Regeln wider. Nichts desto trotz wird als Abgrenzungsmerkmal hier einzig – übereinstimmend mit dem gewählten Rechtsbegriff – das Element der verbindlichen Willensübereinkunft als maßgebend erachtet. Wird eine bestimmte Regel als wichtige Verhaltensregel für eine Gemeinschaft angesehen, kann durch verbindliche Willensübereinkunft diese Regel als rechtliche Regel festgesetzt werden.122 Ist dies geschehen, kann kein moralischer Einwand zu einem einseitigen Abweichen von dieser Regel durch ein Individuum, das an eben dieser Willensübereinkunft beteiligt war, berechtigen.123 Sehr wohl kann aber durch moralische Einwände diese rechtliche Regel wiederum (ab-)geändert werden. Allerdings nur gemeinsam, durch die an der Willensübereinkunft beteiligten Individuen, in Übereinstimmung mit den durch diese Willensübereinkunft aufgestellten Vorausset120 So im Grunde auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 64 f., der allerdings folgerichtig seiner Definition des Rechts den Unterschied zwischen Recht und Moral im Zwangsmoment und nicht wie hier vertreten in der Willensübereinkunft sieht. 121 Vgl. H. L. A. Hart, Begriff (Fn. 104), 266 f., 268 ff., der aus dieser Idee heraus fünf „banale“ Grundregeln („truisms“) des „Rechts als auch der Moral aller Gesellschaften“ [revidierte Übersetzung von P. Koller, Meilensteine (Fn. 90), 176] als „Minimalinhalte des Naturrechts“ feststellt. Ein solch konkretes Ausfüllen bestimmter Regeln kann hier dahinstehen bleiben, solange dies auf die Phase der Entstehung der rechtlichen Regeln und nicht auf das in Frage stellen deren Geltung nach verbindlicher Willensübereinkunft bezogen wird. 122 Vgl. dazu H. P. Rill, Grundlegende Fragen bei der Entwicklung eines Rechtsbegriffs, in: S. Griller/H. P. Rill (Hrsg.), Rechtstheorie – Rechtsbegriff – Dynamik – Auslegung (2011), 1 (18 f.): „Die Kritik an ‚naturrechtlichen‘ Ansätzen erfließt ja aus kritischer Rationalität, nicht aber aus einer einen Diskurs über Wertungsfragen ablehnenden Haltung. Dass Werturteile nicht wahrheitsfähig sind, stellt ja keine Absage an einen rationalen Diskurs über Wertfragen dar.“ 123 Vgl. O. Weinberger, Recht (Fn. 89), 42: „[M]oralische Kriterien [sind] nicht als Geltungsbedingung für Rechtsnormen anzusetzen [. . .]. Man muß zwar vom moralischen und vom rechtspolitischen Standpunkt aus fordern, daß das Recht wenigstens ein Minimum an Moral erfülle, doch wäre es verkehrt, die Geltung des Rechts von inhaltlichen Rechtfertigungskriterien abhängig zu machen.“ Vgl. des Weiteren für eine Kritik am positivistischen Rechtsbegriff exemplarisch R. Dreier, Der Begriff des Rechts, NJW (1986), 890 (891 ff., 895). Siehe aber ebenso die Würdigung des Rechtspositivismus bei N. Hoerster, Recht (Fn. 77), 65 ff. Für ein anderes Verständnis des Rechtsbegriffes an sich, siehe R. Alexy, Begriff (Fn. 97), 27 ff., der drei Elemente, die soziale Wirksamkeit, die inhaltliche Richtigkeit und die ordnungsgemäße Gesetztheit im Rechtsbegriff sieht.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
zungen.124 Gerade die divergierenden Vorstellungen, was eine wichtige Regel für das Funktionieren einer Gemeinschaft darstellt, also je nach Individuum unterschiedliche subjektive Wertvorstellungen führen dazu, dass unterschiedliche Regeln als wichtige Regeln für das Zusammenleben angesehen werden. Eben gerade deswegen kann nur der Querschnitt dieser Werte, also ein Kompromiss zwischen den Individuen zu einer Lösung führen. Demzufolge wird die Willensübereinkunft als einzige entscheidende objektive Konstante im menschlichen Zusammenleben einer Gemeinschaft erblickt, welche als Grundlage für den Rechtsbegriff dienen kann. g) Rechtsquelle und Hierarchie des Rechts Als (materielle) Rechtsquelle wird hier nichts anderes verstanden, als die schlichte Dokumentation der Herkunft der Willensübereinkunft (des Individualkonsenses),125 was im Grunde ident ist mit dem abstrakten, ursprünglichen Rechtsbegriff.126 Materiell im hier verstandenen Sinne ist folglich nicht ein bestimmter Inhalt, welcher dem Recht zugeschrieben wird.127 Vielmehr bezieht sich „materiell“ hier ausschließlich auf den abstrakten noch formlosen Rechtsbegriff ohne Berücksichtigung förmlicher Entstehungsvoraussetzungen (z. B. Mehrheitsentscheidungen). Um die Funktionalität des Rechts in weiterer Folge zu erhöhen und um die weitere Schaffung von rechtlichen Regeln vereinfachen zu können, wird – in Gestalt einer grundlegenden Willensübereinkunft, welche nur auf einem materiellen Rechtsquellenbegriff fußen kann – festgelegt, in welcher Form ein geschlossener Konsens pro futuro als Recht akzeptiert werden soll. Wird den Erfordernissen dieser festgelegten Rechtsquelle entsprechend Recht geschaffen, 124 Siehe oben Fn. 122. Vgl. zum Verschwimmen der Trennlinie zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus auch N. MacCormick, Recht, Moral und Positivismus, in: id./O. Weinberger (Hrsg.), Grundlagen des institutionalistischen Rechtspositivismus (1985), 156 (175). Siehe dazu kritisch W. Ott, Der Rechtspositivismus – kritische Würdigung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatismus2 (1992), 263. 125 So ähnlich auch B. Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie (Fn. 104), 149 ff. Vgl. auch H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 1), 30: „Den Willen nun, dessen Inhalt der Rechtssatz bildet, den Willen, aus dem er fliesst, nennen wir Rechtsquelle.“ 126 Vgl. bspw. A. Ross, A textbook of international law – General part (1947), 195; G. J. H. van Hoof, Rethinking the sources of international law (1983), 199; sowie kritisch dazu M. Koskenniemi, From apology to utopia – The structure of international legal argument (1988, Neudruck von 2005), 304 Fn. 4: „it [die Gleichsetzung von Rechtsquelle und Recht] fails to account for the law’s normativity. It includes no theory on what factors judges should take into account.“ 127 Dementsprechend ist die Unterscheidung der materiellen von der formellen Rechtsquelle nicht deckungsgleich mit der gängigen Unterscheidung des materiellen vom formellen Recht. Zu letzterem siehe A. Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht (1996), 30.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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fußt dieses Recht auf eben dieser formellen Rechtsquelle. Dementsprechend wird für zukünftige Willensübereinkünfte eine formelle Entstehungsvoraussetzung zur Begründung weiterer rechtlich verbindlicher Willensübereinkünfte festgelegt, was die Akzeptanz der Objektivität128 einer Willensübereinkunft besser zu gewährleisten sucht.129 Im Grunde ist aber die Verobjektivierung bereits in Form der materiellen Rechtsquelle gegeben.130 Das Vorhandensein einer formellen Rechtsquelle schließt nicht zur Gänze aus, dass auch anderweitige Willensübereinkünfte als rechtlich verbindlich geschlossen werden dürfen, ohne diese formellen Formerfordernisse zu erfüllen.131 Derartige Willensübereinkünfte würden allerdings dementsprechend wiederum aus einer rein materiellen Rechtsquelle fließen. Dieser Willensübereinkunft fehlt im Vergleich zum „formellen Recht“, welches aus der vereinbarten formellen Rechtsquelle fließt, sodann aber die funktionserhöhende Formalität. Sowohl der materielle, als auch der formelle Rechtsquellenbegriff dienen der Identifikation von Recht, das durch eine Willensübereinkunft geschaffen wurde. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass der materielle Rechtsquellenbegriff zumindest zum Teil auf ursprüngliche, vorrechtliche Voraussetzungen zurückgeht, welche mit rechtswissenschaftlichen Methoden nur schwer bzw. gar nicht identifiziert werden können.132 Der formelle Rechtsquellenbegriff dient sodann dazu, diese schwierig bisweilen gar nicht zu identifizierenden Regeln des materiellen Rechtsquellenbegriffs durch formelle Entstehungsvoraussetzungen leichter auffindbar zu machen, indem bestimmte formelle Regeln festgesetzt werden, durch deren Einhal128
Siehe zum Stichwort objektiv oben Fn. 64. Vgl. dazu O. Schachter, International law in theory and practice – General course in public international law, 178 RdC Bd. V (1982), 9 (60), der dies als die Funktion der Rechtsquellendoktrin bezeichnet. 130 Vgl. dazu auch die Diskurstheorie mit Nachweisen oben in Fn. 64. Die objektivierende Funktion auch der materiellen Rechtsquelle, also einer Willensübereinkunft zwischen Individuen ohne Einhaltung bestimmter Formalitäten verkennt M. Koskenniemi, Apology (Fn. 126), 305 wenn er sagt: „To carry out its task, sources doctrine must become formal. That is, it must assume that something is not norm merely by virtue of its content reflecting natural justice or State consent. If sources doctrine did not contain such assumption, then it could not maintain law’s distance from States’ subjective, political views – the task for which it was created“ [kursive Hervorhebung im Original, unterstrichene Hervorhebung durch den Autor; Fn. Ausgelassen; dass Koskenniemi dies auf Staaten bezieht macht bezüglich dieser Argumentation keinen Unterschied]. 131 So auch G. M. Danilenko, Law-making in the international community (1993), 24: „Nor does the doctrine of sources seek to explain all the ways in which states and other international actors creat international legal obligations.“ Siehe auch C. Schreuer, Behandlung (Fn. 27), 39 f. 132 Siehe oben A.II.1.a). 129
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
tung eine Identifikation der übereingekommenen Willensübereinkunft stark vereinfacht wird.133 Dies zeigt auch die Parallele zu der unter dem Rechtsbegriff vorgenommenen Abgrenzung zwischen dem Rechtsbegriff und den dafür notwendigen Vorbemerkungen.134 Während der materielle Rechtsquellenbegriff Kritik ausgesetzt ist,135 kann genau dieser Kritik durch die Schaffung und der anschließenden Einhaltung von entsprechend formellen Voraussetzungen bspw. zur erleichterten Schaffung und in weiterer Folge sodann auch Identifikation rechtlicher Normen entgegen getreten werden. An dieser Stelle muss aber nochmals betont werden, dass die formelle Rechtsquelle die Objektivität der Willensübereinkunft nur verstärkt. Die Methode zur Identifikation des formellen Rechts orientiert sich an den klaren Vorgaben der formellen Entstehungsvoraussetzungen des formellen Rechtsquellenbegriffs, währenddessen diese beim materiellen Rechtsquellenbegriff auf eine wie auch immer geartete Willensübereinkunft zwischen Individuen zurückgeführt werden muss. Dem Konsens, also der Willensübereinkunft zwischen zwei oder mehreren Individuen liegt aber grundsätzlich bereits die Erfüllung der identifizierbaren Objektivität einer Norm zu Grunde.136 Die Unterscheidung zwischen einer materiellen und einer formellen Rechtsquelle dient dabei nur der erleichterten Identifikation und in weiterer Folge Interpretation der getroffenen Willensübereinkunft. Im Grunde liegt also bereits im Kompromiss selbst der Ausschluss einer rein subjektiven Handlungsweise eines Individuums begründet. Ansonsten müsste ein Kompromiss ja gar nicht erst geschlossen werden. Somit hört die „staatssubjektivistische“137 bzw. ichbezogene Sicht bereits auf, d.h. die Souveränität wird eingeschränkt, sobald eine konsensorientierte Position zwischen zwei oder mehreren Individuen geschlossen wird.138 Der Souverän bezogen auf diesen Konsens ist somit nicht mehr das einzelne Individuum, sondern der Konsens selbst, bzw. beide oder alle betroffenen Individuen gemeinsam. Diese Einschränkung zielt vor allem auf eine so bezeichnete absolute Souveränität ohne Grundzüge der Souveränität eines Staates grundlegend zu beeinträchtigen.139 133 Vgl. allg. zu den Völkerrechtsquellen A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts (1982), 15. 134 Siehe oben A.II.1.a). 135 Vgl. nur M. Koskenniemi, Apology (Fn. 126), 304. 136 Siehe dazu schon oben A.II.1.a) und b). 137 M. Koskenniemi, Apology (Fn. 126), 304: „States’ subjective, political view“. 138 Siehe aber anders M. Koskenniemi, Apology (Fn. 126), 305; vgl. weiters D. Kennedy, International legal structures (1987), 101. 139 Siehe dazu nur S. Besson, Sovereignty, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2011), Rz. 74 ff., insbes. Rz. 75: „Whereas classic international law saw sovereignty as self-limited at the most, modern international law binds sovereign States in their internal and external dimensions“. Besson stellt darüber hinaus
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Eine formelle Voraussetzung zur Schaffung einer Norm in Form einer „schlichten“ formellen Rechtsquelle, welche aus einer grundlegenden Willensübereinkunft des materiellen Rechtsquellenbegriffs hervorgeht, muss nicht immer ein „Plus“ zur materiellen Willensübereinkunft darstellen. Eine grundlegende Willensübereinkunft, die zukünftige Mehrheitsentscheidungen ermöglicht, stellt bspw. in gewisser Weise eine Reduktion dar. Die Entscheidung zu einer derartigen formellen Rechtsquelle kann u. a. auf das Bewusstsein zurückgeführt werden, dass eine Willensübereinkunft nur schwierig einstimmig zu erreichen sein wird, aber dennoch Regeln für ein geordnetes und besseres Zusammenleben geschaffen werden sollen. Regeln für ein geordnetes Zusammenleben sind letztendlich auch für diejenigen Individuen vorteilhaft, welche gegen bestimmte Mehrheitsentscheidungen gestimmt haben. Dies deshalb, da auch für die widersprechenden Individuen ein wie auch immer geartet geregeltes Zusammenleben besser ist, als das ungeregelte Chaos.140 Mit der „formellen Rechtsquelle“, die in weiterer Folge der Einfachheit halber schlicht als Rechtsquelle bezeichnet wird, können folgende Willensübereinkünfte nicht nur leichter gefunden bzw. identifiziert, sondern ebenso in ein Gliederungsschema eingeteilt werden. So können um der Funktionalität willen Hierarchien zwischen den unterschiedlichen bzw. auch innerhalb einer Rechtsquelle festgelegt werden. Darauf aufbauend kann dann bspw. ein Stufenbau nach dem Erzeugungszusammenhang oder auch nach der derogatorischen Kraft geschaffen werden.141 Je nachdem wie die Rechtsquelle ausgestaltet ist, können basierend auf dieser Rechtsquelle weitere formelle Rechtsquellen bzw. Hierarchien im Rahmen der Willensübereinkünfte in diein Rz. 153 klar: „While classical sovereignty was State sovereignty, the subject of modern sovereignty ist he people.“ 140 Vgl. J. L. Brierly, Law (Fn. 73), 56. 141 Vgl. allg. zum Stufenbau einer Rechtsordnung A. J. Merkl, Das doppelte Rechtsantlitz – Eine Betrachtung aus der Erkenntnistheorie des Rechts, JBl. (1918), 425–427, 444–447, 463–465, wiederabgedruckt in: H. R. Klecatsky et al. (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule: Schriften von Hans Kelsen; Adolf Julius Merkl; Alfred Verdross, Bd. I (1968), 1091 ff.; id., Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: A. Verdross (Hrsg.), FS Hans Kelsen (1931), 252 ff.; H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 228 ff.; R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung – Eine rechtstheoretische Untersuchung auf Grundlage der Reinen Rechtslehre (1964), 53 ff.; T. Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung – Rechtstheoretische und ideologische Aspekte (1975); wie auch P. Koller, Zur Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2004), 106 ff.; M. Borowski, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts nach Adolf Julius Merkl, in: S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2004), 122 ff.; und E. Wiederin, Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls, in: S. Griller/H. P. Rill (Hrsg.), Rechtstheorie, Rechtsbegriff – Dynamik – Auslegung (2011), 81 ff.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
ser Rechtsquelle geschaffen werden. Durch diese Hierarchieanordnung, die meistens mit qualifizierteren Mehrheitsanfordernissen an eine Willensübereinkunft verknüpft ist, werden Konflikte zwischen Regeln der unterschiedlichen Rechtsquellen lösbar. Dies entspricht dem Grundsatz lex superior derogat legi inferiori. Wird eine solche Hierarchieanordnung nicht getroffen,142 oder treten Konflikte zwischen konfligierenden Regeln innerhalb ein und derselben Rechtsquelle auf, können die Konfliktlösungsregeln lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali zur Anwendung kommen.143 Inwiefern die letztgenannten Konfliktlösungsregeln positivrechtlich gesetzt sein müssen, einen rechtslogischen Geltungsgrund haben, oder aus anderweitigen Gründen gelten, kann hier dahinstehen bleiben,144 weil das Thema dieser Arbeit auf das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht abzielt und die Konfliktlösungsregeln lex specialis wie lex posterior nur innerhalb ein und desselben Rechtserzeugerkreises Anwendung finden können.145 2. Der Rechtserzeugerkreis a) Was ist ein Rechtserzeugerkreis? Der Rechtserzeugerkreis ist der Kreis von zwei oder mehreren Individuen, der sich bereits durch die Schaffung einer einzigen Willensübereinkunft konstituiert. M. a. W. entsteht der Rechtserzeugerkreis durch die – wie oben definierte – Schaffung von Recht, die auf der Willensübereinkunft von Individuen beruht.146 Schließen exakt dieselben Individuen weitere Willensüber142
Ein Beispiel dafür ist das Völkerrecht (mit Ausnahme von ius cogens Nor-
men). 143 Siehe dazu allg. E. Vranes, Lex superior, lex specialis, lex posterior – Rechtsnatur der „Konfliktlösungsregeln“, 65 ZaöRV (2005), 391 ff. 144 Vgl. zu den unterschiedlichsten Begründungen der Geltung eben dieser Konfliktlösungsregeln siehe ibid., 392 ff. m. w. N. Vgl. auch die kritische Diskussion bei J. Kammerhofer, Uncertainty in international law – A Kelsenian perspective (2011), 146 ff. und 157 ff. 145 Siehe dazu sogleich unten A.II.2.a), S. 48. 146 In Anlehnung an das oben unter A.II.1., S. 28 [Text unmittelbar vor A.II.1.a)] angesprochene Gedankenspiel, anstelle der hier vorgenommenen Definition von Recht als Willensübereinkunft natürlicher Personen ein anderes Rechtsverständnis in die hier vorgebrachten Überlegungen einzufügen, sei hier dazu angeregt, den Rechtserzeugerkreis als Normensystem zu verstehen, welches rein rechtspositivistisch den Rechtserzeugerkreis, also das Normensystem als Ausgangspunkt versteht. Verschiedene Rechtserzeugerkreise könnten sodann dennoch mit Blick auf ihre Mitglieder, also die natürlichen Personen als Rechtssubjekte, in Relation zueinander gesetzt werden. Dies könnte auch gemäß einem strikt rechtspositivistischen Rechtsverständnis v. a. in Bezug auf die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises [unten A.II.2.c)] zu interessanten Schlussfolgerungen führen.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Abbildung 1
einkünfte ab, ergänzen sie den Rechtserzeugerkreis um diese Willensübereinkünfte. Dementsprechend sind Rechtserzeuger einzig und allein Individuen. Dieser Aussage ist immanent, dass der Rechtserzeugerkreis und damit die an der Willensübereinkunft beteiligten Individuen nur rechtliche Regeln für sich selbst setzen können. Das abstrakte Grundprinzip der pacta tertiis Regel, wie auch die abstrakte Grundregel pacta sunt servanda gelten, aus vorrechtlichen, vernünftigen147 Gründen.148 Die Individuen, die keinem gemeinsamen Rechtserzeugerkreis angehören, befinden sich untereinander in der rechtlichen Wüste (siehe Abbildung 1, oben, welche zwei Rechtserzeugerkreise darstellt, die von gänzlich unterschiedlichen Individuen begründet wurden und inhaltlich unterschiedliche Willensübereinkünfte beinhalten, was durch die unterschiedliche Schattierung ausgedrückt wird). Der Zustand der rechtlichen Wüste kann durch eine mögliche Selbstbeschränkung eines Rechtserzeugerkreises „gestaltet“ sein. Dies kann zum einen die Situation betreffen, in der einem dem Rechtserzeugerkreis fremden Individuum bestimmte Rechte zugesichert werden (pacta tertiis nec prosunt). Eine derartige Selbstbeschränkung kann bspw. bezüglich neu hinzugeborener Individuen einschlägig sein, denen bis zu ihrer Willensbildung bestimmte Rechte zugesichert werden. Wenn hingegen Individuen aus dem Leben und somit auch aus dem Rechtserzeugerkreis ausscheiden wird dadurch der Rechtserzeugerkreis der Übrigen Individuen nicht berührt. Anderes kann nur gelten, insofern dies in die Willensübereinkunft mitaufgenommen wurde. Zum anderen kann aber der vorrechtliche Wüstenzustand auch durch andere allgemeine Selbstverpflichtungen beschränkt sein, die Personen eines Rechtserzeugerkreises in ihrer Handlungsfreiheit gegenüber diesem Rechtserzeugerkreis fremden Personen einschränken, auch wenn sie keinen gemeinsamen Rechtserzeugerkreis teilen. Es ist des Weiteren durch147 Siehe zum Unterschied von vernünftig und rational oben, A.II.1.b), S. 29 f., insbes. Fn. 68–70. 148 Siehe dazu oben A.II.1.a).
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
aus möglich – und in unzähligen Konstellationen der Fall –, dass Individuen mehreren unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen angehören.149 Darüber hinaus ist klar zu stellen, dass eine Norm, eines Rechtserzeugerkreises, nicht von vornherein bestimmte formelle Kriterien erfüllen muss, um als verbindliche rechtliche Regel zu gelten. Vielmehr obliegt es dem Rechtserzeugerkreis in aller Regel150 selbst, bestimmte Formerfordernisse aufzustellen, wie bspw. bestimmte formelle Rechtsquellen zu definieren. Klar ist allerdings, dass aus Gründen der Funktionalität vor der Schaffung einer „Regelflut“ gewisse Rahmenbedingungen abgesteckt werden. Dies wäre bspw. die Vereinbarung von bestimmten formellen Rechtsquellen, die dazu führen, dass auf übereingekommene Formerfordernisse abgestellt wird, um weiteres Recht zu schaffen.151 Dasselbe gilt auch für Konfliktlösungsregeln, die der Normkonfliktfreiheit bzw. der Normkonfliktlösung innerhalb desselben Rechtserzeugerkreises dienen. Beispielhaft können die oben genannten Grundsätze lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali erwähnt werden. Es ist aber äußerst wichtig klarzustellen, dass diese Konfliktlösungsregeln ausschließlich für die Regeln gelten, die ein und demselben Rechtserzeugerkreis entstammen. Dies gilt deshalb, weil die Theorie des Rechtserzeugerkreises keine vordefinierten rechtlichen Sanktionsfolgen für konfligierende Willensübereinkünfte von mehreren (bspw. kleineren) Rechtserzeugerkreisen kennt.152 Im Übrigen herrscht auch im aktuellen Diskurs Einigkeit darüber, dass diese Konfliktlösungsregeln nur bei identem Gesetzgeber zur Anwendung kommen können.153 Dies steht selbstverständlich in keinster Weise der Schaffung solcher Konfliktlösungsregeln für mögliche Konflikte zwischen Regeln zweier Rechtserzeugerkreise, die sich teilweise überschneiden, entgegen. b) Konflikte zwischen unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen Individuen, die nicht Teil desselben Rechtserzeugerkreises sind, befinden sich im Verhältnis zueinander in der rechtlichen Wüste (siehe Abbildung 2). 149
Siehe dazu aber sogleich unten A.II.2.b). Ausgenommen den Fall, indem ein größerer Rechtserzeugerkreis einem kleineren – vollständig im größeren aufgehenden – Rechtserzeugerkreis gewisse Formerfordernisse vom größeren Rechtserzeugerkreis diktiert werden. 151 Siehe dazu oben A.II.1. 152 Siehe dazu sogleich unten A.II.2. 153 Dafür kann einmal Art. 30 Abs. 3 WVK als Beleg angeführt werden: „Sind alle Vertragsparteien eines früheren Vertrags zugleich Vertragsparteien eines späteren, ohne daß der frühere Vertrag beendet oder nach Artikel 59 suspendiert wird, so findet der frühere Vertrag nur insoweit Anwendung, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist.“ Vgl. ebenso implizit E. Vranes, 65 ZaöRV (Fn. 143), 397. 150
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Abbildung 2
Abbildung 3
Die rechtliche Wüste soll hier ganz neutral als vorrechtlicher Zustand ohne weitere Spezifikationen verstanden werden.154 Wie wir weiter unten sehen werden, hat dies aber – zumindest bezogen auf die grundlegendsten Prinzipien und Regeln – in der Praxis nur eine theoretische Bedeutung, da zwingendes Recht des denkbar größten Rechtserzeugerkreises einen universellen Rahmen der grundlegendsten rechtlichen Regeln festlegt.155 Außerdem herrscht der Zustand der rechtlichen Wüste naturgemäß nur solange, bis sich die betroffenen Individuen in einem gemeinsamen Rechtserzeugerkreis „zusammenschließen“ oder für den Verkehr außerhalb eines bestimmten Rechtserzeugerkreises sich „Selbstbindungen“ auferlegen. Geschieht dies, schreiten diese Individuen bezogen auf die angesprochenen Willensübereinkünfte aus der rechtlichen Wüste heraus. Ein anderes Problem kann bei sich überschneidenden Rechtserzeugerkreisen entstehen. Rechtserzeugerkreise „überschneiden“ sich, wenn ein Individuum gleichzeitig in zwei oder mehreren unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen Mitglied ist, welche nicht ineinander aufgehen (siehe Abbildung 3, oben). Sich überschneidende Rechtserzeugerkreise sind dann unproblematisch, wenn sie vollkommen unterschiedliche Materien regeln (siehe die unterschiedliche Schattierung der Kreise, welche zwei voneinander zu unter154 155
Vgl. dazu bereits oben A.II.1.a). Siehe dazu unten B.III.1.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Abbildung 4
scheidende Materien darstellen, in Abbildung 3, S. 75). Für den Fall, dass ein oder mehrere Individuen gleichzeitig zwei unterschiedlichen, aber dieselben Materien regelnden Rechtserzeugerkreisen angehören, stehen diese Individuen bezüglich der Schnittmenge der Kreise im potentiellen Konflikt (siehe oben, Abbildung 4). Der Konflikt tritt auf, wenn für eine bestimmte Partei eines Rechtserzeugerkreises nicht alle Rechte und Pflichten aus diesem Rechtserzeugerkreis uneingeschränkt zur Anwendung kommen können, ohne dass andere Bestimmungen des anderen Rechtserzeugerkreises, dem dasselbe Individuum ebenfalls angehört, mit dieser Anwendung in irgendeiner Art konfligieren (siehe Abbildung 4).156 Ein getroffener Konsens innerhalb eines Rechts156 Vgl. dazu auch H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (1979, post mortem herausgegeben von K. Ringhofer/R. Walter), 99: „Ein Konflikt zwischen zwei Normen liegt vor, wenn das, was die eine als gesollt setzt, mit dem, was die andere als gesollt setzt, unvereinbar ist, und daher die Befolgung oder Anwendung der einen Norm notwendiger- oder möglicherweise die Verletzung der anderen involviert.“ [Hervorhebung im Original gesperrt] Bereits ähnlich id., Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 209. Ihm folgend E. Wiederin, Was ist und welche Konsequenzen hat ein Normkonflikt, 22 Rechtstheorie (1990), 311 (318), der dies folgendermaßen konkretisiert (324): „Ein Konflikt zwischen zwei Normen liegt nach einer verbesserten Version dann vor, wenn die Setzung des durch die erste Norm umschriebene, d.h. gebotene oder erlaubte Verhaltens dazu führt, daß die zweite Norm verletzt wird.“ Dies gilt auch in Fällen rein faktischer Unmöglichkeit. Siehe dazu id. (316). Ebenso bevorzugt E. Vranes, The Definition of ‚Norm Conflict‘ in International Law and Legal Theory, 17 European JIL (2006), 395 (418), eine weite Definition von Normkonflikten. So auch K. Schmalenbach, Article 53, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 54. Vgl. des weiteren K. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung (1935), 46; wie auch id., Einführung in das juristische denken7 (1977), 162, der einen Normkonflikt dann annimmt, wenn: „ein Verhalten in abstracto oder in concreto zugleich als geboten und nicht als geboten oder als verboten und nicht verboten oder gar als geboten und verboten [wird].“ Vgl. Überblicksartig dazu T. Zoglauer, Normenkonflikte – zur Logik und Rationalität ethischen Argumentierens (1998), 125 ff. Für eine engere – international (noch) gebräuchlichere – Definition vgl. W. Jenks, The conflict of law-
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Abbildung 5
erzeugerkreises darf nicht von einem Individuum durch den Schluss eines gegenteiligen Konsenses mit einem diesem Rechtserzeugerkreis fremden Individuum beeinträchtigt werden (pacta sunt servanda wie pacta tertiis).157 Zur Veranschaulichung: Wenn A, B und C untereinander zu der Willensübereinkunft gelangen, dass sie x als verbotene Handlung betrachten (ein Rechtserzeugerkreis), ist es A, B und D (ein sich nur teilweise mit dem ersten Rechtserzeugerkreis deckender Rechtserzeugerkreis) nicht erlaubt, die Handlung x ganz oder auch nur zum Teil wieder zuzulassen. Konfliktlösungstechnisch befinden wir uns allerdings in der rechtlichen Wüste. Wie bereits zuvor gesagt:158 Für unterschiedliche Rechtserzeugerkreise können die tradierten Konfliktlösungsregeln keinen Lösungsansatz bieten. Entweder wird Konfliktsituation zwischen zwei voneinander verschiedenen Rechtserzeugerkreisen durch einen die konfligierenden Kreise umfassenden, größeren Rechtserzeugerkreis (hier A, B, C und D) vorausgesehen und entsprechend durch eigene Konfliktlösungsmechanismen vorgebeugt (siehe oben, Abbildung 5). Oder diese Individuen befinden sich wiederum in der konfliktlösungstechnischen rechtlichen Wüste, was freilich nicht heißen muss, dass die Konfliktparteien nicht fähig sind, diesen Konflikt friedlich und zufriedenstellend zu lösen. Die Theorie des Rechtserzeugerkreises hält aber making treaties, 30 British YIL (1953), 401 (426): „A conflict in the strict sense of direct incompatibility arises only where a party to the two treaties cannot simultaneously comply with its obligations under both treaties.“ Wie auch G. Marceau, Conflicts of norms and conflicts of jurisdictions: The relationship between the WTO agreement and MEAs and other treaties, 35 JWT (2001), 1081 (1084). 157 Siehe dazu auch E. Vranes, 65 ZaöRV (Fn. 143), 402, Fn. 48. 158 Siehe dazu oben A.II.1.a), S. 74.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
im Verhältnis zu sich nicht bzw. nur teilweise überschneidenden Rechtserzeugerkreise keine Konfliktlösungsmechanismen für einen etwaigen Konflikt zwischen diesen Rechtserzeugerkreisen bereit. Treffen beide Rechtserzeugerkreise eine Willensübereinkunft bezüglich bestimmter Konfliktlösungsmechanismen, hat sich bezogen auf diesen Regelungsinhalt ein größerer, beide Rechtserzeugerkreise umfassender Rechtserzeugerkreis konstituiert. Freilich gilt diese Äußerung zum nicht-vorhandenen Konfliktlösungsmechanismus nur bezogen auf vordefinierte Sanktionsfolgen. Die bereits erläuterten grundlegenden vorrechtlichen Regeln der Prinzipien pacta sunt servanda und pacta tertiis gelten unabhängig davon. c) Die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises aa) Grundlagen der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises Die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises geht aus den zuvor geschilderten vernunftbasierten Gegebenheiten hervor, die den vorrechtlichen Annahmen zu Grunde liegen. Die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises stützt sich folglich auf die Prinzipien pacta sunt servanda und pacta tertiis.159 Entsprechend diesen vorrechtlichen Prinzipien ist die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises grundlegend für jede getroffene Willensübereinkunft. Deswegen wird sie hier als ein inhärentes Strukturmerkmal des Rechts bezeichnet. Wird eine rechtliche Regel durch Willensübereinkunft geschaffen, kann nicht mehr einseitig davon abgewichen werden. Dies schließt auch mit ein, dass von diesem zwischen drei oder mehreren Individuen getroffenen Konsens, nicht von zwei Individuen abgewichen werden kann160 (pacta sunt servanda). Die Regel des größeren Rechtserzeugerkreises geht folglich immer der Regel des kleineren Rechtserzeugerkreises vor, insofern die Mitglieder des kleineren Rechtserzeugerkreises sich in dem größeren Rechtserzeugerkreis wiederfinden (siehe unten, Abbildung 6). Wäre dies nicht der Fall, würden die Mitglieder des kleineren Rechtserzeugerkreises ihre Willensübereinkunft auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises brechen. Gibt der größere Rechtserzeugerkreis dem kleineren Rechtserzeugerkreis einen materiellen Befehl, hat der kleinere Rechtserzeugerkreis diesen zu befolgen. Der Befehl des größeren Rechtserzeugerkreises ist gemäß der Theorie des Rechtserzeugerkreises ein Gebot für den kleineren Rechtserzeugerkreis, welches dieser auch in seiner Sphäre beachten muss.161 Da die Mitglieder des kleineren Rechtserzeugerkreises an der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeuger159 160
Siehe dazu oben A.II.1.a). Vgl. dazu bspw. auch Art. 41 WVK.
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kreises partizipieren, ist diese Willensübereinkunft nur mehr auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises veränderbar. Damit geht einher, dass auch die Wirkung dieser Willensübereinkunft vom kleineren Rechtserzeugerkreis nicht verändert werden darf. Wenn die Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises bspw. die unmittelbare Anwendbarkeit einer bestimmten Willensübereinkunft inkludiert, dann hat der kleinere Rechtserzeugerkreis diese Durchschlagskraft bereits mit der Willensübereinkunft auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises akzeptiert.162 Zur Veranschaulichung: Wenn A, B und C in ihrer Wohngemeinschaft das Rauchen verbieten (größerer Rechtserzeugerkreis), ist es A und B ohne Zustimmung von C nicht möglich das Rauchen in ihrer Wohngemeinschaft ganz oder auch nur zum Teil wieder zu erlauben (kleinerer Rechtserzeugerkreis). Es kommt folglich ganz entscheidend auf den Inhalt der Willensübereinkunft an. Die Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises darf nicht beeinträchtigt werden, indem der kleinere Rechtserzeugerkreis eine mit dieser Willensübereinkunft konfligierende Willensübereinkunft schafft. Nach der hier vertretenen Auffassung zum Normkonflikt, konfligiert eine Willensübereinkunft des kleineren Rechtserzeugerkreises bereits dann mit der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises, wenn irgendein Recht oder eine Pflicht der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises eingeschränkt wird.163 Konfligiert die Willensübereinkunft des kleineren Rechtserzeugerkreises nicht mit der des größeren, werden also weder Rechte noch Pflichten der Mitglieder des größeren Rechtserzeugerkreises durch die Willensübereinkunft des kleineren Rechtserzeugerkreises beeinträchtigt, bleibt der kleinere Rechtserzeugerkreis frei weitere Willensübereinkünfte zu treffen. Er kann folglich beliebig viele weitere, bspw. speziellere Willensübereinkünfte schließen, wenn sie nicht mit einer Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises konfligieren. Zur Illustration soll das zuvor genannte Beispiel abgewandelt werden: A, B und C verbieten sich das Rauchen nicht in ihrer Wohngemeinschaft, sondern in ihrem Stammlokal. Nach dieser Abwandlung erscheint es auf den ersten Blick weniger einleuchtend, weshalb es A und B an einem Abend ohne C auch bei noch so starkem Verlangen untersagt bleiben soll eine Zigarette zu rauchen. Für die Auflösung dieses Beispiels ist eine exakte Analyse der Willensübereinkunft, die von A, B und C getroffen wurde zielführend. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Willensübereinkunft darauf abzielt, dass keiner der drei, weder in der Gesellschaft der jeweils anderen oder auch alleine raucht. Zielt die Willensüber161 Zur Rechtsfolge bei etwaigem Bruch dieser Willensübereinkunft siehe sogleich A.II.2.c)bb). 162 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit siehe unten A.III.2. 163 Siehe zum Normkonflikt oben, A.II.2.b), S. 50, insbes. Fn. 156.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Abbildung 6
einkunft auf ein derartiges Verbot – unabhängig davon, ob der Ort des Verbots die Wohngemeinschaft oder das Stammlokal ist – ab, kann das Aufheben des Rauchverbots nur von A, B und C gemeinsam beschlossen werden. Durch die Abwandlung wird klar, dass der Befehl unter keinen Umständen vom Verbot abzuweichen, je nach Willensübereinkunft variieren kann. Bei der Willensübereinkunft, welche das Rauchen in der Wohngemeinschaft verbietet, wird davon ausgegangen werden können, dass ein solcher Befehl implizit mitaufgenommen wurde. D.h. es ist ohne weitere Spezifikation der Willensübereinkunft davon auszugehen, dass A und B ohne C das Verbot in ihrer Wohngemeinschaft nicht mehr verändern können. Hingegen erscheint ein expliziter Befehl, der das Abwandeln des Rauchverbots weder in Begleitung der anderen Normsetzer noch alleine im Stammlokal erlaubt entscheidend. Ohne einen expliziten Befehl ist wohl eher davon auszugehen, dass A und B alleine in ihrem Stammlokal ohne weiteres zur Zigarette greifen dürfen. Ist aber der explizite Befehl eines vollkommenen Rauchverbots für die drei Normsetzer in ihrem Stammlokal von der Willensübereinkunft umfasst, kann kein kleinerer Rechtserzeugerkreis bspw. bestehend aus A und B das Rauchen im Lokal ohne C wieder erlauben, ohne gegen die Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises (A, B und C) zu verstoßen. Entscheidend ist folglich, ob durch eine Willensübereinkunft im kleineren Rechtserzeugerkreis eine speziellere Bestimmung geschaffen wird, ohne die Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises zu beeinträchtigen oder ob die Willensübereinkunft
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Abbildung 7
im kleineren Rechtserzeugerkreis mit der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises konfligiert. Während ersteres unproblematisch ist, widerspricht letzteres der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises. Weil eine konfligierende Norm eines kleineren Rechtserzeugerkreises dem vernunftbasierten, aus vorrechtlichen Gründen geltenden pacta sunt servanda Grundsatz widerspricht. Überschneiden sich die Mitglieder der Rechtserzeugerkreise nicht, kann der kleinere Rechtserzeugerkreis nach der Theorie des Rechtserzeugerkreises nicht vom größeren Rechtserzeugerkreis eine Regelung diktiert bekommen. Vielmehr ist dieser, womöglich als stärker empfundene, da größere Rechtserzeugerkreis, nicht mit dem kleineren Rechtserzeugerkreis verbunden, da die Mitglieder der jeweiligen Rechtserzeugerkreise nicht übereinstimmen (siehe Abbildung 7, oben). Es spielt folglich keine Rolle, inwiefern diese Normen womöglich konfligieren, da für beide das pacta tertiis Prinzip gilt. Diese beiden Rechtserzeugerkreise befinden sich im Verhältnis zueinander in der rechtlichen Wüste. Schwieriger ist der Fall zu beurteilen, indem eine Willensübereinkunft von Individuen des kleineren Rechtserzeugerkreises mit einer Willensübereinkunft eines größeren Rechtserzeugerkreises konfligiert, in dem sie nur teilweise aufgehen, d.h. die Rechtserzeugerkreise nur teilweise ident sind (siehe unten, Abbildung 8). Dieser Fall ähnelt stark dem, welcher in Abbildung 4 dargestellt wurde. Die Frage stellt sich, ob der Unterschied zu Fall 4, die unterschiedliche Größe der beiden konfligierenden Kreise, von rechtlicher Relevanz ist, ob also die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises hier Anwendung findet. Zum einen kann festgehalten werden, dass diese Konstellation im Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht nicht auftreten kann, weil der Staat (kleinerer Rechtserzeugerkreis) als Einheit am völkerrechtlichen Rechtssetzungsprozess (größerer Rechtserzeugerkreis) teil-
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Abbildung 8
nimmt. Dies gilt für alle völkerrechtlichen Willensübereinkünfte wie bspw. völkerrechtliche Verträge aber auch internationale Organisationen. Davon bleibt unberührt, dass Staaten völkerrechtliche Willensübereinkünfte stellvertretend für ihre Individuen abschließen. Auch wenn der Staat im Völkerrecht als Einheit auftritt, greift er demzufolge auf die Willensübereinkunft der ihn konstituierenden Individuen zurück.164 Zum anderen muss zur theoretischen Seite dieses potentiellen Konflikts festgehalten werden, dass der in Abbildung 8 dargestellte Fall sicherlich nicht der primäre Anwendungsfall der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises ist. Vielmehr ist der Unterschied zu der Konstellation in Abbildung 4165 zu gering, um in diesem Konflikt eine Auswirkung der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises verorten zu können. Dementsprechend muss auf die Lösung des Konfliktes in Abbildung 4 verwiesen werden: Entweder wird der Konfliktsituation zwischen zwei voneinander verschiedenen Rechtserzeugerkreisen durch einen die konfligierenden Kreise umfassenden, größeren Rechtserzeugerkreis vorausgesehen und entsprechend durch eigene Konfliktlösungsmechanismen vorgebeugt (siehe oben, Abbildung 5). Oder diese Individuen befinden sich in der konfliktlösungstechnischen rechtlichen Wüste.166
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Siehe dazu unten A.II.2.h), S. 74 f. Die Konstellation in Abbildung 4 unterscheidet sich dadurch, dass die konfligierenden Kreise in Abbildung 4 gleich groß sind. Charakteristisch für beide Konfliktkonstellationen sind aber jeweils sich nur teilweise überschneidende Kreise. 166 Das wäre die konfliktlösungstechnische rechtliche Wüste bzw. Abbildung 5. Siehe dazu oben A.II.2.b). 165
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bb) Rechtsfolge bei Bruch der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises Das rechtliche Können betrifft die Fähigkeit Recht rechtswirksam setzen zu können. Das rechtliche Dürfen entscheidet über die Rechtmäßigkeit einer Handlung. Insofern ein Rechtserzeugerkreis eine bestimmte Willensübereinkunft treffen darf, kann er es auch. Umgekehrte ist es aber möglich, dass ein Rechtserzeugerkreis zwar eine Willensübereinkunft setzen kann, d.h. die rechtliche Fähigkeit dazu hat, aber dies nicht darf, also wenn er die Willensübereinkunft trifft, rechtswidrig handelt.167 Eine mit einer Regel des größeren Rechtserzeugerkreises konfligierende Regel des kleineren, in dem größeren Rechtserzeugerkreis aufgehenden Rechtserzeugerkreis, kann auf Grund der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises (siehe oben, Abbildung 6) nicht rechtswirksam entstehen. Der kleinere Rechtserzeugerkreis würde gegen seine eigene Willensübereinkunft, die er auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreis mitgeschaffen hat, handeln, wenn er im kleineren Rechtserzeugerkreis eine konfligierende Willensübereinkunft schaffen würde. D.h., der kleine Rechtserzeugerkreis kann zunächst gar nicht rechtswirksam eine konfligierende Willensübereinkunft schaffen. Der kleinere Rechtserzeugerkreis verliert mit der Abgabe seines Willens auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises die rechtliche Fähigkeit eine konfligierende Willensübereinkunft im kleineren Rechtserzeugerkreis zu schließen. D.h. das rechtliche Können eines kleineren Rechtserzeugerkreises ist eingeschränkt, da mit der Abgabe der Willensübereinkunft auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises einhergeht, dass diese Willensübereinkunft nur mehr auf dieser Ebene verändert oder gar aufgehoben werden kann. Damit konfligierende Willensübereinkünfte sind folglich nichtig, weil sie den grundlegenden, vorrechtlichen Annahmen widersprechen. Das ist die grundlegende Situation, wenn der kleinere Rechtserzeugerkreis eine Willensübereinkunft schafft, die mit der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises konfligiert. Diese grundsätzliche Ausgangssituation kann vom größeren Rechtserzeugerkreis aber auch anders ausgestaltet werden. Der größere Rechtserzeugerkreis kann bspw. dem kleineren Rechtserzeugerkreis das rechtliche Können zugestehen, eine zuwiderlaufende Willensübereinkunft zu treffen und ihm nur das rechtliche Dürfen verbieten. In weiterer 167 Vgl. dazu auch R. Pfeffer, Verhältnis (Fn. 119), 34. Ganz allgemein ist im zivilrechtlichen Vertretungsrecht das „Handeln-Dürfen“ einer Ermächtigung gleichgesetzt. Der Ermächtigte ist berechtigt im „eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung handeln zu dürfen.“ Eine Vollmacht hingegen begründet das „Handeln-Können“. Der Bevollmächtigte handelt „in fremdem Namen auf fremde Rechnung.“ [Hervorhebung vom Verfasser] Vgl. dazu H. Barta, Zivilrecht: Grundriss und Einführung in das Rechtsdenken (2004), 846.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Folge kann der größere Rechtserzeugerkreis die Rechtsfolge des Verstoßes gegen das rechtliche Dürfen konkretisieren. Dementsprechend kann der größere Rechtserzeugerkreis z. B. die Rechtsfolge der Nichtigkeit oder der Unanwendbarkeit der konfligierenden Willensübereinkunft des kleineren Rechtserzeugerkreises anordnen. Entscheidend ist vor allen Dingen, dass der größere Rechtserzeugerkreis den Ton angibt. Die inhaltliche Ausgestaltung der Regeln des größeren Rechtserzeugerkreises ist demzufolge dafür ausschlaggebend, ob konfligierende Normen des kleineren Rechtserzeugerkreises bspw. von vornherein nichtig sind (ex tunc) oder ob diese bis zur Aufhebung auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises gültig, also anwendbar sind (ex nunc). Ebensogut kann der größere Rechtserzeugerkreis seine Normen oder bestimmte Teile davon als dispositiv erachten. Wird im Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht vom größeren, internationalen Rechtserzeugerkreis keine bestimmte Aussage über das rechtliche Können und das rechtliche Dürfen des kleineren, nationalen Rechtserzeugerkreises getroffen, spricht eine Vermutung dafür, dass der nationale Rechtserzeugerkreis zwar nicht abweichen darf, aber rechtlich dazu in der Lage ist (können). Die ius cogens-Normen, welche als Spezifikum im Völkerrecht die Rechtsfolge der ausdrücklichen Nichtigkeit konfligierenden Rechts explizit anordnen (Art. 53 WVK), legen diese Annahme nahe.168 Die Vermutung spricht deshalb nicht für die Unmöglichkeit des rechtlichen Könnens, weil die Rechtsfolge der Nichtigkeit von ius cogens-Normen ansonsten nicht derart stark betont werden müsste. Diese Vermutung basiert auf dem status quo und ist möglichen Änderungen nicht verschlossen. Für diese Arbeit gilt die Annahme, dass der kleinere, nationale Rechtserzeugerkreis eine mit dem größeren Rechtserzeugerkreis konfligierende Willensübereinkunft schaffen kann; er darf dies aber nicht. Die ius cogens-Bestimmungen zeigen allerdings, dass dies vorbehaltlich einer anderen Anordnung des größeren Rechtserzeugerkreises gilt. In weiterer Folge wird vom rechtlichen Dürfen gesprochen. Unabhängig davon gilt: Eine einmal geschlossen Willensübereinkunft, kann nur wieder vom eigenen Rechtserzeugerkreis und in einer Weise, wie es dieser Rechtserzeugerkreis vorgesehen hat, abgeändert werden. Dominierend dabei ist die im größeren Rechtserzeugerkreis geschlossene Willensübereinkunft. cc) Verbindung zwischen den Rechtserzeugerkreisen bei übereinstimmenden Mitgliedern Es geht mit dem Gesagten einher, dass die Regelungsdichte umso mehr abnimmt, desto größer der Rechtserzeugerkreis, d.h. die Anzahl der betei168
Siehe zum ius cogens näher unten B.III.1.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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ligten Individuen wird. Ebenso wird mit zunehmender Größe des Rechtserzeugerkreises die Willensübereinkunft umso abstrakter, aber auch grundlegender. Dies ist aber nicht als eine theoretische Beeinträchtigung der Regelungsmöglichkeit des größeren Rechtserzeugerkreises zu verstehen. Vielmehr ist dies ein praktisches Phänomen, das auch nachzuvollziehen ist. Je größer der Rechtserzeugerkreis wird, umso schwieriger ist es einen Konsens zu finden.169 Würden jedoch alle bestehenden Rechtsnormen einheitlich vom Konsens des größeren bzw. in diesem Fall größtmöglichen Rechtserzeugerkreises mit umfasst, gäbe es gar keinen kleineren Rechtserzeugerkreis mehr. Da dies praktisch (noch) nicht der Fall ist, werden viele potentielle Regelungsgegenstände vom größeren, es kann heutzutage schon zum Teil vom größtmöglichen Rechtserzeugerkreis gesprochen werden,170 nicht geregelt. Es sind folglich aktuell nur die grundlegendsten Regeln im größtmöglichen Rechtserzeugerkreis enthalten. Weiter ausführende bzw. nicht als absolut grundlegend angesehene Regeln aus nicht umfassten Rechtsbereichen können sodann vom jeweils nächst kleineren Rechtserzeugerkreis ausgefüllt werden. Diese Kette setzt sich sodann bis zum denkmöglich kleinsten Rechtserzeugerkreis fort. Die Regeln des jeweiligen kleineren Rechtserzeugerkreises müssen aber alle Voraussetzungen erfüllen, die von dem größeren Rechtserzeugerkreis aufgestellt wurden. Diese Sichtweise kann in gewisser Weise auch als Reduktion des Kelsenschen Delegationszusammenhangs gesehen werden, welcher das gesamte nationale Recht vom internationalen Recht ableiten will.171 Ein Delegationszusammenhang ist nach der 169
Siehe dazu v. a. unten A.II.3. Siehe dazu die Ausführungen unten B.III.1. 171 Siehe dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 221; wie auch A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft (1926), 35. Vgl. für eine Kritik am Bsp. der EU-Rechtsordnung L. Kirchmair, Die autonome Rechtsordnung der EU und die Grenzen von Monismus und Dualismus, in: M. C. Kettemann (Hrsg.), Grenzen im Völkerrecht – Grenzen des Völkerrechts: Beiträge zum 6. Workshop des Arbeitskreises junger Völkerrechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (AjV) in Graz (20.–21. Oktober 2012) (2013), 275 ff. Vgl. dazu ebenso die Verdross’sche Kompetenztheorie, die staatliche Souveränität als vom Völkerrecht verliehene Kompetenz ansieht, also bereits eine völkerrechtliche Gesamtverfassung als gegeben annimmt: A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung (1923), 31–35. Noch deutlicher wird diese Kompetenz-Kompetenz des Völkerrechts, die allerdings als fiktiv und in dem hier beschriebenen Sinne eben (noch) als „theoretische“ Kompetenz-Kompetenz bezeichnet werden muss, durch die Aussage von A. Verdross, Le fondement du droit international, 16 RdC Bd. I (1927), 319: „Par conséquent, seule la compétence des États découle directement du droit international.“ Und „Cependant, si la compétence des États est limitée par le droit des gens, la compétence de la communauté international est juridiquement illimitée; car la compétence de la compétence lui appartient.“ Vgl. ganz allg. zur Verdross’schen Kompetenztheorie auch A. Brodherr, Alfred Verdross’ Theorie des gemäßigten Monismus (2004), 75 ff. 170
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
hier vertretenen Theorie nur dann gegeben, wenn eine Regel des kleineren Rechtserzeugerkreises, dessen Mitglieder auch gleichzeitig Mitglieder des größeren Rechtserzeugerkreises sind, sich inhaltlich auf eine Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises stützt bzw. überschneidet. Wird die Willensübereinkunft des kleineren Rechtserzeugerkreises inhaltlich im größeren Rechtserzeugerkreis nicht behandelt, besteht auch kein Delegationszusammenhang zu einschlägigen Willensübereinkünften im kleineren Rechtserzeugerkreis. Gibt es keine Willensübereinkunft auf der Ebene eines größeren Rechtserzeugerkreises in einer bestimmten Materie, steht es dem kleineren Rechtserzeugerkreis vollkommen frei eine Willensübereinkunft zu treffen. Außerdem ist festzuhalten, dass Mitglieder eines kleineren Rechtserzeugerkreises einem größeren Rechtserzeugerkreis nur dann beitreten dürfen, wenn dies nicht einer aufrechten Willensübereinkunft des kleineren Rechtserzeugerkreises widerspricht. d) Der Begriff der Rechtsordnung und der Rechtserzeugerkreis Oben wurde die Aussage getroffen, dass bereits der Konsens einer einzigen Willensübereinkunft einer Gruppe von Individuen zu einem eigenständigen Rechtserzeugerkreis führt. Diese Aussage soll weiterhin aufrecht bleiben. Allerdings ist augenfällig, dass ein solcher Rechtserzeugerkreis für sich noch keine ausreichend stabilisierende Funktion wird ausüben können, um ein gemeinsames Zusammenleben von einer Vielzahl an Individuen zu ermöglichen. Hinzukommt: Umso größer dieser Rechtserzeugerkreis wird, d.h. umso mehr Individuen sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen müssen, desto geringer wird die inhaltliche Kompromissbereitschaft der Individuen i. d. R. werden. Es muss auch daran erinnert werden, dass mit den bisherigen abstrakten Ausführungen das Zwangselement, weder für den Rechtsbegriff an sich noch für den Rechtserzeugerkreis, als konstitutiv angesehen wurde.172 Allerdings wurde sehr wohl konstatiert, dass bei zunehmender Größe eines Rechtserzeugerkreises die Regeln für die den Kreis konstituierenden Personen zunehmend abstrakter werden.173 Es steht folglich die Frage im Raum, ob eine gewisse, sich durch einen Rechtserzeugerkreis bestimmter Größe zusammenschließende Gemeinschaft zusätzlich qualitative Elemente benötigt, um den gefundenen Konsens in jeder Situation gewährleisten bzw. bis zu dessen Revidierung aufrechterhalten zu können. M. a. W. stellt die zunehmende Größe eines Rechtserzeugerkreises zusätzliche Anforderungen, damit das Funktionieren dieser Gemeinschaft als Rechtsordnung gewährleistet werden kann. 172 173
Siehe dazu oben A.II.1.d). Vgl. oben A.II.2.c), S. 84 f.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Auch wenn oben die Vorstellung eines Rechtsbegriffs als Oberbegriff einer Gesellschaftsordnung abgelehnt wurde,174 so kommt dieser Vorstellung ihre Berechtigung im Rahmen des Begriffs der Rechtsordnung durchaus zu. Ganz allgemein kann gesagt werden: Durch die qualitative Erfüllung von bestimmten, sogleich zu bestimmenden Kriterien, wird ein Rechtserzeugerkreis zu einer Rechtsordnung. Demzufolge reicht die Umschreibung als Summe geltender Rechtsvorschriften für die Menschen in einem bestimmten Gebiet nicht aus, um eine Rechtsordnung zu definieren.175 Der Begriff Rechtsordnung setzt sich aus zwei Elementen zusammen. Dem bereits oben definierten Begriff Recht und dem noch zu definierenden der Ordnung, im Zusammenhang mit dem Recht. Da Recht als verbindliche Willensübereinkunft definiert wurde,176 muss dies für den Begriff der Rechtsordnung mit dem Begriff der Ordnung verbunden werden. Das Wort Ordnung wird oftmals synonym mit dem Begriff der Organisation gebraucht.177 Ebenfalls werden die Begriffe Rechtsordnung und Rechtssystem häufig als Synonyme verstanden.178 Daraus kann ein gewisser Organisationsgrad, eine erkennbare Struktur, m. a. W. eine Funktionsweise in Form eines bestimmten Inhalts abgeleitet werden, die aus den Willensübereinkünften der Individuen hervorgehen bzw. dadurch geschaffen worden sein müssen, um aus diesen Willensübereinkünften die gesuchte Ordnung ableiten zu können.179 Ein Ausdruck dieser Kriterien kann bspw. die Schaffung von rechtlichen Institutionen mit sogenannten Hoheitsrechten sein.180 All diese Kriterien können mit der Bezeichnung „Einheit der Rechtsordnung“ umfasst werden.181 In eine ähnliche Richtung zielt das Kri174
Siehe dazu oben A.II.1. So aber bspw. M. Lendi, Rechtsordnung – Eine Einführung in das schweizerische Recht3 (2001), 18. 176 Siehe dazu oben A.II.1. 177 Siehe Wiktionary zum Begriff Ordnung abrufbar unter http://de.wiktionary. org/wiki/Ordnung. Vgl. aber auch H. Kelsen, Problem (Fn. 95), 257. 178 Vgl. dazu A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 47), 8; wie auch W. Schroeder, Gemeinschaftsrechtssystem (Fn. 90), 104 m. w. N. zur Terminologie des EuGH, wobei die Begriffe Rechtsordnung und Rechtssystem als austauschbar zum Vorschein gelangen, wenn die englische, deutsche wie französische Sprachfassung herangezogen wird. 179 Vgl. dazu bezüglich der Europäischen Gemeinschaft W. Schroeder, Gemeinschaftsrechtssystem (Fn. 90), 105. 180 Siehe bspw. dafür das Verständnis des EuGH als Wesensmerkmale eines Rechtssystems EuGH, Costa vs. ENEL, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269). 181 Siehe so bereits K. Engisch, Einheit (Fn. 156), 25, der diese Einheit zutreffend auf den Willen der Gemeinschaft zurückführt. Ähnlich auch H. L. A. Hart, Begriff (Fn. 104), 142 ff., der die Einheit einer Rechtsordnung durch seine Erkenntnisregel („rule of recognition“) gegeben sieht. Vgl. allg. auch M. Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung: Bedeutungen einer juristischen Formel in Rechtstheorie, Zivil- und Staatsrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts (1995), 13 f., welcher aus ei175
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
terium der Identität einer Rechtsordnung, das dann gegeben ist, wenn alle Normen einer fraglichen Rechtsordnung auf eine bestimmte Quelle bzw. eine bestimmte Autorität zurückgeführt werden können.182 Diese Identität zieht in weiterer Folge eine bestimmte innere Kohärenz nach sich, was eine lücken(aus)schließende Wirkung bzw. Widerspruchsfreiheit183 zur Folge hat, nem historischen Blickwinkel die „Vielfalt der Bedeutungsvarianten“ des Begriffs der Rechtsordnung hervorkehrt. Vgl. dazu auch A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 47), 26; und P. Koller, Theorie2 (Fn. 56), 124 ff.; wie auch H. Tilch (Hrsg.), Deutsches RechtsLexikon2, Bd. III (1992), Rechtsordnung: „ist die Gesamtheit aller Rechtssätze bzw. die mit ihrer Hilfe angestrebete rechtliche Ordnung einer umfassenden menschlichen Gemeinschaft. Sie bildet eine in sich geschlossene Einheit“ [Hervorhebung durch Verfasser]. Vgl. ebenso K. Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung? (1994). Auch H. Kelsen, Der Begriff der Rechtsordnung, in: H. R. Klecatsky et al. (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule: Schriften von Hans Kelsen; Adolf Julius Merkl; Alfred Verdross, Bd. II (1968), 1395 (1395), sieht das zentrale Kriterium einer Rechtsordnung in ihrer Einheit wenn er sagt: „Eine Vielheit von Normen sind eine Ordnung, wenn sie eine Einheit bilden; und sie bilden eine Einheit, wenn sie denselben Geltungsgrund haben.“ Kelsen (158) stützt die Einheit der Rechtsordnung in weiterer Folge auf den Rechtserzeugungszusammenhang, der schlussendlich zur Grundnorm führt. Dieser Ausführung, die bekanntermaßen in einer einzigen Rechtsordnung mündet soll hier aber nicht gefolgt werden. Vielmehr soll, trotz der geforderten Einheit, wie den diese erfüllenden qualitativen Kriterien, die einen Rechtserzeugerkreis zu einer Rechtsordnung bzw. einem Rechtssystem machen, die Existenz mehrerer Rechtsordnungen nicht ausgeschlossen werden. 182 J. Raz, Concept of a legal system – An introduction to the theory of legal system (1970), 18 summiert John Austin’s Kriterien der Identität und Mitgliedschaft als Rechtssystem mit: „The principle [of origin] says that the membership of laws in a system, and the identity of the system, are completely determined by the origin of the laws.“ Siehe auch J. Austin, Lectures on jurisprudence: Or the philosophy of positive law (1911), 221; H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 196 ff. Kelsens’ „Geltungsgrund einer normativen Ordnung [ist bekanntermaßen]: die Grundnorm“. A. A. C. E. Alchourrón/E. Bulygin, Nomative systeme (1994), aus dem Englischen übersetzt von A. Schmitt/R. Zimmerling, Original: Normative Systems (1971), 28; kritisch dazu ebenfalls A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 47), 19 f. 183 Kritisch dazu C. E. Alchourrón/E. Bulygin, Systeme (Fn. 182), 28; wie auch M. Baldus, Einheit (Fn. 181), 199, der die „formale Theorie einer identitätsstiftenden Einheit der Rechtsordnung“ „strikt von der Einheit der Rechtsordnung im Sinne ihrer Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit zu unterscheiden“ sucht. Bei letzterer handle „es sich nicht um ein axiomatisches und formales Theorem, das bei jeder juristischen Operation notwendigerweise vorauszusetzen [sei]. Angesichts der Erfahrungen von kollidierenden und fehlenden Normen kann diese Einheitsformel nur ein Postulat sein, ein staatstheoretisch begründbares Postulat, das an eine zuvor identifizierte und abgegrenzte Rechtsordnung zu richten ist.“ Siehe dazu auch D. Felix, Die Einheit der Rechtsordnung – Zur verfassungsrechtlichen Relevanz einer juristischen Argumentationsfigur (1998), 142 ff. m. w. N., welche durch die Reduktion der „Einheit der Rechtsordnung“ auf ein widerspruchsfreies anstelle eines lückenlosen Systems die „juristische Argumentationsfigur“ der „Einheit der Rechtsordnung“ am Leben erhält. So auch T. Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit – Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht (2004), 223.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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die sich wiederum in einer gewissen Einheitlichkeit der Rechtsakte äußert.184 Diese identitätsstiftende Quelle kann auf den Rechtserzeugerkreis zurückgeführt werden, welcher verbunden mit den genannten qualitativen Kriterien die Grundlage einer Rechtsordnung darstellt. Wichtig ist aber festzuhalten: Die qualitative Erfüllung bestimmter Kriterien, die einen bestimmten Rechtserzeugerkreis als eine Rechtsordnung qualifizieren, führt nicht dazu, dass die Aussagen, die bezogen auf den Rechtserzeugerkreis getroffen wurden, für eine Rechtsordnung nicht mehr gelten. Die Rechtsordnung kennzeichnet somit eine institutionalisierte, stärker fundierte Gemeinschaft eines Rechtserzeugerkreises. Zuvor beschriebene Konfliktsituationen,185 wie auch eine Einbindung in einen größeren Rechtserzeugerkreis186 haben für diesen bestimmten Rechtserzeugerkreis, der sich als Rechtsordnung „konstituiert“ hat, aber exakt dieselben Folgen, wie sie dies für einen x-beliebigen anderen Rechtserzeugerkreis haben. Eine Rechtsordnung stellt folglich keinen unveränderlichen geschlossenen Kreis dar. Sie kann sich selbst öffnen, auch ohne die Bezeichnung der Einheit einer Rechtsordnung zu verlieren. Es wird aber wohl, zielt man gerade auf die Einheit einer Rechtsordnung ab, diese Einheit in Frage gestellt werden müssen, insofern eine etwaige Öffnung bestimmte Ausmaße annimmt. Dies offenbart die qualitativen Kriterien als vage, die den Mehrwert der Rechtsordnung gegenüber einem einfachen Rechtserzeugerkreis ausmachen. Eine Austauschbarkeit dieser Elemente kann bis zu einem gewissen Grad folglich weder ausgeschlossen, noch für die Bezeichnung der Rechtsordnung an sich als schadhaft angesehen werden. Infolgedessen kristallisiert sich der Rechtserzeugerkreis und die dazu getroffenen Aussagen als rechtlich ausschlaggebender Faktor heraus, wenn es das Verhältnis von verschiedenen Rechtsordnungen zueinander zu klären gilt. Die zu einem bestimmten Rechtserzeugerkreis hinzutretenden Elemente, die sodann eine einheitliche Rechtsordnung ausmachen, verändern an den grundlegenden Aussagen zum Rechtserzeugerkreis demzufolge nichts. e) Der Staat als besondere Form des Rechtserzeugerkreises Wie dem Begriff der Rechtsordnung so ist auch dem Begriff des Staates die Konnotation der Einheit nicht fremd.187 Ebenso erfüllt das Gebilde Staat, 184 Vgl. dazu auch G. F. Schuppert/C. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung – Überlegungen zum Verhältnis von verfassungsrechtlicher Ausstrahlungswirkung und Eigenständigkeit des „einfachen“ Rechts (2000), 72 f.; siehe ebenso M. Baldus, Einheit (Fn. 181), 198 ff. 185 Siehe dazu oben A.II.2.b). 186 Siehe dazu oben A.II.2.c). 187 Vgl. dazu bspw. ganz allg. A. Gamper, Staat und Verfassung2 (Fn. 2010), 28 ff.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
was eine Rechtsordnung und deren Elemente nach oben ausgeführten Kriterien ausmacht: Der Staat beruht auf einem gewissen Organisationsgrad, einer erkennbaren Struktur, die in einem identitätsstiftenden einheitlichen System zusammenlaufen. Dementsprechend hat die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen den Staatsbegriff mit dem Begriff der Rechtsordnung aus juristischer Perspektive gleichgesetzt.188 Die allseits bekannte Drei Elemente-Lehre von Georg Jellinek hat den Staat anhand einem Staatsvolk, einem Staatsgebiet und einer Staatsgewalt definiert.189 Wiederum Andernorts wird der Staat durch bestimmte politische, kulturelle wie soziologische Elemente identifiziert.190 Anstatt hier aber tiefer in die Allgemeine Staatsrechtslehre einzutauchen und diverse Theoriekonstrukte zu diskutieren, konzentriert sich die Arbeit auf die rechtlich relevanten Elemente des Staates als Rechtserzeugerkreis im System von vielen Rechtserzeugerkreisen. Nach dem hier vertretenen theoretischen Ansatz stellt der Staat ebenso wie die Rechtsordnung – sei er nun als die Rechtsordnung oder als ein aliud definiert – „nur“ einen bestimmten Rechtserzeugerkreis dar. Der Staat ist demzufolge im Verkehr mit anderen, größeren191 Rechtserzeugerkreisen an die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises gebunden. Dementsprechend ist auch der Staat „nur“ ein Produkt eines bestimmten Rechtserzeugerkreises, das im Hinblick auf die zu erreichen wollenden Staatszwecke und -ziele, wie bspw. dem Gemeinwohl seiner Staatsbürger, bestimmte Ausprägungen annimmt. Der Staat kann auch als ein Rechtserzeugerkreis gesehen werden, der sich um seines 188 H. Kelsen, Staatslehre (Fn. 8), 16 ff: „Ist erkannt, daß die Existenzsphäre des Staates normative Geltung und nicht kausale Wirksamkeit, daß jene spezifische Einheit, die wir in dem Begriff des Staates setzen, nicht in der Welt der Naturwirklichkeit, sondern in jener der Normen oder des Wertes liegt, daß der Staat seinem Wesen nach ein System von Normen oder der Ausdruck für die Einheit eines solchen Systems ist, dann ist damit die Erkenntnis, daß der Staat als Ordnung nur die Rechtsordnung oder der Ausdruck ihrer Einheit sein kann, eigentlich schon erreicht.“ [Hervorhebung vom Verfasser]. Vgl. ebenso H. Kelsen, Problem (Fn. 177), 9 f. 189 Siehe G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre3 (1914, 5. Neudruck von 1929), 144 ff. Dafür, dass sich dies hin in Richtung einer konstitutiven Anerkennung („consolidating“ effect) verschoben hat bzw. verschiebt, siehe H. Neuhold, Kosovo: A testing ground for international crisis management and dispute settlement, in: G. Hafner et al. (Hrsg.), Völkerrecht und die Dynamik der Menschenrechte – Liber amicorum Wolfram Karl (2012), 324 (335 in Fn. 47). 190 Vgl. für eine Definition des Begriffs Staat als „soziologische Einheit“ H. Buchheim, Staat, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon: Recht – Wirtschaft – Gesellschaft6 (1962), VII 520; wie eine Auflage später Isensee, welcher die „Relativität aller Staatsbegriffe“ hervorhebt J. Isensee, Staat, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon: Recht – Wirtschaft – Gesellschaft7 (1989), V 133. Teilweise wird der Staatsbegriff für sich – freilich zu Gunsten eines Verfassungsbegriffs – sogar als entbehrlich erachtet, so H. Hofmann, Von der Staatssoziologie zu einer Soziologie der Verfassung?, 22 JZ (1999), 1065 (1069). 191 Die kleineren Rechtserzeugerkreise gehen ja im Staat „auf“.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Zweckes Willen eine Identität gibt, die ihn auf eine bestimmte Weise gegenüber anderen Staaten abzugrenzen versucht. Welche und wie weitreichende Willensübereinkünfte getroffen werden, stehen ja jedem Rechtserzeugerkreis frei. Zur Verdeutlichung dieses Selbstzweckes werden von einem staatlichen Rechtserzeugerkreis bestimmte Strukturen geschaffen, die nach innen wie nach außen wirken. Dementsprechend können auch gewisse Hürden zur Abänderung der staatlichen Rechtsordnung vereinbart werden, um die Stabilität dieses Rechtserzeugerkreises sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis gewährleisten zu können. Vom staatlichen Rechtserzeugerkreis vereinbarte Grundwerte werden entsprechend abgesichert. Sie können sowohl nach innen wie nach außen nur unter Einhaltung erhöhter Formerfordernisse an eine gültige Willensübereinkunft geändert oder gar abbedungen werden. Während die einheitliche Rechtsordnung eines Staates seine Einheit nicht nur postuliert, sondern auch absichert, soll hier das Augenmerk auf die Interaktion des Rechtserzeugerkreises Staat mit weiteren, v. a. größeren Rechtserzeugerkreisen gelegt werden. Dementsprechend relevant ist das Interesse der sich in einem Staat zusammengeschlossenen Gemeinschaft von Individuen, über diese Gemeinschaft hinaus mit weiteren Individuen mehr oder weniger lose Konsense schließen zu wollen. Folglich ist auch die Vertretungsmacht vom Staat, die ihm das Recht verleiht für dessen Individuen internationale Willensübereinkünfte abzuschließen, von primärem Interesse. Die internationale Verflechtung führt mehr und mehr dazu, dass Hoheitsrechte von Staaten auf eine „höhere“, supranationale Ebene verlagert werden. Andere hoheitliche Bereiche werden auf regionaler Ebene, z. B. durch föderale Gliedstaaten, erledigt. Dies zeigt, ähnlich wie zuvor bei der Rechtsordnung: Es kann bzw. muss nicht (mehr) zwangsläufig von einem Staat als einem „geschlossenen“ Rechtserzeugerkreis ausgegangen werden.192 Ähnlich dem Begriff der Rechtsordnung wirkt sich das Plus an qualitativen Merkmalen der staatlichen Identität, welche den Staat auszeichnen, rechtlich nicht anders aus als jenes der Rechtsordnung. Auch konstitutive Elemente eines jedweden Staatsbegriffes haben keine Auswirkung auf die getroffenen Aussagen und Konsequenzen zum Rechtserzeugerkreis. So ist auch der Staat schlussendlich auf den Rechtserzeugerkreis der Individuen herunter zu brechen, auf den er sich selbst stützt. Der Staat ist das Produkt 192 Vgl. dazu bereits P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre2 (1996), 14 ff., 32 ff. und insbes. 38 f., welcher dementsprechend den Begriff des Gemeinwesens in den Vordergrund rückt, das „die Gesamtheit aller öffentlichen Aufgabenerfüllung umfassen [soll], gleichgültig auf welcher Ebene [inkl. regionaler Gliedstaaten, wie supranationaler und internationaler Organisationen] und von welchem Rechtsträger die Aufgabe erfüllt wird.“ So auch M. Knauff, Regelungsverbund (Fn. 101), 2 f., 13 ff. Vgl. auch N. Krisch, Beyond Constitutionalism: The Pluralist Structure of Postnational Law (2010), 4; wie auch J. Habermas, Konstellation (Fn. 64).
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
eines bestimmten Rechtserzeugerkreises. Diese „Relativierung“ des Staates heißt aber nicht, dass die Rechtsordnung des Staates keine weiteren rechtlichen Auswirkungen auf andere Rechtserzeugerkreise haben kann. Zum einen können andere Rechtserzeugerkreise bestimmte besondere Wirkungen für fremde Rechtserzeugerkreise für sich selbst festlegen. Als ein Beispiel von vielen sei nur das Internationale Privatrecht genannt. Die Staatsorgane dürfen, insofern dies die eigene Rechtsordnung in bestimmten Situationen für angebracht hält, das Recht anderer Staaten anwenden. Zum anderen kann sich ein Staat, zur Absicherung seiner selbst, gewisse Grenzen für das Handeln im Außenverhältnis, d.h. gegenüber ihn inkludierenden größeren Rechtserzeugerkreisen, für seine dortigen Willensäußerungen festlegen. Als Beispiel sei eine zwingende Volksabstimmung als erhöhtes Formerfordernis zur Zustimmung des nationalen Rechtserzeugerkreises zu möglicherweise verfassungsrechtliche Grundprinzipien ändernde Willensübereinkünfte in einem größeren Rechtserzeugerkreis genannt. Davon nicht betroffen ist die Frage, inwieweit sich der Staat auch im Innenverhältnis durch rechtliche Strukturen von anderen Rechtserzeugerkreisen abhebt. Gerade dies sind rechtliche Regeln, die das Zusammenleben der diesem Rechtserzeugerkreis angehörigen Individuen bis ins Detail regeln. In dieser Regelungsdichte, die in einer Einheitsrechtsordnung eines Rechtserzeugerkreises mündet, kann die Qualität eines bestimmten Rechtserzeugerkreises als Staat gesehen werden. Wie bereits zuvor gesagt, ändert dies nichts an dem Verhältnis des einen Rechtserzeugerkreises zu anderen, größeren Rechtserzeugerkreisen und soll deshalb hier auch nicht weiter ausgeführt werden. Die kleineren Rechtserzeugerkreise sehen sich allerdings gerade in einem Staat mit einer Regelungsdichte konfrontiert, die ihnen nur in einer äußerst einschränkenden Art und Weise den Schluss weiterer Willensübereinkünfte in einem größeren Rechtserzeugerkreis erlaubt. Das gilt sowohl für föderale Gliedstaaten, wie auch für alle anderen kleineren Rechtserzeugerkreise in einem Staat, d.h. für Rechtssubjekte des öffentlichen wie des privaten Rechts, bis hin zu zwei natürlichen Personen, die eine bestimmte Willensübereinkunft treffen. f) Der Stufenbau der Rechtsordnung und der Rechtserzeugerkreis aa) Die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung Die Lehre des Stufenbaus der Rechtsordnung entspringt als Theorie einem geschlossenen (annähernd lückenlosen) System.193 Demzufolge ist die Lehre 193 Siehe T. Öhlinger, Stufenbau (Fn. 141), 26: „Es ist vielmehr zu vermuten, daß sie [die Lehre vom Stufenbau] gerade von seiner – rechtstheoretisch unbegründ-
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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des Stufenbaus nicht auf alle unterschiedlichen Verhältnisse von einem größeren zu einem kleineren Rechtserzeugerkreis anwendbar. Sie ist vielmehr ein positiv-rechtliches Konstrukt, wobei eine Rechtsordnung als eine hierarchische, zusammenhängende Ordnung konstruiert wird.194 Demfolgend kann die Lehre vom Stufenbau innerhalb einer Rechtsordnung positiv-rechtlich realisiert werden, um mit Hilfe dieser Hierarchieordnung das Funktionieren der Rechtsordnung gewährleisten bzw. verbessern zu können. Innerhalb einer einheitlichen Rechtsordnung wurde von Merkl der Delegationszusammenhang als Konfliktlösungsinstrument der Lehre des Stufenbaus konstruiert (Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit).195 Kelsen hat sodann, jedwedes Recht, von der Grundnorm ausgehend, in Form dieses Delegationszusammenhangs abgeleitet.196 Im Verhältnis steht jeweils die erzeugende Norm eine Stufe höher als die von ihr erzeugte Norm.197 Dem wurde hier in Bezug auf das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht aber insoweit widersprochen, da der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit schlicht finbaren – Einheitlichkeit und Geschlossenheit ausgeht, und somit auf anderen als rechtstheoretischen Faktoren beruht.“ Siehe zur Lehre des Stufenbaus allg. A. J. Merkl, JBl. (Fn. 141); id., Prolegomena (Fn. 141), 252 ff.; und H. Kelsen, Staatslehre (Fn. 8), 248 ff.; id., Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 228 ff.; wie in weiterer Folge R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 53 ff.; P. Koller, Theorie2 (Fn. 56), 118 ff.; id., Theorie (Fn. 141), 106 ff.; und M. Borowski, Lehre (Fn. 141), 122 ff. 194 Vgl. T. Öhlinger, Stufenbau (Fn. 141), 25 f.; diametral a.A. R Walter, Aufbau (Fn. 141), 67, welcher die Lehre vom rechtlichen Stufenbau als rechtswissenschaftliche Erkenntnis anstelle eines „rechtspolitische[n] Postulat[s]“ ansieht. 195 Für A. J. Merkl, Prolegomena (Fn. 141), 275, liegt der Kerngehalt des Stufenbaus darin dass eine Rechtsform einer anderen untergeordnet ist, wenn sie durch die höhere Rechtsform bedingt ist: „Rechtssätze, die Form und Inhalt anderer Rechtssätze mit der Maßgabe vorzeichnen, daß diese abgeleiteten Rechtssätze in anderer als der vorgezeichneten Weise entweder nicht zustandekommen können oder dürfen, daß diese also jedenfalls den Bestand jener anderen Rechtssätze voraussetzen und ihnen ihre eigene Geltung verdanken, nennen wir bedingende Rechtssätze und die, denen sie als Geltungsgrund dienen, bedingte Rechtssätze.“ Dieser Stufenbau der rechtlichen Bedingtheit endet zumindest positiv rechtlich betrachtet bei der Verfassung eines Staates. Für dieselbe Bedeutung der Begriffe Rechtssatz und Rechtsnorm siehe R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 53 Fn. 93. Vgl. des Weiteren H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 228 ff.; wie auch R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 60 ff. Vgl. aber auch A. Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie – Entwicklungen und gegenwärtige Bedeutung der Rechtstheorie um 1900 (2004), 230, der E. R. Bierling, Prinzipienlehre (Fn. 104), 107 ff. „ein zwar rohes, aber doch nach vielen Seiten hin ausgearbeitetes [erstes] Modell des rechtlichen Stufenbaus“ zuschreibt. 196 Für H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 228, ist der gemeinsame Nenner aller vom Stufenbau umfassten Regeln die Grundnorm. Insofern Kelsen (228): „eine staatliche Rechtsordnung ins Auge [fasst], stellt die Verfassung die positivrechtlich höchste Stufe dar.“ 197 Siehe Fn. 195.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
giert, was nicht vorgefunden werden kann. Ein Delegationszusammenhang kann nicht von jedwedem höher gestuften Recht wie bspw. für das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht zutreffend festgestellt werden. Zudem ist anzumerken, dass sich das Verhältnis von erzeugender und erzeugter Norm auch innerhalb einer Rechtsordnung nicht immer an den strikt vorgegebenen Stufenbau hält.198 Der Stufenbau der rechtlichen Bedingtheit wurde von Merkl um den Stufenbau nach der derogatorischen Kraft ergänzt. Hierbei wird der Rang einer Norm innerhalb des Stufenbaus durch das Derogationsverhältnis der Normen zueinander bestimmt. Eine Norm ist als höher gestellte Norm ausgewiesen, wenn sie einer anderen Norm zu derogieren vermag, ohne gleichzeitig von dieser Norm ebenfalls derogiert werden zu können.199 Eine derart weitreichende, d.h. all umfassende Willensübereinkunft, welche die Normen in ein Derogationsverhältnis einteilt, ist auf der Ebene des europäischen Rechtserzeugerkreises zumindest umstritten und auf der Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises nicht zu finden.200 Gibt es in dieser Konstellation keinen, beide Rechtserzeugerkreise umfassenden Rechtserzeugerkreis, der für den Fall eines Normenkonflikts zwischen den beiden Rechtserzeugerkreisen bereits positiv-rechtlich geschaffene Konfliktlösungsregeln bereitstellt, so kann die Konfliktlösung „nur“ mehr auf der aus vernunftbasierten Gründen geltenden Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises beruhen. Als inhärent logisches Merkmal des Rechts wurde hier hingegen das Verhältnis eines größeren Rechtserzeugerkreises zu einem sich in dem größeren wiederfindenden kleineren Rechtserzeugerkreis beschrieben.201 198 Vgl. die Kritik bei T. Öhlinger, Stufenbau (Fn. 141), 16, welcher aufzeigt, dass sich in der österreichischen Rechtsordnung „die Erzeugungsregel von einfachen Gesetzen [. . .] sich damit keineswegs nur aus Normen zusammen [setzt], die die Form von Verfassungsgesetzen haben, ja noch mehr: die Erzeugungsregel von Verfassungsgesetzen selbst weist Elemente auf, die die Form einfacher Gesetze haben, also nach der Gliederung Merkls gearde nicht ‚bedingend‘, sondern ledigilch verfassungsgesetzlich ‚bedingt‘ sind.“ 199 A. J. Merkl, Prolegomena (Fn. 141), 276, definiert den Stufenbau nach der derogatorischen Kraft als: „[e]in Rechtssatz, der gegenüber einem anderen Rechtssatz derogierende Kraft hat, während dieser andere Rechtssatz ihm gegenüber keine derogierende Kraft hat, ist aus diesem Grunde von höherem Rang und der derogierbare Rechtssatz im Vergleich mit dem derogierenden Rechtssatz von niedrigerem Rang“. Vgl. dazu R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 55 ff.; sowie kritisch T. Öhlinger, Stufenbau (Fn. 141), 18 ff. 200 Vgl. auch die Kritik von T. Öhlinger, Stufenbau (Fn. 141), 23 f., der darauf hinweist, dass: „[e]in einmal in Rechtskraft erwachsenes Urteil [, das im Sinne der Stufenbautheorie ebenfalls eine Rechtsform oder Rechtsquelle ist] [. . .] durch eine Verordnung in aller Regel kaum mehr abänderbar oder aufhebbar, d.h., wenn man das Verhältnis zwischen Verordnung und Urteil als das zweier Rechtsquellen versteht, derogierbar.“ 201 Siehe dazu oben A.II.2.c).
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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Die Beurteilung der Frage von inhaltlich kollidierenden Normen unterschiedlich großer Rechtserzeugerkreise ist somit von den vorrechtlich geltenden Prinzipien pacta sunt servanda und pacta tertiis, die für das Obsiegen der Norm des größeren Rechtserzeugerkreises sprechen, dominiert. Wenn allerdings ein beide Rechtserzeugerkreise umfassender oder der größere Rechtserzeugerkreis positiv-rechtlich etwas Anderes festsetzt, oder aber die Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises nur als dispositiv vereinbart ist, kann Anderes gelten. bb) Die Lehre vom Stufenbau und die nationale Rechtsordnung Die Lehre des Stufenbaus kann z. B. innerhalb eines Staates bzw. innerhalb einer Rechtsordnung verwirklicht werden. So ist es bspw. möglich eine Hierarchieordnung zwischen Verfassungsgesetzen, einfachen Gesetzen und Verordnungen einzuziehen. Außerdem kann das Verhältnis von Bundesund Landesrecht in einem föderalen Staat in Form eines Stufenbaus organisiert werden. Der größere Rechtserzeugerkreis, in diesem Fall der des Staates, ist im Sinne der Einheit der Rechtsordnung ein Rechtserzeugerkreis, dessen Basis eine grundlegende Willensübereinkunft bezogen auf eine allumfassende Regelungskompetenz, inklusive dem Verhalten gegenüber den kleineren, gliedstaatlichen Rechtserzeugerkreisen, darstellt. In dieser Willensübereinkunft werden sodann unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen, wie dem des Bundes und den kleineren Rechtserzeugerkreisen der Länder, bestimmte Kompetenzen zugewiesen. Durch dieses positiv-rechtlich geregelte Verhältnis wird eine rechtliche Verbindung zwischen dem größeren und dem kleineren Rechtserzeugerkreis hergestellt. Diese Verbindung kann bspw. in der Form des Stufenbaus einer Rechtsordnung gesetzt werden. Ebenfalls ist vorstellbar, dass der größere Rechtserzeugerkreis weder dem Bundes- noch dem Landesrecht den Vorzug einräumt, sondern beide nebeneinander bspw. unter einer „Gesamtverfassung“ vereint.202 Weder der einen noch der anderen Variante widerspricht die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises.203 In letzterem Fall müsste allerdings von einem zweige202 Vgl. dazu beispielhaft die Drei-Kreise-Theorie von H. Kelsen, Staatslehre (Fn. 8), 198 ff.; wie auch H. Kelsen, Die Bundesexekution – Ein Beitrag zur Theorie und Praxis des Bundesstaates, unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Reichs- und der österreichischen Bundes-Verfassung, in: Z. Giacometti/D. Schindler (Hrsg.), FS Fritz Fleiner (1927), 127 ff.; vgl. für einen kritischen Überblick E. Wiederin, Kelsens Begriffe des Bundesstaats, in: S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2004), 222 (231 ff.); wie auch F. Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer2 (1988), 47 ff.; A. Gamper, Staat2 (Fn. 187), 87 f. 203 Obwohl die Anwendung der Theorie des Rechtserzeugerkreises auf das Verhältnis von Bundes- zu Landesrecht in den Augen des Verfassers durchaus interes-
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
teilten Stufenbau gesprochen werden. Eine Rechtsordnung im Sinn einer Stufenbauordnung zu organisieren, ist allerdings ganz im Sinne des Konzepts der Rechtsordnung erst dann möglich und macht v. a. auch erst dann Sinn, wenn ein Rechtserzeugerkreis eine (nahezu) alle Materien umfassende Willensübereinkunft auf der Ebene des diese Rechtsordnung konstituierenden größten Rechtserzeugerkreises beinhaltet. Nichts anderes beschreibt auch die Einheit einer Rechtsordnung. Kennzeichnend dafür ist, dass bei einer derartig allumfassenden Willensübereinkunft eine Normenhierarchie rechtspraktisch notwendig wird, um die wirksame rechtliche Ordnung zu gewährleisten. Stellt aber eine einheitliche Rechtsordnung die Basis der Lehre vom Stufenbau dar, muss die Lehre vom Stufenbau als theoretisches Konstrukt kritisch hinterfragt werden, umso mehr sich ein einheitlicher Rechtserzeugerkreis öffnet, wie dies bezogen auf den Begriff der Rechtsordnung und ihrer Einheit angedeutet wurde.204 cc) Die Lehre vom Stufenbau und die EU Rechtsordnung Gerade die Entwicklung der Europäischen Union fordert die Lehre des rechtlichen Stufenbaus mehr als sie zu leisten im Stande ist, insofern die Kompetenzverschiebung auf die Ebene des größeren europäischen Rechtserzeugerkreises sowohl die Einheit der mitgliedstaatlichen als auch der europäischen Rechtsordnung in Frage stellt. In diesem Fall wird nämlich die Grundlage des Konzepts der Rechtsordnung und somit in weiterer Folge der Lehre des Stufenbaus – die gemeinsame einheitliche Grundnorm, auf der alle weiteren Regelungen einer bestimmten Rechtsordnung beruhen – eingeschränkt, wenn nicht sogar komplett in Frage gestellt.205 Dennoch wird versucht die EU im Sinne der Stufenbaulehre darzustellen.206 Die Theorie vom Stufenbau der Rechtsordnung ist aber eine positiv-rechtliche Strukturanordnung, die auf einem geschlossenen System beruht.207 Will sante Schlussfolgerungen zuließe, soll diese Fragestellung in dieser Arbeit nicht thematisiert werden. 204 Siehe dazu oben A.II.2.d). 205 Für H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 228, ist der gemeinsame Nenner aller vom Stufenbau umfassten Regeln die Grundnorm. Wenn Kelsen (228): „zunächst nur eine staatliche Rechtsordnung ins Auge [fasst], stellt die Verfassung die positivrechtlich höchste Stufe dar.“ Dem kann hier vollinhaltlich gefolgt werden. Wird allerdings die Grundnorm in einer fiktiven, allumfassenden Willensübereinkunft gesehen; m. a. W. wird (221): „der Geltungsgrund der einzelstaatlichen Rechtsordnungen im positiven Völkerrecht gefunden“, so wird dieser Ausführung hier entgegengetreten und empfohlen anstatt der Lehre des Stufenbaus von der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises auszugehen. 206 Vgl. nur M. Potacs, Das Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten im Lichte traditioneller Modelle, 65 ZÖR (2010), 117 ff.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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man die Lehre vom Stufenbau dennoch für das Verhältnis der EU zu ihren Mitgliedstaaten fruchtbar machen, ist ein einziger Stufenbau zumindest aus einheitlicher grundnormativer Betrachtung nicht möglich. Ein einheitlicher Stufenbau wäre nur dann haltbar, wenn eine fiktive Willensübereinkunft angenommen werden würde, welche die Willensübereinkunft auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises ergänzt.208 Diese fiktive Ergänzung zu einer allumfassenden Willensübereinkunft auf europäischer Ebene würde sodann die einzelnen Mitgliedstaaten ermächtigen, selbständig in den Bereichen rechtliche Regeln zu schaffen, die nicht ausdrücklich der Europäischen Union zugeordnet sind.209 Dies muss allerdings als höchst fiktiv bezeichnet werden und entbehrt in der aktuellen Situation jeglicher Praxis.210 Eine Mehrzahl von nebeneinanderstehenden Stufenbauordnungen scheint unvermeidbar.211 Die Trennung dieser Ordnungen würde sich an der Kompetenzaufteilung zwischen der EU und den der Mitgliedstaaten orientieren.212 In der Stufenbauordnung der EU, also innerhalb der Materien ihres Kompetenzbereiches, kann sodann ein Stufenbau nach derogatorischer Kraft erkannt werden.213 Derogation muss allerdings in weitem Sinn verstanden werden, da im Konfliktfall nicht die Nichtigkeit des nationalen Rechts, son207
Siehe dazu oben A.II.2.f)aa). Vgl. dafür die Analyse des Verhältnisses von EU-Recht zu nationalem Recht in Form eines „koordinierenden Monismus“ auf Basis der „Drei-Kreise-Theorie“ Hans Kelsens bei M. Thaler, Rechtsphilosophie und das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, 8 JRP (2000), 75 (79 ff). 209 Für eine solche Annahme in der Theorie siehe die Verdross’sche Kompetenztheorie, die hier als „theoretische“ Kompetenz-Kompetenz bezeichnet wurde. Siehe oben in Fn. 171, wie auch A. Verdross, Verfassung (Fn. 171), 35; H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 196 ff., 221 f.; H. Krabbe, Die moderne Staatsidee2 (1919, Neudruck von 1969), 305 ff., 309. 210 Siehe dazu ausführlich L. Kirchmair, Rechtsordnung (Fn. 171). 211 Dies ist nicht zu verwechseln mit der Duplizität der Stufenbaulehre die den Stufenbau nach der derogatorischen Kraft und den Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit kennt. Beide fußen auf einem gemeinsamen Nenner (siehe Fn. 205 zuvor). Vgl. zur Duplizität R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 53 ff., der allerdings (65): „zwischen den beiden [der derogatorischen Kraft wie der rechtlichen Bedingtheit] Stufenbauordnungen ein[en] enge[n] Zusammenhang“ sieht. Entgegen der Duplizität der Stufenbaulehre argumentiert P. Koller, Theorie (Fn. 141), insbes. 112. 212 Schon die „Einpoligkeit der Kompetenzzuweisung“ an die EU in den europäischen Verträgen macht diese Trennung unumgänglich. Vgl. dazu I. Härtel, Handbuch Europäische Rechtssetzung (2006), 55 ff. Vgl. dazu auch P. Pernthaler, Staatslehre2 (Fn. 192), 38, der bezogen auf das Verhältnis der EU zu ihren Mitgliedstaaten die Begriffe der „Doppel-verfassung“ wie der „doppelte[n] Staatsgewalt“ prägte. Vgl. dazu auch M. Thaler, 8 JRP (Fn. 208), 75 ff., der ebenso starkes Augenmerk auf die Kompetenzregelung wirft, insofern er die EU anhand der 3 Kreise Lehre Kelsens prüft. 213 Vgl. speziell zur Lehre des Stufenbaus im Recht der EU M. Potacs, 65 ZÖR (Fn. 206), 131 ff. 208
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
dern „nur“ dessen Unanwendbarkeit als Sanktion folgt.214 Der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit, das eigentliche Herzstück der Lehre des Stufenbaus, ist nur in einem sehr engen Bereich der EU und zwar in den Materien, in denen die EU ausschließliche Zuständigkeit besitzt, anwendbar.215 Das bedeutet, dass die Einheit einer Rechtsordnung, auf welche die Lehre vom Stufenbau aufbaut, nicht nur durch zwei parallele Stufenbauordnungen, sondern zusätzlich dazu auch innerhalb der „europäischen Rechtsordnung“ herausgefordert würde. Eine durchaus schwierig zu vollziehende Trennlinie mit äußerst komplexen Fragestellungen, die von der exakten Ausgestaltung der europäischen Kompetenzaufteilung abhängig ist. dd) Die Lehre vom Stufenbau und die völkerrechtliche Rechtsordnung Betrachtet man die völkerrechtliche Ebene, kommt erschwerend hinzu, dass ein internationaler Rechtserzeugerkreis noch weit davon entfernt ist, eine alle Materien umfassende Willensübereinkunft zu treffen. So erscheint dort eben eine den Stufenbau auszeichnende Hierarchie nur schwer vorstellbar bzw. notwendig. Die Rechtsquellen dieses internationalen Rechtserzeugerkreises stehen folglich untereinander (noch) in einem horizontalen Verhältnis zueinander. Dass auch im internationalen Recht bereits eine gewisse Hierarchie festgestellt werden kann, insofern grundlegendste Regeln als zwingendes Recht gelten, welche diesen Regeln zuwiderlaufende Regeln vernichten, vermag für sich genommen noch nicht eine den rechtlichen Stufenbau kennzeichnende Hierarchie auszumachen.216 Die Anwendung der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung auf das Verhältnis von zwei unterschiedlichen Rechtsordnungen, wie bspw. des internationalen und des nationalen Rechts scheidet aus, weil die Lehre des Stufenbaus auf dem Gedanken einer einheitlichen Rechtsordnung beruht.217
214 Vgl. zur Vielfalt der Rechtsfolgen des Wortes Derogation von der Nichtigkeit bis zum „schlichten“ Anwendungsvorrang E. Vranes, 65 ZaöRV (Fn. 143), 396, Fn. 24 m. w. N.; wie auch R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 57 ff. 215 Den Stufenbau nach dem Erzeugungszusammenhang aus unionsrechtlicher Sicht vollumfänglich verneinend aber M. Potacs, 65 ZÖR (Fn. 206), 132 f. Im Bereich der weiteren wie bspw. den so genannten Harmonisierungskompetenzen der EU müsste der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit jeweils anhand der unterschiedlichen Ausgestaltung der Kompetenz auf seine Anwendbarkeit hin überprüft werden, wenn er mit der Umschreibung von R. Walter, Aufbau (Fn. 141), 61 so verstanden wird, dass „die den Rechtserzeugungstatbestand einsetzende Rechtsvorschrift nicht weggedacht werden [könnte], ohne daß auch die als erzeugt betrachtete Bestimmung als nicht gegeben angenommen werden müßte.“ 216 Siehe zum ius cogens unten B.III.1.
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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ee) Fazit Umso mehr sich ein vormals nahezu geschlossener Kreis einer einheitlichen Rechtsordnung wie der eines Staates gegenüber größeren (internationalen) Rechtserzeugerkreisen wie bspw. dem der Europäischen Union öffnet, desto weniger ist die Lehre vom rechtlichen Stufenbau als formales Gliederungskonstrukt geeignet, eine zufriedenstellende Gesamtbetrachtung aller betroffenen rechtlichen Regeln darzustellen. In entsprechenden „Übergangsphasen“ empfiehlt es sich dementsprechend, auf die aus vernünftigen Gründen218 geltende Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises zu rekurrieren, um die Grundlage des Verhältnisses in einen Gesamtkontext einordnen zu können. g) Die Europäische Union und der Rechtserzeugerkreis Die Europäische Union wird hier beispielhaft angeführt, um aufzuzeigen, dass sie nahtlos in das abstrakte System des Rechtserzeugerkreises eingebettet werden kann. Gegenüber ihren Mitgliedstaaten ist die EU klarerweise der größere Rechtserzeugerkreis, da sie sich anzahlmäßig auf die Willensübereinkunft aller Individuen ihrer Mitgliedstaaten stützt. Das, was von dieser Willensübereinkunft umfasst ist, darf von den kleineren Rechtserzeugerkreisen, also den in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten zusammengeschlossenen Individuen, nicht mehr ohne Konsens auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises der Europäischen Union abgeändert oder abbedungen werden. M. a. W. wird auf der Ebene des europäischen Rechtserzeugerkreises ein Konsens gefasst, darf dieser nicht mehr von den kleineren Rechtserzeugerkreisen der Individuen der Mitgliedstaaten einseitig unbeachtet oder missachtet werden. Selbstverständlich gilt dies aber nur für den Konsens, der im größeren Rechtserzeugerkreis bereits gefasst wurde. Eigenmächtig, d.h. ohne einen Konsens aller Individuen des größeren Rechtserzeugerkreises, darf die Willensübereinkunft nur in dem Maße geändert bzw. ausgebaut werden, wie dies bereits in etwaigen (formellen) Verfahren – getragen von diesem Konsens – den europäischen Organen übertragen wurde. Nun sind der EU je nach Materie nur gewisse Kompetenzen zugewiesen. Von der Willensübereinkunft des europäischen Rechtserzeugerkreises sind also nur bestimmte Kompetenzen umfasst. In diesen Bereichen hat 217
A. A. T. Öhlinger, Stufenbau (Fn. 141), 11, der in der Lehre des Stufenbaus Potential für die Lösung „offener integrationsrechtlicher Probleme – etwa der noch immer aktuellen Frage nach dem Verhältnis von supranationalem und nationalem Recht – noch gar nicht voll ausgeschöpft“ sieht. 218 Siehe zum Unterschied von vernünftig und rational oben, A.II.1.b), S. 29 f., insbes. Fn. 68–70.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
der europäische Rechtserzeugerkreis selbst aber die ausschließliche Möglichkeit zu bestimmen, wie weitreichend seine Entscheidungen gehen. Ist es von der Willensübereinkunft dieser Ebene gedeckt, kann sich dies auf alle Institutionen, Gebilde wie eben auch Individuen, die diesem und auch sich deckenden kleineren Rechtserzeugerkreisen angehören, aus- und durchwirken. Dementsprechend kommt im Rahmen ihrer Kompetenzen der EU und ihren Organen eine große Bedeutung zu, da europäische Rechtsakte auch auf nationaler Ebene Anwendungsvorrang genießen219 und zum Teil unmittelbar anwendbar220 sind. Eine Konstruktion, die zwar nicht unbestrittener Weise seit Bestehen der EU von der Willensübereinkunft des europäischen Rechtserzeugerkreises getragen war, wohl aber nach dem Hervorpreschen des EuGH zumindest durch stillschweigende Akzeptanz der Mitgliedstaaten mittlerweile mit umfasst und auch durch die Erklärung Nr. 17 zum Vertrag von Lissabon abgesichert ist.221 Nur nebenbei soll angemerkt werden, dass nach der hier vertretenen Theorie auch der Rechtserzeugerkreis der EU wiederum Teil eines größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises, nämlich dem der internationalen Gemeinschaft ist. Gleichfalls gilt auch für den in diesem Falle kleineren Rechtserzeugerkreis der EU, dass der größere Rechtserzeugerkreis im Falle eines Normkonfliktes Vorrang genießt.222 Es gibt vielerlei Bestrebungen das Verhältnis der EU zu ihren Mitgliedstaaten in ein theoretisches Konzept einzuordnen. Beispielsweise wird versucht die EU im Sinne der Stufenbaulehre darzustellen.223 Ähnlich dem Versuch, die Stufenbaulehre zur Klärung des Verhältnisses der EU zu ihren Mitgliedstaaten heranzuziehen, gab und gibt es Bestrebungen, die dualistische wie auch die monistische Doktrin dafür fruchtbar zu machen.224 Bereits zu Beginn dieser Arbeit wurden jedoch die Unzulänglichkeiten der einen wie 219 Siehe grundlegend dazu EuGH, Costa vs. ENEL (Fn. 180), 1269 f.; EuGH, Rs. C 11/70, EuGH, Internationale Handelsgesellschaft, Urteil vom 17. Dezember 1970, Rs. C 11/70, Slg. 1970, 1125 Rz. 3 f.; und EuGH, Simmenthal II, Urteil vom 9. März 1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629. 220 Siehe grundlegend dazu EuGH, Van Gend & Loos, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. C 26/62, Slg. 1963, 3. 221 Vgl. dazu v. a. die Ausführungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit unten A.III.2.a)aa), insbes. Fn. 291; EuGH, Costa vs. ENEL (Fn. 180), 1269 f. 222 Vgl. dazu aber die aktuelle Rechtsprechung des EuGH, welche zumindest im Außenverhältnis ein dualistisches Bild zu bevorzugen scheint EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation, Urteil vom 3. September 2008, verb. Rs. C-402/05P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351 Rz. 285 ff., 326 f.; wie auch EuGH, Bank Melli Iran, Urteil vom 16. November 2011, Rs. C-548/09 P, Slg. 2011 Rz. 100: „Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Resolutionen des Sicherheitsrats einerseits und die gemeinsamen Standpunkte des Rates wie auch seine Verordnungen andererseits zu verschiedenen Rechtsordnungen gehören“ Vgl. dazu L. Kirchmair, Rechtsordnung (Fn. 171). 223 Siehe dazu oben A.II.2.f)cc).
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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der anderen Doktrin aufgezeigt, welche es höchstens zulassen einzelne Elemente einer jeweiligen Lehre auf das Verhältnis der EU zu ihren Mitgliedstaaten anzuwenden. Kann eine Theorie allerdings nicht in ihrer Gesamtheit zur Anwendung kommen, muss dies schlussendlich zur Ablehnung der Theorie im Sinne eines ganzheitlichen Erklärungskonstrukts führen.225 h) Das Völkerrecht und der Rechtserzeugerkreis Die Fragmentierung des Völkerrechts steht der Definition des Staates als Einheit diametral gegenüber.226 Dieser Gegensatz geht sogar so weit, dass von manchen Autoren dem Völkerrecht die Eigenschaft einer Rechtsordnung oder gar die Bezeichnung als Recht schlichtweg aberkannt wird.227 Wurde zuvor die Rechtsordnung als Einheit definiert, deren Plus an qualitativen Merkmalen sich identitätsstiftend auswirkt und auf eine bestimmte Quelle zurückgeführt werden kann,228 so ist es ganz offensichtlich nicht einfach, das Völkerrecht schlechthin als eine Rechtsordnung oder auch Überordnung zu bezeichnen.229 Nicht viel anders verhält es sich wenn versucht wird gewisse Institutionen anzuführen, um der Einheitlichkeit der völkerrechtlichen Ordnung Ausdruck zu verleihen. Freilich können zuallererst die Vereinten Nationen und darin v. a. der UN-Sicherheitsrat ins Treffen geführt werden. Nicht zuletzt die aktuellen Geschehnisse im arabischen Frühling und die Mandate in unterschiedlichen Sicherheitsratsresolutionen, die den Eingriff der internationalen Gemeinschaft in die territoriale Souveränität diverser Staaten wie bspw. Libyens rechtlich erlaubten, um etwaige Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern, bzw. zu stoppen, zeigen 224 Vgl. nur Hinweise bei L. Kirchmair, Rechtsordnung (Fn. 171), 287; wie auch L. Kirchmair, The „Janus face“ of the Court of Justice of the European Union: A theoretical appraisal of the EU legal order’s relationship with international and member state law, 4 Göttingen JIL (2012), 677 ff. 225 Ibid. 226 Siehe ganz allg. dazu M. Koskenniemi, (chairman of the Study Group of the ILC), Fragmentation of international law: Difficulties arising from the diversification and expansion of international law. Report of the Study Group of the International Law Commission (2006), UN Doc. A/CN.4/L.682. 227 Vgl. nur J. L. Goldsmith/E. A. Posner, The limits of international law (2005), 225 f., die sogar soweit gehen und dem Völkerrecht schlechthin den rechtlichen Charakter absprechen (13), wenn dies auch nicht konsequent durchgezogen wird (3, 202). Eine These der hier diametral gegenüber getreten werden soll. Die internationale Ordnung als „Weltordnung“ bezeichnet J. Wiegandt, 71 ZaöRV (Fn. 114), 37, nachdem er einen komprimierten Überblick über die „Völkerrechtsleugner“ gibt (40 ff.). 228 Siehe dazu oben A.II.2.d). 229 Vgl. aber allg. zum Thema Völkerrecht als Rechtsordnung M. Knauff, Regelungsverbund (Fn. 101), 38 ff. m. w. N.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
die Autorität des Sicherheitsrates.230 Dennoch kann nur schwer von einer einheitlichen Völkerrechtsordnung im Sinne der hier umschriebenen Rechtsordnung gesprochen werden. Völkerrecht ist mehr als die „UN-Ordnung“, wie es bezogen auf die angeführten Beispiele treffend heißen müsste. Allein die Vertragsautonomie der Staaten beim Unterzeichnen völkerrechtlicher Verträge, wie die – wenn auch eingeschränkte – Möglichkeit des persistent objector im Völkergewohnheitsrecht, bringen deutlich zum Ausdruck, dass eine Einheit für das gesamte Völkerrecht nicht zutreffend reklamiert werden kann. Dies trifft trotz eines einheitlichen Rahmens von zwingenden völkerrechtlichen Normen zu.231 M. a. W., das Fehlen eines zentralen Rechtssetzers macht es schwierig, eine einheitliche Rechtsordnung des Völkerrechts zu konzipieren. Der Ausdruck der Pluralität der Rechtsordnungen232 scheint dementgegen der aktuellen Situation im Völkerrecht (noch) eher zu entsprechen. Freilich ist dies mit der Einheit der Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Ausdruck einer Rechtsordnung aktuell für das Völkerrecht nicht passend ist. Dem Rechtscharakter des Völkerrechts ist damit gewiss kein Abbruch getan. Ganz im Gegenteil, zeigt doch z. B. die Entwicklung rund um die Europäische Union, wie Hoheitsrechte ihrer Mitgliedstaaten auf eine internationale Organisation übertragen werden (können). Eine entscheidende Gemeinsamkeit ist aber sowohl dem Völkerrecht, dem Europarecht, dem Staatsrecht wie auch dem Begriff der Rechtsordnung zu entnehmen: Sie alle haben als Basis einen Rechtserzeugerkreis, der – wie schon zuvor beim Staat und dem Begriff der Rechtsordnung dargelegt wurde – für das Verhältnis dieser Rechtssysteme untereinander rechtlich die einzig relevante Konstante ist. Einige mögen das Völkerrecht – trefflich oder nicht – als Rechtsordnung bezeichnen,233 andere mögen wiederum – mit Recht oder zu Unrecht – nicht davon abweichen, dem Staat eine „geschlossene“ Rechtsordnung zu attestieren.234 Jedoch sind dies nur Begriff230 Siehe UN Doc. S/RES/1970 (2011), vom 10. März 2011; wie UN Doc. S/RES/1973 vom 17. März 2011. 231 Siehe dazu unten B.III.1. 232 A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 47), 19 ff. 233 Siehe statt vieler V. Bruns, Das Völkerrecht als Rechtsordnung, 1 ZaöRV (1929), 1 ff.; H. Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, 36 ZaöRV (1976), 6 ff.; und des Weiteren M. Knauff, Regelungsverbund (Fn. 101), 38 ff. m. w. N. 234 So wohl die Vertreter des Dualismus. Vgl. dazu oben Einleitung II. m. w. N. Durch die Reduktion der „Einheit der Rechtsordnung“ auf ein widerspruchsfreies anstelle eines lückenlosen Systems wird die „juristische Argumentationsfigur“ der „Einheit der Rechtsordnung“ am Leben erhalten. Siehe dazu D. Felix, Einheit (Fn. 183), 142 ff.; wie auch T. Osterkamp, Gerechtigkeit (Fn. 183), 223. Dementsprechend ist es möglich auch jedem Mitgliedstaat der EU eine „einheitliche Rechtsordnung“ zu attestieren. Siehe dazu M. Hilf, Einheit der Rechtsordnung – EG-Recht
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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lichkeiten, die je nach Definition einmal für diese, einmal für die andere Position ausschlagen. Wenn es gilt, das Verhältnis zwischen diesen Ordnungen zu beschreiben, kann rechtlich gesehen aber nur der Rechtserzeugerkreis, also die Willensübereinkunft der jeweils von Individuen konstituierte Kreis, ausschlaggebend sein. In dieser Willensübereinkunft bzw. in der Definition des Rechtserzeugerkreises kann darüber hinaus eine aktive Völkerrechtssubjektivität erblickt werden. Der Rechtserzeugerkreis wurde als Kreis von zwei oder mehreren Individuen definiert, der sich durch die Schaffung einer Willensübereinkunft konstituiert.235 Die Repräsentation der Individuen im Völkerrecht durch Staaten verändert diese Definition nicht.236 Staaten schließen stellvertretend für ihre Staatsangehörigen, also die Mitglieder ihrer nationalen Rechtserzeugerkreise, völkerrechtliche Vereinbarungen im Interesse ihrer Mitglieder ab. Die Vertretung durch Staatsorgane beim Abschluss dieser völkerrechtlichen Willensübereinkünfte wirkt sich nicht auf den Rechtserzeugerkreis aus. Eine völkerrechtliche Bestimmung wird ja schließlich nicht um des Staatswillens, sondern in letzter Konsequenz immer der Staatsangehörigen, also der natürlichen Personen Willens, abgeschlossen. Anders ausgedrückt kann gesagt werden, dass „[a]lle Rechtsnormen [. . .] nur durch menschliches Verhalten verwirklicht werden“ können.237 Demzufolge stützt sich die Willensübereinkunft einer völkerrechtlichen Übereinkunft nur fiktiv auf den Willen des Staates als Mediator.238 Dahinter steht vielmehr immer der Wille der natürlichen Personen, die den nationalen und nationales Recht, in: K. Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung? (1994), 219 (235); wie auch C. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht – Eine Untersuchung über den Einfluß europäischer Richtlinien gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV auf das deutsche Strafrecht (2002), 234. 235 Siehe dazu oben A.II.1. 236 Vgl. dazu S. Besson, Theorizinig the sources of international law, in: S. Besson/J. Tasioulas (Hrsg.), The philosophy of international law (2010), 163 (173): „The indeterminate nature of the ideal at the international level should not, however, hide the fact that the ultimate legal subjects of those laws are individuals, whether indirectly or, and increasingly so, directly and that when states act as lawmakers, they act not only as subjects of international law, but also as officials.“ Vgl. für die Annäherung der Individuen als Völkerrechtssubjekte allg. J. Klabbers, (I can’t get no) recognition: Subjects doctrine and the emergence of non-state actors, in: J. Petman/J. Klabbers (Hrsg.), Nordic cosmopolitanism: Essays in international law for Martti Koskenniemi (2003), 351 ff.; J. Klabbers et al. (Hrsg.), The constitutionalization of international law (2009), 157 ff. 237 A. Verdross, Die normative Verknüpfung von Völkerrecht und staatlichem Recht, in: M. Imboden et al. (Hrsg.), FS Adolf Julius Merkl (1970), 425 (431). Siehe dazu weiters Fn. 336 m. w. N. 238 Vgl. dazu auch [allerdings speziell zum Element der opinio iuris im Völkergewohnheitsrecht was der Vergleichbarkeit aber keinen Abbruch tut] A. D’Amato, Concept (Fn. 119), 73: „[A] state is of course an artificial entity; one can surely ask
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Rechtserzeugerkreis konstituieren. Dementsprechend besteht der Rechtserzeugerkreis einer völkerrechtlichen Willensübereinkunft, wie auch jeder andere Rechtserzeugerkreis, nicht aus den Staaten als Vertragsparteien, sondern aus den Individuen, die durch ihre jeweiligen Staatenvertreter repräsentiert werden.239 Auch die jeweiligen Ermächtigungsnormen zum Abschluss völkerrechtlicher Übereinkommen in den nationalen Verfassungsordnungen können dahingehend verstanden werden. Diese aktive Völkerrechtssubjektivität der Individuen ist aber auf die „Trägerschaft“ der Willensübereinkunft im internationalen Rechtserzeugerkreis beschränkt. Es ist ihr Wille, der zum Ausdruck kommt, und nur der Wille der natürlichen Personen, der auch den internationalen Rechtserzeugerkreis ausmacht. Im Zustandekommen dieser Willensübereinkunft sind die Individuen aber auf ihre organschaftlichen staatlichen Vertreter angewiesen. Nur begrenzt wird bspw. einem Gliedstaat eines Bundesstaates erlaubt, mit anderen Gliedstaaten anderer Bundesstaaten völkerrechtliche Übereinkünfte zu schließen.240 Ist die völkerrechtliche Vertragsschlussfähigkeit in einigen Fällen möglich,241 so endet diese aber bei dem Rechtserzeugerkreis des Gliedstaates eines föderalen Staates. Das Völkerrecht kennt keinen Vertrag von „undefinierten“ Gruppen natürlicher Personen, die nicht in Form eines Staates oder einer internationalen Organisation organisiert sind.242 Etwas weniger absolut whether what a state ‚thinks‘ is what a majority, or vocal minority, of its leading, or at least influential, decision-makers – or their advisers – say they are thinking.“ 239 Siehe dazu oben A.II.1. 240 Siehe für eine nicht vorhandene Kompetenz der Comunidades Autónomas in Spanien Art. 93 ff. CE. 241 Vgl. dafür bspw. die Möglichkeiten der Länder in Österreich (Art. 16 B-VG) oder auch in Deutschland (Art. 32 Abs. 3 GG). 242 Wie bereits erwähnt können die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls, des Roten Kreuzes wie des Malteserordens hier außer Acht gelassen werden. Dies geschieht aber ausnahmslos auf Grund des bewusst kurz gehaltenen Überblicks, welchen die Abhandlung geben will und nicht in Hinblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen. Auch die Ausnahmesituation des Gemeinsamen Artikel 3 der 4 Genfer Abkommen von 1949, der in einem internen Konflikt, welcher die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts zwischen Rebellengruppen und dem betroffenen Staat ermöglicht, allenfalls dies vereinbart wird, vermag die Gesamtsituation nicht ausschlaggebend zu verändern. Gemeinsamer Artikel 3 Abs. 2 aller 4 Genfer Konventionen: „[. . .] Die am [internen] Konflikt beteiligten Parteien werden sich andererseits bemühen, durch besondere Vereinbarungen auch die anderen Bestimmungen des vorliegenden Abkommens ganz oder teilweise in Kraft zu setzen. [. . .]“ Gleichfalls wird die Frage der Völkerrechtssubjektivität von multinationalen Unternehmen hier nicht behandelt. Vgl. dazu bspw. M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht8 (2009), 65 ff.; C. Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen (2010), 54; wie schon K.-H. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen (1971), 371 ff. Ebensowenig soll sich hier auf eine möglicherweise
II. Der Rechtserzeugerkreis als ausschlaggebender Faktor
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kann gesagt werden, dass das Völkerrecht keine unbeschränkte Möglichkeit von Individuen kennt, völkerrechtliche Übereinkommen abzuschließen. M. a. W., die Vertragsautonomie im Völkerrecht gilt nur für die Staatenvertreter, welche die Individuen eines nationalen Rechtserzeugerkreises repräsentieren. Somit kann die aktive Völkerrechtssubjektivität von Individuen als eine partielle umschrieben werden. Festgehalten muss aber werden, dass sich weder der Umfang noch die Wirkung der partiellen aktiven mit der partiellen passiven Völkerrechtssubjektivität deckt.243 Wird von den staatlichen Repräsentanten eine völkerrechtliche Norm geschaffen, so entsteht aus der gemeinsamen Willensübereinkunft mit anderen nationalen Rechtserzeugerkreisen ein Gemeinwille, der nur mehr auf dieser Ebene wieder abgeändert bzw. verändert werden kann. Die Geltung dieser Willensübereinkunft hängt demnach gerade nicht mehr allein an dem Willen der beteiligten Staatenvertreter und den von ihnen repräsentierten Individuen, sondern am entstandenen Gemeinwillen, dem größeren Rechtserzeugerkreis. Der Souverän ist somit der Gemeinwille und nicht mehr die einzelnen Individuen bzw. Staatenvertreter.244 i) Der Rechtserzeugerkreis vs. Dualismus und Monismus In Anbetracht der Dominanz von dualistischen und monistischen Argumenten in der Diskussion um das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht erscheint es angebracht, bei Vorlage eines weiteren theoretischen Ansatzes diesen zur Illustration der dualistischen und monistischen Doktrin gegenüberzustellen. Da der Rechtserzeugerkreis als gemeinsamer Nenner des Verhältnisses von Völkerrecht zu Staatsrecht präsentiert wurde und Bestimmungen des größeren Rechtserzeugerkreises aufgrund des pacta sunt servanda und des pacta tertiis Grundsatzes sich gegenüber konfligierenden Bestimmungen eines sich in dem größeren Rechtserzeugerkreises wiederfindenden kleineren Rechtserzeugerkreises durchzusetzen vermögen, tritt der Unterschied zur dualistischen Doktrin deutlich hervor. Der dualistischen Doktrin liegt es fern, eine Verbindung zwischen der internationalen und der nationalen Rechtsordnung auch nur theoretisch anzuerkennen.245 Dem liegt die teilweise vorhandene Völkerrechtssubjektivität von föderalen Gliedstaaten konzentriert werden. Vgl. dazu bezogen auf Österreich S. Hammer, Art. 16 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (2. Lfg. 1999), Rz. 20; wie auch E. Handl-Petz, Austria, in: D. Shelton (Hrsg.), International law and domestic legal systems – Incorporation, transformation, and persuasion (2011), 55 (60). 243 Zur partiellen passiven Völkerrechtssubjektivität siehe unten A.III.3. 244 Vgl. dazu oben, A.II.1.g), S. 70. 245 Siehe dazu oben Einleitung II., Fn. 7 bis 14.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Sichtweise des klassischen Völkerrechts als rein zwischenstaatlichem Recht zugrunde. Kommt folglich der Dualismus der stetig voranschreitenden Vernetzung des internationalen und nationalen Rechts in mehrerlei Hinsicht nicht mehr hinterher, ertönen monistisch geprägte Klänge als mögliche „Zukunftsmusik“246.247 Dem Monismus liegt das Konzept der Einheit der (Welt-)Rechtsordnung zugrunde.248 Gestützt durch den Delegationszusammenhang wird jedwedes Recht von höherstufigem Recht abgeleitet. Das inkludiert auch jedwedes nationale Recht, welches von internationalem Recht abgeleitet wird.249 Dementgegen geht die Theorie vom größeren Rechts246 Für diesen Terminus sogar bezogen auf das sicherleich am weitesten fortgeschrittenen Verhältnis, nämlich des EU-Rechts zu den Mitgliedstaaten, siehe M. Thaler, 8 JRP (Fn. 208), 76. 247 Vgl. dazu C. Schreuer, Behandlung (Fn. 27), 180: „Folgt aus der Tatsache, daß Rechtsanwendungsorgane wie Gerichte durch das staatliche Recht eingerichtet sind und ihm ihre Autorität verdanken tatsächlich notwendigerweise, daß sie in ihrer Entscheidungstätigkeit ausschließlich diesem staatlichen Recht unterworfen sind? Ist die Vorstellung vom Völkerrecht als einem fremden Recht, welches ebenso wie ausländisches Recht nur mittels Rezeption oder staatlicher Kollisionsnormen angewendet werden kann, zutreffend oder wäre es nicht vielleicht passender, das Völkerrecht als ein gemeinsames und nicht als ein ausländisches Recht zu betrachten? Wird die Rechtsordnung nicht als ein in sich geschlossenes, nach außen abgekapseltes Normensystem, sondern im Sinne autoritativer Entscheidungsabläufe gesehen, so verlagert sich das Problem von einem Eindringen fremder Rechtsnormen in die staatliche Rechtsordnung weitgehend in eine Frage der Organzuständigkeit. Die wesentliche Frage ist dann nicht mehr, ob die Vorschriften des Völkerrechts als eines fremden Rechts in der staatlichen Rechtsordnung gelten oder anwendbar sind, sondern vielmehr welche staatlichen Organe aufgrund welcher völkerrechtlicher Bestimmungen oder Entscheidungen welche Entscheidungen zu fällen haben. Diese Frage wiederum sollte nicht Gegenstand grundsätzlicher dogmatischer Überlegungen sein, sondern nach den Erfordernissen der besonderen Umstände beantwortet werden.“ [Hervorhebung im Original; Fn. Ausgelassen] Vgl. D. Kennedy, One, two, three, many legal orders: Legal pluralism and the cosmopolitan dream, 31 NYU Rev. L&SC (2006–2007), 641 (646): „[W]e should embrace rather than deny legal pluralism as professional opportunity.“ Siehe auch N. Petersen, Determining the domestic effect of international law through the prism of legitimacy, 72 ZaöRV (2012), 223 (256): „The coordination of different legal systems has become a complex issue that cannot easily be integrated into the old monism-dualism-dichotomy. The international legal order has moved away from being one monolithic system.“ Vgl. dazu auch G. Novak, The context and consequences of the US Supreme Court’s VCCR cases – A case-study on the limits and promise of international law, in: K. Schmalenbach (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen des Völkerrechts – Beiträge zum 36. Österreichischen Völkerrechtstag 2011 (2012), 101 (139): „The interactions between domestic legal orders and international law cannot be usefully represented through a binary model, e. g. that of dualism vs. monism. Rather, models that describe such interaction as a matter of degree and in view of treaty-specific variations seem to hold greater explanatory promise because they fit better to legal reality.“ 248 Vgl. dazu oben Einleitung II., insbes. Fn. 16. 249 Siehe Nachweise oben, Einleitung, in Fn. 21 bis 23.
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erzeugerkreis nicht von einer einheitlichen Ordnung aus. Als gemeinsamer Nenner des internationalen und des nationalen Rechts wird der Pluralität der Rechtsordnungen nicht entgegengetreten. Vielmehr wird auf den Inhalt der jeweiligen Willensübereinkunft abgestellt, um zu eruieren, ob überhaupt in der betreffenden Materie ein größerer Rechtserzeugerkreis besteht.250 Zur Erinnerung: Jeder Rechtserzeugerkreis wird durch eine einzige Willensübereinkunft der beteiligten Individuen konstituiert und geht dementsprechend auch nicht darüber hinaus. Des Weiteren dominiert der größere Rechtserzeugerkreis, ihm wird aber keine unveränderliche wie auch immer ausgestaltete Rechtsfolge für etwaige Normenkonflikte im Voraus anbei gestellt. Es gilt das abstrakte pacta sunt servanda Prinzip, welches den kleineren Rechtserzeugerkreis zur Einhaltung der übereingekommen Willen ermahnt. Wie die jeweiligen Normkonflikte konkret aufgelöst werden, hängt aber jeweils von den Bestimmungen des größeren Rechtserzeugerkreises ab, die im Völkerrecht in unterschiedlichster Form vorgefunden werden können.251 Ganz allgemein ist dabei die Unterscheidung des Völkerrechts zwischen schlicht anwendbaren, unmittelbar anwendbaren und individualisierenden Bestimmungen von Relevanz,252 wobei der größere Rechtserzeugerkreis über die entsprechende Qualifizierung der Bestimmungen entscheidet. Vom Monismus mit Primat des Staatsrechts unterscheidet sich die hier vertretene „bottom up“ Konstruktion vor allem dann, insofern der Primat des Staatsrechts im Lichte der Selbstverpflichtungslehre von Hegel gesehen wird. Das Völkerrecht als „äußeres Staatsrecht“ hängt am Willen der souveränen Staaten, welche diesen nach Belieben wieder zurückziehen können, ohne dadurch rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.253 Dass dies nicht mehr zeitgemäß ist, klingt bereits in den Ausführungen von Hans Kelsen an, indem er selbst den Monismus mit Primat des Staatsrechts als „Negation des Rechts überhaupt“ bezeichnete.254 Gemäß der Theorie des Rechtserzeugerkreises 250
Vgl. dazu die Ausführungen oben A.II.2.c), insbes. Fn. 171. Vgl. dazu E. Wiederin, Konsequenzen (Fn. 156), 330, welcher [zwar bezogen auf ein Rechtssystem, was allerdings der Übertragung des Arguments nicht schadhaft scheint] argumentiert, dass bei „hochkomplexe[n] Syteme[n] wie Rechtsordnungen“ Normkonflikte beim besten Willen des Gesetzgebers nicht vermeidbar sind. Deswegen sei es nicht rational geboten Normkonflikte „möglichst schon in der logischen Sekunde ihres Entstehens durch Derogationsregeln [zu] eliminieren.“ Die Ratio lässt eine gewisse Offenheit sinnvoll erscheinen, welche dazu führt, dass „die Konflikte im System selbst aus[ge]tragen [werden können].“ 252 Siehe dazu oben A.I.5. und A.III. 253 Vgl. dazu G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), § 330 ff., § 547. 254 Siehe H. Kelsen, Problem (Fn. 95), 317 selbst bezeichnete den Monismus mit Primat des Landesrechts als die „Negation des Rechtes überhaupt“. Freilich ist v. a. seine spätere Position jedoch beherrscht von der rechtlichen Austauschbarkeit beider monistischen Deutungsvarianten, die schlichtweg auf Grund einer politischen Ent251
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kann die getroffene Willensübereinkunft nur mehr gemeinsam, auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises wieder abgeändert werden. Die Verbindlichkeit und Geltung des übereingekommenen Gemeinwillens liegt folglich beim größeren Rechtserzeugerkreis und nicht bei den einzelnen Mitgliedern allein. 3. Relativität der Größe des Rechtserzeugerkreises a) Psychologische Relativität Wie aufgezeigt, ist die entscheidende Komponente zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen internationalem und nationalem Recht die Größe des Rechtserzeugerkreises. Ein von einem „größeren“ Rechtserzeugerkreis gefundener Konsens darf von einer kleineren Personenanzahl – die in dem größeren Rechtserzeugerkreis bereits an dieser Willensübereinkunft mitgewirkt haben müssen – nicht angefochten werden. Es wurde aber ebenfalls schon darauf hingewiesen, dass mit zunehmender Größe eines Rechtserzeugerkreises dessen Entscheidungsfreudigkeit abnimmt.255 Je mehr Individuen sich einigen müssen, desto schwieriger ist zumeist die Kompromissfindung. Dementsprechend grobmaschiger bzw. weniger weitreichend werden die Regeln, die auf Grund der Willensübereinkunft des großen Rechtserzeugerkreises zustande kommen. Daraus ergibt sich wiederum eine gewisse Relativität der Größe des Rechtserzeugerkreises. Diese Relativität bemüht in keinster Weise die Verbindlichkeit der gefundenen Willensübereinkünfte, stellt also auch nicht die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises in Frage.256 Genausowenig bedeutet dies, dass mit der zunehmend schwieriger werdenden Konsensbildung bei zunehmender Personenzahl eines Rechtserzeugerkreises auch die vereinbarten Durchsetzungsmechanismen milder ausfallen müssen.257 Für die rechtliche Verbindlichkeit ist dies nach der hier vorgenommenen Definition des Rechtsbegriffs ohnehin nicht ausschlaggebend. Die hier umschriebene Relativität der Größe des Rechtserzeugerkreises ist keine rechtliche Relativität. Vielmehr ist damit das soziologische, psychologische oder auch politische Faktum der schwieriger werdenden Entscheidungsfindung bei zunehmender Betroffenenzahl angesprochen. Diese Relativität darf allerdings nicht so verstanden werden, dass es sinnlos scheidung zu treffen sei. Siehe dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 196 ff., 339 ff.; vgl. dazu oben S. 4, Fn. 20. 255 Siehe oben A.II.1.; A.II.2.a), c) und d). 256 Vgl. dazu oben A.II.2.b) und c). 257 Vgl. z. B. die internationalen Staatenberichtsverfahren bei einer Verletzung einer Bestimmung eines internationalen Vertrages mit nationalen Durchsetzungsmechanismen von nationalen Normen.
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oder aus sachlichen Gründen gar ausgeschlossen sein kann, bestimmte Entscheidungen auf der Ebene eines größeren Rechtserzeugerkreises zu treffen, um bspw. für alle beteiligten Personen positive Gemeinschaftsinteressen vor die jeweiligen Individualinteressen stellen zu können. Dementgegen kann in seltenen Fällen eine Entscheidungsfindung sogar einfacher werden, je mehr Personen an dieser beteiligt sind. Die Europäische Union ermöglicht es beispielsweise, teilweise festgefahrene nationalstaatliche und innerstaatliche Interessen diverser Mitgliedstaaten bzw. Gruppierungen in den Mitgliedstaaten durch die Zusammenführung der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union zu entschärfen, ja geradezu die vorhandenen Blockaden zu überwinden. Ebenso kann das völkerrechtliche Immunitätsrecht an dieser Stelle beispielhaft angeführt werden: Divergierende Interessen der Staaten an einer ungehinderten Rechtsdurchsetzung werden durch eine universelle, alle Staaten gleichermaßen privilegierende Lösung überspielt. b) Materielle Relativität Umgelegt auf die aktuelle rechtliche Situation bedeutet die im Regelfall anzunehmende Relativität, dass internationale Regeln oft gar nicht in die nationale Ebene durchgreifen wollen. Auf Grund von fehlender Einigkeit werden bspw. internationale Bestimmungen nur selten eindeutig als unmittelbar anwendbare Normen erzeugt. Gleichzeitig bedeutet diese Feststellung aber auch, dass internationale Normen auf Grund der Größe des Rechtserzeugerkreises keine effektvolle Wirkung im kleineren Rechtserzeugerkreis entfalten können. Wenn die unmittelbare Durchgriffswirkung von der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises mit umfasst ist, darf diese Wirkung vom kleineren Rechtserzeugerkreis nicht nachträglich, einseitig wieder abgeschwächt oder gar abbedungen werden. Selbstverständlich muss diese Willensäußerung korrekt zu Stande gekommen sein. Eine korrekte Willensübereinkunft wäre bspw. gefährdet, wenn eine Regierung ohne verfassungsrechtliche Ermächtigung einen internationalen Vertrag ratifiziert, der gemäß nationalem Verfassungsrecht für ein rechtmäßiges Zustandekommen eine vorhergehende Volksabstimmung vorausgesetzt hätte. Dieser und weitere ähnlich gelagerte Fälle sind aber dem Problemkreis der Willensübereinkunft und deren Korrektheit zuzuordnen. Demzufolge unterliegt die Parteiautonomie im Völkerrecht bestimmten, unterschiedlichen internen Beschränkungen, was die Frage aufwirft, ob demnach wirklich alles auf völkerrechtlicher Ebene im Sinne des größeren Rechtserzeugerkreises vereinbart werden darf. Diese Frage muss zurückgeführt werden auf die hier vertretene Definition von Recht. Recht ist der sich in der verbindlichen Willensübereinkunft der Rechtserzeuger widerspiegelnde Konsens. Um diesen dokumentieren zu können, werden für gewöhnlich gewisse formelle
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
bzw. prozessuale Regeln aufgestellt. M. a. W., es werden Rechtsquellen definiert. Sodann besteht ein Konsens der besagt, dass in erster Linie das als Recht gilt, was entsprechend den Formerfordernissen geschaffen wurde. Auf staatlicher Ebene werden diese Formerfordernisse i. d. R. in der jeweiligen Verfassung verankert. Hier setzt das zuvor umschriebene Problem der korrekten Willensbildung auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises des Völkerrechts an. Eine Regierung ratifiziert einen völkerrechtlichen Vertrag, der so weitreichende Konsequenzen hat, dass er die Grundprinzipien der nationalen Verfassung beeinträchtigt oder verändert. Dafür gibt es i. d. R. keine interne Vertretungsbefugnis, weder der nationalen Regierung noch des nationalen Parlaments. Die Willensäußerung, um einen derartigen Vertrag zu ratifizieren, kann folglich nur von allen Individuen des nationalen Rechtserzeugerkreises direkt abgegeben werden. Auf internationaler Ebene kann allerdings das Institut der Rechtsscheinwirkung trotz diesem internen Mangel an Vertretungsbefugnis verbindliche Willensübereinkünfte zu Tage fördern. Die einschlägige internationale Regel ist hier Art. 46 WVK. Dieser besagt, dass ein völkerrechtlicher Vertrag anfechtbar ist, wenn für die andere Vertragspartei eine offenkundige innerstaatliche Unzuständigkeit des vertragsschließenden Organs gegeben war.258 Darüber hinaus gibt es auf internationaler Ebene – nimmt man die vollständige Selbstaufgabe eines Volkes aus, die durch das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht in Form einer ius cogens-Norm geschützt ist259 – keinen weitreichenden Konsens, der bestimmte Willensübereinkünfte einschränken würde. Bestimmte Rechtsquellen wurden in dem Sinn geschaffen, dass der nach ihren Formerfordernissen gefundene Konsens allgemein als Recht anerkannt wird. Auch wenn bereits innerhalb dieser Rechtsquellen, gewisse Unsicherheiten in puncto Formerfordernisse bestehen,260 scheint vor allem die fehlende Einigung bezüglich gewisser inhaltlicher Schranken größere Schwierigkeiten zu verursachen. Werden die Formerfordernisse der völkerrechtlichen Rechtsquellen eingehalten, gibt es für den Regelungsinhalt keine festgesetzten Grenzen. Diese Problematik wird vor allem dadurch verschärft, dass die Willensäußerung des nationalen Rechtserzeugerkreises auf der internationalen Ebene zumeist durch innerstaatliche Exekutivorgane repräsentiert wird. 258
Siehe dazu sogleich unten A.III.2., S. 117 f. Vgl. bspw. den Kommentar zu den Draft articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries (2001), Art. 26 Z. 5 YILC Bd. II 2 (2001), (Staatenverantwortlichkeit) UN Doc. A/CN.4/L.602, Rev.1; G. Hafner, Das Selbstbestimmungsrecht und Südtirol, in: P. Hilpold (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker: Vom umstrittenen Prinzip zum vieldeutigen Recht? (2009), 131 (137 m. w. N. in Fn. 19); wie auch H. Gros Espiell, Self-determination and ius cogens, in: A. Cassese (Hrsg.), UN law-fundamental rights (1979), 167 ff. 260 Beispielhaft sei die Diskussion zum Völkergewohnheitsrecht und dessen Methodenlehre genannt. Siehe dazu unten B.III.3. 259
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Dementsprechend ist die „Rückführbarkeit“ dieser Willensäußerung auf die Individuen des nationalen Rechtserzeugerkreises nur äußerst bedingt, z. B. aus demokratisch legitimierten Gründen möglich. Gewisse Legitimationsdefizite auf Grund teilweise nicht gewährleisteter demokratischer Rechte sind folglich nicht von der Hand zu weisen. Das ist eine Gegebenheit, die einem universalen Gemeinwillen zwar nicht zwingend entgegenstehen, diesen aber schwächen kann. Freilich sind die grundlegendsten Regeln, wie bspw. das Selbstbestimmungsrecht der Völker, als ius cogens-Normen auf internationaler Ebene geschützt. Ihnen widersprechende Konsense von kleineren Rechtserzeugerkreisen sind nichtig.
III. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts im nationalen Recht 1. Allgemeines Wie schon ausgeführt, wird die schlichte Anwendbarkeit im Völkerrecht als an den Staat adressierte rechtlich verbindliche Verpflichtung angesehen, die einzig unter der Voraussetzung der generellen Geltung steht.261 Unter der schlichten Anwendbarkeit kann somit auch die praktische Relevanz rechtlich geltender völkerrechtlicher Normen für die Staaten verstanden werden.262 In andern Worten: Eine schlicht anwendbare völkerrechtliche Norm hat zwischenstaatlichen Charakter.263 Beispielhaft sei dafür dass Umweltvölkerrecht, v. a. der Emissionshandel genannt.264 Eine schlicht anwendbare Norm hat keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass sich eine schlicht anwendbare Bestimmung in erster Linie an die Legislative, aber auch an die zum Außenhandel befugte Exekutive (z. B. die Außenministerien) richtet. Es ist aber nicht auszuschließen, dass bspw. bei einer völkerrechtsfreundlichen Interpretation des nationalen Rechts auch schlicht anwendbare Normen herangezogen werden.265 261
Siehe dazu oben A.I.5.a). Siehe dazu oben A.I.5.a) Fn. 40. Siehe zur Geltung und Anwendbarkeit auch T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 139 f., v. a. Fn. 86, wie 111 f. Fn. 4; wie auch G. Winkler, JBl. (Fn. 47), 9, der die Anwendbarkeit als „Aktualität der Geltung“ umschreibt. 263 Siehe dazu bereits oben A.I.5.a). 264 Vgl. dazu bspw. W. Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht4 (2007), 387 (450). 265 Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 50 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (9. Lfg 2009), Rz. 86, der einem unter Erfüllungsvorbehalt [dazu im Detail unten 262
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Unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Normen werden hier als für innerstaatliche Organe ohne Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Aktes266 anwendbare Normen definiert.267 Unmittelbar anwendbare Bestimmungen richten sich direkt an nationale rechtsanwendende Organe. Dies wird i. d. R. auf die Verleihung von subjektiven Rechten und Pflichten für Individuen hinauslaufen.268 Im Allgemeinen, also unabhängig vom Begriffsverständnis, kommt es auf den Willen der internationalen Rechtserzeuger an,269 ob eine völkerrechtliche Norm unmittelbar anwendbare Wirkung entfalten soll. Dementsprechend ist für das Völkerrecht nicht entscheidend, inwiefern eine völkerrechtliche Norm im innerstaatlichen Recht rezipiert wird.270 Vielmehr ist ausschließlich der Inhalt der Norm, d.h. das Gewollte des größeren, völkerrechtlichen Rechtserzeugerkreises ausschlaggebend.271 Ist eine völkerrechtliche Norm, bzw. deren Inhalt an einen Staat adressiert, verpflichtet diese Norm also ausschließlich die Staaten als Adressaten, so stellt sie im hier definierten Sinne eine schlicht anwendbare völkerrechtliche Norm dar. Eine solche Norm kann beispielsweise die völkerrechtliche Umsetzungspflicht der vereinbarten Rechte auf innerstaatlicher Ebene beinhalten. Ist aber bereits auf internationaler Ebene die unmittelbare Anwendbarkeit der internationalen Norm auch auf innerstaatlicher Ebene gewollt, ist diese Norm nach erfolgter Ratifikation von innerstaatlichen rechtsanwendenden Organen direkt, d.h. ohne ein Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Rechtssetzungsaktes, anzuwenden.272 Dies führt zu einer verB.III.2.b)ee)] ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag die innerstaatliche Wirkungen einer „Programmbestimmung, die noch der Ausführung durch den (zuständigen) Gesetzgeber bedarf“ zugesteht. 266 Ohne weiteren meint ohne weiteren staatlichen Akt außer der Ratifikation. 267 Siehe oben A.I.5.b); wie auch A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht3 (Fn. 7), 550. Siehe auch S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 355, der allerdings bezogen auf die EU dies als „die innerstaatliche Geltung der einzelnen Völkerrechtsnormen [. . .] ohne Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Aktes“ als „Durchgriffswirkung“ umschreibt. 268 Vgl. dazu u. a. A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht3 (Fn. 7), 551. Dies wird hier aber sodann als unmittelbare Anwendbarkeit i. e. S. bezeichnet. Siehe dazu oben, A.I.5.b), S. 43 f. 269 Siehe dazu bereits das Gutachten des StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig (Fn. 47), 4 ff., 17 f. 270 Vgl. dazu auch den Ausschluss aller gängigen Rezeptionstechniken wie Begriffe oben unter A.I. 271 Vgl. dazu bereits W. Kaufmann, Die Rechtskraft des Internationalen Rechts und das Verhältnis der Staatsgesetzgebungen der Staatsorgane zu demselben (1899), 5 f. 272 Siehe dazu StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig (Fn. 47), die unmittelbare Anwendbarkeit „depends upon the intention of the contracting Parties“. Wie auch aktuelle Judikatur IGH, LaGrand (Fn. 47), Rz. 77, indem subjektive Rechte Einzelner von völkerrechtlichen Normen vorgegeben werden können, welche auch
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stärkten Konzentration auf den Inhalt der internationalen Normen, welche präzise und bewusst ausgestaltet werden müssen. Geht aus der internationalen Norm nicht direkt hervor, ob diese eine schlicht anwendbare oder aber eine unmittelbar anwendbare Bestimmung sein soll, ist ein gewisser Graubereich nicht von der Hand zu weisen, welcher – insofern eine Klärung des Gewollten auf internationaler Ebene nicht möglich ist – wiederum zu der Umsetzungsfreiheit der Staaten führt. Dieser Argumentation zu Folge auf nationaler Ebene – auch bei entgegenstehendem nationalen Recht – justiziabel sein müssen (Rz. 89 f.). Siehe dazu auch A. Nollkaemper, Effect (Fn. 47), 157 f. Vgl. aber auch das wiederum zurückhaltende Urteil IGH, Avena and Other Mexican Nationals (Fn. 47), Rz. 113. Für die Bestärkung der zurückhaltenden Interpretation v. a. bezogen auf die innerstaatliche Wirkung dieses Urteils siehe sodann IGH, Request for Interpretation of Avena and Other Mexican Nationals (Fn. 47), Rz. 44. Sogar das viel diskutierte Urteil des US Supreme Court, Medellin vs. Texas, Urteil vom 25. März 2008, No. 06–984 Rz. 1 (a), stellt – wenn auch im konkreten Fall eine unmittelbare Anwendbarkeit vereneint wurde – außer Frage: „While a treaty may constitute an international commitment, it is not binding domestic law unless [. . .] the treaty itself conveys an intention that it be ‚self-executing‘ and is ratified on that basis.“ So auch US Supreme Court, Sanchez-Llamas vs. Oregon, Urteil vom 28. Juni 2006, 548 US 331, 11: „Of course it is well established that a self-executing treaty binds the States pursuant to the Supremacy Clause, and that the States therefore must recognize the force of the treaty [. . .].“ Vgl. dazu überblicksmäßig G. Novak, Context (Fn. 247), 113 ff., 124 m. w. N. zu Literatur in Fn. 132. Siehe auch VfGH, Erkenntnis vom 12. Dezember 1987, VfSlg. 11.585/1987, welcher ebenso den „subjektiven Aspekt des Problems“ berücksichtigt, wobei „es darauf an[kommt], daß ‚der Wille der Vertragsparteien auf die Anwendung des Vertrages durch Gerichte und Verwaltungsbehörden ohne Einschaltung staatlicher Rechtssetzung gerichtet ist‘.“ Dies schreibt VfGH, Erkenntnis vom 1. März 1990, VfSlg. 12.281, Rz. E)bb) fort: „Für die unmittelbare Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages kommt es zum einen darauf an, ob der Wille der Vertragsparteien auf die Anwendung des Vertrages durch Gerichte und Verwaltungsbehörden ohne Einschaltung staatlicher Rechtsetzung gerichtet ist.“ So auch VfGH, Erkenntnis vom 4. Dezember 2000, VfSlg. 15.970 Rz. I. Diese Wertschätzung der völkerrechtlichen Ebene in Form des subjektiven Wollens der Vertragsparteien wird allerdings durch den Test der objektiven Geeignetheit der unmittelbaren Anwendbarkeit nach rein nationalen Kriterien eingeschränkt. Siehe dazu unten Fn. 275. Für eine vordergründige Bestimmung der unmittelbaren Anwendbarkeit durch die internationale Ebene siehe auch A. Koller, Anwendbarkeit (Fn. 39), 121; P. de Visscher, Les tendances internationales des constitutions modernes, 80 RdC Bd. I (1952), 511 (559 ff.); wie auch W. Hummer, Reichweite und Grenzen unmittelbarer Anwendbarkeit der Freihandelsabkommen, in: H.-G. Koppensteiner (Hrsg.), Rechtsfragen der Freihandelsabkommen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit den EFTA-Staaten (1987), 43 (53), welcher die unmittelbare Anwendbarkeit „primär und vorwiegend“ als Frage des Völkerrechts bezeichnet, aber ebenso eine Relativierung der unmittelbaren Anwendbarkeit als „völkerrechtlich gegebene Möglichkeit“ vorsieht, indem ihre „Aktualisierung“ vom Landesrecht durch spezielle Techniken „verhindert“ werden könne (55 f.).
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kommt dem vom internationalen Rechtserzeugerkreis Gewollten, also dem Inhalt der völkerrechtlichen Bestimmungen, eine große Bedeutung zu, auf welche somit bei der Schaffung von internationalen Bestimmungen bereits entsprechend Bedacht zu nehmen ist. Dies könnte zum einen durch einen expliziten Wortlaut oder zum anderen durch klarstellende Interpretationserklärungen bewerkstelligt werden.273 Es ist demzufolge von entscheidender Bedeutung, ob eine Bestimmung vom internationalen Rechtserzeugerkreis als unmittelbar anwendbar gesetzt wurde. Im Folgenden wird das Konstrukt der unmittelbaren Anwendbarkeit näher analysiert. Zur Veranschaulichung wird die unmittelbare Anwendbarkeit anhand der Völkerrechtsquelle des Vertrages näher illustriert. Es wird aber abschließend ein Schlussbild gezeichnet, das alle Völkerrechtsquellen inkludiert. 2. Die unmittelbare Anwendbarkeit als absolute Konstante a) Die unmittelbare Anwendbarkeit kraft Konsens Die unmittelbare Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Bestimmungen ist eine derart zentrale Frage, dass es vorab zu klären gilt, wann überhaupt nach klassischer Doktrin eine Bestimmung unmittelbar anwendbar ist. Vielfach, sowohl in der amerikanischen Doktrin der „self-executing treaties“274 als auch bezogen auf die unmittelbare Anwendbarkeit im Allgemeinen, wird vertreten, dass die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm auf Grund nationaler Rechtsnormen wie bspw. gewisser Bestimmtheitsanforderungen beurteilt werde.275 Dies fließe aus der Freiheit der Staa273 Vgl. dazu allg. I. Cameron, Treaties, declarations of interpretation, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2007). 274 Siehe bspw. D. L. Sloss, Executing Foster v. Neilson: The two-step approach to analyzing self-executing treaties, 53 Harvard ILJ (2012), 136 (162), welcher augenscheinlich einer dualistischen Argumentation folgend einen sogennanten „TwoStep Approach“ zur Identifikation von Vertragsbestimmungen und ihres etwaigen self-executing-Charakters heranzieht: „In step one, courts should apply a treaty interpretation analysis to ascertain the nature and scope of the international obligation (the ‚international obligation‘ issue). In step two, courts should apply domestic law informed by the treaty interpretation analysis in step one – to determine which government actors within the United States have the power and the duty to implement the treaty domestically (the ‚domestic implementation‘ issue).“ Zur Entstehung der self-executing treaties-Doktrin vgl. v. a. J. J. Paust, Self-executing treaties, 82 American JIL (1988), 760 (766 ff.), mit dem Hinweis auf deren erstmaliges Auftreten in US Supreme Court, Foster vs. Neilson, Urteil vom Januar 1829, 27 U.S. (2 Pet.) 253, 314 (Marshall, C.J.). 275 Siehe bspw. A. Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge – Versuch einer Theorie des self-executing treaty auf rechtsvergleichender Grundlage (1970), 124 ff. m. w. N. zur österrei-
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ten bei der Umsetzung des Völkerrechts.276 Dadurch freilich büßt das allgemeine Eingeständnis, dass internationales Recht auch unmittelbar anchischen und niederländischen Lehre in Fn. 19 und 20. Vgl. auch A. Nollkaemper, Effect (Fn. 47), 164 ff.; K. Kaiser, Treaties, direct applicability, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2011), Rz. 6; G. Buchs, Anwendbarkeit (Fn. 48), 37, 43; M. Franz, Die unmittelbare Anwendbarkeit von TRIPS in Argentinien und Brasilien, 12 GRUR Int. (2002), 1001 (1004); und allg. dazu H. Keller, Rezeption (Fn. 1), 14, Fn. 40 m. w. N. Für eine Kontrolle anhand dem innerstaatlichen Legalitätsprinzip in Österreich gem. Art. 18 Abs. 1 B-VG siehe VfGH, VfSlg. 12.281 (Fn. 272), Rz. e)dd); VfGH, Erkenntnis vom 30. November 1990, VfSlg. 12.558, Rz. 3 b); dem VfGH folgend VwGH, Erkenntnis vom 8. Juni 2005, 2004/03/0116, Rz. 2.3; und OGH, Entscheidung vom 20. Februar 1986, 7Ob1/86, wonach „die völkerrechtliche Bestimmung schon objektiv zum Vollzug durch innerstaatliche Organe völlig ungeeignet“ ist und es dementsprechend „nicht mehr darauf an[kommt], ob die Vertragsparteien die unmittelbare Anwendung gewollt haben“. Ganz allg. siehe OGH, Entscheidung vom 26. August 2008, 17Ob18/08h, Rz. 4.1: „Damit ist die Frage, ob die für die Beurteilung der Teilnichtigkeit möglicherweise relevanten Bestimmungen des TRIPSAbk unmittelbar anwendbar sind, ausschließlich nach Völkerrecht und nationalem Recht zu beurteilen.“ Vgl. dazu für die österreichische Literatur T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 141 ff. m. w. N.; A. Reinisch, ZfRV (Fn. 7), 15 f.: „Eine nach innerstaatlichen Kriterien zu unbestimmte Vorschrift [. . .] kann dadurch unanwendbar werden.“; und W. Hummer/F. Ermacora, Völkerrecht (Fn. 3), 115. Wurde zuvor, der US Supreme Court, Medellin vs. Texas (Fn. 272), Rz. 1 damit zitiert, dass er prinzipiell einer unmittelbar anwendbaren Vertragsbestimmung eine direkte Wirkung auf nationale Rechtsanwendende Organe zugestehe, so hängt dies doch sehr stark von der Interpretation der völkerrechtlichen Bestimmung ab: Vgl. zu diesem Fall die Interpretation von N. Petersen, 72 ZaöRV (Fn. 247), 238, der diese Entscheidung trotz des klaren Statements des US Supreme Courts in Rz. 1 (a), nicht zu unrecht „as a proposition of an ex post control model“ ließt. Vgl. zur Rsp. des dt. BVerwG, Urteil vom 29. April 2009, Az 6 C 16.08 Rz. 46, welches die unmittelbare Anwendbarkeit bejaht, „sofern sie nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt [ist], wie innerstaatliche Vorschriften rechtliche Wirkung zu entfalten, also dafür keiner weiteren normativen Ausführung bedürfen.“ Vgl. für die Argumentation für niedrigere Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot von völkerrechtlichen unmittelbar anwendbaren Normen als die des allg. innerstaatliche Bestimmtheitsgebotes S. Lorenzmeier, Rechtliche Zulässigkeit von Studienbeiträgen – Verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte, 13 HFR (2008), 130 (141 f.). Für einen Ausschluss der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit auf Grund von einer dualistischen Staatsverfassung v. a. bezogen auf das Beispiel Großbritannien siehe S. A. Riesenfeld, The doctrine of self-executing treaties and GATT: A notable german judgment, 65 American JIL (1971), 548 (550); wie auch J. H. Jackson, Status of treaties in domestic legal systems: A policy analysis, 86 American JIL (1992), 310 (319). 276 Vgl. dazu T. Buergenthal, 235 RdC Bd. IV (Fn. 44), 317–321; A. Nollkaemper, Effect (Fn. 47), 179; sowie ebenso W. N. Ferdinandusse, Application (Fn. 39), 137 m. w. N. Diese Aussage wird bei Ferdinandusse (135), allerdings dadurch abgeschwächt, dass auch er schreibt: „When the general rule of freedom comes into conflict with the basic principle that States must perform their international obligations in good faith (pacta sunt servanda), the latter must prevail.“ [Fn. ausgelassen]. Dies
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wendbare Normen schaffen kann277 viel an Wirkungskraft ein. Dem stehen die vorher getroffenen Ausführungen zum Rechtserzeugerkreis diametral gegenüber. Ist der größere Rechtserzeugerkreis des Völkerrechts gewillt, eine unmittelbar anwendbare Norm zu schaffen, so darf diese Wirkung nicht nachträglich durch unterschiedliche nationale Konzepte einseitig abgeschwächt oder abgeändert werden. Dem kann des Weiteren die Vertragsfreiheit der Staaten beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Speziellen, wie die Autonomie der Staaten im Allgemeinen entgegen gestellt werden.278 Ist ein Konsens nämlich erst einmal gebildet, gilt es diesen auch einzuhalten (pacta sunt servanda; Art. 26 WVK). Einseitig, bspw. durch entgegenstehendes nationales Recht, darf sodann von dieser Norm nicht mehr nachträglich abgewichen bzw. deren Nichterfüllung gerechtfertigt werden (Art. 27 WVK, wie Art. 3 und 32 der ILC über die Staatenverantwortlichkeit279).280 Der größere Rechtserzeugerkreis der internationalen Gemeinschaft kann folglich auch die unmittelbare Anwendbarkeit in dem hier definierten Sinne im nationalen, kleineren Rechtserzeugerkreis anordnen. Dies gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass es dafür einen Konsens auf der Ebene des internationalen, größeren Rechtserzeugerkreises gibt.281 Gibt es einen entsprechenden Konsens, hat der kleinere nationale Rechtswird von J. Delbrück, Grundfragen der innerstaatlichen Geltung des Völkerrechts, in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/1 (1988), 98 (101), wie folgt formuliert: „das Völkerrecht fordert nur, daß es, aber sagt nicht, wie es im inländischen Recht durchgesetzt werden soll.“ 277 Siehe dazu oben Fn. 272. 278 Vgl. Autoren, die die unmittelbare Anwendbarkeit nach Grundsätzen des internationalen Rechts bestimmt sehen A. Verdross, Völkerrecht5 (1964), 122; F. Rigaux, Le problème des dispositions directement applicables (self-executing) des traités internationaux et son application aux traités instituant les Communautés (1966), 159, 278: „[I]l faut écarter de notre définition [der unmittelbar anwendbaren Verträge] toute intervention d’une source de droit national. Car si l’on admet que le législateur national peut conférer à la disposition un caractère directement applicable qu’elle n’aurait pas eu auparavant, cela aurait pour conséquence que le caractère d’applicabilité directe existerait dans tel et tel pays de la Communauté et n’existerait pas dans tels autres“ zitiert nach A. Koller, Anwendbarkeit (Fn. 39), 122. Im Grunde – allerdings unter gewissen Einschränkungen die auf das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht wie dessen Rezeptionstechniken rekurriern – so auch A. Koller, Anwendbarkeit (Fn. 39), 121 f., 146 f.; W. Hummer, Reichweite (Fn. 272), 52 f.; wie neutral H. Keller, Rezeption (Fn. 1), 14, Fn. 40 m. w. N.; differenzierend A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 47), 45 ff. 279 ILC Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries (2001), YILC Bd. II 2 (2001), (Staatenverantwortlichkeit) UN Doc. A/CN.4/L.602, Rev.1. 280 Vgl. dazu auch A. Nollkaemper, 65 ZÖR (Fn. 47), 73 ff., 81 ff. 281 Siehe dazu v. a. die Ausführungen zur Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises oben A.II.2.c).
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erzeugerkreis diesen Befehl innerstaatlich zu befolgen. Dass die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen nicht die Regel sondern eher die Ausnahme ist, mag zwar die prinzipielle Umsetzungsfreiheit der Staaten stützen, ein Postulat ausnahmsloser Umsetzungsfreiheit kann dadurch jedoch nicht begründet werden. Vielmehr ist diese Gegebenheit der bereits erläuterten Relativität des größeren Rechtserzeugerkreises geschuldet. Wobei faktisch gilt: Umso größer der Rechtserzeugerkreis, desto schwieriger die Konsensbildung.282 Demzufolge wird nur in Ausnahmefällen die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm vom völkerrechtlichen Rechtserzeugerkreis gewollt und somit gegeben sein. Rechtlichen Gründen im nationalen Recht ist dies aber eben gerade nicht geschuldet. Auch die Grenzen für das Kriterium der objektiven Geeignetheit müssen auf der Ebene des internationalen, größeren Rechtserzeugerkreises gesucht werden. Einmal könnten solche (engen) Grenzen in der Bestimmung des Art. 46 WVK gesehen werden. Dieser besagt, dass „[e]in Staat [. . .] sich nicht darauf berufen [kann], daß seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen ausgedrückt wurde und daher ungültig sei, sofern nicht die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf.“283 Von dieser Bestimmung nicht umfasstes innerstaatliches Recht, darf nicht gegen die Erfüllung völkervertraglicher Pflichten eingewandt werden (Art. 27 WVK). Die Frage, die sich nun stellt ist, ob eine durch die Staatenvertreter überschrittene „treaty making power“, eine Verletzung der Zuständigkeit beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages im Sinn des Art. 46 WVK darstellt. Anders gefragt: Inwieweit ist es den staatlichen Organen mit Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge aus völkerrechtlicher Sicht erlaubt oder verboten, auch unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Bestimmungen zu schaffen, die nicht (zur Gänze) einem innerstaatlichen Bestimmtheitsgebot, wie es bspw. Art. 18 Abs. 1 des österreichischen B-VG darstellt, gerecht werden? Allein schon die Frage, ob das Legalitätsgebot als innerstaatliche Vorschrift über die Zuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge gem. Art. 46 WVK verstanden werden kann, scheint nicht einfach zu bejahen zu sein. Verneint man die Anwend282
Siehe dazu die Relativität des größeren Rechtserzeugerkreises oben A.II.3. Siehe Art. 46 Abs. 1 WVK (BGBl. 40/1980); vgl. die authentische englische Fassung: „A State may not invoke the fact that its consent to be bound by a treaty has been expressed in violation of a provision of its internal law regarding competence to conclude treaties as invalidating its consent unless that violation was manifest and concerned a rule of its internal law of fundamental importance. A violation is manifest if it would be objectively evident to any State conducting itself in the matter in accordance with normal practice and in good faith.“ 283
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barkeit des Art. 46 WVK auf Basis der Argumentation, dass Art. 46 WVK kein materiell-rechtliches innerstaatliches Recht im Blick hat,284 führt dies direkt zur Dominanz des internationalen Rechts und ist von der Vertragsfreiheit der Staaten auf völkerrechtlicher Ebene gestützt. Einwände seitens des kleineren Rechtserzeugerkreises gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von dementsprechend abgeschlossenen Verträgen gibt es dann keine. Ist man gewillt, auch den Fall der Überschreitung von materiell-inhaltlichen Befugnissen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge unter dem Anwendungsbereich des Art. 46 WVK zu fassen, stellt sich die Frage, ob das Legalitätsgebot hervorgehend aus dem Bauprinzip der Rechtsstaatlichkeit des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes gem. Art. 46 WVK eine innerstaatliche Rechtsvorschrift „von grundlegender Bedeutung“ ist. Dies lässt sich wohl bejahen. Die Offenkundigkeit einer Verletzung des Bundes-Verfassungsgesetzes beim Abschluss eines unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Vertrages scheint allerdings nicht so klar zu beantworten zu sein. Im Gegenteil, es wird wohl für den völkerrechtlichen Vertragspartner nicht offenkundig sein, dass eine bestimmte Vertragsbestimmung, obwohl als unmittelbar anwendbare Bestimmung konzipiert, von Österreich auf Grund von objektiven Kriterien des Bestimmtheitsgebotes, die in ständiger Rechtsprechung vom österreichischen VfGH ausgesprochen werden, nicht hätte abgeschlossen werden dürfen. Ein entsprechender Einwand von Österreich aus Gründen der Verletzung einer innerstaatlichen grundlegenden Bestimmung wird somit nicht erfolgsversprechend sein. Würde ein erfolgsversprechender Einwand vorgebracht werden, müsste diese offenkundige wie grundlegende Verletzung der innerstaatlichen Rechtsvorschrift darüber hinaus auch rechtzeitig gerügt werden, um völkerrechtlich die Nicht-Gebundenheit des betroffenen Staates zu erwirken. Wird dies verabsäumt oder 284
Verneinend T. Rensmann, Article 46, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 33 Fn. 86. So wohl auch M. E. Villiger, Article 46, in: M. E. Villiger, Commentary on the 1969 Vienna convention on the law of treaties (2009), Rz. 8. Siehe dazu auch G. Ress, Wechselwirkungen (Fn. 53), 23 f. m. w. N. in Fn. 78 und 102 f. Vgl. auch den Kommentar von K. Zemanek (101), zur im Anschluss abgedruckten Diskussion zum Referat von G. Ress. A. A. B. Simma (110 f.), mit einem Verweis auf den „geistigen Vater [. . .] des ILC-Entwurfs“. Siehe dazu den special Rapporteur der ILC zur WVK Waldock, YILC Bd. II (1965), 71 Rz. 6. Vgl. des Weiteren L. Wildhaber, Treaty-making power and constitution – An international and comparative study (1971), 347 f., der zahlreiche Hinweise auf unterschiedliche Standpunkte gibt, aber selbst unmissverständlich klarstellt: „It is rightly feared that to make the validity of agreements depend on their accord with each and every norm of constitutional law, written or customary, notorious or obscure, would gravely endanger the security of international transactions. States would feel encouraged to invoke their constitutional law to get rid of undesirable agreements or to ‚internationalize‘ conflicts between municipal state organs or interest groups.“
III. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts im nationalen Recht
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wird, wie gerade aufgezeigt, bspw. die Offenkundigkeit einer solchen Verletzung verneint, gilt der Vertrag ohne etwaige Einschränkung der unmittelbaren Anwendbarkeit.285 Entsprechend diesen Ausführungen muss die Frage der objektiven Geeignetheit von völkerrechtlichen Normen zur unmittelbaren Anwendbarkeit – selbstverständlich vorausgesetzt eines erkenntlichen Willens des größeren Rechtserzeugerkreises – auf der völkerrechtlichen Ebene geklärt werden. Art. 46 WVK lässt folglich bei einer international als unmittelbar anwendbar geschaffenen völkerrechtlichen Bestimmung keine innerstaatliche Rechtfertigung zur Nicht-Einhaltung zu. Eine andere völkerrechtliche Norm, die einen ähnlichen Effekt zu Gunsten des nationalen Rechts hätte, ist nicht ersichtlich. Daraus folgt, dass das Prinzip der freien Umsetzung der Staaten von völkerrechtlichen Normen nur eingeschränkt gilt. Es kann nur auf solche völkerrechtliche Normen angewendet werden, die – bewusst oder unbewusst – die unmittelbare Anwendbarkeit nicht explizit anordnen oder verbieten, sondern diese vielmehr offen lassen. Wird von einem völkerrechtlichen Vertrag oder einer einzelnen Bestimmung die unmittelbare Anwendbarkeit nicht ausdrücklich geregelt, gilt zumindest vorerst286 das Prinzip der freien Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung. Der Wirkung der unmittelbaren Anwendbarkeit kann aber durch rechtsgültig geäußerte Vertragsvorbehalte einzelner Vertragsparteien vorgebeugt bzw. die unmittelbar anwendbare Wirkung kann ausbedungen werden. Das österreichische Spezialkonstrukt des Erfüllungsvorbehaltes stellt exakt auf diese Einschränkung ab. Als Spezialfall sei es hier im theoretischen Teil nur kurz zur Klarstellung erwähnt, zur Vertiefung aber dem praktischen Teil, der sich auf das Bundes-Verfassungsgesetz konzentriert vorbehalten.287 b) Identifikation der unmittelbaren Anwendbarkeit aa) Allgemeines Die Frage der Wirkung einer ausdrücklichen Anordnung oder des Ausschlusses der unmittelbaren Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Normen 285
Vgl. dazu T. Rensmann, Article 46 (Fn. 284), Rz. 54 m. w. N. Vorerst deshalb, da wie sogleich aufgezeigt werden wird, die spätere Praxis zu völkerrechtlichen Verträgen sich in nicht unerheblichem Maße auch auf das Konstrukt der unmittelbaren Anwendbarkeit auswirken kann. Wie bereits zuvor gesagt, werden die Ausführungen dazu wiederum sehr stark an der völkerrechtlichen Rechtsquelle des Vertrages angelehnt. Dies geschieht aus dem einfachen Grund, dass die Regelungsdichte in diesem Bereich nach Ansicht des Autors der Illustration am besten dienlich ist. Es wird aber versucht, die Ausführungen sodann für das Völkerrecht allgemein darzulegen. 287 Siehe dazu unten B.III.2.c). 286
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auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises wurde soeben erörtert. Der Graubereich zwischen einem Ausschluss oder einer Anordnung der unmittelbaren Anwendbarkeit ist aber ebenso wenig wie die ausdrückliche Regelung dieser Wirkung zur Gänze dem kleineren, nationalen Rechtserzeugerkreis überlassen. Durch spätere (Spruch-)Praxis zum völkerrechtlichen Vertrag kann der Vertrag selbst oder einzelne Bestimmungen desselbigen ausgelegt,288 wie auch geändert werden,289 wenn dies vom Konsens des Rechtserzeugerkreises gedeckt ist bzw. gedeckt wird. bb) Interpretation des völkerrechtlichen Vertrages Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit hängt vom Willen der völkerrechtlichen Rechtserzeuger ab. Dieser Wille spiegelt sich in Inhalt und Zweck der jeweiligen völkerrechtlichen Norm.290 Nicht zuletzt die Entwicklung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Rechts der Europäischen Union bestätigt diese Sichtweise.291 Der Wille der Rechtserzeuger äußert sich in einem subjektiven Element, d.h. der gewollten unmittelbaren Anwendbarkeit einer internationalen Norm, welches in Verbindung mit dem Element der objektiven Geeignetheit eine unmittelbar anwendbare Bestimmung darzustellen eine einheitliche Identifikation der unmittelbaren Anwendbarkeit gewährleisten soll.292 Ausgehend von der gewöhnlichen Be288
Siehe dazu sogleich A.III.2.b)bb). Siehe dazu unten A.III.2.b)cc). 290 Siehe dazu im Speziellen StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig (Fn. 47), Rz. 37: „[T]he very object of an international agreement, according to the intention of the contracting Parties, may be the adoption by the Parties of some definite rules creating individual rights and obligations and enforceable by the national courts“. Vgl. auch P. de Visscher, 80 RdC Bd. I (Fn. 272), 559 ff.; sowie allg. dazu A. Verdross, Völkerrecht4 (1959), 70 f.; und G. Winkler, JBl. (Fn. 47), 10; a. A. sind allerdings in Fn. 275 aufgezählte Autoren. 291 Dass sich dies nicht explizit in den Vertragstexten der Europäischen Union (inkl. Vorgängerinstitutionen) niederschlug schädigt diese Argumentation nicht. Vielmehr kann dies mit den Ausführungen zur Konkretisierung der zuvor noch unbestimmten Norm durch die Rechtsprechung des EuGH als spätere Praxis zum Vertrag in Einklang gebracht werden. Auch die Argumentationslinie der späteren stillschweigenden Akzeptanz der Mitgliedstaaten von diesem Vorpreschen des EuGH ist je nach Interpretation der Willensübereinkunft des (damaligen) europäischen Rechtserzeugerkreises vertretbar; Vgl. dazu die Rechtsprechung EuGH, Costa vs. ENEL (Fn. 180), 1269 f.; wie mittlerweile der Verweis auf diese Rechtsprechung in der Erklärung Nr. 17 zum Vertrag von Lissabon. Für weitere Ausführungen wie Nachweise siehe W. Frenz, Handbuch Europarecht – Wirkungen und Rechtsschutz, Bd. V (2010), 35 ff.; siehe dazu auch bereits oben unter A.II.2.g). 292 Vgl hierzu auch G. Winkler, JBl. (Fn. 47), 8; wie im Grunde auch R. Bernhardt, Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat – Eine Untersuchung zum deutschen und ausländischen Bundesstaatsrecht (1957), 26; vgl. zur objektiven 289
III. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts im nationalen Recht
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stimmung des Wortlauts (Art. 31 Abs. 1 WVK) ist dieser in Übereinstimmung mit Dokumenten im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss (Art. 31 Abs. 2 WVK), welche auf den Willen der Rechtserzeuger schließen lassen, entscheidend für die Interpretation der völkerrechtlichen Vertragsbestimmung.293 Ausschlaggebend für die Interpretation des Vertrages ist die Willensübereinkunft aller Vertragsparteien in Form einer authentischen Interpretation.294 Die spätere Praxis der Vertragsstaaten als Auslegungsfaktor wird eher die Ausnahme als die Regel darstellen.295 Aus Gründen der Effektivität wird die Auslegung oft einem unabhängigen Rechtspruchkörper übertragen werden.296 Dieser wird zurückhaltend eine einseitige Praxis einer Vertragspartei zur Auslegung heranziehen. Grundsätzlich wird das internationale Gericht die Rechtsprechung eines nationalen Gerichts, als Handlung eines Staatsorgans qualifizieren. Werden aber nationale Gerichte als dédoublement fonctionnel betrachtet, können auch Entscheidungen nationaler Rechtspruchkörper Auswirkungen auf die spätere Staatenpraxis haben und damit Auslegungsfaktor sein.297 Nationale Gerichte agieren demzufolge in zweierlei Hinsicht: Einmal als nationale Rechtspruchkörper, die dem Vertragsstaat zuzurechnen sind und ein zweites Mal im Sinne des dédoublement fonctionnel als verlängerter Arm des Völkerrechts – als unabhängige Rechtspruchkörper.298 Diese These kann auf und subjektiven Theorie der unmittelbaren Anwendbarkeit W. Hummer, Reichweite (Fn. 272), 50 f. 293 Vgl. dazu O. Dörr, Article 31, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 38 ff., 62 ff. 294 Siehe dazu ibid., Rz. 20. 295 Siehe aber als Bsp. VfGH, VfSlg. 12.281 (Fn. 272), Rz. e)cc): „Daß die unmittelbare Anwendbarkeit des Accordino dem Willen der Vertragsparteien entspricht, wird aus einem weiteren Umstand deutlich. Nach Art 31 Abs 3 lit b des [. . .] Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl. 40/1980, ist für die Auslegung zwischenstaatlicher Verträge (auch) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen. Diese Übung, insbesondere die Tätigkeit der nach Art 6 des Accordino gebildeten Gemischten Kommission zeigt, daß beide Vertragsstaaten die Vorschriften des Accordino in ständiger Praxis als unmittelbar anwendbar handhabten.“ 296 Siehe dazu sogleich unten S. 122 f. 297 Vgl. allg. v. a. zur Herkunft der Theorie G. Scelle, Droit international public (1944), 21 ff.; id., Le phénomène juridique du dédoublement fonctionnel, in: W. Schätzel/H.-J. Schlochauer (Hrsg.), FS Hans Wehberg (1956), 324 ff. 298 Vgl. allg. zum Thema D. Sloss, Treaty enforcement in domestic courts – A comparative analysis, in: D. Sloss (Hrsg.), The role of domestic courts in treaty enforcement – A comparative study (2009), 1 (5 ff.); C. Schreuer, The interpretation of treaties by domestic courts, 45 British YIL (1971), 255 ff.; wie auch J. Delbrück, Individuum (Fn. 38), 262 in Fn. 16 m. w. N.
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eine aktuelle Entwicklung gestützt werden.299 Akzeptiert man die Auslegung von internationalen Bestimmungen durch nationale Rechtspruchkörper und erfüllen diese auch die entsprechenden Kriterien der objektiven Interpretation, unabhängig von dem jeweiligen nationalen Interesse ihres Staates, so können sie wie internationale Rechtspruchkörper den völkerrechtlichen Vertrag auslegen. Ein völkerrechtlicher Vertrag oder eine einzelne Bestimmung desselbigen werden folglich auch durch die Rechtsprechung internationaler Rechtspruchkörper interpretiert. Haben die internationalen Rechtserzeuger, also die Vertragsparteien, die unmittelbare Anwendbarkeit offensichtlich gewollt, aber nicht ausreichend definiert, kann ein internationaler Rechtspruchkörper den Vertrag oder die Bestimmung konkretisieren. Dies kann zum einen durch die gerichtliche Feststellung des Vertragsinhaltes300 (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK) und zum anderen durch die Feststellung einer Vertragsänderung durch nachfolgende Praxis geschehen.301 Die Grenze bzw. der Übergang zwischen den zwei Konstellationen ist fließend.302 Ganz allgemein betrachtet ist die Rechtsprechung des zuständigen internationalen Rechtspruchkörpers in der Regel bereits beim Vertragsabschluss vom Willen der Vertragsparteien mit umfasst. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass das wahrscheinliche Auftreten von unterschiedlichen Auffassungen über bestimmte Vertragsbestimmungen eine objektive wie neutrale Instanz erfordert, die über die korrekte Auslegung endgültig entscheiden muss. Nur so kann überhaupt eine effektive Anwendung des Vertrages ermöglicht werden. Den Vertragsparteien ist also von vornherein klar, dass der jeweilige Vertrag bzw. eine Bestimmung daraus nicht immer von allen Vertragsparteien gleich interpretiert wird. Eine Klärung des Inhalts ei299
Vgl. bspw. A.-M. Slaughter/W. Burke-White, The future of international law is domestic (or, the european way of law), 47 Harvard ILJ (2006), 327 ff.; wie auch A. Peters, 65 ZÖR (Fn. 47), 22 f. m. w. N. 300 Siehe W. Karl, Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht – Zum Einfluß der Praxis auf Inhalt und Bestand völkerrechtlicher Verträge (1983), 21 f.; wie auch R. Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge – insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte (1963), 32. 301 Siehe dazu sogleich unten A.III.2.b)bb). Zur allgemeinen Frage inwiefern internationale Gerichte wie Schiedsgerichte Erzeuger von späterer Praxis sein können siehe W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 116 f.. Dieser (117) sieht teilweise die Judikatur staatlicher Gerichte im Sinne des dédoublement fonctionnel als relativ unabhängige Völkerrechtsorgane zu einem gewissen Grad „auch als selbständige Erzeuger späterer Praxis“ an. Siehe dazu auch K. Knop, Here and there – International law in domestic courts, 32 New York University JIL&P (2000), 501 (541); A. Nollkaemper, Internationally wrongful acts in domestic courts, 101 American JIL (2007), 760 (799); wie O. Dörr, Article 31 (Fn. 293), Rz. 78 m. w. N. 302 W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 22, 40, 45 f.
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ner umstrittenen Bestimmung ist allerdings für ein effektives Funktionieren des Vertrages notwendig. Deshalb kann von vornherein, mit umfasst vom Parteiwillen, die endgültige Entscheidung über die Auslegung dieser Bestimmungen einem unabhängigen, objektiven Rechtsspruchkörper überlassen werden.303 Diese Überlegungen können sich auf das konkrete Thema der unmittelbaren Anwendbarkeit übertragen lassen. Ist die unmittelbare Anwendbarkeit des Vertrages bzw. einer Bestimmung daraus im Sinne des gerade Beschriebenen, bereits von vornherein vom Parteiwillen erfasst, aber noch nicht ausreichend konkretisiert, kann die Vertragsauslegung des Rechtspruchkörpers die geforderte Konkretisierung übernehmen. Eine weitere Anerkennung bzw. Bestätigung des Rechtserzeugerkreises ist folglich nicht mehr notwendig. Dem internationalen Rechtspruchkörper wäre sozusagen die Lückenfüllungskompetenz hinsichtlich der Konkretisierung einer offen gehaltenen, aber immer schon als unmittelbar anwendbar gedachten Bestimmung übertragen. Eine Vorgehensweise, die durch die Vertragsfreiheit der Staaten wie dem non liquet-Verbot gedeckt ist.304 In den engen Grenzen dieser Überlegung305 wäre wohl auch die zurückhaltende Rechtsprechung des IGH,306 ein non liquet-Verbot mit der Folge einer Lückenschließungsverpflichtung der Gerichte anzunehmen, aufrecht zu erhalten.307 Diese Ausfüllung durch den internationalen Rechtspruchkörper wäre ja von den Vertragsparteien gewollt, d.h. aufgetragen 303
Vgl. bspw. Art 344 AEUV; wie auch Art. 55 EMRK; wie allg. Art 36 IGH Statut. 304 Vgl. zum non liquet-Verbot H. Lauterpacht, Some observations on the prohibition of ‚non liquet‘ and the completeness of the law, in: F. M. von Asbeck et al. (Hrsg.), Symbolae Verzijl (1958), 196 (199); J. Stone, Non liquet and the function of law in the international community, 35 British YIL (1959), 124 ff.; wie auch W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 34 m. w. N. Siehe dazu auch C. Kletzer, Das goldene Zeitalter der Sicherheit, in: R Walter et al. (Hrsg.), Hans Kelsen und das Völkerrecht – Ergebnisse eines internationalen Symposiums in Wien (2004), 223 (225 f.). 305 Die Jurisdiktion des Gerichts wie die angeordnete unmittelbare Anwendbarkeit wird in dem diskutierten Fall vorausgesetzt. Die Lücke bzw. die non liquet Problematik bezieht sich damit nur auf die unkonkrete Bestimmung. 306 Vgl. die Annahme eines non liquet in IGH, Legality of the threat or use of nuclear weapons, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. (1996), Rz. 105 (2)E; wie die Kritik dazu in der dissenting opinion von Richterin Higgins in IGH, Legality of the threat or use of nuclear weapons, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. (1996), Rz. 2. Siehe auch T. L. H. McCormack, A non liquet on nuclear weapons – The ICJ avoids the application of general principles of international humanitarian law, 37 IRRC (1997), 76 ff.; wie D. Bodansky, Non liquet and the incompleteness of international Law, in: L. B. de Chazournes/P. Sands (Hrsg.), International law, the international Court of Justice and nuclear weapons (1999), 151 ff. 307 Vgl. P. Weil, „The Court cannot conclude definitively . . .“ Non liquet revisited, 36 Columbia JTL (1997), 109 (110 f., 119).
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und demnach im positiv-rechtlichen Kontext zu sehen. Die Vertragsparteien kommen folglich überein, dass eine gewisse Bestimmung des Vertrages oder der ganze Vertrag mit der Wirkung der unmittelbaren Anwendbarkeit ausgestattet sein soll. Im Bewusstsein darüber, dass dieser Vertrag aber oft nicht in allen Einzelfällen den Anforderungen von innerstaatlichen Vorschriften, z. B. dem österreichischen Legalitätsgebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG gerecht werden wird, da eine detaillierte Ausformulierung aus unterschiedlichen Gründen im Vertragstext nur schwer möglich ist,308 wird eine objektiv unkonkrete Vertragsbestimmung dennoch mit der Wirkung der unmittelbaren Anwendbarkeit ausgestattet. Bewusst wird eine konkrete Ausfüllung dieser offenen Bestimmung dem international zuständigen Rechtspruchkörper – gedeckt vom Willen der Vertragsparteien – überlassen. Durch das Ausfüllen der vormals offenen Vertragsbestimmung durch den internationalen Rechtspruchkörper wird dann auch den Bestimmtheitserfordernissen der innerstaatlichen Verfassungsvorschriften genüge getan. Zentral für diese Argumentation ist, dass eine derartige Auslegung durch den Rechtspruchkörper bereits von dem im Vertrag zum Ausdruck kommenden Willen der Vertragsparteien abgedeckt ist. Darüber hinaus ist entscheidend, dass die bewusste Übertragung der Konkretisierung dieser Bestimmung an den Rechtsspruchkörper erkennbar ist. Freilich wird von diesem Fall nicht einfach ohne klare Hinweise ausgegangen werden können. Allein schon Art. 31 Abs. 1 WVK gebietet eine entsprechende Berücksichtigung der objektiven textlichen Interpretation.309 Diese Überlegung wird vielmehr nur auf Basis eines ausdrücklichen Parteiwillens, der im Vertragstext auch ersichtlich ist, tragbar sein. Gerade aber bei völkerrechtlichen Bestimmungen ist dieser entscheidende Faktor in der Praxis selten. Es wird daher eine Vermutung angenommen werden müssen, die im Regelfall von einem Parteiwillen, der eine restriktive Interpretation durch den Rechtspruchkörper vorsieht, ausgeht. Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Vertragsbestimmung ist in diesem Fall eher zu verneinen. Im Fall der Vertragsauslegung spielt es keine Rolle, ob die Entscheidungen des internationalen Rechtspruchkörpers wie bspw. die des EuGH erga omnes Wirkung für alle Vertragsparteien und nicht nur für die Streitparteien entfalten.310 Entscheidungen internationaler Rechtspruchkörper, wie bspw. des IGH oder auch des EGMR, wirken nur inter partes; sind also nur für die Streitparteien rechtlich bindend. Da der Rechtspruchkörper aber nur eine bereits vom Vertrags308
Vgl. bspw. T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 9), 134 f. Siehe dazu O. Dörr, Article 31 (Fn. 293), Rz. 38 ff. 310 Vgl. zur erga omnes Bindungswirkung der EuGH Urteile K. Schmalenbach, Die rechtliche Wirkung der Vertragsauslegung durch IGH, EuGH und EGMR, 59 ZÖR (2004), 213 (220 ff.). 309
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willen aller Vertragsparteien umfasste Konkretisierung des Vertrags oder einer einzelnen Bestimmung im Sinne einer Vertragsauslegung vor nimmt, wirkt sich dies nicht negativ auf die anderen am Streit nicht beteiligten Vertragsparteien aus. Es wird kein neuer Vertragsinhalt geschaffen, sondern nur der bereits gegebene Inhalt anhand eines Einzelfalles interpretiert. Die Konsistenz der Rechtsprechung des jeweiligen Rechtspruchkörpers zeigt somit auch den anderen Vertragsparteien, die an einem bestimmten Streitfall nicht beteiligt waren, klar auf, wie der Rechtspruchkörper diese konkrete Bestimmung auslegt. Es wird folglich mit erga omnes-Wirkung nur deklaratorisch aufgezeigt, wie die vereinbarte objektive Vertragsbestimmung auf den einzelnen Streitfall anzuwenden ist. Diese Autorität des Rechtspruchkörpers veranlasst idealerweise andere Vertragsparteien dazu Abstand zu nehmen, ein ähnliches oder gar identes Problem vor diesen Rechtspruchkörper zu bringen.311 Eine Änderung der Rechtsprechung wird nur in Ausnahmefällen mit Erfolg bewirkt werden können. In diesem Sinne hat diese Entscheidung – entfaltet sie auch nur eine rechtliche Bindungswirkung zwischen den Streitparteien – eine faktische Bindungswirkung für alle Vertragsparteien.312 cc) Vertragsänderung durch spätere (Spruch-)Praxis Die Vertragsinterpretation durch nationale Gerichte als dédoublement fonctionnel ist unproblematisch.313 Anders ist die Wirkung der nationalen Rechtsspruchkörperpraxis, wenn das nationale Gericht ultra vires eine unmittelbare Anwendbarkeit eines Vertrages oder einzelner Bestimmungen desselben annimmt. Diese nationale Spruchpraxis wird nur äußerst begrenzt über die Grenzen des Vertragsstaates hinaus eine entsprechende Fortentwicklung des Vertrages auf internationaler Ebene auslösen können. Nicht nur der betroffene Staat selbst, sondern auch alle anderen Vertragsstaaten müssten dem überschießenden nationalen Judikat, das eine vorerst nicht vom Willen der Vertragsstaaten umfasste unmittelbare Anwendbarkeit annimmt, zustimmen, um den Vertragsinhalt entsprechend ändern zu können. Hier greift eher die Umsetzungsfreiheit der jeweiligen Staaten, wobei die von dem nationalen Rechtspruchkörper judizierte unmittelbare Anwendbarkeit zwar für diesen Staat Bindungswirkung entfalten kann, aber eben 311 Vgl. dazu auch A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht3 (Fn. 7), 396; W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 170 f., 174 f.; wie K. Schmalenbach, 59 ZÖR (Fn. 310), 217. 312 Obwohl grundsätzlich Urteile von internationalen Rechtspruchkörpern wie bspw. des IGH oder auch des EGMR rechtlich nur inter partes Wirkung haben, geht die faktische Wirkung dieser Urteile weit darüber hinaus. Als Stichworte dafür können die Autoriät dieser Gerichte, die Orientierungswirkung ihrer Urteile wie auch die faktische erga omnes Bindungswirkung genannt werden. 313 Siehe dazu oben A.III.2.b)bb), S. 124.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
keine Vertragsänderung auf internationaler Ebene auslöst. Zur Erinnerung, dies spielt sich im Graubereich ab, indem vom internationalen Rechtserzeugerkreis weder eine unmittelbare Anwendbarkeit explizit angeordnet noch ausgeschlossen wurde. Derart progressive Judikate nationaler Rechtspruchkörper sind demnach denselben Schwierigkeiten ausgesetzt wie die Rechtsprechung von internationalen Rechtspruchkörpern, deren Entscheidungen nur inter partes wirken. Allerdings kommt den Entscheidungen nationaler Rechtspruchkörper wohl kaum dieselbe Autorität bzw. faktische Bindungswirkung zu, wie dies bei internationalen Rechtspruchkörpern der Fall ist.314 Die Berücksichtigung nationaler Interessen ist ein zusätzlich schwächender Punkt für nationale Rechtspruchkörper in der Ausfüllung dieser Rolle.315 Ähnlich verhält es sich mit der Praxis des Vertragsstaates. Diese kann unter Umständen, da sie nicht den „Zwischenschritt“ der staatlichen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen als subsidiäre Rechtsquelle gehen muss, eher dazu geeignet sein auf Grund von späterer Praxis zum Vertrag dessen Änderung im Hinblick auf eine unmittelbare Anwendbarkeit zu bewirken. Aber auch diese Modifikation ist auf die Akzeptanz aller anderen Vertragsparteien angewiesen, um auf internationaler Ebene die Wirkung einer rechtlich bindenden unmittelbaren Anwendbarkeit zur Folge zu haben. Die primäre Aufgabe eines internationalen Rechtsspruchkörper ist es völkerrechtliche Vertragsbestimmungen auszulegen.316 Die Grenze bzw. der Übergang zur Rechtsfortbildung verläuft allerdings fließend.317 D.h., auch ein vormals nicht als unmittelbar anwendbar geschaffener Vertrag bzw. eine einzelne Bestimmung, könnte durch Rechtsfortbildung eines internationalen Rechtspruchkörpers unmittelbar anwendbar werden. Klarerweise müsste im Fall der Vertragsänderung die Rechtsfortbildung durch einen internationalen Rechtspruchkörper in irgendeiner Weise von den Vertragsparteien bspw. durch stillschweigende Hinnahme anerkannt werden, um gültig zu sein. Die vorerst ultra vires agierende Rechtsprechung wird demzufolge durch eine darauffolgende, diese Rechtsprechung und deren Rechtsfortbildung akzeptierende Willensübereinkunft des Rechtserzeugerkreises akzeptiert. Es geht wohl mit dem Gesagten einher, dass der Fall der vertragsgestaltenden späteren Spruchpraxis für den hier diskutierten Sachverhalt nicht die Regel, sondern vielmehr die Ausnahme darstellen muss und in der Praxis auch darstellt. Darüber hinaus wird ein eindeutiger Nachweis der Anerkennung der 314 315 316 317
Vgl. dazu ibid.; so wohl auch W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 173. Siehe dazu ibid., 173 m. w. N. in Fn. 317. Siehe dazu oben, S. 122. W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 22, 40, 45 f.
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Vertragsparteien verlangt werden müssen, um den Vorstoß des internationalen Rechtspruchkörpers sozusagen im Nachhinein zu heilen. Wiederum ist eine Vermutung für eine eingeschränkte, nicht getroffene Änderung des Vertrages anzunehmen. Nur dies scheint der Problematik durch eine fließende Grenze zwischen Vertragsauslegung und Vertragsänderung durch internationale Rechtspruchkörper bezogen auf die unmittelbare Anwendbarkeit ausreichend Rechnung zu tragen. Zusätzlich ist diese überschießende Rechtsfortbildung eines internationalen Rechtspruchkörpers mit einer weiteren Schwierigkeit belegt. Geschieht diese Modifikation durch einen Rechtspruchkörper, dessen Urteile nur inter partes-Bindungswirkung entfalten, stellt die Vertragsänderung auf Grund der ausschließlich rechtlichen Bindungswirkung der Streitparteien eine inter se-Modifikation zwischen manchen (den Streitparteien) von mehreren (den am Streit nicht beteiligten) Vertragsparteien dar.318 Die Anerkennung dieser Vertragsänderung muss dann nicht nur von den Streitparteien, was für sich genommen schon problematisch genug ist, sondern anschließend auch von allen anderen Vertragsparteien erfolgen, um auch für diese eine wirksame Änderung des Vertrages zu bewirken.319 dd) Fazit Im Ergebnis sind folglich im Graubereich der unmittelbaren Anwendbarkeit, also in dem nicht seltenen Fall, dass ein völkerrechtlicher Vertrag oder einzelne Bestimmungen nicht ausdrücklich als unmittelbar anwendbar bezeichnet werden, eher die internationalen Rechtspruchkörper als entscheidende Faktoren anzusehen. Werden diese im Sinne einer bereits vom Vertragswillen umfassten Lückenschließung tätig und konkretisieren sie gewisse bereits als unmittelbar anwendbar gefasste Bestimmungen, dann ist dies grundsätzlich unproblematisch. Auch im Fall einer zuerst als ultra vires vorpreschenden Judikatur internationaler Rechtspruchkörper, die erst durch Akzeptanz der Vertragsparteien rechtliche Bindungswirkung entfaltet, ist mehr Gewicht einzuräumen, als wenn dieser Vorstoß von nationaler Seite erfolgt. Eine strikte Einordnung der Judikatur von internationalen Rechtspruchkörpern entweder als Auslegungsfaktor oder als Vertragsgestaltung durch spätere Spruchpraxis ist nicht immer zweifelsfrei möglich.320 Die Unter318 Vgl. Art. 41 WVK; siehe dazu ebenso W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 20 f.; wie allg. K. Odendahl, Article 41, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 13 ff. 319 Vgl. W. Karl, Vertrag (Fn. 300), 71, 85. 320 Zu den Begriffen wie allgemeine Ausführungen dazu siehe ibid., 123 ff.
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
scheidung dieser beiden Varianten muss sich entsprechend der hier getroffenen Definition von Recht am Willen des Rechtserzeugerkreises zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses orientieren. Die Abgrenzung verläuft, wie bereits erwähnt, fließend. Wenn die weitere Konkretisierung einer Vertragsbestimmung – in Hinblick auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit – dem internationalen Rechtspruchkörper explizit überlassen wird, ist die Rechtsprechung als Auslegungsfaktor der späteren Praxis an zu sehen. Ist dieser Wille beim Vertragsschluss nicht deutlich zum Ausdruck gekommen, wird die Rechtsprechung, die in einer unmittelbaren Anwendbarkeit mündet, als vertragsgestaltende bzw. vertragsändernde spätere Spruchpraxis verstanden werden müssen. Anders ausgedrückt: Umso mehr das Ergebnis der späteren Auslegung inhaltlich vom ursprünglichen Vertrag abweicht, desto eher ist von einer vertragsgestaltenden späteren Spruchpraxis auszugehen. Kann hingegen das Ergebnis der späteren Spruchpraxis noch als vom Vertragsinhalt „gedeckt“ verstanden werden, ist eher von einer Auslegung auszugehen.321 Die Unterscheidung ist für den diskutierten Sachverhalt nur schwer eindeutig zu treffen, um nicht zu sagen: Sie ist relativ. Das ist ein nicht vollständig zufriedenstellendes Ergebnis, das durch die Problematik verschärft wird, dass ein oftmals unklar geäußerter Vertragswille der Parteien sich häufig auch auf die unmittelbare Anwendbarkeit erstreckt. c) Die unmittelbare Anwendbarkeit im Lichte nicht vertraglicher Völkerrechtsquellen Wurde zuvor die Argumentation bezüglich der unmittelbaren Anwendbarkeit und deren Entwicklung v. a. auf die Rechtsquelle des völkerrechtlichen Vertrages gestützt,322 soll das Versprechen eingelöst werden, ein allgemeines alle völkerrechtlichen Quellen umschließendes Bild daraus abzuleiten.323 Eines muss aber vorweg konstatiert werden. Die Eigenheiten der Rechtsquellen des Völkergewohnheitsrechts, der allgemeinen Rechtsgrundsätze und der einseitigen Rechtsgeschäfte erschweren eine ausdrückliche Entscheidung des internationalen Rechtserzeugerkreises in puncto unmittelbarer Anwendbarkeit einer gewissen Norm im Vergleich zur Rechtsquelle des Vertrages erheblich. Dies liegt an der grundsätzlich nicht vorhandenen Schriftform, sowie an der Dynamik, die diesen Rechtsquellen anhaftet. Nichts desto trotz sind es gerade diese Rechtsquellen, die oftmals durch mehr oder weniger progressive Entscheidungen internationaler Rechtspruchkörper geformt bzw. gefestigt, wenn nicht sogar zu einem bestimm321 322 323
Vgl. dazu auch ibid., 196 f. A.III.1.a). Vgl. dazu oben A.II.1.
III. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts im nationalen Recht
129
ten Teil geschaffen werden.324 Gewissermaßen können also die Ausführungen, die zuvor zum Völkervertragsrecht bezüglich internationaler Rechtspruchkörper getätigt wurden, auch bezüglich aller Rechtsquellen des Völkerrechts ihre Gültigkeit beanspruchen. So wie einem unabhängigen Rechtspruchkörper gewisse Ermächtigung zur Auslegung von zukünftig strittigen Bestimmungen eingeräumt werden, um zukünftigen Dispute aus einem Vertragsregime zu begegnen,325 so wird auch die Jurisdiktion internationaler Rechtspruchkörper als unabhängige, objektive Instanz zur Festigung und Klarstellung von Normen des Völkergewohnheitsrechts, der allgemeinen Rechtsgrundsätze und der einseitigen Rechtsgeschäfte akzeptiert.326 Auch gibt es große Parallelen in der Praxis bei der Änderung von Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht. Völkergewohnheitsrecht besteht aus einer über einen längeren Zeitraum praktizierten Übung (consuetudo) der Völkerrechtssubjekte, getragen von der Überzeugung, dass diese Übung Recht darstellt (opinio iuris).327 Diese Übung kann in Form von Staatenpraxis der Staaten selbst, wie auch mittelbar durch nationale Rechtspruchkörper gefunden werden. Dementsprechend kann darin auch eine Parallele zu den obigen Ausführungen gesehen werden.328 Allgemeine Rechtsgrundsätze werden gemäß der ersten, „traditionellen“ Entstehungsvariante durch Rechtsvergleichung der grundlegendsten Prinzipien der wichtigsten nationalen Rechtsordnungen gewonnen.329 Die zweite, hier als „modern“ bezeichnete Entstehungsalternative der allgemeinen Rechtsgrundsätze, erlaubt eine Anerkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze basierend auf internationaler Rechtsüberzeugung. Weder bei der ersten „traditionellen“ noch bei der zweiten „modernen“ Entstehungsvariante ist eine unmittelbare Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze – bspw. i. V. m. einer anderen Bestimmung – auszuschließen.330 Zur Bestimmung allgemeiner Rechtsgrundsätze sind in erster Linie internationale Rechtspruchkörper berufen.331 Allgemein muss aber auch hierzu gesagt werden: Obwohl in diesem Graubereich auf internationale Rechtspruchkörper, zum Teil aber auch auf 324 Vgl. nur die Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtstribunale. Siehe v. a. bezogen auf die unmittelbare Anwendbarkeit völkergewohnheitsrechtlicher Normen das internationale Straftribunal für Ruanda. 325 Siehe dazu oben A.III.1.a)aa). 326 Vgl. dazu bspw. die Heranziehung von Völkergewohnheitsrecht durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) festgehalten im Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), para 33 f. 327 Vgl. zum Völkergewohnheitsrecht allg. unten B.III.3.a). 328 Siehe oben A.III.2.a)bb). 329 Siehe dazu unten A.III.4.a). 330 Siehe dazu unten A.III.4.a)cc), S. 227. 331 Siehe dazu detaillierter unten B.III.4.
130
A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
Staatenpraxis rekurriert werden kann, so muss doch das Hauptaugenmerk auf die unmissverständliche Willensbildung des internationalen Rechtserzeugerkreises gelegt werden. Dieser lässt sich nun mal am ehesten im Zeitpunkt der Normentstehung feststellen, auch wenn die spätere Praxis eine nicht unbedeutende Rolle spielen kann. Die Wirkung der meisten einseitigen Rechtsgeschäfte beschränkt sich i. d. R. auf die völkerrechtliche Ebene. Allerdings kann eine unmittelbar anwendbare Wirkung ebenso wenig vollständig ausgeschlossen werden.332 Die unmittelbare Anwendbarkeit von Rechtsakten internationaler Organisationen ist i. d. R. im Gründungsvertrag der internationalen Organisation zu suchen.333 Demgemäß kann an dieser Stelle auf die Ausführungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge verwiesen werden.334 3. Die „Auflösung“ der Rechtsanwenderperspektive oder die Individualisierung im internationalen Recht Die Individualisierung des Völkerrechts ist keine Neuigkeit, auch wenn sie durch aktuelle Entwicklungen immer stärker in den Vordergrund rückt.335 Sie wurde schon von Georges Scelle (1932) in radikalster Weise vertreten. Für ihn stellte das Individuum das einzige Subjekt des Völkerrechts dar.336 In ähnlicher Weise sprach auch Hans Kelsen von dem Verhalten von Staaten, das auf das der Individuen reduzierbar ist.337 Jürgen Ha332
Siehe dazu unten B.III.5.a)cc). Siehe dazu unten B.III.6.a)cc). 334 Siehe dazu oben A.III.2.b). 335 Vgl. bspw. S. Griller, Übertragung (Fn. 7), 353 f. 336 G. Scelle, Précis (Fn. 73), 42: „Les individus seuls sont sujets de droit en droit international public.“ Sowie dazu C. Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938, Neudruck 2003), 15 f. So auch N. Politis, Le problème des limitations de la souveraineté et la théorie de l’abus des droits dans les rapports internationaux, 6 RdC Bd. I (1925), 5 (6). Siehe auch H. Krabbe, Staatsidee2 (Fn. 209), 172 ff. 337 H. Kelsen, General theory of law and state (1945, 3. Neudruck von 2009), 364 ff.: „[T]he behavior of a State is reducible to the behavior of individuals representing the State. Thus, the alleged difference in subject matter between international and national law cannot be a difference between the kinds of subjects whose behavior they regulate.“ Wie auch id., Reine Rechtslehre2 (Fn. 89), 325 f.; id., Les rapports de système entre le droit interne et le droit international public, 14 RdC Bd. IV (1926), 231 (281, 284). Vgl. dazu auch J. von Bernstorff, The public international law theory of Hans Kelsen – Believing in universal law (2010), 146 ff.; und A. Verdross, Verknüpfung (Fn. 237), 431: „Alle Rechtsnormen können nur durch menschliches Verhalten verwirklicht werden.“ Vgl. allg. dazu A. Kohl, Zwischen Staat und Weltstaat – Die internationalen Sicherungsverfahren zum Schutze der Menschenrechte (1969), 14 ff. m. w. N. 333
III. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts im nationalen Recht
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bermas sieht „[d]ie Pointe des Weltbürgerrechts [darin], daß es über die Köpfe der kollektiven Völkerrechtssubjekte hinweg auf die Stellung der individuellen Rechtssubjekte durchgreift und für diese eine nicht-mediatisierte Mitgliedschaft in der Assoziation freier und gleicher Weltbürger begründet.“338 Bereits zu Beginn dieser Arbeit wurde zwischen der unmittelbaren Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Bestimmungen und der Individualisierung im Völkerrecht unterschieden.339 Individualisierend wirkt eine völkerrechtliche Norm, wenn sich die völkerrechtliche Bestimmung direkt an Individuen richtet und diese ihre Rechte wie Pflichten, die ihnen dadurch verliehen werden, auch direkt vor einem internationalen Rechtsspruchkörper verantworten müssen oder diese einfordern können. In diesem Fall tritt die von Kelsen beschriebene Reduktion des Völkerrechts auf das Individuum ohne Weiteres deutlich hervor. Die Fiktion des mediatisierenden Staates, welcher erst die völkerrechtliche Norm für seine Staatsbürger greifbar bzw. anwendbar machen musste, löst sich in diesem Fall auf. Das Völkerstrafrecht verlangt bspw. ohne das Zwischenschalten der staatlichen Ebene340 Rechenschaft von den Personen, die sich völkerstrafrechtliche Verbrechen zu Schulden haben kommen lassen. Bereits die internationalen Antisklaverei-Gerichte im 19. Jahrhundert können hier als Beispiel genannt werden.341 Individuen können des Weiteren vor internationalen Rechtspruchkörpern gegen Staaten persönlich vorgehen, um Menschenrechtsverletzungen zu reklamieren und Entschädigung zu fordern. Für die Teilbereiche des Völkerrechts, denen diese individualisierende Wirkung anhaftet, löst sich für die betroffenen Individuen die Rechtsanwenderperspektive auf. Die Frage, ob der entscheidende Sachverhalt von der nationalen oder von der internationalen Ebene zu entscheiden ist, hat für das Individuum keine weitreichenden Konsequenzen mehr. Für das Individuum bleibt es demzufolge gleichgültig, ob der nationale Rechtspruchkörper gewisse Rechte oder auch Pflichten mit dem Verweis auf eine etwaige Unanwendbarkeit des internationalen Rechts außer Acht lässt. Es ist dem Individuum nämlich möglich, selbst direkt vor den internationalen Rechtspruchkörper zu treten oder von diesem zur Verantwortung gezogen zu werden. In dem Ausmaß, in dem Individuen vom Völkerrecht individualisiert werden, kann von einer passiven, partiellen Völkerrechtssubjektivität gesprochen werden.342 Dies bedeutet J. Habermas, Einbeziehung2 (Fn. 64), 201 f.; wie auch S. Benhabib, Universalism (Fn. 64), 22: „In this global civil society, individuals are rights-bearing not only in virtue of their citizenship within states but in virtue of their humanity simpliciter.“ 339 Siehe dazu oben A.I.5.b) bzw. c). 340 Freilich ausgenommen der Ratifikation bzw. des die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Norm begründenden Aktes eines Staates. 341 Siehe dazu J. S. Martinez, Antislavery courts and the dawn of international human rights law, 117 Yale LJ (2008), 550 (554). 338
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A. Theoretische Grundlagen des Verhältnisses
aber nicht die vollkommene Beseitigung des Staates als Mediator. Vielmehr ist die gerade beschriebene Individualisierung des Völkerrechts bezogen auf die Materien wie auch die Regelungsdichte (noch) klar im Hintertreffen gegenüber jenen Normen bzw. Bereichen, die nicht in diesem Sinne individualisierend wirken. Demzufolge ist der Staat als Mediator, wird er nun als fiktive oder reale Entität betrachtet, (noch immer) ein tragender Faktor des Völkerrechts. Die Individualisierung des Völkerrechts wird auch nicht dadurch geschmälert, dass natürliche Personen zwar direkt Adressaten internationaler Normen sein können und auch sind, aber bei der Entstehung selbiger nicht „direkt“ mitwirken können. Wird in dieser Arbeit vom internationalen Rechtserzeugerkreis gesprochen, so ist dies gemäß der hier gewählten Rechtsdefinition einzig die Willensübereinkunft der ihn ausmachenden Individuen. Freilich wird dieser Wille nicht von jeder natürlichen Person direkt, sondern vielmehr indirekt durch die jeweiligen Staatenvertreter ausgedrückt. Jedoch führen die in den nationalen Verfassungen eingeräumten Vertretungsbefugnisse zum Abschluss von völkerrechtlichen Bestimmungen nicht dazu, dass es nicht mehr der Wille der natürlichen Personen ist, auf deren Schultern sich nicht zuletzt auch die nationale Verfassung stützt, der zum Abschluss von völkerrechtlichen Bestimmungen ermächtigt.343
342
Vgl. dazu auch G. Manner, The object theory of the individual in international law, 46 American JIL (1952), 428 ff.; wie allg. dazu C. Walter, Subjects of international law, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2007), Rz. 18: „Although many norms of international law are, for reasons of their content, only applicable to States, the general acceptance of individuals as-partial-subjects of international law marks an important shift in the structure of international law.“ 343 Siehe zu dieser partiellen, aktiven Völkerrechtssubjektivität von natürlichen Personen oben AII.2.h), S. 104 f.
B. Praktische Anwendung am Beispiel der österreichischen Rechtsordnung I. Einleitende Bemerkungen Nachdem im ersten Teil A. eine theoretische Grundlage entwickelt wurde, um den Rechtsverhältnissen von verschiedenen Rechtserzeugerkreisen auf den Grund zu gehen, soll nun die Theorie für die praktische Anwendung fruchtbar gemacht werden. Das Verhältnis des Völkerrechts zum österreichischen Recht dient dafür als Beispiel. Auf Grund der Komplexität dieses Themas und der Tatsache, dass jeweils einzelne Völkerrechtsquellen und deren Aus- bzw. Einwirkung auf das österreichische Rechtssystem bereits Gegenstand von Untersuchungen waren,1 konzentriert sich diese Arbeit auf die Anwendung der Theorie des Rechtserzeugerkreises im Zusammenspiel der völkerrechtlichen Rechtsquellen mit dem österreichischen Recht. Dabei wird jeweils die herrschende Auffassung zur Rezeption der Völkerrechtsquellen im österreichischen Stufenbau der Rechtsordnung in ihren Grundzügen dargestellt, um sie sodann der von der Theorie des Rechtserzeugerkreises gestützten eigenen Auffassung gegenüberzustellen. Der Aufbau orientiert sich an den Rechtsquellen des Völkerrechts. Eine materielle Rechtsquelle wurde zuvor in der Theorie als die schlichte Dokumentation der Herkunft der Willensübereinkunft definiert.2 Für die formelle Rechtsquelle wurde sodann die Festsetzung von bestimmten formellen Re1 Vgl. T. Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht – Eine theoretische, dogmatische und vergleichende Untersuchung am Beispiel Österreichs (1973); S. Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (1989); M Rotter, Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts im österreichischen Verfassungsrecht, 27 Österreichische ZföR (1976), 1 ff.; wie T. Öhlinger, Art. 50 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (9. Lfg 2009); id., Art. 9/1 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (5. Lfg. 2002); id., Art. 9/2 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (9. Lfg. 2009). Vgl. für einen komprimierten Überblick E. Handl-Petz, Austria, in: D. Shelton (Hrsg.), International law and domestic legal systems – Incorporation, transformation, and persuasion (2011), 55 ff.; und id., International law in the Austrian legal system, in: B. Verschraegen (Hrsg.), Austrian law – An international perspective (2010), 287 ff. 2 Siehe dazu oben A.II.1.g).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
geln zur erleichterten Identifikation der Willensübereinkunft als charakteristisch herausgestrichen.3 Im Völkerrecht dient Art. 38 Abs. 1 IGH Statut als Anknüpfungspunkt zur Identifikation der völkerrechtlich relevanten Rechtsquellen.4 Inwiefern Art. 38 Abs. 1 IGH Statut eine formelle Rechtsquelle darstellt,5 sei vorerst dahingestellt.6 Auch in der österreichischen Rechtsordnung wird zum Teil direkt und zum Teil indirekt auf die dort aufgezählten völkerrechtlichen Rechtsquellen Bezug genommen. Darüber hinaus werden von dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz bzw. der Praxis weitere völkerrechtliche Rechtsquellen, wie Rechtsakte von internationalen Organisationen und einseitige Rechtsgeschäfte anerkannt.7 Auch diese sollen hier behandelt werden. Den anerkannten Rechtsquellen werden Überlegungen zum zwingenden Völkerrecht (ius cogens) vorangestellt, das zwar nicht unumstrittener Weise als eigenständige Rechtsquelle bezeichnet werden kann, aber aufgrund der Universalität und seiner derogatorischen Kraft doch erhebliche Auswirkungen, um nicht zu sagen Rahmenbedingungen für alle weiteren Rechtsquellen absteckt. Einschränkend muss des Weiteren klar gestellt werden, dass jede einzelne Völkerrechtsquelle für sich theoretische sowie praktische Probleme mit sich bringt, welche bereits genug Stoff für wissenschaftliche Abhandlungen bieten. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Schwerpunkte auf die Interdependenz dieser völkerrechtlichen Rechtsquellen mit dem nationalen Recht gesetzt. Dies verlangt das Hinwegsehen über diverse Ungereimtheiten der Rechtsquellenlehre im Völkerrecht.8 So wird hier die jeweils behandelte Völkerrechtsquelle kurz einleitend dargestellt, ohne annähernd alle hierzu diskutierten Probleme aufgreifen zu können. Freilich können gewisse Problemfelder v. a. bezogen auf die völkerrechtliche Entstehung und die rechtliche Wirkung dieser Rechtsquellen 3
Ibid. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut (BGBl. 249/71): Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitfälle nach Völkerrecht zu entscheiden, wendet an: Die internationalen Abkommen allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den im Streit befindlichen Staaten ausdrücklich anerkannte Normen aufgestellt sind; Das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; Die von den zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; [. . .] 5 Für die Definition der materiellen und formellen Rechtsquelle siehe oben A.II.1.g). 6 Vgl. dazu die Diskussion bezüglich Art. 38 Abs. 1 IGH Statut unten zum Völkergewohnheitsrecht B.III.3.a)bb) sowie zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen B.III.4.a)bb). 7 Siehe dazu unten B.III.5.b)aa), S. 202, insbes. Fn. 501. 8 Vgl. dazu statt vieler J. Kammerhofer, Uncertainty in international law – A Kelsenian perspective (2011). 4
II. Der Rechtserzeugerkreis vs. Stufenbau der öst. Rechtsordnung
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nicht vollständig außer Acht gelassen werden, wenn es zu klären gilt inwiefern die jeweilige Völkerrechtsquelle mit dem nationalen Recht zusammenhängt bzw. sich darauf auswirkt. Den folgenden Ausführungen möchte ich eine Klarstellung vorausschicken. Die hier präsentierte Arbeit hat nicht zum Ziel, das historisch gewachsene und rechtstheoretisch fundierte österreichische Bundes-Verfassungsgesetz einer internen Kritik zu unterziehen. Vielmehr liegt mir daran, mit dem entwickelten theoretischen Konstrukt eine andere Perspektive aufzuzeigen. Werden B-VG Bestimmungen kritisiert und in weiterer Folge abweichend oder anders interpretiert als von der herrschenden Lehre, so sehe ich die Theorie des Rechtserzeugerkreises und deren praktische Anwendung als einen alternativen zu den bereits bestehenden Pfaden. Das hat zur Folge, dass die Theorie des Rechtserzeugerkreises nicht nahtlos in das vorhandene Verfassungsgefüge reingezwängt werden soll. Insofern Änderungen erforderlich wären, wird dies als Vorschlag verstanden.
II. Der Rechtserzeugerkreis vs. Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung Die Rechtsquellen des Völkerrechts finden bisweilen in der herrschenden Lehre Anwendung im nationalen Recht, indem sie in die nationale (Stufenbau-)Ordnung des Rechts „integriert“ werden.9 Dieser Ansatz wird hier hinterfragt und kritisiert. Bevor die jeweiligen Völkerrechtsquellen und deren 9
Für die „Identität der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtssatzform des Staatsvertrages“ in der österreichischen Rechtsordnung siehe G. Winkler, Der Verfassungsrang von Staatsverträgen, 10 Österreichische ZföR (1959/60), 514 (528 f.); wie auch id., Orientierungen im öffentlichen Recht (1979), 51 ff. und insbes. 57; sowie T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 166 ff. und insbes. 174 ff., 177. Für die Integration des Völkergewohnheitsrechts in den österreichsichen Stufenbau der Rechtsordnung siehe F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht, Recht der Europäischen Union und Landesrecht, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. I – Textteil4 (2004), 111 (115). Auch wenn die Inkorporationsmethode von Art. 9 Abs. 1 B-VG von einigen Autoren als generelle Transformation bezeichnet wird, ist damit im Grunde dasselbe Ergebnis gemeint: siehe bspw. E. Loebenstein, Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes und das staatliche Verfassungsrecht, in: A. Mock/H. Schambeck (Hrsg.), FS Rudolf Kirchschläger (1990), 143 (144); B. Binder, Das Völkerrecht im österreichischen Staatsrecht, 35 ZaöRV (1975), 282 (305); H. Mayer, Art. 9 B-VG, in: H. Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht: B-VG; F-VG; Grundrechte; Verfassungsgerichtsbarkeit; Verwaltungsgerichtsbarkeit; Kurzkommentar4 (2007), 16 (17); wie R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007), 111. Für detaillierte Hinweise siehe die jeweilige Diskussion zu den einzelnen Völkerrechtsquellen B.III.2.b); B.III.3.b); B.III.4.b); B.III.5.b).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Wirkung in der nationalen Rechtsordnung im Speziellen analysiert werden, wird diese Rezeptionslehre allgemein adressiert. Bereits zuvor wurde der Anwendung der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung über den nationalen Rechtserzeugerkreis hinaus auch auf Bestimmungen von größeren wie bspw. internationalen Rechtserzeugerkreisen entgegengetreten.10 Die Lehre vom rechtlichen Stufenbau und auch die damit zusammenhängenden Delegations- wie Derogationsstufen von der Grundnorm ausgehend, können für das Verhältnis zwischen internationalem bzw. europäischem und nationalem Recht nicht bzw. nur sehr begrenzt fruchtbar gemacht werden.11 In diesem Sinne gilt es daran zu erinnern, dass das Konzept des Stufenbaus zu sehr auf die Einheit der Rechtsordnung abgestimmt ist. Dieses Bild der Einheit entspricht dem Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht nicht.12 Umso mehr sich der vormals nahezu komplett geschlossene, nationale Rechtserzeugerkreis internationalen Rechtserzeugerkreisen öffnet, desto mehr wird folglich das Konzept des Stufenbaus auch national eingeschränkt. Kurzum, das Aufrechterhalten der Lehre des Stufenbaus der österreichischen Rechtsordnung, ohne adäquater Berücksichtigung des Völkerrechtes, führt zu Ergebnissen, die der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises widersprechen. Wird nämlich versucht, die Willensübereinkünfte eines größeren Rechtserzeugerkreises in den Stufenbau einer nationalen Rechtsordnung zu „integrieren“, ist dies nur möglich, wenn auch die Rangfrage der internationalen Bestimmungen im nationalen Recht definiert werden. Bereits der Versuch der Konstruktion einer Rangzuordnung ist aber deshalb zum Scheitern verurteilt, weil die Willensübereinkunft des größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises durch dieses Unterfangen nachträglichen, einseitigen Änderungen durch nationale Organe ausgesetzt wird. Dies geschieht insofern, als die Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises unter bestimmte nationale Bedingungen gestellt wird, die sich nach erfolgter Einordnung in den nationalen Stufenbau zwangsläufig ergeben.13 Beispielhaft sei dafür die Anwendung der Konfliktlösungs10
Siehe dazu oben A.II.2.f). Siehe dazu oben Einleitung II., wie auch L. Kirchmair, Die autonome Rechtsordnung der EU und die Grenzen von Monismus und Dualismus, in: M. C. Kettemann (Hrsg.), Grenzen im Völkerrecht – Grenzen des Völkerrechts: Beiträge zum 6. Workshop des Arbeitskreises junger Völkerrechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (AjV) in Graz (20.–21. Oktober 2012) (2013), 275 (286). 12 Siehe dazu oben bspw. A.II.2.g) und h). 13 Dafür, dass die Eingliederung bspw. der Staatsverträge in die österreichische Stufenbaurechtsordnung nicht ohne Schwierigkeiten zu bewältigen ist, sieht bereits der „Architekt“ dieser Stufenbauordnung A. J. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht (1927), 113 f. selbst: „Infolge dieser unterschiedlichen [„mannigfach differenziert[en]“] Gestaltung der Staatsverträge durch das positive Recht ist es auch unmöglich, ihre Stellung im System der Rechtsquellen allgemeingültig zu bestimmen.“ 11
II. Der Rechtserzeugerkreis vs. Stufenbau der öst. Rechtsordnung
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regel lex posterior derogat legi priori auf den Konflikt zwischen späteren einfachen nationalen Gesetzen gegenüber früheren, im selben Rang stehenden völkerrechtlichen Normen genannt.14 Dies stellt nichts anderes dar, als die einseitige Abweichung von einer Willensübereinkunft eines größeren Rechtserzeugerkreises durch eine Willensübereinkunft eines kleineren Rechtserzeugerkreises.15 Freilich wird dagegen nach klassischer Doktrin eingewandt werden, dass ja „nur“ die rechtliche Wirkung auf der innerstaatlichen Rechtsebene betroffen sei, für die sich das Völkerrecht bis auf einer etwaigen Brandmarkung als Völkerrechtsverletzung auf internationaler Ebene ohnehin nicht weiter interessiere.16 Es wurde aber schon in Teil A. gezeigt, dass diese Ansicht nicht (mehr) zutreffend ist, da sie auf einer alten Sichtweise des Völkerrechts als rein zwischenstaatlichem Recht beruht.17 In Folge der Weiterentwicklung des Völkerrechts kann dies heutzutage im Sinne des größeren Rechtserzeugerkreises nicht (mehr) als zutreffend vertreten werden. Hat eine völkerrechtliche Norm einen ausschließlich zwischenstaatlichen Regelungsinhalt zum Gegenstand, stellt sich dieses Konfliktpotential freilich nach wie vor nicht ein. Durch die Abgabe der Willensübereinkunft auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises zu einer rein zwischenstaatlichen Norm, wird die schlichte Anwendbarkeit der Norm im Verhältnis zum kleineren Rechtserzeugerkreis begründet.18 Der Staat ist völkerrechtlich gebunden. Wird durch Erlassung innerstaatlicher Gesetze dieser zwischenstaatlichen Norm nicht Folge geleistet, ist der Staat dem größeren Rechtserzeugerkreis zwar verantwortlich, eine Auswirkung auf die 14 Siehe dazu bspw. T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 43, der einer jüngeren gleich- oder höherrangigen staatlichen Rechtsnorm gegenüber einem geltenden Staatsvertrag die Derogationswirkung eines Anwendungsvorranges u. a. gestützt auf die Identität der völkerrechtlichen mit der staatlichen Rechtssatzform zuschreibt; so ähnlich auch R. Thienel, Art. 48, 49 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (1. Lfg 1999), Rz. 70. 15 Vgl. dazu sogar den Dualisten H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899), 258: „Denn der jüngere Rechtssatz hebt den älteren nur dann auf, wenn er derselben oder wenn er einer höheren Rechtssetzungsgewalt entspringt, die über die Gültigkeit des älteren entscheiden kann.“ Zur selben Problematik, bezogen auf die Rangfrage von Rechtsakten internationaler Organisationen im österreichischen Stufenbau, siehe C. Schreuer, Beschlüsse internationaler Organe im österreichischen Staatsrecht, 37 ZaöRV (1977), 468 (500): „Die Anwendung des lex posterior-Prinzips zur Lösung eines Konflikts zwischen Normen, welche von verschiedenen und voneinander unabhängigen Normsetzungsorganen stammen, ist nicht nur theoretisch bedenklich, sondern kann auch in der Praxis zu unbefriedigenden Ergebnissen führen.“ 16 Vgl. dazu schon die Ausführungen oben zur unmittelbaren Anwendbarkeit A.III.1. 17 Siehe dazu v. a. die dualistische Argumentation und die daran vorgebrachte Kritik in der Einleitung II., S. 21 f. und 24 f. 18 Siehe zur Terminologie der schlichten Anwendbarkeit oben A.II.5.a).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
innerstaatlichen Rechtsanwender besteht allerdings nicht. Ist aber der Regelungsinhalt der völkerrechtlichen Norm kein ausschließlich zwischenstaatlicher, d.h. wird durch die Willensübereinkunft im internationalen Rechtserzeugerkreis die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm im innerstaatlichen Bereich ohne ein Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Rechtssetzungsaktes außer der Ratifikation bezweckt,19 so verursacht die „Integration“ des Völkerrechts in den Stufenbau des nationalen Rechts Schwierigkeiten, da die innerstaatlichen Konfliktlösungsregeln den Willen des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises beeinträchtigen können. Werden Individuen vom internationalen Rechtserzeugerkreis direkt angesprochen, also ohne den Staat als Mediator zu aktivieren,20 ist die Integration dieser Bestimmung in den nationalen Stufenbau ebenso problematisch. Vielmehr müsste – insofern erwünscht – unter den vom größeren, also internationalen Rechtserzeugerkreis vorgesehenen formellen Voraussetzungen, ein dem gewünschten Abweichen entsprechender neuer Konsens auf der internationalen Ebene gesucht werden. Dass der Staat der betreffenden Norm im Allgemeinen zustimmen, im Fall von völkerrechtlichen Verträgen diese ratifizieren, d.h. an der Willensübereinkunft in der dafür notwendigen Form partizipieren muss, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Freilich sind von dieser Kritik diejenigen internationalen Willensübereinkünfte ausgenommen, die den Staaten einen Umsetzungsspielraum einräumen. Dabei handelt es sich – obwohl von der fraglichen Norm Individuen angesprochen sein können – wiederum um rein zwischenstaatliche Normen, die gewisse normative Rahmenbedingungen, in Form von Richtlinien oder Programmsätzen, schaffen. Der Theorie des Rechtserzeugerkreises entsprechend, werden in dieser Arbeit die Anknüpfungspunkte der nationalen Verfassungsordnung zu den Völkerrechtsquellen als innerstaatliche Ermächtigungsnormen gesehen. Durch diese werden Repräsentanten der nationalen Rechtserzeugerkreise von den Individuen dieses Rechtserzeugerkreises ermächtigt, Übereinkommen mit anderen nationalen Rechtserzeugerkreisen zu schließen. Wie bei jeder Vollmacht ist es möglich, diese Ermächtigung – zumindest aus nationaler Sicht – mit den Bestimmungen der nationalen Verfassungsordnung zu „deckeln“. Eine Vollmacht zum Abschluss von internationalen Übereinkünften kann folglich nur für den materiellen Regelungsbereich unterhalb der nationalen Verfassungsordnung ausgestellt werden. Inwieweit eine derartige Interpretation samt eventueller Vollmachtsbeschränkung im österreichischen B-VG gefunden werden kann, wird im Folgenden bezogen auf die unterschiedlichen Rechtsquellen des Völkerrechts untersucht. Dazu ist aber schon hier zu sagen, dass es entsprechende internationale Beschränkungen 19 20
Siehe dazu oben A.II.5.b). Siehe dazu oben A.II.5.c).
II. Der Rechtserzeugerkreis vs. Stufenbau der öst. Rechtsordnung
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der nationalen Vollmachtsbeschränkung nicht oder nur teilweise gibt.21 Die Autonomie zum Abschluss völkerrechtlicher Regeln kennt – die durch das Selbstbestimmungsrecht mit ius cogens Charakter ausgeschlossene Selbstaufgabe einmal ausgenommen22 – kaum Einschränkungen.23 Kurzum, bei innerstaatlichen Verfassungsbestimmungen, die geläufig als „Rezeptionsbestimmungen“ angesehen werden,24 kommt es vordergründig darauf an, dass ein Vertreter eines Staates von den Individuen, die ihm angehören zum Abschluss von Willensübereinkünften mit anderen Vertretern von weiteren nationalen Rechtserzeugerkreisen bevollmächtigt wird. Eine Deutung im Sinne einer Rezeptionstechnik von Völkerrecht in Staatsrecht muss nach der hier vertretenen Ansicht in den Hintergrund rücken. Werden folglich nationale Verfassungsbestimmungen als Ermächtigungsnormen zum Abschluss von völkerrechtlichen Rechtsnormen gesehen, liegt die Geltung der völkerrechtlichen Rechtsnormen ausschließlich in der internationalen Ebene begründet. Eine Aufspaltung von Rechtsschaffung und Rechtsgeltung, d.h. die Rezeption der internationalen Bestimmung in die nationale Stufenbauordnung und damit die künstliche Erzeugung einer innerstaatlichen Geltung der internationalen Bestimmung, ist künstlich und entfernt das Recht von dem Zweck, um dessen Willen es geschaffen wurde. Vielmehr wird eine Verbindung zwischen nationalem und internationalem Recht geschaffen, indem die Individuen des nationalen Rechtserzeugerkreises im internationalen Rechtserzeugerkreis aufgehen. In diesem sind sie ja gleichermaßen wie weitere Individuen anderer, kleinerer, nationaler Rechtserzeugerkreise vertreten. Wenn die Mitglieder des kleineren Rechtserzeugerkreises an der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises partizipieren, dann ist diese Willensübereinkunft nur mehr auf der Ebene des größeren Rechtserzeugerkreises veränderbar. Damit geht einher, dass auch die Wirkung dieser Willensübereinkunft vom kleineren Rechtserzeugerkreis nicht verändert werden darf.25 Dass die Rechtsgeltung allerdings nicht zwangsläufig mit der Rechtsdurchsetzung gleichzusetzen ist, wird vorausgesetzt.26 Um Missverständnisse zu vermeiden, wird nochmals daran erinnert, dass ein Rechtserzeugerkreis jeweils nur die Inhalte umschließt, die von der Willensübereinkunft umfasst sind.27 21
Vgl. die Ausführungen zu Art. 46 WVK oben A.III.2., S. 117 ff. Siehe oben A.II.3., Fn. 259. 23 Vgl. dazu oben A.III.2, S. 117 f. 24 Vgl. nur die Literatur in Fn. 9. 25 Siehe dazu die Ausführungen zur Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises oben A.II.2.c)aa). 26 Siehe dazu oben A.II.1.c). 27 Vgl. dazu oben A.II.2.a). 22
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Dementsprechend ist der nationale Rechtserzeugerkreis in den Materien, in denen er an einer internationalen Willensübereinkunft beteiligt war, an diese gebunden. Hat der nationale Rechtserzeugerkreis an einer internationalen Willensübereinkunft nicht partizipiert oder gibt es gar keine internationale Willensübereinkunft, so ist der nationale Rechtserzeugerkreis vollkommen frei, eigenständig Regelungen zu treffen. Dies führt dazu, dass diejenigen Materien in denen der nationale Rechtserzeugerkreis an keiner internationalen Willensübereinkunft partizipiert von den Materien, in denen er an einer internationalen Willensübereinkunft mitgewirkt hat, durch eine Art Kompetenzverteilung unterschieden werden können.28 Freilich gibt es keinen alle nationalen Rechtsordnungen umfassenden Rechtserzeugerkreis, welcher eine derartige Kompetenzverteilung ausführlich regelt. Die Ermächtigung nationaler Vertreter eines nationalen Rechtserzeugerkreises zum Abschluss von internationalen Willensübereinkünften kann allerdings so verstanden werden, dass bezogen auf die abgeschlossenen Willensübereinkünfte die nationale Kompetenz zur Regelung der Inhalte exakt dieser Willensübereinkunft auf den internationalen Rechtserzeugerkreis übergegangen ist. Eine Abweichung bzw. Änderung der Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises ist nicht mehr bzw. nur unter den von dieser Willensübereinkunft bereit gestellten Möglichkeiten erlaubt. Der Begriff der Kompetenzverteilung darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass von ihm mit dem Abschluss einer Willensübereinkunft sogleich die Ermächtigung zur Regelung weiterer ähnlicher Materien mit einhergeht.29 Das Verbot nachträglich, einseitig mit der internationalen Willensübereinkunft konfligierende nationale Bestimmungen zu erlassen, erstreckt sich nur auf den Inhalt der bereits getroffenen internationalen Willensübereinkunft, zu der ja auch die Zustimmung der Vertreter des nationalen Rechtserzeugerkreises notwendig ist.
28
Siehe bezogen auf die Integration von Rechtsakten internationaler Organisationen in den österreichischen Stufenbau bereits C. Schreuer, 37 ZaöRV (Fn. 15), 500 f. 29 Vgl. hierzu die Kritik an dem Vorschlag, die Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen pauschal im Sinne der Kompetenzverteilung zu betrachten bei S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 76 ff.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die österreichische Rechtsordnung 1. Ius cogens a) Völkerrechtliche Grundlagen aa) Allgemeines Im Völkerrecht können zum einen Normen von unterschiedlichen Rechtsquellen wie des Vertrages, des Gewohnheitsrechts, der allgemeinen Rechtsgrundsätze, einseitiger Rechtsgeschäfte und der Rechtsakte internationaler Organisationen unterschieden werden. Die drei erstgenannten unterliegen nach ganz herrschender Auffassung keiner Normenhierarchie.30 Das Völkerrecht kennt zum anderen aber auch so genannte ius cogens-Normen. Diese zwingenden Normen des Völkerrechts müssen nicht nur von allen Mitgliedern der Völkerrechtsgemeinschaft eingehalten werden. Ius cogens-Normen entgegenstehendes Völkerrecht ist darüber hinaus mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit konfrontiert.31 Das Phänomen ius cogens ist ein altbekanntes und theoretisch vielfach abgehandeltes Konzept.32 Ein zentraler Ansatzpunkt für seine positiv-rechtliche Existenz liefert erstmals das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969.33 30 Siehe dafür statt vieler H. Neuhold/W. Hummer/C. Schreuer, Die Völkerrechtsquellen, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts4 (2004), 31 (32). Dafür, dass auch allgemeine Rechtsgrundsätze trotz der ihnen zugedachten lückenfüllenden Funktion hierarchisch nicht untergeordnet sind, siehe A. Pellet, Article 38, in: A. Zimmermann et al. (Hrsg.), The statute of the International Court of Justice – A commentary (2006), Rz. 261. In weiterer Folge schließt Pellet (Rz. 265 ff.), zwar eine formelle Hierarchie aus, stellt aber fest, dass de facto in der IGH Rechtsprechung eine gewisse Sukzessivität („successive order“) in Form einer Komplementarität besteht: „[The ICJ] organized a kind of complementarity“. Ähnlich dazu auch V. D. Degan, Sources of international law (1997), 67. 31 Siehe Art. 53 WVK: Verträge im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens): „Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“ 32 Siehe nur den Literaturüberblick bei K. Schmalenbach, Article 53, in: O. Dörr/ K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012). 33 BGBl. 40/1980.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Ius cogens war, bevor es durch Art. 53 WVK definiert wurde, eine diffuse Idee. Vielfach wurde es über einen besonderen Inhalt, der größte moralische Werte verankere, äußerst vage umschrieben.34 Der Diskussion um die moralische Dimension, um nicht zu sagen die naturrechtliche Geltung der ius cogens-Normen, wurde durch Art. 53 WVK ein klares positivrechtliches Argument gegenüber- bzw. zur Seite gestellt. Das positiv-rechtliche Fundament des zwingenden Völkerrechts ermöglicht es, das ursprüngliche Phänomen ius cogens nunmehr inhaltsneutral zu betrachten. Das lässt sogar eine Einordnung der zwingenden Normen des Völkerrechts als eigene, formelle völkerrechtliche Rechtsquelle für möglich erscheinen.35 Art. 53 WVK definiert eine ius cogens-Bestimmung als eine „zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts [. . .], die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird“.36 Diese Aufwertung von ius cogens gegenüber schlichtem Völkervertragsbzw. Gewohnheitsrecht hat durchaus seine Begründung.37 Wird nämlich davon ausgegangen, dass ius cogens auf einem völkervertraglichen oder einem völkergewohnheitsrechtlichen Geltungsgrund beruhe, sieht man sich schnell mit einem Paradoxon konfrontiert. Wenn eine Norm ius cogensCharakter besitzt, heißt dies zum einen, ihr widersprechendes Recht ist nichtig und zum anderen, diese ius cogens-Norm ist besonders vor Abänderung geschützt. Sie kann nur auf die Art und Weise modifiziert werden, auf welche der ius cogens-Charakter entstanden ist, nämlich auf Basis der Anerkennung und Akzeptanz der Staatengemeinschaft als Ganzes. Die Existenz von ius cogens wäre aber durch einen schlichten völkervertragsrechtlichen bzw. gewohnheitsrechtlichen Geltungsgrund vergleichsweise schlechter geschützt. Auch wenn dies hypothetisch erscheint, wäre theoretisch die Abänderung bzw. Abschaffung von ius cogens einfacher, würde es nur auf Völkervertrags- bzw. gewohnheitsrecht basieren, als die Modifikation einer beliebigen Norm, welche ius cogens-Charakter besitzt. M. a. W. Art. 53 WVK bzw. sein gewohnheitsrechtliches Äquivalent definiert ausschließlich die „reife Frucht“, d.h. die bereits entstandene ius co34 Vgl. statt vieler A. Verdross, Forbidden treaties in international law, 31 American JIL (1937), 571 ff. 35 Siehe so A. Orakhelashvili, Peremptory norms in international law (2006), 108. Ohne sich dieser Auffassung anzuschließen, gibt K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 32), Rz. 26 m. w. N. in Fn. 143 und Rz. 35–37 einen Überblick über diese Diskussion. 36 Art. 53 WVK: eine ius cogens-Norm ist: „[e]ine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts[;] eine Norm die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf“. 37 Zur Begründung von ius cogens als Völkervertrags- bzw. gewohnheitsrecht siehe sogleich, S. 143.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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gens-Norm. Der Reifungsprozess der Frucht, also die Entstehung des ius cogens-Charakters selbst, wird dadurch aber nicht abschließend definiert.38 Dieser kann nur aus der Definition rückgeschlossen werden.39 Einziger Ausweg aus diesem Paradoxon erscheint eine Aufwertung der Basis von ius cogens. Eine mögliche Form der Aufwertung bestünde darin, ius cogens als eigenständige Rechtsquelle des Völkerrechts anzusehen. Für die Einordnung des zwingenden Völkerrechts als eigenständiger formeller Rechtsquelle würde sprechen, dass der Entstehungsprozess zumindest abstrakt definiert ist. Problematisch ist allerdings, dass das zwingende Völkerrecht keine inhaltlichen Regeln schafft, also keine materielle Rechtsquelle im hier definierten Sinn darstellt. Demzufolge verbleibt für ius cogens die Möglichkeit, es als das zu benennen, was es ist: ein Konstrukt bzw. eine formelle Rechtsquelle40 sui generis.41 Allerdings muss zugleich festgehalten werden, dass der Regelungsinhalt von ius cogens-Normen weit davon entfernt ist, eine derart umfassende und weitreichende inhaltliche Regelungsdichte zu umfassen, um von einer Völkerrechtsverfassung sprechen zu können.42 Dementsprechend ist es auch bezogen auf ius cogens-Normen zutreffender, von einem Rechtserzeugerkreis zu sprechen. Dieser ermöglicht eine entsprechende Einordnung dieser Normen, ohne gleichzeitig eine (fiktive Welt-) Ordnung vorauszusetzen. Art. 53 WVK stellt klar, dass Verträge, die im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts stehen, nichtig sind. Wie vielen anderen Normen dieses Übereinkommens wird auch dieser Bestimmung nach herrschender Meinung der Status von Völkergewohnheitsrecht zugesprochen. Damit wird die universelle Geltung von ius cogens begründet.43 Kritisch hinterfragt werden muss in diesem Zusammenhang allerdings der heftige Widerstand gegen zwingendes Völkerrecht von Seiten der Tür38
Siehe für die Metapher der reifen Frucht und des Reifungsprozesses zum Völkergewohnheitsrecht M. H. Mendelson, The subjective element in customary international law, 66 British YIL 1995 (1996), 177 (179, in Fn. 9). 39 Siehe so auch U. Linderfalk, The creation of jus cogens – Making sense of article 53 of the Vienna convention, 71 ZaöRV (2011), 359 (359). 40 Zur Unterscheidung von formeller und materieller Rechtsquelle siehe oben A.II.1.g). 41 Siehe dazu auch R. Kolb, The formal source of ius cogens in public international law, 53 ZÖR (1998), 69 (69 ff.). 42 Vgl. zur Völkerrechtsverfassung A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft (1926), 35: „Die staatliche Freiheit ist daher nichts anderes als eine den Staaten vom Völkerrechte zugestandene Sphäre freien Ermessens.“ 43 Aktuell 113 Vertragsparteien [Stand April 2013]. Zur Ausdehnung über Völkergewohnheitsrecht siehe, K. Schmalenbach, Article 4, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 6.
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kei44 wie Frankreichs45. Erschwerend kommt hinzu, dass diese beiden Staaten das Übereinkommen über das Recht der Verträge nach wie vor nicht unterzeichnet haben. Nun kann, wenn nicht von einem Bestehen von ius cogens-Normen auch vor und außerhalb der WVK ausgegangen wird, dieser Argumentation der völkergewohnheitsrechtliche Status von Art. 53 WVK gegenübergehalten werden.46 Von der ganz herrschenden Lehrmeinung ist gedeckt, dass die Zustimmung zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht stillschweigend erfolgen kann.47 Allenfalls ein Staat die Geltung einer bestimmten völkergewohnheitsrechtlichen Norm für sich verhindern will, muss er dies in einer ständig widersprechenden Praxis deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, wenn auch immer die besagte Norm angewendet wird.48 Dieser so genannte persistent objector kann dann zwar nicht die Entstehung der Norm an sich, aber sehr wohl die Geltung dieser Norm für sich verhindern.49 Hätten dementsprechend Frankreich oder die Türkei jedes Mal wenn ius cogens zur Anwendung kam, ihren Widerspruch ausgedrückt, wäre eine völkergewohnheitsrechtliche Bindungswirkung von Art. 53 WVK auf sie nicht übergegangen. Eine solche anhaltend widersprechende Praxis gegen die völkergewohnheitsrechtliche Ausdehnung von ius cogens seitens Frankreichs wie der Türkei ist allerdings nicht zu finden. Dementsprechend kann die Normenqualität von ius cogens mittlerweile als universal anerkannte betrachtet werden. Wenn dies nicht bereits vor dem Inkrafttreten der WVK in dieser Form als Völkergewohnheitsrecht gegolten hat, so kann ius cogens spätestens seit Inkrafttreten der WVK und der anschließenden Ausdehnung per Völkergewohnheitsrecht als universal geltend erachtet werden.
44 Vgl. die Stellungnahme des türkischen Staatenvertreters Hayta auf der United Nations Conference on the Law of Treaties Second session 9.4.–22.5.1969 Official Records 99 Rz. 64 ff. 45 Vgl. die Stellungnahme des französischen Staatenvertreters Hubert auf der United Nations Conference on the Law of Treaties Second session 9.4.–22.5.1969 Official Records 93 Rz. 7 ff. 46 K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 303), Rz. 6; skeptisch dazu M. Glennon, Peremptory nonsense, in: S. Breitenmoser et al. (Hrsg.), FS Luzius Wildhaber (2007), 1265 (1269). 47 Siehe dazu v. a. I. C. MacGibbon, Customary international law and acquiescence, 33 British YIL 1957 (1958), 115 (130). Vgl. des Weiteren unten S. 190 ff. 48 Vgl. dazu statt vieler J. I. Charney, Universal international law, 87 American JIL (1993), 529 (538 ff., m. w. N. in Fn. 38). 49 Siehe dazu D. Kritsiotis, On the possibilities of and for persistent objection, 21 Duke JC&IL (2010), 121 (132).
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bb) Entstehung von ius cogens Art. 53 WVK setzt eine allgemeine Norm des Völkerrechts voraus. Darauf aufbauend ist es der Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit möglich, diese Norm des allgemeinen Völkerrechts als zwingend anzunehmen und anzuerkennen. Das entspricht einem doppelten Konsens, welcher zuerst die allgemeine Norm des Völkerrechts erschafft, theoretisch gleichgültig aus welcher Rechtsquelle entstammend.50 Der zweite Schritt besteht sodann darin, dass die „Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit“ dieser allgemeinen Norm ius cogens-Charakter verleiht.51 Die „Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit“ verlangt gemäß den travaux préparatoires zu Art. 53 WVK ausweislich nicht die Zustimmung aller Staaten.52 Zusätzlich dazu gibt es innerhalb des zweiten Konsenses, d.h. bei der Verleihung des ius cogensCharakters, keinen persistent objector mehr.53 Einzelne kleinere, nationale Rechtserzeugerkreise können die Entstehung und auch die Rechtsfolge des ius cogens-Charakters nicht mehr von sich abwenden, wenn der Großteil der nationalen Rechtserzeugerkreise einer allgemeinen Norm des Völkerrechts ius cogens-Charakter verleiht. Dementsprechend gibt es einen Grundkonsens des größtmöglichen Rechtserzeugerkreises (die Existenz von ius cogens), dass eine überwiegende Mehrheit der Staaten einer allgemeinen Norm des Völkerrechts ius cogens-Charakter verleihen kann (das Entstehungsprozedere bestimmter ius cogens-Normen). Freilich ist dieses doch sehr theoretische Prozedere noch nicht zu einer praktisch gut funktionierenden Maschinerie geworden. Auch wenn es Vorschläge in der Literatur gibt, 50 Pragmatischen Gründen ist es allerdings geschuldet, dass die Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts wohl am besten als Grundlage für eine allgemeine Norm des Völkerrechts dient, welcher sodann ius cogens-Charakter verliehen werden kann. Dementsprechend spiegeln sich alle aktuell als ius cogens-Normen anerkannten Normen im Völkergewohnheitsrecht wider. Siehe dazu auch K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 32), Rz. 47. 51 Siehe zum sogenannten „double consent test“ C. Rozakis, The Concept of jus cogens in the Law of Treaties (1976), 74; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht (1992), 196; K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 32), Rz. 37 m. w. N. in Fn. 175 und Rz. 47 m. w. N. in Fn. 195; und R. Kolb, 53 ZÖR (Fn. 41), 81. 52 Vgl. hierzu v. a. die Aussage des Chairman of the Drafting Committee der WVK Yasseen auf der United Nations Conference on the Law of Treaties First session 26.3.–22.5.1968 Official Records 472 Rz. 12; wie auch B. Simma, From bilateralism to community interest, 250 RdC Bd. IV (1994), 271, (290 f.); K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 32), Rz. 29 m. w. N. 53 Siehe dazu auch K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 32), Rz. 51 m. w. N. in Fn. 202; wie auch D. Kritsiotis, 21 Duke JC&IL (Fn. 49), 134; M. Ragazzi, The concept of international obligations erga omnes (1997), 67; und D. Shelton, International law and „relative normativity“, in: M. D. Evans (Hrsg.), International law2 (2006), 159 (162).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
dieses Verfahren bspw. in der Generalversammlung der Vereinten Nationen anzusiedeln bzw. einzuführen,54 fehlt es nach wie vor an einem universalen, institutionellen Rechtserzeuger im internationalen Recht.55 Welche Bestimmungen im internationalen Recht ius cogens-Charakter haben, ist dementsprechend umstritten. Nur einigen wenigen, grundlegenden Normen kann wohl mit Sicherheit auf Grund der Rechtsprechung nationaler wie v. a. internationaler Rechtspruchkörper ius cogens-Charakter zugesprochen werden.56 cc) Wirkung von ius cogens Art. 53 WVK bestimmt die Nichtigkeit als Sanktionsfolge für zwingendem Völkerrecht widersprechenden völkerrechtlichen Verträgen. Eine Ausdehnung dieser Nichtigkeitsfolge auf Völkergewohnheitsrecht gilt als unbestritten.57 Zwingendes Völkerrecht kann somit als das Recht des größtmöglichen, internationalen Rechtserzeugerkreises bezeichnet werden, von dem nicht abgewichen werden kann. Der größtmögliche, internationale Rechtserzeugerkreises bestimmt, dass Normen eines kleineren Rechtserzeugerkreises mit ius cogens-Normen gar nicht konfligieren können, da diese potentiell konfligierenden Bestimmungen von vornherein nichtig sind.58 Der kleinere Rechtserzeugerkreis darf also weder von der ius cogens-Norm abweichen, noch kann er rechtlich abweichen.59 Die Sanktionsfolge für entstehendes ius cogens regelt Art. 64 WVK. Art. 66 lit. a) WVK besagt, dass eine Streitigkeit über die Anwendung oder Auslegung von Art. 53 oder 64 54
Siehe dazu v. a. L. Hannikainen, Peremptory norms in international law (1988), 723 f. 55 Vgl. dazu auch die Schlussfolgerung von M. Payandeh, Internationales Gemeinschaftsrecht – Zur Herausbildung gemeinschaftsrechtlicher Strukturen im Völkerrecht der Globalisierung (2010), 515. 56 Siehe dazu inklusive einer Aufzählung K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 303), Rz. 81 m. w. N. 57 Siehe dazu A. Orakhelashvili, Peremptory norms (Fn. 35), 206; wie auch die separate opinion von Richter Lauterpacht in IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina vs. Serbia and Montenegro) (Further Requests for the Indication of Provisional Measures), Order vom 13. September 1993, ICJ Rep. (1993), 407, Rz. 100: „The concept of jus cogens operates as a concept superior to both customary international law and treaty.“ Siehe auch K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 303), Rz. 68. 58 Siehe dazu K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 303), Rz. 58: „A treaty conflicting with ius cogens is void ab initio, ie it has not come into legal existence on the international plane (‚absolute nullity‘).“ [Hervorhebung im Original; Fn. Ausgelassen]. 59 Vgl. zum rechtlichen Können und Dürfen des kleineren Rechtserzeugerkreises oben A.II.2.c)bb).
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WVK dem IGH zur Entscheidung vorgelegt werden kann. Der IGH hat aber ausgesprochen, dass seine Jurisdiktion nur gegeben ist, wenn die Streitparteien diese akzeptiert haben, unabhängig davon ob eine ius cogensBestimmung oder eine andere völkerrechtliche Bestimmung verletzt wurde.60 D.h., dass über die etwaige Nichtigkeit einer mit ius cogens konfligierenden Bestimmung gerichtlich nicht entschieden werden kann, wenn ein Staat die Jurisdiktion des IGH nicht akzeptiert hat.61 Dieses potentielle Jurisdiktionshindernis ändert aber nichts an der (theoretischen) rechtsvernichtenden Wirkung des zwingenden Völkerrechts. Die Frage, wie weitreichend diese Nichtigkeitsfolge darüber hinaus noch gehen kann, d.h. inwieweit zwingendes Völkerrecht auch nationales Recht derogieren kann, ist sodann allerdings keine Frage von ius cogens. Ius cogens-Normen basieren auf dem Inhalt der allgemeinen Normen des Völkerrechts, denen, auf Grund ihrer für die internationale Gemeinschaft erachteten Wichtigkeit, ius cogens-Charakter verliehen wird. Dementsprechend gilt auch für ius cogensBestimmungen weiterhin die bereits zuvor getroffene Unterscheidung in Bestimmungen, die schlicht anwendbar sind, also Bestimmungen, die ihrem Inhalt nach ausschließlich zwischenstaatliche Wirkung entfalten. Darüber hinaus kann aber auch der Regelungsinhalt einer allgemeinen Norm des Völkerrechts die unmittelbare Anwendbarkeit als Folge anordnen oder aber eine individualisierende Wirkung für das Individuum auslösen. Inwiefern ius cogens-Normen in den nationalen Rechtserzeugerkreis hineinwirken, bestimmt also die zu Grunde liegende Bestimmung des allgemeinen Völkerrechts, welcher sodann ius cogens-Charakter verliehen wird. Dies folgt daraus, dass der ius cogens-Charakter nicht an einen bestimmten Inhalt geknüpft ist. Selbst wenn eine moralische Vorstellung dafür verantwortlich ist, dass die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit einer Bestimmung ius cogens-Charakter verleiht, verändert dies nicht den Inhalt der zugrundeliegenden Bestimmung. Die allgemeine Trennung von rechtlichen und moralischen Normen gilt folglich gleichermaßen für ius cogens-Normen wie für alle anderen rechtlichen Normen.62 Gleichermaßen, wie bei sonstigem Völkerrecht, bestimmt sich die (mögliche) Auswirkung auf das nationale Recht nach dem, was die jeweilige allgemeine Norm des Völkerrechts 60 Siehe dafür IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002) (Democratic Republic of the Congo vs. Rwanda), Urteil über die Jurisdiktion und Zulässigkeit vom 3. Februar 2006, ICJ Rep. (2006), 6, Rz. 125: „Finally, the Court deems it necessary to recall that the mere fact that rights and obligations erga omnes or peremptory norms of general international law (jus cogens) are at issue in a dispute cannot in itself constitute an exception to the principle that its jurisdiction always depends on the consent of the parties“. 61 Vgl. dazu H. Krieger, Article 66, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 16. 62 Siehe dazu oben A.II.1.e).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
umfasst. Demzufolge ist auch für zwingendes Völkerrecht entscheidend, inwiefern die allgemeine Norm des Völkerrechts unmittelbar anwendbar oder individualisierend ist. Der ius cogens-Charakter stellt sodann lediglich die Rechtsfolge, nämlich die Nichtigkeit einer mit dieser zwingenden Norm potentiell konfligierenden Regelung fest.63 Dies widerspiegelt auch der „double consent test“, welcher der Entstehung von ius cogens-Normen zu Grunde liegt.64 Der zweite Konsens verleiht einer allgemeinen Norm des Völkerrechts ius cogens-Charakter. Auch wenn die Norm nur noch unter erschwerten Bedingungen ab- bzw. veränderbar ist, so bleibt die prinzipielle Ausrichtung der Norm als schlicht anwendbare, individualisierende oder unmittelbar anwendbare Norm erhalten. Je nachdem welche ius cogens-Norm betroffen ist, kann dies wie auch bei anderen völkerrechtlichen Regelungen zu einer divergierenden Sichtweise bezüglich der Wirkung von ius cogensBestimmung im nationalen Recht führen. Ob eine Bestimmung eines internationalen Rechtserzeugerkreises überhaupt mit einer Bestimmung des nationalen Rechtserzeugerkreises konfligieren kann, hängt nämlich von der Unterscheidung zwischen schlicht anwendbaren, unmittelbar anwendbaren oder individualisierenden Normen ab. Die Wirkung auf innerstaatliches Recht besteht folglich „nur“ dann, wenn diese Wirkung bereits von der allgemein anerkannten Norm des Völkerrechts als Basis einer jeden ius cogens-Bestimmung ausgeht. Ordnet diese allgemein anerkannte Norm entweder die unmittelbare Anwendbarkeit oder die Individualisierung an, so ist die ius cogens-Norm für das Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht relevant. Ist diese allgemeine Norm eine rein zwischenstaatliche, so ändert auch der ius cogens-Charakter nichts daran. Dies soll anhand eines Judikats des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien65 veranschaulicht werden. Wörtlich heißt es Dort zur ius cogens-Norm „Folterverbot“: „Clearly, the jus cogens nature of the prohibition against torture articulates the notion that the prohibition has now become one of the most fundamental standards of the international community. Furthermore, this prohibition is designed to produce a deterrent effect, in that it signals to all members of the international community and the individuals over whom they wield authority that the prohibition of torture is an absolute value from which nobody must deviate.“66 63
Für eine generelle Derogationswirkung auch gegenüber nationalem Recht siehe aber bspw. H. Keller, Rezeption des Völkerrechts (2003), 725; ähnlich wohl auch D. Shelton, Introduction, in: D. Shelton (Hrsg.), International law and domestic legal systems – Incorporation, transformation, and persuasion (2011), 1 (7). 64 Siehe dazu zuvor B.III.1.a)bb). 65 Auf Englisch International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY). 66 ICTY, Prosecutor vs. A. Furundzija, TC, Urteil vom 10. Dezember 1998, IT-95-17/1 Rz. 154 [Hervorhebung vom Verfasser].
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Diese Wortwahl des Strafgerichtshofs kann folglich so gedeutet werden, dass die Durchschlagskraft von der ius cogens-Norm „Folterverbot“ als eine unmittelbar anwendbare Bestimmung betrachtet wird, indem diese ius cogens-Norm auch ihr widersprechendes nationales Recht derogiert. Die unmittelbare Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Bestimmungen bezieht sich darauf, ob die völkerrechtliche Norm unmittelbar, also ohne Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Rechtssetzungs-Aktes außer der Ratifikation von einem innerstaatlichen, rechtsanwendenden Organ unmittelbar angewendet werden muss.67 Hat die unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Bestimmung ius cogens-Charakter, so kann der kleinere nationale Rechtserzeugerkreis gar keine konfligierende nationale Bestimmung erlassen, weil der größtmögliche Rechtserzeugerkreis dem kleineren nationalen Rechtserzeugerkreis die Rechtsfolge der Nichtigkeit ex tunc diktiert.68 Ein nationaler Richter muss folglich die Nichtigkeit jedweden nationalen Rechts aussprechen, welches dem ius cogens-Folterverbot widerspricht. Dementsprechend würden durch das ius cogens-Folterverbot auch über den innerstaatlichen Richter für Individuen subjektive Rechte wie Pflichten auferlegt. Anders formuliert: Die Nichtigkeitssanktion des völkerrechtlichen Folterverbots mit ius cogens-Charakter wirkt sich durch die unmittelbare Anwendbarkeit des Folterverbots dahingehend aus, dass dieses auch für nationales Recht (egal welchen Ranges) maßstabgebend ist. Sie geht nationalem Recht nicht nur vor, sondern sorgt auch für dessen Nichtigkeit und verhindert damit das Entstehen neuer potentiell konfligierender nationaler Normen.69 Wird allerdings der nächste Absatz des Urteils in Betracht gezogen, kann auch eine abweichende Schlussfolgerung gezogen werden. Diese wirkt sich allerdings wie bereits angesprochen nur auf die unmittelbare Anwendbarkeit des Folterverbots aus und nicht auf die prinzipielle Konzeption von ius cogens-Normen an sich: „The fact that torture is prohibited by a peremptory norm of international law has other effects at the inter-state and individual levels. At the inter-state level, it serves to internationally de-legitimise any legislative, administrative or judicial act authorising torture. [. . .] If such a situation were to arise, that national measures, violating the general principle and any relevant treaty provision, would produce 67
Siehe dazu oben A.I.5.b). Siehe dazu oben A.II.2.c)bb). 69 So wohl A. Fischer-Lescano/S. Kommer, Zwingende Menschenrechte und ihre Durchsetzung in der Weltgesellschaft, in: H. J. Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken – 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (2009), 91 (98), die daraus aber auf eine generelle Wirkung von ius cogens-Normen schließen. A. A. dazu A. L. Paulus, Jus cogens in a time of hegemony and fragmentation – An attempt at a re-appraisal, 74 Nordic JIL (2005), 297 (319, 323). 68
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the legal effects discussed above and in addition would not be accorded international legal recognition. [. . .] In short, in spite of possible national authorization by legislative or judicial bodies to violate the principle banning torture, individuals remain bound to comply with that principle.“70
Diese Ausführungen rücken die Auffassung des ICTY in ein anderes Licht. Weniger eine unmittelbare Anwendbarkeit als vielmehr die individualisierende Wirkung des ius cogens-Folterverbots scheint gemeint zu sein. D.h. das Folterverbot ist eine völkerrechtliche Bestimmung, die direkt an das Individuum adressiert ist, ohne dass der Staat mediatisierend einschreitet.71 Der internationale Rechtspruchkörper, hier das ICTY, würde entsprechend der zuletzt zitierten Passage nicht direkt eine Durchgriffswirkung des ius cogens-Folterverbots auf innerstaatliches Recht reklamieren. Vielmehr betrachtet es die widersprechende nationale Bestimmung aus völkerrechtlicher Perspektive für das völkerrechtliche Folterverbot als schlichtweg nicht existent. Das Verhalten des Individuums, welches dem völkerrechtlichen ius cogens-Folterverbot widerspricht, bleibt aber nicht ohne Sanktion, da von dem völkerrechtlichen Folterverbot eine individualisierende Wirkung ausgeht. Das ius cogens-Folterverbot legt somit dem Individuum direkt durch das Völkerrecht – ohne den Staat als Mediator – Pflichten auf. Das zuwiderhandelnde Individuum wird folglich durch die Individualisierung des Völkerrechts direkt vor internationalen Rechtspruchkörpern zur Verantwortung gezogen. Das völkerrechtliche Folterverbot als ius cogens-Norm wirkt somit – in der hier gewählten Terminologie – individualisierend.72 Erweitert wird dies durch eine Universalkompetenz von Vertragsstaaten der UN-Folterkonvention zur strafrechtlichen Verfolgung, was auch durch ein kürzlich ergangenes Urteil des IGH73 wie auch der Zulässigkeitsentscheidung des EGMR in der Rechtssache Ely Ould Dah bestätigt wird74. 70 ICTY, Prosecutor vs. A. Furundzija (Fn. 66), Rz. 155 [Hervorhebung und Absatz durch Verfasser]; so auch ICTY, Prosecutor vs. Delalic et al., TC, Urteil vom 16. November 1998, IT-96-21, Rz. 454; und ICTY, Prosecutor vs. Kunarac et al., TC, Urteil vom 22. Februar. 2001, IT-96-23, IT-96-23/1, Rz. 466. 71 Siehe dazu oben A.I.5.c). 72 So wohl auch A. L. Paulus, 74 Nordic JIL (Fn. 69), 319, wenn er sagt: „This obiter dictum [das besagte Urteil des ICTY] falls just short of requiring the direct effect of jus cogens in domestic law if not provided for therein. But it holds individuals accountable for jus cogens violations notwithstanding domestic law to the contrary; and allows other States or successor régimes to disregard domestic law in favour of international jus cogens.“ 73 IGH, Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Belgium v. Senegal), Urteil vom 20. Juli 2012, Rz. 64 ff. 74 Siehe so auch EGMR, Ely Ould Dah vs. France, Zulässigkeitsentscheidung vom 17. März 2009, Beschwerde Nr. 13113/03 16 dt. Übersetzung bei Newsletter Menschenrechte (2009), 67 ff.
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Die Bestimmung des Folterverbots ist somit zusätzlich zu ihrer individualisierenden Wirkung auch eine unmittelbar anwendbare Erlaubnisnorm in Bezug auf die strafrechtliche Verfolgung. Siehe dafür: „[P]erpetrators of torture acting upon or benefiting from those national measures may nevertheless be held criminally responsible for torture, whether in a foreign State, or in their own State under a subsequent regime.“75
Die an der allgemeinen Norm des Völkerrechts anknüpfende Frage der Wirkung auf das innerstaatliche Recht, lässt sich auch anhand einer zweiten Bestimmung mit ius cogens-Charakter illustrieren. Wie das Folterverbot hat auch das internationale Gewaltverbot (the prohibition of use of force) ius cogens-Charakter.76 Das Gewaltverbot richtet sich an die Staaten, wirkt also im zwischenstaatlichen Bereich. Dementsprechend richtet und wirkt es nicht gegenüber Individuen oder innerhalb einer nationalen Rechtsordnung. Der ius cogens-Charakter des Gewaltverbots ändert daran nichts. Er verändert die allgemeine Norm des Völkerrechts nicht inhaltlich. Vielmehr wird schlicht die rechtliche Sanktionsfolge der Nichtigkeit und die erschwerte Modifikation,77 die wiederum ausschließlich durch die „Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit“ erfolgen kann, durch den ius cogensCharakter bewirkt. In diese Argumentationslinie lässt sich auch das kürzlich ergangene IGH Urteil einreihen, indem ius cogens-Normen keine zusätzliche prozessuale Wirkung eingeräumt wurde, welche in dem konkreten Fall die Immunität Deutschlands aufheben hätte können.78 Vielmehr orientiert sich der Inhalt, sei er materieller oder prozessualer Natur, an der allgemeinen Norm des Völkerrechts, welche die Basis für jede ius cogens-Norm darstellt. Inwiefern folglich eine bestimmte Norm mit einer ius cogens-Bestimmung kollidiert, hängt davon ab, ob ein Normkonflikt zwischen der in Frage stehenden Norm und der allgemeinen Norm des Völkerrechts (welche ius cogens-Charakter besitzt) besteht. Wird versucht ius cogens und sein Verhältnis zu anderweitigem internationalem wie aber auch nationalem Recht anhand der Stufenbaulehre zu be75 ICTY, Prosecutor vs. A. Furundzija (Fn. 66), Rz. 155; so auch ICTY, Prosecutor vs. Delalic et al., TC, Urteil vom 16. November 1998, IT-96-21, Rz. 454; und ICTY, Prosecutor vs. Kunarac et al., TC, Urteil vom 22. Februar. 2001, IT-96-23, IT-96-23/1, Rz. 466. 76 Siehe dazu die separate opinion von Richter Singh in IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Merits, Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. (1986), 151, (153); wie auch K. Schmalenbach, Article 53 (Fn. 303), Rz. 81 m. w. N. in Fn. 278. 77 Siehe dazu Art. 53 WVK: „die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann“. 78 Siehe IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany vs. Italy: Greece Intervening), Urteil vom 3. Februar 2012, Rz. 92 f.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
schreiben, so kann in diesem Fall das Bild des Stufenbaus nach der derogatorischen Kraft79 bemüht werden. Ius cogens-Bestimmungen sind von der Willensübereinkunft des größtmöglichen Rechtserzeugerkreises getragen. Außerdem dürfen sie nur von anderen (neuen) ius cogens-Normen abgeändert werden. Von ihnen geht die stärkste und weitestgehende Derogationskraft aus, vorausgesetzt ein Normenkonflikt besteht.80 Dafür ist dieser Stufenbau mit den engen materiellen Grenzen der ius cogens-Normen stark begrenzt, was zugleich der Grund dafür ist, dass der Stufenbau nach dem Delegationszusammenhang nicht sinnvoll herangezogen werden kann. Eine Realität, die durch die Relativität des größeren Rechtserzeugerkreises erklärt werden kann.81 Der größtmögliche Rechtserzeugerkreis umfasst die größtmögliche Gemeinschaft an Rechtserzeugern, die sich (noch) nicht auf eine materiell umfassende Willensübereinkunft von zwingenden, also für alle Individuen grundlegenden, Bestimmungen einigen konnte. Dementsprechend kann das Bild des Stufenbaus nach der derogatorischen Kraft bei der Erklärung vom Verhältnis von ius cogens-Normen zu weiterem Recht täuschen, wenn die engen materiellen Grenzen der an zwei Händen abzählbaren ius cogens-Bestimmungen nicht mitgedacht werden. b) Ius cogens und die österreichische Rechtsordnung Der Unsicherheit des zwingenden Völkerrechts als eigenständiger Rechtsquelle sowie dessen relativ junge Entwicklungsgeschichte ist die Nichterwähnung bzw. Nichtanknüpfung im B-VG geschuldet. Österreich hat zum einen aber die WVK ratifiziert, wonach entsprechend Art. 53 WVK auch in Österreich gilt. Zum anderen wurde bereits die völkergewohnheitsrechtliche Geltung von ius cogens angesprochen, worüber ebenfalls eine Subsumtion unter Art. 9 Abs. 1 B-VG, welcher die „[d]ie allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts [. . .] als Bestandteil des Bundesrechts“82 normiert, einschlägig ist. Ohne der noch folgenden Interpretation sowohl bezüglich des Völkervertrags- als auch des Völkergewohnheitsrechts vorgreifen zu wollen,83 sei an dieser Stelle betont, dass sich nach Ansicht des Verfassers die Wirkung von allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, wie überhaupt Regeln des Völkerrechts im nationalen Recht, nicht eindimensional beantworten lässt. Wie zuvor gesagt, ist dabei je nach ius cogens-Bestimmung zu unterscheiden. Während einige ius cogens-Normen rein zwischen79 80 81 82 83
Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe
dazu oben A.II.2.f)aa). dafür oben, S. 112, insbes. Fn. 56. dazu oben A.III.3. BGBl. 1/1930. zur unten B.III.2. und 3.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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staatliche Bestimmungen sind und sich deren Wirkung in der hier gewählten Terminologie dementsprechend auf eine schlichte Anwendbarkeit beschränkt, haben andere ius cogens-Normen durchaus eine individualisierende Wirkung oder sind unmittelbar anwendbar. Ist dies der Fall, d.h. wird z. B. das zwingende völkerrechtliche Folterverbot als unmittelbar anwendbar ausgelegt,84 so kann diese Bestimmung auch nicht von innerstaatlichem Recht, gleichgültig welchen Ranges, derogiert werden. Die Beurteilung der Anwendbarkeit von ius cogens-Bestimmungen im nationalen Recht orientiert sich an der jeweiligen allgemeinen Norm des Völkerrechts, welcher der ius cogens-Charakter verliehen wurde.85 Den österreichischen Gerichten ist das zwingende Völkerrecht nicht fremd.86 Dennoch kann aus der bisherigen Judikatur nicht geschlossen werden, wie Österreichs Judikative einen etwaigen Normenkonflikt zwischen einer ius cogens-Norm und einer nationalen Norm handhaben würde. Während der OGH in der Entscheidungen vom 15. Dezember 1998 die Anwendung einer etwaigen ius cogens-Bestimmung „dahingestellt“87 ließ, rezitiert er in der Entscheidung vom 30. September 2008 bloß das EuG, ohne selbst direkt Stellung zu nehmen.88 Grundsätzlich ist der österreichischen Verfassungsrechtsordnung eine ex tunc Nichtigkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes fremd.89 Ein verfassungswidriges Gesetz wird ex nunc aufgehoben. Art. 140 Abs. 5 B-VG besagt, dass die Aufhebung „mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft“ tritt. Art. 140 Abs. 7 B-VG privilegiert nur denjenigen, der den Anlassfall vor den VfGH gebracht hat, indem bei erfolgreichem Klagsvorbringen die Aufhebung für ihn rückwirkend wirkt. Art. 140 Abs. 7 B-VG ermöglicht es dem VfGH, eine „erweiterte Anlassfallwirkung“ anzuordnen.90 Das verfassungswidrige Gesetz ist dadurch aber 84 Siehe dazu oben erstere Interpretation von ICTY, Prosecutor vs. A. Furundzija (Fn. 66), Rz. 154 bei B.III.1.a)cc). 85 So wohl auch OGH, Entscheidung vom 12. Juli 2007, Bsw74613/01: „Nach Art. I Völkermordkonvention besteht jedoch eine erga omnes Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Verhinderung und Verfolgung von Völkermord, dessen Verbot als jus cogens gilt. Angesichts dessen ist die Auffassung der innerstaatlichen Gerichte, der Zweck der Völkermordkonvention, wie er insbesondere in Art. VI zum Ausdruck käme, schließe die Jurisdiktion für die Bestrafung von Völkermord durch Staaten nicht aus, deren Gesetze in dieser Hinsicht eine Extraterritorialität vorsehen, als angemessen – und überzeugend – anzusehen.“ 86 Siehe ibid., wie auch OGH, Entscheidung vom 15. Dezember 1998, 11Os139/98; OGH, Entscheidung vom 30. September 2008, 1Ob225/07f. 87 Siehe dazu OGH, Entscheidung vom 15. Dezember 1998 (Fn. 86). 88 Siehe dazu OGH, Entscheidung vom 30. September 2008 (Fn. 86), Rz. 4.3. 89 Vgl. dazu nur W. Berka, Lehrbuch des Verfassungsrecht2 (2008), 300. 90 Von dieser Möglichkeit hat der VfGH, Erkenntnis vom 26. Januar 1978, VfSlg. 8233/1978, Slg. Bd. 43, 16, 21, Rz. IV, Gebrauch gemacht, indem er eine generelle
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
ebenfalls nicht ex tunc vernichtet. Gemäß der Lehre vom Fehlerkalkül91 wird prinzipiell mit Fehlern bei der Normerzeugung kalkuliert. Bestimmte Fehler führen daher nur zu der Vernichtbarkeit einer fehlerhaften Norm. Nur Normen, die gem. Art. 89 Abs. 1 B-VG nicht gehörig kundgemacht wurden, sind absolut nichtig.92 Als weitere Ausnahme ist Art. 67 Abs. 2 B-VG zu nennen, wonach alle Akte des Bundespräsidenten ohne Gegenzeichnung ebenso wenig rechtsgültig entstehen können.93 Ohne argumentative Verrenkungen passen die angeführten Ausnahmen, die die Nichtigkeit von verfassungswidrigen Gesetzen zur Folge haben, nicht für den hier diskutierten Fall, des Konflikts einer nationalen Bestimmung mit einer ius cogens-Norm. Gemäß der herrschenden Rezeptionslehre müssen völkerrechtliche Normen in die nationale Rechtsordnung integriert werden, um innerstaatlich Wirkung zu entfalten.94 Mit dieser Integration wird der internationalen Bestimmung ein bestimmter Rang in der nationalen Stufenbauordnung zugeteilt. Demgemäß erscheint es unwahrscheinlich, dass dem zwingenden Völkerrecht zugestanden wird, die grundlegende Ausrichtung der österreichischen Rechtsordnung zu ändern, welche die bloße Aufhebung von verfassungswidrigen Gesetzen zu Gunsten des Prinzips der Rechtsbeständigkeit vorsieht. Der größtmögliche internationale Rechtserzeugerkreis hat für Verstöße gegen ius cogens-Normen allerdings die Sanktionsfolge der Nichtigkeit festgelegt. Der nationale Rechtserzeugerkreis kann demzufolge rechtlich von zwingendem Völkerrecht gar nicht abweichen. Mit ius cogens-Normen konfligierende Bestimmungen des nationalen Rechtserzeugerkreises sind von vornherein nichtig. Entsprechend der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises ist auch der kleinere, österreichische Rechtserzeugerkreis an diese Rechtsfolge gebunden. Sollte der VfGH in die Lage kommen, feststellen zu müssen, dass eine nationale Bestimmung mit einer ius cogens-Norm konfligiert, muss er die absolute Nichtigkeit der österreichischen Bestimmung nach Rückwirkung der Aufhebung ausgesprochen hat. Vgl. dazu W. Berka, Lehrbuch2 (Fn. 89), 301. 91 Siehe dafür Grundlegend A. J. Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft entwickelt aus dem Rechtsbegriff – Eine rechtstheoretische Untersuchung (1923), 277, 293 f.; id., Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: A. Verdross (Hrsg.), FS Hans Kelsen (1931), 252 (293 f.). Vgl. auch B. Kneihs, Kundmachung, Geltung, Fehlerkalkül (2011), 7 ff. 92 Siehe dazu W. Berka, Lehrbuch2 (Fn. 89), 291; ebenso B. Kneihs, Kundmachung, (Fn. 91), 13 m. w. N. in Fn. 24. 93 Siehe hierzu S. L. Frank, Artikel 67, in: B. Kneihs/G. Lienbacher (Hrsg.), RillSchäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (8. Lfg., 2011), Rz. 14 m. w. N. Für die Diskussion weiterer, wenn auch historischer, Fälle absoluter Nichtigkeit, siehe E. Wiederin, Münchhausen in der Praxis des Staatsrechts, in: C. Jabloner et al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift Robert Walter (2013), 865 (872 f.; 884 f.). 94 Siehe dafür die in Fn. 9 angeführte Literatur.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises judizieren. Ebenso wäre die Rechtsfolge der Nichtigkeit von einem internationalen Rechtspruchkörper auszusprechen, würde eine österreichische Bestimmung zwingendes Völkerrecht verletzen. Diese weitreichende Konsequenz für die österreichische Rechtsordnung wird freilich dadurch relativiert, dass aktuell geltende ius cogens-Bestimmungen nahezu an einer Hand abgezählt werden können.95 Darüber hinaus verkörpern diese Bestimmungen derart fundamentale Grundsätze, dass ein Normkonflikt zwischen ius cogens-Normen und einer österreichischen Bestimmung als unwahrscheinlich gelten kann. 2. Der völkerrechtliche Vertrag a) Völkerrechtliche Grundlagen aa) Allgemeines Als eine der ältesten Rechtsquellen des internationalen Rechts ist der Vertrag festgeschrieben in Art. 38 Abs. 1 lit. a) IGH Statut.96 In der WVK wurde sodann in Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Vertrag definiert als: „eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat; [. . .].“97
Eine ähnliche Definition ist in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WVK über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (WVKIO) enthalten, die allerdings noch nicht in Kraft getreten ist.98 Als zentraler Bestandteil dieser Definitio95
Siehe dazu bereits oben, B.III.1.a)aa), S. 120, Fn. 56. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut (BGBl. 249/71): „Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitfälle nach Völkerrecht zu entscheiden, wendet an: Die internationalen Abkommen allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den im Streit befindlichen Staaten ausdrücklich anerkannte Normen aufgestellt sind“. 97 Siehe BGBl. 40/1980. Vgl. dazu allg. K. Schmalenbach, Article 2, in: O. Dörr/ K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012). 98 Im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a) WVKIO: „bedeutet Vertrag eine vom Völkerrecht bestimmte und in Schriftform geschlossene internationale Übereinkunft i) zwischen einem oder mehreren Staaten und einer oder mehreren internationalen Organisationen oder ii) zwischen internationalen Organisationen, gleichviel ob diese Übereinkunft in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche Bezeichnung sie hat“. 96
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
nen kann die als verbindlich erachtete Willensübereinkunft zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten herausgestrichen werden.99 M. a. W., die in dieser Arbeit gewählte Definition des Rechts findet sich in der Definition des Vertrages auf völkerrechtlicher Ebene wieder. Zentral für das Zustandekommen dementsprechender Willensübereinkünfte sind die Rechtssubjekte des Völkerrechts mit Rechtssetzungsfähigkeit. Das sind zu allererst Staaten, aber auch internationale Organisationen.100 Mittlerweile ist ebenso unumstritten, dass Individuen partielle Völkerrechtssubjektivität zukommt.101 Über die Definition des Rechtserzeugerkreises wurde eine partielle aktive Völkerrechtssubjektivität natürlicher Personen vertreten, die trotz der Repräsentation durch Staaten im völkerrechtlichen Verkehr aufrechterhalten wurde.102 Die Abgabe der Willensäußerung, welche den völkerrechtlichen Vertrag zu Stande kommen lässt, ist den Staatsorganen bzw. den Organen bestimmter zur Vertragsschließung befähigter internationaler Organisationen in Vertretung der diesen Willen begründenden natürlichen Personen vorbehalten.103 Entsprechend diesen Ausführungen sind Individuen deshalb teilweise, aktive Völkerrechtssubjekte, weil die Abgabe der Willenserklärung eines nationalen Rechtserzeugerkreises auf dem Willen aller diesem Rechtserzeugerkreis angehörigen Individuen ruht. Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich dennoch v. a. auf den Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch Staaten, was in Anbetracht des Themas dieser Arbeit als gerechtfertigt erscheint. 99 Vgl. auch die Definition bei T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 104: „Ein völkerrechtlicher Vertrag ist gemäß einem allgemeinen Vertragsbegriff ein auf Willensübereinstimmung der beteiligten Parteien beruhendes zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft.“ Siehe auch K. Berchtold, Der Bundespräsident (1969), 127: „übereinstimmende Willenserklärung zwischen Völkerrechtssubjekten“. Vgl. zur Abgrenzung zu nicht verbindlichen Willensübereinkünften M. Rotter, Völkerrechtlicher Vertrag und außerrechtliche Abmachung, in: R Marcic et al. (Hrsg.), FS Alfred Verdross (1971), 413 ff.; wie auch P. Gautier, Non-binding agreements, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2006). 100 Der Heilige Stuhl, das Rote Kreuz wie der Malteserorden werden hier außer Acht gelassen. 101 Vgl. zum Thema völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten und Individuen bzw. Unternehmen K. Schmalenbach, Article 3, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 64 ff. m. w. N. Vgl. allg. zum Individuum im Völkerrecht M. W. Janis, Individuals as subjects of international law, 17 Cornell ILJ (1984), 61 ff.; wie auch C. Walter, Subjects of international law, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2007), Rz. 18; A. Bleckmann, Völkerrechtssubjekte, in: I. Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Völkerrechts3 (2001), 517 (518); und K. Parlett, The individual in the international system (2011). 102 Siehe oben A.II.2.h), insbes. Fn. 236. 103 Siehe dazu schon oben A.II.2.h), S. 104 f.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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bb) Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages Der Vertrag im Völkerrecht ist i. d. R. eine schriftliche Übereinkunft, die von einem übereinstimmenden Willen zweier oder mehrerer Rechtssubjekte des Völkerrechts getragen wird. Sind (annähernd) alle Staaten der Welt Vertragsparteien eines bestimmten Vertrages, wird dieser als (beinahe) universaler Vertrag bezeichnet.104 Die UN-Charta wäre ein Beispiel dafür. Die Steigerung von bi- zu multilateralen Verträgen kann auch mit der zunehmenden Größe des Rechtserzeugerkreises umschrieben werden, welche im größtmöglichen Rechtserzeugerkreis, dem vollkommen universalen Vertrag mündet. Das Zustandekommen des Vertrages hängt, entsprechend dem zentralen Element des Vertrages überhaupt, von der Willensübereinkunft der Vertragsparteien ab. Das innerstaatliche Verfassungsrecht stellt die benötigten Ermächtigungsnormen für die jeweiligen Staatsorgane zur Abgabe dieses Willens. Auf internationaler Ebene regelt Art. 7 WVK die aus der Sicht des größeren Rechtserzeugerkreises benötigte Vollmacht zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Vom Völkergewohnheitsrecht ist das sogenannte Vollmachtsprinzip erfasst, das den Nachweis der Art und des Umfangs einer Vollmacht von am internationalen Verkehr beteiligten Organen verlangt. Davon ausgenommen sind Situationen, bei denen die Vollmacht offenkundig den Umständen nach gegeben ist (Art. 7 Abs. 1 WVK). Darüber hinaus gelten Staatsoberhäupter, Regierungschefs wie Außenminister als ohne weiteren Nachweis befugt, für den Staat den sie repräsentieren völkerrechtlich gültige Willensübereinkünfte zu treffen (Art. 7 Abs. 2 lit. a) WVK).105 Innerstaatliche Ermächtigungsnormen spielen auf der völkerrechtlichen Ebene im Rahmen des Art. 46 WVK eine gewisse Rolle. Wie bereits ausgeführt,106 besagt Art. 46 WVK allerdings nur, dass der geschlossene Vertrag anfechtbar ist insofern für die andere Vertragspartei eine offenkundige innerstaatliche Unzuständigkeit des vertragsschließenden Organs gegeben war. Von Art. 46 WVK ist also nur ein materiell eng abgesteckter Bereich umfasst, welcher sich auf prozessuale Kompetenzzuteilungen des nationalen Rechts beschränkt. Etwaige Verletzungen der nationalen Zuständigkeitsverteilung sind gem. Art. 46 WVK sodann als Vorfrage von Art. 27 WVK zu klären. Ist Art. 46 WVK, der als Ausnahme zur generellen Nichteinwendbarkeit 104 Vgl. zu den Unterscheidungsmerkmalen von völkerrechtlichen Verträgen ibid., Rz. 8 ff. 105 Siehe F. Hoffmeister, Article 7, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 20 ff.; wie auch W. Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht5 (2004), 112 (125 f.). 106 Siehe dazu oben A.III.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
von innerstaatlichem Recht gegenüber internationalem Recht ausgestaltet ist, nicht anwendbar, gilt Art. 27 WVK vollumfänglich.107 Der Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen findet entweder in einem einfachen oder einem zusammengesetzten Verfahren statt.108 Ohne auf Details einzugehen, rückt hier das zentrale Element der Willensübereinkunft in den Fokus der Betrachtung. Zuvor wurde die partielle aktive Völkerrechtssubjektivität von natürlichen Personen thematisiert, welche die konstituierenden Mitglieder des internationalen Rechtserzeugerkreises darstellen. Dementsprechend ist es beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages entscheidend, dass sich die verbindliche Willensäußerung der organschaftlichen Staatenvertreter mit dem Willen der Individuen deckt. M. a. W., die Willensübereinkunft muss vom Willen der Mitglieder des nationalen Rechtserzeugerkreises getragen sein. Für bestimmte, nicht grundlegende völkerrechtliche Verträge gibt es i. d. R. gewisse Ermächtigungsnormen im innerstaatlichen Recht, die auf völkerrechtlicher Ebene den Vertragsschluss in einem einfachen Verfahren, also bereits durch die Unterzeichnung bzw. den Austausch von Urkunden, ermöglichen (Art. 12 WVK). Dementsprechend treten solche Verträge mit der Unterzeichnung in Kraft.109 Für grundlegende Materien wird in einem zusammengesetzten Verfahren der von staatlichen Repräsentanten im sogenannten Vorverfahren ausgehandelte und unterzeichnete Vertrag zusätzlich den nationalen Parlamenten vorgelegt (Art. 14 WVK).110 In diesem innerstaatlichen Zustimmungsverfahren wird sodann die ausdrückliche Zustimmung des innerstaatlich zuständigen Organs, also i. d. R. des nationalen Parlaments eingeholt. Damit entsteht der direkte Konnex zu den natürlichen Personen des nationalen Rechtserzeugerkreises, von denen die Abgeordneten im Parlament i. d. R. direkt gewählt werden. Wurde für dieses Verfahren die Zustimmung des nationalen Rechtserzeugerkreises eingeholt, kann wiederum das bevollmächtigte Organ zum Handeln im internationalen Verkehr die „rückversicherte“ Willensäußerung 107 Siehe K. Schmalenbach, Article 27, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), The Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 2; wie T. Rensmann, Article 46, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 22. 108 Vgl. dazu ganz allg. W. Heintschel von Heinegg, Verträge (Fn. 105), 127 ff.; wie des Weiteren J. Klabbers, Treaties, Conclusion and entry into force, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2006), Rz. 2 ff. 109 Siehe dazu F. Hoffmeister, Article 12, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 14 ff. 110 F. Hoffmeister, Article 14, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 14 ff. Vgl. dazu bspw. des Weiteren die österreichische Rechtslage (Art. 50 B-VG), welche für alle „politischen Staatsverträge und Staatsverträge, die gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Inhalt haben“, das zusammengesetzte Verfahren verlangt.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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völkerrechtlich verbindlich abgeben. Dieser abschließende Vorgang wird als Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages bezeichnet. cc) Wirkung des völkerrechtlichen Vertrages I. d. R. wird ein bestimmtes Datum bzw. eine bestimmte Anzahl an ratifizierenden Staaten als Bedingung für das Inkrafttreten des Vertrages vereinbart. Dementsprechend wird meist die innerstaatliche Kundmachung bis zum Inkrafttreten aufgeschoben.111 Für den Großteil der herrschenden Lehre im Völkerrecht hat das Völkerrecht keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung. Vielmehr „forder[e] [das Völkerrecht] nur, daß es, aber sagt nicht, wie es im inländischen Recht durchgesetzt werden soll.“112 Diese Aufspaltung der Wirkung widerspricht der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises. Die verbindlich getroffene internationale Willensübereinkunft gilt entsprechend ihrer Vereinbarung für den sich dadurch konstituierenden internationalen Rechtserzeugerkreis. Der nationale Rechtserzeugerkreis besteht aus den Individuen, die ihm, also dem Staat angehören. Wie bereits dargelegt, hängt es rein am Willen der internationalen Rechtserzeuger, welchen Vertragsinhalt sie vereinbaren. Nach ihnen richtet sich auch die innerstaatliche Wirksamkeit des völkerrechtlichen Vertrages nach dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des Vertrages.113 Wenn die Willensübereinkunft des internationalen, größeren Rechtserzeugerkreises eine bestimmte Wirkung normiert, darf genau diese gewollte innerstaatliche Wirkung nicht von einer einseitig nachträglichen Willensentscheidung des kleineren, nationalen Rechtserzeugerkreises abhängig gemacht werden. Dies wird freilich dadurch relativiert, dass die große Mehrheit völkerrechtlicher Abkommen einen zwischenstaatlichen Inhalt hat (schlicht anwenbare Normen), welcher sich nur bedingt auf die innerstaatliche Ebene auswirkt.114 Je nach Inhalt der Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises können völkerrechtliche Verträge mit rein zwischenstaatlichen Inhalten aber auch mit unmittelbar anwendbaren oder individualisierenden Inhalten vereinbart werden.115 Werden ein 111 Vgl. dazu auch K. Zemanek, Das Völkervertragsrecht, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I (2004), 45 (60 f.). 112 J. Delbrück, Grundfragen der innerstaatlichen Geltung des Völkerrechts, in: G. Dahm et al. (Hrsg.), Völkerrecht2, Bd. I/1 (1988), 98 (101). Vgl. dazu auch S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 351 m. w. N. in Fn. 18; wie auch K. Doehring, Völkerrecht2 (2004), 17, welcher allerdings darauf hinweist, dass dies dann nicht gilt, wenn eine völkerrechtliche Vertragsbestimmung unmittelbar anwendbar ist. 113 Vorausgesetzt der nationale Rechtserzeugerkreis ist Vertragspartei. 114 Für die Wirkung von schlicht anwendbaren Normen des Völkerrechts siehe oben A.III.1. 115 Siehe dazu oben A.III.1.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Vertrag oder einzelne Bestimmungen daraus tatsächlich als unmittelbar anwendbar abgeschlossen, wird der Unterschied zwischen der herrschenden Lehre und der hier vertretenen Auffassung deutlich: Hat der internationale Rechtserzeugerkreis die unmittelbare Anwendbarkeit angeordnet, so darf diese nicht nachträglich, d.h. nach erfolgter Ratifikation einseitig von dem kleineren, nationalen Rechtserzeugerkreis aufgeschoben oder gar abgeändert werden. Ein Spezialfall ist das österreichische Konstrukt des Erfüllungsvorbehalts, das auf internationaler Ebene entweder als aufschiebende Bedingung zur Erfüllung der Willensübereinkunft oder als die Willensübereinkunft in ihrer Wirkung einschränkender Vorbehalt gedeutet werden kann. Darauf ist später im Detail einzugehen.116 b) Der völkerrechtliche Vertrag und die österreichische Rechtsordnung aa) Allgemeines Aufbauend auf den theoretischen Ausführungen zu der für jedwedes Recht grundlegenden Theorie des Rechtserzeugerkreises, kommt es bei der innerstaatlichen Bezugnahme auf den völkerrechtlichen Vertrag in der Verfassungsordnung darauf an, zu klären, durch wen und in welchen Materien der nationale Rechtserzeugerkreis gewillt ist Übereinkommen mit anderen nationalen Rechtserzeugerkreisen zu schließen. Im System des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes sind dementsprechend die Kompetenzbestimmungen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu ergründen. Aus historisch gewachsenen und ökonomisch nachvollziehbaren Gründen werden sowohl für das Ausverhandeln als auch zum Abschließen organschaftliche Vertreter des nationalen Rechtserzeugerkreises beauftragt diese Übereinkommen zu schließen.117 Freilich muss dennoch für die Auftraggeber, also für die Individuen des nationalen Rechtserzeugerkreises, erkennbar sein was vereinbart wurde. Eine Kundmachung in dem der innerstaatlichen Praxis üblichen Form eines Gesetzblattes scheint folglich unausweichlich. Eine Voraussetzung für die Geltung eines Übereinkommens ist diese Publikation allerdings nur dann, wenn dieser Geltungsvorbehalt im Auftrag des nationalen Vertreters entsprechend inkludiert war und auch vom Vertreter so in die Willensübereinkunft auf internationaler Ebene mit aufgenommen wurde. Nicht anders verhält es sich mit der rechtlichen Wirkung des völkerrechtlichen Vertrages. Sind der Vollmacht zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge nach nationalem Recht inhaltliche Grenzen gesetzt, muss sich der bevollmächtigte Vertreter des nationalen Rechtserzeu116 117
Siehe dazu aber unten B.III.2.c). Vgl. dazu T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 1 ff.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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gerkreises selbstverständlich daran halten. Tut er dies nicht, handelt er verfassungswidrig. Dies heißt aber nicht, dass auf internationaler Ebene keine gültige Willensübereinkunft zu Stande gekommen ist.118 Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass auf völkerrechtlicher Ebene keine Willensübereinkunft besteht, welche die Vertragsautonomie der Staaten begrenzt. Art. 46 WVK stellt primär auf den zuvor beschriebenen Fall der innerstaatlich verletzten Zuständigkeit ab.119 Anzumerken ist noch, dass teilweise eine Beschränkung der vollständigen Selbstaufgabe des kleineren nationalen Rechtserzeugerkreises durch völkerrechtliche Verträge in dem Selbstbestimmungsrecht der Völker als ius cogens-Bestimmung gesehen werden kann.120 Hier soll aber nicht auf die theoretischen Extremfälle eingegangen werden, sondern auf praktisch relevantere nicht das Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigende Verträge und Bestimmungen. Wird wie vorgeschlagen, von Extremfällen abgesehen und werden auch die grundlegendsten innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln nicht verletzt (Art. 46 WVK), so verbleiben auf der Ebene des größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises keine weiteren Einschränkungen für etwaige Willensübereinkünfte übrig. bb) Zuständigkeit nach dem B-VG Aus historischen Gründen ist die auswärtige Gewalt des Staates Sache der Exekutive.121 Dementsprechend vertritt der Bundespräsident die Republik Österreich nach außen und schließt Staatsverträge122 ab (Art. 65 Abs. 1 B-VG). Allerdings erkannten bereits Kommentatoren des frühen 19. Jahrhunderts die Missbrauchsgefahr dieser uneingeschränkten Kompetenz und forderten die Mitwirkung der Volksvertretung wenn völkerrechtliche Verträge Inhalte betrafen, die der Volksvertretung zur Regelung vorbehaltene Materien berührten.123 Art. 50 B-VG normiert deshalb als Voraussetzung zum Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen, die einen gesetzesändernden oder ergänzenden Inhalt haben eine verpflichtende Genehmigung durch 118 Siehe dazu die Diskussion oben zur (unmittelbaren) Anwendbarkeit in Bezug auf Art. 27 und 46 WVK A.III.1. 119 Siehe ibid. 120 Siehe oben A.II.3., Fn. 259. 121 Vgl. dazu ausführlich T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 1 ff., und insbes. 12 f. 122 Wird im B-VG durchwegs der Begriff der Staatsverträge verwendet, so sind damit doch alle völkerrechtlichen Verträge gemeint. Siehe dazu T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 103 m. w. N. Dementsprechend werden hier die Termini Staatsvertrag und völkerrechtlicher Vertrag synonym verwendet. 123 Siehe dazu T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 17 f.; wie B. Constant, Cours de politique constitutionelle, Bd. I (1836), 197; und H.-W. Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge im deutschen parlamentarischen Regierungssystem (1969), 74 ff. m. w. N.
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den Nationalrat. Dieses Verfahren entspricht dem oben beschriebenen zusammengesetzten Verfahren.124 Für diejenigen völkerrechtlichen Verträge, die nicht unter das innerstaatliche, parlamentarische Zustimmungsverfahren gem. Art. 50 B-VG fallen, kann der Bundespräsident die Bundesregierung oder die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung zum Vertragsabschluss ermächtigen (Art. 66 Abs. 2 B-VG). In einer Entschließung125 vom 31. Dezember 1920 wurde dementsprechend die Bundesregierung zum Abschluss von Regierungsübereinkommen, die zuständigen Bundesminister i. V. m. mit dem Außenminister zum Abschluss von Ressortübereinkommen und die jeweiligen Bundesminister zum Abschluss von Verwaltungsübereinkommen ermächtigt.126 Art. 10 Abs. 1 Z. 2 B-VG legt die Kompetenz zum Abschluss von Staatsverträgen in die Hände des Bundes. Dies gilt unbeschadet von Art. 16 Abs. 1 B-VG, welcher die Länder in ihrem selbständigen Wirkungsbereich dazu ermächtigt völkerrechtliche Verträge mit an Österreich grenzende Staaten oder Teilstaaten abzuschließen.127 Ob dadurch die Länder eine partielle Völkerrechtssubjektivität im Rahmen der auswärtigen Gewalt im Sinne der „föderalistischen Theorie“ erlangen oder ob gemäß der „zentralistischen Theorie“ eine Möglichkeit für den Bund geschaffen wurde völkerrechtliche Verträge in ihrer Geltung auf einzelne Länder zu beschränken,128 sei dahingestellt. Nur am Rande sei bemerkt, dass Art. 10 i. V. m. Art. 16 124
Vgl. K. Zemanek, Völkervertragsrecht (Fn. 111), 60. (BGBl. 1921/49). 126 Vgl. dazu G. Posch, Regierungsübereinkommen – Ressortübereinkommen – Verwaltungsübereinkommen, 34 Österreichische ZföRV (1983), 201 ff.; wie auch F. Trauttmansdorff, Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge – einige Streiflichter aus der österreichischen Praxis, in: W. Karl/U. Brandl (Hrsg.), Völker- und Europarecht. 24. Österreichischer Völkerrechtstag und 9. Herbert-Miehsler-Gedächtnisvorlesung (2000), 127 (130 ff.). 127 Siehe dazu auch VfGH, Erkenntnis vom 18. Juni 1960, VfSlg. 3.741, Slg. Bd. 25, 246, 248: „Die Zuständigkeit des Bundes, Normen in Form von Staatsverträgen zu schaffen, ist nämlich wie sich aus Art. 10 Abs. 1 Z. 2 B.-VG. Ergibt, nicht auf bestimmte Angelegenheiten beschränkt. Durch Staatsvertrag kann jede Angelegenheit, gleichgültig unter welche Gesetzgebungskompetenz sie fällt, geregelt werden. Durch Staatsverträge können sowohl Bundes- als auch Landesgesetze geändert werden. Dem steht Art. 16 B.-VG. Nicht entgegen, der neben einer subsidiären Regelung der Vollzugskompetenz lediglich eine Sonderregelung der Zuständigkeit zur Erlassung jener Gesetze trifft, die zur Durchführung eines Staatsvertrages in Angelegenheiten erforderlichen werden, die ansonsten nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen.“ Siehe auch E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 58. Vgl. dazu allg. M. Thaler, Die Vertragsschlußkompetenz der österreichischen Bundesländer (1990). 128 S. Hammer, Art. 16 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd II (2. Lfg. 1999), Rz. 10. 125
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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B-VG geradezu nach einer dem österreichischen Verfassungssystem – bis auf spezielle Ausnahmen (wie bspw. dem Zivil- und Justizstrafrecht129) – grundsätzlich fremden130 konkurrierenden Kompetenz von Bund und Länder zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu schreien scheint. Ein Außerachtlassen dieser Fragestellung scheint aber dadurch gerechtfertigt, dass diese Streitfrage mehr eine theoretische als eine praktische Kompetenz der Länder wiederspiegelt. Die meisten transnationalen Beziehungen der Länder werden gem. Art. 17 B-VG im Rahmen der Privatrechtssubjektivität der Länder vertraglich begründet.131 cc) Kritik an der Lehre der fiktiven „Identität“ der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtssatzform des Staatsvertrages in der österreichischen Rechtsordnung Die Grenzen der Anwendung der Lehre vom rechtlichen Stufenbau wurden bereits mehrfach behandelt.132 Als zentrales Element dieser einschränkenden Feststellung wurde die, für die Theorie des rechtlichen Stufenbaus grundlegende Ausgangsthese der Rechtsordnung als geschlossener Einheit identifiziert.133 Gerade jüngere Entwicklungen lassen die unübersehbare Tendenz der „Öffnung“ nationaler Rechtsordnungen erkennen. Diese Entwicklung kann wie das Beispiel der EU zeigt, sogar zu zwei parallelen Stufenbauordnungen führen.134 Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Verbindung von unterschiedlich großen Rechtserzeugerkreisen in einer einzigen Stufenbauordnung nur insofern möglich, als sich Willensübereinkünfte des kleineren wie auch des größeren Rechtserzeugerkreises auf grundlegende Ermächtigungsnormen eines beide Kreise umfassenden Rechtserzeugerkreises stützen können. M. a. W.: Die Stufenbautheorie ist als eine Verbindung von unterschiedlichen Rechtsordnungen nur dann haltbar, wenn alle Normen des Stufenbaus auf eine gemeinsame Grundnorm zurückgeführt werden können. Gibt es aber einen solchen umfassenden Konsens nicht, beruht das Verhältnis der Rechtserzeugerkreise schlichtweg auf dem was unter der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises gesagt wurde.135 Eine im größeren, internationalen Rechtserzeugerkreis getroffene Willensüberein129 Siehe dazu L. K. Adamovich, Österreichisches Staatsrecht: Grundlagen2, Bd. I Grundlagen (2011), 304 und v. a. 324 f. 130 Siehe dazu ibid. 324 m. w. N. 131 Siehe S. Hammer, Art. 16 B-VG (Fn. 128), Rz. 8. 132 Siehe dazu oben A.II.2.f) und g); wie auch B.II. 133 Siehe oben A.II.2.f). 134 Vgl. v. a. oben A.II.2.g). 135 Vgl. dazu oben A.II.2.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
kunft darf nicht, wie dies die herrschende Auffassung vertritt,136 durch eine fiktive „Integration“ des internationalen Rechts als nationale oder einer ihr identischen Rechtsquelle in die österreichische Rechtsordnung eingegliedert werden. Mit dieser Interpretation sind nämlich nachträgliche Um- bzw. Abänderungsmöglichkeiten des kleineren nationalen Rechtserzeugerkreises an der internationalen Willensübereinkunft verbunden. Art. 50 B-VG bzw. das in Art. 49 B-VG enthaltene Kundmachungsgebot137 wird von der herrschenden Lehre entweder als Adoptionsprinzip138 oder auch als generelle Transformationsnorm139 bezeichnet. Gemeint ist jeweils dasselbe:140 Die beschriebene Integration in die nationale Stufenbauordnung. Dass die Behandlung des völkerrechtlichen Vertrages als innerstaatliche Rechtsquelle aber eine Fiktion darstellt, geht schon aus der Definition der materiellen Rechtsquelle als Dokumentation der Herkunft der Willensübereinkunft hervor.141 Durch die Integration wird nämlich nicht auf die ursprüngliche Quelle verwiesen, sondern eine neue begründet, also aus einer schlichten Dokumentation eine Transformation gemacht. Jedenfalls wird durch diese Fiktion die ursprüngliche Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises innerstaatlichen Änderungen ausgesetzt, was weit über eine Dokumentation hinausgeht. Auch an dem Begriff der formellen Rechtsquelle stößt sich diese Fiktion, insofern neue formelle Voraussetzungen hinzukommen oder noch schädlicher, die Willensübereinkunft nachträglich eingeschränkt wird ohne alle formellen, ursprünglichen, also völkerrechtlichen Entstehungs- bzw. Modifikationsvoraussetzungen einzuhalten. Ein mögliches Resultat dieser Fiktion ist die Anwendung der Derogationsregel lex posterior derogat legi priori auf das Verhältnis von (einfachen) nationalen Gesetzen zu völker136 Für eine damals progressive Untersuchung dieser Identität siehe G. Winkler, 10 Österreichische ZföR (Fn. 9), 528 f.; wie auch id., Orientierungen (Fn. 9), 51 ff. und insbes. 57; und T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 166 ff. und insbes. 174 ff., 177. Beide sehen für diese Identität als wesentliches Kriterium die Qualität der an ihrem Zustandekommen jeweils beteiligten Organe und ignorieren oder übersehen dabei die unterschiedliche Größe des Rechtserzeugerkreises schlichtweg. 137 Vgl. T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 26, der Art. 48, 49 und 50 B-VG als „ ‚einzelne Elemente einer mehrgliedrigen Erzeugungsregel‘ “ [Fn. Ausgelassen] bezeichnet. 138 Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 28 m. w. N. in Fn. 87; id., Vertrag (Fn. 1), 131 ff.; I. Seidl-Hohenfeldern, Transformation or adoption of international law into municipal law, 12 ICLQ (1963), 88 (103); und K. Zemanek, Völkervertragsrecht (Fn. 111), 61. 139 Siehe bspw. S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 352; so wohl auch P. Lindermuth, Das Recht der Staatsverträge nach der Verfassungsbereinigung – Eine verfassungsrechtliche Analyse der Neuregelung des Art. 50 B-VG durch die Novelle BGBl. I 2/2008, 64 ZÖR (2009), 299 (302). 140 T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 27 m. w. N. in Fn. 84. 141 Siehe dazu oben A.II.1.g).
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rechtlichen Verträgen.142 Dies wird basierend auf der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises hier als unzulässig abgelehnt.143 Dementsprechend wird vorgeschlagen den völkerrechtlichen Vertrag auch bei seiner möglichen Anwendung im nationalen Rechtserzeugerkreis als das zu belassen, was er ist: Völkerrecht und damit eine Willensübereinkunft eines größeren Rechtserzeugerkreises. Freilich ist die beschriebene rechtliche Fiktion der österreichischen Rechtsordnung vertretbar bzw. kann sogar vom kleineren Rechtserzeugerkreis gewollt sein. Dann muss dieser Wille aber von der Willensübereinkunft auf internationaler Ebene gedeckt sein. Die Fiktion muss also beim Abschluss der internationalen Willensübereinkunft bereits vom Willen des größeren Rechtserzeugerkreises mitumfasst bzw. mitgedacht werden. Etwaige Formulierungen, wie „die Staaten verpflichten sich x innerstaatlich umzusetzen“, sind typisch für entsprechend offene Willensübereinkünfte, die eben auf die Erfüllung des Völkerrechts auf der zwischenstaatlichen Ebene abzielen, ohne eine direkte Wirkung des Völkerrechts innerhalb des nationalen Rechts anzustreben. Ist letzteres aber nicht gewollt, führt die Fiktion der österreichischen Rechtsordnung zu Konflikten zwischen der internationalen Willensübereinkunft und dem nationalen Recht. Dann nämlich, wenn die gewollte unmittelbare Anwendbarkeit nachträglich vereitelt wird. Von dieser Kritik muss allerdings das Institut des Erfüllungsvorbehaltes der österreichischen Rechtsordnung ausgenommen werden. Dies gilt aber nur dann, wenn dadurch nicht wie von der herrschenden Lehre vertreten eine nachträgliche Nichterfüllung des Vertragswillens bezweckt, sondern nach der hier vertretenen Auffassung die Beschränkung der Wirkung der unmittelbaren Anwendbarkeit vor oder bei der Abgabe der Willensübereinkunft auf internationaler Ebene ausgesprochene wird.144 Eine weitere Folge der fiktiven Identität der völkerrechtlichen und der nationalen Rechtssatzform des völkerrechtlichen Vertrages ist, dass dem 142 Vgl. dazu T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 43, der einer jüngeren gleich- oder höherrangigen staatlichen Rechtsnorm gegenüber einem geltenden Staatsvertrag die Derogationswirkung eines Anwendungsvorranges u. a. gestützt auf die Identität der völkerrechtlichen mit der staatlichen Rechtssatzform zuschreibt; so ähnlich auch R. Thienel, Art. 48, 49 B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (1. Lfg 1999), Rz. 70. Siehe dazu bereits kritisch H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 15), 258: „Denn der jüngere Rechtssatz hebt den älteren nur dann auf, wenn er derselben oder wenn er einer höheren Rechtssetzungsgewalt entspringt, die über die Gültigkeit des älteren entscheiden kann.“ 143 Siehe dazu oben B.II. Dazu kritisch auch schon A. J. Merkl, Verwaltungsrecht (Fn. 13), 113 f.: „[. . .] es mangelt jedoch umgekehrt zumindest dem einfachen Gesetze derogatorische Kraft gegenüber einem formellen Staatsvertrage, weil die zweiseitige Bindung nicht durch beliebigen einseitigen Akt aufgelöst werden kann.“ 144 Siehe dazu aber näher sogleich unten B.III.2.c).
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völkerrechtlichen Vertrag im innerstaatlichen Recht ein bestimmter Rang innerhalb der nationalen Stufenbauordnung zugewiesen wird. Dies ermöglicht ranghöherem und gleichrangigem, nationalem Recht, die innerstaatliche Wirkung der internationalen Willensübereinkunft nachträglich zu beeinträchtigen. Dem wird bspw. durch die klare Formulierung in der spanischen Verfassung vorgebeugt, indem zum Ausdruck gebracht wird, dass völkerrechtliche Verträge zwar Teil der nationalen Rechtsordnung sind, aber eben nur in der im Vertrag oder in sonstigen Normen des allgemeinen Völkerrechts vorgesehenen Art und Weise derogiert, abgeändert oder suspendiert werden dürfen.145 Dies tritt der möglichen nachträglichen nationalen Derogation klar entgegen. Auch wenn das österreichische B-VG keine entsprechend klare Aussage trifft, so ist die vorherrschende Interpretation von Art. 50 B-VG nicht die einzig gangbare.146 Der österreichischen Theorie der Identität der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtssatzform des Staatsvertrages kann allerdings in gewissen Grenzen zugestimmt werden, da völkerrechtliche Regeln über das Zustandekommen und die Aufhebung von Staatsverträgen auch für den innerstaatlichen Bereich gelten,147 d.h. das Inkrafttreten des Staatsvertrages auf völkerrechtlicher und innerstaatlicher Seite „prinzipiell“ synchron verläuft148 und alle authentischen Sprachen des Vertrages im staatlichen Bereich als rechtlich gleichwertig angesehen werden.149 Darüber hinaus werden nach herrschender Lehre bei der innerstaatlichen Anwendung des Staatsvertrages völkerrechtliche Auslegungsregeln herangezogen.150 Wie ausgeführt, greift die „Identität“ der völkerrechtlichen mit der nationalen Rechtssatzform des völkerrechtlichen Vertrages allerdings dann zu kurz, wenn der völkerrechtliche Vertrag als fiktive innerstaatliche Rechtssatzform in den rechtlichen Stufenbau der nationalen Rechtsordnung integriert wird und daher von ranggleichen und höheren jüngeren innerstaatlichen Normen derogiert werden kann. Positiv formuliert heißt das, dass die österreichische Identitätstheorie um eine Dimension erweitert werden muss. Diese Dimension ist – auf der Grundlage der hier entwickelten Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises – das Zugeständnis des nationalen Rechtserzeugerkreises, den völkerrecht145 Siehe Art. 96 Abs. 1 CE: „Los Tratados internacionales válidamente celebrados, una vez publicados oficialmente en España, formarán parte del ordenamiento interno. Sus disposiciones solo podrán ser derogadas, modificadas o suspendidas en la forma prevista en los propios Tratados o de acuerdo con las normas generales del Derecho Internacional.“ 146 Siehe sogleich unten B.III.2.b)dd). 147 Siehe T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 30. 148 Vgl. ibid., Rz. 32. Siehe aber die Judikatur in Fn. 169. 149 Siehe dazu ibid., Rz. 33 m. w. N. 150 Vgl. ibid., Rz. 34 m.w.N in Fn. 99.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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lichen Vertrag innerstaatlich als das zu belassen, was er ist: Eine aus der Rechtsquelle des Völkerrechts stammende Willensübereinkunft des größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises. Eine Integration in die innerstaatliche Stufenbauordnung erfolgt nicht. Enthält ein völkerrechtlicher Vertrag also individualisierende Bestimmungen, wirken sich diese direkt auf die Rechtsstellung der natürlichen Personen des nationalen Rechtserzeugerkreises aus. Auch in diesem Fall wird aber auf Grund der nicht bezweckten Anwendung von innerstaatlichen Organen dieser Bestimmungen der nationale Stufenbau nicht überstrapaziert, da individualisierende völkerrechtliche Bestimmungen den Staat als Mediator außen vor lassen.151 Ist ein völkerrechtlicher Vertrag aber unmittelbar anwendbar, muss er von innerstaatlichen rechtsanwendenden Organen beachtet werden. In diesem Fall wirkt das Völkerrecht direkt auf die innerstaatliche Rechtsordnung ein. Wurde diese unmittelbare Anwendbarkeit nicht durch das Anbringen eines Erfüllungsvorbehalts des österreichischen Rechtserzeugerkreises aufgeschoben bzw. ausbedungen, darf diese Wirkung des Völkerrechts nicht durch einen nachfolgenden innerstaatlichen Akt abgeändert oder aufgehoben werden. Eine Derogation durch fiktiv „ranggleiche“ innerstaatliche Bestimmungen ist in diesem Fall also rechtswidrig. Die Schlussfolgerungen der Identitätstheorie werden nicht durch positives österreichisches Verfassungsrecht erzwungen. Art. 50 B-VG erwähnt weder die Adoption noch die Transformation als bestimmte Rezeptionstheorie. Freilich normiert Art. 50 B-VG ebenso wenig ein Verbot der innerstaatlichen Derogation, Modifikation oder Suspendierung von völkerrechtlichen Verträgen, wie es bspw. die spanische Verfassung kennt. Dennoch ist der Wortlaut von Art. 50 B-VG offen für eine andere Interpretation, als die von der herrschenden Lehre vorgenommene. dd) Die innerstaatlichen Ermächtigungsnormen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge Werden die innerstaatlichen Bestimmungen des B-VG zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Sinne der hier vertretenen Auffassung als innerstaatliche Ermächtigungsnormen verstanden, so gilt es die Grenzen dieser Ermächtigung aufzuzeigen. Eine innerstaatliche Einschränkung der Vollmacht zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge muss in den besonders geschützten Baugesetzen des B-VG gesehen werden. Eine Abänderung dieser Grundprinzipien ist gem. Art. 44 Abs. 3 B-VG als Gesamtänderung des B-VG zu verstehen152 und muss dementsprechend einer Volksabstimmung 151
Siehe zur Definition individualisierender Bestimmungen oben A.I.5.c). Siehe dafür H. P. Rill/H. Schäffer, Art. 44 B-VG, in: B. Kneihs/G. Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (1. Lfg. 2001), Rz. 14 m. w. N. 152
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unterzogen werden.153 Die innerstaatliche Ermächtigung zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die an diesen Grundfesten etwas ändern würde, ist folglich gleichermaßen an eine Volksabstimmung gebunden. Das eindrucksvollste Beispiel dafür war der Beitritt Österreichs zur EU.154 Zu dieser innerstaatlichen Einschränkung kann zumindest zum Teil eine Parallele in der internationalen Begrenzung der Selbstauflösung eines Staatsvolkes, geschützt durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker mit ius cogensCharakter155 gesehen werden. Freilich ist diese Parallele materiell nicht identisch. Die Baugesetze des B-VG umfassen mehr als das vom ius cogens geschützte Selbstbestimmungsrecht der Staatsvölker. D.h., die innerstaatliche Beschränkung der Ermächtigungsnorm umfasst mehr Restriktionen als die völkerrechtliche Ebene kennt. Eine weitere innerstaatliche Beschränkung der Vollmacht wurde mit der B-VGN 2/2008156 eingeführt. Genauer gesagt, wurde durch die B-VGN 2/2008 die Möglichkeit der Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen durch das nationale Parlament im Verfassungsrang wieder beseitigt. Ursprünglich ermöglichte Art. 50 Abs. 2 in der Stammfassung des B-VG vom 2. Januar 1930,157 konkretisiert durch das B-VGN vom 4. März 1964 (Art. 50 Abs. 3 B-VG a. F.),158 die Genehmigung von Staatsverträgen im Verfassungsrang. Art. 50 Abs. 2 B-VG in der Stammfassung verwies für Genehmigungsbeschlüsse von Staatsverträgen, die „verfassungsändernd“ waren, auf die Voraussetzungen für den Beschluss von Verfassungsgesetzen (Art. 44 Abs. 1 B-VG). Die B-VGN vom 4. März 1964 ergänzte sodann in Art. 50 Abs. 3 B-VG a. F. die ausdrückliche Bezeichnungspflicht eines „verfassungsändernden“ oder „verfassungsergänzenden“ Staatsvertrages. Dementsprechend musste die Zustimmung des nationalen Parlaments mit erhöhten Quoren erfolgen, um den Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages genehmigen zu können. Ob ein völkerrechtlicher Vertrag einer Genehmigung nach Art. 50 Abs. 1 und Abs. 3 B-VG bedurfte, entschied sich nicht allein nach dem materiellen Gehalt des zu genehmigenden Vertrages. Vielmehr stand die Rangfrage des völkerrechtlichen Vertrages im innerstaatlichen Recht im Vordergrund. Diese Rangfrage wurde aber nicht anhand des materiellen Verfassungsbegriffs geklärt, sondern auf Basis 153 Vgl. dazu ibid., Rz. 12, die in Art. 44 Abs. 3 B-VG einen vollständigen Ausschluss einer Gesamtänderung durch Staatsvertrag erblicken. 154 Vgl. dazu statt vieler T. Öhlinger, Verfassungsrechtliche Aspekte eines Beitritts Österreichs zu den EG (1988). 155 Siehe dazu oben A.II.3., in Fn. 259. 156 „Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird“ (BGBl. I 2008/2). 157 BGBl. 1930/1. 158 BGBl. 1964/59.
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des formellen Verfassungsbegriffs entschieden.159 Dementsprechend war es eine rechtspolitische Entscheidung, ob völkerrechtliche Verträge im Verfassungs- oder im schlichten Gesetzesrang genehmigt wurden.160 M. a. W.: Es war Gegenstand der freien Entscheidung des österreichischen Parlaments, ob ein bestimmter völkerrechtlicher Vertrag im Verfassungsrang genehmigt werden sollte und nicht, ob dieser Vertrag auf Grund seines Inhaltes im Verfassungsrang genehmigt werden müsste. War man sich uneinig, so konnte ein bestimmter Vertrag ohne Weiteres im einfachen Gesetzesrang genehmigt werden und zwar unabhängig von seinem Inhalt und einer etwaigen vom Völkerrecht intendierten unmittelbaren Anwendbarkeit. Das hatte zur Folge, dass der rezipierte völkerrechtliche Vertrag kraft der Entscheidung des österreichischen Parlaments ohne Weiteres von einem nachträglichen ranggleichen oder höheren Gesetz abgeändert werden konnte. Wurde hingegen vermutet, dass ein Vertrag oder gewisse Bestimmungen daraus nicht Gesetzes- oder Verfassungskonform sein werden, war es oft Bequemlichkeit des österreichischen Parlaments einem möglichen Konflikt aus dem Weg zu gehen, indem der Vertrag im Verfassungsrang genehmigt wurde und damit gerichtliche Unantastbarkeit dieses Vertrages bewirkt wurde.161 Nicht der materielle Regelungsgehalt völkerrechtlicher Verträge, sondern pragmatische Entscheidungen im Parlament waren der Hauptgrund für eine unüberschaubare Quantität an völkerrechtlichen Verträgen bzw. einzelnen Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages im Verfassungsrang.162 Die B-VGN 2/2008 hat diesen Ausverkauf des Verfassungsrechts beendet. Durch die B-VGN 2/2008 wurde die Möglichkeit völkerrechtliche Verträge im Verfassungsrang zu genehmigen durch die Neugestaltung des Art. 50 B-VG aufgehoben. Diesem fehlt nunmehr der Verweis auf Art. 44 Abs. 1 B-VG, welcher die Entstehungsvoraussetzungen für Verfassungsgesetze regelt. Auch wenn dadurch – erfolgreich – die Unübersichtlichkeit von Bestimmungen mit Verfassungsrang zumindest in Zukunft eingeschränkt werden kann, bleibt der neue Art. 50 B-VG nicht frei von Kritik. Das gewünschte Ziel der Novelle 2008 ergibt sich erst durch die erläuternden Bemerkungen bzw. aus der Kenntnis des alten Art. 50 B-VG mit seinem Ver159
Vgl. dazu bspw. H. Floretta/T. Öhlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen – Ein Beitrag zum Stand der Grundrechte in Österreich, insbesondere zu den sozialen Grundrechten (1978), 17 ff. sowie 35 ff. 160 Ibid. 161 Vgl. dazu Art 145 B-VG, wobei dieser noch immer seine Wirkung auf Grund eines fehlenden Bundesgesetzes nicht entfalten kann. 162 Vgl. dazu P. Lindermuth, 64 ZÖR (Fn. 139), 306 f.; wie auch R. Novak/B. Wieser, Zur Neukodifikation des österreichischen Bundesverfassungsrechts (1994), 204 ff.
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weis auf Art. 44 Abs. 1 B-VG.163 Schwerer wiegt allerdings die durch die Novelle 2008 erfolgte innerstaatliche Beschränkung der Vollmacht zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages. Kein völkerrechtlicher Vertrag der in Zukunft abgeschlossen wird, darf nunmehr einer bereits bestehenden Norm im Verfassungsrang widersprechen oder diese ergänzen. Soll ein völkerrechtlicher Vertrag künftig Verfassungsrang haben, ist dies nach den Rezeptionstheorien nur noch durch ein vor der Genehmigung des Vertrages zu erlassendes, identes Bundesverfassungsgesetz zu bewerkstelligen. Wird Art. 50 B-VG nach der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises als Ermächtigungsnorm verstanden, so ist die innerstaatliche Ermächtigung (Art. 50 B-VG) auf völkerrechtliche Verträge im einfachgesetzlichen Regelungsbereich begrenzt. Soll folglich ein völkerrechtlicher, verfassungsändernder Vertrag abgeschlossen werden, müsste der völkerrechtliche Vertrag bei der Ratifikation mit dem Vorbehalt des gesamten österreichischen Verfassungsrechts versehen werden. Dem steht Art. 19 lit. c) WVK entgegen, der einen derart allgemeinen Vertragsvorbehalt nicht zulässt.164 Im Rahmen der Ermächtigungsnorm (Art. 50 B-VG) müsste vor Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages eine weitere Ermächtigungsnorm für den betroffenen Regelungsbereich im Rang eines Verfassungsgesetzes geschaffen werden. Die herrschende Rezeptionslehre verlangt hingegen nach der B-VGN 2008 eine idente Umsetzung des völkerrechtlichen Vertrages in einem nationalen Verfassungsgesetz vor dessen Ratifikation. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der materiell-rechtlichen Relevanz eines Staatsvertrages für das B-VG in dieser Konstellation zukünftig von noch größerer Bedeutung sein könnte, da eine Abkehr von dem absoluten formellen Verfassungsbegriff des B-VGs erkennbar ist.165 Geht man von der Abkehr des formellen Verfassungsbegriffs aus, wird der Inhalt der völ163 Siehe RV 314 BlgNR 23. GP 3. Vgl. dazu auch A. Janko, Staatsverträge und Bundesverfassung nach Art 50 B-VG idF BGBl. I 2008/2, in: P. Fischer et al. (Hrsg.), FS Heribert Franz Köck (2009), 501 (505 f.). Ähnlich kritisch B. Weichselbaum, „Staatsverträge neu“ im Geist von Verfassungsbereinigung und völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit: eine kritische Analyse, 15 JRP (2007), 211 (215 f.). A. A. T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 55, der die „Eliminierung der Rechtssatzform ‚verfassungsändernder Staatsvertrag‘ [als] hinreichend klar“ ansieht. 164 Vgl. dazu C. Walter, Article 19, in: O. Dörr/K. Schmalenbach (Hrsg.), Vienna convention on the law of treaties – A commentary (2012), Rz. 66 ff., sowie insbes. Rz. 85 ff. und 88 ff. 165 Siehe dazu jüngst VfGH, Erkenntnis vom 14. März 2012, U 466/11, U 1836/11; wie auch L. Adamovich, Das österreichische Verfassungsverständnis und die Menschenrechte, in: G. Hafner et al. (Hrsg.), Völkerrecht und die Dynamik der Menschenrechte – Liber Amicorum Wolfram Karl (2012), 253 (258). Vgl. aber E. Wiederin, Verfassungsinterpretation in Österreich, in: G. Lienbacher (Hrsg.), Verfassungsinterpretation in Europa – Heinz Schäffer Gedächtnissymposion (2011), 81 (106 f., m. w. N. in Fn. 121).
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kerrechtlichen Bestimmung und nicht ausschließlich die Entscheidung des Parlaments ausschlaggebend für die Beurteilung der Notwendigkeit eines Ermächtigungsgesetzes im Verfassungsrang für einen Staatsvertrag. Wird ein entsprechendes Bundesverfassungsgesetz nicht vor Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrages verabschiedet, kann dies im Fall von „verfassungsändernden“ Bestimmungen zu potentiellen Konflikten zwischen der völkerrechtlichen Bestimmung und der nationalen Verfassungsbestimmung führen. Nach der Theorie der Identität der Rechtssatzform der völkerrechtlichen und nationalen Rechtsquelle des völkerrechtlichen Vertrages liegt dies darin begründet, dass die im Gesetzesrang rezipierten völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen mit aktuellem österreichischem Verfassungsrecht konfligieren würden, was zur Derogation des gerade eben ratifizierten völkerrechtlichen Vertrages führen würde.166 Im Rahmen der Interpretation der nationalen Verfassungsbestimmung als Ermächtigungsnorm wäre dies eine Überschreitung der innerstaatlichen Vollmacht zum Abschluss des Vertrages. Wurde nämlich eine internationale Willensübereinkunft geschlossen die materiell verfassungsändernden oder ergänzenden Inhalt hat, konfligiert diese mit den entsprechenden bestehenden Verfassungsbestimmungen. Die Ermächtigung zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge wurde überschritten und die an der internationalen Willensübereinkunft beteiligten österreichischen Organe handelten auf Grund dieser fehlenden Vollmacht verfassungswidrig. Zum Unterschied zur Interpretation der Identitätstheorie wird der völkerrechtliche Vertrag aber nicht von der nationalen Verfassungsbestimmung derogiert. Die Überschreitung der nationalen Ermächtigung wird nämlich nicht eins zu eins auf internationaler Ebene reflektiert. Dies liegt in dem Unterschied der nationalen Ermächtigungsnormen verschiedener Länder begründet. Auf internationaler Ebene hat man sich dementsprechend darauf geeinigt, dass nur formelle Kompetenzüberschreitungen der nationalen Rechtserzeugerkreise von Art. 46 WVK umfasst sind. Materielle Einschränkungen von internationalen Vertragsabschlüssen sind der internationalen Ebene prinzipiell fremd.167 Fällt die beschriebene kompetenzwidrige Handlung nicht unter Art. 46 WVK, findet sich auf internationaler Ebene keine Bestimmung mehr, welche die Geltung und auch Anwendbarkeit dieser Bestimmung verhindern könnte. Die Anwendung von Art. 46 WVK wird in diesem Fall zu verneinen sein. Eine weitere Folge der Sichtweise des Art. 50 B-VG als Ermächtigungsnorm ist, dass die schlichte wie die unmittelbare Anwendbarkeit oder die individualisierende Wirkung, also jedwede rechtliche Wirkung die auf der Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises beruht auch 166 167
Siehe dazu A. Janko, Staatsverträge (Fn. 163), 510 f. Siehe bezüglich Art. 46 WVK, insbes. oben A.III.2., S. 117 f.
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nach den von diesem Rechtserzeugerkreis aufgestellten Erfordernissen ohne Unterschied zwischen der internationalen und der nationalen Ebene in Kraft tritt. Dies ist gedeckt durch Art. 49 Abs. 2 B-VG, der die Kundmachung der gem. Art. 50 B-VG abgeschlossenen Staatsverträge im Bundesgesetzblatt zumindest zeitlich nur subsidiär für das Inkrafttreten des Vertrages als konstitutives Element normiert.168 Regelt der völkerrechtliche Vertrag, was i. d. R. der Fall ist, Bedingungen wie die Art und Weise des Inkrafttretens selbst, richtet sich die rechtliche Wirksamkeit gemäß der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises nach der internationalen Willensübereinkunft.169 Wird 168 Vgl. dazu auch R. Thienel, Art. 48, 49 B-VG (Fn. 142), Rz. 59; wie auch T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 317 m. w. N. in Fn. 289: „Ein Beispiel für diese Praxis liefert die MRK. Sie wurde zusammen mit dem (1.) Zusatzprotokoll am 24. September 1958 im BGBl. 1958 unter der Nummer 210 kundgemacht. In ihrem Art. 66 wird als Datum des Inkraftretens der Tag nach der Hinterlegung von 10 Ratifikationsurkunden (Abs. 2) und für jeden Unterzeichnerstaat, dessen Ratifikation später erfolgt – zu diesen gehörte auch Österreich – der Tag der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde (Abs. 3) bestimmt. Das gleiche normiert Art. 6 des Zusatzprotokolls. Im Anschluß an den Vertragstext und die Ratifikationsklausel heißt es im BGBl.: ‚Die vorliegende Konvention und das Zusatzprotokolls traten gemäß Art. 66 der Konvention und gemäß Art. 6 des Zusatzprotokolls am 3. September 1958 für Österreich in Kraft‘. Es war dies der Tag der Hinterlegung der österreichischen Ratifikationsurkunde. Dieses Datum muß sowohl für den zwischenstaatlichen als auch für den innerstaatlichen Bereich als maßgebend angesehen werden.“ So auch VfGH, Erkenntnis vom 14. Oktober 1965, VfSlg. 5.102, Slg. Bd. 30, 628, 629, Rz. 1: „Kraft Art. II des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, mit dem Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt werden, hat die Konvention Verfassungsrang, und zwar [. . .] schon seit ihrer Zugehörigtkeit zur österreichischen Rechtsordnung (3. September 1958) [. . .].“ [Hervorhebung vom Verfasser] 169 Vgl. ibid., siehe aber VfGH, Beschluss vom 30. September 2008, VfSlg. 18.576, Rz. 2.1, wobei trotz einer klaren Regelung im völkerrechtlichen Vertrag über das Inkrafttreten auf die innerstaatliche Kundmachung abgestellt wird: „Der Staatsvertrag ist [. . .] noch nicht im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden. Erst mit der Kundmachung im Bundesgesetzblatt liegt auch ein innerstaatlich verbindlicher Staatsvertrag vor [. . .], der Auswirkungen auf die Rechtssphäre der Antragsteller zeitigen könnte.“ Nur „[i]m Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Vertrag nach seinem Art 6 frühestens mit 1. Jänner 2009 in Kraft treten kann und seine Kundmachung im Bundesgesetzblatt erst nach seinem völkerrechtlichen In-KraftTreten bzw. nach erfolgter Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten [. . .] erfolgen kann.“ Dem folgend VfGH, Beschluss vom 11. März 2009, VfSlg. 18.740, Rz. 4. Vgl. auch R. Thienel, Art. 48, 49 B-VG (Fn. 142), Rz. 11, welcher für die Wirkung von Staatsverträgen in der österreichischen Rechtsordnung die Publikation im BGBl. als „letzte[n] Schritt des innerstaatlichen Rechtssetzungsverfahrens“ ansieht und daher als ein „Essentiale des Rechtssetzungsverfahrens“ (Rz. 83), bezeichnet. Siehe wohl ebenso VfGH, Beschluss vom 12. Juni 2010, SV1/10; VfGH, Beschluss vom 27. September 2010, SV2/10, Rz. 2.1: „In sinngemäßer Anwendung des Art140 B-VG liege für die Prüfung nach Art140a B-VG bereits ein anfechtungsfähiges ‚Endprodukt‘ vor, da die Kundmachung im BGBl. III 132/2009 nach dem er-
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ein Staatsvertrag allerdings gar nicht im BGBl. kundgemacht, führt dies nach der herrschenden Lehre in Österreich zur Verneinung der innerstaatlichen Wirkung des Staatsvertrages.170 Dem kann allerdings im Rahmen der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises nur dann zugestimmt werden, insofern die innerstaatliche Kundmachung unter Art. 46 WVK subsumiert werden kann.171 Zu diskutieren wäre demgemäß, ob die Kundmachung den formellen Entstehungsvoraussetzungen, d.h. den innerstaatlichen Kompetenzbestimmungen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge (Art. 46 WVK), zugerechnet werden kann. Diese Ansicht würde eine großzügige Interpretation von Art. 46 WVK erfordern. Bestimmungen über die Kundmachung völkerrechtlicher Verträge sind nämlich nur schwer als Bestimmung des innerstaatlichen Rechts „über die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen“ (Art. 46 WVK) zu interpretieren. Die geforderte grundlegende Bedeutung der betroffenen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, welche sich in der Offenkundigkeit der Verletzung äußert, wird hingegen bei Vorschriften über die Kundmachung gegeben sein. Parallel dazu können diese Ausführungen auf die Staatsverträge angewendet werden, welche nicht gem. Art. 50 B-VG vom Nationalrat genehmigt werden müssen. Gem. § 5 Abs. 1 Z. 1 Bundesgesetz über das Bundesgesetzblatt 2004 ist „[d]as Bundesgesetzblatt III (BGBl. III) [. . .] bestimmt zur Verlautbarung [. . .] der Staatsverträge des Bundes.“ Insofern § 5 Abs. 1 Z. 1 als Kundmachungsverpflichtung verstanden wird, ist dieser ähnlich den Ausführungen zu Art. 49 Abs. 2 B-VG ebenso an Art. 46 WVK zu messen, wenn keine Kundmachung erfolgt ist.172 ee) Das österreichische Spezifikum des Erfüllungsvorbehaltes Das Konstrukt des Erfüllungsvorbehalts wurde mit der B-VGN 1964 eingeführt.173 Der Erfüllungsvorbehalt ermöglicht dem Nationalrat bei einer folgten völkerrechtlichen In-Kraft-Treten bzw. nach erfolgter Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten stattgefunden habe.“ Siehe auch T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 27. Vgl. dazu ebenso VwGH, Erkenntnis vom 2. Juli 1992, 91/16/0077: „Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes“ stellte ein bestimmtes Regierungsübereinkommens „schon mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt keine verbindliche Rechtsquelle dar [. . .].“ So wohl auch E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 67. 170 Vgl. ibid. Dass dies kein hypothetischer Fall ist zeigt F. Trauttmansdorff, Abschluß (Fn. 126), 132 f., für den Fall von nicht gem. Art. 50 B-VG zu genehmigenden Staatsverträgen. 171 Siehe dazu oben A.III.2., S. 117 f. 172 P. Lindermuth, 64 ZÖR (Fn. 139), 303, sieht für diese Staatsverträge kein Publikationserforderniss an. A. A. R. Thienel, Art. 48, 49 B-VG (Fn. 142), Rz. 83, inbes. Fn. 290. 173 BGBl. 59/1964, Art. 50 Abs. 2 B-VG; nach der B-VGN 2/2008 Art. 50 Abs. 2 Z. 3 B-VG.
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Genehmigung eines völkerrechtlichen Vertrages gem. Art. 50 Abs. 2 Z. 3 B-VG einen Erfüllungsvorbehalt anzubringen, „dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist.“ Die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages unter Erfüllungsvorbehalt bedeutet, dass die Wirkung der unmittelbaren Anwendbarkeit nachfolgenden oder bereits existenten innerstaatlichen Bestimmungen vorbehalten wird.174 Gemäß der herrschenden Rezeptionspraxis wird der Erfüllungsvorbehalt als nationales Konstrukt betrachtet.175 Es wird als ausreichend angesehen, bei der innerstaatlichen Kundmachung des völkerrechtlichen Vertrages darauf hinzuweisen, dass dieser Vertrag unter Erfüllungsvorbehalt ratifiziert wurde. Nach der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises muss der Erfüllungsvorbehalt aber wie ein völkerrechtlicher Vorbehalt behandelt werden, damit die unmittelbare Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages wirksam für den nationalen Rechtserzeugerkreis aufgehoben wird. Das Konstrukt des Erfüllungsvorbehalts kann auf der Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises als Vertragsvorbehalt gem. Art. 2 Abs. 1 lit. d) WVK eingeordnet werden. Auch wenn an dieser Stelle keine vertiefte Analyse der Vorbehalte im Völkervertragsrecht erfolgen kann, soll das Institut des Erfüllungsvorbehaltes unter dem Blickwinkel des internationalen Vorbehaltsrechts kurz erläutert werden. Das österreichische Institut des Erfüllungsvorbehalts ist gemäß dem internationalen Recht (Art. 2 WVK) ein die internationale Willensübereinkunft modifizierender Vorbehalt. Und zwar wird die vom internationalen Rechtserzeugerkreis (möglicherweise) gewollte, unmittelbare Anwendbarkeit bereits auf internationaler Ebene abbedungen, indem die Erfüllung dieser Wirkung des Vertrages nationalen Gesetzen vorbehalten wird. Dementsprechend muss der internationale Vorbehalt spätestens mit dem letzten Akt, der die Bindungswirkung ausgelöst hat, also mit der Ratifikation angebracht werden.176 Ein nachträglicher oder international gar nicht vorgebrachter innerstaatlicher Einwand gegen die Wirkung der internationalen Willensübereinkunft darf gemäß der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises nicht vorgebracht werden. Nachträglich müsste ein die Willensübereinkunft abändernder oder aufhebender interna174 Vgl. dazu T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 146 ff., welcher allerdings darauf verweist, dass dadurch der Staatsvertrag dennoch „transformiert“ werde und nicht jegliche innerstaatliche Wirkung aufgehoben werde. Als Beispiel führt er die Überprüfungsmöglichkeit von Staatsverträgen durch den VfGH an. Dies trifft auch dann zu, insofern die hier vorgenommene Interpretation eines Ermächtigungsvorgangs anstelle des Transformationprozesses vertreten wird. Einem unter Erfüllungsvorbehalt ratifizierten Staatsvertrag wird ausschließlich dessen unmittelbare Anwendbarkeit abbedungen. Nicht mehr und nicht weniger. 175 Siehe dafür T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 77 m. w. N. K. Zemanek, Völkervertragsrecht (Fn. 111), 61. 176 Siehe dazu auch W. Heintschel von Heinegg, Verträge (Fn. 105), 167.
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tionaler Vorbehalt wiederum von allen Vertragsparteien der Willensübereinkunft abgesegnet werden, um wirksam zu werden.177 Ebenfalls ist anzumerken, dass der internationale Vorbehalt mit Ziel und Zweck des Vertrages vereinbar sein muss (Art. 19 lit. c) WVK). Ist er dies nicht, droht die Nichtigkeit des Vorbehalts.178 Je nach Ziel und Zweck des Vertrages ist demzufolge ein Erfüllungsvorbehalt sowohl für individualisierende als auch für unmittelbar anwendbare Verträge möglicherweise inkompatibel mit dem völkerrechtlichen Vertrag.179 V. a. bezogen auf die individualisierende Wirkung völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen wird ein solcher Vorbehalt nur sehr schwer zu rechtfertigen sein, da es i. d. R. der Hauptzweck der individualisierenden Bestimmung ist, den Staat als Mediator außen vor zu lassen. Gleiches kann auch auf unmittelbar anwendbare Vertragsbestimmungen zutreffen. Wird der Erfüllungsvorbehalt gültig angebracht, wirkt der prinzipiell unmittelbar anwendbare Staatsvertrag innerstaatlich wie ein schlicht anwendbarer völkerrechtlicher Vertrag.180 Mit der B-VGN 2/2008 wurde klargestellt, dass sich der Erfüllungsvorbehalt sowohl auf den gesamten Vertrag, als auch auf einzelne Bestimmungen desselben beziehen kann.181 Teilweise wurde in der Literatur vorgeschlagen eine innerstaatliche Verpflichtung zur Anbringung eines Erfüllungsvorbehaltes dann anzunehmen, wenn die Bestimmung des völkerrechtlichen Vertrages i. S. d. Legalitätsprinzips des Art. 18 B-VG nicht hinreichend bestimmt formuliert ist.182 Ein Nichtanbringen hätte sodann automatisch die unmittelbare Anwendbarkeit des 177 Siehe allg. zu nachträglichen Vertragsvorbehalten C. Walter, Article 19 (Fn. 164), Rz. 53 f. 178 Siehe dazu C. Walter, Article 19 (Fn. 164), Rz. 106 ff., der auch auf Stimmen verweist, die für die Rechtsfolge der Vernichtbarkeit eines solchen Vorbehalts argumentieren. 179 Siehe dazu auch den ILC Guide to Practice on Reservations to Treaties (2011), YILC Bd. II 2 (2011), Rn. 3.1.5.5: „A reservation by which a State or an international organization purports to exclude or to modify the legal effect of certain provisions of a treaty or of the treaty as a whole in order to preserve the integrity of specific rules of the internal law of that State or of specific rules of that organization in force at the time of the formulation of the reservation may be formulated only insofar as it does not affect an essential element of the treaty nor its general tenour.“ 180 Siehe dazu oben A.III.1. 181 Vgl. die Wortfolge der B-VGN 1964 „daß dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist“ mit der neuen Wortfolge der B-VGN 2008 „in welchem Umfang dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist.“ Siehe auch T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 89. 182 Siehe dafür H. R. Klecatsky, Die Bundesverfassungsnovelle vom 4. März 1964 über die Staatsverträge, 86 JBl. (1964), 349 (358); so auch R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 (Fn. 9), 120.
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Staatsvertrages zur Folge.183 Der Konsequenz dieser vorgeschlagenen Sichtweise ist aber nicht zu folgen, da wie bereits zuvor ausgeführt wurde die unmittelbare Anwendbarkeit von dem internationalen Rechtserzeugerkreis determiniert wird.184 Ist die unmittelbare Anwendbarkeit vom internationalen Rechtserzeugerkreis gar nicht bezweckt, liegt dies i. d. R. an einem rein bzw. vordergründig zwischenstaatlichen Regelungsinhalt. Dementsprechend kann das Nichtanbringen eines Erfüllungsvorbehaltes nur in einem geringen Ausmaß als Vermutung für die unmittelbare Anwendbarkeit eines Vertrages oder einer gewissen Bestimmung verstanden werden. Freilich ist aber zu bemerken, dass es zwischen ausdrücklich unmittelbar anwendbaren und explizit schlicht anwendbaren völkerrechtlichen Bestimmungen eine Reihe von völkerrechtlichen Normen gibt, deren spezifische Anwendbarkeit aus welchen Gründen auch immer nicht deutlich geregelt ist.185 In diesem Fall obliegt es dann primär internationalen aber auch nationalen Rechtsspruchkörpern die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Bestimmungen festzustellen.186 Auch wenn die internationale Rechtsprechung in diesem Punkt bis zu einem gewissen Grad Rechtssicherheit vermitteln kann,187 können divergierende nationale Gerichtsurteile leicht das Gegenteil bewirken. Gerade diese Unsicherheit war u. a. ausschlaggebend für die Einführung des Erfüllungsvorbehaltes durch die B-VGN 1964.188 Wenn folglich die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Vertragsbestimmung zweifelhaft ist, kann das Konstrukt des Erfüllungsvorbehalts für mehr Rechtssicherheit innerhalb der österreichischen Rechtsordnung sorgen. Ein nicht gesetzter Er183 So H. R. Klecatsky, 86 JBl. (Fn. 182), 358, welcher dies aber auf Staatsverträge reduziert, welche „self-executing“ sind. 184 Dazu ausführlich oben A.III.1. Der VfGH, Erkenntnis vom 30. November 1990, VfSlg. 12.558, Rz. 2c), lehnt ebenso eine automatische unmittelbare Anwendbarkeit durch Nichtanbringen eines Erfüllungsvorbehaltes ab und spricht sich für eine Vermutung der unmittelbaren Anwendbarkeit bei Nichtanbringen des Erfüllungsvorbehalts aus. Vgl. ebenso VfGH, Beschluss vom 30. November 1994, VfSlg. 13.952: „Beide völkerrechtliche[. . .] Vereinbarungen sind ohne Erfüllungsvorbehalt kundgemacht, was zunächst dafür spricht, daß die Verträge unmittelbar anwendbar sind.“ So auch VwGH, Erkenntnis vom 8. Juni 2005, 2004/03/0116, Rz. 2.3. 185 Gründe dafür können verschiedenster wie bspw. politischer Art sein. Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis3 (1984), 552 f.; T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 134 ff., führt darüber hinaus an, dass die Berücksichtigung von unterschiedlichen Rechtsordnungen zu einer Zurückhaltung bezüglich einer expliziten Anordnung der unmittelbaren Anwendbarkeit führen kann. 186 Vgl. v. a. dazu oben A.III.2. 187 Siehe bspw. die Interpretation des EGMR, Tyrer vs. the United Kingdom, Urteil vom 25. April 1978, Beschwerde Nr. 5856/72 Rz. 31, welcher die EMRK als „living instrument“ ansieht und diese vormals recht offenen Artikeln durch eine ausführliche Rechtsprechung ausgefüllt hat. 188 Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 84.
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füllungsvorbehalt kann sodann im Sinn einer Vermutung den Ausschlag dazu geben, dass die betroffene Bestimmung seitens des größeren Rechtserzeugerkreises als unmittelbar anwendbar erachtet wird.189 Dementsprechend kann aus dem Ansatz der notwendigen Anbringung eines Erfüllungsvorbehaltes unter der Androhung einer ansonsten automatisch ausgelösten unmittelbaren Anwendbarkeit in der soeben erläuterten abgeschwächten Form eine ertragreiche Variante zur Überbrückung des Spannungsverhältnisses von international unbestimmt formulierten Vertragsbestimmungen und dem innerstaatlichen Bestimmtheitsgebot gesehen werden. Freilich verbleibt ein explizites Bekenntnis des internationalen Rechtserzeugerkreises zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit wünschenswert. Dies gilt deshalb, weil auch der gegenteilige Schluss aus einem nicht angebrachten Erfüllungsvorbehalt gezogen werden kann, indem das Nichtanbringen vor dem Hintergrund der nicht vorhandenen Notwendigkeit gesehen wird, sich die unmittelbare Anwendbarkeit einer ohnehin bereits schlicht anwendbaren völkerrechtlichen Norm vorzubehalten. Wichtig ist auch die Frage, ob der Erfüllungsvorbehalt die unmittelbare Anwendbarkeit des völkerrechtlichen Vertrages schlicht bis zur innerstaatlichen Erfüllung aufschiebt oder ob die unmittelbare Anwendbarkeit ausschließlich dem nationalen Recht vorbehalten wird.190 Die Formulierung des VfGH, der aussprach, dass ein unter Erfüllungsvorbehalt ratifizierter Vertrag nicht „ohne Hinzutreten [. . .] eines Gesetzes“191 unmittelbar Grundlage für ein Urteil sein kann, könnte darauf schließen lassen, dass die internationale unmittelbare Anwendbarkeit mit der innerstaatlichen Umsetzungsbestimmung zusammengeführt wird. D.h., wenn die nationale Umsetzungsbestimmung wieder aufgehoben werden würde, könnte der völkerrechtliche Vertrag dann auch trotz des Erfüllungsvorbehalts unmittelbar anwendbar sein.192 Dass die unmittelbare Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages durch einen Erfüllungsvorbehalt ausgeschlossen wird, wenn bereits ein entsprechendes nationales Gesetze besteht, lässt aber eher auf zweitere Interpretationsvariante schließen, d.h. auf den strikten Ausschluss der un189
Siehe dazu ibid., Rz. 92; wie auch VfGH, VfSlg. 13.952 (Fn. 90). Dazu etwas skeptischer B. Binder, 35 ZaöRV (Fn. 9), 294, Fn. 48. 190 Vgl. dazu auch die nicht eindeutige Formulierung in VfGH, VfSlg. 12.558 (Fn. 184): „Er [der mit Erfüllungsvorbehalt versehene völkerrechtliche Vertrag] kann dann ohne Hinzutreten eines (schon vorhandenen oder erst zu erlassenden) Gesetzes nicht unmittelbare Grundlage für einen Verwaltungsakt oder ein Urteil bilden.“ 191 Ibid. 192 Vgl. F. Trauttmansdorff, Völkerrechtliche Verträge, die österreichische Bundesverfassung und Verwaltungspraxis – ein nicht unproblematisches Verhältnis, in: W. Benedek et al. (Hrsg.), FS Konrad Ginther (1999), 757 (773 f.).
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mittelbaren Anwendbarkeit der internationalen Norm. Wird der Erfüllungsvorbehalt als internationaler Vorbehalt gesehen, ist klar die zweitere Interpretationsvariante zu bevorzugen. Ein internationaler Vorbehalt gilt unabhängig davon, ob sich die nationale Rechtslage ändert. Der Unterschied dieser beiden Deutungsvarianten kommt sodann zum Tragen, wenn die nationale Bestimmung wieder abgeändert oder gar aufgehoben wird. ff) Die Kontrolle des VfGH von potentiell verfassungswidrigen völkerrechtlichen Verträgen gem. Art. 140a B-VG Art. 140a B-VG ermöglicht die Kontrolle bereits wirksamer völkerrechtlicher Verträge durch den VfGH. Nach der Rechtsprechung des VfGH kann ein völkerrechtlicher Vertrag gem. Art. 140a B-VG erst überprüft werden, wenn der Vertrag innerstaatlich kundgemacht wurde.193 Kommt der VfGH sodann zu dem Ergebnis, dass der überprüfte völkerrechtliche Vertrag verfassungswidrig ist, so ist er innerstaatlich fortan unanwendbar.194 Nicht zuletzt die außenpolitische Brisanz, die ein Erkenntnis mit sich bringen würde das einen wirksamen völkerrechtlichen Vertrag für verfassungswidrig erklärt, ist ein Grund dafür, weshalb Verfahren gem. Art. 140a B-VG höchst selten sind. Die innerstaatliche Unanwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages wegen Verfassungswidrigkeit hat der VfGH noch nie ausgesprochen.195 Auf Grund dieser Brisanz wurde Art. 140a B-VG aus völkerrechtlicher Perspektive bereits kritisch kommentiert.196 Nach der Theorie des Rechtserzeugerkreises ist Art. 140a B-VG ebenfalls zu problematisieren. Art. 140a B-VG ermöglicht es dem nationalen Rechtserzeugerkreis eine Willensübereinkunft des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises im Nachhinein einseitig die intendierte Wirkung zu verwehren. Insofern die festgestellte Verfassungswidrigkeit auf Grund der Verletzung von innerstaatlichen Zuständigkeiten beim Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages beruht, kann eine Verletzung von Art. 46 WVK geprüft werden. Wurde eine grundlegende nationale Zuständigkeitsregelung für die völkerrechtlichen Vertragspartner offenkun193 Siehe dazu VfGH, VfSlg. 18.576 (Fn. 169), Rz. II 2.1; und VfGH, VfSlg. 18.740 (Fn. 169), Rz. B)4. 194 So die statuierte Rechtsfolge von Art. 140a Z. 1 B-VG. Gem. Art. 140a Z. 1 B-VG kann der VfGH auch ein bestimmtes Datum für das Einsetzen der Unanwendbarkeit bestimmen. Vgl. dazu T. Öhlinger, Art. 140a B-VG, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar5, Bd. II (7. Lfg., 2005), Rz. 13. 195 Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 140a B-VG (Fn. 194), Rz. 5. 196 Siehe dafür K. Zemanek, Völkervertragsrecht (Fn. 111), 73; H. Miehsler, Alfred Verdross’ Theorie des gemäßigten Monismus und das Bundesverfassungsgesetz vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, JBl. (1965), 566 (573); sowie T. Öhlinger, Art. 140a B-VG (Fn. 194), Rz. 6 m. w. N. in Fn. 10.
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dig verletzt, so entspräche die Unanwendbarkeitserklärung gem. Art. 140a B-VG Art. 46 WVK. Somit wäre die Rechtsfolge von Art. 140a B-VG vom internationalen Rechtserzeugerkreis gedeckt und damit unproblematisch. Betrifft die Verfassungswidrigkeit allerdings eine materielle Verletzung des österreichischen B-VG, so widerspricht eine darauf folgende nationale Unanwendbarkeitserklärung der völkerrechtlichen Bestimmung der aktuellen Rechtslage des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises. Verletzungen des materiellen nationalen Rechts wurden bewusst nicht in Art. 46 WVK aufgenommen.197 Auf völkerrechtlicher Ebene können nur grundlegende Verletzung der nationalen Zuständigkeitsregelungen gem. Art. 46 WVK gerügt werden. Entsprechend der Theorie des Rechtserzeugerkreises wäre dementsprechend Art. 140a B-VG anders auszugestalten. Entweder müsste die Kontrolle auf Zuständigkeitsverletzungen eingeschränkt oder anstelle der Kontrolle post-Ratifikation ein „Gutachtenverfahren“ vor der Ratifikation vorgenommen werden, um eine potentielle national legitimierte Völkerrechtsverletzung ausschließen zu können. D.h., der VfGH müsste vor der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages diesen auf eine etwaige Verfassungswidrigkeit überprüfen. Vorstellbar und mit der Theorie des Rechtserzeugerkreises vereinbar wäre auch eine Abänderung der Rechtsfolge. Anstelle der nationalen Unanwendbarkeit des völkerrechtlichen Vertrages könnte die Pflicht der österreichischen Vertreter treten, eine verfassungskonforme Regelung, also eine Reparation auf internationaler Ebene, herzustellen. Gegen den Einwand, eine solche Rechtsfolge ist dem österreichischen Rechtsschutzsystem fremd, kann eingewandt werden, dass auch die Rechtsfolge der Unanwendbarkeit atypisch ist. Eine für die österreichische Rechtsordnung fremde Rechtsfolge ist deshalb notwendig, da die betroffenen Regelungen dem Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht und nicht ausschließlich dem nationalen Recht zuzuordnen sind. Eine kompromisslose Regelung, welche ausschließlich der österreichischen Rechtsordnung entspricht, muss demzufolge den Anforderungen des Verhältnisses des internationalem zum nationalen Rechtserzeugerkreis Rechnung zollen. Dass dies bereits von der aktuellen Rechtslage anerkannt wird, zeigt die atypische Rechtsfolge der Unanwendbarkeit gem. Art. 140a B-VG. Gerade weil die österreichische Praxis bis zur B-VGN 2/2008 die Möglichkeit kannte völkerrechtliche Verträge oder auch einzelne Bestimmungen eines Vertrages in den Verfassungsrang zu heben und diese Möglichkeit seit dieser Novelle ersatzlos gestrichen wurde, könnte es zu einer vermehrten Anwendung von Art. 140a B-VG und einer dementsprechend gehäuften – national auferlegten – Völkerrechtsverletzung Österreichs kommen. Ein Blick auf die Praxis zeigt, dass die Möglichkeit völkerrechtliche Verträge 197
Vgl. dazu bereits oben, S. 90 Fn. 284.
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oder einzelne Bestimmungen daraus in Verfassungsrang zu heben vom Nationalrat teilweise dazu genutzt wurde, um einer etwaigen Verfassungswidrigkeit des Vertrages aus dem Weg zu gehen. Diese Verfassungsrechtsbereinigung war schlussendlich ein tragender Beweggrund dafür, mit der Novelle 2008 völkerrechtliche Verträge im Verfassungsrang auf Grund ihrer hohen Zahl und der dadurch verursachten Unübersichtlichkeit, die damit einherging, zu streichen. Gem. Art. 145 B-VG „erkennt der [VfGH] über Verletzungen des Völkerrechts nach den Bestimmungen eines besonderen Bundesgesetzes.“ Ein Ausführungsgesetz zu Art. 145 B-VG ist bis heute nicht erlassen worden. Zum einen kann die Bedingung dieser Ausführungsgesetzgebung und zum anderen das Fehlen ihrer Ausführung als Argument dafür angeführt werden, dass die Brisanz der Möglichkeit der nachträglichen nationalen Kontrolle völkerrechtlicher Normen bekannt ist und dementsprechend die nachträgliche Kontrolle äußerst zurückhaltend ausgeübt wird. Auf Basis der Theorie des Rechtserzeugerkreises wird vorgeschlagen dieser Brisanz vollkommen Rechnung zu tragen, indem eine völkerrechtskonforme nationale Regelung zur Überprüfung von völkerrechtlichen Normen durch den VfGH hergestellt wird. 3. Völkergewohnheitsrecht a) Völkerrechtliche Grundlagen aa) Allgemeines Das Völkergewohnheitsrecht ist wie der völkerrechtliche Vertrag in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut als Völkerrechtsquelle festgehalten.198 Demnach basiert das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht auf einer allgemeinen als Recht anerkannten (opinio iuris) Übung (consuetudo). Dies wurde vom IGH folgendermaßen ausgedrückt: „[T]wo conditions must be fulfilled. Not only must the acts concerned amount to a settled practice, but they must also be such, or be carried out in such a way, as to be evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it.“199 198 Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut (BGBl. 249/71): Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitfälle nach Völkerrecht zu entscheiden, wendet an: Das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung. 199 IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany vs. Denmark; Federal Republic of Germany vs. Netherlands), Urteil vom 20. Februar
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Das Element der Staatenpraxis kann prägnant, als eine länger200 andauernde (ratione temporis) übereinstimmende Praxis201 (ratione materiae) bezogen auf einen geographischen Raum (ratione loci) zusammengefasst werden.202 Diese Bestandteile sind untereinander relativ. Das heißt, sie können in unterschiedlich gewichteter Ausprägung vorhanden sein, ohne dass die Voraussetzung, die an das Element der Staatenpraxis gestellt wird, in Mitleidenschaft gezogen ist.203 Das Element der Staatenpraxis muss von der Rechtsüberzeugung (opinio iuris) der, diese Praxis ausübenden Staaten getragen werden, um Recht und nicht eine rechtlich unverbindliche Tradition 1969, ICJ Rep. (1969), Rz. 77. Dieses Urteil wird zitiert und bestätigt von IGH, Jurisdictional immunities of the State (Fn. 78), Rz. 55. 200 Lang andauerende Praxis stellt nicht (mehr) eine unbedingte Voraussetzung an das Element der Staatenpraxis dar. Dies v. a. dann nicht, wenn die Geschlossenheit und die Allgemeingültigkeit der Praxis gegeben sind. Vgl. dazu IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199), Rz. 74: „the passage of only a short period of time is not necessarily, or itself, a bar to the formation of a new rule of customary international law on the basis of what was originally a purely conventional rule.“ Siehe auch I. Brownlie, Principles of public international law7 (2008), 7; A. D’Amato, The concept of custom in international law (1971), 56 ff.; und M. Akehurst, Custom as a source of international law, 47 British YIL (1974–75), 1 (14 ff.). Dies wird allerdings überspitzt durch den Vorschlag auch instant customary law anzuerkennen bei B. Cheng, United Nations resolutions on outer space: „Instant“ international customary law?, 5 Indian JIL (1965), 23 ff. Siehe stellvertretend für viele die Kritik dazu von B. Simma, Das Völkergewohnheitsrecht, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd I – Textteil4 (2004), 33 (36): „Ein durch Res der GV der VN geschaffener ‚instant custom‘, also ein ‚plötzlich‘ entstandenes VGR, ist aber ein Unding, da es ein auf der Übung beruhendes Recht ohne Übung nicht geben kann.“ 201 Vgl. dazu v. a. IGH, Asylum case (Columbia vs. Peru), Urteil vom 20. November 1950, ICJ Rep. (1950), 266, (276): „that the rule invoked [. . .] is in accordance with a constant and uniform usage practiced by the States in question [. . .]“ Vgl. auch IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199), Rz. 74: „State practice, including that of States whose interests are specially affected, should have been both extensive and virtually uniform in the sense of the provision invoked;“ und IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Fn. 76), Rz. 186: „The Court does not consider that, for a rule to be established as customary, the corresponding practice must be in absolutely rigorous conformity with the rule. In order to deduce the existence of customary rules, the Court deems it sufficient that the conduct of States should, in general, be consistent with such rules, and that instances of State conduct inconsistent with a given rule should generally have been treated as breaches of that rule, not as indications of the recognition of a new rule.“ Vgl. auch I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 7 Fn. 21 m. w. N. 202 Vgl. dazu R. Kolb, Selected problems in the theory of customary international law, 50 Netherlands ILR (2003), 119 (133); I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 7 f., für eine exemplarische Aufzählung möglicher Staatenpraxis siehe (6); wie auch M. N. Shaw, International law6 (2008), 82. Dafür dass auch das Nicht-Handeln als Staatenpraxis angesehen werden kann siehe alg. M. Akehurst, 47 British YIL (Fn. 200), 10 ff.; und J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 67 m. w. N. in Fn. 40.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
darzustellen.204 Abgesehen davon kann eine völkergewohnheitsrechtliche Bestimmung auch partikulär bzw. regional begrenzt gelten, je nachdem, auf welchen geographischen Raum die Elemente bezogen bzw. wo sie anzutreffen sind.205 Die Willensübereinkunft, welche auf dem Willen der Individuen eines Rechtserzeugerkreises fußt, wurde als zentrales Merkmal des Rechtsbegriffs hervorgehoben.206 Die Willensäußerung bzw. Willensabgabe erfolgt im internationalen Recht generell und bezüglich des Völkergewohnheitsrechts im Speziellen durch die bevollmächtigten Organe der nationalen Rechtserzeugerkreise.207 Anders als bei völkerrechtlichen Verträgen bevollmächtigen die nationalen Verfassungsbestimmungen aber i. d. R. keine bestimmten Organe zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht. Dementsprechend kommt zunächst einmal jedwedes dem Staat zurechenbare Handeln nach außen oder die Unterlassung desselbigen als mögliche Grundlage für Völkergewohnheitsrecht in Frage.208 Die aktive Völkerrechtssubjektivität von 203
Siehe dazu IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199), Rz. 74; IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Fn. 76), Rz. 186; wie auch R. Kolb, 50 Netherlands ILR (Fn. 202), 133 f. 204 Vgl. dazu IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199), Rz. 77 opinio iuris ist: „evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it. The need for such a belief, i. e., the existence of a subjective element, is implicit in the very notion of the opinio juris sive necessitatis.“ 205 Vgl. dazu M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 92 f.; wie B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 33. 206 Siehe dazu oben A.II.1.c). 207 Vgl. dazu A. Bleckmann, Zur Feststellung und Auslegung von Völkergewohnheitsrecht, 37 ZaöRV (1977), 504 (519): „Auszugehen ist deshalb davon, daß eine Praxis für Völkergewohnheitsrecht nur dann relevant ist, wenn die Praxis den Staaten zugerechnet werden kann. Ob sie den Staaten und internationalen Organisationen zugerechnet werden kann, richtet sich offensichtliche nach der Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Staaten und internationalen Organisationen. Staaten und internationale Organisationen können an ihrer Praxis nur dann festgehalten werden, wenn ein zuständiges Organ diese Praxis gesetzt hat. Auf der anderen Seite ist auch hier der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten.“ Dies überzeichnet K. Strupp, Les règles générales du droit international de la paix, 47 RdC Bd. I (1934), 259 (313 f.), welcher als kompetente Organe zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht nur diejenigen Organe ansieht, die auch kompetent sind, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Dass sich diese doch sehr theoretische Sichtweise in der Praxis nicht ohne weiteres widerspiegelt zeigt L. Kopelmanas, Custom as a means of the creation of international law, 18 British YIL (1937), 127 (127): „Here law [Völkergewohnheitsrecht] is not made by the acts of organs with definite powers. The rules of law here get their positive quality from the fact that the subjects of law actually do observe a certain attitude in their reciprocal relations. A positive quality is given to a rule of law, not by any one act of a competent authority, but by a number of similar acts by individuals most or all of whom have no special powers – acting either by majority or by unanimity – in the matter.“
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Individuen, die nicht als Staatsorgane handeln, wird aber auf die Trägerschaft des Rechtswillens, der hinter dem Völkergewohnheitsrecht steht, begrenzt.209 Als materielle Rechtsquelle wurde die schlichte Dokumentation einer verbindlichen Willensübereinkunft definiert.210 Eine formelle Rechtsquelle zeichnet sich dagegen durch das Aufstellen von prozessualen Entstehungsvoraussetzungen aus, welche ein konstitutives Merkmal darstellen, um eine bestimmte Willensübereinkunft als von dieser Rechtsquelle entspringendes Recht bezeichnen zu können. Eine formelle Rechtsquelle erleichtert in diesem Sinne die Identifikation von verbindlichen Willensübereinkünften. Durch formelle Rechtsquellen kann – selbstverständlich per Willensübereinkunft – eine erleichterte Entstehungsvoraussetzung bspw. durch Mehrheitsentscheidungen etabliert werden.211 Im Hinblick auf das Völkergewohnheitsrecht kann eine derartige formelle Rechtsquelle im positiven Recht festgestellt werden. Ob diese formelle Rechtsquelle allerdings ausschließlich durch Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut beschrieben wird, ist dagegen nicht ohne weiteres zu bejahen. Art. 38 Abs. 1 lit. b) ist zumindest eine Stütze zur Identifikation von Völkergewohnheitsrecht.212 In diesem Zusammenhang dürfen auch die Unsicherheiten, welche die Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts in sich birgt, nicht unerwähnt bleiben. Vor allem die Nicht-Schriftlichkeit wie auch die Tatsache, dass über die Gewichtung der beiden Elemente der Staatenpraxis und der opinio iuris Uneinigkeit herrscht birgt Unsicherheiten.213 Dies setzt sich fort in der Unklarheit, welches staatliche Verhalten überhaupt für das Element der Staatenpraxis in Frage kommt,214 was die Identifikation des Elements der 208 Noch ohne Rücksichtnahme, ob dies als Staatenpraxis oder Rechtsüberzeugung eingeordnet wird. Vgl. allg. dazu J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 63 m. w. N. 209 Vgl. dazu schon oben A.II.2.h), S. 71. 210 Siehe dazu oben A.II.1.g). 211 Vgl. dazu die Aussage von M. H. Mendelson, 66 British YIL (Fn. 38), 190: „But given that States have in fact consented to the existence of a system of international law as a whole [. . .] it does not necessarily follow that the creation and binding force of each individual rule in the system is dependent on the consent of each and every subject at each and every moment. [. . .] It is States, as the principal subjects of the systems, who decide what processes will be recognized as generating rules of law. If they chose, they could recognize papal pronouncements or the randomly generated choices of a computer, say, as sources of legal obligation.“ 212 Dazu allerdings sogleich B.III.3.a)bb). 213 Vgl. dazu J. Kammerhofer, Uncertainty in the formal sources of international law: Customary international law and some of its problems, 15 European JIL (2004), 523 ff. 214 Siehe die überblicksartige Diskussion bei J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 62 ff.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Staatenpraxis erschwert.215 Wie bereits ausgeführt, ist die Identifikation der Willensübereinkunft ein kognitives Problem,216 welchem allerdings durch eine positiv-rechtliche Umschreibung des für die Identifikation notwendigen Verhaltens, also durch Schaffung einer formellen Rechtsquelle, entgegengewirkt werden kann. Da allerdings gerade über diese formellen Entstehungsvoraussetzungen von Völkergewohnheitsrecht Uneinigkeit herrscht, ist die Identifikation der Willensübereinkunft bei positivrechtlichem Völkergewohnheitsrecht ein virulentes Problem.217 Hier soll allerdings keine detaillierte Diskussion über die mit der Rechtsquelle verknüpften Schwierigkeiten vorgenommen werden. Dies geschah andernorts schon mehrfach.218 Auf einen kurzen Überblick über den Entstehungsprozess und die Wirkung von Völkergewohnheitsrecht kann aber dennoch nicht verzichtet werden, da die Auswirkung dieser Normen im innerstaatlichen Recht entscheidend davon abhängt. Dementsprechend werden einschlägige Problemfelder der formellen Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts behandelt. bb) Entstehung des Völkergewohnheitsrechts Eine völkergewohnheitsrechtliche Norm gem. Art. 38 Abs. 1 IGH Statut ist eine allgemeine, als Recht anerkannte (opinio iuris), Übung (consuetudo). In der bereits zuvor zitierten Rechtsprechung des IGH wird das subjektive Element der opinio iuris als Rechtsüberzeugung der Staaten angesehen, einer bestimmten Übung aus dem Grunde nachzugehen, da diese Übung als rechtliche Verpflichtung angesehen wird, der aufgrund einer bereits bestehenden Norm des Völkergewohnheitsrechts nachgekommen werden muss.219 Wird darüber die gedankliche Brücke zur Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm geschlagen, tritt ein altbekanntes Paradoxon zum Vorschein.220 Es gilt die Frage zu klären, wie überhaupt eine Norm des Völkergewohnheitsrechts entstehen kann, wenn doch das Verhalten des Staa215
Vgl. dazu ibid., 68 ff. Siehe dazu oben A.II.1.b). 217 Siehe in diesem Sinne M. Koskenniemi, From apology to utopia – The structure of international legal argument (1988, Neudruck von 2005), 431, welcher hypothetisch fragt, ob die Unsicherheit innerhalb der Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrecht abnehmen würde, wenn klar bestimmt wäre, welche Staatenpraxis zur Entstehung von Gewohnheitsrecht in Frage kommt und wie diese nachgewiesen werden kann. 218 Vgl. statt vieler J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 59 ff. m. w. N. 219 Siehe dazu das Zitat oben in Fn. 204. 220 Vgl. dazu ganz allg. M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 86 f.; und A. D’Amato, Concept (Fn. 200), 66 f. 216
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tes von der Rechtsüberzeugung getragen sein soll, zu diesem Verhalten bereits rechtlich verpflichtet zu sein. So hat bereits Aristoteles festgestellt: „Wenn es einen ersten Menschen gegeben hat, dann musste er ohne Vater oder Mutter geboren worden sein, – was der Natur zuwiderläuft, denn es könnte kein erstes Ei gegeben haben, um Vögel zu gebären oder es hätte einen ersten Vogel geben müssen, der Eiern den Anfang gab; denn der Vogel kommt aus einem Ei.“221
Die Antwort steckt in der Aussage selbst, indem auf den Widerspruch zur Natur verwiesen wird. So kann aus naturwissenschaftlicher Sicht dieses Paradoxon mit dem Hinweis auf die Evolutionstheorie Darwins aufgelöst werden. Diese Sichtweise ermöglicht es, aus dem kreationistisch festgesetzten Entstehen von Adam und Eva im Aristotelischen Vergleich deren natürliche Entstehungsgeschichte mitzudenken. Für unseren Vogel bedeutet dies, dass er nicht plötzlich vom Himmel viel oder aus einem Ei entschlüpfte, sondern sich vielmehr aus einem anderen Lebewesen evolutionär entwickelt hat. Inwiefern sodann die Naturwissenschaften diese Frage bezogen auf den Vogel und dessen Ei klärt,222 ist für unser Beispiel nicht mehr von Relevanz. Es reicht zu erkennen, dass weder eine präexistente Norm, noch das durch eine irrtümlich angenommene rechtliche Verpflichtung gesetzte Verhalten der Ausgangspunkt für das Lösen unseres völkergewohnheitsrechtlichen Paradoxons sein kann. Vielmehr ist auch im Rahmen der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht eine „evolutionäre“ Entwicklung anzunehmen. So kann ein staatliches Verhalten als angebrachtes Verhalten angesehen werden, ohne dass dahinter notwendigerweise das subjektive Element der opinio iuris vorhanden sein muss. Erst im Lauf der Zeit kann dann durch ein angepasstes Verhalten anderer Staaten eine subjektive Rechtsüberzeugung entstehen, welche sodann nach und nach zur völkergewohnheitsrechtlichen Norm führt. Nichts anderes legt auch eine sprachliche Interpretation des Wortes Gewohnheit nahe, welches auch zumindest eine gewisse repetitive, zeitliche Komponente inkludiert.223 Dieser sich entwickelnde Prozess ist die Entstehungsvoraussetzung der formellen Rechtsquelle des Völkerge221 Aristoteles zitiert nach H. P. Blavatsky, Isis entschleiert – Ein Meisterschlüssel zu den alten und modernen Mysterien, Wissenschaft und Theologie, Bd. I Wissenschaft (1975), 428 f. 222 Siehe dazu R. Schroeder, Die Henne und das Ei – Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens (2011), 81 ff. 223 Vgl. Wictionary: Gewohnheit http://de.wiktionary.org/wiki/Gewohnheit [Stand April 2013]: „Eine unter gleichartigen Bedingungen reflexhaft entwickelte Reaktionsweise, die durch Wiederholung stereotypisiert wurde und beim Erleben gleichartiger Situationsbedingungen wie „automatisch“ nach demselben Reaktionsschema ausgeführt wird.“ Vgl. auch Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, http://www.dwds.de/?kompakt=1&qu=Gewohnheit [Stand April 2013]: „Durch häufige Wiederholung zur Selbstverständlichkeit gewordene Handlung oder Haltung, die meist nahezu automatisch vollzogen wird.“
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wohnheitsrechts. Dieser Prozess ist folglich von der Identifikation des Völkergewohnheitsrechts zu trennen. Letzteres ist nur bei einem bereits abgeschlossenen Entstehungsprozess möglich. Daraus folgt aber auch die Schwierigkeit, den exakten Zeitpunkt der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht festzustellen.224 Dies schließt freilich nicht aus, dass ein Staat in dem Irrglauben rechtlich zu einem Verhalten verpflichtet zu sein, dieses Verhalten setzt. Es schränkt allerdings die Anzahl dieser Fälle der Entstehung von neuem Völkergewohnheitsrecht wesentlich ein, was sich auch in der geltenden Völkerrechtsordnung widerspiegelt. Aus dem Blickwinkel des scheinbaren Paradoxons wurde die Formulierung von Art. 38 Abs. 1 IGH Statut vielfach als unglücklich bezeichnet.225 Hier soll allerdings diese Definition und die darauf aufbauende Rechtsprechung verteidigt werden. Die gewählte Definition setzt nämlich bereits voraus, was diverse Kommentatoren von ihr ablesen wollen. Genauso wie der IGH nur bereits existente Normen des Völkergewohnheitsrechts anwenden kann, kann auch vom Statut des IGH nur eine Definition von bereits bestehenden Rechtsquellen abverlangt werden.226 M. a. W., die Natur des IGH Statuts besteht in der Definition von anzuwendenden Rechtsquellen und nicht in der Normierung des Entstehungsprozesses selbiger Rechtsquellen. Es wird beurteilt „ob die Frucht reif ist und nicht, wann sie gereift ist“227. Art. 38 Abs. 1 IGH Sta224 Vgl. dazu auch J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 80 f., welcher auf Grund der Schwierigkeit zu unterscheiden was das Recht tatsächlich schon ist, und dem (Irr-)Glauben eines Staates was das Recht sein sollte das Paradoxon entschärft, indem er eine andere Unsicherheit offenbart, dass der Zeitpunkt des Entstehens einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm als nur vage zu bestimmend im Raum stehen bleibt. 225 Siehe dazu bspw. A. Verdross, Entstehungsweisen und Geltungsgrund des universellen völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, 29 ZaöRV (1969), 635 (649 insbes. Fn. 67); und B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 33. 226 Vgl. für eine gleichgelagerte Argumentation allerdings zu Art. 53 WVK U. Linderfalk, (Fn. 39), 359. 227 Siehe für diese Metapher M. H. Mendelson, 66 British YIL (Fn. 38), 179 in Fn. 9: „a court need only decide whether the rule had come into being for the parties at the ‚critical date‘ (or equivalent) – in other words, whether the fruit is ripe, not when it ripened.“ Siehe dazu auch G. G. Fitzmaurice, Some problems regarding the formal sources of international law in: F. M. von Asbeck et al. (Hrsg.), Symbolae Verzijl (1958), 153 (173): „does not really profess to contain an abstract statement of the sources of international law.“ Welcher sodann aber darüber hinaus Art. 38 Abs. 1 IGH Statut überhaupt die Relevanz als Rechtsquelle abspricht, indem er sagt, dass „Article 38 is simply a sort of standing directive to the Court as to what it is to apply in deciding cases brought before it.“ Kritisch dazu G. M. Danilenko, Law-making in the international community (1993), 33 ff. m.w.N, der zurecht festhält, dass: „[e]xamples of state practice indicating a wide acceptance of Art. 38 as an authoritative enumeration of sources of international law are numerous.“ Was auch vom IGH bestätigt wird: IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Fn. 76), Rz. 172.
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tut kann deswegen nicht als die ersehnte Beschreibung der formellen Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts aufgefasst werden. Die Entstehung des Völkerrechts ist vielmehr auch von seiner fortdauernden Geltung bzw. Verbindlichkeit scharf zu trennen.228 Dieser Unterschied zu nationalen Verfassungsordnungen, welche i. d. R. neben der Aufzählung aller in dem jeweiligen Rechtssystem anerkannten Rechtsquellen auch deren Entstehung regeln, liegt eben gerade auch in der nicht (geschrieben) vorhandenen völkerrechtlichen Verfassung(sordnung) begründet.229 Aus Art. 38 Abs. 1 IGH Statut kann demgemäß die Entstehung von (neuem) Völkergewohnheitsrecht höchstens rückgeschlossen, dessen konstitutive Regelung aber nicht abverlangt werden.230 Vollständig gelöst ist das Paradoxon durch die dargestellte ausdifferenzierte Berücksichtigung des Entstehungsprozesses allerdings noch nicht. Gerade im Zuge der rasant zunehmenden Globalisierung werden an das Recht und an dessen Entstehung erhöhte Anforderungen gestellt. Geht aus dem Wort der Gewohnheit schon implizit eine gewisse Dauer hervor, welche bis zur Etablierung der Gewohnheit verstreichen muss, so haben gerade die Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten den Ruf nach einem rascheren Entstehungsprozess des Völkergewohnheitsrechts ausgelöst.231 Umso 228 Siehe dazu auch J. I. Charney, The persistent objector rule and the development of customary international law, 56 British YIL (1985), 1 (16): „The obligation to conform to rules of international law is not derived from the voluntary decision of a State to accept or reject the binding force of a rule of law.“ 229 Vgl. dazu allg. die Aussage von L. Henkin, International law, politics and values (1995), 31 f.: „The international system implies a number of assumptions and conceptions of axiomatic ‚constitutional‘ character.“ Auch wenn er (formelle) Rechtsquellen in seiner Aufzählung dieser implizierten Normen nicht nennt. 230 Dies wird allerdings auch vom IGH verkannt, wenn er – überflüssigerweise – die Rechtsüberzeugung bereits gemäß einer bestehenden völkergewohnheitsrechtlichen Norm zu handeln, auch für die Entstehung einer neuen völkergewohnheitsrechtlichen Norm voraussetzt. IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Fn. 76), Rz. 207 und dabei zitierend IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199), Rz. 77: „[F]or a new customary rule to be formed, not only must the acts concerned ‚amount to a settled practice‘, but they must be accompanied by the opinio juris sive necessitatis. Either the States taking such action or other States in a position to react to it, must have behaved so that their conduct is ‚evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it. The need for such a belief, i. e., the existence of a subjective element, is implicit in the very notion of the opinio juris sive necessitates.‘ “ Für diese Kritik siehe auch M. H. Mendelson, 66 British YIL (Fn. 38), 183. Siehe aber erst kürzlich IGH, Jurisdictional immunities of the State (Fn. 78), Rz. 55: „It follows that the Court must determine, in accordance with Article 38 (1) (b) of its Statute, the existence of ‚international custom, as evidence of a general practice accepted as law‘ “. [Hervorhebung vom Verfasser] 231 Siehe grundlegend dazu B. Cheng, 5 Indian JIL (Fn. 200).
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rascher die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht aber vonstattengehen soll, umso mehr gerät die gerade zuvor gefundene Erklärung ins Schwanken. Die grundlegende Entstehungsvoraussetzung des Völkergewohnheitsrechts muss in Anbetracht einer spontan, bzw. zumindest innerhalb kurzer Zeit entstehenden gewohnheitsrechtlichen Norm in die Nähe eines bewussten Rechtserzeugungsprozesses gerückt werden. Eine Richtschnur zur Identifikation einer rasch und zielgerichtet zu Stande kommenden Willensübereinkunft stellt Art. 38 Abs. 1 IGH Statut dar, insofern die Willensübereinkunft auch für die Rechtsquelle des Gewohnheitsrechts maßgebend ist. Wird nun nicht die Entstehung selbst von Art. 38 Abs. 1 IGH Statut geregelt, so wird durch die Definition doch der Entstehungsprozess der Norm umrissen. Als zentrales Element des hier gewählten Rechtsbegriffes wurde die verbindliche Willensübereinkunft identifiziert.232 Einfach ausgedrückt wird durch eine bestimmte Rechtsüberzeugung eines Staates gemäß der Definition in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut vorgeschlagen, eine bestimmte staatliche Übung als Recht zu etablieren. Im Sinn der oben gefundenen Metapher zum evolutionären Entstehungsprozess von Völkergewohnheitsrecht wird folglich das subjektive Bewusstsein eines kleineren Rechtserzeugerkreises, Recht erzeugen zu wollen, so verstanden, dass durch die Übung getragen vom rechtlichen Bewusstsein der Handlung vorgeschlagen wird, Recht auf der Ebene des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises zu erzeugen.233 Die Annahme dieses Angebots durch weitere nationale Rechtserzeugerkreise begründet sodann Völkergewohnheitsrecht.234 Dem Paradoxon wird dadurch auch unter der Herausforderung eines innerhalb kurzer Zeit entspringenden Völkergewohnheitsrechts Paroli geboten.235 Demzufolge 232
Siehe dazu oben A.II.1.c). So bezeichnet auch R. M. Walden, The subjective element in the formation of customary international law, 12 Israel Law Review (1977), 344 (355): „The tacit consent theory, in all its forms, has the great merit of recognising the constitutive nature of custom.“ 234 Siehe so ähnlich auch M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 87: „If a state proclaims a twelve-mile limit to its territorial sea in the belief that although the three-mile limit has been accepted law, the circumstances are so altering that a twelve-mile limit might now be treated as becoming law, it is vindicated if other states follow suit and a new rule of customary law is established. If other states reject the proposition, then the projected rule withers away and the original rule stands, reinforced by state practice and common acceptance.“ Vgl. dazu auch C. H. M. Waldock, The legal basis of the continental shelf, 36 Transactions of the Grotius Society, Problems of Public and Private International Law, Transactions for the Year 1950 (1950), 115 (138 f.), der den Prozess als: „[. . .] an invitation to other States to join in an deliberate and legislative development of costumary law“ beschreibt. 235 Siehe dazu aber auch die – vor allem, aber nicht nur bezüglich dem hier gewählten Rechtsbegriff – abzulehnende These, die „erste“ Staatenpraxis auf der 233
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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kommt die Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises durch bestätigende Staatenpraxis zu Stande. Diese Interpretation entspricht insoweit der Konsenstheorie.236 Mit dieser Theorie kann auch in Einklang gebracht werden, dass bei neu entstehendem Völkergewohnheitsrecht die rechtliche Bindung durch einen ausdrücklichen und anhaltenden Widerspruch eines Staates für diesen Staat verhindert werden kann (persistent objector).237 In diesem Fall wird das Angebot nicht angenommen. Von vielen Kommentatoren wird als großes Manko der Konsenstheorie angesehen, dass diejenigen Staaten, die sich nicht an der allgemeinen Praxis aktiv beteiligen, durch ihr Stillschweigen an die Norm des Völkergewohnheitsrechts gleichwohl gebunden werden.238 Davon ist die Situation zu trennen, in der ein passives Verhalten eines Staates als Unterlassung eine aktive Praxis darstellt.239 Darüber hinaus hat ein Staat, welcher sich nicht durch seine Praxis an der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beteiligt, entweder die Wahl explizit dagegen zu protestieren und damit zumindest die Bindungswirkung für sich auszuschließen oder aber stillschweigend die Entstehung dieser Norm und damit auch die Bindungswirkung zu akzeptieren. Ob dies als „implizite Zustimmung“ (tacit agreement) glücklich bezeichnet ist,240 sei dahingestellt. Die Kritik der Konsenstheorie geht nach der hier Rechtsüberzeugung beruhe darauf, dass diese Staaten, welche de facto eine neue völkergewohnheitsrechtliche Norm begründen, dies im Irrglauben tun, durch eine bereits existente völkergewohnheitsrechtliche Norm dazu verpflichtet zu sein. Siehe erstmals zu dieser These H. Kelsen, Théorie du Droit International coutumier, 1 (N.S.) Revue International de la théorie du droit (1939), 253 (263), der dieser These aber selbst ablehnend gegenüber stand. Vgl. dazu auch B. Cheng, 5 Indian JIL (Fn. 200), 45, insbes. Fn. 107; wie A. D’Amato, Concept (Fn. 200), 66 f. 236 Vgl. dazu G. M. Danilenko, The theory of international customary law, 31 German YIL (1988), 9 ff.; O. Elias, The nature of the subjective element in customary international law, 44 ICLQ (1995), 501 ff.; K. Wolfke, Custom in present international law2 (1993), 57. Siehe für einen allg. Überblick A. Verdross, 29 ZaöRV (Fn. 225), 636 ff. Kritisch dazu u. a. R. Kolb, 50 Netherlands ILR (Fn. 202), 144, der die Völkerrechtsquelle des Vertrages auf souveränem Staatenwillen ruhend, die völkergewohnheitsrechtliche Quelle aber als organisches Recht bezeichnet: „some form of organic law-making throug practice [. . .] involving some mixture of willelements (opinio iuris) and non-will elements (general practice binding all states).“ 237 Vgl. dazu IGH, Fisheries case (United Kingdom vs. Norway), Urteil vom 18. Dezember 1951, ICJ Rep. (1951), 116, (131); IGH, Asylum case (Fn. 201), 277 f.; und IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199). Vgl. dazu M. Akehurst, 47 British YIL (Fn. 200), 25 m. w. N. in Fn. 5 und 6; wie T. Stein, The approach of the different drummer: The principle of the persistent objector in international law, 26 Harvard ILJ (1985), 457 ff. Vgl. kritisch dazu J. Charney, 56 British YIL (Fn. 228), 21. 238 So bspw. H. Kelsen, Principles of international law (1952), 311. 239 Siehe dazu oben, B.III.3.a)aa), Fn. 202. 240 So die Vertreter der Konsenstheorie.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
vertretenen Auffassung dennoch fehl: In diesem Zusammenhang sei die Freiheit der Staaten erwähnt, einen derartigen Entstehungsprozess in Form einer formellen Rechtsquelle festzulegen.241 Wurde folglich diese formelle Rechtsquelle konsensual in Form einer Willensübereinkunft festgesetzt, so ist es durchaus möglich, eine implizite Zustimmung oder auch Mehrheitsentscheidungen für weitere Normsetzungsmechanismen zu vereinbaren. Da allerdings auf die Unsicherheiten der formellen Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts hingewiesen wurde, ist eine diesbezügliche Deutungsvariante zumindest auch mit Hinblick auf die Grundlage des gewählten Rechtsbegriffs, welcher gleichzeitig die materielle Rechtsquelle darstellt, gut zu begründen. Dies wirft die Frage auf, wie bzw. ob das Merkmal des Rechtsbegriffs, d.h. die Willensübereinkunft, bei der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ausreichend berücksichtigt wird. Die Relevanz dieser ausdrücklichen Willensübereinkunft steigt, desto weniger Staaten aktiv an der Staatenpraxis mitwirken, um Völkergewohnheitsrecht zu begründen.242 Vermehrt zum Tragen kommt dies bei ganz grundlegenden rechtlichen Fragestellungen, die aber (noch) nicht auf einen klaren rechts-positiven Geltungsgrund, d.h. auf eine getroffene Willensübereinkunft, verweisen können. Nur zu groß ist die Versuchung diese fundamentalen Normen des Völkergewohnheitsrechts als „vorgegebenes“ Völkergewohnheitsrecht243 zu begründen und damit den Nachweis (ausreichender) Staatenpraxis zu umgehen.244 Konstatiert werden muss allerdings, dass bereits bei der Definition des Rechtsbegriffs offen gelassen wurde, wie die Willensübereinkunft zu Stande kommt.245 Für die große Zahl an Staaten, welche nicht aktiv an der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht teilnehmen, wurde dementsprechend das Element der stillschweigenden Zustimmung (acquiescence) herangezogen, um die Entstehung der Norm und auch die Bindung der Staaten an diese 241
Siehe dazu bereits oben B.III.3.a)aa), insbes. Fn. 211. Vgl. dazu J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 77. 243 Siehe dazu die Deduktion von einer „transzendenten“ völkergewohnheitsrechtlichen Norm, welche durch die erste! Praxis eines Staates schlichtweg „erkannt“ wird: J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 78 ff. 244 A. D’Amato, Concept (Fn. 200), 218 f.: „The root of the problem may involve an age-old device of political philosophers who, to add to their own persuasiveness, claim that the behavioral norms they set forth are in fact obeyed by mankind in general. Marx, Hobbes, Hegel, and Austin, among many others, have attempted to show ‚scientifically‘ that what ought to be the case is in fact the case, and that nothing the reader may do will derail what the writer perceives as historically inevitable. So too McDougal argues that the Lasswellian values not only should be accepted by all reasonable and decent men, but in fact they are so accepted throughout the world. What, then, if someone rejects them? McDougal would consign such men to the extra-legal world, much as Rousseau, for example, solved the problem of dissent in his Social Contract by banishing the dissenters from the body politic.“ 245 Siehe dazu oben A.II.1. 242
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Norm begründen zu können.246 Um die Anforderungen an eine bewusste Willensübereinkunft nicht allzu sehr zu einer Fiktion werden zu lassen, wird z. T. verlangt, dass nur diejenigen Staaten stillschweigend zustimmen, die von der Staatenpraxis wussten oder zumindest davon hätten wissen müssen.247 Dennoch bleiben kritische Stimmen, welche die Zustimmung durch Stillschweigen in Frage stellen.248 Geht man allerdings davon aus, dass die formelle Rechtsquelle das Prinzip des acquiescence mitumfasst, so wird die Frage entschärft, inwiefern acquiescence als stillschweigende Zustimmung zu einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gesehen werden kann. In der formellen Rechtsquelle zur Schaffung von Völkergewohnheitsrecht wird demnach eine Ermächtigung für „aktive“ Praxis gesehen, die bei entsprechend aktiver Annahme durch weitere Staaten eine bindende Gewohnheitsregel auch für alle passiven Staaten schaffen kann.249 Bei verbliebener Skepsis kann auch eine Parallele zu der Entstehung der „ersten Verfassung“ eines Staates weitere Überzeugungsarbeit leisten. Der Gesellschaftsvertragslehre wird in ähnlicher Weise der Einwand entgegengehalten, dass ein grundlegender Konsens bezüglich eines derart fundamentalen Vertrages utopisch ist. Diesem Einwand kann die (fiktive) Voraussetzung eines ersten Grundkonsenses entgegen gehalten werden, welcher die Mehrheitsentscheidung über die erste Verfassung akzeptiert,250 da zwischen allen Beteiligten dahingehend Übereinstimmung besteht, dass eine Verfassung überhaupt im Interesse aller ist. In anderen Worten: Auch wenn die „erste Verfassung“ nicht das gewünschte Ergebnis aller Beteiligten ist, so besteht doch über die Notwendigkeit Konsens, überhaupt eine Verfassung zu benö246 Siehe dazu v. a. I. C. MacGibbon, 33 British YIL 1957 (Fn. 47), 130: „[I]n the early stages of the development of a customary right other States are faced with the choice of objecting or remaining passive. From their inaction the inference of consent in and acceptance of the validity of the claim may be drawn.“ 247 Siehe so M. H. Mendelson, 66 British YIL (Fn. 38), 186 unter Verweis auf IGH, Fisheries Case (Fn. 237), 138 f.; M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 87. 248 J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 78, bezeichnet acquiescence als „legal fiction“. Vgl. auch M. Byers, Custom, power and the power of rules: International relations and customary international law (1999), 143 f.; wie M. H. Mendelson, 66 British YIL (Fn. 38), 186 ff.; und T. Gihl, The legal character of sources of international law, 1 Scandinavian Studies in Law (1957), 51 (79). 249 Für eine pragmatische Umschreibung siehe G. G. Fitzmaurice, The law and procedure of the International Court of Justice, 1951–54: General principles and sources of law, 30 British YIL (1953), 1 (68): „Where a general rule of customary international law is built up by the common practice of States, although it may be a little unnecessary to have recourse to the notion of agreement (and a little difficult to detect it in what is often the uncoordinated, independent, if similar, action of States), it is probably true to say that consent is latent in the mutual tolerations that allow the practice to be built up at all; and actually patent in the eventual acceptance (even if tacit) of the practice, as constituting a binding rule of law.“ 250 Ob explizit, stillschweigend oder fiktiv, kann hier dahin stehen bleiben.
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tigen. Die Frage an diejenigen Individuen, welche nicht für die konkrete Verfassung gestimmt haben, kurzum die Minderheit, darf also nicht auf den speziellen Inhalt der von ihnen eben nicht gewünschten Willensübereinkunft abzielen. Vielmehr muss die grundlegende, erste Willensübereinkunft (Akzeptanz der Mehrheitsentscheidung, um überhaupt zu einer Verfassung zu gelangen) der Alternative, dem ungeregelten Chaos, gegenübergestellt werden. Vor die Wahl Chaos oder Verfassung gestellt, wird auch die Antwort der Minderheit anders ausfallen. Geht freilich der Mehrheitskompromiss soweit, dass die Minderheit sogar bereit wäre zu hasardieren, d.h. tatsächlich das Chaos vorziehen würde, gehen wir übereinstimmend mit dem in Teil A. Gesagten251 davon aus, dass sich diese Situation auch für die Mehrheit als unerwünscht darstellt und damit keine Willensübereinkunft zustande kommen kann. Was bedeutet dies für das theoretische Konstrukt der stillschweigenden Zustimmung im Völkergewohnheitsrecht? Zum einen kann die Notwendigkeit der Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts ins Treffen geführt werden, welche von allen Staaten als notwendiger Regelungsrahmen anerkannt wird, so dass sie auch die Entstehung einer Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts durch ihr Stillschweigen akzeptieren. Die folgende Bindungsgefahr durch passives Verhalten wird dadurch relativiert, dass die Möglichkeit des ausdrücklichen Protests gegen eine ihnen unliebsame Norm bleibt.252 Zum anderen kann die etwaige Unsicherheit bezüglich der stillschweigenden Zustimmung im Völkergewohnheitsrecht gegenüber dem möglichen Widerspruch zur ersten Verfassung auch dahingehend abgegrenzt werden, dass die Entstehungsvoraussetzungen des Völkergewohnheitsrechts, also die formelle Völkerrechtsquelle im positiven Recht verankert sind. Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut lässt diesen Rückschluss zu, indem die Entstehungsvoraussetzungen des Völkergewohnheitsrechts umrissen werden.253 In der grundlegenden Willensübereinkunft, in welcher Völkergewohnheitsrecht als Rechtsquelle des internationalen Rechts anerkannt wurde, kann demnach eine explizite Zustimmung aller Staaten zum Element des acquiescence erblickt werden. 251
Siehe dazu oben A.II.1.b). R. Kolb, 50 Netherlands ILR (Fn. 202), 144, kritisiert zu Recht die Unmöglichkeit die Doktrin des persistent objector als Beweis für den stillschweigenden Konsens anzuführen, da die Möglichkeit des Widerspruchs einem stillschweigenden Konsens augenscheinlich fremd ist. („If customary law were really voluntary, the whole doctrine of the persistent objector would be useless.“). Allerdings kann die Möglichkeit des persistent objectors – analog zu einer Beweislastumkehr – schlicht als Rettungsanker gedeutet werden, welcher es erleichtert dem Grundkonsens, der überhaupt erst die formelle Rechtsquelle des Gewohnheitsrechts etabliert, zuzustimmen, indem dieser Grundkonsens die Entstehung und auch die Verbindlichkeit von Völkergewohnheitsrecht auch für einen „nur“ stillschweigend zustimmenden Staat durch eine opting out Möglichkeit, in Form des persistent objectors leichter akzeptierbar macht. 253 Siehe dazu oben S. 188 f. 252
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Mit der soeben erörterten Frage, inwiefern die Willensübereinkunft als Entstehungsvoraussetzung zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht gesehen werden kann, hängt auch die Frage zusammen, ob Völkergewohnheitsrecht durch einen induktiven254 oder deduktiven Prozess255 gewonnen wird. Ein stetiger, länger andauernder Prozess wird eher durch einen induktiven, die Akte der Staatenpraxis empirisch sammelnden Prozess identifiziert. Zügiger entstehendes Gewohnheitsrecht kann als Antwort auf immer schneller auftauchende Notwendigkeiten einer globalisierten Welt sodann durch einen deduktiven, v. a. von einer universellen Rechtsüberzeugung abgeleiteten Prozess entnommen werden.256 Diese unterschiedlichen Methoden zur Identifikation von Völkergewohnheitsrecht führen in ihrer radikalen Form dazu, dass jeweils auf ein Element des Gewohnheitsrechts verzichtet wird.257 Der deduktive Ansatz – in seiner radikalen Form – bezeichnet bereits die erste Staatenpraxis als schlichten Beweis für die Existenz der völkergewohnheitsrechtlichen Norm, die auf einer universellen Rechtsüberzeugung beruht.258 Dementsprechend wird ausschließlich das Element der Rechtsüberzeugung, der opinio iuris, als konstitutiv für das Entstehen von völkergewohnheitsrechtlichen Normen angesehen. Die Situation, wobei die Staatenpraxis im Abstandhalten von einer gewissen Praxis, also in einem Unterlassen, besteht, ist davon allerdings scharf zu trennen.259 Eine zustimmende Praxis weiterer Staaten oder auch das schlichte Stillschweigen (tacit agreement) der übrigen Staaten wird zu Gunsten eines starken Fokus’ auf eine universell vorhandene Rechtsüberzeugung, die bspw. aus multilateralen Verträgen oder auch Resolutionen der UN-Generalversammlung hergeleitet wird, aufgegeben.260 Etwas überspitzt 254 Vgl. dafür A. E. Roberts, Traditional and modern approaches to customary international law: a reconciliation, 95 American JIL (2001), 757 (758), die den induktiven Prozess zur Etablierung von Völkergewohnheitsrecht als traditionell bezeichnete. 255 Der deduktive Prozess wird von Roberts als modernes Völkergewohnheitsrecht bezeichnet. Vgl. dazu ibid., 758 f. Kritisch dazu siehe B. Simma/P. Alston, The sources of human rights law: custom, jus cogens, and general principles, 12 Australian YIL (1988–89), 82 (88 ff.). 256 Vgl. dazu v. a. A. Alvarez-Jiménez, Methods for the identification of customary international law in the Internatinoal Court of Justice’s new millenium jurisprudence: 2000–2009, 60 ICLQ (2011), 681 (686 ff.). 257 Vgl. zu dem so bezeichneten Ein Elemente Ansatz kritisch J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 61 f. 258 Siehe dafür v. a. B. Cheng, 5 Indian JIL (Fn. 200); sowie des Weiteren K. Strupp, 47 RdC Bd. I (Fn. 207), 259 ff. 259 Siehe dazu oben, B.III.3.a)aa), Fn. 202. 260 Siehe dazu A. E. Roberts, 95 American JIL (Fn. 254), 758 f., mit dem Beispiel IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Fn. 76), Rz. 186: „The court did not make a serious inquiry into state practice, holding that
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
formuliert, kann gesagt werden, dass die Zustimmung oder das Stillschweigen der übrigen Staaten bei dem deduktiven Ansatz nicht benötigt wird, da die Praxis bereits eines Staates ja nur den Rechtssatz aus der „bereits existenten“ Norm deduziert, d.h. ableitet. Die transzendent im Rechtsbewusstsein aller Staaten schon gegenwärtige Norm wird folglich nur von diesem Staat sichtbar gemacht. Das Naheverhältnis zu einem naturrechtlichen, von der Willensübereinkunft völlig losgelöstem Ansatz ist allerdings augenscheinlich. Frühere Ansätze zum Gewohnheitsrecht benennen die erste Praxis eines Staates dementsprechend als „Erkenntnis“ einer transzendent immer schon dagewesenen Norm.261 Das ist im Rahmen der hier vertretenen Rechtsdefinition, die auf die Willensübereinkunft aller Beteiligten abstellt, nicht tragbar, insofern eine diesem radikalen Ansatz entsprechende Abänderung der Definition von Völkergewohnheitsrecht in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut nicht festgestellt werden kann.262 Der moderne, deduktive Ansatz zur Identifikation von Völkergewohnheitsrecht setzt zumindest die Rechtsüberzeugung aller Staaten an die Stelle der transzendenten, naturrechtlichen Norm, von der sodann bereits die erste abgeleitete Praxis nur mehr als Beweis für das Bestehen der gewohnheitsrechtlichen Norm angesehen wird. Dabei bleibt das zeitliche Element, das zumindest für die sprachliche Bezeichnung von einem Verhalten als Gewohnheit unumgänglich erscheint, vollständig auf der Strecke.263 Die Bezeichnung als Völkergewohnheitsrecht für ein allein auf der Rechtsüberzeugung ruhendes Recht ist somit höchst fraglich.264 Nicht verwunderlich erscheint somit der Vorschlag, dieses Recht, welches sich zwar auf eine universelle Rechtsüberzeugung, aber eben auf keine Staatenpraxis stützen kann, auch einer anderen it was sufficient for conduct to be generally consistent with statements of rules, provided that instances of inconsistent practice had been treated as breaches of the rule concerned rather than as generating a new rule.“ Vgl. allg. dazu auch J. I. Charney, 87 American JIL (Fn. 48), 545 f. Allerdings kann bezweifelt werden, dass der IGH im Nicaragua Fall – obwohl wortwörtlich von einem deduktiven Prozess sprechend – von einem modernen deduktiven Prozess ausgeht, wobei die Staatenpraxis nur mehr eine deklaratorische Rolle spielt. So auch M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 77 f.; wie A. Alvarez-Jiménez, 60 ICLQ (Fn. 256), 688. 261 Vgl. allg. zu dieser antiquierten Sichtweise J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 78 f. 262 Siehe dazu oben A.II.1.c). 263 Vgl. dazu auch B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 89 f. Kritisch dazu M. Akehurst, 47 British YIL (Fn. 200), 14. 264 Vgl. Dazu R. Y. Jennings, What is internatinoal law and how do we tell it when we see it?, 37 ASDI (1981), 59 (67): „Perhaps it is time to face squarely the fact that the orthodox tests of custom – practice and opinio juris – are often not only inadequate but even irrelevant for the identification of much new law today. And the reason is not far to seek: much of hits new law is not custom at all, and does not even resemble custom.“
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Rechtsquelle, nämlich der der allgemeinen Rechtsgrundsätze zuzuordnen.265 Unter Berücksichtigung von Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut muss ebenso der radikale, „moderne“ deduktive Entstehungsprozess zurückgewiesen werden. Von Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut wird definiert, wie Völkergewohnheitsrecht identifiziert wird. Eine Abkehr von dieser Definition würde eine entsprechende Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises verlangen, der Art. 38 IGH Statut begründet hat. Der induktive Ansatz hingegen kann in seiner radikalen Form ebenfalls zu dem alleinigen Abstellen auf das Element der Staatenpraxis führen, ohne ein subjektives Element der opinio iuris zu berücksichtigen.266 Dies führt zu der Schwierigkeit, dass Handeln aus Gründen der Sitte, Höflichkeit oder aus sonstigen, rechtlich irrelevanten Motiven nur schwer von verbindlichem Handeln unterschieden werden kann.267 In einer gemäßigten Form berücksichtigt die induktive Methode allerdings sehr wohl auch die Rechtsüberzeugung der handelnden Staaten. Das Völkergewohnheitsrecht wird induktiv ermittelt, indem ein Staat eine neuartige Praxis ausübt, diese Praxis als Recht ansieht bzw. als Recht etablieren will (opinio iuris) sowie eine bestimmte, quantitative Menge an weiteren Staaten, welche dieser Praxis folgen in dem sie dies als Recht akzeptieren bzw. das Angebot annehmend, als Recht etablieren wollen. Zusätzlich dazu kommt das Stillschweigen der übrigen Staaten.268 Folglich wird aus empirischen Tatsachen eine allgemeine Regel induziert, d.h. hergeleitet. 265 Vgl. dafür in Bezug auf fundamentale Menschenrechte B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255). Allg. dazu N. Petersen, Customary law without custom? Rules, principles, and the role of state practice in international norm creation, 23 American University ILR (2007–2008), 275 ff. 266 Vgl. H. Kelsen, 1 (N.S.) Revue international de la théorie du droit (Fn. 234), 264-6, das alleinige rekurrieren auf Staatenpraxis wurde allerdings revidiert in H. Kelsen, Principles of international law2 (1966), 450 f.; So zunächst auch P. Guggenheim, Traité de droit international public (1953), 46 f.; id., „Les deux éléments de la coutume en droit international“ in: LGDJ (Hrsg.), La technique et les principes du droit public: Etudes en honneur de Georges Scelle, Bd. I (1950), 275 ff.; der dies allerdings ebenso revidiert in id., Traité de droit international public2, Bd. I (1967), 103 ff.; so auch L. Kopelmanas, 18 British YIL (Fn. 207), 127 ff., mit einigen wenigen Ausnahmen (135); wie T. Gihl, 1 Scandinavian Studies in Law (Fn. 248), 53, 84. 267 Vgl. dazu A. D’Amato, Concept (Fn. 200), 57: „Finally, a failure to protest might manifest not acquiescence but a belief that the usage was simply outside the legal realm, belonging to the realm of social courtesy or comity.“ 268 Vgl. dazu auch M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 89: „Customary law is thus established by virtue of a pattern of claim, absence of protest by states particularly interested in the matter at hand and acquiescence by other states.“ m. w. N. auf IGH, Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador/Honduras: Nicaragua intervening), Urteil vom 11. September 1992, ICJ Rep. (1992), 3, Rz. 405.
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Sowohl die induktive als auch die deduktive Variante können in ihrer gemäßigten Form, also jeweils unter Berücksichtigung beider Elemente, zur Identifikation von Völkergewohnheitsrecht herangezogen werden.269 In diesem Sinne kann auch das Verhältnis zwischen dem Element der Staatenpraxis und der opinio iuris als in gewissem Sinne relativ beschrieben werden, indem das konzentrierte Auftreten entweder der opinio iuris oder eben der Staatenpraxis leichte Einbußen bei der Identifikation des jeweils anderen Elements kompensieren kann.270 Diese Relativität ist aber keine absolute, d.h. eine starke Ausprägung eines Elements kann das Fehlen des zweiten Elements unter keinen Umständen ersetzen.271 Berücksichtigt die Herleitung von Völkergewohnheitsrecht beide Elemente der Definition in Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut, wird im Lichte der hier vertretenen Theorie Völkergewohnheitsrecht begründet. Wird auf ein Element vollständig verzichtet, liegt nach dem hier vertretenen Rechtsverständnis kein Völkergewohnheitsrecht vor. Dies wäre nur möglich, wenn man eine entsprechende Änderung von Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut vertretbar argumentieren könnte. Das Element der Willensübereinkunft ist für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ausschlaggebend. Wurde durch den zuvor beschriebenen Prozess Völkergewohnheitsrecht geschaffen, darf von der entstandenen Willensübereinkunft des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises nicht mehr einseitig von einem kleineren nationalen Rechtserzeugerkreis abgewichen werden. Charakteristisch für das Völkergewohnheitsrecht ist aber, dass die Modifikation einer gewohnheitsrechtlich geltenden Norm einen Bruch der aktuell gültigen Norm voraussetzt. Dieser kann durch die nachfolgende Akzeptanz weiterer Staaten geheilt werden. Passiert dies nicht, wird die Illegalität durch das Beibehalten der ursprünglichen Gewohnheit von der Mehrheit der Staaten bestätigt.272 Auch hier wiederum kann eine 269
Was auch in der Praxis dementsprechend passiert. Vgl. dazu A. Alvarez-Jiménez, 60 ICLQ (Fn. 256), 689 ff. 270 Siehe dazu F. L. Kirgis, Custom on a sliding scale, 81 American JIL (1987), 147 (149), welcher seine „sliding scale“ so weit reichen lässt, dass auch jeweils das konzentrierte Vorhandensein eines Elements das jeweils andere Element vollständig ersetzen kann. Ebenso O. Schachter, Entangling treaty and custom, in: Y. Dinstein (Hrsg.), FS Shabtei Rosenne (1989), 717 (731). 271 Vgl. Zitat in Fn. 200. 272 Siehe dazu IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Fn. 76), Rz. 207: „Reliance by a State on a novel right or an unprecedented exception to the principle might, if shared in principle by other States, tend towards a modification of customary international law.“ Vgl. auch B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 40. Vgl. dazu auch J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 74 f., welcher zur Begründetheit der Modifikationsmöglichkeit eine meta-rechtliche Grundlage zur Schaffung von Völkergewohnheitsrecht einführt. Vgl. dazu auch S. Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie (2010), 105, welcher das Gewohnheitsrecht von der (früh-mittelalterlichen) Rechtsgewohnheit unterscheidet. Ersteres
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bewusste Aussage über die bezweckte Änderung einer bestehenden Norm zur Rechtssicherheit beitragen.273 cc) Wirkung des Völkergewohnheitsrechts Das was zur Wirkung von völkerrechtlichen Verträgen bereits gesagt wurde,274 kann sinngemäß auch auf Normen des Völkergewohnheitsrechts übertragen werden. Ist eine völkergewohnheitsrechtliche Norm entstanden, gilt auch sie als rechtlich verbindliche Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises. So wie beim völkerrechtlichen Vertrag die Parteiautonomie bis auf wenige Einschränkungen auf der internationalen Ebene gegeben ist, so trifft das auch auf das Völkergewohnheitsrecht zu. Demzufolge kommt es auf den Inhalt der Normen des Völkergewohnheitsrechts an, ob sie schlicht anwendbar, unmittelbar anwendbar oder individualisierend sind. Wenn auch auf Grund dem Element der Staatenpraxis der große Teil der Normen des Völkergewohnheitsrechts einen rein zwischenstaatlichen Regelungsinhalt zum Gegenstand hat,275 so ist es dennoch nicht ausgeschlossen, dass auch eine völkergewohnheitsrechtliche Norm darüber hinausgeht und eine unmittelbar anwendbare oder individualisierende276 Wirkung entfaltet. b) Völkergewohnheitsrecht und die österreichische Rechtsordnung aa) Allgemeines Die oben getroffenen theoretischen Ausführungen zum Rechtserzeugerkreis sind für jedwedes Recht relevant. In Bezug auf die innerstaatlichen Bestimmungen der Verfassungsordnung zum Völkergewohnheitsrecht kommt es v. a. darauf an, durch wen und in welchen Materien der nationale Rechtserzeugerkreis gewillt ist Normen des Völkergewohnheitsrechts zu bezeichnet sich dadurch aus, dass man sich daran halten soll, aber auch (zukünftig) möglicherweise wiederum davon abweichen kann. „Die Rechtsgewohnheit ist eine im Gedächtnis einer Gruppe fortgetragene Entscheidungspraxis, ohne das Bewußtsein davon, daß man in Zukunft einmal anders entscheiden könnte.“ 273 Vgl. dazu auch M. Akehurst, 47 British YIL (Fn. 200), 8. 274 Siehe dazu oben B.III.2.a).cc). 275 Dazu kommt die ohnehin limitierte Gestaltungsmöglichkeit von Völkgergewohnheitsrecht an sich hinzu. Siehe dazu J. Kammerhofer, Uncertainty (Fn. 8), 72, welcher u. a. auf Grund des primitiven Norm-Schaffungsprozesses des Völkergewohnheitsrechts auf dessen limitierte inhaltliche Ausgestaltungsmöglichkeiten hinweist. 276 Vgl. dazu bspw. nur die umfangreiche nahezu ausschließlich auf Völkergewohnheitsrecht beruhende Rechtsprechung des ICTY.
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gründen bzw. zu akzeptieren. Da das System des österreichischen BundesVerfassungsgesetzes keine explizite Kompetenzbestimmungen für die Schaffung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht kennt, müssen diese aus Art. 9 Abs. 1 B-VG abgeleitet werden.277 Aus historisch gewachsenen und ökonomisch nachvollziehbaren Gründen sind organschaftliche Vertreter des nationalen Rechtserzeugerkreises beauftragt, Völkergewohnheitsrecht auf der internationalen Ebene mitzubegründen. Bezogen auf das Völkergewohnheitsrecht ist in aller Regel aber keine ausschließliche Zuständigkeit eines nationalen Organs begründet,278 was vor dem Hintergrund der demokratischen Legitimität von rechtlichen Regeln durchaus problematisch, aber in Anbetracht der von Unsicherheiten geprägten völkerrechtlichen Entstehung des Gewohnheitsrechts verständlich ist.279 Etwas abgefedert wird dies dadurch, dass Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts oftmals einen rein zwischenstaatlichen Regelungsinhalt haben. Die völkergewohnheitsrechtliche Ausdehnung von im Völkervertragsrecht verankerten Menschenrechten und auch völkerstrafrechtliches Gewohnheitsrecht zeigen allerdings, dass es durchaus relevantes unmittelbar anwendbares oder individualisierendes Völkergewohnheitsrecht gibt.280 Außer Frage steht, dass für die Individuen des nationalen Rechtserzeugerkreises erkennbar sein muss, was von den bevollmächtigten Organen im größeren internationalen Rechtserzeugerkreis „vereinbart“ wurde. Eine Kundmachung in der üblichen Form eines Gesetzblattes, wie dies im Fall der völkerrechtlichen Verträge selbstverständlich ist, scheint – bei einer individualisierenden oder unmittelbar anwendbaren Norm des Völkergewohnheitsrechts – unausweichlich, ist allerdings auf Grund der Besonderheiten die dem Völkergewohnheitsrecht (bspw. fehlende Schriftlichkeit) anhaften, nicht üblich.281 Beim völkerrechtlichen Vertrag ist die Kundmachung nur 277
Zu Art. 9 Abs. 1 B-VG siehe sogleich unten B.III.3.b). Siehe dazu genauer unten B.III.3.a)bb). 279 Vgl. dazu die Kritik von A. McNair, The law of treaties2 (1961), 8, an undemokratischen mündlichen Verträgen. Vgl. dazu ebenso K. Schmalenbach, Article 3 (Fn. 101), Rz. 6 m. w. N. 280 Siehe dafür bspw. C. Richter, Aspekte der universellen Geltung der Menschenrechte und der Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht (2007). Vgl. dazu ebenso die immer umfangreicher werdende Rechtsprechung bezogen auf individualisierende Normen des Völkerstrafrechts. Vgl. dazu K. Parlett, Individual (Fn. 101), 229 ff. 281 Vgl. die dadurch hervorgerufenen Schwierigkeiten wie bspw. die Frage, ob der Grundsatz nullum crimen sine lege für Normen des völkergewohnheitsrechtlichen Strafrechts zur Anwendung kommt. Nicht kodifizierte Strafnormen sind entsprechend schwieriger vorherzusehen, als kodifizierte. Siehe allg. dazu J. Hall, Nulla Poena Sine Lege, 47 Yale LJ (1937), 165 ff.; L. Gradoni, Nullum crimen sine lege consuetudine: A Few Observations on How the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia Has Been Identifying Custom, paper präsentiert auf der 278
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dann Voraussetzung für die Geltung eines internationalen Übereinkommens im innerstaatlichen Recht, wenn dieser Geltungsvorbehalt im Auftrag des nationalen Rechtserzeugerkreises von seinem Vertreter beim Vertragsschluss auf internationaler Ebene geäußert und folgendermaßen in die Willensübereinkunft auf internationaler Ebene mit aufgenommen wurde. Schlägt man die Parallele zum Völkergewohnheitsrecht, so ist ein dementsprechender Geltungsvorbehalt gar nicht möglich, da es einen entsprechenden „Vorbehalt“ im Völkergewohnheitsrecht nicht gibt. Trotzdem wird durch den internationalen Rechtserzeugerkreis, also durch die jeweilige völkergewohnheitsrechtliche Bestimmung selbst festgelegt, ob bzw. inwiefern Normen des Völkergewohnheitsrechts unmittelbar anwendbar oder individualisierend sind. Der Verfassungsgerichtshof schließt im Fall des Art. 9 Abs. 1 B-VG das Ableiten von subjektiven Rechten nach ständiger Rechtsprechung von vornherein aus.282 Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Rechtsprechung zu kritisieren, weil dadurch eine vom internationalen Rechtserzeugerkreis möglicherweise gewollte, unmittelbar anwendbare oder individualisierende Wirkung nachträglich abgeändert oder gänzlich versagt wird.283 Auch Art. 25 des dt. GG zeigt, dass „[d]ie allgemeinen Regeln des Völkerrechts [. . .] Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes [erzeugen]“ können.284 Werden die zuvor erwähnten demokratiepolitischen Schwierigkeiten, wie die nicht vorhandene innerstaatliche Kundmachung von Völkergewohnheitsrecht berücksichtigt, so ist zumindest aus rechtspolitischer Perspektive nachvollziehbar, dass der Durchgriff von völkergewohnheitsrechtlichen Pflichten auf Individuen (Völkerstrafrecht) verhindert wird. Inaugural Conference der ESIL, Florenz, vom 13.–15. Mai 2004, abrufbar unter http://www.esil-sedi.eu/fichiers/en/Gradoni_418.pdf [Stand April 2013]. 282 Siehe grundlegend VfGH, Erkenntnis vom 10. Januar 1931, VfSlg. 1.375, Slg. Bd. 10, 193, 195: „subjektive Rechte einzelner werden durch Sie unmittelbar keinesfalls begründet“. Dies fortschreibend VfGH, Erkenntnis vom 27. Mai 1961, VfSlg. 3.950, Slg. Bd. 26, 214, Rz. II.2; VfGH, Erkenntnis vom 14. Dezember 1974, VfSlg. 7.448, Slg. Bd. 39, 425, 426, Rz. II.1; VfGH, Erkenntnis vom 27. Juni 1975, VfSlg. 7.608, Slg. Bd. 40, 603, 604, Rz. 2.a; und VfGH, Erkenntnis vom 15. Oktober 1987, VfSlg. 11.508, Rz. II.7: „Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH werden Rechte einzelner durch die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes keinesfalls unmittelbar begründet.“ Ebenso verneinend der VwGH, Erkenntnis vom 2. Juli 1998, VwSlg. 14.941, A/1998, Rz. IV. Für eine überblicksmäßige Analyse der Rsp. zu Art. 9 B-VG siehe M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 11 ff. 283 Ebenso kritisch E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 86 f. Vgl. dazu auch T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 33. 284 Vgl. dazu M. Herdegen, Art. 25, in: R. Herzog et al. (Hrsg.), Maunz-Düring Grundgesetz Kommentar (37. Lfg. 2000), Rz. 48.
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Für ein Versagen von unmittelbaren Rechten für Individuen (Menschenrechte) gilt dies aber nicht. Der hier eingenommene rechtstheoretische Standpunkt verlangt, dass unmittelbar anwendbare völkergewohnheitsrechtliche Rechte wie Pflichten auch ohne Kundmachung innerstaatlich angewendet werden. Praktische Relevanz genießt dies, da nicht zuletzt die Entwicklung im Bereich des Völkerstrafrechtes zeigt, dass völkerrechtliches Gewohnheitsrecht Pflichten für Individuen generiert.285 Etwaigen Schwächen in puncto demokratischer Legitimität bzw. nicht ordnungsgemäß kundgemachter internationaler Willensübereinkünfte ist nicht im nationalen Recht, sondern auf internationaler Ebene entgegenzutreten. Dies gilt schon deshalb, weil die rechtliche Willensübereinkunft auf internationaler Ebene etwaige Einschränkung umfassen muss. Eine einseitige nachträgliche Veränderung der internationalen Willensübereinkunft auf nationaler Ebene, begründet mit dem Einwenden der fehlenden demokratischen Legitimität, darf auf nationaler Ebene nicht vorgebracht werden. Wären hingegen der Vollmacht zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht auf nationaler Ebene inhaltliche Grenzen gesetzt, was allerdings aus Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht gefolgert werden kann, müsste der bevollmächtigte Vertreter des nationalen Rechtserzeugerkreises dies selbstverständlich beachten. Würde er dies nicht tun, müsste sein Handeln als verfassungswidrig qualifiziert werden. Es ließe sich freilich (analog zu Art. 46 WVK) argumentieren, dass der Repräsentant des nationalen Rechtserzeugerkreises, der seine spezifischen Kompetenzen auch für andere Staatenvertreter offenkundig überschreitet, keine zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht relevante Handlung setzen konnte.286 Allerdings gibt es auf 285 Für ähnliche Kritik siehe auch E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 86 f. Dafür dass Völkergewohnheitsrecht auch Individuen direkt addressieren kann siehe bspw. bereits die Abhandlung von Kriegsverbrechen bei den Nürnberger Prozessen vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, Nuremberg, 14 November 1945 – 1 October 1946, Bd. I, 223: „That international law imposes duties and liabilities upon individuals as well as upon States has long been recognized [. . .] individuals can be punished for violations of international law. Crimes against international law are committed by men, not by abstract entities, and only by punishing individuals who commit such crimes can the provisions of international law be enforced.“ Sowie zum Völkergewohnheitsrechtlichen Gehalt ibid., (221): „The law of war is to be found not only in treaties, but in the customs and practices of states which gradually obtained universal recognition, and from the general principles of justice applied by jurists and practised by military courts.“ [Abrufbar unter http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/NT_Vol-I.pdf, Stand April 2013]. 286 Freilich muss auch die Einschränkung im Völkervertragsrecht von Art. 46 WVK auf reine prozessuale Zuständigkeitsfehler hier als zusätzliches Hindernis dieser möglichen Analogie mitgedacht werden. Siehe dazu oben, B.III.3.a)aa), Fn. 207.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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völkerrechtlicher Ebene keine Norm, welche die Autonomie der Staaten zur Begründung von Normen des Völkergewohnheitsrechts begrenzt. Nur die vollständige Selbstaufgabe eines Staatsvolkes, ob durch völkerrechtliche Verträge oder Völkergewohnheitsrecht, widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das als ius cogens-Bestimmung gilt.287 Abgesehen von diesem Extremfall gibt es auf der Ebene des größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises keine weiteren Einschränkungen für etwaige überschießende Willensübereinkünfte, die nicht von der Vollmacht des kleineren Rechtserzeugerkreises gedeckt sind. bb) Zuständigkeit nach dem B-VG Soweit im Entstehungsprozess von Völkergewohnheitsrecht eine Willensäußerung bzw. Willensabgabe erforderlich ist, erfolgt diese durch die bevollmächtigten Organe des nationalen Rechtserzeugerkreises. Prinzipiell ist vom nationalen Rechtserzeugerkreis selbst festzulegen, durch welche Organe er an der Entstehung von völkergewohnheitsrechtlichen Regeln mitwirken will. Im B-VG ist allerdings keine Bestimmung zu finden, die bestimmte Organe mit dem Abschluss von Normen des Völkergewohnheitsrechts beaufträgt. Dies ist nicht zuletzt der Entstehungsprozedur des Völkergewohnheitsrechts und den damit verbundenen Unsicherheiten geschuldet.288 Da allerdings Art. 9 Abs. 1 B-VG alle Normen des „allgemein anerkannten Völkerrechts“ als Bestandteil der nationalen Rechtsordnung erklärt, muss dies so ausgelegt werden, dass der kleinere nationale Rechtserzeugerkreis es dem größeren Rechtserzeugerkreis überlässt, zu definieren wer Staatenpraxis setzen darf. Demnach ist im Allgemeinen das rechtlich relevante Auftreten Österreichs nach Außen heranzuziehen, was im Speziellen v. a. Exekutivorgane, das Parlament und i. S. d. dédoublement fonctionel auch nationale Rechtspruchkörper als zuständige nationale Organe zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht in Frage kommen lässt.289 Gem. Art. 65 Abs. 1 B-VG vertritt der Bundespräsident die Republik Österreich nach außen. Diese Vollmacht und in Analogie zum völkerrechtlichen Vertrag die Entschließung vom 21. Dezember 1920,290 welche die Bundesregierung bzw. die zuständigen Bundesminister i. V. m. dem Außenminister zum Abschluss von Ressort- und Verwaltungsübereinkommen ermächtigt, können darüber hinaus als weitere Anhaltspunkte herangezogen werden, um die Kompetenz zur Mitbegründung von Völkergewohnheitsrecht zu ergründen. 287 288 289 290
Siehe oben A.II.3., in Fn. 259. Siehe dazu oben B.III.3.a). Vgl. dazu oben S. 182. Siehe dazu oben, B.III.2.b)bb).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
cc) Kritik an der Lehre der Rezeption von Völkergewohnheitsrecht in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung Art. 9 Abs. 1 B-VG normiert etwas kryptisch: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als Bestandteil des Bundesrechts.“291 Nach herrschender Auffassung ist unumstritten, dass Völkergewohnheitsrecht jedenfalls unter die „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ zu subsumieren ist.292 Der Satzbaustein „gelten als Bestandteil des Bundesrechts“ wird darüber hinaus von dem überwiegenden Teil der Lehre als Hinweis für die Anwendung der Adoptionstheorie angesehen.293 Nach dieser Theorie wird das Völkergewohnheitsrecht ohne weiteres rezipiert, wobei der völkerrechtliche Geltungsgrund der rezipierten Norm erhalten bleibt. Art. 9 Abs. 1 B-VG stelle entsprechend dieser Auffassung den innerstaatlichen „Anwendungs- bzw. Vollzugsbefehl“ der völkerrechtlichen Norm dar.294 Bereits zu Beginn der Arbeit wurde der Standpunkt vertreten, dass die diversen Rezeptionstheorien von internationalem Recht nicht nur auf Grund der begrifflichen Missverständnisse hinterfragt werden müssen, sondern auch überflüssig sind.295 Alternativ wurde vorgeschlagen, internationale Normen in schlicht anwendbare, unmittelbar anwendbare und individualisierende Bestimmungen zu unterteilen.296 Schlicht anwendbare Normen müssen auf Grund ihres rein zwischenstaatlichen Charakters nicht in die innerstaatliche Rechtsordnung aufgenommen werden.297 Der Grund für das Entfallen der Notwendigkeit der Rezeption von unmittelbar anwendbaren und individualisierenden Bestimmungen liegt wiederum darin, dass die Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises, die unmittelbare Anwendbarkeit oder die Individualisierung der Norm mitumfasst und die Norm dementsprechend auch ausgestaltet wird. Die internationale Norm muss also – im Idealfall – 291
Siehe BGBl. 1/1930. Siehe B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 43; sowie F. Ermacora/ W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 9), 117; sowie ebenso T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 5; und H. Mayer, Art. 9 B-VG (Fn. 9), 17. 293 Siehe bspw. T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 9; wie wenn auch kryptisch: F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 9), 117. 294 Siehe F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 9), 115. Auch wenn die Inkorporationsmethode von Art. 9 Abs. 1 B-VG von einigen Autoren als generelle Transformation bezeichnet wird, ist damit im Grunde dasselbe Ergebnis gemeint: siehe bspw. E. Loebenstein, Regeln (Fn. 9), 144; B. Binder, 35 ZaöRV (Fn. 9), 305; H. Mayer, Art. 9 B-VG (Fn. 9), 17; wie R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 (Fn. 9), 111. 295 Vgl. dazu oben das Kapitel A.I. 296 Siehe dazu oben A.II.5. 297 Siehe dazu oben A.I.5.a) und A.III.1. 292
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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nicht mehr ergänzt werden. Eine individualisierende Bestimmung lässt den Staat als Mediator bewusst außen vor. Die unmittelbar anwendbare Norm gibt dem Staat bei der Anwendung dieser Norm keinen rechtssetzungstechnischen Ermessenspielraum. Aus der Perspektive des kleineren Rechtserzeugerkreises ist dies auf Grund der nationalen Ermächtigungsnorm, welche einen bestimmten nationalen Vertreter zum Abschluss dieser Willensübereinkunft bzw. die formelle Rechtsquelle befähigt hat, zulässig. Die Willensübereinkunft des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises verbietet es geradezu, eine auf diese Weise unmittelbar anwendbare internationale Norm durch nachträgliche, nationale Rezeptionsbestimmungen wieder abzuändern. Eine wie auch immer geartete Rezeption in innerstaatliches Recht birgt folglich die Gefahr, die internationale Willensübereinkunft, welche bewusst eine bestimmte Wirkung im innerstaatlichen Bereich erzielen will, abzuschwächen. Die Frage der Wirkung von unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts ist dementsprechend derselben Kritik zu unterziehen, wie dies bezüglich der „Identität der Rechtssatzformen“ des völkerrechtlichen Staatsvertrages und dessen nationalen, rezipierten Pendants geschehen ist.298 Die gemeinsame Kritik an dieser künstlichen Identität bzw. Integration ist v. a. in erster Linie darin zu sehen, dass die Relevanz von völkergewohnheitsrechtlichen Normen im innerstaatlichen Recht variiert, je nachdem welcher Rang ihnen im Stufenbau der innerstaatlichen Rechtsordnung zugewiesen wird. Ein bestimmter Rang des Völkergewohnheitsrechts im innerstaatlichen Rechtssystem mag zwar aus Gründen der Praktikabilität bei der Anwendung der internationalen Norm im innerstaatlichen Recht vorteilhaft sein, er führt aber zu großen rechtstheoretischen Problemen, die nicht selten darin enden, dass nach innerstaatlichem Recht ein Bruch von internationalem Recht legalisiert wird. Die sehr knapp gehaltene Formulierung „gelten als Bestandteil des Bundesrechts“ hat zu einer großen Anzahl an wissenschaftlichen Abhandlungen und unterschiedlichsten Lösungsvorschlägen bezüglich der Frage geführt, welcher Rang einer rezipierten Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts im Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung zukommen soll.299 Eine Theorie sieht das Völkergewohnheitsrecht ausschließlich auf der Stufe von Bundesgesetzen.300 Gestützt wird diese Sichtweise u. a. darauf, dass aus der 298
Vgl. die Kritik dazu oben B.III.2.b)cc). Vgl. dazu bspw. M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 1 ff.; H. P. Rill, Der Rang der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts in der österreichischen Rechtsordnung, 10 Österreichische ZföR (1959/60), 439 ff.; E. C. Hellbling, Art. 9 B-VG. Einmal einfach gesehen, in: M. Imboden et al. (Hrsg.), FS Adolf Julius Merkl (1970), 71 ff.; und E. Loebenstein, Regeln des Völkerrechtes (Fn. 294), 143 ff. 300 Allen voran VfGH, Erkenntnis vom 24. Juni 1954, Slg. 2680. 299
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Wortwahl „Bundesrecht“ die Verleihung des Ranges von Bundesverfassungsrecht ausgeschlossen sei.301 Eine andere Theorie wiederum ordnet rezipiertes Völkergewohnheitsrecht ausschließlich auf der Ebene von Bundesverfassungsgesetzen ein.302 Für die verfassungsgesetzliche Theorie spräche unter anderem der Grund, dass Art. 9 Abs. 1 B-VG noch vor den Kompetenztatbeständen der Art. 10 ff. B-VG lokalisiert ist.303 Ebenfalls wird die Mezzanintheorie vertreten, welche einen Zwischenrang zwischen Verfassungsgesetzen und Gesetzen für richtig ansieht.304 Zuletzt kann noch die Analogietheorie genannt werden.305 Nach dieser Theorie haben die inkorporierten Normen des Völkergewohnheitsrechts jenen Rang, den sie haben müssten, würden sie im nationalen Recht erzeugt.306 Die Ergebnisse der diversen Theorien klaffen deutlich auseinander. Heutzutage beruft sich der Großteil der herrschenden Meinung entweder auf die Mezzanin-307 oder die Analogietheorie308. Als unbestritten gilt die Ansicht, dass Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht 301 Siehe dazu H. P. Rill, 10 Österreichische ZföR (Fn. 299), 442, welcher H. Kelsen/G. Frohelich/A. J. Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Otkober 1920 (1922), 121 ff. dahingehend interpretiert. Dies wird allerdings durch E. C. Hellbling, Art. 9 B-VG (Fn. 299), 74 widerlegt, indem er nachweist, dass diese Schlussfolgerung nicht zwingend aus den Begrifflichkeiten des B-VG abzuleiten ist. 302 Siehe J. L. Kunz, Völkerrechtliche Bemerkungen zur österreichischen Bundesverfassung, Annalen des Deutschen Reiches (1923), 295 (319); R. A. Métall, Das allgemeine Völkerrecht und das innerstaatliche Verfassungsrecht, 14 Zeitschrift für Völkerrecht (1927), 161 (174 ff.); E. C. Hellbling, Art. 9 B-VG (Fn. 299), 92 ff.; und H. F. Köck, Das allgemeine Völkerrecht. Die „allgemein anerkannten Regeln“ des Art. 9 B.-VG., in: H. Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980), 739 (763). Anders (einfacher Gesetzesrang) allerdings id., Die österreichische Bundesverfassung und das Völkerrecht, in: H. F. Köck (Hrsg.), Grundprobleme des österreichischen Bundesverfassungsrechts (1996), 91 (96). 303 Vgl. hierzu J. L. Kunz, Annalen des Deutschen Reiches (Fn. 302), 318 f.; wie R. A. Métall, 14 Zeitschrift für Völkerrecht (Fn. 302), 178 f. 304 H. P. Rill, 10 Österreichische ZföR (Fn. 299), 446 ff.; diesem zustimmend T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 28. 305 Terminologie von M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 16. 306 F. Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof (1956), 353 f.; B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 44; die Analogietheorie als „herrschende Meinung“ bezeichnend R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 (Fn. 9), 114; R. Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1972), 170; H. R. Laurer, Der Beitritt Österreichs zu internationalen Organisationen als Problem der innerstaatlichen Normerzeugung, 20 Österreichische ZföR (1970), 341 (351); K. Zemanek, Ändert sich das völkerrechtliche Neutralitätsrecht und mit ihm die österreichische Neutralität?, ÖJZ (1992), 177 (178 f.); L. Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts6 (1971), 56; B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 44. 307 Siehe H. P. Rill, 10 Österreichische ZföR (Fn. 299), 446 ff.; T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 28 m. w. N. 308 Vgl. die Literatur in Fn. 306.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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nur allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts auf dem Stand vom 1. Oktober 1920 umfasst,309 sondern vielmehr auch sich weiterentwickelndes und künftig entstehendes Völkergewohnheitsrecht mit einbezieht.310 Aus dieser Interpretation, in Verbindung mit dem sich fortwährend weiterentwickelnden Charakter des Völkergewohnheitsrechts, entstand die Theorie der dynamischen Rezeption von Völkergewohnheitsrecht. Aus ihr folgt, dass eine – im System der Einordnung in den Stufenbau der Rechtsordnung – ranggleiche bzw. rangniedere nationale Norm sogleich nach ihrer Entstehung wieder durch die immer wieder vollzogene Rezeption derogiert wird, bzw. eine widersprechende nationale ranggleiche Norm gar nicht erst rechtmäßig entstehen kann.311 Durch diese „sekündliche Rezeption“ ist die völkergewohnheitsrechtliche Norm somit auch unter der Auffassung von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Rezeptionsbestimmung immer lex posterior.312 Nun ließe sich der knappe Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 B-VG auch so interpretieren: „Wenn im Text der Verfassung nichts steht, dann kann von ihr auch nichts geboten sein“313. Über die knappe Formulierung des Art. 9 Abs. 1 B-VG hinaus ist es aber wohl auch der Künstlichkeit einer Aufnahme von Völker(gewohnheits)recht in den innerstaatlichen Stufenbau geschuldet, dass keine der bisher hervorgebrachten Theorien eine auch nur annähernd gesicherte Argumentationsbasis hat. Für Österreich ist, bezogen auf die Rangfrage des internationalen Rechts im innerstaatlichen Rechtssystem, zusätzlich darauf hinzuweisen, dass auch verfassungsrechtliche Bestimmungen durch eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bei Anwesenheit mindestens der Hälfte der Mitglieder geändert werden können (Art. 44 Abs. 1 B-VG).314 Darüber hinaus besteht bei gegebener Mehrheit und der Bezeichnung als „Verfassungsbestimmung“ sogar die Möglichkeit, einzelne 309 Siehe dazu die bereits damals vertretene Auffassung von H. Kelsen/G. Froehlich/A. J. Merkl, Bundesverfassung (Fn. 301), 75. 310 Siehe dazu ebenso E. C. Hellbling, Art. 9 B-VG (Fn. 299), 73. 311 Zuerst bei F. Ermacora, Verfassungsgerichtshof (Fn. 306), 353 f., siehe auch F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 9), 117; B. Simma, Völkergewohnheitsrecht (Fn. 200), 44; und T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), 10. Anderer Ansicht ist R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 306), 170, insbes. Fn. 34. 312 Selbstverständlich bezogen auf ranggleiche wie rangniedrigere Normen. Zum Rang von Völkergewohnheitsrecht im Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung siehe sogleich. 313 Siehe so E. Wiederin, Verfassungsinterpretation (Fn. 165), 82 f., m. w. N. in Fn. 7. 314 Art. 44 Abs. 1 B-VG: Verfassungsgesetze oder in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen können vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden; sie sind als solche („Verfassungsgesetz“, „Verfassungsbestimmung“) ausdrücklich zu bezeichnen.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Bestimmungen in ansonsten einfachen Gesetzen, in den Verfassungsrang zu heben (Art. 44 Abs. 1 B-VG). Die Versuchung im österreichischen Verfassungssystem durch die Hintertüre internationalen Verpflichtungen zu entgehen, indem nationale Bestimmungen mit Verfassungsrang ausgestattet werden ist demnach groß. Die nationale Derogation von Völkergewohnheitsrecht innerhalb der österreichischen Rechtsordnung gestaltet sich also außer bei Annahme einer gewohnheitsrechtsfreundlichen Rezeptionstheorie (Verfassungsrang inkl. sekündlicher Rezeption) recht einfach. Eine wie auch immer ausgestaltete Derogation315 der gewohnheitsrechtlichen Norm des größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises wird hier allerdings i. S. d. Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises entgegengetreten. Nationale Rezeptionsbestimmungen öffnen dieser Möglichkeit Tür und Tor. Eine Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Rezeptionsbestimmung mit der Folge der Integration der völkerrechtlichen Gewohnheitsnorm in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung wird deswegen nach der hier vertretenen Auffassung abgelehnt. dd) Art. 9 Abs. 1 B-VG als innerstaatliche Ermächtigungsnormen zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht Art. 9 Abs. 1 B-VG wird in dieser Arbeit basierend auf der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises als nationale Ermächtigungsnormen zum Abschluss von Völkergewohnheitsrecht verstanden. Ist Völkergewohnheitsrecht begründet, stützt es seine Geltung nicht wiederum auf die nationale Ermächtigungsnorm. Vielmehr liegt die Geltung von Völkergewohnheitsrecht im internationalen Rechtserzeugerkreis begründet. Die Theorie des Rechtserzeugerkreises führt sodann zu dem Ergebnis, dass der Willensübereinkunft des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises eben die Wirkung zugestanden werden muss, die von ihr beabsichtigt wird. Nationale Rezeptionsbestimmungen und davon ausgesprochene Rezeptionsvorbehalte dürfen nur im Vorhinein die Willensübereinkunft auf internationaler Ebene beeinflussen; nicht aber eine bereits geschlossene Willensübereinkunft beeinträchtigen. Dementsprechend werden diese Bestimmungen als Ermächtigungsnormen und nicht als „nachträgliche Rezeptionsnormen“ aufgefasst. Dies hat zur Folge, dass ausschließlich der Inhalt der internationalen Willensübereinkunft für die Wirkung der internationalen Norm im innerstaatlichen Rechtserzeugerkreis ausschlaggebend ist. Die Mehrzahl der Normen des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts hat einen rein zwischenstaatlichen Charakter. Dementsprechend stellt sich auch die Rangfrage im innerstaatli315 Wie beim völkerrechtlichen Vertrag ist auch bezogen auf das Völkergewohnheitsrecht die Derogation durch die Anwendung der lex posterior Regel im Fall von Ranggleichheit, in der gleichen Weise zu problematisieren.
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chen Recht nicht, da es keinen Normkonflikt zwischen diesen und anderslautenden nationalen Bestimmungen gibt. Hier hält sich die Aussage von Triepel, Völkerrecht und Landesrecht schneide sich auf Grund unterschiedlicher Inhalte, nicht weiterhin aufrecht.316 Völkergewohnheitsrecht hat allerdings nicht ausschließlich rein zwischenstaatlichen Charakter. Bspw. ist im internationalen Strafrecht mittlerweile eine direkte Verantwortlichkeit von Individuen vor völkerrechtlichen Rechtspruchkörpern auf Grund der Verletzung von Völkerrechtsnormen ohne Zwischenschaltung des Staates nichts Außergewöhnliches mehr. Diese Wirkung wurde hier als individualisierende Wirkung bezeichnet.317 Auch diese Normen des Völkergewohnheitsrechts müssen nicht im nationalen Recht rezipiert werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Die Verantwortlichkeit vor dem internationalen Rechtspruchkörper besteht auch ohne nationale Norm und zwar direkt vor der internationalen Entität. Sind aber völkergewohnheitsrechtliche Normen unmittelbar anwendbar, müssen sie ihrem Inhalt und Regelungszweck gemäß von innerstaatlichen Rechtsanwendungsorganen angewendet werden. Dementsprechend ist die Rangfrage dieser Normen bei möglichen Konflikten mit anderslautenden Bestimmungen des nationalen Rechts bei einer Rezeption in den nationalen Stufenbau von entscheidender Bedeutung. Ausschließlich auf diese Bestimmungen kann die Relevanz der Theorien zur Einordnung von Völkergewohnheitsrecht in den nationalen Rechtserzeugerkreis eingegrenzt werden. Gleichzeitig muss aber daran erinnert werden, dass Mitglieder eines kleineren Rechtserzeugerkreises die auch Teil des größeren, internationalen Rechtserzeugerkreis sind, keiner dieser getroffenen Willensübereinkünfte widersprechen oder von diesen einseitig abweichen dürfen. Einzig ein im Vorhinein geäußerter Vorbehalt des kleineren nationalen Rechtserzeugerkreises bspw. bezogen auf nationales Verfassungsrecht, kann eine Derogation von der internationalen Willensübereinkunft als rechtmäßig erscheinen lassen. Gibt es aber keinen entsprechenden Vorbehalt, was bezüglich des Gewohnheitsrechts allgemein ausgeschlossen werden kann, kann nicht von einer bereits bestehenden internationalen Willensübereinkunft, in diesem Fall einer unmittelbar anwendbaren Norm des Völkergewohnheitsrechts, durch eine Einrede einer anderslautenden nationalen Bestimmung entgegengetreten werden. Dem folgend ist jeder Versuch, eine im nationalen Recht unmittelbar anwendbare Norm des Völkergewohnheitsrechts durch eine künstliche Eingliederung in die nationale Rechtsordnung unzulässig, wird doch dadurch dem nationalen Rechtserzeugerkreis ermöglicht, im Nachhinein die Norm des internationalen Rechtserzeugerkreises einseitig zu derogieren. 316 317
Vgl. H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 15), 9, 11, 228 f. Siehe dazu oben A.I.5.c).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Über diese Argumentation hinaus muss die undeutliche Formulierung des Art. 9 Abs. 1 B-VG auch in Hinblick auf die soeben vorgeschlagene Interpretation desselbigen als Ermächtigungsnorm genauer analysiert werden. Eine Betrachtung der historischen Entwicklung ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig.318 Erwähnenswert ist, dass zum Zeitpunkt der Verfassungsentstehung das Interesse Österreichs am Beitritt zum Völkerbund im Vordergrund stand.319 Zum Anderen ist auch der Wille erkennbar, dass keine der anglo-amerikanischen Regelung nachstehende Rezeption des Völkerrechts gewollt war. Die anglo-amerikanische Rezeption war geprägt von dem Satz Blackstones: „International law is part of the law of the land.“320 Dem Vorwurf, das Völkerrecht im Ersten Weltkrieg missachtet zu haben, sollte zukünftig entgegengetreten werden können.321 Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich die Verfassungsgründer – zumindest nach außen – offen gegenüber dem Völkerrecht zeigen wollten. Wenn nun den österreichischen Verfassungsgebern eine „unreflektierte Faszination für die anglo-amerikanische Völkerrechtspraxis“ attestiert wird,322 so bleibt immerhin noch die Frage, an welchem Verständnis der Verfassungsgeber sich die Interpretation des Art. 9 Abs. 1 B-VG zu orientieren hat. Auf einer Seite steht der historische Wille der Verfassungsgeber, welcher eine äußerst völkerrechtsfreundliche Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG – auf Grund einer gewollten Annäherung an die (möglicherweise nur vermeintliche) Rezeptionsaufgeschlossenheit der anglo-amerikanischen Verfassungsordnung – nahelegt. Auf der anderen Seite steht ein objektives Verständnis der anglo-amerikanischen Völkerrechtsrezeption, welches die großzügige Rezeption von Völkerrecht in innerstaatliches Recht nach der damals herrschenden Dogmatik gar nicht angestrebt hat.323 Dann wäre der histori318
Siehe dazu die ausführlichen Ausführungen von M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 1 ff. 319 Vgl. M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 4. Vgl. dazu auch die auffallende Parallele zu Art. 4 der Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Verfassung). Art. 4 lautete: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts.“ 320 Siehe W. Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Bd. IV (1769), 67. Vgl. dazu auch die von T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), 2, geschlagene Brücke von der Parallele von Art. 9 B-VG und Art. 4 Weimarer Verfassung zur angloamerikanischen, auf Blackstone zurückgehende Formel „International law is part of the law of the land“. 321 Siehe dazu R. A. Métall, 14 Zeitschrift für Völkerrecht (Fn. 302), 164 f.; ebenso M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 6 f. 322 So M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 10. 323 Vgl. hierzu den Hinweis von Rotter auf die Ausführungen von Triepel, welcher – wohlgemerkt als Vertreter des Dualismus – schreibt: „[. . .] Der Satz, das Völkerrecht bilde einen Theil des Landesrechts, ist in der englischen und angloamerikanischen Litteratur und Praxis nicht allgemein herrschend.“ Dies bezieht sich laut
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sche Verfassungsgeber einem Irrtum aufgesessen, so dass mit der gewollt offenen Ausgestaltung von Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht die anglo-amerikanische Völkerrechtsrezeption kopiert, sondern diese sogar übertroffen wurde. Auch wenn aus dem historischen Willen des österreichischen Verfassungsgebers letztendlich kein eindeutiger Schluss gezogen werden kann, kann doch eine gewisse Richtung erkannt werden. Eine Deutung von Art. 9 Abs. 1 B-VG als reine Ermächtigungsnorm zur Teilnahme Österreichs an der Begründung von Völkergewohnheitsrecht mit der selbstverständlich einhergehenden Wirkung dieser Normen im nationalen Recht ist aus historischer Perspektive vertretbar. Auch eine systematische Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG führt zu keiner bestimmten Regelung der Rangfrage von Völkergewohnheitsrecht innerhalb der österreichischen Rechtsordnung,324 was nicht zuletzt durch die unterschiedlichsten Rangvorschläge unter Berücksichtigung jeweils anders gearteter systematischer Einordnung zum Ausdruck kommt.325 Als Ergebnis der hier basierend auf der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises vertretenen theoretischen Annahme von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm bleibt allerdings eine für viele abschreckende – wohlgemerkt selbstauferlegte – Einschränkung nationaler Souveränität, sowie darüber hinaus ein vermeintliches Paradoxon innerhalb des Systems des B-VG. Diese Sichtweise bedeutet, dass Normen des Völkergewohnheitsrechts, die unmittelbar anwendbar sind und denen von Seiten Österreichs auf der Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht als persistent objector ausdrücklich widersprochen wurde, in Österreich auch nicht von nationalen Bestimmungen im Verfassungsrang im Nachhinein, also nach Entstehen der internationalen Willensübereinkunft, einseitig die Anwendung versagt werden darf. Wird gemäß der herrschenden Interpretation Art. 9 Abs. 1 B-VG als Rezeptionsbestimmung verstanden und folgt man dabei der Theorie vom Verfassungsrang, so ist diese Theorie darüber hinaus mit dem Paradoxon konfrontiert, dass zwar völkergewohnheitsrechtliche Normen durch Art. 9 Triepel aber hauptsächlich auf Völkervertragsrecht. Der Satz aber „gewinnt Bedeutung hauptsächlich in Beziehung auf das ‚Gewohnheitsrecht‘ “, siehe H. Triepel, Völkerrecht (Fn. 15), 153 f., sowie M. Rotter, 27 Österreichische ZföR (Fn. 1), 10 f., Fn. 40; ebenso D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts I: Einführung – Allgemeine Lehren, vom Verfasser durchgesehene und autorisierte Übertragung nach der 3., erweiterten und revidierten italienischen Auflage von C. Bruns und K. Schmid (1929), 44 f. 324 Etwas konkreter ist bspw. Art. 25 GG: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ 325 Siehe dazu zuvor B.III.3.b)cc).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Abs. 1 B-VG in die innerstaatliche Rechtsordnung aufgenommen werden, nachträglich aber auf Grund der dynamischen, sekündlichen Rezeption326 von Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht mehr durch andere Bestimmungen im Verfassungsrang (als lex posterior) abgeändert werden können. Da Art. 9 Abs. 1 B-VG selbst aber sehr wohl vom selben Verfassungsgesetzgeber geändert oder aber auch vollständig aufgehoben werden könnte, stehen die Vertreter jener Argumentation vor einem scheinbar nicht zu lösenden Paradoxon. Die rezipierte Norm, bzw. deren innerstaatliche Geltung könnte vom österreichischen Verfassungsgesetzgeber nicht mehr geändert werden. Sehr wohl aber die für ihre Erzeugung bzw. der innerstaatlichen Wirkung dieser völkergewohnheitsrechtlichen Norm verantwortliche Norm, nämlich Art. 9 Abs. 1 B-VG selbst. Dies stellt die Lehre vom Stufenbau der rechtlichen Bedingtheit327 vollkommen auf den Kopf. Art. 9 Abs. 1 B-VG ist die bedingende Norm für die innerstaatliche Geltung von Völkergewohnheitsrecht (die bedingte Norm). Wird letztere aber sekündlich rezipiert und gilt gleichzeitig im Verfassungsrang, ist die bedingte Norm besser geschützt, als die bedingende Norm, welche sie bzw. ihre innerstaatliche Wirkung erzeugt hat. Kommentatoren, die diesem Paradoxon gegenüberstanden, mussten folgerichtig Art. 9 Abs. 1 B-VG als Kernbestimmung des B-VG ansehen, welche ausschließlich gem. Art. 44 Abs. 3 B-VG abgeändert werden kann.328 Der These von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Kernbestimmung soll hier nicht entgegengetreten werden, da den nationalen Bestimmungen, die den internationalen Verkehr zum Regelungsgegenstand haben, große Bedeutung innerhalb 326
Siehe dazu oben S. 165 f., insbes. Fn. 309–311. Siehe dazu oben A.II.2.f)aa). Vgl. insbes. A. J. Merkl, Prolegomena (Fn. 91), 275, der den Kerngehalt des Stufenbaus darin sieht, dass eine Rechtsform einer anderen untergeordnet ist, wenn sie durch die höhere Rechtsform bedingt ist: „Rechtssätze, die Form und Inhalt anderer Rechtssätze mit der Maßgabe vorzeichnen, daß diese abgeleiteten Rechtssätze in anderer als der vorgezeichneten Weise entweder nicht zustandekommen können oder dürfen, daß diese also jedenfalls den Bestand jener anderen Rechtssätze voraussetzen und ihnen ihre eigene Geltung verdanken, nennen wir bedingende Rechtssätze und die, denen sie als Geltungsgrund dienen, bedingte Rechtssätze.“ 328 Art. 9 Abs. 1 B-VG wird von folgenden Autoren als ein Grundprinzip der Bundesverfassung angesehen: E. C. Hellbling, Art 9 B-VG (Fn. 299), 94; A. Balthasar, „Pacta sunt servanda“ – Zur innerstaatlichen Relevanz von durch Staatsverträge eingegangenen Verpflichtungen Österreichs, 50 ZÖR (1996), 161 (176 ff.). Anderer Meinung ist hingegen H. R. Laurer, 20 Österreichische ZföR (Fn. 303), 351 f., der dieses Paradoxn zwar identifiziert, aber „offen im Raum stehen“ lässt. Vgl. des weiteren T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), 13; H. F. Köck, Das allgemeine Völkerrecht. Die „allgemein anerkannten Regeln“ des Art. 9 B.-VG., in: H. Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980), 739 (765 ff.); und R. Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd. II (1990), 50 f. 327
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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des Verfassungsgefüges zukommt.329 Ebenso ist diese Sichtweise unter den Wortlaut von Art. 44 Abs. 3 B-VG subsumierbar, der lediglich abstrakt von einer Gesamtänderung spricht, was nach herrschender Auffassung eine Neuregelung der den wesentlichen Gehalt der Verfassung verändernden Bestimmungen meint.330 Eine grundlegende Änderung, wie die Abschaffung von Art. 9 Abs. 1 B-VG und damit der Rückzug aus einer der wichtigsten Quellen des internationalen Rechts, könnte somit als bedeutsamer Eingriff in das Bauprinzip der Rechtsstaatlichkeit oder gar in der Form eines Bauprinzips der Völkerrechtsfreundlichkeit der österreichischen Rechtsordnung und damit in die gesamte österreichische Rechtsordnung zumindest diskutiert werden. Nichts desto trotz soll hier in Übereinstimmung mit der Theorie des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht in den Rang eines Baugesetzes gehoben werden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil auch dieser Ritterschlag das Paradoxon nur im Rahmen der Rezeptionstheorien lösen kann, da der zu seiner Lösung notwendige Rangunterschied durch die nächst höhere Stufe der Bauprinzipien ermöglicht. Das Paradoxon wird folglich nur mit der Flucht in die Spitze der Stufenbaupyramide gelöst. Wird diese Situation allerdings überspitzt und eine Rezeption von Völkergewohnheitsrecht im Rang der Bauprinzipien theoretisch angenommen, so zeigt sich die Begrenztheit der Interpretation von nationalen Verfassungsbestimmungen als Rezeptionsbestimmungen. Vor dem Hintergrund der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises erlaubt auch eine Volksabstimmung, wäre sie auch noch so eindeutig, nicht das Abweichen von der bereits geschlossenen Willensübereinkunft des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises.331 Vielmehr muss der kleinere nationale Rechtserzeugerkreis vor der Abgabe seines Willen darüber entscheiden, ob er die Willensübereinkunft mit einem anderen nationalen Rechtserzeugerkreis eingehen will oder eben nicht. Ist er diese eingegangen, so wurde daraus eine Willensübereinkunft eines größeren, internationalen Rechtserzeugerkreises, wovon keiner der Beteiligten nationalen Rechtserzeugerkreise im Nachhinein einseitig abweichen darf. Abweichen darf der kleinere Rechtserzeugerkreis auch nicht durch etwaige Rezeptionsbestimmungen, welche die Wirkung dieser internationalen Willensübereinkunft im 329
Vgl. dazu allg. auch H. Keller, Rezeption (Fn. 63), 723. Siehe die allgemeine Bezeichnung „normativ Gehalte grundlegender Art“ von H. P. Rill/H. Schäffer, Art. 44 B-VG (Fn. 152), Rz. 15. 331 Siehe zum Bsp. der völkerrechtswidrigen Minarettsverbotsinitiative in der Schweiz auf Basis einer Volksinitiative R. Zimmermann, Zur Minarettsverbotsinitiative in der Schweiz, 69 ZaöRV (2009), 829 (835 ff., 862 f.); und G. Biaggini, Die schweizerische direkte Demokratie und das Völkerrecht – Gedanken aus Anlass der Volksabstimmung über die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“, 65 ZÖR (2010), 325 (333). 330
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
innerstaatlichen Bereich durch die Zuteilung eines niederen Ranges beeinträchtigen.332 Das Paradoxon ist somit deshalb ein vermeintliches, da in der herrschenden Lehre davon ausgegangen wird, dass die internationale Willensübereinkunft vom nationalen Rechtserzeugerkreis nachträglich noch abgeändert werden darf, was nach der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises ausgeschlossen ist. Die Ermöglichung der Derogation (der innerstaatlichen Wirkung) der Bestimmung des internationalen Rechtserzeugerkreises durch die Rezeption bzw. Integration dieser Bestimmung in die nationale Stufenbauordnung ruht folglich auf der Missachtung des römisch-rechtlichen Grundsatzes nemo plus iuris ad alium transferre potest quam ipse habet.333 Diese Missachtung wird durch die Interpretation der jeweiligen nationalen Verfassungsbestimmung als Ermächtigungsnormen zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht vermieden. Die jeweilige nationale Norm ermächtigt bloß gewisse Repräsentanten ihres Rechtserzeugerkreises weitere Willensübereinkünfte mit anderen Rechtserzeugerkreisen abzuschließen. Wurde eine ebensolche größere, internationale Willensübereinkunft aber getroffen, so muss zwangsläufig auch die Geltung dieser Willensübereinkunft auf der Ebene dieser Willensübereinkunft als mitumfasst angesehen werden. Der Grundsatz des römischen Rechts ist damit nicht verletzt, versagt er doch nicht einem Individuum oder einer Gruppe von Individuen sich in einer noch größeren Gruppe zusammenzuschließen. Das Paradoxon wird als ein vermeintliches Paradoxon entlarvt, da verkannt wird, dass das Bezugssystem selbst, also auch die Grundlage für diejenige Norm, welche in unserem Beispiel Art. 9 Abs. 1 B-VG darstellt, um weitere nationale Rechtserzeugerkreise auf einen internationalen Rechtserzeugerkreis erweitert wird. Verbleiben wir innerhalb des Systems der österreichischen Rechtsordnung mitsamt ihren Individuen, kann die Proklamation aufrechterhalten werden, dass keine Norm einer weiteren Norm mehr Rechte verleihen kann als sie selbst innehat. Bei Erweiterung des Bezugssystems, also die Vergrößerung des Rechtserzeugerkreises durch eine Willensübereinkunft mit mehr Personen, kann das Geforderte allerdings nicht mehr aufrechterhalten werden. Durch die Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm zum Abschluss von völkergewohnheitsrechtlichen Normen, von denen sodann keine Geltungswirkung des Völkergewohnheitsrechts mehr ausgeht, rückt dieses schiefe Bild wieder zurecht. Auch wird durch die Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm die Theorie der sekündlichen, dynamischen Rezeption von 332
Freilich ausgenommen dem Fall einer einseitigen Kündigung der eingegangen Willensübereinkunft ist erlaubt. 333 Niemand kann mehr Rechte übertragen bzw. erwerben als er selbst bzw. der Vorberechtigte hat.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Völkergewohnheitsrecht obsolet. Auf den fluiden Charakter des Völkergewohnheitsrechts, auf den diese dynamische Rezeption primär abzielt, hat dies aber selbstverständlich keine Auswirkung. Diese Theorie wird folglich insoweit beibehalten, als die Ermächtigung durch Art. 9 Abs. 1 B-VG sich nicht nur auf Völkergewohnheitsrecht auf dem Stand vom 1. Oktober 1920 bezieht, sondern sozusagen eine stete, dynamische Ermächtigung darstellt, welche dem dynamischen Charakter des Gewohnheitsrechts gerecht wird. Die Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm ermöglicht einen unverzerrten Blick auf die notwendige Unterscheidung zwischen dem Abschluss einer internationalen Willensübereinkunft in Form von Völkergewohnheitsrecht und der Geltung bzw. der Verbindlichkeit derselbigen. Während für den Abschluss bzw. für die Begründung von Völkergewohnheitsrecht, wie überhaupt für jedwedes Recht, die Zustimmung zu dieser Willensübereinkunft von jedem davon betroffenen Individuum benötigt wird (erfolgt durch die Ermächtigung in Art. 9 Abs. 1 B-VG), so ist die Geltung bzw. Verbindlichkeit dieser Bestimmung einzig und allein in der internationalen Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises als Gesamtes und eben nicht in einer nationalen Bestimmung (wie bspw. Art. 9 Abs. 1 B-VG als Rezeptionsnorm) zu suchen. Selbst wenn Art. 9 Abs. 1 B-VG vom Verfassungsgesetzgeber abgeändert oder gar gestrichen werden sollte, kann dies nur die Begründung von zukünftigen Normen des Völkergewohnheitsrechts betreffen. Der Geltung bereits entstandener völkergewohnheitsrechtlicher Normen, die vom österreichischen Rechtserzeugerkreis mitbegründet wurden, kann aber auch durch eine nachträgliche Streichung von Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht entgegengetreten werden. In anderen Worten, die rechtliche Wirkung von internationalen Normen besteht unabhängig von nachträglichen nationalen Änderungen. Wohl wäre aber durch eine Abschaffung von Art. 9 Abs. 1 B-VG eine zukünftige Mitbegründung von Völkergewohnheitsrecht durch Österreich auf Grund des Wegfalls der Ermächtigung nicht mehr möglich. Freilich ist dies eine politisch unvorstellbare Hypothese, da wohl keine vernünftige Überlegung eine Abkapselung von der internationalen Ebene in Betracht kommen lässt. Österreich spielt beim Entstehungsprozess von Völkergewohnheitsrecht auf der internationalen Ebene als einer von vielen Staaten nur eine begrenzte gesetzgeberische Rolle. Daher rühren auch die Bedenken gegen eine allzu große bzw. eventuell unbedachte Öffnung gegenüber Völkergewohnheitsrecht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht nur auf jenes Völkergewohnheitsrecht bezieht, das von Österreich ausdrücklich anerkannt wurde, sondern jedwedes Völkergewohnheitsrecht auf Grund der stillschweigenden Zustimmung mitumfasst. Allerdings verbleibt auf der internationalen Ebene die Möglichkeit, sich als Teilgesetzgeber permanent sowie ausdrücklich gegen die Verbindlichkeit einer unerwünschten
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Norm des Gewohnheitsrechts zur Wehr zu setzen (persistent objector). Abschließend betrachtet, kann in diesen völkerrechtlichen Möglichkeiten auf die Bindung an Völkergewohnheitsrecht Einfluss zu nehmen, ein ausreichender Schutz für Österreichs Souveränität gesehen werden. Eine weitere Einschränkung der innerstaatlichen Geltung von bereits international akzeptiertem Völkergewohnheitsrecht scheint somit auch aus demokratiepolitischen Gesichtspunkten nicht mehr zwangsläufig von Nöten. Auch wenn diese Interpretation aus einer innerstaatlichen Sichtweise auf den ersten Blick den österreichischen Rechtserzeugerkreis als gar zu offen erscheinen lassen mag, kann ganz im Gegenteil dazu ein geschärftes Bewusstsein für diese Situation zu mehr Klarheit bereits zum Zeitpunkt des Zustandekommens der Norm des Völkergewohnheitsrechts führen. Dies führt schlussendlich auf der korrekten Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises auch auf rechtstheoretisch gesicherter Weise zu mehr Rechtssicherheit. In der herrschenden Lehre ist allgemein anerkannt, dass zumindest „jüngere“ Bundesverfassungsgesetze die innerstaatliche Wirkung der völkergewohnheitsrechtlichen Norm aufzuheben vermögen.334 Dies widerspricht dem hier vertretenen Standpunkt der Unmöglichkeit einer einseitigen, nachträglichen, nationalen Derogation einer internationalen Willensübereinkunft. Auch innerhalb des Systems der Rezeption von Völkergewohnheitsrecht ergibt sich ein offener Konflikt mit der sogenannten sekündlichen Rezeption von ranggleichem Völkergewohnheitsrecht. Eine Derogation durch ein jüngeres Bundesverfassungsgesetz ist somit schon allein deshalb nicht möglich. Außerdem würde eine erlaubte Derogation von Völkergewohnheitsrecht durch „jüngeres“ (Bundesverfassungs-)Recht eine „Doppelmoral“ aufweisen, d.h. durch die Hintertür einen Völkerrechtsbruch durch Österreich innerstaatlich legalisieren.335 Vor dem hier vertretenen theoretischen Hintergrund wird klar, dass die Konfliktlösungsregeln wie bspw. der lex posterior Grundsatz nur innerhalb desselben Rechtserzeugerkreises und nicht bei Normkonflikten zwischen unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen zur Anwendung kommen können.336 Eine Derogation der völkergewohnheitsrechtlichen Norm im österreichischen Rechtssystem durch ein widersprechendes Bundesverfassungsgesetz ist allerdings nicht in jeder Form zwingend abzulehnen. Eine derartige Hilfskonstruktion ist in der Form eines limitierten Anwendungsvorranges von „jüngerem“ innerstaatlichem (Bundesverfassungs-)Recht 334 Siehe R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 306), 170 (Fn. 34); sowie Kritik von T. Öhlinger, Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 19. Vgl. allg. dazu auch die Matrix bei H. Keller, Rezeption (Fn. 63), 725. 335 Vgl. dazu auch H. R. Laurer, 20 Österreichische ZföR (Fn. 303), 347. 336 Siehe dazu bereits oben A.II.2.a).
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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denkbar. Der dynamischen Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts ist der Rechtsbruch auch auf internationaler Ebene ureigen. Dies tritt bei der Modifikation von existenten völkergewohnheitsrechtlichen Normen deutlich zum Vorschein.337 Die erste Staatenpraxis, die sich gegen eine aktuell geltende Norm des Völkergewohnheitsrecht richtet, ist dementsprechend so lange rechtswidrig bis sich derart viele Staaten anschließen, dass von einer neuen Staatenpraxis und somit von einer neuen völkergewohnheitsrechtlichen Norm ausgegangen werden kann.338 Schließt sich die internationale Staatengemeinschaft an, wird auch die erste, vorerst illegale Staatenpraxis geheilt. Ist dies nicht der Fall, bleibt die widersprechende Staatenpraxis ein völkerrechtswidriger Akt. Umgemünzt auf Art. 9 Abs. 1 B-VG könnte somit eine Derogation im Sinne eines Anwendungsvorranges von Völkergewohnheitsrecht widersprechendem „jüngerem“ Bundesverfassungsrecht oder sogar auch einfachgesetzlichem Bundesrecht erlaubt sein, da es vom internationalen Rechtserzeugerkreis unter Umständen ja erwünscht ist, wenn damit eine Modifikation einer bestehenden Norm des Völkergewohnheitsrechts bezweckt wird. Entsprechend der möglichen Heilung des völkerrechtswidrigen österreichischen Gesetzes durch die Staatengemeinschaft würde sich der Konflikt auflösen, alsbald sich durch Österreich die vorgeschlagene Modifikation auch auf internationaler Ebene in Völkergewohnheitsrecht umwandelt. Setzt sich diese vorgeschlagene Änderung allerdings nicht durch, wird also der Rechtsbruch Österreichs durch die internationale Gemeinschaft nicht geheilt, so muss der Anwendungsvorrang wieder entfallen. Deswegen wird er als temporärer Anwendungsvorrang bezeichnet. Ein zeitlich begrenzter Anwendungsvorrang wäre allerdings nur unter der Bedingung möglich, dass damit eine Modifikation von Völkergewohnheitsrecht bezweckt wird. Der Zeitraum während dem sich der vorübergehende Anwendungsvorrang der nationalen, widersprechenden Norm behauptet, hängt dementsprechend auch vornehmlich von der Entwicklung auf der internationalen Ebene ab. Das ist eine in puncto Rechtssicherheit nicht unbedingt wünschenswerte Lösung, die sich allerdings auf Grund des Zusammenspiels von Völkerrecht und nationalem Recht vertreten lässt.
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Siehe dazu oben B.III.3.a)bb), S. 196 f. Selbstverständlich getragen von dem Verständnis der Staaten diese Staatenpraxis stellt gültiges Recht dar (opinio iuris). 338
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
4. Allgemeine Rechtsgrundsätze a) Völkerrechtliche Grundlagen aa) Allgemeines Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut ermöglicht es dem IGH, auch allgemeine Rechtsgrundsätze als Basis für seine Entscheidungen in völkerrechtlichen Rechtsstreitigkeiten zu Grunde zu legen. Allgemeine Rechtsgrundsätze beruhen nach der allgemein gehaltenen Definition in lit. c) darauf, dass ein bestimmtes Rechtsprinzip das in nationalen Rechtsordnungen verankert ist (allgemeine Rechtsgrundsätze in foro domestico) auch auf internationaler Ebene gelten kann.339 Das für das hier vertretene Rechtsverständnis entscheidende Element der Willensübereinkunft ist im Fall der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Vergleich zu den anderen in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut verankerten Völkerrechtsquellen am schwierigsten zu bestimmen. Nicht wenige Autoren haben schon deshalb in lit. c) eine positivrechtliche Verankerung des Naturrechts im internationalen Rechtssystem gesehen.340 Obwohl es durchaus möglich ist, dem Naturrecht durch eine positiv-rechtliche Verankerung Einlass in das positive Recht zu gewähren, kann bei genauerem Hinsehen und unter Miteinbeziehung der travaux préparatoires341 sowohl im Statut des StIGH wie dem wortgleichen Statut des IGH das Element der Willensübereinkunft in der „Anerkennung durch die zivilisierten Nationen342“ (Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut) erblickt werden.343 339
Siehe zum Entstehungsprozess sogleich unten B.III.4.a)bb). Vgl. dazu u. a. die dissenting opinion von Richter Tanaka in IGH, South West Africa Cases (Ethiopia vs. South Africa; Liberia vs. South Africa (Second Phase), Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Rep. (1966), 6 (294–299); wie auch A. Verdross, Les principes généraux du droit dans la jurisprudence internationale, 52 RdC Bd. II (1935), 191 (204 ff.). 341 Siehe dazu auch B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 102; wie auch G. J. H. van Hoof, Rethinking the sources of international law (1983), 139. 342 Mit „civilized nations“, waren alle Nationen gemeint, da eine Nation als zivilisiert bezeichnet werden kann, insofern sie Recht kennt. Siehe dazu die Aussage von A. de Lapradelle, Procès-verbaux of the proceedings of the advisory committee of jurists, June 16th – July 24th 1920, Annex No. 3, 335: „civilized“ ist „superfluous, because law implies civilization“. Dementsprechend wird der Terminus auch hier in weiterer Folge verstanden. Vgl. des Weiteren A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 256; so auch M. Rotter, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd I – Textteil4 (2004), 79 (80), der allerdings die Frage aufwirft, „[o]b der neuerdings geprägte Begriff ‚Schurkenstaaten‘ [. . .] wieder zu einer Verengung dieser Vorstellung führt“. In Bezug auf die Ableitung der allgemeinen Rechtsgrundsätze von den nationalen Rechtsordnungen (worauf Rotter allerdings die allgemeinen Rechtsgrundsätze begrenzt, 340
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Die Definition in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut lässt also auf ein positivrechtliches Zustandekommen der allgemeinen Rechtsgrundsätze schließen, auch wenn lit. c) – analog zum Völkergewohnheitsrecht in lit. b) – nicht die formelle Rechtsquelle zur Entstehung der allgemeinen Rechtsgrundsätze festlegt, sondern eben nur die Identifikation der allgemeinen Rechtsgrundsätze ermöglicht.344 Die Definition umfasst jedenfalls die allgemeinen Rechtsgrundsätze, welche sich in den nationalen Rechtsordnungen der „zivilisierten Nationen“ widerspiegeln. Legen auch die travaux préparatoires eine Begrenzung der allgemeinen Rechtsgrundsätze auf eine rechtsvergleichende Ableitung der in den nationalen Rechtsordnungen anerkannten Grundsätze nahe (erste, „traditionelle“ Entstehungsvariante345),346 so erlaubt der Wortlaut der lit. c) keine derartige Restriktion. Nicht auszuschließen ist demnach, dass eine Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auf der internationalen Ebene erfolgt, ohne dass dieser Rechtsgrundsatz in nationalen Rechtsordnungen vorgefunden werden kann (zweite, „moderne“ Entstehungsvariante347).348 An dem positiv-rechtlichen Charakter der allgemeinen Rechtssiehe ibid. 81) ist dies allerdings weniger relevant, da nach einhelliger Meinung eine rechtsvergleichende Ableitung nicht alle nationalen Rechtsordnungen umfassen muss (was auch von Rotter so vertreten wird, siehe ibid. 82). Interessant könnte dies allerdings werden, insofern an die zweite, „moderne“ Entstehungsalternative der allgemeinen Rechtsgrundsätze durch Anerkennung basierend auf internationaler opinio iuris eine einheitliche Anerkennung aller Staaten gefordert wird. 343 Vgl. dazu B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 102 ff.: „For the drafters of the Statute the decisive point was that such principles were not to be derived from mere speculation; they had rather to be made objective through some sort of general acceptance or recognition by States“. Siehe dazu auch G. J. H. van Hoof, Rethinking (Fn. 341), 136 ff.; C. H. M. Waldock, General course on public international law, 106 RdC Bd. II (1962), 1 (57); wie G. Herczegh, General principles of law and the international legal order (1969), 11 ff. Vgl. für eine zusammengefasste Erläuterung der travaux préparatoires G. Gaja, General principles of law, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2007), Rz. 1 ff.; wie V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 46 ff. 344 Siehe dazu oben B.III.3.a)bb), S. 186 f. 345 Siehe zum Entstehungsprozess sogleich unten B.III.4.a)bb). 346 Vgl. dazu die Aussage von Lord Phillimore, Procès-Verbaux of the Proceedings of the Advisory Committee of Jurists, June 16th – July 24th 1920, Annex No. 3, 335: „the general principles [. . .] were these which were accepted by all nations in foro domestico [. . .].“ Für die Literatur siehe J. G. Lammers, General principles of law recognized by civilized nations, in: F. Kalshoven et al. (Hrsg.), GS für Hero F. Van Panhuys (1980), 53 (67). 347 Siehe zum Entstehungsprozess sogleich unten B.III.4.a)bb). 348 Für diesen Ansatz siehe v. a. A. Verdross, Die Quellen des universellen Völkerrechts – Eine Einführung (1973), 128; id., 52 RdC Bd. II (Fn. 340), 204 ff., welcher allerdings einen impliziten Konsens dafür bereits genügen ließe und darüber
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
grundsätze verändert das freilich nichts.349 Dennoch verbleiben Stimmen, die in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut naturrechtliche Elemente hineinlesen.350 Diese divergierenden Interpretationen hängen nicht zuletzt damit zusammen, dass wie bereits zur Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts ausgeführt wurde auch lit. c) keine formelle Rechtsquelle darstellt. Lit. c) definiert vielmehr mit den Worten der Metapher die reife Frucht, beschreibt aber nicht ihren Reifungsprozess.351 Eine weitere Parallele zum Völkergewohnheitsrecht liegt in der Unsicherheit bezüglich den zuständigen Organen zur Begründung der allgemeinen Rechtsgrundsätze gem. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut. Nationale Verfassungsordnungen schweigen i. d. R. auch bezüglich dieser Rechtsquelle und nominieren keine nationalen Vertreter zur Abgabe ihrer Willensübereinkunft. Während dies für die rechtsvergleichende Ableitung der allgemeinen Rechtsgrundsätze aus den nationalen Rechtsordnungen kein Problem darstellt, so ist dies für eine positiv-rechtliche Anerkennung auf internationaler Ebene sehr wohl problematisch. Jedweder Spielraum ohne entsprechende Rückkoppelung mit den nationalen Rechtserzeugerkreisen trübt die Rechtssicherheit einer Anerkennung auf der Ebene des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises. Allgemein wird allerdings eine derartige Anerkennung auf den nationalen, staatlichen Rechtserzeugerkreis eingeschränkt werden müssen. Nur dessen Vertreter kommen folglich für die internationale Anerkennung aus völkerrechtlicher Sicht in Frage. Trotzdem allgemeinen Rechtsgrundsätze grundsätzlich eine lückenfüllende Funktion zugeschrieben wird,352 ist es nahezu unbestritten, dass aus der Reihinaus Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut auch als naturrechtliches Einfallstor wahrgenommen hat. B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 102 ff., fordern allerdings einen expliziten Konsens. Vgl. allg. dazu auch A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 258: „In the abstract, it could seem that recourse to comparative law is essential; but it is not and such a requirement would, in any case, be unrealistic: the material is hardly available to the parties or to the judges who, moreover, are lawyers trained in international law (or national law) but who, with all due respect, usually can hardly be seen as comparatists.“ [Fn. ausgelassen] m. w. N. in Fn. 698; wie auch M. Virally, The Sources of International Law, in: M Sørensen (Hrsg.), Manual of Public International Law (1968), 116 (146). 349 Vgl. Dazu B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 102. Siehe auch IGH, South West Africa Cases (Ethiopia vs. South Africa; Liberia vs. South Africa) Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Rep. (1966), 6, Rz. 49 insofern klargestellt wird: „It [IGH] is a court of law, and can take account of moral principles only in so far as these are given a sufficient expression in legal form.“ 350 Siehe oben Fn. 340. Dafür dass dies aber immer nur auf Grund der positiv rechtlichen Verankerung in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut basieren kann, siehe A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 252; wie auch S. Hall, The Persistent Sphere: Natural Law, International order and the limits of legal positivism, 12 European JIL (2001), 269 (292). 351 Siehe so auch G. Herczegh, Principles (Fn. 343), 1, in Fn. 1. Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Völkergewohnheitsrecht oben B.III.3.a)bb).
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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henfolge der Anordnung der in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut genannten Völkerrechtsquellen keine direkte Hierarchieanordnung folgt. Erst recht wird keine Hierarchie explizit etabliert. Eine Reduktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze auf eine reine Lückenfüllung ist folglich nicht zwingend.353 Zusammenfassend muss auch der Völkerrechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze ein gehöriges Maß an Unsicherheit attestiert werden, welches sich nicht zuletzt auch darin äußert, dass der IGH äußerst zurückhaltend auf Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut rekurriert.354 Wiederum kann nicht darauf verzichtet werden, zumindest überblicksartig auf diverse Problemfelder der allgemeinen Rechtsgrundsätze aufmerksam zu machen. Ohne Anspruch auf eine umfassende Abhandlung liegt die Konzentration wiederum auf dem Entstehungsprozess der allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie deren Wirkung, welche für das Thema dieser Arbeit von primärem Interesse sind. bb) Entstehung der allgemeinen Rechtsgrundsätze Allgemeine Rechtsgrundsätze beruhen nach der allgemein gehaltenen Definition in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut darauf, dass ein bestimmtes Siehe dazu K. Doehring, Völkerrecht2 (Fn. 112), 182; wie auch M. Rotter, Rechtsgrundsätze (Fn. 342), 80. 353 Vgl. dazu aber A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 265 ff., welcher zwar eine formelle Hierarchie ausschließt, aber de facto in der IGH Rechtsprechung eine gewisse Sukzessivität „successive order“ in Form einer Komplementarität („[The ICJ] organized a kind of complementarity“) erkennt. Ähnlich dazu auch V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 67. 354 Seit 1922 wurde Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut nur vier mal vom IGH direkt zitiert, dessen Anwendung aber jeweils abgelehnt IGH, Right of Passage over Indian Territory, Merits, Urteil vom 12. April 1960, ICJ Rep. (1960), 6 (11 f.), (foro domestico); IGH, South West Africa Cases (Fn. 349), Rz. 88: „But although a right of this kind may be known to certain municipal systems of law, it is not known to international law as it stands at present: nor is the Court able to regard it as imported by the ‚general principles of law‘ referred to in Article 38, paragraph 1 (c), of its Statute“; IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Fn. 199), Rz. 17: „for the priiiciple of the just and equitable share was one of the recognized general principles of law which, by virtue of paragraph 1 (c) of the same Article, the Court was entitled to apply as a matter of the justifia distributiva which entered into all legal systems“; IGH, Avena and Other Mexican Nationals (Mexico vs. United States of America), Urteil vom 31. März 2004, ICJ Rep. (2004), Rz. 127: „The Court does not consider that it is necessary to enter into an examination of the merits of the contention advanced by Mexico that the ‚exclusionary rule‘ is ‚a general principle of law under Article 38 (1) (c) of the . . . Statute‘ of the Court.“ In der Rsp. des StIGH wurde nie auf Art. 38 Abs. 1 lit. c) rekurriert. Vgl. dazu auch A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 248 m. w. N. darauf, dass wohl aber indirekt – allerdings ohne Referenz auf lit. c) – auf allgemeine Rechtsgrundsätze abgestellt wurde. 352
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Rechtsprinzip in den meisten355 nationalen Rechtsordnungen der „zivilisierten Nationen“ verankert ist (allgemeine Rechtsgrundsätze in foro domestico). Rechtsvergleichend wird sodann aus allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen der nationalen Rechtsordnungen der internationale Rechtsgrundsatz abgeleitet.356 Das bedeutet aber nicht, dass die Prinzipien der nationalen Rechtsordnung direkt auf die internationale Ebene übertragen werden. Dem Unterschied zwischen der nationalen und der völkerrechtlichen Rechtsordnung wird Rechnung gezollt, indem bei der Ableitung der allgemeinen Rechtsprinzipien auf die Besonderheiten des Völkerrechts Rücksicht genommen werden muss. Nur wenn dies gewährleistet ist, können die allgemeinen Prinzipien der nationalen Rechtsordnungen auch auf internationaler Ebene als allgemeine Rechtsgrundsätze gelten.357 In weiterer 355 Vgl. W. Friedmann, The uses of ‚general principles‘ in the development of international law, 2 American JIL (1963), 279 (284). Siehe auch S. Kadelbach/ T. Kleinlein, 44 AVR (Fn. 359), 257, m. w. N. in Fn. 90, welche eine „repräsentative Mehrheit der Staaten [. . .] die die Hauptsysteme der Welt einschließen“ genügen lassen. Vgl. auch V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 70. Siehe auch M. Virally, Sources (Fn. 348), 146: „anything which all the judges of the Court are prepared to accept as a ‚general principle of law‘ must in fact be ‚recognized by civilized nations‘.“ So auch M. Rotter, Rechtsgrundsätze (Fn. 342), 82, welcher ebenfalls die „wichtigsten Rechtskreise“ i. V. m. der Zusammensetzung der Richter des IGH gem. Art. 9 IGH Statut als Vertreter der verschiedenen Rechtssysteme gelten lässt. 356 Siehe dazu M. Rotter, Rechtsgrundsätze (Fn. 342), 81 f.: „Im Gegensatz zu den anderen Rechtssatzformen werden ARG von den Staaten nicht mit Rechtsfolgewillen für das VR und nicht auf der Ebene des VR erzeugt. Sie werden im Grunde genommen überhaupt nicht erzeugt, sondern aus den abgeschlossenen innerstaatlichen Rechtsetzungsakten abgeleitet.“ [Hervorhebung weggelassen] Ähnlich auch K. Doehring, Völkerrecht2 (Fn. 112), 179 f.; vgl. ebenso V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 136. Vgl. dazu auch L. Oppenheim, International law – A treatiese8, Bd. I (1955), 29: „The intention is to authorize the Court to apply the general principles of municipal jurisprudence, in particular of private law, in so far as they are applicable to relations of States.“ Siehe aber auch I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 16, der Oppenheim’s Phrase zitiert, um festzustellen (17): „An international tribunal chooses, edits, and adapts elements from better developed systems: the result is a new element of international law the content of which is influenced historically and logically by domestic law.“ 357 Siehe dazu die Aussage von Richter McNair in der separate opinion IGH, International Status of South-West Africa, Gutachten vom 11. Juli 1950, ICJ Rep. (1950), 128, Rz. 148: „The way in which international law borrows from this source [Allgemeine Rechtsgrundsätze] is not by means of importing private law institutions ‚lock, stock and barrel‘, ready-made and fully equipped with a set of rules [. . .]. [T]he true view of the duty of international tribunals in this matter is to regard any features or terminology which are reminiscent of the rules and institutions of private law as an indication of policies and principles rather than as directly importing these ruls and institutions.“ Vgl. dazu für die Literatur Fn. 359. Richter Fitzmaurice folgt McNair in der separate opinion IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain) (New Application: 1962), Urteil vom 5. Fe-
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Folge wird diese Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze als „traditionell“ bezeichnet. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts sind aber nicht ausschließlich auf die Ableitung aus dem foro domestico zu reduzieren. Sowohl die travaux préparatoires als auch die Wortwahl des Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut schließen nicht aus, dass ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ohne Rückhalt aus den nationalen Rechtsordnungen auf internationaler Ebene durch Anerkennung der „zivilisierten Nationen“ entstehen kann.358 Diese zweite Entstehungsart der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist freilich mit großen Unsicherheiten verbunden, wird doch in lit. c) nicht genauer umschrieben, wie eine derartige Anerkennung aussieht. Der Entstehungsprozess wartet dementsprechend – freilich immer unter Berücksichtigung des Elements der Anerkennung in lit. c) – mit einer weiteren Möglichkeit zur Begründung der allgemeinen Rechtsgrundsätze auf.359 Diese Variante wird in weiterer Folge als „moderne“ Entstehungsvariante bezeichnet. Auch wenn der IGH Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut selten zitiert,360 so kann dennoch zumindest ein indirekter Bezug zu Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut in der Rechtsprechung festgestellt werden.361 Dies gilt insbesondere dann, insofern die herangezogenen allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht auf völkerrechtlichem Vertrags- bzw. Gewohnheitsrecht basieren. Umso eher bei bruar 1970, ICJ Rep. (1970), 64, Rz. 5. So auch A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 263. 358 Vgl. dazu G. Gaja, Principles (Fn. 343), Rz. 3 m. w. N. 359 Dafür, dass allgemeine Rechtsgrundsätze auch durch Anerkennung auf internationaler Ebene entstehen können, siehe B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255); N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265); J. G. Lammers, Principles (Fn. 346), 67; C. Bassiouni, A functional approach to „general principles of international law“, 11 Michigan JIL (1990), 768 (772); H. Mosler, General principles of law, in: R. Bernhardt et al. (Hrsg.), Encyclopedia of public international law, Bd. II (1995), 511 (511, 519 ff.); S. Kadelbach/T. Kleinlein, Überstaatliches Verfassungsrecht – Zur Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 44 AVR (2006), 235 (255 f.); und W. Weiß, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, 39 AVR (2001), 394 (398 f.). Dafür, dass allgemeine Rechtsgrundsätze gem. lit. c) nur per Rechtsvergleichung gewonnen werden können, siehe M. Sørensen, Principes de droit international public, 101 RdC Bd. III (1960), 1 (23); M. Rotter, Rechtsgrundsätze (Fn. 342), 81; und J. Ellis, General principles and comparative law, 22 European JIL (2011), 949 ff. Vgl. für eine Übersicht B. Vitanyi, Les positions doctrinales concernant le sens de la notion de „principes généraux de droit reconnus par les nations civilisées“, 86 RGDIP (1982), 96 ff.; und J. G. Lammers, Principles (Fn. 346), 56 f. 360 Siehe Fn. 354. 361 Siehe A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 260. Vgl. auch die Auflistung von entsprechender StIGH und IGH Rechtsprechung bei B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 105 f.; V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 53 ff.; M. Koskenniemi, General principles: Reflexions on constructivist thinking in international law, 28 Eripainos Oikeustiede – Jurisprudentia (1985), wiederabgedruckt in: M. Koskenniemi (Hrsg.), Sources of international law (2000), 360 (362 insbes. Fn. 8–15).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
der Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze in der Judikatur des IGH die Ebene der Rechtsvergleichung von nationalen Rechtsordnungen verlassen wird (was nicht zuletzt an der quantitativen Überforderung bei Einbeziehung aller Rechtsordnungen liegen mag)362, desto mehr kommt die „moderne“ Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze ins Spiel. Dementsprechend ist nicht verwunderlich, dass vorgeschlagen wurde die Diskussion des Ein Elemente-Ansatzes im Völkergewohnheitsrecht, welcher ausschließlich opinio iuris für die Schaffung von Völkergewohnheitsrecht ausschlaggebend hält, auf die Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu übertragen.363 Wenn also auf internationaler Ebene, bspw. durch eine Resolution der UN-Generalversammlung, einstimmig eine bestimmte Rechtsüberzeugung zum Ausdruck kommt, könnte dies im Sinne von lit. c) als Anerkennung nahezu aller Staaten auf internationaler Ebene gewertet werden. Dem Entstehungsprozess von lit. c) entspräche dies eindeutig mehr, als dem Entstehungsprozess von Völkergewohnheitsrecht [lit. b)], welcher das Element der opinio iuris nur im Zusammenspiel mit Staatenpraxis als Völkergewohnheitsrecht definiert.364 Dabei drängt sich allerdings die Frage auf, ob allgemeine Rechtsgrundsätze durch eine vorhandene Rechtsüberzeugung, also durch internationale opinio iuris, entstehen können.365 Freilich ist bei Völkergewohnheitsrecht das Element der opinio iuris aus guten Gründen nur in Verbindung mit entsprechender Staatenpraxis geeignet, gültiges Gewohnheitsrecht zu begründen. Das zweite Element, würde durch opinio iuris schlichtweg entbehrlich gemacht. Es gilt dementsprechend die fundamentale Frage zu klären, was ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist und worin der Unterschied zu völkergewohnheitsrechtlichen bzw. vertraglichen Normen besteht. Nicht zuletzt auch die lückenfüllende Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze weist zumindest indirekt auf einen derartigen Unterschied hin.366 Wird – wie vorgeschla362 Vgl. für eine Kritik an der bis dato angewandten rechtsvergleichenden Methode J. Ellis, 22 European JIL (Fn. 359), 970. 363 Vgl. dafür in Bezug auf fundamentale Menschenrechte B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 102 ff. Allg. dazu N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 286. Vgl. dazu auch S. Kadelbach/T. Kleinlein, 44 AVR (Fn. 359), 255–265, welche in der Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf internationaler Ebene „das größte Potential für die Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Völkerrecht [. . .] sehen, die als Verfassungsrecht jenseits des Staates gelten können.“ 364 Siehe dazu oben B.III.3.a)bb). 365 Vgl. bejahend N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 285 f., 292, 302. Siehe auch B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 104, welche dies allerdings auf fundamentale Menschenrechte beziehen. 366 Siehe dazu oben, Fn. 352.
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gen367 – die Unterscheidung von Robert Alexy zwischen Prinzipien und Regeln zu Grunde gelegt,368 so wird klar, dass nicht jede Rechtsüberzeugung, welche für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht geeignet ist, zur Entstehung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen führen kann.369 Die Unterscheidung von Alexy beruht nämlich darauf, dass Prinzipien in unterschiedlichem Ausmaß nachgekommen werden kann (Optimierungsgebot), während Normen entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden.370 Im Ergebnis führt dies zu einer Unterscheidung, welche auf eine unterschiedliche Lösung von Prinzipienkollisionen und Regelkonflikten abzielt.371 Während Normen konfligieren und eine Regel (rule) die andere Regel – auf Grund welcher Konfliktlösungsregel auch immer – derogiert, wird eine Kollision zwischen zwei Prinzipien auf Basis einer Abwägung gelöst.372 Insofern die kollidierenden Prinzipien nicht hierarchisch geordnet sind, gibt es keinen objektiv vorhersagbaren „Sieger“. Eine Prinzipienkollision wird je nach Situation und Gewichtung des betroffenen Prinzips entschieden.373 Dies beruht nicht zuletzt darauf, dass Prinzipien – im Gegensatz zu Normen – einen starken Bezug zu Werten aufweisen.374 Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Regeln des Völkergewohnheitsrechts könnte demnach auch zum Teil in ihrer materiellen Differenz gesucht werden. Sogleich ist verständlich, weshalb dieser Vorschlag teilweise auf fundamentale Menschenrechte beschränkt wird.375 Würden nämlich über die Maßen viele Prinzipien über das Element der einstimmigen Rechtsüberzeugung auf internationaler Ebene begründet, wäre nicht zuletzt auf Grund der Rechtsunsicherheit bezüglich der Kollisionslösung bei kollidierenden Prinzipien dem internationalen Rechtssystem nur 367 Siehe dazu N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 286 ff., der sich freilich bewusst ist, dass die Unterscheidung von Alexy auf Grundlage der nationalen Ebene herausgearbeitet wurde. Der Übertragbarkeit dieser Unterscheidung auf die internationale Ebene scheint aber nichts entgegenzutreten, was Petersen auch durch Hinweise auf Literatur in Fn. 48 belegt. 368 R. Alexy, Theorie der Grundrechte1 (1985), 75 ff. 369 Der Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist die Übersetzung von „general principles“. Es wird der Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze beibehalten, welcher zur Veranschaulichung hier von völkervertrags- bzw. gewohnheitsrechtlichen Regeln unterschieden wird. Normen stellen dabei den Überbegriff dar. Robert Alexy verwendet deswegen den Begriff der Prinzipien und stellt nicht auf allgemeine Rechtsgrundsätze ab, da er diese Unterscheidung am Beispiel des nationalen Rechts herausgearbeitet hat. 370 R. Alexy, Theorie (Fn. 368), 75 f. 371 Ibid., 77. 372 Ibid., 77 f.; R. Dworkin, Taking rights seriously (1977), 26 f. 373 R. Dworkin, Rights (Fn. 372), 26 f. 374 Vgl. dazu N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 288. 375 B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255).
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
bedingt ein Gefallen getan. Die Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze als Lückenfüller376 weist ebenso auf eine zurückhaltendere Verwendung dieser Rechtsquelle hin.377 Darüber hinaus muss im Unterschied zum Völkergewohnheitsrecht wohl eine explizite, universelle Rechtsüberzeugung verlangt werden, um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz auf internationaler Ebene im Rahmen der zweiten, „modernen“ Entstehungsvariante der lit. c) begründen zu können. Dieser wird sich schon rein faktisch auf Grund divergierender staatlicher Interessen auf fundamentale Normen beschränken. Allgemeine Rechtsgrundsätze werden des Weiteren auch als eine Art Regelgruppe von sich untereinander beeinflussenden Regeln und nicht als eine bestimmte Regel verstanden.378 Wird diese oder eine andere Definition der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu Grunde gelegt,379 welche auf einen abstrakten, generellen Inhalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze als Prinzipien verweist,380 so verbleibt das den Rechtsgrundsätzen implizite Element der Unbestimmtheit. Wurde auch kritisiert, dass dieser Ansatz keine methodisch scharfe Trennung zwischen Regeln und Prinzipien erlaubt,381 so basiert letztlich auch die Unterscheidung bezüglich der unterschiedlichen Konflikt- bzw. Kollisionslösung von Regelkonflikten und Prinzipienkollisionen auf der Überlegung, dass aus Prinzipien keine konkrete Verhaltensanordnung abzuleiten ist. Es liegt folglich in der Natur der Prinzipien vage zu bleiben. Überspitzt formuliert, wäre die Grundfunktion des Rechts, die Organisation des menschlichen Zusammenlebens, allein durch Prinzipien nicht zu gewährleisten. Freilich kann umgekehrt auch ein Rechtssystem ohne Prinzipien kein Auslangen finden. Für die Rechtssicherheit ist es allerdings unumgänglich, dass Normkonflikte bzw. Prinzipienkollisionen und deren Lösung für den Einzelnen vorhersehbar sind. Dies ist gerade bei einer Abwägung zweier kollidierender Prinzipien, welche nur durch den Richter 376
Siehe oben Fn. 366 und 353. Vgl. aber bspw. den Vorschlag, Prinzipien in ein prominenteres Licht zu rücken bei M. Koskenniemi, Principles (Fn. 361), 138 ff. 378 Siehe so G. Herczegh, Principles (Fn. 343), 36: „a principle of law is a norm of general validity which is manifested not in a single statutory provision, but by a group of mutually interdependent legal rules or their system.“ 379 Vgl. für eine überblicksartige Aufzählung R. Alexy, Theorie (Fn. 368), 73 ff. 380 Siehe bspw. G. Arangio-Ruiz, The UN declaration on friendly relations and the system of the sources of international law (1979), 66: „Principles [. . .] are normative propositions of a general or very general character, less definite than rules“. Siehe ebenso J. Raz, Legal principles and the limits of law, 81 Yale LJ (1972), 823 (838), der den Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien als einen graduellen beschreibt, wobei Regeln konkret und Prinzipien unspezifischer ausgestaltet sind. Vgl. auch G. C. Christie, The model of principles, Duke LJ (1968), 649 (669). 381 Vgl. N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 287. 377
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und nicht durch den Gesetzgeber vorgenommen werden kann, nur bedingt gewährleistet. Nach alledem ist die Diskussion um die zweite, „moderne“ Entstehungsvariante und deren Voraussetzungen mit Vorsicht zu genießen. Zum einen ist klar, dass durch eine Rechtsüberzeugung auf internationaler Ebene, welche bspw. auf Resolutionen der UN-Generalversammlung beruhen, nur Prinzipien und keine Regeln geschaffen werden können. Zum anderen ist die Schaffung von Prinzipien auf Grund ihrer Charakteristika zurückhaltend voranzutreiben. Während eine formelle Rechtsquelle im positiven Recht ausschließlich auf einen Entstehungsprozess und eben nicht auf einen bestimmten, eingegrenzten Inhalt abstellt, so steht die starke Verbundenheit der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu Werten im Widerspruch dazu.382 Ein Vergleich mit nationalen Rechtsordnungen macht auch sogleich klar, dass diesem Dilemma nicht wirklich beizukommen ist. Nationale Rechtsordnungen kennen i. d. R. kein legistisches Verfahren zur Schaffung von Prinzipien. Diese sind vielmehr in der Verfassungsordnung angelegt. Dies steht einem rechtsvergleichenden Abstellen auf nationale Verfassungsordnungen zur Ableitung allgemeiner Rechtsgrundsätze (erste, „traditionelle“ Entstehungsvariante der lit.c)) nicht im Wege. Freilich trifft dies auf die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze basierend auf internationaler opinio iuris (zweite, „moderne“ Entstehungsvariante der lit. c)) gerade nicht zu. Gerade die fehlende Verfassungsordnung, wie der fehlende zentrale internationale Gesetzgeber erhöhen die Versuchung allgemeine Rechtsgrundsätze auf anderem Wege einzuführen. Wie dem beigekommen werden kann, ist unter Berücksichtigung der unsicheren, formellen Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze nur schwer zu beurteilen. Darin kann auch eine Erklärung gesehen werden, weshalb oft von einem rechtsvergleichenden Nachweis dieser Prinzipien Abstand genommen wird. Rein aus Sicht der formellen Entstehungsvoraussetzung ist dies freilich nicht zufriedenstellend. Darüber hinaus ist unsicher, ob die Reduktion in der zweiten, „modernen“ Entstehungsvariante der lit. c) auf die internationale opinio iuris es erforderlich macht, dass von einer Mehrheitsregel in der ersten, „traditionellen“ Variante zu einer einstimmigen Rechtsüberzeugung in der zweiten, „modernen“ Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze übergegangen wird. Ist dies zutreffend, erscheint es vorstellbar, dass die Diskussion um den Terminus der Anerkennung durch „zivilisierte Nationen“ wieder neu belebt wird, wenn es gilt, einen Unrechtsstaat daran zu hindern, die Einstimmigkeit der internationalen opinio iuris zu stören.383
382 383
Vgl. ibid. Siehe dazu bereits oben Fn. 342.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Diese aufgezeigten Schwierigkeiten führen dazu, dass der IGH diese Rechtsquelle nur äußerst spärlich anwendet384 und darüber hinaus selbst bei einem Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze die Herleitung zumeist (bewusst) im Dunkeln belässt.385 In der StIGH und IGH Rechtsprechung findet sich bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen meist keine exakte Begründung der Entstehung bzw. Herleitung.386 Dementsprechend anfällig sind allgemeine Rechtsgrundsätze für naturrechtliche Erklärungskonstrukte. Allerdings muss an die Wortwahl des Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut erinnert werden, die ausdrücklich von einer Anerkennung durch „zivilisierte Nationen“ spricht. Wie diese Anerkennung legistisch vonstattengehen soll, ob also bspw. eine Anlehnung an die Rechtsüberzeugung zur Identifikation des Völkergewohnheitsrechts möglich ist oder wenn nicht, wie diese Anerkennung ansonsten identifiziert wird, ist in höchstem Maße unsicher.387 cc) Wirkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze Den zuvor beschriebenen Definitionen allgemeiner Rechtsgrundsätzen gem. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut war eine gewisse Unbestimmtheit gemein. Zusammen mit der lückenfüllenden Funktion, ist nicht davon auszugehen, dass allgemeine Rechtsgrundsätze direkt auf die nationalen Rechtsordnungen einwirken. Allerdings ist eine innerstaatliche Wirkung bestimmter allgemeiner Rechtsgrundsätze i. V. m. anderen Bestimmungen durchaus vorstellbar. Ebenso können allgemeine Rechtsgrundsätze die schlicht anwendbar sind, Wirkung auf eine nationale Rechtsordnung entfalten.388 Dem steht jedoch entgegen, dass die erste, „traditionelle“ Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze aus den nationalen Rechtsordnungen abgeleitet wird. Der Fall, indem aus den meisten nationalen Rechtsordnungen ein Rechtsgrundsatz für die internationale Ebene abgeleitet wird, welcher sodann wieder auf die nationale Ebene zurückstrahlt, ist sehr theoretisch. Eine praktische Relevanz für diejenige Rechtsordnung abzuleiten, in welcher dieser Rechtsgrundsatz gerade nicht gefunden wird, wird nur unter besonderem Aufwand argumentiert werden können. Ganz 384
Siehe dazu A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 248. Vgl. dazu u. a. V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 58. 386 Siehe dazu V. D. Degan, Sources (Fn. 30), 53: „However, except in the [. . .] Advisory Opibion of 1951 on the Genocide Convention [. . .], in no other instances did it [ICJ] prove that a principle in question was ‚recognized by civilized nations‘.“ 387 A. Pellet, Article 38 (Fn. 30), Rz. 261, spricht von einer noch größeren Unsicherheit bezüglich der allgemeinen Rechtsgrundsätze, als dies schon beim Völkergewohnheitsrecht der Fall ist. 388 Vgl. dazu oben A.III.1. 385
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auszuschließen ist dies, wenn insbes. an Unrechtsstaaten gedacht wird, allerdings ebenso wenig. Ist man in weiterer Folge gewillt, die zweite „moderne“ Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze in lit. c) durch eine schlichte Anerkennung basierend auf internationaler opinio iuris zu akzeptieren, werden Auswirkungen auf nationale Rechtssysteme wahrscheinlicher. Je nachdem, wie eng das materiell-rechtliche Korsett der allgemeinen Rechtsgrundsätze geschnürt wird, wird darüber entschieden inwieweit sich diese Rechtsquelle auf die nationale Rechtsordnung auswirkt. Wird ohne inhaltliche Einschränkung ausschließlich auf eine umfassende internationale Rechtsüberzeugung z. B. aufbauend auf Resolutionen der UN-Generalversammlung abgestellt, so ist zumindest eine potentielle Wirkung auf die innerstaatliche Rechtsordnung nicht abwegig. Freilich ist eine derartige Argumentation nur sehr schwer aufrecht zu erhalten. Eine Beschränkung der zweiten „modernen“ Entstehungsvariante der lit. c) auf fundamentale Menschenrechte ist insoweit einleuchtend, als in lit. c) von „Rechtsgrundsätzen“ (principles) und nicht von Regeln (rules) die Rede ist. Aber selbst mit dieser substantiellen Einschränkung werden diese allgemeinen Rechtsgrundsätze so mancher nationalen Rechtsordnung gefährlich. Insofern kann der zweiten „modernen“ Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze, welche durch eine Anerkennung internationaler opinio iuris auf internationaler Ebene geschnürt werden kann, große Bedeutung für das Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht zukommen. Dem potentiellen Konflikt zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen und nationalem Recht kommt v. a. Bedeutung zu, wenn Resolutionen der UN-Generalversammlung als Fundament für allgemeine Rechtsgrundsätze herangezogen werden. Eine mögliche spontane Reaktion auf ein international unerwünschtes Verhalten eines UN-Mitgliedstaates in der UN-Generalversammlung ist durchaus denkbar. Das ist für jede nationale Rechtsordnungen relevant, da allgemeine Rechtsgrundsätze dem größeren, internationalen Rechtserzeugerkreis entspringen. In diesen theoretisch durchaus denkbaren Fällen ist es auch vorstellbar, dass ein allgemeiner Rechtsgrundsatz bspw. i. V. m. einer anderen Bestimmung unmittelbar anwendbar sein kann oder von ihm eine individualisierende Wirkung ausgeht, v. a. wenn fundamentale menschenrechtliche Inhalte betroffen sind. Darüber hinaus schließt nicht jede Definition von Prinzipien (principles) aus, dass diese auch konfligierende Regeln (rules) derogieren können.389 Legt man aber die Definition der Prinzipien (principles) von Alexy zu Grunde, setzt sich eine Regel (rule) aufgrund ihres spe389 Vgl. dafür, dass allgemeine Rechtsgrundsätze bspw. widersprechendem Vertrags- bzw. Gewohnheitsrecht (auch wenn unter zu Hilfe nahme des ius cogensKonzepts) derogieren können A. Verdross, 52 RdC Bd. II (Fn. 340), 204 ff.; wie auch B. Simma/P. Alston, 12 Australian YIL (Fn. 255), 104 f.
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zielleren Inhalts durch, insofern sie mit einem Prinzip konfligiert.390 Ein Prinzip kann, nach der Unterscheidung von Alexy, in einem Konflikt mit einer Regel nur obsiegen, wenn der allgemeine Rechtsgrundsatz gleichzeitig eine Regel beinhaltet391 oder die Regel direkt oder indirekt auf den Rechtsgrundsatz verweist.392 Während Ersteres für die Entstehung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht möglich ist, da die entsprechende Regel gleichzeitig auf Völkergewohnheits- oder Vertragsrecht beruhen müsste (Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut kann nur Rechtsgrundsätze i. S. v. Prinzipien und keine Regeln begründen), so ist Zweiteres vollständig der nationalen Rechtsordnung überlassen. Per se irrelevant ist der allgemeine Rechtsgrundsatz für den nationalen Rechtserzeugerkreis allerdings auch nach dieser Unterscheidung nicht. Es ist durchaus denkbar, dass ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises ein Prinzip des kleineren nationalen Rechtserzeugerkreises derogiert. b) Allgemeine Rechtsgrundsätze und die österreichische Rechtsordnung aa) Allgemeines Die internationale Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze wird von Art. 9 Abs. 1 B-VG nicht explizit erwähnt. Ähnlich der Subsumtion von Völkergewohnheitsrecht unter die „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ können aber auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze als von Art. 9 Abs. 1 B-VG mitumfasst betrachtet werden.393 Diese Miteinbeziehung der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist nicht nur vom Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 B-VG gedeckt, sondern zugleich aus mehreren Gründen geboten. Zum einen existiert keine andere Bestimmung außer Art. 9 Abs. 1 B-VG, die für diese Völkerrechtsquelle herangezogen werden könnte. Weil aber nach der hier vertretenen Auffassung auch alle Individuen des österreichischen Rechtserzeugerkreises an der Schaffung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts mitwirken, ist eine rechtliche Verknüpfung mit der österreichischen Rechtsordnung unumgänglich. Zum anderen er390
Siehe R. Alexy, Theorie (Fn. 368), 83 f. Vgl. N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 290. 392 Siehe dazu R. Alexy, Theorie (Fn. 368), 72 ff. Vgl. auch N. Petersen, 23 American University ILR (Fn. 265), 291. 393 Bejahend F. Ermacora/W. Hummer, Völkerrecht (Fn. 9), 117; T. Öhlinger, Verfassungsrecht6 (2005), 76. id., Art. 9/1 B-VG (Fn. 1), Rz. 6 m. w. N. in Fn. 18; und E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 71; zweifelnd dazu H. Mayer, Art. 9 B-VG (Fn. 9), 17. Vgl. ausdrücklich bejahend zu Art. 25 GG, welcher ebenfalls von „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ spricht, K. Doehring, Völkerrecht2 (Fn. 112), 320. 391
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möglicht es die Subsumtion von allgemeinen Rechtsgrundsätzen unter Art. 9 Abs. 1 B-VG den Charakteristika dieser Völkerrechtsquelle gerecht zu werden. Wie beim Völkergewohnheitsrecht gibt es Unsicherheiten bei der Entstehung der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Diese Unsicherheiten wirken sich auf das Verhältnis zur nationalen Rechtsordnung aus. Beiden Völkerrechtsquellen ist ein durchaus nebulöser Entstehungsprozess gemein, der nicht immer eine exakte Feststellung des Inhalts und des exakten Zeitpunkts des Inkrafttretens zulässt. Die Unsicherheiten können aufgrund des offenen Wortlautes nur von Art. 9 Abs. 1 B-VG absorbiert werden. Wird Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Begründung dieser Völkerrechtsquellen auf internationaler Ebene angesehen, ist eine exakte Bestimmung des nicht immer klar entzifferbaren Tatbestands dem internationalen Rechtserzeugerkreis und den internationalen bzw. im Rahmen des dédoublement fonctionnel394 auch den nationalen Rechtspruchkörpern vorbehalten. Wurde zuvor schon vielen Normen des Völkergewohnheitsrechts ein zwischenstaatlicher Charakter attestiert, so trifft dies auch auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu. Hinzu kommt, dass die meisten allgemeinen Rechtsgrundsätze, welche durch die Ableitung aus den nationalen Rechtsordnungen gewonnen werden, zum einen bereits in den meisten nationalen Rechtsordnungen vorhanden sind und zum anderen auf die internationale Ebene abzielen.395 Dennoch kann sowohl eine unmittelbar anwendbare als auch eine individualisierende Wirkung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.396 Allgemeine Rechtsgrundsätze können bspw. i. V. m. mit einer anderen Bestimmung durchaus eine innerstaatliche Wirkung entfalten. So wurden bspw. elementare Rechte eines im Völkerstrafrecht Angeklagten bis zur Schaffung des Rom Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien angewendet.397 Die Frage der Kundmachung und der demokratischen Legitimität der allgemeinen Rechtsgrundsätze stellt sich dann in demselben Ausmaß wie bei unmittelbar anwendbaren oder individualisierenden völkergewohnheitsrechtlichen Normen.398 bb) Zuständigkeit nach dem B-VG Ist beim Völkergewohnheitsrecht nicht klar bestimmt, welches nationale Organ die Kompetenz besitzt auf der internationalen Ebene Normen des Völkergewohnheitsrechts mitzubegründen, so ist zumindest den allgemeinen 394 395 396 397 398
Siehe dazu oben S. 90, insbes. Fn. 297 und 298. Siehe dazu oben S. 180, insbes. Fn. 357. Siehe dazu oben B.III.4.a)cc). Vgl. allg. dazu J. Ellis, 22 European JIL (Fn. 359), 951, 967 ff. Siehe dazu oben B.III.3.b)aa).
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Rechtsgrundsätzen in foro domestico (erste, „traditionelle“ Entstehungsvariante) eigen, dass kein bestimmtes staatliches Organ, sondern vielmehr jeweilige Prinzipien bzw. Leitlinien nationaler Rechtsordnungen der Begründung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu Grunde liegen. Diese ruhen i. d. R. bereits auf der Grundlage nationaler Willensübereinkünfte bspw. der Verfassungsordnungen der jeweiligen nationalen Rechtserzeugerkreise oder werden durch die Legislative der Staaten positiv-rechtlich gesetzt399. In diesem Fall ist die prinzipiell den nationalen Rechtsordnungen überlassene Entscheidung, welches Organ zur Abgabe völkerrechtlich bindender Willensäußerungen bevollmächtigt wird, durch die Eigenheit dieser Entstehungsart der allgemeinen Rechtsgrundsätze obsolet. Anders verhält sich dies allerdings bezüglich der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die nur auf einer internationalen opinio iuris (zweite, „moderne“ Entstehungsvariante) basieren. Hier wiederum ist bereits der Entstehungsprozess auf internationaler Ebene vage. Lit. c) verlangt nur eine internationale Anerkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Definiert wird folglich nur die reife Frucht. Der Reifungsprozess der Frucht, d.h. die Entstehungsprozedur der allgemeinen Rechtsgrundsätze, liegt in der „dahinter stehenden“, ungeschriebenen formellen Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts begründet. Demgemäß herrscht Ungewissheit, wie eine Anerkennung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch „zivilisierte Nationen“ auf internationaler Ebene aussieht. Ist dies schon fragwürdig, so ist es umso schwieriger, auf nationaler Ebene konkrete Organe mit der Kompetenz für diese Anerkennung zu betrauen. Vor diesem Hintergrund ist die abstrakte Formulierung in Art. 9 Abs. 1 B-VG verständlich. Bezüglich des Völkergewohnheitsrechts kann noch auf die international typischerweise handelnden Organe abgestellt werden. Analog dazu kann der Vertreter Österreichs als zuständig angesehen werden, wenn die internationale opinio iuris durch eine UN-Generalversammlungsresolution zu Stande kommt. Entsteht die internationale Rechtsüberzeugung allerdings in einer anderen Form, erscheint die Annahme des typisch zuständigen Organs auf Grund des nebulösen Normschaffungsprozesses in Form der Anerkennung auf internationaler Ebene aber nur schwer vorstellbar. In Anbetracht der Situation, dass allgemeine Rechtsgrundsätze nur selten zur Anwendung kommen und im Anwendungsfall i. d. R. ausschließlich fundamentale Prinzipien betreffen, wird diese Problematik praktisch entschärft. Dies mag aus pragmatischer Perspektive beruhigen. Aus theoretischer Sicht bleiben die methodischen Probleme. Zumindest kann ganz allgemein gesagt werden, dass die AnerkenVgl. K. Doehring, Völkerrecht2 (Fn. 112), 180 f., zum Grundsatz venire contra factum proprium, dem „der Gedanke zugrunde [liegt], daß ein Staat sich gefallen lassen muß, auch im internationalen Rechtsverkehr an seine eigene innerstaatliche Rechtsordnung erinnert zu werden“. 399
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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nung der allgemeinen Rechtsgrundsätze auf internationaler Ebene zumindest auf offizielle Staatenvertreter beschränkt werden muss, was auch implizit in Art. 9 Abs. 1 B-VG normiert ist. cc) Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Begründung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen? In dieser Arbeit wurde die Integration von Völkervertrags- und Gewohnheitsrecht in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung kritisiert. In dem Maße, indem sich allgemeine Rechtsgrundsätze auf die nationale Rechtsordnung auswirken gilt dieselbe Kritik.400 Eine dogmatische Diskussion über die Rangfrage der allgemeinen Rechtsgrundsätze scheidet somit nach der hier vertretenen Auffassung aus. Die Interpretation von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die gemäß der ersten, „traditionellen“ Entstehungsvariante von Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut aus den Rechtsordnungen der „zivilisierten Nationen“ abgeleitet werden ist unproblematisch, da die Ermächtigung zur Rechtsschaffung eine fiktive ist. Allgemeine Grundprinzipien der nationalen Rechtsordnungen sind i. d. R. durch eine nationale Willensübereinkunft zu Stande gekommen, welche den höchsten legistischen Anforderungen der jeweiligen nationalen Rechtsordnung entspricht. Die „traditionelle“ Entstehungsvariante in lit. c) rekurriert dementsprechend auf diese gesicherte nationale Willensübereinkunft. Lediglich dann, wenn der allgemeine Rechtsgrundsatz auf die meisten nationalen Rechtsordnungen, aber eben nicht auf die österreichische Rechtsordnung zurückgeht, verweist die Ermächtigung in Art. 9 Abs. 1 B-VG auf den internationalen Rechtserzeugerkreis, der gem. lit. c) basierend auf Prinzipien der meisten nationalen Rechtserzeugerkreisen einen allgemeinen Rechtsgrundsatz herleiten darf. Die dargestellte Schwierigkeit bezüglich der innerstaatlichen Zuständigkeit zur Anerkennung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen setzt sich nahtlos fort, als unter Art. 9 Abs. 1 B-VG nur schwerlich eine Zuständigkeitsregelung für nationale Organe zur Anerkennung der zweiten, „modernen“ Entstehungsvariante von allgemeinen Rechtsgrundsätzen subsumiert werden kann. Bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die nur auf internationaler opinio iuris, d.h. der zweiten, „moderne“ Entstehungsvariante der lit. c) beruhen, ist die Interpretation von Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Geht die Rechtsüberzeugung auf eine UN-Generalversammlungsresolution zurück, kann der Vertreter Österreichs als ermächtigt angesehen werden, für Österreich eine verbindliche Willensübereinkunft in Form einer Stimmabgabe abzugeben, die 400 Siehe zur Kritik bereits oben allgemein unter B.II., wie bezüglich den anderen Völkerrechtsquellen B.III.2. und 3.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Rechtsüberzeugung reflektiert. Ob dies analog auf die zweite, „moderne“ Entstehungsvariante der allgemeinen Rechtsgrundsätze übertragen werden kann, ist zumindest fraglich und noch nicht abschließend geklärt. Dementsprechend unsicher ist die Antwort auf die Frage, wie die Ermächtigung in diesen Fällen aussieht. Auf Grund der Tatsache, dass die Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze bis dato eine vergleichsweise geringe Rolle im Völkerrecht spielen, ist die praktische Relevanz dieser Frage allerdings gering. Die theoretische bzw. dogmatische Unsicherheit veranlasst dennoch zu einer kritischen Betrachtung dieser vagen Ermächtigung, die freilich erst konkretisiert werden kann, sobald auf internationaler Ebene Klarheit herrscht, welche Formerfordernisse die Anerkennung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen gemäß der zweiten „modernen“ Entstehungsvariante auf internationaler Ebene erfüllen muss. Gerade weil dies kein spezifisches Problem der Interpretation der nationalen Verfassungsnormen als Ermächtigungsnormen zum Abschluss völkerrechtlicher Bestimmungen ist, sondern genau so für die Rezeptionslehre von Relevanz ist, zeigt sich deutlich, dass die Unsicherheiten bzw. konkreten Probleme auf der Ebene gelöst werden müssen, auf der sie primär auftreten. Es kann nicht zielführend sein, wenn bspw. im Fall der allgemeinen Rechtsgrundsätze aus Gründen einer schwierig nachzuvollziehenden Anerkennung durch „zivilisierte Nationen“ diese zwar auf internationaler Ebene als gültiges Recht angewendet werden, aber auf nationaler Ebene als unanwendbar abgewiesen werden. 5. Einseitige Rechtsgeschäfte a) Völkerrechtliche Grundlagen aa) Allgemeines Einseitige Rechtsgeschäfte stellen eine anerkannte Handlungsweise von Völkerrechtssubjekten dar, um völkerrechtliche Rechte und Pflichten zu begründen.401 Dies ist spätestens seit dem IGH Urteil in den Atom-Test Fällen klar: 401 Siehe IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France) Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. (1974), 253, Rz. 43, 46; wie auch H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte, in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. I – Textteil4 (2004), 93 (93); W. Fiedler, Zur Verbindlichkeit einseitiger Versprechen im Völkerrecht, 19 German YIL (1976), 35 (49, m. w. N. in Fn. 71); I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 640 f.; F. Pfluger, Die einseitigen Rechtsgeschäfte im Völkerrecht (1936); E. Suy, Les actes juridiques unilateraux en droit international public (1962), und V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts of states in international law, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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„It is well recognized that declarations made by way of unilateral acts, concerning legal or factual situations, may have the effect of creating legal obligations. [. . .] An undertaking of this kind, if given publicly, and with an intent to be bound, even though not made within the context of international negotiation, is binding.“402
Der Umstand, dass einseitige Rechtsgeschäfte nicht in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut Erwähnung finden, hat zu unterschiedlichen Vorschlägen geführt eine der in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut aufgezählten Völkerrechtsquellen und darüber hinaus reichende Geltungsbegründungen heranzuziehen.403 So wurden einseitige Rechtsgeschäfte in Analogie zum Völkervertragsrecht als implizite Willensübereinkünfte gedeutet,404 unter Völkergewohnheitsrecht subsumiert405 oder auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz wie bspw. Treu und Glauben gestützt.406 Hier sollen einseitige Rechtsgeschäfte ähnliche wie online edition (2008), Rz. 1; F. Goodman, Acta sunt servanda? A regime for regulating the unilateral acts of states at international law, 25 Australian YIL (2006), 43 ff.; sowie auch ILC, Guiding principles applicable to unilateral declarations of States capable of creating legal obligations with commentaries, YILC, Bd. II, 2 (2006): „Noting that States may find themselves bound by their unilateral behaviour on the international plane“. Für einen Überblick zur Arbeit der ILC zu den einseitigen Rechtsgeschäften siehe J. d’Aspremont, Les travaux de la commission du droit international relatifs aux actes unilateraux des etats, RGDIP (2005), 163 ff. Für Zweifel an der Existenz von einseitigen Rechtsgeschäften siehe den Report der ILC, Report oft he ILC on the work of ist 55th Session, U.N. Doc. A/58/10 (2003), Rz. 273. Ebenfalls kritisch H. F. Köck, Die Beendigung einseitiger Rechtsgeschäfte, in: B. Simma/C. Schulte (Hrsg.), Völker- und Europarecht in der aktuellen Diskussion – Akten des 23. Österreichischen Völkerrechtstages (1999), 89 (89, 97 f.); id./M. Hintersteininger, Einseitige Rechtsgeschäfte des Völkerrechts – ihr Zustandekommen, ihre Wirkung und ihre Beendigung, in: W. Benedek et al. (Hrsg.), Development and developing international and european law – Essays in honour of Konrad Ginther on the occasion of his 65th birthday (1999), 85 ff. und A. P. Rubin, The international legal effects of unilateral declarations, 71 American JIL (1977), 1 (28 ff.); verneinend A.-C. Kiss, Les actes unilatéraux dans la pratique francaise du droit international, 65 RGDIP (1961), 317 ff. zitiert nach F. Goodman, 25 Australian YIL (Fn. 401), 60 m. w. N. 402 IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France) (Fn. 401), Rz. 43. Siehe dazu auch I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 641. 403 Vgl. dazu allg. H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 93. 404 Siehe StIGH, Rights of Minorities in Upper Silesia (Minority Schools), Urteil vom 26. April 1928, Series A, Nr. 15; wie auch der special rapporteur J. L. Brierly zur WVK, YILC, Bd. II (1950), 227: „A possible explanation of the binding force of so-called unilateral declarations creative of rights against the declarant is to be foundin the theory of presumed consent of the beneficiary“. Vgl. dazu auch F. Goodman, 25 Australian YBIL (Fn. 401), 67, m. w. N. 405 Vgl. dazu H. F. Köck/M. Hintersteininger, Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 87 f. 406 Siehe dafür IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France) (Fn. 401), 46: „Just as the very rule of pacta sunt servanda in the law of treaties is based on good faith, so
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Rechtsakte internationaler Organisationen407 unabhängig davon, ob sie in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut aufgelistet sind als eine formelle Völkerrechtsquelle eingeordnet werden.408 Die ILC hat sich jahrelang um eine Klärung dieser und weiterer Fragen bemüht.409 Obwohl sich die Mitglieder der ILC schlussendlich nur auf abstrakte Grundprinzipien einigen konnten,410 kann auf die Definition einseitiger Rechtsgeschäfte von special rapporteur Cedeño verwiesen werden. Demnach sind einseitige Rechtsgeschäfte: „an unequivocal expression of will which is formulated by a State with the intention of producing legal effects in relation to one or more other States or international organizations, and which is known to that State or international organization.“411
Ein einseitiges Rechtsgeschäft des Völkerrechts setzt demzufolge einen Rechtsfolgewillen des Akteurs voraus, um diesen zu verpflichten.412 Um also is the binding character of an international obligation assumed by unilateral declaration“. So auch IGH, Nuclear Tests (New Zealand vs. France) Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. (1974), 457, Rz. 49; und ILC, Guiding Principles applicable to unilateral declarations of States (Fn. 401), Principle 1: „[T]he binding character of such delcarations is based on good faith“. Siehe dazu des Weiteren V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 34. Für eine Überischt über Vorschläge einseitige Rechtsgeschäfte auf Basis des estoppel-Prinzips zu erklären, siehe F. Goodman, 25 Australian YIL (Fn. 401), 62 ff. m. w. N. 407 Siehe dazu sogleich unten, B.III.6.a)aa). 408 Vgl. dazu auch M. Geistlinger, Zur Beendigung selbständiger einseitiger Rechtsgeschäfte unter besonderer Berücksichtigung der Neutralitätskodifikation Österreichs, in: B. Simma/C. Schulte (Hrsg.), Völker- und Europarecht in der aktuellen Diskussion – Akten des 23. Österreichischen Völkerrechtstages (1999), 75 (75), der einseitige Rechtsgeschäfte in Anlehnung an F. Pfluger, Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 3 ff. und 65 wie folgt definiert: „[e]in selbständiges einseitiges Rechtsgeschäft, also eine Rechtshandlung eines Völkerrechtssubjekts oder mehrerer zu einer Handlungseinheit verbundener Völkerrechtssubjekte, wodurch an bestimmte Tatsachen bestimmte völkerrechtliche Wirkungen geknüpft werden, die in keinem bedingungsgemäßen Zusammenhang zu anderen völkerrechtlichen Tatbeständen stehen, ist eine völkerrechtliche Rechtsquelle.“ 409 Siehe ILC, Report on the work of its 48th session, YILC, Bd. II, 2 (1996), Rz. 245; und GA-Res. 51/160 vom 30. Januar 1997, Rz. 13. 410 Siehe ILC, Report on the work of its 58th session, GA official records, sixty first session, supplement no. (A/61/10), Rz. 174 und in weiterer Folge sodann ILC, Guiding Principles applicable to unilateral declarations of States (Fn. 401). 411 Siehe den Third Report of special rapporteur V. Rodrìguez Cedeño, ILC, Report of the ILC of the work of its 52nd session, YILC, Bd. II, 2 (2000), Rz. 517, Fn. 165, New Draft Art. 1 Definition of unilateral acts. 412 Siehe zum Rechtsfolgewillen IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France) (Fn. 401), Rz. 43; wie auch ILC, Guiding Principles applicable to unilateral declarations of States (Fn. 401). Für die Literatur siehe V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral Acts (Fn. 401), Rz. 1 und 3 m. w. N.; und I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 640 f.
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Gültigkeit zu erlangen müssen einseitige Rechtsgeschäfte darüber hinaus empfangen werden. D.h., es wird eine Empfangs- aber keine Annahmebedürftigkeit vorausgesetzt.413 Eine Annahmebedürftigkeit ist aber dann notwendig, wenn Rechte von Dritten, bzw. bezogen auf einseitige Rechtsgeschäfte von Zweiten, beeinträchtigt oder ihnen Pflichten auferlegt werden. Einseitige Rechtsgeschäfte dürfen folglich das pacta tertiis Prinzip nicht beeinträchtigen.414 Das Konsensprinzip im Völkerrecht gilt auch für einseitige Rechtsgeschäfte. Insofern einem anderen Staat Verpflichtungen durch einseitige Rechtsgeschäfte auferlegt werden, muss dieser Staat zustimmen. Tut er dies, haben beide Staaten einen Vertrag geschlossen.415 Die Schwierigkeiten mit denen sich die ILC bei dem Versuch konfrontiert sah einseitigen Rechtsgeschäften ein einheitliches rechtliches Korsett zu schnüren, sind vor allem der Vielseitigkeit ihrer Erscheinungsformen geschuldet. Zum einen können bestimmte einseitige Rechtsgeschäfte wie bspw. Vorbehalte und Vertragskündigungen dem Völkervertragsrecht zugeordnete werden.416 Zum anderen kennt das Völkerrecht selbständige einseitige Rechtsgeschäfte. Darunter fallen u. a. die Anerkennung von Staaten, der Protest, das Versprechen, der Verzicht, sowie Kriegs- und Neutralitätserklärungen.417 Wurden bereits zuvor dem Völkergewohnheitsrecht wie den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Unsicherheiten attestiert, so muss dieser Befund auf die einseitigen Rechtsgeschäfte ausgedehnt werden. Ohne die diversen Unsicherheiten tiefgründig zu analysieren, soll hier ein Überblick genügen, welcher wiederum verstärkt auf das hier behandelte Thema, das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht gerichtet ist. Bestimmte Schwierigkeiten mit denen einseitige Rechtsgeschäfte behaftet sind, müssen im Folgenden dennoch angesprochen werden. Dafür dass einseitige Rechtsgeschäfte Basis für völkerrechtliche Verpflichtungen sind, siehe V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 40 m. w. N. 413 Siehe so IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France) (Fn. 401), Rz. 43; und IGH, Nuclear Tests (New Zealand vs. France) (Fn. 406), Rz. 46. Vgl. dazu für die Literatur H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 95. 414 Siehe nur H. F. Köck/M. Hintersteininger, Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 91; M. Geistlinger, Beendigung (Fn. 408), 76. 415 Siehe dazu V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 23, verweisen auf Art. 34 WVK und das allgemeine Völkerrecht. 416 Siehe dafür H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 95 f.; V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 12. 417 Vgl. dazu H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 96 ff.
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bb) Entstehung einseitiger Rechtsgeschäfte Staaten können sich durch einseitige Rechtsgeschäfte internationale Verpflichtungen auferlegen.418 Präsidenten, Regierungschefs und Außenminister sind kompetent, Handlungen zu setzen die einseitige Rechtsgeschäfte begründen.419 Anderen Staatenvertretern kann im Rahmen der ihnen anvertrauten Tätigkeiten die Kompetenz eingeräumt werden einseitige Rechtsgeschäfte vorzunehmen.420 Das handelnde Organ muss aber jedenfalls einen Rechtsfolgewillen haben.421 Der vorgenommene Akt muss also von dem Willen getragen sein rechtliche Wirkung zu entfalten. Als Grundlage für die Bindungswirkung der formellen Völkerrechtsquelle der einseitigen Rechtsgeschäfte wird das Prinzip des guten Glaubens, der bona fides herangezogen.422 Das Rechtsverständnis dieser Arbeit stützt sich unter anderem darauf, dass durch Recht zukünftige Handlungsalternativen für diverse Akteure vorhersehbar werden.423 Einseitige Rechtsgeschäfte können dementsprechend von Staaten genutzt werden, um das eigene zukünftige Handeln für andere Staaten vorhersehbar zu machen, indem dieses bezogen auf das einseitige Rechtsgeschäft verbindlich festgelegt wird. Es liegt also folglich auch im Interesse des handelnden Staates, dass das Verhalten zudem sich der Staat verpflichtet hat auch von ihm selbst eingehalten wird. Durch die Völkerrechtsquelle des rechtsverbindlichen einseitigen Rechtsgeschäfts wird die eingegangene einseitige Verpflichtung für andere Staaten vorhersehbar. Die Verpflichtung begründet ein objektiviertes, zukünftiges Verhalten. Um sich zu einem derartigen zukünftig erwartbaren Verhalten zu verpflichten, müssen einseitige Rechtsgeschäfte empfangen werden. D.h., die Völker418 V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 15 m. w. N. 419 Siehe dazu IGH, Armed activities (Congo vs. Rwanda) (Fn. 60), Rz. 46: „In this connection, the Court observes that, in accordance with its consistent jurisprudence [. . .] it is a well established rule of international law that the Head of State, the Head of Government and the Minister for Foreign Affaires are deemed to represent the State merely by virtue of exercising their functions, including for the performance, on behalf of the said State, of unilateral acts having the force of international commitments.“ [Hervorhebung vom Verfasser] Vgl. dazu auch V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 15. Dafür dass die Regelung der Zuständigkeit dem nationalen Verfassungsrecht überlassen bliebe, siehe H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 94. 420 Siehe nur IGH, Armed activities (Congo vs. Rwanda) (Fn. 60), Rz. 47. 421 Siehe H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 93; F. Goodman, 25 Australian YIL (Fn. 401), 55 ff., 64; I. Brownlie, Principles7 (Fn. 200), 640, m. w. N. in Fn. 11; und V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral acts (Fn. 401), Rz. 1. 422 Siehe dafür oben, Fn. 406. 423 Siehe dazu bereits oben, A.II.1., S. 60.
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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rechtsquelle des einseitigen Rechtsgeschäfts setzt, gestützt auf das Prinzip des Vertrauensschutzes, eine Empfangs- aber keine Annahmebedürftigkeit voraus.424 Die Völkerrechtsquelle der einseitigen Rechtsgeschäfte umfasst eine Vielzahl an Handlungsalternativen. Dies war der Grund dafür, dass die ILC nicht darüber hinaus kam, grundlegende Prinzipien bezüglich einseitiger Rechtsgeschäfte zu verabschieden.425 Die Abhandlung der einseitigen Rechtsgeschäfte hier ist durch die Themenstellung dieser Arbeit eingeschränkt. Dementsprechend werden nur grundlegende Charakteristika dieser Völkerrechtsquelle aufgezeigt, ohne dass auf alle Diskussionspunkte eingegangen werden kann. Für das in dieser Arbeit behandelte Thema, dem Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht, ist die völkerrechtliche Diskussion wie bspw. einseitige Rechtsgeschäfte beendigt werden nur bedingt entscheidend. Ob die Völkerrechtsquelle des einseitigen Rechtsgeschäfts eine jederzeitige Beendigung seitens des handelnden Staates zulässt,426 sich an den Bestimmungen zur Beendigung völkerrechtlicher Verträge orientiert427 oder aber nur unter eingeschränkten Umständen wie bspw. der Einhaltung des Prinzips des Vertrauensschutzes und der clausula rebus sic stantibus möglich ist,428 ist folglich hier nicht von vordergründigem Interesse. Hier wird die Auffassung vertreten, dass gerichtet auf zukünftiges Verhalten dem einseitig handelnden Akteur zugestanden wird, das einseitige Rechtsgeschäft 424
Vgl. dazu H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 95; V. Rodrìguez Cedeño/M. I. Torres Cazorla, Unilateral Acts (Fn. 401), Rz. 20 ff.; und F. Goodman, 25 Australian YIL (Fn. 401), 64 f. Zum Versprechen siehe W. Fiedler, 19 German YIL (Fn. 401), 47. Vgl. dazu ebenso M. Geistlinger, Beendigung (Fn. 408), 79 f., welcher zumindest in den Atomversuchsfällen – in Anlehnung an den vom IGH vertretenen Wortlaut – von einer nicht annahmebedürftigen Selbstverpflichtungserklärung Frankreichs ausgeht. Dementsprechend müsse das Versprechen laut Geistlinger (80) aber sodann „aus dem Katalog der einseitigen völkerrechtlichen Rechtsgeschäfte ausgeschieden und in die Kategorie der zweiseitigen und mehrseitigen völkerrechtlichen Vereinbarungen“ übergeführt werden. 425 Siehe ILC, Guiding principles applicable to unilateral declarations of States (Fn. 401). 426 Dies wird bspw. von jenen Autoren gefolgert, welche bereits die Bindungswirkung von einseitigen Rechtsgeschäften stark eingeschränkt sehen. Siehe bspw. H. F. Köck, Beendigung (Fn. 401), 93; id./M. Hintersteininger, Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 87. 427 Siehe dafür H. F. Köck/M. Hintersteininger, Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 94 f. 428 Siehe für dieses Mindestmaß an Beendigungsgründe IGH, Nuclear Tests (Australia vs. France) (Fn. 401), Rz. 51: „The validity of these statements and their legal consequences must be considered within the general framework of the security of international intercourse, and the confidence and trust which are essential in the relations among States. It is from the actual substance of these statements, and from the circumstances attending their making, that the legal implications of the unilateral act must be deduced.“ Siehe dazu auch M. Geistlinger, Beendigung (Fn. 408), 84.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
auch wieder abändern bzw. beendigen zu können.429 Nur während eines aufrechten einseitigen Rechtsgeschäftes gilt es dieses gemäß dem Vertrauensschutzprinzip auch einzuhalten. Insofern ein Staat aber den Widerruf des einseitigen Rechtsgeschäftes erklärt hat, können wohl zukünftig der bzw. die betroffenen Staaten nicht mehr auf das mittlerweile widerrufene einseitige Rechtsgeschäft vertrauen.430 Für das Thema dieser Arbeit ist von entscheidendem Interesse, dass die internationalen Charakteristika der Völkerrechtsquelle respektiert und nicht durch national intendierte Beendigungsbegründungen beeinträchtigt werden. cc) Wirkung einseitiger Rechtsgeschäfte Als Grundlage für die Bindungswirkung der formellen Völkerrechtsquelle der einseitigen Rechtsgeschäfte wird das Prinzip des guten Glaubens, der bona fides herangezogen.431 Die Wirkung einseitiger Rechtsgeschäfte ist entsprechend der unterschiedlichsten Handlungsmöglichkeiten innerhalb dieser Rechtsquelle nicht bzw. nur sehr vage eingrenzbar. Allerdings wurde bereits mehrfach erwähnt, dass die unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Bestimmungen die Ausnahme darstellen.432 Ebenso verhält es sich mit der individualisierenden Wirkung. Dementsprechend erschöpft sich auch die Wirkung der meisten einseitigen Rechtsgeschäfte in der Regel auf völkerrechtlicher Ebene. Allerdings kann eine unmittelbar anwendbare Wirkung nicht vollständig ausgeschlossen werden.433 Außerdem kann auch von einer schlicht anwendbaren Norm des Völkerrechts eine gewisse Wirkung für die nationale Rechtsordnung ausgehen.434 429
Vgl. dazu zur Arbeit der ILC J. d’Aspremont, RGDIP (Fn. 401), 188, m. w. N. Vgl. dazu H. F. Köck/M. Hintersteininger, Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 94, welcher davon spricht, dass „sich [Jeder] darauf verlassen können [muss], daß der andere das, wozu er sich einmal bekannt hat, auch nicht zum Nachteil des anderen plötzlich fallenläßt.“ [Hervorhebung vom Verfasser hinzugefügt]. Siehe aber M. Geistlinger, Beendigung (Fn. 408), 81, der: „[e]ine Grundbedingung der Widerrufbarkeit eines einseitgen völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts [. . .] darin [sieht], daß nicht die Absicht des oder der Erklärenden oder Notifizierenden darauf gerichtet war, sich unwiderruflich einseitig völkerrechtlich zu verpflichten, bzw unwiderruflich völkerrechtlich über eigene Rechte zu verfügen.“ Dementsprechend folgert Geistlinger entgegengesetzt der hier vertretenen zukünftigen Widerrufbarkeit, ein unwiderrfubares völkerrechtliches Rechtsgeschäft: „War die Intention auf Unwiderruflichkeit gerichtet, so muß das betreffende einseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäft als nicht beendbar angesehen werden.“ [Fn. ausgelassen]. 431 Siehe oben, Fn. 422. 432 Siehe oben, B.III.3.a)cc), S. 197, und B.III.4.a)cc), S. 226. 433 Vgl. dazu ibid. 434 Vgl. dazu oben A.III.1. 430
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b) Einseitige Rechtsgeschäfte und die österreichische Rechtsordnung aa) Allgemeines Die großen Unsicherheiten mit denen nicht nur das zwingende Völkerrecht435, das Völkergewohnheitsrecht436 und auch allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts437 behaftet sind beherrschen auch die einseitigen Rechtsgeschäfte des Völkerrechts. Diesen Unsicherheiten ist es geschuldet, dass einseitige Rechtsgeschäfte im B-VG keine Erwähnung finden. Dementsprechend muss auf den Auffangtatbestand des Art. 9 Abs. 1 B-VG rekurriert werden, um die Wirkung einseitiger Rechtsgeschäft in der österreichischen Rechtsordnung begründen zu können.438 Die offene Formulierung von Art. 9 Abs. 1 B-VG, der von „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ spricht, lässt analog zum Völkergewohnheitsrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Subsumtion der einseitigen Rechtsgeschäfte zu. Die oben getroffenen theoretischen Ausführungen zum Rechtserzeugerkreis sind auch für die einseitigen Rechtsgeschäfte relevant. In Bezug auf die innerstaatlichen Bestimmungen nationaler Verfassungsordnungen zu einseitigen Rechtsgeschäften kommt es v. a. darauf an, durch wen und in welchen Materien der nationale Rechtserzeugerkreis gewillt ist, sich einseitig völkerrechtlich zu verpflichten. Für die Wirkung auf nationaler Ebene ist folglich analog zu den zuvor behandelten Völkerrechtsquellen der Inhalt des einseitigen Rechtsgeschäfts ausschlaggebend.439 Wurde zuvor schon vielen Normen des Völkergewohnheitsrechts und den allgemeinen Rechtsgrundsätze ein zwischenstaatlicher Charakter attestiert, so trifft dies auch auf einseitige Rechtsgeschäfte zu. Dennoch kann sowohl eine unmittelbar anwendbare als auch eine individualisierende Wirkung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.440 Insofern ein einseitiges Rechtsgeschäft unmittelbar anwendbare oder individualisierende Wirkung entfaltet, so haftet dieser Völkerrechtsquelle die Besonderheit an, dass dies von Österreich allein ausgeht. Wurde ein einseitiges Rechtsgeschäft von Österreich getätigt, ist dies gemäß den Kriterien der formellen Rechtsquelle des internationalen Rechtserzeugerkreises verbindlich und muss auch dementsprechend eingehalten werden. Die Frage der Kundmachung und der demokratischen Legitimität einseitiger Rechtsgeschäfte stellt sich dann in 435
Siehe oben B.III.1. Siehe oben B.III.3. 437 Siehe oben B.III.4. 438 So im Grunde auch H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 98. 439 Siehe dazu oben, B.III.2.a)cc), S. 159, und B.III.3.a)cc), S. 197. 440 Siehe dazu oben B.III.4.a)cc). 436
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
demselben Ausmaß wie bei unmittelbar anwendbaren oder individualisierenden völkergewohnheitsrechtlichen Normen oder allgemeiner Rechtsgrundsätze.441 Dementsprechend müssen einseitige Rechtsgeschäfte als Entschließungen des Bundespräsidenten gem. § 4 Z. 1 BG über das BGBl. 2004 oder gem. § 4 Abs. 2 BG über das BGBl. 2004 im BGBl. kundgemacht werden.442 Einseitige Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verträgen müssen gem. § 5 BG über das BGBl. 2004 ebenfalls kundgemacht werden.443 Eine fehlerhafte oder gar fehlende Kundmachung hat allerdings keine Auswirkung auf die Bindungswirkung des einseitigen Rechtsgeschäfts.444 bb) Zuständigkeit nach dem B-VG Die Willensäußerung bzw. Willensabgabe zur Begründung von einseitigen Rechtsgeschäften erfolgt durch die bevollmächtigten Organe des nationalen Rechtserzeugerkreises. Prinzipiell ist vom nationalen Rechtserzeugerkreis selbst festzulegen, durch welche Organe er an der Entstehung von völkergewohnheitsrechtlichen Regeln mitwirken will. So wie es bei der Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der zweiten, „modernen“ Entstehungsvariante nicht klar bestimmt ist welches nationale Organ die Kompetenz besitzt445 auf der internationalen Ebene völkerrechtliche Normen mitzubegründen, so trifft dies auch auf einseitige Rechtsgeschäfte zu. Einseitige Rechtsgeschäfte werden im B-VG nicht ausdrücklich erwähnt. Art. 65 Abs. 1 B-VG ermächtigt den Bundespräsidenten die Republik Österreich „nach außen“ zu vertreten. Da ansonsten kein Anhaltspunkt im B-VG für die Zuständigkeit zur Abgabe einseitiger Rechtsgeschäfte zu finden ist, müssen diese einseitigen rechtsverbindlichen Akte unter diese offene Formulierung der Vertretung „nach außen“ subsumiert werden.446 Folgt man dieser Linie, ist auch Art. 67 441
Siehe dazu oben B.III.3.b)aa) und B.III.4.b)aa). Vgl. dazu H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 99. 443 Siehe ibid. 444 Dafür, dass einseitige Rechtsgeschäfte in der Praxis nicht immer kundgemacht werden, siehe die Hinweise bei H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 99 f. Dass die Kundmachung – außer entsprechender Vereinbarung auf der Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises – die Bindungswirkung einer Völkerrechtsquelle nicht beeinträchtigen kann, siehe bereits oben, B.III.2.b)dd), S. 172 ff. 445 Siehe dazu oben, B.III.3.b)bb) und 4.b)bb). 446 Siehe so R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 306), 187 f., 449 f.; vgl. ebenso H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 98. 442
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Abs. 1 B-VG relevant, der ein zwingendes Vorschlagsrecht der Bundesregierung bzw. des zuständigen Bundesministers statuiert.447 Darüber hinaus legt Art. 67 Abs. 2 B-VG die Schriftlichkeit fest. Entsprechend Art. 67 Abs. 2 B-VG müssen vom Bundespräsidenten getätigte einseitige Rechtsgeschäfte vom Bundeskanzler bzw. vom zuständigen Bundesminister gegengezeichnet werden. Für einseitige Rechtsgeschäfte die im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verträgen stehen, sind zusätzlich noch die nationalen Bestimmungen für völkerrechtliche Verträge zu beachten. D.h. einseitige Rechtsgeschäfte, welche im Zusammenhang mit politischen bzw. gesetzesändernden oder -ergänzenden völkerrechtlichen Verträgen stehen, bedürfen gem. Art. 50 B-VG der Genehmigung des Nationalrats.448 Dies umfasst auch die Möglichkeit des Nationalrats Vorbehalte zu völkerrechtlichen Verträgen, die von Österreich vorgebracht werden inhaltlich zu beeinflussen.449 Völkerrechtlichen Verträgen zugehörige bzw. anhängende einseitige Rechtsgeschäfte müssen dementsprechend den innerstaatlichen Vorschriften betreffend völkerrechtlicher Verträge genügen, damit die handelnden Organe nicht ihre nationale Ermächtigung zur Abgabe einseitiger Rechtsgeschäfte übertreten. Der Wunsch alle einseitige Rechtsgeschäfte unabhängig davon, ob sie völkerrechtlichen Verträgen nahestehen oder selbständige einseitige Rechtsgeschäfte darstellen von einer Genehmigung des Nationalrats abhängig zu machen, ist aus parlamentarischer und demokratiepolitischer Sicht durchaus verständlich. Aus der aktuellen Rechtslage kann eine solche Forderung nicht abgeleitet werden.450 Der Wortlaut von Art. 50 B-VG umfasst eindeutig nur völkerrechtliche Verträge und ihnen nahestehende einseitige Rechtsgeschäfte. Selbständige einseitige Rechtsgeschäfte können nicht unter Art. 50 B-VG subsumiert werden.451 Da in der Praxis einseitige Rechtsgeschäfte nicht ausschließlich vom Bundespräsidenten vorgenommen werden,452 gibt es Vor447
Ibid. Siehe dazu ausführlich m. w. N. auf die frühere Praxis, welche einseitige Rechtsgeschäfte wie bspw. Vorbehalte der Exekutive vorbehielt, siehe T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 366 ff. 449 Siehe dafür T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 369 f. 450 Siehe für eine ausführliche Behandlung dieser Frage T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 376 ff., welcher als Beispiel für ein selbständiges einseitiges Rechtsgeschäft welches dennoch dem Nationalrat zur Genehmigung vorgelegt wurde die Abgabe der Unterwerfungserklärung gem. Art. 36 Abs. 2 IGH Statuts anführt (377). Während Öhlinger die Selbständigkeit dieser Erklärung für gegeben ansieht (siehe 377, m. w. N. in Fn. 150), wird diese von R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 306), 188, inbes. Fn. 3, zu recht angezweifelt. 451 So bereits T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 382. 452 Siehe bspw. die Hinweise bei T. Öhlinger, Vertrag (Fn. 1), 381 f. auf die Abgabe einer Erklärung gem. Art. XXIII des Abkommens über den Internationalen 448
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
schläge in der Literatur ebenso für einseitige Rechtsgeschäfte die Befugnisübertragung des Bundespräsidenten453 auf die Bundesregierung und die zuständigen Bundesminister gem. Art. 66 Abs. 2 B-VG anzuwenden.454 Diese Befugnisübertragung ist allerdings ausschließlich auf Staatsverträge beschränkt und daher höchstens in Form einer Analogie als Kompetenzgrundlage tauglich. Analog zum Völkergewohnheitsrecht könnte gem. Art. 9 Abs. 1 B-VG eine Kompetenzgrundlage für die nationalen Organe begründet werden, die im Völkerrecht typischerweise Handlungen vornehmen die einseitige Rechtsgeschäfte begründen.455 cc) Kritik an der Lehre der einseitigen Rechtsgeschäfte als selbständige Rechtssatzform des österreichischen Rechts Obwohl dem Verfasser keine ausführliche Abhandlung zu den einseitigen Rechtsgeschäften des Völkerrechts und deren Wirkung in der österreichischen Rechtsordnung bekannt ist, wird man wohl davon ausgehen können, dass die herrschende Lehre auch diese völkerrechtliche Rechtsquelle analog zu den zuvor beschriebenen Völkerrechtsquellen in die österreichische Stufenbauordnung integriert.456 Das völkerrechtliche einseitige Rechtsgeschäft wird von einigen Kommentatoren gestützt auf Art. 9 Abs. 1 B-VG als „selbständige Rechtssatzform des österreichischen Rechts“ geführt.457 D.h. die innerstaatliche Wirkung des einseitigen Rechtsgeschäfts wird als integraler Bestandteil der nationalen Stufenbauordnung nationalen Derogationen zugänglich. Diese Integration völkerrechtlicher Rechtsquellen wurde in dieser Arbeit bereits mehrfach kritisiert.458 Analog zu den Ausführungen zu den zuvor beschriebenen Völkerrechtsquellen ermöglicht die Integration der einseitigen Rechtsgeschäfte bspw. das Heranziehen einer nationalen Rechtsgrundlage zur Beendigung eines völkerrechtlich einseitigen Währungsfonds, welche vom damaligen Finanzminister basierend auf der Ermächtigung durch ein besonderes formelles Bundesgesetze getätigt wurde. Vgl. auch R. Walter, Bundesverfassungsrecht (Fn. 306), 188 in Fn. 3. 453 (BGBl. 1921/49). Siehe dazu oben, B.III.2.b)bb). 454 Siehe dafür H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 98. 455 Siehe dazu oben, B.III.3.b)bb). 456 Vgl. H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 98. 457 Siehe so H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 98: „Das einsRG des VR ist als selbständige Rechtssatzform des österreichischen Rechts allgemein anerkannt. Dies wird mit Art. 9 Abs 1 B-VG begründet, durch den die vgr Rechtssatzform des einsRG zu einer des österreichischen Rechts geworden sei.“ 458 Siehe dazu oben, allg. B.II. wie v. a. B.III.2.b)cc); B.III.3.b)cc).
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Rechtsgeschäfts. Durch das einseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäft können völkerrechtlich anerkannte Rechte und Pflichten begründet werden. Gestützt auf das Prinzip des Vertrauensschutzes kann ein Staat an seinem einseitig getätigten Rechtsgeschäft und damit zusammenhängenden Verpflichtungen festgehalten werden. Obwohl ein einseitiges völkerrechtliches Rechtsgeschäft ausschließlich auf eine einseitige Handlung Österreichs zurückgeht, werden durch die formelle Völkerrechtsquelle des einseitigen Rechtsgeschäfts rechtsgültige Verpflichtungen Österreichs begründet. Diese können nur unter Einhaltung aller völkerrechtlich geforderten Standards wieder abbedungen werden. Dementsprechend sind völkerrechtliche und nicht nationale Maßstäbe sowohl für die Wirkung als auch bspw. für die Beendigungsmöglichkeiten eines einseitigen Rechtsgeschäfts entscheidend. Wird die Identität der völkerrechtlichen und der nationalen Rechtssatzform des einseitigen Rechtsgeschäfts analog zu der Identität der Rechtssatzform des völkerrechtlichen Vertrages459 vertreten, so inkludiert dies ebenso die Überprüfungsmöglichkeit des VfGHs auf eine etwaige Verfassungswidrigkeit einseitiger Rechtsgeschäfte.460 Einseitige Rechtsgeschäfte generellen Inhalts unterlägen demgemäß Art. 139 B-VG. Einseitige Rechtsgeschäfte, welche einem völkerrechtlichen Vertrag zuordenbar sind, werden unter Art. 140a B-VG subsumiert und einseitige Rechtsgeschäfte individuellen Inhalts fielen schließlich unter die Überprüfungszuständigkeit des VfGH gem. Art. 144 B-VG.461 Die Rechtsfolge einer nachträglichen nationalen Überprüfung von völkerrechtlich bereits wirksamen Normen wurde bereits bezogen auf die Überprüfung völkerrechtlicher Verträge kritisiert.462 Gültige Bestimmungen des internationalen, größeren Rechtserzeugerkreises können nicht nachträglich auf Grund nationaler Kriterien beeinträchtigt oder beendet werden. Dies gilt auch für einseitige Rechtsgeschäfte, da sich die Bindungswirkung der formellen Völkerrechtsquelle der einseitigen Rechtsgeschäfte nicht nur auf den Rechtsfolgewillen des erklärenden Staates, sondern eben auch auf den Vertrauensschutz des Empfänger-Staates stützt. Gemäß der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises wird folglich eine rein nationale Derogation abgelehnt. Denkbar wäre hingegen, dass bspw. die Wirkung eines die Verfassungswidrigkeit feststellenden Erkenntnisses des VfGH eines einseitigen Rechtsgeschäftes die Pflicht der Staatenvertreter zur Folge hat, dieses gemäß den internationalen Bestimmungen so rasch wie möglich wieder zu lösen. Einer Beendigung des 459
Siehe dazu oben, B.III.2.b)cc). Siehe dafür H. Miehsler/G. Hafner/S. Wittich, Die einseitigen Rechtsgeschäfte (Fn. 401), 99. 461 Siehe dafür ibid. 462 Siehe dazu oben, B.III.2.b)ff). 460
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
einseitigen Rechtsgeschäfts und dessen Wirkung allein auf Basis des nationalen Rechts wird folglich hier entgegengetreten. Während verfassungswidrigen einseitigen Rechtsgeschäften, welche in Verbindung mit völkerrechtlichen Verträgen getätigt wurden, „nur“ die nationale Unanwendbarkeit droht, würde die festgestellte Verfassungswidrigkeit gem. Art. 139 und 144 B-VG sogar die nationale Unanwendbarkeit und gleichzeitig damit die Vernichtung des („identen“) nationalen einseitigen Rechtsgeschäfts bedeuten. dd) Art. 9 Abs. 1 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Begründung einseitiger Rechtsgeschäfte im Völkerrecht Nach der hier vertretenen Auffassung sind alle Individuen des österreichischen Rechtserzeugerkreises auch an der Schaffung von einseitigen Rechtsgeschäften des Völkerrechts in der Form beteiligt, indem die völkerrechtlichen Vertreter Österreichs zur Tätigung von einseitigen Rechtsgeschäften ermächtigt werden. Gemäß der Theorie des Rechtserzeugerkreises werden Vertreter Österreichs gem. Art. 9 Abs. 1 B-VG ev. i. V. m. Art. 65 Abs. 1 oder Art. 66 Abs. 2 B-VG dazu ermächtigt, einseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte zu tätigen. Diese werden als völkerrechtliche Akte betrachtet. Dennoch sind Bestimmungen zu ihrer Geltung und Wirksamkeit auf der Ebene des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises zu suchen. Obwohl einseitige Rechtsgeschäfte auf ein alleiniges Handeln der Republik Österreich bzw. deren Vertreter zurückgehen, stellen einseitige Rechtsgeschäfte eine formelle Völkerrechtsquelle dar. Dementsprechend dürfen die völkerrechtlichen Entstehungs- und Beendigungsregeln für einseitige Rechtsgeschäfte nicht von nationalen Bestimmungen verdrängt werden. Wurde ein einseitiges Rechtsgeschäft von Österreich getätigt, ist dieses gemäß den Kriterien der formellen Rechtsquelle des internationalen Rechtserzeugerkreises verbindlich und muss eingehalten werden. Insofern ein einseitiges Rechtsgeschäft unmittelbar anwendbar ist oder individualisierende Wirkung entfaltet, so ist diese Wirkung auch für die nationale Rechtsordnung relevant und kann nicht durch entgegenstehende nationale Bestimmungen allein, wie bspw. einer Derogation durch ein nationales Gesetz desselben oder höheren Ranges, derogiert oder durch ein die Verfassungswidrigkeit feststellendes Erkenntnis des VfGH aufgehoben werden.
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6. Rechtsakte internationaler Organisationen a) Völkerrechtliche Grundlagen aa) Allgemeines Art. 2 ILC Draft Articles on the Responsibility of international Organizations definiert die internationale Organisation als „an organisation established by a treaty or other instrument governed by international law and possessing its own legal personality. International organizations may include as members, in addition to states, other entities.“463
Als Wesensmerkmal einer internationalen Organisation werden ihr eigener Wille,464 ihr völkerrechtlicher Gründungsakt sowie zumindest ein unabhängiges Organ genannt, die auf einer i. d. R. von Staaten gegründeten Willensübereinkunft beruhen.465 Diese Umschreibung inkludiert, dass so genannte non-governmental organizations (NGOs) nicht als internationale Organisationen zu qualifizieren sind.466 Die Schaffung einer internationalen Organisation durch völkerrechtlichen Vertrag spiegelt das zentrale Element des Rechts wider, die Willensübereinkunft der sie etablierenden Individuen. Damit geht zugleich die Völkerrechtssubjektivität der internationalen Organisation einher, welche mittlerweile als unumstritten angesehen werden kann.467 Dies gilt v. a. für das Innenverhältnis der Völkerrechtssubjektivität der internationalen Organisation zu ihren Mitgliedstaaten. Im Rahmen die463 UN Doc. A/CN.4/L.636/Add.1 Rz. 5. Vgl. dazu bspw. auch C. F. Amerasinghe, Principles of the institutional law of international organizations2 (2005), 9 f., welcher internationale Organisationen definiert, indem sie „normally created by a treaty or convention to which states are parties and the members of the organisation so created are generally states.“ 464 Siehe K. Schmalenbach, International organizations or institutions, general aspects, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2006), Rz. 7 f. 465 Siehe dafür H. G. Schermers/N. M. Blokker, International institutional law5 (2011), 36 ff.; und C. F. Amerasinghe, Principles2 (Fn. 463), 9 f. Vgl. dazu auch K. Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen im Rahmen von friedenssichernden Maßnahmen und Territorialverwaltung (2004), 51 ff., welche den völkerrechtlichen Gründungsakt, die Etablierung eines unabhängigen Organs sowie die „Völkerrechtssubjektivität als ein konstitutives und unverzichtbares Wesenselement“ einer internationalen Organisation ansieht. 466 Siehe dafür auch die ansonten bewusst offen gelassene Definition internationaler Organisationen in dem Art. 2 (i) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen (WVKIO) vom 21. März 1986: „ ‚international organization‘ means an intergovernmental organization“. 467 Siehe C. Schreuer, Die Beschlüsse Internationaler Organisationen in: H. Neuhold et al. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. I – Textteil4 (2004), 86 (86); und K. Schmalenbach, Haftung (Fn. 465), 55. Vgl. dazu auch
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ser Untersuchung ist das Wirken einer internationalen Organisation im Innenverhältnis von primärem Interesse. Inwiefern die Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation im Außenverhältnis von der Rechtssubjektivität im Innenverhältnis unterschieden werden kann,468 ist von der Anerkennung der Nicht-Mitglieder abhängig.469 Ob diese Anerkennung aus dem Gründungsakt hervorgeht,470 oder bei Erfüllung von bestimmten Merkmalen vom Völkerrecht verliehen wird,471 kann dahin stehen.472 In jedem Fall sind Rechtsakte internationaler Organisationen mittlerweile einhellig als eine Rechtsquelle des Völkerrechts akzeptiert, auch wenn diese nicht in Art. 38 Abs. 1 IGH Statut Erwähnung finden.473 Eine Begründung J. Klabbers, An introduction to international institutional law (2002), 42 f.; wie unten B.III.5.a)bb). 468 Siehe für die Trennung der Völkerrechtssubjektivität im Innen- (Rechtssubjektivität) wie Außenverhältnis (objektive Rechtspersönlichkeit) K. Schmalenbach, Haftung (Fn. 465), 55 ff. m. w. N. auf des IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Rep. (1949), 174 ff. 469 Dafür dass diese Anerkennung konstitutiv für die so bezeichnte objektive Rechtspersönlichkeit der internationalen Organisation ist, siehe K. Schmalenbach, Haftung (Fn. 465), 67 f. m. w. N. auf die herrschende Lehre. 470 Dafür dass die objektive Rechtspersönlichkeit bereits mit dem Gründungsakt einer internationalen Organisation einhergeht, da die Anerkennung von der objektiven Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen durch Drittstaaten in Anlehnung an die Anerkennung von Staaten nur deklaratorisch sei, siehe K. Zemanek, Das Vertragsrecht der Internationalen Organisation (1957), 27. Dafür dass ein entsprechende Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts bestehen könnte, welche die Anerkennung obsolet werden ließe, siehe M. Bothe, Die Stellung der Europäischen Gemeinschaften im Völkerrecht, 37 ZaöRV (1977), 122 (125); wie auch I. SeidlHohenveldern/G. Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen7 (2000), 89 f., allerdings bezogen auf eine universelle internationale Organisation wie bspw. die Vereinten Nationen. Kritisch dazu K. Schmalenbach, Haftung (Fn. 465), 66 f. 471 F. Seyersted, Objective international personality of intergovernmental organizations: Do their capacities really depend on the conventions establishing them? (1963), 47; wie auch N. D. White, The law of international organisations (1996). Für einen pragmatischen Ansatz siehe J. Klabbers, Introduction (Fn. 467), 56 f., der auf Grund von drei Indikatoren (dem Recht internationale Übereinkommen zu schließen; Gesandte empfangen und entsenden zu können; wie aktiv sowie passiv klagslegitimiert zu sein) auf eine präsumptive Völkerrechtssubjektivität abstellt. 472 Je nach Auffassung ist dementsprechend die Festellung der objektiven Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen [damals 51 Gründungsmitglieder; wie ca. 35 Nicht-Mitglieder] durch den IGH, Reparation for Injuries (Fn. 468), als Ausnahme für eine universelle internationale Organisation oder als deklaratorische Bestätigung der Anerkennung zu deuten. 473 Vgl. dazu C. Schreuer, Beschlüsse (Fn. 467), 86; wie auch id., Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte (1977), 38: „Ebenso wie die materiellen Bestimmungen des Völkerrechts, unterliegt auch die ‚Rechtsquellenverfassung‘ der internationalen Gemeinschaft einem Wandel. Der Art. 38 darf daher
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für diese Rechtsquellenqualität steht im Zusammenhang mit der Unterscheidung der Völkerrechtssubjektivität vom Innen- zum Außenverhältnis. Rechtsakte einer internationalen Organisation können nur eine verbindliche Wirkung für ihre jeweiligen Mitglieder entfalten. Dies ist durch die Rückkoppelung mit dem Gründungsakt abgesichert, welcher seinerseits auf eine Rechtsquelle von Art. 38 Abs. 1 IGH Statut, zumeist einem völkerrechtlichen Vertrag, zurückgeht. Der Eigenständigkeit der Rechtsakte von internationalen Organisationen als Rechtsquelle sui generis steht das nicht im Weg.474 Die Völkerrechtsquelle der Rechtsakte internationaler Organisationen beruht auf der abgeleiteten Rechtssubjektivität internationaler Organisationen im Völkerrecht.475 Eine Verbindung zur etablierten Völkerrechtsquelle des Vertrages kann über das Gründungsstatut der jeweiligen internationalen Organisation hergestellt werden, das i. d. R. ein multinationaler völkerrechtlicher Vertrag ist. Dieser multilaterale Vertrag ist allerdings dahingehend besonders, als dass im Gründungsstatut einer internationalen Organisation auch diverse, eigenständige rechtliche Wirkungsalternativen zugestanden werden können,476 was bspw. den Erlass von verbindlichen Rechtsakten inkludieren kann. Trotz dieser Verbindung zur Rechtsquelle des Vertrages können internationale Organisationen also auf Grund des Merkmals ihrer institutionellen Eigenständigkeit von ihren Schöpfern den Staaten, als eigenständige Rechtssubjekte und je nach ihnen übertragenen Kompetenzen auch selbst als Schöpfer eigenständiger Rechtsakte des Völkerrechts angesehen werden.477 „Abgeleitet“ darf dementsprechend nicht so verstanden werden, dass Staaten nach der Schaffung einer internationalen Organisation diese nach Belieben dominieren dürfen.478 Ebenso wenig kann allerdings von einer vollkommen losgelösten internationalen Organisation gesprochen werden.479 Vielmehr muss auch hier wiederum an die Ausfühnicht als versteinerte Verfassungsnorm des Völkerrechts gesehen werden, welche ein für allemal bestimmt, in welchen Formen Recht gesetzt und verändert werden kann, von dem also letztlich die Autorität der einzelnen normen herrührt. Er ist vielmehr als deskriptiver Katalog zu sehen, welcher historisch leidlich zutreffend ist.“ Siehe auch J. Polakiewicz, International law and domestic (municipal) law, law and decisions of international organizations and courts, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL online edition (2012), Rz. 1 f. 474 Siehe so auch C. Schreuer, Beschlüsse (Fn. 467), 86. 475 Siehe grundlegend dazu IGH, Reparation for Injuries (Fn. 468), 179, 185. Vgl. dazu ebenso M. N. Shaw, Law6 (Fn. 202), 260; J. Klabbers, Introduction (Fn. 467), 42; und G. M. Danilenko, Law-making (Fn. 227), 13. 476 Siehe dazu IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. (1996), Rz. 19. 477 Vgl. C. Schreuer, Beschlüsse (Fn. 467), 86. 478 Vgl. zur Lehre des derivativen Erwerbs S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 320. 479 Siehe zur Gesamtaktslehre H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1972), 59 ff.; überblicksartig m. w. N. S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 314 ff.
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rungen zum Rechtserzeugerkreis erinnert werden, welcher bereits durch eine einzige Willensübereinkunft erschaffen wird. Dabei kommt es darauf an, was in dieser Willensübereinkunft vereinbart wurde. Dementsprechend ist ein nachträgliches einseitiges Abweichen oder Nicht-Einhalten eines Staates eben nur unter den von der Willensübereinkunft vorgesehenen Rahmenbedingungen möglich. Will ein Staat bspw. aus einer internationalen Organisation austreten, so muss er sich an den dafür vereinbarten Mechanismus halten. Umgekehrt wird aber auch das Eigenleben einer internationalen Organisation auf die ihr übertragenen Kompetenzen beschränkt werden müssen. So ist es eben nicht möglich, dass eine internationale Organisation nach Belieben ihre Kompetenzen eigenmächtig erweitert (sogenannte Kompetenz-Kompetenz), insofern sie dazu nicht von ihren Schöpfern ermächtigt wurde. Auch hier muss wiederum an die Grenze der vollständigen Selbstaufgabe eines Volkes erinnert werden, die durch das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht in Form einer ius cogens-Norm geschützt ist.480 Wenn auch theoretisch beide extreme Alternativen (Austritt und Kompetenz-Kompetenz) basierend auf einer entsprechenden Willensübereinkunft vorstellbar sind, so zeigt sich doch in der Praxis, dass auch bei einer noch so fortentwickelten Organisation wie bspw. der EU ein Ausstiegsszenario rechtlich möglich ist, sowie jegliche Ausdehnung der Kompetenz von den Mitgliedstaaten äußerst kritisch betrachtet wird. Eine Kompetenz-Kompetenz kommt auch der EU keinesfalls zu. Folglich könnte ein Mitgliedstaat zumindest theoretisch – unabhängig von politischen Überlegungen – einem ausartenden Kompetenzdurst der EU durch Austritt entrinnen. Dementsprechend wird hier auch eine internationale Organisation als das angesehen, was sie ist: Ein internationaler Rechtserzeugerkreis. Der Rechtserzeugerkreis einer internationalen Organisation wird durch eine Willensübereinkunft der partizipierenden Individuen konstituiert, welche qualitativ die in der Definition einer internationalen Organisation geforderten Kriterien erfüllt. Dies begründet zugleich – zumindest bezogen auf das Innenverhältnis zu ihren Mitgliedstaaten – die Rechtssubjektivität der internationalen Organisation.481 Der Unterschied zwischen verschiedenen Rechtserzeugerkreisen, wie bspw. dem einer internationalen Organisation und dem eines staatlichen Rechtserzeugerkreises, kann in der Qualität wie Quantität der getroffenen Willensübereinkünfte gesehen werden.482 Dass die Grenze fließend sein kann, verdeutlicht eine zunehmende Kompetenzverschiebung der Mitglied480
Vgl. dazu oben S. 80, inbes. Fn. 259. Vgl. dazu H. G. Schermers/N. M. Blokker, Institutional law5 (Fn. 465), 6: „These [international] organizations constitute legal orders in themselves, which are not similar to domestic legal orders, but are instead partial legal orders, concerning only the field of activity of the organization and only those states that choose to participate in them.“ 481
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staaten auf die EU. Je nach Definition eines Staates bzw. einer internationalen Organisation kann ein Staat bei zunehmender Übertragung seiner Kompetenzen zu einer internationalen Organisation mutieren, welche sodann ab einem gewissen Grad der übertragenen qualitativen wie quantitativen Kompetenzen wiederum zu einem Staat werden könnte. Wann das Eine aufhört bzw. das Andere beginnt, ist eine Definitionsfrage, welche hier nicht erläutert werden soll. Wichtig im Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema ist das Abstellen auf den abstrakten gemeinsamen Nenner, welcher jedem rechtlichen Gebilde zu Grunde liegt: Das ist der Rechtserzeugerkreis. Durch die Betrachtung einer internationalen Organisation als internationaler Rechtserzeugerkreis wird der Blick auf die jeweiligen Kompetenzen forciert. Das Abstellen auf die Willensübereinkunft welche die Organisation stützt, ist nicht frei von einer gewissen Spannung. So benötigt doch jede Organisation zuerst den Staat, um Kompetenzen von ihm übertragen zu bekommen. Dieser gesteht der Organisation ein gewisses Eigenleben zu, damit die Erfüllung der ihr zugedachten Aufgaben gewährleistet wird. Die Unabhängigkeit der internationalen Organisation hängt dementsprechend von den Staaten ab, welche diese Unabhängigkeit einerseits um den Zweck der Organisation Willens begrüßen, diesem zugleich aber auf Grund des Souveränitätsverlusts skeptisch gegenüber stehen.483 Dieses Spannungsverhältnis ist v. a. aus den politischen Motiven, welche zur Gründung einer internationalen Organisation führen verständlich. Aus rein rechtlicher Sicht allerdings ist es dies weniger. Es gilt schlichtweg an die grundlegende Willensübereinkunft zu erinnern, welche die internationale Organisation ins Leben gerufen hat. Die darin übertragenen Kompetenzen und ihre festgelegten Aufgaben sind in weiterer Folge von den Staaten nur mehr dahingehend abänderbar, wie es eben in dieser Willensübereinkunft, also im Gründungsakt der internationalen Organisation vereinbart wurde. D.h., Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten wird i. d. R. notwendig, um der Organisation die zugewiesenen Kompetenzen wieder wegzunehmen. In Übereinstimmung mit den bisherigen Abhandlungen zu den jeweiligen Völkerrechtsquellen begnügen sich auch die Ausführungen zu den Rechtsakten internationaler Organisationen mit einem speziellen Augenmerk auf die Entstehung sowie Wirkung dieser Rechtsakte. 482
Anders ibid., 22, welche zumindest ein Unterscheidungsmerkmal darin sehen, dass der Staat im Gegensatz zu einer internationalen Organisation ein Territorium besitzt. Dies erkläre auch, weshalb der Grundsatz der Souveränität nur für Staaten und nicht für internationale Organisationen gelte. Gerade das Beispiel der EU zeigt allerdings, dass dies wohl nur eine faktische, aber eben keine theoretisch stichhaltige Unterscheidung darstellt. 483 Siehe für die Verortung dieses Spannungsverhältnisses J. Klabbers, Introduction (Fn. 467), 39 f.
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bb) Entstehung der Rechtsakte von internationalen Organisationen Zu den Handlungsformen internationaler Organisationen gehören sowohl rechtsunverbindliche als auch rechtsverbindliche Akte. Letztere, zu denen u. a. Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse wie auch Resolutionen zählen484 sind hier von Interesse. Ob und wenn ja, wie diese Rechtsakte auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der internationalen Organisationen wirken, hängt von den Kompetenzen ab, welche der jeweiligen Organisation zuvor von ihren Mitgliedstaaten übertragen wurden. Die Staaten sind bei der Übertragung dieser Kompetenzen von keinen völkerrechtlichen Grenzen – außer dem pacta tertiis-Prinzip und der Grenze der vollständigen Selbstaufgabe eines Volkes, geschützt durch das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht in Form einer ius cogens-Norm485 – eingeschränkt. Dementsprechend groß ist die Diversität der Befugnisse der verschiedenen Organisationen. Die internationale Organisation als Rechtserzeugerkreis ist im Vergleich zu den jeweiligen Mitgliedstaaten, den nationalen Rechtserzeugerkreisen, der größere Rechtserzeugerkreis. Entsprechend der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises müssen sich die nationalen Rechtserzeugerkreise an die Rechtsakte des internationalen Rechtserzeugerkreises halten. Selbstverständlich gilt diese Aussage nur insoweit, als auch die übertragenen Kompetenzen nicht überschritten werden. Dementsprechend ist die Identifikation der Kompetenzen der internationalen Organisationen von großer Bedeutung. Die Kompetenz internationaler Organisationen zum Erlass von rechtsverbindlichen Akten ist regelmäßig im Gründungsstatut zu suchen.486 Im Unterschied zu Staaten haben internationale Organisationen demnach keine Kompetenz-Kompetenz, sondern sind auf die ihnen von Staaten übertragenen Kompetenzen limitiert. Freilich ist diese klare Abgrenzung sehr theoretisch, da komplexe Situationen oft Graubereiche dieser Kompetenzabgrenzung zu Tage fördern. Zum einen wird dem durch die flexible implied powers Doktrin,487 zum anderen aber auch durch eine Ausdehnung bzw. Für einen Überblick siehe H. G. Schermers/N. M. Blokker, Institutional law5 (Fn. 465), 755 ff. 485 Vgl. dazu oben S. 80, inbes. Fn. 259. 486 Siehe dazu IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Fn. 476), Rz. 25. Vgl. auch H. G. Schermers/N. M. Blokker, Institutional law5 (Fn. 465), 157 ff. m. w. N. Dafür dass die Kompetenz auch implizit aus den der Organisation eingeräumten Kompetenzen hervorgehen kann (implied powers), siehe H. G. Schermers/N. M. Blokker, Institutional law5 (Fn. 465), 180 ff. 487 Zur Lehre der implied powers, welche ungeschriebene Kompetenzen darstellen, die für die Erfüllung der Organisation übertragenen Aufgaben unerlässlich sind, siehe IGH, Reparation for Injuries (Fn. 468), 182. Vgl. dazu auch P. H. F. Bekker, 484
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Ausdifferenzierung der Kompetenzen durch die Praxis der internationalen Organisation beigekommen. Letztere, welche im Gegensatz zu der implied powers Doktrin keine direkte Verbindung zum Gründungsakt aufweist, ist dabei auf einen weiteren Konsens der Mitglieder des internationalen Rechtserzeugerkreises der Organisation angewiesen.488 Dies gilt auch dann, wenn diese Ausdehnung als Gewohnheitsrecht qualifiziert wird;489 und zwar deshalb, weil diese Einordnung als inter se Gewohnheitsrecht der Mitglieder des Gründungsaktes eben nicht auf die Praxis dieser Mitglieder,490 sondern auf die Praxis der Organisation selbst abstellt. Wäre diese nicht von der impliziten oder expliziten Zustimmung der Mitglieder der Organisation abhängig, hätte die internationale Organisation eine gewohnheitsrechtliche Kompetenz-Kompetenz, was zwar theoretisch möglich wäre, aber in der Praxis nicht zu finden ist. Gerade deshalb ist die Ausweitung der Kompetenzen in Form der überschießenden späteren Praxis der Organisation zum Gründungsakt mit Vorsicht zu genießen, ist sie doch entweder mit der schwierigen Verortung der Erlaubnis der Organisation verbunden gewohnheitsrechtlich ihre Kompetenzen zu erweitern oder sie ist ein Handeln ultra vires und damit nichtig. Eine Kompetenzausdehnung muss dementsprechend in einer zusätzlichen Willensübereinkunft der Mitgliedstaaten gedeckt werden, welche diese Ausdehnung anerkennt. Auch die von der Willensübereinkunft des Gründungsaktes zumindest implizit erfassten implied powers sind nicht frei von Unsicherheiten. Die Grenze zu einem möglichen ultra vires-Handeln der internationalen Organisation ist auch hier fließend. Nicht zuletzt deshalb ist die Akzeptanz der Mitgliedstaaten bezogen auf derartige, nicht explizit vom Gründungsakt gedeckte Aktivitäten internationaler Organisationen auch bei der implied Powers-Lehre von Relevanz.491 Die Autonomie des kleineren nationalen Rechtserzeugerkreises zur Schaffung von völkerrechtlichen Bestimmungen erklärt, weshalb der Versuch einer allgemeingültigen Definition der formellen Rechtsquelle von Rechtsakten internationaler Organisationen nur schwer bzw. nicht möglich ist. The legal position of intergovernmental organizations (1995), 43 ff.; und K. Schmalenbach, Haftung (Fn. 465), 60 m. w. N. in Fn. 45 und 46. 488 Vgl. dazu oben die Ausführungen zum Völkergewohnheitsrecht B.III.3.a)bb) sowie die Ausdehnung der Willensübereinkunft im Rahmen der späteren Praxis zum Vertrag am Beispiel der unmittelbaren Anwendbarkeit A.III.1.a). 489 Vgl. dazu N. Weiß, Kompetenzlehre internationaler Organisationen (2009), 368 f.; wie auch H. G. Schermers/N. M. Blokker, Institutional law5 (Fn. 465), 181 m. w. N. 490 Siehe bezüglich „vertragsbezüglichem Völkergewohnheitsrecht“ allg. W. Karl, Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht (1983), 108 ff.; H. W. A. Thirlway, International customary law and codification (1972), 132, 139; und M. Byers, Custom (Fn. 248), 179. 491 Vgl. dazu K. Schmalenbach, Haftung (Fn. 465), 61 m. w. N. in Fn. 48.
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Dementsprechend sind die formellen Entstehungskriterien von Rechtsakten je nach Organisation zu unterscheiden. Darüber hinaus ist je nach Organisation nach deren Rechtssetzungskompetenzen zu unterscheiden, die wie das Beispiel der EU zeigt, äußerst weitreichend und umfassend, aber auch gar nicht vorhanden sein können.492 Ausschlaggebend ist i. d. R. jeweils der Gründungsvertrag der jeweiligen Organisation, was wiederum die Verbindung zur Rechtsquelle des völkerrechtlichen Vertrages aufzeigt. Darin kann auch das Element der Willensübereinkunft erkannt werden. Denn je nach Organisation und Rechtssetzungsmöglichkeit sind durchwegs Mehrheitsbeschlüsse möglich, welche sodann auch eine rechtliche Wirkung für nicht zustimmende Mitgliedstaaten auslösen. Die Vielzahl der unterschiedlichen Organisationen erschwert es auch die zuständigen Organe für einen derartigen Rechtsakt internationaler Organisationen zu bestimmen. Auch dies ist dem Statut der jeweiligen Organisation überlassen, welches i. d. R. organisationseigene Organe einsetzt. Demgemäß ist eine solche Benennung auch von nationalen Verfassungsordnungen nicht zu erwarten. Zum Vorteil gereicht der Rechtsquelle „Rechtsakte internationaler Organisationen“ aber, dass im jeweiligen Gründungsstatut der formelle Rechtssetzungsprozess i. d. R. schriftlich geregelt ist. Auch die Frage der zuständigen Organe ist dementsprechend nicht mit einer derartigen Unsicherheit behaftet, wie dies bspw. bei den Rechtsquellen des Völkergewohnheitsrechts und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Fall ist. cc) Wirkung der Rechtsakte von internationalen Organisationen Die Unterscheidung zwischen schlicht anwendbare, individualisierende und unmittelbar anwendbare Bestimmungen ist auch für die Rechtsakte der internationalen Organisationen maßgebend. Diese können rein zwischenstaatlichen Charakter haben (schlichte Anwendbarkeit) oder Individuen direkt adressieren (Individualisierung).493 Auch eine direkte Wirkung für innerstaatlich rechtsanwendende Organe (unmittelbare Anwendbarkeit) ist auf Grund der Diversität der internationalen Organisationen und ihrer Rechtssetzungsakte möglich.494 Einzig die Beurteilung der Wirkung des Rechtsaktes kann als gesichert bezeichnet werden, insofern sie im Gründungsvertrag geregelt ist. Gibt es keine Regelung, so ist auch der Wille der interna492
Siehe dazu sogleich unten B.III.5.a)bb). Vgl. dazu allg. oben A.I.5. 494 Vgl. hierzu auch die Unterscheidung von S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 200 ff., welcher dies in eine Durchgriffswirkung auf Rechtsunterworfene (hier Individualisierung genannt), sowie auf Staatsorgane (hier unmittelbare Anwendbarkeit und eben auf den Staat als Völkerrechtssubjekt (hier schlichte Anwendbarkeit) unterteilt. 493
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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tionalen Rechtserzeuger bezogen auf diese Wirkung schwieriger zu eruieren. Im Zweifel ist eine souveränitätsschonende, d.h. schlicht anwendbare Wirkung anzunehmen. Hängt diese Interpretation vom Gründungsakt der internationalen Organisation ab, kann auf die Ausführungen zur Völkerrechtsquelle des Vertrages verwiesen werden.495 b) Rechtsakte internationaler Organisationen und die österreichische Rechtsordnung aa) Allgemeines Internationale Organisationen werden grundsätzlich durch Staatsverträge geschaffen. Insofern kann auf die Ausführungen zu den völkerrechtlichen Verträgen verwiesen werden.496 Zum Zeitpunkt der Verfassungsbegründung 1920 waren internationale Organisationen allerdings noch rar. Deshalb wurde erst mit der B-VGN 1981497 der zunehmenden Notwendigkeit498 einer Regelung durch Art. 9 Abs. 2 B-VG entsprochen. Dieser normiert eine Ermächtigung des einfachgesetzlichen Bundesgesetzgebers zur Übertragung von einzelnen Hoheitsrechten auf internationale Organisationen, welche durch Staatsverträge oder per Gesetz erfolgen kann. Zuvor mussten die Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen auf internationale Organisationen als Verfassungsbestimmungen abgeschlossen werden.499 Dies beruht auf der Lückenlosigkeitstheorie des B-VG die besagt, dass in dem B-VG alle Organe erschöpfend aufgezählt sind, die verbindliche Hoheitsakte setzen können.500 Die Schaffung von Art. 9 Abs. 2 B-VG ermöglicht in wei495
Siehe dazu oben B.III.2. Ibid. 497 Art. 9 Abs. 2 B-VG erstmals eingeführt durch BGBl. 350/1981 und geändert durch BGBl. 2008/2 lautet wie folgt: „Durch Gesetz oder durch einen gemäß Art. 50 Abs. 1 genehmigten Staatsvertrag können einzelne Hoheitsrechte auf andere Staaten oder zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden. In gleicher Weise können die Tätigkeit von Organen anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen im Inland und die Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland geregelt sowie die Übertragung einzelner Hoheitsrechte anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen auf österreichische Organe vorgesehen werden. Dabei kann auch vorgesehen werden, dass österreichische Organe der Weisungsbefugnis der Organe anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese der Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden.“ 498 Siehe dazu C. Schreuer, 37 ZaöRV (Fn. 15), 468 ff. 499 Vgl. dazu C. Schreuer, Beschlüsse (Fn. 467), 90 f.; und U. Brandl, 54 ZÖR (Fn. 504), 187. Siehe ausführlich und kritisch dazu S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 83 ff. 500 Siehe nur ibid. 496
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
terer Folge verbindliche Beschlüsse internationaler Organisationen, als eine Rechtsquelle sui generis in der österreichischen Rechtsordnung anzusehen.501 Hat eine internationale Organisation die Kompetenz verbindliche Rechtsakte zu erlassen, so ist dies gem. Art. 9 Abs. 2 B-VG als eine Übertragung von Hoheitsrechten auf eine internationale Organisation zu qualifizieren.502 Der Terminus „Hoheitsrechte“ gem. Art. 9 Abs. 2 B-VG zielt auf Befugnisse des Staates ab, „einseitig Befehls- und Zwangsgewalt auszuüben“,503 was auf die unmittelbare Adressierung von Individuen durch den Rechtsakt abzielt. Dennoch wird unter Art. 9 Abs. 2 B-VG generell die Rechtssetzungsfähigkeit internationaler Organisationen subsumiert.504 Auch wenn die Regierungsvorlage zu Art. 9 Abs. 2 B-VG als Vorbild Art. 24 Abs. 1 des dt. GG nennt,505 ist das Begriffsverständnis „Hoheitsrechte“ der beiden Bestimmungen nicht ident.506 Während gem. Art. 24 Abs. 1 GG nur Rechtsakte internationaler Organisationen mit Durchgriffswirkung als „Hoheitsrechte“ qualifiziert werden (unmittelbare Anwendbarkeit und Individualisierung),507 umfasst der Begriff der „Hoheitsrechte“ gem. Art. 9 Abs. 2 B-VG pragmatisch jedwede Rechtssetzungskompetenz einer internationalen Organisation.508 Folglich ist gem. Art. 9 Abs. 2 B-VG nicht entscheidend, ob die internationale Organisation die Kompetenz zur Erlassung von schlicht anwendbaren, unmittelbar anwendbaren oder individualisierenden Normen erhält. Das B-VG enthält keine Regel, welche die Rezeption bzw. die Durchführung von Rechtsakten internationaler Organisationen vor501
S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 42 ff., 80 f. m. w. N., 230 f., stützt dies u. a. darauf, dass die Organe der zwischenstaatlichen Einrichtungen weder den Anforderungen für Gesetzgebungs- noch jenen für Verwaltungs- oder Vollzugsorgane, wie sie im B-VG normiert sind, entsprechen. Siehe dazu auch T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 21. 502 Art. 9 Abs. 2 B-VG spricht von „zwischenstaatlichen Einrichtungen“, was sich hier auf internationale Organisationen erstreckt. NGOs sind damit ausgeschlossen. Siehe so auch S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 289 f.; a. A. allerdings T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 11. 503 Siehe dazu S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 154. 504 Siehe dazu S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 149 ff.; C. Schreuer, Der neue Art. 9 Abs. 2 der Österreichsichen Bundesverfassung: Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale und ausländische Organe, 42 ZaöRV (1982), 93 (95); C. Annacker, Die Rechtswirkung von Sicherheitsratresolutionen im österreichischen Recht, JBl. (1995), 489 (495); T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 12; und auch U. Brandl, Die Umsetzung der Sanktionsresolutionen des Sicherheitsrats im österreichischen Recht, 54 ZÖR (1999), 161 (187). 505 Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 1. 506 Siehe dazu S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 44 f. 507 Siehe dazu M. Herdegen, Art. 24, in: R. Herzog et al. (Hrsg.), Maunz-Düring Grundgesetz Kommentar (37. Lfg. 2000), Rz. 30; und S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 200 m. w. N. in Fn. 3. 508 Siehe Fn. 504.
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sieht. Diese vermeintliche Lücke wurde auch nicht durch die B-VGN 2008/2 geschlossen. Dementsprechend weist die Praxis unterschiedliche Vorgehensweisen auf. Wirft dies im Rahmen der herrschenden Rezeptionslehre von Völkerrecht in nationalem Recht Fragen auf, so soll Art. 9 Abs. 2 B-VG in Übereinstimmung mit den Ausführungen zu den zuvor behandelten Rechtsquellen des Völkerrechts hier im Sinne einer Ermächtigungsnorm verstanden werden.509 Rechtsakte internationaler Organisationen werden nach der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises als Rechtsakte des internationalen Rechtserzeugerkreises angesehen. bb) Zuständigkeit nach dem B-VG Für die Übertragung von Hoheitsrechten, also die Übertragung der Kompetenz zur Erlassung von verbindlichen Rechtsakten ist der einfache Gesetzgeber zuständig (Art. 9 Abs. 2 B-VG). Die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung geschieht entweder durch Gesetz oder Staatsvertrag, welcher gem. Art. 50 Abs. 1 B-G vom Nationalrat genehmigt werden muss. Art. 9 Abs. 2 B-VG enthält keine Einschränkung bezüglich der Organe dieser internationalen Organisation, welche sodann die übertragenen Hoheitsrechte auch für Österreich ausüben. Dementsprechend kann hier nur allgemein auf das jeweilige Gründungsstatut bzw. dessen etwaige Fortentwicklung, d.h. auf das Recht der internationalen Organisation bezüglich der Frage der Zuständigkeit verwiesen werden. Die Wortwahl „einzelne Hoheitsrechte“ in Art. 9 Abs. 2 B-VG beschränkt die Übertragung der Hoheitsrechte.510 Dies führt dazu, dass die übertragenen Hoheitsrechte exakt bestimmt werden müssen.511 Eine inhaltliche Beschränkung von zu übertragenden Hoheitsrechten normiert Art. 9 Abs. 2 B-VG aber nicht.512 Einer etwaigen Ausdehnung der übertragenen Hoheitsrechte im Rahmen der implied powers-Lehre steht dies aber nicht im Wege.513 509
Siehe dazu sogleich unten B.III.5.b)cc). Siehe dazu im Detail T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 13. 511 So ibid. Vgl dazu ebenso S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 154, der dies auch damit begründet, dass „hinter dem Terminus ‚Hoheitsrechte‘ die Worte ‚des Bundes‘ mit der Begründung eingefügt [wurden]“, um die Übertragung von Hoheitsrechten der Länder auszuschließen. Dies hat laut Griller die Konsequenz, dass der „Ausdruck ‚Hoheitsrechte‘ auch als Anknüpfung an die Bestimmungen über die hoheitliche Kompetenzverteilung – insbesondere Art 10 bis 15 B-VG – verstanden werden“ muss. 512 Siehe dazu auch G. Lienbacher, Der erste Teil der Verfassungsreform (Fn. 1) Verfassungs- und Verwaltungsreform 2008, JRP (2008), 77 (79 f.). 513 Siehe so T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 14, der allerdings darauf hinweist, dass dies nicht zur Überschreitung der Beschränkung auf „einzelne Hoheitsrechte“ führen darf. 510
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
cc) Kritik an der Lehre der Rezeption von Rechtsakten internationaler Organisationen in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung Gemäß der herrschenden Lehre bedürfen Rechtsakte internationaler Organisationen einer Rezeption in der österreichischen Rechtsordnung, um innerstaatliche Wirkung zu entfalten.514 Demgemäß wird in der Diskussion um Art. 9 Abs. 2 B-VG kritisiert, dass die Rangfrage von Rechtsakten internationaler Organisationen nicht geklärt sei.515 Dies stellt im Rahmen der herkömmlichen Rezeptionstheorien durchaus ein großes Problem dar. Werden Rechtsakte internationaler Organisationen im BGBl. kundgemacht,516 schließt ein Teil der herrschenden Lehre in analoger Anwendung des Art. 49 Abs. 2 B-VG auf eine Adoption des betreffenden Rechtsaktes in die österreichische Rechtsordnung.517 Wird vertreten, dass Rechtsakte internationaler Organisationen in der österreichischen Rechtsordnung adoptiert werden, so wird vorgeschlagen ihnen analog zur im Völkergewohnheitsrecht entwickelten Analogietheorie518 den Rang zuzusprechen, den entsprechende innerstaatliche Rechtsakte haben müssten.519 Andere Rechtsakte wiederum werden laut Rezeptionslehre mittels spezieller Transformation rezipiert.520 Während bei einer speziellen Transformation die Problematik der 514 Siehe dazu VfGH, Erkenntnis vom 1. März 1990, VfSlg 12.281; und VwGH, Erkenntnis vom 29. Januar 1991, VwSlg. 13.373 A/1991. Für die Literatur siehe T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 21 ff., welcher allerdings in Rz. 24 „Beschlüsse mit ‚Durchgriffswirkung‘ [. . .] kraft Völkerrechts in Österreich [für] unmittelbar anwendbar“ erachtet. Vgl. auch S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 359 ff.; U. Brandl, 54 ZÖR (Fn. 504), 188, 192 ff.; und C. Annacker, JBl. (Fn. 504), 496. 515 Vgl. C. Schreuer, 42 ZaöRV (Fn. 525), 97; sowie S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 367 ff.; und auch E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 72. 516 Dies wird gestützt auf § 5 Abs. 1 Z. 5 Bundesgesetz über das Bundesgesetzblatt 2004. 517 Siehe dafür bspw. VfGH, Erkenntnis vom 1. März 1990, VfSlg 12.281. Vgl. dazu auch T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 23 und U. Brandl, 54 ZÖR (Fn. 504), 188, 192 ff. 518 Siehe dazu bereits oben S. 165, insbes. Fn. 305 und 306. 519 Siehe dafür U. Brandl, 54 ZÖR (Fn. 504), 191. Ablehnend dazu C. Schreuer, 37 ZaöRV (Fn. 15), 500. 520 Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 23 m. w. N. Dafür dass Rechtsakte internationaler Organisationen – mit einigen Ausnahmen – speziell transformiert werden müssen, siehe S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 373. Der VwGH gibt ebenfalls der Transformationstheorie den Vorzug, siehe VwGH, Erkenntnis vom 29. Januar 1991, VwSlg. 13.373 A/1991: „Um auch die innerstaatliche Rechtswirksamkeit eines solchen Beschlusses [in diesem Fall der Gemischten Draukommission] bejahen zu können, hätte es der Umsetzung desselben in das innerstaatliche Recht durch den österreichischen Gesetzgeber [. . .] bedurft.“ So wohl auch C. Annacker, JBl. (Fn. 504), 496.
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Rangfrage durch diese spezielle Rezeptionsart vermeintlich gelöst wird, ist dies für alle von dieser Rezeptionsart ausgeschlossenen Rechtsakte nicht der Fall. Eine einheitliche Praxis die Rangfrage dieser rezipierten Rechtsakte betreffend, gibt es innerhalb der Rezeptionslehre nicht.521 Im Rahmen dieser Arbeit werden die Rezeptionslehre und damit die Integration völkerrechtlicher Bestimmungen in einem bestimmten Rang in die österreichische Stufenbauordnung zurückgewiesen. Nach der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises sind auch Rechtsakte internationaler Organisationen als das zu behandeln, was sie sind: Rechtsakte eines größeren internationalen Rechtserzeugerkreises.522 dd) Art. 9 Abs. 2 B-VG als Ermächtigungsnorm zur Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen mit Rechtssetzungsfähigkeit Die nationalen Verfassungsbestimmungen, welche die Interaktion mit dem Völkerrecht regeln, werden in dieser Arbeit basierend auf der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises als nationale Ermächtigungsnormen zum Abschluss der internationalen Willensübereinkunft verstanden. Diese Willensübereinkunft des internationalen Rechtserzeugerkreises stützt ihre Geltung allerdings nicht wieder auf die nationalen Ermächtigungsnormen. Vielmehr liegt die Geltung dieser Willensübereinkunft im internationalen Rechtserzeugerkreis begründet. Nichts anderes trifft auch auf die Gründung und Ermächtigung einer internationalen Organisation zu. Art. 9 Abs. 2 B-VG wird nach der hier vertretenen Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises als Ermächtigungsnorm verstanden, die den einfachen Gesetzgeber dazu ermächtigt Hoheitsrechte auf eine internationale Organisation zu übertragen. Wurden einer internationalen Organisation Kompetenzen zum Erlass verbindlicher Rechtsakte im Gründungsakt eingeräumt, so dürfen diese vom nationalen Rechtserzeugerkreis nicht mehr nachträglich einseitig abgeändert oder gar ignoriert werden. Nichts anderes wäre aber der Fall, wenn die 521
Vgl. dazu allg. C. Schreuer, Beschlüsse (Fn. 467), 91 f. Zur Zuordnung eines Ranges im Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung bereits kritisch C. Schreuer, 37 ZaöRV (Fn. 15), 500 f., der zurecht darauf aufmerksam macht, dass durch eine Rangzuordnung die Anwendung des lex posterior Grundsatzes die problematische Derogation von Rechtsakten internationaler Organisationen durch späteres nationales Recht ermöglicht wird. Vgl. ebenso id., Beschlüsse (Fn. 467), 92: „Es ist fraglich, ob das Verhältnis der Beschlüsse von IO zum österreichischen Recht über die Zuweisung eines Ranges im Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung erfolgen kann. Das Verhältnis von Rechtsnormen, welche von verschiedenen, voneinander unabhängigen Normsetzungsorganen stammen, lässt sich eher aus der Perspektive der Abrenzung von Kompetenzen erfassen.“ [Hervorhebung im Original] 522
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
Akte internationaler Organisationen in die nationale Stufenbauordnung des nationalen Rechts „integriert“ würden.523 Auch Rechtsakte internationaler Organisation sind innerstaatlich schlicht als das zu betrachten was sie sind: Rechtsakte eines internationalen Rechtserzeugerkreises. Insofern unter Art. 9 Abs. 2 B-VG nicht nur die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten, d.h. die Rechtssetzungsfähigkeit einer internationalen Organisationen subsumiert wird, sondern auch die innerstaatliche Wirkung524 der Rechtsakte als von dieser Ermächtigung umfasst betrachtet wird, so ist es von besonderer Wichtigkeit die materiellen Grenzen der Ermächtigung des Art. 9 Abs. 2 B-VG zu klären. Der Vorschlag die Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen in Art. 9 Abs. 2 B-VG materiell bspw. mit den Grundprinzipien der Verfassung zu begrenzen,525 konnte sich nicht durchsetzen. Das Argument, dass eine derartige Beschränkung Art. 9 Abs. 2 B-VG inhärent ist, da wenn dies gewollt gewesen sei, ein expliziter Verweis auf Art. 44 Abs. 3 B-VG notwendig gewesen wäre, vermag im System des B-VG auf innerstaatlicher Ebene zu überzeugen. Eine derartige Leseart ohne expliziten Hinweis auf die Einschränkung der Übertragung unterhalb der tragenden Verfassungsprinzipien ist aber international wohl nicht durch die Forderung der Offenkundigkeit von Art. 46 WVK gedeckt.526 Wird Art. 46 WVK ohnehin nur auf die organschaftliche Zuständigkeit bezogen, ohne dass materielle Einschränkungen des nationalen Rechts berücksichtigt werden,527 hätte freilich auch ein expliziter Verweis auf eine derartige Einschränkung in Art. 9 Abs. 2 B-VG nicht geholfen. Gleichermaßen ist auch die Frage einzuordnen, inwieweit durch Art. 9 Abs. 2 B-VG vom einfachen Gesetzgeber Hoheitsrechte übertragen werden können, welche im Verfassungsrang garantiert sind. Im Gegensatz zu den Bauprinzipien des österreichischen Verfassungsrechts ist eine derartige Übertragung wohl auch innerstaatlich gedeckt, da dies gerade das Ziel von Art. 9 Abs. 2 B-VG ist, um nicht für jede derartige Übertragung einzelne Bestimmungen in Verfassungsrang heben zu müssen. Gedeckt ist dies durch den Verfassungsrang von Art. 9 Abs. 2 B-VG selbst.528 523
Vgl. dazu näher bereits oben B.III.2.b)cc). Dies ist freilich nur bei entsprechender unmittelbarer Anwendbarkeit oder individualisierender Wirkung der Rechtsakte der Fall, was selbstverständlich auch von der Kompetenz der internationalen Organisation umfasst sein muss. 525 Siehe dafür C. Schreuer, 37 ZaöRV (Fn. 15), 485 ff. Die Nichtaufnahme einer solchen Einschränkung in Art. 9 Abs. 2 B-VG wurde dementsprechend von id., Der neue Art. 9 Abs. 2 der Österreichischen Bundesverfassung: Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale und ausländische Organe, 42 ZaöRV (1982), 93 (96), kritisiert. 526 So bereits ibid. 527 So die herrschende Auffassung im Völkerrecht, siehe dazu oben, A.III.2.a) Fn. 284. 524
III. Rechtsquellen des Völkerrechts und die öst. Rechtsordnung
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Freilich sind bei den Rechtsakten wiederum unmittelbar anwendbare, individualisierende oder eben nur schlicht anwendbare Rechtsakte zu unterscheiden. Die Beurteilung der Kompetenzen der internationalen Organisation, d.h. die Beurteilung der Frage, ob sie überhaupt ermächtigt wurde unmittelbar anwendbare oder individualisierende Rechtsakte zu erlassen, erlangt dabei besondere Bedeutung. Die Antwort ist in dem Gründungsstatut der internationalen Organisation zu suchen und nach internationalem Recht zu beurteilen. Es ist dem nationalen Rechtserzeugerkreis überlassen, schlicht anwendbare Rechtsakte innerstaatlich umzusetzen. Anders verhält es sich aber mit unmittelbar anwendbaren Rechtsakten. Die Rangfrage eines solchen Rechtsaktes stellt sich hier insofern nicht, da der nationale Rechtserzeugerkreis nur bei der Übertragung, also der Schaffung der Rechtssetzungskompetenz einer internationalen Organisation konstitutiv ist. Dem Befehl des größeren Rechtserzeugerkreises in Form eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes ist sodann Folge zu leisten. Wurde kein internationaler Vorbehalt bei der Übertragung der Rechtssetzungskompetenz in die internationale Willensübereinkunft aufgenommen, gibt es im Rahmen der übertragenen Kompetenz keine nachträgliche einseitige Änderungsmöglichkeit seitens des nationalen Rechtserzeugerkreises mehr. Denkbar ist auch in diesem Rahmen das österreichische Institut des Erfüllungsvorbehaltes (Art. 50 Abs. 2 Z. 3 B-VG), welches die unmittelbare Anwendbarkeit der Rechtsakte von internationalen Organisationen ausbedingen könnte.529 Dies gilt allerdings nur, wenn der Erfüllungsvorbehalt gemäß der hier vertretenen Theorie auch als internationaler Vorbehalt auf der Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises ausgesprochen wird.530 ee) Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU gem. Art. 50 Abs. 1 Z. 2 B-VG Mit Art. 50 Abs. 1 Z. 2 B-VG wurde für weitere Übertragungen von Hoheitsrechten auf die Europäische Union eine eigene Bestimmung vorgesehen. Diese ermöglicht, dass Staatsverträge, welche „die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union [. . .]änder[n]“, gem. Art. 50 Abs. 4 B-VG durch Genehmigung mit erhöhten Quoren vom National- und Bundesrat vonstattengehen können. Diese Spezialbestimmung wurde durch die 528
Vgl. nur T. Öhlinger, Art. 9/2 B-VG (Fn. 1), Rz. 6. Siehe zum Erfüllungsvorbehalt oben unter B.III.2.c). Bezogen auf Rechtsakte internationaler Organisationen siehe auch S. Griller, Übertragung (Fn. 1), 334 f. 530 Vgl. dazu die Ausführungen zum Erfüllungsvorbehalt, der nach der hier vertretenen Auffassung als internationaler Vorbehalt abgegeben werden muss, um die unmittelbare Anwendbarkeit der Vertragsbestimmung bzw. hier des Rechtsaktes auszubedingen. Siehe dazu bereits oben, S. 174 f. 529
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B. Praktische Anwendung am Beispiel der öst. Rechtsordnung
B-VGN 2008/2 eingeführt, welche unter dem Zeichen der Verfassungsbereinigung stand. Dementsprechend liegt die Relevanz von Art. 50 Abs. 1 Z. 2 B-VG v. a. darin, die bis dato notwendigen Sonderverfassungsgesetze entbehrlich zu machen.531 Bis auf die erhöhten Quoren kann auch diese Spezialbestimmung, welche „unbeschadet des Art. 44 Abs. 3 B-VG“ keine Gesamtänderung des B-VG ohne dessen Mitberücksichtigung zur Folge haben darf,532 in die allgemeinen Ausführungen zu den Rechtsakten internationaler Organisationen im B-VG eingefügt werden. Es muss demnach nicht über die mögliche Rangfrage derartiger Staatsverträge spekuliert werden, da weitere übertragene Kompetenzen sodann von der EU „unter Anwendungsvorrang“ ausgeübt werden.533 Auch dieses Beispiel entlarvt die Integration völkerrechtlicher Bestimmungen in den nationalen Stufenbau als künstlich. Dies deshalb, weil auch die Verneinung des Verfassungsranges derartiger Übertragungen nicht dazu führen könnte, dass sich Österreich gegen mögliche Rechtsakte der EU, die aus diesen neu übertragenen Kompetenzen hervorgehen, nicht einmal mit entgegenstehenden Bundesverfassungsgesetzen zur Wehr setzen könnte.
531
Siehe dazu T. Öhlinger, Art. 50 B-VG (Fn. 1), Rz. 63. Ibid. Rz. 69. I. Siess-Scherz, Staatsverträge und Bundesverfassung: Weiterhin ein nicht ganz unproblematisches Verhältnis – eine Auseinandersetzung mit Teilaspekten des Art. 50 B-VG, in: G. Lienbacher/G. Wielinger (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliches Recht 2009 (2009), 77 (97 f.), diskutiert inwiefern die unklare Formulierung „unbeschadet des Art. 44 Abs. 3 B-VG“ entweder die Anwendung von Art. 44 Abs. 3 B-VG „auf Genehmigungsverfahren von Staatsverträgen, mit denen die Grundlagen der Europäischen Union geändert werden“ anzuwenden ist oder ob „bei Staatsverträgen, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, ein – der bisherigen Übung entsprechendes – Bundesverfassungsgesetz oder aber eine entsprechende Änderung des B-VG selbst der Volksabstimmung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG zu unterziehen ist.“ 533 Vgl. dazu auch L. K. Adamovich/B.-C. Funk/G. Holzinger, Staatsrecht (Fn. 129), 212: „Die innerstaatliche Anwendung von StV, mit denen die vertraglichen Grundlagen der EU geändert werden [. . .], ergibt sich aus dem EU-Recht.“ Dementsprechend müßig ist es darüber zu spekulieren, inwiefern eine Änderung der Verträge der EU innerstaatlich im Verfassungsrang steht. Siehe dafür B. Weichselbaum, 15 JRP (Fn. 163), 214; und E. Handl-Petz, Austria (Fn. 1), 65. 532
C. Zusammenfassende Schlussbemerkungen Das Ziel der Arbeit ist es neue theoretische Grundlagen zum Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht zu entwickeln. Die historischen Theorien (Monismus, Dualismus) wie auch gängige gemäßigte Varianten zur Erklärung dieses Verhältnisses stellen stark auf das Konzept der Rechtsordnung ab. Dies setzt den Erklärungen gewisse Grenzen. Sowohl die Argumentation als auch das Ergebnis der aktuell vorherrschenden Theorien wird dementsprechend in dieser Arbeit hinterfragt und kritisiert. Insgesamt lässt die Fragestellung des Verhältnisses von Völkerrecht zu Staatsrecht trotz zahlreicher (spezieller) Abhandlungen wie Theorien keine gesicherte rechtstheoretische Basis erkennen, was in durchwegs unterschiedliche Erklärungskonstrukte mündet. Um Missverständnissen bzw. Fehlschlüssen des hier Vorgebrachten mit den bereits vorhandenen Erklärungsversuchen vorbeugen zu können, wird in dieser Arbeit auf das altbekannte Begriffsverständnis, das bereits aktuell äußerst unterschiedlich und damit irreführend ist, verzichtet. Die Anwendung der Begriffe Adoption, Transformation und Inkorporation wird dementsprechend hier ausgeschlossen [A.I.]. Das Verhältnis zwischen internationalem und nationalem Recht wird in dieser Arbeit auf einem rechtstheoretischen Fundament aufgebaut; dem Rechtserzeugerkreis. Um das Verhältnis „unbefangen“ ergründen zu können und die gewählte Methodik so objektiv wie möglich zu gestalten, wird zunächst ein allgemeiner Rechtsbegriff gesucht und definiert. Die Willensübereinkunft stellt dabei das zentrale Element des Rechtsbegriffs dar [A.II.1.]. Davon ausgehend wird der gemeinsame Nenner des internationalen wie des nationalen Rechts hervorgehoben. Als gemeinsamer Nenner wird der Rechtserzeugerkreis identifiziert, welcher erst eine unverstellte Sichtweise auf das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht ermöglicht [A.II.2.]. Der Rechtserzeugerkreis ist der Kreis von zwei oder mehreren Individuen, der sich durch die Schaffung auch nur einer einzigen verbindlichen Willensübereinkunft konstituiert [A.II.2.a)]. Aufbauend auf dieser Definition werden sodann die Konflikte zwischen unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen analysiert. An dieser Stelle muss nochmals betont werden, dass altbekannte Konfliktlösungstechniken wie bspw. die Maxime lex posterior und lex specialis nur innerhalb ein und desselben Rechtserzeugerkreises Anwendung finden können. Ein Schluss, welcher für das Verhältnis von internationalem zu nationalem Recht wichtige Konsequenzen hat, wird
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C. Zusammenfassende Schlussbemerkungen
diese Einschränkung in der herrschenden Lehre nur allzu oft ignoriert. Der Begriff der Rechtsordnung, der Staat, der Stufenbau der Rechtsordnung, die EU und das Völkerrecht im Speziellen wie auch Grundzüge der dualistischen und monistischen Doktrin werden sodann dem Rechtserzeugerkreis gegenübergestellt [A.II.2.d)-i)]. Dies ermöglicht es die hier vertretene Theorie des Rechtserzeugerkreises und deren Bedeutung für die angeführten Konstrukte zu illustrieren. Die Vergleichbarkeit dieser Rechtsebenen untereinander ist im aktuellen Diskurs bei der Betrachtung als unterschiedliche Rechtsordnungen nur schwer unter einem einheitlichen Schema zu ergründen. Zentral für diese Ausführungen sind die Aussagen zur aufgestellten Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises [A.II.2.c)] und damit einhergehend die Relativierung der Ansicht (des Begriffs) der Rechtsordnung [A.II.2.d)]. Durch den Rechtserzeugerkreis wird jedwedes Recht schlicht und einfach auf die Anzahl der Individuen „reduziert“, die an seiner Entstehung in Form einer Willensübereinkunft „mitgewirkt“ haben. Gestützt auf die vernunftbasierten Prinzipien pacta sunt servanda und pacta tertiis gehen Willensübereinkünfte des größeren Rechtserzeugerkreises dem Recht des kleineren, sich in dem größeren wiederfindenden, Rechtserzeugerkreis vor. Konfligiert Recht des nationalen Rechtserzeugerkreises mit ius cogens, gilt die Rechtsfolge der Nichtigkeit. Der kleinere nationale Rechtserzeugerkreis kann nicht rechtswirksam konfligierendes Recht schaffen. Weil die Rechtsfolge der Nichtigkeit für mit ius cogens-Bestimmungen kollidierendem Recht explizit geregelt ist, besteht eine Vermutung dafür, dass der kleinere nationale Rechtserzeugerkreis bspw. des Staates A, dem übrigen Völkerrecht (außer ius cogens) des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises der Staaten A, B und C nicht widersprechen darf, aber widersprechen kann [A.II.2.c)bb)]. Wird auf dieses rechtstheoretische Fundament rekurriert und werden dementsprechend auch die zuvor angesprochenen Begriffe zur Rezeption von Völkerrecht in nationalem Recht nicht verwendet, gilt es auf Inhalte des größeren Rechtserzeugerkreises abzustellen, wenn geklärt werden soll wie internationales und nationales Recht zusammenhängen bzw. wie das Eine auf das Andere wirkt. Die Unterscheidung von völkerrechtlichen Bestimmungen in schlicht anwendbare, unmittelbar anwendbare und individualisierende Bestimmungen tritt somit in den Vordergrund [A.I.5.; A.III.]. Während schlicht anwendbare, also rein zwischenstaatliche völkerrechtliche Bestimmungen den Staaten nach wie vor Umsetzungsfreiheit bei der Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtung überlassen, ist dies bei unmittelbar anwendbaren Bestimmungen nicht der Fall. Dies hat eine NeuBewertung von altbekannten Faktoren zur Folge. So wird auf Grund der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises die unmittelbare Anwendbarkeit ausschließlich auf Basis von internationalem und nicht auf der Grund-
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lage von nationalem Recht ergründet. Dementsprechend sind unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Bestimmungen von großer Relevanz. Ist nämlich eine Bestimmung des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises unmittelbar anwendbar, muss sie von nationalen rechtsanwendenden Organen direkt angewendet werden. Deshalb wird die theoretische Natur der unmittelbaren Anwendbarkeit in Übereinstimmung mit der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises genauer analysiert [A.III.]. Auf Grund der Dynamik des Völkerrechts, wie der oftmals nicht ganz klar zum Ausdruck gebrachten unmittelbaren Anwendbarkeit, ist die Interpretation und die etwaige Entstehung dieser Wirkung durch die spätere Praxis von Interesse [A.III.2.b)]. Als ein Spezialfall des Völkerrechts und zugleich auch des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht, der immer häufiger auftritt, wird auch auf die Individualisierung des Völkerrechts, also die direkte Interaktion von Völkerrecht und Individuen ohne staatlicher Mediatisierung, im Sinn des Rechtserzeugerkreises näher eingegangen [A.III.3.]. Insgesamt zielt die theoretische Analyse des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht darauf ab, durch die Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises den komplexen und diversen Strukturen des Völkerrechts Rechnung zu zollen. Dies geschieht dadurch, indem das Völkerrecht nicht – wie bei herkömmlichen Erklärungskonstrukten üblich – in ein zu enges Korsett einer bestimmten, vordefinierten rechtlichen Wirkung gedrängt wird [A.II.2.i)]. Vielmehr genießt der größere internationale Rechtserzeugerkreis zwar Vorrang gegenüber dem kleineren nationalen Rechtserzeugerkreis; wie sich dieser Vorrang ausgestaltet, hängt aber jeweils von den einzelnen Bestimmungen des Völkerrechts selbst ab. Dies führt dazu, dass auf die jeweilige Willensübereinkunft im größeren Rechtserzeugerkreis abgestellt werden muss, anstatt pauschal allen Regelungen des Völkerrechts eine bzw. keine bestimmte Wirkung wie auch rechtliche Konsequenz im nationalen Recht zuzuschreiben. D.h., die Theorie des Rechtserzeugerkreises wartet nicht mit einer bestimmten, unveränderbaren Rechtsfolge auf. Prinzipiell kann zwar der kleinere, nationale Rechtserzeugerkreis keine Willensübereinkunft schaffen, die mit einer Willensübereinkunft des größeren Rechtserzeugerkreises konfligiert. Dem größeren Rechtserzeugerkreis steht es jedoch frei anderes zu bestimmen. So kann kein kleinerer Rechtserzeugerkreis Bestimmungen schaffen, die mit zwingendem Völkerrecht (ius cogens) konfligieren. Der Existenz von ius cogens ist es aber geschuldet, dass bei anderweitigem Völkerrecht die wiederlegbare Vermutung besteht, dass der kleinere, staatliche Rechtserzeugerkreis zwar eine konfligierende Bestimmung schaffen kann, aber dies nicht darf [A.II.2.c)bb)]. Der Fokus liegt auf der Entstehung von völkerrechtlichen Bestimmungen, weil keine Korrektur bzw. Änderung durch eine nationale Rezeption im Nachhinein erfolgen darf. Dies forciert eine (noch) größere Bedachtnahme auf die Entste-
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hung bzw. Ausgestaltung der internationalen Bestimmungen und deren Wirkung. Indem das Augenmerk darauf gelegt wird, ob die jeweilige Bestimmung unmittelbar anwendbar, schlicht anwendbar oder eben individualisierend wirken soll, wird man dieser Anforderung gerecht. Die theoretischen Ausführungen sowie die Auswirkungen der Theorie des Rechtserzeugerkreises werden sodann im Teil B. anhand des Beispiels der österreichischen Rechtsordnung aufgezeigt. Zu Beginn des zweiten Teils wird nochmals Kritik hervorgestrichen, das Verhältnis von Völkerrecht zu Staatsrecht nur im Sinne von Rechtsordnung(en) zu deuten. Im Rahmen der Rezeptionslehre führt diese Deutungsweise nämlich zu der einengenden Schlussfolgerung, dass das Völkerrecht in die Lehre vom Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung „integriert“ werden muss. Die Lehre vom Stufenbau basiert wie das Konzept der Rechtsordnung an sich auf einem geschlossenen System. Eben dies lässt die Rezeption von internationalen Bestimmungen im nationalen Recht als unausweichlich erscheinen [B.II.]. Aus diesem Grund werden die Bestimmungen des österreichischen B-VG mit Bezug zum Völkerrecht von der herrschenden Lehre als Rezeptionsbestimmungen gedeutet. Eine maßgebende Auswirkung der unter A. aufgestellten Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises ist die Konfrontation mit dieser Rezeptionslehre. Österreichische B-VG Bestimmungen, die auf internationale Rechtsquellen neutral gesagt „Bezug nehmen“, werden unter Berücksichtigung der Theorie des größeren Rechtserzeugerkreises als Ermächtigungsnormen zum Abschluss von internationalem Recht angesehen. Die Geltung des internationalen Rechts fußt dem Rechtserzeugerkreis zu Folge nicht auf innerstaatlichen Bestimmungen, welche auch in einem innerstaatlichen Verfahren ab- bzw. umgeändert werden können. Die Geltung und Wirkung von internationalem Recht in nationalem Recht ist demzufolge in dem Rechtserzeugerkreis begründet, von welchem sie geschaffen wurde: Dem jeweiligen Rechtserzeugerkreis des Völkerrechts. Auf Grund der Tatsache, dass die Theorie des Rechtserzeugerkreises den Fokus auf die jeweiligen internationalen Bestimmungen und deren Ausgestaltung legt, wenn es darum geht, die Wirkung des Völkerrechts auf Staatsrecht zu ergründen, orientierte sich die Gliederung des zweiten Teils B. an den Rechtsquellen des Völkerrechts. Dementsprechend wird die Auswirkung der Theorie des (größeren) Rechtserzeugerkreises auf alle derzeit anerkannten Völkerrechtsquellen bezogen, um grundlegende und nicht quellenspezifische Fragen adressieren zu können. Damit soll die Gemeingültigkeit der Theorie aufgezeigt werden. Zwingendes Völkerrecht, das bisher in Verbindung mit dem österreichischen B-VG keiner dem Verfasser bekannten Untersuchung zu Grunde lag, enthält bereits die ausdrückliche Nichtigkeitsfolge gegenüber konfligie-
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rendem Recht [B.III.1.]. Ius cogens verleiht einer allgemeinen Norm des Völkerrechts den speziellen, zwingenden Charakter. Es kommt darauf an, ob die jeweils zu Grunde liegende Bestimmung unmittelbar anwendbar, individualisierend oder schlicht anwendbar ist. Basiert eine ius cogens-Bestimmung auf einer unmittelbar anwendbaren allgemeinen Norm des Völkerrechts, so wirkt diese Bestimmung mitsamt der Folge der Nichtigkeit auch innerhalb des nationalen österreichischen Rechtserzeugerkreises ohne weitere Einschränkungen. Bis dato beschränken sich zwingende Bestimmungen des Völkerrechts aber auf einige wenige Normen, was auch die Auswirkung der starken Rechtsfolge der Nichtigkeit auf das Gesamtsystem wiederum relativiert. In weiterer Folge wurde die Theorie des Rechtserzeugerkreises und die durch sie geforderte Deutung der nationalen Verfassungsbestimmungen als Ermächtigungsnormen zum Abschluss völkerrechtlicher Bestimmungen anhand der Völkerrechtsquelle des Vertrages illustriert [B.III.2.]. Die Kritik an der Eingliederung völkerrechtlicher Bestimmungen in die nationale Stufenbauordnung wird fortgesetzt, indem aufgezeigt wird, dass eine Derogation eines völkerrechtlichen Vertrages durch eine „ranggleiche“ spätere nationale Bestimmung unter Anwendung der lex posterior-Maxime nach der hier vertretenen Auffassung nicht haltbar ist. Dies beruht darauf, dass beide Bestimmungen von unterschiedlichen Rechtserzeugerkreisen stammen. Eine Abänderung von völkerrechtlichen Verträgen darf dementsprechend nur auf internationaler Ebene erfolgen, da die Wirkung eines unmittelbar anwendbaren Vertrages innerhalb des nationalen Rechts ausschließlich auf der Willensübereinkunft des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises beruht. Dementsprechend ist es auch nicht haltbar, eine international klar als unmittelbar anwendbar gefasste Bestimmung im nationalen Recht auf Grund des Art. 18 B-VG (Legalitätsprinzip) als aus nationaler Sicht nicht unmittelbar anwendbar zu deklarieren. Ein Ausschluss der unmittelbaren Wirkung kann durch den kleineren Rechtserzeugerkreis – d.h. Österreich – nur mittels des Instituts des Erfüllungsvorbehaltes bewirkt werden, welches bereits beim Abschluss der Willensübereinkunft auf internationaler Ebene angebracht werden muss [B.III.2.b)ee)]. Die Analyse der völkerrechtlichen Rechtsquellen des Gewohnheitsrechts, der allgemeinen Rechtsgrundsätze wie der einseitigen Rechtsgeschäfte, deren Anknüpfungspunkt im nationalen Recht Art. 9 Abs. 1 B-VG darstellt, lassen sich nahtlos in die Reihe der vorangehenden Rechtsquellen einreihen [B.III.3., 4. und 5.]. Art. 9 Abs. 1 B-VG wird ebenfalls als Ermächtigungsnorm zum Abschluss dieser völkerrechtlichen Normen gedeutet. Eine „Integration“ in den rechtlichen Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung wird auch hier zurückgewiesen, was eine neuartige Betrachtung der Wirkung dieser Rechtsquellen im österreichischen Recht zur Folge hat. Bis
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dato herrscht große Unsicherheit bezüglich der Integration, da unterschiedlichste Theorien über den Rang dieser Rechtsquellen im System des österreichischen Rechts kursieren. Keine dieser Theorien kann allerdings mit einer rechtstheoretisch überzeugenden Argumentationslinie aufwarten. Ausgehend von der Theorie des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises werden diese Völkerrechtsquellen als das belassen, was sie sind: Bestimmungen des größeren internationalen Rechtserzeugerkreises. In weiterer Folge ist für ihre Wirkung im nationalen Recht wiederum die Unterscheidung in schlicht anwendbare, unmittelbar anwendbare und individualisierende Bestimmungen ausschlaggebend. Sowohl allgemeine Rechtsgrundsätze i. V. m. anderen Bestimmungen als auch Völkergewohnheitsrecht und einseitige Rechtsgeschäfte können unmittelbar anwendbar sein. Auch hier gilt wiederum, dass diese Normen im Fall der unmittelbaren Anwendbarkeit von den österreichischen rechtsanwendenden Organen auch bei widersprechenden nationalen Bestimmungen vorrangig zu beachten sind. Allgemein muss der Entstehung dieser Völkerrechtsquellen allerdings ein großes Maß an Unsicherheit attestiert werden. Entsprechend der Theorie des Rechtserzeugerkreises gilt es diese Unsicherheiten auf der Ebene des internationalen Rechts auszuräumen und zu adressieren. Vorstellbar wäre bspw. eine schriftliche Fixierung des Entstehungsprozesses dieser Rechtsquellen, d.h. die Einigung des größeren Rechtserzeugerkreises auf festgeschriebene, formelle Rechtsquellen. Art. 38 Abs. 1 IGH Statut wird hier schlicht als Definition des fertigen Produkts angesehen. Als letzte Völkerrechtsquelle werden Rechtsakte von internationalen Organisationen adressiert [B.III.5.]. Während die herrschende Lehre Rechtsakte internationaler Organisationen in den Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung rezipiert, werden nach der hier vertretenen Theorie gem. Art. 9 Abs. 2 B-VG übertragene Rechtssetzungsbefugnissen von internationalen Organisationen nicht im Sinne der Rezeptionslehre in den nationalen Stufenbau integriert, sondern auf der Ebene des internationalen Rechtserzeugerkreises belassen. In Anlehnung an die vorangehende Analyse der anderen Völkerrechtsquellen werden auch Rechtsakte von internationalen Organisationen als Rechtsakte eines größeren internationalen Rechtserzeugerkreises angesehen. Dabei wird die Eingliederung derselbigen in den österreichischen Stufenbau von der in dieser Arbeit entwickelten Theorie abgelehnt. Agieren die internationalen Organisationen innerhalb der ihnen übertragenen Kompetenzen, müssen dementsprechend etwaige unmittelbar anwendbare Rechtsakte auch von österreichischen rechtsanwendenden Organen gebührend berücksichtigt werden.
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Sachwortverzeichnis Adoption 19, 39–41, 164, 167, 202, 256 Adoptionsprinzip siehe Adoption Allgemeine Rechtsgrundsätze – allgemeine nationale Grundlagen 228 – allgemeine völkerrechtliche Grundlagen 216 – Definition 219 – Entstehung 219 – unmittelbare Anwendbarkeit 226 – Wirkung 226 – Zuständigkeit nach dem B-VG 229 Analogietheorie 204, 256 Begrenzung der Ermächtigung, zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge 157, 167, 171 dédoublement fonctionnel 121, 125, 201, 229 Delegationszusammenhang 23–26, 85–86, 93–94, 106, 152 Der Normkonflikt 74, 76, 79 Der Rechtsbegriff 46–48, 52, 56, 58, 60–61, 63, 65, 67–68, 70, 86, 108, 182, 188, 190, 216, 236 Dualismus 20, 22, 24, 28–29, 31–32, 37–38, 105–106 – gemäßigter Dualismus 22, 28, 38 Durchgriffswirkung auf Individuen siehe individualisierende Norm dynamische Rezeption von Völkergewohnheitsrecht siehe Rezeption EGMR 124, 150 einseitige Rechtsgeschäfte – allgemeine nationale Grundlagen 239
– allgemeine völkerrechtliche Grundlagen 232 – Definition 232, 234 – Entstehung 236 – formelle Völkerrechtsquelle 233 – Kritik an der Lehre der selbständigen Rechtssatzform im österreichischen Recht 242 – Wirkung 238 – Zuständigkeit nach dem B-VG 240 Ermächtigung – Monismus 23, 25 Ermächtigungsnorm – Begrenzung bei der Begründung von Völkerrecht 138 – Begrenzung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge 110, 117–119 – Begrenzung der Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen mit Rechtssetzungsfähigkeit 258 – Übertreten beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge 109, 171 – zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge 104, 157–158, 167, 170–171 – zur Begründung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen 229, 231 – zur Begründung von einseitigen Rechtsgeschäften 241, 244 – zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht 191, 206, 208–209, 212–213, 229 – zur Begründung von Völkerrecht 138–139, 203, 257 – zur Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen mit Rechtssetzungsfähigkeit 253, 255, 257 EuGH 100, 124
292
Sachwortverzeichnis
Europäische Union 20, 99, 102, 109, 259 ICTY 150 Identität der völkerrechtlichen und staatlichen Rechtssatzform 40 – das einseitige Rechtsgeschäft 243 – der völkerrechtliche Vertrag 163, 165–167, 171, 203 Identität einer Rechtsordnung 88, 101 IGH 31, 123–124, 147, 150–151, 180, 184, 186, 216, 219, 221–222, 226, 232 ILC 234–235, 237 individualisierende Norm 45, 107, 131, 147, 167, 175, 202–203 – Allgemeine Rechtsgrundsätze 227, 229 – Definition 45 – Einseitige Rechtsgeschäfte 238–239, 244 – ius cogens 148, 150–151, 153 – Rechtsakte internationaler Organisationen 252, 254, 259 – Völkergewohnheitsrecht 197–199, 207 – Völkervertragsrecht 159, 167, 171, 175 Individualisierung des Völkerrechts 24, 130–132 – Definition 45 Inkorporation 19, 35–40 internationale Organisation 20, 24, 82, 102, 156, 245, 247–251, 253–254 – Definition 245 – Wesensmerkmale 245 Interpretation – des völkerrechtlichen Vertrages 120–121, 125, 127 – durch nachträgliche Praxis 125 – harmonisierende 31 – völkerrechtsfreundliche 111, 208 – von allgemeinen Rechtsgrundsätzen 231
ius cogens 84, 110–111, 139, 141–143, 154–155, 161, 168, 201, 248, 250 – allgemeine völkerrechtliche Grundlagen 141 – Entstehung 145 – formelle Völkerrechtsquelle 142 – Wirkung 146 Kundmachung – allgemeine Rechtsgrundsätze 229 – einseitige Rechtsgeschäfte 239–240 – Völkergewohnheitsrecht 198–200 – völkerrechtlicher Vertrag 159–160, 164, 172–174 Mezzanintheorie 204 Monismus 20, 22–29, 31–32, 37–38, 105–107 – gemäßigter 23–24, 28 NGO 245 Normenkonflikt siehe Regelkonflikt OGH 153 Paradoxon – ius cogens 142–143 – Rezeption von Völkergewohnheitsrecht 209–212 – Völkergewohnheitsrecht 184–188 Pluralität 102, 107 Prinzipienkollision 223–224 Recht und Moral 66–67, 142, 147 Recht und Wirksamkeit 57, 65, 96 Recht und Zwang 61–65, 86 Rechtsakte internationaler Organisationen 245 – allgemeine nationale Grundlagen 253 – allgemeine völkerrechtliche Grundlagen 245 – Entstehung 250
Sachwortverzeichnis – formelle Völkerrechtsquelle 246 – Kritik an der Lehre der Rezeption 256 – Wirkung 252 – Zuständigkeit nach dem B-VG 255 Rechtserzeugerkreis – Definition 30, 72–73 – Theorie des größeren 78, 81, 83, 90, 94–95, 99, 107–108, 136, 138, 154, 159, 163, 165–166, 170, 172–174, 206, 209, 211–212, 243, 250, 255, 257 Rechtsordnung – Begriff 19, 86–87, 89, 91, 96, 102 Rechtsquelle – formelle 69–71, 74, 110 – materielle 68–71 Rechtsschein 110 Regelkonflikt 26, 94, 107, 152–153, 223–224 Relativität der Größe des Rechtserzeugerkreises 108, 117, 152 – materielle 109 – psychologische 108 Relativität des größeren Rechtserzeugerkreises 85 Rezeption 19, 24–25, 29, 34–42, 133, 136, 139, 154, 167, 170, 174, 202–203, 206 – dynamische Rezeption von Völkergewohnheitsrecht 205–206, 210, 212–214 – Rezeption Allgemeiner Rechtsgrundsätze 232 – Rezeption von Rechtsakten internationaler Organisationen 254–257 – Rezeption von Völkergewohnheitsrecht 202, 206–209, 211–214 Rezeptionstechnik siehe Rezeption schlichte Anwendbarkeit 43, 107, 111, 113, 137, 176, 202, 238 – Definition 42, 111–112
293
– von allgemeinen Rechtsgrundsätzen 226, 229 – von einseitigen Rechtsgeschäften 238–239 – von ius cogens-Normen 147–148, 153 – von Rechtsakten internationaler Organisationen 252–254, 259 – von Völkergewohnheitsrecht 197–198, 206 – von Völkervertragsrecht 159, 165, 171, 175–177 sekündliche Rezeption von Völkergewohnheitsrecht siehe Rezeption dynamische Rezeption von Völkergewohnheitsrecht self-executing treaties 43, 114 Staat 89–92 StIGH 226 Stufenbau der Rechtsordnung 92, 95–96, 98, 133, 136, 205 – nach der derogatorischen Kraft 94 – nach der rechtlichen Bedingtheit 93–94 Transformation 19, 38–40, 164, 167 – generelle 39–41, 164 – spezielle 39, 256 UN – Charta 157 – Folterkonvention 150 – Generalversammlung 193, 222, 225, 227 – Generalversammlungsresolution 230–231 – Mitgliedstaat 20, 227 – Ordnung 102 – Sicherheitsrat 20, 101 unmittelbare Anwendbarkeit 24, 30, 43–44, 79, 107, 112–114, 119, 125, 138, 149, 160, 176, 202 – Definition 43–45, 112 – kraft Konsens 112, 114, 116–118
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Sachwortverzeichnis
– kraft späterer (Spruch-)Praxis 122–128, 176 – unmittelbare Anwendbarkeit i. e. S. 43, 112 – von allgemeinen Rechtsgrundsätzen 128–129, 227, 229 – von einseitigen Rechtsgeschäften 128, 130, 238–239, 244, 252 – von ius cogens-Normen 147–151, 153 – von Rechtsakten internationaler Organisationen 128, 130, 252, 254, 259 – von Völkergewohnheitsrecht 128, 197–199, 202, 207 – von Völkervertragsrecht 114, 159, 165, 167, 171, 174–177 Vertragsänderung 126–127 – durch nachträgliche Praxis 122, 127 VfGH 118, 153–154, 177–180, 199, 243–244 Völkergewohnheitsrecht – acquiescence 190–192 – allgemeine nationale Grundlagen 197 – allgemeine völkerrechtliche Grundlagen 180 – deduktiver Ansatz 193–196 – Definition 180 – Entstehung 184 – induktiver Ansatz 193, 195–196 – Konsenstheorie 189 – Kritik an der Lehre der Rezeption 202 – opinio iuris 129, 180–181, 183–185, 193, 195–196, 222, 225, 227, 230–231
– persistent objector 102, 144–145, 189, 209, 214 – Staatenpraxis 121, 129–130, 180–181, 183–184, 189–191, 193–197, 201, 215, 222 – tacit agreement 189, 193 – Wirkung 197 – Zuständigkeit nach dem B-VG 201 völkergewohnheitsrechtliches Paradoxon siehe Paradoxon Völkerrechtssubjektivität – aktive 103–105, 156, 158, 183 – partielle 105, 131, 156, 158, 162 – passive 105, 131 – von Bundesstaaten 104, 162 – von Individuen 103–105, 131, 156, 158, 183 – von internationalen Organisationen 24, 156, 245, 247–248 – von Staaten 132, 156 Völkervertragsrecht – Abschluss 157 – allgemeine nationale Grundlagen 160 – allgemeine völkerrechtliche Grundlagen 155 – Definition 155 – Erfüllungsvorbehalt 119, 160, 165, 167, 173–177, 259 – Vorbehalt 119, 160, 170, 174, 235, 241, 259 – Wirkung 159 – Zuständigkeit nach dem B-VG 161 zwingendes Völkerrecht siehe ius cogens