Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 1: 1945/46. Mit einer Einleitung von Wolf-Dieter Hauschild (Arbeiten zur ... Reihe A: Quellen) (German Edition) 3525557566, 9783525557563


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Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 1: 1945/46. Mit einer Einleitung von Wolf-Dieter Hauschild (Arbeiten zur ... Reihe A: Quellen) (German Edition)
 3525557566, 9783525557563

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ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE REIHE A: QUELLEN • BAND 5

V&R

ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Joachim Mehlhausen und Leonore Siegele-Wenschkewitz

REIHE A: QUELLEN

Band 5

Carsten Nicolaisen und Nora Andrea Schulze (Bearb.)

Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

G Ö T T I N G E N • V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T • 1995

Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Band 1: 1945/46

Im Auftrag der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und des Ev. Zentralarchivs in Berlin bearbeitet von C A R S T E N N I C O L A I S E N und N O R A A N D R E A S C H U L Z E mit einer Einleitung von WOLF-DIETER HAUSCHILD

GÖTTINGEN • YANDENHOECK & RUPRECHT • 1995

Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen und Nora Andrea Schulze

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Evangelische Kirche in Deutschland/Rat: Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland / im Auftr. der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und des Ev. Zentralarchivs in Berlin bearb. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht. Bd. 1. 1945/46.- 1995 (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe A, Quellen; Bd. 5) ISBN 3-525-55756-6 NE: Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte / A

© 1995 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

INHALTSVERZEICHNIS Geleitwort

VII

Einleitung I.

Wolf-Dieter Hauschild: Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland als Vertretung des deutschen Protestantismus in der Nachkriegszeit

IX

II. Carsten Nicolaisen/Nora Andrea Schulze: Editorische Vorbemerkungen

XLIV

Dokumente 1. Sitzung: Treysa, 31. August 1945 2. Sitzung: Stuttgart, 18. und 19. Oktober 1945

1 23

3. Sitzung: Frankfurt/Main, 13. und 14. Dezember 1945

112

4. Sitzung: Frankfurt/Main, 30. und 31. Januar 1946

320

5. Sitzung: Frankfurt/Main, 21. und 22. März 1946

387

6. Sitzung: Treysa, 1. und 2. Mai 1946

454

7. Sitzung: Speyer, 21. und 22. Juni 1946

575

8. Sitzung: Frankfurt/Main, 10. und 11. Oktober 1946

636

9. Sitzung: Frankfurt/Main, 26. und 27. November 1946

719

Chronologisches Dokumentenverzeichnis

801

Quellen- und Literaturverzeichnis

845

Abkürzungen

866

Personenregister/Biographische Angaben

871

Institutionen-, Orts- und Sachregister

947

GELEITWORT Am 16. September 1988 beschloß der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und dem Ev. Zentralarchiv in Berlin den Auftrag zu erteilen, die Protokolle der Sitzungen des Rates der EKD von 1945 bis 1955 samt den dazugehörigen Dokumenten durch eine wissenschaftliche Edition der Forschung zugänglich zu machen. Damit gab der Rat den Anstoß für ein umfangreiches Forschungsprojekt, dessen erster Band jetzt - 50 Jahre nach Gründung der EKD - vorgelegt werden kann. Der Rat der EKD wurde wenige Monate nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im August 1945 von der Kirchenversammlung in Treysa berufen. Diesem zunächst einzigen Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in Deutschland, die sich rechtsgültig erst drei Jahre später mit der Verabschiedung einer Grundordnung konstituierte, kam damit in der ersten Aufbauphase nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" eine besondere Verantwortung zu. Der Rat hatte sich den vielfältigen Herausforderungen im kirchlichen, diakonischen, aber auch gesellschaftspolitischen Bereich zu stellen. Es gehörte zu seinen Aufgaben, die Landeskirchen in ihren gemeinsamen Anliegen zu vertreten, sie bei der Wiederherstellung bekenntnismäßiger Ordnungen zu unterstützen und ebenso die endgültige Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vorzubereiten. Große organisatorische Anstrengungen waren ferner nötig, um mit ausländischer Hilfe die caritative Kraft der Kirche zur Linderung der allgegenwärtigen materiellen Not einzusetzen. Dies alles mußte in einer Situation geschehen, in der die theologischen Kontroversen und persönlichen Differenzen aus dem unmittelbar zurückliegenden Kirchenkampf weiterwirkten. Sie bestimmten die Auseinandersetzungen, wie das Erbe des Kirchenkampfes angemessen in die kirchliche Neuordnung einzubringen sei. Der Rat der EKD wurde in dem von den Besatzungsmächten okkupierten Land und in der außerdeutschen Öffentlichkeit rasch als Vertretung des deutschen Protestantismus akzeptiert. Es gelang ihm, nach den Verbrechen der nationalsozialistischen Zeit das Vertrauen der ökumenischen Kirchenführer wiederzugewinnen und die deutschen Kirchen neu in die Weltchristenheit einzubinden. Darüber hinaus sah er sich verpflichtet, gegenüber den Alliierten seine Stimme zu erheben, nicht nur, wenn es um kirchliche Anliegen ging, sondern auch, wenn es schien, daß das deutsche Volk in seinen existentiellen Interessen bedroht sei. Es ist Ziel dieser Edition, die weitgefächerten Aktivitäten des Rates der EKD so umfassend wie möglich zu dokumentieren. Darum werden die in den Protokollen in der Regel nur in Stichworten angesprochenen Vorgänge ausführlich kommen-

VIII

Geleitwort

tiert und durch begleitende Dokumente ergänzt. Die Herausgabe des ersten Bandes wäre nicht möglich gewesen ohne die finanzielle Hilfe der Stiftung Volkswagenwerk. Sie hat in den Jahren 1990 bis 1993 Personal- und Sachmittel zur Verfügung gestellt, um die Finanzierung dieses Bandes weitgehend abzudecken. Dafür sei ihr an dieser Stelle herzlich gedankt. Die Vorarbeiten für den zweiten Band, der die Jahre 1947 und 1948 umfaßt, sind angelaufen; im Interesse der Forschung ist zu wünschen, daß die Weiterführung des Editionsprojekts finanziert werden kann. Tübingen und Berlin, Ende Januar 1995 Für die Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte

Für das Ev. Zentralarchiv in Berlin

Joachim Mehlhausen

Hartmut Sander

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland als Vertretung des deutschen Protestantismus in der Nachkriegszeit von Wolf-Dieter Hauschild Die evangelische Christenheit hat zumeist die strukturellen und organisatorischen Aspekte der Institution Kirche vernachlässigt. Sie war in Landeskirchen verfaßt, die mit ihrer geschichtlichen Prägung und kulturellen Verwurzelung weithin den normalen Bezugsrahmen des kirchlichen Lebens bildeten. Als die Nationalsozialisten nach ihrer Okkupation des Staates eine Gleichschaltung auch der evangelischen Kirche anstrebten, entwickelte sich ein neuer Sinn für die Bedeutung der kirchlichen Ordnung, verbunden allerdings mit schweren Konflikten um deren Ausgestaltung. Eines der Motive für den engeren Zusammenschluß der Landeskirchen im Jahre 1933 zur Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) - mit der Tendenz zu einer zentralistischen Reichskirche - war das Interesse, gegenüber dem neuen zentralistischen Staat die evangelischen Belange wirkungsvoller als bisher zu vertreteni. Dieses Ziel konnte nicht erreicht werden, weil die nationalsozialistische Führung die evangelische Kirche nicht als Partnerin ansah, zumal diese sich im "Kirchenkampf" im Laufe der Jahre mit immer stärkeren Differenzierungen in mehrere Gruppierungen spaltete. In der völlig veränderten Lage nach dem staatlichen Zusammenbruch Deutschlands 1945 galt es nun um so mehr, gegenüber den vier Besatzungsmächten und den ausländischen Kirchen der "Ökumene" eine einheitliche Vertretung zu haben. Das war der wichtigste Grund zur Neukonstituierung der DEK als "Evangelische Kirche in Deutschland" (EKD) im August 1945. Dieses eigenartige Gebilde bestand institutionell zunächst nur aus dem Rat der EKD, einem spannungsreichen Koordinationsgremium mit unklaren Vollmachten für eine effektive Gesamtleitung, und aus dessen Amtsstellen, der Kirchenkanzlei und dem Kirchlichen Außenamt. Doch schon in den ersten Jahren seiner Tätigkeit bis 1948 erwies sich der Rat als historisch höchst bedeutsam. In seinen Sitzungen sowie im Umfeld derselben wurde ersichtlich, daß hier in starkem Maße die Lebensfragen des deutschen Protestantismus in der spezifischen Situation der Nachkriegszeit zur Erörterung, Klärung oder Entscheidung anstanden. Insbesondere ging es um eine neuartige Wahrnehmung von öffentlicher Verantwortung in einer Zeit, als die Kirche

1

Zur Vorgeschichte der EKD seit 1846/48 (Kirchentage, Eisenacher Konferenz), seit 1903 (Deutscher Evangelischer Kirchenausschuß) und seit 1922 (Deutscher Evangelischer Kirchenhund) vgl. W.-D. HAUSCHILD, Kirche.

X

Einleitung

in einmaliger Weise zur Sprecherin des deutschen Volkes werden konnte und mußte. Die EKD wuchs damit rasch in eine Rolle hinein, deren Bedeutung die der Deutschen Evangelischen Kirche zwischen 1933 und 1945 und auch die des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes zwischen 1922 und 1933 bei weitem überstieg. Insofern ist hier die scheinbar trockene Organisationsgeschichte ein Stück gefüllter, spannender Kirchengeschichte. 1. Die Situation nach dem Zusammenbruch der Deutschen Evangelischen Kirche Im Unterschied zur staatlichen Ordnung blieb die kirchliche Verfassungsstruktur 1945 grundsätzlich bestehen. Dies galt zunächst im Blick auf die Landeskirchen. Es kam nicht zu einem völligen Neubau, sondern zu einem Umbau: Die im 19. Jahrhundert und nach 1918 fixierten Fundamente blieben stehen, die nach 1933 in Anlehnung an das nationalsozialistische Führerprinzip eingeführten Veränderungen entfielen, und einige Elemente bekenntniskirchlicher Organe kamen hinzu. Auf gesamtkirchlicher Ebene galt diese modifizierte Kontinuität allerdings nur eingeschränkt, denn hier stellten sich viel größere Probleme: Anders als die landeskirchlichen Verfassungen konnte der reichskirchliche Verfassungsrahmen von 1933 aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht mehr akzeptiert werden; außerdem waren die Verfassungsorgane von 1933 weitgehend funktionsunfähig geworden, was praktisch zu einem völligen Rechtschaos geführt hatte. Die Probleme verschärften sich zusätzlich durch die Auflösung der größten Landeskirche, der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union (APU), die 1945/46 ihre östlichen Provinzen und 1947 mit der Aufhebung des Landes Preußen ihr staatliches Gegenüber verlor. Die keineswegs eindeutig zu beantwortende, 1945 umstrittene Frage, ob die DEK fortbestehe oder aufgelöst sei, läßt sich in die beiden Teilfragen der Rechtslage (Gültigkeit der DEK-Verfassung) und der Organisationsstruktur (Auflösung der DEK-Organe, Ersatz durch andere Institutionen) zerlegen. Damit stand die ungeklärte Situation, die der "Kirchenkampf" seit 1934 geschaffen hatte1, erneut zur Diskussion an. Sie sei hier kurz skizziert. Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933, die in rechtlicher Anknüpfung an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund von 1922 durch einen Pakt der Landeskirchen als Trägern der kirchlichen Autonomie zustandegekommen und durch Staatsgesetz anerkannt worden war, war von keiner Seite außer Kraft gesetzt worden. Auch die Etablierung der Bekennenden Kirche als der rechtmäßigen DEK basierte grundsätzlich auf der Verfassung, wie sich z.B. in der Organstruktur der Bekennenden Kirche bis 1936 zeigte ("Bekenntnissynode der DEK", "Vorläufige Leitung der DEK", "Bruderrat der

2

Zur Geschichte des Kirchenkampfes vgl. vor allem K. MEIER, Kirchenkampf (Bd. 1-3).

Einleitung

XI

DEK" bzw. "Reichsbruderrat"). Seit der Spaltung der Bekennenden Kirche 1936 verstanden sich die 2. Vorläufige Kirchenleitung und der Reichsbruderrat ausdrücklich weiterhin als auf die gesamte DEK bezogen, während der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, der sog. "Lutherrat", lediglich die lutherischen Kirchen innerhalb der DEK vertreten sollte3. Auf der anderen Seite legitimierte sich ReichsbischofLudwig Müller - samt der an sein Amt gebundenen, aber von ihm seit 1935 abgetrennten Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei • aus der Verfassung, wenngleich das Geistliche Ministerium als das neben ihm stehende Leitungsorgan seit 1934 nicht mehr verfassungsgemäß bestand. Die 1935 erfolgte Einsetzung des Reichskirchenausschusses durch den von Hitler berufenen Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, Hanns Kerrl, war dann de facto ein • freilich verfassungswidriger - Ersatz für Reichsbischof und Geistliches Ministerium, da der Reichskirchenausschuß die DEK leiten und vertreten sollte. Nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses 1937 übernahm der Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei Friedrich Werner - verfassungswidrig durch Bevollmächtigung seitens des Reichskirchenministers eingesetzt - "die Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche"4, ein Rechtsakt, der bis 1945 in Geltung blieb. Somit gab es seit 1937 zwei bzw. drei auf die Verfassung der DEK bezogene, konkurrierende Leitungen: einerseits die Kirchenkanzlei, andererseits die Bekennende Kirche mit der 2. Vorläufigen Kirchenleitung und dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Andere Gremien mit gesamtkirchlichem Leitungsanspruch ließen sich dagegen nicht durch einen unmittelbaren Bezug auf die Verfassung der DEK legitimieren. Das galt z.B. für die (Landes-) Kirchenführerkonferenz unter dem hannoverschen Landesbischof August Marahrens, der sich als "der dienstälteste Landesbischof der DEK"/«r bevollmächtigt hielt; sie berief sich für ihren Anspruch auf Leitung der DEK zwar auf Artikel 1 der Verfassung, war aber faktisch nur durch deren Artikel 6, 2 als ein vom Reichsbischof einzuberufendes Gremium zu legitimieren. Die Arbeit der Kirchenführerkonferenz setzte eigentlich voraus, daß die Rechtshoheit der DEK wieder an die Landeskirchen zurückgefallen wäre; zum anderen vertrat die Kirchenführerkonferenz die in der DEK zusammengeschlossenen Landeskirchen nicht vollständig, da die deutschchristlich regierten Kirchen in ihr nicht mitarbeiteten. Im übrigen betrachtete sich der Reichsbischofauch weiterhin als den rechtmäßigen Amtsinhaber und ließ sich das noch 1941 von der Reichskanzlei bestätigen; fak3 4

Vgl. dazu P. FLEISCH, Werden; W.-D. HAUSCHILD, Selbstbewußtseia Vgl. § 1 der 17. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937: "Die Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche liegt bei dem Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei. Dieser ist befugt, nach Anhörung der Kirchenregierungen der Landeskirchen Verordnungen in äußeren Angelegenheiten zu erlassen. Die Fragen von Bekenntnis und Kultus sind von dieser Befugnis ausgeschlossen" (GB1DEK 1937, S. 70). Vgl. dazu H. BRUNOTTE, Kurs, S. lOf.

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Einleitung

tisch übte er allerdings seit 1935 bis zu seinem Tode am 31. Juli 1945 die Leitung der DEK in keiner Hinsiebt mehr aus5. Dem Leiter der Kirchenkanzlei wurde von 1939 bis 1945 auf Initiative des Reichskirchenministeriums ein Geistlicher Vertrauensrat zugeordnet, der für die geistliche Leitung der DEK zuständig sein sollte, aber nur eine umstrittene Wirksamkeit entfaltete und nicht als ein verfassungsmäßiges Leitungsorgan gelten konnte. Kein Leitungsgremium im organisatorischen Sinne war schließlich auch das seit 1941/42 vom württembergischen Landesbischof Theophil Wurm betriebene Kirchliche Einigungswerk; es sollte auf der Basis der 1943 endgültig formulierten 13 Sätze "Auftrag und Dienst der Kirche" repräsentative Führer der zersplitterten Gruppen der Bekennenden Kirche und der sog. Neutralen zusammenbringen, um so eine Annäherung der Gruppen und damit eine Neuordnung der DEK vorzubereiten7. Die Verfassungswirklichkeit auf gesamtkirchlicher Ebene war im Frühsommer 1945 also von einer weitreichenden Rechtsunklarheit bestimmt. Die Kirchenkanzlei hatte zwar ihre Legitimationsbasis für die Leitung der DEK mit dem Verschwinden des staatlichen Auftraggebers verloren, doch sie hatte seit 1937, vor allem durch die Vertretung kirchlicher Anliegen gegenüber staatlichen Stellen und durch zahlreiche Verordnungen, nicht unerhebliche praktische Bedeutung gewonnen und konnte diese als Verwaltungsstelle auch erhalten, z.B. durch die Verfügung über die DEK-Haushaltsmittel, die bis zuletzt durch Umlage aus den Landeskirchen eingingen8. Obwohl sie keine Leitungsbefugnisse mehr innehatte, bestand bei dieser Verwaltungsstelle eine pragmatische Möglichkeit, an die im Hinblick auf eine Neuordnung der Gesamtkirche angeknüpft werden konnte. Derartige Anknüpfungspunkte fehlten bei den anderen Leitungsorganen der DEK: Der Reichsbischof war verstorben, das Geistliche Ministerium seit 1935 nicht mehr besetzt, die A mtszeit der Nationalsynode abgelaufen. Überdies war der Geistliche Vertrauensrat 1945 stillschweigend verschwunden. Somit gab es keine Möglichkeit, unter direktem Rückgriff auf die Verfassungsorgane der DEK eine Neuordnung in Angriff zu nehmen, auch wenn manche die Einberufung einer neuen Nationalsynode erwogen, um von hier aus die Neugestaltung zu legitimieren. Entscheidende Impulse für die Neuordnung waren jedoch, analog zur Rolle der Bruderräte in etlichen Landeskirchen, von der Bekennenden Kirche zu erwarten. Obwohl ihre Organe lediglich durch die umstrittene Konstruktion eines kirchlichen Notrechtes - in Verbindung mit Artikel 1 der Verfassung der DEK - legitimiert waren und seit etlichen Jahren kaum noch ordnungsgemäß hatten tagen 5

Vgl. T.M. SCHNEIDER, Reichsbischof Ludwig Müller, S. 218ff., 236ff„ 308ff.

6 7

Vgl. K.-H. MELZER, Vertrauensrat. Vgl. J. THIERFELDER, Einigungswerk.

8

Vgl. dazu H. BRUNOTTE, Kurs, S. 53f.

Einleitung

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können, bestanden sie nominell auch weiterhin: die 2. Vorläufige Kirchenleitung mit ihrer Berliner Geschäftsstelle, der Reichsbruderrat (der zuletzt 1937 getagt hatte) und die mehr und mehr an seine Stelle getretene Konferenz der Landesbruderräte sowie auf der anderen Seite der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche mit seinem Berliner Sekretariat, die beide bis 1944 eingeschränkt funktioniert hatten9. Einem schnellen und zielgerichteten Handeln der Bekennenden Kirche als ganzer standen jedoch organisatorische Schwierigkeiten, konzeptionelle Unterschiede und persönliche Differenzen entgegen. Dagegen bot die Kirchenführerkonferenz einen zwar verfassungsrechtlich problematischen, aber praktisch realistischen Ansatz für die Neuordnung. Ihr Vorsitzender Marahrens amtierte noch, und alle Landeskirchen, einschließlich der noch bis zum Zusammenbruch von den Deutschen Christen beherrschten, hätten selbst in der Umbruchssituation 1945 hinreichend legitimierte Vertreter entsenden können. Demgemäß wollte Marahrens, die Geltung der Verfassung der DEK von 1933 voraussetzend, in seiner Eigenschaft als "der dienstälteste Landesbischof" schon Ende Mai die "Konferenz der im leitenden Amt stehenden Kirchenführer" einberufen, um eine "provisorische Leitung der DEK" zu bilden10. Er erhielt für sein Verfahren im Juni/Juli jedoch nur von vier landeskirchlichen Vertretern Zustimmung. Das lag - außer an dem Mißtrauen gegen seine Person in allen Kreisen der Bekennenden Kirche - vor allem daran, daß Landesbischof Wurm inzwischen ein Konkurrenzunternehmen gestartet hatte, welches viel größeren Erfolg versprach. Wurm knüpfte an sein relativ erfolgreiches Einigungswerk an, setzte aber im Unterschied zu Marahrens die Ungültigkeit der Verfassung der DEK von 1933 voraus. In diesem angeblich rechtsfreien Raum visierte er eine Neuordnung von den Landeskirchen her an, wie sie 1922 mit der Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes geschaffen worden war. Aufgrund des allgemeinen Ansehens, das Wurm in breiten Kreisen besaß, und aufgrund seiner Legitimation als Sprecher des Einigungswerkes sowie als Sprecher der evangelischen Kirche gegenüber Staat und Partei11 beanspruchte er eine besondere Vollmacht, die sich auch 9

Vgl. dazu P. FLEISCH, Zehn Jahre "Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands" (masch. Bericht vom Herbst 1945: LKA HANNOVER D 15 V Nr. 14). Vgl. auch W.-D. HAUSCHILD, Lutherrat 10 Schreiben vom 31. Mai 1945 an die leitenden Amtsträger der Landeskirchen {abgedruckt bei G. BESIER, Selbstreinigung S. 164-166); Marahrens schlug bereits Namen für die provisorische Leitung vor, die durch schriftliche Abstimmung der Landeskirchen legitimiert werden sollten: den •württembergischen Landesbischof Wurm, den reformierten Landessuperintendenten Hollweg, den Vorsitzenden des Lutherrates Meiser, Pfarrer Mitzenheim/Thüringen (oder Pastor Beste/Mecklenburg) sowie "einen jüngeren Bruder aus Westfalen". 11 Diese Funktion war ihm 1941 durch die Kirchenführerkonferenz und die Konferenz der Landesbruderräte zuerkannt worden (vgl. J. THIERFELDER, Einigungswerk, S. 127).

XIV

Einleitung

darin ausdrückte, daß er gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere gegenüber den Besatzungsmächten als Sprecher bzw. Oberhaupt ("head") der Bekennenden Kirche bzw. der ganzen evangelischen Kirche auftrat12. Mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht unternahm Wurm vom 21. bis 30. Juni 1945 eine "Visitationsreise" durch die drei westlichen Besatzungszonen, um sich mit Vertretern der neuen Kirchenleitungen (unter Beteiligung der Bruderräte) über die Neuordnung zu verständigen13. Entscheidend für die weitere Entwicklung wurde ein Treffen mit Friedrich von Bodelschwingh und Vertretern der westfälischen Kirche (Präses Karl Koch u.a.) in Bethel am 27./28.Juni. Dieser Kreis erkannte Wurms Führungsanspruch an und spezifizierte sein Konzept für die Neuordnung der "Evang. Kirche in Deutschland" (dieser Name wurde hier erstmals fixiert!): Anstelle der DEK sollte auf einer Konferenz der Kirchenführer Ende August 1945 ein Kirchenbund durch Zusammenschluß der Landeskirchen konstituiert werden, und zwar mit einer relativ starken "Spitze", die außer den geistlichen Vollmachten für eine Übergangszeit "gewisse rechtliche Vollmachten" erhalten sollte; innerhalb dieses Bundes sollte • bei vorausgesetzter Auflösung der Kirche der APU - der "Zusammenschluß bekenntnisgleicher und bekenntnisverwandter Kirchen" ermöglicht werden14. Bezeichnend war, daß Bodelschwingh Wurm in einem Gottesdienst in Bethel als "Leiter der Deutschen Evangelischen Kirche" vorstellte; im übrigen beanspruchte Wurm selber, wie er gegenüber einigen Landeskirchen äußerte, die Übernahme der vorläufigen Leitung der evangelischen Kirche in Deutschland durch seine Person15. Von Bethel aus informierte er mit Rundschreiben vom 28. Juni die Leitungen der Landeskirchen über seine Aktivitäten zur Neuordnung (auch über die Vorbereitung eines gesamtkirchlichen Hilfswerks) und über die Neubildung von Kirchenleitungen nach den Prinzipien des Einigungswerkes; er kündigte eine "Zusammenkunft der Kirchenführer" für "Ende August womöglich in Mitteldeutschland" anlb. Schon einen Tag später standen für ihn nach einem Gespräch mit Friedrich Happich, dem Leiter der diakonischen Anstalten in Kurhessen, der genaue Ort und Termin fest: 27.-31. August in Treysa}7. Die amerika12 In seinem Wort an die Gemeinden vom 10. Mai verstand sich Wurm "... als Sprecher der ganzen bekennenden Kirche in Deutschland" (Text in: G. SCHÄFER, Landesbischof, S. 479; vgl. auch G. BESIER, Kirche, Bd. 1, S. 95, 252 u.ö.). Aus dieser Funktion leitete er den Anspruch auf die vorläufige Übernahme der Leitung der DEK samt aller Befugnisse ihrer Organe ah. Vgl. dazu auch das Proklama Gerstenmaiers von ca. Anfang 1945 (G. SCHÄFER, Landesbischof, S. 353f.). 13 Vgl. dazu den Bericht Presseis vom 9. Juli 1945 (G. BESIER, Kirche Bd. 1, S. 249-255). 14 Zitate EBD. 15 Vgl. dazu G. BESIER, Kirche, Bd. 1, S. 44 mit Anm. 303. 16 Text EBD., S. 300-302. 17 Bericht Presseis (vgl. S. XIV, Anm. 13), S. 254. Vgl. das Schreiben von Happich und Wurm an Bodelschwingh vom 29. Juni 1945 (in: G. BESIER, Kirche, Bd. 2, S. 25f.).

Einleitung

XV

nische Militärregierung in Frankfurt/Main sagte Wurm jegliche Unterstützung bei der Vorbereitung zu, und das Außenministerium in Washington genehmigte am 21. Juli die Abhaltung der Konferenz, weil es im Interesse der westlichen Besatzungsmächte lag, daß die evangelische Kirche als angeblich vom Nationalsozialismus unbelastete Institution möglichst rasch zu einer organisatorischen Gesamtvertretung kam1*. Damit und mit der weitgehenden Zustimmung der Landeskirchen hatte Wurms Unternehmen einen enormen Startvorteil gegenüber den anderen Ansätzen für eine Neuordnung. Marahrens verzichtete im Juli 1945 auf sein Vorhaben. Um so mehr engagierte er sich nun für den Plan des Lutherrates, den vor allem der bayerische Landesbischof Hans Meiser vorantrieb: den Zusammenschluß der lutherischen Landeskirchen zu einer Lutherischen Kirche Deutschlands19. Dabei war zunächst unklar, ob diese Lutherische Kirche ein Ersatz für die DEK sein oder in eine grundlegend neu geformte DEK integriert werden sollte. Meiser war schon vor Wurms Rundreise im Juni über dessen Pläne informiert worden20. Er teilte dem neuen Leiter der thüringischen Kirche, Moritz Mitzenheim, am 26. Juni mit, er und Wurm seien der Meinung, "daß die DEK erloschen ist und daß wir eine neue Form des Zusammenschlusses unserer Landeskirchen suchen müssen"21. Dem bayerischen Landesbischof lag daran, durch die sofortige Bildung einer "Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands", für die er die bisherigen, schon seit Jahren diskutierten Planungen in einem neuen Verfassungsentwurf zusammenfassen ließ22, der Neuordnung auf gesamtkirchlicher Ebene zuvorzukommen. Parallel zu den bayerischen Überlegungen arbeitete in Hannover Paul Fleisch, der Leiter des Sekretariats des Lutherrats, einen Verfassungsentwurf aus23. Am 11. August lud Meiser die beteiligten Landeskirchenleitungen und Bruderräte zu einer Sitzung des Lutherrats für den 26-/27. August, also unmittelbar vor der allgemeinen Kirchenführerkonferenz, nach Treysa ein. Sein Einladungsschreiben ließ

18 Einzelheiten bei G. BESIER, Kirche, Bd. 1, S. 46-48. 19 Dem Lutherrat gehörten im August 1943 folgende Landeskirchen an: Bayern, Braunschweig, Hamburg, Hannover, Lippe/Lutherische Klasse, Lübeck, Schaumburg-Lippe, Württemberg. Durch ihre BK-Bruderräte bisher vertreten waren Mecklenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. 20 Vgl. T. WURM, Erinnerungen, S. 176. 21 G. BESIER, Kirche, Bd. 1, S. 278. 22 Hermann Sasse legte ihm im Juli 1945 einen ausführlichen "Entwurf einer Verfassung für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland" vor, dazu auch einen kürzeren "Entwurf einer Satzung für den Rat der evangelischen Kirchen in Deutschland" (LKA HANNOVER, D 15 V Nr. 14). Das macht deutlich, daß Meiser von vorneherein eine zweigleisige Planung betrieb, also die Möglichkeit einer Umgestaltung der DEK bedachte, diese allerdings im Sinne eines lockeren Koordinationsgremiums vorsah. 23

Vgl. P . FLEISCH, Kirchengeschichte, S. 300£

XVI

Einleitung

die konkreten Pläne nicht genau erkennen, denn im Blick auf Wurm mußte Meiser Vorsicht walten lassen. Gleich zu Beginn der Sitzung aber kam er zur Sache: Er rief zur sofortigen Bildung einer Deutschen Lutherischen Kirche - anstelle der fortgefallenen DEK - auf, legte "Grundzüge einer Verfassung" vor und fragte die anwesenden Lutherratsmitglieder, ob sie bereit seien, diesen Weg mitzugehen. Die Vertreter von Hannover und Braunschweig erklärten uneingeschränkt, diejenigen von Hamburg und Lübeck zurückhaltend ihre Zustimmung, aber Wurm lehnte für Württemberg strikt ab, weil er die allgemeine Kirchenführerkonferenz abwarten wollteu. Damit war Meisers Plan, die DEK durch den lutherischen Zusammenschluß zu ersetzen, im Ansatz gescheitert, denn es stand zu erwarten, daß die Kirchenführerkonferenz über eine Nachfolgeorganisation der DEK in anderem Sinne beschließen würde. Der Lutherrat beschloß allerdings, "bei der Neuordnung der DEK die Lutherische Kirche Deutschlands zur Darstellung zu bringen" und dafür eine Verfassung zu erarbeiten; das war jetzt aber im Sinne der alten Drei-Säulen-Theorie gemeint: "im Bunde mit den bekenntnisbestimmten reformierten und unierten Kirchen"25. Diese Entscheidung des Lutherrats bot zwar die Möglichkeit zu einer Umgestaltung der DEK, aber durch die feste Blockbildung einer großen lutherischen Institution (die nicht bloß ein Kirchenbund, sondern theologisch und rechtlich eine wirkliche Kirche sein würde) war ein fundamentales Konstitutionsproblem für die werdende EKD geschaffen, das deren Geschichte bis 1948 mit schweren Konflikten belastete. Das Einigungswerk Wurms war von Anfang an der Kritik ausgesetzt, es fördere die Sammlung einer neutralen "Mitte" bzw. die Nivellierung der konfessionellen Unterschiede der Landeskirchen. Diese Kritik aus Kreisen der Bruderräte bzw. der Lutheraner bestand auch noch im Sommer 1945. Vor allem maßgebliche Vertreter der radikalen Bekennenden Kirche ("Dahlemiten") befürworteten eine Neuordnung entsprechend ihrem bisherigen Konzept des Notrechtes und opponierten gegen die geplante Neuordnung von den Landeskirchen her, da sie in ihr eine Restauration der alten Kirchenstrukturen sahen. Exponent dieser Opposition war Martin Niemöller, der erst Mitte Juli aus langjähriger KZ-Haft und dem anschliessenden amerikanischen Gewahrsam zurückgekehrt war2k. Die "Dahlemiten" hatten aber offensichtlich kein konkreten Vorstellungen für die Neuordnung, sondern konzentrierten sich weitgehend auf grundsätzliche Aspekte. Das verhinderte ihr rechtzeitiges Eingreifen in den rasch ablaufenden Gestaltungsprozeß; aller-

24 Protokoll der Lutherratssitzung vom 26V27. August 1945: LKA HANNOVER, D 15 IV Nr. 3. 25 So die Erklärung des Lutherrats, die auch der Kirchenführerkonferenz in Treysa mitgeteilt wurde {Text hei F. SÖHLMANN, Treysa, S. 180). 26 Vgl. z.B. sein Schreiben vom 18. Juli 1945 an Otto Fricke und sein Memorandum an die Besatzungsmächte "Lage und Aussichten der Evangelischen Kirche" vom 20. Juli 1945 (G. BESIER, Kirche, Bd. 2, S. 139-141, 160-165).

Einleitung

xvn

dings gab es auch pragmatisch denkende Persönlichkeiten in der Bekennenden Kirche, die an die vorhandenen kirchenregimentlichen Elemente anknüpften und damit irreversible Fakten schufen27. Für die "dahlemitische" Bekennende Kirche kam erschwerend hinzu, daß ihre Leitungsorgane 1945 nicht mehr handlungsfähig waren. Die 1936 berufene fünfköpfige 2. Vorläufige Kirchenleitung war schon seit 1938 durch polizeiliche Reiseverbote in ihrer Amtsausübung behindert worden, und ihr Vorsitzender, Pfarrer Friedrich Müller-Dahlem, war 1942 gefallen. Zwar verwendete der stellvertretende Vorsitzende Martin Albertz in einer Denkschrift an die Interalliierte Kontrollkommission vom 16. Juli 1945 noch den Briefkopf "Die Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche"28, er rief dieses Gremium aber nicht wieder zusammen. Die 2. Vorläufige Kirchenleitung, die seinerzeit das Kirchliche Einigungswerk Wurms nicht unterstützt hatte, wäre allerdings auch kaum imstande gewesen, in der Umbruchssituation 1945 die für die Neuordnung wesentlichen kirchlichen Kräfte zu mobilisieren. Das galt auch für den Reichsbruderrat unter seinem Vorsitzenden Präses Koch, der seit 1937 keinerlei Aktivitäten mehr entfaltet hatte. Die Konferenz der Landesbruderräte (mit Heinz Kloppenburg als Vorsitzendem und Hans Asmussen als Stellvertreter), die ihre Arbeitsfähigkeit auch im Krieg weithin erhalten hatte, vertrat zwar grundsätzlich die kirchenpolitische Linie der 2. Vorläufigen Kirchenleitung, umfaßte aber ein breiteres Spektrum unterschiedlicher Positionen, wie sie in den einzelnen Landes- und Provinzialkirchen vertreten wurden. Damit bot sie 1945 die sinnvollste Möglichkeit, bei der Neuordnung der DEK die Position der Bekennenden Kirche einzubringen. Als Martin Niemöller davon Kenntnis erhielt, daß Wurm eine Kirchenführerkonferenz einberufen hatte, bemühte er sich bei der amerikanischen Besatzungsmacht um die Genehmigung für eine Zusammenkunft des Reichsbruderrats bzw. eine "Bruderratssitzung" der Bekennenden Kirche, obwohl er dafür formal kein Mandat besaß29. Angesichts der charismatischen Bedeutung, die Niemöller für die

27 Dies gilt insbesondere für Otto Dibelius, der - ausgebend von seinem alten Amt als Generalsuperintendent der Kurmark - die Leitung der brandenburgischen Provinzialkirche und den Vorsitz im Berliner Ev. Oberkirchenrat beanspruchte (vgl. dazu R. STUPPERICH, Dibelius, S. 356359; G. BESER, Kirche, Bd. 1, S. 24-26). Ähnlich hatte in Westfalen Präses Koch gehandelt (vgl. B. HEY, Kirchenprovinz, S. 339f). Zur Entwicklung in den meisten der sog. "zerstörten" Landeskirchen vgl. S. XXXVII, Anm. 101. 28 G. BESIER, Kirche, Bd. 2, S. 129-134. 29 Das betonte Niemöller selbst in seinem Memorandum vom 20. Juli 1945: "Das Wichtigste und Dringendste ist für mich daher, daß ich die Mitglieder der Bruderräte [...] zusammenrufe [...] In der Bekennenden Kirche gibt es kein Führerprinzip, und ich bin niemals von Amts wegen mehr gewesen als ein Mitglied des Reichsbruderrates" (EBD., S. 164). Vgl. auch Niemöllers

xvni

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Bekennende Kirche besaß, machte ihm jedoch kaum jemand die Berechtigung streitig, Initiativen zu ergreifen. Die amerikanischen Besatzungsbehörden standen Niemöllers politischem und kirchenpolitischem Kurs - bei aller Anerkennung seiner herausragenden Persönlichkeit - zwar skeptisch gegenüber, erteilten ihm und dem Frankfurter Pfarrer Otto Fricke am 30. Juli 1945 aber trotzdem die Genehmigung, "to assemble the General Council of Brethren of the Confessional Church in order to arrange its re-organization"30. Niemöller hatte sich mit der für den 21. August 1945 nach Frankfurt einberufenen Konferenz allerdings sehr viel mehr zum Ziel gesetzt als die bloße Reorganisation des Reichsbruderrats. Auch die "Einladung zu einer Tagung der Bekennenden Kirche" an Vertreter der Bruderrräte, die Fricke Anfang August im Auftrage Niemöllers verschickte, brachte seine Zielsetzung noch nicht klar zum Ausdruck31. Deutlich bekundete Niemöller seine Haltung am 5. August 1945 in einem Schreiben an Wurm. Er kritisierte dessen Vorhaben als Ausschaltung der Bekennenden Kirche, sagte seine Teilnahme an der Konferenz von Treysa, wo er die Eröffnungspredigt halten sollte, ab und formulierte den Alleinvertretungsanspruch der Bekennenden Kirche: "Meine grundsätzliche Haltung ist immer die gewesen und geblieben, daß die Evang. Kirche in Deutschland seit 1934 rechtmäßig nur durch die Bekennende Kirche vertreten wird"32. Das bedeutete, daß deren Organe, nämlich die Bekenntnissynode, der Reichsbruderrat und die 2. Vorläufige Kirchenleitung, ihren Anspruch auf die Leitung der gesamten evangelischen Kirche, nunmehr ohne Behinderung durch den Staat, durchsetzen sollten - ohne Rücksicht etwa auf die Vorstellungen des Lutherrats, der sich ja auch als Teil der Bekennenden Kirche verstand, oder des Kirchlichen Einigungswerks. Die Bruderratskonferenz war also einberufen worden, um der Kirchenführerkonferenz zuvorkommen und ihrerseits eine Neuordnung der DEK zu präjudizieren, welche der von den "Dahlemiten" befürchteten Allianz von "intakten" BK-Landeskirchen und "Neutralen" entgegenwirken sollte. Damit kündigte sich eine organisatorische Zementierung der seit 1936/38 bestehenden Kirchenspaltung an. Es gelang Wurm jedoch, Niemöller von diesem Konzept abzubringen. Er bat ihn, die Bruderratstagung "so zu gestalten und zu führen", daß sie "nicht eine Gegensynode, sondern eine Vorsynode für Treysa" darstelle, und wies darauf Briff an H.A. Hesse vom 26. Juli 1945: "Ich will versuchen, mit der Hilfe von Bruder Fricke eine Reichsbruderratssitzung zusammenzubekommen" (EBD., S. 216). 30 EBD., S. 234. 31 Vgl. EBD., S. 249: "Die gegenwärtige Lage der Kirche macht es dringend notwendig, dass eine verantwortliche Vertretung der Bek. Kirche zusammentritt, um Wege und Ziele der Bek. Kirche in unserer Zeit zu beraten und Ubereinstimmung in den schwebenden Fragen herbeizuführen." 32

G . SCHÄFER, Landeskirche, Bd. 6, S. 1377.

XIX

Einleitung

hin, daß "führende Männer des Reichsbruderrats bzw. der Kodlab [Konferenz

der Landesbruderräte]" ja nach Treysa eingeladen seiend. Um die Vermittlung der konträren Positionen bemühte sich in den ersten Augustwochen neben anderen Persönlichkeiten auch der amerikanische Pfarrer Stewart W. Herman, der als Vertreter der Wiederaufbauabteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen in der Zeit vom 29. Juli bis 19. August die deutschen Kirchen besuchte34. Niemöller zeigte sich schließlich bereit, die Frankfurter Tagung als Vorbereitung der geplanten Kirchenführerkonferenz zu verstehen und doch in Treysa teilzunehmen. Damit war die scharfe Konfrontation abgewendet, der grundsätzliche Konflikt jedoch nicht behoben. Das erwiesen die Beratungen in Frankfurt vom 21. bis 23. August*5. Auf dieser Tagung wurde sowohl über die Beteiligung der Bruderräte an der Neuordnung der Landeskirchenleitungen als auch an der Neuordnung der DEK diskutiert. Der Vertretung der Bekennenden Kirche fehlte jedoch ein offizieller Status; sie war lediglich eine Versammlung von "Mitglieder^] des Reichsbruderrates, der Landes- und Provinzialbruderräte". Als solche verab-

schiedete sie dann auch ihren "Beschluß zur Wiederherstellung einer bekenntnisgebundenen Zusammenfassung der Evangelischen Kirchen Deutschlands".

In diesem Beschluß wurde angesichts des Fortfalls der Reichskirche von 1933 und ihrer Ämter eine gemeinsame Vertretung der Landeskirchen gefordert, die "nach den Bekenntnissen der Kirche, wie sie in der Theologischen Erklärung von Barmen aufs neue bindend bezeugt worden sind, ausgerichtet sein" müsse.

Die Konferenz machte ihr Mitspracherecht bei der Neuordnung deutlich zum einen durch den Hinweis, daß jetzt die "Notorgane der bekenntnisgebundenen Leitung" und die "Konferenz der Landeskirchenführer" zusammentreten

müß-

ten, zum anderen durch die Einsetzung eines neunköpfigen Rates der Bekennenden Kirche. Dessen Sprecher (Wurm, Niemöller, Dibelius) wollten die Bruderräte in Treysa als Vorläufige Kirchenleitung des zu bildenden Zusammenschlusses vorschlagen36. Damit sollte die künftige EKD also von zwei gleichberechtigten Vertragspartnern, den Landeskirchen und der bruderrätlichen Bekennenden Kirche, konstituiert werden.

33

Schreiben

34

Vgl. C. VOLLNHALS, Zusammenbruch, S. 63-112

35

Vgl.

die

vom 10. August Übersicht

bei

194J (EBD., S. 1381). A . SMITH-VON OSTEN,

Treysa,

S. 50-69.

Anwesend

waren

ca.

40 Mitglieder des Reichsbruderrates und der Landes- sowie Provinzialbruderräte (vgl. auch K. HERBERT, Kirche, S. 38f). Von den westlichen Landeskirchen waren nicht vertreten Schleswig-Holstein, Eutin, Lübeck, Hamburg, Hannover, Braunschweig, Bremen, Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Lippe, Westfalen und Bayern; als Vertreter der Kirchen in der SBZ und im Osten konnten gelten M. Niemöller, E. Bethge, H. Ehlers, H. Hahn, F.-R. Hildebrandt, H. J. ¡wand. 36 Zitate aus KJ 1945-48, S. 2-4; F. SöHLMANN, Treysa, S. 175f; zum Ganzen vgl. auch A. SMITHVON OSTEN, T r e y s a , S. 67.

XX

Einleitung

2. Die Gründung der vorläufigen EKD auf der Kirchenversammlung von Treysa37 In der Vorgeschichte der Treysaer Kirchenversammlung hatte sich ein Konfliktfeld mit im wesentlichen vier Determinanten abgzeichnet: Das Kirchliche Einigungswerk um Wurm, Bodelschwingh, Asmussen, Dibelius u.a. zielte auf größtmögliche Integration; die Landesbischöfe Meiser und Marahrens sowie Mitglieder des Lutherrats verfolgten das Konzept einer einheitlichen lutherischen Bekenntniskirche; Niemöller und der dahlemitische Flügel der Bruderräte vertraten den notrechtlichen Anspruch einer institutionskritischen, die alten Konfessionsgrenzen relativierenden Bekennenden Kirche; nicht zu unterschätzen war schließlich die pragmatisch-partikulare Beharrungskraft der Landeskirchen, an der im Grunde alle "Kirchenführer" teilhatten. Nach Lage der Dinge mußten also die Verhandlungen in Treysa außerordentlich schwierig und strittig werden. Daß die Konferenz überhaupt zu positiven Ergebnissen kam, und zwar mit langfristiger Wirksamkeit, war allein schon bemerkenswert. In seinem Einladungsschreiben vom 25. Juli 1945, das angesichts des nicht funktionierenden Postverkehrs durch Kuriere und Mittelsmänner in möglichst alle Landeskirchen gelangen sollte, bezeichnete Wurm die Veranstaltung als "Konferenz der evangelischen Kirchenführer". Er wies daraufhin, daß er sein Vorgehen mit Meiser, Bodelschwingh, Koch und "anderen führenden Männern und Brüdern in der Evangelischen Kirche in Deutschland" abgesprochen habe und daß die Konferenz "unter meinem Vorsitz, als des ältesten Landesbischofs und des Führers des Einigungswerkes" stattfinden werde. Die beigefügte vorläufige Tagesordnung sah als Beratungsgegenstände einen Komplex allgemeiner und spezieller Aufgaben vor, darunter auch die "Neuordnung der evangelischen Kirche in Deutschland, nach der rechtlichen und organisatorischen Seite", außerdem weitere Aufgaben von gesamtkirchlicher Bedeutung wie das "Ökumenische Hilfswerk und das Kirchliche Selbsthilfewerk". Vorgesehen war ferner eine grundsätzliche Erörterung der kirchlichen Lage, daneben sollten auch Fragen der Koordination zwischen den Landeskirchen wie z.B. die "Versorgung und Unterbringung der [sc. aus dem Osten] verdrängten Pfarrer, Diakone, Gemeindehelfer und -helferinnen, der Diakonissen durch die einzelnen Landeskirchen", "Maßnahmen der Kirchenzucht" gegen DC-Pfarrer und DC-Kirchenbeamte, die "Schulfrage" und die "Vorbildung für das geistliche Amt" behandelt werden38. 37 Da kein offizielles Protokoll der Konferenz angefertigt wurde, müssen ihr Verlauf die verschiedenen Vorträge und Beiträge sowie die Beschlußtexte rekonstruiert werden. Vgl. dazu z.B. W.-D. HAUSCHILD, Kirchenversammlung. Eine von der EKD angeregte Dokumentation, aber kein amtlicher Berichtsband ist die Sammlung von F. SÖHLMANN, Treysa. 38 Einladungsschreiben und vorläufige Tagesordnung bei G. BESIER, Kirche, Bd. 2, S. 210ff.

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XXI

Die Konferenz wurde am Abend des 27. August mit einem Gottesdienst und mit den Ansprachen am Vormittag des 28. August eröffnet; beendet wurde sie am 31. August mittags39. Ursprünglich waren etwa 40 Teilnehmer als Vertreter der Kirchenleitungen vorgesehen, doch diese Zahl erhöhte sich schon durch den Frankfurter Beschluß der Bruderräte, eine zehnköpfige Delegation zu entsenden:40. Um an dem Informationsaustausch und Entscheidungsprozeß in Treysa teilzuhaben, erschienen außerdem noch viele weitere Kirchenvertreter, besonders auch aus den besetzten Ostgebieten, ohne eigentlich eingeladen worden zu sein. So kamen schließlich mehr als 110 Teilnehmer und Gäste zusammen41. Wurm beschrieb in seiner Eröffnungsansprache die Versammlung als "eine Zusammenkunft der an der Spitze der einzelnen Landeskirchen stehenden Männer mit Vertretern

der Bruderräte und des Einigungswerks"42; schon darin zeigte sich die problematische Legitimation der Konferenz, gesamtkirchlich verbindliche Beschlüsse zu fassen. Angesichts der schwierigen Verkehrs- und Nachrichtenmöglichkeiten war es erstaunlich, daß aus den westlichen Besatzungszonen Vertreter aller Landeskirchenleitungen anwesend waren, was für die rechtliche Basis von außerordentlicher Bedeutung war. Die in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen Landes- und Provinzialkirchen waren hingegen kaum vertreten43. Ungeklärt blieb der Status der Teilnehmer aus den altpreußischen Kirchengebieten jenseits der Oder-NeißeLinie. Diese Provinzialkirchen wurden im Grunde als nicht mehr existent betrachtet und tauchten als Rechtssubjekte bei der Neuordnung der Gesamtkirche jedenfalls nicht mehr auf4 39 Instruktive Rekonstruktion aller Einzelheiten des Konferenzverlaufs bei R. TYRA, Treysa, S. 268-271. 40 Niemöller als Sprecher, Ehlers, Hammelsbeck, F.-R. Hildebrandt, Iwand, Niesei, G. Ritter, Erik Wolf, dazu Barth und H.B. Gisevius als Gäste (vgl. dazu A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 68). Auch zahlreiche andere Teilnehmer waren Mitglieder von Landes- und Provinzialbruderräten. 41 Die aufgrund der Anmeldungen erstellte Quartierliste Happichs (K. JÜRGENSEN, Stunde, S. 278f.) entspricht nicht dem späteren tatsächlichen Stand. 42 Text bei F. SÖHLMANN, Treysa, S. 10. 43 Die Landeskirchen Anhalt und Mecklenburg empfingen keine Einladung Mitzenheim, der neue Leiter der Thüringer Kirche, erhielt sie erst am 6. September; Sachsen, wo die Einladung bereits im Juli eingetroffen war, entsandte zwar zwei Vertreter, aber diese wurden - ebenso wie Gloege als Vertreter der Kirchenprovinz Sachsen - am Verlassen der SBZ gehindert (vgl. dazu R. TYRA, Treysa, S. 253f. und J. SEIDEL, Kirche, S. 41f.). Allerdings vertrat der in Treysa anwesende, 1938 aus Sachsen ausgewiesene Dresdener Superintendent Hugo Hahn diese Landeskirche. Als Vertreter der Ev. Kirche der altpreußischen Union, die formal noch bestand, konnten die Mitglieder des Berliner EOK, Böhm und Dibelius, sowie die in Treysa anwesenden Mitglieder des altpreußischen Bruderrats gelten. Aber angesichts der Verselbständigung der westlichen Provinzialkirchen war diese Vertretung problematisch. 44 Als Vertreter für einige der östlichen Provinzialkirchen wären in Betracht gekommen: für Schlesien Konrad, Milde, Hosemann und Schwarz, für Posen-Westpreußen Brummack, für Danzig

xxn

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Die verbindliche Beschlußfassung erfolgte in den Vollsitzungen der Versammlung, und zwar - wegen der problematischen Legitimation einiger Vertreter - nach dem Prinzip der Einmütigkeit. Doch diese Beschlußfassung wurde vorbereitet bzw. vorweggenommen in den Fraktionssitzungen von Lutherrat und Bruderräten sowie in den geschlossenen Sitzungen von Kirchenführerkonferenz und Beirat des Einigungswerki45. Dort kam es zu erregten Kontroversen über die neue Ordnung, insbesondere über die personelle Zusammensetzung des neuen Leitungsgremiums der EKD. Die rechtlichen Aspekte dieses Themas bearbeitete ein Verfassungsausschuß, der am 30. August in öffentlicher Sitzung berichtete und den Entwurf einer Vorläufigen Ordnung vorlegte. Weitere Ausschüsse behandelten Themen, die auch in den öffentlichen Sitzungen vorgetragen und erörtert wurden: die kirchliche Unterweisung und Jugendarbeit, die staatliche Schulreform, das Hilfswerk, die Versorgung der Ostpfarrer, die Flüchtlingsfürsorge, Kirche und Öffentlichkeit. Einige Verlautbarungen, Richtlinien und Papiere aus der Arbeit der Ausschüsse wurden von der Konferenz verabschiedet bzw. an die Landeskirchen weitergeleitet46. Insgesamt kam es in Treysa zu einem eindrucksvollen Ensemble von Entscheidungen, das die Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und Aufgabenfülle einer neuen gesamtkirchlichen Organisation deutlich machte. Zu diesen Aufgaben gehörte vor allem die Vertretung der kirchlichen Interessen beim Wiederaufbau Deutschlands und die Fürsprache für die deutsche Bevölkerung gegenüber den Besatzungsmächten, die nicht auf Verhandlungen der einzelnen Landeskirchen in den jeweiligen Besatzungszonen beschränkt bleiben konnte, sondern sich auch an den Alliierten Kontrollrat in Berlin richten und damit die gesamtdeutsche Perspektive zur Geltung bringen mußte. Ferner reichten die Möglichkeiten der bisherigen Einrichtungen der Inneren Mission nicht aus, die enormen sozialen und materiellen Nöte der Menschen zu lindern und die sogleich einsetzenden Unterstützungsaktionen der ausländischen Kirchen in Deutschland zu koordinieren; das dafür aufzubauende Instrumentarium des Hilfswerks war darum sinnvoll nur als Gemeinschaftseinrichtung auf gesamtkirchlicher Ebene zu konzipieren. Schließlich bedurften die Verhandlungen mit dem in Gründung befindlichen Ökumenischen Rat der Kirchen, insbesondere mit dessen Büro in Genf, im Blick auf die Wiederbeteiligung des deutschen Protestantismus an der ökumenischen Bewegung und auf die

Gülzow und Göbel sowie für Ostpreußen Iwand. Aber die Frage der Legitimation der einzelnen Teilnehmer wurde in Treysa insgesamt nicht eindeutig geklärt. 45 Dieser 1942/3 gebildete Beirat sollte eine repräsentative Vertretung des Einigungswerkes aus den Landeskirchen sowie kirchlichen Vereinen und Verbänden sein; er bestand aus Wurm, Dibelius, Held, Hemtrich, Hartenstein, Lilje, Meiser und Riehl (vgl. dazu J. THIERFELDER, Einigungswerk, S. 126f.). 46 Vgl. den Abdruck dieser Texte bei F. SöHLMANN, Treysa.

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geplante Weltkirchenkonferenz einer zentralen Anlaufstelle. Somit war zumindest die provisorische Etablierung einer gesamtkirchlichen Institution unausweichlich geworden. In Treysa wurde zunächst lediglich der Rat der EKD gebildet, wobei es sich allerdings um eine institutionelle Weichenstellung von großer Tragweite handelte. Fundamentale Bedeutung für die Neuordnung der EKD hatte in Treysa der aus Ehlers, Frick, Mensing, Smend und Wolf bestehende Verfassungsausschuß. Ihm lagen vor bzw. wurden vorgetragen Erörterungen der Rechtslage von Frick, Mensing und Wolf, außerdem von der Kirchenkanzlei der DEK47. Der hauptsächliche Dissensus betraf die Frage, ob die DEK rechtlich noch bestehe (und die Verfassung von 1933fortgelte) oder ob sie erloschen sei und die Landeskirchen ihre volle Selbständigkeit (einschließlich der Legitimation für einen neuen Zusammenschluß) wiedererlangt hätten. Wolf hatte in seinem bereits vorab gedruckten, in Wurms Auftrag erstellten Gutachten dessen Auffassung vom Standpunkt des weiterhin für gültig erklärten Notrechts der Bekennenden Kirche her untermauert: Die DEK bestehe im Rechtssinne nicht mehr, ihre Ämter seien erloschen und ihre Rechtssetzungen faktisch nicht mehr anwendbar. Mensing, selbst Mitglied der Bekennenden Kirche, dagegen vertrat ebenso wie Frick, Brunotte und Schwarzhaupt die Auffassung, daß das Rechtsgebilde DEK ebensowenig aufgehört habe zu bestehen wie die Landeskirchen. Der Ausschuß kam zu keinem juristisch präzisen Ergebnis: "Die Frage über die Geltung der Verfassung der DEK von 1933 ist beiseite gelassen worden, da sich auf jeden Fall wegen des Fehlens der reichskirchl[icAerc] Organe ein kirchlicher Notstand ergäbe. Unverkennbar bleibt der Wille zur kirchl[iche] Einigung. Auch die Bekenntnissynoden von 1934 rechnen mit einer einheitlichen DEK. Der Ausschuss ist daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einheit festgehalten werden soll."48 Demgemäß legte er der Konferenz den Entwurf für eine vorläufige Ordnung der EKD vor, welche die Frage der Rechtskontinuität in der Schwebe ließ, eine Anwendung der Verfassung von 1933 wegen des Wegfalls ihrer Institutionen für unmöglich erklärte und der "Kirchenversammlung in Treysa" als Vertretung der Landeskirchen, des Einigungswerks und der Bekennenden Kirche implizit das Recht zu einem neuen konstitutiven Akt zusprach, nämlich zur Berufung eines Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das war eine nicht unproblematische Ent47 Erik Wolf: Die rechtmäßige Neuordnung der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EBD., S. 181-195). - Heinrich Frick: Erwägungen über eine neue Rechtsform für die Evangelische Kirche in Deutschland (EZA BERLIN, 2/1). - Karl Mensing: Die Neuordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland nach der rechtlichen und organisatorischen Seite (EBD.). Seitens der Kirchenkanzlei der DEK übergaben Elisabeth Schwarzhaupt eine Ausarbeitung über die Rechtsgültigkeit der Verfassung der DEK und Heinz Brunotte Thesen zur Frage des Bestands der DEK (vgl. den Bericht Brunottes: EZA BERLIN, 2/64, Anlagen 10-11). 48 So Brunotte in seinem Bericht (EZA BERLIN, 2/64, S. 8J.

XXIV

Einleitung

Scheidung, die jedoch der allgemeinen Meinung, hinsichtlich der DEK in einem rechtsfreien Raum (oder weitgehend in einem solchen) zu stehen, entsprach. Den größten Zeit- und Kraftaufwand auf der Treysaer Konferenz beanspruchte jedoch die Kontroverse um den Vertretungsanspruch der Bruderräte und damit um das Verhältnis zwischen den notrechtlich begründeten Leitungskompetenzen des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche und den etablierten Kirchenleitungen (mitsamt den Folgerungen für die gesamtkirchliche Ebene). Diese Kontroverse spitzte sich in der umstrittenen Personalfrage zu. Hier kam zwischen den verfeindeten bzw. getrennten Lagern gleichsam das ganze Problemerbe des Kirchenkampfes noch einmal zur Sprache, indem die alten, seit 1934 bestehenden Konflikte erneut ausgetragen wurden. Die positionellen Differenzen manifestierten sich dabei in einer schroffen Personalisierung, denn die unterschiedlichen Schicksale in der Zeit der Unterdrückung hatten persönliche Feindschaften begründet, welche die Unterschiede in den Sachpositionen zementierten. Auch traten 1945 weitgehend die alten "Kirchenkämpfer" der verschiedenen Flügel der Bekennenden Kirche und der "Neutralen" wieder mit- und gegeneinander an, so daß nach Lage der Dinge eine wirkliche Klärung nicht zu erreichen war. Somit zeigte sich bereits in Treysa, daß die weitere Geschichte der EKD und die Arbeit ihres Rates durch diese Problematik stark belastet sein würden. Die Frankfurter Bruderratstagung hatte durch ihren Beschluß über die Zusammensetzung der vorläufigen Leitung der EKD mit Wurm, Dibelius und Niemöller ein Präjudiz geschaffen, das aus formalen wie inhaltlichen Gründen auf energischen Widerstand stieß. Viele Kirchenführer wollten sich von einem nach ihrer Auffassung nicht legitimierten Gremium keine Vorschriften machen lassen; außerdem bedeutete der Vorschlag des Bruderrats den Ausschluß von Meiser, dem Vorsitzenden des Lutherrats, sowie ein starkes Übergewicht von Vertretern der Union. Zu dem sofort entbrennenden Streit um den Kirchenleitungsanspruch der bruderrätlichen Bekennenden Kirche kam in Treysa also der hartnäckig und langwierig ausgefochtene Konflikt um Meiser hinzu. Die Bruderratsvertreter lehnten ihn nicht nur als Exponenten der alten Behördenkirche ab, sondern standen zu ihm als dem Führer des lutherischen Flügels der Bekennenden Kirche, den sie kaum als Bekennende Kirche anerkennen konnten, in einem strukturell begründeten Gegensatz, weil er die Bildung einer Evangelischen Kirche in Deutschland im Sinne Wurms nicht mitvollziehen wollte - ganz zu schweigen von der erbitterten persönlichen Feindschaft zwischen Niemöller und Meiser. Die Kirchenversammlung geriet durch diesen Gegensatz am 29. August in eine schwere Krise und drohte zu scheitern49. Das Problem der Beteiligung der Bruderräte an kirchenleitenden Organen wurde schließlich durch eine Erklärung gelöst, wonach die Landesbruderräte die bisher von ihnen ausgeübten Leitungsbefugnisse auf bekenntnis49

Vgl. dazu R. TYRA, Treysa, S. 266; A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 126f.

Einleitung

XXV

gemäß geordnete Kirchenleitungen übertrugen50, und durch die im Verfassungsausschuß vorbereitete Feststellung, daß infolge der Einsetzung eines Rates der EKD durch die Kirchenversammlung von Treysa "der Bruderrat der Bekennenden Kirche in Deutschland [d.h. der bisherige Reichsbruderrat und die Konferenz der Landesbruderräte] seine kirchenregimentlichen Funktionen diesem Rat als vorläufiger Leitung der EKD für die Zeit des Bestehens dieser vorläufigen Leitung überträgt"51. Diese Integration des bruderrätlichen Flügels der Bekennenden Kirche in die verfaßte Kirche mußte nun auch einen entsprechenden personellen Ausdruck finden. Die Bruderratsvertreter schlugen vor, den künftigen Rat der EKD mit neun Personen, nämlich vier Lutheranern, drei Linierten und zwei Reformierten zu besetzen (Wurm, Asmussen, Lilje, Kloppenburg, Dibelius, Niemöller, Held, Niesei, Albertz)52. Weil außer Wurm und Lilje alle vorgeschlagenen Personen dem Reichsbruderrat angehörten, empfanden viele Kirchenführer diese Forderungen immer noch als den Versuch einer Machtergreifung der Führer der bruderrätlichen Bekennenden Kirche. Demgegenüber schlug der Lutherrat einen zwölfköpfigen Rat der EKD mit vier "Sprechern" vor (Wurm, Meiser, Dibelius, Niemöller, ferner Asmussen, Hahn, Held, Lilje, zwei Reformierte und zwei Laienf1. Die strikte Ablehnung der Person Meisers durch die Bruderratsvertreter blockierte die weiteren Verhandlungen. Einig war man sich nur über den Grundsatz, den Rat nach konfessionellem Proporz zusammenzusetzen. Angesichts der festgefahrenen Situation erwog Wurm seinerseits sogar ernsthaft eine Art Machtergreifung in Form einer einseitigen Proklamation einer neuen Leitung durch das Kirchliche Einigungswerk (Wurm, Niemöller, Dibelius, dazu weitere neun Mitglieder). Im Lutherrat hingegen mehrten sich die Stimmen für eine separate Neuordnung der Lutherischen Kirche Deutschlands54. Vor allem dank der Vermittlung Bodelschwinghs kam schließlich ein Kompromiß zustande, der die bisherigen Überlegungen, in dem geplanten Leitungsgremium zwischen "Sprechern" und einem "Beirat" zu differenzieren, aufnahm: Ein Zwölferrat sollte gebildet werden, in dem sieben führende Exponenten der Gruppen als "Sprecher"fungieren sollten (und zwar Wurm als Vorsitzender, Niemöller als dessen Stellvertreter, ferner Meiser, Dibelius, Lilje, Held und Niesei); ihnen sollten fünf weitere Personen als "Ausschuß" zugeordnet werden (Asmussen,

50 51

Vgl. R. TYRA, Treysa, S. 263. Vgl. Ziffer 1 der in Treysa verabschiedeten "Erläuterungen zu der Vorläufigen Ordnung der EKD" (1E1, S. 14). 52 R. TYRA, Treysa, S. 261. 53 Vgl. EBD., S. 264. 54 Vgl. EBD., S. 266.

XXVI

Einleitung

Hahn, Smend, Heinemann, Meyer)55. Damit war der Konflikt um die Beteiligung Meisers entschärft. Allerdings war der Sprecherkreis nun zu groß geraten, um effektiv handlungsfähig zu sein; tatsächlich hat die Unterscheidung zwischen "Sprechern" und "Ausschuß" in der späteren Arbeit des Rates dann auch praktisch keine Rolle mehr gespielt. Entscheidendes Konstruktionsprinzip für die Bildung des Rates waren die Balance zwischen Bruderrats- und Kirchenleitungsvertretern sowie der konfessionelle Proporz. Immerhin - und auch das darf nicht als selbstverständlich angesehen werden - gehörten alle Ratsmitglieder der Bekennenden Kirche an; die "Mitte" war nicht vertreten. Diesem Personalvorschlag stimmte die Kirchenversammlung am 31. August in öffentlicher Sitzung zu, nachdem die Fraktionen bereits am Tage zuvor den Kompromiß angenommen hatten. Die komplizierten Fragen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Kontinuität zwischen DEK und EKD wurden mit der von der Kirchenversammlung am 31. August einmütig verabschiedeten "Vorläufigen Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland" nicht geklärt5b, obwohl nun faktisch eine neue Institution geschaffen worden war. Die Vorläufige Ordnung bestand lediglich in der Einsetzung des zwölfköpfigen Rates und in der Nennung von sechs allgemeinen Aufgabengebieten. Der Name der neuen Institution, über den auch der Verfassungsausschuß beriet, stand eigentlich schon vor der Konferenz fest. Er ist offenbar im Umkreis von Wurm aufgekommen, der seit Juni/Juli 1945 bewußt die Bezeichnung "Evangelische Kirche in Deutschland" an die Stelle von "Deutsche Evangelische Kirche" setzte17. Von der "evangelische[ra] Kirche Deutschlands" ist in einem öffentlichen Dokument wohl erstmalig in der Ulmer Erklärung vom 22. April 1934 die Rede gewesen, jedoch kaum bewußt als Unterscheidung zur DEK5*.' In den Treysaer Verfassungsberatungen wurde diese Bezeichnung - wie auch später manchmal noch - promiscue mit "Deutsche Evangelische Kirche" verwendet. Wahrscheinlich wurde sie gewählt, um nationalprote-

55 Vgl. EBD., S. 266; vgl. dazu auch Ziffer 3 der "Vorläufigen Ordnung der EKD" vom 31. August 1945 (1E1, S. 13). 56 1E1 (S. 12-15 mit Anm. 25). Vgl. dazu auch die Mitschrift Meisers: "Es wird festgestellt durch Erheben [SC. der Teilnehmer von den Sitzen], daß Einmütigkeit besteht" (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). 57 So z.B. die Beratung in Bethel am 27./28.Juni {vgl. G. BESIER, Kirche, Bd. 1, S. 254); Niemöllers Memorandum vom 20. Juli (EBD., S. 160); Wurms Einladung für Treysa (vgl. auch A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 37); Niemöllers Schreiben an Wurm vom 5. August und Wurms Antwort vom 10. August (G. SCHÄFER, Landeskirche, Bd. 6, S. 1377, 1381); Heinrich Frick, Erik Wolf und Karl Mensing in ihren Verfassungsentwürfen (S. XXIII, Anm. 47 und W . - D . HAUSCHILD, K i r c h e n v e r s a m m l u n g , S. 6, A n m . 3).

58 Vgl. H. HERMELINK, Kirche, S. 87; anders dagegen KJ 1933-44, S. 65: "Evangelische Kirche Deutschlands".

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XXVII

stantische oder deutsch-christliche Interpretationen auszuschließen59. Erstaunlich war, daß "Deutschland" als selbstverständliche Bezugsgröße genannt wurde, obwohl im Sommer 1945 durchaus unklar war, welches Territorium und welcher Staat damit gemeint sein sollten. 3. Der Rat der EKD und seine A mtsstellen Mit der Einsetzung des Rates hatte sich die Kirchenversammlung in Treysa zur EKD als gesamtkirchlicher Einrichtung bekannt. Für wie wichtig der Rat gehalten wurde, war nicht zuletzt am Streit über die personelle Zusammensetzung dieses Gremiums deutlich geworden. Die konzeptionellen und kirchenpolitischen Unterschiede in den Auffassungen der einzelnen Ratsmitglieder mußten sich bei seiner Arbeit jedoch blockierend oder belastend auswirken. Unumstritten war Wurms Autorität als Vermittler; deshalb wurde ihm von allen Seiten großes Vertrauen entgegengebracht und das Amt des Ratsvorsitzenden wie selbstverständlich übertragen. Dieses Vertrauen besaß Wurm auch bei den amerikanischen Besatzungsbehörden, die ihn in vieler Hinsicht unterstützten. In der unbestrittenen Position Wurms lagen die größten Chancen für eine Effektivität der künftigen Arbeit der EKD. Man hörte auf ihn, und so führte er sein Amt nach dem reformatorischen Grundsatz "non vi sed verbo", d.h. durch Verlautbarungen, Briefe und Gespräche, um mit Geduld, Konzilianz und Taktik seine Ziele zu erreichen. In den Ratssitzungen gab er kaum entscheidende Impulse, sondern fungierte eher als Moderator besonders zum Ausgleich der Gegensätze, die vor allem zwischen Niemöller und Meiser immer wieder aufbrachen^. Wurm führte sein Amt zunächst in enger Kooperation mit dem Leiter der Kirchenkanzlei der EKD, seinem Duzfreund und Vertrauten Hans Asmussen61. Von diesem gingen die meisten Initiativen aus, und er nutzte seinen Einfluß auf Wurm, um zwischen den Ratssitzungen Entscheidungen von erheblicher Tragweite zu treffen. Naturgemäß konnte die kontinuierliche Arbeit des Rates nur funktionieren, wenn sie von der Kirchenkanzlei vorbereitet und dann auch praktisch ausgeführt wurde. Hierbei kam es allerdings gerade in der Anfangszeit zu 59

Vgl. O. DIBELIUS, Christ, S. 258: "Es sollte fortan 'Evangelische Kirche in Deutschland' heissen, also nicht mehr 'Deutsche Evangelische Kirche'. Es sollte klar sein, daß das, was an dieser Kirche deutsch ist, nicht ihr Wesen ausmacht. Ihrem Wesen nach ist sie Kirche Jesu Christi; Deutschland ist der Raum, in dem diese Kirche existiert."

60 Rückblickend schrieb Wurm 1952: "Meine Gesundheit, die in den Jahren des Kampfes mit dem Nazismus ausgezeichnet gewesen war, hatte doch in den oft seelisch sehr anstrengenden Sitzungen des Rates gelitten. Besonders hatte ich darunter gelitten, daß es mir nicht gelang, die Spannungen zwischen Meiser und Niemöller auszugleichen" (T. WURM, Erinnerungen, S. 195). 61 Asmussen war 1934 von seinem Amt als schleswig-holsteinischer Pastor suspendiert worden und versah 1945 ein Pfarramt in Schwäbisch Gmünd.

xxvni

Einleitung

Fehlern, Versäumnissen, Ungenauigkeiten und Eigenmächtigkeiten. Die Gründe dafür lagen nicht nur in der persönlichen Eigenart Asmussens, sondern auch in der strukturell-organisatorischen Unklarheit über die Stellung der Kirchenkanzlei. Daß Asmussen, der ja keine kirchliche Führungsposition innehatte, von der Treysaer Kirchenversammlung in den Rat gewählt wurde, war wohl hauptsächlich auf sein Ansehen in der Bekennenden Kirche und seine neue Funktion als Vorsitzender des Reichsbruderrates zurückzuführen. Daß ihm trotz der Bedenken einiger Ratsmitglieder auf der ersten Sitzung dazu noch die Leitung der Kirchenkanzlei übertragen wurde, ging • nach dem übereinstimmenden Zeugnis der Beteiligten - auf den entschiedenen Wunsch Niemöllers zurück, der ihm persönlich wie sachlich eng verbunden war132. Asmussens ausgeprägtes Selbstbewußtsein und Geltungsbedürfnis - in Verbindung mit seinem theologischen Profil, seiner enormen Produktivität und seiner rhetorischen Formulierungskunst - führte ihn zu dem unausgeprochenen und wohl auch unreflektierten Mißverständnis, als Leiter der Kirchenkanzlei könne er in Analogie zu Friedrich Werners Kompetenzen in der DEK die Geschäfte der EKD nicht nur auftragsweise erledigen, sondern auch eigenständig führen und von oben herab Weisungen erteilen63. Gegen Asmussens Verhalten regte sich im Rat schon bald Widerstand, der sich mit berechtigter Kri-

62

Vgl. dazu H. LlLJE, Memorabilia, S. 164f: "Eine Kontroverse um Asmussen als Leiter der Kirchenkanzlei kam nicht zum Austrag. Zwar hat die mysteriöse Bestimmung, daß die 'Vertretung' des Rates nur von den ersten sieben Mitgliedern wahrgenommen werden sollte, lediglich die Bedeutung, daß man gerade Asmussen nicht als unmittelbaren Vertreter der 'Evangelischen Kirche in Deutschland' haben wollte; aber bei der Amterverteilung auf dieser ersten Ratssitzung hat es dann Martin Niemöller brevi manu erreicht, daß die Geschäftsführung der Kirchenkanzlei Asmussen übertragen wurde, der sie darauf in Schwäbisch-Gmünd, seinem damaligen Aufenthaltsort, etablierte. Als ich Dibelius fragte, warum er die Nominierung von Asmussen, der zwar ein sehr großer Prediger, aber kaum ein Organisator war, zugestimmt habe, vertraute er mir an, daß Niemöller ihn ausdrücklich vorher vertraulich um seine Zustimmung zu Asmussens Wahl gebeten habe; Niemöller meinte, daß er als neuer Leiter des Außenamtes viele Auslandsreisen werde machen müssen und dann im Rükken, in der Heimat, einen verläßlichen Freund haben müsse". Vgl. auch O. DlBELIUS, Christ, S. 260: "Zum Leiter der Kirchenkanzlei wählte man Hans Asmussen. Ich hatte widersprochen [...] Aber Niemöller bestand darauf. Er selbst müsse sich jetzt, so erklärte er, für ein paar Monate im Ausland erholen; er werde aber keine Erholung finden, wenn er nicht in der Heimat an der entscheidenden Stelle jemanden wisse, mit dem ihn eine vertraute Freundschaft verbinde. Dies freundschaftliche Vertrauen habe er zu Asmussen. Das schlug durch. Es war nicht nur mir, sondern auch den meisten anderen über alles wichtig, daß Niemöller innerlich und äußerlich wieder zur Ruhe komme. Wir wollten es riskieren! Der Versuch mißlang. Nach kurzer Zeit war aus der Freundschaft zwischen Niemöller und Asmussen eine erbitterte Gegnerschaft geworden".

63

Vgl. z.B. 3A4 (S. U4ff.); 8D18 (S. 698).

Einleitung

XXIX

tik an seiner chaotischen Büroarbeit verbinden konnte^4. Asmussen besaß keinen Rückhalt in den Landeskirchen; zudem war er mehr am Theoretisch-Grundsätzlichen interessiert und nahm deswegen konkrete Praxisaufgaben weniger wahr. Darum trug seine Amtsführung alsbald dazu bei, daß die Arbeit der EKD ohne den gewünschten Einfluß auf die Realitäten in den Landeskirchen und Gemeinden blieb. Die Kirchenversammlung in Treysa hatte Martin Niemöller einmütig zum stellvertretenden Ratsvorsitzenden bestimmt. Weil der Rat annahm, daß nur Niemöller im Ausland gebührend für die EKD werben könne, übertrug er ihm in seiner ersten Sitzung - offenbar ohne Widerspruch - auch die Leitung des Kirchlichen AußenamteP. Damit wurde er • bisher Pastor der altpreußischen Kirche wie Asmussen Kirchenbeamter der EKD, was tendenziell mit seiner Eigenschaft als Ratsmitglied kollidierte. Er kümmerte sich zunächst weniger um den Neubau des Kirchlichen Außenamtes, das nun • in Abweichung von der bisherigen organisatorischen Verbindung mit der Kirchenkanzlei der DEK - zu einer eigenständigen Dienststelle der EKD wurde; der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag vielmehr darin, persönliche Kontakte zum Ausland zu knüpfen und in zahlreichen Vorträgen auf die mentale Erneuerung der Deutschen Einfluß zu nehmen. Im Rat spielte Niemöller durch seine profilierten Diskussionsbeiträge, Anregungen und Anträge von Anfang an eine gewichtige Rolle, die allerdings dadurch eingeschränkt war, daß er keine landeskirchliche Machtposition innehatte. Sein Einfluß im Rat gründete sich vielmehr auf den starken Rückhalt, den er in bruderrätlichen Kreisen hatte; wie sie vertrat er bewußt die bekenntniskirchliche Opposition mit ihrer anti-institutionellen Haltung. Das brachte ihn sogleich in Gegensatz zu denjenigen Ratsmitgliedern, die mit unterschiedlicher Ausprägung und Begründung das traditionelle kirchliche Establishment repräsentierten, und beschwerte insbesondere sein Verhältnis zu Meiser. Die seit 1933/34 bestehende Feindschaft zwischen den beiden Männern war in sachlichen Differenzen wie im Unterschied der Persönlichkeitsstruktur begründet^ und wurde nun durch den konzeptionellen Konflikt um die Gründung der "Lutherischen Reichskirche" (wie Niemöller formulierte) aktualisiert. Aber auch zu Dibelius stand Niemöller in persönlichem 64 Nicht zuletzt wegen Asmussens lückenhafter, unsystematischer Vorbereitung der Sitzungen (vgl. z.B. 3A1 bis 3A3, S. U2ff.; 4A1 ohne Tagesordnung, S. 320f; 5AI bis 5A4, S. 387-390; 8A4 bis 8A8, S. 638-641) und der oft konfusen Protokollführung (vgl. dazu 3B1, Z i f f . 1, S. 118; 3B2, S. 124ff.; 3D1 und 3D2, S. 226-229; 4B1, S. 322-330) verabschiedete der Rat am 2. Mai 1946 eine Geschäftsordnung (6C6, S. 508ff.), die aber praktisch wenig bewirkte. Asmussens Büroführung war neben seinem kirchenpolitischen Kurs und seinen eigenmächtigen Handlungen ein Grund dafür, daß der Rat ihm im Mai 1948 den Rücktritt nahelegte (vgl. auch W. LEHMANN, Asmussen, S. 217). 65 Vgl. O. DIBELIUS, Christ, S. 65, 259f. 66 Vgl. dazu EBD., S. 265f.

XXX

Einleitung

Gegensatz; beides waren Herrschernaturen, der eine diktatorisch, der andere monarchisch. Nach Niemöllers Auffassung hatte Dibelius durch seine Berliner "Machtübernahme" ihm selbst die Rückkehr nach Berlin unmöglich gemacht?7; von dem Berliner Bischof unterschied er sich auch in der kirchenpolitischen Gesamtkonzeption, weil er nicht wie dieser von den institutionellen Interessen der Kirche her dachte. Durch seine scharfe Kritik an der vermeintlichen Restauration in der Kirche und durch seine politischen Äußerungen, die er immer wieder öffentlich vortrug, manövrierte sich Niemöller trotz der grundsätzlichen Unterstützung durch Held, Niesei und Heinemann innerhalb des Rates schon bald in eine Randposition68, so daß er den Eindruck gewann, dort keine sinnvolle Arbeit mehr leisten zu können. Insbesondere fühlte er sich in seiner Funktion als stellvertretender Ratsvorsitzender, in der er in der Tat kaum etwas getan hatte bzw. hätte tun können, von Wurm und Asmussen völlig übergangen. Das führte im Sommer 1946 dazu, daß Niemöller das ohne sein Wissen von Asmussen an die amerikanische Militärregierung gerichtete Schreiben vom I.Juni 1946 zum Anlaß nahm, gegenüber Wurm mit seinem Rücktritt zu drohen: "Ich erhebe in aller Form dagegen Einspruch, dass Ihre Vertretung während Ihrer Urlaubszeit durch Pfarrer Asmussen wahrgenommen wird, und bitte einen solchen Zustand abzustellen, in dem der stellvertretende Vorsitzende des Rates von der Beurlaubung des ersten Vorsitzenden nichts weiss und von der Geschäftsführung glatt übergangen wird. Sollte sich ein ähnlicher Vorfall noch einmal ereignen, so werde ich mit einer öffentlichen Erklärung von meinem Amt als stellvertretender Vorsitzender des Rates zurücktreten" 69 . Diese Rücktrittsdrohung wiederholte Niemöller in seinem Schreiben vom 22. Juni an Asmussen, das durch die breite Verteilung, u.a. an die Mitglieder des Reichsbruderrates, als eine Art offener Brief erschien und in dem er seine grundsätzliche Kritik weit entfaltete70. Er machte seine Drohung dann allerdings nicht wahr. Otto Dibelius, der neue Bischof von Berlin, zugleich kommissarischer Leiter der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union und der brandenburgischen Provinzialkirche, erhielt neben Asmussen und Niemöller innerhalb des Rates besonderes Gewicht, nachdem er die Leitung der mit Ratsbeschluß vom 18./19. Oktober 1945 eingerichteten Berliner Zweitstelle der Kirchenkanzlei der

67 Vgl. das Schreiben Niemöllers an Asmussen vom 22. Juni 1946 (7E6, S. 625-628); vgl. auch W. NESEL, Kirche, S. 307 mit A n m . 76; anders O . DIBELIUS, Christ, S. 21 lf.; J. BENTLEY, Nie-

möller, S. 213. Vgl. z.B. S. 582 mit Anm. 26. 69 Schreiben Niemöllers an Wurm vom 15. Juni 1946 (7E5, S. 625). Eine Antwort Wurms scheint nicht erfolgt zu sein. Zur Fortsetzung der Kontroverse vgl. den Schriftwechsel zwischen Niemöller, Wurm und Asmussen (7E6-7E8, S. 625-635). 70 7E6(S. 625-628). 68

Einleitung

XXXI

EKD übernahm71. Als einziges in der sowjetischen Besatzungszone amtierendes Ratsmitglied rief er die sog. "Ostkirchenkonferenz" ins Leben und baute so eine selbständige EKD-Arbeit im Osten auf2. Indem Dibelius die EKD gegenüber dem Alliierten Kontrollrat und der Sowjetischen Militäradministration in Berlin vertrat7i, nahm er für den Osten darüber hinaus Aufgaben wahr, die eigentlich in die Zuständigkeit des Ratsvorsitzenden fielen. Als nüchterner Pragmatiker drängte Dibelius in den Diskussionen im Rat immer wieder darauf sich nicht in programmatischen Aussagen und grundsätzlichen Vorhaben zu verlieren, sondern unter Berücksichtigung der faktischen und rechtlichen Gegebenheiten zu umsetzbaren Beschlüssen zu kommen. Darin stimmte er oft mit Meiser, Lilje, Held und Wurm überein. Auch Hans Meiser, der bayerische Landesbischof und Vorsitzende des Lutherrats, nahm im Rat eine wichtige Stellung ein. Aber als die treibende Kraft des lutherischen Sonderbündnisses geriet er - zumindest in den Auseinandersetzungen des Jahres 1946 • in eine etwas isolierte Position, weil er als Vertreter einer "GegenEKD" galt74. Es entsprach Meisers Konzeption, immer wieder darauf zu dringen, daß der Rat sich in der Beanspruchung von Kompetenzen, besonders gegenüber den Landeskirchen, zurückhalten müsse75. Die Lutheraner Hanns Lilje und Hugo Hahn exponierten sich in dieser Hinsicht weniger. Lilje, seit 1945 Oberlandeskirchenrat in Hannover und als Nachfolger für LandesbischofMarahrens vorgesehen, bestimmte die Ratsarbeit nicht nur durch seine persönliche Ausstrahlung und kluge Verhandlungsführung, sondern auch durch sein Engagement etwa für die Kriegsgefangenenbetreuung, die kirchliche Presse und die Verlagsarbeit. Als vom Rat beauftragter Kontaktmann und Koordinator für die Kirchen in der britischen Besatzungszone7b nahm er umsichtig gesamtkirchliche Interesse wahr. Hugo Hahn hingegen hatte wenig Einfluß auf die Arbeit des Rates. Er war zwar als Vertreter des Ostens gewählt worden, konnte diese Vertretung aber bis 1947faktisch nicht wahrnehmen, weil ihm, obwohl zum sächsischen Landesbischof beru-

71 Vgl. 2B1, Z i f f . 11.9 (S. 31) und 2C1 (S. 59) 72 Bereits am 25. September 1945 hatte Dibelius die Vertreter der vier nichtpreußischen Kirchenleitungen von Anhalt, Mecklenburg, Sachsen und Thüringen zu einer Besprechung in Berlin versammelt, auf der eine enge Zusammenarbeit für die Zukunft vereinbart wurde. Am 5. /6. Februar 1946 wurden die Vertreter der inzwischen verselbständigten altpreußischen Provinzialkirchen hinzugezogen; seit dem 3. Juli 1946 nahmen die Kirchenführer in der Ostkirchenkonferenz "gemeinsam die allgemeine Verantwortung für die Tätigkeit der Kanzlei" in Berlin wahr (vgl. zum Ganzen J. SEIDEL, Neubeginn, S. 189-195; M. KÜHNE, Neuordnung). 73

Vgl. dazu z.B. die Bestimmung von § 3 (2) der Ausführungsverordnung vom 19. Oktober 1945 (2C3, S. 61/1). 74 Vgl. z.B. 4B2, S. 331-339; 7D1, S. 595ff. 75 Vgl. z.B. 3A4 (S. 114ff.). 76 Vgl. dazu • außer 2D11 (S. 75) und 2B1, Z i f f . I(S. 27) - 2B1, Z i f f . 11.16 (S. 33).

XXXII

Einleitung

fen, die Rückkehr von Württemberg nach Sachsen nicht möglich war. Deswegen stellte er in der achten Sitzung sogar seinen Ratssitz zur Disposition77. Der Essener Superintendent Heinrich Held, ab 1946 Oberkirchenrat der großen rheinischen Kirche, brachte in den Grundsatzdiskussionen über das Wesen der EKD profiliert den unierten Standpunkt zur Geltung. Im Unterschied zu ihm besaßen die Ratsmitglieder Niesei, Heinemann und Smend keine landeskirchliche "Hausmacht". Sie übten jedoch vor allem in rechtlichen Fragen einen teilweise nicht unbedeutenden Einfluß in den Sitzungen aus. Wilhelm Niesei, Pfarrer und Dozent der Bekennenden Kirche, ab 1946 an der Kirchlichen Hochschule Elberfeld und Präses des Reformierten Bundes, erwies sich als scharfer Kritiker der Amtsführung der Kirchenkanzlei. Er drängte besonders auf korrekte Protokollführung und Ausführung der Ratsbeschlüsse; zunehmend war er bestrebt, Asmussens Eigenmächtigkeiten zu unterbinden und dessen Kompetenzen als Leiter der Kirchenkanzlei einzuschränken. Auch die Juristen Rudolf Smend und Gustav Heinemann brachten • ebenso wie der penible Meiser • aufgrund ihrer eigenen Mitschriften gelegentlich Korrekturen an der Formulierung der offiziellen Beschlußprotokolle der Ratssitzungen an. Vor allem aber leisteten sie mit ihrem Sachverstand bedeutsame Hilfe bei den Entscheidungen in wichtigen Rechts- und Ordnungsfragen. Größte Autorität in dieser Hinsicht war Smend, der Göttinger Staatsrechtler und Rektor, dem nach seiner Beteiligung an der Erstellung der Vorläufigen Ordnung in Treysa weitere bedeutende Aufgaben zufielen: z.B. die Uberprüfung des Rechts der DEK, die Übergangsordnung im März 1946 und der erste Entwurf einer Verfassung der EKD im Sommer 1946. Heinemann, Rechtsanwalt in Essen und engagiertes Mitglied der Bekennenden Kirche, nahm 1945 an der Kirchenversammlung in Treysa nicht teil und wurde auf Vorschlag Heids in den Rat gewählt7*. Nur von kurzer Dauer war die Mitgliedschaft des Oberstudiendirektors Peter Meyer aus Hamburg-Altona, der in Treysa als Laie aus dem norddeutschen Luthertum in den Rat gewählt wurde, ohne selbst anwesend oder überhaupt breiteren Kreisen bekannt zu sein. Da es ihm offensichtlich an Reisemöglichkeiten mangelte, konnte er an keiner Ratssitzung teilnehmen und trat deshalb mit Schreiben vom 18. Januar 1946 zurück; daraufhin erließ der Rat am 31. Januar 1946 die "Zweite Ausführungsverordnung", um eine Nachwahl zu ermöglichen79. Zu Meyers Nachfolger wählte der Rat am 2. Mai 1946 den ehemaligen Landeshauptmann der Provinz Hannover Eberhard Hagemann, der proporzgemäß vom Lutherrat vorgeschlagen worden war*0.

77 So die Mitschrift Meisers vom 11. Oktober 1946 anläßlich der Diskussion um die Einberufung einer Kirchenversammlung. • Hahn versah bis 1947 ein Pfarramt in Stuttgart-Zuffenhausen. 78 Vgl. R. TYRA, Treysa, S. 264, Anm. 259; D. KOCH, Heinemann, S. 30, Anm. 10. 79 Vgl. zum Ganzen 3B2, S. 208, Anm. 264; 3E1 (S. 299f); 4B1, Z i f f . 3 (S. 324); 4E2 (S. 383f). 80 Vgl. 6B1, Z i f f . 11.6 mit Anm. 26 (S. 462).

xxxm

Einleitung

Die Arbeit der Amtsstellen des Rates war nicht nur durch die chaotischen Lebensverhältnisse in der Nachkriegszeit geprägt, schwerer noch wog das ungelöste Problem der Rechtskontinuität zwischen DEK und EKD. Zweifel sind angebracht, ob die Entscheidungen des Rates vom 31. August 1945 hinreichend auf ihre Folgen hin durchreflektiert waren. Ohne daß er die beamtenrechtlichen Fragen im Blick auf die bisherigen Leiter der Amtsstellen geklärt und die organisatorischen Konsequenzen bedacht hatte, übertrug der Rat die Leitung von Kirchenkanzlei und Kirchlichem Außenamt Asmussen und Niemöller. Das war insofern ein grundsätzlich wichtiger Einschnitt, als mit der alten konsistorialen Tradition in der Kirchenkanzlei gebrochen und statt eines Juristen ein Theologe zum Behördenleiter ernannt wurde. Außerdem wurde die bisherige Differenzierung zwischen Kirchenkanzlei und Außenamt weitergeführt bis hin zur völligen Verselbständigung des Außenamtes zu einer eigenen Dienststelle. Diese Entscheidungen des Rates lassen erkennen, daß eine ungebrochene Kontinuität zu den bisherigen Strukturen nicht intendiert war. Sie liefen wohl darauf hinaus, im Sinne der Bekennenden Kirche von der viel geschmähten "Behördenkirche" Abstand zu nehmen und lediglich mit Geschäftsstellen zu operieren. Das ließ sich freilich kaum realisieren. Die rechtlichen Aspekte im Blick auf den bisherigen Präsidenten der Kirchenkanzlei der DEK Friedrich Werner waren wenig problematisch, weil dieser im Hauptamt als Präsident des Berliner Ev. Oberkirchenrats zur altpreußischen Kirche gehörte. Komplizierter stand es mit dem bisherigen Direktor der Kirchenkanzlei, Vizepräsident Günther Fürle, einem kirchlich gesinnten Juristen, der zwar Mitglied der NSDAP war, aber eine kaum zu beanstandende Arbeit geleistet hatte; sein Fall beschäftigte den Rat noch längere Zeit?1. Es erwies sich vom Rat als unbedacht, einfach die Tatsache zu übergehen, daß die Kirchenkanzlei der DEK mit Heinz Brunotte einen faktischen Leiter besaß, der sich 1945 eminente Verdienste um die Kontinuität der Verwaltung erworben hatte und zudem in der Fähigkeit, eine Behörde zu leiten, Asmussen deutlich überlegen war. Bei der Übernahme der Restbestände der Kirchenkanzlei der DEK in Göttingen am 23./24. Oktober 1945 trat Asmussen wie ein Diktator auf und beging bei Personalentscheidungen erhebliche Fehler. Den daraus entstehenden Konflikt mit Brunotte entschied der Rat trotz schwerwiegender kritischer Einwände jedoch zu Asmussens Gunsten*1: Die Kirchenkanzlei der DEK wurde vorübergehend zur "Nebenstelle Göttingen" der neuen Kirchenkanzlei der EKD umgewandelt, mit Abwicklungsaufgaben beschäftigt und zum 31. März 1946 schließlich aufgelöst?1. Brunotte kehrte als Oberlandeskirchenrat in den Dienst seiner hannoverschen

81

Vgl. 3C4, Z i f f . 6 (S. 220); 4B1, Z i f f . 11 mitAnm.

82

Vgl. 2B1, Z i f f . 11.27 (S. 36); 2E2 (S. 87); 3D16 bis 3D18 (S. 247-270); 3B2, S. 139-146; 183f. außerdem N . A . SCHULZE, Kurs.

83

Vgl. H. BRUNOTTE, Kurs, S. 54.

25 (S. 328); 5B1, Z i f f . 7(S. 392).

XXXIV

Einleitung

Landeskirche zurück und spielte bei den Verhandlungen über die künftige Verfassung der EKD alsbald eine bedeutende Rolleu. Es ging jedoch nicht nur um die Behördenleiter; nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Notlage der EKD hatte sich der Rat auch intensiv damit zu befassen, welche Beamten und Angestellten der DEK in den Dienst der EKD übernommen werden könnten bzw. müßten*5. Diese Personalentscheidungen wurden durch den Umstand erschwert, daß Asmussen an seinem Wohnort in Schwäbisch Gmünd faktisch eine neue Kirchenkanzlei aufbaute und dazu neue Mitarbeiter gewinnen und einstellen wollteIm Laufe des Jahres 1946 konnten diese Personalfragen vom Rat jedoch gelöst werden. Der Sitz der Kirchenkanzlei der EKD, über den der Rat noch keine endgültige Entscheidung treffen wollte, lag in Schwäbisch Gmünd zwar nicht zentral, aber immerhin in relativer Nähe zum Ratsvorsitzenden in Stuttgart?7. Nach Asmussens Rücktritt von seinen Ämtern in der EKD 1948 wurde die Kirchenkanzlei dann im Herbst 1949 nach Hannover verlegt**. Die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Blick auf das Kirchliche Außenamt, dessen originäre Aufgabe in der Betreuung der deutschen Auslandsgemeinden bestand, waren erheblich komplizierter. Der bisherige Leiter, Bischof Theodor Heckel, hatte erst Ostern 1945 seinen Dienstsitz zusammen mit dem von ihm gegründeten Evangelischen Hilfswerk für Kriegsgefangene und Internierte von Berlin nach Erlangen verlegt und betrachtete sich weiterhin als im Amt befindlich89. Es war eine rechtlich und kirchenpolitisch äußerst bedenkliche Entscheidung des Rates, Heckel, ebenso wie die juristischen Oberkonsistorialräte des Außenamtes Hans Wahl und Johannes Gisevius, mit Beschluß vom 31. August 1945 einfach in den Ruhestand zu versetzen90. Offenbar sah der Rat jedoch durch die Person Heckeis die Kontakte zur Ökumene belastet und wollte einen Neuan-

84 Vgl. die Beiträge bei H. BRUNOTTE, Bekenntnis, S. 98-148; A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 311-375. 85 Liste der beirrenden Personen in 3D11 (S. 240ff.); vgl. 2D1 (S. 71), 2D3 bis 2D6 (S. 71/.); 3B1, Z i f f . 9 (S. 120) und 2C3 (S. 61/.), 2C4 (S. 62); 3D12 bis 3D15 (S. 243-247). 86 So zunächst Hans- Werner Jensen, Günther Siegel und Herbert Mochalski. Vgl. auch 2D7 (S. 72); 2B1, Z i f f . II. 7 (S. 30); 3C10 (Hermann Ehlers; S. 225); 8B, Z i f f . 10 (Wolfgang Lehmann, Henning Fahrenbeim; S. 652). Am 21./22. März 1946 wurde Asmussen ermächtigt, neue Mitarbeiter zu berufen; vgl. 5B1, Z i f f . 3 c-e (S. 391). Schwierigkeiten veranlaßten den Rat dann am 2. Mai 1946 zu einer Modifizierung; vgl. 6B1, Z i f f . 3 (S. 461). 87 Wurms Versuche, Räumlichkeiten für die Kanzlei in Stuttgart zu bekommen, scheiterten; vgl. dazu S. 2, Anm. 3. Auch die damaligen Schwierigkeiten der Büro- und Wohnungssituation sprachen für Schwäbisch-Gmünd. 88 Vgl. dazu H. BRUNOTTE, Kurs, S. 54. 89 Vgl. dazu B. MAIWALD, Notiz, S. 229 und 1E7 (S. 18-22). 90 Vgl. 1B, Z i f f . 1 mit Anm. 6 (S. 3); 5B1, Z i f f . J (S. 392); J.M. WISCHNATH, Kirche, S. 98. Zu Wahl und Gisevius vgl. 1B, Z i f f . 1 mit Anm. 7f. (S. 3).

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XXXV

fang. Wie Asmussen erhielt auch Niemöller mit seinem neuen A mt eine materielle Grundlage91, besaß aber zunächst überhaupt keine räumlichen und organisatorischen Möglichkeiten, ein neues Außenamt aufzubauen. Er hatte auf Schloß Büdingen eine nur vorläufige Unterkunft gefunden92 und unterhielt von dort aus ein provisorisches Sekretariat. Der Rat hatte vorgesehen, die Arbeit Niemöllers durch den Juristen des bisherigen Kirchlichen Außenamts Hans Wahl zu unterstützen, aber dieser starb bereits am 14. Oktober 1946. Erhebliche Konflikte entstanden über die Zuständigkeiten von Kirchlichem Außenamt und dem neu gegründeten Hilfswerk unter der Leitung Eugen Gerstenmaiers. Für beide Einrichtungen waren die ökumenischen Beziehungen zentraler Punkt ihrer Arbeit, aber Gerstenmaier und Niemöller stimmten weder konzeptionell noch persönlich überein. Der Ratsbeschluß, daß Gerstenmaier seine Auslandsbeziehungen nur in engster Fühlungnahme mit Niemöller wahrnehmen sollte, hatte dann auch keine praktischen Konsequenzen9i. Während Niemöller das Außenamt erst allmählich wieder aufbauen konnte94, wuchs das Hilfswerk unter Gerstenmaier rasch zu einer an den praktischen Bedürfnissen orientierten Institution mit weitgefächerten Aktivitäten heran. Gerstenmaier vertrat dabei die Auffassung, das Hilfswerk sei eine selbständige Einrichtung, und handelte dementsprechend, obwohl der Rat die Oberaufsicht über das Hilfswerk beanspruchte95. Die von Dibelius beantragte, seit Herbst 1945 aufgebaute und geleitete Berliner Zweitstelle der Kirchenkanzlei der EKD9b, die im Gebäude des altpreußischen Ev. Oberkirchenrats untergebracht wurde, entwickelte sich alsbald zu einer gut funktionierenden Verwaltungseinrichtung mit großer Bedeutung für die Kirchen in der sowjetischen Besatzungszone. Sie verfügte mit dem von Dibelius herangezogenen Personal des Berliner Ev. Oberkirchenrats, den Oberkonsistorialräten Ernst- Viktor Benn und Friedrich Wilhelm Krummacher sowie Konsistorialrat Heinz Gefaeller über ein entsprechend geschultes PersonaP7. Daß die Berliner Stelle gleichsam als eine zweite Kirchenkanzlei für den Osten fungierte, führte natürlich zu Überschneidungen mit den Zuständigkeiten der Kirchenkanzlei in Schwäbisch Gmünd und zu Reibungen mit Asmussen-, doch dank Dibelius' Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen blieb die Berliner Stelle weitge-

91 Beide wurden von der EKD besoldet (vgl. 2B1, Z i f f . II. 8, S. 31;3B1, Z i f f . 2, S. 118). 92

Vgl. z.B. J. BENTLEY, N i e m ö l l e r , S. 213.

93 2B1, Z i f f . II.3 (S. 28); 2D2 (S. 71); vgl. 3B1, Z i f f . 5 (S. 119); die Diskussion 3B2, S. 163ff. und 3D8 (S. 237). 94

Vgl. A . WISCHMANN, N i e m ö l l e r .

95 Vgl. J.M. WISCHNATH, Kirche, S. 98-104, 175-179. 96 Vgl. 2B1, Z i f f . 11.9 (S. 31) und 2C1 (S. 59), ferner 6C7, § 2, Abs. 2, S. 510). 97 Vgl. Dibelius' Verfügung (2E6, S. 107f.) und Benns Schreiben an Asmussen 2E5 (105f).

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hend unabhängig98. Im Herbst 1946 erhielt sie mit Walter Zimmermann einen von der EKD besoldeten hauptamtlichen theologischen Referenten, während Benn und Krummacher nebenamtlich arbeiteten Im ganzen wird am Rat selbst und am Aufbau seiner Amtsstellen deutlich, daß bei der Neuordnung der EKD von Anfang an und bewußt der Fehler vermieden werden sollte, an die zentralistischen Strukturen der bisherigen DEK wiederanzuknüpfen. 4. Wesen und Kompetenzen der EKD Die Legitimationsbasis der in Treysa gegründeten Institution war schwach und zweifelhaft. Es gab jetzt eine "Evangelische Kirche in Deutschland", die hinfort als eigenes Rechtssubjekt betrachtet wurde, aber sie war nicht in einer den Gründungsakten von 1922 und 1933 vergleichbaren Weise zustande gekommen100. Das lag zum einen daran, daß noch nicht alle Landeskirchen, die seinerzeit die Vertragspartner gewesen waren, in der Umbruchssituation 1945 wieder eine ordnungsgemäße Leitung installiert hatten und damit eine Vertretung für die Verhandlungen in Treysa autorisieren konnten. Zum anderen wirkten die vielfältigen Spaltungen innerhalb der Kirche nach, die sich seit 1934 entwickelt hatten. Die Bruderräte hatten zwar in den Landes- und Provinzialkirchen, in denen durch Vereinbarungen die Rechtslage bereits geklärt war, auf ihre kirchenleitenden Ansprüche verzichtet, nicht aber auf Reichsebene. Angesichts dieser Situation wurde einfach vorausgesetzt, daß die in Treysa handelnden Personen legitimierte Vertreter seien. Dementsprechend fungierten in der Vorläufigen Ordnung der EKD vom 31. August 1945 als Subjekte "die Landeskirchenführerkonferenz, der Beirat des Einigungswerks und eine Abordnung des Bruderrats der Bekennenden Kirche in Deutschland", also drei Größen von unterschiedlicher Rechtsqualität, die sich zusammenfassend als "Kirchenversammlung" bezeichneten. Die Kirchenversammlung von Treysa konstituierte nicht ausdrücklich die neue Institution "Evangelische Kirche in Deutschland", obwohl von einer solchen gesprochen wurde, sondern berief mit dem Rat lediglich ein Leitungsgremium für sie. Juristisch gesehen war die EKD eigentlich nicht existent, und es reichte nicht aus, daß die Vorläufige Ordnung die EKD als im Kirchenkampf "zu einer kirchlich gegründeten inneren Einheit geführt[e]" Größe vorstellte, die sich in den drei Bekenntnissynoden (also in der noch ungespaltenen Bekennenden Kirche), im 98 Vgl. z.B. 6E6 (S. 573f.). Was in 6B1, Z i f f . 8 (S. 463) festgestellt wurde, hatte demgegenüber wenig praktische Bedeutung. Seit Mai 1946 nahm ein Referent an den Ratssitzungen teil; vgl. 5B1, Z i f f . 18 (S. 395). 99 Vgl. dazu 8B, Z i f f . 10 (S. 652). 100 Vgl. W.-D. HAUSCHILD, Kirche, S. 663, 666.

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Kirchlichen Einigungswerk und in der Landeskirchenführerkonferenz manifestiert habe. Der Rat hatte damit eine ebenso zweifelhafte Legitimation wie seinerzeit die Organe der Bekennenden Kirche, - so weitreichend waren die Folgen der durch die deutsch-christliche Zerstörung der alten Kirchenordnung unterbrochenen Rechtskontinuität101. In dieser Lage hätte es sich nahelegen können oder müssen, den Treysaer Gründungsakt durch Ratifizierungserklärungen sowohl der Landeskirchen als auch (in den "zerstörten " Landeskirchen) der Bruderräte zu legitimieren. Doch eine solche Regelung ist wohl nicht einmal erwogen worden. Zwar wäre es möglich gewesen, die einzelnen Kirchenleitungen zur Ratifizierung aufzufordern, wohingegen es unklar blieb, welche Organe die Bekennende Kirche legitim repräsentierten (auch der "Lutherrat" wäre dabei nicht auszuschließen gewesen). Letztlich wurden nur Landeskirchen zur nachträglichen Zustimmung aufgefordert, die in Treysa nicht vertreten waren102. Da die verfassungsrechtliche Situation unklar war, hing die weitere Entwicklung der EKD umso mehr davon ab, wie sich ihre praktische Arbeit gestalten würde. Aber auch diese litt immer wieder unter dem provisorischen Charakter der EKD. Dem wäre nur dadurch abzuhelfen gewesen, daß der Rat entsprechend seiner Aufgabenstellung schleunigst die vorgesehene "endgültige Ordnung der EKD", also eine allseits akzeptierte Verfassung, vorbereitet hätte. Doch das wiederum erwies sich wegen der konzeptionellen Gegensätze innerhalb des Rates als undurchführbar. Von erheblicher praktischer Bedeutung war das Problem der Rechtskontinuität zwischen DEK und EKD. Die Vorläufige Ordnung ließ in der Schwebe, ob die Verfassung der DEK von 1933 noch gültig sei, setzte aber den "Wegfall der Verfassungseinrichtungen der DEK" bzw. "der Amter dieser Verfassung" voraus. Gleichwohl erklärte sie "die Rechtsnormen [...], die seit 1933 für den Bereich der DEK gesetzt wurden", ausdrücklich für nicht ungültig, stellte sie jedoch gleichzeitig durch die Forderung in Frage, sie müßten durch "eine bekenntnismäßig geordnete EKD" überprüft werden. Das entsprach zwar generell der Lage im staatlichen Bereich, führte im einzelnen aber zu Unklarheiten,

101 Auch in den "zerstörten" Landeskirchen behalf man sich zumeist mit juristischen Hilfskonstruktionen, so z.B. in Westfalen, Rheinland, Mecklenburg, Lübeck, Oldenburg, Kurhessen-Waldeck, Baden (vgl. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 348f., 368f., 386, 389, 413f., 423, 441). Nur in Schleswig-Holstein kam es bereits 1945 zu einer durch allgemeine Kirchenwahlen begründeten Neuordnung (EBD., S. 393; vgl. auch S. XVII, Anm. 27). 102 Mit Schreiben vom IS. Februar 1946 bat z.B. die Kirchenkanzlei der EKD den Landeskirchenrat der Thüringer Kirche um Unterzeichnung der "Vorläufigen Ordnung". Dieser lehnte das jedoch unter Hinweis auf die ungeklärte Rechtslage ab (Schreiben vom 26. April 1946: EZA BERLIN, 2/84/046).

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die sich z.B. im dienst- und vermögensrechtlichen Bereich auswirkten. Ungeachtet der unklaren Rechtslage meldete Wurm als Ratsvorsitzender dem Alliierten Kontrollrat mit Schreiben vom 10. Oktober 1945, die Kirchenversammlung in Treysa habe beschlossen, "die Verfassung der deutschen evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933, die durch Staatsgesetz vom 14. Juli 1933 anerkannt worden ist, als ungültig zu erklären"103. Gleichzeitig aber beanspruchte der Rat nach der 1. Ausführungsverordnung vom 19. Oktober 1945 im Blick auf Leitung und Verwaltung der EKD "die Rechte und Pflichten der bisherigen verfassungsmäßigen Organe der DEK"104. Diesen Anspruch bekräftigte der Rat auch gegenüber dem alliierten Sekretariat, wobei er betonte, daß die EKD "dieselbe kirchliche Körperschaft darstellt" wie die DEK105. Diese paradoxe Situation ergab sich - wie schon die problematische Legitimation der Treysaer Kirchenversammlung bei der Gründung der EKD - aus dem organisatorischen und rechtlichen Chaos, das faktisch seit 1933/34 bestand: Aus praktischen Gründen mußte die Identität mit einer Institution behauptet werden, von der zugleich festgestellt wurde, daß ihre Verfassung - deren Annahme durch die Vertreter der Landeskirchen ja der konstitutive Gründungsakt gewesen war - nicht mehr gültig sei und ihre Organe nicht mehr bestünden. Das schuf für die Lösung konkreter Rechtsprobleme erhebliche Schwierigkeiten, zumal im Verhältnis zu den Landeskirchen, von denen etliche seit 1934 der DEK eingegliedert waren. Ihnen gegenüber hatte die DEK eine nicht unbeträchtliche Weisungsbefugnis besessen. Die Frage, ob der Rat der EKD dieselben oder ähnliche Kompetenzen in Anspruch nehmen könne, war in der Vorläufigen Ordnung durch den Hinweis auf die Selbstständigkeit der Landeskirchen und durch die Erläuterung, daß der Begriff der "vorläufigen Leitung" nicht die Befugnis enthalte, "den Landeskirchen bindende Weisungen zu erteilen", scheinbar gelöst. Doch es stellte sich hinfort die Frage, welchen verpflichtenden Charakter die vom Rat erlassenen Verordnungen und Richtlinien hätten. Denn die Vorläufige Ordnung setzte voraus, daß der Rat neues Recht setzen könne106, und damit schien sie an die Verfassung der DEK und an die entsprechende Praxis nach 1933 anzuknüpfen. Insofern wirkte der bisherige Zentralismus im Selbstverständnis von Rat und Kirchenkanzlei weiter, aber das stieß sogleich auf Ablehnung in den Landeskirchen.

103 Vgl. den Text 1E3 (S. 15f.) Die Alliierte Kontrollbehörde bestätigte mit Schreiben vom 18. Dezember 1945 diese Außerkraftsetzung (4D1, S. 375). 104 2C3, § 1 (S. 61). 105 Vgl. das zunächst nicht abgesandte Schreiben vom 30. Januar 1946 (4B1, S. 322f.) 106 So eingekleidet in die abgrenzende Feststellung, daß die Bezeichnung als "vorläufige Leitung" nicht bedeute, "daß das von dieser Vertretung gesetzte Recht den Charakter endgültiger Ordnungen trägt" (1E1, S. 15).

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Das zeigte sich z.B. bei der Bestimmung der 1. Ausführungsverordnung vom 19. Oktober 1945, nach der das Recht der DEK "vorbehaltlich einer vom Rat eingeleiteten Uberprüfung" weitergelten solle und der Ratsvorsitzende sowie der Leiter der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei die Befugnis bekamen, einzelne Gesetze oder Rechtsbestimmungen "einstweilen ausser Geltung zu setzen"107. Diese Ermächtigung entsprach dem Erfordernis, flexibel auf die Herausforderungen der Situation zu reagieren, doch sie erinnerte - ebenso wie die Praxis, einfach durch Ausführungsverordnungen die Verfassungslage zu verändern - fatal an die Praxis der Kirchenkanzlei der DEK. Schwerwiegend war auch die verfassungsrechtlich relevante Veränderung, die die 2. Ausführungsverordnung vom 31. Januar 1946 angesichts der Neubesetzung des zwölften Ratssitzes vornahm: Sie sprach dem Rat die Kompetenz der Treysaer Versammlung, also seines Auftraggebers, zu, "bei Ausscheiden eines Mitglieds eine Neuwahl zu treffen"108, und erklärte den in Treysa ausgehandelten Proporz für rechtsverbindlich. Das Ganze war eine problematische Kompetenzüberschreitung, die zudem sachlich nicht erforderlich war, weil der Rat auch mit elf Mitgliedern handlungsfähig geblieben wäre109. Auf dieser eingeschlagenen Linie lag es, daß der Rat auch mit der am 22. März 1946 beschlossenen "Übergangsordnung" der EKD materiell über die Vorläufige Ordnung hinausging110 Bei der Diskussion darüber zeigte sich, daß über die beiden Kernfragen der Fortgeltung der Verfassung der DEK und des Verhältnisses zu den Landeskirchen nach wie vor kaum Klarheit bestand. Hatte der Rat am 30. Januar 1946 gegenüber den Alliierten noch die institutionelle Identität von EKD und DEK behauptet, so wurde die EKD nunmehr als "Fortsetzung" der DEK deklariert. Weil die verfassungsrechtliche Lage aber nach wie vor unklar blieb, wurde im Blick auf die "rechtliche Bindung der Landeskirchen gegenüber der EKD" in einer Protokollnotiz festgestellt, daß diese durch die Vorläufige Ordnung "wesenhaft verändert, aber nicht aufgehoben" sei111. Doch das ließ erst recht alles in der Schwebe und gab keine Basis für ein verfassungsmäßig abgesichertes Handeln der EKDn2. Problematisch war auch die gegenüber der Vorläufigen Ordnung neue Bestimmung, der Rat solle für die von der EKD als deren 107 Vgl. 2C3, § 2-3 (S. 61f.). Zur landeskirchlichen Kritik vgl. z.B. das Schreiben des Thüringer Kirchenrates vom 26. April 1946 (vgl. S. XXXVII, Anm. 102). 108 4B1 (S. 324). 109 Bis 1948 wurde von dieser Bestimmung nur hei der Neuwahl Hagemanns Gebrauch gemacht (vgl. dazu S. XXXII). 110 Text: SCI (.S. 405/.). Der Entwurf dazu stammte von Smend (vgl. 5D14, S. 443ff.), der den Begriff "Notordnung " verwandte und damit die problematische Legitimation deutlich machte. 111 5 C3(S. 406). 112 Das zeigte sich auch daran, daß der Rat Smends weitergehende Präzisierungen nicht übernahm (vgl. die Streichung von § 7 und 8 aus dem Entwurf 5D14, S. 444/.).

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Einrichtungen anerkannten Arbeitsverbände und Werke "die fördernde Obhut" ausübenU3: Benannt wurden nämlich auch verschiedene Einrichtungen, die gegenüber der DEK bisher völlig frei gewesen waren, und solche wie die Frauenund Jugendarbeit, deren Eingliederung in die DEK seinerzeit zu schweren Kontroversen geführt hatte. Allerdings war der Begriff "fördernde Obhut" recht unpräzise. Der eigentliche Zweck dieser Bestimmung lag darin, die Vermögenswerte der freien Verbände vor dem Zugriff der Alliierten, insbesondere der Russen, zu schützen114. Dennoch entstand der Eindruck, die EKD wolle ihre Kompetenzen auf den Bereich der Werke und Verbände ausdehnen, und das schuf Verdruß11*. Eine interessante Klärung brachte die "Verordnung über die Aufhebung und Abänderung von Gesetzen der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 2. Mai 1946llb zumindest schon deswegen, weil über sie mit den Vertretern der Landeskirchen verhandelt wurde, ohne daß diese grundsätzliche Einwände erhoben. Mit dieser Verordnung entfiel beispielsweise die gesamte Eingliederungsgesetzgebung der DEK; aber die Rechtssetzung in der Anfangszeit 1933 (mit noch funktionierendem Geistlichem Ministerium) und von Reichskirchenausschuß und Kirchenkanzlei der DEK seit 1935 blieb im wesentlichen gültig, obwohl manche Verordnung ohnehin durch die Veränderung der allgemeinen Lage obsolet geworden war. Immerhin sollten die Leitungsvollmachten des Präsidenten der Kirchenkanzlei der DEK nunmehr auf den Rat der EKD übergehen. Das hatte jedoch kaum praktische Bedeutung für das Verhältnis zu den Landeskirchen. Die faktische Relevanz der Arbeit des Rates für die Landeskirchen läßt sich kaum exakt feststellen, weil sie eine Fülle unterschiedlicher Sachgebiete betraf. Schon 1946 entstand bei einigen der Ratsmitglieder der Eindruck, daß die Landeskirchen ihre Belange weitgehend ohne Berücksichtigung der EKD regelten und verwalteten117. Das entsprach ja auch insofern der Rechtslage, als "die Selbständigkeit der Landeskirchen unberührt" bleiben sollte; weil sie dazu nicht verpflichtet waren, machten die Landeskirchen bei ihren eigenen Verfassungsarbeiten auch keinen Gebrauch von der in der Vorläufigen Ordnung vorgesehenen Beratung durch die EKD11S. Von Anfang an nahmen die Landeskirchen die EKD zwar 113 5C1, § 4(S. 40}). 114 Vgl. Dibelius' Antrag in 3B1, Z i f f . 12 (S. 121) und in 3B2 (S. 192f.) sowie die Erklärung des Rates gegenüber den Landeskirchen in 3C6 (S. 222). 115 Vgl. zur Inneren Mission z.B. J.M. WlSCHNATH, Kirche, S. 137-144. 116 Text: 6C8 (S. 512ffi); vgl. dazu 6D5 (S. H3f) und 6B2, S. 478f. 117 Angesichts dessen muß Asmussens Feststellung vom Juni 1946, daß "die Einheit der EKD unter Anerkennung ihrer Vielfalt in gutem Fortschreiten begriffen ist" (7D1, S. 599), als Zweckoptimismus gelten. 118 Vgl. die Feststellung bei H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 35: "Auch die Änderungen der landeskirchlichen Verfassungen gingen in der Hauptsache ohne eine spürbare Mitwirkung der

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von Fall zu Fall als eine Koordinationsinstanz in Anspruch, wo es für gesamtkirchliche Anliegen unumgänglich oder hilfreich zu sein schien; jede Form zentralistischer Reglementierung oder Bevormundung im Stil der DEK wehrten sie jedoch ab. Das sei hier mit zwei Beispielen belegt: Schon im Ansatz scheiterte der Versuch des Rates, von außen her die Probleme zu lösen, die sich sowohl für die EKD als auch für die hannoversche Landeskirche aus dem Verbleib von Landesbischof Marahrens in seinem Amt ergaben119. Auch die rasch verabschiedeten Richtlinien für das Verfahren gegenüber Pfarrern mit DC- und NS-Vergangenheit120 blieben wirkungslos, und erst nach Verständigung mit den Vertretern der Landeskirchen auf der gemeinsamen Sitzung vom 1./2. Mai 1946 wurde ein erheblich veränderter Text (nun nicht mehr als "Richtlinien") beschlossenm. Hier zeigte sich, daß die Landeskirchen auch bei der Bewältigung der Entnazifizierungsproblematik ihre Autonomie gewahrt sehen wollten, es jedoch im Blick auf die Politik der Besatzungsmächte für ratsam hielten, ihr Vorgehen zu koordinieren und öffentliche Verlautbarungen gemeinsam mit dem Rat zu verabschieden112. Das ungeklärte Rechtsverhältnis zwischen EKD und Landeskirchen beeinflußte auch die Grundsatzdiskussion über die künftige Verfassung, die seit Januar 1946 geführt wurde. Sie war zusätzlich belastet durch den Plan des Lutherrats, eine eigene Lutherische Kirche mit beträchtlichen Kompetenzen zu bilden123, fetzt wurde evident, daß über den Charakter der EKD als Kirche oder Kirchenbund kein Konsensus bestand. Für die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen (eine Ausnahme machte Württemberg) konnte und sollte die EKD nur eine lockere Föderation ohne reglementierende Befugnisse gegenüber den Landeskirchen sein. Einige Vertreter der Bekennenden Kirche dagegen wünschten eine EKD als die eigentliche und einzige Repräsentation gesamtprotestantischer Institutionalität

EKD vor sich. Gerade an dieser entscheidenden Stelle zeigte sich, wie schwach die neue EKD rechtlich und innerkirchlich war. Die Selbständigkeit der Landeskirchen gegenüber der Gesamtkirche war größer denn je". 119 Vgl. dazu 3B2, S. 165-172. 120 Vgl. dazu 2B1, Z i f f . 11.25 (S. 36) und 2C5 (S. 62-65), bekräftigt in 4B1, Z i f f . 12 (S. 329) und 4C2 (S. 363/.). 121 Vgl. 6C2 (S. 501) und 6C4 (S. 505f.) Zu den unterschiedlichen Positionen der Landeskirchen vgl. die Diskussion in 6B2, S. 471-478. Bezeichnend war die Äußerung des Fleischs vom Sekretariat des Lutherrats in Hannover gegenüber der Kirchenkanzlei: "Wir Lutheraner können nun einmal Richtlinien, die irgendwie das Bekenntnis berühren, nur von einer an das lutherische Bekenntnis gebundenen Kirchenleitung entgegennehmen" (LKA HANNOVER, L 3 II Nr. 14 Bd. Hb). 122 Vgl. die Texte bei C . VOLLNHALS, S e l b s t r e i n i g u n g , S. 114-157. 123 Vgl. dazu

A . SMITH-VON OSTEN, T r e y s a , S. 176-180.

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oberhalb der Gemeindeebenem. Andere Vertreter der Bekennenden Kirche wiederum waren bereit, die Beharrungskraft der Landeskirchen zu berücksichtigen, und bauten auf ein geistliches Zusammenwachsen innerhalb einer rechtlich nicht genau fixierten EKDns. Die unterschiedlichen Konzeptionen blockierten sich so, daß der erste Versuch des Rates, die dringend erforderliche Verfassungsarbeit endlich zu beginnen, sogleich wieder steckenblieb: Zwar luden Asmussen und Wurm am 3./10. Juli 1946 die Landeskirchenregierungen als Auftraggeber des Rates (und damit als Vertragspartner der Gründung der EKD) zu einer Grundsatzbesprechung ein126, obwohl der Rat erst zehn Tage zuvor auf seiner Sitzung in Speyer ein derartiges Vorhaben abgelehnt und einen Ausschuß mit der Ausarbeitung einer Skizze für einen Verfassungsentwurf beauftragt hatte127; aber dieser Versuch, unter Ausschaltung des Bruderrats die neue Verfassung durch einen Pakt der Landeskirchen zustandezubringen, scheiterte vor allem an Niemöllers Protest121. Eine Kirchenversammlung kam dann erst nach längerer Diskussion und unter anderen Voraussetzungen am 5./6. Juni 1947 in Treysa zustande. Sie machte schließlich den Weg frei für die definitive Arbeit an der Grundordnung der EKD, nahm dabei allerdings in Kauf, daß neben der EKD auch die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands aufgebaut wurde129. Insgesamt hat der Rat der (vorläufigen) EKD seine bedeutsamsten Leistungen nicht auf dem Gebiet der Rechts-, Ordnungs- und Gestaltungsfragen vollbracht, die den kirchlichen Wiederaufbau bestimmten, sondern als Vertretung der gesamten evangelischen Kirche gegenüber den Besatzungsmächten und der deutschen Öffentlichkeit. Er verabschiedete eine Reihe von gewichtigen Eingaben, Stellungnahmen, Appellen, Erklärungen und Kundgebungen. Nach den "Worten" der Treysaer Kirchenversammlung vom August 1945führte schon die "Stuttgarter 124 Vgl. dazu die aufschlußreiche Bemerkung Niemöllers vom 30. Januar 1946: "Wir werden die Landeskirchen in ihrem bisherigen Charakter wohl nicht mehr allzulange behalten, sondern hoffentlich zu einer vernünftigeren Aufgliederung kommen, etwa ähnlich der DiözesanenOrdnung der katholischen Kirche" (4B2, S. 334). 125 126 127 128

Vgl. z.B. Asmussens Ausführungen über den "Kurs der EKD" (6C11, S. 519). Vgl. die Einladungsschreiben 8A1 bis 8A3 (S. 636ff.). Vgl. 7B2 mitAnm. 21 (S. 581) und 7B1, Z i f f . 9(S. 579). Er schrieb am 10. Juli 1946 an Wurm: "Mein Einspruch richtet sich zunächst gegen die grundsätzliche Konzeption, die hier in die Erscheinung tritt, als wären die 'Kirchenführer' von damals 'Auftraggeber', denen der Rat Rechenschaft schuldig sei, während er tatsächlich den evangelischen Gemeinden in Deutschland Rechenschaft schuldig ist [...] Auftraggeber können also nicht die Landeskirchenregierungen, sondern allenfalls die damals anwesend gewesenen Kirchenführer im strikten Sinne sein. Ferner dürfte die Einladung zu der jetzt geplanten Tagung nicht an die Mitglieder des Reichsbruderrates als solchen gehen, sondern eben an die als Auftraggeber zu bezeichnenden Teilnehmer an der Delegation des Reichsbruderrates, wenn man schon einmal formal rechtlich an diese Dinge herangeht" (8A4, S. 638f).

129 Vgl. dazu

A . SMITH-VON OSTEN, T r e y s a , S. 251-293.

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Schulderklärung" vom Oktober 1945 dazu, daß der Rat der EKD als eine ernstzunehmende, wenn auch nicht unumstrittene geistliche Autorität beachtet wurdem. Indem er sich während seiner gesamten Amtszeit nicht nur zu den existentiellen Nöten, sondern darüber hinaus auch zu allgemeinen politischen Fragen äußerte, machte er sich - ebenso wie die katholische Bischofskonferenz - zum Sprecher des deutschen Volkes in einer Zeit, als dieses keine gemeinsame Vertretung gegenüber den Alliierten und der Weltöffentlichkeit besaß.

130 Vgl. 2C2 (S. 60/.). Zu weiteren "Worten" vgl. 3C1 (S. 215ff.); 6C2 und 6C3 (S. 501 und S. 502ff.); 7D4 (S. 609ff.); 8C3 und 8C4 (S. 662f. und 663); 9D2 (S. 754ff.) Zu Schreiben an den Alliierten Kontrollrat vgl. 3C2 (S. 218); 4B1, Ziff. 4-5 (S. 324ff.) und 4C1 (S. 355-363); 6C13 (S. 528-535); 6E3 und 6E4 (S. 569ff. und S. 572); 7C8 (S. 593ff); 8D23 (S. 701-706); 9C3 (S. 738/.); 9E11 (S. 797//.). Vgl. auch die nachträgliche offiziöse Sammlung: F. MERZYN, Kundgebungen, S. 3-41.

Editorische V o r b e m e r k u n g e n von Carsten Nicolaisen und Nora Andrea Schulze Die Edition der Protokolle des Rates der EKD bietet in Form einer breit angelegten Dokumentation einen umfassenden Überblick über die Tätigkeit des Rates der EKD. Der vorliegende 1. Band der Edition enthält die ersten neun Sitzungen, die der Rat nach seiner Berufung durch die Kirchenversammlung in Treysa im August 1945 bis Ende 1946 abgehalten hat. Grundlage und Ausgangspunkt sind die von der Kirchenkanzlei der EKD angefertigten und in hektographierter Form an die Mitglieder des Rates versandten BeschlußprotokolleK Für einige Sitzungen sind darüber hinaus ausführlichere Verlaufsprotokolle überliefert, die einen besseren Einblick in den Sitzungsverlauf und die den Beschlüssen vorausgehenden Diskussionen geben. Diese Verlaufsprotokolle sind aber nur sporadisch geführt worden und weisen hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Vollständigkeit bei der Mitschrift große Unterschiede auf. Die durchgängige Unerheblichkeit der Protokollführung rührt offensichtlich daher, daß von Anfang an nicht klar war, in welcher Art die Protokolle der Ratssitzungen angefertigt werden sollten. Diese Unklarheit wurde auch durch den Beschluß des Rates auf seiner 6. Sitzung am 1./2. Mai 1946 nicht beseitigt, daß grundsätzlich nicht nur "über den Wortlaut der Beschlüsse", sondern auch "über den allgemeinen Gang der Verhandlungen" ein Protokoll aufgenommen werden solle3. Derartige ausführlichere Verhandlungsprotokolle sind ab der 8. Sitzung jedoch nicht mehr aufzufinden. Darüber hinaus scheinen Wortprotokolle im strengen Sinne grundsätzlich nicht geführt worden zu sein. Da die wenigen erhaltenen Verlaufsprotokolle ein integraler Bestandteil der Überlieferung sind, haben sich die Bearbeiter dazu entschlossen, sie neben den Beschlußprotokollen mit in die Edition aufzunehmen. Um die vielfältigen Aufgabenstellungen des Rates und die Dimensionen der auf den Sitzungen verhandelten Gegenstände deutlicher werden zu lassen, werden wegen der geringen Aussagekraft der Protokolle selbst auch sämtliche Anträge, 1

2 3

Eine Parallele haben die Beschlußprotokolle des Rates in den Kabinettsprotokollen der Bundesregierung. Zu den Besonderheiten der Gattung "Beschlttßprotokoll" hinsichtlich Form und Diktion sowie den bei einer Edition zu berücksichtigenden spezifischen Problemen vgl. M.A. KANTHER, Kabinettsprotokolle. Solche Verlaufsprotokolle liegen für die 3. bis 7. Sitzung vor. Vgl. §6 der Geschäftsordnung des Rates vom 2. Mai 1946 (6C6, S. 508).

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Anlagen, Einladungsschreiben, Tagesordnungen und Teilnehmerlisten sowie wichtiger Schriftverkehr abgedruckt. Da das einschlägige Quellenmaterial für die Ratssitzungen in den ersten Nachkriegsjahren nicht als ein in sich geschlossener Archivbestand überliefert ist, mußten zahlreiche und intensive Recherchen in verschiedenen Archiven vorgenommen werden. Der größte Teil der abgedruckten Dokumente stammt aus dem Bestand 2 des Ev. Zentralarchivs in Berlin, dem Nachlaß Wurm im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, dem archivalisch bisher nicht erschlossenen Nachlaß Smend und dem Nachlaß Meiser im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg. Zur Vervollständigung wurden weitere Funde aus dem Nachlaß Heinemann im Archiv der Sozialen Demokratie Bonn, dem Nachlaß Asmussen im Archiv für Christlich-Demokratische Politik St. Augustin, dem NachlaßLilje im Landeskirchlichen Archiv Hannover sowie der Sammlung Held im Landeskirchlichen Archiv Düsseldorf herangezogen. Nicht nur die hektographierten Beschlußprotokolle, sondern auch eine große Zahl weiterer Dokumente sind mehrfach überliefert. In diesen Fällen folgt die Edition der Überlieferung im Ev. Zentralarchiv in Berlin als dem für die Akten der EKD zuständigen Archiv. Ersatzweise wird dem Nachlaß des Ratsvorsitzenden Wurm der Vorzug gegenüber anderen Fundorten gegeben. Um die außerordentliche Fülle des abgedruckten Quellenmaterials in möglichst übersichtlicher Form darzubieten, ist die Edition jeder Sitzung in fünf Rubriken aufgeteilt: - Rubrik A (Vorbereitung der Sitzung): Einladungsschreiben, Tagesordnungen und Teilnehmerlisten. - Rubrik B (Protokoll): Beschluß- und Verlaufsprotokolle. Rubrik C (Anlagen und Beschlußtexte): Texte, die im Protokoll ausdrücklich als Anlagen ausgewiesen, vom Rat beschlossen oder in Auftrag gegeben worden sind. - Rubrik D (Anträge und Tischvorlagen): von den Ratsmitgliedern und der Kirchenkanzlei bzw. ihren Referenten vorbereitete Berichte und Anträge zur Beschlußfassung, während der Sitzungen erarbeitete Entwürfe sowie Anträge und Eingaben Dritter. - Rubrik E (Dokumente): sonstige Dokumente, die im Zusammenhang der Ratssitzungen oder einzelner während der Sitzungen erörterter Sachthemen stehen. Die in den Rubriken C-E abgedruckten Dokumente erscheinen in der Regel in der Reihenfolge, in der sie in den Einladungsschreiben und Protokollen erstmals erwähnt werden. Die Bearbeiter haben ferner jeder Sitzung Informationen zu Tagungsort und -zeit, Teilnehmern und Protokollanten vorangestellt; einzelnen Sitzungen, die Besonderheiten aufweisen, ist darüber hinaus ein einführender Text beigegeben.

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Eine Vielzahl der abgedruckten Quellen ist hinsichtlich Form, Rechtschreibung und Zeichensetzung uneinheitlich und fehlerhaft. Zwar blieb in der Regel der Lautstand der Vorlage berücksichtigt (z.B. ss stattß, oe statt ö etc.), aber um der besseren Lesbarkeit willen wurden an zahlreichen Stellen die Zeichensetzung und die offensichtlichen Schreibfehler stillschweigend korrigiert. Bei falsch geschriebenen Namen wurde die richtige Schreibweise in eckigen Klammem ergänzt, bei schwerwiegenden grammatikalischen und sachlichen Fehlern haben die Bearbeiter notwendige Korrekturen oder "sie!" in eckigen Klammern eingefügt. Auslassungen in der Vorlage sind durch drei Punkte gekennzeichnet. Jedem Dokument ist ein Kopfregest vorangestellt, das die Gattung des Dokuments undggfls. Aussteller und Empfänger bezeichnet sowie Angaben zu Ort und Datum enthält; die Briefköpfe der Vorlagen werden grundsätzlich nicht mit abgedruckt. Ermittelte Daten stehen in eckigen Klammern; Originalüberschriften innerhalb der Kopfregesten sind in Anführungszeichen gesetzt. Im diplomatischen Apparat folgen sodann Angaben zu Fundort (F) und genetischer Form (O = Original, D = Durchschrift, H = Hektographie). An dieser Stelle finden sich auch Hinweise auf vorherigen oder anderweitigen Abdruck. Die knappe Diktion der Beschlußprotokolle bringt es mit sich, daß sie für nicht Sachkundige kaum verständlich sind. Darum gehörte es zu den vordringlichsten Aufgaben der Bearbeiter, die in den Besprechungen und Beschlüssen des Rates angesprochenen Probleme und Vorgänge zu identifizieren, in ihren sachlichen und historischen Kontext zu stellen und auf weitere einschlägige Quellen und Literatur hinzuweisen. Eine genaue Rekonstruktion des Sitzungsverlaufs war nicht beabsichtigt. Die umfangreiche Kommentierung der Protokolle dient in erster Linie dazu, die Texte verständlicher zu machen und einzelne Sachbetreffe zu erläutern. Bei den zusätzlich zu den Protokollen abgedruckten Dokumenten beschränkt sie sich auf die notwendigsten Hinweise. Die Bearbeiter haben es bewußt vermieden, in ihre Kommentierung Urteile und Wertungen einfließen zu lassen, auch wenn manche Äußerungen in den Texten aus heutiger Sicht provozierend wirken. Zur Bearbeitung der Protokolle wurde von Fall zu Fall auch die in Form von Mitschriften einzelner Ratsmitglieder vorliegende Gegenüberlieferung (G) herangezogen. In diesen Mitschriften enthaltene wichtige Zusatzinformationen oder von den offiziellen Protokollen abweichende Angaben sind in den Fußnoten berücksichtigt. Darüber hinaus diente die Gegenüberlieferung zur Feststellung von Sitzungsteilnehmern sowie von Sitzungsbeginn und -ende. Insbesondere die Mitschriften Smends und Meisers lassen mehr und bessere Rückschlüsse auf den Ver4

Hierbei handelt es sich in der Regel um "Durchschläge", die gleichlautend an mehrere Empfänger gerichtet waren oder anstelle von Abschriften Verwendung fanden (zum Terminus "Durchschrift" vgl. F . B E C K / E . H E N N I N G , Q u e l l e n , S. 75).

Einleitung

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lauf der Sitzungen und den tatsächlichen Gesprächsgang zu als die offiziellen Protokolle. Für einige Sitzungen liegen Protokollentwürfe der Kirchenkanzlei vor, die bei der Kommentierung berücksichtigt worden sind. Hinweise auf diese Entwürfe finden sich entweder vor dem Abdruck der Protokolle oder in den Fußnoten. Um die Edition nicht mit einem doppelten Fußnotenapparat zu belasten, wurden sämtliche textkritischen Angaben in die Fußnoten eingearbeitet und den sachlichen Kommentierungen vorangestellt. Bei der Gestaltung des Textes und der Fußnoten haben sich die Bearbeiter nach den für die Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte festgelegten Standards gerichtet: Originaltexte, d.h. sämtliche vollständig abgedruckten Dokumente und Zitate aus Dokumenten erscheinen grundsätzlich steil, die von den Bearbeitern formulierten Texte und Fußnoten hingegen kursiv. Die Kopfregesten und Zwischenüberschriften sind als Gliederungselemente fett gesetzt. Hervorhebungen in den Originaltexten werden nur dann übernommen, wenn sie sachlich relevant sind; sie erscheinen unabhängig von der in der Vorlage verwendeten Hervorhebungsart gesperrt. Hinweise auf Quellen und Literatur innerhalb der Fußnoten sind bei Archiv- und Autorenangaben in Kapitälchen, bei Signaturen und Titeln steil gesetzt. Die Literatur wird lediglich mit Kurztiteln zitiert; die vollständigen bibliographischen Angaben sind im Literaturverzeichnis aufgeführt. Die Fußnoten zu den Protokollen enthalten eine Vielzahl von Querverweisen auf die zusätzlich abgedruckten Dokumente. Rückverweise von den Dokumenten auf die Protokolle wurden nicht vorgenommen. Die Verweise sind stets nach einem einheitlichen Schema aufgebaut: Auf die Nummer der Sitzung folgen zunächst die Angabe der Rubrik und dann die Nummer des jeweiligen Dokuments; zum Schluß erscheint zusätzlich die Seitenangabe. Viele der Sachbetreffe, die bereits in den im 1. Band enthaltenen Protokollen angesprochen sind, hat der Rat erst im Verlauf späterer Sitzungen abschließend behandeln können. Verweise auf den in Vorbereitung befindlichen 2. Band erfolgen nach einem entsprechenden Hinweis mit einer Angabe zur Nummer der Sitzung und zur jeweiligen Ziffer im Beschlußprotokoll6. Eine besondere Schwierigkeit für die Bearbeiter war die Identifizierung einer großen Zahl der in den Protokollen und Dokumenten erwähnten Personen. Die biographischen Angaben für die auftretenden Personen wurden in der Regel ins Personenregister integriert. In einigen Fällen konnte die Identifizierung aufgrund

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So bedeutet die Angabe 8C4: 8. Sitzung, Rubrik C (Anlagen und Beschlußtexte), Dokument 4. Z. B. Bd. 2,14B, Z i f f . 3-2. Band, 14. Sitzung, Rubrik B (Protokoll), Ziffer 3.

XLvm

Einleitung

von Fehlangaben, Verwechslungen o.a., die z. T. auf Hör- oder Schreibfehler der Protokollanten zurückzuführen sind, jedoch nicht geleistet werden7. Der erste Rat der EKD und seine Amtsstellen hatten ihre Arbeit unter den konkreten Bedingungen und Lebensverhältnissen im zerstörten Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit zu leisten. Die damals bestehenden gravierenden Versorgungsmängel, fehlenden Räumlichkeiten, unzulänglichen Büroausstattungen, Unregelmäßigkeiten im Postverkehr und völlig unzureichenden Verkehrsverbindungen brachten eine Vielzahl von Schwierigkeiten bei der praktischen Arbeit und den verwaltungstechnischen Abläufen mit sich. Diese Bedingungen haben sich im Gesamtzustand und den Einzelheiten der Überlieferung deutlich niedergeschlagen. Ihr besonderer Charakter ist in dieser Edition nicht mehr in vollem Umfang erkennbar. Eine gleichsam photographische Wiedergabe der Dokumente lag nicht in der Intention der Bearbeiter; vielmehr ging es ihnen um die editorische Aufbereitung der Dokumente und ihre Präsentation in einer wissenschaftlichen Ansprüchen angemessenen Form. Den Anstoß für die Edition der Protokolle des Rates der EKD hat seinerzeit Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild gegeben, der diesen Band dann auch mitkonzipiert und in der ersten Phase der Arbeit wesentlich mitgestaltet hat. Seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Brigitte Schellin hat wichtige Vorarbeiten für die Endgestalt der Edition geleistet. Grundlage für diese Edition ist die Überlieferung im Ev. Zentralarchiv in Berlin. Wir danken Herrn Dr. Hartmut Sander für die bevorzugte Betreuung bei unseren Archivrecherchen und Herrn Dr. Friedrich Künzel für seine Mitarbeit. Auch allen anderen Archiven und Persönlichkeiten, die im Quellenverzeichnis (S. 845ff.) einzeln aufgeführt sind, sei für ihre bereitwillige Unterstützung herzlich gedankt. Ebenso danken wir Herrn Prof. Dr. Rudolf SmendDD. in Göttingen, der in großzügiger Weise den Nachlaß seines Vaters für die Arbeit an dieser Edition zur Verfügung gestellt hat. Dieser Nachlaß war wegen seiner Geschlossenheit eine große Hilfe für die Zuordnung zahlreicher Dokumente zu den einzelnen Sitzungen. Auch Frau Dr. Doris Asmussen und den Herren Dr. Peter f . Heinemann, Prof. Dr. Manfred Wichelhaus und Prof. D. Helmut Gollwitzer sei für die Genehmigung gedankt, die Nachlässe Asmussens und Heinemanns auswerten zu dürfen. Unsere Kolleginnen Hannelore Braun M.A. und Gertraud GrünzingerM.A. in der Geschäftsstelle der Ev. Arbeitsgemeinschaft haben die Edition mit Rat und Tat begleitet. Bei der Erstellung der Register und den Korrekturarbeiten haben Susanne Nicolaisen und Martin Laube geholfen. Ein besonderer Dank gilt Markus Buntfuß, der mit Engagement und Umsicht das Layout dieses Bandes hergestellt hat.

7

Nicht ermittelte Personen sind im Text bei ihrer ersten Erwähnung mit* gekennzeichnet.

1 Treysa, 31. August 1945 Ort: Beginn: Ende: Teilnehmer: Protokollant:

Anstalten Hephata. Freitag, 31. August 1945, 14.30 Uhr. 16.30 Uhr. Asmussen, Brunotte, Dibelius, Hahn, Held, Lilje, Meiser, Niemöller, Niesei, Wurm1. Vermutlich Asmussen. 1A Vorbereitung der Sitzung

Der Rat trat noch in Treysa im Anschluß an die Kirchenversammlung zu seiner ersten Sitzung zusammen. Deshalb entfallen hier vorbereitende Dokumente wie Einladungsschreiben und Tagesordnung. 1B Protokoll Das Beschlußprotokoll der 1. Sitzung ist auf den 18. Oktober datiert, also wohl erst aufder 2. Sitzung angefertigt und daher nicht mehr eigens versandt worden. Im Verlauf der 2. Sitzung wurde das Protokoll der 1. Sitzung nochmals ergänzt (vgl. 2B1, S. 27). F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). G: Mitschrift Meiser. Protokoll der ersten Sitzung des Rates der EKD in Treysa am 31.8.45. Anwesend: La.Bi. D. Wurm. La.Bi. D. Meiser. Bi. D.Dr. Dibelius. Pfarrer Niemöller D D . Pastor Asmussen D D . Pfarrer lic. Niesei. Sup. Hahn. Sup. Held. Oberla.KR Lilje. Es wurde beschlossen: 1. Die Leitung der Kirchenkanzlei wird Asmussen übertragen^. Ein fester Sitz für die Kanzlei kann noch nicht in Aussicht genommen 1 2

Von den Ratsmitgliedem fehlten Heinemann und Meyer, die in absentia gewählt worden waren, sowie Smend, der aus Treysa vorzeitig abgereist war. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch die Kirchenkanzlei der bisherigen DEK in Göttingen, die kommissarisch von Brunotte geleitet wurde (vgl. Anm. 3). Die Übertragung der Leitung auf

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1. Sitzung Treysa 31. August 1945

werden3. Kons. Gerstenmaier wird weiter als Amtsträger der Kirchenkanzlei tätig sein, ist aber bis auf weiteres für die Arbeit am Hilfswerk an den württembergischen Oberkirchenrat delegiert4. Oberkons. Brunotte wird EntlaAsmussen ging auf das nachdrückliche Betreiben Niemöllers zurück (vgl. dazu O. ÜBELIUS, Christ, S. 260 und H. LILJE, Memorabilia, S. 164f.). Mit einer Vollmacht vom 31. August 1945 beauftragte Wurm Brunotte jedoch offiziell, "bis zur Abwickelung der Angelegenheiten der Deutschen Evangelischen Kirche [...], stellvertretend die Geschäfte der Göttinger Dienststelle der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei zu führen" (EZA BERLIN, 2 / 7 4 ; vgl. dazu auch 1E6, S. 18.). Die Göttinger Stelle der Kirchenkanzlei wurde schließlich am 31. März 1946 aufgelöst - Zum Verhältnis der Kirchenkanzlei der DEK zur späteren Kirchenkanzlei der EKD vgl. N . A . SCHULZE, K u r s .

3

Die Kirchenkanzlei der DEK hatte seit 1933 ihren Sitz in Berlin-Charlottenburg, Marcbstr. 2. Das dortige Dienstgebäude war am Ii. Februar 1944 durch einen Luftangriff zerstört und daraufhin nach Stolberg/Harz verlegt worden. Seit dem 19. Juni 1945 war die Kirchenkanzlei vorläufig in Göttingen, Baurat-Gerber-Str. 7 untergebracht (mit Brunotte, Schwarzhaupt, Steckelmann und sieben Bürokräften; vgl. H. BRUNOTTE, Kurs, S. 54). Noch vor der Kirchenversammlung in Treysa hatte Wurm mit Schreiben vom 21. August 1945 das Städtische Wohnungsamt in Stuttgart gebeten, ihm für die Kirchenkanzlei zwei Stockwerke im provisorischen Dienstgebäude des württembergischen EOK, Stafflenbergstr. 20, zuzuweisen, was vom Oberbürgermeister auch genehmigt wurde (LKA STUTTGART, Altreg. Gen. 115b, IX). Ab 1946 befand sich die Kirchenkanzlei dann in Schwäbisch Gmünd, dem damaligen Wohnsitz Asmussens. Vgl. dazu H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 3-5.

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Gerstenmaier war seit 1936 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, seit 1941 Konsistorialrat im Kirchlichen Außenamt gewesen; bei Kriegsbeginn hatte ihn außerdem die Abteilung Information des Auswärtigen Amtes dienstverpflichtet und gleichzeitig für "unabkömmlich" erklärt (vgl. SDAGENT, S. 39). Zur Zuordnung seiner Tätigkeit nach Kriegsende vgl. auch 2B1, S. 28. Neben anderen Persönlichkeiten und kirchlichen Stellen hatte Gerstenmaier bereits seit Ende 1942 Pläne zur Gründung eines Selbsthilfewerks entworfen, das dem kirchlichen Wiederaufbau und der Linderung der materiellen Nöte der Bevölkerung nach dem zu erwartenden Zusammenbruch des NS-Regimes dienen sollte (zur Vorgeschichte des Hilfswerks vgl. J.M. WlSCHNATH, Kirche, S. 1-75). Die Kirchenversammlung in Treysa hatte dann einmütig die Errichtung eines Hilfswerks der EKD beschlossen und als dessen oberstes Organ den "Nationalen Wiederaufbau-Ausschuß" eingesetzt, der ebenso wie der Rat der EKD noch am 31. August 1945 seine erste Sitzung abhielt. Wurm hatte das Präsidium des Wiederaufbauausschusses übernommen, Gerstenmaier die geschäftsführende Leitung des Hilfswerks, dessen Zentralbüro im Dienstgebäude des württembergischen EOK in Stuttgart eingerichtet wurde. Entgegen dem Eindruck, den Gerstenmaiers Bericht über den "Ausbau des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland" vor der Kirchenversammlung in Treysa vermittelt (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 83-86), standen zu diesem Zeitpunkt weder die Einzelheiten des Aufbaus des Hilfswerks noch die genauen Kompetenzen von Präsident des Wiederaufbauausschusses und Leiter des Hilfswerks fest. Zur Gründung des Hilfswerks und den während der Gründungsphase bestehenden Komplikationen hinsichtlich Leitung, Aufbau und Kompetenzen vgl. H. KRIMM, Quellen, Bd. 3, S. 191-196 und vor allem J.M. WlSCHNATH, Kirche, S. 75-83; vgl. dazu außerdem die gedruckten "Aufrufe zur Selbsthilfe" von Wurm (1. August 1945), Gerstenmaier (31. August 1945) und Pressel (15. Oktober 1945): LKA STUTTGART, Dl/223. Aufgrund der schwierigen rechtlichen Verhältnisse und der in Treysa offengebliebenen

1B Protokoll

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stung gegeben für die in der zurückliegenden Zeit getätigten Gehaltszahlungen5. Heckel 6 , Wahl7 und Gisevius8 werden ab 1.1.1946 in den Ruhestand versetzt, bis dahin beurlaubt9. 2. Die Leitung des Aussenamtes wird Niemöller übertragen10. Damit übernimmt er die ökumenischen Beziehungen und die Sorge für die deutschen Auslandsgemeinden. 3. Bischof Dibelius macht der nächsten Sitzung des Rates der EKD eine Vorlage über den Aufbau eines Büros der EKD im östlichen Teile Deutschlands11.

Fragen ergaben sich in der Folgezeit erhebliche Probleme in Bezug auf das grundsätzliche Verhältnis des Hilfswerks zur EKD und die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Hilfswerk, Kirchlichem Außenamt und Kirchenkanzlei (vgl. dazu 3B1, S. 119). Wurm zeigte die Gründung des Hilfswerks sowohl den Landeskirchen als auch den diakonischen Einrichtungen in Deutschland an (1E4, S. 16f), ebenfalls dem Bischof von Chichester (1E5, S. 17), am 1. September 1945 auch der Wiederaußau-Abteilung des ÖRK (J.M. WLSCHNATH, Kirche, S. 81) und am 27. September 1945 der amerikanischen Besatzungsmacht (H. KRIMM, Quellen, Bd. 3, S. 195f.). 5 Nach G war Brunotte bei der Sitzung anwesend und erstattete Bericht über den Kassenbestand der Kirchenkanzlei. Er hatte den Betrag in Höhe von RM 430.000,-, der vorher bei der Stadtsparkasse in Stolberg deponiert war, mit nach Göttingen genommen (vgl. H. BRUNOTTE, Grundordnung, S-4). 6 Heckel hatte bisher das von Reichsbischof Müller durch die "Verordnung betreffend die kirchliche Auslandsarbeit" vom 21. Februar 1934 (GBlDEK 1934, S. 9) konstituierte Kirchliche Außenamt der DEK geleitet (zu Heckeis Biographie und seiner Tätigkeit im Kirchlichen Außenamt vgl. B. MAIWALD, Heckel, S. 230f.; vgl. außerdem 5B1, S. 392). Seit Kriegsende befand er sich in Erlangen und leitete dort das Evangelische Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene (vgl. dazu 1E7, S. 18ff.). 7 Wahl war seit 1930 als Oberkirchenrat im Kirchenbundesamt, seit 1938 als Oberkonsistorialrat im Kirchlichen Außenamt tätig gewesen; zu Wahl vgl. auch 5Bl, S. 392. 8 Johannes Gisevius, seit 1925 Oberkonsistorialrat in der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei, war mit seinen 65 Jahren schon im pensionsfähigen Alter. 9 Aus G ergeben sich Differenzen zum Beschlußprotokoll: Danach sollte Heckel ab 1. Februar 1946 in den Ruhestand versetzt, Gisevius bis 1. Januar 1946 beurlaubt werden und dann in den Ruhestand gehen; von Wahl war nicht die Rede Der Beschluß zu Heckel, Wahl und Gisevius ist der erste einer Reihe von rechtlich äußerst komplizierten und anfechtbaren Personalentscheidungen, die der Rat im Zusammenhang der Selbstreinigung der Kirche, der Reorganisation von Einrichtungen der vormaligen DEK und des finanziell notwendigen Personalabbaus zu fällen hatte. Zur weiteren Personaldiskussion vgl. vor allem 3B2. 10 Niemöller führte die Geschäfte des Kirchlichen Außenamtes (vgl. dazu oben Anm. 6) zunächst ohne Mitarbeiterstab von seinem privaten Wohnsitz aus, der sich ab November 1945 in Schloß Büdingen (Hessen) befand. Der weitere Ausbau dieser Dienststelle erfolgte erst mit dem Umzug nach Frankfurt/Main im Jahre 1947 (Auskunft Maiwald). 11 Vgl. 2C1 (S. 59) und den Beschluß 2B1, S. 31.

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1. Sitzung Treysa 31. August 1945

4. Die Landeskirchen werden gebeten, einstweilen zwanzig Prozent der vorjährigen Umlage an die EKD zu überweisen12. 5. Das von der Versammlung in Treysa beschlossene Wort an die Gemeinden ist zu unterschreiben von den sieben Sprechern13. 6. Das Wort an die Pfarrer14 wird vom Rat nicht ohne weiteres übernom-

12 Mit diesem Beschlttß knüpfte der Rat an die Regelung an, wie sie die Verfassung der DEK vom 11. Juli 1933 in Art. 11, Abs. 4 vorgesehen hatte (GB1DEK 1933, S. 4). Nach dem Haushaltsplan und der Umlageberechnung der DEK für das Rechnungsjahr 1942 (GB1DEK 1942, S. 38f. und 40), die für 1943 und 1944 unverändert übernommen worden waren, hatten die 22 Landeskirchen in jenen Jahren RM1.772.386,- (mit der Brüderunität und dem Bund evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands RM 1.773.900,••) aufzubringen. Brunotte berichtete Merzyn am 7. Februar 1946, er habe zwar den ursprünglich beabsichtigten Beschluß, jetzt lediglich 10 % dieser Summen zu erheben, verhindern können; eine Erhöhung der Umlage habe er jedoch nicht erreicht, obwohl er u.a. zu bedenken gegeben habe, daß die größere Hälfte der alten DEK im russisch besetzten Gebiet liege und damit für Zahlungen vorläufig ausfalle (EZA BERLIN, 2/778). Aus den Unterlagen im EZA BERLIN, 2/769 und 2/773 geht hervor, daß die geforderten Beträge inHöhevon ca. RM 190.000,-Anfang 1946eingingen. 13 Das "Wort an die Gemeinden" (1C1, S. 5ff.) war der Kirchenversammlung in Treysa vom Reichsbruderrat zur Annahme vorgelegt worden. Es basierte auf der "Botschaft der Spandauer Synode" vom 31. Juli 1945 (abgedruckt bei F. SÖHLMANN, Treysa, S. 137f.); diese war auf der Tagung des Bruderrates, die vom 21. bis 24. August 1945 in Frankfurt/Main stattgefunden hatte, von Bethge, Dürr, Ehlers, ¡wand, Niemöller und Paul Schmidt überarbeitet worden (vgl. A . SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 138f.). Die vom Rat beschlossene Unterzeichnung durch die sieben Sprecher (vgl. Einleitung, S. XXVf), die eine zweite Autorisation des Wortes der Kirchenversammlung durch den Rat bedeutet hätte, findet sich weder auf den hektographierten noch auf den gedruckten Exemplaren des Wortes. 14 Auch das "Wort an die Pfarrer" (1D1, S. 7-11) war vom Bruderrat auf seiner Tagung vom 21. bis 24. August 1945 erarbeitet und einstimmig angenommen worden. Gemeinsam mit dem "Wort an die Gemeinden" hatte der Bruderrat das "Wort an die Pfarrer" dann der Kirchenversammlung in Treysa vorgelegt, die sich jedoch nicht auf eine Annahme einigen konnte. Die Ursache dafür sah Niemöller in "der Obstruktion gewisser Kreise oder Personen, die nicht so klar vom Schuldbekenntnis der Kirche reden wollten, wie wir das getan haben" (Schreiben an Keller vom 3. September 1945; Auszüge bei R. TYRA, Treysa 1945, S. 245, Anm. 54). Vor allem Meiser habe "das Wort an die Pfarrer mit Erfolg torpediert, indem er zuerst im Plenum seine Bedenken gegen die Formulierung des Abschnitts über die öffentliche Verantwortung der Kirche angriff [...]. Der einzige Weg wäre gewesen, die Abstimmung durchzuführen und den bayerischen Lahmlegungsversuch zu überstimmen. Den Antrag konnte ich natürlich nicht stellen, da er auch von keiner anderen Seite kam, ist die Sache erledigt" (Schreiben an Wurm vom 1. September 1945: EBD.). ZM einer Einigung zwischen Niemöller und Meiser sowie einer nachträglichen A nnahme des Wortes ist es nicht mehr gekommen (vgl. dazu das Schreiben Wurms an Lilje vom 2. Oktober 1945 [LKA HANNOVER, L 3 H Nr. 14 Bd. Hb] und den Beschluß 2B1,

IC Anlagen und Beschlußtexte

5

men. Pfarrer Niemöller und La.Bi. Meiser sollen sich darüber aussprechen, ob die zwischen ihnen liegenden Differenzen bez[ä]g[lieb] dieses Wortes beseitigt werden können. V[orgelesen]

G[enehmigt]

Unterschrieben]

Stuttgart, den 18.10.45

IC Anlagen und Beschlußtexte 1C1. Wort an die Gemeinden. Treysa, 30. August 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/209 S. 18f. (ohne

(H). • Abdruck u.a.: F. Söhlmann, Treysa, S. 87/.; K] 1945-1948,

Unterzeichnung).

Ein Wort an die Gemeinden! Gottes Zorngericht ist über uns herein gebrochen. Gottes Hand liegt schwer auf uns. "Gottes Güte ist es, dass wir nicht gar aus sind"! 15 Die Gottes Wort kannten, haben seinen Zorn gefürchtet, und kommen sehen und haben schwer daran getragen. Heute bekennen wir: Längst ehe Gott im Zorn sprach, hat er uns gesucht, mit dem Wort seiner Liebe und wir haben es überhört. Längst ehe Kirchen in Schutt sanken, waren Kanzeln entweiht und Gebete verstummt. Hirten Hessen die Herde verschmachten, Gemeinden Hessen ihre Pfarrer allein. Längst ehe die Scheinordnung des Reiches zerbrach, war das Recht verfälscht. Längst ehe man Menschen mordete, waren Menschen zu blossen N u m m e r n und daher nichtig geworden. Wessen Leben selbst nichtig ist, dem fällt es nicht schwer Leben zu vernichten. Wer die Liebe verachtet, kämpft nicht für das Recht des anderen. Er kümmert sich nicht um Verführung von Menschen und hört nicht die Stimme ihrer Qual. Er lebt und redet, wie wenn dergleichen nicht geschähe. Er scheut die Verantwortung, wie es Christen und Nichtchristen getan haben. Er versteckt sich hinter Befehlen von Menschen, um Gottes Gebot zu entgehen. Diese Lüge ist unser Tod geworden. Scheu vor dem Leiden hat das masslose Leid über uns gebracht.

S. 33). Zur Kontroverse um das "Wort an die Pfarrer" vgl. auch A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 140.

15 KlglJ, 22.

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1. Sitzung Treysa 31. August 1945

Aber mitten in den Versäumnissen der Kirche und des Volkes gab Gott Männern und Frauen aus allen Bekenntnissen, Schichten und Parteien Kraft, aufzustehen wider Unrecht und Willkür, zu leiden und zu sterben. Wo die Kirche ihre Verantwortung ernst nahm, rief sie zu den Geboten Gottes, nannte bei Namen Rechtsbruch und Frevel, die Schuld in den Konzentrationslagern, die Misshandlung und Ermordung von Juden und Kranken, und suchte der Verführung der Jugend zu wehren. Aber man drängte sie in die Kirchenräume zurück wie in ein Gefängnis. Man trennte unser Volk von der Kirche. Die Öffentlichkeit durfte ihr Wort nicht mehr hören; was sie verkündigte, erfuhr niemand. Und dann kam der Zorn Gottes. Er hat uns genommen, was Menschen retten wollten. Nun ist die Tür wieder aufgegangen. Was hinter Mauern und in der Stille gebetet und geplant ist, kommt an den Tag. Viele Fromme haben im Dunkel der Haft und erzwungener Untätigkeit die Neuordnung von Volk und Kirche bedacht. Wer nun als Christ öffentliche Verantwortung übernimmt, will Dienst und nicht Macht. Es gehört viel Glaube und Entsagung dazu, in der Tiefe der Not ein Amt anzutreten. Auch von der Kirche sind drückende Fesseln gefallen. Sie erhofft ein Neues für ihre Verkündigung und ihre Ordnung. Die bisherige Gefangenschaft hat geendet. Des sind wir fröhlich. So treten wir vor die evangelische Christenheit und rufen Pastoren und Gemeinden zur Erneuerung der Kirche. Wir rufen unser Volk: Wendet euch wieder zu Gott! In Gott haben die ungezählten Männer und Frauen nicht umsonst gelitten. Wir segnen, die gelitten haben. Wir segnen, die lieber sterben wollten als ehrlos leben und sinnlos vernichten, alle, die die Wohlfahrt ihres Volkes in der Wahrheit gesucht haben. Wir danken Gott, dass er Menschen in unserem Vaterland erhalten hat, die nach seinen Wegen fragten. Wir danken ihm, dass er Gewissen reinigt und Sünder selig macht durch seinen Sohn. Die ihn fürchten, hat er geschreckt mit seinem Zorn, getröstet mit seinem Frieden. Der Friede Gottes ist auch die Kraft der Trauernden, der Gefangenen und Wartenden, der Hungernden und Frierenden, der Heimatlosen und an Leib und Seele Verletzten. Der Friede Gottes ist euer Trost! Besteht Jammer und Elend in Geduld! Verschliesst nicht Auge und Herz vor der Not des Bruders an eurer Seite. Nehmt auch mit euren schwachen Kräften teil an den Werken der Liebe, mit denen wir versuchen, die ärgste Not zu lindern. Seid barmherzig! Mehrt nicht durch Lieblosigkeit das ungerechte Wesen in der

1D Tischvorlagen und Anträge

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Welt! Enthaltet euch der Rache und der bösen Nachrede! Lasst uns fragen nach Gottes Willen in jedem Stand und Beruf! Flieht nicht vor Leid und Hunger in den Tod! "Wer glaubt, flieht nicht!" 16 Christus will die Mühseligen und Beladenen erquicken. Er bleibt unser Heiland. Keine Hölle ist so tief, dass Gottes Hand nicht hinab reicht. Fürchtet euch nicht! Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland: i.A. D . Wurm Landesbischof. 1D Tischvorlagen und Anträge 1D1. Wort an die Pfarrer. Frankfurt a.M., 21./24. August 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/224 (H, von Wurm am 17. September 1945 versandt mit dem Vermerk: "Dieses Wort, das der Reichsbruderrat noch v o r Treysa in Frankfurt beschlossen hat, gebe ich hiemit den Amtsbrüdern zur Besinnung und Selbstprüfung bekannt"). -Abdruck u.a. F. Söhlmann, Treysa, S. 89-9317; KJ1945-1948, S. 4-7. Wort an die Pfarrer. Liebe Brüder im Amt! In dem Zusammenbruch, der über uns gekommen ist, geben wir uns Rechenschaft über das, was geschehen ist. Wir haben es erlebt, dass eine politische Lehre mit dem Anspruch eines religiösen Glaubens auftrat, sich mit beispiellosem Fanatismus durchsetzte und ihre Gegner schlimmer als Verbrecher behandelte. Das Reich, das sie aufbaute, ist in einer gewaltigen Katastrophe zusammengestürzt und hat viele Völker, zuletzt auch unser eigenes mit in das Verderben gerissen. In der Not, in der wir nun unentrinnbar stecken, schrecken uns die Bilder von Dämonen und apokalyptischen Mächten, die am Werke gewesen sind, um dieses Chaos heraufzuführen. Dämonisch war die Macht, die deutsche Menschen in den letzten Jahren zu all jenen Greueltaten trieb, vor welchen wir mit der ganzen Welt erschaudern. Apokalyptisch waren die Erscheinungsformen des totalen Krieges. Die Welt zittert davor, dass Kriegsmittel noch einmal in Anwen16 Jes 28, 16. 17 Hier falschlich als Beschluß der Kirchenversammlung von Treysa mit dem Vermerk "nicht einstimmig angenommen" abgedruckt.

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1. Sitzung Treysa 31. August 1945

dung kommen könnten, durch die sich die Menschheit selbst vernichten würde. Moralische Maßstäbe reichen nicht aus, um die Grösse der Schuld, die unser Volk auf sich geladen hat, zu ermessen. Immer neue Taten der Unmenschlichkeit werden bekannt. Viele können es immer noch nicht fassen, dass das alles wahr sein soll. In diesem Abgrund unserer Schuld ist Leib und Seele unseres Volkes vom Tode bedroht. Wir bekennen unsere Schuld und beugen uns unter die Last ihrer Folgen. Aus der Tiefe schauen wir auf zu Christus, dem Gekreuzigten. Er allein rettet uns. E R tritt für uns ein. E R vergibt uns. Aus der Tiefe schauen wir auf zu Christus, dem Auferstandenen. E R lässt uns leben mitten im Tode. E R öffnet uns in seiner Gerechtigkeit die Tür zu Recht und Ordnung. E R lässt uns wirken als die freien Kinder Gottes für seine Kreatur bis zu dem Tage, da auch sie frei werden wird von dem Dienst des vergänglichen Wesens. Darum ist uns geboten: "Werde wach und stärke das andere, das sterben will!" 1 8 . Die Herzen der Menschen wollen zerbrechen an der Härte der Tatsachen. Und doch ist es Gott, der in dem allen uns heimsucht mit seinem gnädigen Gericht. Er will uns eine Hilfe bringen, welche grösser ist als alle Not, die uns umgibt und erdrücken will. "Die Hölle hat den Schlund weit aufgesperrt und den Rachen aufgetan ohne Mass, dass hinunterfahren beide, ihre Herrlichen und der Pöbel, ihre Reichen und Fröhlichen; dass jedermann sich bücken müsse und jedermann gedemütigt werde und die Augen der Hoffärtigen gedemütigt werden, aber der Herr Zebaoth erhöht werde im Recht und Gott, der Heilige, geheiligt werde in Gerechtigkeit" (Jes. 5, 1416). In gehorsamer Beugung unter dieses gnädige Gericht Gottes muss auch das Werk der Neuordnung unserer Kirche geschehen. Die Versuchung ist gross, dorthin zurückzukehren, wo wir standen, als die Verfolgung durch den Nationalsozialismus begann. Wir müssen aber erkennen, dass uns dieser Ausweg, der Gottes Gericht verneinen würde, verboten ist. Wir haben einst das Wort von Barmen 19 gesprochen und sind dankbar, dass wir es sprechen durften. Wir wissen aber auch, dass die Verkündigung und Praxis der Kirche in vieler Hinsicht noch dahinter zurückgeblieben ist. Wir werden uns weiter im Gehorsam darum zu mühen haben. Ebenso wissen wir, dass in Barmen noch nicht alles hat gesagt werden können, was heute gesagt werden muß. Wir sehen uns einer bestimmten Konfession zugeordnet. Wir haben nicht die Freiheit, uns aus dieser Zuordnung zu lösen. Jeder ist gerufen, ein treues Glied seiner Bekenntniskirche zu sein. Wir haben kein 18 Offb 3, 2. 19 Vgl. die Beschlüsse der 1. Bekenntnissynode der DEK vom 29. bis 31. Mai 1934 in WuppertalBarmen:

A. BURGSMÜLLER/R. WETH, Erklärung, S. 32-76.

1D Tischvorlagen und Anträge

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Recht zu sagen, die durch die Verschiedenheit der Konfessionen aufgegebenen Fragen seien gegenstandslos geworden. Wir spüren aber gleichzeitig, dass Gott am Werke ist, Christen in den verschiedenen Konfessionen einander so nahe zu bringen, wie nie zuvor. Intakte und zerstörte Kirchen 20 sind insofern in derselben Lage, als der Schaden unserer Kirche ja nicht erst mit 1933 anhebt. Schon vorher sind in unserer Kirche Mißstände aufgetreten, die auf die Verquickung von Kirche und Staatsgewalt zurückgehen und uns zu einer Vorherrschaft der kirchlichen Bürokratie geführt haben. Darum genügt es nicht, jetzt nur die Zerstörung zu beseitigen, die der Nationalsozialismus angerichtet hat. Unsere Aufgabe greift weiter. Eine neue Ordnung muss gestalten, was unter Gottes Führung an biblischer Erkenntnis, kirchlicher Entscheidung und geistlichem Leben uns geschenkt worden ist. Mitten in der Not der letzten Jahre hat Gott Menschen das Ohr für die Botschaft der Kirche neu geöffnet. Pfarrer und Gemeinden haben ihr Bekenntnis nicht nur als Zeugnis ausgesprochen, sondern auch mit der Tat und dem Leiden erhärtet. Damit ist wieder deutlich geworden, dass die Wahrheit Gottes nicht mit Begriffen allein zu erfassen und zu halten ist. Gottes Wahrheit will immer auch getan sein. Das ist uns zuteil geworden und darf bei der Ordnung der Kirche nicht ausser acht bleiben. Wir denken deshalb von der Lehre nicht gering. Wir danken Gott für alle rechte Lehre, die wir überkommen haben und uns noch fernerhin geschenkt wird. Wir hoffen, dass wieder eine theologische Arbeit unter uns anfängt, die das Geschehen in der Kirche unbestechlich prüft, frei forscht, aber kirchlich gebunden. Wir danken Gott für unsere reformatorischen Bekenntnisse und mühen uns, sie besser zu verstehen. Aber wir haben auch erkannt, welche Bedeutung den Bekenntnissen der alten Kirche heute zukommt. In den notvollen Jahren, die hinter uns liegen, sind unsere Gemeinden in wachsendem Masse wieder zur Feier des heiligen Abendmahls zusammengeführt worden. Es gibt eine Fülle von Zeugnissen dafür, was dieser Tatbestand für das Leben unserer Kirche und unserer Gemeinden bedeutet. Wir wissen wieder darum, dass Gemeinde und Kirche nur dort ist, wo der Herr Jesus Christus in der Verkündigung und im heiligen Mahle bei uns ist und an uns handelt. Nur aus dieser Gemeinde und Kirche kann eine echte kirchliche Leitung erwachsen.

20 Als "zerstört" wurden diejenigen Kirchen bezeichnet, die aufgrund der Kirchenwahlen von 1933 eine deutsch-christliche Leitung erhalten hatten. Ihnen standen die "intakt" gebliebenen Kirchen gegenüber.

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1. Sitzung Treysa 31. August 1945

"Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn" 21 . Der einzige Mensch, in dem das Bild Gottes uns unverhüllt und unentstellt begegnet, ist der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus. Wo uns die Erkenntnis dieses Ebenbildes in der Verkündigung und im heiligen Mahle zuteil wird, da lernen wir auch das Bild Gottes bei uns und unserem Nächsten wieder zu glauben, wir lernen damit auch allen Gewalten zu widerstehen, die es höhnisch verzerren, um es zu zerstören. Ohne solchen Glauben können wir den anderen nicht lieb haben. Ohne solchen Glauben und ohne diese Liebe kann ein Pfarrer und Seelsorger sein Amt nicht ausrichten. Vergessen wir nicht, dass der Mensch unserer Tage das Wissen um seinen göttlichen Ursprung und seine göttliche Bestimmung preisgegeben hat und gerade darum sein Selbstbewusstsein krampfhaft übersteigert. Nun es offenbar wird, welch ein höllischer Betrug diese Ubersteigerung des Selbstgefühls war, folgt ihr die Verzweiflung. Kein biologischer, historischer oder moralischer Wert des Menschen kann seine Menschlichkeit neu begründen und sichern. Das vermag allein Jesus Christus, der Erstling aller Kreatur, der uns in der Verkündigung und im heiligen Mahle begegnet. "Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist der Herr vom Himmel. Welcherlei der irdische ist, solcherlei sind auch die irdischen; und welcherlei der himmlische ist, solcherlei sind auch die himmlischen. Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen" 22 . Hierin gründet unser wahres Verhältnis zum Nächsten, und hiermit ist die verpflichtende Weisung gegeben für die notwendige Neuordnung unseres sozialen Lebens in Freiheit und Gerechtigkeit. Nicht zuletzt geben wir der Welt durch unser Dasein als Gemeinde, was wir ihr zu geben schuldig sind. Hier ist der Ort in der Welt, wo die Grundlagen wahrer Gemeinschaft erhalten werden, wenn alles andere zerbricht. Wir können die Welt nicht verwandeln. Wenn aber die Einwirkungen der Christenheit auf das öffentliche Leben aufhören, muss das Band reissen, das Freiheit und Gerechtigkeit verbindet. Hier ist uns die Frage gestellt, inwieweit die Kirche für das gesamte öffentliche Leben in Staat, Gesellschaft und Kultur Verantwortung trägt und mit der Tat erfüllt. Diese Frage muss von der Kirche für ihre Glieder in neuer Erkenntnis und in neuem Gehorsam beantwortet werden. Auch der Pfarrer wird sich der Notwendigkeit der Mitarbeit unter den gegenwärtigen Umständen oft nicht entziehen dürfen. Wo es an geeigneten Mitarbeitern fehlt, wird sein Rat und seine Mithilfe manchmal nicht zu entbehren sein. Der Pfarrer soll in diesem Dienst das gute Gewissen haben, dass er auch hier im Dienste seines Herrn handelt. 21 22

Gen 1, 27. 1 Kor 15, 47-49.

1D Tischvorlagen und Anträge

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Tätige Hilfeleistung aus Liebe zu Gott und dem Nächsten ist in der unsäglichen Not unseres Volkes jeder Gemeinde, insonderheit jedem Pfarrer und Altesten auf die Seele gebunden. Sie darf sich nicht nur beschränken auf grosse Werke der Hilfe, wie sie heute neu geschaffen werden müssen, vielmehr hat sie zu allererst in unserer persönlichen Begegnung mit der Not des Nächsten zu geschehen. Bei dem allen aber gilt: unsere Mitwirkung am öffentlichen Leben wird ebenso wie das Werk der Hilfe ohne Frucht bleiben, wenn nicht der Herr Christus in unserer Mitte ist. Darum bleibt das wichtigste Gebot, das uns Pfarrern gegeben ist, der Umgang mit der Heiligen Schrift, die theologische Arbeit im Kreise der Brüder, die Sorge um die Verkündigung und die Sakramentsverwaltung, auch das Gebet, mit dem wir Gott preisen und ihn bitten um seinen Heiligen Geist, dies alles in der getrosten Zuversicht: unser Herr kommt! Achtet darauf, dass diese Quellen der Kraft uns täglich erschlossen bleiben! Lasst uns dafür sorgen, dass das Leben der Gemeinde nach innen ausgerichtet wird! "Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unbeweglich und nehmet immer zu in dem Werk des Herrn, sintemal ihr wisset, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn" 23 . Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit uns allen!

23

1 Kor n, 58.

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IE Dokumente 1E1. Vorläufige Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Erläuterungen. Treysa, 31. August 1945 F: VONBlNr. 9, März 1946. Vorläufige Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland 24 (Beschluss der Kirchenversammlung in Treysa vom 31. August 1945) I. Die Ev. Kirche in Deutschland (EKD) ist in Abwehr der Irrlehren der Zeit und im Kampf gegen einen staatskirchlichen Zentralismus zu einer kirchlich gegründeten inneren Einheit geführt worden, die über den deutschen Evangelischen Kirchenbund von 1922 25 hinausreicht. Diese Einheit ist zuerst auf den Bekenntnissynoden in Barmen, Dahlem und Augsburg sichtbar geworden. Ihr diente die Arbeit des kirchlichen Einigungswerkes26 und der Landeskirchenführerkonferenz. Heute dürfen wir dieser Einheit in einer vorläufigen Ordnung der E K D Gestalt geben. II. Bestrebt, den Zusammenhang mit bestehenden Rechtsformen der E K D in Deutschland zu wahren, haben wir folgende Möglichkeiten erwogen: 24 Dieses Gründungsdokument der (vorläufigen) EKD, das dem Rat auf seiner 1. Sitzung vorlag, hätte eigentlich von den Teilnehmern der Kirchenversammlung in Treysa unterschrieben werden sollen. Vgl. dazu das Schreiben der Kirchenkanzlei an die Teilnehmer von Treysa vom 12. September 194i: "Bei der Bildung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist leider unterlassen worden, das Dokument zu unterzeichnen, auf Grund dessen der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland seine Arbeit zu leisten hat. Aus diesem Grund übersende ich Ihnen in der Anlage den in Betracht kommenden Beschluss des Kirchentages, mit der Bitte, ihn unterschriftlich zu vollziehen und an die obige Adresse oder an Herrn Landesbischof D. Wurm, Stuttgart, Stafflenbergstr. 51 zurückzuleiten" (NLSMEND). Wurm zeigte die Gründung der EKD dem Alliierten Kontrollrat mit Schreiben vom 10. Oktober 1945 an (1E3, S. 15fj. 25 ZM diesem Zusammenschluß des deutschen Protestantismus nach dem Zusammenbruch des landesherrlichen Kirchenregiments 1918 vgl. H. v. SODEN, Kirchenbund; A.W. SCHREIBER, Kirchenbund. 26 Gemeint ist das Kirchliche Einigungswerk, mit dem Wurm seit 1941 auf der Basis der 13 Sätze "Auftrag und Dienst der Kirche" die im Kirchenkampf aufgebrochenen Spaltungen zu überwinden versuchte (vgl. dazu J. THIERFELDER, Einigungswerk).

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a) b) c)

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den Aufbau der "Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 11. Juli 193327 wieder herzustellen, auf die Verfassung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes von 192228 zurückzugehen, die Notorgane der Bekennenden Kirche zu bestätigen.

Zu a) Die Wiederherstellung des Aufbaues der Verfassung von 1933 ist unmöglich, weil, abgesehen von allem Grundsätzlichen die Amter dieser Verfassung unheilbar diskreditiert sind. Zu b) Auf die Verfassung des Kirchenbundes von 1922 zurückzugehen, ist schon deshalb unmöglich, weil arbeitsfähige Organe des Bundes angesichts der veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse und der noch unabgeschlossenen Neuordnung der Landeskirchen nicht gebildet werden könnten. Zu c) Die Notorgane der Bekennenden Kirche einfach zu bestätigen, geht nicht angesichts der zwischen der Bekennenden Kirche und den im Amt befindlichen Kirchenleitungen wachsenden Gemeinsamkeit.

in. Durch diese Gemeinsamkeit verpflichtet und im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber den heute so dringenden Aufgaben muß die Kirche jetzt handeln. Eine vorläufige Leitung muß die tragenden Kräfte der Kirche vereinigen und zur Auswirkung bringen. Zu diesem Zweck beschließen wir, was folgt: Die Kirchenversammlung in Treysa, zu der die Landeskirchenführerkonferenz, der Beirat des Einigungswerks und eine Abordnung des Bruderrats der Bekennenden Kirche in Deutschland zusammengetreten sind, beruft einen " R a t d e r E v a n g e l i s c h e n K i r c h e in D e u t s c h l a n d " . Er besteht aus 12 Mitgliedern, davon 6 aus lutherischen, 4 aus unierten und 2 aus reformierten Kirchengebieten. Zu Mitgliedern werden bestellt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 27

Landesbischof D. Theophil Wurm, Stuttgart, Stafflenbergstraße 51, als Vorsitzender, P. Martin Niemöller, D.D., Schloß Büdingen b. Gelnhausen (Hessen), als stellvertretender Vorsitzender, Landesbischof D. Hans Meiser, München-Solln, Paulastraße 1, Bischof D. Otto Dibelius, Berlin-Lichterfelde, Brüderstraße 5, Oberkirchenrat Dr. Hans [Hanns] Lilje, Hannover, Ebhardtstraße 3, Superintendent Heinrich Held, Essen-Rüttenscheid, Reginenstraße 47, G B 1 D E K 1933, S. 2-6.

28 Abdruck der Verfassung vom 25. Mai 1922 bei J. HOSEMANN, Kirchenbund, S. 14-27.

14 7. 8. 9. 10. 11. 12.

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P. Lic. Wilhelm Niesei, Reelkirchen über Blomberg, P. Hans Asmussen, D.D., Schwäb. Gmünd, Oberbettringer Straße 19, Superintendent Hugo Hahn, Stuttgart-Hedelfingen, Eßlinger Straße 23, Professor Dr. Rudolf Smend, Göttingen, Am Goldgraben 13, Rechtsanwalt Dr. Dr. Heinemann, Essen, Schinkelstraße 34, Oberstudiendirektor Meier29, Hamburg-Altona, Moltkestraße 3.

Mit der Vertretung des Rates werden Wurm, Niemöller, Meiser, Dibelius, Lilje, Held und Niesei beauftragt. Besondere Aufgaben des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland sind: a) Die Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland in ihren gemeinsamen Anliegen. Dabei bleibt die Selbständigkeit der Landeskirchen unberührt. b) Die Mitarbeit der EKD in der Ökumene, c) Die Wahrnehmung der Belange der EKD nach außen, d) Die Durchführung kirchlicher Hilfswerke, e) Die Beratung und Unterstützung von Landeskirchen bei der Wiederherstellung bekenntnismäßiger Ordnungen. f) Die Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der EKD. Erläuterungen zu der vorläufigen Ordnung der EKD 1. Die Bestellung eines Rates der EKD durch die Kirchenversammlung in Treysa bedeutet, daß der Bruderrat der Bekennenden Kirche in Deutschland seine kirchenregimentlichen Funktionen diesem Rat als vorläufiger Leitung der EKD für die Zeit des Bestehens dieser vorläufigen Leitung überträgt. 2. Der Hinweis auf die Wahrung des rechtlichen Zusammenhangs bedeutet nicht, daß der Wegfall der Verfassungseinrichtung der DEK von 1933 auch den Wegfall von Landeskirchenrecht zur Folge hat. Ebensowenig bedeutet es, daß damit die Rechtsnormen ungültig sind, die seit 1933 für den Bereich der DEK gesetzt wurden. Bei der vorläufigen Leitung ist aber alsbald ein Sachverständigenausschuß zu bilden, der zu prüfen und zu entscheiden hat, welche Rechtsnormen eine bekenntnismäßig geordnete EKD nicht anzuerkennen vermag. 3. Die vorläufige Ordnung bedeutet nicht eine Vorwegnahme der endgültigen Gestalt der EKD. Die Nennung besonderer Aufgaben bedeutet keine erschöpfende Aufzählung.

29 R ichtig: Peter Johann Meyer (vgl. Einleitung, S. XXXII).

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4. Die Bezeichnung der Vertretung der EKD als "vorläufige Leitung" (EU Satz 2) bedeutet nicht, daß das von dieser Vertretung gesetzte Recht den Charakter endgültiger Ordnungen trägt; sie enthält auch keine Befugnis, den Landeskirchen bindende Weisungen zu erteilen. 1E2. Bestallungsurkunde für die Mitglieder des Rates. Treysa, 31. August 1945 F: A CDP St. Augustin, 31-398 Nr. VII(O; Exemplar Asmussens). Bestallungsurkunde. Durch den Kirchentag von Treysa, der vom 27.-31. Aug. 1945 getagt hat, sind Sie in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen worden. Demzufolge wird Ihnen als Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland diese Bestallung ausgestellt. Der Vorsitzende des Kirchentages von Treysa D. Wurm [m.p.] 1E3. Schreiben Wurms an den Alliierten Kontrollrat. Stuttgart, 1 O.Oktober 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/212 (D). • Abdruck: VONBlNr. 9, März 1946. Hiermit beehre ich mich, dem Alliierten Kontrollrat mitzuteilen, daß die Evangelische Landeskirche und die Bruderräte der Bekennenden Kirche auf der Konferenz in Treysa beschlossen haben: 1. Die Verfassung der deutschen Evang. Kirche vom 11. Juli 193330, die durch Staatsgesetz vom 14. Juli 1933 anerkannt worden ist31, als ungültig zu erklären. 2. Einen Rat der Evang. Kirche in Deutschland einzusetzen, der als vorläufige Leitung die Evang. Kirche zu führen und zu vertreten hat. 3. Zum Vorsitzenden dieses Rates den Landesbischof D. Wurm in Stuttgart, zum stellvertretenden Vorsitzenden den Pastor Martin Niemöller DD., aus Berlin-Dahlem, zu berufen. Die Rechte und Pflichten der Evangelischen Landeskirchen innerhalb ihres Gebietes bleiben unberührt. Für Verhandlungen der alliierten Besatzungsmächte über rechtliche und finanzielle Angelegenheiten der Landeskirchen sind daher die einzelnen Landeskirchenregierungen zuständig. In Fragen 30 RGBl 1 1933, S. 472ff.; GB1DEK 1933, S. 2-6. 31 RGBl 1 1933, S. 471f.; GB1DEK 1933, S. 9.

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grundsätzlicher Art, die die gesamte Evangelische Kirche berühren, bitten wir, mit dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof D. Wurm, Stafflenbergstraße 51, in Verhandlung zu treten. gez. D. Wurm. 1E4. Rundschreiben Wurms an die Leitungen der evangelischen Landeskirchen und der altpreußischen Provinzialkirchen, die Zentral-, Landes- und Provinzialausschüsse der Inneren Mission und die Leitungen der missionarisch-diakonischen Verbände. Treysa, 31. August 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/223 {Druck mit Briefkopf: "Das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Vorsitzende"). Die vom 27. bis 31. August 1945 in Treysa zusammengetretenen Bischöfe und Leiter der deutschen evangelischen Landeskirchen, der Mitglieder des Beirates des Kirchlichen Einigungswerkes und des Reichsbruderrates haben die Errichtung eines Hilfswerkes der Evangelischen Kirche in Deutschland beschlossen und mir als Vorsitzendem des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland den Vorsitz dieses Hilfswerkes übertragen. Ferner haben die in Treysa anwesenden und dafür bevollmächtigten Vertreter der Landeskirchen den im Rahmen des ökumenischen Aufbauwerkes arbeitenden Nationalen Wiederaufbau-Ausschuß der Evangelischen Kirche in Deutschland konstituiert. Sie haben Herrn Konsistorialrat Dr. theol. Eugen Gerstenmaier mit der Leitung und Wahrnehmung der Geschäfte des Hilfswerkes beauftragt. Ich bevollmächtige demgemäß Herrn Konsistorialrat Dr. Gerstenmaier mit der Leitung und Vertretung des Hilfswerkes der Evangelischen Kirche in Deutschland im In- und Ausland. Die dem Ökumenischen Rat der Kirchen angehörenden deutschen Freikirchen sind eingeladen, ihre bevollmächtigten Vertreter zu entsenden, um den Nationalen Wiederaufbau-Ausschuß des gesamten im Ökumenischen Rat vertretenen deutschen Kirchentums zu bilden. Der Nationale WiederaufbauAusschuß der dem Ökumenischen Rat angehörenden deutschen Kirchen stellt den deutschen Zweig des Wiederaufbauwerkes des Ökumenischen Rates der Kirchen dar. Ich begrüße dankbar die in den verschiedenen Landes- und Provinzialkirchen, in großen und kleinen Gemeinden der Evangelischen Kirche in Deutschland bereits im Aufbau begriffenen Hilfsorganisationen und Hilfsmaßnahmen der Kirchen, der Inneren Mission und der anderen kirchlichen Verbände. Es ist unerläßlich, daß gleiche Hilfsaktionen in allen Landeskir-

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chen so schnell als möglich in die Wege geleitet werden und in planvoller Zusammenarbeit mit den in- und ausländischen ökumenischen und internationalen Hilfsorganisationen ein Höchstmaß von Hilfe geleistet wird. Mit dem beiliegenden AufruP 2 wende ich mich an alle Kirchen und Gemeinden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich bitte, ihn auf allen Wegen, vor allem von den Kanzeln, im Rundfunk und in der kirchlichen und anderen Tagespresse bekannt zu machen. Uber den Aufbau und den Gesamtrahmen, den Arbeitsgrundriß und die Organisation des Hilfswerkes wird eine besondere Mitteilung beigefügt 33 . gez. D. Wurm Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland. 1E5. Schreiben Wurms an Bell. Stuttgart, 28. September 1945 F: LKA Suttgart, Dl/209 (D).

Sehr verehrter lieber Herr Lord Bischof! Es ist mir seit Wochen ein dringliches Anliegen, Sie von der Gründung und dem Aufbau des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland als vordringlichste kirchliche Notmassnahme zu unterrichten. Der Kirchentag von Treysa hat mir das Präsidium und meinem langjährigen Mitarbeiter, Herrn Dr. Eugen Gerstenmaier, die Leitung des Hilfswerks übertragen. Ich brauche Ihnen nicht mehr zu sagen, wie dankbar wir für jede moralische und materielle Unterstüzung unserer Hilfsmassnahmen besonders für den Osten sind. Dr. Gerstenmaier wird Ihnen eingehendes Berichtsmaterial in den nächsten Tagen über Genf zuleiten. Mit dem herzlichsten Ausdruck des Dankes für alles, was Sie in wahrhaft christlicher Brüderlichkeit für unzählige Notleidende getan haben, bin ich Ihr dankbar verbundener Landesbischof W[«rm]

32

L K A STUTTGART, D L / 2 2 3 .

33

EBD.

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1E6. Schreiben Asmussens an Brunotte. Schwäbisch Gmünd, 17. September 1945 F: E2A Berlin, 2/74 (hsl.; Eingangsstempel der Kirchenkanzlei vom 8. Oktober 1945). Sehr verehrter lieber Herr Amtsbruder! Meine Absicht, mich heute per Auto auf den Weg nach Göttingen zu machen, kann ich nicht ausführen, da die Frage des Autos noch nicht geklärt ist. Ich hoffe, daß das bald sein kann. Dann würde ich - je nach dem Auto, welches ich bekomme - auch schon einige wichtige Akten und Gegenstände mit nach Stuttgart nehmen. Vor allen Dingen möchte ich dann im persönlichen Gespräch manche wichtige schwebenden Fragen klären. Heute bitte ich Sie, die Briefe, welche der Bote mitbringt, zur Beförderung durch die Post weiterzuleiten. Ich bitte, daß das der Anfang eines regelmäßigen Dienstes ist. Ich denke mir das so: Ich befördere die nach dem Norden gehende Post bis Frankfurt/M. zu Pastor lic. Fricke, Franz Rückerallee 10. Ihr Büro richtet einen regelmäßigen Reisedienst Göttingen-Frankfurt ein und holt dort in Abständen von 10-14 Tagen die angelaufene Post für das englische Gebiet ab. Diese wird dann in Göttingen der Post übergeben. Zugleich bitte ich, daß Sie bei Empfang dieses Briefes Nachricht an alle Kirchenleitungen im englischen Gebiet senden, man möge die Post für D. Wurm oder für mich (Kirchenkanzlei) durch die Briefpost an Ihr Büro in Göttingen kommen lassen. Ihr reisender Bote würde diese dann nach Frankfurt an die angegebene Adresse mitnehmen, wo mein Bote sie dann wieder abholen würde. Alle weiteren Fragen müssen wir mündlich besprechen. Ich begrüße Sie als Ihr ergebener Asmussen [m.p.] 1E7. Schreiben Heckeis an Brunotte. Erlangen, 16. Juli 1945 F: EZA Berlin, 2/69 (O). Sehr verehrter, lieber Herr Oberkonsistorialrat! In den letzten Tagen habe ich durch Oberpfarrer D. Martin Hoberg einen in Eile geschriebenen Brief an Sie gerichtet; nicht den ersten, aber einen neuen Versuch, Sie zu erreichen. Da ich Gelegenheit habe, ganz zuverlässig eine Nachricht an die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei zu bringen, wiederhole ich den wesentlichen Inhalt.

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Zunächst gebe ich unserer gemeinsamen Freude Ausdruck, nicht nur, daß Sie leben, sondern auch daß Sie mit der Kirchenkanzlei den russischen Händen entkommen sind. Wir hatten große Sorge um Sie und hörten nun von D. Hoberg, wenn auch sehr unvollständig, daß Sie und Fräulein Schwarzhaupt sicher in Göttingen seien. Ich hoffe, daß auch noch andere Herren und Damen der Kirchenkanzlei mit Ihnen gerettet wurden. Allen gilt unser herzlicher Gruß. Das Wörtlein "gerettet" hat ja trotz aller Not, die auf uns liegt, einen besonderen Klang erhalten. Wenn Sie es nicht schon wissen, teile ich Ihnen mit, daß Frau Ellwein in Feuchtwangen (Mfr.) lebt, Dinkelsbühlerstraße, und von der Bayrischen Landeskirchenkasse vorerst einen Vorschuß erhalten hat. Ihr Mann ist noch zuletzt bei einem Generalkommando in der Nähe von Prag in Kriegsgefangenschaft geraten. Wir wissen nicht, ob in tschechische oder amerikanische oder russische. Wir haben die Nachforschung nach ihm aufgenommen. Die Nachricht, daß Konsistorialrat Ranke in amerikanischer Gefangenschaft sich befindet, wird Sie noch erreicht haben. Von Herrn Oberkonsistorialrat Gustavus haben wir nichts gehört. Vielleicht würden Sie uns mitteilen, wer alles in der Kirchenkanzlei zugegen ist. Wir nehmen herzlich Anteil an dem Geschick aller. Uber unsere Personalien folgende Angaben. Außer mir befinden sich hier: Oberkonsistorialrat Dr. Wahl und eine neu angestellte Hilfsreferentin, Fräulein Schmidt. Uber die sämtlichen anderen Angehörigen des Außenamtes haben wir nichts gehört. Sie haben die Angaben ja dort, sodaß ich nicht alles aufzuzählen brauche. Oberkirchenrat Schröder stand zuletzt in Württemberg. Ob er noch vor dem Zusammenbruch rechtzeitig entlassen wurde, was er mir als möglich noch mitgeteilt hatte, weiß ich nicht. Er hat noch nichts von sich hören lassen. Ebenso unbekannt ist uns das Schicksal von Pagel, Broosche, Schalge, Scheithauer. Poppe hatte sich meines Wissens zum aktiven Militärdienst gewendet. Er hat sehr wenig Verbindung mit uns gehalten. Wir würden großen Wert darauf legen, wenn Herr Broosche zu uns stoßen könnte - aber, ob die Herren überhaupt noch leben?! Von der Kanzlei in Berlin blieb damals zurück - gegen unseren Wunsch - Frau Etzin, Fräulein Hesselbarth war zwar vor Ostern nach Erlangen gefahren, reiste aber in einer plötzlichen Platzangst, weil Dr. Wahl über Ostern nach Tübingen gefahren war und sie nicht sofort Quartier fand, noch vor Ostern zurück nach Berlin, was uns sehr bekümmerte. Fräulein Todt wollte in Berlin zurückbleiben wegen ihrer Schwester, ebenso die beiden anderen Angestellten Fräulein Rohmer und Fräulein Rohr. Amtsrat Grothe wollte ebenfalls bleiben. Frau Karch vom Hilfswerk kam nicht mehr heraus. Wir haben aber von ihr Nachricht, daß sie weiter arbeitet im Hilfswerk in Babelsberg. Pastor Pompe vom Hilfswerk hat sich in letzter Stunde gerettet und war vor einigen Wochen bei uns. Er sucht zur Zeit seinen verloren gegangenen Vater in der

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Mark Brandenburg und will dann wieder zu uns kommen. Das wäre ein ungefährer Uberblick über die Personalien. Unsere Bitte geht dahin, ob Sie uns eine größere Summe anvertrauen könnten, damit wir wieder die Gehälter auszahlen können. Wir würden bitten, uns eine genaue Angabe darüber zu schicken, was Dr. Wahl und ich zu erhalten haben und wie es mit der Abführung der Steuern zu handhaben wäre. Wir haben leider auch unsere Privatersparnisse in Berlin eingebüßt, da die Banken, Postscheckkonten usw. keine Uberweisungen vornahmen, bezw. die angeforderten Uberweisungen unserer Privatmittel an Ort und Stelle nicht eingetroffen sind. So hat uns Beide das von der Kirchenkanzlei wohl noch überwiesene Aprilgehalt nicht mehr erreicht. Wir haben deswegen eine ziemliche Notlage. Meine Frau konnte mir zum Teil aushelfen und eine kleine Summe, die wir in der Tasche mitnahmen, hielt uns bisher notdürftig über Wasser. Ich möchte sehr herzlich darum bitten, wenn es möglich ist, uns etwa RM 30 000,- als Betriebsfonds, vor allem zur Zahlung der Gehälter von mir, Dr. Wahl und Fräulein Schmidt (Angestelltentarif Vb) zu übermitteln, die sorgfältig und sparsam von Dr. Wahl verwaltet werden. Soviel zum ersten Punkt. Ferner gebe ich Ihnen einen Uberblick über unsere Tätigkeit. 1.) Evangelisches Hilfswerk: Wir haben in Erlangen, nicht ohne große Schwierigkeiten, aber doch endlich mit Erfolg, Diensträume gefunden und unser Ev. Hilfswerk für die Kriegsgefangenen und Internierten als die notwendigste Arbeit sofort aufgenommen. Wir fanden dabei die Unterstützung von Dekan Künneth, einem alten Freund von mir, den Professoren Strathmann und Althaus und auch von der Militärregierung. Die Verbindungen zu den maßgebenden Stellen für die Betreuung sind trotz der verständlichen Schwierigkeiten so hergestellt, daß besonders der Nachforschungsdienst in geeigneter Weise vor sich geht. Außerdem haben wir uns vieler Flüchtlinge, die hauptsächlich aus Oberschlesien und dem Sudetengau stammen, intensiv angenommen. Das beiliegende Blatt wurde ausgegeben34. Die Arbeit geschieht durch eine Reihe zum Teil fest angestellter, zum Teil ehrenamtlicher Mitarbeiter. Im ganzen beschäftigen wir im Ev. Hilfswerk zur Zeit außer den oben erwähnten drei Personen - fünf Angestellte und einen freiwilligen Hilfsdienst von rund 15 Personen. Der Umfang der Arbeit ist fast erdrückend. Allein im Parteiverkehr haben wir täglich außer den schriftlichen Eingängen 250 Leute abzufertigen. Zusätzlich wurde mir die ehrenamtliche Führung der Kreisstelle des Roten Kreuzes übertragen, was bei der völlig anderen Konstruktion des Amerikanischen Roten Kreuzes und für die Herstellung von Verbindungen wichtig war. Sie konnte deswegen im Interesse unseres kirchlichen Werkes nicht abgelehnt werden, obwohl diese 34 Anlage nicht ermittelt.

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Arbeitsbelastung an sich lieber vermieden worden wäre. Aber wir müssen alles tun, um wenigstens teilweise gegen die Riesennot aufzukommen. Falls es möglich ist, uns für die Beschaffung der notwendigen Druckschriften für das Hilfswerk u.a. eine Beihilfe von etwa RM 10 000,- zu überlassen, wären wir sehr dankbar. 2.) Was die Auslandsarbeit angeht, so sind die ersten Verbindungen im Anzug. Devisenüberweisungen kommen jetzt nicht in Betracht, aber es melden sich nun laufend außer dem Strom von Inlandsgeistlichen, hauptsächlich aus Altpreußen, aktive Auslandsgeistliche, Ruheständler, auch Witwen, z.B. Frau P. Rieh, Frau Superintendent Krusche, Superintendent Ladenberger, Frau P. Schieck, Frau P. Burghardt und andere, - um Mittel für den Lebensunterhalt zu bekommen. Ich möchte Sie bitten für diesen Zweck uns mindestens RM 15 000,- zu treuen Händen zu übergeben, die dann hier verwaltet und für solche Fälle verwendet werden. Sobald der Postverkehr aufgenommen wird, würde selbstverständlich alles wieder über die Kasse laufen. Wir haben uns hier eine Kartothek angelegt, in der alle Angaben genau vermerkt werden. Zunächst werden wir nur Beihilfen zahlen, zumal wir ja keine Unterlagen hinsichtlich der genauen Bezüge haben. Im übrigen habe ich für die Überbrückung den Gustav-Adolf-Haupt-Verein Bayern gebeten, Beihilfe zu gewähren. Im ganzen würden sich dann als finanzieller Bedarf (Gehälter, Kirchliches Außenamt; E.h.i.k. [Ev. Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene]; Beihilfen an Auslandspfarrer, Ruheständler, Witwen) RM 55 000,- ergeben. Wir hoffen sehr, daß Sie uns diesen Betriebsfonds zur Verfügung stellen können. Ich habe oben übrigens vergessen, daß wir in Kürze auch Konsistorialrat Gerstenmeier [Gerstenmaier] hier erwarten. - Das wäre unmittelbar das Dienstliche. Nun noch einige Ergänzungen. Besonders groß ist die Not der Flüchtlingspfarrer und der Geistlichen, die aus der Wehrmacht entlassen werden. Es ist sehr schwer, den Kollegen einen guten Rat zu geben. Bayern nimmt keine Leute mehr an. Es sind etwa hundert nicht bayr. Pfarrer stellvertretend in den Dienst eingegliedert worden. Manche von den Kollegen aus Altpreußen kehren in das von den Russen besetzte Gebiet zurück, nachdem hier mitgeteilt worden ist, daß der [Ev.] Oberkirchenrat in Berlin zurückgeblieben sei. Andere suchen verzweifelt nach ihren Familien. Wir haben hier auch solche, die bei den Bauern in die Arbeit gehen. Ich glaube, es wäre notwendig, hier eine gesamtkirchliche Hilfsaktion in die Wege zu leiten, obwohl ich weiß, wie schwer auch das heute sein dürfte. Wir haben hier wenigstens mit Hilfe des Roten Kreuzes jetzt vor, ein dauerndes Ubernachtungsquartier einzurichten, nachdem die meisten bisher in unseren Amtsräumen Nächte zuge-

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bracht haben. Erlangen ist vollständig überfüllt, der Zuzug gesperrt. Die Hauptfrage ist aber immer wieder die Beschäftigung. Noch ein kurzes Wort persönlich. Wir leben hier in äußerst bescheidenen Verhältnissen, aber wir können arbeiten. Herr Dr. Wahl vermißt noch seine Frau mit der Kleinen. Sie war zuletzt in Wismar, Schwerinerstraße 9 bei Keding, vielleicht auch Rittergut Gross Walmsdorff, Post Grevesmühlen (Mecklbg.). Hoffentlich ist sie noch herausgekommen. Möglicherweise befindet sie sich in Reelkirchen über Blomberg/Lippe bei Frau P. Niedermeier geb. Wahl. Wenn Sie etwas hören sollten, wäre es sehr schön. Von meinem Altesten - zuletzt U-Boot-Offizier - habe ich keine Nachricht. Wie steht es mit den Ihren? Wir hören, daß allerlei Kirchenpläne umlaufen, näheres ist uns nicht bekannt. Wir würden sehr gerne etwas von Ihnen darüber erfahren. Das ist nun ein langer Zettel geworden. Hoffentlich kommt er gut in Ihre Hände und hoffentlich können Sie uns eine ausführliche Antwort geben. Wir wären dafür äußerst dankbar. Möge sich das Wort bewahrheiten: "Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder."35 Mit herzlichsten Grüßen an Sie und alle, die um Sie und bei Ihnen sind, auch an den Herrn Landesbischof von Hannover Ihr Hecke!

35

[m.p.]

Aus: Fr. Hölderlin,

Hyperion.

2 Stuttgart, 18. und 19. Oktober 1945 Ort: Beginn: Ende: Teilnehmer:

Hauptstätterstraße 51b (Haus der Bibelgesellschaft) und Eugenstraße 22. Donnerstag, 18. Oktober 1945, 9.00 Uhr. Freitag, 19. Oktober 1945 (Uhrzeit unbekannt). Asmussen, Dibelius, Hahn, Heinemann, Held, Lilje (nur 19. Oktober), Meiser (am 19. Oktober ca. 1 Stunde vor Sitzungsende abgereisti), Niemöller, Niesei, Smend, Wurm.

Zeitweise als Gäste: Ökumenische Delegation:

Dohrmann, Hornig, Zielke*. Bell (nur 19. Oktober), McCrea Cavert, Herman, Koechlin, Kraemer, Maury, Michelfelder, Sturm, Visser't Hooft.

Protokollant:

Vermutlich Jensen, Siegeß (18. Oktober), Asmussen, Schwarzhaupt (19. Oktober).

Die 2. Sitzung des Rates hat wegen der sog. "Stuttgarter Erklärung" eine herausragende kirchengeschichtliche Bedeutung erhalten. Verlauf und Beratungen dieser Sitzung wurden maßgeblich bestimmt durch das Zusammentreffen des Rates mit einer Delegation aus der Ökumene, die - mehr oder weniger überraschend • nach Stuttgart gekommen war. Die offiziellen Dokumente zur Vorbereitung der Sitzung (2A1 bis 2A3, S. 25f.) enthalten keine Hinweise auf den bevorstehenden Besuch einer ökumenischen Delegation. Hartenstein äußerte in seiner Begrüßungsrede am Vorabend der Sitzung: "Ohne daß wir in Stuttgart das wußten und ahnten, sind heute nachmittag die Vertreter aller evangelischen Kirchen der Welt in unserer Stadt eingetroffen" (2E3, S. 89); ähnlich hieß es in einem Bericht über die Tagung des Rates: "Die Ökumene hatte ohne Einladung zur Überraschung des Rates der EKiD eine Reihe von Vertretern nach Stuttgart entsandt" (2B2, S. 39). Allerdings hatte Wurm schon frühzeitig Bell nach Deutschland eingeladen, wie aus dem Antwortschreiben Beils vom 8. September 1945 hervorgeht: "Ich begrüße Ihre Einladung an mich sehr herzlich und habe die große Hoffnung, ihr in naher Zukunft gemeinsam mit anderen Kirchenmännern verschiedener Religionsgemeinschaften folgen zu können"3. Auch Niemöller wußte vom Interesse der Ökumene an einem Treffen mit der obersten Leitung der EKD. Er war am 27. September 1945 von Visser't Hooft um eine Einladung gebeten worden und hatte diesem am 10. Oktober 1945

1 2

Vgl. das Schreiben Meisers an Wurm vom 8. Dezember 1945 (3A4, S. 114ff.). Vgl. dazu die von der Kirchenkanzlei vorbereitete Quartierliste (NL SMEND).

3

Zit. bei G . BESIER, Christen. S. 23.

24

2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

geantwortet: "Es wäre schön, wenn Sie nach Stuttgart kämen: ich habe sofort eine Einladung an Sie gestartet, die ich morgen früh zum Schweizer Konsulat nach München mitnehmen will, damit sie von einem Kurier mitgenommen werden kann, wenn alles klappt" 4 . Zwei Tage vor der Stuttgarter Sitzung erhielt Wurm eine Mitteilung - vermutlich von Hartenstein - über den unmittelbar bevorstehenden Besuch einer Delegation: "Eben war ich bei Major Steiner* und habe folgendes erfahren [...]. Der Bischof von Chichester kommt mit 3 seiner Geistlichen morgen Mittwoch den 17. Oktober im Lauf des Tages in Stuttgart an, genaue Zeit ist von der 7. Armee noch nicht durchgegeben [...]. Ich bin gebeten worden, morgen 11 Uhr bei Major Steiner zu sein, um bis dahin evt. bekannte Ankunftszeiten und Einzelheiten entgegenzunehmen und das Weitere zu veranlassen. Hoffentlich geht jetzt alles gut"5. Dem Rat war die tatsächliche Zusammensetzung der ökumenischen Delegation jedoch nicht bekannt. Er wußte auch nicht, daß sich am 15. Oktober 1945 Koechlin, Maury, McCrea Cavert, Michelfelder und Visser 't Hooft in Baden-Baden getroffen hatten, um sich auf das Zusammentreffen mit dem Rat der EKD vorzubereiten. Visser 't Hooft legte bei dieser Besprechung einen insgesamt 15 Punkte umfassenden Entwurf vor, in dem er u.a. ein klares Wort der deutschen Kirchenführer zum nationalsozialistischen Terrorregime und zu den Greueltaten in den von Deutschland besetzten Gebieten forderteDieser Entwurf hat Verlauf und Inhalt der Verhandlungen zwischen ökumenischer Delegation und Rat der EKD maßgeblich bestimmt; es ist offensichtlich, daß er den von den Mitgliedern der ökumenischen Delegation am 18./19. Oktober gehaltenen Reden zugrundegelegen hat (vgl. 2B2). Die Delegation traf am 16. Oktober in einem französischen Militärfahrzeug, begleitet von Sturm, im Hotel Graf Zeppelin in Stuttgart ein7. Nachdem sie am Morgen des 17. Oktober mit Gerstenmaier und anderen Vertretern des Hilfswerks über Hilfsprogramme für die deutsche Bevölkerung verhandelt hatte, fand sie sich am Nachmittag erstmals bei Wurm ein. Am Vorabend der eigentlichen Ratssitzung, am 17. Oktober, fand um 19.30 Uhr in der Markuskirche ein öffentlicher Gottesdienst statt, im Saal des Furtbachhauses fast zeitgleich eine Kundgebung. Niemöller, einer der Hauptredner, war erst kurz zuvor in Stuttgart eingetroffen. Auch Kraemer erreichte erst jetzt Stuttgart. Nachdem Wurm in der Markuskirche die ökumenischen Gäste begrüßt hatte, predigte Niemöller über Jer 14, I 7 f f . Diese Predigt wiederholte er später auf der Kundgebung im Furtbachsaal (vgl. dazu 2E3, S. 99-102).

4

EBD.

5

L K A STUTTGART, D 2 3 / 2 .

6 7

Übersetzung aus dem Englischen abgedruckt bei G. BESIER, Christen, S. 129FF. Vgl. EBD., S. 28 gegen M. GRESCHAT, Zeichen, S. 9.

2 A Vorbereitung

25

Am nächsten Morgen (18. Oktober 1945) versammelte sich der Rat um 9.00 Uhr im kleinen Sitzungssaal der Württembergischen Bibelgesellschaft zu der geplanten Sitzung (vgl. 2B2, S. 39). Um 14.00 Uhr gab Colonel Dawson, der amerikanische Militärbefehlshaber von Stuttgart, einen offiziellen Empfang für den Rat und die Mitglieder der ökumenischen Delegation, auf dem Wurm und Dawson Ansprachen hielten. Nachdem sich im Anschluß an diesen Empfang Asmussen, Niemöller und Visser't Hooft noch zu einem Gespräch zusammengefunden hatten, begann um 16.00 Uhr in der Eugenstr. 22 die erste gemeinsame Verhandlung zwischen Rat und Okumenikern (vgl. 2B2, S. 40-49). Gegen 20.30 Uhr versammelte sich der Rat zu einer geschlossenen Sitzung, zu der sowohl Asmussen als auch Dibelius einen Entwurf für eine Erklärung des Rates an die Ökumene vorlegten (2D8, S. 73 und 2D9, S. 73f). Am Morgen des 19. Oktober traf sich der Rat dann erneut mit den ökumenischen Gästen, zu denen nun auch Bell, der am Abend zuvor in Begleitung von Rupp Stuttgart erreicht hatte, hinzustieß, in den Räumen der Württembergischen Bibelgesellschaft. Asmussen überreichte eine auf den Vortag datierte und von allen Ratsmitgliedern unterschriebene maschinenschriftliche Fassung der Erklärung, an der noch einige kleinere Korrekturen vorgenommen wurden (2C2, S. 60f). Zu den Reaktionen der ökumenischen Delegation auf die Ubergabe der Erklärung und zum weiteren Verlauf der Ratssitzung vgl. 2B2, S. 50-55.

2A Vorbereitung der Sitzung 2 AI. Schreiben Asmussens an die Mitglieder des Rates. o.O., o.D. F: NL Smend (D). Hiermit lade ich Sie ein zur Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland auf Donnerstag 18.10. 9 U h r nach Stuttgart, Gerokstrasse 29. I.A. Asmussen [m.p.] 2A2. Schreiben Wurms an Smend. Bad Boll, 7. Oktober 1945 F-.NL Smend (hsl.f. Sehr geehrter Herr Professor! A m Donnerstag 18. Oktober findet eine Sitzung des Rats der EKiD in Stuttgart statt. Ich lade Sie als Mitglied des Rats hierzu ein. Es besteht Schnellzugverbindung zwischen Frankfurt u. Stuttgart mit Aussteigen in Kornwestheim, von dort mit Vorortzug bis zum Hauptbahnhof, von dort mit

8

Ahnliche Schreiben erhielten auch die anderen Ratsmitglieder.

26

2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

Straßenbahnlinie 10 bis Haltpunkt Stafflenbergstraße, von dort 5 Min. bis zu meiner Wohnung Stafflenbergstr. 51. Ich bitte Sie, diese etwas formlose Einladung zu entschuldigen; es fehlt uns noch die Kanzlei, u. ich bin augenblicklich hier bei einer Freizeit. Mit ergebenstem Gruß Landesbischof D. Wurm 2 A3. Tagesordnung F: LKA Stuttgart, Dl/208

(O).

Tagesordnung für die Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 18. Oktober 1945 in Stuttgart Kl. Sitzungssaal der Württ. Priv. Bibelanstalt Hauptstaedterstr. \sic!\ 51b. 1. Andacht Landesbischof D. Wurm 2. Protokoll der letzten Sitzung 3. Berichte: Landesbischof D. Wurm 4. Kanzlei

09.00-09.15 09.15-09.35 09.35-09.50 09.50-10.10

Uhr Uhr Uhr Uhr

5. Aussenamt 6. Bischof D. Dibelius 7. Andere 8. Aussprache über die Berichte

10.10-10.25 10.25-10.45 10.45-11.30 11.30-13.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Mittagessen 9. Organisation Anträge 1-99 10. Gefangenenfürsorge Anträge 10-13 11. Frage der Ostpfarrer Antrag 14 12. Verhältnis zu den Besatzungsmächten Antrag 16 13. Arbeitsplanung Antrag 15

14.30-15.30 15.30-15.45 15.45-16.15 16.15-17.15 17.15-19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Frühstück

9

Alle Anträge 2D1 bis 2D7 (S. 71f.); 2D10 bis 2D18 (S. 74-80).

2B Protokoll

27

2B Protokoll 2B1. Beschlußprotokoll F:EZA Berlin, 2/62 (H). G: Mitschrift 1. Heinemann; 2. Meiser; 3. Niesei; 4. Smend.

Das im folgenden abgedruckte Beschlußprotokoll wurde erst am 9. Januar 1946 zusammen mit dem Protokoll der 3. Sitzung von der Kirchenkanzlei an die Ratsmitglieder

versandt,

denn auf der 3. Sitzung wurden Einsprüche gegen eine von Asmussen versandte, auf den 21. Oktober 1945 datierte Fassung des Protokolls geltend gemacht, so daß ein neues Protokoll erstellt werden mußte. Die Fassung vom 21. Oktober (= P) enthält die Beschlüsse I. bis 11.30, vier Anlagen (identisch mit 2C1 bis 2C4, S. 59-62) und den Vermerk Asmussens: "Obiges Protokoll wird den Mitgliedern des Rates zur Kenntnis übersandt. Evt. Einsprüche bitte ich möglichst umgehend mir mitzuteilen" 10 . Im EZA Berlin (2/84/046/1)

und im NL Smend ist ein ebenfalls auf den 21. Oktober

datierter dreiseitiger Entwurf (*= E) für P überliefert. Die ersten beiden Seiten enthalten die Beschlüsse I. bis 11.24, die Anlagen 1 bis 3 sowie den oben zitierten Vermerk Asmussens; die dritte Seite die Beschlüsse 11.25 bis 11.30, die Anlage 4 und den Zusatz: "Die Mitglieder des Rates werden hiermit gebeten, obiges Protokoll zur Kenntnis zu nehmen."

P r o t o k o l l d e r S i t z u n g des R a t e s d e r E K D a m 18./19. O k t o b e r 1945 in Stuttgart, k o r r i g i e r t auf G r u n d d e r B e s p r e c h u n g e n des R a t e s bei s e i n e r D r i t t e n S i t z u n g a m 13./14. D e z e m b e r 1945 in F r a n k f u r t / M a i n I. N a c h t r a g z u m P r o t o k o l l d e r E r s t e n S i t z u n g in Treysa: D a s M i t g l i e d des R a t e s D r . Lilje w i r d m i t d e r k i r c h l i c h e n R e g e l u n g d e r Lagerseelsorge in d e n G e f a n g e n e n l a g e r n i m englischen G e b i e t b e t r a u t 1 1 . II. Beschlüsse d e r Z w e i t e n S i t z u n g i n Stuttgart 1 2 : 1) Bei d e n f ü h r e n d e n P e r s ö n l i c h k e i t e n bisheriger K i r c h e n b e h ö r d e n ist folgendes V e r f a h r e n z u b e o b a c h t e n : Es soll d u r c h p e r s ö n l i c h e R ü c k s p r a c h e ver-

10 3D1 (S. 226ff.). 11 Vgl. dazu den Antrag 2D11 (S. 75). 12 E und P: "Beschlüsse zu innerdeutschen Fragen". Vgl. auch Nieseis Beanstandung 3D2 (S. 229).

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2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

sucht werden, sie zum freiwilligen Verlassen ihres bisherigen Amtes zu veranlassen13. 2) Die Arbeit an den Kriegsgefangenen, die Dr. Eberhard Müller leitet, ist nicht dem Hilfswerk, sondern dem Rate der EKD zugeordnet, mit dem Dr. Müller die Verbindung durch die Kanzlei aufrecht erhält14. 3) Konsistorialrat Gerstenmaier hat eine Planstelle in der Kirchenkanzlei, er wird an das Hilfswerk delegiert, von diesem besoldet und untersteht dem Vorsitzenden des Hilfswerkes, Landesbischof D. Wurm 15 . Es wird erwartet, dass er seine Auslandsbeziehungen in engster Fühlungnahme mit Pf. Niemöller D D . tätigt 16 . 13 Laut Antrag sollte den Betroffenen dagegen in einem Schreiben schlichtweg die Pensionierung mitgeteilt werden (2D1, S. 71). - Vgl. dazu auch den abweichenden Beschluß der ersten Sitzung (1B, S. l f f . ) und die weiteren Entscheidungen des Rates auf späteren Sitzungen (3B1, S. 120; 4B1, S. 328; 5B1,

14

S. 392

U.Ö.J.

Vgl. dazu das Protokoll einer Besprechung zwischen Asmussen, Müller, Siegel und Walz am 30. Oktober 1945. Danach war Müller zum "freien Dezernenten bei der Kanzlei der EKiD" ernannt "mit der Zuständigkeit für alle seelsorgerlichen und kirchenamtlichen Fragen des Kriegsgefangenenwesens", während dem Hilfswerk "die caritativen Aufgaben mit Ausnahme der literarischen Betreuung" überlassen bleiben sollten. Müller sollte seine Briefe mit dem Kopf "Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland. Abteilung Kriegsgefangenendienst" schreiben (EZA BERLIN, 2/556). In Müllers undatiertem Abschiedsbericht hieß es, er sei bei seiner "mündlichen Verabredung mit Herrn Pfarrer Asmussen am 17.10.45 [...] mit der vorläufigen Betreuung der Kriegsgefangenensachen im Rahmen der Kanzlei der EKiD, bis zur Bestellung eines hauptamtlichen Bearbeiters dieser Angelegenheit beauftragt" worden (EBD.). AUS seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Kirchenkanzlei schied Müller bereits Anfang 1946 wieder aus, um sich ganz dem Aufbau der Evangelischen Akademie Bad Boll zu widmen (vgl. sein Schreiben an Schuster vom 1. Dezember 1945: EBD.). Zur Nachfolge Müllers vgl. 3B1, S. 120.

15 P: "Kons. Rat Gerstenmaier untersteht dem Rat der EKD. Er behält seine Planstelle in der Kirchenkanzlei. Er wird besoldet durch das Hilfswerk." Abweichend von diesem Beschluß wurde Gerstenmaier zunächst noch bis November von der Kirchenkanzlei besoldet (vgl. Vermerk Steckelmanns vom 25. Oktober 1945: EZA BERLIN, 2/69; Schreiben Brunottes an Asmussen vom 6. Dezember 1945: EZA BERLIN, 2/74). Am 1. Januar 1946 machte Brunotte Asmusssen darauf aufmerksam, daß Gerstenmaier "vom Hilfswerk in aller Form angestellt werden [müsse]. Dazu wäre aber zu klären, ob das Hilfswerk überhaupt B e a m t e anstellen kann. Das wäre wohl nur dann möglich, wenn das Hilfswerk im Stellenplan der EKD als besondere Abteilung geführt würde" (EZA BERLIN, 2/69). Im Haushalt der EKD für das Jahr 1947 heißt es dazu, daß Gerstenmaier "z. Zt. zum Hilfswerk beurlaubt" sei und keine Bezüge durch die EKD erhalte (AB1EKD 1, 1947, Sp. 7f.). 16

Vgl. dazu den Antrag 2D2 (S. 71) und 3B1, S. 119. Im Vorfeld der Sitzung, am 19. September 1945, hatte Visser't Hooft an Schönfeld geschrieben: "So lange nicht geklärt ist, ob Niemöller oder Gerstenmaier oder die zwei zusammen für die auswärtigefn] Beziehungen des Wiederaufbauwerks verantwortlich sind, werden wir hier Gerstenmaier nicht empfangen können" (zit. bei J.M. WLSCHNATH, Kirche, S. 99). Außerdem hatte er Niemöller mit Schreiben vom 27. September 1945 seine Unterstützung für die bei der

2B Protokoll

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4) Aus Anlass eines Artikels, den Kons. Rat Gerstenmaier im Rheinland veröffentlicht hat, erklärt Landesbischof D. Wurm, dass er mit dem Anschlag auf den Führer am 20. Juli 1944 nichts zu tun habe17. 5) D. Hosemann soll sich wegen der von ihm geforderten Pension an die Altpreussische Union wenden, bei der er als früherer Präsident des Konsistoriums von Breslau zuständig ist18. Wegen der Archivarbeit soll sich die Kirchenkanzlei mit Maurer in Marburg und Prof. Smend in Göttingen ins Benehmen setzen 19 .

Ratssitzung herbeizuführende Klärung seiner Kompetenzen als Leiter des Kirchlichen Außenamtes angeboten (EBD. S. 99f.). 17 Gerstenmaier hatte Wurm bereits in seinem Bericht "Zur Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944", den die "Neue Zürcher Zeitung" in den Ausgaben Nr. 979 und 983 vom 23. und 24. Juni 1945 veröffentlichte, in Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler und den damit verbundenen Umsturzplänen gebracht. Nach Gerstenmaier war Wurm neben dem katholischen Bischof von Berlin, Graf Preysing, "wohl [...] am tiefsten in die Umsturzpläne eingeweiht". In der Ausgabe Nr. 1017 vom 1. Juli 1945 folgerte die "Neue Zürcher Zeitung " aus dem Bericht Gerstenmaiers, daß auch die christlichen Kirchen "an dem Umsturzversuch" beteiligt gewesen seien; "die Entscheidung" jedoch hätten "Einzelne zu treffen" gehabt, die sich auch gefunden hätten, "wie die Haltung des württembergischen Landesbischofs Wurm und auf katholischer Seite die des Bischofs Graf Preysing in Berlin bewies". - Der im Ratsbeschluß erwähnte Artikel Gerstenmaiers, der nicht ermittelt werden konnte, enthielt wahrscheinlich die gleichen Thesen, 18 Vgl. dazu den Antrag 2D3 (S. 71f). Hosemann hatte seit 1924 das Kirchenbundesamt in Berlin geleitet, war im Juni 1933 von Ludwig Müller zwangsweise beurlaubt, im Mai 1934 von August Jäger rechtswidrig in den Wartestand versetzt worden und dann "nur noch in ständig geringer werdendem Umfange beschäftigt", bis er 1936 "durch die altpreußische Landeskirche zum Konsistorialpräsidenten nach Breslau berufen wurde und damit aus dem Dienst der neu gegründeten Deutschen Evangelischen Kirche ausscheiden mußte" (vgl. das Schreiben Hosemanns an Niemöller vom 31. August 1945: EZA BERLIN, 1/Pers. 9). Insofern waren für seine Pensionsansprüche sowohl die EKD als auch die Ev. Kirche der altpreußischen Union zuständig (vgl. dazu auch Gl zu diesem Beschluß: "Fall Hosemann Pensionierung. Soll sich mit der APU und der Kirchenkanzlei ins Benehmen setzen"), die sich allerdings erst nach dem Tod Hosemanns endgültig über die Aufteilung der Pensionskosten einigen konnten (vgl. die Personalakte: EZA BERLIN, 1/Pers. 9). 19 Vgl. dazu die Anträge 2D3 (S. 71f.) und 2D4 (S. 72). Anlaß für diesen Beschluß waren die Bitte Hosemanns, ihn in der Leitung des Archivamtes der EKD zu belassen (vgl. Schreiben Hosemanns an Niemöller vom 31. August 1945: E Z A BERLIN, 1/Pers. 9), und sein Hinweis darauf, daß die vom Reichssippenamt beschlagnahmten Kirchenbücher zurückzufordern seien (Schreiben Hosemanns an Wurm vom 17. September 1945: EBD.). Offenbar hielt der Rat Hosemann als Leiter des Archivamts für nicht mehr tragbar (vgl. S. 72, Anm. 88), so daß nach neuen Lösungen gesucht werden mußte. Laut Verlaufsprotokoll der dritten Sitzung am 13./14. Dezember 1945 (3B2, S. 124) hat die Kirchenkanzlei in dieser Sache jedoch keinen Kontakt zu Maurer aufgenommen (vgl. aber 9B, S. 731), der derzeit Propst von Oberhessen und Schmalkalden mit Sitz in Caldern bei Marburg/Lahn war. Smend erhielt am 3. Dezember

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2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

6) In Sachen Freytag [Freitag^ und Steckelmann billigt der Rat das Vorgehen des Vorsitzers bzw. der Kanzlei. Es wird festgestellt, dass Oberkons.Rat Dr. Steckelmann eine Planstelle im EOK hat. Er ist an das Hilfswerk delegiert20. 7) Dr. Hermann Ehlers wird hauptamtlich, aber zunächst auf Grund eines Dienstvertrages als leitender Jurist in die Kirchenkanzlei berufen21.

1945 für die 3. Ratssitzung von Oberlandeskirchenrat Lampe aus Hannover ein Gutachten über "Zweck und Notwendigkeit des Kirchlichen Archivamtes" (EZA BERLIN, 2 / 9 4 ) , über das offensichtlich nicht diskutiert worden ist. Aus der Personalakte Hosemanns geht hervor, daß er im Einvernehmen mit Merzyn auch im Jahre 1946 Leiter des Archivamts der EKD und der Arbeitsgemeinschaft landeskirchlicher Archivare mit Sitz in Marburg/Lahn blieb, obwohl Wurm Lampe am 26. März 1946 mit der Leitung des Archivamts beauftragte. Bis zu Hosemanns Tod im Jahr 1947 unterschrieb Lampe alle offiziellen Schreiben des Archivamtes mit dem Zusatz "in Vertretung" (EZA BERLIN, 1/Pers. 9). 20 Vgl. dazu die Anträge 2D5 (S. 72) und 2D6 (Ebd.). Oberkonsistorialrat Freitag vom EOK Berlin, der in der Ausweichstelle Züllichau gearbeitet hatte und dann nach Bernburg geßohen war, hatte in der Ausweichstelle Stolberg am 27. Juni 1945 seine Versetzung in den Ruhestand nach Vollendung seines 65. Lebensjahres zum 1. Januar 1946 erbeten und erhalten. Bis dahin wurde er mit der Empfehlung beurlaubt, sich im Westen eine Unterkunft zu suchen, die er schließlich in Ludwigsburg fand. Da er seit April 1945 kein Gehalt mehr bekommen hatte, bat er Wurm am 20. September 1945 um ein Überbrückungsgeld, worauf Asmussen ihm am 4. Oktober 1945 empfahl, sich an Präses Koch als den Vertrauensmann des Westteils der altpreußischen Landeskirche zu wenden (vgl. Schreiben Freitags an Dibelius vom 1. März 1946: EZA BERLIN, 7/Pers. F. 6). Steckelmann, Oberkonsistorialrat beim EOK Berlin, war seit dem 1. Juli 1945 als Finanzreferent bei der Kirchenkanzlei der DEK in Göttingen beschäftigt und erhielt von dort mit Einverständnis Wurms vorschußweise sein Gehalt (Vermerk Brunottes vom 7. September 1945: EZA BERLIN, 2/69). Am 19. September 1945 hatte Asmussen im Einvernehmen mit Wurm und Pressel Stekkelmann schriftlich vorgeschlagen, "als Glied der Kirchenkanzlei deren Finanzen [zu] übernehmen, zugleich aber, wie schon vereinbart, die Geschäfte des Schatzmeisters und Justitiars für das Hilfswerk" zu führen (EZA BERLIN, 2/769). Laut Schreiben Gerstenmaiers vom 22. September 1945 an Steckelmann hatte Wurm in seiner Eigenschaft als Ratsvorsitzender Stekkelmann dementsprechend in die Kirchenkanzlei übernommen und damit dessen "Abstellung als Finanzminister des Hilfswerks angeordnet" (LKA STUTTGART, Dl/223). Am 24. Oktober 1945 eröffnete Asmussen Steckelmann bei der Übernahme der Kirchenkanzlei in Göttingen: "Nachdem Sie von Herrn Landesbischof Wurm berufen worden sind, die Finanzen des Hilfswerks und der neuen Kirchenkanzlei zu verwalten, werden Sie hierdurch aufgefordert, zunächst in Göttingen Ihre bisherige Tätigkeit weiter auszuüben, um sich etwa Anfang des Januar 1946 in Stuttgart einzufinden zur Übernahme Ihrer neuen Tätigkeit" (EZA BERLIN, 2/69). Dazu kam es aber nicht mehr, da Steckelmann am 1. Dezember 1945 in das Landeskirchenamt Bielefeld überwechselte. 21 Vgl. dazu den Antrag 2D7 (S. 72). Ehlers nahm die Berufung jedoch nicht an, weil er wenige Tage nach der Sitzung von der oldenburgischen Synode zum rechtskundigen Oberkirchenrat gewählt wurde. Vgl. dazu aber auch 3B1, S. 122 und 3C10 (S. 225); außerdem A. MEIER, Ehlers, S. 43f.

2B Protokoll

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8) Die Gehälter von Pf. Niemöller und P. Asmussen sind grundsätzlich in der Höhe der bisherigen Leiter ihrer Behörde zu bezahlen22; jedoch wird baldigst eine Gehaltskommission die Gehälter für die Angestellten der Kirchenkanzlei überprüfen und festsetzen. Bis dahin werden an sie Vorschüsse zur Verrechnung gezahlt23. 9) Der Antrag Dibelius wird angenommen (s. Anlage l)24. Im Osten eingehende Gelder werden dort verwaltet. Die Ausgaben der Berliner Stelle dürfen die Einnahmen nicht übersteigen25.

22 Laut Stellennachweis des Haushalts der DEK für 1939 (GB1DEK 1939, S. 69) wurde der Leiter des Kirchlichen Außenamtes nach Besoldungsgruppe B 7b (jährlich insgesamt RM 18.060,••) bezahlt, der Leiter der Kirchenkanzlei nach Besoldungsgruppe B 7a (jährlich insgesamt RM 18.160,-). Nach Besoldungsgruppe B 7 wurden im staatlichen Bereich Ministerialdirigenten bezahlt. - Zur neuen Regelung vgl. 3B1, S. 118. 23 E: "[...] jedoch wird baldigst eine Gehaltskommission die Einzelheiten festsetzen. Bis dahin werden an sie Vorschüsse zur Verrechnung gezahlt." Eine derartige Kommission ist in den Akten nicht nachzuweisen. Gehaltsfragen und entsprechende Empfehlungen wurden später im Finanzbeirat der EKD besprochen, dessen Gründung auf der Ratssitzung am 1./2. Mai 1946 in Treysa (vgl. 6B1, S. 461f) erfolgte. Für die aktiven Beamten und Angestellten ist die vorschußweise Zahlung offensichtlich nicht durchgeführt worden. Jedenfalls erklärte Asmussen bei der Übernahme der Kirchenkanzlei in Göttingen am 13./24. Oktober 1945 Steckelmann, daß die Gehälter der Beamten Brunotte, Schwarzhaupt, Hellriegel, Kiesow, Gerstenmaier und Steckelmann bis auf weiteres sowie der Angestellten Hoevermann, Trübe, Jahn und der Schwestern Buttmann bis zum 31. Januar 1946 in bisheriger Höhe zu zahlen seien. Unterhaltsvorschüsse erhielten nur die derzeit nicht beschäftigten sowie die Ehefrauen der in Kriegsgefangenschaft befindlichen Beamten (EZA BERLIN, 2/69). 24 2C1 (S. 59). - Die Berliner Zweitstelle der Kirchenkanzlei wurde im Gebäude des EOK Berlin in der Jebensstr. 3 untergebracht. Aufbau und Arbeitsweise der Berliner Stelle bestimmte eine "Präsidialverfügung", die Dibelius als Vertreter des Rates der EKD am 1. Dezember 1945 erließ (2E6, S. 107f). Benn übersandte diese Verfügung mit Schreiben vom 31. Dezember 1945 an Asmussen (2E5, S. 105f). Zur Reaktion darauf bzw. zur Abgrenzung der Kompetenzen der Berliner Stelle vgl. die Aktennotiz 2E7 (S. 108f.). 25 Zur Finanzsituation der Berliner Stelle vgl. das Schreiben Dibelius' an die Kirchenleitungen der östlichen Landeskirchen vom 14. November 1945: Weil die Kirchenkanzlei die vereinbarte Überweisung von RM 150.000,- noch nicht durchführen konnte und keine östliche Landeskirche bisher einen Beitrag gezahlt hatte, war die Zweitstelle zunächst völlig ohne Mittel. Da zudem nicht einmal ein Postscheckkonto zur Verfügung stand, bat Dibelius die Kirchenleitungen, zur nächsten Konferenz der Ostkirchen am 27. November 1945 bares Geld mitzubringen (EZA BERLIN, 4/208). Auf der Ratssitzung am 30./31. Januar 1946 übergab Asmussen Benn eine Abschlagszahlung von RM 3.000,- auf den vereinbarten Betrag von RM 150.000,-, am 25. Februar 1946 wurden weitere RM 100.000,- überwiesen, am 5. April 1946 schließlich noch einmal RM30.000,(•vgl. die entsprechenden Dokumente in: EZA BERLIN, 4/254).

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2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

10) Eine der Oekumene gegebene Erklärung (s. Anlage 2) wird angenommen26. 11) Die Vertreter der EKD für die kommende Tagung der Oekumene sind der Vorsitzer und sein Stellvertreter27. 12) Die Erste Ausführungsverordnung der Treysaer Beschlüsse (s. Anlage 3) wird verabschiedet28. 13) Es wird ein Ausschuss eingesetzt, der festzustellen hat, was von der Kirchengesetzgebung seit 1933 noch in Giltigkeit [szc/] ist. Die Leitung dieses Ausschusses hat Prof. Smend - Göttingen29. 14) Ein zweiter Ausschuss soll gebildet werden, um die Frage der künftigen Gemeindewahl-Ordnung zu bearbeiten30.

26 2C2 (S. 60f.). - Zu dieser von der ökumenischen Delegation erbetenen Erklärung vgl. 2B2, S. 4953, 2B3, S. 55-58 sowie die Entwürfe 2D8 (S. 73) und 2D9 (S. 73f). 27 Bei der "kommenden Tagung der Ökumene" handelt es sich um die Tagung des Vorläufigen Ausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf vom 20. bis 23. Februar 1946, über die Niemöller auf der 5. Sitzung des Rates berichtete (vgl. 5B2, S. 403f). Nach G2 gab Visser't Hooft "seiner Freude darüber Ausdruck, daß der Anschluß erfolgt ist, und Wurm und Niemöller nach Genf kommen sollen." Koechlin sagte: "[...] wir werden in der Schweiz das große Vorrecht haben, die erste Nachkriegssitzung des Ökumenischen Rates bei uns beherbergen zu dürfen. Wir werden uns freuen, wenn Wurm und Niemöller bei uns sein werden." - Zur Vorbereitung der Genfer Tagung vgl. das Schreiben Asmussens an Wurm vom 7. Januar 1946 ( E Z A BERLIN, 2 / 1 6 3 ) .

28 2C3 (S. 61f). - Diese Verordnung geht zurück auf einen wortgleichen, hsl. von Smend formulierten Entwurf (NL SMEND). Außerdem hatte auch die Göttinger Kirchenkanzlei einen Entwurf für eine Ausführungsverordnung (2D20, S 82f.) und ein entsprechendes Rundschreiben des Rates an die Landeskirchenleitungen (2D19, S. 80ff.) vorgelegt; zu dieser Vorlage vgl. auch das Schreiben Brunottes an Wurm vom 30. Oktober 1945, in dem es u.a. hieß: "Die Erste Ausführungsverordnung zur Vorläufigen Ordnung von Treysa schafft eine absolut klare Rechtslage, und zwar in einem Sinne, auf den die Sachbearbeiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei bereits in Treysa hingearbeitet hatten und in dem wir am 18. Oktober dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Vorlage gemacht haben, die wir zwar nicht selbst vortragen konnten, die aber doch im wesentlichen in der Ersten Ausführungsverordnung Gestalt gewonnen hat" (3D16, S. 248). 29 Ein derartiger Sachverständigenausschuß war bereits in Abs. 2 der Erläuterungen zur Vorläufigen Ordnung der EKD vorgesehen (1E1, S. 14). 30 E: "Ein zweiter Ausschuss hat die neue Gemeindewahlordnung vorzubereiten. Sein Vorsitzer ist Prof. Smend. Dr. Wehrhahn wird mit den büromässigen Arbeiten dieses Ausschusses bei der Kanzlei betraut." - Vgl. dazu die Diskussion über Wehrhahn auf der nächsten Sitzung (3B2, S. 125f).

2B Protokoll

33

15) L a n d e s b i s c h o f D . W u r m w i r d in regelmässigen A b s t ä n d e n seelsorgerlic h e Briefe an die Pfarrerschaft schreiben 3 1 . D e r in T r e y s a nicht verabschiedete Brief an die P f a r r e r gilt als Brief des B r u d e r r a t e s 3 2 . 16) M i t der V e r t r e t u n g der E K D bei den Besatzungsmächten w e r d e n in besonderen F ä l l e n betraut: für die englische Z o n e D r . Lilje, für die amerikanische Z o n e L i c . F r i c k e , für die französische Z o n e ein n o c h v o m R a t zu Bestimmender33. 17) E s w i r d ein Ausschuss eingesetzt, der Verlagsangelegenheiten bei der Besatzungsbehörde zu v e r t r e t e n hat: Lilje, H a m m e l s b e c k , H u t t e n u n d ein v o n Lilje z u b e n e n n e n d e r V e r l e g e r 3 4 .

31 Solche regelmäßigen seelsorgerlichen Briefe Wurms an die Pfarrerschaft konnten nicht ermittelt werden. Wurm hat jedoch in seiner Eigenschaft als Ratsvorsitzender eine Reihe von seelsorgerlichen "Worten" verfaßt, die an unterschiedliche Adressaten gerichtet waren und nicht durch besondere Beschlüsse des gesamten Rates verabschiedet wurden. Ein Beispiel dafür ist das Wort zum 1. Advent 1945 (2E4, S. 103ff.), das über die Kirchenkanzlei den Ratsmitgliedern, Bischöfen, Kirchenleitungen, Bruderratsmitgliedem und Landesbruderräten zur weiteren Verbreitung zugeleitet wurde. 32 Obwohl der Beschluß des Rates auf seiner 1. Sitzung die weitere Behandlung des "Wortes an die Pfarrer" offengelassen (vgl. 1B, S. 4f. und 1D1, S. 7-11) und Wurm am 25. September 1945 noch an Niemöller geschrieben hatte: "In der Sitzung am 18. Oktober muß aber unbedingt eine Annahme des Wortes durchgesetzt werden" (LKA STUTTGART, Dl/225), wurde die Annahme des Wortes als offizielle Äußerung der EKD hier endgültig abgelehnt, weil die Differenzen zwischen Niemöller und Meiser offensichtlich nicht beseitigt werden konnten (vgl. dazu S. 4, Anm. 14). Trotzdem wurde das "Wort an die Pfarrer" später falschlich als Beschluß der Treysaer Kirchenversammlung (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 89ff. mit dem Vermerk "nicht einstimmig angenommen") bzw. als "Wort der Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland" (F. MERZYN, Kundgebungen, S. 8ff.) publiziert. 33

Vgl. dazu die Anträge 2D11 (S. 75) und 2D12 (Ebd.). Für die französische Zone wurde Anfang 1946 Pfarrer Brandl, Baden-Baden, bestimmt (vgl. 4B4, S. 347). Für die russische Zone hat offensichtlich Dibelius entsprechende Funktionen erfüllt (vgl. z.B. das Schreiben Asmussens an Dibelius vom 21. Dezember 1945: EZA BERLIN, 2/206). Die Hauptaufgaben der Beauftragten bestanden darin, die Militärregierungen über die Ratssitzungen zu informieren und Eingaben an sie weiterzuleiten (vgl. dazu S. 325, Anm. 14). Dabei blieb es ihnen weitgehend selbst überlassen, in welcher Form sie ihre Aufgaben durchführten (vgl. z.B. die Schreiben Asmussens an Fricke vom 21. Dezember 1945 und 4. Januar 1946: EZA BERLIN, 2/206).

34 Asmussen schrieb am 9. Januar 1946 an Lilje: "Gel[e]g[e»t/icA] der Stuttgarter Sitzung wurden Sie als Vorsitzender eines Ausschusses berufen, der in Verlagssachen mit der Besatzungsbehörde zu verhandeln hat. Darf ich Sie wohl bitten, mir mitzuteilen, was aus diesem Ausschuß geworden ist" (LKA HANNOVER, L 3 II Nr. 14 Bd. üb). Die Antwort Liljes ließ sich nicht ermitteln. Nach Auskunft des LKA Hannover vom 8. Februar 1994 weist lediglich ein Passus in einem Vorvertragsentwurf des "Heimkehr-Verlags" auf Liljes Tätigkeit in Verlagsangelegenheiten hin (EBD., L 3 II Nr. 51).

34

2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

18) E i n e v o n Pf. N i e m ö l l e r verfasste H a n d r e i c h u n g eines Einschubs in das K i r c h e n g e b e t für N o t l e i d e n d e (Anlage 4) w i r d als Material an die Landeskirchen versandt35. 19) L a n d e s b i s c h o f D . W u r m w i r d die Militärregierung bitten, dass der Busstag, soferne er an e i n e m W e r k t a g abgehalten w i r d , wieder als gesetzlicher F e i e r t a g gilt 3 6 . 20) F e l d b i s c h o P 7 D o h r m a n n richtet bei der Kanzlei eine Abwicklungsstelle für die W e h r m a c h t s g e i s t l i c h e n usw. ein 3 8 . D u r c h eine Rundfrage bei den L a n d e s k i r c h e n w e r d e n die N a m e n der W e h r m a c h t s g e i s t l i c h e n u n d K ü s t e r festgestellt 3 9 . F e l d b i s c h o f D o h r m a n n w i r d v o n der Kanzlei aus i m engen E i n v e r n e h m e n m i t D r . E b e r h a r d M ü l l e r die Seelsorge an den Kriegsgefangenen durchzuführen versuchen40.

35 Vgl. 2C4 (S. 62). 36 Für die Wiedereinführung der beiden kirchlichen Feiertage (Büß- und Bettag, Himmelfahrtstag), denen durch eine Verordnung vom 27. Oktober 1941 (RGBl 1941, S. 662) der gesetzliche Schutz entzogen worden war, waren die Besatzungsmächte zuständig, die allerdings für die einzelnen Regionen unterschiedliche Regelungen getroffen hatten. Aus einer Mitteilung des Ev.-Ref. Landeskirchenrats Aurich vom 29. November 1945 geht beispielsweise hervor, daßfür die britische Militärregierung der Region Hannover im Gegensatz zur britischen Militärregierung Schleswig-Holsteins (vgl. den Runderlaß des Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein vom 19. Oktober 1945: LKA NÜRNBERG, Meiser 125) die Verordnung vom 27. Oktober 1941 weiterhin in Kraft blieb, weil die interalliierte Kontrollkommission den Krieg noch nicht offiziell für beendet erklärt hatte (LKA HANNOVER, L 3 II Nr. 14 Bd. üb). Asmussen bat die Militärregierungen der westlichen Besatzungszonen mit Schreiben vom 7. Dezember 1945 daraufhin förmlich um Außerkraftsetzung der Verordnung und die Anerkennung von Büß- und Bettag sowie Himmelfahrtstag als gesetzliche Feiertage auch für den Fall, daß sie auf einen Wochentag fielen. Das Problem war sogar zur 11. Sitzung noch nicht einheitlich gelöst (vgl. Bd. 2, 11B1, Ziff. 19). Es ist allerdings bemerkenswert, daß in dieser Frage nicht Wurm aktiv wurde, wie es der Beschluß des Rates vorsah, sondern Asmussen. Vgl. auch 3B2, S. 136. 37 E: "Landesbischof"; P: "Bischof". 38 Dohrmann, dessen Tätigkeit als Feldbischof mit dem Zusammenbruch der deutschen Wehrmacht ihr Ende gefunden hatte, befand sich vom 30. April bis 22. Juli 1945 im Kloster Niederaltaich in amerikanischer Intemierungshafi (vgl. seinen Bericht vom 25. Juli 1945: EZA BERLIN, 2/466; zur Tätigkeit Dohrmanns als Feldbischof der Wehrmacht vgl. H. KUNST, Gott läßt sich nicht spotten). Am 11. August 1945 bat er die Kirchenkanzlei in Göttingen "um die Übernahme der aktiven Wehrmachtsgeistlichen in Pfarrstellen der Deutschen Evangelischen Kirche" (EZA BERLIN, 2/466). Nach einem hsl. Vermerk Brunottes vom 22. Oktober 1945 hat Dohrmann am 19. Oktober dem Rat selbst Vortrag gehalten (EBD.). 39 Nicht ermittelt. 40 Vgl. dazu das Schreiben Asmussens an Dohrmann vom 11. Januar 1946 (EZA BERLIN, 2/466).

2B Protokoll

35

21) Ein Einspruch Oldenburgs gegen die Wahl des Rates in Treysa wird abgelehnt 41 . 22) Dr. Hammelsbeck wird beauftragt, die Referenten für das Schulwesen bei den einzelnen deutschen Regierungen im britischen Sektor zu einer Aussprache zusammenzubitten 42 .

41 Kloppenburg hatte am 23. September 1945 an Asmussen zur Wahl des Rates geschrieben: "Ihr habt nun am letzten Tag in Treysa uns auch noch den Laien im Zwölferausschuss weggenommen und dafür Dr. Meier [Meyer] aus Altona genommen, der so viel ich weiss, aus persönlichen und durchschlagenden Gründen bisher jedes öffentliche Amt in der Kirche abgelehnt hat. Wir sind in Oldenburg nicht gewillt, uns das gefallen zu lassen. Wir werden einen offiziellen Protest bei Wurm erheben [nicht ermittelt]. Da wir hoffen, Hermann Ehlers als Juristen nach hier zu bekommen, wollen wir ihn benennen, wenn Ihr denn mich nicht haben wollt. Ich habe ja etwas den Eindruck, als habest Du unser Anliegen doch nicht mit dem nötigen Nachdruck vertreten. Schließlich haben wir in Oldenburg ein gewisses Recht darauf, trotz unserer Kleinheit nicht ausgeschaltet zu sein. Ich lege wahrhaftig keinen Wert darauf, jetzt zu reisen. Aber es geht nicht an, uns einfach als Schachbrettfiguren mal einzusetzen und mal zu opfern." Kloppenburg wiederholte seinen Protest in einem Schreiben vom 29. Oktober 1945 an Asmussen: "Was die Vertretung Oldenburgs im Rat anlangt, so halte ich nach wie vor unsern Einspruch aufrecht. Wir würden gern Hermann Ehlers als Laien in den Rat entsenden" (EZA BERLIN, 2/136). 42 E: "Hammelsbeck wird beauftragt, die Beauftragten für Schulsachen bei den Landeskirchenregierungen zusammenzurufen." Hammelsbeck hatte den Rat in einem nicht genau datierten Schreiben vom September 1945 eigentlich um etwas anderes gebeten, nämlich die bisher im Auftrag der VKL II arbeitende Schulkammer als eine zugleich vom Rat "beauftragte Kammer für Schule und Erziehung anzuerkennen" (LKA DÜSSELDORF, Held 396). Diese Kammer sollte "Verhandlungen mit außerkirchlichen Stellen, die Vertretung ihrer Anliegen vor den Behörden und der alliierten Militärregierung" wahrnehmen. Schließlich hatte Hammelsbeck vorgeschlagen, "ein Mitglied des Rates der EKiD mit dem Referat für Schul- und Erziehungsfragen zu betrauen und die Kammer zu einem Organ des Rates zu erklären". Dieses Anliegen wurde zwar auf der dritten Sitzung kurz verhandelt (vgl. 3B2, S. 126f; 206f), eine eigentliche "Schulkammer" der EKD wurde aber erst auf der 13. Sitzung ins Leben gerufen (Bd. 2, 13B, Ziff. 9). Außerdem hatte Hammelsbeck beim Rat mit Schreiben vom 27. September 1945 die Veranstaltung einer "kulturpolitischen Tagung" angeregt, um den politisch Verantwortlichen zu zeigen, "daß es mit der Kirche heute anders steht und daß sie ihre kulturpolitische Verantwortung anzumelden hat. Ich schlage daher vor, daß wir von uns aus die wichtigsten Persönlichkeiten einladen, um auf einer Tagung die kulturpolitischen Notwendigkeiten im Lichte der kirchlichen Verantwortung zu beraten" (LKA DÜSSELDORF, Held 396). Diese Tagung fand dann am 9. und 10. Januar 1946 in Detmold statt (vgl. dazu S. 354, Anm. 134). Obwohl im vorliegenden Protokoll kein Beschluß zur Durchführung der Tagung verzeichnet ist, muß der Rat Hammelsbeck dennoch offiziell damit beauftragt haben, weil ihm laut Beschlußprotokoll über die 5. Sitzung ausdrücklich der Dank des Rates für die Ausführung des "seinerzeit gegebenen Auftrages" ausgesprochen wurde (vgl. 5B1, S. 392).

36

2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

23) Landesbischof Wurm schreibt Prof. Karl Barth einen Dank für seine bisherigen Bemühungen. Dieser Dank wird mit der Bitte verbunden, die Anliegen des Aussenamtes der EKD vor der Oekumene zu vertreten, solange Pf. Niemöller nicht selbst in die Schweiz kann 43 . 24) Die nächste Sitzung des Rates findet statt am 13./14. Dezember 1945, wahrscheinlich in Frankfurt/Main 44 . 25) Sup. Held fasst die Besprechung des Rates, über die Art, wie man mit den D C und PG 45 zu verfahren habe, in "Richtlinien" zusammen, die vom Rat angenommen werden 46 . 26) Es wird ein Rechtsausschuss eingesetzt, der zu erarbeiten hat, welche theologischen und juristischen Grundlagen bei der neuen Verfassung der EKD zu beachten sind. Er besteht aus den Professoren Smend und Wolf und Herrn Dr. Mensing 47 . 27) Es wird ausdrücklich festgestellt, dass das Mitglied des Rates P. Asmussen die Leitung der Kanzlei wahrzunehmen hat48.

43

Vgl. dazu den Antrag 2D13 (S. 75). Obwohl eine Einladung bestand, konnte Niemöller nicht in die Schweiz reisen, da ihm die Amerikaner zunächst eine Ausreisegenehmigung verweigerten (vgl. W. NIEMÖLLER, Neuanfang, S. 35). Wie aus dem Verlaufsprotokoll über die J. Sitzung (3B2, S. 127) hervorgeht, hat Wurm den ihm gegebenen Auftrag nicht ausgeführt. - In einem Schreiben an Wurm vom 8. Dezember 1945 äußerte Meiser sein Erstaunen über diesen in seiner Abwesenheit gefaßten Beschluß (3A4, S. 114ff.).

44 Vgl. S. 112-319. 45 In E hieß es lediglich: "mit den DC". 46 2C5 (S. 62-65). 47 Die Namen werden in P nicht genannt. • Vgl. dazu den Antrag 2D10 (S. 74) und eine Aktennotiz, die Wehrhahn Asmussen am 19. Oktober 1945 vorlegte: "Die gestrige Besprechung mit Herrn Pfarrer Niemöller endete damit, dass ich im Rahmen der Kirchenkanzlei die Vorbereitungen zur Arbeit an der Verfassung der EKiD übernehmen soll. Ich beginne sofort mit der Heranholung von Literatur und mit der Aufnahme der Verbindung zu den Mitgliedern des Verfass u n g s a u s s c h u s s e s " ( E Z A BERLIN, 2 / 1 ) .

48 Nachdem im Vorfeld der Sitzung sowohl Asmussen in Schwäbisch Gmünd als auch Brunotte von Göttingen aus eine Tagesordnung aufgestellt hatten (2A3, S. 26 und 2E1, S. 87), mußte der Rat die noch bestehenden Unklarheiten hinsichtlich der Kirchenkanzlei beseitigen. Brunotte, der zusammen mit Steckelmann und Schwarzhaupt nach Stuttgart gekommen war, um auf der Ratssitzung u.a. den Haushaltsplan für 1946 vorzulegen und Personalia der Kirchenkanzlei der DEK zu besprechen, wurde allerdings nicht zugelassen (vgl. das Schreiben Brunottes an Merzyn vom 7. Februar 1946: EZA BERLIN, 2/778). Am 23./24. Oktober 1945 übernahm Asmussen dann, mit einer offiziellen Vollmacht versehen (2E2, S. 88), die Kirchenkanzlei in Göttingen, (vgl. dazu 2E8, S. 109f. und 2E9, S. 111). Im Anschluß daran kam es zu erheblichen Differenzen zwischen Asmussen und Brunotte, vor allem wegen Asmussens Vorgehen in Personalangelegenheiten (vgl. dazu 3B2, S. 131-135; 139-146 u.ö.; 3D13, S. 244, 3D14, S. 245f. und 3D15, S. 246f). Zur Kirchenkanzlei in Göttingen vgl. auch S. 1, Anm. 2.

37

2B Protokoll

28) Es wird ausdrücklich festgestellt, dass das Mitglied des Rates Pf. Niemöller mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Kirchlichen Aussenamtes, insbesondere mit der oekumenischen Vertretung der E K D und mit der Fürsorge für die deutschen Auslandsgemeinden beauftragt ist. 29) Das Mitglied des Rates und des Ausschusses für die Ostpfarrer Lic. Niesei soll den Kirchenregierungen für Auskünfte über die Person der Ostpfarrer zur Verfügung stehen 49 . 30) Der Oekumene gegenüber wurde die Erkärung des Rates abgegeben dass a) Niemöller mit der Vertretung der E K D im Ausland beauftragt sei, b) dass Kons.Rat Gerstenmaier zwar von Zeit zu Zeit bei Verhandlungen mit der Oekumene eingeschaltet werden müsse, jedoch mit der massgebenden Weisung, stets im Einvernehmen mit Niemöller zu handeln 50 . 31) Landesbischof Wurm wird beauftragt, eine Eingabe an den Kontrollrat zu machen 51 . Schwäbisch Gmünd, den 18. Dezember 1945 gez. Asmussen D D 5 2 .

49

Vgl. dazu den Antrag 2D14 (S. 75f.). Gegen die Formulierung des Beschlusses in E: "Es wird festgestellt, dass das Mitglied des Rates lic. Niesei Vorsitzender des Ostausschusses ist", erhob Niesei Einspruch (3D1, S. 226ff.). Auch durch die Diskussion auf der 3. Sitzung (3B2, S. 129f.) wurde nicht geklärt, was dieser Beschluß eigentlich bedeutete.

50 Zur Abgrenzung der Kompetenzen von Niemöller und Gerstenmaier bzw. Kirchlichem Außenamt

und

Hilfswerk

vgl.

S. 28,

Anm. 16;

G. BELL/A. KOECHLIN,

Briefwechsel,

S. 437;

J.M. WLSCHNATH, Kirche, S. lOOf. 51 Dieser Beschluß fehlt in E. Anstelle des im Antrag vorgesehenen Schreibens (.2D15, S. 76ff.) erstattete Wurm dem Alliierten Kontrollrat am 3. November 1945 einen umfangreichen "Bericht über die gegenwärtige Lage der Evangelischen Kirche in Deutschland" (2C6, S. 65-70). 52 Für die Sitzung lagen femer die Anträge 2D16 bis 2D18 vor (S. 79f), die aber nicht zum Beschluß erhoben wurden. Aus dem Verlaufsprotokoll über die 3. Sitzung geht hervor, daß Asmussen für die 2. Sitzung außerdem eine Vorlage zur Einrichtung von Kammern bei der EKD (2D21, S. 83-86) erarbeitet hatte (vgl. 3B2, S. 204).

38

2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

2B2. Bericht über die Sitzung des Rates am 18. und 19. Oktober 1945 in Stuttgart. o.O., o.D. F: ASD Bonn, NL Heinemann, Teil II, 0490 (H)5i.

Bericht über die Tagung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKiD) in Stuttgart am 18./19. Oktober 1945 Zu der Sitzung des Rates waren erschienen: Landesbischof D. Wurm, Stuttgart, Vorsitzer, Pfarrer Martin Niemöller D.D., stellvertr. Vorsitzer, Landesbischof D. Meiser, München, Generalsuperintendent D.Dr. Dibelius, Berlin, Oberlandeskirchenrat Dr. Lilje, Hannover, Superintendent Held, Essen, Pfarrer Lic. Niesei, Lippe, Pfarrer Asmussen D.D., Stuttgart, Superintendent Hahn, Dresden, Professor D.Dr. Smend, Göttingen, Rechtsanwalt Dr.Dr. Heinemann, Essen Nicht erschien: Oberstudiendirektor Dr. Meier [Meyer], Hamburg-Altona. Der Rat, der die Evangelische Kirche in Deutschland bis auf weiteres in Vereinigung der Rechte und Pflichten aller bisherigen verfassungsmäßigen Organe der DEK leitet und verwaltet, hatte auf seiner Tagung eine Reihe von grundsätzlichen und praktischen Entschließungen zu fassen.

53 Dieser Bericht mit den Reden und Voten der gemeinsamen Sitzung von Rat und ökumenischer Delegation kommt hier anstelle eines Verlaufsprotokolls zum Abdruck. Das Rundschreiben Asmussens vom 25. Oktober 1945 (u.a. LKA STUTTGART, Dl/210; abgedruckt bei M. GRESCHAT, Schuld, S. 95ff.) ist, wie aus Wortlaut, Rechtschreibung und Zeichensetzung hervorgeht, offensichtlich ein Auszug aus diesem Bericht (vgl. dazu S. 43, Anm. 54, S. 46, Anm. 55 und S. 50, Anm. 59). Die offizielle Berichterstattung im VONBl (2B3, S. 55-58) enthält gegenüber dem Rundschreiben Asmussens weitere Kürzungen und zusätzlich Veränderungen im Wortlaut der Reden; außerdem wurden Rechtschreibung und Zeichensetzung den Erfordernissen gedruckter Sprache angeglichen. Zur gemeinsamen Sitzung des Rates mit der ökumenischen Delegation vgl. außerdem die Berichte Koechlins (G. BELL/A. KoECHLIN, Briefwechsel, S. 429-433) und Visser't Hoofts (C. VOLLNHALS, Zusammenbruch, S. 197-203) sowie KJ 1945-1948, S. 1927.

2B Protokoll

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A m Vorabend, 17. Oktober 1945, fanden in der Markuskirche und im Furtbachhaus zwei große, überfüllte Kundgebungen statt, auf denen Landesbischof D. Wurm, Pfarrer Niemöller und Generalsuperintendent Dibelius sprachen. Die Ökumene hatte ohne Einladung zur Überraschung des Rates der EKiD eine Reihe von Vertretern nach Stuttgart entsandt. Es erschienen: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Dr. Bell, Bischof von Chichester, England, W.A. Visser't Hooft D.D., Genf, Generalsekretär des ökumenischen Rates, Samuel M[cCrea\ Cavert D.D., New-York, Generalsekretär der christlichen Kirchen Amerikas, G. [5.] C. Michelfelder D.D., USA, Präsident des Rates der lutherischen Kirchen Amerikas, Alfons Koechlin, Basel, Präsident der vereinten Schweizerischen Kirchen, Professor H e n d r i k Krämer [Kraemer], Leiden, Holländische Reformierte Kirche, Feldbischof Marcel Sturm, Chef für religiöse Angelegenheiten in der französischen Besatzungszone, Pfarrer Pierre Maury, Paris, Französische Reformierte Kirche.

Von weiteren Gästen sind zu nennen: 9) Pfarrer D. Hornig, Breslau, Präses der Bekennenden Kirche in Schlesien, 10) Pfarrer Zielke, Böhmen, für die deutschen evangelischen Gemeinden der Tschechoslowakei, 11) Feldbischof Dormann [Dohrmann]. A m 18. Oktober fand ein offizieller Empfang des Rates der EKiD und der ökumenischen Vertreter durch die Militär-Regierung im Hause des Oberst Dawson statt, auf dem Landesbischof D. Wurm und Oberst Dawson Ansprachen austauschten. Auf der ersten Zusammenkunft des Rates der EKiD am Vormittag des 18. Oktober wurden Fragen der Bereinigung der evangelischen Kirche von DC-Pfarrern behandelt sowie Richtlinien für die Behandlung von Pfarrern festgelegt, deren weitere Amtsführung im Hinblick auf nationalsozialistische Betätigung in der Vergangenheit untragbar erscheint. Bei den Landeskirchen werden Spruchkammern, bestehend aus 2 Geistlichen und 1 Juristen gebildet, die über Verbleiben oder Amtsentlassung zu entscheiden haben. Gegen die Entscheidung der Spruchkammer kann Berufung bei einem noch zu bildenden Rechtsausschuß der EKiD eingelegt werden.

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2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

Am Nachmittag des 18. Oktober verhandelte der Rat in Gegenwart der ökumenischen Vertreter, wobei jedoch anzumerken ist, daß der Bischof von Chichester infolge von Verkehrsschwierigkeiten noch nicht zugegen sein konnte. Er erschien erst am Morgen des 19. Oktober in Stuttgart. Landesbischof D. Wurm eröffnete die gemeinsame Zusamenkunft mit folgender Ansprache: "Ich habe den Augenblick ersehnt, wo wir in freier offener und doch vertraulicher Aussprache mit den Völkern aus der Christenheit des Auslandes reden dürfen von der Lage in Deutschland, nicht nur von der kirchlichen. Sie haben bei dem Empfang (beim amerikanischen Kommandeur) gesehen, daß wir mit den Behörden der Besatzungsmächte auf freundlichem Fuß stehen, was nicht hindert, daß wir offen und klar zum Ausdruck bringen, was uns bewegt und schmerzt in Bezug auf die Leiden unserer Bevölkerung. Wir bitten Sie, Ihren Einfluß geltend zu machen bei der so großen Not unserer Bevölkerung. Eine innere Umbesinnung hat weithin in der Bevölkerung stattgefunden, aber wir leiden sehr unter der Methode, wie die von den westlichen Völkern verkündeten Grundsätze angewendet werden. Wir fürchten, daß das Gegenteil von dem bewirkt wird, was beabsichtigt ist. Es ist nicht gut, wenn im Volke gesagt wird: "Jetzt wird alles das Wirklichkeit, was die Goebbels-Propaganda vorausgesagt hat." So wird die Bereitschaft, wirklich Buße zu tun und die Schuld anzuerkennen, geschwächt gegen vorher, und das Wort der Kirche wird nicht mehr so aufgenommen wie es in den ersten Wochen und Monaten aufgenommen wurde. Man sieht die Einstellung der Kirche in dem Lichte, als ob wir Anlehnung suchten bei den politischen Mächten. Es ist Gefahr, daß wenn die Dinge so weitergehen, die Botschaft der Kirche an Glaubwürdigkeit verliert. Dies Resultat wird ganz gewiß nicht gewünscht. Die Besatzungsmacht erhebt den Anspruch, daß sie eine christliche Politik treibt. Aber dieser Anspruch wird verglichen mit der Behandlung der Gefangenen und der Bevölkerung, die schon so Schweres erduldet hat. Also - so folgert man - mit dem Christentum ist nichts zu machen. Es hat keinen Einfluß auf die Politik. Wir werden ebenso behandelt, wie unsere Leute die Juden, Polen etc. behandelt haben. So beginnt das Volk zu reden und das erschwert unsere kirchliche Arbeit sehr. Was kann geschehen, daß eine große Stunde für die Rechristianisierung der europäischen Welt nicht vorübergeht? Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht es als ihre größte Aufgabe an, daß wir nicht in diesen furchtbaren Kreislauf der Vergeltung hineinkommen. Wir wissen und haben es schmerzlich erfahren, daß der glänzende und mächtige Aufstieg seit 200, seit 70 Jahren in dieser schauderhaften Katastrophe geendet hat. Deutsches Volk, kehre zurück und schaffe Werke des Friedens und nicht des Krieges. Man muß

2B Protokoll

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glauben, daß Gott ein Vergelter ist. - Meine Bitte ist nun die: Treten Sie dafür ein, daß unsere Aufgabe uns durch die Ereignisse auf dem politischen und wirtschaftlichen Gebiet nicht erschwert wird. Die Einheit der Christenheit, die durch Ihre Anwesenheit bezeugt wird, wird verwirklicht in der Zusammenarbeit auch auf diesem Gebiet der Erziehung unseres Volkes. Bitte helfen Sie uns!" Hierauf antwortete Visser't Hooft: "Es ist uns schwer gewesen in der Ökumene, daß, nachdem wir von der evangelischen Kirche in Deutschland so viel gehabt haben, die direkte Gemeinschaft verloren gegangen war. So war es uns ein Anliegen, mit einer Vertretung der Ökumene zu Ihnen zu kommen. Wir kommen als Brüder, ohne bindende Aufträge. Wenn Gott es uns geben will, geht es uns darum, daß wir irgendwie benutzt werden dürfen als Instrumente zur Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Brüdern in Deutschland und in der Ökumene. Wir stehen dabei auf der Basis einer Geschichte, die uns alle trägt, segensreiche Erinnerungen aus der Vorkriegszeit [sie!]. Ich muß ganz besonders bekennen, was nicht deutlich von allen Seiten gesehen wird, daß der Kampf der BK für die ganze Welt unendlich viel bedeutet hat und noch immer bedeutet. Bonhoeffers Stimme war eine erste Stimme. Dann vernahmen wir solche Stimmen öfter und öfter. Leider ist es in den letzten Jahren so geworden, daß eine regelmäßige Mitarbeit Deutschlands in der Ökumene nicht möglich war. Und doch sind diese Beziehungen nie ganz abgebrochen worden, wenn auch je länger je mehr nicht öffentlich. Die ökumenische Verbundenheit war nicht ein Erzeugnis der politischen Konjunktur. Wir sind dankbar für die Männer, die in gefährlichsten Situationen die Verbindung aufrecht erhalten haben. Bonhoeffer hat nicht zuletzt dadurch den Tod gefunden. Wir brauchen in der Ökumene ein Zeugnis der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wir brauchen einen wirklich geistlichen Wiederaufbau des deutschen Volkes. Für uns alle in Europa ist dies eine conditio sine qua non. Wir möchten ganz besonders mithelfen an der Samariterarbeit für die notleidenden Bevölkerungsschichten. Wir haben schon im [Ökumenischen] Rat beschlossen, daß wir uns darum, soweit es überhaupt möglich ist, die Not auf materiellem Gebiet ansehen werden. Erleichtert wird uns das, da die Leitung der Kirche ausschließlich in Händen von Männern liegt, welche die Bindung der Kirche an ihren Herrn verteidigt haben und auch als solche angesehen werden. Es bleiben aber noch Fragen, die wir mit Ihnen besprechen müssen. Es bleiben Hindernisse, wenn wir auf unsere Kirchen blicken. Sind wir zu optimistisch, wenn wir glauben, daß das, was über die Kirche in den letzten Jahren

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2. Sitzung Stuttgart 18. und 19. Oktober 1945

gekommen ist, eine Situation geschaffen hat, die es uns erleichtern wird, auf Grund eines eingehenden Gesprächs zu einer neuen Verbundenheit zu kommen? Sie haben gesagt: Helfen Sie uns. Und wir wollen das auch tun, geben aber das Wort zurück, indem wir sagen: Helfen Sie uns, daß wir helfen können. Das ist der Sinn unseres Gesprächs." Asmussen: "Meine lieben Brüder! Mir ist e i n e s gewiß: Was auszumachen ist zwischen den Brüdern der Ökumene und uns, das ist auszumachen zwischen Gott und uns. Es muß geregelt werden zunächst ohne einen Blick auf die Wirkung, die es für unser Volk haben wird. Es muß ausgemacht werden, als gäbe es nur Gott. Auf diese Weise werden wir auch der Ökumene helfen, daß sie ohne Rücksicht auf Propaganda ihre Dinge ausmachen kann zwischen sich und Gott. Wir wissen, wie schwer das ist. Unser Volk hat sein Anliegen an die Kirche. Die Militärregierung hat ihr Anliegen. Es beschwert uns, unsere Brüder ihre Fronarbeit verrichten zu sehen damals unter Hitler, und wir sehen die Gefahr, daß unsere Brüder nach dem Fleisch jetzt von neuem Fronarbeit tun müssen. Da ist es schwer, den Blick ganz auf Gott zu richten. Wenn ich das aber tue, dann muß ich e i n e s zu Euch Brüdern aus der Ökumene sagen: 'Liebe Brüder, ich habe an Euch gesündigt als Glied meines Volkes, weil ich nicht besser geglaubt habe, weil ich nicht reiner gebetet habe, weil ich mich nicht heiliger Gott hingegeben habe. Ob ich damit hätte verhindern können, was geschehen ist, weiß ich nicht. Aber dies will und muß ich Euch sagen.1 Gerade weil ich mein Volk lieb habe, kann ich nicht sagen: Alles, was sich mein Volk zuschulden kommen ließ, das geht mich nichts an. Nein, das alles tat mein Fleisch und Blut. Da gebietet mir die Liebe zu sagen, was ich gesagt habe. Ich stehe zu dem, was mein Volk tat. Und nun bitte ich: Verzeiht mir! Ich will noch ein Zweites sagen: Ich weiß, daß das, was ich eben sagte, menschlich sehr gefährlich ist. Es ist mir bekannt, daß es mißbraucht werden kann. Aber ich glaube, daß ich alle diese Befürchtungen hintan zu stellen habe. Was Ihr aus meinen Worten macht, Ihr Brüder aus der Ökumene, das muß die Liebe Christi in Euch wirken. Darüber kann ich Euch nur wenig sagen. Ich habe als Glied des Leibes Christi meines Amtes als ein Priester zu walten, indem ich Euch das bekenne, was ich Euch eben bekannt habe. Ich meine, es sei die Aufgabe dieser Stunde, das E i n e vor Euch auszusprechen. Das habe ich zu tun gehabt. Ich bitte Euch noch einmal: Vergebt mir! Ich habe an Euch gesündigt."

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Niemöller: "Nach diesem Worte habe ich nicht mehr viel zu sagen. Diese Stimme, die so beweglich uns ins Herz geklungen ist, ist eine Stimme, in der sich das Gewissen unserer Kirche ausspricht. Ich möchte die Brüder bitten, daß sie uns das glauben, daß es uns wirklich ernst ist, in unserer Kirche und unserem Volke einen neuen Anfang zu versuchen. Liebe Brüder von der Ökumene, wir wissen, daß wir mit unserem Volke einen verkehrten Weg gegangen sind, der uns als Kirche mitschuldig gemacht hat an dem Schicksal der ganzen Welt. Wir bitten, daß Gott uns diese unsere Schuld vergeben möchte, und die Schuld, indem er sie uns vergibt, zu einem neuen Motor für die ganze Welt werden lassen möchte. Alle Schuld, die ihm gebeichtet wird, kann er vergeben und vergibt sie so, daß diese vergebene Schuld eine Quelle neuer Kraft wird. Daß er uns in eine neue Gemeinschaft führt mit der Ökumene, daß in dieser Welt ein Neues werden kann durch die Christenheit, darum bitten wir sehr. Wir glauben, daß Gott uns die brüderliche Gemeinschaft geben wird, weil wir von Schuld und Schuldvergebung wissen. Helft uns, daß wir das effektiv machen können. Helft uns bei diesem Versuch, daß es durch euer Gebet, eure Hilfe und eure Liebe uns gelingen möge. Wir werden die Schuld auf lange Sicht hin tragen. Wir wollen sie auch nicht verkleinern, aber helft uns, daß der Segen nicht verloren werde, weil vielleicht die Christenheit in aller Welt glauben möchte, euer Schuldbekenntnis ist nicht so ganz ernst zu nehmen. Die Männer, die in der Leitung der Kirche stehen, wollen, daß der Segen eines Bekenntnisses und der Segen der Vergebung auf keinen Fall dem Volke und der Gemeinschaft der Völker verloren gehe." Niesei 54 : "Was Bruder Niemöller gesagt hat, klingt für uns selbst eigenartig. Er ist ja derjenige, der für das, was er gesagt und getan hat, 7 3/4 Jahre in Haft saß. Dennoch füge ich hinzu: Es belastet uns alle, daß unser Reden und Handeln in der Vergangenheit unzulänglich war. Was wir auch anfingen, und wie oft wir auch dachten, etwas Gutes und Ausreichendes zu tun, so mußten wir doch hernach allemal erkennen, daß es unzureichend war, und daß wir stekken blieben. Das ging uns so durch alle Jahre und darum bitte ich Euch vor Gott um Verzeihung." Professor Krämer [Kraemer] (während der deutschen Besatzung in Holland als Geisel inhaftiert):

54 Das Votum Nieseis findet sich nicht im Rundschreiben Asmussens (vgl. S. 38, Anm. 53).

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"Ich bin aus Holland, aus einem Lande, wo wir auch viel gelitten haben während dieses Krieges, und nicht nur in den letzten Monaten. Wenn man viel gelitten hat, dann hat man auch gelernt, viel milder zu urteilen. Dann wird ein Christ nicht erbittert. Er weiß, die Welt kann nur genesen, wenn er sich tief hineinführen läßt in Gottes Gedanken und sich von ihm sagen läßt [sie/]. Nicht, als ob Feindschaft und Haß für immer zu überwinden wären. Wir haben während der Besatzung einen Kampf geführt gegen den Haß gegen Deutschland. Das hat uns nicht gerade populär gemacht. Wir wollen reden, als ob wir nur vor Gott stehen und ihn bitten um die Gabe des Heiligen Geistes. Wir haben mit tiefer Bewegtheit gehört, was die Brüder Asmussen, Niemöller und Niesei zu uns gesprochen haben. Wenn wir das mitnehmen dürfen nach Hause als die Stimme des Gewissens der Evangelischen Kirche in Deutschland, dann wird das sein wie ein Aufruf für die holländische Kirche. Es ist nicht unsere Sache zu messen: Du hast so viel Schuld und du so viel. Es geht nicht um einen Tauschhandel. Offen und ehrlich stehen wir vor Gottes Antlitz mit dem, was wir sagen. Wir haben von beiden Seiten den einen großen Wunsch, Christen zu sein, Soldaten Jesu Christi. Als Christen sind wir dann in zweiter Linie und mit ganzem Sein Holländer oder Deutsche. In erster Linie aber sind wir Diener Jesu Christi, auch ein jeder für den anderen. Die deutsche Frage ist eine europäische Frage und eine Frage für die ganze Kirche. Wir erhoffen von dieser Zusammenkunft, daß wir in voller Freiheit das mitnehmen, was wir gehört haben, daß nämlich eure Stimme auch die Stimme des Gewissens der evangelischen Kirche in Deutschland ist. In Holland herrscht der brennende Wunsch, daß der Weg offen wird, und wir zusammenstehen für Christus in Deutschland und in Holland und in Europa." Präsident Koechlin: "Ich stehe unter dem Eindruck des von Ihnen verantwortlich zu uns Gesagten. Das macht es mir sehr schwer, auch das Wort zu nehmen. Ich bin als Vertreter der schweizerischen Kirche Ihnen gegenüber in einer besonderen Lage, Vertreter einer Kirche, die nicht im Kriege war, nicht eigentlich gelitten hat, und die geneigt ist, härter zu urteilen, wie diejenigen, die selbst gelitten haben. Damit möchte ich andeuten, daß ich mir bewußt bin der Gefahr, in der unser Volk und unsere Kirche gestanden hat und noch steht als ein Zuschauer an der großen gemeinsamen Schuld des Kriegserlebens, jetzt selbstgerecht zu sein. Ich kann nun nicht anders als Sie versichern, daß ich Gott für unser Volk und unsere Kirche bitte, er möge uns bewahren vor der Sünde und Schuld der Selbstgerechtigkeit. Sie wissen, wie hart unser Herr gerade diese Sünde verurteilt hat. Und glauben Sie es uns, daß wir Gott

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um seinen Geist bitten, er möchte uns ganz wahrhaftig hineinstellen in die Solidarität der Schuld und des Leidens, damit der Segen nicht an uns vorbeigehe. In diesem Sinne bin ich auch gekommen mit dem Wissen des Vorstandes des Kirchenbundes in einer ökumenischen Mission und bin sehr dankbar dafür. Ich bin sehr dankbar auch für die Worte, die gesprochen worden sind. Diese Worte werden auch für unsere Kirche eine große Bedeutung haben als ein Mitglied der Ökumene. Wir wollen hier auch vollständig wahrhaftig sein. Wie wir vielleicht den anderen Mühe bedeutet haben, so hat uns das Geschehen der letzten Jahre sehr Mühe gemacht. Im Gegensatz zum ersten Weltkrieg war eigentlich die ganze Kirche der Schweiz einig in dem Hoffen, daß Deutschland aus diesem Krieg nicht siegreich hervorgehen möge. Wir waren uns bewußt, daß dies für lange Zeit den Untergang der Freiheit unseres Volkes und unserer Kirche bedeuten würde. Wir haben nun zu kämpfen gegen eine Reaktion, die allzu streng nach einer Säuberung in Deutschland verlangt. Aber Sie müssen nun auch dieses Verlangen, uns selbst zu erhalten, verstehen. Das ist aber durchaus nicht entgegengesetzt dem großen Verlangen und der Dankbarkeit dafür, daß wir nun wieder aus der Isolierung in die Bande der Gemeinschaft treten dürfen. In diesem Sinne komme ich auch, um Ihnen von diesem Verlangen, trotz aller anderen, eben erwähnten Hemmungen zu sagen. Und ein persönliches Wort darf ich hinzufügen. Wie viel Sie Karl Barth verdanken, werden Sie kaum ahnen. Er, dessen Stimme wie kaum eine andere gegen das Dritte Reich gerichtet war, hat das Wort geschenkt erhalten, das den Weg zurückweist zum deutschen Brudervolk. Er ist es, der in Ablehnung und Haß eine Bresche geschlagen hat und uns damit einen eminenten Dienst geleistet hat. Sie haben bei uns kaum jemanden, der in so tiefer Weise die deutsche Kirche und auch das deutsche Volk lieb hat wie er. Man sagt bei uns: Man wird zu leicht auf Mitleid hin die Verbindung anknüpfen und vergessen, was andere durch die Deutschen gelitten haben. Die Deutschen werden dies auch leicht vergessen. Wir müssen die Möglichkeit einer solchen Reaktion deutlich sehen. Die Predigt 'Jetzt gilt es zu vergeben' trägt stark die Gefahr in sich, daß dann alles beim Alten bleibt. Weil dies die Meinung in unserem Volke ist, möchte ich so gerne, daß viele in unserer Kirche diese Worte hören, die hier gesprochen worden sind, damit wir sagen könnten: 'So empfindet es einmütig der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland'. Möchte es Gott uns schenken, daß das durch seinen Geist uns in dieser Stunde Geschenkte ganz echt werde in aller Wahrheit. Darauf wird viel ankommen, daß die, die im Auftrage der Kirche zu reden haben, das Vertrauen der anderen Kirchen besitzen. Ich will Sie brüderlich darauf aufmerksam machen, daß es von großer Bedeutung ist, durch welche Persönlichkeiten Sie die Verbindung mit den anderen Kirchen aufnehmen.

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Und es könnte dann nach dieser ersten Begegnung die zweite, der wir im Frühjahr entgegensehen, uns einen weiteren Schritt vorwärts bringen. Es bleibt in ihrer Hand zu entscheiden über den Beitritt in den ökumenischen Rat. Die Anfrage ist 1939 gestellt und konnte damals nicht beantwortet werden. Wir halten sie hiermit aufrecht. Sie können vielleicht zu dieser Tagung einen provisorischen Ausschuß, vielleicht zwei oder drei Vertreter benennen. Wir fragen den Rat der EKiD namens der Ökumene, ob Deutschland nun die Einladung von 1939 zum Beitritt annehmen wird55. Ich verschweige jedoch nicht, daß es wichtig sein wird, welche Persönlichkeiten uns namens der EKiD in der Ökumene entgegentreten werden." Hiermit wurde diese Aussprache abgebrochen, um für den Rat der EKiD die Gelegenheit zu lassen, seine Stellungnahme zu den Erklärungen von Asmussen, Niemöller und Niesei unter sich zu beraten und über die Frage des Beitritts zum ökumenischen Rat sowie über die Auswahl seiner Vertreter intern zu beschließen. In Gegenwart der Vertreter der Ökumene wurde nunmehr in die Erörterung der Ostprobleme eingetreten. Hierzu berichtete zunächst Dibelius: Uber den Hunger im deutschen Osten habe ich bereits gestern Abend in den öffentlichen Kundgebungen gesprochen56. Darüber will ich hier nichts weiter sagen. Das russische System im Ostraum besteht darin, daß es keinerlei Sicherheit, sei es des Verkehrs oder der Betriebsführung oder des Rechts aufkommen läßt. Deshalb ist keinerlei Selbsthilfe des deutschen Volkes möglich, weil alles durchkreuzt wird, was begonnen wird. Die ständigen Eingriffe in alles Geschehen, die Ausplünderungen usw., treiben zur Katastrophe. Die Bolschewisierung des öffentlichen Lebens durch die KPD macht riesige Fortschritte. Die KPD ist nur eine winzige Minderheit der deutschen Bevölkerung, steht aber auf den russischen Bajonetten. Als ein einziges Beispiel sei berichtet, daß der deutsche 55 Dieser und der nachfolgende Satz fehlen im Rundschreiben Asmussens (vgl. S. 38, Anm. 53). Zu der Einladung der Ökumene von 1938/39 vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 19. 56 An dieser Stelle folgt im Bericht eine Originalanmerkung: "Dibelius führte dort u.a. aus: Nicht so sehr in Berlin, als in den Städten und Dörfern weiter im Osten prägt der Hunger allem Geschehen die Note auf. Die Kindersterblichkeit ist so, daß sie nach der Aussage eines Pfarrers nur mit dem an das Bibelwort [Mt 2, 16] erinnernden Satz gekennzeichnet werden kann: 'Die Kinder, die da zwei Jahre und darunter waren, die gibt es bei uns nicht mehr. Die sind alle tot'. Man rechnet damit, daß in den vergangenen 6 Monaten und in den vor uns liegenden Wintermonaten etwa fünf mal soviel Menschen hinweggerafft werden, als uns der ganze Krieg gekostet hat. Eine Gemeinde von 4000 Seelen an einer der großen Flüchtlingsstraßen, durch die schon 2 Millionen Menschen gezogen sind, hat in ihrer Mitte ein Haus voller hungers sterbender Findelkinder und andere Häuser voll alter Menschen, die ihre Wanderung abgebrochen haben, um sich zum Sterben niederzulegen." Vgl. dazu auch 2E3, S. 96.

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kommunistische Bürgermeister eines Ortes von dem Amtsrichter ein Todesurteil gegen 3 persönliche Feinde verlangte, das der Amtsrichter nicht aussprach. Der Amtsrichter mußte fliehen. Die sogenannte Bodenreform revolutioniert den ganzen Osten. Sie vollzieht sich so, daß der Gutsbesitzer in Stundenfrist samt Familie nicht nur das Gut, sondern auch den Ort oder gar den Kreis, arm wie ein Bettler, verlassen muß, wenn er nicht gar verhaftet wird. Vor mir in Berlin erschien unser Bruder von Arnim-Kröchlendorff in geliehener Hose und zerrissenen Kleidern. Eine Entschädigung gibt es nicht. Die KPD begleitet den Vorgang mit einer haßerfüllten Propaganda gegen die Agrarier. Auch die Bolschewisierung des kulturellen Lebens wird immer nachhaltiger. Es ist geplant, die Berliner Universität in den Stadtteil Köpenick zu verlegen, damit sie unter den ausschließlichen Einfluß der Russen kommt. (Zahl der Theologiestudenten 40, gegen z.B. Erlangen 200). Die Zahl der Studenten aus den westlichen Gebieten soll beschränkt werden. Der Kampf gegen den Religionsunterricht in den Schulen ist in vollem Gange. Lehrer dürfen keinen Religionsunterricht mehr geben. Die kirchliche Arbeit wird schikaniert, kirchliche Kindergärten sind schon verboten. Es hat sich ein völliger Wandel gegenüber den ersten Wochen vollzogen. Je weiter nach Osten, um so schwerer wird alles. Eine Diakonisse aus Berlin, die bis nach Thorn vordrang, um eine Schwester zu holen, fand die Deutschen dort in einem Ghetto mit höchster Sterblichkeit. Tag um Tag werden Deutsche in Massengräbern ohne Särge beerdigt. Die Deutschen im polnischen Raum sterben oder wandern aus. Von einem inneren Aufschwung in den Gemeinden weiß ich nicht zu berichten. Es liegt alles unter dem Schatten des Todes." Anschließend berichtete Hornig über Schlesien insbesondere: "Die Entleerung Schlesiens von deutschen Menschen begann im Januar 1945, als die Evakuierungsbefehle der Partei und der Wehrmacht die Menschen weithin in Bewegung setzten. Heute leben in Schlesien von früher 6 Millionen Deutschen nur noch 2 Millionen. Dagegen sind 2 Millionen Polen nachgewandert. Weite Gebiete sind ohne Lebensmittelrationierung, so daß eine Versorgung nur über den Schwarzen Markt stattfindet. Hier aber gilt nur Sloty-Währung. Sloty gibt es nur für Arbeit in polnischen Diensten oder aus dem Verkauf von letzter Habe. Kinder bis zu 2 Jahren sterben sämtlich, alte Leute ohne Arbeit verhungern. Auf vielfache Vorstellungen sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche bei polnischen Behörden wird geantwortet, daß die Vorräte nur für Polen oder die in polnischen Diensten stehenden Deutschen ausreichen. Weitere Vorräte könnten wegen Transportschwierigkeiten nicht herangebracht werden. Die Russen erklären, daß die Ernährungsdinge nur die Polen angehen. Die Ernte mußte weithin

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auf den Feldern stehen bleiben, weil alles landwirtschaftliche Gerät fortgeschleppt wurde. Ich kenne Gemeinden, in denen die deutsche Bevölkerung die Ähren mit Scheren vom Halm abschnitt. Im Zuge dieser Katastrophe über alles Deutschtum im Ostraum bricht auch die evangelische Kirche weithin zusammen. In Schlesien sind nur noch rund 200 protestantische Pfarrer. Ein Grund meiner Reise nach dem Westen ist u.a. die Zurückholung schlesischer Pfarrer, die nach hier gewandert sind. Wir stehen als evangelische Kirche vor einem neuen Kirchenkampf, weil man uns in die polnische evangelische Staatskirche eingliedern und dem Warschauer Konsistorium unterstellen will. Die polnische evangelische Kirche ist eine völlig politisierte Kirche, ähnlich wie die DC-Kirche in Deutschland es war. Sie billigt Gewalt und Vergeltung. Es wird ein Kampf mit ungleichen Mitteln sein, weil man uns nicht als Kirche, sondern politisch angreift. Für diesen Kampf erbitten wir die Hilfe der Brüder im Westen. Betet für uns, daß unser Glaube nicht aufhört." Cavert: "Wir wissen in den Vereinigten Staaten viel zu wenig von den hier berichteten und mich tief erschütternden Tatsachen. Wir werden unser Äußerstes tun, um zu helfen. Die Vereinigten Staaten sind kein christliches Volk, wohl aber leben dort viele Christen. Ich hoffe auf eine bessere Beurteilung der Vorgänge in Deutschland durch die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten auf Grund der Hilfe, die wir versprechen." Landesbischof Wurm: "So wie der Islam einst in Nordafrika und Spanien das Christentum überrannte, so steht nun die evangelische Kirche im deutschen Osten vor der Ausrottung. Wer unseren Kampf als Bekennende Kirche in Deutschland gegen die Politisierung der Kirche im Dritten Reich mitgetragen hat, möge es nun sonderlich auch für Schlesien tun!" Koechlin: "Die Anfänge einer Weltaufklärung durch die Ökumene über die Vorgänge im Osten sind da. Wenn ich die hier vorgetragenen Berichte höre, so kann ich nicht verhehlen, daß sie eine Wiederholung der Berichte über die Taten der Deutschen im Ostraum, insbesondere in Polen, darstellen." Niesei: "Die besondere Tragik liegt aber darin, daß gerade die Bekennende Kirche in Schlesien, die dort den Kampf gegen das nationalsozialistische Gewaltregiment geführt hat, jetzt wiederum die Betroffene ist. Es darf ja nicht überse-

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hen werden, daß alle diejenigen, die dem vergangenen Regime nahegestanden haben, längst nicht mehr in Schlesien sind." Zielke berichtete über die evangelische Kirche im Sudetenland: "Alles Material, welches ich bei mir führte, ist mir an der tschechischen Grenze abgenommen worden. Auch wurde mir angedroht, daß ich in das K.Z. käme, wenn ich hier in Deutschland berichte. Nachdem ich bereits im deutschen K.Z. gesessen habe, wäre das dann das zweite Mal! Das gesamte Vermögen der deutschen evangelischen Gemeinden in der Tschecho-Slowakei ist staatlicherseits beschlagnahmt und der Evangelischen Brüderkirche (300 000 Glieder) als der uns nächststehenden zur treuhänderischen Verwaltung übergeben. Die tschechische Nationalkirche (800 000 Glieder) betreibt die Übernahme mit Unterstützung der Regierung. Die Brüderkirche, die uns wohl helfen will, fühlt sich gehemmt durch den Vorwurf der Deutschfreundlichkeit. Man bildet Ortsausschüsse mit kommunistisch-nationalkirchlicher Mehrheit gegen uns und die Brüderkirche. Bischof Wehrenpfennig [Wehrenfennig] verhandelt über eine Eingliederung der deutschen evangelischen Gemeinden in die Brüderkirche." Visser't Hooft sagte im Hinblick auf diese letzte Mitteilung seine besondere Unterstützung zu. Dibelius: "Ich will noch nachtragen, daß der Oberpräsident der Provinz Sachsen den Anspruch erhoben hat, Leiter der evangelischen Kirche in dieser Provinz zu sein. Neuerdings geht sein Verlangen dahin, daß religiöse Sozialisten in die Leitung der Kirche aufgenommen werden sollen." Hiermit schloß die Aussprache über die Ostprobleme. Am Abend des 18. Oktober versammelte sich der Rat der EKiD unter sich, um seine Stellungnahme zu den Erklärungen von Asmussen, Niemöller und Niesei sowie zur Ökumene festzulegen. In langer Aussprache wurde die als Anlage beigefügte Erklärung57 beschlossen sowie bestimmt, daß in Annahme der Einladung von 1939 als Delegierte der EKiD zur Ökumene die beiden Vorsitzer des Rates, Landesbischof D. Wurm und Pfarrer Niemöller, bestellt werden. Die Aussprache des Rates drehte sich insbesondere um die Frage, ob in der Erklärung auch von dem dem deutschen Volk angetanen Unrecht zu reden sei oder nicht. Diese Frage wurde schließlich einmütig verneint, um nicht in eine Aufrechnung von Schuld und Gegenschuld einzutreten, die

57 2C2 (S. 60f.).

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jeden Ansatz zu einer echten Neubesinnung innerhalb und außerhalb Deutschlands zunichte machen würde. Am Vormittag des 19. Oktober traf sich der Rat wieder mit den Vertretern der Ökumene in gemeinsamer Sitzung. Inzwischen war auch Bischof Dr. Bell von Chichester mit Begleitung angekommen und zugegen. Asmussen verlas die am Abend zuvor formulierte Erklärung des Rates und fügte hinzu: "Wir sagen es Ihnen, weil wir es Gott sagen. Tun Sie das Ihrige, daß diese Erklärung nicht politisch mißbraucht wird, sondern zu dem dient, was wir gemeinsam wollen!" Nach Überreichung der Erklärung des Rates in einer von seinen sämtlichen Mitgliedern unterschriebenen Urkunde 58 sprach Maury59: "Entschuldigen Sie mein unzulängliches Deutsch. Wir sind tief dankbar für das Papier. Es ist Ihnen nicht leicht, uns dieses zu geben. Sie geben es uns aber in Christus, darum wird es leicht. Sie wollen Ihrem Volk treu sein, das in Verzweiflung lebt. Wir wollen es annehmen ohne pharisäischen Stolz, sondern auch vor Gott. Jetzt ist es uns leichter zu ertragen, daß das Gift des Hitlerismus die ganze Welt überflutet hat. Wir waren erstaunt, daß man in Deutschland nach der Besetzung sogleich Gerechtigkeit erwartete. Es gibt kein christliches Volk. In allen Ländern steht die Kirche im Kampf für Gerechtigkeit. Das Hitler-Regime hat die Gerechtigkeit in jedem Land vernichtet. Darunter leiden wir besonders. Aus meiner Gemeinde in Paris sind von 42 Gliedern, die die Deutschen inhaftiert haben, 14 umgekommen. Dieses Leid wiegt schwer. Schwerer aber noch ist das Untergraben der Gerechtigkeit in aller Welt durch die Gewalt. Darunter leiden wir alle. Nun hilft uns Ihr Wort im Ringen um Gerechtigkeit überall, auch für Deutschland. Unsere Hoffnung ist die, zu wissen, daß auch in Deutschland Brüder wirken, die sich allein auf die Gnade Gottes geworfen wissen. Ihre Erklärung wird ein Ruf zu christlichem Leben auch bei uns sein. Wir haben eine gemeinsame Pflicht für das Abendland und die Welt. Daran soll Deutschland auch seinen Teil haben. Verzeihen Sie, mein Deutsch war schwach, aber mein Herz war nicht schwach." Wurm: "Nach dem ersten Weltkrieg wurde um politische Schuldbekenntnisse gestritten. Darum geht es heute nicht, wenngleich unsere Erklärung miß58 Fotografische Wiedergabe des Originals der Stuttgarter Erklärung mit allen Unterschriften und dem hsl. Vermerk: "For the Bishop of Chichester" bei E. RÖHM/J. THIERFELDER, Kirche, S. 152; G. BESIER, Christen, Abb. 5. 59 Das Rundschreiben Asmussens (vgl. S. 38, Anm. S3) gibt von den im folgenden gehaltenen Reden lediglich den Wortlaut der Rede des Bischofs von Chicbester wieder.

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braucht werden kann. Ich freue mich zu hören, daß Sie sie recht aufnehmen!" Visser't Hooft: "Wir wollen helfen, daß die Erklärung recht aufgenommen wird überall." Der Bischof von Chichester: "Mit einem ganz besonderen Gefühl der Freude stehe ich den Führern der deutschen evangelischen Kirche gegenüber. Ich komme als ein Mitglied der ökumenischen Delegation, deren Bestehen von größter Bedeutung ist. Ich komme als ein Bischof der Kirche von England und bringe Ihnen viele Grüße von meiner eigenen Kirche und von der evangelischen Freikirche, deren Interesse durch den Ref. E. Gordon Rupp der englischen Methodistenkirche vertreten wird. Der britische Kirchenrat hat jetzt beschlossen, eine eigene spezielle Abordnung zu senden und ich bringe einen persönlichen Brief des neuen Erzbischofs von Canterbury für Bischof Wurm mit60, worin er seine zwiefache Sympathie in bezug auf die Entwicklung Ihres kirchlichen Lebens und der bitteren materiellen Not, gegen welche Deutschland nun kämpfen muß, ausdrückt. Ich komme auch mit Grüßen von vielen deutschen Freunden, Ihren und meinen, besonders von Pastoren und Gelehrten aus England, wo sie sich schon vor dem Krieg im Exil befanden. Vor allem aber komme ich als Bruder in Christo und als alter Freund der Bekennenden Kirche, erfreut, wieder einmal viele alte Freunde und Mitarbeiter aus vergangenen Tagen zu sehen, von denen ich mich geistig auch nicht einen Augenblick während des Krieges getrennt gefühlt habe. Es ist mir eine persönliche große Freude, die Verbindung mit Ihnen zu erneuern und Menschen zu treffen, mit denen ich eine geistige Bruderschaft gefühlt habe, auch wenn ich früher nicht mit allen wirklich zusammengetroffen bin. Niemals veregesse ich den gemeinsamen Kampf mit der Bekennenden Kirche, welcher mit solchem Mut von 1933 bis zum September 1939 geführt wurde und welcher in Fano [sie/] und in Oxford 61 durch die Kirche außerhalb Deutschlands unterstützt wurde. Wir haben mit großer Bewunderung die Augenzeugenberichte verfolgt, welche uns durch so viele Kirchenführer und ihre Gefährten gegeben wurden. Berichte über die schrecklichen Verbrechen des Nazi-Regimes und über das Regime selbst bis zum heutigen Tag, über Konzentrationsläger, über politische Personen und über die regelmä60 Nicht ermittelt; vgl. dazu aber das Antwortschreiben Wurms vom 27. November 1945 (EZA BERLIN, 2/158; Abdruck nach anderer Vorlage mit Datum vom D.November bei M. GRESCHAT, Zeichen, S. 128f.). 61 D.h. bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum in Fanö 1934 und bei der Weltkonferenz 1937 in Oxford.

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ßige Arbeit und Führung der Kirche. Ich verlange nicht, daß alle britischen Kirchenleute von diesem Widerstand wissen und ihn würdigen, der unter großen Verlusten der evangelischen Christenheit in Deutschland geführt und aufrecht erhalten wurde, aber einige von uns wissen es und tun ihr Möglichstes, um es auch den anderen mitzuteilen. Durch die Leiden und Verluste, die die deutsche evangelische Kirche in diesem schrecklichen Konflikt erlitten hatte, litt die gesamte ökumenische Kirche. Einer von denen, dessen Tod der ökumenischen Kirche, vielen seiner Freunde in unserem eigenen Lande und mir selbst einen persönlichen Verlust brachte, ist der tapfere, sich seiner Aufgabe hingebende, so begabte und eifrige Dietrich Bonhoeffer. Ich versichere Sie, daß durch die Leiden Ihrer Kirche wir in den anderen Kirchen auch gelitten haben, letzten Endes aber können wir in den anderen Kirchen von Eurer Religion lernen, von Eurem Zeugnis und Eurem Bekenntnis, von Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes, von der Bruderschaft der Kirchenglieder in dem großen Kampf gegen die Abgötterei jeder Art und gegen Verweltlichung und Eigennutz. Ich sprach von Ihren Leiden in dem Kampf gegen den Nationalsozialismus, ich bin auch über die Verwüstungen, die durch den Krieg in Deutschland selbst hervorgerufen wurden, unterrichtet, und werde bald die Zeugen dieser Zerstörung mit eigenen Augen sehen. Krieg ist eine furchtbare Geißel für alle, die daran teilnehmen - furchtbar in seinem Haß, furchtbar in seiner Verwüstung und seiner Sklaverei. Kein Mensch kann sich diesem Unmaß an Grausamkeit verschließen, welche den Juden, den Verschleppten und den politischen Personen, beinahe Millionen von Sklaven, angetan wurde. Auch jetzt sind wir sehr erregt über die gegenwärtig erfolgenden Ausweisungen aus dem Osten, grausam, ungerecht und unmenschlich - in sich und in der Art ihrer Durchführung. Es ist sehr gut, meine Freunde, wieder mit Ihnen zusammen zu sein. Ich hoffe, daß wir alle aus den Unterredungen dieser Tage voneinander lernen werden. Auch andere Länder haben sehr schwer während dieses bitteren Krieges gelitten, und die Wunden, die diese Leiden geschlagen haben, gehen sehr tief. Durch persönliches Erleben wie dieses sind wir alle verpflichtet, im Mitempfinden und Heilen dieser Wunden Hilfe zu leisten. Ich glaube, daß unser Besuch bei Ihnen Sie veranlassen wird, uns wieder zu besuchen. Ich bin davon überzeugt, daß es gut sein würde, wenn Einige von Ihnen nach England kämen. Gut für das Verständnis und gut für die Heilung. Bisher wurde noch nichts über den Zeitpunkt eines solchen Besuches von Ihnen in England gesagt, der Grundgedanke aber wurde durch unser eigenes Kriegsdepartement in Beantwortung der Prüfung des Bischofs von Canterbury angenommen. Es ist sehr gut, bei Ihnen als ein Mitglied der ökumenischen Delegation zu sein, die in den Personen der gegenwärtig anwesenden Gruppe so viele Kirchen, evangelische und orthodoxe, die über

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die ganze Welt verbreitet sind, vertritt. Die Länder, aus denen wir kommen, haben gelitten, andere Länder, deren Kirchen auch der ökumenischen Bewegung angehören, aber nicht direkt in dieser Art vertreten werden, haben ebenfalls mehr oder weniger gelitten. Aber alle von uns, die vorwärts, der Zukunft entgegensehen, sind davon überzeugt, daß durch Gott allein und allein durch das unbegrenzte Vertrauen auf seine Gnade, sowie durch unsere Treue zu Christus um jeden Preis, durch unsere Nächstenliebe und Hilfe untereinander, die Dinge, welche zusammengebrochen, wieder aufgerichtet werden können und nun eine freie und friedvolle Aufgabe für alle Menschen, Klassen und Nationen daraus erwachsen möge. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß der Weltrat der Kirchen und die Aufgaben, für die er da ist, eine Lebensfrage sind. Eine Bruderschaft der Kirchen, welche Jesus Christus als Gott und Erlöser anerkennen, gelobt die Arbeit der Weltkonferenz von Oxford und Edinburgh zu verwirklichen. Sie gelobt daher auch, die Kirche zu stützen, die ihr lebendiges Interesse als der Leib des verklärten Herrn kundtut und aufrecht erhält in der Gemeinschaft selbst und in öffentlicher sowohl als auch privater Führung, in gemeinnützigen, sozialen, nationalen t ld internationalen Angelegenheiten der Menschheit." Nach einem Wort des Dankes seitens D. Wurm erklärte Visser't Hooft: "Wir freuen uns, daß Sie Ihre Ratsmitglieder, Landesbischof D. Wurm und Pfarrer Niemöller, als Ihre Vertreter in den ökumenischen Rat benannt haben. Bisher war u.a. Landesbischof Marahrens Mitglied, dessen weitere Zugehörigkeit wir aber wegen seines Verhaltens in der Vergangenheit als untragbar empfinden. Wir betrachten ihn nunmehr durch die neuen Benennungen als abgelöst." Koechlin: "Viele deutschen Auslandsgemeinden, die bisher durch die Konsulate der Schweiz als Schutzmacht betreut wurden, wenden sich nach Auflösung aller deutschen Konsulate nunmehr an die schweizerische Kirche. Wir können uns dieser Dinge nicht annehmen, weil wir nicht zuständig sind und legen dem Rat der EKiD nahe, hier eine Lösung zu finden." Michelfelder: "Es verbinden mich persönliche Erinnerungen mit Ihnen aus dem Anfang des Kirchenkampfes in Deutschland. Ich denke insbesondere an Begegnungen mit Jakobi [facobi] und die ersten Erlebnisse der Berliner Gemeinde mit der Gestapo, bei denen ich zugegen war. Ich freue mich mit Ihnen, daß diese Dinge nun dahin sind. Wir brauchen den Geist, der in der Bekennenden Kirche Deutschlands gelebt hat, auch in Amerika, um vor dem Erleben

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bewahrt zu bleiben, das in der Vergangenheit über Sie gekommen ist. Dazu möge die deutsche evangelische Kirche uns helfen." In einer Erörterung über die Unterbringung der aus dem Osten zurückgeströmten Pfarrer, deren Zahl auf 2500 geschätzt wird, wurde beschlossen, Pfarrer, die den Ostraum ohne zwingenden Grund verlassen haben, in anderen Landeskirchen nicht anzustellen, sondern zur Rückkehr aufzufordern. Die im Westen verbleibenden Pfarrer sollen zunächst, soweit wie möglich, in freie Pfarrstellen aufgenommen oder bei vorliegendem Bedarf im Schulunterricht oder auch in neu entstehenden Flüchtlingsgemeinden eingesetzt werden. Hinsichtlich der nicht unterzubringenden Pfarrer soll eine Ausgleichsumlage geschaffen werden, deren Bedarf grundsätzlich nicht aus Mitteln der Kirchensteuern, sondern aus Beiträgen der Pfarrer als Standeshilfe aufzubringen sind. Die Aufenthaltskirche übt die Dienstaufsicht aus; Dienstverfahren sind durch die Heimatkirche auszuführen. Dibelius erklärte hierzu: "Im Osten kann weithin von einem geordneten Pfarramt keine Rede mehr sein. Wir können weithin weder Pfarrwohnung noch Gehalt, sondern nur Arbeit nachweisen und es Gott und der Gemeinde überlassen, wie sie ihren Pfarrer mit durchbringt. Bedarf an Pfarrern besteht vor allem in den Hungergebieten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß Pfarrer, die in eine Gemeinde in den Hungergebieten eingewiesen sind, aus ihrem Pfarramt nicht entlassen werden. Wenn die Gemeinde hungert, hat der Pfarrer mit zu hungern, und wenn die Gemeinde stirbt, hat der Pfarrer mit zu sterben. Etwas anderes ist es, wenn ein fremder Pfarrer nur kommissarisch in eine Gemeinde der Hungergebiete eingewiesen ist. Hier kann eine Ablösung erfolgen, wenn der Pfarrer die Grenzen seiner Kraft erreicht hat." In den internen Sitzungen des Rates wurden noch zahlreiche personelle, organisatorische und rechtliche Einzelheiten geregelt sowie verschiedene Arbeitsausschüsse und Sonderbevollmächtigte bestellt. Leiter der KirchenKanzlei ist Asmussen, Niemöller führt das Referat für Auslandsbeziehungen, Gerstemeier [Gerstenmaier] leitet das Hilfswerk. Eine erste Ausführungsverordnung zu der in Treysa beschlossenen vorläufigen Ordnung der Evangelischen Kirche stellt fest, daß der Rat der EKiD bis auf weiteres alle Rechte und Pflichten sämtlicher bisherigen verfassungsmäßigen Organe der DEK in seiner Hand vereinigt. Das in der DEK in Geltung gewesene Recht gilt vorläufig weiter. Als Bevollmächtigter des Rates in der englischen Zone wurde Lilje bestellt, für die amerikanische Zone Fricke. Die Bestellung für die französische Zone bleibt noch offen.

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Als Bevollmächtigte des Rates in Schrifttums-Angelegenheiten wurden Lilje, Hammelsbeck und Hutten bestellt. Sie sind ermächtigt, einen von den Verlegern zu benennenden weiteren Vertreter hinzuzunehmen. Landesbischof Wurm wird beauftragt, bei den Besatzungsmächten die Anerkennung des Bußtages als gesetzlichen Feiertag zu erwirken. Ein Einspruch der Landeskirche von Oldenburg wegen der Zusammensetzung des Rates und die Bitte um Aufnahme eines Oldenburger Vertreters wurde abgewiesen. Nach Erledigung aller Vorlagen erstattete Feldbischof Dormann [.Dohrmann] dem Rat noch einen Bericht über Heeresseelsorge: Seit 1939 konnten Militärgeistliche nur noch mit Zustimmung der Gestapo, des Kirchenministeriums und des Oberkommandos der Wehrmacht angestellt werden. Es war deshalb sehr schwer, die richtigen Persönlichkeiten zu ernennen. 1942 wurde die Einstellung weiterer Heerespfarrer völlig gesperrt. Es gelang nicht einmal, einen Ersatz für die in Stalingrad gebliebenen 15 evangelischen Pfarrer durchzusetzen. Bei den Volks-Grenadier-Divisionen wurden Heerespfarrer überhaupt nicht zugelassen. Vorstellungen bei dem Generalfeldmarschall Milch wegen der Seelsorge in der Luftwaffe endeten mit der bündigen Erklärung von Milch, daß die Luftwaffe keine Seelsorger brauche. Generalfeldmarschall Keitel ließ sich trotz dreitägigen Wartens im Hauptquartier überhaupt nicht sprechen. Die von Dormann [Dohrmann] zu Weihnachten, Ostern oder Pfingsten an die Soldaten herausgebrachten Worte unterlagen einer Zensur und wurden nicht selten sinnentstellend geändert. 2B3. "Reden zur Stuttgarter Erklärung" F: VONBlNr. 1, Januar 1946. Wir geben Reden wieder, die im Zusammenhang der Erklärung des Rates in Stuttgart, die vorgehend abgedruckt ist, gehalten wurden. Es sprachen Pfarrer Asmussen D D . Meine lieben Brüder, mir ist eines gewiß: Was auszumachen ist zwischen den Brüdern der Oekumene und uns, ist auszumachen zwischen Gott und uns. Es muß geregelt werden zunächst einmal ohne einen Blick auf die Wirkung, die es in unserem Volke geben wird. Es muß ausgemacht werden, als gäbe es in der Welt nur Gott. So helfen wir auch den Brüdern in der Oekumene, ihre Dinge so auszumachen, daß sie ohne Rücksicht auf Propaganda ihre Dinge ausmachen zwischen sich und Gott. Wir wissen, wie schwer das ist.

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Das Volk hat sein Anliegen an die Kirche, die Militärregierung an uns. Ihr wißt, wie schwer es uns zwackt, unsere Brüder ihre Fronarbeit verrichten zu sehen im Nationalsozialismus, und nun die Gefahr sehen, wie sie wieder ihre Fronarbeit tun müssen. Da ist es schwer, den Blick ganz auf Gott zu richten. Eins aber muß ich sagen, und das ist kurz gesagt dieses: "Liebe Brüder, ich habe an euch gesündigt als Glied meines Volkes, weil ich nicht besser geglaubt habe, weil ich nicht reiner gebetet habe, weil ich nicht heißer geliebt habe. O b ich damit hätte verhindern können, was geschehen ist, weiß ich nicht." Grade [sie/] weil ich mein Volk liebhabe, kann ich nicht sagen, das alles geht mich nichts an. Nein, das alles tat mein Fleisch und Blut, und die Liebe gebietet mir zu sagen: Dazu stehe ich. Und nun bitte ich euch: "Verzeiht mir." Ich will noch ein Zweites sagen. Ich weiß, daß das, was ich gesagt habe, menschlich sehr gefährlich ist. Daß es mißbraucht werden kann, ist mir bekannt. Aber ich glaube aus dem Evangelium gelernt zu haben, daß ich all diese Befürchtungen hintan stellen muß. Was ihr daraus macht, liebe Brüder, das muß die Liebe Christi in euch zurecht bringen. Als Glied des Leibes aber muß ich dieses Amtes so walten. Ich meine, es ist die Aufgabe dieser Stunde, dieses Eine so auszusprechen, und dies habe ich euch zu sagen gehabt. Ich bitte euch noch einmal: "Vergebt mir, ich habe gesündigt." Pfarrer Niemöller DD. Nach diesen Worten habe ich nicht mehr viel zu sagen. Diese Stimme, die so beweglich uns ins Herz geklungen ist, ist eine Stimme, in der sich das Gewissen unserer Kirche ausspricht. Ich möchte die Brüder bitten, daß sie uns das glauben, daß es uns wirklich ernst ist in unserer Kirche und unserem Volk, einen völlig neuen Anfang zu versuchen. Liebe Brüder von der Oekumene, wir wissen, daß wir mit unserem Volke einen verkehrten Weg gegangen sind, einen Weg, von dem man noch sehr viel anderes sagen kann, der uns als Kirche mitschuldig gemacht hat an dem Schicksal der ganzen Welt heute. Wir bitten, daß Gott uns diese unsere Schuld vergeben möchte, und die Schuld, indem er sie uns vergibt, zu einem neuen Motor für die ganze Welt werden lassen möge. Alle Schuld, die ihm gebeichtet wird, kann er vergeben und vergibt sie, daß diese vergebene Schuld eine Quelle neuer Kraft wird. Daß er uns in eine neue Gemeinschaft führt mit und in der Oekumene, daß in dieser Welt durch die Christenheit ein Neues werden kann, darum bitten wir sehr. Fassen sie dieses unser Bekenntnis nicht so auf, als ob wir meinten, wir sind schuldig und andere sind es auch. Nein, wir glauben, daß Gott uns die brüderliche Gemeinschaft geben wird, weil wir von Schuld und Schuld-

2B Protokoll

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Vergebung wissen. Helft uns, das wir das nun wirklich auch effektiv machen können. Helft uns bei diesem Versuch, daß er durch eure Hilfe, eure Liebe, euer Gebet gelingen möge. Wir werden die Schuld auf lange Sicht hin tragen, wir wollen sie auch nicht verkleinern, aber helft uns doch, daß der Segen nicht verloren werde darum, weil vielleicht die Christenheit in aller Welt glauben möchte: "Euer Schuldbekenntnis ist nicht so ganz ernst zu nehmen." Die Männer, die in der Leitung der Kirche stehen, wollen, daß dies auf keinen Fall dem Volk und der Gemeinschaft der Völker verlorengehe. Pfarrer Lic. Niesei Damit es auch recht verstanden werde: Es klingt für uns ganz sonderbar, wenn es ein Mann sagt, der acht Jahre im Konzentrationslager war und nie nationalsozialistisch gewesen ist. Ich will konkret sagen: Darunter haben wir ja all die ganzen Jahre hindurch gelitten, daß wir zwar immer wieder Ansätze gemacht haben, Gottes Evangelium und Gesetz zu verkündigen. Aber wie oft haben wir immer wieder zueinander sagen müssen, ach, wie kümmerlich ist doch wieder einmal unsere Verkündigung gewesen. Wir sind als geschlagene Leute nach Hause gegangen. Und auch dann, wenn uns in der Verkündigung einmal ein Gotteswort wirklich gegeben war, war es immer nicht so, wie es hätte sein sollen und sein können. Ich habe manche Stunde mit meinem Freunde Heinrich Vogel darüber geredet, und wir sind fast an dieser Not zerbrochen. Das ist auch eine Schuld der Bekennenden Kirche, die euch zu sagen wir verpflichtet sind, damit wirklich Neues werden kann. Pierre Maury (Frankreich) Lassen Sie mich im christlichen Geist und in der Wahrheit meinen Eindruck sagen, nicht als Vertreter der Oekumene, sondern insbesondere auch als Sprecher der Reformierten Kirche Frankreichs: Es kann Ihnen nicht leicht gefallen sein, dieses Wort zu sprechen. Nur in Jesus Christus können Sie dazu frei gemacht worden sein. Wir verstehen, daß Sie treu sein wollen Ihrem Volke gegenüber. Wir können dafür nur dankbar sein. Vor Gott ist es gedacht, geschrieben und vorgelesen. Durch Gnade ist es bei Gott angenommen. Nicht mit pharisäischem Stolz Ihnen gegenüber zu stehen, ist unsere Aufgabe. Da wir nun diese Ihre Zeilen haben, ist es uns leichter, etwas zu tragen, nämlich die Last, daß das Gift des Hitlerregimes nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt überflutet hat. Es mag in Deutschland oft eine Enttäuschung darüber entstehen, daß ihnen nicht sofort Gerechtigkeit bei den anderen Völkern gegenübertritt. Auch wir waren einst erstaunt, als Deutschland alles eigene Tun als gerecht proklamierte.

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Die Kirche aber muß in allen Völkern für die Gerechtigkeit kämpfen. Durch das Hitlerregime ist die Gerechtigkeit bei allen Völkern in den Hintergrund getreten. So sind zum Beispiel in meiner Gemeinde in Frankreich 42 Personen in das Konzentrationslager gebracht worden, von denen aber nur ein Drittel, d.h. 14, zurückgekehrt sind. Das ist das Leid unseres Volkes, das nicht schnell weggenommen wird. Aber das alles ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist der Untergang des Rechtes, weil die Gewalt als einzige Institution in allen Völkern Europas aufgerichtet wurde. Dieses Euer Wort nun hilft uns zu der wahren Gerechtigkeit auch Deutschland gegenüber. Sie haben uns geholfen, Ihnen zu helfen. Schwere Jahre werden wir haben, aber wir werden wissen, daß es in dieser Welt und auch in Deutschland Menschen gibt, die nicht aus der Not fliehen, sondern in der Gnade aus der Vergebung leben. In der französischen Kirche wird dieses Wort ein hilfreicher Ruf zu christlichem Leben für Frankreich selber sein. Wir alle haben eine gemeinsame Pflicht: Etwas Neues muß in unserem Abendlande anfangen. Wir werden nichts unversucht lassen, daß auch Deutschland in der Völkersolidarität wieder seinen Platz bekommt. Verzeihen Sie mein schwaches Deutsch - mein Herz ist nicht schwach. Visser t'Hooft [szc/] Die Oekumene ist nun verpflichtet, alles Mißverständnis und jeden Mißbrauch auszuschalten. Wir bitten ernstlich, uns doch aufmerksam zu machen, wenn wir etwa dieses Wort mißbrauchen sollten.

2C Anlagen und Beschlußtexte

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2C Anlagen und Beschlußtexte 2C1. Beschluß zur Errichtung einer Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD F: EZA Berlin, 2/79 (D; Anlage 1 zu 2B1). - Abdruck: VONBl Nr. 1, Januar 1946.

1. Mit Rücksicht auf die derzeitige allgemeine Lage wird in Berlin eine Zweitstelle der Kirchenkanzlei unterhalten. Diese führt die Bezeichnung: "Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei Berliner Stelle." 2. Die Aufgabe dieser Berliner Stelle ist: a) Das Eigentum der E.K.i.D. innerhalb des russisch besetzten Gebietes zu verwalten und die dort bestehenden Verbindlichkeiten abzuwickeln. b) Die Aufgaben des Rates innerhalb des genannten Gebietes wahrzunehmen und seine Beschlüsse durchzuführen; c) einen Kirchendienst Ost gemäss den Beschlüssen von Treysa zu unterhalten. 3. Die Berliner Stelle ist an die Weisungen des Rates gebunden. 4. Die Berliner Stelle wird durch das z.Zt. in Berlin wohnende Ratsmitglied geleitet. 5. Zur Durchführung der Aufgaben unter 2 a erhält die Berliner Stelle eine einmalige Zuwendung von 150000 M62 aus Mitteln, die in den übrigen Gebieten verfügbar sind oder verfügbar werden. 6. Zur Durchführung der Aufgaben unter 2 b und c erhebt und verwaltet die Berliner Stelle die Beiträge der Landeskirchen und Provinzen des Ostraumes zur E.K.i.D.

62 Der diesem Beschluß zugrundeliegende, ansonsten wortgleiche Antrag Dihelius' lautete auf KU200.000,- (LKA NÜRNBERG, Meiser 121).

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2C2. Erklärung des Rates an die Ökumene. Stuttgart, 18./19. Oktober 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 121 (D; Anlage 2 zu 2Blf>\ - Abdruck u.a.: VONBlNr. 1, Januar 1946; KJ1945-1948, S. 26f. Der Rat der EKD begrüsst bei seiner Sitzung am 18.-19.M-X.65 1945 in Stuttgart Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen: Wir sind für diesen Besuch um so dankbarer, als wir uns mit unserem Volke 66 nicht nur in einer grossen Gemeinschaft der Leiden wissen, sondern auch in einer Solidarität der Schuld. Mit grossem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. N u n soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die heilige 67 Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche, gehen sie daran, sich von glaubensfremden 68 Einflüssen zu reinigen und sich selber zu ordnen. Wir hoffen zu dem Gott der Gnade und Barmherzigkeit, dass er unsere Kirchen als sein Werkzeug brauchen und ihnen Vollmacht geben wird, sein Wort zu verkündigen und seinem Willen Gehorsam zu schaffen bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk.

63 Abgedruckt wird hier der am 21. Oktober 1945 mit dem Protokoll versandte Text, der sich geringfügig von der masch. Textfassung unterscheidet, dem eigentlichen "Original" (=• O), das den Vertretern des Ökumenischen Rates übergeben wurde (vgl. S. 50, Anm. 58). Grundlage für die "Stuttgarter Erklärung" war der von Dibelius am Abend des 18. Oktober bei den Verhandlungen in der Eugenstr. 22 vorgelegte Entwurf (2D9, S. 73f); aus dem von Asmussen vorgelegten Entwurf (2D8, S. 73) wurde die Formulierung übernommen, daß durch Deutsche "unendliches Leid" über andere Völker gekommen sei. Noch während der Verlesung der Erklärung vor den Vertretern aus der Ökumene wurden einige hsl. Korrekturen vorgenommen, die sich auf dem von allen Ratsmitgliedern unterzeichneten Original befinden. Zur Genese und Textkritik der Erklärung vgl. M. GRESCHAT, Schuld, S. 102f.; zur Wirkungsgeschichte vgl. EBD., S. UOFF. und G . BESIER, C h r i s t e n , S. 33FF.

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O: "19." hsl. nachgetragen. O: "Okt.". O: "Volk". O: "Heilige". O: "fremden".

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2C Anlagen und Beschlußtexte

Dass wir uns bei diesem neuen Anfang mit den anderen Kirchen der ökumenischen Gemeinschaft herzlich verbunden wissen dürfen, erfüllt uns mit tiefer Freude. Wir hoffen zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen dem Geist der Gewalt69 und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann. So bitten wir 70 in einer Stunde, in der die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni creator spiritus! Stuttgart 18.-19.X.194571. gez. D. Wurm Dr. Lilje. Asmussen DD. Hahn. Held. Lic. Niesei. D. Meiser Dibelius72

Dr. Heinemann Smend D.Dr. Martin Niemöller DD

2C3. Erste Ausführungsverordnung zur Vorläufigen Ordnung der EKD. Stuttgart, 19. Oktober 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 121 (D; Anlage 3 zu 2B1). -Abdruck: VONBlNr. 1946.

1,Januar

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland verordnet §1

Der Rat der EKiD leitet und verwaltet bis auf weiteres die EKiD. Er vereinigt insoweit die Rechte und Pflichten der bisherigen verfassungsmässigen Organe der DEK in seiner Hand. §2 Das von der DEK gesetzte Recht gilt vorbehaltlich einer vom Rat eingeleiteten Uberprüfung weiter.

69 O: "Gewalt" hsl. geändert aus "Macht". 70 O: "bitten wir Gott". Cffensichdich wurde das Wort "Gott" bereits während der Sitzung von den Ratsmitgliedem in ihren Exemplaren wieder gestrichen; vgl. die Exemplare Nieseis (EZA BERLIN, 2 / 8 4 / 0 4 6 / 1 ) und Smends

( N L SMEND).

71 O: "Stuttgart, den IS.[hsl. ergänzt: 719'] Okt. 1945". 72 O: Andere Anordnung der Namen.

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§3 Der Vorsitzer des Rates der EKiD ist befugt, einzelne Gesetze oder Bestimmungen des bisherigen Rechtes der DEK schon vor der Überprüfung durch den Rat der EKiD einstweilen ausser Geltung zu setzen. Der Leiter der Berliner Stelle der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei hat für den Bereich der russischen Besatzungszone das gleiche Recht. §4 Diese Verordnung tritt sofort in Kraft. Stuttgart, den 19.10.45. Der Rat der EKiD gez. Wurm. 2C4. Handreichung für einen Einschub in das Kirchengebet für Notleidende F: LKA Nürnberg, Meiser 121 (D; Anlage 4 zu 2B1).

Wort an die Notleidenden. Wir bitten Dich, Du Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, Du möchtest Dich in Sonderheit derer annehmen, die obdachlos und heimatlos geworden, nicht wissen, woher sie das Brot für den heutigen Tag nehmen sollen und die dem kommenden Winter deshalb mit Zittern und Zagen entgegengehen. Erbarme Dich über die gepeinigten Menschen und zerschlagenen Völker und lass Verstehen, Mitleiden und Hilfsbereitschaft unter uns wachsen, dass wir aus Deiner Züchtigung lernen, in Frieden und Liebe miteinander die Last zu tragen, die wir, auch durch unsere eigene Schuld, auf andere und uns selber geladen haben, damit wir im Glauben an unseren Herrn Jesus Christus und in seiner Nachfolge Ruhe finden für unsere Seelen. 2C5. "Richtlinien für eine Verordnung zur Wiederherstellung eines bekenntnisgebundenen Pfarrerstandes". Stuttgart, 19. Oktober 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 123 (HJ.

Nachdem mehrere Kirchen zur Wiederherstellung eines bekenntnisgebundenen Pfarrerstandes Verordnungen erlassen haben, ist es notwendig, allgemeine Richtlinien zu finden, nach denen im Bereich der EKiD in dieser vordringlichen Frage verfahren werden soll. Der Rat der EKiD gibt daher nach-

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stehende Richtlinien an die Landeskirchen mit der Bitte weiter, sie zu verwenden und erlassene Verordnungen ihm zur Kenntnis zu bringen. §1 (1) Pfarrer, die der nationalkirchlichen Einung Deutsche Christen, der Deutschen Pfarrergemeinde und ähnlichen Zusammenschlüssen angehört oder nahegestanden haben und noch auf ihrem Boden stehen, sind grundsätzlich zu entlassen 73 . (2) Geistliche, die nach Ablauf einer gewissen Frist die Gewähr dafür bieten, dass sie künftig nach ihrem Ordinationsgelübde ihren Dienst tun werden, können in den Wartestand versetzt werden. (3) Bei Pfarrern, die am 1.10.1945 das 60. Lebensjahr vollendet haben, kann statt der Entlassung die Versetzung in den Ruhestand ausgesprochen werden. (4) In jedem Falle sind die unter (1) bezeichneten Geistlichen sofort zu beurlauben. §2 (1) Geistliche, die als Parteigenossen in einem solchen Mass unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Weltanschauung gestanden haben, dass nach ihrem Reden und Handeln eine bekenntnisgebundene Weiterführung ihres Amtes unglaubwürdig geworden ist, sind zu entlassen oder, wenn eine Beschäftigung in einem anderen kirchlichen Amt tunlich erscheint, in ein solches zu versetzen. (2) Bei Pfarrern, die am 1.10.1945 das 60. Lebensjahr vollendet haben, kann statt der Entlassung oder Versetzung in ein anderes Amt die Versetzung in den Ruhestand ausgesprochen werden. (3) Geistliche, die ein kirchliches Aufsichtsamt innehatten, können gegebenenfalls unter Abberufung von ihrem Aufsichtsamt im Pfarramt belassen werden. §3 (1) Mit der Entlassung aus dem kirchlichen Dienst kann die Aberkennung der Rechte des geistlichen Standes verbunden werden. (2) Im Falle der Entlassung kann ausgesprochen werden, dass nach Ablauf einer bestimmten Frist, die mindestens 1 Jahr, höchstens drei Jahre betragen 73 Im Entwurf Heids lautete § 1, Abs. 1: "Pfarrer, die der nationalkirchlichen Einung Deutsche Christen, der Deutschen Pfarrergemeinde und ähnlichen Zusammenschlüssen angehört oder auf ihrem Boden gestanden haben, sind zu entlassen" (EZA BERLIN, 2/84/046/1).

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soll, nachgeprüft wird, ob eine Wiederbeschäftigung in einem Pfarramt möglich ist. (3) Im Falle der Entlassung, der Versetzung in den Warte- oder Ruhestand ist nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sowie der finanziellen Lage der Kirche über die Gewährung von Übergangsbezügen bzw. Wartegeld bzw. Ruhegehalt 74 zu entscheiden. (4) Im Falle einer Wiederbeschäftigung bzw. Versetzung muss das neue Amt nicht das gleiche Diensteinkommen haben wie das bisherige. §4 (1) Wenn die Kirchenleitung die Voraussetzungen der §§ 1 und 2 für gegeben hält, wird sie mit den betroffenen Pfarrern eine vertrauliche Rücksprache aufnehmen, durch die der Sachverhalt geklärt und möglichst auf eine gütliche Regelung hingewirkt werden soll. (2) Im Rahmen einer gütlichen Regelung kann die Kirchenleitung mit dem Einverständnis des Betroffenen die Massnahmen der §§ 1-3 treffen. (3) Wenn eine gütliche Regelung nicht zustande kommt, übergibt die Kirchenleitung die Angelegenheit zur Entscheidung an die Spruchkammern. §5 (1) Die Spruchkammern der Landeskirche, deren Zahl sich nach dem Bedürfnis richtet, besteht [sie/] aus zwei Geistlichen und einem Juristen, die von der Kirchenleitung berufen werden 75 . (2) Die Spruchkammer kann Entscheidungen nach den §§ 1-3 treffen. Sie kann das Verfahren als erledigt erklären, wenn im Verlaufe desselben eine gütliche Regelung zustande kommt. Sie kann feststellen, dass eine bekenntnisgebundene Weiterführung des Amtes möglich erscheint. (3) Die Spruchkammer kann alle ihr notwendig erscheinenden Beweise erheben, insbesondere Zeugen vernehmen, schriftliche Gutachten einfordern und die Herausgabe von Urkunden von allen kirchlichen Stellen der EKiD verlangen. (4) Die Entscheidung der Spruchkammer erfolgt auf Grund einer mündlichen Verhandlung, zu der der Betroffene zu laden ist.

74 Entwurf: "Pension" (EBD.). 75 Entwurf § J, Abs. 1: "Die Spruchkammer der Landeskirche, deren Zahl sich nach dem Bedürfnis richtet, besteht aus drei Geistlichen und einem Juristen, die von der Kirchenleitung berufen werden" (EBD.).

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(5) Gegen die Entscheidung der Spruchkammer können die Kirchenleitungen 76 und der Betroffene binnen einem Monat seit Zustellung der Entscheidung Berufung bei dem Rechtsausschuss der Kirche einlegen, der endgültig entscheidet. 2C6. Schreiben des Rates an die Interalliierte Kontrollkommission. Stuttgart, 3. November 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 121 (Abschrift einer Übersetzung). - Abdruck nach anderer Vorlage: C. Vollnhals, Entnazifizierung, S. 43-47; auszugsweise bei F. Merzyn, Kundgebungen, S. 15-17. Der Interalliierten Kontrollkommission Berlin erstatten wir hiermit einen Bericht über die gegenwärtige Lage der Evangelischen Kirche in Deutschland. Es ist uns daran gelegen, dass wir in ständiger Fühlung mit der Besatzungsbehörde stehen. Wie wir schon mitteilten, hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland auf der kirchlichen Konferenz in Treysa eine vorläufige Leitung gegeben, deren erster Vorsitzer der Unterzeichnete ist. Seit Bestehen dieser neuen Leitung ist es unser Bemühen, sowohl im Blick auf das Ganze wie auch im Blick auf die einzelnen Landeskirchen die kirchliche Ordnung wiederherzustellen, und die Voraussetzungen zu schaffen, welche nötig sind, damit die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Aufgabe wieder erfüllen kann. Dazu rechnen wir auch die Mitwirkung bei der Erziehung des deutschen Volkes, auf welches so viele unchristliche und zersetzende Einflüsse eingewirkt haben. Unsere Arbeit leidet noch sehr durch die Verkehrsschwierigkeiten. Diese bringen es mit sich, daß die Leitung der Evangelischen Kirche und die Männer der Kirchenkanzlei nur mit großen Schwierigkeiten und nur selten ihren Wohnort verlassen können, um andere Kirchen aufzusuchen. Das wäre aber dringend nötig. Denn wir sind darauf angewiesen, an Ort und Stelle die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Wir bringen darum in Anregung, daß den Mitgliedern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und drei hauptamtlichen Mitarbeitern der Kirchenkanzlei Passierscheine für alle Besatzungszonen und Reiseerleichterungen gewährt werden. Wir stellen mit Dank fest, daß in Einzelfällen schon Mitgliedern des Rates die Möglichkeit gegeben wurde, Benzin bei den Besatzungstruppen zu tanken, wenn sie auf Dienstreisen waren. Das hat sich als eine außerordentliche Zeitersparnis erwiesen. Wir bitten darum, daß das auf alle genannten Personen ausgedehnt wird. Auch die postalischen Verhältnisse bereiten uns außerordentliche

76 Entwurf: "Kirchenleitung" (EBD.).

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Schwierigkeiten. So kommt es, daß wir nur sehr unvollkommen über die Vorgänge in den einzelnen Landeskirchen unterrichtet sind, was sich in der Arbeit sehr schmerzlich auswirkt. Wir hoffen aber, daß sich die Dinge von Monat zu Monat bessern werden. Seit der Tagung von Treysa hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Sitzung abhalten können. Diese fand in Stuttgart statt. Sie erhielt ein besonderes Gepräge durch den Besuch einer starken Delegation der Oekumene. Es waren anwesend: Der Bischof von Chichester, Dr. Visser t'Hooft [Visser't Hooft] (Holland), Präsident Köchlin [Koechlin] (Schweiz), Professor Krämer [Kraemer], Pastor Maury (Frankreich), Professor Cavert (Amerika), Pastor Michelfelder (Amerika). Der Rat der Ev. Kirche in Deutschland gab den ökumenischen Kirchen eine Erklärung ab, die wir in der Anlage beifügen77. Wir nahmen eine Einladung zur vorbereitenden Sitzung des ökumenischen Rates an, die im Februar in Genf stattfinden soll78. Am Abend vor der Sitzung fand in Stuttgart eine große Kundgebung statt, auf der außer dem Unterzeichneten auch Bischof D.Dr. Dibelius und Pastor Niemöller sprachen79. Die Kundgebung wurde über das Radio verbreitet. Wir sind für diese Unterstützung unserer Arbeit sehr dankbar. Im Blick auf die deutschen Kirchenverhältnisse faßte der Rat auf dieser seiner Sitzung vor allem folgende Beschlüsse: 1) In einer ersten Ausführungsverordnung schuf er die gesetzliche Grundlage für seine weitere Arbeit (siehe Anlage 2)80. 2) Den Landeskirchen wurde ein Entwurf über die Reinigung des Pfarrerstandes zugeleitet, der vor allem das Interesse der Kontrollkommission finden dürfte (Anlage 3)81. 3) Es wurde eine Zweitstelle der Kirchenkanzlei in Berlin eingerichtet. Aufgrund dieser Beschlüsse wurde inzwischen die bisherige Kirchenkanzlei in Göttingen aufgelöst resp. in die neue Kanzlei übergeführt. Von den Beamten und Angestellten der alten Kanzlei wurden drei Personen übernommen, die anderen treten in den Dienst der Landeskirchen zurück oder werden aus dem Dienst entlassen. Die neue Kirchenkanzlei wird geleitet von dem Mitglied des Rates Pastor Asmussen DD. Wegen Raummangel in Stuttgart befindet sich das Büro noch in Schwäbisch Gmünd. Verhandlungen, die zur Überlassung von Räumlichkeiten in Stuttgart führen sollen, laufen seit acht Wochen. Unter Pastor Asmussen D.D. arbeiten in der neuen Kanzlei der 77 2C2(S.60f.). 78 Vgl. dazu S. 32, Anm. 27. 79 Vgl. dazu 2E3 (S. 88-103). 80 2C3(S.61f.). 81 2C5 (S. 62-65).

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Superintendent Dr. Siegel, der Pastor Dr. Jensen, Dr. Wehrhahn, Frau Dr. Schwarzhaupt und einige mittlere und untere Beamte und Angestellte. In den Landeskirchen geht die Neuordnung langsam, aber stetig voran. Die kurhessische Kirche hielt eine Synode ab, auf welcher sie die Grundlagen für eine Neuordnung schuf. Diese Synode wählte einen neuen Bischof 82 . Die nassau-hessische Kirche ist auf dem Wege zu einer Synode, um sich neu zu ordnen 83 . Die schleswig-holsteinische Kirche hat sich bereits eine vorläufige Leitung gegeben 84 . Ahnliches kann berichtet werden von den Kirchen in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die innere Lage der evangelischen Christenheit ist durch drei Dinge bestimmt, die Frage nach der Schuld Deutschlands, die grosse Not, die über unser Vaterland hereingebrochen ist und das Verhalten der Besatzungsmächte. W i r halten es für unsere Pflicht, auch darüber der Kontrollkommission Bericht zu erstatten, weil wir auch der früheren Regierung nach Kräften das gesagt haben, was wir nach bestem Gewissen zu sagen schuldig waren. Als die Besatzungstruppen in Deutschland einrückten, war im deutschen Volke eine große Bereitschaft, von den Fehlern der Vergangenheit abzurükken. Der Einfluß, welchen Hitler noch hatte, war tatsächlich sehr gering. Inzwischen begann eine neue Presse ihre Wirksamkeit, unterstützt durch inländische und ausländische Radiosendungen. Seltener gelangen auch Äusserungen ausländischer Persönlichkeiten zur Kenntnis des deutschen Volkes auf dem Wege über den Druck oder durch Vorträge, die sich mittelbar oder unmittelbar auch mit der Schuldfrage befassten. So werden die Schriften von Professor Barth in Basel sehr eifrig gelesen, und er selbst konnte dankenswerter Weise in Stuttgart einen Vortrag halten 85 . Leider muß festgestellt werden, daß sich seit der Besetzung Deutschlands keine Vertiefung des Schuldbewußtseins im deutschen Volk beobachten läßt. Der Grund dafür ist z.T. darin zu suchen, daß die Propaganda in Presse und Radio sich in einem solchen Ausmaße in Verallgemeinerungen ergeht, daß sie das Gegenteil von dem erreichen muß, was sie will. Die Übertreibungen und Verallgemeinerungen verstopfen die Ohren der Menschen. Das sagen wir nicht, um zu billigen Entschuldigungen zu kommen. In der Kirche ist es selbstverständlich,

82 Z«r Wahl Wüstemanns zum Bischof von Kurhessen-Waldeck durch die Notsynode in Treysa vom 24. bis 28. September 1945 vgl. K. MEER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 423. 83 Zur Neuordnung der nassau-hessischen Landeskirche vgl. S. 466, Anm. 43. 84 Diese "vorläufige Kirchenleitung" war am 16. August 1945 von der vorläufigen Gesamtsynode der schleswig-holsteinischen Landeskirche auf ihrer 1. Tagung in Rendsburg gewählt worden (vgl. dazu K . JÜRGENSEN, Stunde, S. 64ff.).

85

Vgl. K. BARTH, Wort an die Deutschen (Vortrag am 2. November 1945 im Staatstheater Stuttgart).

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daß unverblümt von der Schuld unseres Vaterlandes geredet wird. Als Beispiel legen wir eine Predigt bei, welche das Mitglied des Rates Pastor Asmussen am 13.5.45 gehalten hat 86 . Aber wir bemühen uns gerecht zu sein und nicht zu verallgemeinern. Es kann auch mit Zwang im deutschen Volke nicht die Uberzeugung bewirkt werden, daß alle Deutschen oder auch nur ihre überwiegende Mehrzahl der Teilnahme am Verbrechen schuldig ist. Die Kirche wird sich hüten, ihrerseits diesen Eindruck zu erwecken. Ein anderer Grund, weshalb das Schuldbewußtsein im deutschen Volke sich nicht vertieft hat, ist die übergroße Not, die auf uns lastet. Die Not ist so groß, daß sie ein ruhiges Uberlegen fast unmöglich macht. Das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland versucht nach Kräften und mit Erfolg, der Not zu begegnen. Aber es ist ganz ausgeschlossen, daß es die Not wirklich meistern kann. Mit einem Volke aber, das sich in so großer Not befindet, wird man Geduld haben müssen. Man wird nicht erwarten können, daß es zu einer ruhigen Überlegung kommt. Wenn nun im Volke Vergleiche angestellt werden zwischen der Zeit unter Hitler und der Gegenwart, und wenn das Volk feststellt, daß es früher mehr zu essen hatte als heute, daß es früher seine Wohnungen besser heizen konnte, daß es auch besser wohnte, so wird man daraus zwar nicht den Schluß ziehen können, daß es sich nach den Hitlerzeiten zurücksehne, wohl aber wird man feststellen müssen, daß die Angst vor dem Kommenden, die durch Berichte aus dem Osten erzeugt wird, ihm oft die Klarheit der Überlegung raubt. Man darf deshalb Vergleiche dieser Art, wenn sie jetzt gezogen werden, nicht zu schwer nehmen. Viel schwerer wiegt es nach dem Urteil der Kirche, daß die Erkenntnis der Schuld, die wir als Deutsche tragen, auch durch das Verhalten der Besatzungsmächte selbst gehemmt wird. Wir machen freimütig auf einige Erscheinungen aufmerksam, die viel Beschwerden erregen und die Gefahr in sich bergen, daß sie Hass erzeugen. Während des Krieges hat das deutsche Volk nur in kleinen verblendeten Kreisen gehasst. Jetzt ist Gefahr im Verzuge, daß eine ähnliche Stimmung weitere Kreise ergreift. Um das zu verhindern sagen wir das Folgende: Wir haben zwar nur lückenhafte Kenntnisse über die Kriegsgefangenenlager, wir erkennen dankbar an, daß wir aus vielen Lagern Befriedigendes hören. Aber wir können nicht verschweigen, daß wir aus manchen Lagern auch nachhaltig Berichte hören müssen, die uns schwer bedrücken. Diese Berichte lassen leider keinen Zweifel darüber, daß es Kriegsgefangenenlager gibt, in

86 Nicht ermittelt.

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denen die Gefangenen nicht nach den Bestimmungen der Haager Konvention 8 7 behandelt worden sind und werden. W i r haben weiter schwerste Bedenken gegen die sogenannten Reinigungsaktionen. W i r sind auch der Uberzeugung, daß das öffentliche Leben vom Einfluß der Nazis gesäubert werden muß. W i r halten es aber für sehr bedenklich, daß von der Reinigungsaktion in hohem Maße solche Personen betroffen werden, die nicht davon betroffen werden dürften. W i r könnten viele Beispiele von Verhaftungen und Absetzungen kund machen, die deutlich machen, dass sogar offenbare Gegner des Nationalsozialismus als Nationalsozialisten behandelt werden. Das erweckt in der Bevölkerung Trotz und verhindert die notwendige Besinnung, ganz zu schweigen von dem Schaden, welcher der Wirtschaft, dem Handwerk, der Schule, der Gesundheitspflege und allen Zweigen des öffentlichen Lebens zugefügt wird. W i r begrüssen es dankbar, dass durch die Einsetzung von Prüfungsausschüssen dem Einzelnen die Möglichkeit gegeben werden soll, seine tatsächliche Haltung unter Beweis zu stellen. W i r müssen auch sagen, dass die Art des Verfahrens nicht geeignet ist, Vertrauen zu erwecken. Solange die Entnazifizierung in den Händen der Geheimen Polizei liegt, solange wird auch der Vergleich gezogen werden mit der Vergangenheit. Das V o l k hat nach dem Zusammenbruch gehofft, dass nun eine Zeit des geordneten Rechtes für das ganze deutsche V o l k heraufgekommen sei. Anstatt dessen liegt jetzt wieder die Entscheidung bei einer Stelle, welche jeder Kontrolle durch die Ö f f e n t l i c h k e i t entzogen ist. Die Verhafteten haben zum grossen Teile keinerlei Verbindung mit ihren Angehörigen, die Angehörigen wissen nicht einmal, wo die Verhafteten sich befinden und diese müssen Monate hindurch warten, bis sie vernommen werden. D e r Bischof von Kurhessen wendet sich an uns, da er einen seiner verhafteten Pfarrer nicht besuchen kann. Aus dieser Verfahrensweise kann kein Vertrauen entstehen. Mit grösstem Schmerze müssen wir beobachten, welche Freiheiten man im amerikanischen Gebiete den Polen und anderen Ausländern lässt. Einsame Höfe und Dörfer werden überfallen, die Schreie der Ueberfallenen gellen durch die Nacht, ohne dass ihnen Hilfe gebracht werden kann. D e n n die polnischen Banden sind schwer gewaffnet [sie.'], die deutsche Polizei aber ist zu schwach und erhält nur sehr zögernd die notwendige Bewaffnung. Man überlässt den Polen zwangsweise Wohnungen, aber so, dass die deutschen Bewohner von den Polen selbst aus den Wohnungen vertrieben werden, 87 Die Haager Konventionen von 1899 und 1907 enthalten Bestimmungen über das Landkriegs-, Seekriegs- und Neutralitätsrecht sowie über friedliche Streitbeilegung und internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Die Behandlung von Kriegsgefangenen wird durch die Haager Landkriegsordnung, eine Anlage zu den Haager Konventionen, geregelt.

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wobei sie ihre H a b e zurücklassen müssen u n d die Polen mit Schusswaffen, Stahlruten u n d G u m m i k n ü p p e l n vorgehen. Die amerikanische A r m e e sieht o f t diesem Treiben zu ohne einzugreifen. W i r ahnen, welches U n r e c h t den Polen von unseren Volksgenossen zugefügt w o r d e n ist. W i r w e r d e n jederzeit dafür eintreten vor unseren Volksgenossen, dass dies U n r e c h t v o n uns gutgemacht werden muss. W i r bitten aber die Alliierten Mächte, entschieden abzurücken von diesen Methoden, welche den Polen Gelegenheit geben, Rache zu n e h m e n . W i r bitten f ü r unser Volk, dass i h m Gerechtigkeit wiederfährt [sie!]. W i r bitten, dass die Wiedergutmachung geordnet v o r sich geht. W i r bitten, dass der Eindruck vermieden wird, als solle dasselbe nocheinmal geschehen, was von der SS und der Partei in Polen geschehen ist. Es ist n i e m a n d e m damit gedient, w e n n der Glaube entsteht, dass die Gewalt die letzte Instanz auf E r d e n ist. Die Völker k o m m e n n u r z u m Frieden, w e n n sie wieder an Gerechtigkeit glauben lernen. W i r k ö n n e n nicht verschweigen, dass das deutsche Volk heute unter dem Eindruck steht, dass die Gewalt u n d nicht die Gerechtigkeit entscheidet. W i r bitten die Kontrollkommission, dass sie an i h r e m Teile dazu helfe, dass der Glaube an die Gerechtigkeit im deutschen Volke wieder Wurzel fassen kann.

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2D Tischvorlagen und Anträge 2D1. Antrag 1: Personal der DEK F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). Der Rat der E K D wolle folgenden Briefentwurf an die zu pensionierenden Persönlichkeiten der früheren E K D [muß heißen: DEK] billigen: Die Kirchenversammlung von Treysa hat eine Vorläufige Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland beschlossen. Nach dieser Ordnung ist eine Wiederherstellung des Aufbaus der D E K und die Aufrechterhaltung der mit diesem Aufbau gegebenen Aemter n i c h t vorgesehen. Darum hat der Rat der E K D beschlossen, Sie mit Wirkung vom 1.1.46 zu pensionieren und bis dahin zu beurlauben. U m nach Möglichkeit Härten zu vermeiden, wird Ihnen bis 31.12.45 das bisherige Gehalt weitergezahlt werden. Darüber hinaus erhalten Sie ab 1.1.46 bis auf Weiteres die nach den bisherigen Kirchengesetzen vorgesehene Pension. Aus dem Erhalt dieser Bezüge können Rechtsansprüche nicht abgeleitet werden. Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland Dies Schreiben ist zu senden an: Heckel, Wahl, Gisevius 2D2. Antrag 7: Verhältnis von Kirchlichem Außenamt und Hilfswerk F: ETA Berlin, 2/84/046/1 (DJ. U m das Verhältnis zwischen dem Aussenamte und dem Hilfswerk zu klären, beschliesst der Rat: K R Gerstenmaier wird angewiesen, Auslandsbeziehungen nur im engsten Einvernehmen mit Pfarrer Niemöller zu pflegen, vor allem diesen über seine Reisen ins Ausland vorher in Kenntnis zu setzen und die dort zu verfolgende Linie mit ihm zu besprechen. K R Gerstenmaier wird während seiner Delegierung an den E O K in Stuttgart auch von diesem besoldet. 2D3. Antrag 2: Hosemann F: ETA Berlin, 2/84/046/1 (D). D. Hosemann wird wie folgt beschieden: 1. Seine Arbeit im Kirchenbundesamt wird anerkannt. 2. Das ihm durch Ludwig Müller und Kirchenministerium zugefügte Unrecht wird als solches anerkannt. 3. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass seine Tätigkeit als Kon. Präs. in Breslau und sein Verhalten gegenüber dem Einigungswerk es nicht

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geraten erscheinen lassen, ihn weiterhin im Dienst der E K D zu beschäftigen 88 . 4. Er wird ab 1.1.46 eine Pension erhalten, wird aber aufgefordert, mitzuteilen, wie sich die Zahlung seiner Bezüge bisher auf die D E K und die A P U verteilt hat, damit die Kanzlei durch Verhandlungen mit der A P U die Verteilung der nunmehr gewährten Pension auf E K D und A P U feststellen kann. 5. Hosemann wird der Dank des Rates ausgesprochen für seine Fürsorge um das Archivamt. Er wird gebeten, seinem Nachfolger mit seinem Rate zur Verfügung zu stehen. 2D4. Antrag 3: Archivamt der EKD F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (DJ. Ein kirchlicher stellungsloser Jurist wird vorübergehend mit der Arbeit des Archivamtes betraut werden. Die Kanzlei wird beauftragt, diese Arbeit durchzuführen und zu leiten. 2D5. Antrag 4: Freitag F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (DJ. Der Rat der E K D nimmt das Pensionsgesuch des Ob.Kon.Rates D. Freitag zur Kenntnis und billigt dessen Weitergabe an die A P U als die zuständige Stelle. 2D6. Antrag 5: Steckelmann F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). Der Rat nimmt die Berufung von Herrn O K R Steckelmann zur Mitarbeit im Hilfswerk und evt. in der Kanzlei (Hilfe in der Finanzverwaltung) zur Kenntnis und billigt sie. 2D7. Antrag 6: Ehlers F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). Dr. Hermann Ehlers wird vom Rat der EKD in die Kanzlei berufen als stellvertretender Leiter. 88 Hosemann wurde u.a. vorgeworfen, daß er 1942 das Kirchliche Einigungswerk Wurms nicht unterstützt hatte (vgl. dazu J. THIERFELDER, Einigungswerk, S. 148). Zu weiteren Vorwürfen gegen ihn vgl. seine Personalakte (EZA BERLIN, 1/Pers. 9).

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2D8. Entwurf Asmussens für ein Wort an die Ökumene. Stuttgart, 18. Oktober 1945 F.-EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). • Abdruck:M. Greschat, Schuld, S. lOOf. Der Rat der evang. Kirche in Deutschland begrüsst bei seiner Sitzung am 18.10. in Stuttgart Vertreter des Oekumenischen Rates. Die grosse Freude, diese Brüder aus den Kirchen des Auslandes wiedersehen zu dürfen, paart sich mit grossem Schmerz und tiefer Scham. Wir wissen, dass es unsere Volksgenossen waren, welche unendliches Leid über ganz Europa und auch nach aussereuropäischen Ländern gebracht haben. Und unseres Volkes Schuld tragen wir mit. Oh wehe, dass wir Christen in Deutschland nicht mutiger waren, nicht besser beteten, nicht fröhlicher glaubten, nicht brennender liebten! Wir bekennen solches vor Gott und vor unseren Brüdern aus der Oekumene. Wir legen dies Bekenntnis ab um der Wahrheit willen. Denn wie wir in den letzten zwölf Jahren den Glauben an den heiligen Geist, die Gemeinschaft mit allen Christen wollten und suchten, so tun wir es auch heute von ganzem Herzen. Wir wissen, dass wir damit dem Frieden dienen. Wir hoffen, dass wir damit dazu helfen, den Geist der Rache und der zuchtlosen Wiedervergeltung zu bannen. Es ist unser Gebet, dass alle Länder der Erde verschont bleiben von dem Geist des Nationalsozialismus, der ein Geist der Lieblosigkeit, der Machtanbetung, der Verachtung des Rechtes und ein Geist der Untat gegen alles Schwache war. Wir haben wie niemand sonst die Macht dieses Geistes erfahren. Wir wissen, dass er weder durch Idealismus, noch durch Enthüllung seiner Schrecklichkeit, noch sonst durch Menschenkraft zu bannen ist, sondern allein durch Gottes Wort, Gebet und Leiden. Wir bitten die Brüder der Oekumene, in Gemeinschaft des Wortes und des Gebetes mit uns sich zu erneuern, damit wir mit den Christen der ganzen Welt fähig werden, in den Stunden der Leiden, die noch zu erwarten sind, zu bestehen. 2D9. Entwurf Dibelius' für ein Wort an die Ökumene. Stuttgart, 18. Oktober 1945 F.-EZA Berlin, 2/84/046/1 (DJ. - Abdruck: M. Greschat, Schuld, S. 101. Der Rat der Ev. Kirche in Deutschland begrüsst bei seiner Sitzung am 18. Oktober 1945 in Stuttgart Vertreter des Oekumenischen Rates der Kirchen.

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Wir sind für diesen Besuch um so dankbarer, als wir uns mit unserem Volk nicht nur in einer grossen Gemeinschaft der Leiden wissen, sondern auch in einer Solidarität der Schuld. Was wir unseren eigenen Gemeinden oft genug bezeugt haben, das sprechen wir auch in dieser Stunde aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht besser gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. N u n ist in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht worden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche, gehen unsere Kirchen daran, sich von fremden Einflüssen zu reinigen und sich selbst zu ordnen. Wir hoffen zu dem Gott der Gnade und Barmherzigkeit, dass er unsere Kirchen als sein Werkzeug brauchen und ihnen Vollmacht geben wird, sein Wort zu verkündigen und seinem Willen Gehorsam zu schaffen bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk. Dass wir uns bei diesem neuen Anfang mit den anderen Kirchen der ökumenischen Gemeinschaft herzlich verbunden wissen dürfen, erfüllt uns mit tiefer Freude. Wir hoffen zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen dem Geist der Rache und der Gewalt in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann. So bitten wir Gott in einer Stunde, in der die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni creator spiritus! 2D10. Antrag 15: Rechtsausschuß F: EZA Berlin, 2/84/046/1

(D).

Der Rat der EKD setzt einen Rechtsausschuss ein, der die Aufgabe hat, die durch die Neuordnung der EKD sich ergebenden Fragen zu klären. Er hat besonders die Aufgabe, die Wiederherstellung eines spezifisch kirchlichen Wahlrechts vorzubereiten. Vorsitzender dieses Aussschusses ist der erste Jurist der Kirchenkanzlei. Der stellvertretende Vorsitzende wird vom Rechtsausschuss gewählt werden. Als Glieder des Ausschusses mitzuarbeiten werden gebeten: Wolf, Freiburg; Smend, Göttingen; Frick, Marburg; Ritter, Marburg; Präses Koch oder ein von der westph. [westfälischen] Kirche Benannter; Spt. [Superintendent] Held oder ein von der rhein. Kirche Benannter. Kloppenburg. Ein von der schleswig-holsteinischen Kirche im Zusammenwirken mit der Hamburger Kirche Benannter. Ein Baier [sie!]. Ein Württemberger. Ein Hannoveraner.

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2D11. Antrag 12: Kriegsgefangenenfürsorge F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). Der Rat wolle in Ausführung des Antrages Iwand beschliessen 89 : 1. Br. Lilje wird der Kanzlei einen Bericht zusenden zwecks Weiterleitung an die Ratsmitglieder über den Stand der Seelsorge in den Kriegsgefangenenlagern im englisch besetzten Gebiet. 2. Die Kanzlei wird einen entsprechenden Bericht besorgen über die Kriegsgefangenenläger im amerikanisch und französisch besetzten Gebiet. 3. Pastor Fricke wird gebeten, Verhandlungen in Frankfurt zu führen über die Seelsorge in den Lagern der polit[ischen] Gefangenen im amer[ikanischen] und franz[öiischen] Gebiet. 4. Br. Lilje wird Entsprechendes für das englfiicÄ] besetzte Gebiet in die Wege leiten. 2D12. Antrag 11: Gefangenenfürsorge F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D). Der Rat der E K D wolle beschliessen: In Fällen, in denen ein Eintreten für politische Gefangene im Interesse der E K D liegt, wird Pastor Fricke Frankfurt von der Kanzlei beauftragt werden, die Verhandlungen mit den Besatzungsbehörden in Frankfurt zu führen. 2D13. Antrag 9: Barth F: NL Smend (D). Prof. D. Barth, Basel wird der Dank des Rates der E K D ausgesprochen für seine Bemühungen um die deutsche Kirche. Er wird gebeten und beauftragt, seine bisherige Arbeit in dieser Sache weiterhin zu treiben. Es wird dabei vorausgesetzt, dass er sie im engsten Einvernehmen mit dem Aussenamte führt. 2D14. Antrag 14: Ausschuß für die Ostpfarrer F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (DJ. Die Kanzlei gibt zur Kenntnis, dass bis heute die ungefähre Zahl der Ostpfarrer und Kirchenbeamten nicht erhältlich war. Infolgedessen war ein 89 Anderer Wortlaut des Antrags: "Der Rat wolle beschliessen:" (NL SMEND).

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Masstab nicht zu errechnen, nach welchem die Verteilung auf die einzelnen Landeskirchen erfolgen kann. Die Kanzlei macht darauf aufmerksam, dass selbst beim Vorhandensein eines solchen Masstabes seine Anwendung auf grösste Schwierigkeiten stösst. Sie schlägt darum vor: Es bleibt grundsätzlich bei den Treysaer Beschlüssen, jedoch mit der Abänderung, dass anstatt einer Verteilung der Ostpfarrer auf die Landeskirchen nach einer Schlüsselzahl eine Verteilung der Verpflichtung der einzelnen Landeskirchen gemäss der im gesamten Westgebiete geschätzten Zahl der vorhandenen Ostpfarrer vorgenommen wird. Der Rat billigt die Gründe und das Vorgehen der Kanzlei.

2D15. Antrag: Entwurf einer Eingabe des Rates an den Alliierten Kontrollrat F: EZA Berlin, 2/84/046/1

(D).

Der Rat der Evg. Kirche in Deutschland richtet das nachstehende Schreiben an den Kontrollrat. Es wird von allen Mitgliedern des Rates unterzeichnet. Es wird dem kirchlichen Aussenamt, den Landeskirchenregierungen, den Mitgliedern des Bruderrates der EKD und den Landesbruderraeten zur Verfügung gestellt, sowie der Fuldaer Bischofskonferenz bekannt gegeben. An den Interalliierten Kontrollrat Berlin. Als die leitende Stelle der Evangelischen Kirche in Deutschland machen wir hiermit den Interalliierten Kontrollrat auf Nachstehendes eindringlich aufmerksam: 1. Wir Glieder des Rates der EKD haben in den letzten zwölf Jahren ohne Rücksicht auf unsere persönliche Sicherheit der damaligen Reichsregierung immer wieder vor Augen gehalten, was nach unserem Gewissen um der Wahrheit willen und um des Rechtes willen ausgesprochen werden musste. Nachdem die Alliierten die Regierungsgewalt und die Verantwortung in Deutschland übernommen haben, würden wir unglaubwürdig werden, wenn wir nunmehr schweigen würden. Das gilt besonders, weil im heutigen Deutschland die Regierung ohne jede Kontrolle der Oeffentlichkeit ist. Wir verstehen es, wenn uns Deutschen eine solche Kontrolle nicht zugestanden wird. Wir machen aber darauf aufmerksam, dass auch die Oeffentlichkeit des Auslandes nicht darum weiss, was in Deutschland geschieht. 2. Mit dem ganzen deutschen Volk sind wir zutiefst beunruhigt über das Schicksal deutscher Kriegsgefangener in einigen amerikanischen Lagern. Wir erkennen dankbar an, dass wir beruhigende Nachrichten aus einer Reihe von Gefangenenlagern haben. Wir erkennen auch an, dass wir nur

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lückenhaft unterrichtet sind, da wir nur sehr unvollkommmene Nachrichten haben und nur sehr selten in Gefangenenlager Eingang erhalten. Es steht aber fest, dass die Behandlung der Gefangenen in den Lagern ... nicht der Haager Konvention entspricht. Darüber kann kein Zweifel herrschen, wenn man die verhungerten und ausgemergelten Gestalten sieht, die aus den Lagern kommen. Wir begrüssen es, wenn jetzt Kommissionen in einige französische Laeger entsandt werden, in denen nach Radionachrichten die Verpflegung der Gefangenen unzureichend war. Wir würden es begrüssen, wenn neutrale Stellen die von uns eben genannten amerikanischen Lager besuchen dürften. 3. Wir haben schwerste Bedenken wegen der sog. Reinigungsaktion. Durch das, was wir im amerikanischen Gebiet beobachten, wird der Hitlerismus nicht ausgerottet. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der Hitlerismus von Neuem Anhaenger gewinnt, nachdem er erledigt war beim Einmarsch der alliierten Truppen. Wir haben nie einen Zweifel darüber gelassen, dass wir glühende Anhaenger Hitlers in führenden Stellungen nicht für möglich halten. Heute aber erleben wir es vor allem im amerikanischen Gebiete, dass bei Entlassungen nicht geprüft wird, ob frühere Parteigenossen gezwungen der Partei beigetreten waren. Wir erfahren, dass viele Personen verhaftet oder entlassen werden, die garnicht der Partei angehörten, die z.T. mit Einsatz ihrer Existenz gegen den Nat.Soz. gekaempft haben. 4. Wir sind auch voller Trauer wegen der Art, in der diese Reinigungsaktion durchgeführt wird. Wir haben in den letzten 12 Jahren genug erlebt, um zu wissen, wie sich eine nicht geordnete Rechtspflege auswirkt. Heute sind die Verfahren gegen frühere Parteigenossen meist nicht öffentlich. Es sind keine Gerichtsverfahren, sondern polizeiartige Verfahren. Menschen, die im öffentlichen Leben erfahren sind, haben keinen Einblick in die Verfahrensweise. An diejenigen Stellen, welche die Entscheidung über diese Menschen treffen, kann man nicht herankommen, weil die Entscheidung im Geheimen faellt. Wer verhaftet wird, wird jeder Oeffentlichkeit entzogen. Seine Angehörigen wissen monatelang nichts von den Verhafteten. Es mehren sich die Nachrichten, dass Verhaftete, wenn sie sterben, in aller Heimlichkeit beerdigt werden. 5. Mit grösstem Schmerz beobachten wir, welche Freiheiten man im amerikanischen Gebiete den Polen und anderen Auslaendern laesst, wenn sie am deutschen Volk Rache nehmen für die Unbilden, die ihnen die Partei zufügte. Die Polen überfallen in verschiedenen Landstrichen Höfe und Dörfer. Sie machen einsame Strassen unsicher, weil sie Wanderer, Radfahrer und Fahr-

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zeuge bedrohen. Werden ihnen Haeuser eingeraeumt, in denen sie wohnen sollen, dann treiben sie selbst mit Gewalt die Wehrlosen aus ihren Wohnungen, ohne dass diese das Geringste mitnehmen können. Die ihnen für kürzere oder laengere Zeit überlassenen Wohnungen werden so zerstört und beschmutzt, dass sie unbrauchbar sind und eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen. Sie sind bei ihren Untaten bewaffnet mit Stahlruten, Gummiknütteln und modernsten Schusswaffen. Die deutsche Polizei ist machtlos, weil sie keine Waffen hat. Die amerikanische Armee steht oft bei den Untaten dabei, ohne irgend etwas zu tun. Die Unrra 90 fördert das Tun der Polen. Will man auf diese Weise das deutsche Volk bestrafen? Der Bestrafte hat ein Recht darauf, dass seine Strafe geordnet vollzogen wird. Hier ist von Ordnung nicht mehr die Rede. Wenn der Sieger weiter duldet und fördert, was die Polen tun, verliert er das Recht, zu richten und zu strafen. Es wird hier das Unrecht, welches die Nazis entfesselt haben, nicht gebändigt, sondern von neuem begangen. Angesichts aller dieser Tatsachen wirkt die Radiopropaganda, die wir täglich hören, zersetzend. Denn diese Propaganda versucht klarzumachen, dass nach den Zeiten des Unrechts nun die Gerechtigkeit zur Herrschaft kommen soll, dass nach den beiden furchtbaren Kriegen nun der Friede herrschen soll, dass das deutsche Volk nur bestraft, aber nicht ausgerottet werden soll. Alles das ist, gemessen an den Tatsachen, deren Zeugen wir täglich sind, nicht mehr glaubhaft. Das deutsche Volk merkt nichts davon, dass ein Gesetz über ihm waltet, das wohl anklagt, aber es auch schützt. Der Herr Cardinal-Erzbischof Faulhaber und der Herr Landesbischof Meiser haben bereits vor Wochen die Militärregierung auf das Unrecht aufmerksam gemacht, das bei der Entlassung früherer Nat. Soz. täglich geschieht91. Sie sind ohne Antwort geblieben. Wir bitten den Kontrollrat, diese unsere dringende Bitte nicht zu überhören, sondern die geschilderten Misstände abzustellen. Als Diener Jesu Christi sind wir gerufen, den Hass zu bekämpfen und dem Frieden zu dienen. Wir machen ernstlich darauf aufmerksam, dass die geschilderten Misstände einen glühenden Hass erwecken und den Frieden vollends zerstören.

90 Richtig: UNRRA (- Untied Nations Relief and Rehabilitation Administration). 91 Gemeint ist die Eingabe Meisers und Faulhabers an die amerikanische Militärregierung für Deutschland vom 20. Juli 1943 (Abdruck: C. VOLLNHALS, Entnazifizierung, S. 30f.).

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2D16. Antrag 8: Gisevius F: EZA Berlin, 2/84/046/1

(D).

Dr. Gisevius in Genf wird bevollmächtigt, nach Weisungen des Aussenamtes mit ökumenischen Stellen im Ausland Fühlung aufzunehmen und Verhandlungen zu führen 92 . 2D17. Antrag 10: Norton Camp F: EZA Berlin, 2/84/046/1

(D).

Der Rat der EKD nimmt das Schreiben der Dozenten von Norton Camp 93 zur Kenntnis und billigt, dass versucht wird, ihnen wie folgt zu antworten: 1. Vor einer entgiltigen [szc/] Entscheidung bedarf der Rat der EKD genauere Angaben über den Lehrkörper des Norton Camp. 2. Trotzdem wird geraten, die begonnene Arbeit wie bisher fortzuführen. Der Rat der EKD wird die Landeskirchenregierungen bitten, sich dem von ihm zu treffenden Entscheidungen [sie/] in dieser Sache anzuschliessen. 3. Der Rat ist geneigt, die Sprachexamina anzuerkennen. 4. Die anstehenden 2 Examina sollen abgenommen werden. Jedoch ist den Examinanden zu eröffnen, dass sie nach Rückkehr den praktischen Dienst in der Gemeinde nachzuholen haben. 5. Diakone und Gemeindehelfer sollen in ihrer Ausbildung möglichst an die in Deutschland übliche Ausbildung angegliedert werden. 6. Der Rat der EKD wird den Landeskirchen dringend empfehlen, die dort absolvierten Semester anzuerkennen. Jedoch ist es dringend wünschenswert, dass wir Kenntnis erhalten von den dort behandelten Themen und den erzielten Resultaten. 7. Das Notabitur soll von der Kursusleitung anerkannt werden als Grundlage für das Studium.

92 Hans Bernd Gisevius, Vizekonsul im deutschen Generalkonsulat in Zürich, hatte sich während des Krieges der Widerstandsbewegung gegen Hitler angeschlossen. Von Niemöller hatte er nach Kriegsende eine persönliche Vollmacht bekommen, die sich auf dessen "ständige Vertretung bei den Stellen der Oekumene, einstweilen bis zu seiner Ankunft in der Schweiz" bezog (Schreiben Gisevius' an Asmussen vom 11. Oktober 1945: EZA BERLIN, 2/162; vgl. auch J. M. WLSCHNATH, Kirche, S. 100). Ähnliche, auf das Hilfswerk bezogene Vollmachten hatte Wurm, wohl ohne Absprache mit Niemöller, neben Gerstenmaier auch Schönfeld und Waetjen erteilt (EBD.). 93

Vgl. den Bericht vom 12. September 1945 (EZA BERLIN,

2/504).

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8. Die dort lebenden Studenten ohne Abitur sollen weiter an den Vorlesungen teilnehmen. Der Rat der E K D wird den Landeskirchen empfehlen, solche Fälle möglichst entgegenkommend zu behandeln. Die Theologische Kammer wird unverzüglich mit der Bearbeitung der Fragen befasst, wie sie sich aus den theologischen Kursen in den Gefangenenlagern ergeben. 2D18. Antrag 13: Pfarrererholungsheim F: NL Smend

(D).

Der Rat richtet im Alpenhof ein Heim für Pfarrer ein, die aus der Gefangenschaft zurückkommen und der Erholung bedürftig sind. Er mietet deshalb den Alpenhof zunächst für ein halbes Jahr. Die Kanzlei wird beauftragt, die Verhandlungen mit dem Alpenhof zu führen und die Möglichkeiten seiner Verwendung zu prüfen. Die Landeskirchen müssen für die dorthin entsandten Personen eine Pension aufbringen. 2D19. Entwurf der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei in Göttingen für ein Schreiben des Rates an die obersten Behörden der deutschen evangelischen Landeskirchen. Stuttgart,... 1945 F: NL Smend

(H).

In der Sitzung des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland am 18. Oktober 1945 in Stuttgart sind eine Reihe von Rechtsfragen aufgeworfen worden, die dazu zwingen, im Interesse eines reibungslosen Ablaufs der in nächster Zeit erforderlich werdenden Rechtsakte näheres über die Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche in Deutschland auszusagen. Insbesondere ist es nötig, Klarheit zu schaffen über die Befugnis zur Verfügung über Vermögensrechte der Deutschen Evangelischen Kirche, die bisher dem Leiter der Kirchenkanzlei und der bei ihr gebildeten Finanzabteilung zustand 94 , über Rechte und Pflichten in bezug auf die beamten- und arbeitsrechtlichen Beziehungen zu den Beamten und Angestellten der Kirchenkanzlei, über die Verpflichtungen gegenüber den von dem bisherigen Kirchlichen Aussenamt betreuten Auslandspfarrern u.a.m. Die Bremische Landeskirche warf in einer Darstellung der Rechtslage im Falle Weidemann 95 , der einer juristisch einwandfreien Lösung dringend bedarf, die Frage nach der Geltung der bisherigen disziplinarrechtlichen Massnahmen gegenüber Weidemann, die auf der 94

Vgl. dazu H . BRUNOTTE, Entwicklung.

95

Vgl. dazu K . M E E R , Kirchenkampf, Bd. 3, S. 398-401.

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Disziplinarordnung der Deutschen Evangelischen Kirche 96 fussten, auf, und damit die Frage nach der Geltung von Disziplinarordnung und Beamtenordnung der Deutschen Evangelischen Kirche für die Landeskirchen überhaupt. Die gleiche Frage beschäftigt die Landeskirchen, die sich um eine Rechtsgrundlage für die Ausschaltung von politisch belasteten Pfarrern und Kirchenbeamten bemühen. Auch über das Gesetzgebungsrecht des Rats der EKiD müsste Näheres gesagt werden. Um für diese aktuellen Fragen, die einer rechtssicheren Lösung dringend bedürfen, eine einwandfreie juristische Grundlage zu haben, beabsichtigt der Rat, die anliegende Verordnung97 zu erlassen. Er geht dabei davon aus, dass die 1933 geschaffene Rechtsform der Deutschen Evangelischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts noch besteht, obgleich sich in den vergangenen 12 Jahren die wirkliche kirchliche Gemeinschaft weitgehend unabhängig von derselben entwickelt hat und obgleich der Aemteraufbau der Verfassung der DEK vom 11. Juli 193398 nicht wiederherzustellen ist. Die EKiD, die eine neue und echte kirchliche Gemeinsamkeit erstrebt, wird sich dieser alten Rechtsform bedienen als einer einwandfreien Rechtsgrundlage im privaten und öffentlichen Rechtsverkehr. Es bedarf daher nicht des Nachweises einer Rechtsnachfolge, sondern die EKiD ist mit der Deutschen Evangelischen Kirche rechtsidentisch. Damit ist die Frage nach der Verfügungsbefugnis über Vermögensrechte der DEK und über Verpflichtungen und Rechte gegenüber Beamten und Angestellten der Kirchenkanzlei beantwortet (§ 1 der VO). Die Frage nach der Weitergeltung von Gesetzen der DEK ist bereits in den Erläuterungen zu der vorläufigen Ordnung der EKiD unter Ziff. 2 bejaht99. Es erschien zweckmässig, diese Feststellung in § 4 des Entwurfs zu wiederholen; sie gilt vor allem für die Disziplinarordnung der DEK vom 13.4.1939 100 , für die Beamtenordnung der DEK vom 13.4.1939101, für die Verordnung zur Gewährleistung der Rechtseinheit unter den Landeskirchen vom 5.3.1938 102 . Eine Verordnung über die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der fehlerhaft zustande gekommenen Gesetze aus den Jahren 19331935 und über die Abänderung von Bestimmungen in späteren Gesetzen, die einen N.S.-Staat voraussetzen, wird alsbald ergehen. 96

Vom 13. April 1939 (GB1DEK 1939, S. 27-43).

97

2D20 (S. 82f.).

98

GB1DEK 1933, S. 2-6.

99

1E1 (S. 12-15).

100 Vgl. Anm. 96. 101 GB1DEK 1939, S. 43-46. 102 GB1DEK 1938, S. 19.

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Ueber das Gesetzgebungsrecht der EKiD sagen die Erläuterungen unter Ziff. 4 nur, dass ein solches besteht, soweit es nicht den Charakter endgültiger Ordnungen trägt. Es erschien nötig, dieses Gesetzgebungsrecht genau zu begrenzen und den Modus der Gesetzgebung - Anhörung der Landeskirchen - festzulegen. Die Anhörung der Landeskirchen schien uns wichtig, um dem Rat die Erfahrungen der landeskirchl. Verwaltungen zugänglich zu machen. Sie erschien uns aber auch ausreichend, da die Landeskirchen direkt oder indirekt im Rat vertreten sind. Die Vertreter werden naturgemäss bei dem Erlass von Verordnungen von einschneidendem Inhalt vor Abgabe ihrer Zustimmungserklärung die ihnen nahe stehenden Landeskirchen beteiligen. Mit Rücksicht auf die grundlegende Bedeutung dieser Verordnung bitten wir um baldige Stellungnahme zu dem Entwurf. Falls uns bis zum ... eine Stellungnahme nicht zugegangen ist, nehmen wir Ihr Einverständnis an. Der Rat der EKiD 2D20. Entwurf der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei in Göttingen: "Erste Ausführungsverordnung zur vorläufigen Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche in Deutschland" F: NL Smend (HJ. Auf Grund des Auftrages, der ihm in der Kirchenführerkonferenz in Treysa erteilt worden ist, verordnet der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Einvernehmen mit den Landeskirchen folgendes: §1 (1)

(2) (3)

Dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland stehen bis zum Inkrafttreten der endgültigen Ordnung die bisher von den Organen der Deutschen Evangelischen Kirche ausgeübten Rechte und Pflichten zu. Er leitet und verwaltet die Evangelische Kirche in Deutschland und vertritt sie nach aussen. Seine besonderen Aufgaben sind: a) Die Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland in ihren gemeinsamen Anliegen, b) Die Mitarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Oekumene, c) Die Wahrnehmung der Belange der Evangelischen Kirche in Deutschland, d) Die Durchführung kirchlicher Hilfswerke,

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e) Die Beratung und Unterstützung von Landeskirchen bei der Wiederherstellung bekenntnisgemässer Ordnungen, f) Die Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. (4) Die Selbständigkeit der Landeskirchen bleibt unberührt. §2 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland erlässt nach Anhörung der Landeskirchen die Verordnungen, die zur Regelung der Rechtsverhältnisse in der Uebergangszeit und zur Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der Evang. Kirche in Deutschland erforderlich sind. §3 Die Verwaltungsbehörde der Evang. Kirche in Deutschland heisst: Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland. §4 Das von der Deutschen Evangelischen Kirche gesetzte Recht gilt einstweilen fort, soweit es nicht ausdrücklich ausser Kraft gesetzt wird. 2D21. Vorlage Asmussens: Einrichtung von Kammern F: ETA Berlin, 2/84/046/1

(O).

Bei der Kanzlei der EKD werden Kammern ins Leben gerufen. Die Zahl der Kammern steht noch nicht ganz fest. Die Aufgabe der Kammern ist es, das kirchliche und das geistige Leben unseres Vaterlandes zu begreifen, zu erforschen und damit auch zu fördern. Denn wir glauben, dass man weder das kirchliche noch auch das geistige Leben der Zeit recht zu erfassen vermag, wenn man es nicht im Lichte des Wortes Gottes zu nehmen versucht. Wir verstehen also die Bildung und die Arbeit der Kammern im Rahmen des Auftrages, den die Kirche auszuführen hat. Die Welt und besonders die Welt unserer Tage, leidet daran, dass sie kein Gegenüber hat. Sie hat sich dessen im Uebermut entledigt. N u n sind ihre Gespräche Monologe geworden. Darunter leiden sichtbar Presse und Rundfunk. Aber Einsichtige wissen, dass auch die Kunst und die Wissenschaft, und nicht zuletzt auch die Politik darüber zugrunde gehen. Die Arbeit der Kammern, die in der Bildung begriffen sind, soll dem dienen, dass alle

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Gebiete des Lebens wieder ihr Gegenüber bekommen, mit dem ein echtes Gespräch möglich ist. Die Kammern sind Einrichtungen der Kirche und wollen es auch sein. Wir fürchten nicht den Vorwurf, mit dem auch heute zu rechnen ist, dass die Kirche immer wieder versuche, sich als Herrin und Meisterin aufzuspielen. Wir wollen für die Kirche keinen Platz, der ihr nicht gebührt. Aber wir wissen, dass ihr Auftrag sich auf das Ganze dieser Welt bezieht, deren Reiche nun einmal des Herrn und seines Christus werden sollen. Trifft uns dabei ein Vorwurf, so soll er uns zur Demütigung, aber nicht zur Aufgabe unseres Auftrages dienen. Schon die Arbeit der einzelnen Kammer ist Arbeit im Gespräch, in einer lebendigen Begegnung von Du und Ich. Jede Kammer würde ihr Leben verleugnen, wenn in ihr nicht der Amtsträger der Kirche zu einer Begegnung käme mit den Inhabern weltlicher Berufe, wenn nicht die Kammer und jedes ihrer Glieder darum bemüht wäre, Begegnung zu schaffen zwischen echter Weltlichkeit und echter Kirchlichkeit. Es darf aber keine Kammer ein Eigendasein führen. Es wird die bleibende Aufgabe der Kirchenkanzlei sein, die verschiedenen Kammern zu einer Begegnung miteinander zu führen. Wer am Gottesdienst arbeitet, hat dem etwas zu sagen, der sich um Gestaltung des öffentlichen Lebens bemüht. Fragen der Wirtschaft münden - recht verstanden - aus in Fragen der Theologie. Kunst verkommt, wenn sie den nüchternen Wirklichkeiten des Lebens nicht begegnet. So könnte man fortfahren zu zeigen, dass keine Kammer ohne die andere sein darf. Gibt Gott seinen Segen zu dieser Arbeit, dann wird ein komplizierter Bau entstehen. Doch wird er nicht komplizierter sein als das Leben selbst. Das rechtfertigt die Kompliziertheit, in welche die gesamte Arbeit der Kammer hineinwachsen wird. Es weiss aber jeder, dass dieses komplizierte Leben auf seinen Höhepunkten einfach ist. Wir dürfen hoffen, dass wir auch in der Entwicklung der Kammern es erleben werden, wie klar die Einheit in der Vielheit der Kammern zum Ausdruck kommen wird. Und diese Einheit wird sich abheben von der beziehungslosen Vielheit einer zerrissenen Gegenwart. Welche Gestalt entstehen wird, wenn wir einmal die Vielheit der Kammern in einer Einheit werden zusammenfassen können, das sagen zu wollen, wäre verfrüht. Es sei genug, darauf zu verweisen, dass dieses Ziel nicht aus den Augen gelassen werden wird. Das darf umso weniger sein, als es durchaus vorstellbar ist, dass eine erste Zusammenfassung aller Kammern in einem einheitlichen Organismus noch im Jahre 1946 Wirklichkeit wird.

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Es ist von grosser Wichtigkeit, dass jede Kammer von vornherein der Leitung der EKD wichtigste Dienste zu tun in der Lage ist. Die Leitung der EKD kann und will nicht in dem Sinne "führen", als wollte sie alles "können" und sei dessen nicht bedürftig, dass ihr von den Gaben Hilfe zuwächst, welche der Heilige Geist in Vielfalt in der Kirche austeilt. Der Beschluss der Treysaer Kirchenversammlung betr. die Aufgabe der Kirche im öffentlichen Leben 103 sprach es schon aus, wie nötig ein Kreis von Menschen sei, der die Leitung der Kirche dauernd berät im Blick auf die Gestaltung der Oeffentlichkeit. Die Kammern werden klein beginnen. Sie sollen arbeitsfähig sein. Sie sollen nicht innerhalb ihres eigenen Kreises missionieren, sondern sollen die Kirche in Stand setzen, Mission zu treiben. Darum müssen die Kammern so gestaltet sein, dass sie als übersehbarer Gesprächskreis ihre Arbeit tun können. Die Auswahl der Mitglieder der einzelnen Kammern wird langsam und wird mit Sorgfalt unternommen werden müssen. Es kommt auf beides an: Darauf, dass jedes Mitglied einer Kammer auf seinem Gebiet etwas zu sagen hat, und darauf, dass es willig ist, auf das zu hören, was der andere sagt. So können sich die einzelnen Mitglieder einer Kammer als Glieder am Leibe Christi bewähren. Es ist schwierig, aber verheissungsvoll, dass wir in einem so komplizierten Gebilde wie der EKD diese Arbeit zu leisten haben. Die EKD ist beides: Eine Einheit, welche ein Eigenleben führt, und eine Summe von Einheiten, die jede für sich Stimme haben. Die EKD ist wie eine Armee, in der jedes Armeekorps selbständig ist. Das wirkt sich aus auch für die Arbeit, die in den Kammern geschehen soll. Die Kammern, welche bei der EKD gebildet werden, müssen damit rechnen, dass eine entsprechende, aber selbständige Arbeit in den Landeskirchen geschehen wird. Ja, wir müssen sogar wünschen, dass sich die Dinge so entwickeln. Wenn wir bei der EKD eine Kammer ins Leben rufen, die sich z.B. mit Fragen des Rechts befasst, dann müssen wir damit rechnen, dass sich in den Landeskirchen Arbeitskreise bilden, mit demselben Thema. Das ist schon in Bad Boll geschehen. Wir freuen uns von Herzen, dass man dort den Mut hatte, von vorneherein nicht nur die juristischen Dinge ins Auge zu fassen, sondern auch die Gesamtheit des geistigen Lebens. Man hiess das Unternehmen eine "Evangelische Akademie" 104 . Wir können dazu nur sagen, dass wir dasselbe meinen und wünschen dem Unternehmen ein gutes Gelingen.

103 Vgl. das "Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben" (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 102ff.). 104 Vgl. dazu S. 204, Anm. 248.

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Es ist nur zur Förderung des Ganzen, wenn hierbei von Anfang an gewisse Verschiedenheiten in Erscheinung getreten sind. Die Württembergische Landeskirche hat den Mut gehabt, einen möglichst grossen Personenkreis einzuladen und zu sammeln. Wie erfreulich ist es, dass das gelang! Man kann nur von Herzen wünschen, dass ähnliches auch auf anderen Gebieten des öffentlichen Lebens und in anderen Landeskirchen unternommen werde und gelinge. Das würde für das ganze Volk und für die ganze Kirche und für die Arbeit der bei der EKD gebildeten Kammern nur förderlich sein. Gott lässt uns unsere kirchliche Arbeit in einem Augenblick verrichten, in welchem das Volk eine Tiefe durchschreiten muss wie nie in seiner Geschichte. Wir spüren auf Schritt und Tritt, wie demütigend das ist. Aber wir wollen das Verheissungsvolle der Lage auch nicht übersehen. Wir dürfen ganz von unten auf und dürfen ganz neu bauen. Gott gebe seinen Segen dazu, dass wir das Grosse der Lage begreifen, und nicht müde werden, wenn sich Hindernisse auftürmen. Es wird eine harte Arbeit sein, Stein um Stein zusammenzutragen und zu einander zu fügen. Wir werden damit rechnen müssen, dass Stürme ihr Opfer in dieser unserer Arbeit fordern werden. Dennoch rufen wir auf zur Arbeit und bitten Gott, dass er allen, die mitarbeiten wollen, einen guten Mut gebe und erhalte.

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2E Dokumente 2E1. "Vorschläge der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei in Göttingen für die Tagesordnung der Ratssitzung am 18.10." F: NL Smend (D).

1) Erste Ausführungsverordnung zur "Vorläufigen Ordnung der EKiD" 2) Verordnung betr. Aufhebung und Abänderung von Gesetzen der D E K 3) Verordnung betr. Aufhebung von Disziplinarmassnahmen 4) Bestellung eines Disziplinarhofs der EKiD 5) Bestätigung von Landeskirchenleitungen 6) Muster für eine landeskirchliche Verordnung betr. Ausscheiden von politisch belasteten Pfarrern 7) Verordnung betr. Vereinfachung der kirchl. Verwaltung 8) Bestand und Fortführung der D E K K a) Kirchenkanzlei b) Kirchliches Aussenamt c) Archivamt d) Kirchenstatistisches Amt 9) Haushalt der EKiD 10) Bestellung eines Finanzausschusses 11) Besoldungsfragen 12) Versorgung der Kriegshinterbliebenen 13) Besoldung der im Osten verbliebenen Beamten 14) Ostpfarrer-Finanzausgleich 15) Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung der Kirchengemeindebeamten 16) Stipendien 17) Verschiedenes: a) Rundschreiben betr. Aufhebung von Einschränkungen des gottesdienstlichen Lebens b) Rundschreiben betr. Personenstandsgesetz c) Geltung des Sammlungsgesetzes d) Passierscheine für Pfarrer zur Reise in die russische Zone e) Bericht über Mecklenburg f) Eingabe der evang. Buchhändler g) Eingabe betr. evang. Schwarzmeerdeutsche

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2E2. Vollmacht des Rates für Asmussen. Stuttgart, 19. Oktober 1945 F:EZA Berlin, 2/69 (beglaubigte Abschrift). Pastor Hans Asmussen D D ist als Leiter der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Rate der Evangelischen Kirche in Deutschland als der Vorläufigen Leitung bevollmächtigt über die Gelder und die Vermögensgegenstände der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei zu verfügen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gez. D. Wurm Der Vorsitzer 2E3. Bericht über die Kundgebung der EKD im Saal des Furtbachhauses. Stuttgart, 17. Oktober 1945 F: LKA Stuttgart, D 23/8 (D). - Abdruck: G. Besier, Christen, S. 133ff. Mittwoch, den 17. Oktober 1945 Kundgebung der "Evangelischen Kirche in Deutschland" im Furtbachsaal, Furtbachstr. 6. Prälat Dr. Hartenstein: Liebe Brüder und Schwestern! Es wird noch eine halbe Stunde sein, bis unsere Gäste und Redner unter uns sein werden. Wir möchten in dieser halben Stunde doch uns im Geist etwas sammeln auf die Stunde, die wir mit den Brüdern aus der Deutschen Evangelischen Kirche heute Abend Zusammensein können. Der Anlaß zu dieser großen kirchlichen Feier in der Markuskirche und hier im Saal des Furtbachhauses ist die erste Tagung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 105 . Er ist Ende August auf der ersten Konferenz der Bischöfe und führenden Männer der deutschen Kirchen in Treysa gegründet worden. Heute hält nun der Rat dieser vereinigten evangelischen Kirche Deutschlands seine erste Tagung in Stuttgart. Den Vorsitz führt der Primas der Evangelischen Kirche in Deutschland, unser hochverehrter, teurer Herr Landesbischof D . Wurm. Er wird heute Abend in der Markuskirche beginnen. Und nach ihm wird sprechen Martin Niemöller, das große aufgerichtete Zeichen der glaubenden und bekennenden Kirche Deutschlands, der Mann, der seine besten Mannesjahre um Jesu Christi willen in den Gefäng-

105 Tatsächlich hatte der Rat zum ersten Mal bereits im Anschluß an die Kirchenversammlung in Treysa getagt (vgl. S. 1-22).

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nissen des 3. Reiches verbracht hat. Es werden unter uns sein Landesbischof D. Meiser, der Bischof der bayrischen Kirche, der treue Freund und Mitbruder unseres Landesbischofs, Bischof D. Dibelius, der Bischof von Berlin, der die leidende Kirche aus den östlichen Gebieten leitet und den Sie hier persönlich als Redner heute Abend werden sprechen hören. Es werden unter uns sein Oberkirchenrat Dr. Hanns Lilje von Hannover, der auch 9 Monate unter schwerster Bedrohung in den Gefängnissen bis zu Ende des Krieges zugebracht hat, Superintendent Held, Rheinische Kirche, Niesei von Elberfeld, der theologische Lehrer der reformierten Kirche, Hans Asmussen, auch einer der Männer, die im Gefangenenlager das Ausserste ertragen haben, seit 2 Jahren in unserer Kirche, jetzt Führer der Kanzlei der Evang. Kirche Deutschlands geworden, Superintendent Hahn, Präses und Kirchenführer von der sächsischen Kirche, in Sachsen ausgewiesen, bereit jetzt dorthin zurückzukehren, Professor Dr. Smend-Göttingen, Heinemann von Duisburg [Essen], Mayer [Meyer] von Hamburg-Altona. Das ist der Rat der 12 Männer. Und in den Stimmen von Bischof Dibelius und Martin Niemöller dürfen wir heute Abend an dieser Stätte die Stimmen der Kirche in Deutschland hören. Aber nun habe ich Ihnen noch eine ganz neue und in seiner Weise gewaltige Botschaft zu machen. Ohne daß wir das in Stuttgart wußten und ahnten, sind heute Nachmittag die Vertreter aller evangelischen Kirchen der Welt in unserer Stadt eingetroffen, an der Spitze der Lord Bischof von Chichester, von London nach Echterdingen geflogen, um mit 2-3 anderen Bischöfen als Zeichen der brüderlichen Gemeinschaft der Kirchen in der weiten Welt teilzunehmen106. Neben ihm der Vertreter der schweizerischen Kirche, Präsident Pfarrer D. Alphons Koechlin von Basel, der gleichzeitig der Präsident unserer Basler Mission ist. Neben ihm Dr. Vissert'hooft [sie!] von Genf, der Generalsekretär des Weltkirchenbundes, einer Vereinigung aller christlichen Kirchen der Welt, wie sie sich während den Jahren draußen in den Völkern gebildet hat. Neben ihm Pastor Dr. Maury, der Vertreter der evangelischen Kirche Frankreichs aus Paris. Und endlich Stewart Hermann [Hermari] und Dr. Michelfelder, die Vertreter der amerikanischen evangelischen Kirche. Ohne daß wir eine Ahnung hatten, daß dies möglich wäre, sind diese Männer aus der englischen, amerikanischen, aus der schweizerischen, aus der französischen (und holländischen) Christenheit aus innerstem Antrieb um der innersten Einheit der Glaubenden willen hierher geeilt. Eben im Saal vor wenigen Minuten grüßte ich auch den Vertreter der holländischen Kirche, Professor Dr. Krämer [Kraemer] aus Leiden, ein Mann, der Jahre lang in den Konzentrationslagern als Geisel als führender Mann der holländischen Kirche gelitten hat und der heute als unser Bruder mit uns feiert. 106 Bell war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Stuttgart eingetroffen (vgl. S. 25).

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Stuttgart ist damit und das ist eine besondere Führung Gottes, in einem kurzen Tag ein Ort geworden, an dem die führenden Männer der ganzen Christenheit so weit sie überhaupt erreichbar sind, zusammenkommen. Wir danken Gott, daß es dies Geheimnis gibt, was wir nachher miteinander bekennen wollen: Ich glaube eine heilige christliche Kirche. Lied 231. Psalm 46 Gott ist unsere Zuversicht und Stärke ... Lied 243: Ach bleib bei uns Herr Jesu Christ... 1-3. Herr Jesu Christe, der du in das arme Schiff deiner Kirche eingetreten bist, um es durch Sturm und Wetter zum Gestade der Heimat zu geleiten, höre das Flehen deiner geängsteten Jünger, vernimm ihr Schreien und hilf ihnen. Du hast dich ferne getan mit deinen heiligen Gerichten. Stärke unseren Glauben an deine Gnade und deinen Sieg, damit wir das Kreuz dieser Zeit willig und gehorsam tragen in dem heiligen Wissen um unsere Schuld und in der getrosten Gewißheit deiner alles gutmachenden Gnade. Erhalte deiner Kirche das helle Licht des ewigen Evangeliums und laß unserem Volk auf seinem Leidenswege unsere Kirche zum Segen und Trost werden. Gib uns den Geist der Einigkeit, des Glaubens in dir und verbinde uns auch in diesen Tagen mit all denen, die deinen Namen anrufen auf der weiten Welt und in allen Völkern. Und schenke es den deinen unter Kreuz und Weh dieser Zeit, das Angesicht aufzurichten zu dir, der du kommst und dein Reich bringst. Herr Christe, sei auch an diesem Abend hier und droben in der Kirche durch deinen heiligen Geist gegenwärtig unter uns. Amen. Teure Gemeinde! Nachdem Sie gehört haben, wer heute Abend in unserer Mitte und in unserer Stadt ist, diese Zeichen der großen christlichen Bruderschaft aus allen Völkern, wollen wir miteinander den 3. Artikel bekennen und erheben uns dazu: Ich glaube an den heiligen Geist, eine heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben. Amen. Dies ist uns heute Abend geschenkt zu sehen und zu glauben, die Gemeinschaft der Heiligen, mitten in der Nacht und Gerichtszeit dieser Weltstunde. Der Geist Gottes ist stärker als die Geister der Zeit, als die Dämonen, die getrennt, auseinandergerissen haben. Der heilige Geist, der verbindet, zusammenführt und einigt. Und es ist wahrhaft glaubenstärkend für uns alle hier in der schwer getroffenen Stadt und unter dem Kreuzweg dieser Stunde

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zu wissen, es ist wahr, die eine heilige christliche Kirche lebt, und wir in ihr. Es ist einfach das Wunder, das uns in überwältigender Weise heute geschenkt worden ist, daß diese Brüder aus dem ganzen deutschen Raum, westlich und östlich der bitteren Linie, zusammengekommen sind und dazuhin die Männer und Brüder aus England, aus Holland, aus Frankreich, aus der Schweiz und aus Amerika. Die Gemeinschaft der Heiligen. Man spürt jetzt 6 Monate nach Kriegsende, daß es für die Kirche Christi keine Grenzen, keine Gräben und keine Mauern gibt, daß in all diesen furchtbaren Jahren die heimliche, verborgene Schar der Gläubigen in allen Völkern beieinander geblieben ist und daß wir das heute an dieser Stätte und in unserer Stadt handgreiflich sehen dürfen. Die Gemeinschaft der Gläubigen. Es ist der Eine, der dieses Wunder schafft, Jesus Christus. Und wenn uns heute Abend etwas von dem Wunder der Gemeinschaft der Gläubigen vor Augen gestellt ist, dann, teure Gemeinde, ist das nur das Zeichen für den unsichtbaren, treuen, für den mächtigen Herrn Christus, der nicht aus dieser Erde ausgezogen, der sie in all diesem Blut und Tränen in seinen priesterlichen Händen gehalten hat und der nicht duldet, daß sich die Brüder, die seinen Namen bekennen, in vielen Sprachen und Zungen, auseinanderleben. Lassen Sie uns in dieser Stunde den anbeten, den wir unseren Herrn heißen. Lassen Sie uns glaubende Gemeinde sein, die vor dem Wunder anbetet, daß Gott selbst in diese Welt gekommen ist, unser Bruder geworden und unser Heiland. Lassen Sie uns die Kirche der großen Liebe sein, die weiß, daß es einen Ort gibt, an dem die Schuld, auch die Schuld der Völker vergeben und gesühnt ist. Lassen Sie uns aufschauen zu dem Mann am Kreuz und lassen Sie uns hoffende Gemeinde sein, die weiß um das Geheimnis der Auferstehung und die über all diesen Gräbern und Massengräbern unserer Zeit das große Osterlicht sieht, die Auferstehung der Toten bekennt und glaubt: die eine heilige christliche Kirche. Und ein Zweites: Vergebung der Sünden. Meine Brüder und Schwestern! In diesem Wort: Vergebung der Sünden ist ausgesprochen, wie wir Menschen mit unserer Vergangenheit allein fertig werden können und wie auch unser ganzes geschlagenes und gequältes Volk, das bis heute nicht aufgehört hat aus den Händen der Menschen zu kommen, mit seiner Vergangenheit fertig werden darf. Es ist eine Stätte da auf dieser Erde, wo nicht angeklagt wird sondern vergeben. Es ist eine Stätte da, an der nicht vergolten wird, sondern vergeben. Es ist eine Stätte da, an der nicht das Blut Kains und all der erschlagenen Brüder und Söhne der Völker schreit, sondern das Blut des Einen, der diese Strafe trug, damit wir Frieden hätten. Heute Abend schaut die Gemeinde unserer Stadt dies Geheimnis vor Augen, den gekreuzigten Herrn. Und wir wissen, dieser Ort ist die einzige

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Stätte, damit wir mit unserer Vergangenheit ins Reine kommen. Unsere persönliche Schuld, die lastende Mitschuld, an der wir alle tragen und die unermeßliche Völkerschuld ist auf den Rücken des Einen geworfen, von dem geschrieben steht: "Das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt" 107 . Und nur über die Vergebung der Sünden werden wir als Kirche und Volk einen Weg in die Zukunft finden. Nur dort im Namen und unter dem Kreuz Christi kann unsere ganze Vergangenheit ins Reine gebracht werden. Und darum, teure Gemeinde, ist diese Stätte auch der Ort, wo wir wieder zusammenfinden werden mit den Brüdern aus den Völkern. Sie werden uns in diesen Tagen auch ihre Not zu erzählen haben, ihre Not mit uns. Sie werden von der Schuld reden, die zwischen uns steht und sie werden von der eigenen Schuld bekennen, die auch auf den Völkern der Siegermächte lastet. Ich bin gewiß daß wenn wir morgen und übermorgen darüber miteinander reden, das große Geheimnis unter uns aufstehen wird, das Kreuz des Erlösers der Welt, der die Vergebung der Sünden gebracht. Das ist die Kraft der Einheit der Kirche, daß keines über den anderen richtet und anklagt, weil wir alle miteinander Mitschuldige sind vor diesem Kreuz und Mitbegnadete von dem, der die Welt geliebt hat. Die Vergebung der Sünden, das ist die Wahrheit, von der Ihr lebt, die Kirche lebt, unser Volk allein wieder zum Leben kommt und die Kirche der Völkerwelt. Die Gnade des Erlösers ist die Wahrheit und die Gnade des Erlösers ist die Kraft der Einheit der Glieder an seinem Leib. Gehen Sie heute Abend nicht von dieser Stätte ohne diese letzte Gewißheit um den Stellvertreter, um den, der unsere Schuld getragen, der uns darum einen neuen Anfang schenkt, dir und mir, Kirche und Volk, und mit dem wir hineingehen können als die Beschenkten. Ich glaube an die Vergebung der Sünden. Und lassen Sie mich das Dritte hinzufügen: Und an die Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben. Wir sind die Kirche des Ostertages, die Kirche und die Gemeinde der Auferstehung der Toten. Welches Geschlecht hat einen so überwältigenden Eindruck von der Macht des Todes empfangen wie wir, die wir über die Gräber gegangen und auf den Gräbern gelebt und um die Gräber geweint haben. Es ist ja diese ganze Zeit nichts als ein großer Weg der Grabkreuze von Ost nach West, von Süd zum Nord. Und heute Abend, da uns dieses Geheimnis der Gemeinschaft der Gläubigen geschenkt ist zu sehen, tönt es in das Herz der Kirche in deutschen Landen: Siehe, ich mache alles neu! Wir dürfen über diesen Gräbern schon den Tag sehen, da sie gesprengt und aufgetan sein werden zum ewigen Leben. Wir dürfen über

107 Job 1, 29.

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unseren Trümmern der Städte und des Landes die Stunde sehen, in der auch unsere geliebte Stadt und diese ganze Erde verwandelt wird und ihr Osterkleid anzieht und durch Gottes mächtige Kraft neu geschaffen wird. Wir glauben die Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben. Teure Gemeinde, es möge uns heute diese Gewißheit geschenkt werden, daß wir die Gemeinde des lebendigen Herrn sind, des Herrn, der diese Erde nicht aus den Händen läßt, bis er sie neu geschaffen hat, bis er kommt, um sein Reich aufzurichten. Das dreifache Wunder der Gemeinschaft, der Vergebung und der Auferstehung zu sehen und zu glauben, ist uns heute Abend geschenkt. Gelobt sei Jesus Christus. Amen. Bischof D. Dibelius, Berlin: Immer wieder, liebe Brüder und Schwestern, kommts, daß man das, was man hat und gehabt hat erst dann recht zu würdigen weiß, wenn man es entweder nicht mehr hat oder wenn es schwer geworden ist, es festzuhalten. Daß wir im Osten und Nordosten unseres deutschen Vaterlandes mit dem Schwabenland, dem kirchlich so reich gesegneten Schwabenland in einer Gemeinschaft der Gläubigen stünden, wie wir das eben gehört haben, das ist uns zu allen Zeiten selbstverständlich gewesen. Wir haben es kaum geachtet. Aber jetzt, wo es sehr schwer geworden ist, auch nur einen einzigen Brief von Berlin nach Stuttgart oder von Stuttgart nach Berlin zu bekommen, wo sehr selten geworden ist, daß man einander noch ins Auge sehen kann, jetzt wissen wir wieder, was das heißt, in einer Gemeinschaft der Gläubigen zu stehen über den weiten Raum und über allerlei Grenzen hinaus. Darum bin ich dankbar gewesen, als ich vorhin bei meiner Ankunft erfuhr, daß heute Abend eine solche Kundgebung und Feierstunde sein sollte und daß ich Gelegenheit haben würde, einen solchen Gruß der Gemeinschaft von der Kirche des deutschen Ostens, für die ich nun eine besondere Verantwortung habe, auf die Schultern mir legen lassen müssen, zu entbieten. Es ist eine Gemeinschaft der Leiden, des Glaubens und der Liebe. Uber die Gemeinschaft der Leiden brauche ich nicht viel zu sagen. Ich habe Stuttgart, glaube ich, seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Damals lag schon allerlei in Trümmern. Aber als ich es nun heute wiedersah, ich konnte ja nur sagen, genau dasselbe Bild wie bei uns in Berlin. Und so wie auch wir Berliner uns nach 6 Monaten noch immer nicht daran gewöhnt haben, eine halbe Stunde, eine ganze Stunde durch die Stadt gehen zu müssen und nur Ruinen links und rechts zu haben, so gewöhnt man sich auch noch nicht daran, eine fremde Stadt, die man lieb gehabt hat, nun so in Trümmern zu sehen. Und als ich die Stiftskirche sah, nun ja, ich bin keine weiche Natur, aber man hat in solchem Augenblick doch mit den Tränen zu kämpfen. Die Leiden sind

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die gleichen. Es hat nur jeder Teil noch so seine besondere Art in den Leiden. Und wenn ich es von unserem deutschen Osten sagen soll, so ist das, was bei uns die Lage kennzeichnet, ja zuerst der Hunger, gar nicht so sehr in der Stadt Berlin, aber wenn man dann weiterkommt nach dem Osten, nach dem Norden. Wir rechnen damit, daß bei uns im Osten der Provinz Brandenburg in den 6 Monaten, die hinter uns liegen und so weit Menschen so etwas berechnen können, in den 6 Monaten, die vor uns liegen, etwa 5 mal so viel Menschen sterben als während des ganzen Krieges gestorben sind. Als ich neulich einen Pastor fragte aus einer kleinen Stadt des Ostens, wie es denn stünde, wie es um die Kinder stünde und die Kindersterblichkeit, da sagte er, und ihm kamen so ganz natürlich die Worte aus der biblischen Geschichte aus der Weihnachtsgeschichte, die wir ja alle kennen, er sagte: Die Kinder, die da zwei Jahre und darunter waren, die gibt es bei uns ja nicht mehr, die sind schon alle tot 108 . Wir wollen davon nicht viel Wesens machen, liebe Brüder und Schestern. Das ist ja nicht das Schwerste. Wer einmal ... der kennt die Stimme, die immer sagt: Sterben ist leicht, Leben ist schwer. Das gilt nicht immer, aber jetzt gilt es, jedenfalls bei uns. Und ich will von dem anderen, was bei uns das Leben schwer macht nun nicht viel mehr sagen. Das was man die Bodenreform nennt, bedeutet ja eine völlige Veränderung der ganzen Struktur des deutschen Ostens. Und daß damit unsagbar viel Härte und Herzeleid verbunden ist, das brauche ich nur anzudeuten. Wir sind nicht über den Berg, sondern es geht, was die Leiden angeht, bei uns noch jede Woche weiter hinunter in die Tiefe. Aber wenn ich über dies und über das alles, was ich noch in aller Kürze sagen soll, ein Wort aus der heiligen Schrift schreiben soll, dann würde ich denken an das, was im 2. Mose 14 am Schluß steht nach dem Durchzug durch das Rote Meer, daß da die Kinder Israel die große Hand Gottes sahen, die das an den Ägyptern getan hatte und an ihnen selbst109. Wir stehen unter der großen Hand Gottes, die eine sehr harte Hand sein kann, aber eine Hand ist, so groß, daß man immer wieder staunt, wie sie führt und daß sie niemals, nicht niemals, aber oft nicht um das Schwere herumführt, sondern durch das Schwere mitten hindurchführt wie die Kinder Israel im Roten Meer. Aber eben die große Hand bleibt, die eben sicher führt. In dieser Erfahrung stehen wir in der Gemeinschaft des Glaubens mit allen, die eben auch durch Leiden hindurchgegangen, jeder in seiner Art, und das gleiche erfahren haben. Und es ist doch um diese Erfahrung, diese gemeinsame Erfahrung des Glaubens auch wirklich eine große Sache.

108 Vgl. Mt 2,16. 109 Vgl. Ex 14,31.

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Es kommt einem manchmal selbst in Stunden der Anfechtung der Gedanke, ob nicht der ganze Glaube, selbst Martin Luther wußte darum, so eine Art Selbsttäuschung sei, daß man vor den Wirklichkeiten die Augen zumacht und sich in der Illusion wiegt, daß das alles nicht so schlimm sei, und daß Gottes Hand uns doch immer über grüne Auen führt. Und wenn man nachher wieder aufwacht und steht in der Wirklichkeit des Lebens, dann ist es wieder ganz anders. Nein, so ist es nicht. Der Gott, an den wir glauben, ist ein Gott der Tatsachen, der Tatsächlichkeiten, der Wirklichkeiten. Das ist doch das Geheimnis, daß sein Sohn in diese Welt gekommen ist, Fleisch geworden ist, daß unser Glaube sich gründen kann auf Tatsachen, das leere Grab! daß man diese Tatsächlichkeiten lebt und sieht und an diesen Tatsächlichkeiten glauben lernt. Sehen Sie, Gott führt uns in dieser Zeit um die bitteren Leiden nicht herum. Es ist keine Rede davon, wie manche sich eben zu trösten versuchen, es werde alles bald besser werden, bald überwunden sein. Wir können bei uns im Osten nur sagen, wer meint, daß es in 6 Monaten besser aussehen wird wie heute, der ist ein Narr. Gott führt uns durch das Schwerste mitten hindurch. Aber er führt. Und wir erleben doch immer wieder Glaubenszeugnisse, die einem das Herz erquicken und nicht nur Glaubenszeugnisse mit den Worten, sondern auch Glaubenszeugnisse mit der Tat. Und sehen Sie, diese Gemeinschaft der Liebe, in der die Christen miteinander stehen, ist ja dann doch auch etwas, was uns in der Dunkelheit erquickt von Herzensgrund. Wir danken es Ihrem von uns allen so hochverehrten Landesbischof Wurm, daß er sich an die Spitze dieses Hilfswerkes der evangelischen Kirche gestellt hat, das wir ja auch bei uns im Osten beginnen, und bei dem wir es immer wieder erleben, daß die Armen der Armut am liebsten und meisten zu helfen verstehen. Der Arme gibt viel mehr, freudiger, reichlicher als der Reiche, wenigstens im großen Durchschnitt. Es hat etwas Ergreifendes, was wir so, wo nun wirklich die Lebensmittel noch knapper sind als hier, erleben, wenn wir herumschicken von Haus zu Haus, nicht um Großes bitten. Aber es kommt jemand von der Kirche und bittet um einen Teelöffel Zucker, eine Scheibe Brot, 3 Kartoffeln. Darum bitten wir auch in den allerärmsten Häusern. Und es ist wirklich beweglich, wie die Menschen geben und erleben, nicht nur eine Scheibe Brot, obwohl sie dann hungern, aber sie geben's. Und das geben wir dann den Flüchtlingen, die bei uns eine der Hauptnöte sind und ständig kommen. Ich will ein Beispiel sagen: Ich war in einer kleinen brandenburgischen Stadt, 4000 Einwohner, was dort die Kirchengemeinde tut, nur die Kirchengemeinde. Ich habe ein Haus gesehen, eine Villa, die war nur für verlassene

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Kinder. Durch diese Stadt kommen von Schlesien her die großen Trecks der Flüchtlinge. Das ist ein Strom ohne Ende. Und wir erwarten, daß in den nächsten 6 Monaten zwischen 4 und 6 Millionen vom Osten, von den polnisch besetzten Gebieten vertrieben, hineingepresst in den deutschen Raum durchkommen. Die Kinder sind von den Müttern auf dem Treck in dieser Stadt zurückgelassen, weil sie sie nicht mehr länger tragen konnten. Tragen wir es weiter mit uns, dann ist es in 14 Tagen tot, lassen wir es hier. Manchmal werden uns diese Kinder auch einfach vor die Haustür gelegt, so daß niemand weiß, wie es heißt, wer es ist. Da liegt das ganze Haus voll von diesen kleinen Würmchen, Skelettchen in den Betten. Manche überstehen es nicht, aber viele, wenn sie sorgfältige Pflege erhalten, wachen auf, fangen an zu gedeihen, fangen an zu lachen, diese verwelkten, kleinen Gesichter, so daß es eine Freude ist, die einem ans Herz geht. Da ist ein anderes Haus, wo lauter alte Leute sind, von denen viele dem Ende entgegengehen unter christlichem Zuspruch, bei denen man es merkt: Sterben ist leichter, leben ist schwer. Viele andere sind da, die wieder zu Kräften kommen. Die große wundervolle alte Kirche hat allerlei Nebenräume. Jeder steht voll von Betten, in denen die Flüchtlinge Wochen und Monate hindurch kampieren. Da sind andere Häuser, in denen gesunde Flüchtlinge untergebracht sind, rings um die Stadt herum in den Dörfern. Das bringt eine kleine Stadt, ohne irgend eine andere Stelle der Welt um Gaben zu bitten, fertig aus der Opferwilligkeit der Gemeinde selbst. Wenn man das erlebt hat, weiß man, daß die Liebe Christi noch eine Macht ist auf der Welt, daß diese große Hand Gottes, die uns in dieser dunklen Zeit zu führen weiß, uns so führt, daß von dieser Hand ein Strom der Liebeskraft hineingeht in seine Kirche und durch die Kirche in unser ganzes Volk. Und das ist unsere einzige Hoffnung und unser einziger Trost in dieser Zeit. Wenn nun Krieg ist, dann regiert die Gewalt und an der Gewalt klebt immer der Fluch, an der Gewalt auch da, wo sie nötig ist, an der Gewalt allein geht alles Leben auf der Welt zugrunde. Das Einzige, was ein Volk leben lassen kann, ist daß wenn dieser Gewalt ein Strom der Liebe sich entgegenwirft und etwas rettet von dem, was sonst zusammenbricht. Das hat uns Gott geschenkt, ihnen und uns. Das gehört auch zu der Gemeinschaft der Gläubigen. So habe ich Ihnen meinen Gruß ausgerichtet. Und ich denke, ich darf einen solchen Gruß der Gemeinschaft der Gläubigen mitnehmen nach Berlin und nach dem Osten. Ich weiß nicht, wann ich jemals wieder werde hier sein können, ob überhaupt noch einmal. Ich weiß nicht, wie es mit der äußeren Verbindungsmöglichkeit zwischen dem Westen und dem Osten in Zukunft werden wird. Aber lassen Sie uns glauben, auch wenn wir es nicht sehen. Und lassen Sie uns glauben, daß an der Gemeinschaft der Gläubigen die Hilfe Jesu Christi hängt mit ihrem ganzen Segen, mit ihrem ganzen Reich-

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tum aus der Ewigkeit. Und dann lassen Sie uns durch die Dunkelheit der Zeit als ein gesegnetes Volk Gottes hindurchgehen unter seiner großen Hand. Amen. Chor: Du bist, dem Ruhm und Ehre gebührt, denn deine Hand war über mir. Denn Ruhm und Ehre bringe ich dir. Du hast stets mein Schicksal regiert und deine Hand war über mir. Prälat Lic. W. Lempp: Bis Pfarrer Martin Niemöller hier ankommt von der Markuskirche her, laßt mich ein paar Worte zu Euch sagen. Wir haben soeben ein Wort von Bischof Dibelius gehört, das uns zu tiefst bewegt hat. Und es war ja nicht das Wort, sondern es waren die Tatsachen, die er vor unser Auge hingestellt hat. Er hat gesagt, unsere Kirche lebe von Tatsachen. Und so kommt mir's mit diesem ganzen heutigen Abend vor. Wenn ich diese große Versammlung sehe, so weiß ich, es sind nicht nur die Worte, die hier gesprochen werden, die alle die vielen hergezogen haben, sondern man wollte das miterleben, dieses Geschehen, vor dem wir mit dem heutigen Abend stehen. Es gibt ein Reden ohne Worte, da sprechen die Fakten, die Tatsachen. Ich stelle mir vor, daß hier unter uns ein Tauber wäre, der kein Wort verstünde, das hier gesprochen ist. Ich glaube, er würde doch nicht von hier weggehen ohne etwas mitzunehmen. Der bloße Anblick dieser Gemeinde, das bloße Miterleben dieser Gemeinschaft im Glauben, das erhebt. Und es ist meine leise Hoffnung, daß auch die bedauernswerten, die dort draußen vor der Türe stehen und vielleicht nichts verstehen können, daß die doch gerade durch den Eindruck, daß sie nicht mehr hereingekommen sind, daß die evangelische Gemeinde so dicht gedrängt steht, daß da kein Platz mehr ist, bewegt werden in ihrem Innern und daß auch für sie der Abend dadurch nicht umsonst ist. Wir haben eben ein tiefes bewegliches Wort gehört, aber für mich ist doch das Bewegliche die Tatsache, daß in diesem von schauerlicher Not umbrandete[w] Berlin nun Bischof Dibelius wieder drin stehen darf und die Fahne Jesu Christi hochhalten darf. Und es wird jetzt dann Martin Niemöller zu uns sprechen. Er hat viele Jahre lang kein Wort in der Öffentlichkeit reden dürfen und doch hat er in diesen Jahren vernehmlicher geredet als wenn er durch die ganzen Jahre lauter Vortragsreisen hin und her in Deutschland gemacht hätte. Und nun ist es heute Abend auch wieder schon einfach das Faktum, die Tatsache, daß er frei ist und wieder zu uns sprechen darf, die uns ergreift. Und wenn neben diesen beiden Rednern am Anfang in Prälat Hartenstein die Landeskirche auch auf diesem Abend zum Wort gekommen ist in tief innerlichem Einklang mit dem, was die Gäste von auswärts zu uns sagen, so ist auch das eine Tatsache,

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die uns zu tiefst die Herzen höher schlagen läßt. Wir erinnern uns noch an jenen Abend am Anfang der Evangelischen Woche. Es war der 2. September, als überraschend unser Landesbischof eben aus Treysa zurückkehrend zu uns kam und von dieser Stätte aus der Stuttgarter Gemeinde es zuerst verkündigt hat, daß das Werk der Einigung der evangelischen Kirche in Deutschland auf dem Grund der gelegt ist Jesus Christus, daß das durch Gottes Gnade hat gelingen dürfen 110 , und daß damit das Werk vieler Jahre, das unser greiser Landesbischof von Gott aufgetragen bekommen hat und unter unsäglichen Schwierigkeiten vorangetrieben hat, daß das zum Abschluß kommen durfte, das war eine Tatsache, die unser ganzes Wesen ergriffen hat. Wir grüßen unsere Gäste, die in unser zerstörtes Stuttgart gekommen sind, aber sie werden es uns nicht übelnehmen, wenn wir in Stuttgart und in unserer württ. Landeskirche den Lokalpatriotismus haben vor allem auch von Herzen eben diese innere Zusammenarbeit mit unserem Landesbischof zu grüßen. Denn der Name von Landesbischof Wurm ist für uns eben ein solches Symbol, das für sich selber spricht so wie der Name Martin Niemöller in der ganzen Welt zu einem Symbol geworden ist, das für sich selber spricht. Aber nun das eigentliche Erleben des heutigen Abends ist doch noch etwas anderes. Das ist, daß durch alles der Eine Name hindurchleuchtet, in dem die Evangelische Kirche in Deutschland sich zusammengefunden hat. Und das ist der Name Jesus Christus. Dieser Name, der erst recht nichts anderes ist als ein Faktum, ein Wunder, das mitten in der Weltgeschichte drin steht. Es ist ja merkwürdig wie in unserem Glaubensbekenntnis bei dem Artikel von Jesus Christus eigentlich gar nichts steht als Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt. Diese Tatsachenereignisse, die in den großen christlichen Festen gefeiert werden von Weihnachten bis Pfingsten, obwohl doch dazwischen steht das ganze Wirken des Heilandes und seine wunderbaren Worte, die er in alle Zeiten hineingesprochen hat. Aber für die christliche Gemeinde ist eben noch wichtiger als das einzelne Wort aus seinem Munde diese Tatsache, dieses Wunder, das in ihm selber besteht, dieses Weihnachtswunder, daß die ewige Liebe unter uns erschienen ist, dieses Karfreitagswunder, daß diese Liebe sich für uns in den Tod gibt, dieses Osterwunder, das uns die Gewißheit gibt, als Tatsache, an die wir glauben dürfen, von der wir leben dürfen: Er lebt! Diese Himmelfahrtstatsache, durch die die christliche Gemeinde versteht, daß er am Werk ist, unsichtbar und sein Werk zu Ende führen wird. Diese Tatsachen sind es, die uns hier zusammenschliessen und um die wir uns am heutigen Abend sammeln. Und das ist unsere Freude, daß wir wissen 110 Vgl. dazu auch den Bericht Wurms vor dem Stuttgarter Pfarrkonvent am 4. September 1945 (G. SCHÄFER, Landeskirche, Bd. 6, S. 1382-1387).

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dürfen, der Glaube, der uns zusammenhält, gründet sich auf einen festen Grund, auf einen Tatsachengrund, der nicht mehr aus der Welt hinaus zu schaffen ist. Er besteht in Jesus Christus dem Heiland der Welt. Amen. Lied 254, König Jesu, streite, siege ... Pastor Dr. Martin Niemöller: Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen. Jer. 14, 17ff. Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern in dem Herrn Jesus Christus! Wenn ein Mensch heutzutage so wie ich nach langen Jahren zum erstenmal wieder einen Schritt hineintut in das Leben unseres Volkes und unserer Kirche, dann kann ihm wohl gar nicht anders ums Herz sein wie dem Propheten, dessen Worte wir eben vernommen haben. Dann steht man da und schüttelt den Kopf über dem Trümmerbild unserer deutschen Städte, dann stößt man hier und da auf die riesigen Lücken, die der Krieg geschlagen hat in dem Kreis derer, die uns bekannt und lieb waren, dann seufzt einem das Herz unter der Not, unter der ein ganzes Volk heute seufzt und stöhnt und man fragt sich und findet keine Antwort: Was soll und mag aus dem allem werden. Und diese Sorge und dieser Druck des Herzens, die werden eigentlich nur noch schlimmer, wenn man dann am Sonntag in die Kirche geht und sich wieder mit der Gemeinde wie einst unter Gottes Wort beugt und stellt. Denn da muß man sich fragen, was ist denn nun eigentlich in all diesen 8, 10, 12 Jahren bei uns anders geworden? Ist nicht alles noch genau so geblieben wie es vorher war? Gewiß das ist die Not. Aber sind die Menschen anders? Gewöhnen wir Menschen uns nicht an die Not ebenso gut wie wir uns vorher an die guten Tage gewöhnt haben und lassen nun die Dinge laufen, weil man nicht anders kann und mag? Und gewöhnt man sich nicht an diese zerstörten Städte und die stilliegenden Fabriken und dieses Hin- und Herlaufen ohne Sinn und Ziel so wie wir uns früher gewöhnt haben an unser eifriges, fleissiges, schaffendes Leben? Und was ist mit unserer inneren Einstellung zu all diesen Dingen? Haben wir aus diesen Zeiten als Volk und Kirche wirklich etwas gelernt? Haben wir gemerkt, daß es Gott gewesen ist, der uns diesen ganzen Weg geführt hat? Haben wir einen Eindruck davon und fühlen wir eine Verantwortung deswegen, daß und weil Gott uns in diesen 12 Jahren in ganz besonderer Weise heimgesucht hat wie der biblische Ausdruck lautet. Als ich Ende Juni nach Deutschland und in die Freiheit zurückkehrte, da hörte man überall die Menschen schimpfen auf die bösen Nazis, die all dies Elend über uns gebracht hätten und wenn man dann hin-

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horchte wie sich dieser Schwerpunkt von Klagen und Kritisieren allmählich verschoben hat, dann war das Kritisieren nicht mehr in 1. Linie auf die Nazis gerichtet, mit denen man vorher nichts zu tun haben wollte, dann waren es je nachdem die Engländer, Franzosen, Amerikaner. Wir fanden immer irgendetwas, worüber wir uns aufregen konnten und jemand, den wir verantwortlich machen zu können glauben und haben ja doch wohl immer und immer wieder dabei übersehen, daß Gott in dieser Zeit bei uns an die Türe geklopft hat und müssen doch nun endlich merken, daß Gott von uns heute etwas will, daß Er uns zum Nachdenken bringen will, nämlich zum Nachdenken darüber, wie es mit unserer Zufriedenheit und Stolz sei, daß er uns von ihm frei machen will. Wer ist schuld an unserem Elend? die Nazis, die Militaristen, die Engländer, die Amerikaner? Sie mögen es selbst sagen. Aber eins ist ganz gewiß, wenn wir mit uns ins Gericht gehen und als Christengemeinde, als Kirche uns unter Gottes Wort beugen, dann sollen wir u n s e r e Schuld sehen und dann sollen wir etwas davon merken, daß unser Volk ja doch wohl niemals diesen Weg bis zu diesem Ende hätte gehen können, wenn in seiner Mitte eine Christenheit gelebt hätte, die ihre Pflicht erfüllt hätte. Unsere Kirche, wenn auch immer wieder einzelne Zeugen da gewesen sind, die mutig aufgetreten sind, aber unsere Kirche als Ganzes, unsere Gemeinde als ein Stück des Lebens unseres deutschen Volkes, haben die wirklich getan, was sie zu tun schuldig waren, oder haben sie just in irgend einem kleinen abgezirkelten Kreis des Tages ihres Glaubens gelebt und unser Volk gehen lassen, wohin es wollte und mochte. Wäre vielleicht nicht etwas ganz anderes geschehen, wenn in den Jahren [19]33 und nachher noch eine Gemeinde dagewesen wäre, die den Willen Gottes ohne Furcht bezeugt hätte, die gesagt hätte, daß Unrecht Unrecht ist, auch wenn es von oben befohlen wird, Sünde Sünde bleibt, auch wenn die Obrigkeit diese Sünde tut. So haben wir heute wenig Anlaß, uns auf ein hohes Roß zu setzen, wo die Kirche da ist, das einzige, was geblieben ist aus diesem ganzen Zusammenbruch. Ich bin überzeugt, auch mit uns kann Gott der Herr kein Neues beginnen, solange wir als Christen, als Gemeinde und als Kirche nicht eingesehen haben, wie sehr wir schuldig sind, schuldig an dem Weg unseres Volkes, weil [wir] geschwiegen haben, wo wir hätten reden müssen, weil wir leise geflüstert haben, wo wir laut hätten schreien müssen, weil wir uns in den Winkel zurückgezogen haben, wo wir hätten auf den Markt treten müssen und das Wort Gottes hätten sagen müssen ... Wenn etwas Neues werden soll ... dann gelebt und verkündigt von einer Christenheit, die um ihre Sünde weiß, von einer Gemeinde, die an ihre Brust schlägt und weiß, es darf nie mehr so werden wie es in den letzten 12 Jahren gegangen ist, wir müssen den Mut haben nicht bloß im Raum der Kirche, wir müssen den Mut haben, inmitten der Welt, inmitten unseres Volkes Christen zu sein und das Wort

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Gottes zu bezeugen und zu leben. Wir haben eine Schuld und ich möchte meinen, unsere Schuld als Christen, liebe Gemeinde, ist viel größer als die Schuld der Nazis, des deutschen Volkes und der Militaristen. Wir Christen haben ja um den rechten Weg gewußt. Die andern haben sich ihre eigenen Wege ausgedacht. Wir wußten, es gibt einen, den zeigt Gott in seinen heiligen Geboten, in dem Leben und Sterben unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi. Das ist der rechte Weg, den haben wir zu bezeugen, den haben wir zu leben und haben es unserem Volk vorzuhalten. O, unsere große Schuld! Wenn wir nun neu anfangen wollen, Gott möge es uns schenken, wissen wir es, wir Christen, wir sind schuldig an Millionen und Abermillionen von Umgebrachten, Hingemordeten, Zerbrochenen, ins Elend und in die Fremde gejagten, armen Menschenkindern, Brüdern und Schwestern in allen Ländern Europas und über Europa hinaus. Hätten wir unsere Pflicht getan, wären nicht Millionen ermordet, verhungert, Geiseln in Holland erschossen ... alles, was uns über die Schandtaten gezeigt wird von Buchenwald und wie die Stätten des Schreckens alle heißen mögen. Diese Dinge wären nicht geschehen - unsere Schuld! U n d was sollen wir tun? Wie muß dieser neue Anfang aussehen, wenn wir wissen, daß auf uns die Schuld für alles dies liegt und wir eine riesige Verantwortung tragen. Jeder Mensch hofft, Amerika muß Getreide schikken, England muß helfen, die Reichen den Armen, die Feinde sollen keine Vergeltung üben. Wem sagen wir das? Sagen wir das Menschen, die das Wort Gottes kennen, oder sagen wir es um uns selber zu rechtfertigen? Was wir als Christen heute zu tun haben, ist wie immer, daß wir inmitten dieser Welt das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen haben, bloß daß wir es so verkünden sollen und müssen, daß es heute in der Welt und ihrer Kirche gehört und verstanden wird. Wir haben einen kümmerlichen Versuch gemacht 1933 und was daraus folgte, den Menschen zu zeigen, was Gottes Wort ist. Wir müssen heute einen besseren Versuch machen das wieder zu tun, bloß daß es jetzt nicht gegen Rosenberg, gegen den Mythus des 20. Jahrhunderts geht. Er ist so tot, ihn kann keiner töter machen. Heute wartet die Welt darauf ein Zeugnis zu empfangen, ob die Vergebung, die Gott uns Menschen in Christus Jesus gebracht hat, eine kleine ist, ob die Christenheit Vergebung leben kann. Die Welt wartet darauf, ob die Liebe, von der das Neue Testament redet, die des Gesetzes Erfüllung ist, die Liebe, die nicht fragt, wer derjenige ist, dem geholfen werden muß, sondern nur fragt, wo bist du, Bruder, dem ich helfen soll. Daß diese Liebe nicht nur mit Worten gepredigt, sondern in der Tat von der Christenheit gelebt wird. Welche Christenheit wollte mehr Anlaß haben, damit anzufangen als wir, die Christenheit im deutschen Vaterland, die wir unter dieser Last stehen.

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Sie werden wissen, wie es in Berlin aussieht (ich konnte Bischof Dibelius nicht hören, da ich in der Markuskirche zu sprechen hatte). Sie werden wissen, daß Millionen von Menschen so oder so in diesem Winter verhungern werden. Und das Furchtbare dabei ist, wir können den Amerikanern nicht sagen: Hier verhungern Deutsche östlich der Elbe. Antwort: Ihr habt alle noch viel mehr zu essen als wir in Frankreich. Liebe Brüder und Schwestern! Das Warten auf auswärtige Hilfe ist es nicht. Was die Kirche, die Gemeinde, die Christen unserem Volk schulden ist, daß wir es leben und zeigen, wir sind wirklich solidarisch mit euch so wie der Herr Jesus Christus mit uns armen Sündern am Kreuz, wo er starb, solidarisch gewesen ist. Jetzt wollen wir diese Solidarität leben. Wir leben noch in unserem Paradies auch wenn wir nur haben, was auf die Lebensmittelmarken zu haben ist. Wir leben noch im Paradies [im Vergleich] zu dem, was anderswo geschieht. Wir haben das Recht nicht als Christen nun unsere Herzen verhärten zu lassen und uns auf den Standpunkt zu stellen: Ihr müßt helfen. Nein, w i r müssen denen helfen, denen es noch viel schlimmer geht als uns. Wir müssen Vergebung üben. Es ziemt sich nicht, daß ein Christ auf den Nazi schimpft. Er muß ihn sehen mit den Augen und dem Blick, der weiß: Du hättest auch einen anderen Weg gehen können, wenn wir unsere Pflicht getan hätten, du bist angewiesen auf meine Hilfe und Liebe. Laßt uns Liebe predigen und Liebe bezeugen, den Menschen helfen wieder zurechtzukommen, zunächst einmal wieder an die Liebe Gottes in Jesus Christus und seiner Gemeinde [zu] glauben, und dann an Jesus Christus zu glauben als ihren persönlichen Herrn und Heiland. Das dürfte das Zeugnis sein, das uns heute abgefordert wird. Das ist die einzige Hoffnung, die es heute für die Zukunft der ganzen Völker Europas gibt. Man kann sagen, alles muß auf dem Christentum aufgebaut werden, recht verstanden ja, aber nicht so, daß überall christliche Weltanschauung gepredigt wird. Das wird so wenig helfen wie einst, wenn die Menschen nicht das Zeugnis der Gemeinde hören, nicht bloß der Pastoren, sondern merken, daß die Gemeinde lebendig ist, daß die Gemeinde lebt von der Liebe Gottes, die sie aus Christus Jesus empfängt. Die Verkündigung des Evangeliums hängt von jedem einzelnen ab, so daß sich an jedem einzelnen Menschenschicksal entscheidet, was aus unserem deutschen Volk, den ganzen Völkern Europas vielleicht noch einmal werden darf. Das hört man sich nicht an einem Abend, nicht am Sonntag Morgen an. Darum sollten wir und dürfen wir täglich im Gebet mit unserem Gott ringen, daß er uns das steinerne Herz wegnehme und das fleischerne Herz gebe, in dem der Herr Christus seine Liebe wirken lassen kann, daß dieses Herz den ganzen Leib der Kirche in Bewegung bringe und die Leute unsere guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen. Amen.

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Lied 252. Du wirst dein herrlich Werk vollenden ... Gebet Prälat Lic. Lempp: Herr unser Gott, lieber Vater im Himmel! Wir danken dir, daß wir zu dir aufblicken dürfen in all der Not der Welt und daß wir zu dir reden dürfen und dich bitten dürfen wie die Kinder den lieben Vater bitten. Wir danken dir, daß du auch am heutigen Abend unter uns warst und zu uns geredet hast und daß dein Wort noch gesagt werden darf in dieser unserer Zeit. Und wir beugen uns tief vor dir, daß wir es nicht genug angenommen haben, daß wir nicht danach gelebt haben, daß wir als deine Gemeinde in der Welt nicht in Erscheinung getreten sind und nicht aufgehalten haben den Strom des Verderbens. Aber nun flehen wir aufs Neue zu dir, der du über Bitten und Verstehen Gebet erhören willst, richte uns wieder auf durch deine Vergebung. Wir stehen vor dem Kreuz unseres Heilandes, den du der Welt zur Rettung geschenkt hast und wagen's im Blick auf ihn an einen Neuanfang zu glauben aus deiner Gnade. Herr, erbarme dich über all dem Elend, auch über dem Elend in Berlin und [im] Osten, von dem wir gehört haben, und auch über all der Not mitten unter uns. Und wecke eine heilige Liebe, die sich stärker erweist als die Not. Und schließe deine Gemeinde zusammen in dem Geist des Glaubens und der Liebe. Und segne auch die Beratungen, die in diesen Tagen gepflogen werden. Dein Name sei gepriesen jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Wir beten gemeinsam: Unser Vater in dem Himmel...

2E4. Wort Wurms zum 1. Advent. Stuttgart, 31. Oktober 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (H). • Abdruck: F. Merzyn, Kundgebungen, S. 18f.

Zum 1. Advent! Wir grüssen Euch, Pfarrer und Gemeinden, zum Beginn des neuen Kirchenjahres, mit dem alten Adventsgruss: "Siehe dein König kommt zu dir"111. Er kommt in Gericht und Gnade, so wie es die Propheten dem Volk des alten Bundes vorausgesagt haben, so wie es die Zeugen des ersten Auftretens Jesu in heiligen Schrecken erlebten. Wenn Gott sich aufmacht, um den Menschen seine Gegenwart kund zu tun, ist's gleichzeitig ein Aufatmen und ein Erzittern, das durch die Reihen geht. Ein Aufatmen! Wäre es nicht furchtbar gewesen, wenn das unheimliche Schweigen Gottes zu all dem Frevel noch länger gedauert hätte! Ein Erzittern - denn wie schonungslos trifft der Zornesstrahl "Schuldige" und "Unschuldige"! Wir fühlen es alle: Jetzt wird 111 Sach 9, 9.

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abgerechnet, nicht bloss über das, was in den letzten zwölf Jahren geschehen ist - jetzt geht's um die Aufdeckung einer Schuld, die in langen Jahrzehnten zu einer ungeheuren Höhe aufgelaufen ist! Was an Gottentfremdung ausserhalb der christlichen Gemeinde, was an Verleugnung des Herrn und seines Evangeliums innerhalb der Gemeinde geschehen ist, spricht wider uns und kann nicht widerlegt werden. Es gibt kein Ausweichen vor dem Richter dadurch, dass man die Vollstrekker seines Gerichts der Torheit oder der Grausamkeit anklagt und den Vorwurf gegen sie erhebt, dass sie sich derselben Fehler schuldig machen, die sie uns vorhalten. Das mag völlig begründet sein, wenn wir nur an die Menschen denken, mit denen wir es zu tun haben. Sind aber diese Menschen von Gott gesandt, um seine Befehle auszuführen, dann darf die Erkenntnis unserer Schuld vor seinem Angesicht nicht abgeschwächt werden durch den Seitenblick auf die Sünden der anderen. Sie stehen und fallen auch ihrem Herrn 1 1 2 . Dass w i r loskommen von den Neigungen und Verirrungen, die unser Unglück herbeigeführt haben, dass wir entschlossen umkehren und einen neuen Anfang machen, darauf kommt's an. Mit dem Rechten über den grösseren oder geringeren Anteil der menschlichen Schuld hüben und drüben haben wir nach dem Ende des ersten Weltkriegs die Stunde, wo Gott uns segnen wollte, verpasst. Das darf nicht wieder geschehen: Davor bewahre Er uns! Siehe dein König kommt zu dir, nicht bloss mit Gericht, auch mit Gnade mitten im Gericht. Er bricht den Trotz, der ihm widerspricht. Er öffnet seinem Wort Türen, die immer verschlossen waren. Er macht Herzen willig zu helfen, die früher in Eigenliebe und Eigennutz erstickten. Die Botschaft von der in Christus geschehenen, Wirklichkeit gewordenen Erlösung langweilt die Menschen nicht mehr, weil sie ohne diese Botschaft verzweifeln müssten. Die Sprache der Bibel wird wieder verstanden. Es gibt glückliche Menschen mitten in dem furchtbaren Unglück, das über uns hereingebrochen ist. Denn glücklich ist, wer Frieden mit Gott hat und der ewigen Seligkeit gewiss ist. Diese Gewissheit kann auch dem ermattenden Wanderer auf der Landstrasse und dem in aussichtsloser Haft dahinwelkenden Gefangenen geschenkt werden. Freilich, dies namenlose menschliche Elend muss uns in jedem Augenblick gegenwärtig sein. Nimmermüde Fürbitte und nimmermüde Hilfsbereitschaft ist von uns gefordert. "Wie lieblich sind die Füsse der Boten, die den Frieden

112 Vgl. Rom 14, 4.

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verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!"113 Lasst uns solche Boten werden! Stuttgart am Reformationstag 1945 Der Rat der Evang. Kirche in Deutschland 2E5. Schreiben Benns an Asmussen. Berlin-CharlOttenburg, 31. Dezember 1945 F: ETA Berlin, 2/66 (O).

Sehr geehrter Herr Doktor! Herr Bischof D.Dr. Dibelius hat mir Ihr Schreiben vom 29.11.45 Nr. 853 zur Beantwortung übergeben, in dem Sie bitten, über Aufbau und Arbeitsweise der Berliner Stelle der Kanzlei unterrichtet zu werden114. Ich übersende Ihnen hierbei den Durchschlag der Präsidialverfügung, durch die die Geschäftsverteilung und der Geschäftsgang der hiesigen Kanzlei einstweilen geregelt worden sind115. Danach geht es bei uns sehr einfach zu. Abgesehen von Dr. Gisevius, der aber schon seit mehreren Wochen krank ist und zum 1.4. in den Ruhestand tritt, ist kein hauptamtlicher Referent vorhanden. Auch im Büro werden in den nächsten Wochen erhebliche Einschränkungen durchgeführt werden. Bei der geringen Zahl der Mitarbeiter brauchen wir für den Arbeitsgang keine starren bürokratischen Regeln, sind vielmehr lediglich bemüht, den Geschäftsgang in guter Ubersicht und Ordnung abzuwickeln. Wenn wir auch im gewissen Umfang Personal und Einrichtungen des hiesigen Oberkirchenrats in Anspruch nehmen, in dessen Hause wir arbeiten, halten wir doch aus verschiedenen Gründen unsern Geschäftsbetrieb von dem seinen deutlich getrennt. Die Arbeit ist noch nicht sehr umfangreich; doch entwickelt sich der Verkehr mit den östlichen Landeskirchen von Monat zu Monat lebhafter. Vor allem haben 2 Konferenzen mit den leitenden Herren der Landeskirchen dazu beigetragen, engere Verbindungen auch persönlicher Art herzustellen und die Vertretung gemeinsamer Interessen gegenüber den hiesigen deutschen und fremden Zentralstellen in die Hand von Herrn Bischof D.Dr. Dibelius zu legen. Die nächste Konferenz soll am 5. und 6. Februar stattfinden116. In ihr werden voraussichtlich in erster Linie Schul- und Hochschulfragen erörtert werden.

113 114 115 116

Jes 52, 7. EZA BERLIN, 4/160. 2E6(S. 107/.). Zu dieser 3. Sitzung der "Ostkirchenkonferenz" vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 126ff.

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Es liegt in der gemeinsamen Aufgabe begründet, dass unsere Kanzlei mit der Ihren enge Fühlung halten muss. Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mich auch über Aufbau und Arbeitsweise Ihrer Kanzlei unterrichten würden 117 . Auch bitte ich sehr dringend darum, dass unsere Stelle bei Ihnen mit auf die Adressenliste für alle Rundschreiben an die leitenden landeskirchlichen Stellen gesetzt und auch sonst über alle wichtigen Verlautbarungen unterrichtet wird, damit unsere östlichen Landeskirchen nicht schneller und besser informiert sind als wir. Bisher habe ich Ihre Rundschreiben und Nachrichten immer nur aus dem Geschäftsgang des Oberkirchenrats kennengelernt. Darüber hinaus wird es sich vielleicht nicht umgehen lassen, dass wir die Frage etwas deutlicher miteinander klären, welche der beiden Kanzleien für den östlichen Raum die Verantwortung trägt. Es ist für mich selbstverständlich, dass man die Aufteilung in zwei zentrale Stellen nicht ohne zwingenden Grund schärfer hervortreten lassen soll, als es die äusseren Schwierigkeiten des Reise-, Post- und Zahlungsverkehrs notwendig machen. Andererseits leben wir hier im Osten nun einmal unter besonderen Bedingungen (ich nenne nur die Bevölkerungsbewegung, das Agrarproblem und das Nebeneinander verschiedener kultureller Tendenzen in Parteien und Verwaltungen), die es sehr erschweren, gesamtkirchliche Aufgaben in unserm Gebiet vom Westen her in Angriff zu nehmen. Daher wäre ich Ihnen ganz besonders dankbar, wenn Sie und Ihre Mitarbeiter vor der unmittelbaren Versendung von Anfragen an die östlichen Landeskirchen stets überlegen würden, ob dies nicht besser durch unsere Hand geschieht, damit wir nötigenfalls die Fragestellung den hies[z]gen Verhältnissen anpassen können. Vielleicht ergibt sich einmal die Möglichkeit, dieses Problem mündlich miteinander zu besprechen. Nehmen Sie meine besten Wünsche für das neue Jahr, in dessen erster Woche wir Ihren Vortrag über den Verfall des Rechts zum Gegenstand einer Besprechung im kleineren Kreise machen wollen. Ihr sehr ergebener Benn \m.p.\

117 Hsl. Ranävermerk vermutlich Asmussens: "Frechheit!"

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2E6. Präsidialverfügung Dibelius' über die Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD. Berlin-Charlottenburg, 1. Dezember 1945 F: EZA Berlin, 2/66 {Abschrift mit Kopf: "Der Vertreter des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland").

I. Die Geschäfte des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland führt im Ostraum die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Berliner Stelle). Sie steht unter meiner Leitung. Die Kanzlei übernimmt die bisherigen Aufgaben der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei und des Kirchlichen Aussenamtes, soweit sie nicht auf die entsprechenden Stellen im Westen übergehen.

n. Für die Geschäftsverteilung in der hiesigen Kanzlei gilt bis auf weiteres folgendes: 1. Meine ständige Vertretung in der Leitung übernimmt Oberkonsistorialrat Dr. Benn. Er bearbeitet ferner alle Angelegenheiten rechtlicher und verwaltender Art, die nicht anderen Bearbeitern übertragen werden, insbesondere die Beziehungen zu den Landeskirchen des Ostraums und zur Gesamtkirche. 2. Oberkonsistorialrat Dr. Krummacher bearbeitet alle Angelegenheiten theologischer und allgemein-kirchlicher Art, die nicht anderen Bearbeitern übertragen werden. 3. Oberkonsistorialrat Dr. Gisevius werde ich bitten, nach seiner Wiederherstellung die Bearbeitung der persönlichen Angelegenheiten der Beamten und Angestellten, sowie des Haushaltsplans der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Ostraum und der Verwaltung des Dienstgebäudes Marchstr. 2 zu übernehmen. 4. Alle übrigen Fragen von finanzieller oder wirtschaftlicher Bedeutung bearbeitet Konsistorialpräsident Dr. Gefaeller. 5. Es bleibt vorbehalten, die Bearbeitung einzelner Gegenstände den Mitgliedern und Referenten des Oberkirchenrats zu übertragen, die hierzu bereit sind.

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in. Ueber den Geschäftsgang bestimme ich: 1. Die Eingänge sind Herrn Oberkonsistorialrat Dr. Benn vorzulegen. Er bezeichnet mit "P" diejenigen, die sogleich zu meiner Kenntnis zu bringen sind. Wünsche ich die entsprechende Verfügung abschliessend zu zeichnen oder zu sehen, so werde ich den Eingang mit einem Doppelkreuz kennzeichnen. 2. Ist die abschliessende Zeichnung nicht mir vorbehalten, so zeichnen die Sachbearbeiter abschliessend, und zwar Oberkonsistorialrat Dr. Benn mit dem Zusatz "In Vertretung", die übrigen Herren mit dem Zusatz "Im Auftrag"; es steht ihnen frei, die abschliessende Zeichnung von sich aus mir oder Herrn Dr. Benn vorzubehalten; dieser zeichnet in jedem Fall zu seiner Unterrichtung das Konzept mit und trägt auch dafür Sorge, daß Oberkonsistorialrat Dr. Krummacher über alle Vorgänge von besonderer Bedeutung rechtzeitig unterrichtet wird. 3. Im übrigen gelten für den Geschäftsbereich die bisherigen Anordnungen. IV. Durchschlag dieser Verfügung erhalten die Mitarbeiter der Kirchenkanzlei, sowie die Mitglieder und Referenten des Oberkirchenrats zur Kenntnis, ferner Verwaltungsdirektor Lehmann, der auch die Registratur und Kanzlei unterrichten wolle. gez. D.Dr. Dibelius. 2E7. Aktennotiz Wehrhahns. Stuttgart-Degerloch, 12. Januar 1946 F: EZA Berlin, 2/66 (O).

Ich habe Bedenken, ob der Wortlaut der "Präsidialverfügung"118 dem Ratsbeschluss über die Errichtung der Zweigstelle Berlin der Kanzlei119 entspricht: 1.) Ist es richtig, dass diese Stelle "die Geschäfte des Rates" führen sollte? Ist sie nicht eine Zweigstelle der Stuttgarter Kanzlei? 2.) Ist es bei dieser Sachlage richtig, dass die Kanzlei die bisherigen Aufgaben der alten Kirchenkanzlei und des Aussenamtes übernimmt, "soweit sie nicht auf die entsprechenden Stellen im Westen übergeht?" Diese Formulierung

118 2E6(S. 107/.). 119 2C1 (S. 59).

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geht jedenfalls davon aus, dass die grundsätzliche Kompetenz ohne Zweifel in Berlin, nicht in Schw. Gmünd liegt. Ich habe nach dem entsprechenden Ratsbeschluss geglaubt, dass es umgekehrt sei. Hierfür spricht, dass in allen einschlägigen Bestimmungen und Ratsbeschlüssen nur von einer Kanzlei die Rede gewesen ist. Diese Kanzlei steht unter der Leitung des Ratsmitgliedes Asmussen. 3.) Hat Bischof Dibelius die Vollmacht, die Kompetenzen der Zweigstelle Ost selbständig zu bezeichnen? Ist dies nicht Sache des Leiters der Kanzlei? Wohin dies alles zielt, wird daran deutlich, dass Herr Benn in seinem Briefe von zwei Kanzleien spricht 120 : man will Gleichberechtigung mit Schw. Gmünd. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass man naivfreundlich als Gegenleistung für seine Mitteilung gleichsam - Unterrichtung über den Aufbau und die Arbeitsweise der Kanzlei erbittet, und dabei in Aussicht stellt, dass er Fühlung mit uns halten will. Es scheint mir notwendig zu sein, hier richtig zu antworten, damit diese Fühlung das notwendige Gepräge bekommt. Die Bitte um Unterrichtung würde ich stillschweigend übergehen, wohl aber eine Abschrift unserer Kanzleiordnung übersenden, mit dem Ersuchen, den Geschäftsgang der Berliner Stelle entsprechend zu gestalten. Sollte ein Entwurf erforderlich werden, erachte ich mich hierfür zuständig, da es sich um eine Frage der inneren Ordnung der Kanzlei handelt. Hiermit Herrn Pfarrer Asmussen D.D. ergebenst vorgelegt. Wehrhahn [m.p.] 2E8. Protokoll Asmussens und Brunottes über die Übernahme der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei. Göttingen, 24. Oktober 1945 F: EZA Berlin, 2/69 (D mit Siegel und bsl. Unterzeichnungen). A m Dienstag, den 23.10.1945 erscheint in Göttingen in der Kanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche Pastor Asmussen D D und Superintendent Dr. Siegel. Er legt Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte die erste Ausführungsverordnung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und die ihm hinsichtlich der Kanzlei übertragene Vollmacht vor und fragt, ob Herr Oberkonsistorialrat Brunotte daraufhin bereit sei, ihm die Kanzlei zu übergeben. Nachdem Herr Oberkonsistorialrat Brunote diese Frage bejaht hat, beginnen die Besprechungen über die Personen, die in der Kanzlei beschäftigt sind, und über die in der Kanzlei vorhandenen Sachwerte.

120 2E5 (S. mf.).

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Pastor Asmussen trifft hinsichtlich der Personen eine Reihe von Entscheidungen, die protokollarisch niedergelegt werden und in den Anlagen beigelegt sind. Uber die Sachwerte, die in der Kanzlei vorhanden sind, entschied Pastor Asmussen, dass eine Anzahl Maschinen, Mobiliar etc. mitzunehmen sei nach Stuttgart. Eine Liste der Gegenstände, die er mitnimmt, ist ebenfalls angefügt121. Hinsichtlich der Überleitung der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei in die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde angeordnet: 1. Die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland unter der Leitung von D D Asmussen ist Träger der Rechte und Pflichten, die bisher von der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei bzw. deren Leiter ausgeübt wurden. 2. Herr Oberkonsistorialrat Brunotte wird beauftragt, die erforderlichen Massnahmen, soweit sie mit der Göttinger Amtsstelle verbunden sind, zu tätigen. Insbesondere verfügt er über die Verwendung der Beamten und Angestellten im Rahmen der beigefügten Protokolle. Er steht mit seinem Rate Herrn Oberkonsistorialrat Dr. Steckelmann hinsichtlich der Kassenführung bei. Er trifft die notwendigen Anordnungen über das in Göttingen verbleibende Inventar, so lange nicht von der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland anderweitig darüber verfügt wird. 3. Herr Oberkonsistorialrat Brunotte wird gebeten, den Postverkehr der Kirchenkanzlei und des Rates aus dem englischen ins amerikanische Gebiet und umgekehrt in die Hand zu nehmen. 4. Die Arbeit der Suchkartei läuft unter der Leitung von Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte bis auf weiteres weiter122. Asmussen DD [m.p.] Brunotte \_m.p.']

121 Liste liegt nicht bei den Akten. Vgl. aber die Aufstellung in dem Schreiben Brunottes an Asmussen vom 17. Januar

1946 ( E Z A BERLIN, 2/69).

122 Diese Suchkartei enthielt die Namen von kirchlichen Mitarbeitern, die aufgrund der Kriegsereignisse als verschollen galten.

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2E9. Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD an die Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Bruderräte. Göttingen, 24. Oktober 1945 F: EZA Berlin, 2/65 (Konzept mit Absendevermerk vom 27. Oktober 1945; ebd. auch die vervielf. Reinschrift). A m 23. und 24. Oktober 1945 fand die Uebernahme der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei durch den Unterzeichneten statt. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat den Unterzeichneten zum Leiter der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland bestimmt und ihm damit die Führung dieser Behörde übertragen. Bei der Uebernahme der Geschäfte sprach der Unterzeichnete Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte und den anderen in Göttingen tätigen Beamten und Angestellten seinen Dank aus für die in Göttingen geleistete Arbeit und für die umsichtige Erhaltung der noch vorhandenen Sachwerte. H e r r Oberkonsistorialrat Brunotte wird zunächst die Abwicklungsgeschäfte der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei weiter leiten. Er wurde gebeten und beauftragt, den Verkehr der Landeskirchen im englisch besetzten Gebiet mit der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland zu fördern. Ebenso ist er ermächtigt, Zahlungen der Landeskirchen an die Kanzlei entgegenzunehmen, soweit diese nicht Mittel und Wege finden, diese Zahlungen auf das Konto der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Deutsche Bank - Schwäbisch Gmünd) oder auf sonst geeignetem Wege zu leisten. Für die Abwicklung ist ein Zeitraum von 3 Monaten vorgesehen. Die Herren Bischöfe, die Landeskirchenregierungen und Bruderräte werden gebeten, hiervon Kenntnis zu nehmen. Asmussen D D [m.p.~\

3 Frankfurt/Main, 13. und 14. Dezember 1945 Ort: Beginn: Ende:

Zeitweise als Gäste:

Schwarzwaldstr. 13 (Diakonissenbaus). Donnerstag, 13. Dezember 1945, 8.45 Uhrl. Freitag, 14. Dezember 1945, nachmittags. Asmussen, Dibelius, Hahn, Held, Heinemann, Lilje (verspätet), Meiser, Niemöller (verspätet), Niesei, Smend, Wurm. Aubrey, Baillie, Cotter,

Protokollant:

Dierks, Hoiberg, Kenny, Matthews, Michelfelder, Olsen, Waddams. Jensen, Schwarzhaupt.

Teilnehmer:

3A Vorbereitung der Sitzung 3AI. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 3. November 1945 F:NL Smend (H).

Ich erinnere daran, dass die nächste Sitzung des Rates stattfinden soll am Donnerstag den 13. November [szc/] in Frankfurt/M. Nähere Auskunft über das Tagungslokal und die Quartiere wird noch ergehen. Bei dieser Gelegenheit gebe ich zwecks Kontrolle eine Übersicht über die seit der letzten Sitzung an die Ratsmitglieder gesandten Schreiben: 18.10. Protokoll der letzten Sitzung 26.10. Wort an die Ökumene, 1. Ausführungsverordnung, Beschluss wegen Kirchenkanzlei Berlin. 31.10. Reden gel[e]g[entlich] des Treffens mit der Ökumene, Richtlinien für das Verhalten gegenüber D C . gez. Asmussen D D .

1

Bereits am Vorabend der Sitzung hatten sich die bis dahin angereisten Ratsmitglieder garoffen. Bei diesem Treffen berichtete Dibelius nach einer einleitenden Andacht Asmussens über die Situation in Ostdeutschland; Held und Heinemann schilderten die Lage im Rheinland (vgl. die Mitschriften Heinemanns und Smends).

113

3A Vorbereitung

3A2. Schreiben der 22. November 1945

Kirchenkanzlei

an

Smend.

Schwäbisch

Gmünd,

F: NL Smend (O mit hsl. Nachtrag von Schwarzhaupt2).

Hochverehrter Herr Professor! Wir erinnern ergebenst daran, dass die Dritte Sitzung des Rates der E.K.I.D. am 13. Dezember 1945 in Frankfurt/Main stattfinden wird. Im Auftrage Jensen \m.p.\

N.B. Nachricht über die Anschrift des Sitzungsraums, des Quartiers für Sie und Ihren Fahrer und des Unterstellraums für Ihren Wagen geht Ihnen noch zu. Für den Fall, daß die Nachricht Sie nicht mehr zeitig erreicht, ist alles Nähere zu erfahren bei Pf[arrer] Fricke, Ffm-West, Franz Rückerallee 10 (Tel 74536) oder bei Frl. Dr. Schwarzhaupt, Ffm-Eschersheim, Höllbergstr. 19. Das Quartier für Sie wird vom 11.-14.12. freigehalten. [hsl. Nachtragt

3A3. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 30. November 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (D).

Es wird noch einmal an die Tagung des Rates der EKD erinnert, die am 13. Dezember in Frankfurt a.M. stattfinden soll. Den Mitgliedern des Rates gingen bereits vor einer Woche Einladungen zu dieser Sitzung zu, die von Frankfurt a.M. abgesandt wurden3. In diesen Einladungen war Tagungsort, Quartier, Garage, Unterkommen für Chauffeur angegeben. In Zweifelsfällen wende man sich bitte bei Eintreffen an Herrn Lic. Fricke, Franz-Rückerallee 10. Es muss damit gerechnet werden, dass die Tagung bis zum 14. Dez. mittags dauert.

2

3

Jensen hatte Schwarzhaupt am 21. November 1945 das Konzept für ein auf den 22. November 1945 datiertes Einladungsschreiben nach Frankfurt geschickt, das von ihr noch um einige Angaben ergänzt werden sollte (EZA BERLIN, 2/56). Schwarzhaupt versandte die Einladung jedoch erst am 6. Dezember 1945, nachdem sie von einer Dienstreise zurückgekehrt war {vgl. das Schreiben Schwarzhaupts an die Kirchenkanzlei vom 6. Dezember 1945: EBD.). 3A2.

114

3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Gegenstände der Tagung: 1.) 2.)

Protokoll der letzten Sitzung. Berichte des Vorsitzers, der Kanzlei, des Aussenamtes, des russisch besetzten Gebietes, des Verfassungsausschusses mit daraus sich ergebenden Anträgen: a) Verordnung zur Vereinfachung der Verwaltung, b) Ausserkraftsetzung früherer Verordnungen und Gesetze, c) Kompetenzfragen Hilfswerk, d) Regelung der Studentenarbeit, e) Tagungen der Kirchenregimente in den einzelnen Zonen, f) Entnazifizierung,

Sonstige sich aus den Berichten ergebende Anträge. 3.) 4.)

Geschäftsordnung des Rates Nichtarier

Zusätze und Veränderungen müssen vorbehalten werden. gez. Asmussen D.D. Dr. Jensen. [m.p.] 3A4. Schreiben Meisers an Wurm. München, 8. Dezember 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/208

(O).

Lieber Freund! Bevor ich mich endgültig entscheide, ob ich diesmal die Reise zur Sitzung des Rates der EKiD in Frankfurt antrete, sehe ich mich genötigt, Dir Kenntnis von den Besorgnissen zu geben, die mich im Blick auf die Entwicklung des Rates je länger desto stärker bedrücken. Die Kanzlei übersandte eine erste Durchführungsverordnung zu den Beschlüssen von Treysa 4 , in der festgestellt wird, daß die Leitung usw. der EKiD vom Rate der EKiD ausgeübt werde. Solche schwerwiegenden Beschlüsse können unmöglich gefaßt werden, ohne daß vorher Zeit zur Überlegung und Besprechung mit Sachverständigen gegeben wird. Scheinbar wurde diese Vorlage von der Tagesordnung abgesetzt, später aber nach Ausweis des Protokolls doch zum Beschluß erhoben. Das kann nur in der letzten Stunde geschehen sein, in der ich nach Nürnberg hatte abreisen müssen. Diese Art der Geschäftsführung ist doch recht befremdend.

4

2C3 (S. 61f.).

3A Vorbereitung

115

Ich bin weiter auch über den in meiner Abwesenheit gefaßten Beschluß erstaunt, wonach Professor Dr. Barth gebeten werden soll, die EKiD in der Ökumene zu vertreten, solange Pfarrer Niemöller nicht selbst in die Schweiz kann 5 . Ein mir in Abschrift übersandtes Schreiben vom 10.11. an Landesbischof D. Marahrens 6 erweckt den Eindruck, als ob von seiten des Rates der EKiD Einfluß auf die Fragen der inneren Ordnung der hannoverschen Landeskirche genommen werden wollte. Sollte dies beabsichtigt sein, so möchte ich darauf aufmerksam machen, daß ein solcher Schritt keinesfalls von der Kanzlei aus erfolgen könnte, sondern daß es dazu eines Ratsbeschlusses bedürfte. Nur in sehr eiligen Fällen könnte der Vorsitzende des Rates handeln, niemals aber der Vorstand der Kanzlei. Es begegnen ferner in den Verlautbarungen der Kirchenkanzlei allerlei Ausschüsse, die - mit Ausnahme des laut Protokoll in der letzten Vollsitzung (auch in meiner Abwesenheit) eingesetzten Rechtsausschusses7 - berufen wurden, ohne daß ersichtlich ist, auf welche Weise die Zusammensetzung und Berufung erfolgt ist8. Auch habe ich natürlich ein lebhaftes Interesse daran, zu erfahren, auf welche Weise in diesen Ausschüssen die Anliegen der lutherischen Kirchen zu ihrem Recht kommen. In der Südd[eutschen] Zeitung vom 7. Dezember findet sich der in der Anlage beigegebene Bericht über Äußerungen, die Pfarrer Niemöller in Frankfurt getan haben soll9. Auch wenn ich annehme, daß die Äußerungen vielfach entstellt wiedergegeben sind, so scheinen recht summarische Urteile gefällt worden zu sein, die im Blick auf ihre Offentlichkeitswirkung zu starken Bedenken Anlaß geben. Auf jeden Fall ist durch den Artikel erneut eine große Beunruhigung in unsere Kirche hineingetragen, was umso mehr zu

5 6 7 8 9

Vgl. 2B1, S. 36. Vgl. das Schreiben Asmussens an Marahrens vom 10. November 1945 (Abdruck: G. BESIER, Selbstreinigung, S. 223ff.). Vgl. aber 2B1, S. 36. Vgl. 2B1, S. 32. Anlage fehlt Die Süddeutsche Zeitung Nr. 19 vom 7. Dezember 1945 hatte unter der Überschrift "Kritik an der Evangelischen Kirche. Eine Mahnung Pastor Niemöllers" über eine Predigt Niemöllers in Frankfurt/Main am 6. Dezember u.a. berichtet: "Nichts habe der Evangelischen Kirche in den letzten 12 Jahren so sehr geschadet, wie theologische Grundsätze, die da lauten: 'Seid Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über Euch hat', also auch der Hitler-Diktatur, und 'Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist1, demnach auch dem Führer, was des Führers ist [...]. Lehren dieser Art, die vom Standpunkt Luthers aus verständlich gewesen seien, seien überholt, hier müßte eine Reform einsetzen."

116

3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

bedauern ist, als schon die einseitige Rundfunkmeldung über die Stuttgarter Erklärung10 in unseren Gemeinden aufs peinlichste empfunden wurde. Ich hatte, um ein Letztes zu sagen, bei unserer letzten Sitzung ausdrücklich den Antrag geteilt, daß bei der Behandlung der bisherigen Beamten und Angestellten der Kirchenkanzlei nach Recht und Billigkeit und mit möglichster Schonung verfahren werde. Dieser Antrag fand auch die Zustimmung des Rates. Es scheint aber, wie ich dem an Dich gerichteten Schreiben des Oberkonsistorialrats Brunotte 11 entnehme, in Wirklichkeit wesentlich anders verfahren worden zu sein. Du mußt es verstehen, daß ich in eine außerordentlich schwierige Lage komme, wenn ich als Mitglied des Rates der EKiD Entscheidungen und Vorgänge mit meinem Namen decken soll, die ich aus guten äußeren und inneren Gründen eigentlich ablehnen müßte, und daß mir meine weitere Mitarbeit im Rate der EKiD dadurch ernstlich fraglich geworden ist. Mit vielen freundlichen Adventsgrüßen D. Meiser [m.p.] 3A5. Tagesordnung F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (DJ. Tagesordnung I. II.

Protokoll Berichte 1. Vorsitzer: Hessen, Baden, Oldenburg 2. Kanzlei: a) alte Kirchenkanzlei b) neue Kirchenkanzlei (Ehlers, Schultze") c) Personalien Kanzlei u. Aussenamt d) Vereinfachung der Verwaltung e) Kasse f) Busstag g) Oekumenisches h) Stuttgarter Erklärung i) Hilfswerk k) Hilfswerk u. Hilfsdienst

10 Zur Verbreitung der Stuttgarter Erklärung (2C2, S. 60/.) vgl. M. GRESCHAT, Schuld, S. 1 lOff. 11 Gemeint ist der Bericht Brunottes an Wurm (3D16, S. 247-257).

3A Vorbereitung

117

1) Studentenarbeit m) Ostpfarrer n) Hannover o) Schlesien 3. Aussenamt 4. Berichte aus dem Osten 5. Rechts- und Verfassungsausschuss, Zuwahl von Theologen. III. Geschäftsordnung des Rates IV. Entnazifizierung und Note an den Kontrollrat, Pfarrerverhaftungen, Verhandlungen mit der Besatzungsbehörde, Gefangenenseelsorge. V. 18. Februar 1946 VI. Sitzungen der Kirchenregierungen der einzelnen Zonen. VH. Schwangerschaftsunterbrechung. VIII.Nichtarier. 3A6. Teilnehmerliste der ausländischen Gäste F: NL Smend (D).

Ausländische Teilnehmer an der Besprechung mit dem Rat der EKiD am 13.12.1945 nachmittags 15 Uhr. Engländer Dean of St. Paul's Cathedral, London12 Professor Aubrey Professor Bailey [Baillie] Reverend Maddams [ Waddams] Amerikaner Captain Kenny, Sachbearbeiter in USFET13 Dr. Olson [Olsen] (dänisch-lutherisch) ziviler Mitarbeiter in der Abteilung Religion and Education in USFET. Dr. Huiberg [Hoiberg], Abteilung Religion der Amerikaner in Berlin Dr. Dierks (Miss[o«n] Synode) Leiter des Luth. Service Center in Frankfurt am Main.

12 13

Walter Robert Matthews. = United States Forces, European Theatre.

118

3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

3B Protokoll 3B1. Beschlußprotokoll F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (D; den Ratsmitgliedern mit Anlagen 1 bis 4 am 9. Januar 1946 übersandtj. G: Mitschrift 1. Heinemann; 2. Meiser; 3. Smend. Beschlüsse der dritten Sitzung des Rates der EKD am 13./14. in FFm. 1.) Nach jedem Besprechungspunkt soll ausdrücklich ein Beschluss für das Protokoll formuliert werden 14 . 2.) Pfarrer Asmussen und Pfarrer Niemöller werden nach den Gehaltssätzen einer Oberkirchenratplanstelle in der Kirchenkanzlei besoldet. Der Leiter der Kirchenkanzlei setzt sich mit dem Würrtemb. [sie/] Oberkirchenrat darüber ins Benehmen, was das im einzelnen bedeutet15. 3.) Das Wort an die Christen in England. (Den Mitgliedern des Rates bereits bei der Sitzung ausgehändigt.)16. 4.) Die einmalige Zahlung von RM 25 000,- an Konsistorialrat Gerstenmaier für Zwecke des Hilfswerkes aus Mitteln der Kirchenkanzlei wird gut geheis-

14 Dieser Beschluß wurde auf Vorschlag von Meiser und Held gefaßt (vgl. 3B2, S. 130), nachdem das von Asmussen angefertigte Protokoll über die 2. Sitzung Anlaß zu heftiger Kritik geboten hatte und am Beginn der 3. Sitzung überarbeitet worden war. 15 Nach der auf der 2. Sitzung ins Auge gefaßten Regelung sollten Niemöller und Asmussen dagegen wie die Leiter der bisherigen Dienststellen der DEK, also höher besoldet werden (vgl. 2B1, S. 31). 16 Das Wort an die Christen in England (3C1, S. 215ff.) war die Antwort des Rates auf eine Ansprache des Erzbischofs von Canterbury, Geoffrey F. Fisher, die der britische Rundfunk (BBC) am 28. November 1945 ausgestrahlt hatte (Abdruck bei S. W. HERMAN, Zeugen, S. 284-288; vgl. auch die Zusammenfassung der Rede durch die Kirchenkanzlei: 3D5, S. 231jf., außerdem die Auszüge bei M. GRESCHAT, Schuld, S. 126f.). Wurm legte dem Rat einen bereits überarbeiteten Entwurf vor (3D6, S. 233-236; vgl. dazu auch die Vorfassung 3E2, S. 300-304), der im Verlaufder Sitzung besprochen und nochmals verändert wurde (vgl. 3B2, S. 160f; 213 und den textkritischen Abdruck des Wortes bei M. GRESCHAT, Schuld, S. 131f.). Der Londoner Rundfunk setzte sich am 8. und 14. Februar 1946 in zwei Sendungen kritisch mit der Antwort des Rates auseinander (3E3, S. 304ff. und 3E4, S. 307-311; vgl. dazu auch die Erwiderung Asmussens: 3E5, S. 311-315). 17 Vgl. dazu S. 163, Anm. 149. Dem Beschluß lag ein gleichlautender Antrag Asmussens zugrunde (3D7, S. 236).

3B Protokoll

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5.) Die Herren Landesbischof Wurm, Pfarrer Niemöller, Pastor Asmussen und Konsistorialrat Gerstenmaier werden in einer gemeinsamen Besprechung die Kompetenzfragen Kanzlei, Kirchliches Aussenamt und Hilfswerk klären18. 6.) Die kirchliche Lage in Hannover kommt zur Besprechung. Der Vorsitzer des Rates wird gebeten, die Sache nach eigenem Ermessen mit Landesbischof Marahrens zu besprechen19. 7.) Die Frage des rechtmässigen Kirchenregiments für Schlesien wird zuständigkeitshalber der Altpreussischen Union zur Klärung übergeben20.

18 Vgl. dazu Gl: "Hilfswerk, Aussenamt, Kanzlei - alles schwimmt. Keine ruhige Kontinuität. Keine Rechtsbasis [...]." Weil trotz des Beschlusses der 2. Sitzung (2B1, S. 28) die Abgrenzung der Aufgaben von Außenamt und Hilfswerk unklar geblieben war, sah Asmussen die Stellung der EKD gegenüber der Ökumene insgesamt als "ziemlich ziellos" an (Schreiben an H. B. Gisevius vom 5. November 1945; zit. bei J.M. WLSCHNATH, Kirche, S. 101) und hatte sich deswegen am 8. November 1945 an Visser't Hooft mit der Bitte gewandt, möglichst engen Kontakt mit ihm zu halten (EBD.). Noch vor der Sitzung, am 27. November, hatte er an Gerstenmaier u.a. geschrieben: "Daneben muss ich Sie leider darauf aufmerksam machen, dass eine Reihe [...] grundsätzlicher Bedenken aufgetaucht sind, über die ich dringlich mit Ihnen sprechen muß. Es handelt sich dabei um die Abgrenzung Ihrer Arbeit gegenüber den kirchenregimentlichen Befugnissen des Rates und der Landeskirchen. Es läge mir sehr daran, wenn ich auf der nächsten Sitzung des Rates bereits Vorschläge unterbreiten könnte, denen Sie zustimmen und die auch ich unterstützen könnte" (ADW BERLIN, Z B 251). Am 28. November 1945 hatte Asmussen in einem Schreiben an Niemöller darauf gedrängt: " V o r der nächsten Tagung des kirchlichen Hilfswerkes müssen unbedingt noch bestehende Kompetenzstreitigkeiten verhandelt werden. Dabei müsste auch geregelt werden, wie weit die Oekumene direkt mit dem Hilfswerk verhandeln soll, und wieweit das Aussenamt zwischenzuschalten ist" (EZA BERLIN, 2/161). Für die Sitzung stellte er dann den Antrag, Niemöller "in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Rates zum ständigen zweiten Leiter des Hilfswerks" zu berufen (3D8, S. 237). Zu den unterschiedlichen Meinungen der Ratsmitglieder vgl. 3B2, S. 163ff. 19 Vgl. dazu 3B2, S. 165-172. 20 Vgl. dazu 3B2, S. 139; 172 und den Antrag 3D10 (S. 239). Am 5. November 1945 hatte ein Ausschuß des Schlesischen Pfarrervereins bei einer Sitzung in Leipzig beschlossen, daß der 1941 gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzte BischofD. Zänker die Kirchenleitung der gesamten schlesischen Kirche übernehmen solle. Zänker hatte sich daraufhin am 22. November 1945 mit der Bitte um Zustimmung zur Wiederaufnahme seines Amtes schriftlich an den Rat gewandt (3D9, S. 237f). Weil die schlesische Kirche als Provinzialkirche dem EOK Berlin unterstand, leitete der Rat Zänkers Bitte an diesen weiter (vgl. 3E6, S. 316f). Die Ev. Kirche der altpreußischen Union hatte jedoch bereits die neue Kirchenleitung von Nieder- und Oberschlesien unter Hornig anerkannt, die sich nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches " in Breslau konstituiert hatte (vgl. dazu E. HORNIG, Schlesische Kirche). Am 22. und 23. Juli 1946 tagte dann in der Breslauer Hofkirche die Schlesische Provinzialsynode, die die Zusammenarbeit mit Zänker endgültig ablehnte und Präses Hornig zum Bischof berief. Ein Protest-

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

8.) Die Eingabe an den Interalliierten Kontrollrat, die Zivilhäftlinge einer baldigen Untersuchung zuzuführen und sie freizulassen, wenn sie keiner ernsthaften Verbrechen schuldig sind. (Anlage l) 21 . 9.) a) Richtlinien für die Verminderung des Personalbestandes der bisherigen DEK 2 2 . b) Einzelbestimmungen 23 (a und b den Mitgliedern des Rates bereits während der Sitzung ausgehändigt.) 10.) Der Rat empfiehlt, dass die Landeskirchen der in Bethel beschlossenen Nothilfe für Flüchtlingspfarrer beitreten. Einzelheiten der Nothilferegelung werden den Landeskirchen überlassen. Die Schaffung einer zentralen Ausgleichskasse bei der Kirchenkanzlei wird in Aussicht genommen 24 . ("Nothilfe" mit Anlagen den Mitgliedern des Rates bereits während der Sitzung ausgehändigt25). 11.) Der ehemalige Generalfeldvikar Münchmaier [Münchmeyer] wird bei Übernahme einer Pfarrstelle in Stuttgart kommissarisch mit der kirchlichen Kriegsgefangenenseelsorge in der amerikanischen Besatzungszone beauftragt. Der ehemalige Wehrmachtsdekan Schuster übt im Auftrage der Evang. Kirche in Deutschland die Kriegsgefangenenseelsorge in der englischen Besatzungszone aus26.

21 22 23

24

schreiben Zänkers an den Rat vom 7. Januar 1947 (3E7, S. 317f.) enthält wörtlich die Erklärung der Synode, aus der die Gründe für die A blehnung Zänkers hervorgehen. 3C2 (S. 218). 3C3 (S. 218f.); vgl auch die Anträge 3D12 (S. 243) und 3D14 (S. 245/.). 3C4 (S. 219f.); vgl. auch die Anträge 3D13 (S. 244) und 3D15 (S. 246f), die Liste der Beamten und Angestellten der bisherigen DEK (3D11, S. 240ff.) und den Schriftwechsel zwischen Brunotte und Asmussen (3D16 bis 3D18, S. 247-270). Vgl. dazu den Antrag 3D19 (S. 270). Die Kirchen von Rheinland und Westfalen hatten am 21. September 1945 in Bethel die Einrichtung einer freiwilligen "Nothilfe" für Pfarrer, Kirchenbeamte, sonstige kirchliche Angestellte und deren Angehörige beschlossen, die ursprünglich in den seit 1945 sowjetisch und polnisch besetzten Gebieten Dienst getan hatten und sich nun im Zuständigkeitsbereich der beiden Kirchen aufhielten. Die dazu notwendigen finanziellen Mittel wurden ausschließlich aus Spenden - vor allem der einheimischen Pfarrer - aufgebracht (vgl. dazu H. RUDOLPH, Vertriebene, Bd. 1, S. 355-357). Weil das Problem alle Landeskirchen betraf, mußte eine gesamtkirchliche Lösung gefunden werden (vgl. EBD., S. 361-365). Die vom Rat später verabschiedete Ostpfarrerversorgung (vgl. 7Bl, S. 578 und 7C1, S. 585-589) orientierte sich an den Bestimmungen der in Bethel beschlossenen Nothilfe.

25 3C5 (S. 220ff.) 26 Vgl. dazu den Antrag 3D24 (S. 279) und 3B2, S. 138; 190ff. Münchmeyer konnte das Amt offenbar nicht antreten. Zuständig für die Kriegsgefangenenfürsorge in der Kirchenkanzlei wurde schließlich Jensen (vgl. die Bekanntmachung Asmussens vom 21. Februar 1946: EZA BERLIN, 2/556; Abdruck: VONBl Nr. 8, März 1946).

3B Protokoll

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12.) Der Antrag betreffend Einrichtungen der Kirche von Bischof Dibelius wird zum Beschluss erhoben. (Anlage 2) 27 . 13.) Landesbischof Meiser wird gebeten, zu Luthers 400. Todestag, am 18. Febr. 1946, einen Hirtenbrief an die evangelische Kirche in Deutschland zu richten 28 . Der Rat empfiehlt den Landeskirchen die Abhaltung von Gedächtnisgottesdiensten an diesem Tag. 14.) Die nächste Ratssitzung soll am Mittwoch und Donnerstag, den 30. und 31. 1. 1946 in Frankfurt a.M. stattfinden29. 15.) Den Landeskirchen, die sich nach der alten Kirchenbeamtenordnung von 1933 meinen richten zu müssen, wird die Veränderung der Kirchenbeamtenordnung und der Disziplinarordnung durch Prof. Smend zur Beachtung übersandt. (Den Mitgliedern des Rates bei der Sitzung ausgehändigt.)30 16.) Für die Beamten der Kirchenkanzlei behält die Kirchenbeamtenordnung von 1933 [1939] mit den Änderungen von Prof. Smend Gültigkeit31. 17.) Der Bremer Kirchenleitung wird von der Tatsache einer Eingabe gegen die von der Bremer Kirche verfügte Kollekte zum Wiederaufbau der Synagogen Kenntnis gegeben. Der Rat hält es nicht für tunlich, wenn in einer evangelischen Kirche eine Kollekte für den Synagogenbau gesammelt wird 32 . 18.) Zweimal im Jahr sollen zwei Tage der Ratssitzung zu einer gemeinsamen Sitzung mit den Landeskirchenregierungen erweitert werden 33 .

27 3C6 (S. 222); vgl. dazu auch 3B2, S. 192f. 28 3C7 (S. 222f.); vgl. dazu auch den Antrag 3D25 (S. 279). 29 Vgl. S. 320-386. 30 Vermutlich die "Verordnung über das Beamtenrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland" (5 CS, S. 224f.). Zur Diskussion darüber vgl. 3B2, S. W f f . 31 Vgl. Ebd. 32 Der Vorläufige Kirchenausschuß der Bremischen Evangelischen Kirche hatte auf seiner Sitzung am 12. Oktober 1945 empfohlen, in den Gottesdiensten am 11. November 1945 der Pogromnacht vom 10. November 1938 zu gedenken und eine Kollekte zum Wiederaufbau des jüdischen Gotteshauses sowie des jüdischen Friedhofs zu sammeln. Dieser Beschluß war in der bremischen Pfarrerschaft stark umstritten. Der Rat beschäftigte sich mit der Problematik, nachdem er von Pfarrer Denkhaus eine längere Denkschrift mit der Bitte um Stellungnahme übersandt bekommen hatte. Denkhaus erkannte zwar eine Mitschuld der Kirche an der nationalsozialistischen Judenverfolgung an, lehnte jedoch finanzielle Hilfen zum Wiederaufbau jüdischer Kultstätten radikal ab, da es nicht Auftrag der christlichen Kirche sein könne, den Aufbau von Stätten zu finanzieren, in denen Christus verleugnet werde (vgl. dazu S. HERMLE, Judentum, S. 291-296). Das Antwortschreiben des Rates konnte nicht ermittelt werden. • Vgl. auch die Diskussion S. 199f. 33

Vgl. den Antrag 3D26 (S. 279) und die Diskussion 3B2, S. 205. Die erste gemeinsame Sitzung des Rates mit Vertretern der Landeskirchen fand am 1./2. Mai 1946 statt (S. 454-574).

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

19.) Der Antrag von Prof. Smend zur Einrichtung einer juristisch-theologischen Untersuchungsstelle zur Überprüfung des gültigen Kirchenrechtes wird zum Beschluss erhoben. (Anlage 3) 34 . 20.) Die Verordnungen des Rates der EKD treten jeweils mit dem Tage der Beschlussfassung in Kraft 35 . 21.) Der Antrag Niesel-Held betr. OKR Dr. Ehlers-Oldenburg wird angenommen (Anlage 4) 36 . 3B2. Verlaufsprotokoll F:EZA Berlin, 2/62 (D). G: Mitschrift 1. Heinemann; 2. Meiser; 3. Smend. Die Bearbeiter haben um der besseren Lesbarkeit willen Zwischenüberschriften in das Verlaufsprotokoll eingefügt, die sich im allgemeinen nach der Tagesordnung (3A5, S. 116f.) richten. Der Rat hat auf dieser Sitzung einige der Tagungsordnungspunkte mehrfach diskutiert; sie wurden in der Regel jedoch nur einmal kommentiert, und zwar an der Stelle, wo der Text den Sachverhalt am ausführlichsten wiedergibt. Weite Teile der Besprechungen am 13./14. Dezember 1945 nahmen die Diskussion und die Korrektur des den Ratsmitgliedern vorliegenden Protokolls der 2. Sitzung ein, das Asmussen am 21. Oktober 1945 versandt hatte (3D1, S. 226ff.). Auf den Wortlaut der korrigierten Fassung des Protokolls (2B1, S. 27-37) und die dort vorgenommene Kommentierung der einzelnen Betreffe wird hier nicht mehr eigens verwiesen.

34 3C9(S. 225). Aus dieser Arbeitsstelle erwuchs das spätere Kirchenrechtliche Institut der EKD unter der Leitung Smends. 35 Vgl. dazu das Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Landeskirchenregierungen vom 19. Dezember

1945: E Z A BERLIN, 7 / 4 1 7 4 .

36 Der an den oldenburgischen Oberkirchenrat gerichtete Antrag (3C10, S. 225) wurde vom Landessynodalausschuß am 14. Januar 1946 abgelehnt Ehlers selbst, der seine Wahl zum Oberkirchenrat in Oldenburg gerade ohne Vorbehalte angenommen hatte, äußerte sich über die Berufung ebenfalls negativ: "Wenn einem gesagt wird, a) Sie werden auf Dienstvertrag eingestellt, b) Sie werden unter Pfr. Asmussen arbeiten, so ist das ja nicht sehr verlockend" (Schreiben Ehlers'an Niemöller vom 20. Dezember 1945: zit. bei A. MEIER, Ehlers, S. 44). Vgl. dazu auch S. 30, Anm. 21 und die Diskussion 3B2, S. 202-205.

3B Protokoll

123

Protokoll über die Sitzung des Rates am 13.12.45 8.45 - 1 3 Uhr, geführt von Pastor Dr. Jensen. Anwesend sind: Der Vorsitzer des Rates, Landesbischof D. Wurm, Landesbischof D. Meiser, Bischof D.Dr. Dibelius, Superintendent Held, Landesbischof Hahn, Professor Dr. Smend, Pastor Lic. Niesei, Rechtsanwalt Dr. Heinemann, Pastor Asmussen D.D. Nicht anwesend sind: Der stellvertretende Vorsitzer Pfarrer Niemöller DD, Oberlandeskirchenrat Dr. Lilje, Oberstudiendirektor Meier [Meyer], von denen aber Pfarrer Niemöller u. Dr. Lilje im Laufe der Vormittagssitzung erscheinen. Landesbischof D. Wurm eröffnet die Sitzung mit Ansprache und Gebet. In der Ansprache schildert er die Not des deutschen Volkes und der evangelischen Kirche in ihr, die Folgen der Schulderklärung37 und sagt: "Wir verstehen, daß manche Bedenken über unsere Entscheidungen und Handlungen geäußert werden, aber wir gehen unseren Weg und lassen uns durch Anfechtungen und Anfeindungen nicht irre machen. Wir bitten Gott um den Geist der Eintracht, der Liebe, der Wahrheit, der Offenheit, der Klarheit." Gebet: Herr, wir danken Dir, daß Du uns dieses Dienstes gewürdigt hast, und bitten Dich, daß wir auch jetzt Dir zu Gefallen vor Deinem Angesicht beraten. Wir bitten Dich um Weisheit und Kraft, daß Du uns zum Wollen auch das Vollbringen gibst. Amen.

37 Gemeint ist die auf der 2. Sitzung verabschiedete "Stuttgarter Erklärung " (2C2, S. 60/.), die in der inner- und außerkirchlichen deutschen Öffentlichkeit inzwischen heftige Kritik und tiefgreifende Kontroversen ausgelöst hatte (vgl. dazu M . GRESCHAT, Schuld; DERS., Zeichen; G . BESIER, Christen).

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Pastor Asmussen D D verliest die Tagesordnung, die schon vor der Sitzung den Ratsmitgliedern bekannt gegeben worden sei38, er verweist auf die Unterlagen, die schon am Tage vorher verteilt worden seien39; er gibt der Hoffnung Ausdruck, daß Pfarrer Niemöller bald eintreffen möchte; er erwähnt einen Vorschlag zum Osten, der noch von Bischof Dibelius vorgelegt werden werde40. Nach Verlesung der Tagesordnung erinnert er die Ratsmitglieder daran, daß Herr Landesbischof Wurm am 7.12. seinen Geburtstag gefeiert habe, welches Tages wir mit großer Dankbarkeit gedenken. Wir wünschen, daß Kraft, eine Fülle von Freude ihm gegeben werde, und möchten ihn bei aller Not und Schwierigkeit darauf hinweisen, daß es in der Welt nur wenige Menschen gibt, für die in aller Welt so viel gebetet wird wie für ihn. [Korrektur des Protokolls der 2. Sitzung]

Zu I der Tagesordnung: Es sind uns einige Korrekturen zum Protokoll der Stuttgarter Sitzung durch Bruder Niesei zugegangen41. Seite 1 II Korrektur ist nötig. Uber II 1 haben wir noch ausführlicher zu sprechen. Zu 3: "Gerstenmaier handelt im Auftrage des Rates". Niesei: Gerstenmaier untersteht Wurm und nicht dem Rat. Meiser: Gerstenmaier ist dem Hilfswerk delegiert, damit in die Württembergische Landeskirche. Wurm: Aber für das ganze Reich. Meiser: Württemberg gibt den Rahmen dafür. Nieseis Korrektur ist richtig, aber ich kann nur mit Vorbehalt zustimmen. Asmussen: 5.) Hosemann-Korrektur mit Recht 42 . Mit Maurer hat die Kanzlei inzwischen noch keine Verbindung aufnehmen können. Zu 6.) Steckelmann hatte eine Planstelle im EOK, wurde an das Hilfswerk delegiert. Niesei: So wurde damals von Dibelius formuliert. Dibelius: Er i s t (nicht w i r d ) an das Hilfswerk delegiert. - Was ist "in Sachen Freytag [Freitag]..." 38 39 40 41 42

3A5(S. 116f). Gemeint sind die unter 3C und 3D abgedruckten Antrüge und Vorlagen. Unklar, um welchen Vorschlag Dibelius' es sich hier handelt. 3D2 (S. 229). Die im folgenden genannten Ziffern beziehen sich auf 3D1 (S. 226ff.). Vgl. 2B1, S. 29, wo allerdings gegenüber der ersten Fassung des Protokolls keine Korrektur vorgenommen wurde. Vermutlich sollte ergänzt werden, daß Hosemann sich wegen seiner Pension nicht nur an die Ev. Kirche der altpreußischen Union, sondern auch an die EKD wenden sollte (vgl. Ebd.,Anm. 18).

3B Protokoll

125

Asmussen: erläutert. Zu 7.) Zu 8.) Zu 9.) Raum

Oberkirchenrat Ehlers hat sich bis heute noch Bedenkzeit erbeten. Auf Niemöller und Asmussen kommen wir heute noch zurück. Die Verhandlungen über die Kirchenkanzlei werden einen breiten einnehmen müssen.

Dibelius: Wir sollen noch RM 150 000,- kriegen. Asmussen: verliest Protokoll Ziffer 10.) -13.). Meiser: Es müßten auch die Persönlichkeiten des Ausschusses genannt werden43. Dibelius: Der Ausschuß sollte gebildet werden aus Herren der britischen Zone. Wurm: Richtig. Asmussen: Folgender Wortlaut: Ein zweiter Ausschuss soll gebildet werden, der die Fragen der Gemeindewahl vorbereitet. Dibelius: Da es sich um die Fragen der Kompetenzen des Rates handelt, müßte der Wortlaut wesentlich loser gefaßt werden! Etwa: "Die Fragen der künftigen Gemeindewahlordnung sollen vorbereitet werden". Meiser: Ist denn Wehrhahn eigentlich angestellt worden? Dibelius: Mir war es eine Überraschung, Wehrhahn hier zu sehen44. Meiser: Ein Beschluß darüber ist nie herbeigeführt worden. Niesei: Wehrhahn sollte sammeln und sichten, aber nicht angestellt werden. Meiser: Ist er denn qualifiziert? Asmussen: Ja, dafür kann ich mich verbürgen. Wurm: Wie kam Wehrhahn nach Süddeutschland? Asmussen: Er ist ausgebombt. Niesei: Die Anstellung besteht nicht. Asmussen: Ich habe bisher keinen Anstellungsvertrag unterzeichnet. Wurm: Ich habe Wehrhahn als einen sehr brauchbaren Mann kennengelernt. Held: Ein leitender Jurist fehlt. Ein verantwortlicher Jurist müßte vorhanden sein. - Wehrhahn soll seinen Bericht vorlegen.

43

Laut 2B1, S. 32 war beschlossen worden, einen Ausschuß zur Überprüfung der Kirchengesetzgebung seit 1933 unter der Leitung von Smenä einzusetzen.

44

Wehrhahn befand sich in Frankfurt, weil er für den 12. Dezember eine Sitzung des Ausschusses zur Überprüfung der Kirchengesetzgebung seit 1933 anberaumt hatte, die dann jedoch nicht stattfand (vgl. sein Schreiben an Schwarzhaupt vom 27. November 1945: EZA BERLIN, 2/56).

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Meiser: Ist kein Jurist der alten Kirchenkanzlei vorhanden, den man verwenden könnte? Unter den gegenwärtigen Umständen brauchen wir doppeltes Geld. Niesei: Wehrhahn ist nur für einen speziellen Auftrag genannt worden. Meiser: Kein Beschluß ist über ihn gefaßt. Sein Rechtsverhältnis ist nicht klar. Wir binden uns unnötig. Dibelius: Der Ausdruck im Protokoll ist doch recht vorsichtig gehalten. Meiser: Der Ausschuß ist noch garnicht vorhanden. Dibelius: Wehrhahn arbeitet aber doch tatsächlich mit. Das war mir überraschend. Ich weiß zwar weder Positives noch Negatives über ihn, aber das geht über die Meinung des Rates hinaus. Asmussen: Wehrhahn ist hier, weil am Tage vor der Sitzung der Ausschuß hier arbeiten sollte. Nun sind die andern Herrn zwar nicht erschienen, aber deshalb mußte Wehrhahn hier sein. Dibelius: Ich formuliere: "Ein zweiter Ausschuß soll gebildet werden, um die Frage der künftigen Gemeindewahlordnung zu bearbeiten." Asmussen: Der übrige Beschluß bleibt dann? Niesei: Nein! Asmussen: Dr. Wehrhahn wird damit beauftragt, Material zur Vorbereitung der Frage einer künftigen Gemeindewahlordnung zu sammeln. Held: Das muß heute bearbeitet werden. Meiser: Der Satz Wehrhahn ist ganz zu streichen. Heinemann: Zu 26): Welche theolog. und jurist. Grundlagen45? Dibelius: Das ist derselbe Ausschuß. Niesei: Es handelt sich um verschiedene Fragen: Gemeindewahlordnung, Verfassung, juristischer Ausschuß. (Unterbrechung des Protokollanten durch Telefonat mit Pastor Fricke betreffend Oekumenischen Besuch.) Dibelius: Ziffer 22) Einladung Alberts [Albertz], Hammelsbeck. Was hat das für eine Bewandtnis mit der Schulkammer? Niesei: Führend waren mal Alberts [Albertz] und Hammelsbeck. Hier müßte das Protokoll korrigiert werden. Meiser: Nur auf Grund von Beschlüssen des Rates kann gearbeitet werden. Niesei: Ich habe Hammelsbeck nur von dem Wunsch des Rates gesagt, die Schulfrage in Gang zu bringen. 45

Textwiedergabe hier laut hsl. Korrektur. Masch. Fassung lautet: "Welche büromässigen Fragen?"

3B Protokoll

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Meiser: Man muß wissen, wer die Herren sind, die er einlädt. Dibelius: Wenn ich das mit dem Protokoll vergleiche, so finde ich davon nichts. Niesei: Bei den staatlichen Stellen ist gemeint. Wurm: Der Ausdruck "Kirchenregierungen" ist falsch. Dibelius: Wir haben es hier mit einem ausgesprochenen [sie!] falschen Protokoll zu tun. Niesei: Unser Anliegen war es, die Regierungsstellen um Mitarbeit zu bitten. Asmussen: Ich verbessere das Protokoll laut Nieseis Korrektur. Niesei: Darf ich fragen, ob wir nicht unbedingt eine Schulkammer instituieren müssen. Die Kirche läuft schon wieder den politischen Organen hinterher. Wurm: Die Lippische Kirchenregierung sollte vertreten sein. Zu 23) Den Auftrag habe ich nicht ausgeführt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die freundschaftliche Stellung Karl Barths zu Deutschland besonders hinweisen. Ich hatte mit ihm eine gute Unterredung, als er am 2. Nov. in Stuttgart sprach. Das württemb. Innenministerium besitzt als theologischen Berater den Dr. Steinbuch [Steinbach], der bei Kerrl gearbeitet hat, einen Mann von Fähigkeiten46. Durch das Innenministerium war zu einer Woche der Besinnung eingeladen worden, die Karl Barth eröffnete, und bei der Ernst Wiehert [ Wiechertf7 den letzten Vortrag gehalten hat. Der Vortrag Barths zeigte, daß seine Stellung zu Deutschland sehr viel wärmer geworden ist48. Zwar vermißte man den kirchlich-religiösen und theologischen Ton bei Barth, der nur politisch redete. Aber für seine Haltung war man dankbar. Auch die Stimmung in der Schweiz Deutschland gegenüber ist durch Barth umgeschlagen. Die Lösung heißt dort jetzt, man müsse zu Deutschland eine andere Stellung einnehmen. Meiser: Ich mache auf einen Aufsatz in der Züricher Zeitung aufmerksam, in dem mit der Überschrift "das Totenland" das Elend in den Polen-besetzten Gebieten geschildert und das Gewissen der Alliierten etwa so ange-

46 Der •württembergische Theologe Steinbach hatte bis zum Tod des Reichskirchenministers Kerrl 1941 als dessen persönlicher Referent gearbeitet (vgl. dazu H. BOBERACH, Organe, S. 325). 47 Gemeint ist der Dichter Emst Wiechert (1887-1950). 48 Vgl. K. BARTH, Ein Wort an die Deutschen.

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sprochen wird: Ihr macht euch mitschuldig49. Das werden sich die Alliierten ungern sagen lassen. Niesei: Es ist bekannt, daß Barth in Zürich die Bresche geschlagen hat. Meiser: Dennoch ist es mir überraschend, daß laut Protokoll Barth die Vertretung der EKiD vor der Oekumene übernimmt. Niesei: Barth ist nicht so sehr mit der Vertretung der EKD beauftragt, als daß er die Dinge übernehmen soll, die Niemöller solange nicht betreiben kann, wie er nicht in die Schweiz ausreisen darf. Meiser: Vertreter der EKD wäre eher ein Mann wie Schönfeld50. Asmussen: Schönfeld hat den Auftrag für Studiensachen, was natürlich erweitert werden könnte. Der Rat kann ja heute anderes beschließen. Aber man müßte Niemöller Gelegenheit geben, darüber zu sprechen. Meiser: Mir ist nichs daran gelegen, etwas gegen Barth zu sagen, im Gegenteil. Ich bin selber deswegen vor Gericht verklagt worden, weil ich sagte, Barth sei ein großer Theologe 51 . Asmussen: Wir können fortfahren mit dem Protokoll. Niesei: D[eutsche] C[hristen]

und

P [artei] G [enossen] muß es heißen.

Meiser: Die Richtlinien für die Reinigung des Pfarrerstandes52 sind weithin als Eingriff in die landeskirchlichen Befugnisse aufgefaßt worden. Held: Das kann nach dem Wortlaut der Präambel zu den Richtlinien garnicht möglich sein. Asmussen: Zu 26) betreffend Rechtsausschuß. Nieseis Zusatz ist nötig. Er besteht aus den Professoren Smend, Mensing53 und Wolf 54 . Held: Mensing ist leider kein Professor. Man müßte sagen: Aus Professor Smend, Professor Wolf und Dr. Mensing. Meiser: Die ganze Sache des Rechtsausschusses kann schief laufen. Heinemann: Wir werden noch darüber sprechen müssen. Niesei: Wird die ganze Juristenfrage nicht noch geklärt? Dibelius: Ich fände es etwas komisch, daß ein juristischer Ausschuß theologische Grundlagen zu bearbeiten hat. 49 Der Artikel "Aus einem Totenland" von Robert Jungk wurde in der Züricher "Weltwoche" Nr. 527 veröffentlicht und dann ausführlich im Rundbrief des Kirchendienstes Ost vom Februar 1946 zitiert (EZA BERLIN, 2/33). 50 Schönfeld war derzeit Direktor der Studienabteilung des im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf 51 Nicht ermittelt. 52 2C5 (S. 62-65). 53 - Rechtsanwalt Dr. Karl Mensing in Elberfeld. 54 = Prof. Erik Wolf in Freiburg/Breisgau.

3B Protokoll

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Meiser: Die ganze Arbeit ist in die Luft gebaut, wenn man sich nicht über die Grundlage klar ist. Held: Die grundsätzliche Diskussion ist nötig, aber der Juristenausschuß möge vorbereiten. Deswegen müssen wir auch die theologische Besetzung dieses Ausschusses besprechen. Meiser: Der Rat ist nur vorläufig, wir können nur vorläufig bestimmen. Wurm: Aus der Vorläufigkeit ziehe ich eben den Schluß, wir sind eine Föderation der Kirchen und keine Kirche. Asmussen: Ziff. 27) Es wird grundsätzlich festgestellt, daß Asmussen die Leitung der Kirchenkanzlei wahrzunehmen hat. Ziffer 28) Niemöller mit der Wahrnehmung der Aufgaben des kirchlichen Außenamtes beauftragt ist, Ziff. 29) Niesei Vorsitzender des Ostausschusses wird. Niesei: Ich bin anderer Meinung. Dibelius: Was für ein Ostausschuß ist gemeint? Wurm: Die Leitung des Ostgebietes hat Dibelius. Niesei: Ich bin nicht zum Vorsitzenden des Ostausschusses berufen worden, sondern soll lediglich bereit stehen, um Auskünfte zu erteilen. Ich bitte, den Briefwechsel jeweils an die Gebietsvertreter zu leiten: Für Ostpreussen Prof. Iwand55, für Pommern Pfarrer Geelhoff \Gehlhofffb und für Schlesien an mich. Im übrigen hat der eigentliche Ostausschuß nicht mehr viel zu tun. Meiser: Wir haben in unserer Landeskirche mit den Flüchtlingspfarrern schlimmste Erfahrungen gemacht. So hat ein Pfarrer das alte Feldgesangbuch in der Gemeinde verteilt und dann noch den Gemeindegliedern gesagt, man könne ja ausstreichen, was einem darin nicht passe. Wir könnten sehr verbittert sein. So wollten die Schlesier eine eigene Kirche mit eigener Kirchenleitung bei uns gründen57. Manchmal wird es einem schwer gemacht, nicht bitter zu werden. Held: Kann denn Bruder Niesei Auskünfte über Ostpfarrer erteilen? Niesei: In dieser Sache habe ich mich schon an Asmussen gewandt. Dibelius: Wir müssen jetzt fragen, ob das Protokoll an dieser Stelle richtig ist. Asmussen: Darf ich also fragen, ob der Wortlaut des Protokolls den damaligen Verhandlungen entspricht? 55

= Hans Joachim Iwand, bis 1937 Direktor des Predigerseminars der ostpreußischen Bekennenden Kirche, seit 1943 Professor in Göttingen. 56 = Dr. Gerhard Gehlhoff, bis 1945 Pfarrer in Pommern, der nach Westfalen geflüchtet war. 57 Zu den Überlegungen, eine separate Flüchtlingskirche zu gründen, vgl. C.-J. R O E P K E , Protestanten, S. 433; vgl. dazu auch H. R U D O L P H , Kirche Bd I, S. 192ff.

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Meiser: Ich habe es wie Niesei verstanden. Ich verstehe nicht, daß alles so verstellt werden kann, wenn doch ein Protokoll mitgeschrieben wird. Aus einem Protokoll sollten auch die Motive für die einzelnen Äußerungen hervorgehen. Asmussen: Ich habe ausdrücklich am Schluß des Protokolls darum gebeten, daß, wo ein Einverständnis nicht besteht, rechtzeitige Einsprüche geltend gemacht werden möchten. Einsprüche sind aber außer denen von Bruder Niesei nicht erfolgt 58 . So bitte ich nochmals um rechtzeitige Einsprüche. Am Ende der Sitzung können wir nicht schon immer das ganze Protokoll vorlegen. Meiser: Wir müssen am Schluß jedes Besprechungspunktes fest formulieren. Held: Zum mindesten müssen die Beschlüsse fest formuliert werden. Asmussen: verliest Ziffer 30): "Der Oekumene gegenüber wurde die Erklärung des Rates abgegeben ..." Wurm: Ich habe den Eindruck, dass sich Gerstenmaier auf seine Arbeit beschränkt. Meiser: Gerstenmaier macht seine Arbeit sehr gut. Dibelius: Es könnte "soll" heissen. Asmussen: Es muss "müsse" heissen, weil immer wieder die Klage erhoben wird, dass Gerstenmaier zu selbständig handelt. Ziff. 31) Landesbischof Wurm wird gebeten, eine Eingabe an den Interalliierten Kontrollrat zu machen 59 . Wurm: Diese Eingabe hat sehr geholfen. Heinemann: Diese Eingabe hätte an die Ratsmitglieder als Rundbrief verteilt werden müssen. Asmussen: Ich hoffe, sie Ihnen noch im Laufe der Sitzung geben zu können. (Abschrift der Note an den Kontrollrat wurde am 13.12. nachmittags an die Ratsmitglieder verteilt.) Niesei: Wir hatten noch etwas über Ostpfarrer beschlossen. Asmussen: In dieser Richtung sind wir nicht zu einem Beschluss gekommen. Wurm: Ueber der letzten Sitzung stand der Unstern des ökumenischen Besuches. Der machte es unmöglich, hierbei zu einem Beschluss zu kommen.

58 Vgl. aber das Schreiben Meisers an Wurm vom 8. Dezember 1945 (.3A4, S. 114ff.). 59 Dieser Beschlußfehlte in der ersten Fassung des Protokolls (3D1, S. 226ff.). Text der Eingabe• 2C6 (S. 65-70).

3B Protokoll

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Dibelius: Darf ich bitten, dass wir das Protokoll in der jetzigen veränderten Fassung noch einmal erhalten. [Übernahme der Kirchenkanzlei der DEK]

Asmussen: gibt seinen Bericht über den am 23. und 24. Oktober mit grossen technischen Schwierigkeiten verbundenen Besuch in Göttingen, bei dem er streng nach den Weisungen des Rates gehandelt habe60. Sodann berichtet er im einzelnen über die in Göttingen anwesenden Personen der alten Kirchenkanzlei. Im persönlichen Gespräch habe er sich mit Brunotte dahin verstanden, dass dieser bis zum 1.4.1946 in den Hannoverschen Kirchendienst eintreten werde. Steckelmann habe nach dem Zusammenbruch des Berliner Oberkirchenrats zunächst die Kassengeschäfte der Kirchenkanzlei übernommen, dann sei er aufgeteilt in Hilfswerk und Kirchenkanzlei; er ist PG und deshalb nicht übernommen worden. Für Fräulein Schwarzhaupt stand von vornherein fest, dass sie in die neue Kirchenkanzlei übernommen werden sollte61. Es trat dann doch das Missverständnis ein, dass Asmussen den Eindruck gewann, sie wolle lieber in den Staatsdienst eintreten, während sie den Staatsdienst nur als letzte Möglichkeit für sie ansah. Sie wird ohne weiteres übernommen werden und arbeitet ja schon in der Frankfurter Aussenstelle62. So sind alle drei höheren Beamten in den Dienst übernommen bzw. geordnet versetzt worden. Meiser: Ich habe einen beweglichen Brief der Frau von OKR Ellwein erhalten, in dem sie sich darüber beklagt, dass auch ihr Mann aus dem Dienst der EKD entlassen werden solle63. - Ueber Merzin [Merzynf* ist nichts berichtet worden.

60 Vgl. dazu 2E8(S.109f.). 61 Asmussen hatte Elisabeth Schwarzhaupt, seit 1936juristische Referentin in der Kirchenkanzlei der DEK, am 31. Oktober 1945 mitgeteilt, daß sie verabredungsgemäß nach Frankfurt/Main versetzt sei (KA H A N N O V E R , P A Schwarzhaupt), um die Geschäfte der dortigen Zweigstelle der Kirchenkanzlei der EKD wahrzunehmen (vgl. das Schreiben Asmussens an Oberin Zarnack vom 27. Dezember 1945: EBD.).

62 Für diese Stelle war im wesentlichen Pfarrer Fricke als Sprecher und Vertreter der EKD bei der Militärregierung und sonstigen Behörden zuständig (vgl. 2B1, S. 33). 63 Brief von Frau Ellwein nicht ermittelt. Vgl. dazu aber das Schreiben Eduard Ellweins an Meiser vom 2. November 1945 und das Antwortschreiben Meisers vom 10. Dezember 1945, in dem es u.a. hieß: "Was Ihren Bruder anlangt, so bin ich mit den Methoden Pfarrer D. Asmussens durchaus nicht einverstanden. Es muß anerkannt werden, daß Ihr Bruder nach allem, was geschehen ist, nicht einfach in alter Eigenschaft in der neuen Kirchenkanzlei seinen Dienst fortsetzen kann. [...] Trotzdem erinnert die einfache Entlassung der bisherigen Beamten der Kirchenkanzlei zu sehr an Methoden, wie sie im politischen Leben üblich geworden sind,

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Asmussen: Lassen Sie uns der Reihe nach vorgehen. Amtsrat Hellriegel ist übernommen worden 65 . Kiesow66 dagegen nicht, er ist Parteigenosse. Wir stehen immer wieder vor der grundsätzlichen Frage, ob und wie man Beamte los werden kann. Ich habe Kiesow gekündigt. Wir werden bei den Göttinger Regelungen nicht bleiben können. Aber ich hatte schon handeln müssen. In Göttingen bestand die objektive Schwierigkeit, dass keine Tarifordnung vorhanden war. Darum veranlasste ich die Angestellten, dass sie sich in dem Protokoll ausdrücklich Aenderungen laut Tarifordnung vorbehalten möchten. Frl. Jahn 67 ist übernommen worden. Dagegen war die Uebernahme der Töchter Buttmann nicht möglich um ihres Vaters willen, der als engagierter Parteimann schwer verletzt in Göttingen liegt und dessentwegen die Schwestern das englische Gebiet nicht verlassen können, was mir leid getan hat68. - So viel über die Persönlichkeiten. Abschliessend hatte ich ein langes Gespräch mit Brunotte, dem dann eine ganze Nacht zur Verfügung stand, die Abmachung nochmals zu überlegen und mir verschiedentlich versicherte, dass er mit allem einverstanden sei. Jetzt gibt er in einem vervielfältigten Brief an Herrn Landesbischof Wurm zum Ausdruck, dass er seine Meinung geändert habe. Den Brief kennen die Herrn 69 . - Von Anfang an bemühen wir uns um Räumlichkeiten für die Kirchenkanzlei in Stuttgart. Ob das aber wahr werden wird, ist noch nicht bekannt70.

ohne freilich vorbildlich zu sein, als daß das auch der kirchliche Weg sein dürfte" (LKA NÜRNBERG, Meiser 242). Theodor Ellwein wurde nach seiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft 1949 nicht wieder in die Kirchenkanzlei übernommen. 64

- Oberkirchenrat D. Dr. Friedrich Merzyn, seit 1936Jurist in der Kirchenkanzlei der DEK. Zur Übernahme Merzyns vgl. S. 135, Anm. 82; S. 203f. 65 Zur Übernahme des Konsistorial-Amtsrates Paul Hellriegel vgl. das mit ihm in Göttingen aufgenommene Protokoll vom 24. Oktober 1945, in dem es u.a. hieß: "Herr Hellriegel kann mit seiner Weiterbeschäftigung in der Kanzlei der EKD rechnen. Er wird nach Stuttgart gerufen werden, um dort in geeigneter Weise in der Kanzlei der EKD beschäftigt zu werden" (EZA BERLIN, 2/69).

66

- Konsistorial-Oberinspektor Fritz Kiesow (zur endültigen Entscheidung über Kiesow vgl. S. 328, Anm. 27). 67 - Ilse Jahn, A ngestellte in der Kirchenkanzlei der DEK. 68 Die beiden Kanzleiangestellten Rosemarie und Karin Buttmann hatten erst kurze Zeit für die Kirchenkanzlei der DEK gearbeitet. Als Gerstenmaier ihnen eine Beschäftigung beim Hilfswerk in Stuttgart in Aussicht stellte, wagten sie wegen der politischen Vergangenheit ihres pflegebedürftigen Vaters nicht, gemeinsam mit ihm in die amerikanische Zone überzusiedeln. Laut Schreiben Brunottes vom 10. Dezember 1945 (vgl. 3D18, S. 265) hatte Asmussen ihnen jedoch niemals eine Weiterbeschäftigung bei der Kanzlei in A ussicht gestellt, sondern ihnen vielmehr gekündigt. 69 3D16 (S. 247-257). 7 0 Vgl. S. 2, Anm. 3.

3B Protokoll

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Nun noch etwas über die anderen Persönlichkeiten, die in folgende Gruppen fallen: 1.) Kirchenkanzlei Göttingen, 2.) Kirchliches Aussenamt, 3.) Dienststelle der Kirchenkanzlei in Berlin, 4.) Angestellte, die sich gemeldet haben, 5.) Solche, die noch nicht erreichbar sind, 6.) solche, über die nicht bekannt ist, wo sie sich befinden, 7.) Ruheständler, 8.) Witwen 71 . Dibelius: Ueber die Angestellten brauchen wir nicht im einzelnen zu sprechen. Asmussen: Das ist deshalb nötig, weil ich den Vorwurf gegen mich habe, ich sei wie der "Kirchenjäger" 72 . Meiser: Ich erinnere mich, dass der Rat sich an die Tarifordnung band. Deshalb müssen alle übernommen werden, gegen die nichts vorliegt. Ich bitte um Beachtung der bestehenden Rechtsverhältnisse. Wurm: Können wir den ganzen grossen Apparat übernehmen? Meiser: Das Tarifrecht ist bindend, auch die Angestellten sind nicht im rechtlosen Zustand. Die DEK ist nicht aufgelöst. Niemand kann neu eingestellt werden, wenn noch andere da sind, die übernommen werden müssen. Asmussen: Ein anderer Kurs fordert andere Menschen. Meiser: Man kann nicht behaupten, dass die Angestellten den Kurs bestimmen. (Oberlandeskirchenrat Lilje trifft ein.) Meiser: Wer denunziert hat oder sich sonst übel betätigt, der gehört hinaus, aber wer seine Aufträge erledigte und seine Pflicht tat, muss bleiben können, selbst wenn er bei der Partei war. Held: Wir brauchen sowohl eine Vereinfachung wie eine Reinigung der Verwaltung. Wir können nicht das Sekretariat eines Konsistorialpräsidenten übernehmen, zu dem wir in innerer Opposition stehen. Eine solche Denkweise ist unmöglich. Wir müssen in all solchen Fällen entlassen können. Im Rheinland ist eine Personalabbauordnung eingeführt, die 71 Vgl. dazu die Liste der Beamten und Angestellten der bisherigen DEK (3D11, S. 240ff.). 72 Anspielung auf den "Staatskommissar" Jäger, der 1933 im Zuge der Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit dem NS-Staat führende Kirchenmänner ihres Amtes enthohen hatte (vgl. K. SCHOLDER, Kirchen, Bd. 1, bes. S. 446-448).

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Tarifbestimmungen und Rechte nicht mehr bewilligt 73 . Man muss zu einem Akkord kommen. Zwar sollen wohl erworbene Rechte wohl beachtet werden, aber das ist eine schwierige und eine Ermessensfrage. Wurm: Die Rechtsfrage ist bei den einzelnen Landeskirchen anders als bei uns. Meiser: Meine Herren, wir kommen ins Wesenlose, wenn wir solange bei den grundsätzlichen Dingen bleiben und nicht über strittige Einzeldinge sprechen. Niesei: Asmussen möge weiterberichten. Wir brauchen über die grundsätzlichen Fragen ohnehin noch eine Generaldebatte. Asmussen: Der ganze alte Apparat besteht aus 75 Personen, dagegen ist der Etat auf ein Fünftel gestrichen. Das ist unmöglich. Bezüglich Aussenamt war ein Treffen mit Heckel nicht erreichbar, es steht in Aussicht für Monat Januar. Die Entscheidung im Fall Heckel: Monatlicher Unterhaltszuschuss von RM 400,-, falls sonst keine Einkünfte vorhanden sind 74 . - Ein peinlicher Zwischenfall hat sich ereignet: Eine Summe von RM 28 000,- aus dem Etat für zwischenkirchlichen Verkehr ist auf das Hilfswerk überwiesen worden, und bei der Nachforschung wurden verschiedene Auskünfte erteilt, u.a., Bischof Dibelius habe das bewilligt. Ich bitte nun den Rat, dem Hilfswerk nachträglich RM 25 000,-- aus Mitteln der Kirchenkanzlei zu bewilligen75. Ausserdem hat Brunotte an Hohlwein ohne mein Einverständnis Gelder überwiesen. Dabei [zi£] Hohlwein zum Ostgebiet gehörig, DCer und Mann Werners 76 . Ich habe deswegen die Zahlung stoppen lassen.

73 Die Kirchenleitungen von Rheinland und Westfalen hatten am 1. September 1945 eine "Ordnung für das Verfahren bei der Verletzung von Amtspflichten der Geistlichen" erlassen (abgedruckt bei C. VOLLNHALS, Entnazifizierung, S. 86-88), nach der die aus dem Amt Entlassenen jedes Recht auf Dienstbezüge oder Versorgungsleistungen verloren. Eine die Kirchenbeamten betreffende "Notverordnung zur Beschränkung und Sichtung des Personalbestandes der kirchlichen Verwaltung" wurde erst am 18. Januar 1946 erlassen (vgl. dazu J. BECKMANN, Hoffnung, S. 8f.). 74 Zur Ruhestandsversetzung Heckeis vgl. S. 3, Anm, 9 und den endgültigen Beschluß 5B1, S. 392. 75 Zu diesem Vorgang vgl. S. 163, Anm. 149. 76 Lic. Dr. Hans Hohlwein, Direktor des Eisenacher Predigerseminars, war am 1. Mai 1939 vom Leiter der Kirchenkanzlei der DEK, Präsident Dr. Werner, zum geistlichen Oberkonsistorialrat in die Kirchenkanzlei berufen worden. Er galt als Vertreter der Interessen der Deutschen Christen. Die Uberweisung Brunottes an Hohlwein erscheint um so erstaunlicher, als gerade Brunotte die Berufung Hohlweins als völlig willkürlichen Akt Werners darstellte und davon Kenntnis besaß, daß Hohlwein sein Amt nie antreten konnte, weil er bereits kurz darauf zum Militär einberufen worden war (vgl. das Schreiben Brunottes an Wurm vom 16. November 1945: E Z A BERLIN, 2/778; H. BRUNOTTE, Kurs, S. 25f.).

3B Protokoll

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Heckel 77 , Fürle78 und Merzin [Merzyn] erhalten RM 400,-. Ueber Wahl ist keine Entscheidung bisher getroffen79. Niesei: Er befindet sich in Erlangen. Asmussen: Alle Ostfälle unterstehen Dibelius. Ich schlage einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von RM 200,- für alle vor, die sich gemeldet haben. Dibelius: Was ist mit Pagel80? Asmussen: Der soll im Osten sein81. In allen anderen Fällen habe ich nichts veranlasst. Bei den Witwen werden wir die Pensionen unverkürzt weiterzahlen. Merzyn ist vorläufig als Hilfsarbeiter am Landeskirchenamt Kassel82. Denen, die noch bei der Wehrmacht sind, bezahlen wir RM 100,- für die Ehefrau und RM 50,- für jedes Kind. Ich bin betrübt über Brunottes unsaubere Art, die sich in Erfindungen ausdrückt, die kirchenpolitisch ausgenutzt werden. Ich mache den Vorschlag, dass alle im östlichen Gebiet Befindlichen an die Berliner Zweitstelle83 verwiesen werden. Solange sie im Westen sind, gelten sie als Flüchtlinge.

77 Zu Heckel vgl. S. 3, Anm. 6. 78 - Dr. Günther Fürle, seit 1938 Direktor der Kirchenkanzlei der DEK (zur endgültigen Entscheidung über Fürle vgl. S. 328, Anm. 25). 79 Tatsächlich hatte der Rat in seiner 1. Sitzung beschlossen, Wahl zum 1. Januar 1946 in den Ruhestand zu versetzen (vgl. 1B, S. lff.); dieser Beschluß wurde auf der 3. Sitzung in eine Wartestandsversetzung umgewandelt (vgl. 3C4, S. 220). Zu Wahls Weiterbeschäftigung ab 15. Juni 1946 vgl. 6B1, S. 461. 80 Wilhelm Pagel, Konsistorialrat im Kirchlichen Außenamt der DEK, erhielt nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht zunächst Unterhaltsvorschüsse von monatlich RM 200,- (vgl. das Schreiben Asmussens an die Kirchenkanzlei in Göttingen vom 5. Januar 1946: EZA BERLIN, 2/69) und wurde erst 1950 wieder in den Dienst der EKD übernommen. 81 Pagel befand sich seit September 1945 in Hannover (vgl. das Schreiben Brunottes an Pagd vom 12. September 1945: EBD.; Schreiben Dibelius' an Asmussen vom 21. Januar 1946: EZA BERLIN, 2/778).

82 Obwohl Asmussen Merzyn am 2. November 1945 zunächst mitgeteilt hatte, daß er nicht wieder "in die Arbeit der neuen Kanzlei der EKD eintreten" solle (KA HANNOVER, PA Merzyn), beschloß der Rat auf dieser Sitzung, mit Merzyn über seine Weiterbeschäftigung zu verhandeln (vgl. 3C4, S. 219). Merzyn, der damals in Bad Wildungen wohnte und kurzzeitig beim Landeskirchenamt in Kassel arbeitete, wurde noch im Laufe des Monats Dezember wieder in den Dienst der EKD übernommen (vgl. die Schreiben Asmussens an Merzyn vom 19. Dezember 1945 und an Prälat Buder, Ulm, vom 27. Dezember 1945: KA HANNOVER, PA Merzyn). 83 - die Berliner Zweitstelle der Kirchenkanzlei.

136

3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

[Vereinfachung der Verwaltung) Asmussen verliest Entwurf N r . 5 ohne Kommentar 5 4 . Dibelius: Zu § 1. Sie können doch keinen in eine Landeskirche versetzen. Asmussen: Gestatten Sie, das war schon nach dem alten Recht so, vorausgesetzt natürlich, dass die betreffende Landeskirche damit einverstanden ist. Die Art dieser Behandlung ist von anderen anders aufgefasst worden als von Brunotte. W u r m : Sollen wir schon gleich über diese Fragen sprechen? [Kasse] Asmussen: Lassen Sie mich bitte erst zu Ende berichten. Ich habe die Ueberweisung von R M 150 0 0 0 , - an die Berliner Zweitstelle noch gestoppt, da eine Fülle von Angestellten vorhanden ist, die ich ohne diese Summe nicht bezahlen kann 8 5 . Bei dem Ausbau von Niemöllers Aussenamt k o m m e ich auf einen monatlichen Etat von R M 10 0 0 0 , - . Die bisher gezahlten Umlagen betragen insgesamt R M 33 0 0 0 , - nach einem vorläufigen Bericht Brunottes. [Bußtagj D i e Militärregierungen haben zum Teil den Buss- und Bettag wieder als gesetzlichen Feiertag anerkannt. Zum Teil haben die Kirchenleitungen sich nicht an die ihnen gegebenen Möglichkeiten gehalten. Ich weiss nicht, ob es Herrn Landesbischof Wurm bekannt ist, dass in Schwäb. G m ü n d die evang. Kirche ihren Busstag am Sonntag, während die katholische Kirche den ihren am Mittwoch gefeiert hat. Die Verhandlungen über einheitliche Behandlung von Busstag und Himmelfahrt 1946 als gesetzlichen Feiertagen sind mit der Militärregierung im Gang 8 6 . [Ökumenisches] Die Zeit seit der Stuttgarter Sitzung stand unter dem Zeichen einer Fülle von Delegationen der Oekumene 8 7 . Bei den Besprechungen trat der 84 3D12 (S. 243). 85 Vgl. dazu S. 31, Anm. 25. 86 Zur Feiertagsregelung vgl. S. 34, Anm. 36. 87 Vom 28. November bis 7. Dezember 1945 hatte eine Delegation des Federal Council of the Churches of Christ in America in Begleitung Stewart Hermans Deutschland besucht und dabei Gespräche u.a. mit Lilje, Wurm, Asmussen, Meiser, Niemöller und Dibelius geführt (vgl. die ausführliche

Dokumentation

hei G . BESIER, Mission, S. 151-187, 316-352; vgl. außerdem

C. VOLLNHALS,

3B Protokoll

137

Gegensatz zwischen der amerikanischen Regierung und den amerikanischen Kirchen immer stärker hervor. Auch bei den einzelnen Landeskirchen erlebte man eine Fülle von Delegationsbesuchen. Uns wurde mehrmals die Frage vorgelegt, ob die evang. Kirche in Deutschland als Kirche oder als Kirchenbund im Ökumenischen Rat der Kirchen vertreten sein wolle. Wir haben immer die Auskunft gegeben, dass sich die Evang. Kirche in Deutschland als ein Kirchenbund versteht. Dahinter scheint ein Gegensatz zwischen den amerikanischen und englischen Kirchen zu stehen, in dem die amerikanischen Kirchen eine Vertretung nach Denominationen, die englischen eine nach Nationen wünschen. Ihnen liegt ein Antrag vor, in dem auf die Anfragen der Oekumene darauf geantwortet wird, dass die Ev. Kirche in Deutschland sich als Kirchenbund verstehe und als solcher im Oekumenischen Rate vertreten zu sein wünsche88. [Stuttgarter

Erklärung)

Die Stuttgarter Erklärung und ihre Folgen: Ihnen liegt die Abschrift von Auszügen eines Briefs von Dr. Visser't Hooft vor, in dem er seinen Dank für die Einfalt froh ausdrückt, die uns in Stuttgart geschenkt worden ist89. Sodann verlese ich Ihnen den Beschluss der Synode von Nimes 90 . In Deutschland fand über die Erklärung ein grosser Briefwechsel statt, aus dem zwei Beispiele beiliegen91. Wir haben eine Menge von frechen Briefen erhalten, aber auch solche wirklich ernst zu nehmenden wie den des schleswig-holsteinischen Bruderrates92.

Zusammenbruch, S. XXXII, den Bericht der Delegation EBD., S. 263-266, sowie die Berichte Hermans EBD., S. 296-303, 306-314). Mitglieder dieser Delegation hatten bereits am 27. November 1945 LiljeAufgesucht, um den Rücktritt Marahrens' von seinem Vorsitz im Lutherischen Weltkonvent zu erwirken; am 12. Dezember 1945 trafen sie sich mit Marahrens persönlich (vgl. EBD., S. XXXTV). Die britische Delegation, die auch auf der Ratstagung am 13./14. Dezember in Frankfurt anwesend war, hielt sich bereits seit dem 28. November 1945 in Deutschland auf (vgl. dazu die Berichte Cotters EBD., S. 266-286 sowie den Abschlußbericht der Delegation vom April 1946 EBD., S. 286-296). 88 3D3 (S. 229f). 89 3D4 (S. 230f). 90 Der Beschluß der Synode von Nimes, die vom 23. bis 29. Oktober 1945 getagt hatte, ist abgedruckt bei M. GRESCHAT, Schuld, S. 304.

91

Vermutlich der Briefwechsel der Kirchenkanzlei mit Superintendent Hoppe (3D20, S. 271 und 3D21, S. 272f.) und dem schleswig-holsteinischen Bruderrat (3D22, S. 273ff. und 3D23, S. 275279). 92 Gemeint ist das Schreiben des Bruderrates der Bekennenden Kirche Schleswig-Holsteins an die Vorläufige Kirchenleitung der schleswig-holsteinischen Landeskirche (3D22, S. 273ff.).

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Am 28. November hat der Erzbischof von Canterbury durch den Rundfunk eine Botschaft an das deutsche Volk erlassen93. Wir werden zu besprechen haben, wie wir darauf antworten können. Herr Landesbischof Wurm wird Ihnen einen Entwurf vorlesen94. [Hilfswerk]

Die Arbeit des Hilfswerkes ist noch in vielen Punkten klärungsbedürftig. Einerseits hören wir Klagen der Oekumene, auch der Militärregierung in Stuttgart, andererseits hat Gerstenmaier in Genf einen Scheck von 100 000 Dollars von den Amerikanern erhalten 95 . Ich beantrage, Niemöller in den engsten Vorstand des Hilfswerkes zu übernehmen 96 . Das Arbeitsprogramm des Hilfswerkes umfasst sämtliche Arbeiten einer Kirchenleitung. [Hilfswerk und Hilfsdienst]

Dr. Eberhard Müller ist völlig ohne Akkord mit Gerstenmaier, und ich sehe darin seinen Wunsch begründet, von seinem Auftrag für die Kriegsgefangenenarbeit entledigt zu werden 97 . (Antrag Münchmeier [Münchmeyer]™). [Studentenarbeit]

In der Studentenarbeit versucht Eberhard Müller eine neue Basis zu schaffen, auf der sowohl die Landeskirchen wie der Rat ihre Zuständigkeit gesichert erhalten. Aber der Rat kann damit erst befasst werden, nachdem die Landeskirchen sich dazu geäussert haben werden 99 . [Ostpfarrer]

Betr. Versorgung der Ostpfarrer bitte ich den Vorschlag land/Westfalen annnehmen zu wollen 100 .

Rhein-

93 VgLS. 118, Anm. 16. 94 3D6 (S. 233-236). 95 Vgl. dazu J.M. WlSCHNATH, Kirche, S. 103. 9 6 3D8 (S. 237). 97 Vgl. dazu S. 28, Anm. 14. 98 3D24 (S. 279). Vgl. dazu S. 120, Anm. 26. 99 Vgl. dazu die Vorlage 3D27 (S. 280). - Zur Neuordnung der christlichen Studentenarbeit vgl. E. MÜLLER, Widerstand, S. 56f£ 100 Vgl. 3C5 (S. 220ff.)

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/Hannover/101

Ich komme nun auf die Vorgänge in Hannover zu sprechen. An uns wurde das Schreiben eines Osnabrücker Theologenkreises gerichtet mit der Bitte, einen Ausschuss einzusetzen, der die Rechtsgrundlage und -Zuständigkeit der kommenden vorbereitenden Synode in Hannover überprüfen möchte. Um das und einen Spalt in der Hannoverschen Landeskirche zu verhindern, habe ich an Marahrens einen Brief geschrieben, über den sich nun Marahrens seinerseits bei Landesbischof Wurm beschwert hat, da er ihn als einen Eingriff in die innerlandeskirchlichen Verhältnisse Hannovers ansähe. Auch Niemöller hat ernsthafte Wünsche zu dieser Frage. Deshalb bitte ich, die Besprechung darüber bis zu Niemöllers Eintreffen zu vertagen. [Schlesien]

Von Zänker habe ich einen Brief vorliegen, in dem er mitteilt, eine Reihe von Gesuchen erforderten seine Kirchenleitung für Schlesien102. Ausserdem besteht aber noch ein schlesisches Rumpfkonsistorium unter Leitung von OKR Schwarz in Göttingen103. Dibelius: Schlesien ist unsere Sache104. [Personalien; Vereinfachung der Verwaltung]

Wurm: Nun zunächst die Angestellten und Beamten der Kirchenkanzlei.

101 Zu diesem Komplex vgl. auch die Diskussion S. 165-172; Ebd. auch die Nachweise für die im folgenden genannten Dokumente. 102 3D9(S. 237f). Vgl. dazu auch S. 119f.,Anm. 20. 103 Als die vorrückenden russischen Truppen Breslau einzuschließen drohten, war das schlesische Konsistorium am 22. Januar 1945 nach Görlitz geflohen. Dort hatte Hosemann am 17. Februar angesichts der näherrückenden Front die von ihm geleitete Behörde praktisch aufgelöst und die Mitarbeiterangewiesen, sich bei der Ausweichstelle des Ev. Oberkirchenrats Berlin in Stolberg/Harz zu melden (vgl. den Bericht Hosemanns an den EOK Berlin vom 23. Februar 1945: E. HORNIG, Bekennende Kirche, S. 348-351). In Göttingen hatte Oberkonsistorialrat Schwarz, Stellvertreter des Bischofs und später geistlicher Dirigent des Konsistoriums in Breslau, eine Art Sammelstellefür schlesische Adressen und Informationsaustausch aufgebaut (vgl. E. SCHWARZ, Ecclesia, S. 50f.). 104 Die schlesische Kirche war eine Provinzialkirche der Ev. Kirche der altpreußischen Union und unterstand insofern dem Berliner Ev. Oberkirchenrat unter Dibelius. Die Ev. Kirche der altpreussischen Union hatte bereits die neu konstituierte Kirchenleitung von Nieder und Oberschlesien anerkannt und beantwortete demzufolge Zänkers Wunsch nach Wiedereinsetzung in das Bischofsamt abschlägig (vgl. S. 119f, Anm. 20). Zur Situation der schlesischen Kirche 1945/46 vgl. den Bericht Dibelius' auf der Sitzung der altpreußischen Kirchenleitung am 4. Dezember 1945 (LKA BIELEFELD, 5,1 Nr. 700/2), E. HORNIG, Schlesische Kirche, D. NEß, Leben.

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Niesei: Ich habe auch noch andere Dinge vorzubringen, von denen im Bericht nicht gesprochen wurde. Dibelius: Wir werden zunächst die Abbauverordnung beschliessen müssen. Für uns im Osten brauchten wir zwar eine solche für Altpreussen, aber die Zahl der Beamten und Angestellten der Kirchenkanzlei ist im Osten so gering, dass wir überall mit einer freundschaftlichen Regelung auskommen werden. Wir werden - da die Dinge im Westen nun einmal so verlaufen sind - uns mit der Vorlage105 befassen müssen. Im Ganzen bin ich einverstanden. Aber aus dem § 1 werden wir den Satz über "Versetzen" herausstreichen müssen. Wenn sich die Kanzlei mit der Landeskirche einigt, ist eine Versetzung durchaus möglich, aber da sie nur unter diesem Vorbehalt geschehen kann, ist der Satz unnötig. - Dagegen muss stehen bleiben: "[...] kann Beamte und Angestellte in den Ruhestand versetzen ..." Held: Bei § 2 die Entlassung: sie bedarf der Zustimmung des R a t e s und nicht nur seines Vorsitzers. Zur Ausschaltung des Führersystems ist ein grösseres Gremium notwendig. Ausserdem muss eine Berufungsinstanz gegeben sein, sonst zwingen wir die Entlassenen, sich sofort an ein weltliches Gericht zu wenden. Lilje: Wieweit stimmt diese Vorlage mit den vorherigen Gesetzen106 überein? Sie enthält den unguten Führergedanken, vor dem ich ausdrücklich warne. Ich bitte zu überprüfen, wieweit Parallelen des früheren Beamtenrechtes gültig sind und sein können. Das ganze Kapitel der Versetzung ist unglücklich. Wo die Landeskirchen berührt werden, befinden wir uns auf einem prekären Gebiet. Der Leiter der Kirchenkanzlei sollte sich dem nicht aussetzen. Das bedeutet eine Abnutzung seiner Autorität. In Göttingen hat es schon ausserordentlich böses Blut gegeben. Kann man überhaupt so rasch beschliessen? Die Vorgänge in Göttingen sind uns z.T. nicht einmal durch den Briefwechsel bekannt 107 . Wir können nicht so schnell dazu Stellung nehmen. Es steht doch fest, dass dort langjährige Beamte ohne rechtlichen Kündigungsschutz stehen. Ist es überhaupt klug, einen Mann wie Brunotte nicht zu nehmen, der ausserordentliche Sachkunde besitzt? Wir dürfen den Vorwurf des Dilletantismus [sic!\ nicht weiter auf uns ziehen.

105 3D12 (S. 243). Vgl. zur folgenden Diskussion außerdem die Vorlage 3D13 (.'S. 244) und die Liste der Mitarbeiter 3D11 (S. 240ff.). 106 Vgl. dazu z.B. die Kirchenbeamtenordnung der DEK vom 13. April 1939 (GBlDEK 1939, S. 4346). 107 Vgl. 3D16 bis 3D18 (.'S. 247-270).

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Meiser: Es könnte sein, dass schon im bisherigen Beamtengesetz solche Vorsorge getroffen worden ist. W i r könnten uns dann den Luxus und die Schwierigkeit einer neuen Verordnung ersparen. - Wir müssen aufrichtig sein: die Entlassungen sollen nicht nur aus organisatorischen Gründen erfolgen. W i r kommen in bedenkliche Nähe der Entnazifizierungs-Massnahmen. Die Tatbestände sind in jedem einzelnen Fall genau festzustellen, was sehr schwierig ist. Es ist eine grosse Ermessensfrage zu entscheiden, ob schuldhaftes Handeln vorliegt. Aus jeder Massnahme entsteht die Frage: Was liegt gegen mich vor. Der neue Kurs wird nicht von mittleren und unteren Leuten bestimmt. Wir sollten uns eine grösstmögliche Mässigung auferlegen, denn wir starten doch erst. Asmussen: Welche Vorwürfe sind berechtigt? Meiser: Es sind Menschen ohne Verhör entlassen worden - wie durch die Militärregierung. Das Echo der Göttinger Verhandlungen ist überall negativ. Diesen Tatsachen müssen wir Rechnung tragen. Ich würde auch nicht so unklug sein, solch heisses Eisen allein anzufassen. Asmussen: Ich habe gemäss dem Auftrag gehandelt. Meiser: Aber Sie hätten die tarifrechtlichen Bestimmungen einhalten müssen. Asmussen: Davon ist nichts besprochen worden. Meiser: Eine Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis ist mitunter völlig unmöglich. Ein neues Arbeitsverhältnis müsste vorher gesucht werden. Die Leute sind unnötig gekränkt. Sie wollen Recht von der Kirche. Rechtsbruch und Rechtsverletzung will ich nicht. Dibelius: Dieser Entwurf bezieht sich nur auf den gegenwärtigen Fall. Die Gesichtspunkte und Befürchtungen dürfen wir nicht stärker als eben für diesen einmaligen Fall in Erwägung ziehen. Es handelt sich um Beamte, deren Liste ich hier habe: Gisevius 108 (dem ich bereits geschrieben) Werner 1 0 9 Fürle Gustavus 110 (noch in Kriegsgefangenschaft) Brunotte Ellwein (noch in Kriegsgefangenschaft)

108 2« Gisevius vgl. S. 3, Anm. 8. 109 - Dr. Friedrich Werner, seit 1933 Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei; 1937 vom Reichskirchenminister zum Leiter der DEK eingesetzt. 110 - Dr.jur. Walter Gustavus, seit 1935 Vorsitzender der Finanzabteilung der DEK.

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Dehmel 111 Hohlwein Rancke [Ranke]ni (noch in Kriegsgefangenschaft) Merzyn Schwarzhaupt Meiser: Und Wahl. Dibelius: Ausser Heckel, Krummacher113, Schröder114, Gerstenmaier115. Das sind also die Fälle. Die V e r o r d n u n g soll 1.) eine rechtliche Grundlage abgeben für das Geschaffene, 2.) eine für das kommende Handeln. Zu 1): Es schadet nichts, obwohl dafür eine Verordnung nicht notwendig wäre. Zu 2): Eine Verordnung als rechtliche Grundlage für das kommende Handeln erscheint nötig. 111 - Alfred Dehmel, Oberkonsistorialrat in der Kirchenkanzlei der DEK. 112 - Hansjürg Ranke, seit 1936 Konsistorialrat, ah 1938 Oherkirchenrat in der Kirchenkanzlei der DEK. 113 Friedrich Wilhelm Krummacher, früher Oberkonsistorialrat im Kirchlichen Außenamt der DEK, wurde bereits im Sommer 1945 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen und war bis 1954 inoffizieller Informant der sowjetischen Besatzungsbehörde (vgl. dazu G. BESIER, SED-Staat, S. 25f.); er verwaltete eine Pfarrstelle in Berlin-Weissensee und die dortige Superintendentur, die altpreußische Kirchenleitung hatte ihn ferner zum Vizegeneralsuperintendenten für Ost-Berlin bestellt. In der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei arbeitete er nur noch nebenamtlich (vgl. das Schreiben Dibdius' an Asmussen vom 26. Januar 1946: EZA BERLIN, 2/778). 114 Gemeint ist Dr. Ferdinand Schröder, der von 1936 bis 1940 Geschäftsführer der Ev. Auswandererfürsorge und seit 1940 Oberkirchenrat der DEK gewesen war. Wie aus seinem Schreiben vom 21. Januar 1946 hervorgeht, war er am 26. April 1945 aus dem Militärdienst entlassen worden und hatte seit dem 17. August 1945 stellvertretend verschiedene Pfarrämter in Württemberg versehen (LKA HANNOVER, L 3 II Nr. 14 Bd. üb). Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wandte er sich jetzt an die Kirchenkanzlei, die seine Forderungen an Lilje weiterleitete und ihm mit Schreiben vom 11. Februar 1946 gleichzeitig mitteilte, daß seine "Übernahme in den Dienst des neuen Kirchlichen Aussenamts ... leider nicht möglich sein" werde, da "das gesamte Vernmögen der alten DEK als verloren gelten" müsse, "grosse Aufgabengebiete des alten Kirchlichen Aussenamtes fortgefallen" seien und das neue Kirchliche Außenamt seine Aufgaben wegen der erheblichen finanziellen Probleme der EKD nur unter größten personellen und räumlichen Begrenzungen wahrnehmen könne (EBD.). 1946 wurde Schröder Referent im Zentralbüro des Hilfswerks in Stuttgart. 115 Zu Gerstenmaier vgl. S. 2, Anm. 4 und S. 28, Anm. 15.

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In diesen Fällen, wo es sich um Beamte handelt, ist es nicht richtig, dass der Leiter der Kirchenkanzlei auf Grund eigener Autorität entlässt oder versetzt. Das muss der R a t der EKD tun. Bei den Angestellten ist es etwas anderes; sie unterstehen selbstverständlich dem Chef der Verwaltung. Meiser: Wer hat bisher in der Kirchenkanzlei entlassen? Asmussen: Der Leiter der Kirchenkanzlei. Meiser: Das ist das alte Führerprinzip. Dibelius: Das hat sich aus der Not der Zeit entwickelt, an sich sich ist gar keine Entlassung möglich, es sei denn durch den Kirchenausschuss oder durch dessen Präsident116. Solche Verordnung ist also jetzt notwendig. Beide Gesichtspunkte müssen zu ihrem Recht kommen. Man kann nicht lediglich mit dem alten Apparat weiterarbeiten, sondern ein neuer Anfang soll gemacht werden. Immer mit den alten Menschen - das geht nicht. Wurm: Denken Sie an unsere Pfarrerschaft! Niesei: Unser Blickpunkt muss sein, nach dem Wesen der Kirche zu arbeiten. Dibelius: Die hier angeschlagenen Töne sind eigenartig. Im Osten werden selbst Ministerialräte nie offiziell entlassen, sondern sie erhalten einfach kein Geld mehr. Wir machen hier nichts brutaler als der Staat. Aber die Treue ist eine christliche Verpflichtung. Nur der Not gehorchend können wir Verhältnisse brechen. Müsste nicht ein Wort über die Gesichtspunkte des Handelns in diese Verordnung aufgenommen werden? Da sie jedoch nur für den Fall von Konflikten gelten soll, könnte man darauf verzichten. Ich bin erstaunt, dass Fürle in Parallele etwa mit Heckel genannt wird, weil doch Fürle dezidierter DC gewesen ist. Er muss unbedingt entlassen werden. Seine Distanzierung von den anderen ist notwendig. Leiter der Berliner Nebenstelle ist Dr. Benn, dem ich aber nicht zugestehe zu entlassen oder zu versetzen... Lilje: Pastor Michelfelder möchte über ökumenische Dinge berichten. Asmussen: Ich schlage vor, dass wir noch die erste Lesung dieser Verordnung zu Ende führen, dann einen Ausschuss einsetzen, der die zweite Lesung vorbereitet, über die wir am Nachmittag beraten können 117 . Deswegen können wir Michelfelder bitten, sobald der Ausschuss feststeht. 116 Dibelius spielt hier auf das Verhältnis von Kirchenbundesamt und Deutschem Evangelischem Kirchenausschuß in den Jahren von 1922 bis 1933 an. 117 Vgl. S. 174-183.

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Auch direkte Beamte müsste man abbauen können. Fräulein Schwarzhaupt kann schlechterdings nicht die juristische Leitung übernehmen. Lilje: Soll man überhaupt solche Verordnung machen? Wir sollten lieber nur eine Reihe von Dingen einzeln vornehmen. Wir brauchen 1.) Leute für einen neuen Kurs, 2.) mit Sachkunde. Bei diesen ist das persönliche Verhalten so verschieden, dass man am besten ohne eine Verordnung auskommt. Wir müssen Einzelfälle bestimmen, die jeweils auf die einzelnen Personen abgestimmt sind. Asmussen bittet dennoch um Rechtsgrundlage, da er ohne diese in eine unangenehme Lage gebracht worden sei. Die Frage der mittleren Beamten ist schwieriger als die der höheren. Bedenken Sie, dass Steckelmann 118 und ausser ihm noch 2 Personen ausschliesslich für die Kassengeschäfte angestellt waren, die sich bei uns nebenher erledigen. Auch der Amtsrat Hellriegel in Stuttgart ist bei bestem Willen nicht voll beschäftigt. Es liegen zwei ganz verschiedene Arbeitsweisen vor. Die Kassenangelegenheiten erledigen sich am Rande. Lilje: Wir stehen in der Zukunft vor einer ganz schwierigen Kirchensteuerpolitik, für die man den richtigen Mann braucht. Asmussen: Dafür habe ich volles Verständnis, aber das ist etwas ganz anderes, als die Uebernahme Kiesows. - Uebel nehme ich Brunotte die verschiedene Haltung während und nach den Göttinger Verhandlungen. Ich will nun auch nicht mehr verschweigen, dass ich nach diesen Verhandlungen noch in Göttingen eine Nachricht an die Landeskirchenregierungen diktierte und unterschrieb, die aber damals nicht herausgegangen ist119. Brunotte ist kein "Gerechter". Ich habe Brunotte gefragt: "Halten Sie es für möglich, dass Sie unter einer neuen Leitung weiter in der Kirchenkanzlei arbeiten?" Darauf hat er eindeutig "Nein" gesagt. Er hat also die Chance gehabt. Nun hat er keine Veranlassung, sich aufs hohe Pferd zu setzen. - Aber ich freue mich sehr, wenn ich diese schweren Entscheidungen nicht selbst zu fällen brauche und wenn andere meine Verantwortung mittragen. Als Ausschuss für diese Verordnung schlage ich Dibelius, Smend und Held vor. Lilje nimmt für Brunotte Stellung. Die Schlacht zwischen Brunotte und Asmussen steht jetzt 1:0 für Brunotte. Ihm ist nicht klar gesagt worden, ob er nun entlassen wird oder nicht. Die psychologische Auswirkung

118 7M Steckelmann vgl. S. 30, Anm. 20. 119 2E9 (S. 111); das dort abgedruckte Konzept enthält jedoch den Absendevermerk vom 27. Oktober 194J.

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dieser Verhandlungen ist unglücklich. Bruder Asmussen hat in absentia jemandem die Ritterlichkeit und Lauterkeit abgesprochen. Brunotte müsste die Gelegenheit haben, sich vor dem Rat zu rechtfertigen. Asmussen: Lilje hat nichts getan, um sich für Asmussen [jzc/] einzusetzen. Ich habe Brunotte in Stuttgart gesagt, dass ich sobald wie möglich nach Göttingen kommen werde. Am Nachmittag des 23.10. fanden diese Verhandlungen statt, im Anschluss daran hatte ich ein zweistündiges Gespräch mit Brunotte, der dann wieder eine ganze Nacht Zeit hatte, am anderen Tage hatte ich eine Reihe von Gesprächen mit ihm, und abends erklärte er sich mit allem einverstanden. Hinterher ist nun Brunotte zum Arbeitsamt gegangen und hat sich dort eine Tarifordnung besorgt. Hätte man nicht vorher auf Asmussens Bitte hin beim Arbeitsamt nach einer Tarifordnung fragen können? Oder hätte man nicht später erst einmal nur an Asmussen zu schreiben brauchen? Aber hier liegt die bestimmte Absicht vor, einen Keil zwischen die Mitglieder des Rates zu treiben. Mit Fürle dagegen habe ich freundschaftliche Verhandlungen gehabt. Lilje: Das vermehrt gerade den Aerger. Fürle kommt so viel und unverdient besser weg als Brunotte. Aber vielleicht äussert sich Herr Professor Smend einmal zu diesen Dingen? Smend: Ich kann nicht viel dazu sagen. Ich habe keinen unmittelbaren Eindruck davon, da ich Brunotte die ganze Zeit über nicht gesehen habe. Immerhin liegt ein wenig Zeugnis von der Art der Verhandlung in der Art, wie ich Steckelmann und Frau Schwarzhaupt gesehen habe. Das ganze Problem steht unter dem Gesichtspunkt des inneren Rechts. Die Frage der Instanzen müsste so notwendig einer Regelung zugeführt werden. Wo Glaubens- und sittliche Gründe nicht vorhanden sind, da sind es doch die brüderlichen. Für Brunottes Beschwerden zeigen sich viele offen. Viele können eliminiert werden. Aber später, subsidiär kann man das Beamtenrecht in Kraft treten lassen. Brunotte und all die Dinge der Kirchenkanzlei hätten schon früher weiter geklärt werden müssen. In Hannover zum mindesten sind diese ganzen Dinge abträglich für den Rat, da Brunotte eine grosse Stellung besitzt. Meiser: Durch welche Form erhalten eigentlich bei uns die Gesetze ihre Rechtskraft? Durch die Veröffentlichung? Durch welche Art der Veröffentlichung? Es ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass ein Gesetz erst durch seine Publizierung gültig wird. - Sodann: Wie werden die Beteiligten behandelt für die Zeit, die von dem Termin der Gültigkeit des Gesetzes an verstrichen ist? Sie müssten bis zu dem Augenblick der Publikation den vollen Gehalt [5ic./] bekommen.

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Dibelius: Das ist nicht so wichtig, da alle getroffenen Entscheidungen erst in einem späteren Termin liegen als dem der Rechtsgültigkeit. Aber Meisers erstes Anliegen ist berechtigt. Wollen und können wir überhaupt Verordnungen erlassen? Der Rat ist ein ausgesprochen föderatives Gebilde. Für die Landeskirchen können wir ohnehin nicht verordnen. Wenn aber diese Verordnungen auf die Kirchenkanzlei beschränkt sind, dann spricht viel dafür, ohne ausdrückliche Verordnungen zu arbeiten. Der schlimmste Fall, der eintreten kann, ist, dass man noch lange weiterbezahlen muss. Meiser: Ich weise darauf hin, wie ängstlich selbst die Regierung Müller in meinem persönlichen Fall auf Verordnungen sah. Jäger wagte nicht, mich abzusetzen, ehe nicht eine Verordnung dafür geschaffen war 120 . Dibelius: Ich sehe schwarz im Blick auf unsere Kommission. [Ökumenisches]

Michelfelder 121 : Ich will keine grosse Rede halten, sondern nur Nachrichten aus der Oekumene bringen. 1.) Ich grüsse Sie von dem Generalsekretär des Oekumenischen Rates Visser't Hooft, von Steward [Stewart] Herman, Freudenberg und all den anderen. Unsere Gebete und Wünsche sind viel bei Ihnen. 2.) Dr. Long und Dr. Aska [Aasgaard] (norwegische Kirche Amerikas) waren bis Samstag in Kopenhagen mit Erzbischof Eidem zusammen.

120 Der Vorstoß Jägers, die bayerische Landeskirche per Verordnung vom 3. September 1934 (GBlDEK 1934, S. 149) in die Reichskirche einzugliedern, war von der bayerischen Landessynode und Meiser selbst als nicht rechtsgültig abgelehnt worden. Nachdem auch massive, in der Presse durchgeführte Heukampagnen die Position Meisers nicht entscheidend gefährden konnten, drang Jäger am 11. Oktober 1934 gewaltsam in das Gebäude des bayerischen Landeskirchenrates ein und erklärte die rechtmäßige Kirchenregierung für abgesetzt. Als Rechtsgrundlage diente ihm dabei die von Reichsbischof Müller am gleichen Tage unterzeichnete "Verordnung zur Sicherung der Durchführung der Verfassung und der Kirchengesetze der DEK und der ev.-luth. Landeskirche in Bayern rechts des Rheins" (J. GAUGER, Chronik II, S. 339). Um die neu geschaffenen Verhältnisse rechtlich endgültig abzusichern, erließ Müller am 25. Oktober 1934 das "Kirchengesetz zur Änderung der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins" (GBlDEK 1934, S. 205f.). Aufgrund heftiger in- und ausländischer Proteste konnte der in Haft gesetzte Meiser jedoch am 1. November 1934 in sein Amt zurückkehren; das Scheitern der Aktion führte schließlich zum Sturz Jägers (vgl. dazu K. SCHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 309-355; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 463-467). 121 Alle anderen Vertreter der ökumenischen Delegation nahmen erst an der Nachmittagssitzung teil (vgl. S. 152-159).

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3.) In den letzten Wochen wurden von Präsident Truman fünf Delegierte der amerikanischen Kirchen nach Deutschland entsandt, um nach ihrer Reise Truman von den kirchlichen Dingen Deutschlands zu berichten 122 . In folgendem kamen sie zu voller Uebereinstimmung: a) Die materielle Hilfe muss für Deutschland so schnell wie möglich geschaffen werden. In Amerika scheinen wir vor einem Wendepunkt zu stehen, der bisherige Weg scheint offiziell geändert zu werden. So wird es wahrscheinlich bald erlaubt werden, dass Lebensmittel und Bekleidung, die schon lange gesammelt vorhanden sind, nach Deutschland eingeführt werden 123 . Die Verteilung dieser Gaben ist entweder durch das Hilfswerk oder durch die Militärbehörden in Verbindung mit den kirchlichen Hilfswerken geplant. b) Ein langer Bericht an die amerikanischen, englischen und französischen Militärregierungen wurde gegeben124, ein persönliches Gespräch mit Eisenhower fand statt, woraufhin ein langes Gesuch an Eisenhower, Montgomery, König [Koenig] und Shukoff gerichtet wurde. Darin stand 1.) Was ist EKiD? Förderation \sic!\, Hilfswerk für alle Protestanten. 2.) Was ist Oekumenischer Rat? 3.) Was braucht EKiD: Transportmittel und Material. 4.) Was gibt der Oekumenische Rat dazu? 5.) Die Bitte, zwei Männer als Liaison anzuerkennen: Dr. Herman und Michelfelder. Dieses Gesuch geht heute an die Hauptquartiere. 4.) Barackenkirchen stehen für 25 deutsche Städte bereit (u.a. Freiburg, Heilbronn, Frankfurt a.M. usw.). Aber die Militärbehörde gibt bisher keine Transporterlaubnis. Gerade jetzt habe ich die Erlaubnis erhalten. Deshalb werden vielleicht bis Januar oder Februar diese Baracken eintreffen. 5.) Die Militärbehörde wird, den Eindruck habe ich, bald sehr vieles den Deutschen selber übergeben. 6.) Bei den Besprechungen mit der Militärbehörde hatte ich den Eindruck, dass Sie besser mit dem Vertreter für die evangelischen Kirchen beim amerikanischen Hauptquarter \sic!\ in Frankfurt, Herr Professor Arvid [Arild] Olsen, einem Lutheraner, bekannt werden sollten, der eigens dafür eingesetzt ist, der EKiD zu helfen. Die EKiD und ihr Rat 122 Zu dieser Reise vgl. C. VOLLNHALS, Zusammenbruch, S. XXXHIf. 123 Das von den Regierungen der Siegerstaaten erlassene Verbot, die Deutschen mit Hilfssendungen zu unterstützen, wurde erst im Sommer 1946 aufgehoben (vgl. dazu JAHRBUCH. Das Hilfswerk 1945-50, S. 18). 124 Nicht ermittelt.

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sind noch nicht bekannt genug. Ich schlage vor, Prof. Olsen für heute nachmittag telefonisch einzuladen. Asmussen: Das ist bereits geschehen. [Michelfelder;] 7.) Mit der ganzen Entnazifizierung bin ich nicht zufrieden. Ich werde deswegen noch öffentlich zur Militärregierung reden. Ich habe oft den Eindruck, dass man gar kein Interesse hat. Nichts ist planvoll, die Leute wollen heim. Mit dem Eintreffen der neuen Verwaltung hoffe ich auf Besserung. Wir möchten Euch helfen, dass durch unsere und Eure Hände Gott etwas Grosses tun möge. Wurm: Dankt herzlich, besonders für alle Bemühungen Michelfelders. Er beklagt, dass so oft Hindernisse bürokratischer Art allem guten Willen beider Seiten gegenüberstehen. Die Hauptfrage sei: Wie wird es den ökumenischen Brüdern ermöglicht, auf ihre politischen Stellen entscheidenden Einfluss auszuüben und wie können die Westmächte einen stärkeren Einfluss auf den Russen bekommen. Meiser: Ich habe eine besondere Bitte zu äussern: Allerlei nicht-kirchliche Stellen sind heute bestrebt, zu beweisen, dass sie auch etwas tun zur Linderung der Not des deutschen Volkes, aber sie greifen dabei immer wieder auf die Kirche zurück, da ja die Kirchen die einzigen sind, die wirklich helfen können. Darum möchte ich darum bitten, dass, wenn Gaben von Kirchen für Kirchen gesammelt werden, diese auch als solche bezeichnet werden, d.h., dass [nicht ein] interkonfessionelles Komitee, sondern einzelne kirchliche Hilfsstellen mit der Verteilung der Gaben beauftragt werden. Den Gemeindegliedern muss gesagt werden: H i e r h i l f t a u c h d i e K i r c h e . Wenn das möglich wäre, wäre es ein grosser Gewinn. Michelfelder: Wir haben in Amerika furchtbar auf die public opinion zu achten. E r s t muss die public opinion anders werden, dann kann der Wendepunkt eintreten. Wir müssen immer erst das Publikum bearbeiten. In diesem Sinne macht auch Truman's Kommission wieder public opinion. - Bei den Russen kann die Kirche sehr wenig tun. - Ob die Bezeichnung als kirchliche Hilfe durch die Kirchen geschehen kann, ist für die nächste Zukunft sehr fraglich. Denn alle Organisationen müssen die Kirchen benutzen, da sie die einzigen sind, die überall hin die Waren leiten können. Dibelius: Ich bitte dann, dabei den amerikanischen Sektor in Berlin nicht zu vergessen. Das meine ich ganz konkret. Sobald in Berlin bekannt wird, dass die amerikanischen Kirchen etwas getan haben, beginnt automatisch ein Wettlauf der Engländer, der Franzosen und sogar der Russen (da die

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Russen Berlin nicht so reichlich mit Lebensmitteln versehen wie die Amerikaner, schaffen sie jetzt Kohlen nach Berlin, wofür die anderen Militärregierungen schwerlich ein Äquivalent finden können). Michelfelder: Wir hoffen, diese Vorschläge berücksichtigen zu können. Ich danke herzlich für Ihr Gehör. Gottes Reich zu bauen, das ist die Hauptsache. Nach Michelfelders Abschied werden die Verhandlungen betreffend Beitritt zum Oekumenischen Rat fortgesetzt. Meiser: Wir müssen uns fragen, was aus diesem Beschluss später gemacht wird 125 . Lilje: Soll man nicht das geographische Prinzip grundsätzlich aufgeben? Das denominationeile wird von den Amerikanern strikt vertreten. In Deutschland scheint nur aus praktischen Gründen das andere Prinzip noch geboten. Held: Der zweite Satz darf nicht gestrichen werden. Unierte Gebiete gibt es in Deutschland viel, in der Oekumene garnicht. Wenn die Kirchen nach Denomination vertreten [wären], so wäre ein wesentlicher Teil der gegenwärtigen deutschen Kirche überhaupt nicht vertreten. Lilje: Das legt aber auf die Dauer gewisse Probleme auf, die von den anderen Kirchen ausgehen. Dibelius: Ist es eigentlich nötig, solche Sache hier zu beschliessen? Ich bin in Bezug auf beide Teile skeptisch. Wir haben zwar einen förderativen [sie!] Charakter, aber wenn wir uns festlegen, machen wir uns die Entwicklungen für die Zukunft schwierig. In Treysa sind wir bei dem Ausdruck "Kirche" geblieben, haben aber hinzugefügt: Diese Kirche ist aber keine Kirche. Wenn sie uns erreichen wollen, dann können sie sich nur an uns, den Rat der EKiD wenden 126 . Eine Vertretung nach konfessionellem Prinzip ist zu schwierig. Niemöller stimmt zu. Meiser: Ich könnte mich begnügen, wenn weiterhin wie bisher erklärt wird: Wir sind förderativ [sie!], als Kirchenbund zu verstehen. Niemöller: Es muss in kurzer Zeit eine deutsche Synode einberufen werden. Ich bitte, diesen Brief noch nicht abzusenden.

125 Gemeint ist das im Antrag (3D3, S. 229f.) formulierte Schreiben an den ÖRK, das im folgenden diskutiert wurde. 126 Nach der in Treysa verabschiedeten vorläufigen Ordnung der EKD war die "Mitarbeit der EKiD in der Ökumene" eine der dem Rat zugewiesenen "besondere)«] Aufgaben" (1E1, S. 14).

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[Personalien Kirchenkanzlei und Kirchliches

Außenamt]

Asmussen: Wir brauchen einen Ausschuss zur Festsetzung unserer Gehälter. Wir haben unter der Voraussetzung gehandelt, dass der Rat dies beschliesst. Niesei: Das müsste ein Ausschuss von nahebeieinander wohnenden Theologen und Juristen sein, die das bearbeiten. Niemöller: Ich brauche jetzt einen Juristen und einen Theologen, die die Dinge machen. Auch die müssen besoldet werden. Dibelius: Die kriegen Pfarrgehalt. Sonst bin ich grundsätzlich der Meinung, dass bei Festanstellungen das gleiche Gehalt gezahlt wird, wie es bisher die Leute der Kirchenkanzlei in der gleichen Stellung erhalten haben. Asmussen: Darüber ist aber Klarheit notwendig. Wurm und Dibelius stimmen zu. Meiser: Dies ganze Problem ist schwierig und kitzlig. Wie steht es mit dem Besoldungsdienstalter? Das müsste in der Anstellungsurkunde ausgesprochen werden. Für Asmussen und Niemöller sollte man das allerdings möglichst bald regeln. Niemöller: Wir sind vorläufig tätig. Asmussen und ich erhalten die normalen Pfarrgehälter aus der Kasse der Kirchenkanzlei. Schwieriger ist es für die anderen Angestellten und Zivilbeamten. Es müssten Listen aufgestellt werden, mit Dienstjähr und früherem Gehalt. Dibelius: Wir müssen einen klaren Unterschied machen zwischen Grundsatz und praktischer Auslegung. Was sollen Niemöller und Asmussen haben? Ich meine, das was ein Oberkirchenrat erhält, etwa Brunotte. Meiser: Welches ist der Dienst der Herren? Arbeiten sie am selben Ort, wo sie wohnen? Haben Sie das Trennungsgeld berücksichtigt? Sind die Herrn viel auf Reisen? Wie steht es mit der Reisekostenvergütung? Was ist rechtens? Niesei: Ein ganz anderer Gesichtspunkt kommt hinzu. Es wurde gesagt, dass Fürle RM 1 100,- Pension bekommen müsse. Es sind also Kürzungen bei solchen, die übernommen werden, unbedingt nötig. Asmussen: Der Rat beschliesst also 1.) dass Pfarrer Niemöller und Asmussen grundsätzlich nach den Gehaltsätzen einer Oberkirchenratplanstelle in der Kirchenkanzlei bezahlt werden. Der Leiter der Kirchenkanzlei setzt sich mit dem württ. Oberkirchenrat darüber ins Benehmen, was das praktisch bedeutet 127 .

127 Vgl. 3B1, S. 118.

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Dibelius: Man sollte auf die Stufe des leitenden Oberkirchenrates gehen. Er hat gewiss Aufwandsentschädigung erhalten. Meiser: Ist das nun beschlossen? Die Stufe der Besoldungsgruppe ist noch nicht festgelegt. Asmussen: Also: N[iemöller] u. A[smussen] werden grundsätzlich nach den Gehaltssätzen des leitenden Oberkirchenrates in der bisherigen Kirchenkanzlei besoldet. Meiser: Welche Reisekosten erhalten die Herrn? Was ist ihr Dienstsitz? Erhalten sie Beschäftigungsgeld? Dibelius: Die alten Dienstreiseregelungen sind überholt. Durch den Autoverkehr ist die Reisekostenentschädigung schon ohnehin anders geregelt. Es sollte nur eine Liquidierung der faktischen Auslagen erfolgen. Das ist in der altpreussischen Union schon seit langem so üblich. Meiser: Das trifft nicht zu. Niesei: Aber fest steht, dass die Kirchenverwaltung dabei billiger wegkommt. Meiser und Asmussen sind sich darin einig, dass es berechtigt sei, auf Reisen mehr Geld zu erstatten. Protokoll über die Sitzung des Rates der EKiD am 13.12.1945, von 15 -19.30 Uhr gefühlt von Dr. Schwarzhaupt. Anwesend sind: Landesbischof D. Wurm, der den Vorsitz führt, Pfarrer Niemöller DD, Landesbischof D. Meiser, Bischof D.Dr. Dibelius, Landesbischof Hahn, Professor Dr. Smend, Oberlandeskirchenrat Dr. Lilje, Superintendent Held, Pastor Asmussen D.D., Pastor Lic. Niesei, Rechtsanwalt Dr.Dr. Heinemann. Nicht anwesend ist: Oberstudiendirektor Meier [Meyer].

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Zu der Sitzung des Rats war eine Kommission von Vertretern des Britischen Rates der Kirchen, begleitet von einigen Vertretern der amerikanischen Besatzungsmacht, erschienen, nämlich: Dean of St. Paul's Cathedral, D. Matthews, London, als Vertreter der anglikanischen Kirche, Professor Bailley [Baillie], Edinburgh als Vertretung der schottischen Kirche, Rev. Aubrey (Baptist) für die englischen Freikirchen, Rev. Waddams, Sekretär der anglikanischen Kirchen für auswärtige Angelegenheiten, Mr. Cutter [Coiier], Vertreter des engl. Hauptquartiers, Abtlg. für kirchliche Angelegenheiten, sowie als Vertreter der amerikanischen Besatzungsmacht: Captain Kenney [Kenny], Dr. Olson [Olsen], Dr. Haiberg [Hoiberg], Dr. Dierks. Landesbischof Wurm begrüßt die erschienenen Vertreter der ausländischen Kirchen und dankt ihnen für ihre Anteilnahme an dem Ergehen der deutschen Kirchen und des deutschen Volkes, die sie mit ihrem Besuch zum Ausdruck bringen. "Sie wissen, wie sehr wir Mitglieder der vorläufigen Leitung der Evang. Kirche in Deutschland durch alles Leid bedrückt sind, das die frühere deutsche Regierung verursacht hat. Wir sind froh darüber, daß die christliche Gemeinschaft alles Trennende zwischen den Völkern überbrücken kann. Die Zerstörungen die der Nationalsozialismus in die Welt und in das deutsche Volk gebracht hat, sind unabsehbar. Wir denken dabei nicht nur an äußere Zerstörungen, sondern vor allem an den Verlust von geistigen und sittlichen Werten. Wir wissen nicht, wie die Trümmer beseitigt werden sollen. Nur Gottes Macht kann uns helfen, diese schwerste Periode zu überwinden. Wir sind dankbar für die Hilfe des Auslandes und richten dabei vor allem den Blick auf den Osten unseres Landes. Besonders dankbar sind wir dafür, daß England und die englische Kirche ihr Augenmerk auf die furchtbaren Folgen der Ausweisungen im Osten gerichtet haben. Das Flüchtlingselend ist kaum zu bewältigen. Wir bitten die ausländischen Kirchen, wenn es ihnen möglich ist, ihren Einfluß bei den politischen Mächten dahin geltend zu machen, daß sie diese Verhältnisse ändern und unserem Volk den Raum zum Leben wieder frei machen."

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Wir sind dankbar für die Botschaft des Bischofs von Canterbury an das deutsche Volk 128 ; vor allem sind wir dankbar für das Versprechen, unserem Volk zu helfen und auf die Herstellung einer neuen Gemeinschaft zwischen dem deutschen Volk und den andern Völkern hinzuarbeiten. Wir werden dem Erzbischof eine Antwort zugehen lassen und Sie bitten, sie an ihn weiterzuleiten 129 . Dean of St. Paul's: Ich bin dankbar für den Vorzug, zu diesem Gremium zu sprechen und will zu Beginn den Zweck unseres Besuchs in Deutschland darlegen. Wir kommen als Vertreter des Britischen Rates der Kirchen, ich selbst für die anglikanische Kirche, Professor Bailey [Baillie] für die schottische Kirche. Unser Besuch hat keinen politischen Zweck oder Auftrag. Sein Ziel ist vor allem, den Kontakt zwischen den evangelischen Kirchen in Deutschland und England wiederherzustellen und so viele persönliche Beziehungen wie möglich anzuknüpfen. Wir bringen eine Botschaft brüderlichen Mitgefühls und guten Willens von unserem Volk zu dem Ihrigen. Ich will auch darauf hinweisen, daß ich in der St. Paul's Kathedrale in London niemals aufgehört habe, für die Christen in anderen Ländern, vor allem auch für die Christen in Deutschland zu beten. Unsere weitere Absicht ist die, die augenblickliche Lage der Evang. Kirche in Deutschland eingehend zu studieren und zu erkennen, wie wir in irgend einer Weise helfen können, wenn wir auch nicht hoffen können, bei diesem Aufenthalt zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Wir haben viel Zerstörung gesehen, den Zusammenbruch einer zivilisierten Gesellschaftsordnung, und haben begriffen, unter welchem Maß von Ungewißheit jeder Deutsche leidet. Wir haben aber auch mit Befriedigung und Freude die Lebenskraft der christlichen Kirchen in jedem Teil dieses Landes erkannt. Wir hatten viele Unterredungen mit evangelischen und katholischen Kirchenführern. Am meisten beeindruckt waren wir von der objektiven Weise, mit der der katholische Bischof in Paderborn und der evangelische Bischof in Berlin die Lage des Landes beschrieben haben 130 . Mehr als jemals bin ich überzeugt, daß die evangelische Kirche die Kraft der ewigen Welt in sich trägt. Ich sehe mit Dankbarkeit die Anzeichen für eine zunehmende Einheit der Christen verschiedener Länder. Ich muß auch erwähnen, mit wieviel ernster Anteilnahme die für die kirchlichen Dinge zuständigen Vertreter der Besatzungsmächte 128 Vgl. 3D5 (S. 231ff.) und M. GRESCHAT, Schuld, S. 126f. 129 Vgl. 3C1 (S. 215ff.). 130 Vgl. dazu die beiden Berichte über die DeutscbUnd-Besucbe der britischen Delegationen im November

und Dezember

1945: C . VOLLNHALS, Z u s a m m e n b r u c h , S. 266-286, 286-296.

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945 bemüht sind, der Kirche in Deutschland zu helfen. Wir wissen, daß die Wunden dieses Landes tief sind, aber es darf nicht vergessen werden, daß vielen Völkern Europas tiefe Wunden geschlagen sind und daß die ganze europäische Zivilisation in einer schweren Krise steht. Die Entwicklung der Forschung auf dem Gebiet der Atomenergie hat die Zivilisation vor ein unausweichliches Entweder - Oder gestellt131. Die Kirchen der Welt haben eine Rolle von immenser Wichtigkeit zu übernehmen. Es war niemals klarer als heute, daß die Una Sankta [sie!] die einzige wirkliche Hoffnung der Welt ist, und es wird darauf ankommen, daß jedes Glied einer christlichen Kirche dafür zu arbeiten hat, daß die allgemeine Uberzeugung von der Gemeinsamkeit der christlichen Kirche vertieft wird. Diese soll nicht gehindert werden durch die Betonung theologischer Unterschiede. Am wichtigsten ist zur Zeit jedoch die Gemeinsamkeit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

Wir kommen nicht als Feinde sondern als Freunde und hoffen, daß diese Freundschaft immer fruchtbarer wird. Der Dean von St. Paul's schloß mit dem Wort von Paulus 132 : "Gnade sei mit allen, die unsern Herrn Jesus Christus lieb haben unverrückt 133 ." Prof. Bailey [Baillie]-. Dem, was der Dean von St. Paul's über den Zweck unseres Besuches gesagt hat, habe ich nichts hinzuzufügen. Die Lage der Deutschen im Osten ist vielleicht nicht das wichtigste, was heute zu erörtern wäre, aber da Herr Landesbischof Wurm davon gesprochen hat, will ich auch etwas dazu sagen. Diese Frage ist sehr heikel; sie ist eine politische Frage. Herr La.Bi. Wurm hat uns nach dem christlichen Einfluß auf die politischen Instanzen unserer Länder in dieser Frage angesprochen. Was ich tun kann, ist, etwas über die öffentliche Meinung in England in Bezug auf die Zustände im Osten Deutschlands zu sagen. Wir hören mit Schrecken und Anteilnahme von dem schweren Schicksal der Menschen im Osten Deutschlands, aber man darf nicht vergessen, daß unsere öffentliche Meinung seit Jahren tief beeindruckt worden ist von den schweren Leiden der Russen und der Polen in den von Deutschland besetzten Gebieten. Wir haben ein Hilfswerk für die Russen und Polen organisiert. Die überwiegende Meinung in England wird die sein, daß das, was die Deutschen jetzt erdulden, nicht heranreicht an die Leiden der Russen und der Polen. Ich behaupte nicht, daß das richtig ist. Es ist aber die öffentliche Meinung in England. Sie werden daher verstehen,

131 Im August 194} hatte die amerikanische Luftwaffe die ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki geworfen, um damit die Kapitulation Japans zu erzwingen.

132 Hsl. korrigiert aus: "In mir wurde in diesen Tagen besonders lebendig das Wort von Paulus". 133 Eph 6,24.

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daß es bei dem augenblicklichen Stand der öffentlichen Meinung schwer ist, ein tiefer gehendes Mitleid für die Deutschen im Osten hervorzurufen; der einfache Mann wird sagen, die Deutschen hätten diese Leiden verdient. Ich selbst und viele Christen werden das nicht so sagen; aber ich denke, Sie werden verstehen, wie schwer es für uns ist, die Aufgabe zu erfüllen, von der La-Bi. Wurm gesprochen hat. Weiter ist zu beachten, daß in England eine beträchtliche Neigung besteht, mit Rußland gut zusammenzuarbeiten. Man wendet eine große Sorgfalt auf, um Schwierigkeiten zwischen den Verbündeten zu vermeiden. Dies zwingt zur Zurückhaltung, aber ich bin überzeugt, daß ich nicht nur für mich, sondern auch für meine Kollegen spreche, wenn ich zusage, alles zu tun, was mir möglich ist, um die schrecklichen Leiden der Deutschen im Osten zu beenden. Es kam mir nur darauf an, die öffentliche Meinung in England und Amerika darzulegen. Vielleicht machen sich einige Kirchenführer in Deutschland die Stärke dieser Gefühle im Ausland nicht klar. In Holland, Belgien und Frankreich, wo ich kürzlich gewesen bin, bestehen noch starke Gefühle gegen Deutschland. Das sind keine christlichen Gefühle, aber wenn wir nach Lösungen suchen, müssen wir die Lage sehen wie sie ist. Ich will diese Lage nicht rechtfertigen, aber sie ist so. Asmussen: Wir haben alle Ursache, die Verhältnisse in ihrer vollen Schwere und Aussichtslosigkeit zu sehen. Aber wir kommen nicht als Politiker sondern als Männer der Kirche zusammen. Was für die Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich. Daß Brüder aus England und Amerika hier sind, zeigt uns, daß auch dort Menschen an das Evangelium glauben. Wir freuen uns von Herzen über jeden Besuch aus England und Amerika. Er bedeutet für uns eine Hilfe, eine Stärkung des Glaubens an Gott, der das Unmögliche möglich macht. Ich stimme dem Dean von St. Paul's zu in seiner Beurteilung der ungeheuren Gefahr, die die Atombombe bedeutet. Es sieht so aus, als ob nicht der Fortschritt, sondern die Zerstörung am Ende der Welt stehe. Wir wollen deshalb die Beziehungen der Kirchen so eng wie möglich gestalten, denn allein in der Kirche leben die Mächte, die der Zerstörung entgegentreten, die uns von dieser Erfindung droht. Deshalb wollen wir uns immer fester die Bruderhand reichen zum Wohl der Menschheit. Unser Gruß gilt auch den Vertretern der amerikanischen Kirchen, die unter uns weilen. Professor Aubrey: Ich habe zu dem Gesagten nicht viel hinzuzufügen. Es ist alles wahr. Es war für uns eine beruhigende Erfahrung, Träger von Namen, die wir seit langem kennen und ehren, persönlich zu sehen, vor allem die Herren: Wurm, Dibelius, Meiser, Niemöller. Wenn wir nach

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England kommen, wird man mit Freude hören, daß ich Ihnen begegnet bin. Wir vertreten sehr verschiedene kirchliche Traditionen. Aber wenn wir uns abends über die Eindrücke dieser Tage unterhalten, wird man kaum die kirchlichen Richtungen unterscheiden können, aus denen wir stammen. Wir bringen gemeinsam die Grüße der britischen Christen zu Ihnen als christlichen Männern, und wir hoffen, daß wir uns als Christen verstehen. Wir haben ein deutliches Empfinden für die ungeheuren Probleme, vor denen die deutschen Kirchen stehen. Der Zusammenbruch des Nationalsozialismus hinterließ ein Vakuum [sie!], das gefüllt werden muß, und wir sind überzeugt, daß es die Kirchen sind, die es so füllen werden, wie es gefüllt werden soll. Wir versichern, daß wir mit allem Interesse und echter Anteilnahme den Wiederaufbau der Kirchen in Deutschland begleiten. Die öffentliche Meinung in den anderen Ländern steht schroff gegen Deutschland. In England haben die protestantische und die katholische Kirche eine gemeinsame Delegation an den Premierminister gesandt und ihm die grausamen Folgen der Deportationen der deutschen Bevölkerung aus den von Polen und der Tschechoslowakei besetzten Gebieten dargestellt 134 . Der Premierminister hat unsere Vorstellungen mit Geduld und Anteilnahme angehört. Wir versprechen weiter zu tun, was möglich ist. Nahrungsmittel und Kleidung sind überall knapp, auch bei uns. Trotzdem haben wir viel auf den Kontinent geschickt. Wir haben ein Comité aller christlichen Kirchen, mit Ausnahme der katholischen, gebildet, um Europa zu helfen 135 . Wir sind ein armes Land, aber Deutschland wird bei unseren Plänen für eine Hilfeleistung nicht übergangen werden. Die Vergangenheit kann nicht sofort wieder vergessen werden. Wir wollen aber alles vermeiden, was die Zukunft noch schwerer macht. Wir wollen mit den deutschen Brüdern gemeinsam beten und mit ihnen hoffen, daß etwas vom Geiste Jesu Christi erwacht in der ganzen Welt. Dibelius: Als einziger Vertreter einer deutschen Kirche aus dem Osten möchte ich unseren Gästen meinen besonderen Dank aussprechen. Die Schwierigkeiten, unter denen wir leiden, sind nicht zuletzt politischer Art. Unser Herz als Christen zieht uns vor allem zu den Brüdern in Eng134 Diese Delegation von 20 Kirchenvertretern aller Bekenntnisse unter Führung des Erzbischofs von York war am 13 September 1945 bei Premierminister Attlee vorstellig geworden; die Initiative ging auf Bischof Bell zurück (vgl. R.C.D. JASPER, Bell, S. 293; vgl. auch C. VOLLNHALS, Zusammenbruch, S. XXXVI). 135 Zu dem Mitte 1943 unter Bischof Bell konstituierten "British Committee for Reconstruction of Christian Institutions" vgl. EBD., S. XXX.

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land und Amerika, aber wir dürfen bei den Russen nicht den Eindruck erwecken, als seien wir nur westlich orientiert. Wir erinnern auch daran, daß zu der ökumenischen Bewegung auch immer die Ostkirchen gehört haben. Diese haben eine Zeit des Leidens hinter sich, das schlimmer ist als unsere Leiden. Dr. Deißmann 136 , ein Kenner der kirchlichen Verhältnisse im Osten, hat ausgesprochen, daß die Ostkirchen die frömmsten Kirchen der Welt seien. Wir spüren, daß dort die Verfolgung den Glauben vertieft hat. Daher können wir Deutschen nur darum bitten, daß man uns, aber daß man auch die Ostkirchen nicht vergißt. Wir danken Gott, daß er unseren Blick nach dem Osten gerichtet hat. Was wir dort sahen, führt uns zu der Erkenntnis, daß Gott uns vielleicht durch das, was wir erleiden müssen, reif machen will für sein ewiges Reich. Wurm: Wir verstehen, daß die Kirchen in England und Amerika durch eine öffentliche Meinung behindert sind, die noch unter dem Eindruck des Schrecklichen steht, was der Nationalsozialismus im Kriege hat geschehen lassen. Wir wissen das und wollen es unserem Volke klar machen. Aber unser Volk hat eine Ermunterung nötig; das Gefühl der Verbundenheit mit den Kirchen des Auslandes bedeutet für es eine Stärkung. Dafür danken wir Ihnen. Rev. Waddams: Die Lage der Ostkirchen ist kompliziert, und es ist nicht leicht, sie kurz zu beschreiben. Ich habe sie vier Jahre studiert. Die Führer der russisch-orthodoxen Kirche standen ehrlich zu der ökumenischen Bewegung. Es läßt sich aber schwer sagen, wie weit für sie noch die Möglichkeit zu einer vollen Anteilnahme an dieser Bewegung besteht. Es ist selbstverständlich, daß die Haltung der Sowjet-Union in ihren internationalen Beziehungen nicht ohne Einfluß auf die Haltung der orthodoxen Kirche gegenüber den Kirchen des Auslandes bleiben kann. Im eigentlich kirchlichen Raum hat die Kirche in Rußland jetzt volle Freiheit. Dabei ist die Haltung der russischen Regierung durch praktische Erwägungen bestimmt. Etwas anderes kann auch von ihr nicht erwartet werden. Diese Freiheit, die der Kirche im Lauf des Krieges eingeräumt worden ist, ist so beträchtlich, daß sie zur Zeit nicht wieder eingeschränkt werden kann 137 . Die Sowjet-Regierung hält die Kirche für ein nützliches Mittel zur Förderung der Einheit der Völker der Sowjet-Union. Ich weiß keine unmittelbare Maßnahme, die die Beziehungen der orthodoxen Kirche zu den Auslandskirchen beschränkt. Aber die russischen Kirchen finden sich 136 Gemeint ist der Neutestamentier und Ökumeniker Adolf Deißmann. 137 Im September 1943 hatte Stalin die Wiedererrichtung des Patriarchats angekündigt und dabei geäußert, daß die kommunistische Partei das russische Volk nicht länger seiner Kirche und der Gewissensfreiheit berauben könne (vgl. dazu W. DE VRIES, Kirche, S. 16f.).

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mit der bestehenden Situation ab. Sie kämpfen nicht um Möglichkeiten, die sich vielleicht nicht durchsetzen lassen. Die Führer der anglikanischen Kirche bemühen sich um engere persönliche Beziehungen zur orthodoxen Kirche und empfingen bis jetzt nur günstige Eindrücke. Wir brauchen die orthodoxe Kirche in der Gemeinschaft der christl. Kirchen. Meiser fragt nach den Aussichten für eine Union zwischen röm-kath. und orthodoxer Kirche. Waddam[s]: Diese Bemühungen halte ich für aussichtslos. Sie stoßen bei den Russen nur auf Abneigung. Dibelius fragt nach dem Stand der römisch-kath. Kirche in Rußland. Waddam[5]: 1939 gab es nur einen römisch-kath. Geistlichen in Moskau. Die Führer der Orthodoxen-Kirche werden sich nie auf eine politische Diskussion mit dem Ausland einlassen. Sie sind dankbar für die Möglichkeiten, die der Krieg geboten hat und knüpfen Hoffnungen daran. In öffentlichen Verlautbarungen wird von Stalin als dem "gottgeschenkten Führer" gesprochen138. Meiser: Was sagen die russischen Christen zu den unchristlichen Maßnahmen ihrer Regierung? Waddam[i]: Seit Beginn des Krieges hat die Sowjet-Regierung keine anti-religiöse Aktivität mehr entfaltet. Bei einem Treffen von Front-Propagandisten hat Stalin gesagt, man könne die Religion durch Erziehung bekämpfen, aber man müsse die Meinung der Gläubigen beachten und könne eine spöttische Behandlung der religiösen Meinung anderer nicht dulden139. Dean von St. Paul's fragt nach der Haltung der Jugend in Deutschland. Asmussen: Unter der Jugend gibt es mehr wirkliche Christen als man erwartet hätte. Andererseits gibt es mehr bewußte Nihilisten als man erwarten konnte. Die Jugend kann nicht mehr unentschieden sein. Sie hatte zu viel auf einen politischen Glauben gesetzt. Jetzt, nachdem dieser zusammengebrochen ist, können sie an nichts mehr glauben. Heute kann ihnen keine politische Propaganda mehr einen politischen Glauben geben. Viele haben sich unter großen Opfern von dem Nationalsozialismus fern gehalten. Auch unter der Jugend, die durch die HJ gegangen ist, haben sich viele ein unbeflecktes Herz erhalten. Für sie ist die Kirche und ihr Glaube die einzige Hoffnung.

138 So hatte etwa Metropolit Sergej Stalin am 7. November 1942 in einer Grußadresse als "den göttlich gesalbten Führer" angeredet 0.S. CURTISS, Kirche, S. 275). 139 Vgl. EBD., S. 285.

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Lilje: Es besteht eine große Gefahr, daß die Jugend in den 140 Nationalsozialismus zurückfällt, wenn eine neue Enttäuschung kommt. Dies ist noch nicht eingetreten, es besteht aber die Gefahr. Unter Druck kann aus dem Nihilismus eine Art von paganisiertem Nationalismus werden. Wer Deutschland helfen will, soll deshalb der Kirche helfen, wenn nicht aus christlichen, so aus politischen Motiven. Niemöller unterstreicht die Ausführungen von Lilje. Man kann von dieser Jugend, die mit 15 Jahren in den Krieg zog, in eine zusammengebrochene Heimat zurückkehrt, keine Aussicht hat zu studieren, beruflich weiterzukommen, kein unbegrenztes Maß an seelischer Kraft verlangen. Viele stehen vor der Verzweiflung. Geben Sie uns Schulen und Universitäten zurück und Sie werden eine Menge Seelen retten. Kaum 20 Prozent der Studierenden, die sich melden, können von den Universitäten angenommen werden. Andere Arbeitsplätze oder Lehrstellen sind nicht zu finden. Lilje: Der Nihilismus in der deutschen Jugend ist psychologisch zu erklären. Die Jugend ist an große pathetische Worte gewöhnt worden. Sie verlor mit dem Glauben an diese Worte den Glauben an alle Werte, auch an das christliche Vokabular. Sie flieht in mondäne Vergnügungen. Die kommunistische Ideologie spricht sie nicht sehr an. Die Beispiele] aus dem Osten schrecken ab. Daraus ergibt sich eine Chance für einen Underground-Nationalismus . Dibelius: Eine Hilfe der Besatzungsmächte in der Schul- und Universitätsfrage wäre sehr wichtig. Das Haupthemmnis ist die Entnazifizierung der Schulen. Die Entnazifizierung der Industrie hindert die Errichtung der für die Jugend so notwendigen Lehrlingswerkstätten. Wurm: Ich hoffe, die Aussprache hat Ihnen etwas mitgegeben für Ihre weitere Reise. Dean of St. Paul's dankt für die Aussprache. Diese Zusammenkunft mit Ihrem Kreise, die letzte unserer Reise, hat uns besonders viel gegeben. Während des gemeinsamen Kaffeetrinkens wurde noch eine Reihe weiterer Fragen besprochen, insbesondere die von Professor Bailey [Baillie] gestellte Frage nach dem Bestehen liberaler Tendenzen unter den evangelischen Pfarrern, die weitere Frage des verschiedenen Verhältnisses der deutschen und der englischen christlichen Kirchen zum Kommunismus und anderes mehr. Nach dem Kaffee verabschiedeten sich die ausländischen Gäste unter nochmaliger Versicherung ihrer Dankbarkeit für die Anregungen und Belehrungen, die ihnen die Aussprache mit dem Rat der EKiD gegeben hat. Nach dem Kaffee wurde die Sitzung wieder eröffnet. 140 Hsl. korrigiert aus: "in einer Art Nationalsozialismus"

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[Wort an die Christen in England]

Landesbischof Wurm verliest den anliegenden Entwurf 141 für eine Antwort an den Erzbischof von Canterbury auf seine Rundfunkansprache vom 29.11.45 142 . Lilje bittet, den letzten Satz des zweitletzten Absatzes fallen zu lassen, da er vielleicht in England als ein unfeiner Versuch einer zur Zeit noch nicht erwünschten Annäherung empfunden werden könnte. Er hat auch Bedenken gegen den letzten Absatz des Entwurfs. Die Gegenüberstellung der Wünsche für Glück und Gedeihen für das britische Volk und der Notwendigkeit der Buße für das deutsche Volk könnten verletzend wirken. Meiser: Man muß den Eindruck vermeiden, als suche man eine besondere Anbiederung mit England. Hahn hat die gleichen Bedenken. Er empfiehlt auch, den Satz über die Gefahr einer Verschärfung des Nationalismus zu streichen, da er als Drohung verstanden werden könnte. Dibelius: Auf Seite 3 sollte man der englischen Mentalität im Ausdruck mehr entgegen kommen. Der Ausdruck "sich zu rächen" und "Geist der Rache und Vergeltung" sollte vermieden werden und durch allgemeinere Wendungen ersetzt werden. Auch der Satz "daß die vorsätzliche Brandstiftung ..." würde besser fallen. Held: Auf Seite 1 im vorletzten Absatz würde man statt "wir verstehen es auch ..." besser sagen "wir wissen ...". Wurm: Jede Beziehung auf Rußland bleibt, gerade nach dem Eindruck der heutigen Besprechung, am besten weg. Niemöller: Wenn auf der letzten Seite Satz 2 des letzten Absatzes wegfällt, könnte statt dessen ein allgemeiner gefaßter Satz an den Schluß treten, etwa der, daß wir wünschen, daß der Geist Gottes sich in der ganzen Welt mächtig und segensreich erweise. Dibelius: Sollte man sich in dem Schlußsatz nicht darauf beschränken, den christlichen Kirchen in England Gottes Segen zu wünschen? Wurm: Zu dem Bedenken von Lilje gegen den letzten Satz des vorletzten Absatzes auf Seite 4: War nicht die Rede des Bischofs von Canterbury eine Bitte um eine Annäherung? Asmussen: Ich meine, die Rede war ein so einmaliger Akt, daß man sie nicht anders als in diesem Sinn verstehen kann. 141 3D6(S. 233-236). 142 Vgl. 3D5 (S. 231ff.) und

M . GRESCHAT,

Schuld, S. 126f.

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Meiser: Legen wir uns nicht zu sehr politisch fest? Der Erzbischof von Canterbury ist ein Exponent britscher Politik; müssen wir aber auch politisch antworten? Lilje: Der Schluß des zweitletzten Absatzes könnte ohne Schaden fehlen. Der Entwurf müßte redaktionell durchgearbeitet werden und einen neuen Schlußabsatz erhalten, der entweder ganz pneumatisch gehalten wäre, oder statt des Satz 2 eine allgemeinere Wendung enthielte. Niemöller schlägt für den Schlußabsatz vor: "Wir bitten darum, daß Gott dem deutschen Volk aus Buße, Glaube und Liebe einen neuen Anfang schenkt. Damit wird es auch in seiner Armut reich werden. Wir bitten auch darum, daß der ewig reiche Gott der ganzen Welt den Frieden schenken möge." Held: Wir müssen in dem Schlußsatz erkennen lassen, daß nicht die Engländer die Gestalter unseres Schicksals sind. Smend: Bei der jetzigen Fassung ist nur davon die Rede, was w i r brauchen und was die Welt braucht. Eine Bitte für England fällt weg. Meiser: Vielleicht sollte der Schluß eine Beziehung auf Weihnachten enthalten. Asmussen: Ist eine solche Beziehung nicht in der Bitte um Frieden für die ganze Welt enthalten? Der Entwurf sollte noch einmal redigiert werden. Er kann dann wohl morgen verlesen und beschlossen werden. Meiser: Auf Seite 4 sollten in dem Satz "Um diesen Dienst ..." die Worte "und besonders in England" wegfallen, da sie als eine Kritik an England verstanden werden könnten 143 . Niemöller: Der Satz würde dann lauten: "Um diesen Dienst bitten wir die ganze Christenheit". Wurm ist damit einverstanden, heute abend zusammen mit Asmussen D.D. den Entwurf zu redigieren und ihn morgen früh in neuer Fassung vorzulegen. [Kasse]

Zu Antrag 9.) Asmussen stellt folgenden Antrag: Dem Hilfswerk wird eine einmalige Zahlung von RM 25 000,- aus Mitteln der Kirchenkanzlei gewährt 144 .

143 Hsl. korrigiert aus: "da sie eine Kritik an England enthalten". 144 Vgl. dazu S. 163, Anm. 149.

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Dibelius bittet vor Entscheidung über den Antrag um Auskunft über die Verwendung des Kassenbestandes der Kirchenkanzlei von RM 300 000,Ihm war für Ausgaben der EKiD im Osten die Hälfte dieses Betrages zugesagt worden145. Obgleich der Personalbestand der KK im Osten gering ist, wird das Geld für den Kirchendienst Ost146 gebraucht. Der Kirchendienst Ost hat große Aufgaben an den Verdrängten aus dem Osten. Die Dienstreisen für diese Zwecke erfordern einen beträchtlichen Aufwand. Asmussen: Ich bin bereit, die Auszahlung dieser RM 150 000,- zu veranlassen, sobald entschieden ist, daß die Beamten der KK, die sich im Osten aufhalten, zur Kompetenz von Bischof Dibelius gehören und von diesem finanziell versorgt werden, und sobald eine Verordnung über den Abbau von Kirchenbeamten beschlossen ist147. Dibelius: Ich übernehme und besolde die Beamten der KK und des alten kirchlichen Aussenamtes, die sich in der russisch besetzten Zone aufhalten. Asmussen: Wenn außerdem die Abbauverordnung erlassen ist, wird die Auszahlung der RM 150 000,- veranlaßt werden.

145 Obwohl der Berliner Zweitstelle der Kirchenkanzlei durch Beschluß des Rates vom 18./19. Oktober 1945 RM 150.000,- zugesagt worden waren (vgl. 2C1, S. 59), hatte Asmussen im Zuge der Übernahme der Kirchenkanzlei am 24. Oktober 1945 "nach Prüfung der Verhältnisse in Göttingen" von dort aus in einem Schreiben an Dibelius Einspruch gegen die Uberweisung erhoben (EZA BERLIN, 2/769). 146 Der Plan zur Gründung einer besonderen Einrichtung, die für die Anliegen der aus den Ostgebieten geflüchteten kirchlichen Amtsträger und ihrer Angehörigen Sorge tragen sollte, ging auf die Kirchenführerkonferenz von Treysa im August 1945 zurück (vgl. dazu das Wort "An die aus den östlichen Kirchengebieten Deutschlands verdrängten und geflüchteten kirchlichen Amtsträger und ihre Angehörigen"; Abdruck: F. SÖHLMANN, Treysa, S. 93-96). Der Rat hatte dann die am 18./19. Oktober 1945 eingerichtete Zweitstelle der Kirchenkanzlei in Berlin offiziell beauftragt, "einen Kirchendienst Ost gemäß den Beschlüssen von Treysa zu unterhalten" (vgl. 2C1, S. 59). Der Kirchendienst Ost hatte seine Arbeit schon am 28. September 1945 mit der Bezeichnung "Der evangelische Bischof von Berlin. Kirchendienst Ost" unter der Leitung Richard Kammeis aufgenommen. Seine Aufgaben bestanden zunächst in der unmittelbaren Beratung und Betreuung der geflüchteten resp. vertriebenen Ostpfarrer in Finanz-, Berufs- und Rechtsfragen, später zunehmend in der kirchlichen Fürsorge für die evangelischen Restgemeinden und Gemeindemitglieder in den deutschen Ostgebieten, die seit 1945 unter polnischer Verwaltung standen (zur Geschichte des Kirchendienstes Ost in den ersten zehn Nachkriegsjahren vgl. H. RRUSKA, Zehn Jahre; vgl. außerdem H. RUDOLPH, Vertriebene, Bd. 2, S. 200, Anm. 58, S. 363f.). Die Arbeit des Kirchendienstes Ost war auf die sowjetische Besatzungszone beschränkt; ähnliche Aufgaben für den Westen übernahm der am 29-/31. Juli 1946 gegründete Ostkirchenausschuß (vgl. dazu 8B1, S. 646f). 147 Vgl. dazu 3B1, S. 120; 3C3 (S. 218f); 3C4 (S. 219f.).

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Dibelius fragt, wie es sich mit den RM 25 000,- verhält, die das Hilfswerk erhalten soll. Asmussen liest aus einem Schreiben von Dr. Steckelmann vor, daß aus dem Haushalt des Vorjahres ein Betrag von RM 28 000,- für kirchliche Außenarbeit nicht verbraucht worden ist, und daß Dr. Steckelmann den Betrag auf Bitten von Gerstenmaier für diesen nach Stuttgart mitgenommen hat. Die Anweisung wurde auf Herrn Pressel148 ausgestellt und diesem übergeben 149 . Dibelius: Es würde sich also jetzt darum handeln, diese nachträgliche Uberweisung aus dem Etat des Vorjahres für ökumenische Arbeit zu genehmigen. Asmussen: Da das Geld nicht für ökumenische Arbeit verwandt worden ist, würde diese Genehmigung nicht genügen. Meiser: Ist es ohne weiteres gestattet, Etat-Mittel für andere Zwecke zu verwenden? Asmussen: Gerstenmaier hätte den Rat fragen müssen. Heinemann: Kann man nicht Rückzahlung verlangen? Der Antrag wird in folgender Fassung angenommen: Die einmalige Zahlung von RM 25 000,- an KR Gerstenmaier für Zwecke des Hilfswerks aus Mitteln der KK wird gut geheißen. Asmussen: Ich hebe die Sistierung des Beschlusses der vorigen Ratssitzung, an Bischof Dibelius, die Hälfte des Barbestandes der Kirchenkanzlei zu überweisen, auf. [Hilfswerk]

Zu Antrag 10 Asmussen stellt folgenden Antrag: Pfarrer Niemöller D D wird in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzer des Rates zum ständigen zweiten Leiter des Hilfswerk berufen.

148 Der württembergische Oberkirchenrat Wilhelm Pressel war seit 1945 Bevollmächtigter für das Hilfswerk und dessen Hauptgeschäftsführer. 149 Vgl. dazu das Schreiben Steckelmanns an Asmussen vom 8. November 1945, aus dem hervorgeht, daß der im Haushalt 1944 für "zwischenkirchliche Arbeit" vorgesehene Betrag wegen Gerstenmaiers Verhaftung nicht mehr verausgabt werden konnte (EZA BERLIN, 2/769). Das Problem lag darin, daß Gerstenmaier die ursprünglich für kirchliche Auslandsarbeit vorgesehenen Mittel jetzt für Zwecke des Hilfswerks verwenden wollte

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Er begründet den Antrag damit, daß eine enge Klammer zwischen der Arbeit der Oekumene und dem Hilfswerk nötig sei150. Niemöller: Als ich die Bearbeitung der ökumenischen Aufgaben übernahm, ging ich davon aus, daß Gerstenmaier auf die innerdeutsche Arbeit des Hilfswerks beschränkt sei. Aber Gerstenmaier hat auch alle ökumenische Arbeit des Hilfswerks an sich gezogen. Diese Praxis wird unterstützt, wenn die bayrische Landeskirche eine Anregung, sich um die Sistierung der Rückführung der Ostflüchtlinge zu bemühen, an Gerstenmaier statt an mich richtet 151 . Gerstenmaier war in der Schweiz, ohne sich mit mir vorher oder nachher in Verbindung zu setzen152. Der Arbeit des Außenamtes wird damit ein wesentliches Gebiet entzogen. Eine Regelung muß getroffen werden. Wurm: Die Angelegenheit muß in einer Besprechung zwischen Niemöller, Asmussen, Gerstenmaier und mir erörtert werden. Meiser: Vor einer Entscheidung müßte auch Gerstenmaier gehört werden. Asmussen: Es geht nicht an, daß Ausländer kommen und mich fragen, wer der Vertreter der EKiD gegenüber dem Ausland ist und welche Rolle Herr Gerstenmaier dabei spiele. In Zürich wurde die mehr politische als kirchliche Orientierung Gerstenmaiers beanstandet. Die Angelegenheit muß in Frieden auf eine gemeinsame Linie zwischen dem Außenamt und dem Hilfswerk gebracht werden. Held: Wie die Dinge liegen, insbesondere bei der persönlichen und sachlichen Situation Gerstenmaiers, würde der gestellte Antrag die erforderliche Klärung nicht herbeiführen. Eine Aussprache zwischen den Beteiligten ist nötig. Dibelius: Niemöller war ein doppelter Auftrag gegeben. 1.) die Fürsorge für die Auslandspfarrer; Krummacher hat gebeten, dazu Pfarrer Peters153 heranzuziehen, 2.) war ihm die ökumenische Arbeit übertragen. Diese kann aber niemals eine ausschließliche Zuständigkeit eines Einzelnen begründen. Der Beauftragte der EKiD übernimmt zwar die Vertretung in ökumenischen Tagungen. Es bleibt aber erforderlich, daß auch viele 150 Zurfolgenden Diskussion vgl. S. 119, Anm. 18. 151 Der bayerische Landeskirchenrat hatte in einem Schreiben vom 4. Dezember 1945 an das Hilfswerk der EKD die Bitte gerichtet, "energische Vorstellungen zu versuchen, daß die erneute Verlagerung der schlesischen Flüchtlinge unterbleibt, und Wege zu suchen, daß dem Elend der ziellos wandernden Soldaten ein Ende bereitet werde" (LKA NÜRNBERG, Meiser 137). 152 Zu Gerstenmaiers Besuch in der Schweiz im November 1945 vgl. E. GERSTENMAIER, Streit, S. 251£ 153 Gemeint ist Hans-Helmut Peters, der 1939/40 Hilfsarbeiter im Kirchlichen Außenamt der DEK und dann bis August 1944 Pastor der deutschen Gemeinde in Paris gewesen war.

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andere Beziehungen von im deutschen kirchlichen Leben stehenden Persönlichkeiten auf dem ökumenischen Gebiet fortgesetzt werden, zumal die Ausländer sich an die ihnen bekannten Persönlichkeiten wenden, z.B. Lilje muß seine ökumenischen Beziehungen weiterpflegen. Es ist daher auf diesem Gebiet eine losere Art des Arbeitens nötig. Man kann auch Gerstenmaier nicht verbieten, seine ausländischen Beziehungen aus der Arbeit des Hilfswerks selbständig zu unterhalten. Er müßte allerdings an Niemöller berichten. Der Beauftragte des Rates für ökumenische Tagungen wird erst mit der Zeit auf Grund der Teilnahme an diesen Tagungen zum Mittelpunkt ökumenischer Beziehungen werden. Niemöller: Im Fall Gerstenmaier handelt es sich um den besonderen Fall, daß zwei Persönlichkeiten für die EKiD zu handeln berechtigt sind. Gerstenmaier kann nicht in Genf als Vertreter der EKiD auftreten. Dibelius: Gerstenmaier wird nicht den Rat als solchen, sondern nur das Hilfswerk vertreten haben. Der Rat sollte dem Hilfswerk ein Kuratorium setzen, zu dem auch Niemöller gehört. Meiser: Die Leitung des Hilfswerks wurde an die württembergische Landeskirche delegiert. Gerstenmaier wurde an das Hilfswerk von der KK abgeordnet. Überschneidungen in der Zuständigkeit mit dem Außenamt sind möglich. Gerstenmaier hätte zum Beispiel auf die Anregung der bayrischen Landeskirche wegen der Ostflüchtlinge mit dem Außenamt Fühlung nehmen müssen. Niesei: Es würde genügen, wenn der ursprüngliche Beschluss über das Hilfswerk bei der Besprechung mit Gerstenmaier in Erinnerung gebracht wird. Es wird beschlossen, daß die Herren: Wurm, Niemöller, Asmussen und Gerstenmaier die Angelegenheit in einer gemeinsamen Besprechung klären. Nach Verabschiedung der ökumenischen Delegationen, sowie Pfarrer Niemöllers setzte der Rat seine Sitzung am 13.12. um 20.30 Uhr fort. /Hannover/154

Asmussen: Wir kommen zur Besprechung der hannoverschen Frage. An Landesbischof Wurm wurde ein Schreiben der Pfarrgemeinschaft Osnabrück gerichtet mit der Bitte um Einsetzung eines Ausschusses, der die verfassungs- und bekenntnismässigen Rechtsgrundlagen der hannover-

154 Zum folgenden vgl. bes. auch G. BESIER, Selbstreinigung, S. 111-136. EBD., S. 241-247 auch auszugsweiser Abdruck des Verlaufsprotokolls (mit falschem Datum).

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sehen Landeskirche überprüfen möchte155. Ich versuchte, nicht auf dieses Gesuch eingehen zu müssen, sondern schrieb einen Brief an Landesbischof Marahrens156. Darauf folgte eine Beschwerde von Marahrens über mich bei La.Bi. Wurm, da ich in die landeskirchlichen Rechte eingegriffen habe157. Später wurde noch eine Beschwerde der hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft158 vorgebracht mit ähnlichem Inhalt. Inzwischen hat die hannoversche Synode getagt, von der ich aber bisher keine weitere Kenntnis erhalten habe. Bruder Lilje wird darüber berichten können. Die Ratsmitglieder bitten um Verlesung des Schreibens von Marahrens. Wurm: verliest den Brief. Dibelius: Nun soll Bruder Lilje etwas sagen. Lilje: Ich bin an dem Briefwechsel nicht beteiligt. Ich kann nur als aufrechter deutscher und niedersächsischer Christ dazu Stellung nehmen. Karwehl159 ist durch Natur und Gnade zu einem solchen Schritt prädestiniert. Die Osnabrücker Pfarrergemeinschaft entspricht etwa der württembergischen Sozietät160, ist aber theologisch und geistig bei weitem nicht so hochstehend. Sie vertritt die dialektische Theologie. Dieser ganze Vorgang bedeutet eine Kritik an dem Zustandekommen der vorläufigen Synode. Ich habe ein persönliches Gespräch mit Karwehl gesucht und gefunden. Timme [Thimme]161 hat die Verdorbenheit der hannoverschen Landeskirche festgestellt, Karwehl dagegen hat sich auf eine Kritik an der Synode beschränkt162. Und darüber kann man sprechen. Die Hälfte aller Synodalen war schon bischöflich ernannt. Auch ich habe in der episkopalen Tendenz die Gefahr der Entmündigung der Gemeinde gesehen. Aber die Synode sollte möglichst zustande kommen, und zwar nur als juristisches Sprungbrett für die rechte Synode. Gegen Karwehls Verhalten stehen grosse Bedenken von lutherischer Seite her. Das Zustandekommen einer Synode ist doch mehr eine Not - als eine 155 156 157 158 159 160

Vgl. dazu auch EBD., S. 128. Das Schreiben Asmussens an Marahrens vom 10. November 1945 ist abgedruckt EBD., S. 223-225. EBD., S. 226f. (SchreibenMarahrens'an Wurm vom 23. November 1945). EBD., S. 231-234 (Schreiben der hannoverschen Bekenntnisgemeinschafi an Wurm, O.D.J. Pastor Richard Karwehl war der Sprecher der Pfarrgemeinschaft Osnabrück. Die Kirchlich-Theologische Sozietät in Württemberg, 1930 als freier Arbeitskreis gegründet und von der dialektischen Theologie geprägt, vetrai im "Kirchenkampf' den Kurs des bruderrätlichen Flügels der Bekennenden Kirche und stand deshalb der Leitung der württembergischen Landeskirche kritisch gegenüber. 161 Wilhelm Thimme, Pastor in Iburg und a.o. Professor in Münster. 162 Vgl. dazu das Schreiben Asmussens an Marahrens vom 10. November 1945 (vgl. Anm. 156).

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bekenntnismässige Sache. Es handelt sich um juristische Quisquilien. So war es in der Tat nicht richtig, diesen Apell [sie!] an den Rat zu richten, d.h. nämlich mit theologischen Kanonen auf landeskirchliche Spatzen schiessen. Im übrigen meine ich nicht, dass das Schreiben von Marahrens an Wurm einen Tadel enthält. Dibelius: Es ist die Frage, ob Marahrens in Opposition gegen das Landeskirchenamt steht. Ich bin persönlich kein Freund der Osnabrücker. Aber ich habe auch kein Interesse, die Position Marahrens zu stärken. Auf keinen Fall geht es jedoch, dass der Leiter der Kirchenkanzlei in dieser Weise gegen den Bischof einer Landeskirche einschreitet. Die Kanzlei ist lediglich ausführendes Organ des Rates. Ihr Leiter kan nur im Auftrag des Rates handeln. Selbständig darf nur der Vorsitzer handeln. Lilje: Die Osnabrücker haben auf der Synode Gelegenheit bekommen, sich zu äussern, und sie haben auch davon Gebrauch gemacht. Die Synode aber, die kritisch war gegen den Landesbischof, hat sich die Bedenken der Osnabrücker nicht zu eigen gemacht. Damit ist die Sache zu Ende gebracht und auch der partielle Fragenkomplex erledigt. Das ganze Vorgehen in diesem Fall war ungeschickt. Die Wertung des Rates ist deshalb in Hannover sehr verschieden. Auf der Synode wurde ausdrücklich die Loyalität gegenüber dem Rate erklärt; aber es bestehen Bedenken 1.) gegen die Person Asmussens und 2.) gegen diesen Aktus. Ad 1.): Asmussen hatte kein Recht zu solchem Brief. Ad 2.) Hier ist in der Tat durch diesen Akt ein etwas neuralgischer Punkt angerührt. Für den Rat ist das freie Vertrauen der Landeskirchen notwendig. - Man hätte einen anderen Weg finden müssen. Der Osnabrücker Kreis stellt keine Basis für solches Handeln dar. Die Haltung der hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft wird oft nicht recht gewertet. Hier ist ein extremer Einzelfall geschaffen. Es sollte etwas getan werden, was in den Zeiten des absoluten Führerprinzipes nicht so möglich war. Mir erscheint dieses Handeln schlimmer als das der DC. Meiser: Schwebt der Kanzlei dabei das Wort von Treysa vor163? Gewiss, es gibt eine gewisse Handhabe dafür. Aber hier handelt es sich nicht um die Herstellung eines bekenntnisgebundenen Kirchenregimentes sondern um Verfassungsfragen. - Wohin kommen wir, wenn kleine Gruppen in den Landeskirchen den ganzen Rat in Bewegen setzen können. Wir sehnen uns nicht nach solchen Schritten. Erst wenn der Notstand in einer Kirche entsteht, kann der Rat einschreiten.

163 Nach der Vorläufigen Ordnung hatte der Rat die Aufgabe der "Beratung und Unterstützung von Landeskirchen bei der Wiederherstellung bekenntnismäßiger Ordnungen" (1E1, S. 14).

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Wurm: Landesbischof Marahrens hat formal recht, aber es handelt sich sachlich hier um die Frage, ob Marahrens als Landesbischof bleiben soll. Das ist der Hintergrund der Sache. Wegen räumlicher Entfernung können Asmussen und ich nicht immer miteinander sprechen. Ich nehme eine Mitverantwortung für diesen Brief völlig auf mich. Asmussen: Marahrens1 Darstellung ist etwas schief. In meinem Brief wurde gerade gewünscht, die Dinge nicht zum Bruch kommen zu lassen. Mit solchem Anliegen an einen Landesbischof heranzutreten, hat jeder Christ nicht nur das Recht, sondern die Pflicht. Die Einsetzung eines Ausschusses sollte vermieden werden. Aber es ist nachgerade eindeutig, dass Marahrens seine Person stärken wollte. Es ist ein Irrtum, wenn Meiser meint, es handle sich nur um Verfassungsfragen, der zweite Punkt befasst sich sehr deutlich mit der Person von Marahrens. Meiser: Sich damit zu befassen, ist aber eine Sache des Rates und nicht der Kanzlei. Asmussen: Dann stelle ich hiermit den Antrag an den Rat, sich mit der Person Marahrens befassen zu wollen. Es vergeht fast kein Besuch der Oekumene, ohne dass man wegen des Rücktrittes von Marahrens angegangen wird 164 . Die Hannoversche Bekenntnisgemeinschaft hat sich wirklich zu schwach gezeigt. Mir ist mein Name dazu zu schade, Marahrens zu stützen. Der Rat m u s s sich damit befassen. Lilje: Das Ganze ist 1.) eine Geschäftsfrage und 2.) eine theologische Frage. 1.): So war es falsch. Der Leiter der Kirchenkanzlei lässt jetzt die Ratsmitglieder eine Rechnung bezahlen, die er selbst gemacht hat. Wir müssen uns das Ganze einmal psychologisch klar machen: Wir haben es mit Konsistorien und Verwaltungsbehörden zu tun, die - möge man auch viel gegen sie sagen können - zum mindesten viel von der Verwaltung verstehen. Solche Leute üben Kritik am Können der Kanzlei, die zum Beispiel immer wieder falsche Anschriften verwendet. Der Osnabrücker Kreis ist klein und unbedeutend. Man muss sich klar machen, dass bei weitem nicht alle so denken wie er. So ist es nicht recht und nicht gut, wenn solch ein individueller Schritt des Leiters geschieht. 2.): Falsch ist die Beurteilung der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft. Ich besitze hier wirklich ein objektives Urteil. Die Hannov. BK ist in Ordnung. Wenn nicht so viele Rundbriefe erscheinen wie in anderen Bekenntnisgemeinschaften, so meine ich, das sei kein Fehler, denn der vom Evangelium gebotene Weg ist der des persönlichen Gesprächs. Warum sagt man Marahrens nicht was man über ihn denkt? 164 Vgl. dazu S. 136f., Anm. 87.

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Asmussen: Das ist geschehen. Wenn mans aber tut, kriegt man einen aufs Dach, wie dieser Brief zeigt. Dibelius: Auch ein formaler Gesichtspunkt ist noch wichtig: Der Brief ist nicht nur ein persönlicher Brief Asmussens, sondern er schreibt immer als "wir", das heisst doch namens des Rates der EKiD. Ich habe sofort beim Lesen des Briefes den Eindruck gehabt, dass der Schreiber nicht richtig mit den Hannoverschen Verhältnissen vertraut sei. Von Bruch kann doch garnicht die Rede sein. Es ist also die Frage, ob der Leiter der Kirchenkanzlei das Recht haben kann, von sich aus Briefe zu schreiben per "wir". Es ist auch nicht richtig, wenn Bruder Asmussen meint, er habe als einfacher Pfarrer Asmussen diesen Brief geschrieben, denn er ist immer der Leiter der Kirchenkanzlei. In dieser Form und mit diesem Inhalt kann nur durch den Vorsitzer oder durch den ganzen Rat geredet werden. Meiser: Angenommen, die württembergische Sozietät hätte denselben Schritt getan, wie wäre dann Ihre Antwort ausgefallen? Asmussen: Genau umgekehrt. Meiser: Ich halte die hannoversche Bekenntnisgemeinschaft für gut. Asmussen: Ich habe lange nicht gewusst, dass es in Hannover überhaupt eine Bekenntnisgemeinschaft gebe. Dibelius: Gesetzt: Der Fall macht Schule. Das würde ich mir in meinem Gebiet auch nicht gefallen lassen, dagegen einen Ratschlag des Rates recht wohl. Asmussen: Ich lasse mir das gerne sagen. - Wann wollen wir über die Frage Hannover sprechen? Morgen oder auf der nächsten Sitzung? Meiser: Ist ein Mitglied des Rates in dieser Sache überhaupt antragsberechtigt? Asmussen: Aber Herr Landesbischof: Sind denn wohl zwei Mitglieder berechtigt, einen Antrag zu stellen? Dieses ist doch eine Frage, die von der Oekumene herkommt. Dibelius: Es bedeutete eine Erleichterung der gesamtkirchlichen Situation, wenn Marahrens zurücktreten würde. Man sollte dazu helfen, dass der Entschluss Wirklichkeit wird. In welcher Form könnte nun der Rat etwas dazu tun? Ich meine nicht durch eine formulierte Beschlussfassung, sondern durch die brüderliche Form des Gespräches mit der Bitte, der Gesamtkirche diesen Dienst zu erweisen.

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Asmussen: Das ist in Treysa schon geschehen 165 . Dibelius: Geschah es schon im Rahmen des Rates? Meiser: Ein dahingehender Beschluss wird den notwendigen Entschluss nur erschweren. Und was tut der Rat dann, wenn Marahrens dennoch bleibt? Asmussen: Auf jeden Fall kann der Rat dadurch das Vertrauen der BK und des Auslandes erhalten. Dibelius: Bruder Lilje, Sie müssen sich mal nur als Glied des Rates, und nicht als hann. Oberlandeskirchenrat fühlen und dann ihre Meinung sagen. Meiser: Damit wäre Bruder Lilje überfordert, wenn ihm solche Frage vorgelegt wird. Lilje kann sich ebenso wenig zerlegen wie Asmussen. Wurm: Wir sind in ausserordentlich schwerer Lage. Es ist eigentlich objektiv kirchlich erwünscht, dass Marahrens die Konsequenz zieht. Sollen wir nun unsere Unfähigkeit beweisen, etwas zu tun. Unterlassungen haben sich in den letzten Jahren oft schwer gerächt. Marahrens hat eine ungeheure passive Widerstandskraft und die hann. Bekenntnisgemeinschaft nicht die Kraft, aus der bedenklichen Situation herauszuführen. Meiser: Ich sehe sehr schwierige Konsequenzen. Wir müssen uns fragen, ob es einen Zweck hat, in solch einer Weise zu handeln, die von vornherein nicht zum Ziele führen wird. Asmussen: Herr Landesbischof, gestatten Sie mir ein offenes Wort: Was Ihnen heiliger Wunsch ist, wird Ihnen schwer gemacht durch diese Sache. Ich stelle gerne mein Amt zur Verfügung, aber ich will nicht das Odium auf mich nehmen, dass ich in dieser Sache geschwiegen hätte. Meiser: Wie ich Marahrens kenne, stärkt es ihn, wenn gewünscht wird, dass er geht. Dibelius: Stimmt das wirklich? Niesei: Man kann nicht annehmen, dass Bodelschwingh in so verkehrter Weise mit Marahrens gesprochen haben sollte 166 . Heinemann: Wurm soll an Marahrens schreiben.

165 Marahrens hatte in Treysa in einem von Bodelschwingh initiierten Gespräch mit Niemöller ein Bußbekenntnis abgelegt und sich dazu bereit erklärt, sein Amt der ersten neu gewählten, ordnungsgemäßen hannoverschen Landessynode zur Verfügung zu stellen. Der Rücktritt Marahrens' erfolgte dementsprechend erst am 16. April 1947 (vgl. A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 103f.; G. BESIER, Selbstreinigung, S. 123f.). 166 Bodelschwingh hatte sich im November 1945 mit Marahrens getroffen, um diesen zum Rücktritt zu bewegen (vgl. EBD., S. 134).

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Dibelius: Ich meine auch, sonst müssten wir uns den Vorwurf machen, geschwiegen zu haben. Eine verspätete Situation ist es nicht, wenn wir schreiben. Dann bleibt uns wenigstens das gute Gewissen. Wurm: Wenn wir nicht handeln, handelt die Militärregierung. Meiser: Geben Sie es in die Hand des Vorsitzers. Asmussen: Aber ich bitte, dass der Herr Vorsitzer in seiner Eigenschaft als Vorsitzer des Rates und nicht nur persönlich gebeten wird. Lilje: Das letztere wäre aber v i e l richtiger. Was man mit einem Bischof macht, ist nicht leicht. Das vierte Gebot gilt und ist von weittragender Bedeutung. Es gibt nur einen richtigen Weg, das ist der des Gespräches. Hier sind die Bischöfe, die es können. Je weniger amtlich vorgegangen wird, desto wirkungsvoller ist es. Held: Bei dem Ernst der Sache soll der Redende nicht privat reden. Er sollte nur persönlich abgeben, was amtlich gewollt wird. Asmussen liegt daran, dass keine private Angelegenheit daraus gemacht wird. An der privaten Person von Marahrens haben wir kein Interesse, es handelt sich nicht um eine private Aktion, sondern wir stehen in allgemeiner Verantwortung. Dibelius: Der Rat hat Kenntnis von dem Schreiben Asmussens an Marahrens und Marahrens an Wurm. Der Rat stellt fest, dass in grundsätzlichen Entscheidungen nur der Rat, in eiligen Fällen nur dessen Vorsitzer befugt ist. In der Beurteilung der Vorgänge in Hannover ist der Rat sich einig und legt die weitere Verfolgung in die Hände des Vorsitzenden, der bei nächster Gelegenheit das nötige Gespräch führen wird. Asmussen: Erlauben Sie eine Frage: Muss, was über die Kanzlei zu sagen ist, unbedingt in das Protokoll? Dibelius: Ich dachte, dass damit für das zu Erarbeitende Klarheit entsteht. Deshalb habe ich festgestellt, dass nicht die Kanzlei, auch nicht deren Leiter, sondern der Rat und in eiligen Fällen dessen Vorsitzer zu entscheiden befugt ist. Heinemann: Das gehört in das Gebiet der Geschäftsordnung. Asmussen: (zu Dibelius): Bei Gerstenmaier hatten Sie grösste Bedenken, seinen Namen in das Protokoll aufzunehmen. Dibelius: Ich wollte nicht die Wirkung damit verfehlen, dass ich Gerstenmaiers Namen ausdrücklich nannte. Asmussen: Dann war es also ein Vertrauensvotum für mich, dass Sie meinen, in diesem Fall die Wirkung zu erreichen, wenn Sie meinen Namen nennen. Smend: Es ist eine schwierige Juristenfrage. In einer Weise können wir den Inhalt von Treysa, insofern er auch von Hannover anerkannt ist, soweit

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in Anspruch nehmen, dass daraus Folgen zu ziehen sind, den Herrn Landesbischof zum Rücktritt zu bewegen167. Eine bestimmte Persönlichkeit hat einen kirchlichen Notstand herbeigeführt! Die Zitierung des Rates bedeutet eine Autorität. Mit dieser Autorität bitten wir Marahrens, das Opfer seinerseits zu bringen. Es ist selbstverständlich, dass die Landeskirche darauf stark reagieren würde. Ist es nicht bei dem zarten Verhältnis von Landeskirchen und EKiD gut, den diplomatisch besseren Weg zu gehen? Wenn man von vornherein nicht mit Erfolg rechnet, so ist die persönliche Methode besser, die besagt, nicht kraft Recht, sondern um der P e r s o n willen. Meiser: Praktisch kann ja nur eins geschehen. Deshalb dürfen wir hier nicht komplizieren dadurch, dass der offizielle Schritt des Rates verlangt wird. Wir haben lediglich ein Interesse, ein Zeugnis abzulegen. Heinemann: Wir brauchen nur La.Bi. Wurm zu ermächtigen, dass er, wenn im Laufe des Gespräches die Notwendigkeit dazu entsteht, diesen Wunsch als offizielles Anliegen des Rates bezeichnet. Held: Es ist eine Frage der Taktik, aber es steht fest, dass wir den Auftrag haben und dass wir zuständig sind. Nur darf das Amt nicht zerstört oder auch tangiert werden. Dibelius: Lassen Sie uns nun einen Beschluss formulieren: Die kirchliche Lage in Hannover kommt zur Besprechung. Der Vorsitzer des Rates wird gebeten, die Sache nach eigenem Ermessen mit Landesbischof Marahrens zu besprechen. [Schlesien]

Asmussen: Wie steht es in Sachen Schlesien168? Wir können sie m.E. damit erledigen, dass wir sie zuständigkeitshalber an Preussen abgeben. Alles stimmt zu. Dibelius verteilt seine beiden Entwürfe (Vereinfachung der Verwaltung und Absetzung von Beamten der Kirchenkanzlei) 169 . Asmussen verteilt das Gutachten Doelle* betreffend Entnazifizierung 170 . Der erste Tag der Sitzung ist beendet.

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Vgl. dazu S. 167, Anm. 163. Vgl. S. 119f.,Anm. 20. 3D14(S. 245f.) und 3D15 (S. 246f.). Gutachten und Identität Doelles nicht ermittelt.

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A m 14.12. beginnt um 8.30 U h r Landesbischof Wurm den zweiten Teil der Sitzung mit Losung und Gebet. [Entnazifizierung!

Wurm: Im Blick auf Weihnachten haben wir erwogen, uns in einem Brief an die Militärregierungen für die Zivilhäftlinge, die seit April ohne Untersuchung in den Lagern sind und keiner ausgesprochener Verbrechen schuldig sind, Freilassung zu erbitten. Sie sollen es wissen: Das bedeutet Weihnachten für das deutsche Volk. Meiser: Ich habe in Bayern bereits eine solche Eingabe mit Faulhaber gemeinsam gemacht 171 . Major Neppen [Knappen] äusserte, dass die Zeit bis Weihnachten wohl zu kurz sei 172 . Aber es wäre gewiss von Wert, wenn der Rat als solcher eine solche Bitte vorbrächte. Dibelius: Sollen wir es bei dem Schritt, an die Adresse des Kontrollrates bewenden lassen, der immer wenigstens ein Viertel Jahr braucht, um etwas durchzusprechen. Wir müssten von uns aus in den deutschen Zeitungen schreiben, dass der Rat an den Kontrollrat solche Bitten gerichtet hat. - Eine andere Frage ist es noch, ob nicht La.Bi. Wurm zu Weihnachten über das Radio zu den Gefangenen reden sollte. Man hat überall das Gefühl, als müsse [man] zu Weihnachten etwas für die Gefangenen tun. Hahn: Man sollte aber gleich die Kriegsgefangenen einbeziehen. So werden z.B. im Lager Ziegenhain eine Menge von Kranken zurückgehalten, die aus dem Osten entlassen sind. Asmussen: Wir haben von Ziegenhain bessere Nachrichten. Wurm: Wie steht es bei den Kriegsgefangenen? Ist ihre Entlassung im Gange? Asmussen: In Böckingen liegt immer noch ein Teil auf der Erde. Wurm: Wir müssen Freilassung aller Zivilgefangenen beantragen, gegen die nichts vorliegt. Die Kriegsgefangenen können wir dann anhängen. Die Kgf. werden grösstenteils als Arbeitskräfte zurückgehalten. Die Wirkung wäre freilich stärker, wenn wir uns auf einen Punkt beschränkten. Dibelius: Wir bitten, die Zivilgefangenen zu entlassen, soweit sie nicht eines wirklichen Verbrechens schuldig sind. 171 Gemeint ist die Eingabe Meisers und Faulhabers vom 7. Dezember 194} (abgedruckt bei C. VOLLNHALS, Entnazifierung, S. 47f.). 172 Vgl. dazu den Vermerk Meisers vom 11. Dezember 1945 über den Besuch Knappens am 5. Dezember (LKA NÜRNBERG, vorl. LKR-524). Marshall Knappen war von 194J bis 1946 Leiter der Religious Affairs Section der Education and Religious Affairs Branch der amerikanischen Militärregierung für Deutschland.

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Wurm: Dann würden wir also diesen Auftrag bekommen 173 . Allgemeine Zustimmung. [Personalien; Vereinfachung der Verwaltung!

Dibelius verliest den Entwurf der Richtlinien. Ich lege Ihnen 1.) den Entwurf einer Art Verordnung 174 und 2.) einen Entwurf zur Entscheidung über die einzelnen Fälle175 vor. Es handelt sich nur um eine Art Verordnung, die ich Richtlinien nenne. Prof. Smend hatte Bedenken gegen "Verordnung". Wenn wir eine Verordnung machen, so legen wir uns eine Vollmacht bei, die bestritten werden könnte. Es ist also juristisch weniger anfechtbar, wenn wir "Richtlinien" sagen. II: Ziff. 2): Wir glaubten, den Fall vorsehen zu müssen, dass Pensionen nicht gezahlt werden. In der russischen Zone besteht jetzt schon das Verbot, und die geldlichen Verhältnisse werden bei einheitlicher Regelung der Valuta eine Abwertung der Mark mit sich bringen. EI: sieht Kürzungen vor. IV: wird verlesen. V: Einen Differenzausgleich kann es unter den heutigen Verhältnissen nicht mehr geben. Wir müssten jetzt im einzelnen über die Richtlinien sprechen. Asmussen: bittet, gleich die praktischen Einzelfälle zu verlesen. Dibelius: verliest den Entwurf mit folgenden Anmerkungen: 1.) Frl. Schwarzhaupt braucht keine Regelung, da sie übernommen wird, für Steckelmann gilt dasselbe. 2.) Heckel ist vereinbarungsgemäss, Gisevius ist 65 Jahre alt, ihm wurde der Entscheid schon mitgeteilt, auch Pagel ist schon etwas älter, wie ebenfalls Lehmann 176 . Wir hoffen, diese 3 Wintermonate hindurch noch die alten Bezüge auszahlen zu können, wenn im Osten die Möglichkeit dazu wieder besteht, aber zur Zeit geht es nicht. 3.) Für Fürle ist die Pensionierung unerlässlich. Er wurde aus dem Breslauer Monokel-Konsistorialrat zum Berliner DC.

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Vgl. dazu den Beschluß 3B1, S. 120 und das Schreiben an den Alliierten Kontrollrat (.3C2, S. 218). 3D14 (S. 245f). 3D15(S. 246f.). - Verwaltungsdirektor Paul Lehmann m der Kirchenkanzlei der DEK.

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Wurm: Zum Schluss trat doch eine Aenderung bei ihm ein. Im Fall Kölle [Cölle] hat er unser Schreiben befürwortend weitergegeben177. Dibelius: Dehmel ist Statistiker; Schröder beim Aussenamt. Heinemann: Statt "Mitarbeit" muss es "Dienstverhältnis" heissen. Dibelius: Ja, so kann man sagen. Es stehen noch einige Fälle aus, wo die Betreffenden in Kriegsgefangenschaft sind. Darüber sollte weder der Leiter der Kirchenkanzlei entscheiden dürfen, noch der ganze Rat entscheiden müssen. Deshalb ist einer für den Westen, der andere für den Osten benannt. In Kriegsgefangenschaft sind noch OKR Gustavus und Ell wein (russische Kgf). Meiser: Ja, in einem Lager bei Dresden. Dibelius: Hohlwein befindet sich m.E. auch in Kgf. Wurm: In Eisenach. Dibelius: Rancke [Ranke] in englischer Kgf, Müller178, 65 Jahre alt in Stollberg [sie!], Klages verschollen 179 . Im kirchlichen Aussenamt ist ausserdem niemand mehr. Asmussen: Was ist mit Wahl? Meiser: Kann man den nicht mehr verwenden? Er ist ein Kenner des ausserdeutschen Kirchenrechtes. Warum will man für solche Leute andere einstellen? Wurm: Er ist m.W. nie hervorgetreten. Dibelius: verliest Ziffer 6. Niesei: Wer ist Rädecker [Redecker]™0}

177 1943 hatte Cölle, Leiter der Finanzabteilung bei der Kirchenkanzlei der DEK, unter Androhung der Streichung von sämtlichen Subventionen den Wiener Bischof Eder gezwungen, seine Unterschrift unter die 13 Sätze des Kirchlichen Einigungswerks (vgl. dazu J. THIERFELDER, Einigungswerk, S. 94ff.) zurückzuziehen. Meiser, Wurm und Marahrens hatten daraufhin am 15. März 1943 bei der Kirchenkanzlei schriftlich ihren Protest eingereicht (vgl. EBD., S. 136FF, bes. S. 137, ANM. 18). ÜberFürles Verhalten in dieser Angelegenheit, der sich in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender der Kirchenkanzlei mehrfach gegen Ubergriffe Cölles gewehrt und im Einvernehmen mit dem Geistlichen Vertrauensrat verschiedene Eingaben an das Reichskirchenministerium verfaßt hatte (vgl. dazu H. BRUNOTTE, Entwicklung , S. 68-75), konnte nichts ermittelt werden. 178 - R ichard Müller, Amtsrat in der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD. 179 - Amtsrat Heinrich Klages, der sich in einem Lazarett in russischer Kriegsgefangenschaft befand. 180 Die Juristin Dr. Ilse Redecker war von Cölle als Referentin ausschließlich für Aufgaben in der Finanzabteilung angestellt worden. Diese Anstellung war insofern von Bedeutung, als die Arbeiten in der Finanzabteilung bisher von Sachbearbeitern der Kirchenkanzlei der DEK erledigt worden waren. Cölle hatte damit seinen Anspruch unterstrichen, aus der Finanzabteilung eine der Kir-

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Dibelius: Oberkirchenrätin, auf Widerruf eingestellt, das Dienstverhältnis ist bereits gelöst, sie fällt unter die grundsätzlichen Richtlinien. Lilje erbittet Aufklärung über Richtlinien Punkt 4.), der gegen den weltlichen Schutz stehe. Dibelius: Der Staat entlässt grundsätzlich ohne alles Recht. Im Osten sind alle Richter grundsätzlich entlassen worden. Nur einige werden von Fall zu Fall wieder beschäftigt. Heinemann: Das hat politische, und nicht Gründe der Vereinfachung. Niesei: Finden solche Entlassungen auch statt, wenn die Stelle nicht wegfällt? Dibelius: Verkleinerungen haben wir auch. Auch da ist einfach entlassen worden, ohne Versorgung. Der altpreussische Standpunkt einer Uebergangsversorgung steht haushoch über den politischen Bestimmungen. Meiser: Wir wollen keine russischen Zustände in die Kirche einführen. Hier müssen die Grundsätze von Recht und Gerechtigkeit gelten. Wir können uns nicht dem russischen Verfahren einfach anschliessen, sondern müssen ein Vorbild geben. Es war bisher gutes Recht, einen Beamten weiter zu bezahlen (Angestelltenversicherung). Irgend etwas muss gewährt werden. Es gehört zum Wesen des deutschen Beamtentums, dass die Pension als Äquivalent für einbehaltenes Gehalt angesehen wird. Wir müssen praktisch tun, was wir theoretisch von den Militärregierungen verlangen. Held: Ein Berufsbeamtentum können wir in diesen Verhältnissen nicht aufrecht erhalten. PGs und SA-Leute haben keine Ansprüche zu Gunsten der Freiheitsbewegung. Die Bestimmungen müssen nach einheitlicher Kirchenausrichtung aufgestellt werden. Meiser: Heckel war nicht PG. Held: Das ist erledigt. Dibelius: Auch Wahl war nicht PG. Niesei: Wahl war PG. Dibelius: Er war nur SA-Mann. Held: In führenden Aemtern darf kein PG und kein SA-Mann sein.

chenkanzlei nebengeordnete eigenständige Behörde zu machen (vgl. dazu H. BRUNOTTE, Kurs, S. 47; DERS., Entwicklung, S. 70; vgl. auch S. 175, Anm. 177). Gegen einen von Brunotte bereits am 13. Juni 1945 schriftlich ausgesprochenen Widerruf ihrer Anstellung hatte Redecker mit Schreiben vom 16. Juni Protest eingelegt (EZA BERLIN, 2/69); Brunotte vermerkte dazu am 2. Juli, "eine Erwiderung auf das eingegangene Schreiben dürfte sich erübrigen", da ihm "in dringenden Fällen" als Vertreter "des abwesenden Leiters der DEKK" auch dessen Kompetenzen zustünden (EBD.).

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Meiser: Sie waren als Studenten nur 2 oder 3 Jahre in der SA oder im Stahlhelm. Ist es gerechtfertigt, selbst wenn man dieses erzwungene Verhalten 181 als schuldhaft ansehen wollte? Das ganze Problem der Entnazifizierung befindet sich bereits in einer Rückrevidierung. In Bayern ist ein Ausschuss zur Ueberprüfung eingesetzt, um die des Amtes Entsetzten in ihre Aemter zurückzuführen 182 . Nur einige wenige tausend bleiben dann übrig. Bei den Pfarrern darf nicht nur die Tatsache der Mitgliedschaft bestimmend sein. Held: Es handelt sich hier um führende Aemter, nicht einfach um Pfarrer. Meiser: Es geht um die Frage der Pensionsansprüche. Held: Wir zahlen n i c h t : Wir können es finanziell nicht tragen. Asmussen: Die böswillige Propaganda sagt, wir tun dasselbe wie die D C 1933. Fürle würde im Wartestand ein noch höheres Gehalt als ich jetzt [haben], der ich noch nicht wieder mein altes Gehalt von 1933 habe. In Hannover will man das einfach nicht sehen. Heckel, Wahl, Pagel sind viel besser dran als die vielen BK-Pfarrer, die monatelang noch keinen Pfennig erhalten haben. Wir wollen im Opfer vorangehen, aber auch diesen Herrn ein Opfer zumuten. Fürle rechnet mit einer Pension von RM 1 100,- Ich bitte, diese Kürzungen nicht in einem Lichte zu sehen, das nicht vorhanden ist. Diese Richtlinien erscheinen mir höchst kulant. Smend: Die "Richtlinien" scheinen noch missverstanden zu werden. Sie sind interne Anweisungen an die Herrn, die mit dem Betreffenden im Auftrag des Rates zu verhandeln haben. Die Voraussetzungen sind nicht modifiziert. Das bisherige Beamtenrecht wollen wir nicht aufheben. Es besteht ein Gefahrenmoment: Wir müssen verhindern, dass die Niederlage, die dem Rat begegnen könnte, alle Landeskirchen trifft. Darum Vorsicht! Wir schaffen keinen Agitationsstoff. Die Richtlinien wollen die Aufstellung einer Rechtsgrundlage verschieben und dabei alles möglichst übersehbar machen. Sie sind nichts weiter als eine Information derer, die die Verhandlungen führen. Nur, soweit es nicht gelingt, gütlich-freundschaftlich auszukommen, erhalten die Richtlinien Bedeutung. Eine Entlassung bleibt möglich bei schweren Verfehlungen, die über die Beamtenordnung hinweggehen. Wir dürfen dem Prozess keine Grundlage geben, sondern müssen jedes Risiko ausschalten. 181 Vgl. dazu die Übersicht "Material zur Verteidigung der Geistlichen vor der Spruchkammer" vom 11. Dezember 1946. Danach stellte der Rektor der Universität Erlangen Bestätigungen aus, daß die Studenten 1933 zum Eintritt in die SA gezwungen worden seien (EZA BERLIN, 2/323). 182 Derartige Prüfungsausschüsse waren in der "Ersten Ausführungsverordnung zum Gesetz Nr. 8" der amerikanischen Militärregierung vom 11. Oktober 1945 vorgesehen (Süddeutsche Zeitung Nr. 3 vom 12. Oktober 1945).

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Lilje: Ich danke für das Gesagte. Es ist mir alles sympathisch, was über die Tragweite der Entscheidungen und über die öffentlichen Auswirkungen gesagt wurde. Asmussen hat falsch formuliert. Ich bestreite, dass in Hannover Propaganda gemacht wird. Aber wir müssen ernstlich erwägen, dass eine rückläufige Bewegung eintritt. Ich meine, wir sind uns darin sachlich alle einig, nur müssen wir darin unterscheiden, dass wir einerseits den Leuten sagen, wir haben keine Arbeit mehr für Euch, andererseits: Ihr seid untragbare Leute (Fürle). Aber eine Reihe von Leuten ist jetzt fassungslos, weil sie unter dem Eindruck stehen, nie etwas kirchlich Unwürdiges getan zu haben. Wir können ihre Sachkunde notwendig brauchen. Einzelheiten: Das Aussenamt müsste etwas zügiger aufgebaut sein. Niemöllers Aufgabe ist kirchengeschichtlich einmalig formuliert. Wir müssen eine Grundlage schaffen. Unter 1.): Welche Vereinbarungen mit Brunotte sind das eigentlich? Asmussen: Brunotte geht in den hann. Dienst 183 . Lilje: Das sind doch aber private Abmachungen mit Brunotte. Niesei: Wir mögen statt EKiD EKD sagen. Meiser: Das richtet sich nach der Vorl. Ordnung von Treysa. Heinemann: EKiD ist unglücklich. Niesei: Grundsätzlich muss ich Asmussen unterstützen. Es gibt jetzt viele fertige Pastoren, die Jahre hindurch mit Frau und Kindern von RM 150,gelebt haben. Meiser: Dann müssen wir erfahren, was möglich ist. Dibelius: Für den Fall Brunotte ist Voraussetzung, dass sein Uebergang in die hann. Verwaltung perfekt ist. Asmussen: Die hann. Kirchenleitung hat sich noch \nicht\ offiziell dazu geäussert, aber mit Brunotte wurde schon am 24.10. das Göttinger Protokoll unterzeichnet 184 . Dibelius: Wenn amtlich noch nichts weiter bekannt ist, können wir das auch weglassen. Meiser: Brunotte erwartet, dass er in der [sie/] hann. [Landeskirche] delegiert wird. Wurm: Das erste, was Brunotte äusserte, war, in die hann. Landeskirche überzugehen, da er nicht völlig zu dieser neuen Leitung passe.

183 Brunotte war mit der Abwicklung der Geschäfte der Göttinger Kirchenkanzlei noch bis zum 31. März 1946 beschäftigt (vgl. S. lf., Anm. 2); anschließend ging er als Oberlandeskirchenrat in den Dienst der hannoverschen Kirche. 1949 wurde er Präsident der Kirchenkanzlei der EKD. 184 Vgl. 2E8 (S. 109/.).

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Meiser: Er machte auch für seine Person keine Schwierigkeiten. Wurm: Die Dinge Brunotte stimmen nicht völlig überein mit dem, was die Kirchenkanzlei tut. Es ist die Frage, ob je die Möglichkeit besteht, jemanden in einen anderen Kurs zu schieben. Dibelius: Bruder Held hatte dieses Anliegen vorsehen wollen; aber ich habe die Notwendigkeit einer einheitlichen Ausrichtung fallen gelassen, um ganz simpel unter dem bisherigen Recht zu gestalten. Bei einem Rechtsstreit würde die Frage entstehen, ob im Falle der Umorientierung einer Regierung die Beamten ausgeschieden werden dürfen. Deshalb sind sie nicht aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Bei den Theologen erstreben wir längst eine andere Regelung, dass nämlich die Beamten nur für eine Zeitlang angestellt werden und dann wieder ins Pfarramt zurückgehen. Das Pfarramt steht über dem kirchlichen Verwaltungsamt. Nur so können wir vor dem eigentlich bürokratischen Geist bewahrt bleiben. Bisher ist kein Fall in Aussicht genommen, dass jemand entlassen werden soll. Objektiv muss man sagen, dass die Dinge bei der Kirchenkanzlei und im Aussenamt anders stehen als im Konsistorium, keine D C und PG. Wurm: Hohlwein war wohl am schärfsten185? Dibelius: Vielleicht bedeutet es eine rechtliche Erleichterung, wenn festgelegt wird, dass das kirchliche Aussenamt in Wegfall kommt und diese Dinge einem Mitglied des Rates übertragen werden 186 . - Eigentlich sind von diesen Richtlinien nur Beamte und Angestellte der Kanzlei betroffen. Die Begründung einer starken Abhalfterung beim Aussenamt fällt fort, wenn der ganze Apparat aufhört. Ich möchte wissen, womit Wahl jetzt noch seine Tage ausfüllen kann. Mit der Versorgung von Witwen, der Auslandspfarrer hat er vielleicht ein wenig Arbeit. Die ganze Absicht der Vorlage besteht darin, unter allen Umständen zu einer gütlichen Vereinbarung zu kommen. Mir ist es auch immer gelungen, solche unangenehmen Dinge von Göttingen sind zu vermeiden und müssen vermieden werden. Wurm: Bei Wahl will ich persönlich Fühlung nehmen. Er könnte in irgend eine Kirchenregierung übernommen werden. Dibelius: Er hat alle Dinge der D C mitgemacht. Es sollte hier ein Wechsel eintreten. Wurm: Mit Niemöller kann Wahl nicht zusammenarbeiten. 185 Vgl. dazu S. 134, Anm. 76. 186 Ahnliches hatte Niesei in seinem Schreiben an die Kirchenkanzlei vom 24. November 1945 (3D31, S. 285f.) vorgeschlagen.

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Meiser: Kann man ihn nicht berücksichtigen, wenn Niemöller doch einen Juristen braucht? Dibelius: Niemöller braucht doch keinen Juristen. Meiser: Wir müssen dem Einwand begegnen können, wir bauten nur pro forma wegen Einschränkung der Verwaltung ab, da wir ja gleichzeitig neue einstellen. Man fragt mit Recht, ob das nicht ein Unding sei. Wir werden unglaubwürdig. Niesei: Ich bin sehr für korrekte juristische Arbeit. Alle Akademiker sind irgendwie in leitender Stellung. Wir müssen darauf achten, dass nicht aus irgendwelchen Rücksichten, aus Orientierung auf das Kirchenrecht, der neue Kurs verloren geht. Meiser: Trauen Sie das Merzyn nicht zu? Held: Wir waren uns einig, dass alle auf der EOK-Linie 187 stehen. Darum muss das Argument der "Säuberung" mit hinein. "Vereinfachung der Verwaltung" genügt nicht. Meiser: Ich bitte, für die Vorverhandlungen um Berücksichtigung des Bedürfnisses nach Leuten mit formalen Kenntnissen. Man mag über die Rechnungsinspektoren viel Negatives sagen, aber sie sind es doch, die unsere Arbeit intakt halten. Held: Aber ein frecher Hund, mag er noch so viel formale Kennntisse besitzen, hat zu verschwinden. Lilje: Ich bitte darum, dass unter Ziff. 5.) statt meiner jemand anders erscheint, der mit der altpreussischen Union vertrauter ist als ich. Wie ist es mit Ihnen Bruder Held? Held: Ich habe zu viel zu tun und kann es nicht. Dibelius: Mir täte es sehr leid, wenn nicht Lilje es tun könnte. Dann würde ich vorschlagen, dass ich die Sache für den Westen mitmache. Lilje: Man muss ja auch denen, die abgebaut werden, praktische Vorschläge machen können. Dibelius: Bei juristischen Kirchenbeamten ist die Sache am schwierigsten. Wenn wir als Rat der EKD fruchtbare Arbeit tun und die Landeskirchen daran Interesse gewinnen, so sollten wir ein oder zwei Leute mit der ständigen Fühlung zum Kontrollrat beauftragen. Nebenbei kann man das auf die Dauer nicht machen. Das müssten angenehme Erscheinungen sein, nicht gewöhnliche Juristen. Wir brauchten dazu einen Mann wie 187 Aus dem Berliner Ev. Oberkirchenrat waren seit 1935 zwar viele der deutsch-christlichen Mitglieder ausgeschieden, aber die Behörde hatte sich im Ganzen auch in den folgenden Jahren der staatlichen Kirchenpolitik untergeordnet und vor allem die kirchenregimentlichen Ansprüche der preussischen Bekennenden Kirche nicht anerkannt.

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Eberhard Müller oder Hermann Ehlers. - Ich kenne dieses Geschäft: Wollt ihr nicht den und den übernehmen? Heinemann: Verschiedene Regierungspräsidenten suchen evang.-kirchlichen Juristen, z.B. Münster und Aachen. Dibelius notiert. Asmussen: Ich halte es für unmöglich, dass Dibelius die Sache für den Westen mitmacht. Auch ich bitte darum, dass Lilje es machen möchte. Und dann habe ich die Bitte, dass kein Beamter in die Kirchenkanzlei übernommen wird ohne meine ausdrückliche Genehmigung; denn ich muss nachher mit denen zusammen arbeiten können. Diese Sicherheit brauche ich bei meinen Mitarbeitern. Von den Göttinger Leuten sind nur noch drei, die nicht untergebracht sind. Niesei: Wir müssen zum Abschluss kommen! Heinemann: Wartestand bedeutet sonst keine Verschlechterung, sondern schliesst die Hoffnung auf eine Wiederverwendung ein. Asmussen: Wir können Fürle nicht mehr als RM 400,- geben. Meiser: Fürle wird direkt in den Ruhestand versetzt. Held: Fürle war in den Kampfzeiten repräsentativ für die DC. Dibelius: Der Ausdruck "Wartestand" ist etwas unglücklich. Jetzt versteht man allgemein unter Wartestand das weniger Günstige: Ruhestand mit gekürzter Besoldung. Wurm: Er ist noch in einem Alter, in dem [er] in jeden andern Beruf gehen kann188. Niesei: Wir müssen gerecht bleiben. Asmussen: Darf ich die Herren so verstehen, dass Fürle weiterhin RM 400,~ bekommt? Dibelius: In den allgemeinen Richtlinien werden wir unter IQ mit verringerter Pension ergänzen: "Jedoch nicht mehr als RM 400,~ monatlich". Werners Dienstverhältnis wird für beendet erklärt. Niesei: Ich bin dagegen. Unsere Ostpfarrer bekommen verheiratet RM 200,-, ohne Frau RM 150,-. Warum soll Fürle RM 400,- kriegen. Dibelius: Hier besteht ein Unterschied: Bei den Ostpfarrern ist es eine Uebergangsregelung für eine Zeit, die doch aufhört. Niesei: Das dauert bestimmt jahrelang. Smend: Das bisherige Recht wird im Fall Fürle bereits abgeändert. Es muss ein grosses und dringendes Anliegen der Kirche sein, sich nicht mit solchen juristischen Schwierigkeiten zu belasten. Begrenzung auf RM 400,188 Fürle war zu diesem Zeitpunkt erst 46 Jahre alt.

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ist ein Grund zur Klage. Die Regelung der Ostpfarrer steht hiermit nicht im Vergleich, da die Regelung Fürle auf Lebensdauer eingestellt ist. Asmussen: Ich erwäge, ob ich Merzyn als Archivar übernehmen kann unter der Voraussetzung, dass er sich in den neuen Kurs einordnet. Held: Vielleicht könnte man ihn für juristische Dinge nehmen oder als Bürochef. Das bedeutete eine wesentliche Entlastung für Ihre Person. Asmussen: Als leitender Jurist bedeutete M[erzyn] eine grosse praktische Schwierigkeit. Meiser: Er soll nicht leitender Jurist, sondern Bürochef sein. Asmussen: Ehlers soll telefonisch endgültig abgelehnt haben 189 . Held: Wichtige Aufgaben der Kanzlei sind die Wahlordnung, die Verfassung usw. Man brauchte eine Zentrale, wohin mitgeteilt, bei der ausgewertet werden und die dann wieder weitergeben kann. Asmussen: Das wird von Smend und Iwand Göttingen versucht werden 190 . Dibelius: Bitte zur Geschäftsordnung. Wir müssen eins nach dem andern besprechen, später dann die Schwebefälle. Held: Vor I muss stehen: "rechte kirchliche Ausrichtung". Dibelius: Wir haben es weggelassen, weil wir im Rahmen des unanfechtbaren Rechtes bleiben wollten. Held: Herr Benn hat alles selbst verfügt 191 . Dibelius: Wir müssen die Rückwirkung auf die Landeskirchen vermeiden. Bei I unterscheiden wir Ruhestand und Wartestand. Smend will Wartestand als gehobenen Ruhestand, 60% des Gehaltes, bei Pension nur 50%, dann bei Ruhestand verschiedene Einstufung. Hahn: II statt EI und umgekehrt: Dibelius: verliest II und EI. Smend: Wir hören den Einwand, man dürfe das materielle Recht nicht so sehr beeinflussen. So bedeutet es einen leisen Druck, wenn wir schreiben: "Bis auf weiteres ..." Dibelius: Wir brauchen den Wartestand garnicht. Smend: Er ist immerhin eine Ausweichmöglichkeit. Dibelius: Die äusserste Möglichkeit wäre, dass das Gehalt weitergezahlt werden muss. Deshalb bleiben wir bei dieser Ausweichmöglichkeit des Wartestandes. 189 Ehlers war gerade als Oberkirchenrat Anm. 36). 190 Vgl. 3B1, S. 122 und 3C9 (S. 225). 191 Bezug unklar.

nach Oldenburg

berufen worden

(vgl. dazu S. 122,

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Asmussen: Ich meine, wir könnten den Entwurf an den Ausschuss zurückgeben, damit er die zweite Lesung vorbereitet. Dibelius: Ich möchte bitten, ihn erst einmal ganz vorlesen zu dürfen. Smend: "In der Regel bis auf weiteres" geht auf Fürle. Heinemann: Fürle muss entlassen werden, es ist eine freiwillige Unterstützung ohne Rechtsanspruch. Asmussen: So haben wir es schon immer gemacht. Dibelius: Nun zu den einzelnen Fällen. Wollen Sie Wahl als den jüngsten herausnehmen und bloss in den Wartestand versetzen? Zustimmung. Dibelius: Fürle zum 31.12.45 entlassen. Unterhaltsgeld, das RM400,- nicht übersteigen darf, ohne Rechtsanspruch und jederzeit widerruflich. Niesei: Bitte, machen Sie das in der Kommission. Dibelius: Es bleiben noch folgende Fälle: Bestätigung unter OKR Brunotte, von OKR Krummacher, in den Dienst der altpreussischen Union. Betreffend Merzyn soll wegen Uebernahme in den Dienst der Kirchenkanzlei verhandelt werden; bis dahin werden seine Bezüge weitergezahlt. Asmussen: Ich bin doch für den Wartestand. Dibelius: Von wann an soll der Wartestand rechnen? Asmussen: 1.5.45 ist Termin. Nachzahlung vom Termin der Entlassung an. Dibelius: Nachzahlung ist bei uns ein Begriff aus alter Zeit. Niesei: Bitte 1.12.45 als Termin. Sonst verlieren wir hier RM 1 000,Asmussen: Gehalt vom Augenblick der Anstellung an. Dibelius: Ziff. 5.): Machen Sie es, lieber Bruder Lilje? Ziff. 6.) in Ordnung. Lilje stimmt zu. [Übernahme der Kirchenkanzlei der DEK]

Asmussen: Ich komme noch einmal auf die Göttinger Geschichte zurück. Brunottes Protest wird grossenteils anerkannt. Wenn der Rat der Ueberzeugung ist, dass die Dinge schief gelaufen sind, so bitte ich zu prüfen! Dibelius: Wir können damit 2 Leute beauftragen. Asmussen: Es möge sich nicht ohne Prüfung ein Urteil festsetzen, und ich möchte es nicht auf mir sitzen lassen. Dibelius: Ich schlage unsere beiden Juristen, Herrn Prof. Smend und Dr. Heinemann vor. Asmussen: Ich bitte, dass ein Theologe an diesem Ausschuss beteiligt wird.

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Niesei: Ich habe eigentlich nur einen Anstoss an den Göttinger Verhandlungen genommen, das war Siegels fromme Redensart 192 . Smend: Wir können es selber prüfen. Asmussen: Wenn der Rat kein Gewicht auf eine Nachprüfung legt, so billigt er mein Vorgehen. Lilje: Nein! Ich halte den Weg mit Smend für glücklich. Nächstesmal [sicf\ kann darüber berichtet werden. Smend: Diese Sache ist schon theoretisch ausserordentlich schwierig. Es ist schwer, zwei so verschiedene Individualitäten wie Asmussen und Brunotte auf einen Generalnenner zu bringen. Auf welche Melodie hätten die zwei sich abstimmen sollen? Welches wäre das Ziel einer solchen Ueberprüfung? Für das Internum des Rates ist vieles reinigungsbedürftig; aber auch vor der Oeffentlichkeit im Bereich von Hannover. Es waren 12 Beamte und Angestellte, die alle mit ihren Bekannten und Angehörigen schon darüber gesprochen haben, so dass ein Aufhalten nicht möglich ist. Ich müsste, um die Reinigung für das Internum zu schaffen, die Zeugen befragen, die nun an verschiedenen Orten wohnen. Bei all diesen Schwierigkeiten bleibt nur das erste: Wie hätten die beiden verschjiedenen] Stimmen richtig abgestimmt werden können? Das vergrößert die Aufgaben für die heutige Sitzung und führt doch nicht zu einem Ziel. Wurm: Ich halte die Sache für erledigt. [Ostpfarrer]

Asmussen: In Westfalen und Rheinland ist es zu einer gemeinsamen Regelung der Ostpfarrer-Frage gekommen 193 . Eine grosse Anzahl der Landeskirchen handelt schon darnach. Ich schlage vor, diese Regelung nun allen Landeskirchen zur Beachtung zuzuleiten. Niesei: Das müsste die Kanzlei, nicht ich machen. In Bethel fand eine Sitzung der Kirchenleitungen aus dem britischen Sektor 194 statt, bei der für die Ostpfarrer ein Gehalt von monatlich R M 150,-, wenn sie Dienst tun, von R M 200,-, festgesetzt würde. Nach 192 Bei der Übernahme der Göttinger Kirchenkanzlei durch Asmussen am 24. Oktober 194J hatte die bisherige Kassenkraft Frau Jahn den Eindruck gewonnen, sie solle nicht mehr in den Dienst der Kirchenkanzlei der EKD übernommen werden. Als sie ihre Betroffenheit gegenüber Dr. Siegel (vgl. S. 204, Anm. 249) zum Ausdruck brachte, soll dieser laut Schreiben Brunottes vom 10. Dezember 1945 geäußert haben, "solche Erlebnisse dienten dazu, daß wir innerlich reifer" werden "und zur Vorbereitung auf die Ewigkeit" (3D18, S. 265). 193 3C5(S. 220ff.). 194 Zu dieser von Präses Koch geleiteten Sitzung am 2. November 1945 vgl. LKA BIELEFELD, 3,10 Nr. 85.

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einer Umlageschlüsselzahl soll festgelegt werden, wieviel Mittel die Landeskirchen monatlich für solche Pfarrer ausschütten müssen. Eine Mittelstelle schafft dann den Ausgleich. (Antrag an die Kirchenleitung; Beilage eines ausgef[«//ien] Fragebogens, dann teilt die Kirchenltg. mit. Von der Zentrale her werden alle Ostpfarrer beraten). Asmussen: Ich schlage vor, diese Ordnung empfehlend an die Landeskirchen weiterzugeben. Niesei: Die Einrichtung einer Ausgleichskasse ist notwendig. Held: Wie soll sie gespeist werden? Heinemann: Wie soll man bereits bezahlte Gehälter nachträglich ausgleichen? Niesei: Das scheidet aus, wenn Gehälter gezahlt werden. Smend: Das ist bei den Ost-Professoren dasselbe. Es sind noch 2 Reibungspunkte möglich. Soll man jemandem, der keine Unterstützung bekommt, ein Beschwerderecht einrichten oder nicht? Es wäre eine höhere Stelle über den einzelnen Unterstützungsstellen. Aber das bedeutet natürlich einen entschiedenen Eingriff in die Autonomie der Landeskirche. Meiser: Wir haben 3 Kategorien von Ostpfarrern: a) solche, die unter die Rechtsverhältnisse der L.K. gestellt sind, b) solche, die beschäftigt werden, c) solche, die nicht beschäftigt werden, entweder weil keine Stellen vorhanden sind, oder weil man sie nicht will. Es muss vermieden werden, dass eine Landeskirche ihren Dienst von einer andern bezahlen lässt. Dabei kommt man ins Uferlose. Wir müssen auch die Diakone berücksichtigen. Die Kirchenbeamten geben uns wichtige Fragen auf. Niesei: Nach der Betheler Regelung sind diese einbezogen. Meiser: Ist die Frage der DC-Pfarrer geregelt? Niesei: Dafür müssen Fragebogen eingereicht werden. Heinemann: Es bestehen grosse Unterschiede in der Praxis der L.K. Meiser: Ist ein Zwang auf die L.K. geraten? Sie besitzen ihre Finanzhoheit. Wir können nur im Interesse der eigenen L.K. oder aus Gründen der Solidarität empfehlen. In Bayern haben wir bisher aus kirchensteuerlichen Beständen die Flüchtlingspfarrer bezahlt. Das Gehalt unserer eigenen Pfarrer ist um 10% gekürzt. Dazu kommen freiwillige Abgaben der Pfarrer. Held: Nur die nicht Beschäftigten dürfen zum Nothilfeausgleich angemeldet werden. Ein 5 %iger Abzug vom Pfarrgehalt wird bei uns von allen Pfarrern erwartet, aus dem der Fond für nicht beschäftigte Ostpfarrer einge-

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richtet ist195. Dies ist eine gemeinsame Verpflichtung der L.K., die freiwillig aus der Sache erwächst. Niesei: In Bethel wurde festgesetzt, dass die Flüchtlingspfarrer nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern aus Kollekten unterhalten werden sollen. Die beschäftigten Pfarrer bekommen RM 50,- als Unterstützungssumme. Auch aus freiwilligen Mitteln. Deshalb sind diese Pfarrer mit in die Nothilfe eingeschlossen. In diese Lösung sind die einzelnen Kirchen freiwillig eingetreten. Meiser: Wir weisen Ostpfarrer nicht in schon existente Stellen, sondern haben eine Menge neuer Stellen eingerichtet. Eine grosse Menge von Flüchtlingen ist in die katholischen Gebiete gezogen, und die katholische Kirche benutzt die Gelegenheit, um Proselyten zu machen. Darum haben wir in solchen Gegenden neue Stellen eingerichtet 196 . Wo es sich um Einweisung in bereits existente Stellen handelt, da kann von "Nothilfe" nicht die Rede sein. Held: N u r die Unbeschäftigten sollen zum Ausgleich angemeldet werden, und dabei müssen wir Pfarrer, Beamte und Angestellte berücksichtigen. Es kommt zunächst auf den Versuch an, bei dem wir sehen müssen, ob es so geht. Asmussen: Ich habe aus Göttingen eine vorläufige Aufstellung über die Matrikularbeiträge der Landeskirchen erhalten 197 . Dabei fällt mir auf, dass Bayern solche Unterstützungsbeiträge von diesem Betrag abgezogen hat. Darf ich fragen, um was für Unterstützungen es sich handelt? Meiser: Wir haben nur da abgezogen, wo es ich um Beamte und Angestellte der Kirchenkanzlei, bzw. deren Angehörigen handelt. Asmussen: Das ist aber eine recht erhebliche Summe. Wurm: Ist nun der Vorschlag Held angenommen?

195 Vgl. dazu H. RUDOLPH, Vertriebene, Bd. 1, S. 358. 196 Der größte Teil der Flüchtlinge evangelischen Bekenntnisses, die 1945 nach Bayern gekommen waren, hatte sich in Ostbayern im Gebiet der katholischen Diözesen Regensburg, Passau und Freising niedergelassen. Da es dort bislang nur wenige evangelischen Gemeinden gab, stellte die katholische Kirche ihre Gotteshäuser für evangelische Gottesdienste zur Verfügung. Die für die Versorgung der Flüchtlinge dringend benötigten Ostpfarrer wurden von der bayerischen Landeskirche zunächst nur als Amtsaushilfen angestellt; bis 1948 stieg die Zahl der lutherischen Pfarrer in Niederbayern und der Oberpfalz dann von 70 vor Kriegsbeginn auf 150 (vgl. dazu C.-J. ROEPKE, P r o t e s t a n t e n , S. 429FF.).

197 Vgl. die Umlageberechnungßr die Zeit vom 1. Oktober 1941 bis 31. März 1942 (EZA BERLIN, 2/769); zum Haushalt der EKD und zur Umlageberechnung vgl. auch 3D34 bis 3D37 (S. 294298).

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Meiser: Ich würde es begrüssen, wenn er angenommen würde, weil dann keine L.K. in Versuchung kommt, sich auf Kosten einer anderen satt zu machen. Niesei: Aber es darf nun auch keine L.K. die Ostpfarrer einfach unbeschäftigt lassen. - Präses Koch hat alles genau formuliert (danach erhalten alle Beschäftigten Nothilfe). Meiser: Eine zentrale Zahlstelle gehört zu den Uraufgaben der Kirchenkanzlei. Man sollte dafür nicht wieder eine neue Stelle einrichten. Das schafft nur wieder eine neue Zahl von unmöglichen Leuten. Dibelius: Die ganze Sache ist, wenn ich recht verstehe, eine westliche Angelegenheit, nach der wir uns nicht richten werden. Wir haben ja auch unsere Flüchtlinge, beschäftigen sie alle, aber können nur lokal bezahlen. Wir können niemanden \sic!\ die Garantie geben, dass er ständig unterstützt wird. Meiser: In punkto Flüchtlingspfarrer ist die Frage des Disziplinarrechtlichen von besonderer Bedeutung. Bisher üben wir in Bayern nur das allgemeine Aufsichtsrecht, da ja solch ein Pfarrer noch seiner eigenen Landeskirche angehörig ist. Und doch ist eine Möglichkeit notwendig, die uns eine Handhabe gibt. Wir haben traurige Fälle erlebt, in denen sogar die Militärregierung Anstoss an dem sittlichen Verhalten eines Pfarrers genommen hat: Z.B. ist ein Pfarrer in das Haus eines Künstlers geladen und leistet sich bei diesem Besuch obszöne Bemerkungen gegenüber der Frau des Künstlers. Ein anderer zahlt Wucherpreise für Lebensmittel, wie überhaupt diese Leute aus dem Osten zum Teil einen so hohen Lebensstandard gewöhnt sind, dass der Unterschied zur Bayrischen Bevölkerung stark zur Geltung kommt. Eine Disziplinar-Regelung ist unerhört wichtigln diesen Fragenkomplex gehört der Feldbischof Dohrmann. Er ist ja kein Flüchtling im eigentlichen Sinne. Ihm haben wir es zu verdanken, dass die Wehrmachtsseelsorge die ganze Zeit über so gut aufrecht erhalten worden ist. Wir haben ihm jetzt in München eine Pfarrstelle gegeben, können aber nicht bei einem solchen alten Mann, der vielleicht noch 2 - 3 Jahre im Dienst bleiben wird, anschliessend das Ruhegehalt übernehmen 198 . Held: Das ist richtig. Die für Dohrmann zuständige Instanz ist nicht mehr vorhanden.

198 Zu Dohrmann vgl. S. 34, Anm. 38. Er versah vom 16. Januar 1946 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand am 1. November 1951 die 2. Pfarrstelle an der St. Lukas-Kirche in München.

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Meiser: Ich möchte nur vermeiden, dass Dohrmann im Alter auf die Armenfürsorge angewiesen ist. Nicht eine einzelne Landeskirche sollte ihn versorgen müssen, sondern eine zentralkirchliche Stelle. Niesei: Das muss dann von Fall zu Fall entschieden werden. Ausser der Verteilung der Nothilfe auf die Landeskirchen brauchen wir eine Unterstützungskasse der EKD. Heinemann: Dieses Problem wiederholt sich bei allen Wehrmachtpfarrern. Meiser: Die Alteren von ihnen können den Etat einer Landeskirche völlig über den Haufen werfen. Niesei: Es handelt sich bei der Nothilfe um eine freiwillige Vereinbarung. Wir geben keine Verordnung heraus. Deshalb meine ich, wir sollten der "Nothilfe" als solcher zustimmen, damit wenigstens ein Masstab vorhanden ist. Meiser: Uns erscheinen die Sätze etwas hoch. Bei uns erhalten die Unbeschäftigten RM 100,-. Heinemann: Wir könnten heute etwas darüber beschliessen und die L.K. im englischen Gebiet um Anschluss bitten. Held: Bei uns kann keiner von RM 100,-, existieren. RM 150,- sind äusserstes Existenzmininum. Niesei: Wir müssen mit der Tatsache rechnen, dass unter den Beschäftigten auch immer wieder solche sind, die vorübergehend beschäftigt sind. Meiser: Das gibt unendliche Verrechnungsschwierigkeiten. Niesei: Es kommt aber auf dasselbe hinaus, wenn alle, Beschäftigte und Unbeschäftigte, zur Nothilfe gerechnet werden. Dann ist es die Frage, welche Summe jede Landeskirche aufbringen müsste. Asmussen: Sollen wir uns grundsätzlich der Nothilfe anschliessen? Meiser: Eine Ausgleichskasse muss geschaffen werden. Ausserdem müssen in die Nothilferegelung alle eingeschlossen werden, die überhaupt im kirchlichen Dienst gestanden haben, z.B. die Diakone. Niesei: Die Diakone haben bereits unter sich einen Ausgleich geschaffen199. Asmussen: Ich formuliere: Der Rat empfiehlt, der in Bethel beschlossenen Ordnung der Nothilfe beizutreten. Einzelheiten der Nothilferegelung werden den L.K. überlassen. Die Schaffung einer zentralen Ausgleichskasse bei der Kirchenkanzlei wird in Aussicht genommen200. Held: Zur Füllung der Nothilfekasse wird ein 5 %iges Opfer der Beamten, Angestellten usw. erwartet. 199 Nicht ermittelt. 200 Vgl. den fast wortgleichen Beschluß 3B1, S. 120.

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Niesei: Wie die einzelne L.K. prozediert, ist eine Sache für sich. [Verhandlungen mit der Besatzungsbehörde]

Meiser: Verliest das gemeinsam von ihm und Faulhaber an die amerikanische Besatzungsbehörde Bayerns gerichtete Schreiben mit folgendem Inhalt 201 : 1.) In unserem Lande sind Männer und Frauen in immer grösserer Zahl verhaftet worden. Viele befinden sich seit Monaten in Gefangenschaft, ohne einer Untersuchung zugeführt zu werden. Eine immer grössere Sorge lastet auf den Angehörigen, weil gar keine Nachrichtenübermittlung ermöglicht wird. Die materielle Not wächst bei den Angehörigen. Deshalb wird gebeten, dass wenigstens diejenigen, die keiner ernstlichen Vergehen schuldig sind, in absehbarer Zeit, möglichst vor Weihnachten, der Freiheit wieder gegeben werden. Wir erbitten Milde und Verkürzung der Haft. Es liegt uns fern, wirklich Schuldige der Strafe entziehen zu wollen, obwohl es ein Vorrecht der Kirche ist, sogar bei richtigen Verbrechern zur Milde zu raten. 2.) Viele Rentenempfänger werden ausser Rente gesetzt, weil sie zur Partei gehörten. Daraus entsteht ein bitteres Elend bei alten Leuten. Wir bitten, diese Entscheidungen nachträglich zu revidieren und christliche Barmherzigkeit angesichts des ohnehin grossen Elendsstromes walten zu lassen. Wir appellieren an die Grossmut und Milde des Sieges, der solche Beitragsleistungen als Rechtsanpruch der Betroffenen ansehen möge. Wir begrüssen es, dass die bayrische Staatsregierung neue Vorschläge zur Entnazifizierung macht, die milder sind als die bisherigen Gesetze202. Wir bitten den Sieger, nicht zu hart zu sein. Grossmut und Barmherzigkeit wird ihn nie reuen. Wir erbitten diese Tat gerade zu Weihnachten, weil es für unser deutsches Volk in besonderer Weise das Fest der Liebe ist. Jenseits aller Gesetze des politischen Handelns verlangt die ewige Liebe ihr Recht. Asmussen: verliest die Schlusspunkte der Tagesordnung. Hahn: Die Kirche muss erwirken, dass den aus den Ostgebieten stammenden Pfarrern der Grenzübertritt gestattet wird. Wurm: Die Gefangenenseelsorge bedarf noch der Regelung.

201 Das Schreiben Meisers und Faulhabers an die Amerikanische Militärregierung für Deutschland vom 7. Dezember 1945 ist vollständig abgedruckt bei C. VoLLNHALS, Entnazifizierung, S. 47f. 2 0 2 Z« entsprechenden Vorschlägen der Regierung Schäffer vgl. L. NIETHAMMER, Entnazifizierung, S. 164ff.

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Lilje: (zu Hahn) Wir können den Pfarrern, die nach dem Osten gehen, nur selbst einen Ausweis ausstellen. Dibelius: Ein solcher Grenzüberschreitungs-Ausweis scheitert nur an den Russen. Aber wenn man will, kommt man über die Grenze. Man wird den Versuch mitunter mehrfach unternehmen müssen, aber schliesslich gelingt es doch. Hahn: Wenn nur eine Beratungsstelle vorhanden wäre! Niesei: Meistens ist es nur eine faule Entschuldigung. Jeder Soldat, der aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird, kommt doch nach Hause. Lilje: Man kann zur Unterstützung nur von der Kirche aus einen Ausweis schreiben. Wurm: Die Amerikaner müssten auf die Russen einen Druck ausüben. [Gefangenenseelsorge]

Lilje: Die Gefangenenseelsorge gehört zu den mühseligen Arbeiten der Kirche. Eine Schwierigkeit macht bei uns immer wieder der britische Bürokratismus. Die katholische Kirche kommt immer rascher zum Schlag als wir. Bisher ist erreicht, dass die Pfarrer grundsätzlich entlassen werden. Und die Kirchenführer können die Lager besuchen. Dies ist die Frage: Auch noch für die nächsten Monate wird eine grosse Zahl von Kriegsgefangenen in den Lagern sein. Schuster hat wegen Zusammenfassung der Lagerseelsorge im britischen Sektor ein Memorandum an die Militärregierung gerichtet203. Nun verlangt er nach einer kirchlichen Unterstützung seines Anliegens. Er braucht eine offizielle Beauftragung zum systematischen Durchackern, zum Suchen nach vorhandenen Kräften und zum Ausbau einer richtigen Dienststelle. Hier sind ja nun richtige Männer gemeint, die auch zugänglich sind. Die Ungewissheit über Gefangenschaftsdauer bedeutet eine nervöse Anspannung für die Leute. Ich schlage folgenden Beschluss vor: Dekan Schuster wird mit dem Aufbau einer solchen Dienststelle beauftragt. Er erhält dabei die Auflage, mit mir zusammen oder mit einem anderen Mitglied des Rates oder mit dem Leiter der Kirchenkanzlei vorzugehen. Asmussen: Ich bitte um eine Erweiterung des Antrages 204 . Eberhard Müller war bisher mit der Kriegsgefangenenseelsorge beauftragt, aber er hat die Freude daran verloren 205 ; deshalb schlägt er den bisherigen Gen. Feldvik. Münchmaier \Münchmeyer\ als seinen Nachfolger vor. Dohrmann kommt 203 Nicht ermittelt. 204 3D24 (S. 279). Vgl. dazu auch S. 120, Anm. 26. 205 Vgl. 2B1, S. 28 und den undatierten Abschlußbericht Müllers (EZA BERLIN, 2/556).

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wegen seiner Berufung in ein Pfarramt nach München nicht in Frage206. Ich schlage vor, Dohrmanns Befugnisse auf Münchmaier [Münchmeyer] zu übertragen, so dass unter ihm ein Teil dieser Arbeit Dekan Schuster tut. Lilje: Münchmaier [Münchmeyer] hat immer als Aktivist unter den Wehrmachtgeistlichen gegolten. Das lässt sich m.E. ohne weiteres miteinander verbinden. Meiser: Was haben denn Münchmaier [Münchmeyer] und Schuster zu tun? In den Gefangenenlagern befinden sich entweder eigene Pfarrer oder haben die Zivilgeistlichen des Ortes die Betreuung. Hätten M[ünchmeyer] und Sch[«sier] dann auch einen geistlichen oder nur organisatorischen Auftrag? Geistliche Funktionen kommen doch wohl nicht in Frage, da sie in die landeskirchlichen Befugnisse eingreifen würden. Asmussen: Ein grosser Teil der Arbeit wird die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen im Ausland sein. Lilje: Das ist eine ganz andere Frage. Hier in der Heimat werden nun die Pfarrer aus den Lagern entlassen. Die Lager sind also ohne Versorgung. Es müssen Liedertexte, Kultgegenstände, Bibeln usw. beschafft werden. Die Verbindung mit den L.K. ist aufrecht zu erhalten, und doch ist eine zentrale Behandlung erforderlich, da eine zentrale Persönlichkeit immer eher von allem unterrichtet ist. Wurm: Es bedeutete demnach eine Art Visitationsauftrag. Heinemann: Sch[«5ier] ist noch Kriegsgefangener und will es bleiben. Asmussen: Der Auftrag Müller bezog sich auch auf die ausländischen Lager. Es hat sich, besonders in Frankreich, eine Reihe von Theologenlagern entwickelt207. In einer der nächsten Sitzungen des Rates muss darüber beraten werden, wie weit eine Anerkennung der in diesen Lagern gehaltenen Studien den L.K. vorgeschlagen werden kann. Lilje: Wir brauchen auch für die Lager in Deutschland einen Mann, der in ständiger Fühlung mit der Kirchenleitung und den Lagern bleibt. Es macht sich schon eine gereizte Stimmung in den Lagern breit, die von der Behauptung herkommt: die Kirche tut nichts für uns. - Die Beauftragung kann limitiert werden. Meiser: Bedeutet das dann eine Anstellung? Wie würde Schuster bezahlt?

206 Vgl. dazu auch das Schreiben Müllers an Schuster vom 20. Dezember 1945 (EBD.) und S. 187, Anm. 198. 207 Ein theologisches Seminar gab es z.B. im Lager Montpellier (vgl. den Abschlußbericht Müllers: E Z A BERLIN, 2 / 5 5 6 ) .

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Lilje: Es handelt sich nur um eine Beauftragung. Bisher gehen unsere Intentionen dahin, dass die oberste britische Besatzungsbehörde diese Stelle selber schaffen soll. Dibelius: Ich frage, ob eine Beauftragung zweckmässig ist. Kann man nicht Schuster für das engl. Gebiet, Münchmaier [Münchmeyer] für die amerik. Zone vorsehen? Die französische stelle ich anheim. Die Lager im Ausland kann die Kirchenkanzlei selber machen. Meiser: Das Erlanger Werk 208 könnte man mit einbeziehen. Lilje: Man müsste Fühlung mit Forell halten, der in England die Sache macht 209 . Eberhard Müller hat Beziehungen zu Sturm 210 , der für unsere Lager in Frankreich wichtig ist. Meiser: Ich schlage eine kommissarische Beauftragung vor, die jederzeit wieder aufgehoben werden kann. - Münchmaier [Münchmeyer] müsste man allerdings besolden. - Wie ist die Regelung des Verhältnisses dieser Stelle zum Hilfswerk? Asmussen: Bisher hatte Gerstenmaier die karitative, Müller die seelsorgerliche. Wurm: Münchmaier [Münchmeyer] könnte ja vorläufig eine Pfarrstelle in Stuttgart bekommen. Wir hatten uns eigentlich für Dohrmann verpflichtet gefühlt. Aber er scheint ja fest nach München zu gehen. Meiser: Dohrmann ist fest in Bayern; er wollte gerne in eine Universitätsstadt. Dibelius: Münchmaier [Münchmeyer] kann die Kriegsgefangenenarbeit in der amerik. Besatzungszone neben einer Pfarrstelle in Stuttgart tun. [Kirchliche Einrichtungen] Asmussen: Ich bitte Bruder Dibelius um Verlesung seines Antrages 211 . Dibelius: Bei den Verhandlungen im Osten werden die Russen immer wieder gebeten, und sie garantieren es auch, die kirchlichen Einrichtungen nicht anzutasten. Aber dabei zeigt sich, dass der Russe unter Einrichtung 208 Gemeint ist das Evangelische Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene in Erlangen, das Heckel "als persönliche Schöpfung" aufgebaut hatte und in das keine kirchenamtlichen Gelder flössen (vgl. die Aktennotiz Siegels über Verhandlungen am 30. November 1945: EZA BERLIN, 2/474; vgl. dazu außerdem 1E7 (S. 18-22) und S. 3, Anm. 6). 209 Zu Tordis Tätigkeit in englischen Kriegsgefangenenlagern vgl. H. v. KOENIGSWALD, Forell, S. 163FF.

210 Vgl dazu den Abschlußbericht Müllers (EZA BERLIN, 2/556). Sturm war seit 1945 reformierter Feldbischof der französischen Besatzungsarmee in Deutschland und Leiter der Aumônerie Générale in Baden-Baden. 211 3C6(S. 222).

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einer Kirche nur deren kultisches Gebäude versteht. Dabei wird alle karitative Arbeit der Kirche zur Auflösung gebracht. Deshalb müssen wir eine bündige Erklärung der Gesamtkirche vorlegen können: Auch all diese Dinge sind Dinge der Kirche. Bezüglich der Inneren Mission liegt schon aus dem Jahre 1942 [sicf\ eine feierliche Erklärung der Kirchenkanzlei vor, die also nur wiederholt zu werden braucht 212 . Diese Erklärung kann dann an die Landeskirchen in Deutschland versandt werden. Meiser: Die kirchlichen Lehrerseminare sind nicht aufgeführt. Dibelius: Sie fallen mit unter die Innere Mission. Meiser: Die Internate sind keine Einrichtungen der Inneren Mission. Eine Anzahl konfessioneller Schulen sind von der Kirche errichtet. Wenn die Aufzählung erschöpfend sein soll, so müssen die Dinge mit hinein. Heinemann: Der zweite Satz bringt nur Beispiele zu 1.). Von erschöpfender Aufzählung kann nicht die Rede sein. Smend: Wenn ich recht verstehe, so wird hier der Gesichtspunkt der Landkriegsordnung vertreten, die besagt, was bei Besetzung durch den Krieg zu schonen ist213. Asmussen: Das ist so beschlossen. Wünscht der Rat noch die Besprechung der Geschäftsordnung 214 ? Dibelius: Ich bin der Meinung, dass wir zunächst eine Aussprache über die künftige Gestaltung der Arbeit des Rates und der Kirchenkanzlei brauchen. Eine Geschäftsordnung ist noch nicht nötig, aber es muss klar sein, was geschehen soll. Dass wir von diesen beiden Tagen so wenig befriedigt sind, liegt doch daran, dass wir das nicht wissen. Niesei: Die Reisen bringen gegenwärtig so viel Strapazen mit sich. Das muss sich dann aber auch lohnen. Dibelius: Was wird nun besprochen? [400. Todestag Luthers]

Asmussen: Zunächst die Frage des 18.2., Luthers Todestag. Der Antrag besagt, dass La.Bi. Meiser gebeten wird, einen Hirtenbrief an die evang. 212 Gemeint ist der "Erlaß des Leiters der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei betreffend die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 12. Juli 19 40, nach dem "die in der Inneren Mission der Deutschen Evangelischen Kirche zusammengeschlossenen Verbände, Anstalten und Einrichtungen der evangelischen Liebestätigkeit und Volksmission" zum "Bestandteil der Deutschen Evangelischen Kirche" erklärt wurden (GB1DEK 1940, S. 39f.). 213 Vgl. S. 212, Anm. 278. 214 Vgl. dazu den Entwurf für eine Geschäftsordnung des Rates der EKD (3D28, S. 280-283).

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Kirche in Deutschland zu richten, und der Rat Abhaltung von Gedächtnisgottesdiensten empfiehlt 215 . Meiser: Ich kann mich nicht als lutherischer Bischof an die reformierten Kirchen wenden. Dibelius und Lilje: Aus diesem Anlass ohne weiteres. Meiser: Ist der Hirtenbrief als ein Wort an die Pfarrer oder an die Gemeinden zu verstehen? Asmussen: An die Pfarrer u n d

Gemeinden 216 .

Wir kommen dann zu der Verordnung über das Beamtenrecht 217 . [Termin der nächsten Ratssitzung] Wurm: Zunächst müssen wir den Termin der nächsten Sitzung festlegen. Asmussen: Ich schlage vor, Anfang Februar. Wurm: Ich muss darauf aufmerksam machen, dass ich schon am 9. Febr. in der Schweiz sein soll 218 . Asmussen: Also, in den allerersten Tagen des Februar. Dibelius: Für die Teilnehmer aus dem Osten besteht die Schwierigkeit, dass am 4.2. eine altpreussische Zusammenkunft festliegt219. Halten Sie Ende Januar für zu früh? Asmussen: Welche Wochentage sind die günstigsten? Wenn die Sitzung Ende Januar oder Anfang Februar sein soll, dann schlage ich Mittwoch und Donnerstag, den 30. und 31. Januar vor. Und wo soll die Sitzung stattfinden? Alle: Hier. Heinemann: In Stuttgart sind wir zu verzettelt. Lilje: Wir brauchen einen dauerhafteren Pass, den wir vielleicht durch Gerstenmaier beim Kontrollrat bekommen könnten. Meiser: Wir brauchen eine Benzinsonderzuteilung.

215 3D25 (S. 279). 216 Meiser richtete das Hirtenwort schließlich "An die evangelische Christenheit in Deutschland!" (3 C7, S. 222f.). 2 1 7 Vgl. S. 121, Anm. 30. 218 Tatsächlich reiste Wurm erst am 16. Feburar 1946 über Zürich nach Genf zur Tagung des Vorläufigen Ausschusses des ÖRK (T. WURM, Erinnerungen, S. 189). 219 Es handelt sich dabei offensichdich um die Sitzung der altpreußischen Kirchenleitung, die gleichzeitig mit der "Ostkirchenkonferenz" am i. und 6. Februar 1946 im Johannesstift in BerlinSpandau stattfand (vgl. die Einladung vom 15. Januar 1946 samt Tagesordnung: EZA BERLIN, 7 / 4 1 9 3 , BL. 61-63; M . KÜHNE, N e u o r d n u n g , S. 136).

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Heinemann: Die Pässe müssen einschliesslich der franz. [Besatzungszone] gelten. Meiser: U n d dann die alte Bitte: Wir müssen die Vorlagen rechtzeitig erhalten. Ist den Herren bekannt, dass die gesamte Pfarrerpost stark kontrolliert wird? Niesei: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die eingeschriebene Post wesentlich schneller geht, vielleicht macht die Kanzlei davon gelegentlich Gebrauch. [Rechts- und

Verfassungsausschuß]

Asmussen: Bitte H e r r Prof. Smend. Smend: Eine Nachprüfung des Beamtenrechtes ist fast unmöglich. Schon weil der Zugang schwer ist, ist eine Verständigung technisch schwierig. Ausserdem liegt ein innerer Grund vor, das kirchliche Beamtenrecht nicht wesentlich abzuändern. Es ist eine Weisheit der kath. Kirche, sich in diesen Dingen nicht zu sehr auszusprechen. Die Verfassung von 1933 hatte ja einen richtigen Kern, indem an der grundsätzlichen Beziehung zu den L.K. festgehalten wurde 220 . Deshalb ist ein Bedürfnis nach Rechtsstoff gering und besteht nur beim Beamtenrecht. Das muss liquidiert werden. § 2 der Kirchenbeamtenordnung von 1933 [sie/] ist spezifisch nationalsozialistisch und deshalb untragbar 221 . § 3 enthält den Diensteid, zu dem eine Uebergangsformel vorgeschlagen wird 222 . Eine offene Frage sind die dienstrechtlichen Verhältnisse. Es muss bestimmt werden, wer oberste Dienstbehörde ist: Der Leiter der Kirchenkanzlei oder die Versammlung des Rates oder dessen Vorsitzer? Bisher hatte die Kirchenkanzlei ein grosses Eigengewicht. Die Frage der

220 Nach Art. 2, Satz 3 der Verfassung der DEK vom 11. Juli 1933 blieben die Landeskirchen zwar "in Bekenntnis und Kultus selbständig", Satz 4 lautete jedoch: "Die Deutsche Evangelische Kirche kann den Landeskirchen für ihre Verfassung, soweit diese nicht bekenntnismäßig gebunden ist, durch Gesetz einheitliche Richtlinien geben. Sie hat die Rechtseinheit unter den Landeskirchen auf dem Gebiete der Verwaltung und Rechtspflege zu fördern und zu gewährleisten" (GB1DEK 1933, S. 2). 221 Smend bezieht sich hier offensichtlich auf § 2 der Kirchenbeamtenordnung der DEK vom 13. April 193 9, in dem es heißt: "Für die Kirchenbeamten gelten sinngemäß das Deutsche Beamtengesetz und die zu seiner Ausführung erlassenen Vorschriften" (GB1DEK 1939, S. 43). In § 1, Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 hieß es z.B.: Der Deutsche Beamte "ist der Vollstrecker des Willens des von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates" (RGBl I 1937, S. 41). 222 Vgl. § 1, Abs. 2 der Verordnung über das Beamtenrecht der EKD (3C8, S. 224).

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obersten Dienstbehörde stelle ich zur Entscheidung. Damit ist die Kirchenbeamtenordnung m.E. handlich. In der D i s z i p l i n a r o r d n u n g 2 2 3 sind die nationalsoz. Gedanken weggefallen. Niesei: Treue in diesem Sinne ist nationalsoz[ialistisch], Smend: Aber nach altem deutschen Beamtenrecht ist es selbstverständlich, dass sie [szc/] Treue genannt wird. Dibelius: erhebt Bedenken, ob die alte Disziplinarordnung 224 überhaupt geeignet ist, als Vorlage für eine neue zu gelten. Held: Hier sind nur formale Abänderungen getroffen worden. Meiser: Wir können ja den Kirchen, die meinen, sich nach der alten Ordnung richten zu müssen, das was Smend sagt, zur Beachtung geben. Wenn wir eine neue Disziplinarordnung erlassen, so würden wir uns als Berufungsinstanz einsetzen. - Für die Uebergangszeit genügt es so. Eine neue Disziplinarordnung zu schaffen führt uns zu sehr in die Materie hinein. Wir sollten uns üben \sic!\, uns in ein Brennesselnest zu setzen. Die EKD ist ein Bund, die L.K. sind selbständig. Wir können es anheim geben, das alte Recht weiter zu benutzen. Etwas anderes ist es mit den Beamten für die Kirchenkanzlei. Bis zur weiteren Regelung können wir die alten Bestimmungen mit gewissen Veränderungen verwenden, sofern den Mitarbeitern der Kirchenkanzlei überhaupt Beamteneigenschaft zukommt, da wir doch nur vorläufig sind. Heinemann: In Stuttgart wurde bei der Verordnung zur Wiederherstellung eines bekenntnisgebundenen Pfarrerstandes von der Einrichtung einer Spruchkammer gesprochen 225 . Das Bedürfnis nach einem Rechtsausschuss ist schon deshalb vorhanden. Damit kann ein oberstes Spruchkollegium verbunden werden. Niesei: Es müssen aber bei der Disziplinarordnung noch andere Formulierungen abgeändert werden (ein Jahr Gefängnis226). Meiser: Es sind doch Beamte, die ihre rechtlichen Verhältnisse klar haben.

223 Vgl. Ebd., § 2. 224 Vom 13. April 1939 (GB1DEK 1939, S. 27-43). 225 Vgl. §§ 4 und 5 der "Richtlinien für eine Verordnung zur Wiederherstellung eines bekenntnisgebundenen Pfarrerstandes" (2C5, S. 64f.). 226 Nach § 5 der "Verordnung zur Abänderung, Ergänzung und Durchführung der Disziplinarordnung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom Ii. Dezember 1939 (GB1DEK 1939, S. 130), mußte jeder Geistliche, der zu mehr als einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde, aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden.

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Niesei: Die eine Bestimmung wegen Gefängnis muss rechtlich aufgehoben werden. Albertz227. Asmussen: Ich stelle fest228: 1.) Aenderung der Disziplinarordnung durch Streichung (gemäss Niesei). 2.) Die Vorlage Smend soll an die L.K.-Regierungen gesandt werden, 3.) für die Beamten der Kirchenkanzlei gilt das Beamtenrecht mit Aenderungen von Prof. Smend. Dibelius: Es gibt irgendwo einen Nachtrag zur Disziplinarordnung, der diesen Gefängnisparagraphen enthält229. Der muss für ungültig erklärt werden. Wurm: Der hat doch bei Stemmler [Staemmlerf 30 und Albertz die grosse Rolle gespielt. [Berufung Hahns zum sächsischen Landesbischofj

Asmussen: Wir stehen vor der Mittagspause. Darf ich Bruder Hahn noch bitten, sein Anliegen vorzubringen? Hahn: Ich habe einen Brief von Körte [Rotte] erhalten231, in dem er mir mitteilt, dass schon jetzt meinefr] Einführung als Bischof in Sachsen232 Komplikationen entgegenstehen, da ich als Balte bei den Bolschewisten belastet bin233. Wolf und Ritter rieten mir, unbedingt den offiziellen Weg zu

227 Albertz war während des "Kirchenkampfes " zu Haftstrafen verurteilt und daraufhin unter Berufung auf den "Gefängnisparagraphen" der Disziplinarordnung der DEK (vgl. S. 196, Anm. 226) aus seinen kirchlichen Ämtern entlassen worden. 228 Zur weiteren Regelung des Beamten- und Disziplinarrechts der EKD vgl. 4B1, S. 329; 6B1, S. 463. 229 Vgl. S. 196, Anm. 226. 230 Auch Staemmler, Vorsitzender des altpreußischen Bruderrates, war wie Albertz zu Haftstrafen verurteilt und daraufliin entlassen worden (vgl. Ebd. und M. ONNASCH, Macht, S. 266). 231 Schreiben nicht ermittelt. - Rotte, 1936 in den Wartestand versetzt, war seit Mai 1945 wieder Leiter des Landeskirchenamtes Dresden. 232 Der sächsischen landeskirchliche "Beirat", der im Namen der Landeskirche handeln sollte, hatte auf seiner 1. Sitzung am 15. November 1945 Hahn "die geistliche Führung der Landeskirche bis zu deren endgültiger Regelung durch die Landessynode" übertragen (H. HERZOG, Neuordnung, S. 203; vgl. dazu auch K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 693, Anm. 1490). Dem Beirat gehörten ca. 20 Mitglieder aus den unterschiedlichen kirchenpolitischen Gruppierungen in Sachsen an (vgl. EBD., S. 533f.). 233 Anspielung auf die baltischen Märtyrer von 1919: Der Bruder Hahns, der Dorpater Theologieprofessor Traugott Hahn d.J., war am 14. Januar 1919 zusammen mit anderen Geistlichen von den Bolschewisten vor deren Rückzug aus Dorpat erschossen worden (vgl. W. HAHN, Ruf, S. 161; H. HAHN, Kämpfer, S. 244, Anm. 23). Auf die Ermordung seines Bruders durch die Bolschewisten hatte Hahn während des "Dritten Reiches" auch öffentlich hingewiesen, um Angriffe gegen seine Person und die Bekennende Kirche abzuwehren.

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gehen234. Nun ist - wahrscheinlich durch einen früheren DC - eine Denunziation erfolgt. Jedenfalls wusste ein russischer Oberstleutnant bereits, dass ich Balte sei, was an sich überraschend ist. Dadurch ist meine Sache in die Länge geschoben235. Nun stehe ich vor der Frage, ob ich nicht trotzdem hinübergehen soll; ich hörte von einem katholischen Beispiel aus Tirol. Aber ich möchte es gerne vermeiden, um meiner Person willen das ausgehungerte Sachsen erneut in einen schweren Konflikt zu stossen, und frage den Rat, was zu tun richtig ist. Dibelius: Eine solche Frage kann man einer Körperschaft wie dem Rat nicht stellen. Hahn: Meine Frage ist: Erweise ich wirklich meiner Kirche einen Dienst damit, dass ich hinübergehe? Dibelius: Das einzige, was passieren kann, ist eine Ausweisung. Hahn: Aber meine Person belastet die ganze Kirche. Niesei: Nein, nur Ihre Person ist belastet. Hahn: Die Frage ist dann, ob die Landeskirche sich zu ihrer Wahl bekennt. Meiser: Hahns Uebergang nach Sachsen hat nur dann Sinn, wenn die L.K. sich dazu bekennt. Das erscheint mir aber nicht sicher. Mit den Kreisen der Mitte haben wir schlechte Erfahrungen gemacht236. Es wäre bedauerlich, wenn ein solcher Versuch gemacht würde, und ohne Konsequenzen bliebe. Asmussen: Ich fürchte, dass eine hinlängliche Entschliessung nicht vorhanden ist. Meiser: Die Bischofswahl Bruder Hahns steht auf einem rechtlich schmalen Boden (Notsynode)237.

234 D.h. wohl, mit der sowjetischen Besatzungsbehörde zu verhandeln, die zunächst nicht bereit war, Hahn aus Württemberg nach Dresden übersiedeln zu lassen (H. HERZOG, Neuordnung, S. 203; Auskunft K. Meier vom 9. Februar 1994). 235 Hahn wurde schließlich erst am 21. Oktober 1947 als sächsischer Landesbischof eingeführt, nachdem die sächsische Landesregierung in Übereinstimmung mit der sowjetischen Militäradministration ihre Zustimmung zu seiner Rückkehr nach Sachsen zur Übernahme des Bischofsamtes gegeben hatte (vgl. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 535 und S. 693, Anm. 1490; vgl. auch W. HAHN, R u f , S. 181).

236 Für Meiser war es offenbar fraglich, ob sich die im Kirchenkampf weitgehend von der kirchlichen "Mitte" geprägte sächsische Landeskirche nun hinter Hahn stellen würde, der aktiv in der Bekennenden Kirche mitgearbeitet hatte. Zur "Mitte" in Sachsen vgl. etwa H. KLEMM, Dienst, bes. S. 288f. 237 Vgl. S. 197, Anm. 232.

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Dibelius: Eine Verpflichtung der L.K., an ihrer Nominierung festzuhalten, ist nicht vorhanden, da sie nur vorläufig berufen hat. Ohne kirchlichen Schaden kann Bruder Hahn dann wieder zurücktreten. Wurm: Man müsste in diesem Fall das kirchliche Ausland angehen und darauf hinweisen, dass die Besatzungsmächte sich eines schweren Eingriffs schuldig machen würden. Wir bitten, dass vom Oekumenischen Rat Vorstellungen bei den Militärregierungen erhoben werden. Hahn: Man widersetzt sich meiner Rückkehr nach Sachsen, nicht meiner Berufung. Held: Eine legitime Berufung liegt nicht vor, sondern nur der Wunsch eines Notorgans. Dibelius: Wenn etwas bei den Besatzungsmächten getan werden soll, so muss der Rat unmittelbar bei dem Kontrollrat vorstellig werden. Genf ist ein rotes Tuch für die Russen. Ich frage mich, ob es einen Sinn hat, in dieser Weise an den Kontrollrat heranzutreten. Meiser: Wir dürfen den Oekumenischen Rat nicht überfordern, der ohnehin schon teilweise im Gegensatz zu den eigenen Regierungen steht. Dibelius: Wir brauchen einen richtigen Verbindungsmann beim Kontrollrat, möglichst einen aus dem Westen, weil wir im Osten keinen haben. - Für Bruder Hahn können wir jetzt m.E. nichts tun. Nachmittag des 14.12.1945. [Nichtarier]

Heinemann: berichtet über die Aufforderung der Bremer Kirche, eine Kollekte zum Wiederaufbau der Synagoge in Bremen zu sammeln238, sowie über eine 9 Seiten lange dazu verfasste Denkschrift mit dem Titel: "Was schulden wir den Juden heute?" In dieser Denkschrift wird der Standpunkt vertreten, dass die wirtschaftlichen Dinge der Juden geregelt werden müsse[ra], dass aber die Aufgabe der Kirche an ihnen die Verkündigung des Evangeliums sei. "Wer zum Synagogenbau hilft, hilft zur Verdammnis." Was denkt der Rat? Asmussen: Ich denke, es sei nicht tunlich, wenn in einer evang. Kirche eine Kollekte für den Synagogenbau gesammelt wird. Dagegen meine ich wohl, dass man einzelne Juden unterstützen soll. Wurm: Wie sollen wir der Kirchenregierung in Bremen dies mitteilen?

238 Vgl. dazu S. 121, Anm. 32.

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Heinemann: Nicht in der Form eines Protestes, sondern man kann dem Verfasser der Denkschrift als dem Fragesteller über die Bremer Kirchenregierung antworten. Wurm: Unsere Liebesgaben sollen nicht zum Bau von Synagogen verwendet werden. Aber es war auch ein Frevel, diese Gotteshäuser niederzubrennen. Heinemann: Das betonen auch die Fragesteller. Wurm: Da haben Sie recht. Meiser: Ist nun irgend etwas beschlossen? Wir geben der Bremer Kirchenleitung von der Tatsache dieser Eingabe und von der Stellungnahme des Rates Kenntnis. Es ist die Frage, ob der Rat überhaupt ein theologisches Gutachten abgeben kann. Held: Welche Voraussetzungen müssen denn erfüllt sein, damit der Rat sprechen darf? Dibelius: Müssen wir uns denn überhaupt äussern? Wurm: Der Bremer Gesichtspunkt ist der der Toleranz, aber das ist nicht einwandfrei. Meiser: Es ist aber nicht klug, wenn wir uns dazu äussern. Wir stiften Unwillen. Wurm: Soll also an Bremen geschrieben werden? Allgemeine Zustimmung. [Geschäftsordnung des Rates]

Asmussen: Br. Dibelius wünschte eine Aussprache über die Geschäftsordnung 239 . Dibelius: Ja. Ich habe den Wunsch, es möchte nicht nötig sein, uns an bestimmte Formen zu binden. Einige Kleinigkeiten stehen unter § 6. Danach werden wir zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses verpflichtet. Das ist für uns nicht ganz einfach durchzuführen, da wir zugleich anderen Gremien angehören, denen wir einen Bericht schuldig sind. Man müsste es unserem Verantwortungsbewusstsein überlassen, zu entscheiden, was wir weitergeben oder nicht. - "Nachrichten dürfen nur ..." Wir haben doch ein Interesse daran, dass die Presse erfährt, es wird in der Kirche etwas getan. Darum sollten wir auch hier nach bestem Wissen und Gewissen handeln dürfen. 239 Vgl. dazu den Entwurf (3D28, S. 280-283); eine Geschäftsordnung des Rates wurde endgültig erst auf der 6. Sitzung verabschiedet (6C6, S. 508ff.).

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Im Ganzen: Die Frage des Organes der föderalistisch zusammengeschlossenen L.K. in der EKD. Die Stellung der Kirchenkanzlei ist etwas anders geworden als früher. In gewisser Weise hat sie an Bedeutung gewonnen, aber ebenso auch verloren. All ihr Handeln ist der selbständigen Kritik der L.K. ausgesetzt, und das mehr als früher. Darum soll die Kirchenkanzlei n u r Kanzlei sein, nur geschäftsführendes Organ des Rates. Dass die Dinge so sauber wie möglich sind, muss bei der Kirchenkanzlei im Vordergrund stehen. Als einzig vorhandene Zentralstelle hat sie ein besonderes Gewicht. Darum muss das langsam sich Entwickelnde mit Sorgfalt und Weitblick gestaltet werden. Die Kirchenkanzlei benötigt die starke Anlehnung an einen bestimmten landeskirchlichen Organismus. Es geht nicht an, dass sie 100 km vom Vorsitzer des Rates getrennt ist. In allen Fällen muss sie mit einem bestimmten Konsistorium Verbindung halten. Es ist schon gut, jeweils eine Vorlage mit jemand andern zu besprechen. Deshalb sollte möglichst schleunig eine Uebersiedlung nach Stuttgart stattfinden. - Der ganze Rat hängt mit seiner Existenz daran, dass er von dem freudigen Vertrauen der L.K. getragen ist. In dieser Zeit, wo es keine deutsche Zentralregierung gibt, ist der Rat von grossem Wert. Als Zentralstelle steht neben ihm einzig die Kontrollkommission in Berlin, wenn sie auch nicht nur auf Berlin beschränkt ist, da z.B. Colonel Nappen [Knappen] in Frankfurt sitzt und nur zu den Sitzungen nach Berlin fährt. Der Berliner Zweitstelle der Kanzlei sollte ein ständiger Vertreter der EKD gegenüber dem Kontrollrat beigegeben werden. Wir bitten die Brüder im Osten, uns jemanden zu schicken, der das kann. Wir haben keinen, der das könnte, wenn auch Krummacher und Grüber 240 da sind. Ich nenne noch einmal den Namen Eberhard Müller, der sich wiederum seinerseits mit der Stuttgarter Kanzlei in Verbindung halten könnte. - Erst unter diesen Bedingungen können wir hier wirklich positive Arbeit tun und hätten mehr Freude an den Ratssitzungen. Wurm: Wäre ein Mann wie Hutten 241 nicht geeignet? [Kirchenkanzlei

der EKD]

Niesei: Darf ich etwas nachfragen? Irgendwie gehört die Arbeit eines hauptamtlichen Juristen zur Kirchenkanzlei, der vom Bekenntnis her die Probleme durcharbeiten kann. Hermann Ehlers ist berufen worden. Leider wurde er am Abend des gleichen Tages zum OKR in Oldenburg 240 - Heinrich Grüber, seit 1945 Propst von Berlin und Mitglied der ersten Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg. 241 Pfarrer Kurt Hutten hatte seit 1929 verschiedene Amter im Pressewesen der württembergischen Kirche ausgeübt.

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gewählt 242 . Aber ich bitte, noch einmal an Ehlers die Aufforderung ergehen zu lassen, der sich ev[entuell] zunächst beurlauben lassen kann, sind doch die Aemter hier ohnehin nur provisorisch. Ehlers ist eine qualifizierte Kraft. Ich stelle also den Antrag, man möchte sich an die Oldenburgische L.K. wenden, dass sie Ehlers für längere Zeit für unsere Arbeit delegiert243. Er hat mir mitgeteilt, dass er bis Weihnachten etwa mit seinem Entwurf zur Gemeindewahlordnung fertig sein werde 244 . - Die jetzige Arbeit könnefw] keine alten Leute der Kirchenkanzlei leitend übernehmen. Meiser: Wer unterstützt denn jetzt Asmussen? Muss er alles alleine machen? Asmussen berichtet: In der vorigen Sitzung des Rates ist Wehrhahn mit der Vorbereitung und Materialsammlung für einen juristischen Ausschuss beauftragt worden 245 . Bisher hat sich die juristische Arbeit so hingeläppert. Aufs Ganze gesehen ist die Arbeit der Kanzlei in den letzten Wochen lawinenartig gewachsen. Eine lebendige Beziehung zu den L.K., die hier immer wieder verlangt wird, ist tatsächlich vorhanden, nur nicht mit Rheinland und Westfalen, sowie Hannover. Natürlich ist diese Beziehung sehr verschieden. Die Arbeit bestimmt sich grossenteils aus der einlaufenden Post. Dauernd wird eine Stellungnahme zu den Angelegenheiten der L.K. erbeten. Der hann. Fall ist der erste, der sich komplizierte. - Das zweite sind Eingaben, die sich aus den Sitzungen des Rates ergeben. Die Stuttgarter Erklärung hat die eingehende Post sehr vermehrt. Durchschnittlich gehen in der Woche etwa 200 Briefe aus und 120 ein. Die verwaltungstechnische Arbeit ist durchaus zu bewältigen. Ein grosser Teil der Arbeit sind die Besprechungen mit dem Vorsitzer des Rates. Um eine Unterkunft in Stuttgart haben wir uns von Anfang an bemüht. Räumlichkeiten für die Büroarbeit werden jetzt vorhanden sein, aber ich muss die Mitarbeiter und Sekretärinnen auch unterbringen. Einige Wochen werden zum mindesten hingehen, bis man in den Räumen am Rande von Stuttgart arbeiten kann. Inzwischen habe ich in Gmünd noch einige Zimmer hinzugemietet, so dass wir jetzt in drei Räumen in Gmünd arbeiten. Der Dienstwagen erleichtert die Arbeit wesentlich. Zwar habe ich bisher im Monat nur 101 Benzin erhalten, aber für diesen Monat 501. - Das Verhältnis der Kanzlei zur Württ. L.K. ist nicht nur einwandfrei, sondern tadellos. Aber so einfach ist die Anlehnung an einen OKR nicht, weil die Dinge sich im primitivsten

242 243 244 245

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

S. 30, Anm. 21. S. 122, Anm. 36. den Beschluß 2B1, S. 32. dazu Ebd., Anm. 30 und S. 125, Anm. 44.

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überschneiden (Benzinbeantragung). Ausserdem ist der Weg von Bruder Dibelius bei kirchlichen Entscheidungen gefährlich. Die Interessen der EKD dürfen nicht in die Hände einer bestimmten L.K. gegeben werden. Dibelius: Ich meine nur Beratung auf Grund persönlicher Beziehungen. Asmussen: Solche persönlichen Beziehungen und Beratungen sind in jeglicher Hinsicht vorhanden. - Wir fragen: Was soll werden? Aus der bisherigen Erfahrung bitte ich, nicht zu schnell perfekte Verhältnisse zu verlangen. In den letzten Monaten ist die Arbeit nicht ganz ungünstig gelaufen. Unter den jetzigen Verhältnissen haben wir nicht ganz wenig Möglichkeiten herausgeholt. Bestimmte Schwierigkeiten sind erst durch mühevolle langsame Arbeit zu überwinden. - Die Konstruktion von Treysa birgt einige sachliche Schwierigkeiten in sich, weil wir aus einer Doppelheit hervorgegangen sind (BK - intakte Kirchen 246 ). Ich habe meine Existenz in der Kanzlei als Brücke angesehen. - Dibelius äusserte die Frage, ob der Leiter der Kirchenkanzlei und der des Aussenamtes Mitglieder des Rates sein sollten. Das jetzt zu ändern ist schwierig. Bitte, haben Sie Geduld! Die landeskirchliche Mitarbeit ist Voraussetzung für die Arbeit des Rates. Erreiche ich den Zustand, dass Anfragen an den Rat schnell beantwortet werden, so sollen Sie auf dem laufenden mit der Kanzlei bleiben. - Der praktische Einbau Merzyns ist nicht so ganz einfach. Er könnte vielleicht Direktor des Büros sein, die Osthilfe und die Finanzen bearbeiten. Was Niesei von Ehlers erwartet, ist durch Merzyn nicht gegeben. Ich bin mir klar, dass meine Existenz sich vorläufig nicht anders gestalten kann als bisher. Dibelius: Ich gehe nicht noch einmal auf die Frage der Kanzlei ein, nur zu Ehlers noch folgendes: Ich hatte geglaubt, dass Ehlers sich eine breitere Plattform suchen würde als die eines juristischen Kirchenbeamten. Grosse juristische Aufgaben sehe ich nicht bei der Kanzlei. Wenn wir neu aufbauen, so sollten wir nicht das alte Schema von theologischen und juristischen Kirchenbeamten aufrecht erhalten. Ein Theologe kann Merzyns Aufgabe gut machen, wenn am Ort ein kirchlicher Jurist ist, der als Justiziar \sici\ zu Rate gezogen werden kann. Held: Nach der übertriebenen Zentralisierung brauchen wir eine Wegweisung, um die Aufgaben des Rates in eine neue Einheit hineinzuführen. Der Abbau einer Gesetzgebung des 3. Reiches ist vordringlich, wer das macht, bedarf einer Vertrautheit mit den damaligen Gesetzen (Disziplinar- und Beamtenrecht). Die Verfassungsgrundsätze aufzustellen 246 Gemeint sind die Landeskirchen Bayern, Hannover und Württemberg, die im "Kirchenkampf' nicht unter deutsch-christlichem Kirchenregiment gestanden hatten und deshalb nach damaligem Sprachgebrauch "intakt"gebliehen waren.

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ist die Aufgabe eines leitenden Juristen. Sodann brauchen wir eine einheitliche Ausrichtung der Jugend-, Posaunen-, Männerarbeit usw. zu fruchtbarem Austausch. Der Rat und die Landeskirchen brauchen ein Verhältnis zur Inneren Mission, ohne dass dabei die landeskirchlichen Institutionen aufgehoben werden. Die Grenze der Landeskirchen ist nicht die Grenze der kirchlichen Wirksamkeit überhaupt. Die von Asmussen bisher genannten Aufgaben sind sekundär. - Der Rat darf nicht nur auf Fernbeschuss eingestellt sein. Er sollte allvierteljährlich mit den Kirchenleitungen zur Beratung zusammenkommen. Die Ratssitzungen müssen von Zeit zu Zeit zum Forum der Aussprache und Beratungen mit den L.K.-Regierungen werden. Asmussen: Ich bin Bruder Held dankbar für das Gesagte. In Stuttgart habe ich dem Rat schon eine Vorarbeit unterbreitet, in der die Möglichkeit gesucht wird, die vtvsch\iedenen\ geistigen und geistlichen Strömungen in Deutschland zusammenzufassen247. Ich glaube, dass damit kein Eingriff in die Selbständigkeit der L.K. vorliegt. Die Kammern oder wie man es sonst nennen will, sind ein Gegenstück zu der selbständig daneben erwachsenen Evang. Akademie von Eberhard Müller 248 . Für Bruder Dibelius' Einsprüche bin ich dankbar und offen. Aber ich bitte um Klarheit für die Menschen, die jetzt bei mir mitarbeiten. Ich selber bin von Schleswig-Holstein für diesen Dienst beurlaubt, eine Professur für praktische Theologie in Frankfurt a.M. steht in Aussicht. Jensen ist aus der BK hervorgegangen, illegal, gehört zur Schl[eiwzg]ilo\st\einischen\ L.K. und ist ebenfalls beurlaubt. Siegel ist Ostflüchtling, der kurze Zeit bei den D C war, bisher vorübergehend im württembergischen Kirchendienst 249 . Wehrhahn ist lt. Niemöllers Antrag auf Dienstvertrag eingestellt. Schwarzhaupt, Hellriegel und Merzyn sind übernommen. Die Schreibkräfte stehen auf Privat-Dienstvertrag. Die Theologen sind wesentlich bei der Arbeit.

247 2D21 (S. 83-86). 248 Bereits im September 194J hatte Müller die erste Ev. Akademie in Bad Boll gegründet. Weitere Gründungen erfolgten im Dezember 1945 in Echzell, im November 1946 in Hermannsburg, 1947 dann in Tutzing, Guntershausen und Herrenalb. Diese Akademien sollten vor allem "eine Stätte des Gesprächs zwischen Kirche und Welt" werden (E. MÜLLER, Akademie, S. 368); in den meist auf dem Lande gelegenen Tagungsstätten wurden in den ersten Nachkriegsjahren vor allem Tagungen für bestimmte Berufsgruppen abgehalten. 249 Siegel war 1945 von Pommern nach Württemberg geflüchtet und von der württembergischen Landeskirche zum Dienst als theologischer Dezernent in der Kirchenkanzlei freigestellt worden.

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Dibelius: Sind wir uns über "Wartestand" einig, dass der Wartestand einer Begrenzung bedarf 250 ? Meiser stimmt Dibelius bei. Dibelius: Deshalb die Formel "in der Regel bis auf weiteres". Smend: Ob wir das Recht haben, zu entlassen, ist noch die Frage. Dibelius: Darüber wollten wir nicht entscheiden. Er verliest die Einzelbestimmungen über Beamte und Angestellte. Wurm: verliest Antrag Niesei betreffend OKR Ehlers 251 . Niesei: Dieser Brief sollte nicht einfach von der Kanzlei, sondern von dem Vorsitzer des Rates unterschrieben werden. Wurm: Ja. [Sitzungen der Kirchenregierungen der einzelnen Zonen]

Niesei: Die Anregung Held, dass alle 3 Monate eine Versammlung mit den Kirchenregierungen gemeinsam stattfinden sollte, steht vor grossen Schwierigkeiten. Statt dessen sollte man mit regionalen Sitzungen der Landeskirchenregierungen, an denen Mitglieder des Rates beteiligt werden, beginnen. Ein lebendiger Kontakt ist notwendig. Und diese regionale Regelung hätte wegen der Verschiedenheit der Militärregierungen etwas für sich. Dibelius: Aber auch manches gegen sich. Jeder Kirchenregierung steht ja frei, zu der Versammlung zu erscheinen, die schon wegen des informatorisch-persönlichen Charakters Bedeutung hat. Es hat auch seine Schattenseite, wenn über die Ostdemarkationslinie hinaus die Aufteilung Deutschlands zu stark wird. Wir beugen uns der Abgrenzung des Ostens nur, weil wir unter dem notwendigen Zwang stehen. Mindestens alle halb Jahr sollten wir unsere Ratstagungen zu einer Kirchenführerkonferenz erweitern. Ich bitte um Beschlussfassung: Zweimal im Jahr zwei Tage die Ratssitzung erweitern zu einer Sitzung mit den L.K.-Regierungen252. [Virschiedenes]

Asmussen: Wir dürfen die Aufspaltung in Ost und West nicht zu stark machen. Ich bitte die Zweitstelle um Nachrichten an die Zentrale. 250 Im folgenden werden erneut die Entwürfe für die Richtlinien zur Verminderung des Personalbestandes (3D14, S. 245f) und die dazugehörigen Einzelbestimmungen (3D15, S. 246f) besprochen. 251 Vgl. 3C10 (S. 225). 252 Vgl. dazu den Beschluß3B1, S. 121.

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Dibelius: Ueber die Arbeit der Zweitstelle ist bisher nichts zu berichten. Wir bauen neu auf. Asmussen: Aber die Berliner Stelle des OKR 253 sollte dann zu uns in Beziehung treten. Dibelius: Auf Berichtanforderungen, die ja so schnell von der Kirchenkanzlei gemacht werden, reagiert ein Konsistorium sauer. Berichte zu machen, ist oft eine lange Arbeit. Asmussen: Aber die Erlasse des OKR auch für uns zu kuvertieren und abzusenden, ist keine grosse Belastung. Niesei: Noch etwas anderes: Die Schulfrage ist brennend. Wir müssen eine Schulkammer zusammensetzen 254 . Die Kirche ist allgemein schon wieder sehr weit im Hintertreffen. Zum mindesten müssten die Erfahrungen ausgetauscht werden. Dibelius: Das liegt an den einzelnen L.K. Meiser: Wenn nur die Amerikaner selber wüssten, wie sie die Schulfrage prozedieren wollten. Immer wieder stehen wir vor Veränderungen des Kurses auf Grund der durch Wahlen hervorgerufenen Verschiebung der Machtverhältnisse 255 . - Die Kirchenleitungen sind sich über Einzelfragen auch nicht einig, nur darin, dass der christliche Schulunterricht im Lehrplan fest verankert wird. - Wir verschleudern eine Unsumme von Geld, wenn doch nichts anderes als in Treysa erreicht wird 256 . Dibelius: Auch dafür brauchen wir einen ordentlichen Mann bei der Kontrollkommission. Meiser: Wir müssen dafür die Kirchenführer zusammenbringen. Niesei: Müsste nicht eine energische Stelle die L.K. bitten, ihr Augenmerk auf die konfessionelle höhere Schule zu richten? Die Ratsmitglieder müssten auch mal gelegentlich die L.K. besuchen, in denen zum Teil grosse Schwierigkeiten vorliegen. Asmussen: Wir sind in Hessen und Baden gewesen, eine Reise in die Pfalz und nach Saarbrücken ist in Vorbereitung. 253 Mißverständlich formuliert; gemeint ist die Zweitstelle der Kirchenkanzlei, die im Gebäude des Berliner Ev. Oberkirchenrates untergebracht war (vgl. dazu S. 31, Anm. 24). 254 Zur Schulkammer vgl. S. 35, Anm. 42. 255 Meiser dachte hier offenbar an den Regierungswechsel in Bayern am 28. September 1945, der allerdings nicht auf eine Wahl zurückging, sondern von Eisenhower veranlaßt worden war (vgl. dazu L. NIETHAMMER, Entnazifizierung, S. 260). 256 Die Kirchenführerkonferenz in Treysa (27. bis 31. August 1945) hatte in ihrem Beschluß zur Schulfragefür die Neuordnung des Schulwesens "die christliche Schule" gefordert, es aber "den jeweiligen Verhältnissen" überlassen, "ob die christliche Gemeinschaftsschule oder die Bekenntnisschule eingerichtet werden soll" (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 104).

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Niesei: Ich habe gehört, der Rat habe um eigene Anerkennung beim Kontrollrat nachgesucht. Wurm: Das stimmt nicht, ich habe lediglich Anzeige erstattet 257 . Dibelius: Was hat eigentlich der Kontrollrat auf die längere Eingabe des Rates 258 geantwortet? Asmussen: Schriftlich bisher noch nichts, aber Colonel Nappen [Knappen] war, wie er sagt, zufällig, persönlich in Stuttgart bei La.Bi. Wurm und zog bei diesem Besuch nach kurzer Zeit unsere Note aus der Tasche. Dann sagte er, die Note enthalte so viele Einzelheiten, dass ihre Bearbeitung noch längere Zeit beanspruchen werde 259 . Aber eine Rückfrage habe er bereits: O b wir ihm Material über die Behandlung der Kriegsgefangenen geben könnten. In Amerika seien dieselben Schwierigkeiten wie bei uns: Es seien eben nicht alle Offiziere auch Christen. Mit einem gegenseitigen Versichern des Wohlwollens nahm man Abschied. Meiser: Ich bin auch im Besitz von Material über die Behandlung von deutschen Generälen in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. - Was die Frage der Schulkammer anlangt, so kann diese sich nicht fest organisieren. Der vorläufige Charakter des "Rates" macht das unmöglich. Was uns das kosten würde! Niesei: Sogar in Treysa wurde die Schulfrage ausführlich besprochen 260 . Meiser: Es mögen Erfahrungen ausgetauscht werden. Vielleicht genügt zunächst eine Bitte an die L.K. um Berichte über die Schulfrage. Niesei: Der Kanzlei müssen einige Vertrauensleute bekannt sein. Meiser: Jede L.K. hat ihre Vertrauensleute für Schule und Jugend. Held: Man müsste aber doch die Schulreferenten einmal zusammenberufen. Meiser: Die Sache kostet zu viel. Asmussen: Das ist augenblicklich gar nicht so schlimm. Meiser: Wer zahlt unsere Reise hierher? Asmussen: Wir! Ich bitte um Quittung, Herr Landesbischof! Niesei: macht auf den Antrag Smend 261 aufmerksam. Smend: erläutert seinen Antrag:

257 Vgl. das Schreiben Wurms an den alliierten Kontrollrat vom 10. Oktober 1945 (1E3, S. 15f.). 258 Vgl. die Eingabe Wurms an den alliierten Kontrollrat vom 3. November 1945 (2C6, S. 65-70). 259 Eine schriftliche Antwort durch das Alliierte Sekretariat des Kontrollrats an Wurm erfolgte erst am 15. Februar 1946 (5D12, S. 442). 260 Vgl. dazu S. 206, Anm. 256 und den Uberblick über den Konferenzverlauf bei R. TYRA, Treysa, S. 268ff. 261 Vgl. 3C9 (S. 225).

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Uns liegt an der Versorgung mit dem einschlägigen Material. Wir bitten den Rat, sich dafür einzusetzen, dass wir es erhalten. Die Mittel von Göttingen fallen in Liquidation. Niesei: Das ist ein organischer Weg, hochqualifizierte Theologen und Juristen an einem Ort. Dibelius: Wenn das so beschlossen ist262 - wie steht es mit Herrn Oberstud. Dir. Meier [Meyer]? Niesei: Es liegen schon bestimmte Dinge gegen Meier [Meyer] vor263. Asmussen: Ich bitte, wenn Meyer zu der dritten [sie!] Sitzung nicht erscheint, ihn zum Verlassen des Rates aufzufordern264. [Schwangerschaftsunterbrechung! Vor mir liegt ein Schreiben der Dichterin und Pfarrfrau Denkhaus betreffend Schwangerschaftsunterbrechung bei Vergewaltigung265. Die Katholiken haben hierin ja eine klare Entscheidung gefällt266. Die evangelischen Kirchenleitungen sind nicht einig. Die einzige positive Antwort, die ich erhalten habe, ist die von Prälat Hartenstein267. Meiser: Ich habe schon die Erlanger Fakultät aufgefordert, mir ein Gutachten zu machen268. Held: Ich schlage vor, dass wir die Besprechung darüber bis zur nächsten Sitzung vertagen, da im Rheinland schon Juristen und Mediziner um ihr 262 Vgl. den Beschluß 3B1, S. 122. 263 Die Aussage Nieseis ist mißverständlich; Meyer war lediglich wegen Reiseschwierigkeiten nicht zu den Ratssitzungen erschienen (vgl. dazu 3E1, S. 299). 264 In seinem Schreiben vom 13. Dezember 1945 an Asmussen (3E1, S. 299f.) hatte Meyer bereits von sich aus angeboten, seinen Sitz im Rat zur Verfügung zu stellen; im Januar 1946 trat er dann endgültig zurück, was von Asmussen "mit herzlichem Bedauern" zur Kenntnis genommen wurde (Schreiben Meyers an Wurm vom 18. Januar 1946 und Schreiben Asmussens an Meyer vom 8. Februar 1946: EZA BERLIN, 2/56). 265 Schreiben nicht ermittelt. - Zur Situation der Frauen, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden waren, vgl. z.B. das Schreiben Sprolls an Faulhaber vom 12.Juli 1945 (L.VOLK, Akten, Bd. VI, S. 573f.). 266 Der deutsche Episkopat hatte in seinem Hirtenwort vom 23. August 1945 eine Abtreibung auch für den Fall einer Vergewaltigung strikt untersagt: "Leben darf auch dann nicht bewußt und gewollt vernichtet werden, wenn es durch Betrug oder Vergewaltigung seinen Ursprung genommen hat" (EBD., S. 691). 267 Vgl. das Schreiben Hartensteins an den Oberbürgermeister von Stuttgart vom 3. November 1945 (3D29, S. 283f). 268 Vgl. das Schreiben Meisers an die Theologische Fakultät der Universität Erlangen vom 14. Juli 1945 (LKA NÜRNBERG, vorl. LKR-265); die Erlanger Fakultät hatte das von Trillhaas verfaßte und auf den 8. August 1945 datierte Gutachten am 10. August 1945 an den bayerischen Landeskirchenrat übersandt (EBD.).

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Gutachten gebeten worden sind, so dass uns das als Material für unsere Besprechung dienen könnte269. Niesei: Es liegen erhebliche Bedenken gegen Dr. Siegel vor270. Hahn: Mit unserem Wort zur Schwangerschaftsunterbrechung kommen wir ohnehin schon zu spät. Wurm: Den Standpunkt der Katholiken können wir nicht einnehmen. Meiser: Warum nicht? Wurm: Er kommt von scholastischen Dogmen her. Ich frage mich, ob der kath. Standpunkt der Heiligen Schrift entspricht. Meiser: Er ist aber wenigstens klar. Wurm: Aber unbarmherzig. Hahn: Jetzt können wir nicht darüber sprechen, es ist schon zu spät. Wurm: Solange wir Besatzung haben, wird das immer wieder vorkommen. Asmussen: Die nun folgenden Fälle sind viel schlimmer als die bisherigen, da der Geschlechtsverkehr freiwillig ist. Viele Kinder sind und werden abgetrieben. Wir müssen den Makel von der evang. Kirche nehmen, dass sie die Dinge zu leicht nimmt. Hahn: Das ist ein sehr heikles Gebiet. Held: Aus falscher Humanität erweichen wir Gottes Gebot. Aber das unbedingte Gebot ist barmherziger als alle Humanität, denn die Humanität hebt heute hier und morgen dort die Ehrfurcht auf. Dies ist eine Frage an die seelische und geistliche Kraft der Kirche, ob sie die Gemeindeglieder stützen kann, das zu tragen. Es ist eine Frage an die kirchlichen Einrichtungen, ob solche Kinder aufgenommen werden könnten. Bei Loues271 ist der Schutz der Mutter und damit die Vernichtung des Lebens notwendig. Es sollte kein Zwang ausgeübt werden, ein solches Kind von der leiblichen Mutter auferziehen zu lassen. Hahn: Abtreibungen haben schon im grossen Umfang stattgefunden. Jetzt wäre ein seelsorgerliches Wort an solche erforderlich, die jetzt solche Kinder gebären. Held: Die Menschen sind so verschieden, dass das schriftlich garnicht möglich ist. Hahn: Ich weiss viele Fälle in meiner Gemeinde, wo die Leute dafür dankbar wären.

269 Nicht ermittelt 270 Vgl. die Diskussion S. 210f.. 271 Richtig: Lues (andere Bezeichnungfür Syphilis).

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Held: Mündlich seelsorgerliches Gespräch ist etwas anderes als ein schriftliches Wort. Hahn: Dann müsste der Rat ein Wort an die Pfarrer richten zur Ausrüstung für solche seelsorgerlichen Gespräche. Mit unserer Stellungnahme zur Schwangerschaftsunterbrechung kommen wir ohnehin zu spät. Held: Es ist die Frage, an wen wir solch ein Wort richten. Dibelius: Ich würde jetzt nichts mehr machen. Es ist zu spät. Asmussen: Dann können wir den Punkt verlassen. [Fall Siegel]

Niesei: Es liegen noch unausgesprochene Bedenken gegen Siegel vor. Held: Wenn jetzt die Kanzlei mit Kräften ausgestattet wird, könnte man an eine Entfernung Siegels denken. Ich habe hier die Abschrift eines Schreibens von Siegel an einen der Essener Amtsbrüder zur Posaunenarbeit (er verliest es)272. Asmussen: Das ist natürlich ein verkehrtes Schreiben. Ich möchte dazu sagen: Siegel ist aus der Not des Augenblicks heraus um die Mitarbeit gebeten worden. Ich werde darauf achten, dass in Zukunft so etwas nicht wieder vorkommt. Das Schreiben ist missverständlich im Ausdruck, obwohl ich ja sagen muss, dass mich genug Briefe aus anderen Kirchenbehörden erreichen, die auch fauts pas [faux pas] enthalten. - Diese Sitzung stellt wahrlich grosse Anforderungen an meine Nerven. Meiser: Was soll mit Siegel geschehen? Asmussen: Er soll keine Briefe mehr schreiben. Meiser: Arbeitet die Kanzlei kollegial? Asmussen: Ich habe mir von Brunotte sagen lassen, dass die Kanzlei eine Präsidialbehörde ist. Wurm: Wer zeichnet bei Ihnen? Asmussen: Ich zeichne verantwortlich.

272 Offenbar hatte Siegel eine Anfrage Pfarrer Bachmanns, des Reichsobmanns des Verbandes evangelischer Posaunenchöre Deutschlands, vom 11. Oktober 1945 über die zukünftige äußere Form der Posaunenarbeit zu eigenmächtig beantwortet, indem er in seinem Antwortschreiben vom 8. November 1945 u.a. betont hatte: "Die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland begrüsst die Weiterfuhrung und den Ausbau der Posaunenarbeit unter der Benennung 'Posaunenwerk der Evangelischen Kirche in Deutschland'. Es sollte eng verbunden sein mit den in Kürze bei der Kanzlei errichteten Kammern a) fiir Kirchenmusik b) für Männerarbeit, und zwar in der Form, dass die Leitung dieses Werkes Mitglieder in diese Kammern entsendet, die ihrerseits beratend sind und keinen Anspruch auf 'Leitung' haben" (EZA BERLIN, 2 / 6 7 8 ) .

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Meiser: Inwieweit bindet nun uns dieser Rat Siegels? Held: Das Posaunenwerk hat nichts mit den Landeskirchen zu tun. Deren Zuständigkeit ist nicht beeinträchtigt. Meiser: Aber es ist die grundsätzliche Frage, ob der Rat mit solchen Schreiben gebunden ist. Held: Auch ohne Besprechung mit dem Rat ist bei solcher Anfrage eine Antwort durch die Kirchenkanzlei möglich. [Nürnberger Prozeß]

Meiser: Wie soll sich die Kirche zu dem Nürnberger Prozess273 verhalten? Massnahmen gegen die Kirche werden jetzt auch zum Gegenstand der Anklage 274 . Lilje: Ist schon zur Anklage-Zeugenschaft gerufen. - Wäre es nicht erforderlich, dass irgendein objektiver Beurteiler von uns teilnimmt? Niemand weiss, wie weit die Radio- und Zeitungsberichte zutreffen. Wurm: Vielleicht könnte ein Amtsbruder in Nürnberg vorsprechen? Meiser: Das ganze Gelände ist mit Wachen und Panzern abgesperrt. Heinemann: Wir müssten dafür sorgen, dass ein Vertrauensmann von uns mit Personen spricht, die dort Zeugen sind. Meiser: Es muss klar werden, dass wir mit diesem Gericht nichts zu tun haben, bei dem Ankläger und Richter dieselben Personen sind. Hahn: Als Entlastungszeugen müssten wir uns alle mal zur Verfügung stellen. Wurm: Es kann sehr gut sein, dass ich zum Entlastungszeugen gemacht werde, da ich schon schriftlich für von Neurath eingetreten bin275. Heinemann: Dabei kann man sehr leicht aus einem Entlastungs- zu einem Belastungszeugen werden. Dibelius: Das bei diesem Prozess übliche Kreuzverhör 276 ist höchst verfänglich.

273 In Nürnberg wurde seit 14. November 1945 vor einem internationalen Militärgerichtshof gegen 24 hohe NS-Funktionäre, die als Hauptkriegsverbrecher angeklagt waren, verhandelt 274 Vgl.dazu IMG, Bd. 23 (Registerband), S. 59f. 275 Schreiben nicht ermittelt; zum Eintreten Wurms für Neurath zwischen 1946 und 1952 vgl. aber die Unterlagen im LKA STUTTGART, Dl/304, 3. Neurath war von 1932 bis 1938 Reichsaußenminister. 276 Diese in den USA und in England übliche Vemehmungsmethode, nach der Zeugen und Sachverständige ohne Mitwirkung des Richters von Staatsanwalt und Verteidiger befragt werden, ist in der deutschen Strafprozeßordnung nur in beschränktem Umfang vorgesehen.

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Smend: Und doch soll in Nürnberg das Weltgewissen sprechen, an dem wir beteiligt sind. Wir müssen wünschen, daran beteiligt zu sein. Die katholische Seite hat mit ihrer Naturrechtslehre eine deutsche Form der Rechtsgewinnung angeboten. Sie behaupten, die Lutheraner seien ebenso unfähig wie der Positivismus, um zum Rechte etwas zu sagen. Es besteht die Gefahr, dass wir unzuständig erklärt werden. Diese Schwäche müssen wir im Auge behalten277. Dibelius: Dass der Russe dort als Kläger auftritt, ist ein unvollziehbarer Gedanke. Darum ist Nürnberg kein Weltgewissen. Smend: Das Gericht ist auch eine Instanz der Rechtsentstehung. Wir Evangelischen sind schon öfter zu spät gekommen. Bei der Haager Konvention war die Nichtbeteiligung der deutsche Fehler 278 . Damit sind wir vor der Welt in ein berechtigtes Unrecht gesetzt. Die Barthsche Position kann ich nicht akzeptieren279. Meiser: Die Erlanger Fakultät hat den Auftrag, die Frage des Naturrechtes theologisch mit evangelischer Kraft neu zu durchdenken280. Niesei: Dabei müssen die Vorarbeiten der Oekumene281 beachtet werden. Meiser: Praktisch muss man einen solchen Auftrag zur Belastungszeugenschaft ablehnen. Niesei: Das ist Sache der Kirchen. Meiser: Die Russen wissen garnicht, dass sie sich selbst in Nürnberg verurteilen. 277 Die Frage des Naturrechts stellte sich konkret in den Nürnberger Prozessen. Während sich die Angeklagten darauf beriefen, bestehende Gesetze und Befehle befolgt zu haben, wiesen die Ankläger auf die Unsittlichkeit dieser Gesetze und Befehle hin und appellierten damit an ein allgemeines Sittengesetz (Naturrecht). Vgl. dazu H. THELICKE, Ethik, S. 606ff.; zur Diskussion über das Naturrecht innerhalb der katholischen und protestantischen Theologie nach 1933 vgl. H . WELZEL, Naturrecht, S. 219ff. 278 Nach den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung, einer Anlage zu den Haager Konventionen (vgl. dazu S. 69, Anm. 87), können Kriegsverbrecher persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Die Haager Konventionen gelten jedoch nur für diejenigen Länder, die die Verträge ratifiziert haben, und für den Fall, daß alle kriegßhrenden Länder Vertragspartner sind. 279 Smend distanziert sich hier offenbar von der Position, die Karl Barth seit 1938 vertreten hatte. Danach war die göttliche Rechtfertigung "die eigentliche und allein wirkliche Quelle und Norm" auch des menschlichen Rechts, woraus folgte, "daß die Predigt der Rechtfertigung als Predigt vom Reiche Gottes schon jetzt und hier das wahre Recht, den wahren Staat begründet" (K. BARTH, Rechtfertigung, S. 25). 2« Smends Rechtsauffassung vgl. K. TANNER, Verstaatlichung, S. 123ff. 280 Nicht ermittelt. 281 Vgl. z.B. den von der Forschungsabteilung des Ökumenischen Rates für praktisches Christentum 1934 herausgegebenen

Band

D I E KIRCHE UND DAS STAATSPROBLEM DER GEGENWART.

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[Vmcbiedenes]

Niesei: Wie steht es mit Losungen und Bibellesen282? Dibelius: In Thüringen werden sie gedruckt. Meiser: In Bayern ist das "Gottbüchlein" genehmigt. Die Bibellese drucken wir im Amtskalender. Smend: Ich komme noch auf die wichtige Beamtenfrage: Wer ist oberste Dienstbehörde? Dibelius: Der Vorsitzer des Rates. Smend: Bisher war es der Leiter der Kirchenkanzlei. Das müsste ins Verkündungsblatt. Asmussen: Ein Verordnungs- und Nachrichtenblatt ist jetzt durch die Militärregierung genehmigt. Dibelius: Ein regelmässiges Verordnungs- und Nachrichtenblatt werden Sie nicht durchführen können (Papierknappheit)283. Die Verordnungen müssen mit dem Tage der Beschlussfassung in Kraft treten284. - Die oberste Dienstbehörde kann nur der Rat als Ganzes sein. Dibelius: Wir können von dieser Sitzung berichten: 1.) Wort an die Christen in England285, 2.) Bitte an den Kontrollrat um Entlassung der politischen Häftlinge286. Smend: Die Judenfrage muss zur Sprache kommen287. Da liegt eine grosse Schuld. Asmussen: Freudenberg berichtet über die Judenlage in Frankfurt a.M. nicht viel Gutes288. Ich weiss nicht, wie weit bekannt ist, dass unter den amerikanischen Offizieren eine antisemitische Stimmung steigt.

282 Auch für kirchliche Druckerzeugnisse wurde eine Lizenz der Militärregierungen benötigt. Für die amerikanische Zone war der Druck der Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine bereits genehmigt worden; für die britische Zone erhielt der Hamburger Verleger Friedrich Wittig am 21. Dezember 1945 die Lizenz (vgl. H . RENKE WITZ, Losungen, S. LLFF.).

283 Die erste Ausgabe des Verordnungs- und Nachrichtenblattes - Amtliches Organ der Evangelischen Kirche in Deutschland - konnte im Januar 1946 erscheinen. 284 Vgl. den entsprechenden Beschluß 3B1, S. 122. 285 3C1 (S. 215ff.). 286 3C2(S. 218). 287 Vgl. dazu den Entwurf für ein Wort des Rates der EKD an die Landeskirchenregierungen (3D30, S. 285). 288 Adolf Freudenberg, seit 1939 Sekretär des ökumenischen Komitees für Flüchtlingsdienst beim Ökumenischen Rat der Kirchen in London und Genf, hatte im Auftrag der Wiederaufbau-Abteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 15. Juni bis 12. Juli 1945 Deutschland besucht. In seinem Reisebericht vom 6. August 1945 (abgedruckt bei C. VoLLNHALS, Zusammenbruch, S. 9-

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Held: Wir haben keine Ursache, uns der Juden besonders anzunehmen. In keinem Fall besteht in Deutschland Elend unter den Juden. Sie haben ihre äussere Existenz, in der niemand mehr in Not ist. Dibelius: Sie gehören grossenteils zu den Opfern des Faschismus. Die Hinterbliebenen der Leute vom 20. Juli sind oft in bitterster Not 289 . Für den Fall, dass es Juden geben sollte, denen es schlecht geht, kann man sie mit unter diese Kategorie rechnen. Aeusserung Arndts: "Sie können kommen, womit Sie wollen, bei der Militärregierung landet alles bei einem Juden, der grundsätzlich verhindert, dass Ihre Bitten verhindert werden."290 Niesei: Wir sollen die Juden zu Christus rufen, nicht rein karitativ für sie sorgen. Für das nächstemal [sie/] bitte ich, uns die Vorlagen schon rechtzeitig zuzuschicken, da wir damit auf der Sitzung viel Zeit sparen291.

14), hatte er festgestellt, daß von den 8000 Juden, die 1941 noch in Frankfurt gelebt hatten, im Mai 194J lediglich 362 aus dem Konzentrationslager Theresienstadt zurückgekehrt waren. 289 Eine vorläufige Versorgung der Hinterbliebenen der Opfer des 20. Juli 1944 wurde erst 1946/47 durch eine Art Notgemeinschaft der Uberlebenden aufgenommen. Diese Zahlungen wurden aus Spenden finanziert. Später wurde die Versorgung durch Entschädigungsgesetze von Bund und Ländern geregelt (Auskunft v. Hofacker vom 22. Juni 1994). 290 Zu den Kontakten zwischen Dibelius und Arndt, dem Leiter der Religious Affairs Abteilung der amerikanischen Militärregierung in Stuttgart, vgl. C. VOLLNHALS, Kirche, S. 191; R. STUPPERICH, Dibelius, S. 377 u n d 658, A n m . 71.

291 Auf der Sitzung wurden nicht besprochen die Thesen Rükings zur Entnazifizierung (3D32, S. 286290; Rüking konnte auch mit Hilfe der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn nicht identifiziert werden), eine Stellungnahme zur 1. Ausführungsverordnung (3D33, S. 290-294) sowie die Unterlagen der Kirchenkanzlei in Göttingen zum Haushalt der EKD (3D34 bis 3D37, S. 294-298).

3C Anlagen und Beschlußtexte

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3C Anlagen und Beschlußtexte 3C1. Wort des Rates an die Christen in England. Frankfurt/Main, 14. Dezember 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/208

(H). • Abdruck: F. Merzyn, Kundgebungen,

S. 20ff;M. Greschat,

Schuld, S. 129ff.

An die Christen in England Am 28. November hat der hochwürdige Herr Erzbischof von Canterbury eine Botschaft an das deutsche Volk erlassen. Wir, und wie wir hoffen, viele Menschen in Deutschland, haben sie mit grosser Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Es ist vielleicht das erstemal in der Geschichte, dass der erste Geistliche eines Volkes nach errungenem Sieg das überwundene Volk brüderlich anredet. Wir freuen uns, dass, nachdem die politische Propaganda solange allein das Wort gehabt hat, auch die Stimme der Christenheit sich vernehmen lässt, und wir geben gerne darauf eine Antwort. Durch seine Ansprache an das deutsche Volk gibt der Herr Erzbischof zu erkennen, dass die Kirche in England von ihrer Verantwortung für das Schicksal anderer Völker, auch des deutschen Volkes, weiss. Auch wir Christen in Deutschland bejahen unsere Verantwortung für die ganze Welt. Wir haben auch unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht von ihr lassen wollen. Es war uns ein tiefer Schmerz, dass wir der Misshandlung anderer Völker und Länder nicht wehren konnten, und wir wurden von den nationalsozialistischen Führern besonders auch deshalb gehasst, weil ihnen unsere Missbilligung ihrer Untaten wohl bekannt war. Der Herr Erzbischof hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, dass es nicht in Menschenmacht liegt, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wir sind uns dessen klar bewusst, dass unsere Städte nicht in Trümmern liegen und unsere Volksgenossen nicht auf den Landstrassen Hungers sterben und unsere Soldaten nicht in den Gefangenenlagern hinwelken würden, wenn nicht vorher Millionen anderer Menschen dasselbe hätten durchmachen müssen. Wir wissen, dass es genug Leute gibt in anderen Ländern, die der Meinung sind, dass es den Deutschen nicht schlecht genug gehen könne. Es liegt uns ferne, irgend etwas von dem, was anderen Völkern an Unrecht angetan wurde, entschuldigen oder beschönigen zu wollen. Die Christen in England haben das Bekenntnis unserer Schuld, das der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am 19. Oktober des Jahres vor den Brüdern aus der Oekumene ausgesprochen hat, vernommen. Wir suchen die Ursachen dessen, was geschehen ist, nicht nur im Nationalsozialismus, son-

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dem in einer langen Geschichte der Gottentfremdung und des Abfalls von Christus, auch der Verweltlichung unserer Kirche. Deshalb sind wir auch ganz derselben Meinung wie der Herr Erzbischof, dass die Rückkehr zu Gott und seinen Geboten und die Hinwendung zu der in Christus uns erschienenen Gnade die Voraussetzung bildet zu einem Wiederaufbau Deutschlands. Wir sind sehr dankbar dafür, dass der Herr Erzbischof es als die erklärte Politik Englands bezeichnet, auf den Tag hinzuarbeiten, an dem Deutschland wieder in die Gemeinschaft der Völker eintreten kann, und dass er die Bereitschaft der Christen in England, unserer äusseren Not zu steuern, verkündet. Erlaubt uns ein ganz offenes Wort darüber zu sprechen, wie Ihr dem deutschen Volke auch i n n e r l i c h helfen könnt. Aus ernster Sorge machen wir Euch darauf aufmerksam, dass mit dem Sieg der alliierten Mächte nicht einfach das Gute über das Böse gesiegt hat. Die militärische Eroberung und Besetzung unseres Landes war mit all den Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung verbunden, über die man sich in den Ländern der Alliierten mit Recht beklagt hat, und was seither in manchen Besatzungszonen auf dem Gebiet der Entnazifizierung geschehen ist, war auch nicht immer geeignet, den Eindruck eines höheren Masses von Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu erwecken. Die vielfachen Aufforderungen an das deutsche Volk, nun sich wieder emporzuarbeiten, klingen überall da wie Hohn, wo man der deutschen Industrie, auch derjenigen, die mit Kriegsrüstung nichts zu tun hat, die letzten Rohstoffe und Maschinen weggenommen hat. Welchen Umfang die Tragödie hat, die sich gegenwärtig im Osten Deutschlands abspielt, vermag niemand zu sagen. Dass sie Millionen von Opfern fordern wird, muss wohl angenommen werden. Wir sagen dies nicht, um eine Rechnung mit einer Gegenrechnung zu erwidern, sondern um Euch auf eine grosse Gefahr aufmerksam zu machen, die der Welt und uns allen droht. Man hat schon einmal den Frieden sichern wollen dadurch, dass man dem Besiegten die Möglichkeit, sich wieder zu erheben, durch ungeheure Reparationslasten und durch Abtrennung wirtschaftlich wichtiger Gebiete nehmen wollte. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Massnahmen den Geist des Widerstands geweckt und das deutsche Volk für die Ideologie des Nationalsozialismus empfänglich gemacht haben. Wenn jetzt die nur mit sichtbaren Grössen rechnenden Politiker wieder nach denselben Rezepten verfahren und Deutschland möglichst klein und schwach, seine Nachbarn möglichst gross und stark machen wollen, so werden sie damit die bösen Geister der Rache und Vergeltung nicht aus der Welt schaffen. Wir wissen aus Gottes Wort, dass auch auf dem Gebiet der Politik eine Schuld die andere nach sich zieht, und dass nach göttlichem Gesetz der Richter selber unter das Urteil fällt, mit dem er den Übeltäter zu richten

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unternimmt. Die Rechenkünste derer, die die fahrlässige Brandstiftung von 1914, an der alle europäischen Mächte beteiligt waren, allein am deutschen Volke bestrafen zu müssen glaubten, sind gründlich zu schänden geworden. Will man die vorsätzliche Brandstiftung von 1939 noch strenger bestrafen, so kann es doch auch jetzt niemandem zum Heile gereichen, wenn Unrecht durch grösseres Unrecht überboten wird. Das deutsche Volk auf einen noch engeren Raum zusammenzupressen und ihm die Lebensmöglichkeiten möglichst zu beschneiden, ist grundsätzlich nicht anders zu bewerten, als die gegen die jüdische Rasse gerichteten Ausrottungspläne Hitlers. Man muss g l a u b e n , dass G o t t ein V e r g e l t e r sein w e r d e das predigen wir Christen in Deutschland unseren verbitterten und empörten Volksgenossen. Dürfen wir, liebe christliche Brüder in England, Euch bitten, dasselbe zu tun? Sollten wir nicht vor dem Angesicht und im Namen dessen, der für unsere Sünden gestorben ist, einen Bund schliessen, um die Parole V e r g e b u n g s t a t t V e r g e l t u n g mit ganzer Macht in die Welt hineinzurufen? Kein wirklich Verantwortlicher soll seiner Strafe entgehen, aber hunderttausende einzusperren, um hundert Schuldige herauszufinden, ist sinnlos, und Millionen Unschuldiger verhungern zu lassen, um Millionen ebenso Unschuldiger zu rächen, kann nur der Unverstand für gerecht halten. Der Herr Erzbischof ermuntert uns, einen neuen Anfang zu machen mit der Gestaltung des deutschen Lebens nach den Geboten Christi. Wir sind überzeugt und sagen es unablässig unserem deutschen Volke, dass es den Glauben an die Gewalt aufgeben und den Glauben an die Macht des Geistes und des Rechtes wieder lernen muss. Nichts kann ihm dabei mehr helfen, als wenn es von den Siegervölkern einen Anschauungsunterricht in der Handhabung des Rechtes und in der Bezeugung des Geistes erhält. Um diesen Dienst bitten wir die Christen in England und in der ganzen Welt. Dass seit einem halben Jahrhundert England und Deutschland trotz ehrlicher Versuche auf beiden Seiten sich nie finden und verstehen konnten, war unser und ganz Europas Unglück. Sollten sie sich jetzt finden, so würde das keine Bedrohung eines anderen Volkes bedeuten, wohl aber die Rettung des Abendlandes. Der ewig reiche Gott lasse das deutsche Volk durch Busse, Glauben und Liebe einen neuen Anfang gewinnen. Er segne alle Völker und schenke der ganzen Welt seinen Frieden. gez. D. Wurm.

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3C2. Schreiben des Rates an den Alliierten Kontrollrat. Frankfurt/Main, 14. Dezember 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (Abschrift; Anlage 1 zu 3B1). Im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsfest tritt der Rat der Evangelischen Kirche an die Besatzungsmächte mit der Bitte heran, Entlassungen aus den Lagern für Zivil- und Kriegsgefangene in größtmöglichem Umfang vorzunehmen. Eine solche Maßnahme würde von den weitesten Kreisen unseres Volkes als Beweis einer großherzigen Haltung freudig begrüßt werden und könnte in jeder Hinsicht wohltätig wirken. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gez. Wurm 3C3. Richtlinien zur Verminderung des Personalbestandes der DEK F: ETA Berlin, 2/69 (O mit hsl. Vermerk Merzyns: "Beschlossen"). Fuer die unabweisbar notwendige Verminderung des Personalbestandes der bisherigen E K D [szc/] gelten folgende Richtlinien: I. 1.) Beamte der Kirchenkanzlei und des bisherigen kirchlichen Aussenamtes koennen vom Rat der E K D in den Wartestand oder in den Ruhestand versetzt oder aus ihrem Dienstverhaeltnis entlassen werden. 2.) Geht ein Beamter der Kirchenkanzlei oder des Aussenamtes in ein anderes kirchliches Amt ueber, so kann sein Dienstverhaeltnis bei der E K D fuer beendet erklaert werden. II. 1.) Ein Beamter, der in den Wartestand versetzt wird, erhaelt bis auf weiteres in der Regel 80 % derjenigen Dienstbezuege, die ihm zustehen wuerden, wenn er noch im Amte waere. 2.) Wenn infolge staatlicher Anordnung oder anderer aeusserer Umstaende ein Wartestandsgeld nicht gezahlt werden kann, so wird der Rat der E K D bestrebt sein, dem Betroffenen Unterstuetzung zuteil werden zu lassen. Ein Anspruch darauf, dass wenn die Behinderung in Fortfall gekommen ist, nicht gezahltes Wartestandsgeld nachgezahlt wird, kann nicht anerkannt werden.

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III. 1.) Ein Beamter, der in den Ruhestand versetzt wird, erhaelt das ihm nach bisherigem Recht zustehende Ruhegehalt. Sofern die Ruhegehaeiter der Kirchenbeamten in Wuerttemberg gekuerzt werden, gelten diese Kuerzungen auch fuer die Beamten der bisherigen DEK. 2.) Die Bestimmungen unter II. 2.) finden sinngemaess Anwendung. IV. 1.) Ein Beamter, der entlassen wird, erhaelt fuer den der Entlassung folgenden Monat sein bisheriges Gehalt, alsdann fuer weitere 6 Monate die Haelfte. Nach Ablauf dieser Frist faellt jede Zahlung fort. 2.) In besonderen Faellen kann der Rat eine abweichende Regelung beschliessen. Doch darf diese Regelung fuer den Betroffenen nicht unguenstiger sein als die unter Absatz 1.). V. Wird das Dienstverhaeltnis bei der E K D nach I Abs. 2.) fuer beendet erklaert, so werden weitere Dienstbezuege nicht mehr gezahlt. 3C4. Einzelbestimmungen zu den Richtlinien für die Verminderung des Personalbestandes der bisherigen DEK F: EZA Berlin, 2/69 (O mit bsl. Vermerk Merzyns: "Beschlossen"). 1. Der Rat der E K D stimmt der in Aussicht genommenen Vereinbarung mit Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte ueber sein Ausscheiden aus dem Dienst der E K D zu. Er spricht Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte fuer die ausgezeichnete Arbeit, die er in diesem Dienst getan hat, seinen besonderen Dank aus. 2.

Der Rat der E K D nimmt von den mit Herrn Oberkirchenrat Dr. Merzyn gefuehrten Verhandlungen Kenntnis. Sollten diese Verhandlungen nicht zu einem Verbleiben im Dienst der EKD fuehren, so wird Herr Oberkirchenrat Merzyn zum 1. Jan. 1946 in den Wartestand versetzt. 3. Der Rat der E K D nimmt davon Kenntnis, dass Herr Oberkirchenrat Krummacher hauptamtlich in den Dienst der altpreussischen Kirche uebergegangen ist.

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4. Herr Oberkirchenrat Wahl wird zum 1. Jan. 1946 in den Wartestand versetzt. 5. Herr Bischof Heckel, Oberkonsistorialrat Gisevius, Konsistorialrat Pape [Paget] und Verwaltungsdirektor Lehmann werden mit Wirkung vom 1. April 1946 in den Ruhestand versetzt. 6.

Herr Vizepraesident Fuerle [ F ü r l e ] wird zum 31.12.1945 aus dem Dienst der EKD entlassen. Ihm wird ein jederzeit widerrufliches Unterhaltsgeld bewilligt, das R M 400,- nicht uebersteigen darf, ohne Anerkennung oder Neubegruendung eines Rechtsanspruchs. 7. Das Dienstverhaeltnis der in einen pfarramtlichen Dienst uebergegangenen Herrn Oberkirchenrat Dehmel und Schroeder [ S c h r ö d e r ] wird fuer beendet erklaert. 8.

Das Mitglied des Rates D. Lilje wird beauftragt, mit den uebrigen Beamten der bisherigen EKD [»c/], soweit sie westlich bzw. suedlich der Demarkationslinie wohnen, zu verhandeln mit dem Ziel, sie fuer ein Ausscheiden auf Grund guetlicher Vereinbarung zu gewinnen. Fuer die Beamten innerhalb der russischen Zone erhaelt Bischof D. Dr. Dibelius den gleichen Auftrag. 292 3C5. Beschluß der rheinischen und westfälischen Kirche zur Errichtung einer kirchlichen Nothilfe. Bethel, 21. September 1945

F: H. Rudolph, Vertriebene, Bd. I, S. 356f. Die Nothilfe ist eine gemeinsame freiwillige Einrichtung der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz. Ihre Mittel erhält sie aus freiwilligen Gaben (Kollekten, Opfern usw.). Die Verwendung von kirchlichen Haushalts-(Steuer-)Mitteln zu Gunsten der "Nothilfe" ist nicht vorgesehen.

292 Eine im Nachlaß Smend überlieferte, offensichtlich frühere Fassung fährt dem Antrag (3D12, S. 243) entsprechend fort: "9. Uber Weiterbeschäftigung oder Entlassung der Angestellten im Dienst der EKD entscheidet für den Westen Pfarrer Asmussen DD, für den Osten OKR Benn."

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Die Nothilfe bezweckt die Unterstützung von in Westfalen und in der Rheinprovinz wohnenden a) einkommenslosen aktiven Pfarrern, die zuletzt ein Pfarramt im russisch oder polnisch besetzten Gebiet innehatten. b) Pfarrern i.R., die früher ein Pfarramt im russisch oder polnisch besetzten Gebiet innehatten. c) Witwen und Waisen der zu a) und b) bezeichneten Pfarrer. Ebenso werden behandelt diejenigen Hilfsprediger, Kirchenbeamten, Kirchengemeinde-(Parochial-, Verbands-)Beamten, Vereinsgeistlichen pp. (und ihre Angehörigen bzw. Hinterbliebenen), die zuletzt im kirchlichen Dienst im russisch oder polnisch besetzten Gebiet hauptberuflich tätig waren. Die Unterstützung wird nach Prüfung der Verhältnisse jedesmal für den Einzelfall von der Kirchenleitung bewilligt, und zwar vom Ersten des Monats der polizeilichen Anmeldung, frühestens jedoch vom 1. Juli 1945 an. Ein Rechtsanspruch wird durch solche Bewilligung nicht begründet. Die Unterstützung beträgt für A. Aktive Pfarrer 1. Ledig (verw[ziwef]): 150,-- RM monatlich, 2. Verheiratete: 200,- RM monatlich. Dazu ein Zuschlag von 20,- RM für jedes Kind unter denselben Bedingungen, wie sie bisher für die Gewährung von Kinderzuschlag maßgebend waren. (Verheiratete Pfarrer, deren Ehefrau und Kinder im Ostgebiet verblieben sind, erhalten den Satz für Ledige Verw[iiwe£e]). 3. Diensttuende (mit Beschäftigungsauftrag der Kirchenleitung) erhalten zu der obigen Unterstützung (ausschließlich Kindergelder) einen Zuschlag von 50,-- RM. Es ist ihnen freie Unterkunft von der Beschäftigungsgemeinde zu stellen. Uber die Aufbringung der Mittel entscheidet in jedem einzelnen Fall die Kirchenleitung. B. Pfarrfrauen Frauen von solchen aktiven Pfarrern, die im russisch oder polnisch besetzten Gebiet verblieben oder kriegsgefangen oder vermißt sind, erhalten eine Unterstützung nach dem Satz für ledige (verwfziweie]) aktive Pfarrer, dazu gegebenenfalls den Zuschlag für Kinder. C. Pfarrer im Ruhestand, Pfarrwitwen, -waisen Ruhestandspfarrer erhalten eine Unterstützung nach den Sätzen unter A., jedoch nicht mehr als ihr Ruhegehalt. Pfarrwitwen und Halbwaisen erhalten eine Unterstützung nach den Richtlinien unter B., jedoch nicht mehr als ihre Hinterbliebenenbezüge.

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Für Vollwaisen beträgt die Unterstützung 70,~ R M monatlich. D. Die übrigen kirchlichen Amtsträger, ihre Frauen, Kinder und Hinterbliebenen Diese erhalten eine ihren bisherigen Bezügen gegenüber angemessene Unterstützung, mindestens jedoch 120,- R M und höchstens bis zur Grenze der den Geistlichen zugebilligten Unterstützungen. 3C6. Schreiben des Rates an die Landeskirchenregierungen. Frankfurt/Main, 14. Dezember 1945 F: NL Smend(Abschrift; Anlage 2 zu 3B1). Aus gegebenem Anlass erklärt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, was folgt: Einrichtungen der Evangelischen Kirche sind nicht nur die Kirchengemeinden und kirchlichen Gemeinde- und Synodalverbände, sondern auch die kirchlichen Arbeitsverbände und Werke, welche sich ihre Leitung im Benehmen mit den Kirchenbehörden setzen und deren Arbeit wegen ihrer gesamtkirchlichen Bedeutung der fördernden Obhut der Kirche untersteht. Hierzu gehören vor allem die dem Zentralausschuss für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche angeschlossenen Verbände und Werke der Inneren Mission, die Verbände und Werke der Ausseren Mission, der kirchlichen Männer-, Frauen- und Jugendarbeit, sowie die Verbände zur Pflege der Diaspora, der Kirchenmusik und des gottesdienstlichen Lebens, der religiösen Kunst, der theologischen Wissenschaft, sowie der Evangelische Bund zur Wahrung der protestantischen Interessen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gez. Wurm 3C7. Hirtenwort Meisers zum 400. Todestag Luthers am 18. Februar 1946 F: ETA Berlin, 2/649 (HJ. An die evangelische Christenheit in Deutschland! Wenn in diesen Tagen der Name D. Martin Luthers über unser deutsches Volk und über unsere Kirche hinklingt, so erinnern wir uns daran, wie heiß Luther, dieser größte aller Deutschen, sein Volk geliebt hat. "Ich kanns ja nicht lassen", sagte er, "ich muß mich sorgen für das arm, elend, verlassen, veracht, verraten und verkauft Deutschland, dem ich ja kein Arges, sondern

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alles Gute gönne, als ich schuldig bin meinem Vaterland". Aus dieser heißen Liebe heraus erfüllte ihn der Blick in die Zukunft seines Volkes mit größter Besorgnis. "Mir graut und besorge," hören wir ihn sagen, "Deutschland werde auch in Kürze heimgesucht werden und gräulich gestraft werden, wegen der großen Undankbarkeit, Verachtung und Lästerung des lieben Wortes". Nur zu furchtbar hat sich die Prophezeiung Luthers erfüllt. Unser Volk h a t Gottes Wort verachtet und ist nun heimgesucht von Jammer und Trübsal. Es h a t den Namen Gottes gelästert und leidet nun die Pein der göttlichen Strafe. Was hat uns Luther in dieser Stunde zu sagen? Wir sehen ihn vor uns, wie ihn Lukas Cranach gemalt hat, mitten in der Gemeinde, von der Kanzel aus mit ausgerecktem Finger auf den gekreuzigten Christus weisend. "Schaut hin auf ihn", ruft er uns zu, "auf ihn, der alles gelitten hat, um für uns alles zu gewinnen. Hier habt ihr Vergebung aller eurer Schuld. Hier rinnen die Quellen alles Trostes. Hier ist Frieden inmitten allem Gewoge. Hier ist der 'Gott gegen euch' zum 'Gott für euch' geworden. Hier ist der 'Siegsmann' wider alle Sünde, Teufel, Tod und Hölle. Hier ist die Kraft zu neuem Anfang". Das ist das Vermächtnis Luthers an sein Volk, seine Kirche und an die ganze Christenheit auf Erden. Das ist die Summe seiner Theologie und das A und O seiner Verkündigung, daß er uns den gekreuzigten, auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten Christus groß gemacht und ihn in den Mittelpunkt gestellt hat als einigen Helfer, Retter, Heiland und Seligmacher. Darum können wir das Gedächtnis Luthers nicht besser ehren, als daß wir uns in dieser Zeit äußerster Bedrängnis durch ihn zu Christus weisen lassen, uns unseres Herrn Christus im Leben und im Sterben getrösten, in seiner Kraft recht und christlich leben und bei ihm alle Hilfe und alles Heil suchen. Als Luther am Abend des 18. Februar 1946 [sie!] nach einem Leben voller Mühe und Kampf sein müdes Haupt zur Ruhe neigte, da fand man auf einem Zettel als letztes Wort aus seiner Feder den Satz: "Wir sind Bettler, das ist wahr". Er wollte auch im Sterben nichts sein aus sich selber, sondern sich alles aus der überreichen Fülle seines Herrn schenken lassen. Ach, daß auch wir wüßten, wie arm, bettelarm, nicht nur an äußeren Gütern, wir geworden sind, und dann allem Wahn, allem Lügenstolz, aller eitlen Selbstbespiegelung den Abschied gäben und uns von Christus aufs neue segnen ließen! Dann könnten wir in all unserer Armut doch reich sein, dann könnten wir wieder hoffen für unser Volk, dann erwachte unsere Kirche zu neuem Leben, dann könnte abermals vom Mutterland der Reformation aus unermeßlicher Segen auf die ganze Welt ausgehen.

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3C8. Verordnung 14. Dezember 1945

über

das

Beamtenrecht

der

EKD.

Frankfurt/Main,

F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (D).

$1Die Kirchenbeamtenordnung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 13. April 1939 - GBl. d. DEK. S. 43 - gilt bis zu einer Neuregelung des kirchlichen Beamtenrechtes mit folgenden Änderungen: 1. Von der sinngemässen Anwendung gemäss § 2 der Kirchenbeamtenordnung sind diejenigen Vorschriften des deutschen Beamtengesetzes ausgeschlossen, die das Vorhandensein einer NS-Staatsführung voraussetzen; insbesondere werden nicht angewandt die §§ 25, 59, 71, 72 des DBG. 2. § 3 der Kirchenbeamtenordnung erhält folgende Fassung: Der Diensteid des evangelischen Kirchenbeamten lautet: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass ich die mir obliegenden Pflichten treu und gewissenhaft erfüllen und mich in und ausser dem Amte so verhalten werde, wie es einem Beamten der evangelischen Kirche gebührt, so wahr mir Gott helfe! 3. § 7 Ziffer a wird gestrichen. 4. § 15 erhält folgende Fassung: Die oberste Dienstbehörde kann anordnen, dass das Beamtenverhältnis fortdauert, wenn der Kirchenbeamte die deutsche Staatsangehörigkeit verliert. 5. § 25 wird gestrichen. §2. Die Disziplinarordnung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 13.4.39 GBl.d.DEK. S. 27 - gilt bis zu einer Neuregelung des kirchlichen Disziplinarrechts mit folgenden Änderungen: 1. § 1 Abs. 2, Satz 2 erhält folgende Fassung: Solche Pflichten sind die unmittelbaren Dienstpflichten, die Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit und die Pflicht, sich in und ausser dem Dienst des Vertrauens und der Achtung würdig zu zeigen, die seinem Amt entgegengebracht werden. 2. § 30 Abs. 2 wird gestrichen. 3. § 35 » 1, Ziffer 3 wird gestrichen. 4. §47 » 1, « 2 5. § 55 >• 2 wird gestrichen.

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6. In § 57 Satz 2 werden die Worte "Beauftragte des Reichsministers für die kirchlichen Anelegenheiten und sonstiger Reichsbehörden" sowie die Worte "und wenn der Beschuldigte Mitglied der NSDAP ist, ein Beauftragter des Gauleiters" gestrichen. Hinter dem Wort: "Seine Beauftragten" ist das Komma zu streichen und das Wort "und" einzufügen. 7. § 63 Abs. 3, Satz 2 wird gestrichen. §3 Diese Verordnung tritt mit der Verkündigung in Kraft. 3C9. Beschluß über die Einrichtung einer juristisch-theologischen Untersuchungsstelle F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (Abschrift; Anlage 3 zu 3B1). Bei der Abwicklungsstelle der Kirchenkanzlei in Göttingen wird im Zusammenwirken von Theologen und Juristen der Göttinger Universität eine Arbeitsstelle für deutsches evangelisches Kirchenrecht eingerichtet. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland wird daraufhinwirken, dass die Leitungen der Landeskirchen und Bruderräte das bei ihnen seit dem Umbruch erwachsene und künftige laufende Material an Gesetzblättern, Denkschriften usw. der Arbeitsstelle zur Verfügung stellen. Uber die endgültige Einrichtung wird Prof. Smend bei der nächsten Ratstagung berichten. 3C10. Beschluß zur Berufung Ehlers' F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (Abschrift.; Anlage 4 zu 3B1). Die Ev.-luth. Landeskirche in Oldenburg soll gebeten werden, Herrn Oberkirchenrat Dr. Hermann Ehlers ab 1. Jan. 1946 für ein Jahr zu beurlauben, damit er dem Rat der E K D als Justitiar zur Verfügung stehen kann.

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3D Vorlagen und Anträge 3D1. Beschlußprotokoll über die Sitzung des Rates am 18./19. Oktober 1945. Schwäbisch Gmünd, 21. Oktober 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 121 (D). Protokoll der Sitzung des Rates der EKD am 18. und 19. Oktober in Stuttgart. I. Nachtrag zum Protokoll der ersten Sitzung in Treysa: Das Mitglied des Rates Dr. Lilje wird mit der kirchlichen Regelung der Lagerseelsorge in den Gefangenenlagern im englischen Gebiet betraut. II. Beschlüsse zu innerdeutschen Fragen. 1. Bei den führenden Persönlichkeiten bisheriger Kirchenbehörden ist folgendes Verfahren zu beobachten: Es soll durch persönliche Rücksprache versucht werden, sie zum freiwilligen Verlassen ihres bisherigen Amtes zu veranlassen. 2. Die Arbeit an den Kriegsgefangenen, die Dr. Müller leitet, ist nicht dem Hilfswerk, sondern dem Rate der E K D zugeordnet, mit dem Müller die Verbindung durch die Kanzlei aufrecht hält. 3. Kons. Rat Gerstenmaier untersteht dem Rat der EKD. Er behält seine Planstelle in der Kirchenkanzlei. Er wird besoldet durch das Hilfswerk. Es wird erwartet, dass er seine Auslandsbeziehungen in engster Fühlungnahme mit Niemöller tätigt. 4. Aus Anlass eines Artikels, den Gerstenmaier im Rheinland veröffentlicht hat, erklärt LB Wurm, dass er mit dem Anschlag auf den Führer am 20.7.44 nichts zu tun habe. 5. D . Hosemann soll sich wegen der von ihm geforderten Pension an die altpreussische Union wenden, bei der er als früherer Präsident des Konsistoriums] von Breslau zuständig ist. Wegen der Archivarbeit soll sich die Kirchenkanzlei ins Benehmen setzen mit Maurer in Marburg und Prof. Smend Göttingen. 6. In Sachen Freitag und Steckelmann billigt der Rat das Vorgehen des Vorsitzers bezw. der Kanzlei. 7. Dr. Hermann Ehlers wird hauptamtlich, aber zunächst auf Grund eines Dienstvertrages als erster Jurist in die Kirchenkanzlei berufen. 8. Die Gehälter von Niemöller und Asmussen sind grundsätzlich in der Höhe der bisherigen Leiter ihrer Behörden zu bezahlen, jedoch wird baldigst

3D Vorlagen und Anträge

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eine Gehaltskommission die Einzelheiten festsetzen. Bis dahin werden an sie Vorschüsse zur Verrechnung gezahlt. 9. Der Antrag Dibelius (siehe Anlage 1.) wird angenommen. Im Osten eingehende Gelder werden dort verwaltet. Die Ausgaben der Berliner Stelle dürfen die Einnahmen nicht übersteigen. 10. Eine der Ökumene gegebene Erklärung (Anlage 2) wird angenommen. 11. Die Vertreter der EKD für die kommende Tagung der Ökumene sind der Vorsitzer und sein Stellvertreter. 12. Die erste Ausführungsverordnung der Treysaer Beschlüsse wird verabschiedet (Anlage 3). 13. Es wird ein Ausschuss eingesetzt, der festzustellen hat, was von der Kirchengesetzgebung seit 1933 noch in Gültigkeit ist. Die Leitung dieses Ausschusses hat Professor Smend Göttingen. 14. Ein zweiter Ausschuss hat die neue Gemeindewahlordnung vorzubereiten. Sein Vorsitzer ist Prof. Smend. Dr. Wehrhahn wird mit den büromässigen Arbeiten dieses Ausschusses bei der Kanzlei betraut. 15. LB. Wurm wird in regelmässigen Abständen seelsorgerliche Briefe an die Pfarrerschaft schreiben. Der in Treysa nicht verabschiedete Brief an die Pfarrer gilt als Brief des Bruderrates. 16. Mit der Vertretung der EKD bei den Besatzungsmächten werden in besonderen Fällen betraut: für die englische Zone Lilje, für die amerikanische Zone Fricke, für die französische Zone ein noch vom Vorsitzer zu Bestimmender. 17. Es wird ein Ausschuss eingesetzt, der Verlagsangelegenheiten bei der Besatzungsbehörde zu vertreten hat: Lilje, Hammelsbeck, Hutten und ein von Lilje zu benennender Verleger. 18. Eine von Niemöller verfasste Handreichung eines Einschubes in das Kirchengebet für Notleidende wird als Material versandt an die Kirchen. (Anlage 4) 19. LB. Wurm wird die Militärregierung bitten, dass der Busstag, soferne er an einem Werktage abgehalten wird, wieder als gesetzlicher Feiertag gilt. 20. Bischof Dohrmann richtet bei der Kanzlei eine Abwicklungsstelle für die Wehrmachtsgeistlichen etc. ein. Durch eine Rundfrage bei den Landeskirchen werden die Namen der Wehrmachtsgeistlichen und Küster festgestellt. Bischof Dohrmann wird von der Kanzlei aus im engen Einvernehmen mit Dr. Eberhard Müller die Seelsorge an den Kriegsgefangenen durchzuführen versuchen. 21. Ein Einspruch Oldenburgs gegen die Wahl des Rates in Treysa wird abgelehnt.

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22. Hammelsbeck wird beauftragt, die Beauftragten für Schulsachen bei den Landeskirchenregierungen zusammenzurufen. 23. LB Wurm schreibt Barth einen Dank für seine bisherigen Bemühungen. Dieser Dank wird mit der Bitte verbunden, die EKD vor der Ökumene zu vertreten, solange Niemöller nicht selbst in die Schweiz kann. 24. Die nächste Sitzung des Rates findet statt am 13.-14.XII. wahrscheinlich in Frankfurt/M. 25. Sup. Held fasst die Besprechung des Rates über die Art, wie man mit den D C zu verfahren habe, in "Richtlinien" zusammen, die vom Rate angenommen werden (Richtlinien gelangen in wenigen Tagen zur Versendung). 26. Es wird ein Rechtsausschuss eingesetzt, der zu erarbeiten hat, welche theologischen und juristischen Grundlagen bei der neuen Verfassung der EKD zu beachten sind. 27. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass das Mitglied des Rates Asmussen die Leitung der Kanzlei wahrzunehmen hat. 28. Es wird festgestellt, dass das Mitglied des Rates Niemöller mit der Wahrnehmung der Aufgaben des kirchlichen Aussenamtes, insbesondere mit der ökumenischen Vertretung der EKD und mit der Fürsorge für die deutschen Auslandsgemeinden beauftragt ist. 29. Es wird festgestellt, dass das Mitglied des Rates lic. Niesei Vorsitzender des Ostausschusses ist. 30. Der Ökumene gegenüber wurde die Erklärung des Rates abgegeben, dass a) Niemöller mit der Vertretung der EKD im Ausland beauftragt sei, b) dass Kons. Rat Gerstenmaier zwar von Zeit zu Zeit bei Verhandlungen mit der Ökumene eingeschaltet werden müsse, jedoch mit der massgebenden Weisung, stets im Einvernehmen mit Niemöller zu handeln. Obiges Protokoll wird den Mitgliedern des Rates zur Kenntnis übersandt. Ev[ew]t[«e//e] Einsprüche bitte ich möglichst umgehend mir mitzuteilen. Schwäb. Gmünd, den 21.10.45. Gez. Asmussen.

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3D Vorlagen und Anträge

3D2. Korrekturvorschläge Nieseis zum Protokoll über die 2. Sitzung des Rates F: NL Smend (Abschrift). Korrektur des Protokolls vom 18. und 19. Oktober. Was soll die Ueberschrift: "II. Beschlüsse] zu Fragen"?

innerdeutschen

Zu 3) Kons. Rat Gerstenmaier hat eine Planstelle in der Kirchenkanzlei, er wird an das Hilfswerk delegiert, von diesem besoldet und untersteht dem Vorsitzenden des Hilfswerkes D. Wurm. Es wird erwartet, dass er... Zu 6) Es wird festgestellt, dass Oberkon.Rat Dr. Steckelmann eine Planstelle im E O K hat. Er wird an das Hilfswerk delegiert. Zu 14) M.W. ist dafür noch kein Ausschuss gebildet worden. Zunächst sollte das Material gesammelt werden. Zu 22) Dr. Hammelsbeck wird beauftragt, die Referenten für das Schulwesen bei den einzelnen deutschen Regierungen im britischen Sektor zu einer Aussprache zusammenzubitten. Zu 25).... wie man mit den D C und den P G zu verfahren... Zu 26) .... zu beachten sind. Er besteht aus den Prof. Smendt [Smend], Wolf und Dr. Mensing. Später soll er erweitert werden. Zu 29) Das Mitglied des Rates und des Ausschusses für die Ostpfarrer Lic. Niesei soll den Kirchenregierungen für Auskünfte über die Person des Ostpfarrer [sie/] zur Verfügung stehen. Zu 7) .... als leitender Jurist... Zu 8) .... eine Gehaltskommission die Gehälter für die Angestellten der Kirchenkanzlei überprüfen und festsetzen Zu 20) Feldbischof D[ohrmann], 31) L.B. Wurm wird beauftragt, eine Eingabe an den Kontrollrat zu machen. 32) Der Beschluss über die Hilfe für die Ostpfarrer. gez. Niesei 3D3. Entwurf eines Schreibens der Kirchenkanzlei an den Ökumenischen Rat der Kirchen F:NL Smend (D). Anfragen von Delegationen verschiedener Kirchen veranlassen uns zu der Feststellung: Die E K D ist ein Bund von Kirchen.

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Die EKD rechnet damit, dass sie als solcher im Ökumenischen Rate vertreten ist. Diese Feststellung ist ausdrücklich vom Rate der EKD gebilligt. 3D4. Schreiben Visser't Hoofts an Asmussen. Genf, 27. November 1945 F: EZA Berlin, 2/162 (O). - In der den Ratsmitgliedern vorgelegten Abschrift fehlen der 5. und 6. Absatz (z.B. NL Smend). Lieber Bruder Asmussen, Ich habe soeben Ihren Vortrag über die Erklärung von Stuttgart gelesen und möchte Ihnen für dieses kräftige Wort ganz herzlich danken. Vielleicht müssen wir dankbar sein, dass die Stuttgarter Erklärung nicht als Selbstverständlichkeit aufgenommen worden ist und dass jetzt für sie gekämpft werden muss. Denn damit wird sie erst recht bekräftigt. Damit wird sie doppelt wertvoll. Damit wird sie auch in der Oikumene [sie!] noch stärkeren Widerhall finden. Sie haben sicher Recht. Der Ruf eines Gewissens vor und zu Gott ruft die Gewissen wach. U n d ich darf mit Freude sagen: soweit ich sehe, ist in den anderen Ländern noch nirgends eine falsche Ausnützung der Erklärung erfolgt. Chichester in England, Maury in Frankreich, Kraemer in Holland haben in ihren Aufsätzen und Aeusserungen so stark wie möglich unterstrichen, dass die einzige mögliche Antwort auf "Stuttgart" ein Ernstnehmen der N o t des Deutschen Volkes ist und haben sehr deutlich gesprochen von der Schuld, die die Siegermächte jetzt auf sich laden. So dürfen wir doch hoffen, dass Ihr Wort wenigstens im kirchlichen Bereich Echo findet und aufrüttelnd wirkt. Es sei das Ihnen ein Trost, wenn Sie auf viel Missverständnis und Weltklugheit stossen. Dankbar bin ich auch für Ihren Brief an Meiser. Ich befürchte nämlich, dass die Herren der Missouri Synode mit viel Geld versuchen, die konfessionalistische[n], anti-EKID Bestrebungen zu unterstützen und etwa bei Sasse c[um] s[«ii] Gehör finden. Das wäre ein Verhängnis. Wir wollen unserseits alles tun, um das zu verhindern. Sorgen Sie doch dafür, dass die besserefra] Lutheraner aus America (Frey \Fry\, Long, Herman, Michelfelder) über diese Dinge gut unterrichtet werden. Es ist schon gefragt worden, ob denn die E.K.I.D. überhaupt Mitglied des Oekumenischen Rates werden kann, weil sie keine Kirche im richtigen Sinne sei. Es wird gut sein uns darüber mal ein Gutachten zu schicken. Die einzig mögliche Antwort ist wohl, dass E.K.I.D. auf Grund von Barmen, Dahlem jedenfalls so sehr Kirche ist, wie Bekenntnisgebundene Kirchen, die

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sich aktuell bekennen. Aber dann wird es auch nötig sein, dass diese Dinge deutlich ausgesprochen werden. Ich hoffe, dass Sie allmählich doch etwas bessere Arbeitsmöglichkeiten für die Kanzlei und für Sie persönlich bekommen. Seien Sie nicht zu bescheiden, um uns zu fragen, wenn wir irgendwie helfen können! Es ist auch für die Oikumene ausserordentlich wichtig, dass die E.K.I.D. lebensfähig ist. Mit herzlichen Wünschen Ihr W.A. Visser't Hooft [m.p.] 3D5. Rundschreiben der Kirchenkanzlei. Schwäbisch Gmünd, 29. November 1945 F: NL Smend (H). Am 28. Nov. 1945 verbreitete der englische Rundfunk in zwei Abendsendungen eine Ansprache des Erzbischofs von Canterbury an das deutsche Volk. Wir geben im Folgenden eine kurze Inhaltsangabe dieser Rede, da wir nicht wissen, ob sie noch in der Presse erscheinen wird. Die Wiedergabe ist lückenhaft, da sie sich auf das Abhören am Radio beschränken muss. Der Erzbischof ging davon aus, dass es nicht in Menschenmacht stünde, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wohl aber könne man Einfluss nehmen auf die Folgen des Geschehens. Die Christen aller Länder stünden vor der Aufgabe, die grauenhaften Folgen des Krieges abzuschwächen und zu mildern. Die Christen in England würden alles Menschenmögliche tun, um Freund und Feind mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Es sei ausserdem die erklärte Politik Englands, auf den Tag hinzuarbeiten, an dem Deutschland wieder in die Gemeinschaft der Völker aufgenommen werde. Alle Völker stünden jetzt vor der grossen Aufgabe, ein neues Kapitel der Geschichte zu schreiben. Für Deutschland sei das besonders schwer, da es vor einem geistigen Vakuum stünde. Das deutsche Volk müsse sich klar sein, welchen Beitrag es zum Wiederaufbau leisten könne. Das werde abhängen von dem Geiste, in welchem es an diese Aufgabe heranträte. Es müsse sich abwenden von den Sünden und dem Irrgeist, dem es nun in den letzten Jahren gedient habe. Anstatt dessen müsse es sich wieder seinen Kirchen zuwenden, welche in diesen letzten Jahren den alten Glauben bewahrt und ihn durch Leiden bewährt hätten. Dieser alte Glaube bestehe darin, dass alle Menschen Gottes Kinder seien. Die Völker seien Familien vergleichbar, die unter dem göttlichen Vater leben. Nun käme es darauf an, das Leben nach

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den göttlichen Geboten zu gestalten. Denn die Sünde sei das grösste geistige und materielle Unglück. Würde das deutsche Volk den Weg zu Christus zurückfinden, dann würde es auch vor einer grossen und schönen Aufgabe stehen, nämlich vor der Gestaltung des deutschen Lebens nach den Geboten Christi. Christus habe uns Menschen die grosse Aufgabe gestellt, zu erbitten und zu leben, dass Gottes Reich komme und dass sein Wille geschehe. Also hat Gott die Welt gebliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das Leben gewinnen. Denn Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn erlöst werde. Abschliessend rief der Erzbischof allen Christen in Deutschland zu: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Es ist anzunehmen, dass der Vorsitzer des Rates und Pastor Niemöller auf diese Ansprache eine Antwort erteilen werden. Es wäre aber sehr wünschenswert, dass diese Antworten ergehen könnten auf der Grundlage möglichst vieler Zuschriften von Seiten der Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Bruderräte. Darum haben wir uns veranlasst gesehen, diese kurze Inhaltsangabe möglichst schnell herumzusenden. Es lässt sich heute noch nicht sagen, wie schnell eine Antwort auf diese Anrede nötig sein wird. Aber auf jeden Fall werden die Äusserungen der landeskirchlichen Stellen nicht umsonst sein. Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte, dass das geistliche Oberhaupt eines Volkes das besiegte Volk in dem Namen Christi anredet. Worin liegt die Bedeutung dieser Tatsache? Bedeutet diese Ansprache, dass hier staatliche Politik ihre Unterstützung finden soll durch religiöse Rede? Oder darf man hoffen, dass hier ein Anfang gemacht wird, den Geist der Gewalt und der Vergeltung zu bannen und zu überwinden durch den Geist des Evangeliums? Die Gefahr, dass die Ansprache des Erzbischofs missverstanden wird, ist sehr gross. Die Uberzeugung, das englische Christentum sei Heuchlerei, hat sich tief ins deutsche Volk eingefressen, und nicht erst seit gestern. Diese Uberzeugung muss zerstört werden. Auf der anderen Seite machen die Besatzungsbehörden es den Menschen in Deutschland nicht leicht, die Stimme Christi in dieser Rede des Erzbischofs zu hören. Wir sind als Kirchen nicht gerufen, Fehler der Besatzungsbehörden zu beschönigen. Es ist darum dringend nötig, dass die Kirchen sich klar werden über die Stellung, die sie zu dieser Rede einnehmen müssen.

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Die Rede des Erzbischofs ging noch nicht ein auf die Erklärung, welche der Rat der E K D an die Mitglieder der Ökumene abgegeben hat 293 . Diese Erklärung verlangt ja eine Antwort der Christen im Auslande. Wir können gewiss nicht verlangen, dass schon nach so kurzen Wochen eine Antwort vorliegt. Aber die Christenheit in Deutschland wartet auf solche Antwort. Auf jeden Fall aber kann gesagt werden, dass wir vor einer neuen Lage stehen. Die Kirchen des Auslandes reden hinein in das politische Geschehen. Das deutsche Volk hat keine Vertretung, die antworten könnte. Die Kirchen in Deutschland müssen diese Antwort übernehmen. Möge Gott ihnen Weisheit und Kraft geben, das rechte Wort zu finden. gez. Asmussen D D . 3D6. Entwurf Wurms für ein Wort an die Christen in England F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (HJ. An die Christen in England Am 28. November hat der hochwürdige Herr Erzbischof von Canterbury eine Botschaft an das deutsche Volk erlassen. Wir und wie wir hoffen, viele Menschen in Deutschland haben sie mit grosser Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Es ist vielleicht das erstemal in der Geschichte, dass der erste Geistliche eines Volkes nach errungenem Sieg das überwundene Volk brüderlich anredet. Wir freuen uns, dass nachdem die politische Propaganda solange allein das Wort gehabt hat auch die Stimme der Christenheit sich vernehmen lässt, und wir geben gerne darauf eine Antwort. Durch seine Ansprache an das deutsche Volk gibt der Herr Erzbischof zu erkennen, dass die Kirche in England von ihrer Verantwortung für das Schicksal anderer Völker, auch des deutschen Volkes, weiss. Auch wir Christen in Deutschland bejahen unsere Verantwortung für die ganze Welt. Wir haben auch unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht von ihr lassen wollen. Es war uns ein tiefer Schmerz, dass wir der Misshandlung anderer Völker und Länder nicht wehren konnten, und wir wurden von den nationalsozialistischen Führern besonders auch deshalb gehasst, weil ihnen unsere Missbilligung ihrer Untaten wohl bekannt war. Der Herr Erzbischof hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, dass es nicht in Menschenmacht liegt, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wir sind uns dessen klar bewusst, dass unsere Städte nicht in Trümmern liegen und unsere Volksgenossen nicht auf den Landstrassen Hungers sterben und unsere Sol293 2C2(S. 60f.).

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daten nicht in den Gefangenenlagern hinwelken würden, wenn nicht vorher Millionen anderer Menschen dasselbe hätten durchmachen müssen. Wir verstehen es auch, dass es genug Leute gibt in anderen Ländern, die der Meinung sind, dass es den Deutschen nicht schlecht genug gehen könne. Es liegt uns ferne irgend etwas von dem, was anderen Völkern an Unrecht getan wurde, entschuldigen oder beschönigen zu wollen. Die Christen in England haben das Bekenntnis unserer Schuld, das der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland am 19. Oktober ds. Js. vor den Brüdern aus der Ökumene ausgesprochen hat, vernommen 294 . Wir suchen die Ursachen dessen, was geschehen ist, nicht nur im Nationalsozialismus, sondern in einer langen Geschichte der Gottesentfremdung und des Abfalls von Christus auch der Verweltlichung unserer Kirche. Deshalb sind wir auch ganz derselben Meinung wie der Herr Erzbischof, dass die Rückkehr zu Gott und seinen Geboten und die Hinwendung zu der in Christus uns erschienen^«] Gnade, die Voraussetzung bildet zu einem Wiederaufbau Deutschlands. Wir sind sehr dankbar dafür, dass der Herr Erzbischof es als die erklärte Politik Englands bezeichnet, auf den Tag hinzuarbeiten, an dem Deutschland wieder in die Gemeinschaft der Völker eintreten kann und dass er die Bereitschaft der Christen in England unserer äusseren Not zu steuern verkündet. Erlaubt mir ein ganz offenes Wort darüber zu sprechen, wie Ihr dem deutschen Volke auch i n n e r l i c h helfen könnt. Aus ernster Sorge machen wir Euch darauf aufmerksam, dass mit dem Sieg der alliierten Mächte nicht einfach das Gute über das Böse gesiegt hat. Die militärische Eroberung und Besetzung unseres Landes war mit all den Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung verbunden, über die man sich in den Ländern der Alliierten mit Recht beklagt hat und was seither in manchen Besatzungszonen auf dem Gebiet der Entnazifizierung geschehen ist, war auch nicht immer geeignet, den Eindruck eines höheren Masses von Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu erwecken. Wir können es weder für recht noch für klug halten, wenn völlig harmlose, ja auch verdienstvolle Persönlichkeiten lediglich, weil sie unter allerlei Druck formell der Partei beigetreten waren oder auch nur weil sie eine Zeitlang einer ihrer Organisationen angehört hatten oder weil sie als Beamte befördert worden waren, entlassen und verhaftet worden sind. Wir haben vor solchen Massnahmen gewarnt, aber man hat uns nicht hören wollen, und wir begegnen zuweilen der Auffassung, dass ein Wort der Kirche zu falschen Massnahmen der Besatzungsmächte eine Überschreitung ihrer Befugnisse sei. Ganz denselben Auffassungen begegneten wir bei den nationalsozialistischen Behörden, die die Kirche auch gewähren lassen wollten, wenn sie ihren Kultus vollziehe, nicht aber, 294 2C2(S. 60/.).

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wenn sie ein Wort zu den Vorgängen im öffentlichen Leben sprechen wollte. Wir müssen zu unserem grossen Bedauern feststellen, dass alle die Vergeltungsmassnahmen, die über den Kreis der unmittelbar Verantwortlichen hinaus weite Kreise des Volkes treffen, die Bereitschaft, auf die Mahnung der Kirche zu Busse und Erkenntnis der Schuld zu hören, nicht erhöht, vielmehr eine tiefgehende Verstimmung und Erbitterung hervorgerufen haben. Es macht auch vielen ernsten Christen zu schaffen, dass die Völker die im Namen des Christentums gegen den heidnischen Nationalsozialismus zu Feld gezogen sind, ihrem mächtigen Verbündeten gestatten, den deutschen Osten fast vollständig von uns abzuschnüren und dort mit Methoden zu regieren, die sich in nichts von den Methoden des Hitlerregimes unterscheiden. Es will uns auch nicht überzeugend erscheinen, wenn eine grosse Macht, die im Winter 1939/40 ein kleines friedliebendes Volk genau so überfallen hat wie Hitler kurz vorher Polen bei dem Gericht über die Anstifter des Weltkriegs als Richter beteiligt sein soll. Auch klingen die vielfachen Aufforderungen an das deutsche Volk nun sich wieder emporzuarbeiten überall da wie Hohn, wo man der deutschen Industrie, auch derjenigen, die mit Kriegsrüstung nichts zu tun hat, die letzten Rohstoffe und Maschinen weggenommen hat. Wir sagen dies nicht um eine Rechnung mit einer Gegenrechnung zu erwidern, sondern um Euch auf eine grosse Gefahr aufmerksam zu machen, die der Welt und uns allen droht. Man hat schon einmal den Frieden sichern wollen dadurch, dass man dem Besiegten die Möglichkeit, sich zu rächen, durch ungeheure Reparationslasten und durch Abtrennung wirtschaftlich wichtiger Gebiete nehmen wollte. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Massnahmen den Geist nationalistischen Widerstands erst recht geweckt und das deutsche Volk für die Ideologie des Nationalsozialismus empfänglich gemacht haben. Wenn jetzt die nur mit sichtbaren Grössen rechnenden Politiker wieder nach denselben Rezepten verfahren und Deutschland möglichst klein und schwach, seine Nachbarn möglichst gross und stark machen wollen, so werden sie die bösen Geister der Rache und Vergeltung doch nicht aus der Welt schaffen. Wir wissen aus Gottes Wort, dass auch auf dem Gebiet der Politik eine Schuld die andere nach sich zieht und dass nach göttlichem Gesetz der Richter selber unter das Urteil fällt, mit dem er den Übeltäter zu richten unternimmt. Die Rechenkünste derer, die die fahrlässige Brandstiftung von 1914, an der alle europäischen Völker beteiligt waren, allein am deutschen Volke bestrafen zu müssen glaubten, sind gründlich zu Schanden geworden. Dass die vorsätzliche Brandstiftung von 1939 noch strenger bestraft werden soll, ist begreiflich; aber es kann auch jetzt niemandem zum Heile gereichen, wenn Unrecht durch grösseres Unrecht überboten werden will. Das deutsche Volk auf einen noch engeren Raum zusam-

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menzupressen und ihm die Lebensmöglichkeiten möglichst zu beschneiden, ist grundsätzlich nicht anders zu bewerten, als die gegen die jüdische Rasse gerichteten Ausrottungspläne Hitlers. M a n m u s s g l a u b e n , d a s s G o t t e i n V e r g e l t e r s e i n w e r d e - das predigen wir Christen in Deutschland allen unseren verbitterten und empörten Volksgenossen. Dürfen wir, liebe christliche Brüder in England, Euch bitten, dasselbe zu tun? Sollten wir nicht vor dem Angesicht und im Namen dessen, der für unsere Sünden gestorben ist, einen Bund schliessen um die Parole Vergebung statt Vergeltung mit ganzer Macht in die Welt hineinzurufen? Kein wirklich Verantwortlicher soll seiner Strafe entgehen, aber hunderttausende einzusperren, um hundert Schuldige herauszufinden, ist sinnlos und Millionen Unschuldiger verhungern zu lassen, um Millionen ebenso Unschuldiger zu rächen, kann nur der Unverstand für gerecht halten. Der Herr Erzbischof ermuntert uns, einen neuen Anfang zu machen mit der Gestaltung des deutschen Lebens nach den Geboten Christi. Wir sind überzeugt und sagen es unablässig unserem deutschen Volke, dass es den Glauben an die Gewalt aufgeben und den Glauben an die Macht des Geistes und des Rechtes wieder lernen muss. Nichts kann ihm dabei mehr helfen als wenn es von den Siegervölkern einen Anschauungsunterricht in der Handhabung des Rechtes und in der Bezeugung des Geistes erhält. Um diesen Dienst bitten wir die Christen in der ganzen Welt und besonders in England. Dass seit einem halben Jahrhundert England und Deutschland trotz ehrlicher Versuche auf beiden Seiten sich nie finden und verstehen konnten, war unser und ganz Europas Unglück. Sollten sie sich jetzt finden ohne dadurch ein anderes Volk zu bedrohen, dann wäre das die Rettung des Abendlandes. Der ewig reiche Gott schenke der ganzen Welt seinen Frieden. Er verleihe dem britischen Volke Glück und Gedeihen. Er gewähre dem deutschen Volk den Geist der Busse, des Glaubens und der Liebe; dann wird es auch in seiner Armut reich sein.

3D7. Antrag betr. Hilfswerk F: ASD Bonn, NL Heinemann, TeilI, 280 (D).

Dem Hilfswerk wird eine einmalige Zahlung von RM 25 000,- aus Mitteln der Kirchenkanzlei gewährt.

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3D8. Antrag betr. Leitung des Hilfswerks F: NL Smend (O).

Pfarrer Niemöller D.D. wird in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzer des Rates zum ständigen zweiten Leiter des Hilfswerks berufen. 3D9. Schreiben Zänkers an Wurm. [Minden/Westfalen] 22. November 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/208 (D).

Ein Ausschuß des Schlesischen Pfarrervereins hat in einer Sitzung am 5.11.45 in Leipzig folgendes beschlossen: "Zur Frage Kirchenleitung: Der Ausschuß ist der Meinung, daß die legale Kirchenleitung von Schlesien bei Bischof D. Zänker liegt, nachdem dieser offensichtlich durch die bisherige Lage der Dinge an der Ausübung seiner Funktionen gehindert worden war. In dem Augenblick, in dem Bischof D. Zänker die schles. Geistlichen benachrichtigen wird, daß er die Kirchenführung der gesamten schles. ev. Kirche in die Hand genommen hat, werden alle ihm Gefolgschaft nicht verweigern. Der Ausschuß ist der Meinung, daß Bischof D. Zänker mit allen bekenntnismäßigen Kräften der schles. Kirche im Sinne des früheren Wurmausschusses 295 zusammenarbeiten wird." Das Protokoll der Sitzung wurde mir von einem beauftragten Superintendenten überbracht. Der Anlaß zu der Erklärung des Ausschusses des Pfarrervereins, dem fast sämtliche schles. Pfarrer angehören, ist ein doppelter: 1. Die Notwendigkeit, die schles. Pfarrer und Gemeinden in der Zerstreuung wissen zu lassen, daß die schles. Kirche weiterbesteht und eine geistliche Leitung bemüht ist, die Höffnung in ihnen wachzuhalten, daß die schles. Gemeinden noch einmal in die Heimat zurückgeführt oder als geschlossene Gemeinden aus anderm Gebiet angesiedelt werden, 2. ein Rundschreiben des Präses der Naumburger Synode Pfarrer Hornig, durch das sich die Pfarrer, die Schlesien unter dem Druck der Verhältnisse verlassen mußten, in der Öffentlichkeit diffamiert fühlen, da für sehr viele von ihnen die in dem Rundschreiben geforderte Rückkehr nach Schlesien unmöglich sei und außerdem viele Gemeinden garnicht mehr bestehen, die schles. Kirche sich vielmehr zu mindestens 2/3 außerhalb des schles. Raumes befinde. 295 Gemeint ist das Kirchliche Einigungswerk Wurms seit 1941 (vgl. J. THIERFELDER, Einigungswerk).

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Ausdrücklich wurde mir durch den überbringenden Superintendenten erklärt, daß man die Übernahme der Kirchenleitung durch Pfarrer Hornig durchaus verstehe, soweit es sich um die vorläufige Ausübung eines Notregiments handelt, daß aber die allermeisten Pfarrer und Gemeinden in Zukunft die Leitung der Kirche durch mich wünschen. Ich sei durch das frühere Kirchenregiment aus Veranlassung des Reichskirchenministers zwangsweise beurlaubt und danach vorzeitig pensioniert worden, besitze aber das Vertrauen der Pfarrer. Darum wünsche man meine Rückkehr in mein rechtmäßiges Amt. Gleichzeitig wurde ich gebeten, drei geplante schles. Pfarrerkonvente an verschiedenen Orten des russisch besetzten Gebietes in der Provinz Sachsen und Thüringen zu besuchen, zu denen auch Pfarrer Hornig besonders eingeladen worden sei. Ich persönlich stehe zu der in der Erklärung enthaltenen Aufforderung so, daß ich mich dem Ruf der schles. Pfarrer selbstverständlich nicht entziehe. Voraussetzung aber ist für mich, daß ich die Leitung der Kirche nur im Sinne der Bekennenden Kirche ausüben kann, also des Vertrauens auch der Naumburger Synode versichert sein möchte. Es wäre mir unerträglich, durch Übernahme der Leitung in einen Konkurrenzstreit oder Kompetenzkonflikt mit einem Teil der Bek. Kirche einzutreten. Mit dieser Überlegung werde ich versuchen, in die russische Zone hineinzugelangen und an den Konventen teilzunehmen. Dem Rat der E.K.i.D. wäre ich für eine Äußerung dankbar, um der Zustimmung zu meinem Schritt sicher zu sein, falls ich die Leitung der schles. Kirche wieder übernehme. Außerdem bitte ich den Rat um einen Auftrag für mich zum Besuch der Pfarrerkonvente, damit ich die Einreisegenehmigung bekomme. Herrn Bischof D. Dibelius werde ich im Sinne ¿ieses Schreibens ebenfalls schreiben. gez. D. Zänker [m.p.]

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3D10. Antrag zur Leitung der schlesischen Kirche

F: NL Smend (DJ. Entwurf Der Rat wolle beschliessen: Der Rat der Evang. Kirche in Deutschland hat von einem Schreiben des ehemaligen Bischofs von Schlesien, D. Zänker, aus Minden in Westfalen vom 22. Nov. 1945296 Kenntnis genommen und folgendes beschlossen: 1.) Die Evang. Kirche in Schlesien besteht aus den auf schlesischem Boden lebenden Gemeinden evangelischen Glaubens. 2.) Die Leitung der schlesischen Kirche liegt in den Händen des Präses des schlesischen Bruderrates, Pfarrer Hornig, der, zusammen mit einer Reihe von anderen Pfarrern, Bruderratsmitgliedern und Aeltesten die schlesischen Gemeinden in den Zeiten höchster Gefahr und Not nicht verlassen, sondern sich des verwaisten Amtes der Kirchenleitung mit vorbildlicher Treue und Selbstaufopferung angenommen hat. Der Rat wird in Angelegenheiten der schlesischen Kirche ausschliesslich mit Präses Hornig als der zuständigen Kirchenleitung verkehren. 3.) Die unter Ziffer 1.) und 2.) getroffene Regelung schliesst nicht aus, dass die in der Zerstreuung lebenden schlesischen Pfarrer und Gemeinden sich, unbeschadet ihrer vorübergehenden Zugehörigkeit zu anderen Landeskirchen, ihrer schlesischen Heimatkirche besonders verbunden fühlen und diesem Gefühl der Verbundenheit durch besondere Organisationen und Veranstaltungen Ausdruck geben. Es wird erwartet, dass alle Pfarrer, Aeltesten und Gemeindeglieder, die nach Schlesien zurückkehren, engste Verbindung mit der von Präses Hornig geleiteten rechtmässigen schlesischen Kirchenleitung suchen. Von Präses Hornig erwartet der Rat, dass er, in Uebereinstimmung mit der von ihm bisher bewiesenen Uneigennützigkeit, auch in Zukunft alles tut, um die gesamte schlesische Kirche in der Einigkeit des Glaubens und der Liebe beieinander zu halten. Der Vorsitzer des Rates wird beauftragt, diesen Beschluss der Schlesischen Kirchenleitung, Herrn Bischof D. Zänker und Herrn Oberkonsistorialrat D. Schwarz in Göttingen, zur Kenntnis zu bringen.

296 3D9(S. 237f.).

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3D11. Liste der Beamten und Angestellten der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei, des Archivamtes und des Kirchlichen Außenamtes (Stand vom 15. November 1945) F: LKA Stuttgart, Dl/212

(HJ.

I. Zur Zeit im Dienst befindlich: A. Kanzlei der Evang. Kirche in Deutschland, Nebenstelle in Göttingen, Baurat Gerberstr. 7 1) Oberkonsistorialrat Brunotte 2) Oberkonsistorialrat Dr. Steckelmann (ab 1.12.45 im Konsistorium Münster) 3) Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt (ab 15.11. in Frankfurt/M.) 4) Konsistorial-Amtsrat Hellriegel (ab 15.11. in Schwäbisch Gmünd) 5) Konsistorial-Oberinspektor Kiesow 6) Fräulein Hoevermann 7) Fräulein Trübe 8) Fräulein Jahn 9) Fräulein R. Buttmann 10) Fräulein K. Buttmann B. Kirchliches Aussenamt in Erlangen, Universitätsstr. 26 1) Bischof D. Heckel 2) Oberkonsistorialrat Dr. Wahl C. Hilfswerk der EKiD in Stuttgart, Stafflenbergerstr. [sic!\ 20 Konsistorialrat Dr. Gerstenmaier D. Dienststelle der Evangelischen Kirche i[zw] Deutschland] in BerlinCharlottenburg 2, Jebensstr. 3 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Oberkonsistorialrat Dr. Gisevius Oberkonsistorialrat Dr. Krummacher Verwaltungsdirektor Lehmann Amtsrat Müller Amtsrat Grothe Angestellter Reinelt* (Bücherei)

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II. Von den zur Zeit nicht im Dienst befindlichen Beamten bzw. Angestellten haben sich hier gemeldet: 1) Vizepräsident Dr. Fürle (Memmingen/Allgäu, Buxacherstr. 5 bei Recklau) 2) Oberkonsistorialrat Lic. Dr. Hohlwein (Eisenach) 3) Oberkonsistorialrat Dehmel (jetzt in Görlitz) 4) Oberkirchenrat Dr. Merzyn (Bad Wildungen, Pfarrhaus) 5) Konsistorialrat Pagel (Hannover) 6) Konsistorial-Amtsrat Schalge (Springe b. Hannover) 7) Konsistorial-Oberinspektor Poppe (Barlohe Kr. Rendsburg) 8) Kirchenarchiv-Inspektor Buttmann (beurlaubt in Göttingen) 9) Kirchenrat Maurer (Pfarramt in Baden) 10) Angestellter Herzsprung II III. Noch in Kriegsgefangenschaft befindliche Beamte u. Angestellte 1) Oberkonsistorialrat Gustavus (russisch) 2) Oberkonsistorialrat Lic. Dr. Ellwein (russisch) 3) Oberkirchenrat Dr. Schröder (russisch) 4) Oberkirchenrat Ranke (englisch) 5) Amtsrat Klages (russisch, Lazarett) 6) Konsistorial-Amtsrat Broosche (?) 7) Konsistorial-Oberinspektor Scheithauer (russisch) 8) Kassensekretär Westphal (englisch) 9) Amtsgehilfe Schulze* 10) Angestellter Kietzmann II 11) Angestellter Lange 12) Angestellter Herzsprung I (K.K.) 13) Angestellter Köppe 14) Angestellter Schmidt* (englisch, Lazarett) IV. Angestellte der Deutschen Evangelischen Kirche, deren derzeitiger Aufenthalt hier nicht bekannt ist. 1) Angestellter Kietzmann I (in Sachsen?) 2) Angestellte Hesselbarth (Berlin?) 3) Angestellte Richter (Archivamt; Greiz-Raasdorf) 4) Angestellte Karch (Berlin?) 5) Angestellte Rohmer (Berlin?) 6) Angestellte Rohr (Berlin?)

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7) Angestellte Spuhl (Berlin?) 8) Angestellte Todt (Berlin?) 9) Angestellte Oske (Berlin?) 10) Angestellte Ehlers (Passau) 11) Angestellter Dr. Bartsch* (Pfarrstelle in Westfalen?) 12) Angestellter Albrecht (Berlin?) 13) Angestellter Beyer (Berlin?) 14) Angestellter Hendess (Berlin?) V. 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Seit 1.4.1945 ausgeschieden: Konsistorialrätin Redecker (Anstellung zum 1.7. widerrufen) Angestellte Stecklenberg (zum 1.10. entlassen) Angestellter Scheunemann (in Berlin ausgeschieden) Angestellter Kirstein (gestorben) Angestellter Bechert (in Berlin entlassen) Angestellte Etzin (in Berlin ausgeschieden) Angestellter Hentschel (am 11.9.45 gestorben) Angestellter Elkeles (in Rudolstadt ausgeschieden)

VI. Ruheständler (Beamte der Deutschen Evangelischen Kirche). Reichsvikar Dr. Engelke Oberkonsistorialrat Troschke Oberkirchenrat Peperkorn Amtsrat Schildhauer VII. Witwen von Beamten der Deutschen Evangelischen Kirche Frau Oberkonsistorialrat Schubert Frau Oberkonsistorialrat Besig Frau Oberkirchenrat Zahn Frau Amtsrat Holtz Frau Amtsmeister Pries

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3D12. Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung der Verwaltung F: NL Smend (D). Der Rat wolle beschliessen Folgende Verordnung zur Vereinfachung der Verwaltung vom ... Dezember §1 Der Leiter der Kanzlei der EKiD kann Beamte der ehemaligen Deutschen Evang. Kirchenkanzlei versetzen, in den Ruhestand und in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Als Versetzung gilt auch die Uebernahme in den Dienst einer Landeskirche. §2

Der Leiter der Kanzlei der EKiD kann Beamte der ehemaligen Deutschen Evang. Kirchenkanzlei entlassen. Die Entlassung bedarf der Zustimmung des Vorsitzers des Rates der EKiD. Dem zu entlassenden Beamten ist der gleiche Kündigungsschutz zu gewähren, der einem Angestellten in entsprechender Stellung mit gleicher Dienstzeit auf Grund der Tarifordnung für Angestellte des öffentlichen Dienstes zustehen würde. Die Entlassung ist unzulässig, solange der Beamte sich in Kriegsgefangenschaft befindet. §3 Verfügungen nach den §§ 1 und 2 können nur bis zum 30. Juni 1946 ausgesprochen werden, es sei denn, dass der zu entlassende oder zu versetzende Beamte sich zur Zeit der Verkündung dieser Verordnung in Kriegsgefangenschaft befindet. Wird eine Verfügung nach § 1 gegen einen in Kriegsgefangenschaft befindlichen Beamten ausgesprochen, so gilt sie als zugegangen mit der Zustellung an einen versorgungsberechtigten Angehörigen, oder, falls ein solcher nicht vorhanden ist, mit dem Ablauf des Monats, in dem sie ausgesprochen wurde. §4 Die aus den §§ 1-3 sich ergebenden Befugnisse stehen dem vom Rat eingesetzten Leiter des Aussenamtes für dessen Geschäftsbereich zu. §5 Diese Verordnung tritt mit Wirkung vom 19. Oktober 1945 in Kraft.

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3D13. Antrag betr. Beamte und Angestellte der DEK

F: NL Smend (D). 1) Alle im östlichen Gebiet beheimateten Beamten und Angestellten sind an die Berliner Zweitstelle der Kanzlei zu verweisen. Solange sie im westlichen Gebiet als Flüchtlinge leben, sind sie der Osthilfe zu überweisen. 2) Von den Beamten der Kirchenkanzlei (Göttingen) wird lt. Verordnung zur Vereinfachung der Verwaltung versetzt: OKR Brunotte OKR Steckelmann übernommen: OKR Schwarzhaupt AR. Hellriegel Angest. Jahn gtm[äß] Tarifordnung] entlassen: Angest. R. Buttmann » K. Buttmann « Hövermann " Taube [Trübe] O.I. Kiesow, jedoch mit Gewährung der ihm nach bisherigem Recht zustehenden Pension für 1 Jahr ab 1.11.45. 3) Bischof Heckel wird lt. Ver[ordnung] z\ur\ Vereinf[achung] d[er] Verw[altung] in den Ruhestand versetzt. Bis zur Klärung seiner Verhältnisse, d.h. evt. neuen Bestallung, erhält er so viel, dass seine Bezüge 400,- RM monatlich betragen. Das gleiche gilt für Dr. Fürle und OKR Merzyn. 4) AR Schulze, Ol Pogge [Poppe], Insp. Buttmann werden lt. Verordnung] z[ur] Vereinf[achung] d[er] Verw[altung] entlassen. Jedoch wird ihnen bis 31.X. 45 200,-- RM monatlich bezahlt. 5) Reichsvikar Engelke, OKR Peperkorn und AR Schildhauer sind zu entlassen.

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3D14. Entwurf einer Verordnung zur Verminderung des Personalbestandes bei der Verwaltung der bisherigen DEK F: NL Smend (D).

Angesichts der unabweisbaren Notwendigkeit, den Personalbestand bei der Verwaltung der bisherigen DEK durchgreifend zu vermindern und die Beamten- und Angestelltenschaft der Kirchenkanzlei kirchlich einheitlich auszurichten, wird hierdurch folgendes verordnet: §1

1) Beamte der Kirchenkanzlei und des bisherigen kirchlichen Außenamtes können vom Rat der EKiD in den Ruhestand oder in den Wartestand versetzt oder unter Gewährung von Ubergangsgeld entlassen werden. 2) Geht ein Beamter der Kirchenkanzlei oder des Außenamtes in ein Pfarramt über, so kann sein Dienstverhältnis bei der EKiD für beendet erklärt werden. Die Entscheidungen des Rates sind endgültig. §2 1) Ein Beamter, der in den Ruhestand versetzt wird, erhält das ihm nach bisherigem Recht zustehende Ruhegehalt. Sofern die Ruhegehälter der Kirchenbeamten in Württemberg gekürzt werden, gelten diese Kürzungen auch für die Beamten der bisherigen DEK. 2) Kann infolge staatlicher Anordnung oder anderer äußerer Umstände Ruhegehalt nicht gezahlt werden, wird der Rat der EKiD bestrebt sein, den genannten Beamten Unterstützungen zu gewähren. Ein Anspruch darauf, daß, wenn die Behinderung in Fortfall gekommen ist, nicht gezahlte Ruhegehälter nachgezahlt werden, besteht nicht. §3 Ein Beamter, der in den Wartestand versetzt wird, erhält drei-viertel des Ruhegehaltes, das ihm bei einer Pensionierung zugefallen wäre. Die übrigen Bestimmungen des § 2 finden sinngemäß Anwendung.

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§4 Ein Beamter, der entlassen wird, erhält für den der Entlassung folgenden Monat das volle Gehalt, alsdann für weitere 6 Monate die Hälfte. Nach Ablauf dieser Frist fällt jede Zahlung fort. §5 Wird das Dienstverhältnis bei der EKiD nach § 1, Absatz 2 für beendet erklärt, so werden Dienstbezüge nicht mehr gezahlt. §6 Diese Verordnung gilt bis zum 30.6.1946, soweit es sich um Kriegsgefangene handelt, bis zum 30.6.1947. Sie tritt mit dem Tage der Beschlußfassung in Kraft. 3D15. Entwurf für Einzelbestimmungen zu der Verordnung zur Verminderung des Personalbestandes bei der Verwaltung der bisherigen DEK

F: NL Smend (D). 1. Der Rat der E K i D bestätigt die Vereinbarungen, die mit Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte über sein Ausscheiden aus dem Dienst der EKiD getroffen worden sind. Er spricht Herrn Oberkonsistorialrat Brunotte für die ausgezeichnete Arbeit, die er in diesem Dienst getan hat, seinen besonderen Dank aus. 2.

Herr Bischof Dr. Heckel, sowie die Herren Oberkonsistorialräte Gisevius und Wahl, Konsistorialrat Pagel und Verwaltungsdirektor Lehmann werden mit Wirkung vom 31.3.1946 in den Ruhestand versetzt. 3. Vicepräsident Dr. Fürle wird zum 31.3.1946 in den Wartestand versetzt. 4. Die Mitarbeit der in einen pfarramtlichen Dienst übergegangenen Herren O K R Dehmel und Schroeder [Schröder] wird für beendet erklärt. 5. Das Mitglied des Rates D. Lilje wird beauftragt, mit den übrigen Beamten der bisherigen D E K , soweit sie westlich bzw. südlich der Demarkationslinie wohnen, nach deren Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft zu verhandeln

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mit dem Ziel, sie für ein Ausscheiden auf Grund gütlicher Vereinbarung zu gewinnen. Für die Beamten innerhalb der russischen Zone erhält Bischof D.Dr. Dibelius den gleichen Auftrag. 6.

Uber Weiterbeschäftigung oder Entlassung der Angestellten im Dienst der EKiD entscheidet für den Westen Pfarrer Asmussen DD, für den Osten OKR Benn. 3D16. Bericht Brunottes an Wurm. Göttingen, 30. Oktober 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (vervielfältigte

Abschrift).

Hochverehrter Herr Landesbischof! Vom 23. Oktober nachmittags bis 24. Oktober abends war Herr Pastor Asmussen D.D. bei uns in Göttingen. Er legte uns eine vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgestellte Vollmacht nach welcher er als Leiter der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland befugt ist, "über die Gelder und die Vermögensgegenstände der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei zu verfügen 297 . Gleichzeitig brachte Herr D. Asmussen uns die Erste Ausführungsverordnung zur Vorläufigen Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 19. Oktober 1945298 zur Kenntnis. Es lag an den besonderen Umständen des 24. Oktober, dass wir die Tragweite sowohl der Ausführungsverordnung wie auch der Vollmacht des Herrn D. Asmussen nicht sofort in vollem Umfange haben übersehen können. Wir sind in Göttingen mit Raum sehr beengt. Das Referentenzimmer wurde von Herrn D. Asmussen für seine Einzelbesprechungen mit den Beamten und Angestellten benötigt. Der grosse Büroraum war voll von Menschen, die mit dem Aussortieren und Packen der mitzunehmenden Gegenstände beschäftigt waren. Das Vorzimmer war durch das ständige Kommen und Gehen für ruhige Ueberlegungen und Besprechungen ungeeignet. Im übrigen waren wir alle durch das unerwartete Vorgehen des Herrn D. Asmussen gegen die Gefolgschaftsmitglieder in einer seelischen Anspannung, die es entschuldigen mag, dass eine nachträgliche Ueberlegung uns in einigen Punkten zu anderen Ergebnissen kommen lässt, als es nach den von Herrn D. Asmussen jedem Einzelnen von uns getrennt vorgelegten Protokollen den Anschein haben könnte.

297 2E2 (S. 88). 298 2C3 (S. 61f.).

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Die Erste Ausführungsverordnung zur Vorläufigen Ordnung von Treysa schafft eine absolut klare Rechtslage, und zwar in einem Sinne, auf den die Sachbearbeiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei bereits in Treysa hingearbeitet hatten und in dem wir am 18. Oktober dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Vorlage gemacht haben 299 , die wir zwar nicht selbst vortragen konnten, die aber doch im wesentlichen in der Ersten Ausführungsverordnung Gestalt gewonnen hat. Durch diese Verordnung ist klargestellt worden, dass zwischen der alten Deutschen Evangelischen Kirche von 1933 und der Evangelischen Kirche in Deutschland von Treysa eine völlige Rechts i d e n t i t ä t besteht. Der Rat tritt in die Rechte und Pflichten der bisherigen verfassungsmässigen Organe der Deutschen Evangelischen Kirche ein; das von der Deutschen Evangelischen Kirche gesetzte Recht gilt grundsätzlich weiter vorbehaltlich einer selbstverständlich notwendigen Ueberprüfung. Damit ist klargestellt, dass es sich nicht darum handeln kann, eine alte Körperschaft, die Deutsche Evangelische Kirche, zu liquidieren und eine neue, die Evangelische Kirche in Deutschland, zu begründen. Es ist keine Rechts n a c h f o l g e in irgendeinem Sinne erforderlich, denn im Rechtssinne ist die Evangelische Kirche in Deutschland von Treysa die alte Deutsche Evangelische Kirche, unter einem neuen Namen und mit einer neuen Leitung, so Gott will, auch in einem neuen Geiste. Nachdem die Erste Ausführungsverordnung dies für alle Landeskirchen bindend klargestellt hat, ist auch die Rechtslage für die Deutsche Evangelische Kirchen k a n z 1 e i eindeutig geklärt. Obwohl ich die mir von Herrn D. Asmussen zur Kenntnisnahme gebrachte Erste Ausführungsverordnung am 23. Oktober nur flüchtig lesen konnte, war mir ihre verfassungsrechtliche Tragweite sofort völlig klar, da wir Sachbearbeiter der Kirchenkanzlei uns seit Wochen intensiv mit diesen Fragen beschäftigt hatten. Ich habe daher sogleich bei der ersten Besprechung mit Herrn D. Asmussen am Nachmittage des 23. Oktober seine Frage, ob ich aufgrund der Ersten Ausführungsverordnung und der vorgelegten Vollmacht bereit sei, ihm die Kirchenkanzlei zu übergeben, ohne Zögern und vorbehaltlos bejaht. So sehr entsprach die Erste Ausführungsverordnung unseren eigenen Auffassungen. Was in Treysa nicht völlig deutlich geworden war, trat nunmehr ganz klar in die Erscheinung: Die Evangelische Kirche in Deutschland ist rechtsidentisch mit der Deutschen Evangelischen Kirche. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ist daher als Kirchenleitung mit den Befugnissen der

299 Gemeint sind offensichtlich die Entwürfe für eine "Kundgebung der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung" und ein "Gesetz der Militärregierung über die vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche" (EZA BERLIN, 2/64).

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Organe der Kirchenverfassung von 1933 berechtigt, für die Kirchenkanzlei einen neuen Leiter zu bestellen. Der neue Leiter übernimmt die Geschäfte der Kirchenkanzlei! - Im Sinne dieser nunmehr stabilisierten Rechtsauffassung war mir klar, dass es seit den Beschlüssen von Stuttgart am 19. Oktober nicht zwei Kirchenkanzleien geben könne: eine alte, deren stellvertretender Chef ich immer noch wäre und die von mir zu liquidieren wäre; und eine neue, die ohne Zusammenhang mit der alten anderswo neu aufgebaut werden könnte. Vielmehr konnte es jetzt nur e i n e Kirchenkanzlei geben, die - wie die Evangelische Kirche in Deutschland - unter neuem Namen und mit einem neuen Leiter an einem neuen Ort fortbesteht, wobei es selbstverständlich ist, dass Veränderungen im Aufbau und in der personalen Zusammensetzung getroffen werden können. Hatte ich so die verfassungsrechtliche Tragweite der Mitteilungen von Herrn D. Asmussen klar erkannt und demgemäss nicht gezögert, ihm in jeder Weise behilflich zu sein und ihm die von ihm in beschränktem Umfange gewünschten Sachwerte (Dienstwagen, Büromöbel, Maschinen, Materialien und Bücher) auszuhändigen, so muss ich mir hinterher bei genauerer Prüfung der Schriftstücke und der von ihm aufgenommenen Protokolle den Vorwurf machen, dass mir die beamten- und arbeitsrechtliche Tragweite der vorgelegten Schriftstücke nicht sogleich völlig deutlich gewesen ist. Ich sehe mich daher genötigt, im Einvernehmen mit Frau Oberkirchenrätin Schwarzhaupt - Herr Oberkonsistorialrat Dr. Steckelmann befindet sich zurzeit auf Dienstreise - zu den beamten- und arbeitsrechtlichen Folgen des Vorgehens von Herrn D. Asmussen nochmals Stellung zu nehmen. Ich darf bitten, diese Vorstellungen als einen amtlichen Bericht anzusehen und in der nächsten Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Beratung zu bringen. Ich muss umsomehr hierum bitten, als mir am 24. Oktober im Drange der Ereignisse entgangen ist, dass sich die Vollmacht von Herrn D. Asmussen nur auf "die Gelder und die Vermögensgegenstände der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei" bezieht, nicht aber auf die Personalien. Ich hätte also in dem abschriftlich beiliegenden Hauptprotokoll vom 24. Oktober nicht unterschreiben dürfen, dass Herr D. Asmussen "hinsichtlich der Personen eine Reihe von Entscheid u n g e n " getroffen habe 300 . Nach genauerer Prüfung seiner Vollmacht darf ich überzeugt sein, dass die Besprechung des Herrn D. Asmussen mit den Sachbearbeitern, Beamten und Angestellten der Kirchenkanzlei in Göttingen nicht als Entscheidungen aufzufassen sind, sondern dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in seiner nächsten Sitzung Entscheidung zu treffen gedenkt. 300 2E8(S. 109f.).

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Für diese Entscheidung bitte ich folgendes ausführen zu dürfen: Besteht die Rechtsauffassung zu Recht, nach der zwischen der Deutschen Evangelischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Rechtsidentität gegeben ist, so müssen sich m.E. hieraus Folgerungen für die Behandlung der Personalfragen ergeben. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ist in die Rechte und Pflichten der verfassungsmässigen Organe der Deutschen Evangelischen Kirche auch hinsichtlich der Kirchenkanzlei eingetreten. Er findet eine Dienststelle, nämlich die Kirchenkanzlei, vor, die in der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche von 1933 (Art. 7 Abs. 5) verankert ist und deren Stellenplan Bestandteil des Haushaltsgesetzes ist. Er hat die Freiheit, innerhalb dieser Dienststelle organisatorische und personelle Veränderungen vorzunehmen. Er hat jedoch nicht die Freiheit, diese Dienststelle als nicht vorhanden anzusehen und beziehungslos eine neue, noch dazu mit fast der gleichen Bezeichnung, an die Stelle zu setzen. Die Bindung des Rates betrifft auch die beamten- und arbeitsrechtlichen Beziehungen zu den Gefolgschaftsmitgliedern. Ebenso wie er Anspruch erhebt auf die vorhandenen Vermögenswerte (Gelder, Möbeln [sie!], Büromaschinen, Materialien, Akten, Bücher, Dienstwagen usw.), sind die Verpflichtungen aus den Anstellungs- und Arbeitsverhältnissen mit den Gefolgschaftsmitgliedern der Kirchenkanzlei für ihn bindend. Denn es handelt sich ja bei der alten Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei nicht um eine nunmehr aufhörende Dienststelle, deren Personal in der Luft schweben würde, sondern um d i e Dienststelle der Deutschen Evangelischen Kirche, welche jetzt Evangelische Kirche in Deutschland heisst. Nach dem Besuch des Herrn D. Asmussen in Göttingen am 24. Oktober und bei genauerer Prüfung der von ihm jedem Einzelnen von uns getrennt vorgelegten Protokolle muss ich aber annehmen, dass offenbar versucht werden soll, eine völlig neue Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland ohne Rücksicht auf die bestehende Kirchenkanzlei mit völlig neuen Beamten und Angestellten aufzubauen. Hiergegen rechtzeitig Einspruch zu erheben und vor einer Fortsetzung des eingeschlagenen Weges zu warnen, fühle ich mich als derzeitiger dienstältester Beamter der alten Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei sowohl im Interesse der in Göttingen befindlichen wie auch der noch nicht zurückgekehrten Gefolgschaftsmitglieder gewissensmässig gedrungen. Ich kann diese Ausführungen umso sachlicher halten, als ich nicht pro domo zu reden habe. Aus den mich selbst betreffenden Eröffnungen von Herrn D. Asmussen habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland mich in meiner Dienststellung als theologischer Sachbearbeiter der Kirchenkanzlei, die ich seit 1936 innehabe, nicht zu

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belassen gedenkt. Ich habe Herrn D. Asmussen gebeten, dass mir hierüber eine schriftliche Mitteilung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zugehen möge, bevor ich weitere Schritte in meinen persönlichen Angelegenheiten unternehme. Naturgemäss kann ich eine offizielle Mitteilung, dass ich um die Uebertragung eines kirchlichen Amtes in meiner Heimatkirche Hannover bitte, erst abgehen lassen, wenn mir amtlich mitgeteilt worden ist, dass und aus welchen Gründen ich in meiner bisherigen Dienststelle nicht verbleiben soll. Auf die Mitteilung der Gründe muss ich Wert legen, um die heute mögliche Missdeutung, es handele sich etwa um politische Gründe, auszuschliessen. Für den Fall, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland mein Ausscheiden aus der Kirchenkanzlei beschliesst, habe ich Herrn D. Asmussen den Weg einer Versetzung nach § 10 Abs. 2 der Kirchenbeamtenordnung der Deutschen Evangelische Kirche vom 13. April 1939 (Ges.Bl. der DEK 1939, S. 43ff.) vorgeschlagen. Kann ich hiernach von meinen persönlichen Verhältnissen völlig absehen, so treibt es mich umsomehr, um der Sache willen und im Interesse der übrigen Gefolgschaft der Kirchenkanzlei meine Stimme zu erheben. Ich möchte mir nicht von der noch völlig verwirrten und ratlosen Gefolgschaft, auch nicht von denen, die noch abwesend und darum nicht in der Lage sind, ihre Belange selbst zu vertreten, vorwerfen lassen müssen, es sei niemand für sie eingetreten. Je länger ich mir die Ereignisse des 24. Oktober durch den Kopf gehen lasse, umsomehr komme ich zu der Ueberzeugung, dass aus rechtlichen, sozialen und kirchlichen Gründen s o nicht gehandelt werden kann. Ich beginne zunächst mit den Verhältnissen der mittleren bzw. gehobenen Beamten und der Angestellten. Bei den Referenten liegen die Dinge naturgemäss etwas anders. Bei den Beamten und Angestellten ist m.E. davon auszugehen, dass sie de jure einer fortbestehenden Behörde angehören. Die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei ist nicht eine Dienststelle, die infolge der Gewalt der Ereignisse aufgeflogen wäre. Ist die neue Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland rechtsidentisch mit der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei, so muss grundsätzlich gelten, dass die alten Beamten und Angestellten der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei Beamte und Angestellte der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland sind. Für die Vornahme von Veränderungen könnten nur 3 Gesichtspunkte in Betracht kommen: [/.] die politischen Bestimmungen der Militärregierung; 2. die Frage der kirchlichen Brauchbarkeit; 3. der Gesichtspunkt einer notwendigen Verkleinerung des Betriebes. Zu diesen drei Gesichtspunkten ist hinsichtlich der in Göttingen befindlichen 2 Beamten und 5 Angestellten zu sagen: 1. Kein Göttinger Gefolgschaftsmitglied der Kirchenkanzlei hat der NSDAP oder einer ihrer politisch

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bedeutsamen Gliederungen angehört. - 2. Es handelt sich um Menschen, die zum grössten Teil aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen und sich jederzeit bewusst gewesen sind, dass sie in einer kirchlichen Dienststelle arbeiten. 3. Eine Verkleinerung der Behörde gegenüber dem Stand von 1939 (55 Gefolgschaftsmitglieder!) wird von jedermann als notwendig zugegeben werden. Es muss sich dann aber wirklich um eine Verkleinerung der b e s t e h e n d e n B e h ö r d e handeln. Es kann nicht als gerecht oder gar kirchlich vertretbar angesehen werden, tüchtige, eingearbeitete, unbescholtene, in jeder Hinsicht einwandfreie Beamte und Angestellte zu kündigen bzw. abzubauen, um dafür in die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland andere, n i c h t e i n g e a r b e i t e t e K r ä f t e n e u e i n z u s t e l l e n ! Ein solches Verfahren kann man nicht "Verkleinerung der Behörde" nennen! Ich muss aber nach dem, was am 24. Oktober in Göttingen geschehen ist, befürchten, dass ein solches Verfahren beabsichtigt ist. Am 24. Oktober ist sämtlichen Beamten und sämtlichen Angestellten, mit Ausnahme des Amtsrats Hellriegel, zum 31. Januar 1946 gekündigt worden. Da auch den noch abwesenden Gefolgschaftsmitgliedern eine Wiederbeschäftigung nicht in Aussicht gestellt worden ist, andererseits nicht angenommn werden kann, dass die neue Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland mit einem einzigen Amtsrat ohne weitere Beamte und Angestellte wird arbeiten wollen, besteht Grund zu der Annahme, dass n e u e Beamte und Angestellte eingestellt werden sollen. Ich kann dies Verfahren nicht für zulässig halten. Neue Kräfte dürften aus rechtlichen, sozialen und kirchlichen Gründen nur dann eingestellt werden, wenn nicht genügend alte Kräfte vorhanden wären, die arbeitsmässig, politisch und kirchlich brauchbar wären. Solche Kräfte sind aber, gerade unter dem Gesichtspunkt der Verkleinerung der Behörde, in Göttingen genügend vorhanden. Welche soziale Unmöglichkeit hier begangen wird, geht daraus hervor, dass z.B. die Angestellte Fräulein Hoevermann (Kanzleivorsteherin) 23 Dienstjahre bei der Kirchenkanzlei bzw. beim Kirchenbundesamt hat, Fräulein Jahn (Kasse) 15 und Fräulein Trübe (Registratur) 12 Dienstjahre. Es kann keinen triftigen Grund geben, diesen gut eingearbeiteten und tüchtigen Angestellten zu kündigen und dafür neue, von aussen kommende Kräfte einzustellen. Das hat mit dem Gesichtspunkt der notwendigen Verkleinerung des Betriebes nichts mehr zu tun. Das gleiche gilt für einige z.T. noch nicht zurückgekehrte Beamte des mittleren bzw. gehobenen Dienstes. Zu der rechtlichen und sozialen Unmöglichkeit des ganzen Verfahrens, die besonders schwerwiegend erscheint, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es von der leitenden Stelle der Evangelischen K i r c h e ausgehen soll, kom-

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men rechtliche Fehler in den Einzelheiten hinzu. Es war uns leider erst nach dem 24. Oktober möglich, die Vorschriften der Tarifordnung A für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst zu vergleichen. Herr D. Asmussen hat sämtliche Angestellte zum 31. Januar 1946, also mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt. Er hat dabei den § 16 der T O A [Tarifordnung für Angestellte] nicht beachtet. Nach Ziffer 2 dieses § 16 beträgt die Kündigungsfrist nach 12 Dienstjahren: 6 Monate, zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Den vorgenannten 3 Angestellten konnte also, wenn man eine Kündigung überhaupt als zulässig ansehen dürfte, höchstens zum 30. Juni 1946 gekündigt werden. Es ist daher verständlich, dass diese Angestellten in die von Herrn D. Asmussen persönlich aufgestellten Protokolle den Vorbehalt ihrer Rechte nach der T O A haben aufgenommen wissen wollen. Dass § 16 der T O A in den vorliegenden Fällen auch unter den heutigen Bestimmungen der britischen Militärregierung noch gültig sei, haben wir uns durch den Sachbearbeiter des hiesigen Arbeitsamtes, Herrn Dr. Fleischmann*, ausdrücklich bestätigen lassen. Der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes war, ohne dass ihm zunächst der Name unserer Behörde genannt worden wäre, geradezu empört über die hier zutage tretende unsoziale Haltung einer öffentlichen Dienststelle. Rein rechtlich sei die Lage so, dass der Kündigungsschutz des § 16 fortbestehe. Nur in den Fällen, in denen ein Betrieb auf Anordnung der Militärregierung geschlossen sei, oder in denen die politischen Bestimmungen der Militärregierung anzuwenden seien, falle die Kündigungsfrist fort. Beides ist aber, wie oben dargelegt wurde, bei der Kirchenkanzlei in Göttingen nicht der Fall. Aus dieser Stellungnahme des Arbeitsamtes ergibt sich also, dass bei einer Kündigung der aufgeführten Angestellten zum 30. Juni 1946 (wenn man eine solche überhaupt für vertretbar halten wollte!) keine finanzielle Entlastung der Evangelischen Kirche in Deutschland eintreten wird, sondern eine Belastung, die m.E. im Hinblick auf die angeordnete Herabsetzung der Umlagen nicht verantwortet werden kann. Eine finanzielle Entlastung würde nur eintreten, wenn auf die Einstellung neuer Kräfte verzichtet wird und die vorhandenen Beamten und Angestellten fortbeschäftigt werden. Dass zu einer Kündigung der B e a m t e n des mittleren bzw. gehobenen Dienstes zum 31. Januar 1946 rechtlich keine Möglichkeit besteht, hat Herr D. Asmussen mir auf Vorhalt mündlich zugegeben. Er hat eine Verordnung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Aussicht gestellt, durch die eine kirchengesetzliche Grundlage geschaffen werden soll, auf der es möglich wäre, auf Lebenszeit angestellte Beamte abzubauen 301 . Gesprächsweise wurde auf den von Oberkonsistorialrat Dr. Benn in Treysa vorgeleg301 Vgl. 3C3 (S. 21Sf.).

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ten Entwurf einer altpreussischen Verordnung zur Vereinfachung der kirchlichen Verwaltung 302 angespielt. Dass eine solche Verordnung gegebenenfalls auch für den Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland notwendig sein könnte, soll nicht bestritten werden. Ich bitte aber mit allen Nachdruck vor dem Erlass einer derartigen Verordnung auf zwei Gesichtspunkte hinweisen zu dürfen: 1. Sie muss so abgefasst sein, dass die Beamten des mittleren und gehobenen Dienstes, die abgebaut werden sollen, nicht schlechter gestellt werden als die Angestellten mit längerer Dienstzeit, die den Kündigungsschutz der T O A geniessen. Das würde bedeuten, dass den Beamten im Falle ihrer Entlassung ihre Bezüge mindestens ebenfalls für 6 Monate erhalten bleiben müssten. - 2. Die Verordnung dürfte nur anwendbar sein, um eine wirkliche Vereinfachung der Verwaltung, d.h. also eine Verkleinerung der bestehenden Behörde, zu erreichen. Sie dürfte also nur anzuwenden sein, um ü b e r z ä h l i g e Beamte der bisherigen Kirchenkanzlei, des Kirchlichen Aussenamtes und des Archivamtes der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei abzubauen. Sie dürfte dagegen nicht angewendet werden, um brauchbare, tüchtige, eingearbeitete, unbelastete Beamte zu entfernen und an ihre Stelle irgend welche n e u e Beamte einzustellen! Was die Behandlung der im Beamtenverhältnis stehenden S a c h b e a r b e i t e r der bisherigen Kirchenkanzlei angeht, so ist ohne weiteres zuzugeben, dass es sachliche Erfordernisse gibt, die es mindestens bei einem Teil von ihnen unabwendbar erscheinen lassen, dass sie aus der Arbeit der Kirchenkanzlei ausscheiden. Hierüber hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, der für die theologische und kirchenpolitische Ausrichtung der Arbeit verantwortlich ist, zu befinden. Nach dem, was Herr D. Asmussen hierüber mitgeteilt hat, werden bestimmte Fälle, in denen es sich um eine äussere und innere Gebundenheit der betreffenden Sachbearbeiter an die NSDAP oder an die Deutschen Christen handelte, anders zu behandeln sein als andere Fälle, in denen eine derartige Bindung nicht vorlag. Den in Göttingen anwesenden Sachbearbeitern der Kirchenkanzlei hat Herr D. Asmussen freundlicherweise das Verdienst zugebilligt, dass es ihrer Umsicht gelungen sei, die noch vorhandenen Sachwerte der Kirchenkanzlei zu erhalten (Rundschreiben der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 24. Oktober 1945303). Was sonst zu der Tätigkeit dieser Sachbearbeiter in

302 Vgl. dazu den Beschluß der in Treysa vertretenen altpreußischen Provinzialkirchen, in dem es heißt: "Die Kirchenleitung bestimmt diejenigen Beamten des EOK, die zur Erfüllung dieser Aufgaben bis auf weiteres im Amt bleiben" (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 101). Nach einem Aktenvermerk Benns vom 27. September 1945 stammt der Wortlaut allerdings "wohl in erster Linie von Lic. Beckmann und Rechtsanwalt Dr. Mensing" (EZA BERLIN, 7/4193, BL. 21). 303 2E9(S. 111).

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den letzten neun Jahren zu sagen wäre, wird eine genauere Kenntnisnahme der Aktenvorgänge ergeben. Wir müssen annehmen, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland über die nicht parteimässig oder kirchenpolitisch belasteten Sachbearbeiter aufgrund genauer Kenntnis ihres dienstlichen Verhaltens verfügen wird. Ich möchte auch an dieser Stelle betonen, dass ich nicht in eigener Sache spreche, und darf bezüglich meiner eigenen Dienstverhältnisse auf das oben Gesagte verweisen. Ich kann es mir aber nicht versagen, zu der Behandlung meiner Kollegin, der Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt Stellung zu nehmen. Für sie gilt m.E. dasselbe, was für die übrigen Beamten und Angestellten der Göttinger Kirchenkanzlei gilt. Sie war nicht parteigebunden und gehörte keineswegs den Deutschen Christen an, stand vielmehr der Bekennenden Kirche nahe und hat sich stets in diesem Sinne betätigt, wie z.B. die Kreise der kirchlichen Werke und Verbände, mit denen sie zu tun hatte, bestätigen werden. Sie konnte sich während ihrer fast 10jährigen Tätigkeit in der kirchlichen Verwaltung spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts, des Verfassungsrechts der Deutschen Evangelischen Kirche und der Landeskirchen erwerben. Es ist mir völlig unbegreiflich, mit welcher Selbstverständlichkeit anscheinend auf die Mitwirkung dieser bewährten Kraft verzichtet werden soll, obwohl doch aller Anlass bestände, wenigstens e i n e Persönlichkeit in der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland zu haben, die über eine genaue Kenntnis der früheren Verhältnisse verfügt und insofern eine gewisse Kontinuität zur bisherigen Arbeit darstellen könnte. Herr D. Asmussen hat mehrfach versucht, den Sachverhalt so darzustellen, als wolle Frau Dr. Schwarzhaupt von sich aus aus dem Dienst der Kirchenkanzlei ausscheiden, als habe sie "Pläne", die es zu fördern gelte. Frau Dr. Schwarzhaupt hat demgegenüber immer wieder betont, dass nicht sie die Absicht geäussert habe, in einen anderen Dienst überzugehen. Wenn in dem sie betreffenden Protokoll eine belanglose Uebergangstätigkeit in Frankfurt für sie vorgesehen ist und ihr "das Recht, sich nach anderen Unterhaltsmöglichkeiten umzusehen" (!) zugebilligt wird, so ist das eine Behandlungsweise, die den Fähigkeiten, der bisherigen kirchlichen Haltung und den sachlichen Verdiensten der Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt nicht gerecht wird. Das muss einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden. Frau Dr. Schwarzhaupt ist auf Lebenszeit angestellte Beamtin der Deutschen Evangelischen Kirche, also jetzt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sachliche Gründe für ihre Entlassung oder für ein unter Druck herbeizuführendes freiwilliges Ausscheiden bestehen nicht. Wird ihr Ausscheiden auf diese oder jene Weise herbeigeführt, so könnte bei Aussenstehenden leicht der Eindruck entstehen, hier solle nur Platz geschaffen werden, damit andere Anwärter eine Stelle bekommen können.

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Hochverehrter Herr Landesbischof! Lassen Sie mich diese Ausführungen mit einigen persönlichen Worten beschliessen. Trotz aller gelegentlichen Aeusserungen, die gefallen sind, dass man die notwendigen Veränderungen in humaner oder entgegenkommender oder christlich-brüderlicher Weise vornehmen wolle, habe ich grosse Sorge, dass diese Aeusserungen blosse Worte bleiben und dass es im Grunde nun doch so gemacht wird, wie es die DC 1933 gemacht haben. Auch damals ging es ja nicht nur über die Pfarrer her, sondern vielfach auch über die Beamten der allgemeinen kirchlichen Verwaltung, die hie und da abgesetzt, strafversetzt oder kaltgestellt wurden. Wir haben es erlebt, was dabei herausgekommen ist. Ich würde es unendlich bedauern, wenn die neue Evangelische Kirche in Deutschland wieder mit solchen Dingen belastet würde, auf denen kein Segen ruhen kann. Ich weiss, dass es n o t w e n d i g e Veränderungen gibt. Wogegen ich mich gewissensmässig verpflichtet fühle, Stellung zu nehmen, sind die vorstehend nachgewiesenen n i c h t n o t w e n d i g e n Veränderungen in dem Kreis, dem anzugehören mir immer eine Freude gewesen ist. Es ist nicht gerecht, nicht sozial gedacht und auch nicht christlich gehandelt, wenn jetzt bis auf einen einzigen Beamten sämtliche Gefolgschaftsmitglieder der bisherigen Kirchenkanzlei zur Entlassung kommen sollen. Die Massnahmen des Herrn D. Asmussen schiessen, wie ich glaube nachgewiesen zu haben, weit über das Ziel hinaus. Ich bitte ernstlich zu bedenken, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine vorläufige und begrenzte Aufgabe zu erfüllen hat. Eine endgültige Neugestaltung auch der Kirchenkanzlei dürfte doch wohl erst die Aufgabe einer kommenden Synode sein. Der Rat darf nach meiner Ueberzeugung hinsichtlich der Behörde, die in seinem Auftrage arbeitet, nur d i e Massnahmen ergreifen, die notwendig sind, um die dem Rat gesteckten Ziele zu erreichen. Dass hierfür der fast restlose Abbau des gesamten Personals der Kirchenkanzlei erforderlich sei, wird man nach meinen vorstehenden Ausführungen kaum noch behaupten können. - Gewiss: Es handelt sich nur um einige wenige Personen; aber es handelt sich um Schicksale lebendiger Menschen, über die man nicht leichten Herzens verfügen sollte. Unnötige Härten zu vermeiden, müsste gerade in der heutigen Zeit ganz besonders Aufgabe der Kirche Jesu Christi sein. Soll ich den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland an den Satz aus seinem Treysaer "Wort an die Gemeinden" erinnern: "Wehrt nicht durch Lieblosigkeit das ungerechte Wesen in der Welt" 304 ? In offenem Vertrauen auf den Gerechtigkeitssinn und die Herzensgüte des Mannes, der die Evangelische Kirche in Deutschland als Vorsitzer des Rates

304 1C1 (S. i f f . J .

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"non vi sed verbo" zu leiten hat, grüsse ich Sie, hochverehrter Herr Landesbischof in Ehrerbietigkeit und aufrichtiger Ergebenheit Ihr gez. Heinz Brunotte 3D17. Schreiben Asmussens an Brunotte. Schwäbisch Gmünd, 28. November 1945 F: LKA Stuttgart, Dl/208 (HJ. Auf Ihr Schreiben vom 30.10.45. Unsere Nummer: 462 Sehr verehrter Bruder Brunotte! Mit einigem Erstaunen habe ich von Ihrem Schreiben an Herrn Landesbischof D. Wurm Kenntnis genommen. Es entspricht nach Form und Inhalt nicht der Art und Weise, wie wir in Göttingen miteinander verhandelt haben. Es tut mir leid, dass ich das feststellen muss, und dass ich zugleich Unrichtigkeiten aufdecken muss, von denen ich nicht verstehe, wie sie sich eingeschlichen haben könnten. Wie kann es nur angehen, dass Sie die Dinge um Frau Schwartzhaupt [Schwarzhaupt] so grundfalsch darstellen können? Ihr Schreiben erweckt den Anschein, als sei alles darauf abgestellt gewesen, Frau Schwartzhaupt [Schwarzhaupt] aus dem Dienst zu entlassen. Es kann nicht verschwiegen werden, dass gerade das Gegenteil richtig ist und dass Sie das auch wissen mussten. Frau Dr. Schwartzhaupt [Schwarzhaupt] ist ohne irgendeine Schwierigkeit übernommen worden. Davon lässt Ihr Schreiben an Herrn Landesbischof D. Wurm nichts merken. Das Protokoll, das mit ihr aufgenommen worden ist, lässt keinen Zweifel darüber, dass die Möglichkeit, sie könne sich nach einer anderen Stelle umsehen, nicht eine Einschränkung ihrer Übernahme ist, sondern eine Freundlichkeit, die ihr es ermöglichen soll, sich ihre Zukunft nach ihrem Willen einzurichten. Nicht ich, sondern Frau Dr. Schwartzhaupt [Schwarzhaupt] hat davon gesprochen, dass sie sich unter Umständen nach einer Arbeit im staatlichen Dienste umsehen wolle. Ich bedaure Ihre Darstellung der Dinge sehr. Denn sie ist geneigt, die Zusammenarbeit mit Frau Dr. Schwartzhaupt [Schwarzhaupt] zu erschweren. Wie kann es möglich sein, dass Sie die Abmachungen mit Fräulein Jahn so schief darstellen? Steht nicht ausdrücklich im Protokoll, dass damit zu rechnen ist, dass Fräulein Jahn übernommen wird? Warum erweckt Ihr Brief wohl den Anschein, als solle das nicht sein? Und warum erwähnt wohl Ihr

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Brief mit keinem Worte, dass doch auch sehr ernstliche technische Schwierigkeiten eine Rolle spielten, als ich in Göttingen mit den Beamten und Angestellten gerade diese Entscheidung traf? Wussten Sie wohl nichts davon, dass z.B. die beiden Fräulein Buttmann um ihres Vaters willen nicht ins amerikanische Gebiet versetzt werden möchten? Haben Sie auch wohl gar nicht daran gedacht, dass die Übernahme in den Dienst der EKD weitestgehend eine Wohnungsfrage ist, weil es so gut wie unmöglich ist, in Stuttgart oder in Schwäb. Gmünd ein einziges Zimmer zu bekommen? Dazu kommt, dass Ihr Brief den Anschein erweckt, als seien Sie irgendwie zu einer übereilten Handlungsweise von mir veranlasst worden. Ich stelle fest, dass ich am ersten Abend alles mit Ihnen durchgesprochen habe. Der Besprechung mit Ihnen folgte eine Besprechung mit Herrn OKR Steckelmann. Was ich im grossen Ganzen vorhatte, konnte Ihnen am ersten Abend meines Aufenthaltes in Göttingen nicht mehr zweifelhaft sein. Den ganzen folgenden Tag hatten Sie engste Fühlungnahme mit mir. Sie sind über die sachlichen und personellen Probleme mehrfach von mir um Ihre Meinung gefragt worden. In keinem Falle habe ich den Eindruck haben können, eine Entscheidung zu treffen, gegen welche Sie grundsätzliche Bedenken erheben. Ich habe mit Ihnen und Herrn OKR Steckelmann über die einzelnen dort beschäftigten Personen gesprochen. Sie und Herr Steckelmann haben mich darauf aufmerksam gemacht, welche Persönlichkeit in Ihrer Gefolgschaft sich als besonders "braun" in den letzten Jahren gezeigt habe und haben die Entscheidung für sachlich voll gerechtfertigt angesehen, dasss diese Persönlichkeit nicht mit übernommen würde. Nein, Ihr Verhalten und Ihr Brief sind nicht in Einklang zu bringen. Und wenn Sie jetzt Ihr Schreiben vervielfältigt haben und an einen für mich nicht übersehbaren Personenkreis ausgehen Hessen, so werden Sie sich ja darüber klar sein, dass Sie mit dieser Handlung eine ebenso vervielfältigte Richtigstellung meinerseits hervorrufen. Ob ich diese noch werde vermeiden können, steht noch aus. Inzwischen schreibt mir Herr Pfarrer [Eduard] Ellwein, Sie hätten ihm gesagt, ich hätte alle bisherigen Beamten der K[irchen]K[anzlei] und des K[ußen\K[mtes\ gekündigt. Er hat das so verstanden, dass ich auch seinem Bruder [Theodor Ellwein] gekündigt hätte. Ob er Sie wohl darin missverstanden hat? Dann wäre es richtig gewesen, sich so auszudrücken, dass er Sie an diesem Punkte nicht missverstehen konnte. Ich habe Ihnen jedenfalls zu dieser Äusserung keinen Anlass gegeben. Ich will an dieser Stelle noch von der Geldüberweisung an Herrn Gerstenmeier [Gerstenmaier] schweigen. Ich muss aber feststellen, dass es mir nachgerade sehr schwer fällt, bei Ihnen den Willen zu unterstellen, die zweifellos schwierige Situation brüderlich zu meistern. Ihr Brief hinterlässt bei mir den

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Eindruck, als sollte versucht werden, einen Keil zwischen den Rat der EKD und seinem Mitgliede und Bevollmächtigten Pastor Asmussen zu treiben. Ein solcher Eindruck kann nichts Gutes schaffen. Vollends die Befürchtungen, es solle bei uns nun mit den gleichen Methoden vorgegangen werden, mit denen die D C einst vorgegangen sind, kann von Ihnen nun doch nicht gut begründet zum Ausdruck gebracht werden. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Sie zu solchen Ausführungen Ihren Ausweg nehmen würden. Sie sind sich offenbar nicht über die wirkliche Lage klar. Wissen Sie wirklich nicht, dass ich selbst und dass meine Freunde an sich halten müssen, um nun nicht die Gebahrung der früheren Organe der EKD einer genauen Prüfung zu unterziehen? Können Sie wohl verstehen, dass wir der Meinung sind, diese Organe hätten bis zum Zusammenbruch eine Kirchenpolitik des Staates ermöglicht, die man nur als Christenverfolgung bezeichnen kann? Aber wir wissen, dass man es weithin aus Unwissenheit getan hat, und darum machen wir den Versuch, auf eine genaue Prüfung der Vorgänge zu verzichten. Wünschen Sie wohl, dass das sich ändert? Ihr Brief scheint diesen Wunsch auszudrücken. Ich will Ihnen das an einem Beispiele zeigen: Dieser Tage besuchte mich ein hoher Beamter der Kirchenkanzlei, um seine Verhältnisse zu regeln. Er bekam zunächst eine sehr ansehnliche Geldsumme ausgezahlt, allerdings mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass diese Auszahlung aus gutem Willen erfolge und im Hinblick auf eine baldige Regelung durch den Rat der EKD. Dieser Herr hat vor noch gar nicht langer Zeit einen Erlass unterzeichnet, durch welchen einer Gemeinde in Berlin verboten wurde, ihre Räume solchen Veranstaltungen zu öffnen, in denen für Gefangene Fürbitte geleistet würde. Ich habe diesem Herrn die Möglichkeit zu einer neuen Arbeit in einer neuen Kirche vor Augen gestellt und hoffe, dass ich diesen Kurs mit ihm weiter beschreiten kann. Das setzt allerdings voraus, dass stillschweigendes Einverständnis darüber herrscht: Wenn nach Recht und Gerechtigkeit verfahren würde, dann müssten jetzt andere Töne angeschlagen werden. Wird der Boden dieses stillschweigenden Einverständnisses verlassen, dann ändert sich alles von Grund auf. Und das ist nun die Frage: Werden die Beamten der bisherigen Organe der DEK sich auf den Boden dieses stillschweigenden Einverständnisses begeben? Ihre Briefe in den letzten Wochen sehen aus wie eine Verneinung dieser Frage. Sollten wir zu dem Schluss kommen, dass diese Frage von Ihnen und Ihren Kollegen verneint wird, dann stehen wir vor der neuen Situation, dass sich unser bisheriger Kurs nicht innehalten lässt. Dann ist es zweifelsfrei so, dass wir die bisherigen Organe der DEK und Ihre Beamten einer genauen Prüfung auf die Amtsführung unterziehen müssen, wie weit sie die Kirchen-

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politik des dritten Reiches ermöglicht oder gefördert haben. S i e haben tatsächlich die Wahl, und die Entscheidung, die Sie treffen müssen, ist folgenschwer. Es hat alles Sentiment für sich, wenn Sie darauf aufmerksam machen, dass es sich um lebendige Menschen handle bei den nunmehr zu treffenden personellen Regelungen. Ich glaube, darauf alle nur mögliche Rücksicht genommen zu haben. Zweifelhaft ist mir, ob ich nicht zu wenig Rücksicht darauf genommen habe, dass die Amtsführung der Organe der bisherigen D E K eben lebendige Menschen genug in Leiden und Elend stürzten. Zweifelhaft ist mir nachgerade, ob bei den Referenten der Organe der bisherigen D E K dafür auch nur Bruchteile von Verständnis vorhanden sind. Zweifelhaft ist mir, ob es nun nicht an der Zeit ist, dieses alles einmal auszuräumen. Wenn es soweit kommt, dann müssen Sie damit rechnen, dass Sie dies mit herbeigeführt haben. Das Mitglied des Rates und sein Bevollmächtigter, Pastor Asmussen, den Sie vom Rate zu trennen und als DCer mit andere Vorzeichen hinzustellen belieben, hat Ihnen die Chance einer anderen Regelung gegeben. N o c h stehe ich zu dieser Chance. Aber die Dinge scheinen sich so zu entwickeln, dass ich es nicht mehr lange kann. In diesem Zusammenhange muss ich auch von dem proton pseudos Ihres Briefes sprechen. Sie äussern sich des Langen über die Rechtskontinuität. Sie ziehen aus ihrer Bejahung weite Folgerungen die Personalpolitik betreffend. Sie vergessen dabei, dass es in den letzten zwölf Jahren allgemeine Uberzeugung des Kirchenrechts geworden ist, dass bekenntnismässige Notwendigkeiten für die Auslegung des Buchstabens entscheidend sind. Der Rat kann sich nicht zu Bekenntniswidrigkeiten bekennen, welche sein Rechtsvorgänger sich hat zu Schulden kommen lassen. Im Gegenteil, der Rat der E K D wird mit allen Kräften alle Bekenntniswidrigkeiten seines Rechtsvorgängers ausmerzen. Dazu gehört nun auch der bisher gesteuerte Kurs. Dazu gehört der Einfluss derjenigen Personen, welche diesen Kurs steuerten. Ihr Brief lässt das Verständnis zu, als ob man die alte Kirchenkanzlei nun einfach übernehmen und - vielleicht mit einem neuen Kopfe - weiter arbeiten lassen könnte. Denn es handelt sich ja nicht um die mittleren Beamten und Angestellten. U m derer willen wären Ihre langen Ausführungen nicht nötig gewesen. Sie wissen so gut wie ich, dass weder Sie noch Herr Steckelmann mir in Göttingen den Wunsch erfüllen konnten, dass mir eine Tarifordnung gegeben würde. Besteht die Tarifordnung noch zu Recht, dann wird nichts im Wege sein, dass man ihr entsprechend handelt. Meine Bereitwilligkeit dazu zeigen ja die damals gefertigten Protokolle eindeutig. Es geht ja um die leitenden Beamten; denn es geht um den Kurs, der gesteuert werden soll. D a muss ich nun aussprechen, dass der neue Kurs mit dem

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alten Schiffe und mit den alten Steuerleuten nicht gefahren werden kann. Ich weiss mich darin Ihres Einverständnisses sicher, denn ich habe Ihnen ja in Göttingen die Frage vorgelegt, ob Sie sich eine Mitarbeit unter den neuen Verhältnissen denken könnten, und Sie haben mir die Frage verneint. Sie haben das aus dem richtigen Empfinden heraus getan, wie ich mir vorstelle, dass Rechtskontinuität nicht Kurskontinuität bedeutet. Der Kurs aber ist eine Sache des Bekenntnisses. Darum müssen alle Rechtsentscheidungen der Kirche in dieser Frage davon ausgehen, dass eine Möglichkeit geschaffen werden muss, auf Grund derer der neue Kurs gesteuert werden kann. Ich will den Formen nicht vorgreifen, welche unsere Juristen für diesen Tatbestand finden werden. Der Tatbestand selber aber ist unbestreitbar. Ich schliesse mit der dringenden Bitte, dass Sie sich doch auch weiterhin auf den Boden des stillschweigenden Einverständnisses stellen möchten, dass wir den neuen Anfang unternehmen wollen, ohne genaue Prüfungen vorzunehmen über das, was gewesen ist, - in der Kanzlei, im Aussenamt etc. Es sollte mir leid tun, wenn Sie sich zu dieser Sicht nicht bereitfinden könnten. Ich glaube aber, dass ich eine solche genaue Prüfung weniger zu fürchten habe als die Personen, welche die Arbeit der Organe der bisherigen DEK geleistet haben. Ich wünsche solche Prüfung nicht, aber ich scheue sie auch nicht. Sollten Sie Wünsche haben, wie man den mittleren Beamten und den Angestellten der K[irchen]K[anzlei\ ihr Los erleichtern kann, so will ich alles tun, was in meinen Kräften steht, um solchen Wünschen nachzukommen. Die Durchschrift dieses Briefes geht zunächst an die Mitarbeiter der Kanzlei der Evgl. Kirche in Deutschland und vor allem an die Mitglieder des Rates der EKD. Ihr ergebener (gez. Asmussen DD.) 3D18. Schreiben Brunottes an Asmussen. Göttingen, 10. Dezember 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 120 {Abschrift mit hsl. Vermerk Brunottes: "Abschrift übersende ich mit der Bitte um gefl. Kenntnisnahme").

Sehr verehrter Bruder Asmussen! Ihr Schreiben vom 28. November 1945 - Nr. 462 - hat mir Veranlassung gegeben, mein an Herrn Landesbischof D. Wurm gerichtetes Schreiben vom 30. Oktober 1945 noch einmal gewissenhaft zu überprüfen. Ich darf Ihnen heute mitteilen, dass ich zu dem Ergebnis gekommen bin, dass die Sachdarstellung in keinem Punkte einer Aenderung bedarf. Ihre Ausführungen vom 28. November haben mich nicht davon überzeugen können, dass ich mich

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objektiver Unrichtigkeiten schuldig gemacht hätte. Das wird sich im Einzelnen ergeben, wenn ich nunmehr auf Ihren Brief des Näheren eingehe. Wahrscheinlich wäre es ja richtiger gewesen, wir hätten diese Fragen in der Sitzung des Rates am 13. Dezember mündlich in Rede und Gegenrede zu klären gesucht. Die Gefahr, dass man sich in schriftlichen Ausführungen mißverständlich ausdrückt und daher an einander vorbeiredet, ist immer gross. Da ich aber nicht die Möglichkeit habe, an der Sitzung teilzunehmen, bitte ich mein Schreiben als den Versuch einer leidenschaftslosen, ehrlichen Erwiderung anzunehmen. Es geht mir, wie ich schon am 30. Oktober betont habe, nicht um persönliche Dinge; es geht mir um die Sache. Eine Feststellung vorweg: Ich habe mein Schreiben vom 30. Oktober 1945 zunächst lediglich an den Adressaten, Herrn Landesbischof D. Wurm als Vorsitzer des Rates abgehen lassen. Nachdem ich annehmen konnte, dass es in seinen Händen war, habe ich Abschrift an die übrigen Herren Ratsmitglieder versandt. Ich glaube, dass die Herren, die sich in der Sitzung mit der Materie befassen müssen, ein Recht darauf haben, den Inhalt vorher prüfen zu können. Ueber den Kreis der 12 Ratsmitglieder hinaus ist, wie ich Ihnen als meinem derzeitigen vorgesetzten Behördenleiter dienstlich versichere, keine Versendung erfolgt. Ein einziges Stück ist an eine nicht zum Rat gehörende Persönlichkeit gegeben worden, und zwar an Herrn Oberkonsistorialrat Dr. Gisevius in Berlin, den letzten Dirigenten der Kirchenkanzlei, der mich in den gleichen Tagen schriftlich und nicht ohne Vorwurf wegen der Personalmassnahmen in der Kirchenkanzlei angesprochen hatte. Ich habe den Umdruck an Herrn Gisevius nur gegeben mit der Bitte um strengste Vertraulichkeit und mit der Auflage, das Stück nicht aus der Hand geben zu dürfen. Darüber hinaus haben selbstverständlich Herr Oberkonsistorialrat Dr. Steckelmann und Frau Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt Kenntnis von dem Inhalt des Schreibens. Die von Ihnen bemerkte Vervielfältigung ist eine rein technische Massnahme. Ich habe mir anlässlich der Mitteilung an die Herren Ratsmitglieder eine genügende Anzahl von Stücken des Schreibens anfertigen lassen, die unter Verschluss liegen, um je nach dem Ausgang der Angelegenheit gegebenenfalls den betroffenen Gefolgschaftsmitgliedern der Kirchenkanzlei ein Stück aushändigen zu können, damit diese sehen, dass jemand für ihre Rechte eingetreten ist. Dies gilt besonders für solche Gefolgschaftsmitglieder, die noch nicht zurückgekehrt sind. Ich stelle ausdrücklich fest, dass ich mich nicht an einen unübersehbaren Personenkreis gewandt habe. N u n zu den Einzelheiten Ihres Schreibens: Sie drücken Ihr Erstaunen darüber aus, dass ich das Schreiben vom 30. Oktober an den Herrn Vorsitzer des Rates gerichtet habe, und machen mir den Vorwurf, dass es nach Form

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und Inhalt nicht der Art und Weise entspreche, wie wir in Göttingen mit einander verhandelt haben. Sie werfen mir auf Seite 2 Mitte vor, dass ich nicht den Willen hätte, eine zweifellos schwierige Situation brüderlich zu meistern. Gestatten Sie mir, darauf folgendes zu erwidern: Dass sich unsere Verhandlung am 23. und 24. Oktober in Göttingen in den höflichsten Formen abgespielt hat, dass ich bemüht gewesen bin, Ihnen in jeder Weise in allen äusseren Fragen zu helfen, und mit allen notwendigen Auskünften zu dienen, dass ich nach Kenntnis der Ersten Durchführungsverordnung und Ihrer Vollmacht, Sie in jeder Weise als Chef respektiert und Ihnen vorbehaltlos alles ausgeliefert habe, was Sie wünschten, werden Sie mir zugeben. Dass Sie aus dieser meiner höflichen Haltung glaubten entnehmen zu sollen, ich sei mit allen Ihren sachlichen Massnahmen einverstanden, wundert mich. Ich habe meine Meinung zu den Dingen naturgemäss nur mit Zurückhaltung geäussert. Die Zielsicherheit Ihres Auftretens und die von Ihnen hierfür in Anspruch genommene Vollmacht hinderten mich an einem stärkeren Hervortreten. Ganz ehrlich gesagt, Bruder Asmussen: ich hatte doch nicht mehr "mitzureden", als Sie bei uns in Göttingen waren; Sie kamen mit fertigen Entschlüssen! Im übrigen ist es keineswegs so, dass ich Ihnen meine Kritik völlig vorenthalten hätte. Erinnern Sie sich bitte unserer ersten Aussprache am Spätnachmittag des 23. Oktober. Da habe ich Ihnen deutlich genug gesagt, dass ich nicht glaubte, dass Sie mit einem kleinen Büro auskommen würden, und habe Ihnen entwickelt, was nach meiner Erfahrung auch für eine stark verkleinerte Behörde an Beamten und Angestellten nötig sei. Ich konnte an diesem Abend nicht einmal ahnen, in welchem Umfange Sie am anderen Tage Kündigungen aussprechen wollten. Erinnern Sie sich bitte des weiteren, dass ich Ihnen meine Bedenken wegen des Abbaus von Beamten vorgetragen habe. Dass ich in der kurzen Zeitspanne zwischen Ihrer Bekanntgabe der Entscheidungen und ihrer eiligen Abreise nicht bereits zu einem begründeten Einspruch kommen konnte, werden Sie mir bei der merkwürdigen Situation jenes 24. Oktobers zubilligen müssen. Wir standen doch alle unter einem starken seelischen Druck. Sollte Ihnen das wirklich im Kreise der hiesigen Gefolgschaft entgangen sein? Es mag sein, und ich billige Ihnen selbstverständlich die aufrichtige Absicht zu, dass Sie glaubten, in Göttingen mit uns "brüderlich" umgegangen zu sein. Ich bitte Sie aber zu bedenken, dass ein freundlicher Umgangston nicht gleichzusetzen ist mit einer brüderlichen Haltung. Ich kann Ihnen nur bezeugen, und unsere Göttinger Familienangehörigen und nächsten Bekannten könnten es bestätigen, dass der subjektive Eindruck a l l e r Angehörigen der Kirchenkanzlei von jenem Tage ein niederschmetternder war. Auch der meine! Wenn ich das am Ende des Tages nicht verständlich genug zum Ausdruck gebracht habe, so lag das wirklich zum guten

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Teil an der Eile Ihres Aufbruchs. Schliesslich muss man ja die Dinge, zu denen man sich äussern will, auch erst prüfen. Das habe ich nach Ihrem Fortgang getan. Das Ergebnis ist mein Brief vom 30. Oktober. Einen Zwiespalt zwischen meinem Verhalten am 24. Oktober Ihnen gegenüber und dem Inhalt meines Briefes kann ich nicht entdecken. Zu den sachlichen Unrichtigkeiten, die Sie mir vorwerfen, bemerke ich folgendes: 1. Es liegt nicht an mir, wenn am 24. Oktober der Anschein entstanden ist, dass Frau Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt nicht übernommen werden sollte. Sie selbst hat an diesem Tage und hinterher eindeutig unter dem Eindruck gestanden, dass sie höflich aber unmissverständlich hinauskomplimentiert worden sei. Soviel ich weiss, hat sie immer wieder betont, dass nicht sie die Absicht habe, sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Das mir vorliegende Protokoll enthält den später gestrichenen Satz: "Frau Schwarzhaupt wird z u n ä c h s t f ü r d r e i M o n a t e w e i t e r i m D i e n s t e d e r E K i D a r b e i t e n m i t d e r M a s s g a b e , d a s s s i e mit dem Amtssitz Frankfurt/M ...". Der gestrichene Satzteil konnte nur so verstanden werden, dass ihre Verwendung eine vorläufige sein solle. Gerade um ihre Beamtenrechte zu wahren, hat Fräulein Schwarzhaupt die Streichung dieses Satzes verlangt. Sie hat aber jedenfalls von Ihnen weder am 18. Oktober in Stuttgart noch am 24. Oktober in Göttingen eine klare Zusage erhalten, dass sie in die neue Kanzlei übernommen werden solle. Wäre das damals Ihre Absicht gewesen, so hätten Sie das im Protokoll mit einem Satz unmissverständlich darlegen können. Ich möchte wirklich nicht das Arbeitsverhältnis zwischen Ihnen und Fräulein Schwarzhaupt für die Zukunft erschweren, aber am besten wird es doch sein, Sie befragen sie selbst nach ihrem Eindruck vom 24. Oktober. 2. In dem Protokoll betreffend Herrn Oberinspektor Kiesow steht zu Anfang der Satz: "Mit einer Weiterbeschäftigung im Dienste der Kanzlei der EKiD nach dem 31. Januar 1946 kann Herr Oberinspektor Kiesow nicht rechnen, da die Gefolgschaft der Kanzlei im Zuge der Neuordnung stark eingeschränkt werden muss". Es wird dann eine Versetzung in den altpreussischen Kirchendienst bzw. eine Zurruhesetzung erwogen. Jedenfalls ist klar, dass Herr Kiesow, ein Beamter mit 17 Dienstjahren, im besten Lebensalter, kriegsbeschädigt, Nicht-Pg und politisch wie kirchenpolitisch gänzlich unbelastet, abgebaut werden soll. 3. Dem rein zufällig in Göttingen anwesenden Oberinspektor beim Kirchlichen Aussenamt Poppe wurde eröffnet: "... muss Herr Poppe damit rechnen, dass ab 31. Januar 1946 seine Beschäftigung beim Kirchlichen Aussenamt beendet sein wird". Auch das ist eine klare Ankündigung des Abbaus.

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4. Fräulein Hoevermann, seit 23 Jahren im Dienste des Kirchenbundesamts und der Kirchenkanzlei, seit längeren Jahren als Kanzleivorsteherin bewährt, wurde zum 31. Januar 1946 gekündigt. "Mit einer Beschäftigung über den 31. Januar 1946 hinaus wird Fräulein Hoevermann nicht rechnen können". 5. Fräulein Trübe, 12 Jahre im Dienst der Kirchenkanzlei, wurde zum 31. Januar 1946 gekündigt und bis dahin vom Dienst beurlaubt, falls ich sie nicht beschäftigen würde. Fräulein Trübe hat zweifellos von allen Beamten und Angestellten der Kirchenkanzlei am stärksten innerlich unter dem Einfluss des Nationalsozialismus gestanden. Sie hat aber der Partei nie angehört. Dienstlich war ihr nichts vorzuwerfen. Es ist übrigens nicht richtig, dass i c h sie Ihnen gegenüber als besonders "braun" charakterisiert hätte. So habe ich mich bestimmt nicht ausgedrückt. 6. Die beiden Schwestern Fräulein Buttmann wurden zum 31. Januar 1946 gekündigt. Sie sind die einzigen Gefolgschaftsmitglieder der Kirchenkanzlei, die keinen besonderen Kündigungsschutz geniessen, da sie erst kurze Zeit bei der Kirchenkanzlei arbeiten. Es ist aber keinesfalls so, Bruder Asmussen, dass Sie die beiden nur deswegen nicht übernommen hätten, weil sie ihres Vaters wegen nicht in das amerikanische Gebiet wollten! Es ist den beiden durchaus nicht angeboten worden, dass sie übernommen werden sollten. Richtig ist, dass die beiden eine Anstellung beim Hilfswerk des Herrn Dr. Gerstenmaier in Stuttgart ausgeschlagen haben mit der Begründung, ihr Vater könne als Pg von 1932 nicht im amerikanischen Gebiet leben. 7. Was nun Fräulein Jahn, 15 Jahre bei der Behörde, unsere verdienstvolle Kassenkraft, betrifft, so ist das Protokoll hier keineswegs eindeutig klar. Es fängt zum mindesten mit dem Satz an: "Fräulein Ilse Jahn wurde heute eröffnet, dass sie zum 31. Januar 1946 gekündigt wird". Danach ist von der Erwartung einer Wiederbeschäftigung die Rede. Jedenfalls war der persönliche Eindruck von Fräulein Jahn am 24. Oktober der einer völlig unsicheren Zukunft, ja einer Gefährdung ihrer Existenz. Das geht schon daraus hervor, dass es ausgerechnet ihr passiert ist, dass Herr Superintendent Dr. Siegel auf ihre ihm gegenüber geäusserte Betroffenheit über diese Behandlung, nämlich die Kündigung, ihr geschmackvoller Weise gesagt hat: auch solche Erlebnisse dienten dazu, dass wir innerlich reifer würden und zur Vorbereitung auf die Ewigkeit. Diese Aeusserung hat Fräulein Jahn alsbald den übrigen Angestellten und später auch mir berichtet. Wie wäre denn Herr Superintendent Dr. Siegel auf diesen sonderbaren Trost verfallen, wenn am 24. Oktober eindeutig die Weiterbeschäftigung von Fräulein Jahn festgestanden hätte! 8. Von den in Göttingen nicht anwesenden Beamten ist Herr Oberkirchenrat Dr. Merzyn durch Ihr Schreiben vom 2. November 1945 so gut wie abgebaut worden. Er hat jedenfalls, wie seine Rechtsverwahrung vom 14.

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November besagt, den Satz "Wir glauben nicht, dass Sie in die Arbeit der neuen Kanzlei der E K i D eintreten sollten" so aufgefasst und auch so auffassen müssen. Es ist mir auch von Ihrer Seite nicht gesagt worden, dass Sie nur die zurzeit anwesenden Gefolgschaftsmitglieder abbauen oder kündigen wollten, dagegen die Absicht hätten, die noch in Gefangenschaft oder in Urlaub befindlichen weiter zu beschäftigen. Ich glaube also keinen falschen Eindruck wiedergegeben zu haben, wenn ich Herrn Pfarrer Lic. Eduard Ellwein gesagt habe, dass Sie alle Beamten und Angestellten (mit Ausnahme von Hellriegel) gekündigt hätten, und er daraus den Schluss gezogen hat, dass auch sein Bruder nicht übernommen werden solle. Sie haben mir keinen Grund zu der Annahme gegeben, dass Sie den Oberkonsistorialrat Lic. Theodor Ellwein in der neuen Kanzlei beschäftigen wollen. Darf ich abschliessend zu diesen Einzelheiten feststellen, dass ausser Herrn Amtsrat Hellriegel kein anderes Gefolgschaftsmitglied der Kirchenkanzlei einen amtlichen Bescheid hat, dass es übernommen sei. Wir haben lediglich mit Erstaunen in Ihrem blauen Informationsdienst gelesen, dass Fräulein Schwarzhaupt, Herr Hellriegel und Fräulein Jahn weiterbeschäftigt würden. Als Fräulein Schwarzhaupt vorige Woche auf ihrer Reise nach Hannover bei uns war und zum ersten Mal den Informationsdienst zu Gesicht bekam, wusste sie von dieser sie betreffenden Tatsache noch nichts. Fräulein Jahn hat bis h e u t e noch keinen amtlichen Bescheid. Ich kann also wirklich nicht finden, dass meine Sachdarstellung über die Kündigung der Angestellten und den Abbau der Beamten den Tatsachen nicht gerecht würde. Wenn j e t z t hinsichtlich von Fräulein Schwarzhaupt und Fräulein Jahn Klarheit geschaffen sein sollte, so bleiben die übrigen Fälle doch bestehen. Dass man diesen umfassenden Abbau nicht mit der angestrebten Verkleinerung der Behörde begründen kann, war der Sinn meines Schreibens an Herrn Landesbischof D. Wurm. Ich muss es wiederholen: es ist keine Verkleinerung der Behörde, verdiente, brauchbare, politisch einwandfreie und kirchlich tadelfreie Kräfte zu entlassen, um dafür neue einzustellen. Das ist doch geschehen! Denn Sie werden doch in Schwäbisch Gmünd nicht allein mit Amtsrat Hellriegel arbeiten! Gegen dieses Verfahren hatte ich mich allein gewandt, und ich bitte doch recht sehr, das Gewicht meiner hiergegen gerichteten Einwendungen nicht durch allerlei belanglose Einzelheiten zu vermindern. Die von Ihnen noch zur Erklärung herangezogene Wohnungsfrage kann auch nicht der Grund sein; denn auch Ihre jetzt beschäftigten Referenten und Schreibkräfte müssen irgendwo wohnen. Die Rechtsfrage, die Sie auf Seite 3 Mitte Ihres Schreibens berühren, sehe ich g r u n d s ä t z l i c h genau so wie Sie. Wir haben in der Bekennenden Kirche immer den Standpunkt vertreten, dass das Recht der Kirche sich aus den

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bekenntnismässigen Notwendigkeiten ergeben muss. Aber ich muss nun doch ernstlich fragen: Was hat das mit den infrage stehenden Massnahmen zu tun? Sie schreiben: "Der Rat kann sich nicht zu Bekenntniswidrigkeiten bekennen, welche sein Rechtsvorgänger sich hat zu Schulden kommen lassen. Im Gegenteil, der Rat der EKiD wird mit allen Kräften alle Bekenntniswidrigkeiten seines Rechtsvorgängers ausmerzen. Dazu gehört auch der bisher gesteuerte Kurs. Dazu gehört der Einfluss derjenigen Personen, welche diesen Kurs steuerten". Soll das nun heissen, unsere kleinen Beamten und Angestellten hätten einen bekenntniswidrigen Kurs gesteuert und müssten deshalb abgebaut werden? Lieber Bruder Asmussen, liegt in diesen Ausführungen nun nicht ein Ausweichen Ihrerseits? Wer hat denn in der alten Kirchenkanzlei der letzten 12 Jahre einen Kurs gesteuert? Man könnte sagen: der jeweilige Leiter, also Herr Dr. Werner oder später sein Vertreter, Herr Dr. Fürle. Ein wirklicher Kenner der Verhältnisse könnte schon hierzu einiges sagen über den Unterschied zwischen beiden genannten Persönlichkeiten, oder über den sehr verschiedenen Kurs der verschiedenen Jahresgruppen. Aber gut! Der Kurs war bei unserer stets nach dem Präsidialsystem organisierten Behörde Sache des Leiters. Vielleicht kann man auch noch von einem Kurs der Referenten reden. Darüber müsste man sich in der Tat einmal unterhalten. Ich weiss wirklich nicht, ob Sie die Dinge unseres Hauses in der Marchstrasse so genau kennen, wie das der Fall sein müsste, wenn man hier urteilen will. Sicher scheint mir aber, dass man von einem "Kurs" bei den mittleren Beamten und Angestellten nicht reden kann. Man müsste ihnen erst einmal nachweisen, dass sie sich bekenntniswidriger Handlungen schuldig gemacht hätten. Ich kann es den Männern und Frauen, die ich dienstlich kenne, bezeugen, dass sie ihre Arbeit mit warmer Hingabe an die Sache getan haben, dass sie oft genug uns Referenten in unserem Kampf gegen unseren eigenen Chef oder gegen den Herrn Dr. Cölle oder gegen die Referenten des Ministeriums unterstützt haben. Es wäre nicht recht, diese bis auf ganz vereinzelte Ausnähmet«] (sagen wir: Fräulein Trübe) völlig unbelasteten Mitarbeiter jetzt unter Hinweis auf einen zu ändernden "Kurs" fortzuschicken. Sie haben nichts mit einem Kurs zu tun. Es ist allerdings meine Meinung, dass man im grossen und ganzen "die alte Kirchenkanzlei einfach übernehmen und - vielleicht mit einem neuen Kopf - weiter arbeiten lassen könnte". Nämlich dann, wenn man unter der alten Kirchenkanzlei, wie ich es in meinem Brief vom 30. Oktober getan habe, den Stab der Beamten und Angestellten versteht. Ich habe ausdrücklich abgelehnt, für mich selbst zu sprechen. Ich habe zugegeben, dass es mit den Referenten anders steht als mit dem Büropersonal. Einzig und allein für Fräulein Schwarzhaupt bin ich eingetreten; ich glaube noch heute, dass das über den Kurswechsel Gesagte auf Fräulein

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Schwarzhaupt nicht angewandt werden kann. Im übrigen handelt es sich in meinem Brief wirklich um die mittleren Beamten und Angestellten! Ich meine auch, das wäre für einen jeden unbefangenen Leser klar erkennbar. Ihnen gegenüber kommt man mit Ihren Erwägungen von Recht und Bekenntnis nicht durch. Meine These war: Kurswechsel ist notwendig; Verminderung des grossen Apparats ist auch notwendig; aber es ist halt keine Verminderung, wenn man alte bewährte Kräfte abbaut und dafür neue einstellt. Ich meine, mein Hinweis auf diese schwache Stelle Ihres Handelns müsste doch durchschlagen? Auf das, was Sie auf Seite 2 zweite Hälfte, Seite 3 oben und Seite 4 Absatz 2 schreiben, möchte ich am liebsten um einer noch möglichen Verständigung willen garnicht eingehen. Es ist mir leid, dass gerade diese Ausführungen in Ihrem Brief einen so breiten Raum einnehmen. Denn sie sind nun wirklich ganz und gar unbrüderlich. Sie enthalten eine mehrfach wiederholte Drohung. Sehr verehrter und lieber Bruder Asmussen, ich glaube schon, dass ich die Situation richtig sehe. Aber ich glaube auch, dass Sie sie hinsichtlich der Kirchenkanzlei nicht völlig richtig sehen. Diese Fragen müssten wir einmal sehr eingehend besprechen. Der Kurs der Kirchenkanzlei in den jetzt fast 10 Jahren, die ich ihr angehöre, ist nicht so einfach auf [eine] Formel zu bringen, wie Sie es tun. Sie müssten vielerlei berücksichtigen, um ein historisch zutreffendes Bild zu erhalten: die verschiedenen "Kurse" der verschiedenen Jahre, den Unterschied zwischen Leiter, Stellvertreter und den einzelnen Referenten, den Unterschied zwischen Kirchenkanzlei und Evangelischem Oberkirchenrat, der so oft übersehen wird, und einiges andere mehr. Das alles wäre schon wert, einmal geprüft zu werden, damit man aus dem schematischen Urteilen herauskommt. Aber ich muss doch noch einmal fragen: was hat das mit meinem Brief zu tun? Ich habe für Beamte und Angestellte geschrieben, und nicht für Herrn Dr. Werner oder Herrn Dr. Fürle oder für mich oder irgendeinen anderen Referenten (ausser Fräulein Schwarzhaupt). Sie können die von mir vertretene Sache nicht damit angreifen, dass Sie mir hochnotpeinliche Untersuchungen in Aussicht stellen. Ich müsste Ihnen sonst antworten, dass ich um der Rechte der mir bisher anvertraut gewesenen Gefolgschaftsmitglieder willen auch eine Untersuchung der Tätigkeit der Organe der DEK in Kauf nehmen müsste. Persönliche Rücksichten können mich nicht hindern, für das einzutreten, was ich meine für Recht zu erkennen. Ich wiederhole noch einmal: mein Schreiben vom 30. Oktober diente dem Nachweis, dass ein so weitgehender Abbau des Personals nicht zulässig sein könne, dass es insonderheit nicht eine Verkleinerung der Behörde sei, wenn man für bewährte alte Kräfte neue einstelle. Diese These ist mir bis jetzt noch nicht widerlegt worden, auch nicht durch Ihr Schrei-

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ben vom 28. November, - auch nicht durch die darin enthaltenen Drohungen. Zwei Einzelheiten muss ich am Schluss kurz streifen: Es ist mir nicht klar, was Sie mit der Geldüberweisung an Herrn Dr. Gerstenmaier meinen. Ich habe hier versucht nachzuprüfen und finde nur einen Vorgang, nach dem Herr Steckelmann anlässlich der Stuttgarter Sitzung vom 18. Oktober einen Betrag von 25 000,- RM nach Stuttgart überwiesen hat, der wohl der Arbeit des Hilfswerkes dienen sollte. Da wir v o r der Stuttgarter Sitzung noch im Rahmen der alten Befugnisse arbeiteten - Sie hatten uns ja zwischen Treysa und Stuttgart nicht aufsuchen können - habe ich die von Herrn Steckelmann als dem auch von Ihnen bereits übernommenen Finanzreferenten ausgefertigte Ueberweisung mitgezeichnet. Ich sehe auch jetzt noch nicht, wieso eine Ueberweisung an das Hilfswerk, das doch ein Werk der EKiD ist, Ihrerseits Bedenken unterliegt, wäre aber für eine Aufklärung hierüber dankbar. Ich darf betonen, dass wir uns n a c h dem 18. Oktober und vollends nach dem 24. Oktober strikte an die von Ihnen gegebenen finanziellen Weisungen gehalten haben, mit der einen Ausnahme im Falle Hohlwein, in dem sich zwei verschiedene Anweisungen überkreuzten. Die zweite Einzelheit ist Ihre Andeutung über den Besuch eines hohen Beamten der Kirchenkanzlei bei Ihnen. Ich ahne nicht, wer das sein könnte. Sollte das Herr Dr. Fürle gewesen sein? Dann wäre mir aber wieder unklar, wieso dieser einen Erlass unterzeichnet haben sollte, durch welchen einer Gemeinde in Berlin verboten wurde, ihre Räume solchen Veranstaltungen zu öffnen, in denen für Gefangene Fürbitte geleistet würde. Ich erinnere mich aus den letzten Jahren keiner derartigen Angelegenheit. Sollte nicht eine Verwechselung vorliegen, was sich auch schon dadurch nahelegt, dass die Kirchenkanzlei niemals in der Lage gewesen ist, Anordnungen für Berliner Kirchen herauszugeben. Das war doch Sache des Konsistoriums oder allenfalls des Evangelischen Oberkirchenrats, mit deren Tätigkeit ja die unsere oft verwechselt wird. Um der Klärung eines vielleicht unberechtigten Vorwurfes willen wäre ich auch an dieser Stelle für eine nähere Darlegung dankbar. Ich darf meinen Brief nunmehr schliessen und hoffe, zu allen wichtigeren Punkten Stellung genommen haben. Dass der Brief der Klärung der Situation und darüber hinaus womöglich der Reinigung der Atmosphäre dienen wird, wage ich zu hoffen, so sehr ich von der Unzugänglichkeit schriftlicher Auslassungen überzeugt bin. Ich halte eine Klärung mit Ihnen für ausserordentlich wünschenswert und werde gern das Meine dazu beitragen. Es liegt mir nichts ferner, als Sie "vom Rat zu trennen" oder einen Keil zwischen Sie und den Rat zu treiben. Sie werden aber verstehen, wenn ich von meinem

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Hauptanliegen, dem Eintreten für die Gefolgschaft, nicht abgehen kann und wenn ich dabei den mir einzig verbleibenden Weg eines Appells von dem Leiter der Kanzlei an den Herrn Vorsitzenden des Rates eingeschlagen habe, nachdem ich erkannt hatte, dass Ihre Vollmacht sich nicht auf E n t s c h e i d u n g e n über Personalfragen erstreckte, diese Entscheidungen vielmehr Sache des Rates sein sollten. Ich darf Ihr Einverständnis voraussetzen, dass ich Abschrift dieses Briefes an Herrn Landesbischof D. Wurm und die anderen Mitglieder des Rates sende 305 . An Fräulein Dr. Schwarzhaupt gebe ich eine Abschrift mit der Bitte um strengvertrauliche Kenntnisnahme. In der Verbundenheit des Dienstes grüsse ich Sie als Ihr sehr ergebener gez. Brunotte 3D19. Antrag betr. Nothilfe für Ostpfarrer F: NL Smend

(D).

Der Rat wolle beschliessen: 1.) Der Vorschlag Westfalen "Nothilfe" 306 wird als für alle Landeskirchen verbindlich empfohlen. 2.) Zum Ausgleich der Kosten und zur gerechten Verteilung von Schulden der einzelnen Landeskirchen wird eine Ausgleichsstelle errichtet. Sie hat ihren Sitz bei dem Vertrauensmann des Rates für Ostpfarrer, Pfarrer Lic. Niesei. 3.) Die Landeskirchen melden in regelmäßigen halbjährlichen Abständen an den Vertrauensmann des Rates: a) die Zahl der beschäftigten Ostpfarrer einschließlich der dem deutschen Volkstum angehörigen Pfarrer aus dem Baltikum, dem einstigen Polen, Bessarabien und den Balkanstaaten. b) Die Höhe der gezahlten "Unterstützungen" für die nicht beschäftigten und der gezahlten Gehälter für die beschäftigten Pfarrer des Ostens. c) Die an Ruhestandsgeistliche, Witwen und Waisen von Ostpfarrern gezahlten Pensionen bzw. Unterstützungen. 4.) Der Ausgleich der Lasten erfolgt durch das Büro des Vertrauensmannes des Rates halbjährlich. 305 Korrigiert aus:"... Wurm und einige andere Mitglieder des Rates sende; da Ihr Schreiben erst heute hier einging, kann ich nicht mehr genügend Durchschläge für alle Herren des Rates mitsenden." 306 3C5(S. 220ff.).

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3D20. Schreiben Hoppes an Wurm. Celle, 9. November 1945 F: ETA Berlin, 2/33 (hektographierte Abschrift). Ew. Hochwürden übersende ich anliegend eine Zuschrift des hiesigen Oberlandesgerichtsrates a.D. Dr. jur. Sautter*, die er mir mit der Bitte um solche Weitergabe zukommen Hess307. Ich bitte Ew. Hochwürden ergebenst, den Inhalt der Darlegung zu erwägen und auch dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland bekannt zu geben. Die Ausführungen des Herrn Dr. Sautter entsprechen nicht nur seiner persönlichen Ansicht, sondern geben im Grossen und Ganzen tatsächlich die Auffassung sehr weiter Kreise nicht nur in der Stadt Celle, sondern in ganz Niedersachsen wieder. Die Zeitungsberichte über die Äusserungen Pfarrer Niemöllers sind nur geeignet, ihm das Ansehen, das er in den Kreisen ernster Christen hatte, restlos zu nehmen. So, wie er nach der Presse geredet hat, ist er nicht der Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ebensowenig entspricht die in der Presse veröffentlichte Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche 308 der inneren und äusseren Haltung weitester Kreise in der Evangelischen Kirche. Die augenblicklichen politischen Machthaber und Herren in Deutschland sind nicht unsere Beichtväter, wollen es auch garnicht sein. Auch die Mitglieder des ökumenischen Rates sind es nicht. Wenn das nicht beachtet wird, geht die Würde verloren, und gerade das, was erreicht werden soll, wird nicht erreicht. Die bösen Folgen jener Pressenotizen in unserem Volke kann man täglich wahrnehmen: Misstrauen und Bitterkeit gegen die Kirche, wobei zwischen den einzelnen verantwortlichen Vertretern der Kirche und der ganzen "Kirche" natürlich kein Unterschied gemacht wird. Es zeigt sich wieder, wie verhängnisvoll es ist, wenn Vertreter der Kirche aus p o l i t i s c h e n Rücksichten Erklärungen r e l i g i ö s e n Inhaltes abgeben. Dann sind nicht nur die religiösen Folgen böse: Verdunkelung der evangelischen Wahrheit und Klarheit, Verwirrung der Gemüter, sondern auch die politischen Folgen sind sehr unerfreulich: Die Kirche wird verächtlich in den Augen derer, die sie nicht kennen, und die Zersplitterung im Volke nimmt zu. Statt zu heilen, zerstört man noch mehr. Darum die Bitte: Helfen Sie als Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, dass Ihr schwerer Dienst nicht unnötig erschwert wird, sondern wirksam werden könne zum Segen. In aufrichtiger Ehrerbietung gez. Hoppe 307 Anlage fehlt. 308 2C2(S. 60f).

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

3D21. Schreiben der 29. November 1945

Kirchenkanzlei

F: EZA Berlin, 2/33 (hektographierte

an

Hoppe.

Schwäbisch

Gmünd,

Abschrift).

Euer Hochwürden bestätigen wir hiermit das Schreiben vom 9. XI. 45 nebst Anlage des Herrn Oberlandesgerichtsrat a.D. Sautter 309 . Herr Landesbischof D. Wurm übergab uns beides zur Beantwortung. Das Schreiben von Herrn Oberlandesgerichtsrat Sautter wird gesondert beantwortet werden 310 . U m Missverständiss zu vermeiden, teile ich Ew. H[ocbwürden] mit, dass ich selbst Niedersachse bin. Die Verschiedenheit der Beurteilung liegt also nicht an Blut und Boden. Ew. Hochwürden Ersuchen, den Brief den Mitgliedern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Kenntnis zu bringen, werden wir nachkommen. Darüber hinaus werden wir ihn mitsamt der Antwort auch weiteren Kreisen zugänglich machen. Ew. H . weisen darauf hin, dass "die in der Presse veröffentlichte Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche 311 der inneren und äusseren Haltung weitester Kreise in der evangelischen Kirche nicht entspricht". Es wäre gut gewesen, wenn zum Ausdruck gekommen wäre, i n w i e f e r n die von Ew. H . zitierten Kreise in der evangelischen Kirche mit der Stuttgarter Erklärung nicht einverstanden sind. Soll das heissen, dass Ew. H. und jene Kreise die Sache für falsch halten, die in der Stuttgarter Erklärung zum Ausdruck gebracht ist? Soll damit gesagt sein, dass Ew. H . sich mit unserm Volk n i c h t in einer grossen Gemeinschaft der Leiden sowie in einer Solidarität der Schuld wissen? Sind Ew. H . der Meinung, dass durch uns Deutsche n i c h t unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden ist? Haben Ew. H . n i c h t lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gewonnen hat? Klagen Ew. H . sich n i c h t an, dass sie nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben? Gehen Ew. H . n i c h t einig mit uns in dem Willen, dass in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden soll? Wissen Ew. H . sich mit den anderen Kirchen der Ökumenischen Gemeinschaft bei diesem neuen Anfang n i c h t herzlich verbunden? Beten Ew. H . n i c h t zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen dem Geist der Gewalt, der heute von neuem mächtig werden will, 309 3D20(S. 271). 310 Antwortschreiben nicht ermittelt. 311 2C2(S. 60f.)

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in aller Welt gesteuert werde? Ohne dass darüber Klarheit herrscht, können wir schwer weiter reden. Es ist nur noch auf dies eine aufmerksam zu machen. Ew. H. schreiben: "Es zeigt sich wieder, wie verhängnisvoll es ist, wenn Vertreter der Kirche aus p o l i t i s c h e n Rücksichten Erklärungen r e l i g i ö s e n Inhaltes abgeben." Es ist immerhin auffällig, dass Ew. H. Männern wie den ehrwürdigen Bischöfen Wurm und Meiser und aufrichtigen Bekennern wie dem Oberlandeskirchenrat Dr. Lilje unterstellen, sie hätten die Stuttgarter Erklärung aus politischen Rücksichten abgegeben. Uns ist der Name von Ew. H. im Laufe der letzten zwölf Jahre nicht bekannt geworden. Sollten Ew. H. in diesen zwölf Jahren ebenso unbeirrt sich von politischen Rücksichten frei gehalten haben wie die genannten Herren, dann werden Ew. H. auch wissen, wie schwer der gemachte Vorwurf ist und werden ihn entweder begründen oder ihn zurücknehmen. Euer Hochwürden ergebener gez. Asmussen DD. 3D22. Schreiben des Bruderrates der Bekennenden Kirche Schleswig-Holsteins an die Vorläufige Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins. Hademarschen, 3. November 1945 F: EZA Berlin, 2/33 (hektographierte Abschrift). - Abdruck: K. Jürgensen, Stunde, S. 293f.; M. Greschat, Schuld, S. 230f.

Betrifft: Stellungnahme der B.K. Schleswig-Holsteins zur Stuttgarter Erklärung Der unterzeichnete Bruderrat erlaubt sich der VKL Schleswig-Holsteins folgende Stellungnahme zur Stuttgarter Erklärung des Rates der EKiD zu unterbreiten, mit der Bitte um Prüfung. Wir würden es für dringend erwünscht erhalten [iic/], dass die VKL sich unsere Stellungnahme zu eigen machte, um sie dann beschleunigt als Antrag dem Rat der EKiD einzureichen. Stellungnahme: Der Bruderrat der Bekennenden Kirche Schleswig-Holsteins hat von der Stuttgarter Erklärung des Rates der EKiD vom 18.10.45. durch die von den alliierten Besatzungsmächten zugelassene politische Presse Kenntnis erhalten. Die Erklärung war hier im Kieler Kurier unter folgender fettgedruckter Unterschrift [Überschrift] veröffentlicht:

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Schuld für endlose Leiden. Evangelische Kirche bekennt Deutschlands Kriegsschuld. Zum ersten Male haben führende Männer der deutschen ev. Kirche Deutschlands Kriegsschuld bekannt, von gemeinsamer Schuld für endlose Leiden gesprochen und von dem Mangel an mutigem Widerstand durch die Kirche gegen das Naziregime 312 . Es folgt dann der Abdruck der Erklärung. In einem Nachsatz wird mitgeteilt, dass die Erklärung einer Abordnung des ökumenischen Kirchenrates übergeben wurde. Der Bruderrat glaubt, hierzu folgendes sagen zu müssen: Wenn auch der Bruderrat der Erklärung nach Inhalt und Form voll und ganz zustimmt und keinen Augenblick an der Notwendigkeit zweifelt, dass die Kirchen Deutschlands ihre Mitschuld an allem, was in und durch Deutschland und Deutsche geschehen ist, bekennen und um Vergebung dieser Schuld beten und bitten müssen, so kann er doch nicht umhin, zu sagen, dass die Art und Weise, wie dieses Schuldbekenntnis der Weltöffentlichkeit bekannt gegeben ist, schwere Bedenken erwecken muss. Durch die Veröffentlichung in der weltlichen Presse ist eine politische Tatsache geschaffen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese mit allen Mitteln der Verdrehung, Verzerrung und Fälschung von den politischen Gegnern Deutschlands ausgenutzt werden wird. Der Wortlaut der mitgeteilten Uberschriften beweist das. Der Bruderrat der Bekennenden Kirche Schleswig-Holsteins kennt die Gründe nicht, die den Rat der EKiD bewogen haben, zuzulassen, dass die dem ökumenischen Kirchenrat übergebene Erklärung der Weltöffentlichkeit bekannt gegeben wurde. Er sieht aber die Wirkung dieser Veröffentlichung. Es ist eine bekannte Tatsache, dass von dem, was in der Tagespresse steht, die Uberschriften die Hauptwirkung auf den Leser ausüben. Von vielen werden nur diese gelesen. Und meist bleiben auch nur diese im Gedächtnis haften. So wird das Volk in der Erklärung nur das Geständnis der Kriegsschuld Deutschlands lesen, von dem in der Erklärung nichts steht. Es wird in ihr eine Begründung für die Feindmächte erblicken, dass sie " e n d l o s e L e i d e n " über es zu verhängen berechtigt sind, während die Erklärung von " u n e n d l i c h e n Leiden" anderer Völker spricht. Dementsprechend sind die Äusserungen von Gemeindegliedern. Von ihnen wird nicht eine Steuerung, sondern ein Mächtigwerden des Geistes der Vergeltung und der Gewalt als Wirkung der Erklärung befürchtet. 312 Vollständiger Abdruck der Veröffentlichung im "Kieler Kurier" Nr. 28vom27. M . GRESCHAT, S c h u l d , S. 112.

Oktober 1945 bei

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Der Bruderrat hält es für unumgänglich notwendig, dass diesen Wirkungen der Erklärung mit aller Kraft und sobald wie möglich, entgegen getreten wird, soll nicht das Vertrauen des Volkes zu seiner Kirche und ihren berufenen Leitern schweren Abbruch erleiden. Der Bruderrat weiss von den mannhaften Eingaben des Rates der EKiD an die Militärregierungen und glaubt, dass eine Bekanntgabe dieser Tätigkeit des Rates die schädlichen Wirkungen der Presseveröffentlichungen der Stuttgarter Erklärung wesentlich abschwächen wird. Der Bruderrat glaubt ferner, dass der bevorstehende Nürnberger Prozess Gelegenheit geben kann, die Stuttgarter Erklärung im Sinne einer Abschwächung der schädlichen Wirkung ihrer Presseveröffentlichung zu ergänzen. Es müsste ihr ein Wort des Rates der EKiD folgen, in dem den alliierten Mächten gesagt wird, dass sie nicht das Recht hätten, den Weltrichter zu spielen. Sollte die Bekanntmachung eines solchen Wortes an die alliierten Mächte in der weltlichen Presse nicht möglich sein, so hat die Kirche in den Kanzeln die Stellen, von denen aus sie sprechen kann. Schliesslich hält der Bruderrat es für wünschenswert, wenn den Gemeinden oder mindestens den kirchlichen Körperschaften eine Deutung der Stuttgarter Erklärung an die Hand gegeben wird, durch welche entgegen der politischen Auswirkung und Verzerrung ihr wahres Anliegen zu Gesicht gebracht werden könnte. Der Landesbruderrat der B.K. Schleswig-Holsteins i.A. gez. Pastor Treplin Vorsitzender 3D23. Schreiben der Kirchenkanzlei an den Landesbruderrat in Schleswig-Holstein. Schwäbisch Gmünd, 27. November 1945 F: EZA Berlin, 2/33 (hektographierte Abschrift). - Abdruck: K. Jürgensen, Stunde, S.296ff.; M. Greschat, Schuld, S. 231-234.

Sehr verehrte und liebe Herren! Sie haben unter dem 3.XI. der VKL in Schleswig-Holstein eine Eingabe betr. die Stuttgarter Erklärung gemacht, die uns zugeleitet ist 313 . Indem ich Ihre Eingabe beantworte, habe ich eine Reihe anderer Schreiben im Auge, die ebenso wie Ihre Eingabe nicht ohne tiefen Eindruck bei Herrn Landesbischof D. W u r m und bei mir geblieben sind.

313 3D22 (S. 273ff.).

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Ich denke u.a. an die Briefe von Pastor Lorentzen und Pastor Lafrenz, aber auch an andere, deren Absender ich hier nicht sonderlich nennen muss 314 . Sie werden es mir gestatten, dass ich diese meine Antwort auch anderen Briefschreibern zugänglich mache. Zunächst darf ich verweisen auf die Auslegung, die ich der Stuttgarter Erklärung in einem Vortrag gegeben habe, der den Bischöfen, Bruderräten und Kirchenregierungen bereits zugegangen ist315, und der die ausdrückliche Zustimmung von Herrn Landesbischof D. Wurm gefunden hat316. Ich bitte, dass dieser Vortrag weit verbreitet und Gegenstand von möglichst vielen Besprechungen wird. Denn es ist notwendig, dass diese Dinge b e s p r o c h e n werden, und dass so die Vielfalt der vom Heiligen Geist gespendeten Gaben zum Tragen kommt. Dabei riskieren wir, dass auch andere Stimmen laut werden, denen wir anders antworten müssen als Ihnen; ein Beispiel dafür lege ich Ihnen bei317. Wir müssen aber dieses Risiko tragen. Denn es muss auch an dieser Sache ein jeder offenbar werden als das, was er ist. Ich danke Ihnen für die Feststellung, dass Sie sachlich mit der Stuttgarter Erklärung einig sind. Diese Feststellung ist wichtig. Sie gibt uns eine geeignete Besprechungsgrundlage. Es mag an der Aufmachung der Erklärung in der Zeitung liegen, dass sie viele - auch ernste - Proteste es gar nicht für der Mühe wert halten [sie!], auf den Wortlaut der Erklärung einzugehen. Aber das können wir ja niemandem ersparen. Bitte wirken Sie mit daran, dass man sich wirklich mit dem Wortlaute selber befasst. Der Wortlaut muss zur Erwägung gestellt werden und in die Gebete der Christen hinein. Dann werden wir fortschreiten in der Erkenntnis, auch wir Unterzeichner der Erklärung, die wir uns keineswegs für vollkommen und unbelehrbar halten. Es macht auf uns einen grossen Eindruck, dass die Proteste gegen die Stuttgarter Erklärung sich landschaftlich so verschieden verteilen. Je kirchlicher eine Gegend ist, desto seltener ist der Protest. Desto vernünftiger waren allerdings auch die Zeitungsaufmachungen. Wenn ich Ihnen das mitteile, so antworte ich Ihrer Eingabe nicht. Aber ich weiss, dass dieser Tatbestand auch Ihnen viel zu denken geben wird. Denn es wäre närrisch zu meinen, dass etwa in Württemberg oder Bayern die Menschen unparteiischer oder politisch weniger klug wären als in Schleswig-Holstein oder südlich der 314 Nicht ermittelt. 315 Abgedruckt

bei M . GRESCHAT, S c h u l d , S. 132-143.

316 Vgl. das Schreiben Wurms vom 24. November 1945, in dem es u.a. hieß: "Ich begrüsse es, dass Bruder Asmussen sich zu diesen Fragen geäussert und Ihnen seine Arbeit hierüber vervielfältigt zugesandt hat" (LKA STUTTGART, Altreg. Gen. 115 b IX). 317 Vermutlich das Schreiben Hoppes an Wurm vom 9. November 1945 (3D20, S. 271).

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Elbmündung. Der Grund muss schon in der geistlichen Luft gesucht werden, die man hier und dort atmet, und in dem Mass von Einfluss, den die Kirche hier und dort direkt oder indirekt auf die Presse nimmt. Zur geistlichen Seite der Sache habe ich das Wesentliche in meinem Vortrag gesagt. Ich muss hier nicht noch einmal darauf eingehen. Ich beschränke mich darauf, solche Dinge anzurühren, die in dem Vortrag nicht behandelt worden sind: 1. Seien Sie bitte überzeugt, dass wir weder in politischer Naivität, noch aus besonderer politischer Schlauheit in Stuttgart gesprochen haben. Beides, die Naivität und dies Vertrauen zur politischen Schlauheit, ist uns allen in den letzten zwölf Jahren gründlich ausgetrieben worden. Wir müssen schon allen, die es angeht, die Frage zuschieben, ob man geistlicher Weise wirklich wesentlich anders sprechen kann, wenn man den Christen ehemals feindlicher Länder begegnet. Das meine ich auch hinsichtlich der Form des Redens. Denn so oft ich auch daraufhin angesprochen worden bin, dass wir "anders" hätten reden müssen, w i e wir dann hätten reden sollen, das hat uns noch niemand gesagt. Und es hätte ja doch nichts im Wege gestanden, dass nun auch einmal jemand anders eine bessere Form der Rede vorgelegt hätte. 2. Hätte man wirklich von unserer und von der fremden Schuld zu gleicher Zeit sprechen sollen? Diese Frage muss ernsthaft erwogen werden. Man dürfte das jedenfalls nur so tun, dass das eigene Bekenntnis durch eine Anklage nicht abgeschwächt wird. Es war allerdings unsere Sorge, dass unser Volk zu einer solchen Abschwächung nur allzu geneigt wäre. Diese Sorgen hatten wir im Blick auf die Erfahrungen, die wir mit uns selbst machen. Und wir glauben, dass die Propaganda, der wir nun durch zwölf Jahre ausgesetzt waren, unser aller Blick für die Schuld ausserordentlich getrübt habe. Wir wissen Einiges von der Schuld der andern. Wir klagen darüber vor Gott und Menschen. Aber wir wären doch wohl schlechte Seelsorger, wenn wir so von der Schuld der anderen reden würden, dass die Ohren unseres Volkes verstopft würden für das Wort von der eigenen Schuld. Soviel werden doch selbst unsere Gegner zugeben müssen: Die Anklagen der anderen haben nicht soviel ernstes Fragen im Volk erweckt wie das Bekenntnis, das wir in Stuttgart abgelegt haben. 3. Wir werden sehr bestärkt auf unsern Wegen durch die Wirkung, die wir bei den Christen der ehemals feindlichen Länder beobachten. Wir sehen zwar nur die Anfänge solcher Wirkung, aber schon diese Anfänge lassen uns vor Gott anbeten, der auch heute unter den Christen in der Welt die Stimme Gottes stärker sein lässt als die Stimme des Blutes und des Triumphes. Ich will ganz schweigen von den politischen Wirkungen der ausländischen Christen auf ihre Regierungen. Ich mache aber aufmerksam darauf, dass die

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Ökumene, soweit sich bisher übersehen lässt, unsere Erklärung wirklich christlich und n i c h t politisch aufgenommen hat. Viele lassen sich noch von der Sicht täuschen, die wir in den letzten Jahrzehnten uns angewöhnten, als wüssten sich die Christen der Welt in erster Linie als Glieder ihrer Nation, und als sei ihr Christentum nur eine mehr oder weniger zufällige Beigabe zu ihrer Nationalität. D i e s e S i c h t i s t - mindestens für den Augenblick - falsch. Es hat sich offenbar auch im Auslande jener Wandel vollzogen, der auch das deutsche Kirchenleben zu bestimmen beginnt: Die christliche Bindung ist die erste und entscheidende. 4. Nun sind Sie der Meinung, dass durch die Art der Verwendung in der Presse eine politische Tatsache geschehen sei, die mit allen Mitteln der Verdrehung ausgenutzt zu werden drohe. Ich kann das nicht bestreiten. Aber ich bin der Meinung, dass dies Risiko getragen werden muss. Wir benötigen eine Ausgangsbasis für unsere Rede. Diese muss klar sein. Sie muss dem Gesprächspartner jedes peinliche "Aber" zu nehmen suchen, mit dem er Anklagen und Einreden unsererseits unwirksam zu machen sucht. Diese Basis haben wir nicht, wenn wir in e i n e m Atemzuge feststellen: Zwar haben wir uns manches vorzuwerfen, aber wir haben auch gegen euch manches geltend zu machen. Diese Basis kann nur entstehen, wenn wir vorbehaltlos sagen, wessen wir uns schuldig sprechen müssen. Durch solches Bekenntnis mögen wir in eine ungünstige Lage kommen, - in eine unsaubere Situation kommen wir so sicher n i c h t . Und das dürfte zunächst das Entscheidende sein. 5. Darüber hinaus aber bitte ich zu erwägen, ob nicht Sie selbst und auch viele andere, die Protest erhoben gegen unsere Erklärung, die Situation merkwürdig verkennen. Ich habe den Eindruck, als warte man in weiten Kreisen auf eine Wiederholung der Ereignisse nach dem letzten Weltkriege. Die Debatte über die Schuldfrage kommt nicht noch einmal, sie ist auf der ganzen Welt eindeutig entschieden, so dass nichts mehr zu debattieren ist. Das mag uns Deutschen furchtbar sein, aber noch furchtbarer wäre es, wenn wir dies nicht sehen wollten. Desto erstaunlicher müsste es nun aber doch allen sein, dass trotz dieser verzweifelten Lage bereits wenige Monate nach Kriegsende die Evangelische Kirche in Deutschland als vollberechtigtes Glied der Ökumene anerkannt ist, wozu nach dem letzten Kriege sieben Jahre nötig waren. Diesen Tatbestand sollte man doch zur Beurteilung des ganzen Fragenkomplexes mit Ernst zur Kenntnis nehmen. Es ist doch überaus bedeutsam für die Wertung unserer Erklärung wie die Haltung der Ökumene. 6. Für Ihre Vorschläge, wie nun weiter zu prozedieren sei, sind wir sehr dankbar. Wenn wir in der EKD überall zu einer so guten Arbeitsgemein-

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schaft kommen werden, müssen wir Gott danken. Wir werden Ihre Vorschläge sorgfältig prüfen. Aber entscheidend werden die Gebete sein, dass uns im rechten Augenblick die Augen geöffnet werden. Es ist eben diese ganze Sache eine durchaus geistliche Angelegenheit. Als solche haben wir sie gewagt. Und als solche muss sie weitergeführt werden. Wenn wir wissen dürfen, dass Sie in diesem Sinne hinter uns stehen, dann ist uns um den Fortgang der ganzen Sache gar nicht bange. Ihr getreuer gez. Asmussen D D . 3D24. Antrag zur Berufung Münchmeyers F: NL Smend (D), Der Rat wolle beschliessen: Gen [erat] Feldvikar Münchmeyer wird mit Müllers Ausscheiden mit der Kriegsgefangenenfürsorge betraut. 3D25. Antrag zum Gedenken an den 400. Todestag Luthers F:NL Smend (D). Der Rat bittet Herrn Landesbischof D. Meiser, zum 18. Februar einen Hirtenbrief an die E K D zu erlassen. Der Rat regt bei den Landeskirchenregierungen die Abhaltung eines Gottesdienstes oder Gemeindeabends zum 18. Febr. 1946 an. 3D26. Antrag Nieseis über gemeinsame Sitzungen des Rates mit Vertretern der Kirchenregierungen der westlichen Besatzungszonen F:NL Smend (D). Der Rat der E K D wolle in Abständen von 3 Monaten zu Sitzungen der Kirchenregierungen der verschiedenen westlichen Besatzungszonen einladen, an denen je ein oder zwei Mitglieder des Rates teilnehmen.

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3D27. Vorlage zur Neuordnung der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland F: NL Smend (D). 1) Grundsatz für die Weiterführung der Evang. Studentenarbeit ist die im Sinne der Konferenzen von Frankfurt und Treysa im August 1945 kirchlich gebundene Studentengemeinde (unter Aufgabe der freien Vereinigung neben der verfassten Kirche im Sinne der alten DCSV). 2) Mitglieder der Evang. Studentengemeinde in Deutschland (E.St.D.) sind alle der evangelischen Kirche angehörenden Studenten; auch alle Studenten, die einer dem Oekumenischen Rat der Kirchen angeschlossenen Freikirche angehören, haben in ihr Heimatrecht. 3) Die gesamte Leitung der Ev. Studentengemeinde liegt in Händen des Vertrauensrates der Ev. Studentengemeinde in Deutschland. Er beruft die Mitarbeiter des Reisedienstes und den hauptamtlichen studentischen Obmann für die Reichsgeschäftsstelle, ordnet die geschäftlichen Angelegenheiten und vertritt die Studentengemeinde gegenüber den Kirchenleitungen sowie nach aussen. 3D28. Entwurf für eine Geschäftsordnung des Rates F: NL Smend (DJ. Geschäftsordnung Des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland vom .... Dezember 1945 A. Vorbereitung und Verlauf der Ratssitzungen. §1

(I) Der Rat tritt zusammen: a) auf eigenen Beschluss; b) auf Einberufung durch den Vorsitzer; c) auf Einberufung durch den Leiter der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, falls sowohl der Vorsitzer wie der stellvertretende Vorsitzer verhindert sind und ein wichtiger Grund die Einberufung des Rates notwendig macht. (0) Der Rat ist einzuberufen auf übereinstimmendes Verlangen von 5 Mitgliedern.

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§2 0) Die Verhandlungsgegenstände (Tagesordnung) werden für jede Ratssitzung durch den Einberufenden (siehe § 1) festgesetzt. Die Tagesordnung soll mit der Einladung zugleich den Mitgliedern des Rates bekanntgegeben werden. (n) Vorschläge zur Tagesordnung sind an den Vorsitzer des Rates oder an die Kanzlei zu richten. Die von einem Ratsmitglied eingehenden Vorschläge sind in die Tagesordnung einzufügen, sofern sie vor Festsetzung der Tagesordnung durch den Einberufenden eingegangen sind. Beantragt ein Ratsmitglied in der Sitzung die Erörterung eines in der Tagesordnung nicht vorgesehenen Gegenstandes, so entscheidet über diesen Antrag der Rat. §3 (I) Der Leiter der Kanzlei nimmt an den Sitzungen des Rates teil. Er zieht erforderlichenfalls Sachbearbeiter hinzu. (II) Ein Protokollführer wird zu den Ratssitzungen von dem Leiter der Kanzlei bestellt. §4 (I) Vorlagen für Ratsbeschlüsse werden durch die Kanzlei ausgearbeitet. (II) Stellt sich heraus, dass eine Beschlussfassung über eine Vorlage ohne längere Erörterung nicht zu erwarten ist, so kann der Rat auf Antrag die Ueberweisung der Vorlage an eine aus seiner Mitte gebildete Kommission beschliessen. Der Antrag hierzu kann auch von dem Leiter gestellt werden. An den Beratungen der Kommission nimmt der zuständige Sachbearbeiter der Kanzlei teil. (III) Die Kommission kann Ersuchen an die Kanzlei richten. (IV) Aendert die Kommission die Vorlage der Kanzlei ab, so ist dem Leiter oder dem zuständigen Sachbearbeiter der Kanzlei auf Antrag Gelegenheit zu geben, seine abweichende Stellungnahme dem Rat vorzutragen. §5 (I) Der Rat beschliesst mit Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzers den Ausschlag. (II) Zweidrittelmehrheit ist erforderlich: a) falls die Wahl eines Ersatzmitgliedes des Rats notwendig wird; b) zum Beschluss und zur Abänderung dieser Geschäftsordnung; c) zu Beschlüssen über den Haushalt des Rates. (III) Der Rat ist beschlussfähig, wenn die in Ziffer III Abs. 3 a.E. der "Vorläufigen Ordnung der EKiD" genannten Ratsmitglieder anwesend sind.

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Für die Wahl eines Ersatzmitgliedes sind jedoch zweidrittel der Stimmen a l l e r Ratsmitglieder erforderlich, ausgenommen die Stimme des Ratsmitgliedes, um dessen Ersatz es sich handelt. Die Stimmen können in diesem Falle auch schriftlich abgegeben werden. §6 (I) Die Mitglieder des Rates und der Kanzlei sind zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses verpflichtet. (II) Nachrichten über Inhalt und Verlauf von Ratssitzungen an die Presse dürfen nur vom Vorsitzer oder mit dessen ausdrücklicher Ermächtigung gegeben werden. §7

(I) Das Protokoll und die Verordnungen des Rates werden von dem Vorsitzer unterzeichnet und dem Leiter der Kanzlei zur weiteren Veranlassung übersandt. (II) Die Verordnungen des Rates werden in dem Verkündungsblatt der E K i D veröffentlicht. Andere Beschlüsse werden den Beteiligten schriftlich bekanntgegeben, sofern nicht der Leiter der Kanzlei im Einvernehmen mit dem Vorsitzer die Veröffentlichung im Verkündungsblatt anordnet. B. Vertretung des Rates. §8 (I) Der Vorsitzer vertritt den Rat nach aussen innerhalb der vom Rat beschlossenen Richtlinien. Schriftliche Erklärungen, die der Vorsitzer namens des Rats abgibt, sind wie folgt zu unterzeichnen: Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gez. D . Wurm bzw. gez. Martin Niemöller D . D . C. Der schriftliche Verkehr. §9

(I) An den Rat, an den Vorsitzer oder an den stellvertretenden Vorsitzer gerichtete Schriftstücke sind der Kanzlei zuzuleiten. Diese bearbeitet die schriftlichen Eingänge nach folgenden Grundsätzen: a) Bei Eingaben von grundsätzlicher Bedeutung und solchen, bei denen der Vorsitzer oder der stellvertretende Vorsitzer dies zum Ausdruck gebracht hat, fertigt die Kanzlei den Entwurf einer schriftlichen Aeusserung an und

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legt diesen zusammen mit dem Eingang und etwaigen Vorgängen dem Vorsitzer bzw. dem stellvertretenden Vorsitzer vor. b) Andere Vorgänge werden von der Kanzlei nach näherer Massgabe der Kanzleiordnung bearbeitet. c) Soweit erforderlich, werden die Vorgänge nach Abgang der schriftlichen Aeusserung den Mitgliedern des Rates zur Kenntnisnahme vorgelegt. §10 (I) Den Mitgliedern des Rates ist auf Verlangen Einsicht in die von ihnen gezeichneten Vorgänge der Kanzlei zu gewähren. (II) Der persönliche Schriftverkehr der Ratsmitglieder in dienstlichen Angelegenheiten hat nur dann Bedeutung, wenn er unverzüglich zu den Akten der Kanzlei gegeben wird. 3D29. Schreiben Hartensteins an den Oberbürgermeister von Stuttgart. Stuttgart, 3. November 1945 F: ASD Bonn, NL Heinemann,

Allg. Korr. 1.11.45 Dez. 45 (DJ.

Betrifft: Schwangerschaftsunterbrechung bei Vergewaltigung. Zu dieser schwierigen Frage erlaube ich mir im Namen der Evangelischen Kirche das Folgende zu bemerken. 1. Der Standpunkt der katholischen Kirche hat im Blick auf das 5. Gebot und das Naturrecht, das den unbedingten Schatz des Lebens, also auch des keimenden Lebens aufrichtet, grosses Gewicht. Eine staatliche Verordnung auf Schwangerschaftsunterbrechung bei Vergewaltigung kann nicht schwer genug genommen werden, da die Abgrenzung, was Vergewaltigung sei und unter welchen anderen Voraussetzungen eine Schwangerschaftsunterbrechung gestattet werden solle, sehr schwierig zu vollziehen ist. Jede gesetzliche Formulierung trägt die furchtbare Gefahr der Erweiterung in sich und einer Ausweitung des Gesetzes für die Zukunft. Andererseits ist zweifellos, dass die Durchführung des strikten katholischen Verbotes, dem sich, so viel ich weiss alle katholischen Aerzte und Aerztinnen angeschlossen haben, die grosse Gefahr in sich trägt, dass die Frauen entweder in die Verzweiflung, in die Depression oder in bestimmten Fällen zum Selbstmord getrieben werden oder, was noch wahrscheinlicher ist, Kurpfuschern in die Hände fallen und damit für ihr ganzes Leben schweren Schaden nehmen. Endlich ist zu bedenken, dass für den Fall des Austragens der Leibesfrucht und der Erziehung solcher Bastardkinder in geordneten Familien schwerste Belastung für die eheliche Gemeinschaft und für den Frieden der Familien

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zu befürchten sind, wohl auch, da viele dieser Kinder mit Lues behaftet sein werden, eine direkte und schwerwiegende Bedrohung der Gesundheit der Familie. 2. Die Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung kann also nur unter den allerstrengsten Restriktionen gewagt werden. Diese müssen zum mindesten sein: a) Beschränkung der Anordnung auf den konkreten Fall der Ueberschwemmung des Volkes mit Feindtruppen. Dies müsste durch eine zeitliche Terminierung der Verordnung ausgesprochen sein (etwa in dieser Weise "Fälle der Vergewaltigung vom Zeitpunkt der Besetzung ab während der folgenden 4 Monate"). b) Möglichst genaue Aussagen über die tatsächlich erfolgte Vergewaltigung. c) Abtreibung nur nach einem medizinischen Konsilium von 2 Aerzten. d) Rasche Schaffung einer für den ganzen betroffenen Raum (Kreis, Landesregierung, Zone) einzusetzende Gesundheitsbehörde, die diese Frage in besonderer Weise zu behandeln hat. Wenn solche Restriktionen nicht möglich sind, habe ich als Vertreter der Evangelischen Kirche grosse Bedenken gegen die Erlaubnis der Schwangerschaftsunterbrechung um der nicht absehbaren Folgen einer solchen Verordnung willen. Denn ich bin gewiss, dass in den kommenden Jahren der grössten Volksnot der Begriff der Schwangerschaft durch Vergewaltigung, durch Betrug usw. grosse Ausmasse annehmen wird, und wir dann in ähnliche Verhältnisse hineinkommen wie 1924 und die folgenden Jahre. Auch müsste versucht werden, durch Mithilfe der christlichen Kirchen in den einzelnen Gemeinden alles zu tun, um durch das Zusammenarbeiten von Aerzten und Pfarrern zu erreichen, dass a) die Fälle, wo die Schwangerschaft seelische Zerrüttung, oder Selbstmord, Zerstörung der Familien usw. zur Folge haben wird, in erster Linie behandelt werden, um das Leben der Frauen zu erhalten. b) dass der Wille bei anderen Frauen, die widerstandsfähig sind und deren Familien dieses Los innerlich tragen können, darin bestärkt werden, die Kinder auszutragen und zur Welt zu bringen. c) dass in Zusammenarbeit mit der Inneren Mission und der Caritas wo gewünscht wird (ohne Zwang!) diese Bastardkinder in Heimen gesammelt werden. Ich glaube, dass der Aufruf zur Mitarbeit der Kirchen von seiten der Gesundheitsbehörden ein warmes Echo finden wird. Der Beauftragte der Evang. Kirche: gez. Dr. Hartenstein

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3D30. Entwurf für ein Wort des Rates F: NL Smend (D). Entwurf betr. Judenfrage. Ein Wort des Rates der E K D an die Landeskirchenregierungen. Die Lage der noch in den deutschen Lagern befindlichen deportierten Juden ist nachwievor [sie/] schwierig. Trotz aller Belastung und Bemühung um die Unterbringung der zahllosen Vertriebenen und Flüchtlinge darf die Sorge um die jüdischen Opfer der vergangenen Jahre keinen Augenblick aufhören, uns zu beunruhigen; denn auch an ihnen sind wir mitschuldig geworden, weil wir nicht besser geglaubt, nicht brennender geliebt und nicht treuer gebetet haben. In der Erklärung, die der Rat der E K D am 18. und 19. Oktober in Stuttgart dem Weltrat der Evang. Kirchen [sic!\ abgegeben hat 318 , hat sich die evangelische Christenheit öffentlich auch zu der Aufgabe bekannt, den Juden die Wiedereinreihung in eine geordnete Lebensgemeinschaft zu erleichtern. Wir danken all denen, die in den Zeiten grosser Bedrängnis den Glauben bewährten und diesen verfolgten Menschen ein Asyl gewährten, und beten zu Gott, dass er all unseren Pfarrern und Gemeinden die Liebe zu ihnen neu stärke. 3D31. Schreiben Nieseis an die Kirchenkanzlei. Reelkirchen, 24. November 1945 F:E2A Berlin, 2/56(0). Liebe Brüder! Der nächsten Sitzung des Rates erlaube ich mir folgenden Entwurf einer Verordnung zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten: "Mit den bisherigen verfassungsmässigen Organen der D E K hört auch die oberste kirchliche Verwaltungsbehörde der D E K die Kirchenkanzlei (Verf. der D E K Art. 7, 5 319 ) auf zu bestehen. Dem Rat und seinem Vorsitzer steht ein Büro für die Führung der Geschäfte zur Verfügung. Es führt den Namen Kanzlei der E K D und wird von einem Pfarrer hauptamtlich geleitet. Ein hauptamtlicher Jurist berät den Rat in Rechtsangelegenheiten. Beiden werden die entsprechend vorgebildeten Hilfskräfte in der erforderlichen Anzahl gestellt. Gleichfalls hört das Kirchliche Aussenamt auf zu bestehen. Mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben wird ein Pfarrer beauftragt." 318 2C2(S. 60/.). 319 GB1DEK 1933, S. 3.

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

Ich bitte nötigenfalls um juristische Überarbeitung. Es geht mir nicht um einen Gegenschlag gegen Brunotte, sondern um eine sachliche Klarstellung: Wir wollen keine zentralistische Behördenkirche! Mit brüderlichen Grusse Niesei \rn.p.~\ 3D32. Thesen Rükings* zur Entnazifizierung. Marburg, 25. Oktober 1945 F: NL Smend (D). In der Absicht, in der schwierigen Frage der "Entnazifizierung" einer gerechten Beurteilung den Weg zu bahnen, werden die folgenden Sätze zur Diskussion gestellt: 1.) Jeder vernünftige Mensch begrüßt die Säuberung unseres Volkslebens von verderblichen Einflüssen, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat und erwartet eine geltendem Recht entsprechende gerechte Bestrafung derjenigen, die in seinem Namen Verbrechen begangen haben. Die gesamte Öffentlichkeit hat in dieser Erwartung die Ankündigung begrüßt, daß in Deutschland das Recht wieder hergestellt und der in allen Kulturstaaten geltende Grundsatz: nulla poena sine lege wieder zur Geltung gebracht werde. 2.) Die "Entnazifizierung", wie sie zur Zeit im Gange ist, geht jedoch was den Personenkreis und die Schwere der verhängten Maßnahmen betrifft, entschieden zu weit und wird von der öffentlichen Meinung besonders im Hinblick auf die gegebenen Zusagen mit Recht stark kritisiert. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen entschiedene Gegner des nationalsozialistischen Systems, die in den vergangenen Jahren gelitten haben oder Schwierigkeiten ausgesetzt waren, jetzt wiederum unter harte Maßnahmen gestellt werden. In vielen Fällen steht ihnen nicht einmal der Weg der Appellation offen. 3.) Die Betroffenen empfinden die gegen sie verhängten Maßnahmen wie: Inhaftierung, Entlassung aus dem Amt, Entziehung garantierter und wohlerworbener Rechte usw. nicht nur als völlig ungerechte sondern als rechtswidrige Maßnahmen, da sie unter Außerachtlassung der seit Generationen geltenden Grundrechte und unter Verletzung der besonderen Verfahrensvorschriften getroffen sind, deren Geltung durch die Tatsache der Besetzung nicht aufgehoben ist. Das Gewissen der Öffentlichkeit stimmt ihnen entschieden zu. 4.) Die Erklärung, daß hier nach strengem allgemeinen Gesetz verfahren werden müsse, ist unzulässig. "Im Namen des Gesetzes" und "auf höheren Befehl" sind in den vergangenen Jahren die schwersten Ungerechtigkeiten geschehen. Eine schematische Anwendung eines strengen allgemeinen

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Gesetzes ohne Berücksichtigung des einzelnen Falles bedeutet "Summum ius, summa iniuria". 5.) Die Ausrede, es handele sich hier um '"Sicherungsmaßnahmen', die der künftige Staat treffen muß", überzeugt nicht, da der Staat solcher Mittel nicht bedarf und durch Ungerechtigkeiten seinen eigenen Bestand nur gefährdet. 6.) Eine radikale und schematische Durchführung der "Entnazifizierung" würde als Reaktion einen wilden Nationalsozialismus heraufbeschwören und zu einer nachträglichen Nazifizierung der Deutschen führen, die sich zu 99 % vom Nationalsozialismus bereits innerlich gelöst hatten. Ansätze dazu sind bereits deutlich zu beobachten. 7.) Ein demokratischer Staat kann solch ungeheuerliche Eingriffe in die private Rechtsspähre wie: Freiheitsberaubung, Enteignung des Vermögens, Verdrängung aus der lebenslänglichen Beamtenstellung, Vorenthaltung des wohlerworbenen Pensionsanspruches, Entzug von Konzessionen usw. aus bloß politischen Gründen niemals verantworten. Das sind die Methoden, die den totalitären, diktatorischen Staat charakterisieren, dem Sinn der Demokratie aber zuwider sind. Durch solche Maßnahmen wird sich die Demokratie weder Respekt noch Autorität verschaffen. 8.) Es bleibt nur der Weg, die wirklich Verantwortlichen und Schuldigen sowohl für eine verbrecherische Gesamtpolitik wie für einzelne Verbrechen persönlich ausfindig zu machen und einer gerechten Bestrafung zuzuführen. Jedes verallgemeinernde und schematische Vorgehen führt notwendig zu Ungerechtigkeiten. Nur wenn der Kreis der zur Verantwortung Gezogenen sich auf die wahrhaft Schuldigen beschränkt, kann eine Wirkung der Aktion im positiven Sinne erwartet werden (vgl. Thesen 2 und 6). Kollektivmaßnahmen sind mit der demokratischen Auffassung der Persönlichkeit nicht vereinbart. 9.) Falsch ist der Grundsatz (den ein amerikanischer Offizier vertrat): "Jeder Angehörige der Nazipartei und einer Gliederung ist a priori schuldig anzusehen; die Last des Beweises, daß er unschuldig sei, liegt auf ihm". Jeder Kenner der deutschen Verhältnisse wird eine solche "probatio diabolica" ablehnen und wird im Gegenteil den gerechten Grundsatz aufstellen: "Die Rechtsvermutung spricht dafür, daß die meisten Organisierten an der Entwicklung der Dinge und an Einzel verbrechen völlig unschuldig sind." Ein Kausalzusammenhang zwischen der Beitragszahlung des nichtverantwortlichen Einzelnen und dem politischen oder verbrecherischen Ergebnis der Handlungsweise der Verantwortlichen besteht nicht. In jedem Falle, in dem jemand zur Verantwortung gezogen wird, muß ihm das Vorliegen einer strafbaren Handlung und sein Verschulden nachgewiesen werden.

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3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

10.) Die Zahl derer, die am Hebel der Macht saßen, als nationalsozialistische Parteimachthaber für die falsche Politik verantwortlich sind, oder die auch nur einen Einblick in die Pläne im Ganzen oder im Einzelnen hatten, ist gering. Bis in die höchsten Stellen des Staates und der Partei ging die Gegnerschaft gegen die Drahtzieher einer Katastrophenpolitik. Trotz des Satzes: "Die Partei befiehlt dem Staat" leistete der Staatsapparat weitgehend Widerstand gegen den Parteidruck. 11.) Die bloße Mitgliedschaft in der Partei oder einer anderen NS-Organisation, auch die Bekleidung eines niederen Amtes, beweist für die innere Einstellung des Organisierten nicht das Geringste. Das Mitläufertum und die durch das Gewalt- und Überwachungssystem e r z w u n g e n e Heuchelei waren unter dem Nazisystem für sehr viele unvermeidlich. 12.) Der Eintritt in eine NS-Organisation hing oft von Zufälligkeiten ab: von geschickter Täuschungspropaganda - darauf sind vor allem die frühen Eintritte überwiegend zurückzuführen -, vom Rat eines Freundes, von örtlichen Parteiverhältnissen usw. 13.) Die Motive für den Eintritt waren in vielen Fällen moralisch durchaus vertretbar, z.B.: Die Erwartung, die soziale Frage werden [sie!] der Lösung näher gebracht werden; die neue Partei werde die ungeheure Arbeitslosigkeit und die zunehmende wirtschaftliche Not überwinden oder ein soziales Aufbauprogramm verwirklichen; der Wille, Schlimmeres zu verhüten und die Absicht, durch Kritik von innen her einen mäßigenden Einfluß auf die radikaleren Elemente zur Geltung zu bringen; die eigene Existenz und die der Familie zu sichern, usw. 14.) Der Austritt aus der Partei war überhaupt nicht möglich, auch nicht für die längst Enttäuschten und nun erbitterten Gegner des Systems. 15.) Eine unterschiedliche Behandlung der Mitgliedschaft lediglich unter dem Gesichtswinkel des Zeitpunktes, in dem sie erworben ist, - also vor 1933, vor 1937, nach 1937 - führt schon mit Rücksicht auf die verschiedenen Motive für den Eintritt im Einzelfalle notwendig zu Ungerechtigkeiten. Gerade die der Partei frühzeitig Beigetretenen waren oft nicht von eigennützigen Motiven geleitet, sondern meist gutgläubige Idealisten, die das Beste wollten und - nachdem die Täuschung erkennbar wurde - bald scharfe Gegner der führenden Parteiclique wurden. Beweis 20. Juli 1944. 16.) Grundfalsch ist es, die Schuldfrage rückschauend von dem aus zu beurteilen, was im Laufe der Entwicklung erst geworden ist. Niemand ist verantwortlich für das, was er nicht gewollt hat, nicht gewußt und nicht vorausgesehen hat. Es wird übersehen, daß die überwiegende Mehrheit des gesamten deutschen Volkes am Tage von Potsdam, dem 21. März

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1933320, und noch lange Zeit danach mit gläubigem Vertrauen einer Verwirklichung der ihm gemachten nicht zu beanstandenden Versprechungen entgegensah. Es wird auch übersehen, daß die gesamte politisch unterrichtete Welt noch im Jahre 1936 unbedenklich der Einladung des Deutschen Reiches und seines damaligen Oberhauptes zur Olympiade gefolgt ist, die nur mit ihrer Zustimmung in Berlin hat stattfinden können. Man muß die psychologische Frage stellen, was die Menschen im Zeitpunkt des Eintritts im Nationalsozialismus gesehen und was sie mit ihrem Beitritt gewollt haben. 17.) Aus alledem ergibt sich, wie unmöglich es ist, einen lebendigen Menschen nach einem politischen Fragebogen beurteilen zu wollen. Bessere Grundlage für eine Entscheidung als ein Fragebogen ist der lebendige Mensch und sein eigenes Zeugnis und das Zeugnis glaubwürdiger Zeugen. 18.) Die Beurteilung sollte nicht so sehr geschehen in der Rückschau auf das Frühere als vielmehr in der Vorschau auf das Künftige. Es ist die Frage zu stellen: Eignet sich der Betreffende am Aufbau eines neuen, besseren, demokratischen Deutschland mitzuarbeiten? 19.) Die Methode, die Menschen zuerst zu maßregeln, zu entlassen, zu inhaftieren usw. um ihnen später den Weg der Entlastung und Appellation zu eröffnen, ist sehr verwerflich. Sie führt zu menschlichen Tragödien, zu Verbitterung und Verzweiflung oft unschuldiger Menschen. Dem gesunden Rechts- und Sittlichkeitsempfinden entspricht allein, daß erst dann eine Strafmaßnahme verhängt wird, wenn ein strafbarer Tatbestand und eine persönliche Schuld einwandfrei nachgewiesen ist. 20.) Die Behandlung der politischen Häftlinge, unter denen sich viele Unschuldige oder nur geringfügig Belastete befinden, muß humaner werden, indem wenigstens ein Briefwechsel mit den Angehörigen und ein Empfang von Paketen erlaubt wird, wie es selbst im Konzentrationslager gestattet war. 21.) Die Phase der "Entnazifizierung" muß schnell überwunden werden, das Gefühl der persönlichen Sicherheit, die "Freiheit von Furcht" muß bei uns bald wieder einkehren, wenn der neue Staat Vertrauen gewinnen und der Wille zum einträchtigen Wiederaufbau erstarken soll. 22.) Die wesentliche "Entnazifizierung" kann nicht so sehr in wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen bestehen, als vielmehr in einer geistigen Neuorientierung des deutschen Volkes. Eine religiös-sittliche Umerziehung,

320 An diesem Tage hatte Hitler den neu gewählten nationalsozialistischen Reichstag in einem feierlichen Staatsakt eröffnet und dabei christliche und nationale Tradition beschworen, um die Vertrauenswürdigkeit des neuen Regimes zu dokumentieren.

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die von Kirchen, Schulen und pädagogischen Gesellschaften geleistet werden muß, ist die vordringlichste Aufgabe der heutigen Zeit. 23.) Von der Aufbauarbeit sollte niemand ausgeschlossen werden, der guten Willens ist. Die sonst eintretende Brachlegung einer Unsumme von Fähigkeiten und Erfahrungen kann niemand verantworten, dessen Ziel ernsthaft die Befriedung der Menschheit ist.

3D33. Stellungnahme Smends zur Ersten Ausführungsverordnung F: NL Smend (D). Die Frage, ob die EKD identisch ist mit der DEK von 1933, erscheint mit der I. Ausführungsv[er]o[W««wg] 321 nicht ausreichend geklärt. Eine Beschlussfassung des Rates hierüber ist notwendig. Ueber Grundlagen und Tragweite dieser Entscheidung wird im folgenden ein Ueberblick gegeben. I. Der Rat ist in dieser Frage an die Stellungnahme der Kirchenversammlung von Treysa gebunden. Auf andere Rechtsquellen kann er nur dann zurückgehen, wenn eine Stellungnahme der Kirchenversammlung von Treysa zu dieser Frage überhaupt nicht vorliegen sollte. n. Behauptet man das Fortbestehen der DEK oder - was dasselbe ist "Rechtsidentität" zwischen EKiD und DEK, so bejaht man, dass die Reichskirchenverfassung vom 11.7.1933322 noch in Kraft steht; denn eine andere Deutsche Evang. Kirche als die durch diese Verfassung geschaffene gab es nicht. Zu dieser Auffassung gelangt man auch dann, wenn man an das von der Bekennenden Kirche geschaffene Notrecht 3 2 3 anknüpft. Das Notrecht richtete sich nicht gegen die Verfassung, sondern war ein Beitrag zu ihrer Aufrechterhai tung, indem "angesichts der Zerstörung des verfassungsmässigen Aufbaues der Deutschen Evang. Kirche und der Unmöglichkeit, die in der Verfassung der DEK vom 11.7.1933 vorgesehenen Organe auf dem dort gewiesenen Wege zu bilden ... auf Grund des bekenntnismässigen Selbsthilferechtes rechtmässige Organe gebildet" wurden. (Seite 67 der 321 2C3 (S. 61f.). 322 G B 1 D E K 1933, S. 2-6.

323 Angesichts der deutsch-christlichen Kirchenpolitik hatte die 2. Bekenntissynode der DEK am 20. Oktober 1934 in Berlin-Dahlem das kirchliche Notrecht ausgerufen und eigene kirchenleitende Organe gebildet (BEKENNTISSYNODE DAHLEM, S. 44f.).

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"Verhandlungen, Reden und Beschlüsse der Bekennntnissynode von Augsburg", herausgegeben von Karl Immer 324 ). Fortbestehen der DEK bedeutet ferner Weitergeltung der von ihr geschaffenen Gesetzgebung (abgesehen von den wenigen Vorschriften, die, weil sie jemanden auf Grund seiner Rasse, seiner Staatsangehörigkeit, seines Glaubens oder seiner Opposition zur NSDAP und ihren Lehren benachteiligen, auf Grund von Artikel II des Gesetzes Nr. 1 des Alliierten Kontrollrates vom 20.9.1945325 ausser Kraft traten). Hier entstehen u.a. folgende Fragen: 1. Welches Recht gilt weiterhin, das der staatlich legalen Organe oder das Notrecht? - 2. von welchem Zeitpunkt ab steht man vor dieser Alternative? (Vermutlich vom 22.11.1934 ab, dem Zeitpunkt, in dem die VKL326 ihre Arbeit aufnahm) - 3. Wie ist die Gesetzgebung des Reichskirchenaussschusses327 zu behandeln? - 4. Für den Fall, dass man sich zur Anerkennung des Notrechtes entschliesst: Wird damit alles seit dem 22.11.1934 von offiziellen Organen gesetzte Recht hinfällig, auch soweit es zur Entstehung subjektiver Rechte geführt oder sonst in persönliche Rechtsverhältnisse eingegriffen hat (Anstellungen, Disziplinarurteile)? Sollen auch solche rückgängig gemacht werden? Wie werden die Rechtslücken ausgefüllt, die mit dem plötzlichen Wegfall der offiziellen Gesetzgebung entstehen? Schliesslich bedeutet Fortbestehen der DEK Fortbestand ihrer Organe und Aemter. Auch hier steht man vor der Frage: Fortbestehen der staatlich legalen oder der Notorgane? Von den Ersteren sind unzerstört geblieben das Amt des Reichsbischofs, die Deutsche Evang. Kirchenkanzlei, das Aussenamt und das Archivamt. Bei der Behandlung dieser Organe und Aemter waren jedoch wohl Unterschiede zu machen zwischen a) solchen Organen, die rechtlich zerstört u n d tatsächlich nicht mehr in Funktion waren, wie die Nationalsynode, b) solchen, die zwar rechtlich intakt geblieben, aber tatsächlich nicht mehr ausgeübt wurden, wie das Amt des Reichsbischofs, und c) solchen, die rechtlich intakt geblieben sind und bis zuletzt gearbeitet haben, wie die Deutsche Evang. Kirchenkanzlei. - Die Notorgane der DEK sind die Bekenntnissynode, der Reichsbruderrat und die Vorläufige Kirchenleitung. Durch die Anerkennung der offiziellen Organe würde sich der Rat in Widerspruch zur Augsburger Bekenntnissynode setzen, die die Notorgane 324 - K.

IMMER,

Bekenntnissynode Augsburg, S. 67.

Nr. 1 , 2 9 . Oktober 1945, S. 7. 326 - Vorläufige Kirchenleitung, d.h. die von der Bekennenden Kirche herausgestellte Leitung der DEK, die bis Februar 1936 amtierte. 327 — die vom (staatlichen) Reichskirchenminister im Oktober 1935 eingesetzte Kirchenleitung der DEK, die im Februar 1937 zurücktrat. 3 2 5 AMTSBLATT DES KONTROLLRATES IN DEUTSCHLAND,

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als rechtmässige Organe förmlich anerkannt hat 328 , und deren Ergebnisse in Ziffer I der Vorläufige] O[rdnung] von Treysa 329 als ein Wegzeichen zu der in Treysa verwirklichten kirchlichen Einheit erwähnt werden. Es lässt sich auf der anderen Seite nicht leugnen, dass der Ausfall des Gesetzgebungswerkes der offiziellen Organe, der mit einer Anerkennung der letzteren unvermeidlich verbunden wäre, schwer zu meisternde Zustände der Unordnung auf dem Gebiet der kirchlichen Verwaltung und Rechtssprechung hervorrufen würde. Erlöschen der DEK bedeutet, dass mit dem Zusammenbruch des politischen Reichsgefüges auch die DEK ihre Existenz verlor, dass ihre Verfassung und ein - im Einzelnen noch festzustellender - Teil ihrer Rechtsvorschriften unanwendbar wurden und ihre Organe und Aemter erloschen; dass nach einem Interim rechtlicher Unverbundenheit die Deutschen Landeskirchen in Treysa einen Bund gegründet haben, der in Struktur und Zweck mit der zentralistischen DEK nicht vergleichbar und folglich auch nicht identisch ist. (Vergleiche Ziffer I der Vorläufigen] O[rdnung] "... im Kampf gegen einen staatskirchlichen Zentralismus ..."). Die Frage, ob die DEK weiterhin besteht oder nicht, dürfte von erheblicher Bedeutung sein für die Abgrenzung der Befugnisse des Rates. Ist die DEK erloschen, so ist der Rat bei der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in der Wahl seiner Massnahmen im Wesentlichen frei. Besteht die DEK weiterhin, so ist der Rat an die Verfassung von 1933 gebunden, die er als ein lediglich vorläufiges Organ nicht ausser Kraft setzen kann; er ist auch für verpflichtet zu halten, die auf ihn vereinigten Befugnisse sämtlicher reichskirchlicher Organe den Landeskirchen gegenüber zu wahren, bis eine endgültige Ordnung der EKiD geschaffen wird (dringend der Klärung bedürftig wäre in diesem Falle die Frage, ob die Organe der DEK bis zur Neuordnung der EKiD als fortbestehend und lediglich vorübergehend zugunsten des Rates entmächtigt anzusehen oder ob sie nicht mehr vorhanden sind; auf den ersteren Standpunkt stellt sich offenbar ein Teil der Beamten der in Göttingen befindlichen ehemaligen Deutschen Evang. Kirchenkanzlei; der Gefahr, dass bei solchen Auffassungen eine kirchliche Gegenregierung entsteht, sollte bei Zeiten vorgebeugt werden). Der Uebergang des Vermögens und die Haftung für Verbindlichkeiten der DEK ist nicht allein von der Beantwortung der Identitätsfrage abhängig. Auch, wenn die EKiD sich nicht als Fortsetzung der DEK versteht, kann sie als Rechtsnachfolgerin der DEK behandelt werden; hier sprechen Lehre und

328 Vgl. K. IMMER, Bekenntnissynode Augsburg, S. 67. 329 1E1 (S. 12-11).

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Rechtssprechung, möglicherweise auch die staatliche Gesetzgebung, ein entscheidendes Wort.

in. Die I. Ausführungsv[er]o[rc/«H«g] scheint in § 1 Satz 2 von der Auffassung auszugehen, dass die DEK mit ihren staatlicherseits anerkannten Organen und Rechtsvorschriften weiterhin bestehe. O b dies dem Willen des Rates entspricht, darf jedoch im Hinblick auf die Treysaer Beschlüsse bezweifelt werden. 1.) Dass die Treysaer Kirchenversammlung das von der Bekennenden Kirche geschaffene Notrecht habe bei Seite schieben wollen, dafür liegen Anhaltspunkte nicht vor; vermuten darf man einen solchen Willen nicht, handelte es sich doch um die Vereinigung bekenntnisgebundener Kirchen eben zu dem Zweck, bekenntnisgemässe Kirchenordnung herzustellen. Auf die in dieser Beziehung bedeutsamen Ergebnisse der Bekenntnissynoden von Dahlem und Augsburg wird in Ziffer I der Vorläufigen] O[rdnung] ausdrücklich Bezug genommen. Die "Wiederherstellung des Aufbaues der Verfassung von 1933" wird als unmöglich abgelehnt und die in dieser Verfassung vorgesehenen Aemter als unheilbar diskreditiert bezeichnet. Die Fassung von Satz 2 des § 1 ist mit dieser Feststellung schwer zu vereinbaren; dem Rat werden hier die Befugnisse "der verfassungsmässigen Organe" übertragen. Dies kann ohne eine gewagte Auslegung nur auf die Verfassung vom 11.7.1933 bezogen werden. Verfassungsmässig in diesem Sinne sind aber die Notorgane nicht, sodass man zu dem Ergebnis gelangt, dass § 1 Satz 2 nur die staatlich legalen Organe der DEK erwähnt. Dieser Dissens mit der Treysaer Vorläufigen Ordnung müsste beseitigt werden. 2.) Die nächste Frage ist, ob in Treysa wirklich die Identität von EKiD und DEK gewollt und erklärt wurde. Die Umstände machen dies unwahrscheinlich: ein grosser Teil der Landeskirchen, darunter die gewichtigsten, traten mit dem Ziele zusammen, die Beschränkung ihrer Selbständigkeit durch den reichskirchlichen Verfassungsapparat abzuwerfen; es unterblieb auch völlig eine Abstimmung zwischen dem neugeschaffenen Rat und den Organen der DEK, wie es doch bei Zugrundelegung der Identitätslösung unumgänglich gewesen wäre. Die Entscheidung kann hier nur auf Grund sorgfältiger Auslegung der Vorläufigen] 0\rdnung] oder von einer neu einzuberufenden Kirchenversammlung getroffen werden.

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IV. Zu berichtigen ist in jedem Fall ein in § 3 Absatz 2 der I. Ausführungsv[er]o[rc/w«ng] unterlaufenes Redaktionsversehen: Statt der Kanzlei der EKiD wird hier, bei der Erwähnung der Berliner Stelle, versehentlich die alte Bezeichnung "Deutsche Evang. Kirchenkanzlei" gebraucht. 3D34. Entwurf der Kirchenkanzlei in Göttingen für ein Rundschreiben des Rates an die obersten Behörden der deutschen evangelischen Landeskirchen. o.D. F: ETA Berlin, 2/769 (Typoskript mit hsl. Vermerk: "cessat!") 330 .

In der Anlage übersenden wir eine Verordnung über den Haushalt der EKiD vom heutigen Tage. Mit Rücksicht darauf, daß das Rechnungsjahr schon zur Hälfte abgelaufen ist, und im Hinblick auf die noch völlig unübersichtlichen Verhältnisse - besonders im Osten - haben wir von einer endgültigen Neuaufstellung des Haushaltsplans noch absehen müssen. Wir haben lediglich einen vorläufigen Voranschlag für 1945 aufgestellt, den wir der Verordnung beigefügt haben. Wir sind uns ferner bewußt, daß an sich die Verteilung der Umlage nicht nach den länger nicht mehr zutreffenden alten Maßstabzahlen erfolgen dürfte; neuere Angaben stehen uns aber weder bezüglich der Seelenzahl noch nach dem Einkommensteuer-Ist zur Verfügung. Diese Angaben können auch von den Landeskirchen vorerst nicht beschafft werden. Die Zahlen der Umlagebeiträge sind, obwohl der Haushalt von 1 964 070,- R M auf 833 000,- RM herabgesetzt worden ist, nach der Umlageberechnung von 1942 festgesetzt worden, da mit einem Eingang von Zahlungen aus den im russisch besetzten Gebiet liegenden Landeskirchen vorerst nicht gerechnet werden kann. Wir bitten, die Zahlung der Umlage sofort zu veranlassen. Ueberweisungen erbitten wir für das amerikanische Besatzungsgebiet auf das Konto der "Kanzlei der EKiD" bei der Deutschen Bank in Schwäbisch Gmünd, für das britisch besetzte Gebiet auf das Konto N r . 6240 der "Kasse der DEK" bei der Kreissparkasse in Göttingen. Von der Höhe des Eingangs der Umlage wird es abhängen, ob wir neben der Abwickelung der aus dem laufenden Haushalt sich ergebenden rechtlichen Verpflichtungen einen wenigstens teilweisen Ausgleich der von den Landeskirchen zur Versorgung der aus dem Osten umquartierten Geistlichen und Kirchenbeamten übernommenen Lasten durchführen können. Der Rat der EKiD 330 Laut Vermerk Brunottes vom 11. Dezember 1945 wurde der Entwurf mit den 3 Anlagen (3D35 bis 3D37, S. 295-298) "durch Herrn Prof. Dr. Smend der Sitzung des Rates der EKiD in F r a n k f u r t / M . a m 1 3 . 1 2 . z u g e l e i t e t " ( E Z A BERLIN, 2 / 7 6 9 ) .

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3D35. Entwurf der Kirchenkanzlei in Göttingen für eine Verordnung über den Haushalt der EKD für das Rechnungsjahr 1945. o.D. F: EZA Berlin, 2/769 (Dßn. Verordnung über den Haushalt der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Rechnungsjahr 1945 Vom [...] Dezember 1945 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat folgende Verordnung beschlossen, die hiermit verkündet wird: §1 (1) Das Rechnungsjahr 1945 läuft vom 1. April 1945 bis zum 31. März 1946. (2) Die Kassenführung der EKiD gründet sich im Rechnungsjahr 1945 auf den in der Anlage beigefügten "Voranschlag für Einnahmen und Ausgaben der EKiD für das Rechnungsjahr 1945", der in Einnahme und Ausgabe auf 833 000 Reichsmark festgestellt wird. (3) Die bei Kapitel II und IV der Einnahme angesetzten Beträge müssen in voller Höhe aufgebracht werden. Die Landeskirche, die den auf sie nach dem Umlageschlüssel zu errechnenden Betrag durch die Kollekte nicht erreicht, hat zum Ausgleich den Minderbetrag aus anderen Mitteln aufzubringen. (4) Die für die einzelnen Titel der Ausgabe ausgeworfenen Beträge sind gegenseitig deckungsfähig. §2 (1) Der gemäss Artikel 11 der Verfassung der D E K vom 11.7.1933 332 durch Umlagen der Landeskirchen aufzubringende Finanzbedarf beträgt für das Rechnungsjahr 1945 nach dem Voranschlag 780 000,- RM. (2) Dieser Finanzbedarf wird auf die Landeskirchen in der Weise verteilt, dass die im britischen, amerikanischen und französischen Besatzungsgebiet liegenden Landeskirchen die vollen Umlagebeiträge nach der Anordnung vom 10.2.1942 (Ges.Bl.d.DEK. 1942, S. 38ff.) zahlen. Die hernach auf die einzelnen Landeskirchen entfallenden Umlagebeiträge gehen aus der Umlageberechnung im Gesetzblatt der DEK. 1942, S. 40 hervor. Die Evangelische Kirche des Rheinlandes zahlt entsprechend ihrer Seelenzahl 12,6 %, die Evangelische Kirche Westfalens 11,9 % der nach der Umlageberechnung von 1942 auf die Evangelische Kirche der altpreussischen Union entfallenden

331 Anlage zu 3D34(S. 294). 332 GB1DEK 1933, S. 2-6.

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Umlage von 860 646,- RM. Wegen der Umlagezahlung der im russischen Besatzungsgebiet liegenden Landeskirchen ergeht besondere Anordnung. (3) Die Umlagebeiträge sind vierteljährlich im Voraus zu entrichten. §3 Die Verordnung tritt mit Rückwirkung vom 1. April 1945 in Kraft. Stuttgart/Frankfurt/M, den [...] Dezember 1945 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 3D36. Voranschlag der Kirchenkanzlei in Göttingen über die Einnahmen und Ausgaben der EKD im Rechnungsjahr 1945 F: EZA Berlin,

2/769

Einnahme Kapitel I Kapitel II Kapitel III

aus Kapitalvermögen Kollekte für die Auslandsarbeit

Kapitel IV

Kollekte für kirchliche Notstände (in den neuerworbenen Reichsgebieten)

Kapitel V Titel 1

Umlagebeiträge Umlagebeiträge der Landeskirchen der

Zuschüsse für die Auslandsarbeit

westlichen Besatzungszonen ca. Titel

2

Kapitel VI

20.000

30.000

780.000

Beiträge der Brüder-Unität und des Bundes ev.-ref. Kirchen Deutschlands Insgemein

3.000 833.000

Ausgabe Kapitel I Tit. 1 Tit. Tit.

2 3

Reichskirchenleitung Leitende Organe der Deutschen Evangelischen Kirche Beratende Organe und Disziplinargerichte Finanzabteilung bei der Kirchenkanzlei

333 Anlage zu 3D34(S. 294).

8.000 8.000

3D Vorlagen und Anträge

Kapitel Tit. Tit. Tit. Tit. Tit.

Tit. Tit. Tit.

II 1 2 3 4 5

6 7 8

Reichskirchenverwaltung Beamtenbesoldung einschl. Hilfskräfte Ruhestands- u. Hinterbliebenenversorgung Angestelltenvergütungen u. Arbeiterlöhne Unterstützungen Dienstreisen a) Kirchenkanzlei b) Kirchl. Aussenamt Geschäftsbedürfnisse Diensträume Archivamt der Dt. Evang. Kirchenkanzlei in Breslau

340.000 64.500 108.270 1.000 3.000 5.000 8.000 10.000 8.000 563.770

Tit. 9 Kapitel IH

Kapitel IV Tit. 1 Tit.

2

Tit.

3

Tit.

4

Tit. Tit.

5 6

Kapitel V Kapitel VI

Sonstige Ausgaben Für die innerkirchl. Arbeit einschl. eines Betrages von 65 000,- RM f. d. Central- Ausschuss f. d. Innere Mission (hierunter auch Osthilfe) 80.000 Für die Auslandsarbeit Zuschüsse an die dt. ev. Kirchengemeinschaften, Gemeinden und Geistliche im Ausland Ausgaben f. d. Ausbildung von geistl. Kräften für den Auslandsdienst Ausgaben f. d. Aussendung und Heimkehr (einschl. Urlaub) der Auslandsgeistl. 40.000 Zuschüsse zur Ruhestands- u. Hinterbliebenenversorgung d. Auslandsgeistlichen 119.000 Zwischenkirchl. Arbeit 30.000 Sonstige Ausgaben Zuwendung f. d. zuschussbedürftigen Kirchengebiete, insb. in d. neuen Reichsgauen Insgemein

230 833.000

298

3. Sitzung Frankfurt/Main 13. und 14. Dezember 1945

3D37. Umlagebeiträge der Landeskirchen 1942 F: ETA Berlin,

2/769

Gesamtsumme 1 773 900. 00 RM I. Landeskirchen im westlichen Gebiet: 1. Hannover 2. Württemberg 3. Nassau-Hessen 4. Bayern 5. Schleswig-Holstein 6. Kassel 7. Hamburg 8. Baden 9. Pfalz 10. Braunschweig 11. Oldenburg 12. Bremen 13. Hannover ref. 14. Lippe 15. Lübeck 16. Schaumburg-Lippe 17. Eutin 18. Bund ev. ref. Kirchen Deutschlands

98 522. 00 RM 82 774. 00 RM 72 532. 00 RM 63 184. 00 RM 64 664. 00 RM 37 090. 00 RM 56 972. 00 RM 36 232. 00 RM 21 062. 00 RM 18 674. 00 RM 12 266. 00 RM 23 470. 00 RM 6 150. 00 RM 5 256. 00 RM 6 632. 00 RM 1 528. 00 RM 1 528. 00 RM 1 082. 00 RM 609 618. 00 RM

II. Landeskirchen im östlichen Gebiet: 1. Altpreussen335 2. Sachsen 3. Thüringen 4. Mecklenburg 5. Anhalt 6. Herrnhut

860 646. 00 RM 205 988. 00 RM 56 398. 00 RM 28 070. 00 RM 12 748. 00 RM 432. 00 RM 1 164 282. 00 RM

334 Anlage zu 3D34 (S. 294). 335 Originalanmerkung: "Von der Altpreuss. Kirche gehören in das westliche Gebiet die Ev. Kirche d. Rheinprov. mit 12,6 % u. die Ev. Kirche Westfalen mit 11,9 % der Gesamtseelenzahl."

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3E Dokumente 3E1. Schreiben Meyers an Asmussen. Hamburg-Altona, 13. Dezember 1945 F: ETA Berlin, 2/56 (O mit Vermerk Asmussens: "Nächste Sitzung"). Sehr verehrter H e r r Pastor! Heute am 13. Dezember tagt vermutlich der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland in Frankfurt a. M . Wieder bleibt mein Platz unbesetzt. Trotz größter Bemühungen ist es mir nicht gelungen, eine Reisegelegenheit nach der Stadt auszumachen. Ich habe mich zunächst mit dem Landeskirchenamt Hamburg ins Benehmen gesetzt und dort um Hilfestellung gebeten. Sodann habe ich mich unmittelbar an den regierenden Bürgermeister Petersen der Hansestadt Hamburg gewandt, mit dem ich eine einstündige Unterredung über die kirchliche Lage hatte. Auch er konnte mir nicht helfen, etwa einen Kraftwagen für mich bereit zu stellen. Durch seine Vermittlung wandte ich mich an das Landeswirtschaftsamt, Abteilung Benzinzuteilung und Fernverkehr, ohne auch hier etwas zu erreichen. Es war also die Reise nach Frankfurt im Kraftwagen unmöglich, nachdem vorher schon ein Anschluß des Herrn Oberkirchenrat Lilje durch dessen vorzeitige Abreise unmöglich wurde 3 3 6 . Natürlich kann ich bei meiner starken Beanspruchung in meinem A m t und Beruf nicht mit irgend einem Auto nach Süden abfahren, in der Hoffnung, irgend einmal in Frankfurt zu landen. Eine wochenlange Abwesenheit von Hamburg ist für mich angesichts der schulischen Lage unmöglich. Ebenso schwierig waren die Verhandlungen mit der Eisenbahn. A u f diesem Gebiet ist Hamburg bekanntlich sehr schlecht daran. Es kam noch hinzu, wie aus beiliegendem Zeitungsabschnitt ersichtlich, daß der Eisenbahnverkehr von der britischen Zone nach der amerikanischen am 10. Dezember vollends gesperrt wurde. Erschwerend bei meinen Verhandlungen fiel ins Gewicht, daß ich bis heute noch nicht im Besitz einer amtlichen Einladung mit genauer Orts- und Zeitangabe, sowie Tagesordnung der Sitzung bin. Ich habe nur in den vielfachen Zuschriften der Kanzlei der evangelischen Kirche in Deutschland, für die ich ganz besonders dankbar bin, einige erinnernde Hinweise auf die kommende Tagung gefunden. Es war mir bei meinen wochenlangen Verhandlungen recht unangenehm, daß ich die formelle Einladung nicht in Händen hatte. Angesichts der weiten Entfernungen Hamburgs von den bisherigen Tagungsorten überlege ich mir, ob es nicht geraten ist, mein A m t dem Rate 336 Mit Schreiben vom 24. November 194} hatte Meyer Lilje um Mitnahme in seinem Kraftwagen gebeten (LKA HANNOVER, L 3 II Nr. 14 Bd. üb).

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zur Verfügung zu stellen, mit der Bitte, es einem Herrn zu übertragen, der verkehrstechnisch in besserer Lage ist als ich einfaches Gemeindemitglied ohne Kraftwagen. Ich begrüße Sie herzlichst in der Hoffnung, daß die Ratssitzung einen gesegneten Verlauf nimmt, und bitte auch dem Ratsvorsitzenden Herrn Landesbischof Wurm meine respektvollen Grüße zu übermitteln. In vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich in brüderlicher Gesinnung stets Ihr sehr ergebener P. Meyer [m.p.']

3E2. Entwurf für ein Wort des Rates an die Christen in England F: LKA Stuttgart, Dl/210

(O).

Liebe Glaubensbrüder in England, Am 28. November hat der Hochw[«rc&ge] Herr Erzbischof von Canterbury eine Botschaft an das deutsche Volk erlassen. Wir und, wie wir hoffen, viele Menschen in Deutschland haben sie mit grosser Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Es ist vielleicht das erste Mal in der Geschichte, dass der erste Geistliche eines Volkes nach errungenem Siege das überwundene Volk brüderlich anredet. Wir freuen uns dieser christlichen Tat. Im Namen meiner Glaubensbrüder in Deutschland gebe ich hiermit die Antwort. Die Ansprache des Hochw. Herrn Erzbischof will uns als ein Zeichen der Zeit erscheinen. Es gab eine Zeit, in der die politischen Propagandisten Grosses ausrichten konnten, Gutes und Böses. Nunmehr hat diese Propaganda, vor allem beim deutschen Volke, sehr an Gewicht verloren. Politische Propaganda kann das Herz des deutschen Volkes nicht mehr erreichen. Es ist wohl notwendig, dass man in aller Welt mit dieser Tatsache rechnet. Es ist ein Segen für die Menschheit, dass es noch andere und sehr hörbare Stimmen gibt, die kaum in den Verdacht kommen, der politischen Propaganda verfallen zu sein, Stimmen, deren Wort ewigen Bindungen untersteht, und die darum dem Wunsche und der Stimmung des Alltages entnommen sein können. Es ist die Stimme der Christenheit, die noch Vertrauen findet, wo die anderen Stimmen es nicht mehr haben. Res venit ad triarios. Die letzten Reserven der Menschheit werden angegriffen, und die Menschheit hat alle Ursache, darüber froh zu sein, dass es noch diese Reserven gibt. Ein Zeichen der Zeit ist die Botschaft des Hochw. Herrn Erzbischof. Zeigt sie doch an, dass die Kirche um ihre Verantwortung weiss. Wenn der Hochw. Herr Erzbischof eine Ansprache an das deutsche Volk richtete, so gibt er damit zu erkennen, dass der Kirche in England nicht gleichgültig sein kann, wie es den Christen, aber auch allen Einwohnern anderer Länder

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ergeht. Auch wir evangelischen Christen in Deutschland bejahen unsere Verantwortung für die ganze Welt. Wir haben unter dem Nationalsozialismus nicht von ihr lassen wollen und haben dafür leiden müssen. Der Nationalsozialismus ist zerbrochen. Unsere weltweite Verantwortung blieb bestehen. Das ist der Grund, weshalb wir auch in diesem Augenblicke, wo unser Volk am Boden liegt, zum britischen Volke sprechen. Es ist uns eine Freude, in dieser Verantwortung zu stehen. Wir reden damit keineswegs einem unpatriotischen Wesen das Wort. Wir haben nicht vergessen, dass unser Herr Christus uns an unsern Nächsten weist. Unser Nächster bleibt unser deutsches Volk und seine Glieder, jetzt, wo es in höchster Not am Boden liegt, erst recht. Wir wissen, dass Ihr Christen in England ebenso denkt und so die Verbindung unter uns befestigt. Aber unser Patriotismus führt uns nicht dazu, die Beziehungen zu andern Völkern abzubrechen, vor allem nicht zu den Christen, die in diesen Völkern wohnen. Der Hochw. Herr Erzbischof hat darauf hingewiesen, dass wir nicht in der Lage sind, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wir wissen das und tragen schwer daran. Wir wälzen unsere und unseres Volkes Schuld nicht von uns. Wir haben sie den Christen anderer Länder in der Stuttgarter Erklärung337 offen bekannt. Wir erfahren, welche Kraft von solchem Bekenntnis ausgeht und können nur die Christen aller Länder im Namen Jesu Christi dazu ermutigen, den gleichen Weg zu beschreiten. Vielleicht war es nötig, dass das deutsche Volk erst einen Zustand erreichen musste, auf dem es ohne Regierung war, damit die Kirche im deutschen Volke das Opfer bringen konnte, die Schuld ihres Volkes an andern Völkern vor Gott und vor Menschen auch auf ihre Schultern zu nehmen. Denn selten ist das in der Geschichte der Völker geschehen. Wir können aber den Christen aller Völker nur wünschen, dass sie solches lernen, ehe ein so grosses Unglück über sie kommt, wie es über uns gekommen ist. Christen können wohl Geschehenes nicht ungeschehen machen, aber ihre hehre Aufgabe ist es, ihrem Herren nachzufolgen und in Selbstaufopferung für den Schuldigen einzustehen. Wenn sie das tun, dann kann selbst aus Schuld und Elend zeitlicher und ewiger Segen erwachsen. Wir sind innerlich frei geworden durch solches Bekenntnis und sind daran gewachsen. Ihr Christen in England werdet selbst wissen, was Ihr für Euch und für Euer Volk zu bekennen habt. Wir sind den Christen in England dankbar, wenn sie dahin wirken, dass die äusseren Folgen dieses furchtbaren Weltunglücks auch in Deutschland gemildert werden. Wir danken ihnen für alles, was sie schon an uns taten. 337 2C2(S. 60/.).

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Vielleicht wissen die Christen in England gar nicht einmal, wie unsagbar gross das Elend bei uns ist, vor allem in den Ostgebieten. Aber es gibt noch ein grösseres Elend als dieses. Es muss mit noch schwereren Folgen dieses furchtbarsten aller Kriege gerechnet werden. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Deutschen in Verzweiflung zu der Meinung kommen, es könne auf dieser Welt ein Unrecht immer nur durch ein anderes und vielleicht noch grösseres beseitigt werden. Denn nunmehr bricht viel und schweres Elend über uns herein, an dem die Nationalsozialisten höchstens zum Teil die Verantwortung tragen. Aus ernster Sorge machen wir euch Christen in England darauf aufmerksam, dass durch euren Sieg über Deutschland nicht einfach das Gute über das Böse gesiegt hat. W i r deuteten schon in der Stuttgarter Erklärung an, dass nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregiments der Geist der Rache und der Vergeltung von neuem Triumphe zu feiern beginnt. Die Gefahr ist riesengross. W i r sind verantwortlich, euch das zu sagen. Denn wenn es so käme, dass diese bösen Geister von neuem Triumphe feiern dürften, dann würde euch alle die Verantwortung dafür treffen, ebenso wie wir jetzt als ganzes Volk, Politiker und Nicht-Politiker, Soldaten und Nicht-Soldaten, Männer und Frauen, Kinder und Greise zur Verantwortung gezogen werden für das, was geschehen ist. Wir wissen aus Gottes Wort, dass eine Schuld die andere nach sich zieht, und dass nach göttlichem Gesetz vor Gott der Richter selber unter das Urteil fällt, mit dem er den Übeltäter zu richten unternimmt. "Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen. Denn worin du einen anderen richtest, verurteilst du dich selbst." Rom. 2, 1. In der grossen Liebe zu euch Christen in England, die Jesus Christus in uns hat wachsen lassen in den schweren Jahren des Leides, rufen wir euch das zu und sind dem Hochw. Herrn Erzbischof von Herzen dankbar, dass er uns Gelegenheit gibt, das auszusprechen. Das Bekenntnis unserer Schuld, zu dem wir ungeschmälert stehen, habt ihr demütigen Herzens vernommen. Wir dürfen nicht daran zweifeln, dass ihr auch diese unsere brüderliche Mahnung in derselben Demut entgegennehmen werdet. Der Hochw. Herr Erzbischof hat das deutsche Volk gefragt, welchen Beitrag es zum Wiederaufbau zu leisten bereit sei, und ihr Christen in England habt einen Anspruch darauf, unsere Antwort zu hören. Unser Beitrag zum Wiederaufbau der Welt ist zu allererst dieser, dass wir als Christen in Deutschland unser Volk bereit machen, das Objekt der Weltpolitik zu sein und nicht mehr ihr Subjekt 338 . Es ist wohl noch niemals in der Weltgeschichte ein Volk so sehr und so ausschließlich Objekt der Politik gewesen, wie wir es 338 Handschriftlich wurde hier ergänzt: "..., obwohl wir den Tag herbeisehnen, an dem auch wir Deutsche wieder mitbestimmen können im Rate der Völker."

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jetzt sind, es sei denn das jüdische Volk nach der Zerstörung Jerusalems. Da soll es unser erster Beitrag zum Wiederaufbau der Welt sein, dass wir diese unsere Lage bejahen. Wir wollen unserem Volk nichts beschönigen. Aber eben darum können wir auch unsern Besiegern von ihrer Verantwortung nichts abnehmen. Das deutsche Volk hat keine Armee; es hat keine Regierung; es hat kein Geld; es hat nicht genügend zu Essen; es hat nicht einmal mehr einen Mund, der für das deutsche Volk sprechen könnte; es hat kein Recht mehr unter den Völkern der Welt. Darum zittern wir für uns selber. Aber als Christen und Diener Gottes zittern wir auch für unsere Besieger. Denn mit jedem Stück, das wir n i c h t haben, fällt dem Sieger ein neues Stück Verantwortung zu. Liegt das deutsche Volk am Boden wie noch nie ein Volk vorher, so liegt auf dem Sieger eine Verantwortung, wie sie noch nie vorher auf einem Sieger gelastet hat. Wenn wir die Kraft von Gott erhalten werden, diesen Beitrag zum Wiederaufbau zu liefern, dann werden wir auch tätig und wirkend am Wiederaufbau beteiligt sein können. Dann werden wir in der Lage sein, wirklich neu zu gestalten. Wir bitten die Christen in England, dafür Verständnis zu haben, wenn wir Deutschen nach unserem eigenen Wesen unsere Zukunft zu bauen versuchen werden. Denn wir erstreben ein solches Verhältnis unter den Völkern, dass wir uns freuen über jedes Volk, das nach seinem Wesen lebt, und alle Völker bitten wir, dem deutschen Volk diese Möglichkeit auch zu lassen. Äusserungen, die in Zeitungen und Radiosendungen uns hörbar werden, erwecken oft den Anschein, als sollten wir Deutsche uns nach dem Bilde des Siegers umgestalten. Wir glauben nicht, dass damit uns und der Welt gedient wäre. Wir richten nicht über die anderen Völker. Dazu haben wir kein Recht; und wenn wir je Neigung dazu gehabt haben sollten, so haben wir es gründlich verlernt. Millionen Menschen in Deutschland haben alle Ideale verloren. Die Berührung mit dem Sieger hat ihnen keine neuen Ideale geschenkt. Aber die Christen versuchen, ihren Brüdern darin Vorbild und Führer zu sein, dass wir Deutschen zu erkennen versuchen339, welches Gottes Weg mit uns ist. Denn es muss im deutschen Volke ein ganz Neues werden, etwas, was nur Gott schaffen und schenken kann. Uns ist nicht damit geholfen, wenn wir neue Flicken auf ein altes Tuch setzen. Wenn ihr in Grossbritannien für uns betet, dann betet darum, dass uns das geschenkt werde. Denn das Gebet ist unsere wirkliche Rettung. Wenn wir ein Volk von Betern würden, dann wäre uns geholfen. Dann würden wir einen Glauben gewinnen, in dem alle Furcht, und vor allem die Furcht vor dem Nichts

339 Handschriftlich korrigiert zu: "vermögen"

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überwunden ist. Dann würden wir in rechter Weise Täter werden können, deren Tun Bestand hat. Dann würde ein ganz Neues werden können. Mein Gruss an euch hat einen ernsten Ton. Das muss so sein, weil Gottes Recht über uns alle ergeht. Aber ich weiss, dass in Gottes Gericht seine Gnade verborgen ist. Deshalb sollten wir vor seinem Ernst nicht ausweichen. Dann kann seine Gnade Schulden vergeben, Verzweiflungen bannen, Feindschaften in Freundschaften wandeln und neues Leben mitten in Ruinen schenken. Ich stimme mit dem Hochw. Herrn Erzbischof ganz darin überein, dass nur die Rückkehr zum alten Glauben uns den Neuaufbau unseres Landes ermöglicht. Die ganze Welt bedarf einer solchen Rückkehr. Die Christen aller Länder müssen in der Forderung zusammenstehen, dass eine solche Rückkehr Wirklichkeit wird. Dann wird aus den Trümmern ein christliches Europa neu erstehen. Dann wird dieses christliche Europa dem Frieden der ganzen Welt dienen können. Dann dürfen wir die Zuversicht haben, dass soziale Gerechtigkeit das Leben unserer Völker bestimmen wird. Dann werden Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Freude340 sich küssen. Der ewig reiche Gott schenke der ganzen Welt seinen Frieden. Er verleihe dem britischen Volke Glück und Gedeihen. Er gewähre meinem deutschen Volke sein Wort und seinen Geist; dann wird es in seiner Armut reich sein. 3E3. Text einer Rundfunksendung vom 8. Februar 1946 F: ETA Berlin, 2/164

(O).

GERMAN TALKS (402)

8.2.46 21.00

DBU 76384 FIRST COMMENTS O N WURM (D.M. GRAHAM) Vor acht Tagen brachten wir in dieser Sendung einen Brief an die Christen in England von Bischof Wurm, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands. Seither habe ich mit vielen englischen Protestanten und Katholiken gesprochen, hohen kirchlichen Wuerdentraegern und Laien der verschiedensten Berufe. Alle aeusserten sich mit lebhaftem Interesse ueber das Schreiben von Bischof Wurm; in manchen Dingen stimmten alle ueberein, in anderen Punkten gingen die Meinungen jedoch auseinander. Ich werde zunaechst einen Ueberblick ueber die Meinungsverschiedenheiten geben und dann von den Punkten sprechen, in denen alle einig waren. 340 Handschriftlich korrigiert zu: "Friede".

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Die erste Ansicht, die ich hoerte, lautete: "Bisher haben sich viele Geistliche in den westdeutschen Besatzungszonen bitter ueber die Russen beklagt und manchmal geradezu unterwuerfig erklaert, dass die Englaender und Amerikaner alles, oder fast alles richtig machen. Und jetzt kommt Bischof Wurm und erklaert, die Englaender und Amerikaner machen alles oder fast alles schlecht. So etwas wirkt erfrischend. Es ist gut fuer die Deutschen und fuer die Besatzungsbehoerden, wenn sie wissen, dass jemand da ist, der gegen das protestiert, was er fuer unrecht haelt - geradeso wie er frueher gegen die Judenverfolgungen protestiert hat, gegen die sogenannten 'Gnadentoetungen' und andere Erscheinungen, die man keineswegs als rein kirchliche Angelegenheiten abtun kann. Manche Feststellungen Bischof Wurms sind moeglicherweise anzweifelbar aber das Wesentliche ist, dass Kritik und [eine] offene Diskussion in Gang gekommen sind. Missverstaendnisse und Irrtuemer lassen sich aufklaeren, wenn nur ueberhaupt ein Meinungsaustausch moeglich ist. Deshalb begruesse ich den Brief Bischof Wurms, obwohl ich bestimmt nicht mit allem darin einverstanden bin." Das war eine der vielen Meinungen, die ich darueber gehoert habe. Und nun die Ansicht eines Mannes, der Deutschland aus jahrelanger Erfahrung kennt, vor kurzem erst aus Deutschland zurueckkehrte und Bischof Wurm demnächst besuchen duerfte. Er sagte zu mir: "Besonders in der amerikanischen Zone werden die Geistlichen den ganzen Tag von entlassenen Pg's und ihren jammernden Angehoerigen bestuermt; wie gross oder gering ihre Schuld war, spielt dabei keine Rolle. Ununterbrochen klopft Elend und bittere Klage an die Tuer des Geistlichen. Unter solchen Umstaenden verliert man leicht den richtigen Abstand. Kein Wunder also, dass Bischof Wurm anscheinend die vielen Deutschen uebersieht, die empoert sind, dass die Entnazifizierung bisher nicht gruendlicher vor sich gegangen ist, dass die Ueberlebenden der Konzentrationslager oft am allerschlimmsten dran sind, und dass viele Nazis noch immer auf ihren Posten sitzen. Viel von dem Inhalt des Briefes ist begruessenswert, aber vieles scheint mir ein Missgriff; es gibt z.B. Stellen in Bischof Wurms Brief, die kaum dazu angetan sind, eine Bruecke zwischen den deutschen Kirchen und den deutschen Arbeitern zu schlagen." Und hier eine dritte Ansicht. Ein britischer Offizier sagte mir: "Bischof Wurm erklaert, 'die militaerische Eroberung und Besetzung Deutschlands war mit all den Gewalttaten gegen die Zivilbevoelkerung verbunden, ueber die man sich in den Laendern der Alliierten mit Recht beklagt hat.' Bei allem Respekt muss man fragen, ob und was Bischof Wurm von den Verbrechen gegen Kriegsrecht und Kriegsbrauch gehoert hat, die von der deutschen Wehrmacht in den besetzten Laendern veruebt worden sind. Nur e i n Bei-

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spiel: In Frankreich wurden 29.660 Geiseln von den Deutschen erschossen. Wie kann angesichts dieser e i n e n Tatsache - und es Hessen sich viele andere anfuehren - Bischof Wurm bei seiner Behauptung bleiben, die deutsche Zivilbevoelkerung haette unter all den Gewalttaten zu leiden gehabt wie sie in den deutsch-besetzten Laendern veruebt wurden? Gewiss nicht alle unsere Soldaten haben sich immer streng an die militaerischen Vorschriften gehalten. Aber wenn wir einen Soldaten erwischen, der sich etwas zu Schulden kommen liess, wird er bestraft. Wenn Beschuldigungen erhoben werden, dann muessen sie genau belegt sein, damit sie verfolgt werden koennen. Das waere viel nuetzlicher als allgemein gehaltene Anschuldigungen und Gerede ueber Millionen Faelle, die sich absolut nicht feststellen lassen." So aeusserte sich ein britischer Offizier. Und dann hoerte ich noch diese Ansicht: "Bischof Wurm scheint anzunehmen, dass seine Auffassung von der Geschichte der letzten 30 Jahre allgemein gueltig sei und auf unbezweifelbaren Tatsachen beruhe. Man muss Bischof Wurm und die weiten Kreise Deutschlands, die seine Ansicht darin teilen, dringend darauf aufmerksam machen, dass diese Auffassung gewisser historischer Ereignisse in England durchaus nicht allgemein gueltig wird, und dass sie zumindest teilweise durch hervorragende Geschichtsforscher, auch deutsche, ganz entschieden widerlegt wurde. Es ist eine dringende Aufgabe fuer alle Gutgesinnten und fuer die besten Historiker Deutschlands und Englands, die unrichtige Deutung der Geschichte zu entkraeften. Es waere sehr zu begruessen, wenn das Schreiben von Bischof Wurm dazu den Anstoss geben koennte." Das waren einige der Urteile, die ich in letzten Tagen ueber den Brief von Bischof Wurm an die Christen in England gehoert habe. Aber alle, mit denen ich darueber sprach, stimmten in e i n e m ueberein: Sie begruessten es dankbar, dass der Meinungsaustausch zwischen Deutschland und England wieder beginnt. Und alle waren davon ueberzeugt, dass eine Verstaendigung zwischen den Christen in England und Deutschland ernstlich angestrebt werden muss, ein gegenseitiges Verstaendnis, das sich auf unseren gemeinsamen Glauben gruenden muss, und dem unsere gemeinsame Hoffnung gilt.

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3E4. Text einer Rundfunksendung vom 14. Februar 1946 F: EZA Berlin, 2/164 (O).

2nd comment on Bishof Wurm by Lindley Fräser*

14.2.46 21.00 Ende vorigen Jahres sandte Bischof Wurm, der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirchen in Deutschland, - also der Mann, der mehr als irgend ein anderer berechtigt ist, im Namen des protestantischen Deutschland zu sprechen, - einen offenen Brief an die Christen in England. Diesen Brief brachten wir vor vierzehn Tagen. Er hat sehr viel Interesse erregt bei einer grossen Zahl von Hoerern in Grossbritannien, darunter auch bei hohen Wuerdentraegern der englischen Kirchen und bei fuehrenden deutschen Christen, die entweder zur Zeit in England leben oder sich besuchsweise hier aufhalten. Vorige Woche versuchte mein Kollege Robert Graham, im Namen dieser Menschen auf Bischof Wurms Brief einzugehen 341 . Ihre Einstellung war im grossen und ganzen freundschaftlich und positiv; aber einige Punkte wurden von Seiten dieser Hoerer angeschnitten, mit denen sie nicht uebereinstimmten, - und zwar Punkte von wesentlicher Bedeutung. Ich moechte zunaechst einmal einige wichtige Saetze aus Bischof Wurms Brief noch einmal zitieren. Er schreibt: Die vielfachen Aufforderungen an das deutsche Volk, nun sich wieder empor zu arbeiten, klingen ueberall wie Hohn, wo man der deutschen Industrie, auch derjenigen, die mit Kriegsruestungen nichts zu tun hatte, die letzten Rohstoffe und Maschinen weggenommen hat... Und Bischof Wurm schreibt weiter: Man hat schon einmal den Frieden sichern wollen dadurch, dass man dem Besiegten die Moeglichkeit, sich wieder zu erheben durch ungeheure Reparations-Lasten und durch Abtrennung wirtschaftlich wichtiger Gebiete nehmen wollte. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Massnahmen den Geist des Widerstandes geweckt und das deutsche Volk für die Ideologie des Nationalsozialismus empfaenglich gemacht haben... Soweit Bischof Wurm. Nun, was soll der einfache Englaender - oder vielmehr der einfache englische Christ - von diesen Bemerkungen halten? Zunaechst einmal trifft es natuerlich zu, dass die deutsche Industrie seit dem Abschluss und als Folgeerscheinung des Krieges haeufig ihre Rohstoffe und auch ihre Maschinen verloren hat. Ich moechte Bischof Wurm allen Ernstes fragen, ob er etwas anderes erwartet hat. Ganz abgesehen von der Tatsache, 341 3E3 (S. 304ff.).

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dass in den ersten Tagen und Wochen der Besetzung Deutschlands alliierte Soldaten aus dem Gefuehl der Erbitterung heraus ueber das, was sie mit eigenen Augen in den frueher besetzten Gebieten gesehen hatten, dass diese alliierten Soldaten und dazu noch Zwangsarbeiter zweifellos nicht die noetige Achtung vor deutschem Eigentum und deutschem Material besassen - eine Tatsache, die durch Schaedigung des deutschen Erzeugungs-Potentials nicht nur fuer Deutschland selbst von Nachteil war, sondern fuer die ganze Welt (wie die Welt in ihrer Gesamtheit heute wohl erkannt hat) - ganz abgesehen davon und ohne Bezugnahme auf die gesetzlichen Rechte eines Siegers frage ich: Ist Bischof Wurm der Ansicht, die englischen Christen sollten daran Anstoss nehmen, dass Deutschlands industrielle Hilfsquellen dazu benutzt wurden, einen Beitrag zu leisten - und zwar einen voellig unausreichenden Beitrag - bei der Wiedergutmachung der Zerstoerungen, die deutsche Armeen den industriellen Hilfsquellen der Alliierten Grossbritanniens zugefuegt haben? Wir in London haben immer wieder gesagt - schon lange vor dem Mai 1945 - das Ende des Krieges wuerde Elend und Mangel fuer g a n z Europa bedeuten. Das ist inzwischen eingetroffen, und die ganze Welt tut alles, was in ihren Kraeften steht, um diese weltumspannenden Misstaende zu beheben. U n w e i g e r l i c h musste Deutschland zu einem der Hauptleidtragenden werden, weil dieser Krieg, der genau wie der erste Weltkrieg mit dem Ausschwaermen deutscher Armeen ueber viele Laender begann, die dann zum Schauplatz blutiger Kaempfe wurden und Verwuestungen und Zerstoerungen ueber sich ergehen lassen mussten, weil dieser Krieg im Gegensatz zum ersten Weltkrieg in Deutschland selbst seinen Abschluss fand. Unweigerlich muss auch Deutschland, als unser Hauptgegner in Europa, den letzten Platz einnehmen auf der Liste der europaeischen Empfaenger alliierter Unterstuetzung. Man frage heute den englischen Mann auf der Strasse, ob er bereit ist, weitere Lebensmittel-Entbehrungen aufzunehmen, schlimmer noch als jemals waehrend des Krieges, um damit dem leidenden und hungernden Europa zu helfen; er wird Ja sagen, muerrisch zwar, aber doch Ja, selbst wenn er kein ueberzeugter Christ ist. Aber wenn man von ihm verlangt, er solle seinen Feinden den Vorrang geben vor seinen Freunden - er soll dafuer sorgen, dass deutsche Maschinen nicht abtransportiert werden, um an die Stelle zerstoerter tschechischer oder franzoesischer oder russischer Maschinen zu treten, so wird er dafuer, offen gesagt, recht wenig uebrig haben. Er wird fragen, welches Gebot des Christentums etwa fordert, dass man seinen Feinden Gutes tun solle a u f K o s t e n s e i n e r Freunde. Und das bringt mich zum zweiten Hauptpunkt von Bischof Wurms Brief an die englischen Christen - zu der Frage ueber die Geschehnisse nach dem letzten Krieg und ueber die Reparationslast, die Deutschland im Versailler Ver-

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trag auferlegt wurde. Ich bin davon ueberzeugt, dass Bischof Wurm - und ich sage das nach reiflicher Ueberlegung und in dem Bewusstsein, dass er einer der fuehrenden Christen im heutigen Deutschland ist - ich bin davon ueberzeugt, dass Bischof Wurm nur wenig davon weiss, was sich nach dem letzten Krieg in Wirklichkeit ereignet hat, und dass er zweifellos unwissentlich eine vollstaendig erlogene Schilderung der Vorgaenge in sich aufgenommen hat. Ich moechte einmal eine Reihe von unanfechtbaren historischen Tatsachen auffuehren. Erstens: Es ist nicht wahr, dass die Alliierten in Versailles Deutschland die Zahlung von Reparationen auferlegten, "um ihrem besiegten Gegner die Moeglichkeit zu nehmen, sich wieder zu erheben". Die Reparationsbestimmungen von Versailles sollten Frankreich, Belgien und den anderen Maechten der Entente dabei behilflich sein, sich von einem Krieg zu erholen, der ausschliesslich auf nicht-deutschem Gebiet ausgefochten wurde, und die Hoehe der Reparations-Summe wurde ausschliesslich im Hinblick auf dieses Ziel festgesetzt. Zweitens: Und davon ausgehend: Die Deutschland auferlegten ReparationsZahlungen waren n i c h t "ungeheuer" nach modernen Geschichtsbegriffen. Die Gesamtsumme belief sich auf etwa 2 Mark wöchentlich pro Kopf der deutschen Bevoelkerung. Das war nur h a l b so viel wie Hitler sich bruestete, allein in den ersten 6 1/2 Jahren des nationalsozialistischen Regimes fuer Ruestungszwecke ausgegeben zu haben. Es war kaum mehr als ein Drittel der Summe, die Deutschland von Frankreich eintrieb waehrend der vierjaehrigen Besatzungszeit durch die deutsche Armee von 1940 bis 44. Ich will damit nicht sagen, dass die Reparationspolitik der Alliierten gegenueber Deutschland nach dem letzten Krieg weise oder vernuenftig war. Im Gegenteil, waehrend der Kriegsjahre haben meine Kollegen am Londoner Rundfunk und ich immer wieder von den Fehlern gesprochen, die die Alliierten im Jahre 1919 begangen haben und zu Beginn der zwanziger Jahre was viele Millionen Deutsche bestaetigen koennen, die uns waehrend des Krieges zugehoert haben. Aber jeder, der von den Reparationsklauseln des Versailler Vertrages in einem Ton spricht, als seien sie eine drueckende Wirtschaftsbelastung des deutschen Volkes, ein Werkzeug zu seiner dauernden Schwaechung und Knechtung gewesen - der beweist damit, dass er niemals diese Klauseln naeher studiert hat, noch die Art und Weise, wie sie in der Praxis angewendet wurden. Denn - und das ist der historische Punkt Nummer drei - die deutschen Reparationsleistungen waehrend der zwanziger Jahre wurden mehr als wett gemacht und ausgeglichen durch alle Arten von Anleihen, die Deutschland waehrend dieser Zeit von der Aussenwelt erhielt. Ich will hier nur eine Zahl

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erwaehnen: In den Jahren zwischen dem Ende des 1. Weltkrieges und dem Sommer 1930, also in einem Zeitraum von 11 bis 12 Jahren, entrichtete Deutschland auf Konto Reparationen eine Barsumme von 10 Milliarden Goldmark. Waehrend der gleichen Zeit e r h i e l t Deutschland von der Aussenwelt in Gestalt von oeffentlichen oder privaten Darlehen nicht weniger als 30 Milliarden Mark, also das Dreifache. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus war das alles hoechst ungesund, wie jeder Sachverstaendige mit Recht bemerken wird. Und es eruebrigt sich fast zu erwaehnen: Deutschlands Glaeubiger aus dieser Zeit haben ihre Darlehenssummen nicht in vollem Umfang zurückgezahlt bekommen. Aus all dem geht klar hervor: Man kann diese Reparationen nicht als eine "ungeheure Belastung der deutschen Wirtschaft" betrachten, wenn sie waehrend dieser ganzen Zeit um das Dreifache wieder wettgemacht wurden durch Einzahlungen aus der Aussenwelt. Darueber hinaus - historische Tatsache Nummer 4 - weder die Reparationszahlungen noch die "Abtrennung wirtschaftlich wichtiger Gebiete" haben Deutschland auch nur im geringsten daran gehindert, sich nach dem letzten Krieg wieder zu erheben. Nicht nur war der Lebensstandard der Bevoelkerung in diesen Jahren hoeher als zu irgend einem anderen Zeitpunkt der deutschen Geschichte, sondern die geheimen Herrscher Deutschlands waren auch imstande, ein recht umfangreiches Programm der geheimen Wiederaufruestung vom Stapel zu lassen. Wohl hoerte gegen Ende der zwanziger Jahre diese Periode des Wohlstandes auf. Aber das war, wie jedermann weiss, eine Folgeerscheinung der Weltwirtschaftskrise, die alle Industriestaaten des Westens traf, und die uebrigens Deutschland weniger schwer zu schaffen machte als beispielsweise den Vereinigten Staaten von Amerika. Zu behaupten oder anzudeuten, dass die wirtschaftlichen Haerten der ersten dreissiger Jahre zurueckzufuehren seien auf eine scheinbar untragbare Reparationslast, steht im glatten Widerspruch zu den historischen Tatsachen - so etwas zu behaupten, d.h. Zuflucht suchen in der Maerchenwelt des Nationalsozialismus. Bischof Wurm bringt dann in seinem Brief eine Erklaerung, die ich nur als eine unmittelbare Bedrohung der Siegermaechte bezeichnen kann. Wenn Deutschland jetzt nach seiner Niederlage im 2. Weltkrieg hart angefasst wird, dann werden, wie es Bischof Wurm nennt, "die boesen Geister der Rache und Vergeltung" in seinem Innern wieder erwachen. Mit anderen Worten: Behandelt uns anstaendig oder [ihr] werdet's zu buessen haben. Nun, es ist nicht meine Aufgabe zu beurteilen, ob das eine christliche Lehre ist. Ich haette mir wohl gedacht, dass ein wahrer Christ, wenn er die Unterstuetzung und Vergebung seiner Mitmenschen braucht, an ihre christ-

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liehe Barmherzigkeit appelliert, und nicht versucht, sie zum Vergeben und Vergessen zu bewegen, indem er ihnen Furcht einjagt. Aber hiervon abgesehen bitte ich Bischof Wurm und jeden anderen Deutschen, der dieses Argument benutzt, das Argument: "behandelt uns anstaendig oder ihr werdet's zu buessen haben": Ich moechte Sie bitten, sich objektiv zu ueberlegen, welche Wirkung ein solches Argument auf diejenigen hat, an die es gerichtet ist. Welche Wirkung es auf mich und meine Bekannten gehabt hat, das kann ich hier sagen. Meine Reaktion war: Schoen, wenn das der deutsche Standpunkt ist, dann muessen wir noch schaerfere Massnahmen ergreifen, damit Deutschland schwach bleibt; so lange wie die Deutschen solche Gedanken im Kopf haben - Gedanken der Rache und Vergeltung - so lange muss Deutschland unter Kuratel gestellt bleiben, - so lange kann es nicht als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der Voelker aufgenommen werden. Das, wie ich schon sagte, ist unsere Reaktion, - es ist weder eine besonders christliche noch eine besonders anti-christliche Einstellung; es ist einfach eine Einstellung der Selbstverteidigung, der Weigerung, sich einschuechtern zu lassen. Die Tatsache ist nun mal: Je mehr Deutsche wie Bischof Wurm mit Rache und Vergeltung drohen, um so laenger wird es dauern, bis ein wirklicher Frieden und wirkliche Gleichberechtigung wieder besteht zwischen Deutschland und seinen Besiegern. Mein eigener Standpunkt in dieser Frage ist klar und ich glaube, er wird von der Mehrzahl aller Englaender geteilt. Wir wuenschen den Tag herbei, wo Deutschland nicht mehr niedergehalten und unter Kuratel gestellt ist. So lange dieser Tag nicht erreicht ist, so lange kann es auch keinen wahren Frieden geben, sondern nur einen Burgfrieden. Aber wir koennen und wollen Deutschland nicht von unserer Vormundschaft befreien, so lange wir ihm nicht trauen koennen. Und wir koennen Deutschland nicht trauen, so lange es an "Rache und Vergeltung" denkt. Aus diesen Gruenden bin ich der Meinung, dass Bischof Wurm mit seinem offenen Brief an die englischen Christen, sicherlich ohne es zu wollen, der Sache des Voelkerfriedens und der Voelkerfreundschaft keinen guten Dienst erwiesen hat. 3E5. Schreiben Asmussens an die British Broadcasting Corporation. Schwäbisch Gmünd, 15. Februar 1946 F: LKA Stuttgart, Dl/210

(hektographierte Abschrift).

Der Londoner Rundfunk hat sich mehrfach mit dem Briefe befaßt, den die deutsche Christenheit durch Herrn Bischof Wurm als Vorsitzer des Rates der EKD. in Beantwortung der Ansprache des Herrn Erzbischof von Can-

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terbury an die Christen in England gesandt hat. Es ist zu begrüßen, daß dieser Brief ein Gespräch ausgelöst hat. Zwar war er an die Christen in England gerichtet und ihre Antwort steht noch aus. Aber wir sind auch dankbar für die Antwort, die wir von einer so wichtigen Stelle der politischen Propaganda, wie es der Londoner Rundfunk ist, bekommen. Wenn ich recht verstanden habe, hat der Londoner Rundfunk vor allem an drei Aeußerungen Anstoß genommen: 1. Bischof Wurm hatte geschrieben: "Die militärische Eroberung und Besetzung unseres Landes war mit alle [ sief] den Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung verbunden, über die man sich in den Ländern der Alliierten mit Recht beklagt hat." Dieser Satz ist so verstanden worden, als ob er sich einseitig gegen die Soldaten der Westmächte wende. Darauf antwortet der Londoner Rundfunk: Im Unterschied von der deutschen Armee wird bei uns jeder Soldat, der sich Uebergriffe erlaubt, zur Bestrafung herangezogen. Ich verstehe nicht, wie man aus den Worten herauslesen konnte, daß sie sich allein gegen die Soldaten der Westmächte wenden. Wir wissen doch, daß die Alliierten als eine Einheit gesehen werden wollen. Wenn wir jetzt die Christen in England anreden, so sprechen wir zu ihnen im Blick auf alles, was von a l l e n alliierten Truppen bei der Besetzung deutschen Landes geschehen ist und noch geschieht, mag es sich nun um Russen oder Amerikaner, um Polen oder Engländer handeln. Die Alliierten haben selbst oft genug ausgesprochen, daß ihnen dieser Maßstab erwünscht ist. Wir sind überzeugt, daß die Christen in England sich ebensowenig der Mitverantwortung zu entziehen gedenken für alles das, was Polen und Tschechen tun, wie wir Christen in Deutschland die Mitverantwortung abweisen für das, was die Nazis taten. Diese Mitverantwortung liegt weniger auf dem Boden des Moralischen, als daß sie eine Verantwortung vor Gott ist, der auch das zur Rechenschaft zieht, was mit moralischen Maßstäben nicht mehr erfaßt werden kann. Wir wissen sehr wohl, daß es alliierte Armeen gibt, in den - vor allem in der kämpfenden Truppe viel Mühe darauf verwendet worden ist, die Zivilbevölkerung vor Uebergriffen zu schützen, wie es auch in der deutschen Armee Truppenteile gab, die sich korrekt verhalten haben. Aber wir sind gewiss, dass dies das Neue in der geschichtlichen Situation ist, in der wir stehen: Wir Menschen lernen, daß es eine Gesamtverantwortung gibt, und die Christen sind der Ueberzeugung, daß diese Lektion gut und nötig ist. Die Frage, welche wir den Christen in England vorlegen, und für die wir jetzt auch vom Londoner Rundfunk eine Antwort erwarten dürfen, wenn er sich freundlichst in das Gespräch einschaltet, ist diese:

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Herrscht zwischen den Gutwilligen hüben und drüben darüber Einverständnis, daß niemand schon dadurch gerechtfertigt ist, wenn er sich für seine Person schuldlos hält, solange seine Volksgenossen und Bundesgenossen, von denen er sich nicht löst und nicht lösen kann, sich in Schuld verstricken? Wir würden uns freuen, wenn wir auch mit dem Londoner Rundfunk darin einer Meinung sind, daß das so ist. 2. Bischof Wurm hatte geschrieben: "Die vielfachen Aufforderungen an das deutsche Volk, nun sich wieder emporzuarbeiten, klingen überall da wie Hohn, wo man der deutschen Industrie, auch derjenigen, die mit Kriegsrüstung nichts zu tun hat, die letzten Rohstoffe und Maschinen weggenommen hat." Herr Frazer 342 versteht den Satz als eine Beschwerde darüber, daß die Alliierten sich an der deutschen Industrie schadlos halten für das, was sie von uns erlitten haben. Er fragt, ob das etwa ein christliches Gebot sei, daß man lieber das eigene Volk leiden ließe als den Feind, der den Schaden angerichtet hat. Herr Frazer hätte sich überzeugen können, daß dieses nicht die Meinung des Briefes an die Christen in England ist. Er konnte in diesem Brief den Satz lesen: "Wir sind uns dessen klar bewußt, daß unsere Städte nicht in Trümmern liegen und unsere Volksgenossen nicht auf den Landstrassen Hungers sterben und unsere Soldaten nicht in den Gefangenenlagern hinwelken würden, wenn nicht vorher Millionen anderer Menschen dasselbe hätten durchmachen müssen". Wir sind also nicht der Meinung, daß das deutsche Volk sich der Verantwortung für das entziehen darf, was unter der Führung der Nazis geschehen ist. Wir sind aber überzeugt, daß es über die Kriegsindustrie und über die unvermeidlichen Reparationen hinaus ein großes Gebiet des Wirtschaftslebens gibt, dessen Wiederaufleben den Alliierten nichts schaden würde, das aber noch vollkommen darniederliegt, obgleich das deutsche Volk sich von Herzen gerne daranmachen würde, es wieder zu bauen. Wir sind der Meinung, daß es ein verhängnisvoller Mißgriff und eine neue Quelle der Schuld sein würde, wenn das deutsche Volk gehindert würde, die ganz wenigen Möglichkeiten, die ihm noch geblieben sind, bis zum letzten auszukaufen und sie schnell auszukaufen. Nun müssen wir die Christen in England und auch Herrn Frazer fragen: Herrscht darüber Einverständnis, daß es ein Gebot der Gerechtigkeit ist und 342 Vgl. den Wortlaut der von Lindley Fräser S. 307-311).

moderierten Sendung vom 14. Februar 1946 (3E4,

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doch wohl auch ein Gebot der Klugheit, dem deutschen Volke innerhalb der Strafmaßnahmen, die man verhängt, alle denkbaren Chancen zu lassen? Ein Gebot der Gerechtigkeit, - denn Strafe ist, solange sie unter sittlichen Maßstäben steht, immer eine begrenzte Strafe. Der Bestrafte hat außerhalb der Strafe seine Freiheit - es sei denn, daß man ihn mit dem Tode bestraft. Und selbst dann hat der Bestrafte das Recht zu wissen, ob die Todesstrafe über ihn verhängt ist. Es ist aber auch ein Gebot der Klugheit, denn je lebensfähiger das deutsche Volk ist, desto mehr besteht die Aussicht, daß es gut machen kann, was es unter Führung der Nazis anrichtete. Was wir an offiziellen Verlautbarungen von Seiten der Alliierten gehört haben, das spricht dafür, daß dieser Grundsatz gelten soll. Wir würden nun über diese Dinge nicht sprechen, wenn wir im praktischen Handeln sehen könnten, daß dieser Grundsatz auch wirklich zum Tragen kommt. 3. Bischof Wurm hat geschrieben: "Wenn jetzt die nur mit sichtbaren Grössen rechnenden Politiker wieder nach denselben Rezepten verfahren und Deutschland möglichst klein und schwach, seine Nachbarn groß und stark machen wollen, so werden sie damit die bösen Geister der Rache und Vergeltung nicht aus der Welt schaffen". Herr Frazer hat diesen Satz stark verändert und hat ihn als eine Drohung verstanden. Ich kann es nicht begreifen, wie er diesen Satz wörtlich so übersetzen konnte: "Behandelt uns anständig, oder Ihr werdet es zu büßen haben". Wer den Brief in seinem Zusammenhang liest, wird eine Drohung und wohl gar eine solche Drohung aus diesen Worten nicht wohl herauslesen können. Den Christen in England sollte folgendes gesagt sein: Die Alliierten sind nach Deutschland gekommen, um Richter und Erzieher des deutschen Volkes zu sein. N u n haben sie seit neun Monaten sich um diese Erziehungsaufgabe bemüht. Mit innerster Leidenschaft nehmen die Christen in Deutschland, und wie wir aus vielen Aeußerungen wissen, auch die Christen in aller Welt, Anteil an dem von den Alliierten unternommenen Werke. Die verantwortlichen Männer der Kirche in Deutschland halten sich für verpflichtet, unseren Brüdern in England und in aller Welt zu sagen: Die bisher angewendeten Erziehungsmethoden haben nicht zu dem gewünschten Erfolge geführt. Sie haben sogar oft das Gegenteil von dem erreicht, was sie anstrebten. Sollten wir das lieber nicht aussprechen? Sollten wir den Dingen lieber ihren Lauf lassen? Sollten wir lieber warten, bis andere dasselbe sagen, andere, die vielleicht nicht getragen und gezügelt sind von Gottes ewigem Worte? Die Christen des Auslandes fragen uns bei jeder Berührung, die wir mit ihnen haben, welche inneren Bewegungen im deutschen Volke seit dem Zusam-

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menbruch festgestellt werden können. Man muß es uns schon glauben, daß wir uns bemühen, Antworten zu geben, die bestimmt sind durch unseren Amtseid und nicht durch das, was die öffentliche Meinung vielleicht gerne hören möchte, und auch ungeachtet dessen, was politische Mächte von uns denken mögen. Herr Frazer zieht aus der Drohung, die er in dieser Aeußerung sieht, eine Folgerung: Wenn ihr Deutschen so sprecht, dann könnt Ihr uns noch von einer ganz anderen Seite kennen lernen, dann werden wir Euch zeigen, dass wir noch mit ganz anderer Härte als bisher verfahren können. Ich glaube, daß die Christen seines Landes so nicht antworten würden. Ich glaube, daß auch er selbst bei ruhigem Nachdenken sowohl von dem Verständnis, welches er unseren Worten gibt wie auch von den Folgerungen, welche er daraus zieht, Abstand nehmen würde. Wenn ein Erzieher sieht, dass seine Methoden nicht zum Ziele führen, dann pflegt er seinen Zögling nicht tüchtig zu verprügeln, um es dann erst recht mit den alten Methoden noch einmal zu versuchen. Er wandelt seine Methoden, selbst wenn er der Uberzeugung ist, daß der Mißerfolg ganz allein auf Konto seines Zöglings geht. Ich glaube, daß Herr Frazer in diesem Erziehungsgrundsatz mit mir einig geht. Wir streiten ja nicht um Worte, sondern hinter unseren Worten liegt die Verantwortung für das Leben und die Seligkeit von Millionen. Die Menschheit macht zögernd den Versuch, das Verhältnis der Völker untereinander auf eine andere Grundlage zu stellen als bisher. Die Alliierten haben sich vorgenommen, Richter und Erzieher der Deutschen zu sein; ich bin nicht gesetzt, daran Kritik zu üben. Ich habe mich einzufügen. Wenn ich mich aber einfüge und damit ernst mache, daß ich Glied eines unterworfenen Volkes bin, wenn ich mir zu gleicher Zeit vergegenwärtige, daß ich ein geweihter Diener der Kirche bin und zu ihrer Leitung gehöre, dann muß ich schon darauf aufmerksam machen, welche Erfolge oder Mißerfolge bisher erzielt worden sind. Nach der ganzen Haltung, welche der Londoner Rundfunk bisher an den Tag gelegt hat, habe ich die Zuversicht, daß ich bei ihm auf Verständnis stoße. Ich freue mich darauf, den Vertreter des Londoner Rundfunks zu sehen, wenn er, wie in Aussicht gestellt, Herrn Bischof Wurm aufsuchen wird. Denn wir dürfen keine Gelegenheit versäumen, zu einem besseren Verstehen untereinander zu kommen. So begrüße ich Sie denn als Ihr ganz ergebener gez. Asmussen DD.

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3E6. Schreiben Wurms an Zänker. Stuttgart, 16. April 1946 F: LKA Stuttgart, Dl/212

(Entwurf).

Lieber Bruder Zänker! Ihre Bitte, der Rat der EKD möchte seine Zustimmung zur Wiederaufnahme Ihres Amtes in Schlesien geben, vermag der Rat leider nicht zu entsprechen, weil er dazu keine Legitimation hat. Als Generalsuperintendent mit dem Titel Bischof unterstanden Sie der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Altpreussischen Union. Ich kann Ihnen also nur den Rat geben, sich in der Frage der Wiederaufnahme Ihres Amtes an diese Kirchenleitung zu wenden, die dafür allein zuständig ist. Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Ansicht fragen, so meine ich, dass die Leitung der schlesischen Kirche nur in Schlesien selbst ausgeübt werden kann. Voraussetzung für die Uebernahme der Leitung durch Sie wäre also Ihre Rückkehr nach Schlesien. Zu einer solchen Rückkehr aber würde ich mich erst dann entschliessen, wenn Sie einen Auftrag der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Altpreussischen Union erhalten haben und wenn Sie des Rufes der jetzigen schlesischen Kirchenleitung und der noch in Schlesien amtierenden Pfarrer gewiss sein können. Die sich diesseits der Oder-Neisse über Deutschland verstreut aufhaltenden schlesischen Pfarrer können keine schlesische Kirche und also auch keine schlesische Kirchenleitung bilden und setzen. Sie unterstehen, unbeschadet der Aufrechterhaltung brüderlicher Gemeinschaft untereinander und mit ihren ebenfalls zerstreuten Gemeinden, der Leitung d e r Landeskirche, in der sie sich zur Zeit aufhalten oder von der sie einen Dienstauftrag haben. Ich würde es daher begrüssen, wenn Sie - solange Sie noch keinen Auftrag zur Wiederaufnahme Ihres Amtes in Schlesien erhalten haben - mit dazu helfen könnten, den jetzt diesseits der Oder-Neisse lebenden Pfarrern aus Schlesien die innere und äussere Eingliederung in die Kirche ihres jetzigen Aufenthalts zu erleichtern. Der Gedanke einer schlesischen Kirche ausserhalb Schlesiens scheint mir weder theologisch noch historisch gerechtfertigt zu sein. Für die in Schlesien selbst weiter lebende schlesische Kirche wäre viel getan, wenn die im Reich befindlichen schlesischen Pfarrer sich mit ihren Gebeten und mit ihrer Kraft zu ihrer schwer ringenden Heimatkirche und ihrer Kirchenleitung in Breslau stellten. Gott gebe, dass den schwer heimgesuchten schlesischen Gemeinden und ihren Pfarrern eine Rückkehr in ihre Heimat geschenkt werde und dass die noch in Schlesien verbliebenen Gemeinden und Pfarrer ihrer Heimat erhalten bleiben. Das ist unser aller tägliche Fürbitte für unsere Brüder und Schwestern im Osten.

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Seien Sie gewiss, verehrter, lieber Bruder Zänker, dass wir herzlich teilnehmen an der Not, die über Ihre Heimat gekommen ist, und an den Sorgen, die Sie selbst bewegen. Ihnen und Ihrer verehrten Gattin herzliche Grüsse, auch von meiner Frau Ihr 3E7. Schreiben Zänkers an den Rat. Minden, 7. Januar 1947

F: LKA Stuttgart, Dl/214 (Abschrift, am 28. Februar 1947 von der Kirchenkanzlei den Ratsmitgliedern mit dem Hinweis übersandt, daß das Schreiben "zuständigkeitshalber der Kirchenleitung der Altpreussischen Union weitergeleitet" worden sei). Die Evangelische Kirchenleitung von Nieder- und Oberschlesien hat mir folgende Erklärung der Synode der evangelische Kirche von Schlesien vom 23.7.1946 mitgeteilt: "Der schlesische Pfarrerverein hat sich an die Evangelische Kirchenleitung in seiner Eingabe vom 7.5.46 gewandt mit der dringenden Bitte, 'unter allen Umständen und sofort einen Weg der kirchlichen Zusammenarbeit mit Herrn Bischof D. Zänker zu finden', in dem der Schlesische Pfarrerverein nach wie vor den legitimen Bischof sehe. Dazu nimmt die Synode der Evangelischen Kirche von Schlesien, Breslau 1946, Stellung und gibt folgende Erklärung: Bischof D. Zänker hat Ende Januar 1945 in einer Stunde höchster Gefahr die Kirchenprovinz Schlesien verlassen und ist bis jetzt nicht wieder zurückgekehrt. Wenn D. Zänker seine im Jahre 1941 erfolgte Pensionierung nie anerkannt hat, so stellen seine Abreise und sein Fernbleiben eine schwere Verletzung der dem höchsten Geistlichen der Kirchenprovinz obliegenden Amtspflichten dar. Denn bei Nichtanerkennung seiner Pensionierung musste er sich auch Ende Januar 1945 als im Amt befindlicher Bischof betrachten und durfte unter keinen Umständen seinen Sprengel verlassen. Muss eine solche Verletzung der Amtspflichten angenommen werden, so hat sich D. Zänker seines Anspruchs, rechtmässiger Bischof zu sein, begeben. Muss aber angenommen werden, dass D. Zänker seine Pensionierung anerkannt hat, so ist ihm aus seinem Verlassen der Kirchenprovinz kein Vorwurf zu machen, dann ist aber auch sein Anspruch auf das Amt eines Bischofs von Breslau gegenstandslos." Gegen diese Erklärung der Synode lege ich Verwahrung ein. Ich gehe nicht darauf ein, dass die Synode in ihrer Zusammensetzung höchst anfechtbar war. Nicht vertreten waren in ihr 6 von 7 Synoden Oberschlesiens und die

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gesamten 5 Synoden der Oberlausitz. Ausserdem ruhte die Zusammensetzung durchaus nicht auf regelrechten Wahlen der Mitglieder. Zu solchen Wahlen war nach Lage der politischen Verhältnisse gar keine Möglichkeit mehr gegeben. Wichtiger ist mir, dass die Erklärung ohne vorherige Fühlungnahme mit mir beschlossen worden ist. Ich kann nicht annehmen, dass eine Unterhaltung mit Herrn Präses Hornig über die gesamte kirchliche Lage Schlesiens im Sinne der synodalen Erklärung verwertet worden sein könnte. Hatte diese Unterhaltung doch schon am 25.4.1946 stattgefunden und sich in meiner Wohnung in ganz brüderlich-freundschaftlicher Form vollzogen, sodass ich keine Veranlassung hatte, mich zu der für die Erklärung entscheidenden Frage näher zu äussern. Für die Beurteilung der Erklärung ist ferner folgendes wichtig. Am 23.9.1946 baten mich gelegentlich meiner Anwesenheit in Görlitz die Herren Oberkirchenrat Dr. Berger und Präses Kellner zu einer Besprechung über die Frage des Zusammengehens der Breslauer Kirchenleitung mit mir. In der Besprechung gab ich zu bedenken, dass die Synodalerklärung und die nachfolgende Ernennung Präses Hornigs zum Bischof von Schlesien ein Hemmnis für unsere Zusammenarbeit bedeute, die ich im übrigen nur begrüssen könne. Dr. Berger erklärte mir daraufhin mit Nachdruck, dass beide Beschlüsse, besonders der der Bischofsernennung, ihm wie auch vielen Theologen der Synode ganz ausserordentlich unangenehm seien. Er habe deshalb Anweisung gegeben, die Synodalbeschlüsse nicht zu vervielfältigen und nicht bekanntzugeben. Im gleichen Sinne äusserte sich Dr. Berger am folgenden Tage noch einmal. Inzwischen sind beide Beschlüsse der Synode, der über die Stellungnahme mir gegenüber und die Ernennung Präses Hornigs zum Bischof, weiteren Kreisen bekanntgeworden. Die Bischofsernennung liegt sogar in einem amtlichen Druck vor. Darum kann ich die Verwahrung gegen die synodale Erklärung, die eine unerhörte Äusserung einer sich verantwortlich wissenden Synode darstellt, nicht länger zurückhalten. gez. Zänker

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3E8. Schreiben Asmussens an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 17. Dezember 1945 F: LKA Hannover, L 3 II Nr. 14 Bd. IIb (D).

Sehr verehrte Herren und Brüder! Der Gang der letzten Sitzung bewegt mich innerlich stark. Darum schreibe ich heute schon Folgendes: 1.) Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, liegt nicht in der Kanzlei, sondern im Rat selbst. Wir haben kein von allen Ratsmitgliedern geteiltes Selbstverständnis des Rates. Darum verstehen wir auch die Aufgaben der Kanzlei so unterschiedlich. Es ist dringlich, dass wir gelegentlich der nächsten Sitzung darüber sprechen. 2.) Ich muss schon heute darauf aufmerksam machen, dass ich ausser Stande bin, die Auslegung des Begriffes: "Eingriff in die Selbständigkeit der Landeskirchen", wie sie sich bei uns durchzusetzen schien, zu teilen und meine Arbeit danach auszurichten. Die Gemeinde erwartet von uns anderes. Das geht aus der inzwischen eingegangenen Post wieder einwandfrei hervor. Das schliesst nicht aus, dass ich mich bis zur nächsten Sitzung möglichst an die gelegentlich dieser Sitzung geäusserten Meinungen halten werde. 3.) Die Tatsache, dass der Rat in den meisten seiner Glieder die Angriffe Brunottes gegen mich ohne Prüfung als berechtigt unterstellte, wenn auch ohne ausdrücklichen Beschluss, ist nicht erträglich. Der Rat ist nicht arbeitsfähig, wenn das Organ, das seine Angelegenheiten bearbeitet, unter das Gesetz gestellt wird: Wenn Du Widerspruch findest, hast Du a limine Unrecht. Dass ich mich nicht weigere, Kritik zu hören, habe ich, wie ich glaube, unter Beweis gestellt. Mit herzlichen und brüderlichen Grüssen Ihr ergebener

4 Frankfurt/Main, 30. und 31. Januar 1946 Ort: Beginn: Ende: Teilnehmer:

Protokollant:

Diakonissenhaus, Schwarzwaldstr. 13. Mittwoch, 30. Januar 1946. Donnerstag, 31. Januar 1946. Asmussen, Benn (verspätet), Dibelius (verspätet), Hahn, Heinemann, Held, Lilje (verspätet), Meiser, Merzyn, Niemöller, Niesei, Smend, Wurm. Schwarzhaupt, Merzyn. 4A Vorbereitung der Sitzung

4A1. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 3. Januar 1946 F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (O). Sehr verehrte Herren und Brueder! Die naechste Sitzung des Rates der EKD findet statt in Frankfurt am gewohnten Orte am 30. und 31. Januar 1946. Ich lade Sie hiermit ausdruecklich noch einmal zu dieser Sitzung ein. Die kommende Sitzung wird ganz der Aufgabe gewidmet sein, ueber den Kurs Klarheit zu schaffen, den der Rat der EKD zu steuern hat. Solange ueber diesen Kurs keine Klarheit herrscht, haengen alle unsere Arbeiten, nicht zuletzt die Arbeit des Verfassungsausschusses, in der Luft. Hinsichtlich des Aufbaus der EKD stehen wir vor allem vor drei grossen Aufgaben: Es geht zuerst um die konfessionelle Frage, die ja bereits mit grossem Nachdruck von den Kirchen des Lutherischen Rates [muß heißen: Lutherrates] in Angriff genommen worden ist. Im engsten Zusammenhang damit steht die Frage nach dem Schicksal der Altpreussischen Union und damit aller Unionen im Gebiet der EKD. Mit beiden Fragen auf das engste verflochten ist die Aufteilung, welcher das Gebiet der EKD durch die Trennung in einen oestlichen und einen westlichen Teil unterliegt. Es ist zweifellos notwendig, dass der Rat die Frage prueft, wieweit er auf allen diesen Gebieten zu einer einheitlichen Schau der Dinge kommen kann und also bestimmte Ziele zu verfolgen in der Lage ist. Es wird unsere Auf-

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gäbe sein, gelegentlich der Tagung in Frankfurt nach Moeglichkeit zu solchen Ergebnissen zu kommen, die sich zur Mitteilung an die Landeskirchen und Bruderraete, ev[entuell] auch zur Mitteilung an die Oeffentlichkeit eignen werden. Nach Ruecksprache mit dem Vorsitzer, Herrn Landesbischof D. Wurm, bitte ich, dass das Mitglied des Rates, Landesbischof D. Meiser ein einleitendes Kurzreferat ueber die konfessionelle Frage haelt. Ich bitte das Mitglied des Rates, Lic. Niesei, ein Korreferat von reformierter Sicht aus zu halten. Das Mitglied des Rates, Superintendent Held, wird gebeten, zur Frage der Altpreussischen Union das Wort zu nehmen. Das Mitglied des Rates, Herrn Bischof D.Dr. Dibelius, bitte ich, Stellung zu nehmen zu den Problemen, die sich aus der Aufteilung der EKD in einen oestlichen und einen westlichen Teil ergeben. An diese Referate wuerde sich dann die Besprechung anschliessen. Sehr erwuenscht waere es, wenn die Referate in Entwuerfe von Entschliessungen ausmuendeten, die der Rat fassen koennte. Von besonderer Wichtigkeit wird die kommende Tagung daher sein, weil sie unmittelbar vor der Oekumenischen Tagung in Genf stattfinden wird1. Unsere Vertreter, die nach Genf gehen, werden fuer richtungweisende Parolen besonders dankbar sein. Aus diesem Grunde bitte ich das Mitglied des Rates, Herrn Pfarrer Niemoeller DD., um ein Kurzreferat zur oekumenischen Frage. Dabei waere besonders zu beruecksichtigen, dass die oekumenische Frage gegenwaertig in drei Unterfragen zerfaellt: a) Das Verhaeltnis zu den Auslandskirchen, b) Das Verhaeltnis zu den Auslandsgemeinden, c) Das Verhaeltnis zu den Volksdeutschen Gruppen, soweit sie evangelisch sind. Alle Besprechungsgegenstaende, die darueber hinaus sich noch ergeben werden, werden gegenueber dieser grossen Aufgabe zuruecktreten muessen. Sollten sich in den naechsten beiden Wochen noch dringende Besprechungsgegenstaende dieser Art ergeben, werde ich sie den Mitgliedern des Rates rechtzeitig zugehen lassen. Ich begruesse Sie auf das herzlichste als Ihr ergebener Asmussen [m.p. ]

1

Vgl. dazu S. 32, Anm. 27.

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

4B Protokoll 4B1. Beschlußprotokoll F: ETA Berlin, 2/62 (H; den Ratsmitgliedern

am 6. Februar 1946 übersandt).

G: Mitschriften 1. Heinemann; 2. Meiser; 3. Smend.

Entschliessungen des Rates der EKD in seiner Sitzung am 30. und 31. Januar 1946. I. Zur Verfassung der EKD wurde folgendes Schreiben an die amerikanische Militärregierung beschlossen2: "Office of Military Government for Germany (U.S.) Office of the United States Secretary Allied Secretariat APO 742 Berlin Zum dortigen Schreiben vom 18. Dezember 19453 und zu der uns von der Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten übermittelten Frage erklären wir, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dieselbe kirchliche Körperschaft darstellt wie die bisher durch die Verfassung vom II. Juli 1933 geordnete Deutsche Evangelische Kirche (DEK)4. Die Organe dieser Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) sind mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates endgültig fortgefallen. An die Stelle dieser Organe ist nach dem Beschluss der Kirchenversammlung von Treysa5 der von Herrn Landesbischof D. Wurm geleitete Rat der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) getreten. Dies bringt die Ausführungsverordnung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 19. Okt. 19456 zum Ausdruck, von der wir Abschrift beilegen. Alle Rechte, einschliesslich der Vermögensrechte, sowie alle Pflichten, einschliesslich der Schulden der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK), werden von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fortgeführt und durch den Rat wahrgenommen.

2 3

4 5 6

Zur Diskussion über diesen Beschluß vgl. 4B3 S. 340ff.; vgl. dazu auch Asmussens Zusammenstellung "Zur Rechtslage der EKD" (4E1, S. 379-383). 4D1 (S. 375). Vgl. GB1DEK 1933, S. 2-6. In dem den Ratsmitgliedem vorliegenden Entwurf für dieses Schreiben hieß es:"[...] Kirchenkonferenz von Treysa bis auf Weiteres" (EZA BERLIN, 2/56; LKA NÜRNBERG, Meiser 120). 2C3 (S. 61f.)

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Der Rat wird eine neue Verfassung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) herbeiführen und Ihnen zur Kenntnis bringen. Vor amtlichen Verlautbarungen Ihrerseits zu Verfassungsfragen der Kirche bitten wir ein Einvernehmen mit uns herbeizuführen. Wir nehmen entsprechend dem von den alliierten Mächten zugesagten Grundrecht der freien Religions[i?«5]übung an, dass durch den letzten Absatz des Schreibens vom 18. Dezember 1945 betreffend die Rechte und Pflichten der Landeskirchen deren Freiheit zu autonomer Gestaltung ihrer inneren Ordnung, eine Freiheit, wie sie im Kampf gegen den Nationalsozialismus als von dem Bekenntnis unserer Kirche her geforderter Vollmacht verteidigt worden ist, nicht in Frage gestellt wird, gez. D. Wurm 7 " 2. Zur Konfessionsfrage wurde folgender Beschluss gefasst, der im Verordnungs- und Nachrichtenblatt veröffentlicht werden soll8. "Auf der Tagung des Rates der EKD 9 am 30. Januar 1946 wurde in eingehender Aussprache die Frage der Neuordnung der Verfassung der EKD besprochen. Hierbei wurde übereinstimmend festgestellt: 1. Gegenwärtig ist der Rat der EKD die einzige öffentlich rechtliche Vertretung der EKD. 2. Das Recht der Landeskirchen, sich untereinander enger zusammenzuschliessen, bleibt unbestritten 10 . 3. Es besteht Einmütigkeit darüber, dass durch solche Zusammenschlüsse die Einheit der EKD nicht preisgegeben werden soll." 3. Zur Frage der Ergänzungswahlen zum Rat der EKD wurde folgende 2. Ausführungsverordnung beschlossen, die im Verordnungs- und Nachrichtenblatt der EKD veröffentlicht werden soll11: 7

8

Wie die Kirchenkanzlei den Ratsmitgliedern am 6. Februar 1946 mitteilte, sei das Schreiben "noch nicht abgesandt worden, da sich zuvor noch Besprechungen mit amerikanischen Stellen als notwendig erwiesen haben. Weitere Nachricht darüber folgt. Wir bitten daher, dieses Schreiben zunächst noch vertraulich zu behandeln" (EZA BERLIN, 2/62).

VONB1 Nr. 7, Februar 1946. - Zur Diskussion über den geplanten Zusammenschluß der Lutheraner zu einer Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und deren Verhältnis zur EKD vgl. 4B2, S. 331-339; 4B3, S. 346f. 9 Im Entwurf für diesen Beschluß hieß es durchgängig "EKiD" (LKA NÜRNBERG, Meiser 120). 10 Im Entwurf lautete dieser Absatz: "Das Recht der Landeskirchen auf föderativen Zusammenschluß mit anderen Kirchen gleichen Bekenntnisses bleibt unbestritten" (EBD.). 11 VONB1 Nr. 9, März 1946. - Die Regelung von Ergänzungswahlen zum Rat war durch das vorzeitige Ausscheiden Meyers (vgl. dazu S. 208, Anm. 263f.) notwendig geworden. Vgl. dazu auch das Schreiben Meisers an Fleisch vom 11. Februar 1946 (4E2, S. 383f).

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

"Verordnung betreffend Ergänzungswahlen zum Rat der EKD am 31. Januar 1946. Der Rat der EKD ist berechtigt, bei Ausscheiden eines Mitgliedes eine Neuwahl zu treffen. Eine solche Wahl bedarf der Zustimmung aller anwesenden Ratsmitglieder." Ergänzend dazu wurde folgende Entschliessung des Rates zu Protokoll gegeben: "1. Die Zusammensetzung des Rates aus 6 Gliedern lutherischer Kirchen, 4 Gliedern unierter Kirchen und 2 Gliedern reformierter Kirchen muss gewahrt bleiben. 2. Das hinzuzuwählende Mitglied wird von der Gruppe vorgeschlagen, zu der das ausgeschiedene Mitglied gehört hat. Vorschlagberechtigt ist a. namens der Lutheraner die Bayerische Evangelisch-lutherische Landeskirche, b. namens der Unierten die Evangelische Kirche der Altpreussischen Union, c. namens der Reformierten die Lippische reform. Landeskirche. Es bleibt den vorschlagsberechtigten Landeskirchen überlassen, sich vor der Ausübung des Vorschlagsrechtes mit den übrigen Beteiligten ihrer Gruppe zu verständigen" 12 . 4. Zur Frage der Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen wurde folgendes Schreiben an den Kontrollrat der Alliierten Mächte in Berlin beschlossen: "Seit 9 Monaten schweigen die Waffen. Deutschland ist totwund. So schmerzlich die materiellen Folgen des Krieges für den Einzelnen sein mögen - die seelischen Bedrückungen wiegen schwerer. Ein ungeheures Mass an Leid lastet auf Millionen. In den letzten Monaten sind ehemalige deutsche Soldaten oft in elendem Zustand aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. Sie brachten letzte, teilweise ungewisse Nachrichten von zehntausenden in den Lagern verstorbenen Kameraden an deren Angehörige. Beiliegende Berichte 13 sind eine Auswahl aus den täglich bei uns eingehenden Nachrichten und Notrufen. Sie schildern keine zufälligen Einzelfälle, obwohl auch immer wieder günstigere Nachrichten eintrafen. Aber nichts

12 Z«r Kritik Nieseis am Wortlaut dieses Beschlusses und der folgenden Beschlüsse vgl. sein Schreiben anAsmussen vom 20. Februar 1946 (4E3, S. 384). 13 4C1 (S. 355-363).

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drückt so quälend auf den einzelnen Menschen, wie die Ungewissheit um das Schicksal seiner Nächsten. Deshalb fühlt sich der Rat der EKD verpflichtet, im Namen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit dem Kontrollrat der alliierten Mächte die Bitte zu unterbreiten: 'Helfen sie die Hemmungen beseitigen, die schuld daran sind, dass Millionen deutscher Gefangener bis heute weder schreiben noch Nachrichten von daheim erhalten können! Sorgen Sie vor allem dafür, dass die Namen der unübersehbar vielen, die in Gefangenschaft gestorben sind, bekannt gemacht werden! Setzen sie überall eine menschenwürdige Behandlung aller Gefangenen durch!' gez. D. Wurm"14 5. Zur Frage der deutschen Ostprovinzen wurde folgende Eingabe an den Kontrollrat sowie an die Uno [sie/] beschlossen: "Die Ankündigung, dass im Laufe dieses Jahres Millionen von Deutschen aus dem Osten und Südosten Europas in die gegenwärtigen Grenzen Deutschlands hineingedrängt werden sollen15, lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Wir haben im vergangenen Jahre erlebt, dass nach Beendigung der Kampfhandlungen hunderttausende, vielleicht Millionen unserer Volksgenossen an Unterernährung zugrunde gegangen sind. Ein solcher Satz spricht sich leicht 14 Asmussen bat Fricke als den Beauftragten des Rates für die Kontakte zur amerikanischen Militärregierung mit Schreiben vom 8. Februar 1946, "die Eingabe persönlich an das Hauptquartier der amerikanischen Militärregierung in Frankfurt übergeben zu wollen mit der offiziellen Bitte, diese an das Sekretariat der Alliierten Kontrollbehörde in Berlin weiterzuleiten. Mir erscheint dieser Weg direkt über das Hauptquartier schneller und sicherer als der über die Stuttgarter Militärregierung" (EZA BERLIN, 2/206). Am 11. Februar 1946 erhielten die Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Landesbruderräte von der Kirchenkanzlei eine Abschrift des Schreibens an den Interalliierten Kontrollrat (LKA NÜRNBERG, M e i s e r 123).

15 Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und den ehemaligen deutschen Ostgebieten war durch die Beschlüsse der Dreimächtekonferenz von Potsdam, die mit mehreren Unterbrechungen vom 17. Juli bis 2. August 1945 getagt hatte, sanktioniert worden. Der XIII. Beschluß des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 enthielt Einzelbestimmungen zur "ordnungsgemäßen" und "humanen" Überführung der betroffenen Bevölkerungsteile in das in Besatzungszonen aufgeteilte Restdeutschland. Um eine gerechte Verteilung der Ausgewiesenen auf die Besatzungszonen zu gewährleisten, waren die Uberführungen zunächst einzustellen, bis der inzwischen konstituierte Kontrollrat einen Überblick über die Zahl der bereits eingetroffenen Flüchtlinge gewonnen hätte. Tatsächlich begann die Vertreibung ohne Rücksicht auf diese Bestimmungen nahezu zeitgleich zur Potsdamer Konferenz (vgl. dazu W. BENZ, Potsdam, S. 81ff. und 207ff., besonders S. 221f.).

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hin. Die Wirklichkeit aber, die dahinter steht, all der Jammer der Mütter um ihre Kinder, die Verzweiflung der Familien, das stumme Sterben zahlloser altgewordener Menschen greift jedem, der es mit angesehen hat, ans Herz. Diese grosse Todesernte ist noch nicht zu Ende. Deutschland kann sich in seinen gegenwärtigen Grenzen nun einmal nicht selbst ernähren. Und jedermann weiss, dass die Ernten der nächsten Jahre weit hinter dem zurückbleiben werden, was in früheren Jahren geerntet worden ist. In diese Not hinein sollen nun weitere Millionen Menschen hineingepresst werden. Wir schweigen davon, auf welche Weise der Abtransport aus dem Osten nach allen bisherigen Erfahrungen vor sich gehen wird. Zu Tode erschöpft, halb verhungert und unterwegs bis aufs Letzte ausgeraubt, kommen die unglücklichen Opfer der Ausweisungen in Deutschland an und finden hier oft genug nirgends ein menschenwürdiges Unterkommen. Die Landesregierung von Mecklenburg hat in einem besonderen Erlass die gesamte, noch nicht wieder arbeitende Bevölkerung aufgeboten, für die angekündigten Zuwanderer aus dem Osten Erdbunker zu graben, da Wohnungen nicht mehr vorhanden sind und auch die Viehställe nicht ausreichen16. Diese Anordnung sagt alles. Da nun für diese Zuwanderer auch keine Nahrungsmittel vorhanden sind, werden sie nach menschlichem Ermessen niemals aus dieser Verelendung herausfinden. Sie werden vielmehr die übrige deutsche Bevölkerung noch tiefer in eine dauernde Hungersnot hineinreissen. Es ist uns oft versichert worden, dass es nicht die Absicht der alliierten Mächte sei, das deutsche Volk dem dauernden Elend preiszugeben. Im Vertrauen auf diese Zusage bitten wir als die Vertreter der Evangelischen Kirche Deutschlands die beteiligten Regierungen, dieser drohenden Gefahr im Geist der Menschlichkeit zu begegnen, bevor es zu spät ist. Mit sozialen Hilfswerken, so dankenswert sie sind, ist nichts Durchgreifendes zu erreichen. Es gibt hier nur 2 Möglichkeiten: Entweder muss von der Evakuierung der Deutschen aus den östlichen Ländern Abstand genommen und diesen Deutschen die Möglichkeit gegeben werden, in ihrer alten Heimat zu bleiben und dort als loyale Staatsbürger ihren Lebensunterhalt zu verdienen; oder es müssen die jetzt von Deutschland abgetrennten landwirtschaftlichen Uberschussgebiete ganz oder wenigstens teilweise zurückgegeben werden. Welche dieser beiden Möglichkeiten verwirklicht werden kann, müssen wir der Entscheidung der alliierten Mächte anheimstellen. Im Namen der 16 Nach Auskunft des Landesarchivs Schwerin nicht zu ermitteln.

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Menschlichkeit aber bitten wir, diese Entscheidung so bald als möglich zu treffen. Wir flehen zu Gott, dass der Friede, dem wir entgegengeführt werden sollen, nicht im Zeichen eines dauernden grenzenlosen Elends stehen möge, sondern dass auch in Deutschland Gerechtigkeit und Menschenliebe zu einer Atmosphäre des guten Willens führen und dass das Leben von Millionen gerettet werden möchte. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland."17 6. Pfarrer Niemöller DD. wird gebeten, das Vermögen der EKD 18 , des Jerusalem-Vereins19, der Auslandsgemeinden, sowie etwa sonst noch im Ausland vorhandenes Vermögen der EKD oder ihr angeschlossener Organisationen unverzüglich bei dem Kontrollrat anzumelden20. 7. Von den Landeskirchen soll im neuen Rechnungsjahr die Einsammlung einer Kollekte für die Gefangenen-Pastoration in aller Welt erbeten werden, mit der Massgabe, dass die Landeskirchen, die nicht in der Lage sind, eine solche Kollekte in der erbetenen Höhe einzusammeln, auf andere Weise die erbetenen Mittel flüssig machen und an die EKD abführen sollen21. 17 Diese Eingabe stammte von Dibelius (vgl. den hsl. Entwurf EZA BERLIN, 2/56). Die Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Landesbruderrite erhielten von der Kirchenkanzlei am 11. Februar 1946 eine Abschrift (LKA NÜRNBERG, Meiser 123). 18

Wie Niesei zurecht kritisierte (vgl. S. 324, Anm. 12), ging es um die Anmeldung des Auslands Vermögens. 19 Der 1852 gegründete Jerusalemsverein mit Sitz in Berlin sollte die deutsche evangelische Kirche in Palästina vertreten, Mission unter der arabischen Bevölkerung treiben und die ortsansässigen sowie durchreisenden Deutschen in Palästina seelsorgerlich betreuen. Bis zum Kriegsausbruch 1939 unterhielt er eigene Pfarreien in Jerusalem, Bethlehem, Jaffa, Beitjala und Haifa. Im Verlauf des 2. Weltkriegs wurde dann die Mehrzahl der Deutschen interniert oder nach Australien deportiert, so daß die Arbeit des Vereins nahezu zum Erliegen kam. Erst 1948 konnte der Jerusalemsverein seine Aktivitäten im vorwiegend arabisch bevölkerten Teil Palästinas wieder aufnehmen (vgl. dazu

PALÄSTINA, besonders

S. 77-90).

20 Nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 5 zur "Übernahme und Erfassung des deutschen Vermögens im Ausland" vom 30. Oktober 1945 fielen alle Rechte und Ansprüche auf derartige Vermögen von Einzelpersonen und Körperschaften an eine "Kommission für das deutsche Auslandsvermögen" (ABl DES KONTROLLRATS Nr. 2, 30. November WS); dementsprechend waren u.a. bereits die Vermögen der in Palästina tätigen Stiftungen beschlagnahmt worden (vgl. das Schreiben der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei an die Kirchenkanzlei in Schwäbisch Gmünd vom 11. Februar 1946:

E Z A BERLIN, 6 / 8 5 / 6 3 3 ) .

21 Mit Rundschreiben der Kirchenkanzlei vom 19. Februar 1946 wurden die Landeskirchen gebeten, in ihre Kollektenpläne "anstelle der bisher üblichen gesamtkirchlichen Kollekten dieses Mal eine Kollekte für die Seelsorge an den deutschen Kriegsgefangenen in aller Welt und eine zweite Kollekte zur Linderung der großen gesamtkirchlichen Notstände aufzunehmen" (EZA BERLIN, 2/745). Die Kollekte für die Kriegsgefangenenseelsorge erbrachte 1946 RM283.262,--; die Kollekte zur Linderung der gesamtkirchlichen Notstände RM320.356,(undatierte Rechnung der EKD für das Rechnungsjahr 1946: EZA BERLIN, 2/767).

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8. W e g e n

der R ü c k f ü h r u n g der Kriegsgefangenen sollen

Landesbischof

D . W u r m u n d Pfarrer N i e m ö l l e r D D . in G e n f persönlich Schritte unternehmen22. 9. Bezüglich der vorgetragenen N o t W i l h e l m s h a v e n s soll die zuständige Landeskirche z u d e n entsprechenden Schritten veranlasst werden 2 3 . 10. Bezüglich der Frage, o b Lagerpfarrer die aus der Kirche Ausgetretenen w i e d e r in die Kirche a u f n e h m e n dürfen, soll d e m Rat für die nächste Tagung eine f o r m u l i e r t e Vorlage gemacht werden 2 4 . 11. Z u r Frage der A b w i c k l u n g der alten Kirchenkanzlei w u r d e folgendes beschlossen: D r . Fürle 2 5 , P o p p e 2 6 u n d K i e s o w 2 7 w e r d e n pensioniert.

Die

Festsetzung der H ö h e des Ruhegehaltes bleibt der Kanzlei vorbehalten.

22 Wurm und Niemöller nahmen an der Tagung des Vorläufigen Ausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 21. bis 23. Februar 1946 in Genf teil (vgl. 2B1, S. 32). 23 Nachdem Wilhelmshaven wegen seines Kriegshafens durch alliierte Bombenangriffe bereits schwer getroffen worden war, hatte die britische Siegermacht die Hafen- und Werftanlagen auch nach Kriegsende weiter zerstört. Ein Wiederaufbau schien zunächst unmöglich; es wurde sogar in Erwägung gezogen, einen Deich hinter die zerstörte Stadt zu ziehen und die Schleusen zu sprengen, um Wilhelmshaven auf diese Weise überfluten zu lassen (W. REINHARDT, Wilhelmshaven, o.S.). Die Kirchenkanzlei wandte sich am 16. Februar 1946 mit einem Schreiben an den oldenburgischen Oberkirchenrat, in dem es u.a. hieß: "Wir bitten daher zu erwägen, ob nicht zur Vermeidung einer grossen Notlage der dortigen Bevölkerung auch von dort aus an die Militärregierung die Bitte herangetragen werden kann, einer Friedensindustrie die Niederlassungsgenehmigung und -Möglichkeit und damit der notleidenden Bevölkerung die Arbeits- und Lebensmöglichkeiten zu gewähren" (LKA OLDENBURG, Gemeindeakte Wilhelmshaven, Varia). 24 Vgl. 5B1, S. 393 und 5C7 bis 5C9 (S. 411ff). 25 Auf der 3. Sitzung war dagegen beschlossen worden, Fürle zum 31. Dezember 1945 zu entlassen (vgl. 3C4, S. 220). Aufgrund der Proteste Fürles wurde dieser Beschluß jedoch abgewandelt; er wurde zunächst beurlaubt und ab 1. Juli 1946 mit verminderten Bezügen pensioniert. Vom Sommer 1946 bis 1951 erhielt er von der Kirchenkanzlei einen Auftrag im Rahmen des Ostpfarrerfinanzausgleichs und wurde schließlich im Mai 1952 auf Beschluß des Rates mit einer finanziellen Abfindung für die bis dahin nicht in voller Höhe gezahlten Ruhestandsbezüge entschädigt (vgl. dazu den Schriftwechsel und die Unterlagen im EZA BERLIN, 2/778 und 2/Pers. Fürle). 26 Konsistorial-Oberinspektor Friedrich Karl Poppe, bisher beim Kirchlichen Außenamt, protestierte gegen seine Ruhestandsversetzung und wurde daraufhin zunächst in den Wartestand versetzt. Er war ab 1. April 1946 vertretungsweise im Landeskirchenamt Kiel beschäftigt und wurde am 20. April 1949 wieder in das Kirchliche Außenamt übernommen (vgl. EZA BERLIN, 2/778; KA HANNOVER, P A Poppe).

27 Aufgrund des Protestes von Kiesow wurde die Ruhestandsversetzung in eine Wartestandsversetzung zum 1. April 1946 umgewandelt; mit Wirkung vom 17. Juli 1946 wurde Kiesow wieder als Oberinspektor in die Kirchenkanzlei der EKD berufen (vgl. EZA BERLIN, 2/Pers. Kiesow).

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12. Bezüglich der Reinigung der Kirche von NS-Einflüssen hat der Rat nochmals seine Richtlinien vom 19.10.194528 bestätigt und bezeugt, dass darüber hinaus Eingriffe von politischer Seite und aus politischen Gründen in das Recht der Verkündigung und des Amtes vom Rat einmütig abgelehnt werden. Dieser Beschluss soll in geeigneter Weise den Landeskirchenregierungen und unter der Hand auch den Besatzungsmächten mitgeteilt werden29. Ausserdem sollen D. Wurm und Niemöller DD. in Genf entsprechende Schritte unternehmen30. 13. Die Verordnung über das Beamtenrecht der EKD vom 14.12.4531 wurde in der endgültigen Fassung zur Kenntnis genommen und bestätigt32. 14. Die Frage einer Verordnung über das Disziplinarrecht der EKD soll in der nächsten Sitzung des Rates entschieden werden33. 15. Das Gedenken an die Toten des Krieges soll verbunden werden mit dem allgemeinen Totengedenken, wie es in den einzelnen Landeskirchen üblich ist34. 16. Bezüglich der Frage der nicht-trinitarischen Taufen wurde eine Rundfrage an die Landeskirchen beschlossen, ob und in welcher Weise diese Frage bei ihnen schon geregelt sei35. 28 2C5 (S. 62-65). 29 Den Landeskirchen wurde von der Kirchenkanzlei erst am 4. März 1946 Mitteilung über diesen Beschluß gemacht (4C2 und 4C3, S. 363f. und 364f.j; die Mitteilung an die Besatzungsmächte ist offensichtlich mündlich erfolgt. Am 5. März 1946 wurde dann das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" (R. HEMKEN, Sammlung, Bd. I; Auszüge hei C. VOLLNHALS, Entnazifzierung, S. 105-110) erlassen, mit dem sich der Rat ausführlich auf der 5. und 6. Sitzung beschäftigte (vgl. 5B1,393; 6B1, S. 460). 30 Vgl. dazu S. 328, Anm. 22. 31 Vgl. dazu S. 121, Anm. 30. 32 Nicht ermittelt. Vgl. dazu aber § 4 des zur 5. Sitzung vorgelegten Enwurfes für eine Verordnung des Rates über die Aufhebung und Abänderung von Gesetzen der DEK (5D6, S. 430ff.) und § 4 der auf der 6. Sitzung verabschiedeten endgültigen Fassung dieser Verordnung (6C8, S. 512ff.). 33 Vgl. dazu den Entwurf Smends für eine Verordnung über das Disziplinarrecht der EKD (5D5, S. 429f.) und die §§ 5 bis 7 der Verordnung des Rates über die Aufhebung und Abänderung von Gesetzen der DEK (6C8, S. 512ff.). 34 1934 hatte die NS-Regierung den Gedenktag an die Toten des 1. Weltkrieges, der am 5. Sonntag vor Ostern begangen wurde, zum "Heldengedenktag" umbenannt. Als "Volkstrauertag" zum Gedenken an die Opfer beider Weltkriege und die Opfer des Nationalsozialismus wurde dieser Tag dann 1952 auf den 2. Sonntag vor dem 1. Advent verlegt, also in die unmittelbare Nähe zum (kirchlichen) Toten- bzw. Ewigkeitssonntag. 35 Besonders Pfarrer der Thüringer Richtung der Deutschen Christen hatten zwischen 1933 und 1945 nicht-trinitarische Taufformeln verwandt. Nach der am 15. Juli 1944 erlassenen Thüringer Kirchenordnung war es den Eltern grundsätzlich gestattet, für die Taufe ihrer Kinder eine andere als die trinitarische Taufformel zu verlangen. Da die Taufe überhaupt als nicht zwingend notwendig

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17. Die Göttinger Stelle soll das Material sammeln und den Landeskirchen zuleiten, das jetzt bei der Ausarbeitung neuer Wahlordnungen und neuer Kirchenverfassungen anfällt36. 18. Reinhold [Reinold] von Thadden soll durch die Kanzlei im Namen des Rates einen Sonderauftrag für volksmissionarische und ökumenische Aufgaben bekommen 37 . 19. Die nächste Sitzung des Rates soll am 21. und 22. März in Frankfurt/Main stattfinden38. Pastor Fricke soll gebeten werden, sich um einen Zuschuss zur Verpflegung zu bemühen. Die übernächste Sitzung soll am 1. und 2. Mai stattfinden39. Zum 1. Mai soll von jeder Landeskirche je ein Vertreter eingeladen werden40. Als Ort für die Sitzung werden Treysa oder Friedberg in Aussicht genommen. 4B2. Verlaufsprotokoll über die Verhandlungen am Vormittag des 30. Januar 1946 F: EZA Berlin, 2/56 (O mit hsl. Korrekturen der bei der Transkription des mutmaßlichen Stenogramms falsch wiedergegebenen Wörter).

Protokoll über die Sitzung des Rates der DEK [sic!\ am 30. und 31. Januar 1946 in Frankfurt a/M. Anwesend sind sämtliche Mitglieder des Rates mit Ausnahme der etwas später erscheinenden Herren Oberlandeskirchenrat Lilje und Bischof Dibelius, sowie des schriftlich entschuldigten Oberstudiendirektors Meier [Meyerf1. Landesbischof D. Wurm eröffnet die Sitzung mit Andacht und Gebet und mit einem Nachruf für den heimgegangenen Pastor v. Bodelschwingh]42. beurteilt wurde, genügte es sogar, wenn die Eltern den Willen bekundeten, ihre Kinder im Geist des "positiven Christentums " zu erziehen. Das aber bedeutete faktisch eine Kirchenmitgliedschaft Ungetaufter (vgl. dazu K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 489FF. und S. 682, Anm. 1370). Die

36 37 38 39 40

41 42

Rundfrage an die Landeskirchen wurde von der Kirchenkanzlei am 27. Februar 1946 versandt (EZA BERLIN, 2/84/613; vgl. dazu außerdem 6B1, S. 465f). Vgl. dazu 3B1, S. 122 und 3C9 (S. 225). Thadden-Trieglajf war gerade aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. 1946 wurde er Mitarbeiter des im Außau befindlichen Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Vgl. S. 387-453. Vgl. S. 454-574. Vgl. 3B1, S. 121. Meyer hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Sitz im Rat zur Verfügung gestellt (vgl. S. 208, Anm. 264). Friedrich von Bodelschwingh war am 4. Januar 1946 verstorben.

4B Protokoll

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Sodann gibt Landesbischof Wurm eine Übersicht über die Fragen, die der Rat in seiner Sitzung zu behandeln hat: 1.

Frage der Konfession und Union.

2.

Beziehungen unserer Kirche zur Ökumene.

3.

Rechtslage unserer Kirche im Anschluss an das Schreiben des Kontrollrates 43 .

4.

Die Probleme, die mit den Worten Schlesien, Internierte und Kriegsgefangenenlager angedeutet sind.

5.

Frage der Ergänzung des Rates durch einen Ersatzmann für den Oberstudiendirektor Meier [Meyer], der um Entbindung von seinem Amt gebeten hat.

6.

Frage der Schulkammer (Anregung von Superintendent Held).

7.

Bericht über die kulturpolitische Tagung in Detmold 4 4 (Anregung von Superintendent Held).

8.

Ausrichtung unseres Verhältnisses zu den staatlichen Behörden (bedarf z.B. Neuwahl kirchlicher Körperschaften oder eines Bischofs eines Plazets des Staates?) (Anregung von Pastor Niesei).

9.

Einheitliche Handhabung der Entnazifizierungsentscheidung (Anregung von Superintendent Held).

10. Frage der nichttrinitarischen Taufen (Anregung von Superintendent Held). 11. Finanzfrage (Anregung von Prof. Smend). 12. Bitte um Anregungen für die Tagung in Genf 45 . Pastor Asmussen D D schlägt vor, dass zunächst Landesbischof Meiser in die Problematik der konfessionellen Frage einführen möge. Landesbischof Meiser hält daraufhin ein kurzes Referat des aus der Anlage ersichtlichen Wortlautes. Anlage l 46 . Pastor Niesei weist darauf hin, dass im Anschluss an Treysa zwischen den reformierten Kreisen Deutschlands, dem reformierten Kirchenausschuss und dem reformierten Bund Fühlung aufgenommen worden ist, die zur Vereinbarung geführt hat, dass diese beiden Gremien künftig aufs engste

43

4D1 (S. 375).

44

Vgl. S. 354, Anm. 134.

45

Vgl. dazu S. 328, Anm. 22.

46

4C4 (S. 366-370); vgl. dazu auch den Verfassungsentwurf Fleischs (4C5, S. 370-374).

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zusammenarbeiten wollen. Sie haben einen Sechser-Ausschuss herausgestellt, der die beiden reformierten Mitglieder des Rates beraten soll 47 . Wir wollen auch unsere reformierten Gemeinden und Kirchen pflegen, aber man kann das auf sehr verschiedene Weise wollen. Wir sind sehr bekümmert über die konfessionelle Spaltung der Evang. Kirche in Deutschland, die anormal und vom Herrn der Kirche nicht gewollt ist; und insofern sind wir ausgerichtet auf eine echte Union, auf eine Überwindung der Spaltung der Evang. Kirche in Deutschland. Wir bemühen uns streng zur S a c h e zu reden, zum Worte Gottes, und nicht etwa zu unserer reformierten Sache. Wir sind sehr besorgt über die konfessionelle Spaltung und über manche Stimmen in der Auseinandersetzung. Wenn z.B. für Peter Brunner Bibel und Bekenntnis nebeneinander zu rücken scheinen, so sind wir erschrocken und besorgt im Hinblick auf das, was da geschehen könnte 48 . In d i e s e r Weise darf das Bekenntnis nicht betont und gepflegt werden. Wir fühlen uns verpflichtet, auf das in der Hl. Schrift bezeugte Wort Gottes zu verweisen. Superintendent Held weist darauf hin, dass die Kirche der A.P.U. eine geschichtliche Wirklichkeit von über 100 Jahren ist 49 und dass ein Auseinanderdiffidieren [sie/] in lutherische, reformierte und unierte Gemeinden nicht so einfach möglich sei. Es sei nicht etwa so, als ob die A.P.U. kein Bekenntnis habe, vielmehr soll die "Invariata"50 als das Grundbekenntnis der A.P.U. von allen anerkannt werden51. 47 Der 1945 gegründete sog. "Sechser-Ausschuß", der nur ein einziges Mal getagt hatte, bestand aus je drei Mitgliedern des Moderamens des Reformierten Bundes und des Deutschen Reformierten Kirchenausschusses. Seine Aufgabe bestand darin, den reformierten Kirchen in Deutschland zu einer größeren Gemeinsamkeit zu verhelfen (zur Geschichte der reformierten Kirchen nach dem Krieg vgl. R. STEINER, Weg, S. 313ff.). 48

Vgl. dazu etwa P. BRUNNER, Union und Konfession, S. 2, wo es heißt: "Denn in, mit und unter dem Bekenntnis übt das in der Heiligen Schrift verfaßte apostolische Evangelium sein Richteramt aus".

49 Die Union war in Preußen zum 300jährigen Reformationsjubiläum am 30./31. Oktober 1817 auf Initiative des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. eingeführt worden (zur Geschichte der Ev. Kirche der altpreußischen Union vgl. W. ELLIGER, Kirche; GESCHICHTE DER EKU). Faktisch kam es in Preußen jedoch nicht - wie etwa in Baden, Hessen und der Pfalz - zu einer Verschmelzung der Konfessionen im Sinne einer "Konsensus-Union", sondern lediglich zu einer "Verwaltungsunion", d.h. es wurde zwar eine gemeinsame Kirchenleitung und -Verwaltung geschaffen, die Gemeinden konnten ihren Bekenntnisstand jedoch selbst bestimmen. 50

Gemeint ist die Confessio Augustana von 1530, deren Art. X "Vom heiligen Abendmahl" (vgl. BSLK, S. 50ff.) in der "Variata" von 1540 verändert wurde.

51

Nach G2 führte Held an dieser Stelle aus: "In der ApU sind die Bekenntnisschriften der Reformation in Geltung. Es ist nicht so, als ob die ApU kein Bekenntnis mehr habe. CA Invariata Grundlage der ApU. 1648 ist die Invariata auch von den Reformierten ore et

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Im Westen sind wir dabei, Hallenser Beschlüsse durchzuführen52. Der Einbau der Konvente 53 in die Kirchenordnung wird ernsthaft erörtert 54 . Unsere lutherischen und reformierten Brüder sind der Meinung, dass auf dem Wege der Konvente die konfessionellen Fragen und Forderungen zu einer Lösung kommen können. Die A.P.U. ist durch ihre Geschichte dazu geführt worden, die Frage einer evangelischen Kirche als das entscheidende in der Frage der Konfessionen überhaupt anzuerkennen. Sie ist ein Ruf zur Einheit der Kirche. Ihr Ziel ist d i e evangelische Kirche, die die geschichtlich gewordenen Bekenntnisse achtet und ehrt, aber darin nichts Endgültiges sieht, die die Bekenntnisse nicht statisch, sondern als Aufgabe versteht. Daher ist die A.P.U. gegen einen zwei- oder dreigegliederten Kirchenaufbau; sie hat Sorge darüber, was aus den jetzt umgesiedelten Millionen von Gemeindegliedern aus der A.P.U. in ihren neuen Aufnahmegebieten werden wird, sie hat Sorge, ob dabei das alte cuius regio eius religio noch immer seine Bedeutung hat. Schließlich verweist er darauf, dass es auch noch andere Unionen in Deutschland gibt, nämlich in Baden, in der Pfalz und in Hessen. Pfarrer Niemöller: In der EKD ist ein Notdach geschaffen, unter dessen Schutz die Landeskirchen und die Bevölkerungsbewegungen unangefochten ihres Bekenntnisses leben sollten. Man sollte nicht v o r zeitig feste Ordnungen schaffen, sondern einstweilen noch unter dem Notdach bleiben, unter dem keine Gemeinde und kein Gemeindeglied Anfechtungen

corde anerkannt worden, um als Konfessionsgenossen aufgenommen zu werden. Die Reformierten machen nach wie vor den Vorbehalt gegenüber Art. X. Die Lutheraner müßten einmal erklären, daß das damnamus die Reformierten heute nicht trifft. Die Rede von der bekenntnislosen ApU muß verschwinden." 52 Um die Konfessionsfrage für den kirchlichen Neuhau der Ev. Kirche der altpreußischen Union zu klären, hatte die altpreußische Bekenntnissynode vom 10. bis 13. Mai 1937 in Halle u.a. gefordert, verbindliche Lehrgespräche zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten durchzuführen sowie den Bekenntnisstand der einzelnen Gemeinden zu erheben und festzustellen (vgl. dazu G. NIEMÖLLER, Halle, besonders S. 436-442). 53 Auf der ersten Tagung der 4. Bekenntnissynode der Ev. Kirche der altpreußischen Union vom 16. bis 18. Dezember 1936 in Breslau war die Einrichtung von "Konventen " beschlossen worden. Die lutherischen, reformierten und unierten Mitglieder der Synode sollten dabei jeweils eigene Konvente bilden. Ihre Aufgabe bestand darin, Vorlagen der Synode vor einer endgültigen Beschlußfassung vom jeweiligen Bekenntnis her zu überprüfen und den altpreußischen Bruderrat zu beraten (vgl. dazu EBD., S. 29f.). 54 Nach G2 machte Held in seinem Votum deutlich, daß die altpreußische Kirche "erst jetzt in der Lage [sei], ihre Verfassungszustände in Freiheit zu prüfen". In der rheinischen und westfälischen Kirche galt bis zum Erlaß der neuen Kirchenordnungen 1952 resp. 1953 noch die rheinisch-westßlische Kirchenordnung von 1835.

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wegen seines Bekenntnisses erlebt. Der Treysaer Beschluß der A.P.U. 55 ist symptomatisch für die Entwicklung in Deutschland. Wir leben in einer Zeit des Uberganges. Wir werden die Landeskirchen in ihrem bisherigen Charakter wohl nicht mehr allzulange behalten, sondern hoffentlich zu einer vernünftigeren Aufgliederung kommen, etwa ähnlich der Diözesanen-Ordnung der katholischen Kirche 56 . Wir müssen unsere ganze Arbeit treiben unter dem Gebot "ut omnes unum sint". Eine Aufgliederung der EKD in 3 oder mehr Säulen57 ist gar nicht möglich, ein solcher Versuch würde unsere Situation nur noch mehr verhärten. Wir sollten versuchen, zunächst unter dem Notdach der EKD miteinander zu leben, bis die Dinge anfangen sich zu klären. Wir sollten nichts vorwärts treiben in einer Haltung, die nichts Gutes für uns bringen kann. Wenn ein Kirchentum für uns n i c h t vorbildlich sein darf, so ist es das der Amerikaner, vor allem das engherzige der Missourisynode58. Wir sollten in der Christenheit der Welt so miteinander arbeiten, dass wir die Tür weit offen halten zu hören, was uns die Brüder sagen. Es handelt sich nicht nur um die Frage, wie ordnen wir die Kirche, sondern vor allem um die Frage, wie machen wir die Botschaft so effektiv wie nur möglich. Superintendent Hahn: Die Erfahrung der Gemeinsamkeit des Glaubens wird ergänzt durch die Verschiedenheit des Charakters der Frömmigkeit. Für die Lutheraner ist das Bekenntnis ein ganz wesentliches Gut, während die grosse Stärke der Reformierten in der Kirchenverfassungsfrage liegt. Es wird bestritten, dass die Liebe gegen die Wahrheit zurücktreten darf.

55 Auf der Kirchenversammlung in Treysa hatten die dort anwesenden altpreußischen Vertreter am 31. August 1945 eine Vereinbarung über die Neuordnung der Ev. Kirche der altpreußischen Union getroffen, nach der die bisherigen Provinzialkirchen für ihren Bereich die Kirchenleitung selbständig ausüben sollten (vgl. F. SÖHLMANN, Treysa, S. 99f; KJ 1945-1948, S. 120). 56 Zu Niemöllers Vorstellungen über die Neuordnung der evangelischen Kirche unter Aufhebung des Landeskirchentums vgl. z.B. seinen Crailsheimer Vortrag vom 17. Juni 1946 (7E4, S. 622-625). 57 Nach der sog. "Drei-Säulen-Theorie", die schon bei den Beratungen über die Kirchenverfassung von 1933 eine Rolle gespielt hatte, sollte der Zusammenschluß der deutschen evangelischen Landeskirchen nicht mehr als Bund der einzelnen Landeskirchen bestehen, sondern aus einer lutherischen, reformierten und unierten "Säule" unter einem gemeinsamen Dachverband. Vgl. dazu den Verfassungsentwurf Fleischs (4C5, S. 370-374); P. FLEISCH, Werden, S. 36; W.-D. HAUSCHILD, Selbstbewußtsein, S. 30. 58 Die 1847 gegründete lutherische Missouri-Synode lehnte aufgrund ihrer orthodox-konfessionalistischen Haltung die Zusammenarbeit mit anderen - auch lutherischen - Kirchen strikt ab. Oberstes Prinzip für eine Mitgliedschaft in der Missouri-Synode, die sich auch nicht dem Lutherischen Weltbund anschloß, war die Absage an alle Unionsbestrebungen (vgl. dazu W. METZGER, Luthertum, besonders S. 118f.; G. GASSMANN, Kirchen, besonders S. 608ff.).

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Jeder Versuch, der dem Andern Gewalt antut, ist verwerflich; ebenso ist es auch nicht recht, den Lutheranern gewaltsam diesen Zusammenschluß 59 zu wehren, der ihnen innerstes Glaubensanliegen ist. Gerade die grosse Bevölkerungsbewegung zwingt die Landeskirchen zu klarer, fester Haltung, damit ihnen nicht ein wesentliches Gut verloren geht. (Oberlandeskirchenrat Lilje erscheint) Pastor Asmussen DD: Ich bin sehr dankbar dafür, dass Landesbischof Dr. Meiser in seinem Referat 60 zu klaren Anträgen an den Rat gekommen ist und ich meine, der Rat sollte hierzu nunmehr klar Stellung nehmen. Vielfach handelt es sich gar nicht um lutherisch oder nicht-lutherisch, sondern um den Gegensatz christlich oder nicht-christlich. Die Frage Christentum oder Heidentum sollte nicht verwischt werden durch die Frage Luthertum oder Nichtluthertum. Aus einer Anordnung von Landesbischof Marahrens bezüglich der Amtshandlungen von Ostpfarrern an Ostflüchtlingen ergibt sich, dass hier noch immer der Satz, "cuius regio eius religio" gelten soll61. Wir bitten unsere Sorgen zu zerstreuen, daß nur scheinbar das lutherische Bekenntnis eine einigende Formel ist. Wir können der Ökumene die Frage, die Missouri ihr stellt, nicht ersparen. (Nunmehr erscheint Bischof DD Dibelius begleitet von Oberkirchenrat Dr. Benn). Gegen den Zusammenschluß zu einer einheitlichen lutherischen Reichskirche spricht auch die Erwägung, dass schon die bisherigen Landeskirchen zum Teil sich als zu großräumig erwiesen haben, dass insbesondere die A.P.U. kein ermunterndes Beispiel gegeben hat.

59 D.h. den von Meiser betriebenen Zusammenschluß der lutherischen Kirchen zu einer Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. 60 4C4 (S. 366-370). 61 Nach den "Richtlinien für die kirchliche Versorgung der Flüchtlinge" vom 24. Juni 1946 sollten die evangelischen Flüchtlinge lutherischen Bekenntnisses im Bereich der hannoverschen Landeskirche "in die Gemeinschaft des Gottesdienstes und des gemeindlichen Lebens voll aufgenommen", Flüchtlingen aus unierten Gemeinden aber nur "das übliche Gastrecht" gewährt werden. Dagegen galten die Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirche in Altpreußen, d.h. die Altlutheraner, "ohne weiteres als Glieder der lutherischen Kirche" (KABl Hannover, Stück 10, 25. Juli 1946).

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

Das lutherische Bekenntnis allein ist leider nicht immer ein Schutz gewesen, wie die Behandlung der Nicht-Arierfrage in Hannover zeigt62. Abschließend möchte ich zu den Anträgen von Landesbischof Meiser folgendes sagen: 1. Der Rat der EKD erklärt, dass den lutherischen Kirchen und Gemeinden dasselbe Recht des Zusammenschlusses zusteht wie den Reformierten. 2. Die lutherischen Kirchen erklären, dass sie nichts zu tun gedenken, was die Gemeinsamkeit des Handelns und Bekennens in der EKD hindert. Landesbischof D Meiser: Wir haben schon in Treysa ausdrücklich bezeugt, und ich erkläre es hiermit nochmals, dass wir keine Sprengung des Zusammenstehens des Gesamt-Protestantismus in Deutschland wollen 63 . Wir haben von Gott d i e s e s Pfund anvertraut bekommen. Haben wir das Recht, uns dieser Aufgabe zu entziehen? Im Lande Martin Luthers k a n n es doch kein Unrecht sein, wenn alle diejenigen, die sich an das Bekenntnis der lutherischen Kirche gebunden fühlen, sich zusammenschließen. - Mit den Reformierten in Bayern leben wir im allerbesten Einvernehmen. Zur Frage der Union kann ich nur

62 Der Präsident des hannoverschen Landeskirchenamtes, Friedrich Schnelle, hatte am 17. Januar 1942 den Erlaß der Kirchenkanzlei der DEK vom 22. Dezember 1941, der den Ausschluß der "Nicht-Arier" aus den Gemeinden vorsah, an die hannoverschen Geistlichen weitergegeben "mit dem Ersuchen, den aufgestellten Grundsatz zu beachten". Am 12. November 1945 hatte das Landeskirchenamt dem Rundschreiben Schnelles aber die Deutung gegeben, "es habe damals nur um Bericht gebeten, falls in den Gemeinden sich Vorfälle ereignet haben sollten" (Zitate aus dem Schreiben Asmussens an die Ratsmitglieder vom 17. Dezember 1945: LKA N Ü R N B E R G , Meiser 120). Da Asmussen auf der vorhergehenden Ratssitzung wegen seines Vorgehens gegen Marahrens gerügt worden war (vgl. S. 165-172), sah er sich jetzt "nicht in der Lage, etwas zu tun", betonte aber, "andererseits muß bei der Dringlichkeit der Angelegenheit etwas unternommen werden", und bat darum die Ratsmitglieder um Stellungnahme (Schreiben vom 17. Dezember 1945: LKA • N Ü R N B E R G , Meiser 1 2 0 ) . Zur Bewertung des Verhaltens der hannoverschen Kirchenleitung 1941/42 vgl. E. K L Ü G E L , Landeskirche, S. 498. 63 Vgl. die Erklärung vom 27. August 1945, in der es u.a. hieß, die im Rat der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands zusammengeschlossenen Landeskirchen "sind bereit, auch künftig im Bunde mit den bekenntnisbestimmten reformierten und unierten Kirchen [...] für eine gerechte und würdige Ordnung der evangelischen Kirche zu sorgen"; allerdings wurde gleichzeitig betont: "Bei der Neuordnung der DEK die Lutherische Kirche Deutschlands zur Darstellung zu bringen, betrachten sie als ihre vornehmste Aufgabe" ( F . S Ö H L M A N N , Treysa, S . 1 8 0 ; vgl. auch P. FLEISCH, Werden, S. 45).

4B Protokoll

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sagen, dass der lutherische Rat64 es geflissentlich vermeidet, in Unionskirchen auf eine Spaltung hinzuarbeiten. Wir überlassen den Unionskirchen ihr Recht. Wir wollen gar nichts anderes als von unserem Recht Gebrauch machen65; dadurch soll aber niemand anders verletzt werden. Etwas viel anderes als ein föderativer Zusammenschluß wird allerdings nicht möglich sein66. Landesbischof D Wurm: Unser deutsches Volk erlebt eine Enttäuschung nach der anderen. Es darf jetzt nicht auch noch von der Kirche enttäuscht werden; es dürfen keine Risse entstehen. Dem lutherischen Zusammenschluß würde viel genommen werden an Befürchtungen, wenn 2 Punkte klargestellt würden: 1. Die Abendmahlsgemeinschaft67. 2. Die Schaffung eines einheitlichen Gesangbuches, die man schon 1933 von uns erwartet hat und die heute zur Zeit der großen Bevölkerungsbewegung nötiger denn je ist68. Pastor Asmussen DD: Ich habe folgende Wünsche: 1. Die lutherischen Kirchen haben das Recht des Bündnisses untereinander. 2. Der Rat hält es jedoch nicht für geboten und erwünscht, wenn dieses Recht dazu mißbraucht würde, die unter uns bestehende Einheit aufzugeben. Ich wüsste gerne, ob auch eine Aufteilung der deutschen Jugend-, Studenten-, Frauen-, Kammer- und Akademiearbeiten in Aussicht genommen ist.

64 Richtig: Der 1936 als gemeinsame geistliche Leitung für die bekenntnisbestimmten lutherischen Landeskirchen gegründete Rat der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands ("Lutherrat"). Vgl. dazu besonders H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung, Bd. 2, S. 195ff. 65 Dieses "Recht" leitete Meiser vermutlich aus der Präambel der Verfassung der DEK vom 11. Juli 1933 her, nach der die DEK "die aus der Reformation erwachsenen gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Bekenntnisse in einem Bunde" vereinigte (GB1DEK 1933, S. 2). Unter Berufung auf diese Präambel hatten sich 1936/37 bereits die dem Lutherrat angehörenden lutherischen Kirchen zu einem "Bund der lutherischen Landeskirchen innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche" zusammengeschlossen {vgl. das Schreiben des Lutherrats an den Reichskirchenausschuß vom 13. Januar 1937: K.D. SCHMIDT, Dokumente II, S. 1282). 66 Nach Meisers Auffassung war der Zusammenschluß der lutherischen Kirchen eine Kirche, der Zusammenschluß der unterschiedlichen Konfessionskirchen in der EKD nur ein Kirchen b und. 67 Zwischen den lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen bestand bis zur Leuenberger Konkordie von 1973 keine Abendmahlsgemeinschaft (vgl. dazu auch S. 777, Anm. 26). 68 Zur Gesangbuchfrage vgl. S. 495, Anm. 143.

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Ich will keine Zweifel darüber lassen, dass ich persönlich gegen solche Bündnisse grosse theologische und innere Bedenken habe, aber ich bin bereit, mich zu fügen, wenn jener Mißbrauch vermieden werden kann. Ich beantrage die Einsetzung einer Kommission zur Klärung der Fragen; als Mitglieder dieser Kommission schlage ich vor: Landesbischof D. Meiser, Pfarrer Niemöller DD und Superintendent Held. Pfarrer Niemöller DD: Warum genügt es nicht, dass die lutherischen Landeskirchen und Gemeinden in ihrem Bekenntnisstand unangefochten sind69 und bleiben? Welches ist eigentlich die innere Nötigung für die Bildung einer lutherischen Reichskirche70 jetzt? Für mich persönlich kann ich nur sagen: Ich lasse nicht von meinem Bekenntnis, aber ich lasse auch auch nicht von meinen reformierten und unierten Brüdern, solange mir nicht klar gemacht ist, dass ich mit ihnen keine kirchliche Gemeinschaft haben darf. Lassen Sie uns doch unter einem Dach bleiben! Es wird ja keinem sein Bekenntnis angefochten! Ich warne inständig vor dem geplanten Weg. Superintendent Held: War die gemeinsame Haltung des Bekennens der letzten 12 Jahre nur eine interimistische Notgemeinschaft? Sind wir nicht jetzt in derselben Pression nur mit einer anderen Blickrichtung? Stehen wir jetzt nicht im Endkampf mit dem Kommunismus? Die grossen Werke der Inneren Mission, der Ausseren Mission, der Reichsfrauenhilfe, der Jugendarbeit und dergl. haben am G e s a m t werk der DEK gearbeitet. Wenn mir gesagt würde: "Um der Seelen Seligkeit willen kannst Du nur Lutheraner sein", dann wäre eine letzte ernste Grenze gegeben. Ich stelle aber fest, dass diese letzte Entschiedenheit nicht gegeben ist. Es müsste geklärt werden, wo liegt der Konsensus und der Dissensus heute. Was soll eine Verdoppelung des obersten Gremiums für die ganze Kirche in Deutschland? Die lutherische Reichskirche würde e i n e n Gottesdienst, ein Gesangbuch und eine Ordnung haben. Was soll dann noch ein föderativer Zusammenschluß? Welche Möglichkeit des Handelns würde überhaupt noch verbleiben? Welche Aufgaben würde das Organ des

69 "Gemeinden in ihrem Bekenntnisstand unangefochten sind" korrigiert aus: "Gemeinden, die ja doch zweifellos in ihrem Bekenntnis standhaft sind, unangefochten sind". 70 Diese Äußerung richtete sich gegen die vom Lutherrat ursprünglich intendierte "groß-lutherische " Kirche, die nicht nur die lutherischen Landeskirchen, sondern auch die Lutheraner am der altpreußischen Kirche umfassen sollte (vgl. dazu z.B. W.-D. HAUSCHILD, Treysa, S. 20; DERS., Selbstbewußtsein, S. 35f.).

4B Protokoll

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föderativen Zusammenschlusses überhaupt noch haben? Die lutherische Reichskirche würde etwa 8/10 der gesamten EKD umfassen. Wozu dann noch ein föderativer Zusammenschluß? Pastor Niesei: Was wünschen die lutherischen Brüder eigentlich über den lutherischen Rat [Lutherrat] hinaus noch? Welche Aufgaben würden dem Organ des föderativen Zusammenschlusses noch bleiben? Es gibt keinen Neutestamentier mehr, der die reformatorischen Positionen der Abendmahlslehre vertritt. Wir sollten also keine Verhältnisse schaffen, die sich vom Worte Gottes her nicht halten lassen. Steuern wir nicht mit Macht in eine verkehrte Restauration hinein? Haben wir als Rat überhaupt die Kompetenz, dazu Stellung zu nehmen71. Bischof Dr. Dibelius: Es handelt sich gar nicht darum, was diese oder jene Kreise wünschen, sondern darum, dass die EKD d i e einzige Vertretung des Gesamtprotestantismus in Deutschland ist. Alles andere hat keinen öffentlich-rechtlichen Charakter und erstrebt ihn auch nicht, es sei denn aufgrund gegenseitiger Verständigung. Im deutschen Gesamtprotestantismus gibt es 2 Faktoren: Erstens die Landeskirchen und zweitens die Werke und Anstalten und Bruderräte. Die Vertretung des Gesamtprotestantismus ist jetzt der Rat. - Auch die lutherischen Kirchen sollten die Entwicklung in Ruhe abwarten. Oberlandeskirchenrat Lilje: Es ist nicht zu leugnen, dass es in Deutschland ein biblisch-reformatorisches Phänomen gibt. Wir sehen auch sehr ernst das grosse Problem des inneren Zustandes unserer Gemeinden. Ich muss aber fragen: Ist unsere Fragestellung richtig und umfassend genug? Das Bedürfnis nach einem Zusammenschluß gibt es tatsächlich. Aber seit 192272 gibt es keine lutherische Kirche, die den grösseren Zusammenschluß der EKD hätte stören wollen. Indem wir unser Anliegen so fein wie möglich darstellen, dienen wir am besten der Freiheit. Das weiseste ist wohl, dass wir es belassen bei der Doppelfrage von Asmussen: Ein Bündnis wohl, aber keine Sprengung der gefundenen Einheit. Mittagspause.

71 Nach G2 fuhr Nieseifort: "Gehört dazu nicht eine Kirchenversammlung?". 72 1922 hatten sich die Landeskirchen zum Deutschen Evangelischen Kirchenhund zusammengeschlossen (vgl. dazu J.R.C. W R I G H T , Über den Parteien, S. 38ff.).

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

4B3. Verlaufsprotokoll 30. Januar 1946

über

die

Verhandlungen

F: EZA Berlin, 2/56 (O mithsl. Korrekturen73

am

Nachmittag

des

und Unterzeichnung Schwarzhaupts).

Niederschrift über die Sitzung des Rats der EKD 30. Januar 1946 nachmittag. Bischof Dibelius erstattet ein Referat über die Lage der ost-deutschen Kirchen 74 . Es werden zunächst zwei Fragen aufgeworfen, die die Zweitstelle der Kanzlei der EKD in Berlin75 betreffen. 1. Zu einem bestimmten Termin muss alles deutsche Eigentum im Ausland bei dem Kontrollrat angemeldet werden. Dies betrifft auch das Vermögen der EKD, des Jerusalem-Vereins, so wie der Auslandsgemeinden, die wie z.B. Rom Eigentum der EKD76 in Besitz haben. Damit der Termin nicht versäumt wird, bittet Bischof Dibelius um den Auftrag, diese Anmeldung vorzunehmen. Niemöller: Ich werde mit Hilfe von Heckel die Anmeldung besorgen77. Dibelius: 2. Eine zweite Frage ergibt sich daraus, dass ein Offizier des Kontrollrates kürzlich mündlich von mir innerhalb von 14 Tagen eine Erklärung über den Rechtsstand der EKD verlangt hat. Der Offizier sprach im Auftrag der juristischen Stelle des Kontrollrates, die alle Rechtsverhältnisse in Deutschland studiert und registriert78. Wir haben bei der Besprechung betont, dass die Kirche ihr Recht selbst setzt, und dass die Kontrollkommission nur Kenntnis von den Rechtssetzungsakten der Kirche erhält. Der Vertreter der Kontrollkommission meinte, wenn die EKD Körperschaft des öffentlichen Rechtes sein wolle, sei eine Anerkennung nötig. Niemöller: Der Kontrollrat muss sich schriftlich an den Rat der EKD wenden.

73 Diese hsl. Korrekturen werden im folgenden nur bei inhaltlichen, nicht aber bei rein formalen Veränderungen angemerkt. 74 Vgl. S. 343f. 75 Vgl. den Beschluß zur Errichtung dieser Zweitstelle (2C1, S. 59). 76 Korrigiert aus: "DEK". 77 Vgl. 4B1, S. 327. 78 Folgender Satz bei der Korrektur gestrichen: "Die Stelle ging davon aus, dass die Verfassung der DEK nicht mehr zu Recht besteht und bat um eine Erklärung über die neue Rechtsgrundlage."

4B Protokoll

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Held: Man sollte das Schreiben des Kontrollrats vom 18.12.4579 an Landesbischof Wurm beantworten und dabei sachlich auch eine Antwort auf die Frage des Offiziers, der sich an Bischof Dibelius gewandt hat, geben. Niemöller: Der Kontrollrat muss wissen, dass er sich mit grundsätzlichen Rechtsfragen an den Vorsitzenden des Rats der EKD wenden muss. Asmussen: Eine Kommission müsste die Antwort entwerfen. Held: Die Kommission müsste eine Auslegung von Absatz 3 des Schreibens vom 18.12. erarbeiten. Meiser: fragt nach der Vorgeschichte dieses Schreibens. Es ist nicht richtig, dass wir die Verfassung der DEK ausser Kraft gesetzt haben. Das Schreiben des Kontrollrats enthält erhebliche Gefahren. In der Kontrollkommission sind die Russen beteiligt. Sollen wir uns einem Veto-Recht der Kontrollkommission aussetzen? Wir werden unter ein Sonderrecht gegenüber der katholischen Kirche gestellt. Sollten wir das nicht richtigstellen? Niemöller: Wir könnten diese Fragen mit D. Olsen80 besprechen. Das Schreiben von Landesbischof Wurm, auf das der Kontrollrat geantwortet hat, ist vom 10.10.81 N[i'ewjö7/er] verliest dieses Schreiben. Wurm: In Treysa gingen wir von einer Vorlage von Prof. Wolff [ W o l f ] aus, die 3 Wege für nicht gangbar erklärt, darunter den der Verfassung der DEK 82 . Damit ist diese als Rechtsgrundlage erledigt. Smend: In Treysa hat der Juristenausschuss das Wölfische [ Wolfscbe] Gutachten 83 nicht angenommen. Die Verlautbarung von Treysa stellte 3 Verfassungstypen nebeneinander; die DEK wird als V e r f a s s u n g s t y p u s abgelehnt, nicht aber etwa Bestimmungen wie der § 2 der Verfassung der DEK 84 . Die Verlautbarung sagt nichts über eine formelle Gültigkeit der Verfassung. Diese Entscheidung wurde bewusst der Zukunft vorbehalten. Asmussen: Die Konstruktion von Treysa geht wesentlich auf das Gutachten von Prof. Wolff [Wölfl zurück. 79 4D1 (S. 375). 80 Olsen war der Nachfolger Knappens als Chef der Religious Affairs Abteilung der amerikanischen Militärregierung in Deutschland. 81 1E3(S. 15f.). 82 Vgl. die Vorläufige Ordnung der EKD (1E1, S. 12-15), die auf eine Vorlage von Prof. Erik Wolf in Treysa am 30. August 1945 zurückgeht (EZA BERLIN, 2/1). Vgl. dazu auch A. SMITH-VON OSTEN, T r e y s a , S. 129f.; R . TYRA, T r e y s a , S. 270.

83 F. SÖHLMANN, Treysa, S. 181-194 ("Gutachten über die rechtmäßige Neuordnung der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland"). 84 Nach diesem Artikel gliederte sich die DEK in Landeskirchen, die in Bekenntnis und Kultus selbständigblieben (GB1DEK 1933, S. 2).

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946 Der Kontrollrat hat kaum die Absicht, von sich aus Entscheidungen über Fragen, die uns wesentlich sind, zu treffen. Wir müssen den Amerikanern unsere Auffassung der Dinge zuschieben. Im wesentlichen Punkt, der Abwehr staatlicher Kontrolle, sind wir einig. Die Juristenkommission muss Formulierungen finden, die dies den Amerikanern klar macht.

Meiser: Welche Konsequenzen hat es für die Umlage der Landeskirchen, wenn der Kontrollrat sein Schreiben verkündet? Niemöller: In Treysa vertrat das juristische Referat den Standpunkt, dass die Verfassung der D E K nicht mehr besteht 85 . In Stuttgart wurde beschlossen: das Recht der D E K gilt grundsätzlich weiter* 6 . Auf diese Stuttgarter Verordnung können wir zurückgreifen. Man sollte dem Kontrollrat mitteilen: Die EKD ist ein im Aufbau begriffener Ersatz für die DEK, die nicht mehr existiert. Das Recht der D E K wird zum Teil weiter benutzt. Dibelius: Der Angelpunkt im dem Schreiben des Kontrollrats ist der Satz: Der Beschluss soll verkündet und rechtskräftig gemacht werden. Dem gegenüber müssen wir zum Ausdruck bringen, dass der Kontrollrat unseren Beschlüssen die Rechtskraft nicht verleihen kann. Ausserdem ist in der Antwort ein Satz über den Fortbestand des Rechtes der Landeskirchen nötig. Ich schlage eine Kommission aus den Herren Benn, Smend, Held, Heinemann und Meiser vor. Meiser: Ich bin heute abend vergeben. Asmussen: Damit die Kanzlei informiert ist, sollte Dr. Merzyn teilnehmen. Dibelius: Wichtig ist auch, dass in der Antwort die Rechtskontinuität und die Rechtsnachfolge klargestellt werden. Es wird immer wieder gefragt, wer der Rechtsträger ist. Asmussen: Es steht nunmehr fest, dass die Antwort von den Herren Benn, Smend, Held und Heinemann entworfen werden soll. Die Kanzlei bittet Bischof Dibelius um einen Durchschlag der Antwort auf die Frage der Militärregierung nach einer Aufstellung über Vermögen und Schulden der E K D . Dibelius: teilt mit, dass das Amt des amerikanischen Headquarters für kirchliche Angelegenheiten nach Berlin verlegt worden ist 87 . Vgl. S. 341, Anm. 82 und 83. 86 Vgl. § 2 der 1. Ausführungsverordnung zur Vorläufigen Ordnung der EKD (2C3, S. 61). 87 Zur Verlegung der amerikanischen Militärbehörden am 1. Oktober 1945 von Frankfurt/Main nach Berlin vgl. C . F . LATOUR/TH. VOGELSANG, Okkupation, S. 80FF.; C . VOLLNHALS, 85

Zusammenbruch, S. XVHL

4B Protokoll

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Dibelius: Hält nunmehr sein Referat über die Verhältnisse in den Ostkirchen. Er berichtet von dem politischen Strukturwandel auf allen Gebieten des Lebens. Die Bodenreform88 hat eine Proletarisierung der Landbevölkerung zur Folge. Ausserhalb Berlins erscheinen nur kommunistische Zeitungen. Sie stehen im Dienst der Agitation für die KPD als Staatspartei Sowjetdeutschlands. Die finanzielle Situation ist schwierig. Alle Guthaben sind verloren. Im Durchschnitt geht ein Zehntel der Kirchensteuern ein. Die Einziehung der Kirchensteuer durch Lohnabzug nach dem bayrischen System89 scheint eingeführt zu werden. Wenn dieser Plan nicht verwirklicht wird, ist unabsehbar, wie wir finanziell bestehen sollen. Zu einem Wiederaufbau der zerstörten Kirchen in den nächsten 10 Jahren fehlen die Mittel. Bestenfalls ist die Reparatur leicht beschädigter Häuser möglich. Kirchliche Jugendarbeit durch die Pfarrer ist verboten. Das Verbot wurde durchgeführt, insbesondere in Leipzig, Dresden und Chemnitz. Häuser der Inneren Mission werden beschlagnahmt. Alle Vereine werden aufgelöst, nur gottesdienstliche Veranstaltungen in der Kirche bleiben erlaubt. Diese Grundsätze werden nicht überall verwirklicht; vielfach werden sie nur örtlich durchgeführt, vor allem im Land Sachsen. Die Grenzen der Länder und Provinzen gehen durch die Kirchengebiete. Einige Provinzen wie Brandenburg haben eine bürgerliche Leitung, Mecklenburg und Land Sachsen haben kommunistische Regierungen. Da hier starke politische Gegensätze bestehen, verlangen die kommunistischen Regierungen Angleichung der Kirchengrenzen. Thüringen verlangt z.B. den Erfurter Bezirk90. Die gegenwärtige Gliederung der Ostkirche 88 In den fünf Ländern der sowjetischen Besatzungszone waren am 3. bzw. J. September 1945 gleichlautende Verordnungen über eine "Bodenreform" erlassen worden. Demnach sollten sämtliche Landwirtschaftsbetriebe mit mehr als 100 ha Betriebsfläche grundätzlich und Betriebe mit weniger als 100 ha Betriebsflächefür den Fall enteignet werden, daß sie Eigentum von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP oder Kriegsverbrechern bzw. -schuldigen waren. Die durch diese Verordnungen eingeleiteteten Maßnahmen waren Anfang 1947 nahezu vollständig abgeschlossen (vgl. dazu DDR-HANDBUCH, S. 13f.). 89 Die Einziehung der Kirchensteuer im Lohnabzugsverfahren war nach dem Zusammenbruch des *Dritten Reiches "für die bayerische Landeskirche durch die staatliche Verordnung über die Änderung des Kirchensteuergesetzes vom 21. Dezember 1945 (KAB1 Bayern 1946, S. 36f.) und die Bekanntmachung über den Vollzug der Verordnung vom 7. Januar 1946 (EBD., S. 37) neu geregelt worden. Als Maßstab für die Erhebung der Kirchensteuern diente im Gegensatz zu früheren Bestimmungen ausschließlich die veranlagte Einkommenssteuer (zur Geschichte des Kirchensteuerrechts in Bayern vgl. T. KARG, Kirchensteuerrecht, S. 9FF.). 90 Der Erfurter Bezirk gehörte seit 1944 politisch zu Thüringen, kirchlich zur altpreußischen Kirchenprovinz Sachsen. Zur späteren Aufteilung der einzelnen Gemeinden vgl. H.J. GENTHE, Kirche, S. 613.

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

wird nicht bleiben. Die Schicksalsgemeinschaft schweisst sie zusammen. Ihre Gegenspieler haben alle gemeinsam. Wir kommen zu gemeinsamen Sitzungen zusammen, haben bisher noch keine feste Gliederung91. Die Berliner Stelle der Kanzlei bildet einen Mittelpunkt in der Weise, dass sie sich gegenüber der Konferenz der Landeskirchen verantwortlich fühlt. Eine Erweiterung der Berliner Stelle der Kanzlei der EKD ist erforderlich, insbesondere um einen Schulreferenten. Die Schwierigkeiten mit dem Schulunterricht sind in allen Ländern im Osten die gleichen. Angesichts der gemeinsamen Not werden die Gegensätze zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen gegenstandslos. Dem Gebiet östlich der Oder-Neisse-Grenze können wir nicht helfen. Es ist unmöglich, dorthin zu reisen. Die Frage wird aufgeworfen, ob der Rat der EKD oder die Leitungen der Ostkirchen ein Schritt bei den Alliierten Mächten in der Frage der Ostgrenzen tun sollen. Wenn die vorgesehenen Evakuierungen92 durchgeführt werden, wird ein ungeheures Elend entstehen auch im Westen. Asmussen: In einem erschütternden Brief aus Breslau werden wir um monatlich 30 000,- RM gebeten93. Die Kanzlei der EKD kann diesen Zuschuss nicht leisten94. Alt-Preussen wäre in erster Linie anzugehen. Da die Not furchtbar ist, müssen wir versuchen, den Zuschuss aufzubringen. Das im Osten entstehende Kirchenwesen darf den Anschluss an den Westen nicht verlieren. Dibelius: Wird um nähere Auskunft über das im Osten entstehende Kirchentum gebeten. Wie ist der Aufbau gedacht? Ist eine offizielle Synode geplant? Die innere Beziehung zu den Kirchen im Osten muss aufrecht erhalten werden und wir müssen helfen wo wir können.

91 Es handelt sich um die sog. Ostkirchenkonferenz, die im folgenden Konferenz der Landeskirchen genannt -wird (vgl. dazu M. KÜHNE, Neuordnung). 92 Vgl. S. 325, Anm. 15. 93 Am 1. Dezember 1945 hatte die Ev. Kirchenleitung für Nieder- und Oberschlesien (gez. Dr. Bergetj um diese Geldmittel gebeten, die "der Zahlung der Pfarrgehälter in den vielen Landgemeinden, die keine Kirchensteuern und sonstigen Beiträge aufbringen können, und der Unterstützung der langsam verhungernden Emeriti und Pfarrwitwen dienen" sollten (EZA BERLIN, 2/794). 94 Im Februar 1946 konnten jedoch RM 50.000,- vom Hilfswerk der EKD an das Hilfswerk Ost in Berlin überwiesen werden, die "als ein zunächst einmaliger Beitrag der Kanzlei für die im polnischen Gebiet Schlesiens amtierenden Brüder zur Verfügung" stehen sollten. Die Kanzlei wollte ferner "alles tun, jeweils grössere Einzelbeträge [...] flüssig zu machen", so daß im Monatsdurchschnitt doch RM30.000,- zur Verfügung stünden (Schreiben Mochalskis an Dekan Kellner in Görlitz vom 6. Februar 1946: EBD.).

4B Protokoll

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Lilje: Berichtet über Nachrichten, die er von Mitzenheim aus Thüringen erhalten hat. Aus ihnen ergibt sich, dass die Arbeit Mitzenheims sehr überlegend, zäh und erfolgreich ist95. Dibelius: Erkennt die Bemühungen Mitzenheims um Thüringen an; er regiert sehr eigenständig und soll gebeten werden, vor grundsätzlichen Entscheidungen mit den anderen Ostkirchen Fühlung zu nehmen. Gedacht ist dabei z.B. an die Aufnahme von Nichtstudierten in den Pfarrerstand. Die Kirchenleitungs-Frage ist noch nicht geklärt im Land Sachsen, in Pommern und in der Provinz Sachsen. Ein synodaler Aufbau soll vorbereitet werden. Im Sommer hoffen wir in Preussen Kreissynoden zu bilden, aus denen dann Provinzialsynoden gebildet werden sollen. Der Bischof von Berlin hat keine besondere Vollmacht, die Zusammenarbeit beruht auf freundschaftlicher Grundlage. Asmussen: Dankt für die eingehende Information, die ihm nun ermöglicht, viele Anfragen, die an ihn ergangen sind, zu beantworten. Niesei: Fragt, ob die Kommunisten wirklich anti-christlich sind oder ob der Gegensatz nicht auf anderen, insbesondere sozialen und politischen Gegensätzen beruht. Schlagen wir nicht voreilig Türen zu? Dibelius: Die Russen sagen, dass sie gegenüber der Kirche tolerant sind und die Priester nur bekämpfen, soweit sie mit den Anti-Bolschewisten sympathisieren. Die Bewertung der Kirche als politischer Gegner beruht aber darauf, dass die Kommunisten, insbesondere die KPD, in Deutschland entschieden anti-christlich ist [:sind]. Wir stehen aber in einem dauernden Gespräch. Unsere Geistlichen, die im K.Z. mit Kommunisten zusammen gesessen haben, halten ständig Fühlung, ebenso die Seydlitz-Leute96. 95 Der thüringische Pfarrer und spätere Landesbischof Moritz Mitzenheim hatte sich als führender Vertreter der lutherischen Bekenntnisgemeinschaft für eine Neuordnung in der während des "Dritten Reiches" von Deutschen Christen beherrschten Thüringer Kirche eingesetzt. Sofort nach dem Einmarsch der Amerikaner in Eisenach am 6. April 194} versuchte er den Rücktritt des bisherigen DC-Kirchenregiments unter der Leitung des Kirchenpräsidenten (zuletzt Landesbischof) Rönck herbeizuführen. Nach Röncks Verhaftung am 30. April 194} führten die Bemühungen Mitzenheims um die Bildung einer bekenntnisgebundenen Kirchenleitung unter Ausschluß der Deutschen Christen am 3. Mai 1946 zur Konstituierung eines neuen Landeskirchenrats, dessen Vorsitz er selbst übernahm (vgl. dazu K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 492ff.). 96 Walther von Seydlitz, kommandierender General des LI. Armeekorps der deutschen Wehrmacht, hatte bei den Kämpfen um Stalingrad Ende November 1942 gegen den Willen Hitlers zunächst den Ausbruch, dann die Kapitulation der eingeschlossenen deutschen Truppen geordert. Nachdem er in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, hatte er im September 1943 den Vorsitz des Bundes Deutscher Offiziere übernommen, der sich ebenso wie das Nationalkomitee Freies Deutschland für die Beseitigung der NS-Herrschaft und eine schnelle Beendigung des Krieges einsetzte. Im

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

Asmussen fragt: Wie steht es mit den konfessionellen Fragen im Osten? Wie verhält es sich mit dem Auftrag von Albertz zur Sammlung der reformierten Gemeinden im Osten? Albertz ist als Mitglied der Schulkammer der EKD vorgeschlagen97. Wie stehen Sie dazu? Dibelius: Im Einvernehmen mit uns fasst Albertz die reformierten Gemeinden in Berlin-Brandenburg unter einer Inspektion zusammen. Das gleiche unternimmt Gabriel98 für die Provinz Sachsen. In welcher Weise die Provinzen wieder zusammengefasst werden können, ist noch nicht klar. Von Albertz verlangen wir die Niederlegung seiner Superintendentur in Spandau, die mit seinem Auftrag bei den reformierten Gemeinden unvereinbar wäre99. Die Beteiligung von Albertz an der Schulkammer stelle ich anheim. Für eine Schulkammer im Osten würden wir ihn nicht heranziehen, da er zu sehr überlastet ist. Asmussen: Erinnert daran, dass die Kommission, die eine Erklärung zur Konfessionsfrage formulieren soll, noch zu bilden ist. Dibelius: Warnt vor einer öffentlichen Resolution und tritt für eine Beratung in kleinerem Kreis ein. Niemöller: In den Bekenntnis-Synoden wurde schon gesagt, dass die EKD \sicf\ das Säulensystem aus der Vergangenheit übernimmt, nach dem sich bekenntnisgleiche Kirchen zusammenschliessen können100. Das könnte festgestellt werden. Asmussen und Held stimmen dem zu, und halten es für ausreichend, wenn ein Beschluss für das Protokoll formuliert wird101.

Gegensatz zum kommunistisch geprägten Nationalkomitee Freies Deutschland trat der Bund Deutscher Offiziere jedoch für traditionelle und nationale deutsche Wertvorstellungen ein. Seydlitz wurde erst 1955 aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft in die Bundesrepublik entlassen (vgl. dazu H. MARTENS, General). 97 Nach G2 stammte dieser Vorschlag von Hammelsheck (zur Schulkammer vgl. S. 35, Anm. 42). 98 - Paul Gabriel, Domprediger in Halle. 99 Zur Sammlung der Reformierten in der Ev. Kirche der altpreußischen Union vgl. auch G2: "Die Absicht ist, sämtliche reformierten Gemeinden in Berlin und Provinz Brandenburg zusammenzufassen mit Albertz als Inspektor oder Moderator. Dasselbe soll in Provinz Sachsen geschehen. Ich habe nur die eine Bedingung gestellt, daß das erst [in dem Augenblick] in Kraft treten soll, in dem Albertz sein Amt in Spandau niederlegt (Pfarrer an einer lutherischen Gemeinde)." In der sowjetischen Besatzungszone gab es nur etwa 35 reformierte Gemeinden, meist in Berlin-Brandenburg und in der Kirchenprovinz Sachsen (vgl. M. GABRIEL, Gemeinden, S. 148). 100 Unklar, auf welche Beschlüsse sich Niemöller hier bezieht; sein Votum widerspricht auch dem Standpunkt, den er im früheren Verlaufder Sitzung geäußert hatte (vgl. S. 334). 101 Vgl. den Beschluß 4B1, S. 323.

4B Protokoll

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Wurm stellt nach kurzer Aussprache über die Zusammensetzung der Kommission fest, dass sie aus den Herren Lilje, Held und Niesei bestehen soll. Die nächste Sitzung soll am 21. und 22. März in Frankfurt/Main stattfinden 102 . Pastor Fricke soll gebeten werden, sich um einen Zuschuss zur Verpflegung zu bemühen. Die übernächste Sitzung soll am 1. und 2 Mai stattfinden. Zum 1. Mai soll von jeder Landeskirche je ein Vertreter eingeladen werden 103 . Als Ort für die Sitzung werden Treysa oder Friedberg in Aussicht genommen. 4B4. Verlaufsprotokoll über die Verhandlungen am 31. Januar 1946 F: ETA Berlin, 2/56 (O mit hsL Unterzeichnung

Merzyns).

[/.] Erklärung im Protokoll zur 2. Ausführungsverordnung des Rates vom 31. Januar 1946104: 1. Die Zusammensetzung des Rates aus 6 Gliedern lutherischer Kirchen, 4 Gliedern unierter Kirchen und 2 Gliedern reformierter Kirchen muss gewahrt bleiben. 2. Das hinzuzuwählende Mitglied wird von der Gruppe vorgeschlagen, zu der das ausgeschiedene Mitglied gehört hat. Vorschlagsberechtigt ist a) namens der Lutheraner die Bayerische Evangelisch-lutherische Landeskirche, b) namens der Unierten die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union, c) namens der Reformierten die Lippische reform. Landeskirche. Es bleibt den vorschlagsberechtigten Landeskirchen überlassen, sich vor der Ausübung des Vorschlagsrechtes mit den übrigen Beteiligten ihrer Gruppe zu verständigen. II. Asmussen teilt mit, dass zum Vertreter des Rates bei der französischen Militärregierung Pfarrer Brandl in Baden-Baden bestimmt worden ist105.

102 103 104 105

Vgl. S. 387-453. Vgl. S. 454-574. Vgl. 4B1, S. 323/.. Vgl. das Schreiben Brandls an Asmussen vom 2. Februar 1946, mit dem er die erteilte Bevollmächtigung bestätigte und um "besondere Instruktionen" bat: "Es würde ja dabei wohl auch eine Frage sein, ob ab und zu passive Teilnahme meinerseits an Ratssitzungen oder damit in Zusammenhang stehenden Beratungen in Betracht käme" (EZA BERLIN, 2/206).

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4. Sitzung Frankfurt/Main 30. und 31. Januar 1946

EI. Als Ergebnis der gestrigen Aussprache über die Konfessionsfrage wurde folgender Beschluss gefasst, der im Verordnungs- und Nachrichtenblatt der EKD veröffentlicht werden soll106: Auf der Tagung des Rates der EKD am 30. Januar 1946 wurde in eingehender Aussprache die Frage der Neuordnung der Verfassung der EKD besprochen. Hierbei wurde übereinstimmend festgestellt: 1. Gegenwärtig ist der Rat der EKD die einzige öffentlich rechtliche Vertretung der EKD. 2. Das Recht der Landeskirchen, sich untereinander enger zusammenzuschliessen, bleibt unbestritten. 3. Es besteht Einmütigkeit darüber, dass durch solche Zusammenschlüsse die Einheit der EKD nicht preisgegeben werden soll. IV. Asmussen beantragt, von den Landeskirchen wieder eine Kollekte für die Auslandsarbeit zu erbitten. Meiser hat Bedenken dagegen, den Landeskirchen bestimmte Kollekten aufzuzwingen; es müsse den Landeskirchen die Möglichkeit gelassen bleiben, diese Mittel auch auf andere Weise flüssig zu machen. Asmussen schlägt vor, die Kollekte nicht für die Auslandsarbeit, sondern lieber für die Gefangenen-Pastoration in der ganzen Welt zu erbitten. Es wurde beschlossen, von den Landeskirchen die Einsammlung einer Kollekte für die Gefangenen-Pastoration in der ganzen Welt zu erbitten mit der Massgabe, dass die Landeskirchen, die nicht in der Lage seien, eine solche Kollekte in der erbetenen Höhe einzusammeln, auf andere Weise die erbetenen Mittel flüssig machen und an die EKD abführen sollen 107 . V. Asmussen fragt, ob in folgenden Angelegenheiten an den Kontrollrat herangetreten oder sonst etwas unternommen werden solle. 1. 2. 3. 4. 5.

Kriegsgefangenen-Rückkehr; Not der deutschen Ostprovinzen; Offiziere als Kriegsverbrecher; Not Wilhelmshavens; Abschiebung deutschstämmiger Minderheiten in ihre frühere Heimat im Südostraum; 6. Konzentrationslager der Besatzungsmächte; 7. Die in Kroatien verschollenen deutschen Armeen.

106 Vgl. 4B1, S. 323. 107 Vgl. 4B1, S. 327.

4B Protokoll

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VI.Asmussen schlägt vor, bezüglich der Behandlung der Kriegsgefangenen an den Kontrollrat eine Eingabe des aus der Anlage ersichtlichen Inhalts zu richten 108 ; wegen der Rückführung der Kriegsgefangenen aber in Genf bei der bevorstehenden Tagung persönlich Schritte zu unternehmen 109 . Lilje schlägt vor, bezüglich der Rückführung der Gefangenen einen Appell der Evangelischen Frauenverbände. Niemöller hält überhaupt eine stärkere Intensivierung der Arbeit der freien Verbände für dringend geboten. Dibelius: Ein Mitglied des Rates sollte beauftragt werden mit Fragen des Hilfswerks.

allen

Asmussen: Wir dürfen diese Arbeit nicht noch mehr komplizieren. Vorgefunden haben wir die Arbeit von Heckel und Pompe 110 , die Arbeit von Eberhard Müller 111 und das Hilfswerk von Gerstenmaier 112 . Die beiden letzten Arbeiten sind im Laufe der Zeit aufgeteilt nach caritativen und nach kirchlich-theologischen Fragen. Die Arbeit Eberhard Müllers muss jetzt von der Kanzlei mit übernommen werden. Ich schlage daher vor: Ein Mitglied des Rates übernimmt das Protektorat über die gesamte Arbeit des Hilfswerks. Dibelius: Jawohl, und zwar Landesbischof D. Wurm! Lilje weist darauf hin, dass für das Gebiet der englischen Zone er einen entsprechenden Auftrag habe. Heinemann bittet, die Schreibbefugnis auch auf die politische«] Gefangenen ausdehnen zu lassen. Beschlossen wurde bezüglich der Behandlung der Gefangenen die beiliegende Eingabe 113 , während für die Rückführung der Gefangenen persönliche Vorstellungen von Landesbischof D. Wurm und Pfarrer Niemöller in Genf erbeten wurden 114 . Zur Not Wilhelmshavens wurde beschlossen, dass die zuständige Landeskirche die entsprechenden Schritte unternehmen soll 115 .

108 Vgl. 4B1, S. 324. 109 Vgl. 4B1, S. 328. 110 Pompe hatte als 2. Sekretär in dem von Heckel geleiteten Ev. Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene in Erlangen gearbeitet (vgl. dazu auch S. 3, Anm. 6). 111 Zu Müllers Arbeit an den Kriegsgefangenen vgl. S. 28, Anm. 14. 112 Vgl. dazu S. 2, Anm. 4. 113 Vgl. 4B1, S. 324f. 114 Vgl. 4B1, S. 328. 115 Vgl. Ebd.

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VII. Lilje: Zur Frage der "Offiziere als Kiegsverbrecher" müssen wir auf die Individualisierung der Fälle dringen116. Meiser: In der Ökumene muss das Prinzip bekämpft werden, dass jeder, der nur als Soldat seine Pflicht getan hat, jetzt als Kriegsverbrecher behandelt werden soll. Dibelius rät zu grösster Vorsicht in der Behandlung dieser Frage durch die Kirche. Held: Eine Pressestelle der EKD ist dringend notwendig. Die Presse des In- und Auslandes muss hier so gesichtet werden, dass wir alles Material zur Verfügung haben. Ausserdem muss von hier aus Aufklärung der inund ausländischen Presse betrieben werden. Niemöller: In jeder Landeskirche muss ein Pressereferent sein. Auch in der EKD ist eine Stelle zur Materialsammlung sehr erwünscht. Die Aufgabe des Aufklärungsdienstes aber sollte zunächst nur auf persönlichem Wege erfüllt werden. Asmussen: Bezüglich der inländischen Presse pflichte ich Bruder Held, bezüglich der ausländischen Presse Bruder Niemöller voll zu. Wurm: Wir müssten einen englischen und einen amerikanischen Chaplain finden, der uns berät. Niemöller: Wir müssten einen Mann der Ökumene beim Kirchlichen Aussenamt haben. Als Ergebnis der Besprechung wurde folgendes festgestellt: Es muss immer und immer wieder betont werden, dass alle Fälle behandelt werden und dass sie individuell behandelt werden. V m . Niemöller: Zur Frage Schlesien und der übrigen Ostprovinzen müsste ein gemeinsamer Schritt mit der katholischen Kirche (über Vatikan und polnische Kirche) überlegt werden. Müssten wir nicht einen Verbindungsmann zur katholischen Kirche haben? Meiser: Wenn das so weiter geht, dann haben wir von der Elbe bis zur kalifornischen Küste keine einzige evangelische Gemeinde mehr. Unter der Autorität der angelsächsischen Mächte insbesondere auch der lutheri116 Aus einem Schreiben Asmussens an Wüstemann vom 6. März 1946 geht hervor, daß Wüstemann in verschiedenen Eingaben den Rat aufgefordert hatte, sich für die gefangenen höheren Offiziere und die Angehörigen der SS einzusetzen. Asmussen verfolgte in seinem Schreiben die gleiche Argumentation wie Lilje: "So müsste es den Widerstand der Kirche wachrufen, wenn Berufsbeamte oder Berufsoffiziere nur deshalb mit ehrenrühriger Strafe belegt [...] werden, weil sie ihren Beruf ausübten und einen bestimmten Rang bekleideten." Es gehe darum, "dass der Einzelne und dass die einzelne Tat gerichtet werden muß" (ASD BONN, N L Heinemann, Allg. Korr. 1.1.46-10.4.46).

4B Protokoll

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sehen Mächte in Amerika wird hier der gesamte Protest[antismus] ausgerottet. Das Gewissen dieser angelsächsischen Mächte muss daher geschärft werden. Nicht offiziell mit dem Vatikan direkt verhandeln! Dibelius: In Berlin sind wir in ständiger Verbindung mit der katholischen Kirche. Der Gegensatz zwischen deutschem und polnischem Katholizismus ist riesengross. Die angelsächsischen Mächte müssten in ihrer öffentlichen Meinung erfüllt werden davon, dass unter ihrer Autorität Verbrechen grössten Stiles begangen werden. Beschlossen wurde ein feierlicher Appell der EKD an den Kontrollrat und abschriftlich an die Uno [sz'c/] , für die Bischof Dibelius die beiliegende Formulierung zu Protokoll reichte 117 . IX. Asmussen: Dürfen Lagerpfarrer aus der Kirche Ausgetretene wieder in die Kirche aufnehmen? Meiser: In welche Kirche sollen diese dann aufgenommen werden? Dibelius: Der Lagerseelsorger hat das Recht, nach entsprechender Vorbereitung einen Gefangenen wieder aufzunehmen vorbehaltlich der Bestätigung der Heimatgemeinde. Er hat die Pflicht, von diesem angemeldeten Wiedereintritt der Heimatgemeinde Mitteilung zu machen. Nach deren Bestätigung kann dann die endgültige Wiederaufnahme erfolgen. Meiser bittet um eine formulierte Vorlage für die nächste Tagung des Rates. Beschlossen wurde, für die nächste Ratstagung eine Vorlage auszuarbeiten 118 . XI 119 . Lilje: Zur Frage der Abwicklung der alten Kirchenkanzlei sind noch einige Fragen zu klären. Bezüglich der Akademiker im Ostraum sollte Dibelius, im Westraum Lilje die Vorverhandlung führen. Bei Kiesow 120 ist Pensionierung auszusprechen; bei Poppe 121 ist die Entlassung auszusprechen; es soll ihm in der üblichen Form der Dank für geleistete Dienste ausgesprochen werden. Bei Schalge122 ist der Status noch unklar. 117 Vgl. 4B1, S. 325ff. 118 Vgl. den Beschluß 5B1, S. 393 und 5C7 bis 5C9 (S. 4Uff.). 119 Inder VorlagefolgtXIaufIX. 120 Vgl. S. 328, Anm. 27. 121 Vgl. S. 328, Anm. 26. 122 Hans Schalge, bisher Amtsrat im Kirchlichen Außenamt, war im Juni 1945 als Schwerbeschädigter aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Aus Springe/Hannover hatte er sich am 24. Januar 1946 mit der Bitte um Wiedereinstellung an den Rat gewandt (LKA HANNOVER, L 3 II Nr. 14 Bd. üb; vgl. auch EZA BERLIN, 7/Pers. S 18). Er wurde dann vom 1. März 1946 bis

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Asmussen: Schalge kommt zum Hilfswerk. Kiesow muss pensioniert werden; Ruhegehalt wird durch die Kanzlei festgesetzt. Bei Poppe wäre Pensionierung erwünscht. Für Dr. Fürle wird gleichfalls Pensionierung vorgeschlagen. Beschlossen wird: Schalge kommt zum Hilfswerk, Dr. Fürle, Kiesow und Poppe werden pensioniert; Die Festsetzung der Höhe des Ruhegehalts bleibt der Kanzlei vorbehalten123. XII. Meiser verliest bezüglich der Reinigung der Kirche von NS-Einflüssen seine Eingabe an die Militärregierung124. Wurm: Württemberg verfährt genau so, aber es ist zweifelhaft, ob die Militärregierung diesen Standpunkt billigt. Dibelius: Wir vertreten in Berlin den gleichen Standpunkt wie Meiser. Dringend erwünscht wäre eine einheitliche Linie für das ganze Gebiet der EKD. Niemöller: Wir können Entlassungen nur im Rahmen unserer Richtlinien vom 19.10.1945125 vornehmen; darüber hinaus können wir nichts tun. Niesei: Es ist mir fraglich, ob wir so sehr nur für unsere Pfarrer eintreten sollen. Gleichzeitig sollte doch auch etwas für alle anderen erfolgen. Niemöller: Sind wir nicht darüber hinaus schuldig, als öffentliches Gewissen vom christlichen Standpunkt her gegen die ganze Entnazifizierungsmethode unsere Stimme zu erheben? Meiser: Das haben wir in Bayern bereits getan. Dibelius: Wenn die Besatzungsmacht einem Oberbürgermeister sagt, dass der Schlachthofdirektor Müller nicht ihr Vertrauen hat, dann mag das eine reine politische Angelegenheit sein, bei der eine unmittelbare Pflicht der Kirche nicht ohne Weiteres gegeben ist. Erst wenn solche Fälle in grossem Ausmass sich ereignen, wird eine mittelbare Pflicht der Kirche entstehen, als öffentliches Gewissen vom christlichen Standpunkt her dazu Stellung zu nehmen. Aber im kirchlichen Raum entsteht sofort eine unmittelbare Pflicht der Kirche zum Handeln. Sonst gerät die Kirche sofort in Abhängigkeit von der politischen Gewalt. Die EKD sollte daher bestimmt, entschieden und einmütig ihren Standpunkt kund machen.

31. Mai 1952 beim Hilfswerk in Stuttgart beschäftigt, zuletzt als Leiter der Registratur des A D W BERLIN).

123 Vgl. den Beschluß 4B1, S. 328. 124 4E4(S. 384ff.). 125 2C5 (S. 62-65).

(Auskunft

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Wurm: Die Kirche muss auch sonst für die Gerechtigkeit und die Menschenrechte eintreten. Hahn: Wir sollten uns nicht beschämen lassen, von dem bisherigen SPD-Oberbürgermeister von Nürnberg, der sich so sehr für seine Beamten eingesetzt hat, dass er abgesetzt worden ist126. Wir dürfen uns nicht zu ungerechtem Handeln drängen lassen, zumal die Gesamtüberzeugung sich jetzt schon zu drehen begonnen hat. Beschlossen wurde als Ergebnis Folgendes: 1. Der Rat bestätigt nochmals seine Richtlinien vom 19. Oktober 1945. 2. Darüber hinaus werden Eingriffe von politischer Seite und aus politischen Gründen in das Recht der Verkündigung und des Amtes vom Rat einmütig abgelehnt. Dieser Beschluss soll in geeigneter Weise den Landeskirchenregierungen und unter der Hand auch den Besatzungsmächten mitgeteilt werden127. x m . Die Verordnung über das Beamtenrecht der EKD vom 14.12.45 wurde in der aus der Anlage ersichtlichen Fassung zur Kenntnis genommen und bestätigt128. XIV. Die Frage einer Verordnung über das Disziplinarrecht der EKD, zu der der beiliegende Entwurf129 vorgelegt war, soll in der nächsten Sitzung des Rates entschieden werden130. XV. Smend regt an, eine Kontrolle der Ostpfarrer einzurichten. Meiser: Niesei ist doch bereits beauftragt, eine solche Stelle einzurichten131. Asmussen: Für jede Kirchenprovinz ist bereits ein Vertrauensmann bestellt. Die Landeskirchen müssten wohl nochmals darauf hingewiesen werden. 126 Der Nürnberger Oberbürgermeister Martin Treu hatte sich am 9. August 1945 mit Vertretern der amerikanischen Militärregierung getroffen, um einen Aufschub bei der Entlassung von politisch belasteten Beamten zu erbitten, da andernfalls die Arbeitsfähigkeit der Stadtverwaltung nicht mehr gewährleistet sei (vgl. das Schreiben Treus an die Militärregierung vom 11. August 1945: NÜRNBERG 1945-1949, S. 166f.). Die Militärregierung hatte das Verhalten Treus als Behinderung ihrer Entnazifizierungsmaßnahmen aufgefaßt und ihn daraufhin am 4. Dezember 1945 vom Dienst suspendiert (vgl. den Monatsbericht der Militärregierung vom i. Januar 1946: EBD., S. 280f.). 127 Vgl. 4B1, S. 329. 128 Vgl. Ebd. 129 Anlagefehlt; vgl. aber den von der Kirchenkanzlei versandten Entwurf Smends ßD5, S. 429f.). 130 Vgl. 4B1, S. 329. 131 Vgl. 2B1, S. 37.

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XVI. Asmussen: Landesbischof Kortheuer 132 bittet um Anweisung, ob am Sonntag Reminiscere wieder ein Gedenktag für die Toten des Krieges abgehalten werden soll. Beschlossen wurde: Das Gedenken an die Toten des Krieges soll verbunden werden mit dem allgemeinen Totengedenken, wie es in den einzelnen Landeskirchen üblich ist, damit der Rhythmus des Kirchenjahres nicht mehr unterbrochen wird 133 . XVH. Smend berichtet über die Detmolder Tagung134. Asmussen schlägt persönliche Besprechungen und Vorlage an den Rat zur nächsten Sitzung vor. X V m . Hahn bittet um Regelung der Frage der nicht-trinitarischen Taufen. Beschlossen wurde eine Rundfrage an die Landeskirchen, ob und in welcher Weise diese Frage bei ihnen schon geregelt ist 135 . XDC. Niemöller berichtet über den Stand der Fragen der Ökumene und über die in Genf vorzubringenden Anliegen. X X . Asmussen schlägt vor, Reinold von Thadden einzusetzen für volksmissionarische und ökumenische Aufgaben.

132 Kortheuer war seit 1945 Vorsitzender der nassauischen Vorläufigen Kirchenleitung. 133 Vgl. 4B1, S. 329. 134 Diese Tagung zur Erörterung von kulturpolitischen Fragen hatte auf Einladung des Rates am 9. und 10. Januar 1946 im Lippischen Diakonissenhaus in Detmold stattgefunden. Smend gehörte zu den ca. 100 Teilnehmern aus dem schulischen, kirchlichen, universitären und politischen Bereich. Nach einem umfangreichen Bericht, den Hammelsheck durch Schreiben vom 19. Januar 1946 dem Rat erstattete (LKA STUTTGART, Dl/212), war es das Ziel der Tagung, "die für die Kulturpolitik verantwortlichen staatlichen Stellen vor den neuen Offentlichkeitswillen der Kirchen zu rufen und ihnen unübersehbar deutlich zu machen, welche Ansprüche und welche Angebote die evangelische Kirche auf Grund der sie wandelnden Ereignisse des letzten Jahrzehnts anzumelden habe." Die Tagungsteilnehmer hätten abschließend den Willen bekundet, daß die "Erneuerung der Erziehung [...] in vertrauensvollem Zusammenwirken zwischen staatlichen und kirchlichen Beauftragten unter christlicher Bindung" erfolgen solle. Weiter hieß es: "Die christliche Unterweisung soll von Arbeitsgemeinschaften zwischen Pfarrern und Lehrern getragen sein"; die Kirche erkenne "zugleich ihre Aufgabe, mitzuwirken am Aufbau einer Welt- und Lebensordnung im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit." Im Anschluß an die Tagung verfaßte Hammelsbeck außerdem eine "Denkschrift an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland über die Gründung einer Evangelischen Akademie" (EBD.), die dem Rat zusammen mit dem Bericht über die Tagung selbst zuging. Vgl. dazu auch die weitere Diskussion auf derfünften Sitzung (S. 398). 135 Vgl. 4B1, S. 329.

4C Anlagen

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Es wurde beschlossen, dass die Kanzlei im Namen des Rates ihm einen entsprechenden Sonderauftrag erteilen soll136. XXL Niesei schlägt vor, das Material zu sammeln und den Landeskirchen zuzuleiten, das jetzt hier und da bei der Ausarbeitung neuer Wahlordnungen und neuer Kirchenverfassungen anfällt. Smend: Dazu ist die Göttinger Stelle ja gegründet137. XXE. Lilje berichtet über die von Pastor Meier [Meyer] aus Bethel aufgestellten und zu Protokoll gegebenen 12 Leitsätze über Diakonie 138 sowie über die Arbeit der Inneren Mission und die Schwierigkeiten im Verlagswe-

4C Anlagen 4C1. Anlagen 1 bis 6 zum Schreiben des Rates an den alliierten Kontrollrat F: LKA Stuttgart, Dl/212

(D).

Anlage 1 Allgemein Frau F.K. aus Stgt.-Möhringen: Anfang Januar 1946 habe ich durch unsichere Angaben von zurückkehrenden Kriegsgefangenen die Nachricht bekommen, dass mein lieber Mann W.K. in französischer Gefangenschaft im Depot 183 St. Medard en Jalles Ende August 1945 am Hunger gestorben sein soll. Augenzeugen fehlen, sie sind angeblich alle auch gestorben. Seit 7 Monaten bin ich ohne Nachrichten von meinem Mann. Was soll ich tun? Frau H.P. aus Stgt.-Degerloch: Einer meiner Söhne soll im März 1945 in Italien in englische Gefangenschaft geraten sein. Bis heute habe ich kein Lebenszeichen von ihm. Um diesen Sohn sorge ich mich Tag und Nacht. Man sollte mir wenigstens sagen, ob er lebt oder nicht. 136 Vgl. 4B1, S. 330. 137 Vgl. 3B1, S. 122. 138 Nicht ermittelt. 139 Vgl. dazu auch die Anträge des Verlegers Günther Ruprecht und des Verlages Junge Kirche vom 8. Januar 1946 an den Rat (4D2 und 4D3, S. 375ff. und 378f.), die auf der Sitzung offensichtlich nicht behandelt wurden.

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Herr B. aus Korntal: Meine beiden ältesten Söhne sind im Krieg gefallen. Der Jüngste, fast noch ein Kind, soll nach unsicheren Angaben eines heimgekehrten Kameraden im Mai 1945 im amerikanischen Lager in Cherbourg gewesen sein. Warum kann die evangelische Kirche nicht helfen, dass man Gewissheit über das Schicksal seines Kindes bekommt? - Es ist mein letzter Sohn! A.K. aus Stgt.-Weil im Dorf: Ich lag 7 Monate im amerikanischen Hauptlager Maubeuge. Wir wurden durch schwarze Soldaten bewacht, an sich gutmütigen Menschen, die aber von den weissen Amerikanern angetrieben wurden. Wir schliefen in Zelten auf blanker Erde. Die Verpflegung war unzureichend. Zuerst war monatlich ein Brief und eine Karte zur Beförderung in die Heimat zugelassen, später nicht mehr. Leider ist aber überhaupt keine Post befördert worden. Wir fanden sie bei Aufräumungsarbeiten in einem besonderen Raum des Lagers wieder. Bis zu meiner Entlassung ist auch niemals eine Antwort eingetroffen. Anlage 2 Bericht aus amerikanischer Gefangenschaft Auszug aus einem Bericht von Herrn L.v.C. N.: Am 20. November 1945 erfolgte die Ausschiffung (aus einem Lager von Ubersee kommend) in Le Havre. Eine Anzahl der Kriegsgefangenen wurde dort ohne ersichtlichen Grund mit Schlaghölzern geprügelt. Etwa die Hälfte des Transports gelangte in ein Gefangenenlager in der Nähe des Hafens, das aus halbrunden Wellblechbaracken besteht. Die Gefangenen mussten auf blossem Erdboden schlafen. Nur in besonders begründeten Ausnahmefällen hat der Arzt eine Schlafunterlage, bestehend aus einem leeren Papiersack, bewilligt. ... Ich kam nach Bolbec. Wir "Amerikafahrer" fielen hier allgemein auf durch unser gutes Aussehen, insbesondere dann, wenn wir zur Behandlung ins Krankenrevier gingen und die zahlreichen Elendsgestalten junger und erwachsener Männer sahen. Die seelsorgerliche Betreuung in Bolbec war ausgezeichnet, die Behandlung durch das deutsche Personal angemessen. Die amerikanischen Mannschaften zeigten sich launenhaft: Unsern Transport, z.B., hat man am Tage nach dem Eintreffen in Bolbec (21.11.45) vormittags von 8-12 Uhr auf dem Platze vor den Zelten mit kurzen Unterbrechungen angetreten stillstehen lassen. Dabei ist eine Anzahl von Leuten zusammengebrochen. Andere Gruppen, die nicht

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zu unserem Transport Nr. 6104A gehörten, meldeten, Gefangene seien bei der Gepäckdurchsuchung angeblich ohne Grund geschlagen worden. Bei unserem Abtransport aus Bolbec am 29.11.45 mittags wurde einer der deutschen Arzte unseres Transports, obwohl er die Rote-Kreuz-Armbinde trug, von einem amerikanischen Posten mit der Reitpeitsche mehrfach geschlagen. Am 30.11.45 lief der Zug gegen 2 Uhr nachts in Compiegne ein. Man liess uns in den ungeheizten Güterwagen (ohne Stroh), die z.T. mit 53 Mann belegt waren, bis 4 Uhr nachmittags sitzen. Erlaubnis zum Austreten war nur frühmorgens, und da nur für etwa 2 mal 3 Mann je Wagen erteilt worden. Im Lager Attichy wurden uns sämtliche Decken abgenommen und durch verdreckte, zerrissene, unbrauchbare ersetzt. Solange wir im Käfig 16 waren, hatten wir täglich neue Angriffe auf unser Eigentum abzuwehren. ... Im Käfig 1 des Lagers Attichy, in dem wir Angehörige der britischen Besatzungszone am 17.12. aufgenommen wurden, war das Leben erträglicher. Man war nicht gezwungen, bei Regen und Kälte draussen im Schlamm umherzulaufen, was insbesondere uns Gehbehinderten sehr schwer gefallen ist. Ausserdem war die Verpflegung reichlicher. Hinderlich war, dass die Morgensuppe nachts zwischen 1 und 3 Uhr und die sonstige warme Verpflegung meist ebenfalls während der Dunkelheit ausgegeben wurde. Denn in den Zelten gibt es kein Licht und man liegt bei 50 Mann Belegung derart eng, dass man nur auf der Seite liegen kann. Unter diesen Verhältnissen ist es für Körperbehinderte ein schwieriges Unternehmen, draussen Suppe zu fassen und zu verzehren, besonders wenn es regnet. ... In Bolbec hat mich der Anblick der jugendlichen Gefangenen (fast schienen sie noch Kinder) und der vor Hunger verelendeten erschüttert, in Attichy derjenige der Insassen des Käfigs 11, die mit einem weissen Strich als "politische Gefangene" gekennzeichnet sind und als Menschen ohne Hoffnung gelten. ... Der blosse Besuch eines Vertreters des amerikanischen YMCA oder des Weltbundes der Christlichen Vereine junger Männer in Genf würde genügen, die Verhältnisse zu bessern. Anlage 3 Berichte aus französischer Gefangenschaft a) Pfarrer A. aus U.: Bis Dezember 1945 war ich in französischer Gefangenschaft in Nevers (Depot 83) - Menschenunwürdige Verhältnisse. Unterbringung in Fabrikhallen, seit November 1945 Pritschen, vorher Stroh auf Zementboden mit Läusen, Flöhen und Dreck. Wir haben 5 Monate lang kein frisches Stroh erhal-

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ten. Bis Frühjahr 1945 war für durchschnittlich 1200 Mann, zeitweise aber bis zu 4000 Mann nur ein Wasserhahn zur Verfügung. Seit Frühjahr 1945 gab es Brausen. Das Essen war sehr knapp: 800 Kalorien bei teilweise harter Arbeit. Infolgedessen grosses Sterben! Meine Beerdigungsliste enthält z.B. in der Zeit vom 10.9. bis Ende Oktober 80 Tote bei 9000 Mann Belegschaft. Im Zeitraum von 11/2 Jahren waren dreimal Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes da. Der erste hielt sich nur 5 Minuten auf, um nach dem Verbleib der vom Roten Kreuz gelieferten Medikamente zu forschen. Dann kamen zweimal je zwei Rote-Kreuz-Helfer (Schweizer), die als Lastkraftwagenbegleiter je 150 Zentner Lebensmittel brachten. Am 10.4.1945 und nochmals im Herbst 1945 kam Lagerbesuch von Vertretern des YMCA. Diese brachten Spiele, Musikinstrumente, Bücher, religiöses Schrifttum, jedoch leider nichts zu essen, keine Kleider und Medikamente. Das Lager Nevers, wo ich war, ist ein Durchschnittslager. ... Ich kenne Kommandos, wo die Leute zu Tode geschunden wurden und weiss von einem Bergwerk, wo die deutschen Kriegsgefangenen b i s h e u t e 800 m unter Tag splitternackt arbeiten. Sie besitzen lediglich Rock und Hose, die sie im Förderschacht nicht benützen können, weil sie sonst nach der Schicht nichts mehr anzuziehen hätten. Im Lazarett Auxonne lagen im Dezember 1945 1400 deutsche Kriegsgefangene, dem Hungertod nahe ohne nennenswerte Medikamente bei miserabler Unterbringung. Das klingt alles sehr grausam. Aber das Schlimmste ist, wenn man keine Nachricht von daheim bekommt und weiss, dass dort die Frauen zeitweilig Freiwild der Marokkaner waren. Ich bekam nach 14 Monaten Gefangenschaft zum ersten Mal Schreiberlaubnis. Viele Kameraden haben seit 18 Monaten kein Lebenszeichen von ihren Angehörigen. Obwohl aus der Westzone stammend, hatten sie bis Mitte Dezember 1945 noch nicht die Möglichkeit zu schreiben trotz Bitten meines katholischen Kollegen an den Bischof von Freiburg. b) Herr Z. aus A. (Auszug aus einem grösseren Bericht): Uber ... ging es mit der Eisenbahn unter Anwendung von Reitpeitschen durch bewachende Franzosen und Marokkaner in das Stammlager M. Unterkunft in den Kasematten der obigen Festung. Verpflegung: täglich 200g Brot, sowie mittags und abends je 1/2 Ltr. Suppe. Nach 14 Tagen ging es ins Nebenlager St., Unterbringung in einer Reithalle und zwar bis zu 400 Mann. Für jeden Mann blieb eine Breite von 67,5 cm zum Liegen. Wir bekamen Stroh. Dieses wurde in den 7 Monaten, die ich dort zubrachte, nicht erneuert, sodass wir allmählich buchstäblich im Dreck lagen. Die hygienischen Verhältnisse waren unbeschreiblich, die Behandlung

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menschenunwürdig. Es gab kein Wasser bis in den Sommer hinein. Schmutz, Läuse, eiternde Geschwüre waren die unausbleibliche Folge. Zur Arbeit wurden wir mit Prügeln angetrieben, häufig fielen die Leute aus Schwäche um. Wir waren durch die mangelhafte Verpflegung so schwach, dass an ein normales Arbeiten nicht zu denken war. Pro Woche erhielten wir beispielsweise 50g Fleisch. Statt Brot gab es des öfteren Hundekuchen. Im September erhielten wir zum ersten Mal ein Stück Seife. Wir bekamen keine Zuteilung an Nähfaden oder Flickstoffen, keine Tische oder Stühle, nicht einmal Löffel oder Becher, sondern höchstens alte, von Franzosen weggeworfene Konservenbüchsen. Die stereotype Antwort auf unsere diesbezüglichen Vorhaltungen war: "Das steht deutschen Kriegsgefangenen nicht zu." Von ärztlicher Betreuung kann man nicht sprechen. Die Geschwüre wurden von den Kameraden nach Möglichkeit mit Papierstreifen überklebt. Die Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren waren in besonderer Gefahr, von den bewachenden Marokkanern für geschlechtliche Ausschweifungen missbraucht zu werden. Die Möglichkeit, Post nach Hause zu schicken, gab es bis September überhaupt nicht. Von da ab war monatlich je eine Karte zugelassen, aber nur für diejenigen, die aus der französisch besetzten Zone stammten. Vom Internationalen Roten Kreuz habe ich leider nichts verspürt. Anlage 4 Berichte aus russischer Gefangenschaft a.) Herr F.F. aus Schlesien, jetzt Stuttgart: Gefangen am 22. Juni 1941 in der Ukraine (1 Tag nach Kriegsbeginn.) Am 26. Juni 1941 nach Sibirien verladen. Im Lager Nr. 86 in Nordsibirien, etwa 2000 Kilometer ostwärts des Urals, 4 Jahre verbracht. Lager mit 23000 Mann belegt. Alle Gefangenen aus Arbeitskommandos in Flugzeug- und Panzerfabriken. Zehn Stunden Arbeit ohne Pause. Essen: pro Tag 600g feuchtes Brot, und zweimal täglich je 1/2 Ltr. Suppe. Zum Schlafen Holzpritschen und die eigenen Mäntel, keine Wolldecken. Behandlung schlecht. Bewachung durch Russen und Mongolen. Schläge zum Antreiben oder bei Zusammenbruch. War Zusammenbruch endgültig, dann Gnadenschuss. Jeden Tag 10 bis 15 Todesfälle. Viele Läuse, wenig Medikamente, Amputationen ohne Betäubung. 4 Jahre lang Schreiben verboten, auch keine Post erhalten. Kriegsende durch Glockenläuten erfahren. Unterhaltung mit Zivilisten bei der Arbeit verboten. Am 15. August 1945 mit erstem Entlassungstransport entlassen. Lauter

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Invaliden, Kranke (Unterernährung, Ruhr, Wassersucht). Von den 7000 Mann des Entlassungstransports unterwegs bis Frankfurt/Oder noch 500 Mann gestorben. b) Pfarrer Z. aus K.: Ich bin am 1.12.1945 aus russischer Gefangenschaft (Lager Breslau, Posen, Thorn) zurückgekehrt. Entlassungsgrund: Insuffizienz. Im Lager hörte man immer wieder die schmerzlichen Fragen: 1. Warum keine Post und keinerlei Nachrichten, obwohl der Krieg schon lange vorüber ist? 2. Wo bleibt das Internationale Rote Kreuz? 3. Wo bleibt unsere Kirche mit ihrem Einsatz und Einfluss? In Posen war zunächst je ein katholischer und evangelischer Lagerpfarrer eingesetzt. Ich selbst konnte ausserdem als Sanitätsunteroffizier bei vielen Notleidenden und Sterbenden Seelsorge ausüben. In Posen sind bei ständiger Belegung des Lagerlazaretts mit etwa 6000 gefangenen Kranken, bis einschliesslich September insgesamt 4 bis 5000 Mann gestorben. Dabei betrug die gesamte Belegung des Lagers etwa 18000 Mann. Todesursache vorwiegend: Ruhr, Insuffizienz, Dystrophie. Bei einer grossen Zahl der Todesfälle handelte es sich um Volkssturmleute und Zivilisten. Von Thorn und Breslau kann ich keine näheren Todeszahlen angeben. Allein auch dort war die Sterbeziffer hoch. In Thorn (ab Oktober) waren Gottesdienste "unerwünscht". Sie wurden trotzdem bei ausserordentlichem Interesse abgehalten. Der einzelne Russe hatte nur Interesse für Arbeit, auch Sonntags! Die Verpflegung war knapp, die Behandlung schlecht, launisch und hart. Für kleine Vergehen drohten schwere Strafen, z.B. Prügel, Essenentzug bei erschwerter Arbeit. Auch ich habe Prügel bezogen. c) W.H. aus E. berichtet: In Pressburg und Umgebung befanden sich im Herbst 1945 insgesamt etwa 35 bis 40000 deutsche Kriegsgefangene, - Unterbringung vorwiegend in Kasernen - . Ich lag schwer verwundet im Lazarett. Wir hatten deutsches Personal, wenig Medikamente, schlechte Verpflegung. Der Chef des Lazaretts war anfangs ein Weissrussischer Leutnant, welcher in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen war. Die Behandlung war unter seiner Führung ausgezeichnet. Später kam an seine Stelle ein jüdischer Arzt, dazu eine russische Arztin im Majorrang und 12 bolschewistische Schwestern. In ihren Händen wurden die deutschen Soldaten zu Versuchskarnikkeln. Es wurden u.a. durchgeführt: Reamputation mit örtlicher Betäubung, Splitteroperationen mit unsterilen Instrumenten, daher viel Wundrose. Bei

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Gelenkversteifungen einmaliges Biegen in Narkose. Dann nach zwei Tagen Gesunderklärung. Besonderes Grauen verursachte das Auffüllen von Bombentrichtern mit verstorbenen deutschen Soldaten. Biblische und geistliche Literatur wanderten ins Feuer. Auch die deutschen Schwestern wurden teilweise schlecht behandelt, z.B. nackt ausgezogen. Eine Schwester wurde 10 Tage im Vorraum des Aborts eingesperrt, ohne das Tageslicht zu sehen. - Verrichtung der Notdurft in einem Kübel, der nicht geleert wurde. Grund: Sie war beim Hereinkommen des russischen Arztes ins Zimmer nicht aufgestanden. Ich habe gesehen, wie SS-Leute grün und blau geschlagen eingeliefert wurden. - Soldaten des Heeres wurden nicht geschlagen. Anlage 5 Berichte über polnische Kriegsgefangenschaft a) Die Frau eines Arztes berichtet: Am ll.l.d.Js. kam ich von einer Reise per Bahn über Crailsheim-Aalen nach Stuttgart zurück. In Crailsheim stiegen in den vollbesetzten Personenzug drei entlassene deutsche Kriegsgefangene ein, die schon bei flüchtigem Hinsehen auf alle Reisenden den tiefsten Eindruck machten und grösstes Mitleid erregten. In völlig zerrissenen Gewändern steckten totenähnliche Körper. Wir Mitreisenden hatten hier zunächst nur einmal das Bedürfnis zu helfen. Wir sammelten Brote, Obst und auch Geld. Nachdem die Soldaten sich durch die Nahrungsaufnahme etwas gekräftigt hatten, erzählten sie langsam und stockend von ihren Erlebnissen. Sie waren in russische Kriegsgefangenschaft geraten und dann im Laufe des Sommers den Polen übergeben worden. Von diesen waren sie als Bergarbeiter in die Steinkohlengruben nach Beuthen, Oberschlesien, gekommen. Sie hatten viereinhalb Monate unter Tag zugebracht, ohne auch nur für eine Sekunde an die Erdoberfläche zu kommen und die Sonne gesehen zu haben. Die Nahrung bestand in täglich einer Scheibe Brot und einem halben Liter Wasser. Dazu gab es reichlich Schläge. Die Glaubwürdigkeit dieser Angaben konnte nicht im geringsten angezweifelt werden, denn der Ernährungszustand war der völlig ausgehungerter Menschen, das Knochengerüst war gleichsam nur noch von Haut überzogen, die Haut selbst von einer wächsernen Totenblässe. Im Gesicht und auf dem Körper waren ältere, blutunterlaufene Stellen, teilweise mit schmutzigem Schorf bedeckt, zu sehen. Sie zeigten uns unter ihren zerrissenen Hemden die zahlreichen Stellen schwerster Misshandlungen und erklärten, dass sie

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nur herausgekommen wären, weil sie eben die Arbeit nicht mehr verrichten konnten, da sie schon Todeskandidaten waren und nicht mehr fähig, sich auf den Beinen zu halten. Nach ihren Angaben sollen sich in dem Bergwerk noch 4000 deutsche Soldaten befinden, die das gleiche Schicksal erleiden, die aber mit ihrer Entlassung aus dieser Hölle erst dann rechnen können, wenn sie dem Hungertode genau so nahe sind wie die hier beschriebenen Opfer. Nicht nur uns Frauen, sondern auch den Männern selbst traten die Tränen in die Augen, als sie all die Schrecknisse schilderten, die sie in den letzten Monaten hatten durchmachen müssen. b) Aus einem Bericht von Rückkehrern aus Beuthen (Oberschlesien) geht hervor, daß dort in den polnischen Bergwerken Tausende von deutschen Gefangenen seit vielen Monaten unter Tag arbeiten bei primitivsten Lebensbedingungen, ohne Hoffnung, ohne Verbindung mit der Aussenwelt, ohne auch nur das Tageslicht zu erblicken. Anlage 6 Bericht aus tschechischer Gefangenschaft Dr. W.D.: Das zur Arbeit in den Bergwerken verschleppte Menschenmaterial setzte sich wahllos aus Reichs- und Volksdeutschen, deren man hatte habhaft werden können, zusammen. Es fanden sich infolgedessen von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen nur solche Leute, die entweder infolge von Krankheit oder Verwundung für den Wehrdienst untauglich geworden waren, oder von den alliierten Streitkräften aus Gefangenschaft entlassen und von den tschechischen Behörden erneut eingesperrt worden waren. - Unter den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen befand sich der etwa 20-jährige sudetendeutsche Adolf Blassl, der als Tuberkulosekranker etwa ein Jahr in einem Wehrmachtssanatorium verbracht hatte. Von dort wurde er zur Arbeitsleistung unter Tage (560m) nach Libuschin verschleppt. Nach kurzer Zeit kam es zu erheblicher Verschlechterung des Allgemeinzustandes, fortgesetztem leichtem Fieber und Gewichtsabnahme. Eine Befreiung von der Arbeit konnte durch den deutschen Lagerarzt nicht erreicht werden, es war nicht einmal möglich, durch eine einfache klinische Untersuchung feststellen zu lassen, ob B. als ansteckend anzusehen war. Ähnlich lag der Fall bei einem anderen Lagerinsassen, dessen Name, soweit mir erinnerlich, Wagner war (14 Monate Lungensanatorium, Anlegen eines Pneumo-Thorax, Transport ins Lager Libuschin. Nach kurzer Arbeitszeit Fieber, Gewichtsverminderung, Husten und Auswurf).

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Bei einem etwa 40-jährigen Volksdeutschen aus Kladno war nach Kriegsverwundung das linke Bein amputiert worden. Infolge der starken Abmagerung, die bei allen Lagerinsassen eintrat, verlor die Prothese ihren richtigen Sitz und der Stumpf war fortgesetzt wundgescheuert. Auch hier war es trotz einsichtiger Befürwortung durch den tschechischen Amtsarzt Dr. Zemann für den Lagerarzt nicht möglich, den Schwerbeschädigten aus dem Bergwerk herauszubringen, w o er dieselbe Arbeit wie alle übrigen verrichten musste. ... Eine Sonderbehandlung wurde den gefangenen SS-Leuten im Kriegsgefangenenlager Kladno zuteil. Bei unserem Einzug in dieses Lager befanden sich zwei SS-Leute, deren einer San.-Dienstgrad gewesen war, in demselben. Sie mussten mit entblösstem Oberkörper Tag und Nacht auf dem urinfeuchten Boden liegen oder stundenlang mit erhobenen Händen an der Wand stehen. Dabei erhielten sie in regelmässigen Abständen Fusstritte und Schläge. Bei einer dieser Attacken wurde die 7. Rippe rechts durch Fusstritt gebrochen. Es war mir anfangs nicht erlaubt, dem SS San.-Dienstgrad ärztlich zu helfen. Später wurden die Misshandlungen auf ausdrücklichen Befehl eines russischen Stabsoffiziers eingestellt. Jedoch wurden schon am Tage nach dem Abzug der russischen Truppe die beiden SS-Leute erneut in den Pferdestall gebracht, von wo wir nachts in regelmässigen Abständen das Wimmern und Schreien der beiden Gefolterten herüberschallen hörten. Wir haben sie dann nicht mehr zu Gesicht bekommen. ...

4C2. Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Landesbruderräte. Schwäbisch Gmünd, 4. März 1946 F: ASD Bonn, NL Heinemann, Allg. Korr. 1.1.1946-10.4.1946

(H).

Betrifft: Durchführung der Entnazifizierung im Raum der Kirche Eine endgültige einheitliche Stellungnahme der Evang. Kirche in Deutschland zu dieser Frage wird erst möglich sein, wenn das in der amerikan. Zone kurz bevorstehende Gesetz erlassen ist, das voraussichtlich zum Gesetz für ganz Deutschland erklärt werden soll. U m schon jetzt eine Stellungnahme aller Landeskirchen vorzubereiten, teilen wir nachstehend einige Leitsätze mit, und bitten die obersten Behörden der deutschen evang. Landeskirchen um möglichst baldige Stellungnahme hierzu: 1.) Die Reinigung der Kirche vom Nationalsozialismus ist ein dringliches Anliegen der Kirche selbst. Sie wird sich dabei leiten lassen müssen von den in der Anlage beigefügten Grundsätzen 140 .

140 4C3 (S. 364f.).

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2.) Es ist unmöglich, bei den Geistlichen und Kirchenbeamten, die der Partei angehört haben, zwischen der christl. Persönlichkeit und dem politischen Menschen zu scheiden. Diese Scheidung haben die Nazis erfunden, die damit den Kirchenkampf heraufgeführt haben. Daraus ergibt sich folgendes: Wenn ein Pfarrer oder Kirchenbeamter christlich in Ordnung ist und wenn seine Angelegenheit vor Gott ins Reine gekommen ist, dann kann die Kirche nicht zugeben, dass er aus Gründen der formalen Zugehörigkeit zur Partei durch politische Stellen aus dem Amt entfernt wird. Gewaltanwendung in diesem Punkte würde die Kirche in ernste Konflikte bringen. 3.) Um dies zu vermeiden, bleibt nur der Weg übrig, dass die Kirchenleitung mit der Militärregierung sich über diejenigen Fälle ins Benehmen setzt, in denen ihr Urteil von dem politischen Urteil der Militärregierung abweicht. 4.) Auf diese Weise soll sicher gestellt werden, dass die Kirche die Reinigung vom Nationalsozialismus selbst vornimmt, ohne dabei einem fremden Druck zu unterliegen und ohne dass ihr Eingriffe von aussen her zugemutet werden müssen. gez. Asmussen DD. 4C3. Leitsätze zur Reinigung der Kirche vom Nationalsozialismus F:ASDBonn,

NL Heinemann, Allg. Korr. 1.1.1946-10.4.1946 (vervielfältigte Abschrift als

Anlage zu 4C2).

Die Reinigung der Kirche vom Nationalsozialismus 1. Der Nationalsozialismus war nicht nur eine politische Lehre und ein staatliches Prinzip. Er war in seinem Wesen R e l i g i o n und als Religion Antichristentum. Die Vernichtung der christlichen Kirche und die Ausrottung des Glaubens war sein Ziel. Er setzte an die Stelle des lebendigen Gottes irdische Mächte und Gestalten und entband unser Volk aus dem Gehorsam der Gebote: So wurde der Raum frei für das masslos Böse triumphierte [sie.']. In ihm erhob der Satan sein Haupt. Wer als Geistlicher dem Nationalsozialismus verbunden war und sich nicht vor der Gemeinde deutlich von ihm geschieden hat, muss sich fragen lassen: ob er nicht gegen das 1. Gebot gesündigt und ob er sich nicht der Verführung der Gemeinde Gottes schuldig gemacht hat.

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2. Der Kampf um die Freiheit der Kirche gegenüber dem totalen Staat, der Kampf gegen das Eindringen des nationalsozialistischen Geistes in die Lehre und Verkündigung der Kirche war die Pflicht aller Amtsträger der Kirche. Wer sich als Geistlicher an diesem Kampf nicht beteiligt hat in der Gemeinschaft oder als Einzelner, muss sich fragen lassen, ob er sich nicht einer Versäumnis schuldig gemacht und die Pflicht der Brüderlichkeit verletzt hat. 3. Es gehört zum Hirtenamt der Kirchenleitung, das ihr durch den Herrn der Kirche auferlegt ist, die Reinigung der Kirche vom nationalsozialistischen Geist und Wesen mit heiligem Ernst durchzuführen und um die Sühne der schuldig gewordenen Geistlichen besorgt zu sein. Der schuldig gewordene Geistliche seinerseits hat ein Recht darauf, dass die Kirchenleitung seine Schuld ernst nimmt und ihm dazu hilft, wo es möglich ist, die Glaubwürdigkeit seines Dienstes zurückzugewinnen. 4. Der von der Kirchenleitung eingerichtete Untersuchungsausschuss ist ein Instrument der Kirchenleitung zum Zwecke der Reinigung der Kirche und der Entschuldung der Geistlichen. Sein Zweck ist nicht, bürgerliche Entschuldigungen zu betreiben, sondern die Schuldfrage vor dem Angesicht Gottes gewissenhaft zu klären und dem Geistlichen gegebenenfalls zur Erkenntnis seiner Schuld zu verhelfen. Dabei gilt der Gesichtspunkt, dass es gerade die besten sind, die über der Frage ihrer Schuld nicht zur Ruhe kommen können. Der Ausschuss arbeitet nach dem Grundsatz der individuellen Prüfung. Die von ihm vorzuschlagenden Massnahmen der Kirchenzucht gliedern sich nach dem Mass der Schuld in: Entfernung aus dem Kirchenamt, Pensionierung mit oder ohne Gehaltsteile, Versetzung in den Wartestand mit längeren oder kürzeren Fristen, Versetzung in ein anderes Amt als Gelegenheit zu einem Neuanfang. 5. Es ist Pflicht der Kirchenleitung, auf dem Wege der Kirchenzucht der Busse des Geistlichen Raum zu geben. Der Geistliche ist zu hören, wenn ihm die Massnahme der Kirchenzucht ungenügend und als nicht geeignet erscheint, die Glaubwürdigkeit seines Zeugendienstes und damit die Dienstfreudigkeit zurückzugewinnen. 6. Wo keine Bereitschaft zur Busse besteht, ist der Geistliche grundsätzlich nicht im Amt zu lassen. Die Kirchenleitung wird in solchem Falle Gelegenheit schaffen, durch Teilnahme an stillen Wochen, Freizeiten usw. dem Geistlichen zu einer Vertiefung seiner Erkenntnis und seines Verständnisses vom geistlichen Amt zu verhelfen. Eine spätere Wiederverwendung im kirchlichen Dienst bleibt vorbehalten.

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4C4. Referat Meisers: "Die konfessionelle Frage innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland" F: EZA Berlin, 2/56 (H mit Originalanmerkungen

Meisers).

Meine Herren und Brüder! Als 1933 über den Deutschen Evangelischen Kirchenbund hinaus eine Deutsche Evangelische Kirche gebildet werden sollte, da war es den bekenntnistreuen Vertretern der lutherischen und der reformierten Kirchen ein vordringliches Anliegen, es möchte diese DEK eine F ö d e r a t i o n einer lutherischen, einer reformierten und einer unierten Kirche in Deutschland sein, und auch Kreise innerhalb der Unionen erhofften sich eine bekenntnismässige Klärung und den Zusammenschluss der Bekenntnisverwandten in den einzelnen Landeskirchen. Ehe aber die verfassungsmässig vorgesehenen Organe in Tätigkeit treten konnten, war der Kampf gegen die falschen Lehren der deutschen Christen entbrannt und ein Zusammenstehen all derer gefordert, die an ihre Bekenntnisse gebunden eine allen Bekenntnissen entgegentretende Bedrohung abzuwehren hatten. Da bei ihnen allen nach dem Bekenntnis, seiner Geltung und seinen Auswirkungen gefragt war, hat die Bekennende Evangelische Kirche in Deutschland v o n B a r m e n a n die bekenntnismässige Gliederung geehrt141 und wiederholt verheissen, den vom

141 Aus der theologischen Erklärung von Barmen 1934: "Wir, die zur Bekenntnissynode der DEK vereinigten Vertreter lutherischer, reformierter und unierter Kirchen, freier Synoden, Kirchentage und Gemeindekreise erklären, dass wir gemeinsam auf dem Boden der DEK als eines Bundes der deutschen Bekenntniskirchen stehen. Uns fügt dabei zusammen, das Bekenntnis zu dem einen Herrn, der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche. ... Gemeinsam dürfen und müssen wir als Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen heute in dieser Sache reden. Gerade weil wir unseren verschiedenen Bekenntnissen treu sein und bleiben wollen, dürfen wir nicht schweigen, da wir glauben, dass uns in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in den Mund gelegt ist. Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag." (Bericht [= K. Immer, Bekenntnissynode Barmen] S. 8 u. 9.) Aufruf an die evangelischen Gemeinden und Christen in Deutschland: "Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen haben aus der Treue zu ihrem Bekenntnis heraus ein gemeinsames Wort zur Not und Anfechtung der Kirche in unseren Tagen gesucht. Mit Dank gegen Gott glauben sie gewiss, dass ihnen das gemeinsame Wort in den Mund gelegt worden ist. Sie wollten weder eine neue Kirche gründen, noch eine Union schaffen. Denn nichts lag ihnen ferner als die Aufhebung des Bekenntnisstandes unserer Kirchen." (Bericht S. 74.) Vortrag von Pastor Asmussen über die Banner Theologische Erklärung: "Die Bekenntnissynode der DEK ist nicht gleichbedeutend mit der Gründung einer neuen Kirche. ..." (S. 11, 12).

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Bekenntnis gebotenen Folgerungen in Lehre, Ordnung und Kirchenleitung mit Ernst stattzugeben 142 . W a r es doch eine der entscheidenden Erkenntnisse des Kirchenkampfes, dass Lehre und Ordnung, dass Verkündigung und Kirchenleitung, dass Gottesdienst und kirchliches Handeln unauflöslich miteinander verbunden sind 143 . Die Ordination der Pfarrer, die Visitation der Gemeinden, die Unterweisung der Jugend in den Hauptstücken des Katechismus forderte und fordert die Ehrung des Bekenntnisses. Es ist eben nicht richtig, die Kirche für eine wahrhaft religiöse Vereinigung zu erklären, in der die Meinungen religiöser Gruppen gleichberechtigt nebeneinander bestehen können, in der die Vertreter des guten Bekenntnisses der Reformation eine Gruppe neben einer anderen sind, weil die Kirche es ablehnt, verbindlich zu sagen, was sie glaubt, lebt, lehrt und bekennt 1 4 4 . Nur völlige

Beschlüsse der Synode: ["] 2.) Synode übergibt diese Erklärung den Bekenntniskonventen zur Erarbeitung verantwortlicher Auslegung von ihren Bekenntnissen aus ["; EBD., S. 28} 142 Bericht über die Ausschußberatungen der Bekenntissynode in Dahlem, erstattet von D. Freiherr v. Soden: "Denn dass eine Kirche ein Bekenntnis hat, bedeutet nicht, dass sie dies in ihrer Ausstattung hat und es evtl. auch einmal durch ein anderes ersetzen kann, sondern es bedeutet, dass sie in ihrem ganzen Wesen dadurch bestimmt ist." ([BekenntnissynodeDahlem] S. 40). Botschaft der Bekenntnissynode: "Auf Grund des kirchlichen Notrechts der an Schrift und Bekenntnis gebundenen Kirchen, Gemeinden und Trägern des geistlichen Amtes schafft die Bekenntissynode der DEK neue Organe der Leitung. ... Beide Organe sind den Bekenntnissen entsprechend zusammengesetzt und gegliedert." (S. 45). Beschlüsse der Bekenntissynode von Oeynhausen 1936: "Eine Kirchenleitung, die den Gehorsam gegen die Hl. Schrift und die Bindung an die Bekenntnisse der Kirche verleugnet, verwirkt ihren Anspruch auf Leitung und zwingt die Kirche, an ihre Stelle eine andere Leitung zu setzen." J X Immer, Bekenntnissynode Oeynhausen] S. 7). 143 Beschlüsse der Bekennntissynode von Bad Oeynhausen 1936: "Aufgabe einer Kirche ist es, im Gehorsam gegen die Hl. Schrift und in der Bindung an ihr Bekenntnis die reine Verkündigung des Evangeliums zu treiben und für die rechte Verwaltung der Sakramente Sorge zu tragen. Die Kirchenleitung hat darüber zu wachen, dass die Verkündigung des Evangeliums schrift- und bekenntnismäßig sei und nicht verkürzt oder verfälscht werde. Diese vornehmste Sorge der Kirchenleitung ... muss sich jedoch auch auf die rechte Ordnung der Kirche erstrecken, da alle Ordnung der Kirche der rechten Verkündigung des Evangelituns zu dienen hat." (S. 7). "Wir wollen eine Ordnung der Kirche, die in allen ihren Organen und Funktionen dem Bekenntnis der Kirche entspricht." (S. 9). 144 Vortrag von Pfarrer Lücking, Dortmund: "Die Einheit der Kirche beruht in der Einheit der Lehre. Das Kirchenregiment muss darüber wachen, dass nicht zweierlei Lehre und Verkündigung nebeneinander stehen." (S. 75).

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theologische Naivität kann dem ernsten konfessionellen Anliegen gegenüber behaupten: Wir stellen die Bibel über das Bekenntnis! Es ist hier noch nicht verstanden, dass das Bekenntnis aus der Bibel genommen und um ihrer rechten Deutung willen als Grenze und als Waffe gegen Schwärmer und andere Irrgeister aufgerichtet ist, sowie es für die Kirche Regel und Richtschnur ihrer Lehre und ihres Lebens bedeutet. Es wird nicht bestritten, dass dort, wo die klare Bindung an das lutherische oder reformierte Bekenntnis nicht mehr besteht, nicht warmes, geistliches Leben aufblühen und Früchte reifen lassen könnte, die der ganzen Christenheit zugute kommen. Gottes Gnade erweist sich überall mächtig, wo sie aufgenommen und bedankt wird. Es wird aber bestritten, dass die erkannte Wahrheit vernachlässigt werden darf und dass dann diese Vernachlässigung für das christliche Leben und Handeln ohne Belang sei. Es wird weiter bestritten, dass um der Liebe willen die Wahrheit zurücktreten müsse. Damit kehren wir auch vor unserer eigenen Tür, indem wir uns zum Kampfe aufgerufen wissen gegen ein Luthertum, das sich am juristischen Tatbestand seiner Bekenntnisgeltung und seiner unversehrten landeskirchlichen Existenz genügen läßt. Abusus non tollit usum. Wir wissen recht wohl, welche Einwände gegen unsere Entschlossenheit, nunmehr zu einer vereinigten evang.-luth. Kirche in Deutschland zu kommen, immer wieder erhoben werden, von den Ressentiments aus dem Jahre 1866 an, über die Frage nach dem Verhältnis von Bibel und Bekenntnis bis zu der Sorge, wir wollten uns aus der Gemeinschaft der Bekenntnissynoden und ihrer Erfahrungen christlichen Verbundenseins entlassen. Wir haben diese Verbundenheit niemals verleugnet und sind nach wie vor gewillt, nach dem rechten Weg zu suchen, sie auch fürderhin in Funktion zu halten. Wir sind der Meinung, dass dort, wo die ökumenischen und die reformatorischen Symbole in ihrer Tiefe verstanden werden, eine wahrhaftigere und lebendigere Gemeinschaft möglich und tatsächlich vorhanden ist als dort, wo man sich ohne solche Klarheit zusammenschließt. Wir sind darum entschlossen, nunmehr die bekenntnisgebundenen lutherischen Kirchen als Vereinigte Evang.-Luth. Kirche zu verbinden. Bis heute haben sich sämtliche lutherischen Landeskirchen abgesehen von Oldenburg und Eutin, [im Rate] der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands zusammengeschlossen 145 . War ein Teil bisher durch den Bruderrat vertreten, so haben nunmehr auch die neuen Kirchenleitungen ihren Beitritt vollzogen. Wir sind entschlossen, mit allen in der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammengefaßten Kirchen in einer ehrlichen Föderation zusammenzustehen. Wir wissen, dass die reformierten Landeskirchen seit langem den gleichen Willen 145 Ergänzung nach der Vorlage im LKA NÜRNBERG, Meiser 120.

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bekunden. W i r bezeugen damit, dass uns kein unkirchlicher Partikularismus bindet. W i r beanspruchen nicht, von aussen her in die eigenen konfessionellen Verhältnisse der deutschen Unionen einzugreifen. W i r halten uns aber offen für die Möglichkeit, dass Kirchen der Union sich nach den Bekenntnissen gliedern und sich der lutherischen oder reformierten Kirche in Deutschland anschließen. W i r warten allerdings darauf, dass die Synoden der Altpreußischen Union, die in den Jahren des Kirchenkampfes wiederholt gefassten Beschlüsse, ihre Kirchenleitung und Ordnung vom Bekenntnis bestimmen zu lassen, durchführen 146 . Den Rat der EKiD bitten wir zu erklären: 1.) Die EKiD ist eine Föderation von Bekenntniskirchen. In ihr sind zusammengeschlossen, die Vereinigte Evang.-Luth. Kirche, die Reformierte Kirche und die Unierte Kirche in Deutschland. 2.) Der Rat der EKiD begrüsst es, dass nunmehr in Ubereinstimmung mit den Beschlüssen der Bekenntnissynoden mit der konfessionellen Gliederung ernst gemacht wird. Dabei wolle bedacht werden, ob der Name "Evangelische Kirche in Deutschland" theologisch, bekenntnismäßig, sachlich richtig ist. Das lutheri-

146 4. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union (Breslau, 16.18.12.1936): "Der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union und ihrer Kirchenleitung sind im Laufe der kirchlichen Notjahre Aufgaben kirchlicher Neuordnung gezeigt worden, die sich nicht mehr im Rahmen der bisherigen Verfassung durchführen lassen. Insbesondere ist ihr die Aufgabe, die Ordnungen der Kirche nach den bestehenden Bekenntnissen auszurichten, dringende Forderung geworden. Das Notkirchenregiment der Bekennenden Kirche in Preussen ist daher entschlossen, der Tatsache, dass nach der Verfassungsurkunde der Evangelischen Kirche der Altpreussischen Union die fortdauernde Geltung der reformatorischen Bekenntnisse anerkannt ist, auch für die Neuordnung der Kirche Rechnung zu tragen. Diese bekenntnismäßige Ausrichtung der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union kann jedoch angesichts des durch die hundertjährige Geschichte der Union geprägten kirchlichen Lebens der Gemeinden nur Schritt für Schritt durchgeführt werden." ([Beschlüsse Bekenntnissynode Breslau] S. 12). 2. Tagung der 4. Bekenntnissynode der Altpreußischen Union (Halle 10.-13.5.1937) Beschlüsse: "Für die Auslegung der Hl. Schrift in Lehre und Ordnung gelten (In der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union) folgende Bekenntnisse, die wiederum beständig an der Hl. Schrift zu prüfen sind: Apostolicum, Nicaenum, Athanasianum; in den luth. Gemeinden: C.A. invariata, Apologie, Cat. Minor und major, Art. Smalc.; in den reformierten: in den unierten: ". ([unvollständig zitiert aus: Beschlüsse Bekenntnissynode Halle] S. 4/5)

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sehe Bekenntnis verwehrt es uns, nach CA 7 von einer Kirche im Singular zu sprechen. Eine gültige Verfassung der EKiD kann nur erstellt werden, wenn die konfessionelle Frage vorher sauber geklärt ist. Wir würden nicht nur die seit 1933 verhängnisvoll zu Tage tretende Begriffsunklarheit befestigen, sondern auch des Segens verlustig gehen, der auf die Wahrhaftigkeit gelegt wird. Neue Nöte und Verwicklungen müssen die Folge sein, wenn nicht von vornherein die Grundlagen klar sind. Wir dienen damit auch der Ökumene, in der heute die konfessionelle Gliederung neue Kraft erhält und wir wissen uns in unserem Anliegen den lutherischen Kirchen in der Welt verbunden. Dass wir so auch unseren Vätern die Treue halten, die vor Jahrzehnten schon sich um den Zusammenschluss der lutherischen Kirchen bemüht haben, und die Gewissen derer entlasten, die einer Union nicht zustimmen können, sei nur angemerkt. Wie wir uns die Ordnung und Verwaltung der EKiD denken, zeigt Ihnen ein Entwurf, den ich Ihnen überreichen werde147. Ich habe mich möglichster Kürze befleissigt. Es ist an Ihnen, meine Brüder, nunmehr entschlossen dem Rechnung zu tragen, was, wie Sie wissen, nicht erst jetzt, uns aufs tiefste bewegt. Wir wollen nichts anderes, aber auch nichts geringeres, als heute, gemahnt an das Vermächtnis Martin Luthers, von alten und unkirchlichen Bindungen frei, in Freiheit des Glaubens leben, den wir bekennen und mit Gottes Hilfe in Zukunft bekennen werden.

4C5. Entwurf Fleischs für eine Verfassung der EKD F: LKA Hannover, D 15IVNr. 9 (H). Die evangelischen Landeskirchen, die 1945 in Treysa in Anknüpfung an die DEK ihren Willen erklärt haben, die im Kirchenkampf gewonnene Gemeinschaft als Evangelische Kirchen in Deutschland zu bewahren und zu bewähren, geben hiermit der EKD folgende Verfassung: Art. I. Die EKD ist ein Bund bekenntnisbestimmter Kirchen (Bekenntniskirchen). Ihr gehören an die VELK, die deutsche reformierte Kirche und die deutsche unierte Kirche, sowie solche deutschen evangelischen Kirchen (Landeskirchen), die einer der drei genannten Kirchen nicht angeschlossen sind.

147 4C5 (S. 370-374).

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Art. II. 1. Die Aufgabe der EKD ist es, die Gesamtheit der deutschen evangelischen Kirchen nach außen zu vertreten, das gemeinsame Erbe des deutschen Protestantismus zu wahren und insbesondere die den deutschen evangelischen Kirchen im Kampf um das Bekenntnis geschenkte Gemeinschaft zu pflegen und zu fördern. 2. Im Rahmen der Z[iffer] 1 liegen der EKD insbesonders ob die Bearbeitung der gemeinsamen Aufgaben auf dem Gebiet des öffentlichen Lebens, des Rechtes, der Schule und der Erziehung, der Liebestätigkeit und der bekenntnismäßig nicht gebundenen kirchlichen Verbände und Werke, die Vertretung gegenüber den staatlichen Zentralstellen, gegenüber der katholischen Kirche und innerhalb der ökumenischen Arbeit der Christenheit, letzteres unbeschadet der Mitarbeit der einzelnen Bekenntniskirchen in der Weltarbeit ihres Bekenntnisses. Art. m . Die Bekenntniskirchen sind in Gesetzgebung und Verwaltung selbständig. Jedoch können nach Maßgabe dieser Verfassung gemeinsame Verordnungen und Kirchengesetze der EKD erlassen werden. Art. IV. Leitende Organe der EKD sind 1. Der Rat der EKD (Rat), 2. Die Kanzlei der EKD (Kanzlei), 3. Der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT). Art. V. 1. Der Rat besteht aus 12 Mitgliedern, nämlich 1. den obersten leitenden Amtsträgern der drei Bekenntniskirchen, 2. den Leitern der drei Kanzleien, 3. 4 weiteren von der VELK und 4. 2 weiteren von der unierten Kirche entsandten Mitgliedern. Solange der EKD mehr als zwei den Bekenntniskirchen nicht angeschlossene Landeskirchen angehören, bestellen diese außerdem gemeinsam ein 13. Mitglied. 2. Der Rat wählt seinen Vorsitzenden und einen ersten und zweiten Stellvertreter, die bei Behinderung der Reihe nach eintreten. Die Stellvertreter müssen jeweils den beiden Bekenntnissen angehören, denen der Vorsitzende nicht angehört.

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3. Der Rat leitet die EKD im Rahmen der Verfassung und der ergehenden Kirchengesetze der EKD und stellt die allgemeinen Grundsätze für die Verwaltung der EKD auf. 4. Der Rat hat das Verordnungsrecht auf allen Gebieten, auf denen es ihm durch Kirchengesetz der EKD zugewiesen wird. In dringenden Fällen kann er, wenn die Regelung einer Angelegenheit eines Kirchengesetzes bedarf, Notverordnungen erlassen, die dann dem nächsten DEKT vorzulegen sind. 5. Der Rat wirkt nach Art. VIII bei der Gesetzgebung mit. 6. Wenn zu einem Beschluß des Rates oder zu einer Verordnung oder einer Notverordnung die Vertreter eines Bekenntnisses mit Begründung erklären, daß der Beschluß oder die Verordnung oder Notverordnung ihrem Bekenntnisse widerspreche, und diese Erklärung bei einer nochmaligen, frühestens nach einem Monat stattfindenden Beschlußfassung aufrecht erhalten, so tritt der Beschluß oder die Verordnung oder die Notverordnung nicht in Kraft. 7. Der Vorsitzende des Rates hat als solcher die gemeinsamen Belange der gesamten EKD und, soweit dabei die besonderen Belange der Bekenntniskirchen in Frage kommen, nicht nur die seines eigenen, sondern auch die der beiden anderen Bekenntnisse zu vertreten. Er kann sich dabei von den Stellvertretern vertreten oder unterstützen lassen. Art. VI. 1. Die Kanzlei besteht aus den Kanzleien der 3 Bekenntniskirchen als ihren Abteilungen. Der Leiter einer Abteilung wird für die Dauer seines Amtes durch den Rat zugleich zum Leiter der Kanzlei der EKD bestellt, die beiden anderen vertreten ihn in vom Rat festgesetzter Reihenfolge. 2. Jede Abteilung bearbeitet alle mit dem Bekenntnis unmittelbar zusammenhängenden Angelegenheiten selbständig. In gemeinsamen Beratungen aller Abteilungen wird erarbeitet, was dem Rat zur allgemeinen Anordnung vorgeschlagen werden kann. 3. Für Rechts- und Finanzfragen kann eine vierte Abteilung aus Mitgliedern aller drei Bekenntnisse eingerichtet werden. Doch sind die Mitglieder dieser Abteilung jedes auf sein Bekenntnis zu verpflichten und muß auch in dieser Abteilung auf Anfordern des Leiters einer der anderen Abteilungen eine itio in partes eintreten. 4. Die Kosten für die Präsidialgeschäfte und für die unter 3) genannte Abteilung sowie die gemeinsamen Kosten der Abteilungen trägt die EKD. 5. Die Leiter der Abteilungen verständigen sich für die gemeinsame Arbeit der Kanzlei über eine Geschäftsordnung der Kanzlei, die der Zustimmung des Rates bedarf.

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6. Die Kanzlei führt die gesamte Verwaltung der EKD. Sie bereitet die Kirchengesetze der EKD und die sonstigen Vorlagen für den DEKT sowie die Sitzungen des Rates vor. Art. W . 1. Der DEKT besteht aus den Synoden der drei Bekenntniskirchen mit der Maßgabe, daß 42 Abgeordnete auf die VELK, 28 auf die unierte und 14 auf die reformierte Kirche entfallen. Zählt eine der 3 Synoden weniger Synodale als Abgeordnete zum DEKT auf sie entfallen, so wählt sie entsprechend weitere Abgeordnete hinzu. Zählt eine Synode mehr Synodale, als ihrer Kirche Mitlgieder im DEKT zustehen, so bestimmt sie, welche ihrer Synodalen stimmberechtigte Mitglieder des DEKT sein sollen. Solange der EKD mehr als 2 nicht den Bekenntniskirchen angeschlossene Landeskirchen angehören, entsenden deren Synoden weitere 5 Mitglieder, 2 geistliche und 3 nichtgeistliche. Die Verteilung dieser Mitglieder auf die Landeskirchen bestimmt der Rat. 5 Mitglieder werden vom Rat als Vertreter der über eine Bekenntniskirche hinausgreifenden Werke berufen. Die Entsendung und Berufung der in Satz 4 und Satz 6 genannten Mitglieder erfolgt auf 4 Jahre. 2. Der DEKT soll möglichst in jedem vierten Jahre zusammentreten. Die Einberufung erfolgt durch den Vorsitzenden des Rates. Der Rat kann die Einberufung außerordentlicher Tagungen beschließen. 3. Der DEKT wird durch den Vorsitzenden des Rates eröffnet. Unter seiner Leitung wählt er aus seiner Mitte einen Präsidenten und unter dessen Leitung die sonst nach seiner Geschäftsordnung erforderlichen Beamten. Die Geschäftsordnung wird vorläufig vom Rat aufgestellt, bis der DEKT sich selbst eine Geschäftsordnung gibt. 4. Der DEKT kann sich selbst vertagen und schließen. 5. Die Mitglieder des Rates und von den Leitern bestimmte Vertreter der Kanzlei haben das Recht, an den Tagungen des DEKT teilzunehmen und nach jedem Redner das Wort zu ergreifen. 6. Der DEKT kann über alle Fragen des kirchlichen Lebens beraten. Vorlagen des Rates und der Kanzlei müssen zur Beratung gebracht werden. 7. Der DEKT beschließt zusammen mit dem Rat Kirchengesetze der DEK [mußheißen: EKD] (VIII). 8. Wenn bei Beratung einer Vorlage eine Bekenntniskirche mit begründeter Berufung auf ihr Bekenntnis es fordert, haben die 3 Synoden gesondert zu verhandeln. 9. Der DEKT beschließt über die von der EKD zu bestreitenden Ausgaben und die zu deren Deckung erforderlichen Einnahmen. Er setzt den Haushaltsplan für 4 Jahre fest.

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Art. v m . 1. Kirchengesetze der EKD kommen zustande durch übereinstimmenden Beschluß des DEKT und des Rates. 2. Sie werden auf Anfordern des Rates durch die Kanzlei vorbereitet und von ihr zuerst dem Rat, dann mit dessen Änderungen dem DEKT vorgelegt. 3. Kommen übereinstimmende Beschlüsse von Rat und DEKT nicht zustande, so erlangt der Entwurf auch ohne Zustimmung des Rates Gesetzeskraft, wenn der DEKT in einer mindestens 6 Monate später stattfindenden Sitzung seinen Beschluß aufrecht erhält. 4. Werden bei gesonderter Behandlung einer Angelegenheit nach Art. VII. [Abs.'] 8 von einer der 3 Synoden mit begründeter Berufung auf ihr Bekenntnis Sonderbestimmungen für ihre Kirche beschlossen, so muß der DEKT wie der Rat diese Sonderbestimmungen in das Gesetz aufnehmen, andernfalls ist das Kirchengesetz gescheitert. 5. Notverordnungen des Rates können durch einfachen Mehrheitsbeschluß des DEKT außer Kraft gesetzt werden. 6. Die vom Rat und DEKT beschlossenen und vom Vorsitzenden des Rates vollzogenen Kirchengesetze werden von diesem im Amtsblatt der EKD veröffentlicht. Sie treten, wenn nichts anderes bestimmt ist, am 14. Tag nach dem Tage der Veröffentlichung in Kraft. Art. IX. 1. Die Bekenntniskirchen und Landeskirchen innerhalb der EKD verpflichten sich, die durch Einnahmen nicht gedeckten Kosten der EKD aufzubringen. Die Verteilung auf die Kirchen erfolgt durch den Rat. 2. Die Vermögensverwaltung führt aufgrund des Haushaltsplans die Kanzlei. Sie legt jährlich dem Rat Rechnung vor. Dieser erteilt die Entlastung. Art. X. 1. Diese Verfassung tritt am ... in Kraft. 2. Bis zur Bildung des Rates der EKD werden dessen Befugnisse von dem gegenwärtigen vorläufigen Rat der EKD wahrgenommen. 3. Die Geschäfte der Kanzlei der EKD führt bis zur Umbildung nach Maßgabe dieser Verfassung die jetzige Kanzlei.

4D Vorlagen und Anträge

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4D Vorlagen und Anträge 4D1. Schreiben des Alliierten Kontrollrats an Wurm. [Berlin] 18. Dezember 1945 F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (Abschrift einer Übersetzung). - Abdruck in englischer und deutscher Fassung: VONBlNr. 9, März 1946. Werter Herr Landesbischof Wurm! Wir haben den Wunsch, Ihnen den Empfang Ihres Briefes vom 10. Okt. 1945148 zu bestätigen und Sie in Kenntnis zu setzen, daß die Alliierte Kontrollbehörde beschlossen hat, a) Landesbischof Wurm als das Haupt des vorläufigen Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland anzuerkennen, b) die Außerkraftsetzung der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933149, welche durch Staatsgesetz am 14. Juli 1933 anerkannt worden war 150 , amtlich zu bestätigen. Die Alliierte Kontrollbehörde wird die notwendigen Schritte unternehmen, um diese Beschlüsse zu verkündigen und rechtskräftig zu machen. Die Rechte und Pflichten der Evang. Landeskirchen innerhalb ihrer Gebiete dürfen ohne Zustimmung der Interalliierten Kontrollbehörde weder abgeändert noch außer Kraft gesetzt werden, und Sie werden angewiesen, Ihre Pläne zur Organisation und Beaufsichtigung der gesamten Evang. Kirche vor deren Ausführung dieser Behörde zur Begutachtung vorzulegen. Für das Alliierte Sekretariat gez. H.A. Gerhardt* Colonel, GSC Chief Secretary. 4D2. Schreiben des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht an den Rat. Göttingen, 8. Januar 1946 F: NL Smend (D; übersandt mit Anschreiben von Günther Ruprecht an Smend vom 17. Januar 1946 mit der Bitte, "bei Gelegenheit der Ratssitzung am 30." dafür zu sorgen, "dass über die Anträge beschlossen wird und dann das erforderliche Schreiben an die Education Branch nach Bünde möglichst rasch nach der Ratssitzung hinausgeht"). 148 1E3 (S. nf.). 149 GB1DEK 1933, S. 2-6.

150 Gemeint ist das von Hitler und Frick unterzeichnete "Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche" (RGBl I 1933, S. 471).

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Betrifft: Monatsschrift für Pastoraltheologie. Wie sich jetzt ergeben hat, sind die bisher erteilten Verlagslizenzen in der englischen Zone ausschliesslich für den Verkauf von Büchern erteilt worden. Auch bei unserer eigenen Lizenz ist das der Fall. In einer vervielfältigten Anlage ist lediglich gesagt, dass Erteilungen von Lizenzen für Zeitschriften zu einem späteren Zeitpunkt entschieden würden. Damit sind die Hoffnungen, die in Bezug auf die Herausgabe von Zeitschriften an die Erteilung der Lizenz geknüpft worden sind, vorläufig enttäuscht worden. Die N o t der Pfarrerschaft um theologische Literatur und theologische Zeitschriften ist riesengross. Die erst langsam anlaufende Buchproduktion wird dieser N o t nur zu einem kleinen Teil und nur sehr langsam abhelfen können. Etwa 1/3 der gesamten evangelischen Pfarrer Deutschlands haben durch Kriegsereignisse ihre gesamten Bücher verloren. Sehr viele von ihnen haben nicht einmal das notwendigste Hilfsmaterial für die Predigtvorbereitung oder gar für Kasualien, Bibelstunden, kirchlichen Unterricht und die sonstigen vielfältigen Aufgaben des evangelischen Pfarramtes. Die Kirche ist aber die einzige grosse Erziehungsmacht im Leben des deutschen Volkes, die den verderblichen Einflüssen des Nationalsozialismus unbeirrt standgehalten hat und der jetzt bei dem Neuaufbau des ganzen religiösen Lebens, der sozialen Arbeit, der Erziehung, ungeheure Aufgaben zufallen. Diese Arbeiten ruhen in 1. Linie auf einer verhältnismässig kleinen Zahl kirchlicher Amtsträger, besonders den Pfarrern, daneben aber auch den Diakonen, Gemeindehelfern, Schwestern, bis hin zu den Kirchenältesten. Diese Aufgaben können nicht gemeistert werden, ohne dass diesen Amtsträgern die erforderliche geistige Anregung und in manchem Punkte auch eine entsprechende innere Ausrichtung gegeben wird. Die evangelische Kirche kann deshalb nicht auf die Mittel verzichten, die die Arbeit der Führung und Leitung besonders zu unterstützen vermögen. Sie bedarf deshalb neben einem umfassenden kirchlichen Schrifttum in 1. Linie eine[r] Anzahl kirchlicher Zeitschriften, die jeweils für bestimmte Gebiete den kirchlichen Amtsträgern alles das an die Hand geben, was sie ständig brauchen, um ihre Arbeit recht tun zu können. Die [ m u ß heißen: der] Arbeit der Pastoren hat bis zum Jahre 1941, in dem die kirchliche Presse im wesentlichen durch den Nationalsozialismus vernichtet wurde, besonders die "Monatsschrift für Pastoraltheologie" gedient, die den wichtigsten Stoff für die Amtsarbeit, jeweils auf das Kirchenjahr bezogen, dargeboten hat, darüber hinaus aber eine der führenden und richtunggebenden theologischen Zeitschriften gewesen ist, die während der Zeit nach 1933 in den schweren kirchlichen und theologischen Wirren eine klare besinnliche und tapfere Haltung im Sinne der bekennenden Kirche gezeigt und ohne

4D Vorlagen und Anträge

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Schwanken bewahrt hat. Es scheint darum nur richtig und billig, wenn gerade dieser Zeitschrift die Möglichkeit gegeben wird, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, zumal das gerade auch im gesamtkirchlichen Interesse liegen dürfte. Die äusseren Voraussetzungen für das Wiedererscheinen der Zeitschrift sind gegeben, sowohl nach der inhaltlichen wie nach der verlegerischen Seite hin. Die Schriftleitung wird in einer Zusammenarbeit mit dem bisherigen Herausgeber Lic. Frick, Bethel, Pastor Kunze, Hannover-Bothfeld, übernehmen, der bisherige Herausgeber der Monatsschrift "Gottesdienst und kirchliche Kunst", für deren Arbeit in der Vergangenheit für ihr Gebiet ähnliches in Anspruch genommen werden kann, was über die "Monatsschrift für Pastoraltheologie" gesagt wurde. Da jedoch ihr baldiges Erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, werden ihre Aufgaben im beschränkten Umfange im Rahmen der "Monatsschrift für Pastoraltheologie" mitbehandelt werden. Der neue Schriftleiter, der s. Zt. als erster Pastor im kirchlichen Kampf in Sachsen seines Amtes enthoben wurde, gibt die Gewähr für eine theologisch saubere Linie und sachlich erstklassige Gestaltung der Zeitschrift. Verlegerisch ist die Voraussetzung für das Erscheinen insofern gegeben, als in dem Verlag die Lizenz für Buchveröffentlichungen bereits unter der Nr. C 30.11.B mit Datum vom 1.12.45 erteilt worden ist, und auch bereits eine Einzellizenz für eine pädagogische Zeitschrift. Ferner ist der Papierbedarf für den 1. Jahrgang von 12 Heften sichergestellt. (Er beträgt nur 21.) Als Beilage zur "Monatsschrift für Pastoraltheologie" ist das Wiedererscheinen der einst von Samuel Keller und D. Michaelis begründeten Zeitschrift "Frohe Botschaft" geplant, die unter der Schriftleitung von Stadtmissionar Pastor Raeder, früher Berlin jetzt Göttingen, und unter der Mitarbeit von D. Michaelis, Pastor Wilhelm und Johannes Busch, Pastor Tegtmeyer u.a. für jeden Sonntag kurze Verteilpredigten in volksmissionarisch anpackendem Stil bringen soll. Die Zeitschrift soll einerseits als Anregung für die Predigtarbeit dienen, andererseits auch zur Verteilung in den Gemeinden an solche, die am Kirchenbesuch verhindert sind, kommen und erhält dadurch ebenfalls eine wichtige kirchliche Aufgabe der Mithilfe am Neuaufbau. Wir würden es daher begrüssen, wenn der Rat in geeigneter Weise bei der Militärregierung der englischen Zone vorstellig werden würde, damit diese Zeitschriften baldmöglichst die Lizenz erhalten und ihre wichtige Aufgabe erfüllen könnten.

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4D3. Schreiben des Verlages Junge Kirche an den Rat. Göttingen, 8. Januar 1946 F: NL Smend (D; übersandt mit Anschreiben von Günther Ruprecht an Smend vom 17. Januar 1946 mit der Bitte, "bei Gelegenheit der Ratssitzung am 30." dafür zu sorgen, "dass über die Anträge beschlossen wird und dann das erforderliche Schreiben an die Education Branch nach Bünde möglichst rasch nach der Ratssitzung hinausgeht"). Betrifft: Zeitschrift "Junge Kirche". Hiermit bitten wir den Rat der E.K.i.D. bei der Militär-Regierung der englischen Zone dahin vorstellig zu werden, dass die für das Wiedererscheinen der Zeitschrift erforderliche Lizenz für den Verlag und die Zeitschrift baldmöglichst erteilt wird. Begründung: Das Fehlen einer grossen evangelischen Kirchenzeitung hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr bemerkbar gemacht. Es gibt kein kirchliches Organ, in dem die neuen grossen Fragestellungen unseres Volkes, seine innere Besinnung, der Neuaufbau seines sittlichen Lebens, die Frage nach Lehre und Ordnung der Kirche, die Fragen des grossen Hilfswerkes, welches die Kirche jetzt in der Not unseres Volkes leisten muss usw. ihren Niederschlag in Form von richtungweisenden Aufsätzen finden könnten. Es fehlt ebenso ein Nachrichtenblatt, das die Gesamtheit kirchlichen Lebens und kirchlicher Arbeit innerhalb wie ausserhalb Deutschlands umfasst. Für diese Aufgaben ist die "Junge Kirche" die gegebene Zeitschrift. 8 Jahre lang hat sie ihren Dienst als führende Zeitschrift der bekennenden Kirche Deutschlands unter schwierigsten Verhältnissen getan. Sie ist den Mitgliedern des Rats zu bekannt, als dass im einzelnen etwas darüber gesagt werden brauchte. Von Jahr zu Jahr wurde sie immer mehr eingeengt in dem, was noch gesagt werden durfte und war doch unerreicht in der Kunst, wenn nötig, zwischen den Zeilen das Erforderliche, aber Unerwünschte dennoch zu sagen. Einmal verboten gewesen und dann immer wieder "verwarnt" und mit erneutem Verbot bedroht, musste sie schliesslich 1941 eingestellt werden. Die äusseren Voraussetzungen für das Wiedererscheinen sind gegeben. Die Schriftleitung übernimmt wieder der frühere Herausgeber Fritz Söhlmann. Der Verlag hat die Lizenz bereits vor mehreren Monaten beantragt, aber noch nicht erhalten, da in der englischen Zone für Zeitschriften bisher, von zwei Ausnahmen für pädagogische Zeitschriften abgesehen, noch keine Lizenzen erteilt sind. Da aber der Inhaber gleichzeitig Teilhaber des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht ist und dieser die Lizenz für Buchveröffentlichungen bereits erhalten hat, können in der Person des Verlegers keine Hindernisse entstehen.

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Auch die technischen Voraussetzungen für das Wiedererscheinen sind gegeben. Eine leistungsfähige Druckerei und das für den 1. Jahrgang erforderliche Papier sind vorhanden. Die erforderliche Papiermenge ist im übrigen mit 9 1 / 2 1 nicht erheblich, während andererseits der Dienst, den gerade heute eine solche Zeitschrift innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland tun könnte, ausserordentlich wertvoll ist. Wir wären deshalb zu grösstem Dank verpflichtet, wenn ein entsprechender Antrag gestellt würde. 4E

Dokumente 4E1. Ausarbeitung Asmussens: "Zur Rechtslage der EKD". Schwäbisch Gmünd, 17. Januar 1946 F: LKA Stuttgart, Dl/212

(O).

Der Vorsitzer des Rates der EKD hat unter dem 15.10.45151 dem Alliierten Kontrollrat die wesentlichen Beschlüsse der Treysaer Konferenz mitgeteilt, nämlich: 1.) dass die Verfassung der DEK vom 11./14.7.33 152 als ungültig erklärt wird, 2.) dass ein Rat der EKD gebildet werde, der als ihre vorläufige Leitung sie zu führen und zu vertreten habe, 3.) dass Vorsitzer dieses Rates Landesbischof Wurm, sein Stellvertreter Pastor Martin Niemöller sei. Zur Erläuterung hatte der Vorsitzer hinzugefügt, dass Rechte und Pflichten der Landeskirchen von diesen Beschlüssen unberührt bleiben und dass darum Verhandlungen der alliierten Besatzungsmächte über rechtliche und finanzielle Angelegenheiten der Landeskirchen mit diesen zu führen seien, dass aber in Fragen grundsätzlicher Art, sofern sie das Gesamte der evangelischen Kirche berühren, der Vorsitzer des Rates für Verhandlungen zuständig sei. Auf dieses Schreiben hat der Alliierte Kontrollrat unter dem 18.12.1945 durch sein Sekretariat geantwortet 153 . Er bezeichnet seine Antwort selbst als Benachrichtigung über eine vom Kontrollrat getroffene "Entscheidung". Der Kirche wird zur Kenntnis gebracht, dass der Kontrollrat diese Entscheidung 151 Richtiges Datum: 10. Oktober 1945 (vgl. 1E3, S. 15f.). 152 Vgl. S. 375, Anm. 149 und 150. 153 4D1, S.375

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veröffentliche und ihr damit zur Gesetzeskraft verhelfen werde (to promulgate and legalize these decisions). Die Antwort des Kontrollrates schafft somit eine n e u e Rechtslage. Inhaltlich enthält die Antwort drei Punkte: 1.) die Anerkennung Landesbischof Wurms, 2.) die Anerkennung der Ungültigkeitserklärung der Verfassung der DEK vom 11.7.1933, 3.) eine Anweisung an Landesbischof Wurm, welche für diesen sowohl Vollmachten enthält, als auch diese Vollmachten begrenzt. ad 1.) Landesbischof Wurm wird anerkannt "as the head of the provisional Council of the Evangelical Church of Germany". Man wird es als unbeachtlich ansehen dürfen, dass die EKD als Evangelical Church o f Germany und nicht "in" Germany bezeichnet wird. - Auffällig ist es, dass der Rat der EKD als "provisional Council" angesprochen wird. Man wird aber auch diese Anrede als ungenaue Bezeichnung ansehen dürfen, welcher keine grössere Bedeutung zukommt. Sie wird zu lesen sein in diesem Sinne: Landesbischof Wurm wird anerkannt als der Vorsitzer der Vorläufigen Leitung der EKD, nämlich des Rates. Damit dürfte sich auch die auffällige Tatsache klären, dass in dem Antwortschreiben des Konrollrats eine Anerkennung des Rates der EKD nicht ausdrücklich erfolgt. Man wird unterstellen dürfen, dass mit der Anerkennung des Vorsitzers auch das Gremium selbst anerkannt worden ist. ad 2.) Die Anerkennung der Ungültigkeitserklärung der Verfassung von 1933 ist in sich selbst klar und bedarf keiner weiteren Überlegung. ad 3.) Grösste Beachtung jedoch verdient der Schlussabsatz des Antwortschreibens der Kontrollkomission. Dieser enthält zwei Punkte: a) "The rights und duties of the Evangelical Regional Churches within their districts should not be altered or removed without the approval of the Allied Control Authority". Es ist zu beachten, dass dieser Satz die Antwort darstellt auf unsere Mitteilung, dass die Rechte und Pflichten der evangelischen Landeskirchen durch die Beschlüsse von Treysa unberührt bleiben, und unsere Bitte, die alliierten Besatzungsmächte möchten in rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten ihre Verhandlungen direkt mit den Landeskirchen führen. Die Antwort geht also weit über die Anrede hinaus. Die Landeskirchen haben seit dem Zusammenbruch notwendigerweise eine Reihe von Rechtsveränderungen vorgenommen, über welche aus verständlichen Gründen keine Mitteilung an staatliche Stellen, jedenfalls nicht an die Besät-

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zungsmächte, erfolgt ist. Es wird sich empfehlen, eine Mitteilung darüber nachträglich dem Kontrollrat zugehen zu lassen. Jedoch geht aus dem Brief des Kontrollrates eindeutig hervor, dass dieser über Veränderungen der Rechte und Pflichten der Landeskirchen d u r c h d e n V o r s i t z e r d e s R a t e s unterrichtet zu werden wünscht. Der Rat wird also in diesem Sinn an die Landeskirchen herantreten müssen und um Mitteilung der vorgenommenen Veränderungen ersuchen müssen. Es wird notwendig sein, ins Bewusstsein zu erheben, worin sich die neue Rechtslage von der alten unterscheidet: Der Kontrollrat nimmt für sich eine Approbation von Rechtsänderungen in Anspruch. Ohne diese Approbation werden Kirchengesetze in Zukunft nicht als rechtswirksam angesehen werden dürfen. Ein Eingriff in die mit Kirchengesetzen gemeinte Materie kann in dieser Willenserklärung des Kontrollrates nicht ohne weiteres erblickt werden, und hierin ist der Unterschied gegenüber den früheren Rechtsverhältnissen vor allen Dingen zu sehen: Das dritte Reich suchte die von ihm erwartete öffentlich rechtliche Anerkennung von Kirchengesetzen in dem Sinne auszudehnen, dass es die Kirchengesetze materiell zu beeinflussen trachtete. Sollten sich Neigungen der Kontrollkommission zeigen, auch ihrerseits nach dieser Seite hin wirksam zu werden, wäre es die Aufgabe des Rates der EKD, sich dem zu widersetzen. Wenn es auch keinem Zweifel unterliegen kann, dass die EKD ein Kirchenbund ist, so erhält dieses doch durch die Willenserklärung der Kontrollkommission einen besonderen Charakter, der mit den Beschlüssen von Treysa nicht ohne weiteres schon gegeben war. Der Kontrollrat ist nicht gewillt, mit den einzelnen Landeskirchen zu verhandeln, sondern nur mit der zentralen Stelle. Damit wird die zentrale Stelle zum Sachwalter der Landeskirchen gegenüber dem Kontrollrat. Man wird sogar anerkennen müssen, dass die Mitteilung der Kirche vom 10. Okt. 45, für Verhandlungen der alliierten Besatzungsmächte über rechtliche und finanzielle Angelegenheiten der Landeskirchen seien die Landeskirchen zuständig, durch die Antwort des Kontrollrates eine Korrektur erfährt; denn Rechte und Pflichten der Landeskirchen werden in Zukunft, sofern sie geändert oder abgeschafft werden sollen, Verhandlungsgegenstand zwischen dem Rat der EKD und dem Kontrollrat sein müssen. Man wird darin keine Verletzung des bekenntnisgebundenen Rechtes der Landeskirchen sehen können. b) "You are instructed to forward to this Authority (Alliierter Kontrollrat) for consideration, prior to implementation, your plans for organizing and Controlling the Evangelical Church as a whole."

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Der Vorsitzer des Rates wird hiermit angewiesen, seine Pläne vor ihrer Verwirklichung mit dem Kontrollrat zu besprechen um festzustellen, dass der Kontrollrat staatsrechtliche Bedenken nicht geltend macht. Diese Anweisung des Kontrollrates bedeutet eine Änderung des Zustandes, wie er sich verständlicherweise nach dem Zusammenbruch herausgebildet hatte. Die Kirche hat vor der Versammlung von Treysa mit der Besatzungsmacht keine Fühlung genommen hinsichtlich der dort zu fassenden Beschlüsse. In Zukunft wird ein solches Vorgehen nicht mehr möglich sein. Die Kirche wird sich mit dem Kontrollrat verständigen müssen, ehe sie wichtige, ihre Organisation betreffende Beschlüsse fasst und durchführt. Darin ist nämlich der Gedanken-Fortschritt vom vorigen zu diesem Absatz zu sehen, dass der vorige Absatz sich mit den Rechten der Landeskirchen, dieser aber mit den Rechten und Pflichten der Gesamtkirche befasst. Es ist jedoch darauf zu achten, dass beide Absätze vom Kontrollrat als e i n Zusammenhang behandelt werden, wie sie auch tatsächlich in e i n e m Satzgefüge erscheinen und durch keinerlei Satzzeichen voneinander getrennt sind. Der Alliierte Kontrollrat unterstellt ganz richtig, dass eine Veränderung der Rechtslage in einzelnen Landeskirchen immer auch eine Veränderung des Gesamtgefüges mit sich bringt. Der zweite Absatz setzt voraus, dass sich die evangelische Kirche noch im Zustande der Vorläufigkeit befindet. Es wird damit gerechnet, dass Bischof Wurm als der Vorsitzer des Rates bestimmte Pläne verfolgt, die er verwirklichen will. Es geht dabei im wesentlichen um diejenige Materie, die zu bearbeiten die verschiedenen Rechts- und Verfassungsausschüsse sich anschicken. Aber auch wenn von dritter Seite Pläne vorhanden sein sollten, die sich mit der Gestaltung der EKD befassen wie etwa die Gründung einer Lutherischen Kirche in Deutschland, würden solche Pläne unter diese Anweisung des Kontrollrates fallen, vorausgesetzt dass man für solche Pläne überhaupt auf eine öffentlich rechtliche Anerkennung reflektiert. Der Begriff "control" ist für das, was der Kontrollrat meint, von besonderer Bedeutung. Der Kontrollrat rechnet nämlich damit, dass der Rat der EKD eine visitatorische Aufgabe zu lösen hat, wobei es durchaus dahingestellt bleiben kann, ob und welche theologischen Vorstellungen der Kontrollrat damit verbindet. Er verwendet das ganz neutrale Wort "to control", durch welches er zum Ausdruck bringt, dass nach seiner Meinung das zentrale Organ des Kirchenbundes, genannt EKD, gewisse Aufsichtsrechte, die nicht näher bezeichnet werden, ausübt. Hinsichtlich dieser Angelegenheiten fehlt es nun innerhalb der EKD an klaren Gewohnheiten und Anschauungen. Der Kirchenbund aus der Zeit vor 1933 kannte derartige Zustände nicht in nennenswerter Weise. Die DEK

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versuchte, Zustände dieser Art herbeizuführen in einer das Bekenntnis verletzenden Weise. Aufgabe des Rates der EKD wird es sein, wirklich eine zentrale Stelle darzustellen, die Führungsrechte ausübt, wie wir es in Treysa beschlossen haben, und also auch Aufsichtspflichten wahrnimmt, wie sie sich seit Treysa mit den meisten deutschen Landeskirchen bereits herausgebildet haben, ohne damit in den Fehler der nationalsozialistischen Kirchenpolitik zu verfallen. Auf Grund dieses Briefes des Kontrollrates erscheint folgendes dringlich: 1.) Dem Kontrollrat ist in geeigneter Weise unsere Auffassung mitzuteilen, gemäss welcher durch Anerkennung des Vorsitzers des Rates der EKD der Rat als solcher anerkannt wird. 2.) Die Landeskirchen sind zu ersuchen, von allen wichtigen Rechtsveränderungen seit dem 20. April 1945 dem Rate der EKD Mitteilung zu machen, damit dieser sich hierüber mit dem Kontrollrat ins Benehmen setzen kann. 3.) Der Kontrollrat ist von allen amtlichen Bestrebungen im Räume der EKD in Kenntnis zu setzen, die sich mit der Herbeiführung endgültiger Zustände befassen. Sofern solche Bestrebungen ausserhalb des Amtsbereiches des Rates der EKD vorgenommen werden, ist diesen zu empfehlen, sich in entsprechender Weise mit dem Rat der EKD ins Benehmen zu setzen. 4E2. Schreiben Meisers an Fleisch. München, 11. Februar 1946 F: LKA Hannover, L 3 II Nr. 14 Bd. IIb (O).

Sehr verehrter Herr Präsident! In den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland war seinerzeit als nichtgeistlicher Vertreter der niederdeutschen lutherischen Kirchen Herr Oberstudiendirektor Meier [Meyer], Altona, gewählt worden. Da er aber sein Mandat bis zur Stunde nicht ausüben konnte, wurde auf der letzten Ratssitzung am 30./31. Januar in Frankfurt a./M. dieses Mandat für erloschen erklärt und mir anheimgegeben, im Wege der Kooptation einen neuen Vertreter zu benennen. Da mir daran gelegen ist, die Vertretung der niederdeutschen lutherischen Kirchen im Rate aufrecht zu erhalten, bitte ich Sie, mit den in Frage kommenden Kirchen die Fühlung aufzunehmen und einen Vertreter für den Rat der EKiD bestellen zu lassen. Wesentlich ist natürlich, daß der Betreffende an den Ratssitzungen möglichst regelmäßig teilnehmen kann, um die lutherische Stimme auch seinerseits zu Gehör zu bringen. Für eine baldige Erledigung wäre ich dankbar. Die niederdeutschen Kirchen mit Ausnahme Oldenburgs und Eutins werden von mir auf die Sachlage hingewiesen und auf Ihre Anfrage vorbereitet. O b Sie Oldenburg und Eutin, die

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noch nicht zum Lutherrat gehören, unmittelbar verständigen wollen, gebe ich Ihnen anheim. Mit herzlichen Grüßen Ihr D. Meiser [m.p.] 4E3. Schreiben Nieseis an Asmussen. Reelkirchen, 20. Februar 1946 F.-EZA Berlin, 2/56 (hsl.).

Lieber Bruder Asmussen! Uber unseren Protokollen schwebt ein Unstern, auch über dem, das Du uns soeben zusendest. Siehe Beschluss 3: Ziffer 2 der "Erschliessung" haben wir s o nicht beschlossen. Sowohl Smendt [szc/] wie mir ist unbekannt, dass einzelne Landeskirchen vorschlagsberechtigt sein sollen. Das mag nötig sein; aber es muß doch eben b e s c h l o s s e n sein154. Weiter Beschl[«ss] 6: Dass Niem[ö//er] "das Vermögen der EKD" anmelden soll, ist n i c h t beschlossen] worden. Es handelt sich um das Vermögen im Ausland! Solche gewichtigen Beschlüsse wie 4 u. 5 müssten entweder in der Sitzung wörtlich vorgelegt werden oder - wie wohl beschlossen wurde - der Vorsitzende muss einen Auftrag erhalten, eine Eingabe zu machen, die e r dann zeichnet. Hier geht beides durcheinander. Vgl. Unterschriften Ich möchte für die nächste Sitzung den Antrag stellen, d e r R a t w o l l e b e s c h 1 i e s s e n , dass a l l e B e s c h l ü s s e im L a u f e der Sitzung zur Verlesung kommen. Mit herzlichem Grusse Dein Wilhelm Niesei. 4E4. Eingabe Meisers und Bogners an die amerikanische Militärregierung für Bayern. München, 25. Januar 1946 F: C. Vollnhals, Entnazifizierung,

S. 73f.

154 Asmussen antwortete Niesei dazu in einem Schreiben vom 7. März 1946: "Diesmal liegt der Fehler bezüglich des Protokolls nicht bei der Kanzlei, sondern bei Dir. Es wird meinem Respekt schwer, dies auszusprechen, aber es entspricht den Tatsachen, dass diesmal sowohl Du wie auch der Herr Professor Smend geschlafen hast. Beschluss 3) ist wörtlich im Auftrage des gesamten Rates von Herrn Dr. Heinemann formuliert, in dieser Formulierung vorgelesen und liegt im Original bei den Akten" (EZA BERLIN, 2/56).

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Betreff: Reinigung der Kirche von NS-Einflüssen Es ist der Evang.-Luth. Kirche in Bayern ein großes Anliegen, von NS-Einflüssen jeder Art frei zu werden und zu sein. Denn der NS-Geist widerspricht dem Geiste Jesu Christi. Deshalb waren wir von Anfang an bemüht, unsere Gemeinden und Geistlichen davor zu schützen und davon zu reinigen. Diesem Bestreben galt der Kirchenkampf, den wir geführt haben, und der in Bayern seinen Höhepunkt und auch seinen Wendepunkt gefunden hat. In den Jahren 1933-45 haben wir fortlaufend Geistliche aus unseren Gemeinden entfernt, die sich nach dieser Richtung hin einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben. Einige, bei denen uns Staat und Partei daran hinderten, haben wir alsbald nach dem Zusammenbruch des NS-Systems entfernt. Wir haben darüber der Militärregierung mit unserem Schreiben vom 30.10.1945 und 8.11.1945 listenmäßig berichtet155; hierauf erlauben wir uns ausdrücklich Bezug zu nehmen. Nun hatten und haben wir in unserem Dienst eine Reihe von Geistlichen, die zwar Mitglieder der NSDAP, der SA usw. waren, aber dem NS-Geist tapfer und zähe Widerstand geleistet haben. Gerade als Mitglieder der NSDAP hatten sie Möglichkeiten des kirchlichen und christlichen Einflusses, die andere nicht besaßen und die sie im Interesse von Kirche und Volk erfolgreich wahrgenommen haben. Nun aber verlangt die amerikanische Militärregierung die Entlassung dieser Geistlichen, mit der Begründung, daß sie als "aktive Nazi" anzusehen seien. Hierzu erklären wir: 1. Wir kennen die Geistlichen unserer Landeskirche genau und wissen sehr wohl, was wir von dem einzelnen unter ihnen zu halten haben. 2. Wenn nachgewiesen wird, daß einer unter ihnen unter Verletzung seines Ordinationsgelübdes die Grenzen seines Amtes überschritten und sich schuldig gemacht hat, werden wir gegen ihn vorgehen. Das Maß der Strafe muß allerdings mit dem Ausmaß der Schuld in Einklang stehen. Nicht jedes Vergehen darf mit Existenzvernichtung geahndet werden. Strafe darf nicht zur Rache werden. Im übrigen weiß die Kirche, daß es neben der Vergeltung auch eine Vergebung gibt und geben muß, wenn das menschliche Zusammenleben, das nirgends und niemals ganz frei von Schuld ist, nicht zerbrechen soll.

155 Vgl. dazu C . VOLLNHALS, Kirche, S. 146f.

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3. Die Kirche kann einen Geistlichen aus seinem Amt entfernen in folgenden Fällen: a) wenn sich ein Pfarrer von der Lehre der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis der Kirche löst oder Irrlehre verkündigt, b) wenn er sich Verfehlungen auf sittlichem Gebiet zuschulden kommen läßt, c) wenn er sich bewußt gegen die geltenden Ordnungen und Gesetze der Kirche auflehnt. Die Entlassung eines Geistlichen aus diesen Gründen kann nur in einem geordneten, dem kirchlichen Recht und dem kirchlichen Bekenntnis entsprechenden Verfahren erfolgen. 4. Wie in Amerika, so hatten auch in Deutschland bisher die Geistlichen die Freiheit der politischen Betätigung. Kirchenleitung, Kirchengemeinden und die Mehrzahl der Geistlichen selbst haben es bei uns je und je nicht gerne gesehen, wenn ein Pfarrer sich einer politischen Partei anschloß. Aber verboten war es keinem. So kam es, daß sich Geistliche auch der NSDAP anschlössen, zu einer Zeit allerdings, als diese noch eine Partei wie andere auch zu sein schien und in ihrem Programm sittliche, sogar christlich-religiöse Ziele bekanntgab. Sie wurden darin betrogen. Warum sind sie dann nicht wieder ausgetreten? Die meisten von ihnen hofften Jahre hindurch, durch ihr Bleiben die guten Kräfte, die in der Partei noch vorhanden waren, stärken und ihnen doch noch zum Siege verhelfen zu können. Sie haben sich darin getäuscht. War das ein schlechtes, unehrenhaftes, unchristliches Denken und Handeln? Wir meinen, hoffen zu dürfen, daß sich die Landesmilitärregierung unseren Gedanken nicht verschließt, die angegebenen kirchlichen Grundsätze ehrt und der Kirche kein Handeln zumutet, das diese von der Hl. Schrift und ihrem Bekenntnis her wie aus der Auffassung von göttlichem und menschlichem Recht, das sich von dorther ableitet, nicht verantworten kann und daher ablehnen muß, auch auf die Gefahr hin, daß sie von manchen mißverstanden wird oder in neues Leid gerät. Sie wird das tragen im Aufblick zu Gott, der da recht richtet. D. Meiser Bogner

5 Frankfurt/Main, 21. und 22. März 1946 Ort: Beginn: Ende: Teilnehmer:

Protokollant:

Diakonissenhaus, Schwarzwaldstr. 160. Donnerstag, 21. März 1946, 9.00 Uhr. Freitag, 22. März 1946 (Uhrzeit unbekannt). Asmussen, Dibelius, Hammelsbeck (vermutlich), Heinemann, Held, Lilje, Meiser, Niemöller, Niesei, Smend, Wurm. Merzyn, Mochalski.

5A Vorbereitung der Sitzung 5AI. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 27. Februar 1946 F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (H). 1. Im Namen des Vorsitzer[i] des Rates der EKD laden wir die Herren Mitglieder des Rates zur nächsten Sitzung des Rates für Donnerstag, den 21. März und Freitag, den 22. März 1946 in das Diakonissenhaus in Frankfurt/M.-Niederrad, Schwarzwaldstr. 160 ergebenst ein. 2. Als die Besprechungsgegenstände sind bisher die folgenden in Aussicht genommen: a) b)

Ergänzungswahl zum Rat der EKD. Geschäftsordnung des Rates der EKD.

c)

Anordnung betreffend den Haushalt der EKD für das Rechnungsjahr 1946;

d)

Verhältnis von Kirche und Staat heute (z.B. die Frage: Bedarf die Neuwahl kirchlicher Körperschaften oder eines Bischofs das Plazet des Staates?);

e)

Bericht über ökumenische Fragen, insbesondere die Genfer Tagung;

f)

Verordnung über das Disziplinarrecht in der EKD;

g) h) i)

Einheitliche Gesamtplanung bezüglich der Ostpfarrer; Regelung der nicht-trinitarischen Taufen; Regelung der Frage, ob Lagerpfarrer die aus der Kirche Ausgetretenen wieder in die Kirche aufnehmen dürfen;

388

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

k)

Regelung der Frage des Eintritts und Wiedereintritts von Kriegsgefangenen und politischen Gefangenen in die Kirche.

1)

Vorbereitung der folgenden Sitzung des Rates am 1. und 2. Mai 1946 mit den Vertretern der Landeskirchen;

3. Zu Punkt a) ist Herr LB. D. Meiser gebeten worden, namens der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern Vorschläge zu machen, die wir nach Möglichkeit den Herren Mitgliedern des Rates rechtzeitig vor der kommenden Sitzung mitteilen werden. Zu Punkt e) ist Herr Pfarrer Niemöller D D . um Berichterstattung in der Sitzung gebeten worden. Zu den übrigen Punkten werden wir in den nächsten Tagen entsprechende Entwürfe übersenden. 4. Wir nehmen an, dass die Zusammenstellung der Beschlüsse des Rates aus seiner letzten Sitzung vom 30. und 31. Januar 1946, die wir mit unserem Schreiben vom 6. Februar 1946 - Nr. 4304 - übersandt haben 1 , alle Mitglieder des Rates inzwischen erreicht hat. gez. Asmussen D D . 5A2. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 28. Februar 1946 F: EZA Berlin, 2/769 (HJ. Zur Vorbereitung der für den 21. und 22. März anberaumten Sitzung des Rates der E K D übersenden wir im Nachgang zu unserem Schreiben vom 27. Februar - Nr. 5184 - in der Anlage den Entwurf einer Anordnung betr. den Haushalt der E K D für das Rechnungsjahr 19462 nebst 2 Anlagen 3 . gez. Asmussen D D .

1 2 3

4B1 (S. 322-330). Vgl. dazu die beschlossene Fassung 5C4 (S. 407f.). = Haushaltsplan 1946 und Umlageberechnung (vgl. die beschlossenen Fassungen 5C5 und 5C6, S. 408ff. und 410f.).

5A Vorbereitung

389

5A3. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 4. März 1946 F.-EZA Berlin 2/62 (H).

Betr.: Ratssitzung am 21. u. 22. März Im Nachtrag zu unserem Schreiben vom 27.2.46 No. 51844 und vom 28.2.46 No. 51855 wird die Tagesordnung für die Ratssitzung am 21. u. 22.3. um folgende Punkte ergänzt: m.) Verordnung über die Kanzlei der EKD (zum Zweck der Durchführung der erforderlichen Personalmassnahmen in der KirchenKanzlei.) n.) Kirchliche Hochschulen (Finanzierung, Dozenten, Anrechnung von Semestern usw.) Zu dem Punkte d.) Geschäftsordnung des Rates der EKD6 i.) und k.) Kircheneintritt von Kriegsgefangenen in Lagern7 und m.) Verordnung über die Kanzlei der EKD8, übersenden wir die anliegenden Entwürfe mit der Bitte um Kenntnisnahme. gez. Asmussen DD. 5A4. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates. Schwäbisch Gmünd, 8. März 1946 F: LKA Nürnberg, Meiser 120 (H).

Im Nachgang zu den Schreiben vom 27.2.1946 (5184)9, vom 28.2.4610 (5185) und vom 4.3.1946 (5347)11 übersenden wir noch folgende Unterlagen zur Vorbereitung der Sitzung: Zu Punkt d) der Tagesordnung: Das anliegende Rundschreiben der Kanzlei der EKD vom 7.3.46 (5880 12 [5380$ zur gefälligen Kenntnisnahme . 4 5 6 7 8 9 10 11 12

5AI (S. 387/.). 5A2 (S. 388). 5D1 (S. 423ff.) 5D2 (S. 425f.). 5D3 (S. 426f.). 5A1 (S. 387f.). 5A2 (S. 388). ßA3fS.389). 5D4 (S. 428).

390

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

Zu Punkt f) der Tagesordnung: Den anliegenden Entwurf von Professor Smend über das Disziplinarrecht der DEK 13 , sowie den weiteren anliegenden Entwurf der Kanzlei der DEK über die Gesetzgebung der DEK 14 . Zu Punkt g) der Tagesordnung: Den anliegenden Entwurf über die Verwendung und Versorgung der Ostpfarrer 15 . Die Tagesordnung wird ergänzt um Punkt o): Aufhebung von Disziplinarmaßnahmen seit dem 30.1.33. Zu diesem Punkt übersenden wir den beigefügten Entwurf der Kanzlei für eine Verordnung über die Aufhebung von Disziplinarmaßnahmen aus der Zeit nach dem 30.1.3316. gez. Asmussen D.D. 5B Protokoll 5B1. Beschlußprotokoll F: EZA Berlin, 2/84/046/1 (D; den Ratsmitgliedem am 25. März 1946 übersandt). G: Mitschriften 1. Heinemann; 2. Meiser; 3. Smend.

Beschlüsse des Rates der EKD in seiner Sitzung vom 21. und 22. März 1946 1. Die Ubergangsordnung der Evang. Kirche in Deutschland vom 22.3.46 wurde in der aus der Anlage ersichtlichen Fassung17 beschlossen zugleich mit dem beiliegenden Protokoll-Vermerk 18 und den beiliegenden Wünschen für das Mantelgesetz19. Diese Ubergangsordnung soll dem alliierten Kontrollrat durch Bischof D. Dr. Dibelius persönlich vorgelegt werden. 2. Die Anordnung betreffend den Haushalt der Evang. Kirche in Deutschland für das Rechnungsjahr 194620 nebst dem beiliegenden Haushaltplan 21 13

5DJ (S. 429f.).

14

5D6(S.

15

5D7(S. 432-436).

430ff.)

16

5D8 (S. 436ff.)

17

HCl (S. 405f.); vgl. dazu die Diskussion S. 396, 399ff., 404.

18

5C3 (S. 406).

19

5C2 (Ebd.).

20

5C4 (S. 407f.).

21

5C5 (S. 408ff.)

5B Protokoll

391

und der beiliegenden Umlageberechnung 22 wurde beschlossen in der durch Rundschreiben der Kanzlei vom 27.3.46 Nr. 625223 mitgeteilten Fassung. 3. Der vorgelegte Entwurf eines Stellenplanes für die Kanzlei der EKD wurde abgelehnt 24 . Beschlossen wurde hierzu folgendes: a. Die Beamtenrechte der vier von der alten DEK in den Dienst der neuen EKD übernommenen Beamten, Oberkirchenrat Dr. Merzyn, Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt, Konsistorialrat Gerstenmaier und Amtsrat Hellriegel, bleiben unberührt und werden vom Rat erneut bestätigt 25 . b. Die Herrn Pastor Asmussen DD. erteilte Beauftragung mit der Leitung der Kanzlei der EKD gilt für die ganze Amtsdauer des Rates. c. Der Leiter der Kanzlei ist ermächtigt, nach seinem pflichtmässigen Ermessen selbständig neue Mitarbeiter in die Kanzlei einzuberufen. d. Alle vom Rat oder vom Leiter der Kanzlei zur Mitarbeit Berufenen werden im Anstellungsverhältnis und nicht im Beamtenverhältnis beschäftigt. e. Die bisher vom Leiter der Kanzlei einberufenen Theologen sollen daher im Anstellungsverhältnis weiterbeschäftigt werden. f. Die Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung des Leiters der Kanzlei und seiner Hilfsreferenten soll sichergestellt werden. 4. Dr. Schönfeld soll in den Dienst der EKD übernommen werden, über seine Verwendung werden Pastor Asmussen DD. und Pfarrer Niemöller DD. das weitere besprechen 26 . 22 5C6 (S. 410f). 23

E Z A BERLIN, 2/769.

24 Zur Vorlage dieses Stellenplans (5D9, S. 438f.) vgl. auch den undatierten Aktenvermerk Asmussens: "Es hat sich herausgestellt, dass die vom Rat bisher getroffenen Massnahmen hinsichtlich der Beamten der bisherigen Kirchenkanzlei nicht ausreichend sind. Einerseits muss damit gerechnet werden, dass auf Grund der bisher erlassenen Richtlinien entlassene Beamte sich mit der getroffenen Regelung nicht zufrieden geben werden. [...] Andererseits hat es sich gezeigt, dass die Ratsmitglieder selbst zu den bisher getroffenen Regelungen ein hinlängliches Zutrauen nicht haben. [...] Aus diesem Grund schlägt die Kanzlei dem Rat eine förmliche Verordnung über die Kanzlei der EKD [5D3, S. 426f.] vor. Sie schliesst diesem Vorschlag einen Stellenplan an" (EZA BERLIN, 2/777). 25 Zu den bisherigen Regelungen vgl. S. 135, Anm. 82 (Merzyn), S. 131, Anm. 61 (Schwanhaupt), S. 28, Anm. 15 (Gerstenmaier) und S. 132, Anm. 65 (Hellriegel). 26 Zur Übernahme Schönfelds, der als Direktor der Studienabteilung des • im Außau begriffenen • ÖRK nicht bestätigt worden war, vgl. den Antrag Gerstenmaiers 5D10 (S. 439); zum weiteren Beschäftigungsverhältnis Schönfelds vgl. 9B, S. 722; 9E2, S. 778f. und 9E3, S. 779f..

392

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

5. Bezüglich Bischof D. Heckel bleibt es bei der beschlossenen Versetzung in den Ruhestand 27 mit der Massgabe, dass er angesichts der finanziellen Notlage der EKD bis auf weiteres nur 50% des an sich erdienten Ruhegehalts erhält. Ausserdem steht Heckel in einzelnen Fällen der Kirchenkanzlei und dem kirchlichen Aussenamt auf Wunsch gutachtend und beratend zur Verfügung und erhält dafür bis auf weiteres eine monatliche Dienstaufwandsentschädigung von RM 150,-. Der Rat nimmt schliesslich mit Zustimmung davon Kenntnis, dass Heckel die Absicht hat, eine quellenmässige Darstellung der bisherigen und künftig notwendigen Arbeiten an den Diaspora- und Auslandsgemeinden zu erarbeiten 28 . 6. Bezüglich des Oberkonsistorialrates Dr. Wahl bleibt es bei seiner Versetzung in den Wartestand mit der Massgabe, dass auch er angesichts der augenblicklichen finanziellen Notlage der EKD bis auf weiteres nur 50% der an sich erdienten Bezüge ausbezahlt erhält und dass auch er der Kirchenkanzlei und dem kirchlichen Aussenamt in einzelnen Fällen weiterhin auf Wunsch gutachtlich und beratend zur Verfügung steht und dafür eine Dienstaufwandsentschädigung von RM 150,- erhält 29 . 7. Bezüglich des Vizepräsidenten Dr. Fürle soll es bei dem Beschluss der letzten Sitzung verbleiben, wonach die Kirchenkanzlei ermächtigt ist, eine entsprechende Regelung selbst vorzunehmen 30 . 8. Bezüglich der Ergänzung des Rates bleibt es bei dem bisherigen Beschluss, wonach Landesbischof D. Meiser gebeten ist, möglichst bald einen entsprechenden Vorschlag mitzuteilen 31 . 9. Der Rat dankt Herrn Dr. Hammelsbeck für die Durchführung des seinerzeit gegebenen Auftrages 32 und bittet ihn und seinen Arbeitskreis 33 diese Arbeit weiterzuführen. Der Rat bewilligt ihm hierfür eine einmalige Beihilfe

27

Vgl. den Beschluß 1B, S. 3.

28

Heckel veröffentlichte 1949 eine kürzere Arbeit "Kirche jenseits der Grenzen" und 1931 das Heft "Diasporaarbeit".

29

Vgl. das Schreiben Wurms an Wahl vom 26. März 1946 (EZA BERLIN, 2 / P A Wahl); vgl. dazu auch 1B, S. 3; 3C4 (S. 219f.). - Dieser Beschluß wurde jedoch bereits auf der nächsten Ratssitzung dahingehend revidiert, daß Wahl Niemöller als Mitarbeiter im Außenamt zur Verfügung gestellt werden sollte (vgl. 6B1, S. 461).

30 31

Vgl. dazu S. 328, Anm. 25. Vgl. dazu das Schreiben Meisers an Fleisch vom 11. Februar 1946 (4E2, S. 383f.) und den Beschluß 6B1, S. 462.

32

D.h. die Durchführung

der Tagung zur Erörterung von kulturpolitischen

Fragen am 9. und

10. Januar 1946 in Detmold (vgl. dazu S. 354, Anm. 134). 33

Vgl. dazu die "Mitteilung" Hammelsbecks April 1946 (SEI, S. 446f).

über den Arbeitskreis Evangelische Akademie

vom

5B Protokoll

393

von RM 3 000,-, ohne indessen irgendwelche weiteren Bindungen einzugehen. 10. Bezüglich der Wiederaufnahme von Gefangenen in die evang. Kirche wurde von der Kanzlei bereits, durch Rundschreiben mitgeteilt, Beschluss gefasst34. Es bestand Einigkeit darüber, dass auf diese [mit dieser] Regelung keine Entscheidung der Frage getroffen werden soll, ob es eine unmittelbare Mitgliedschaft in der EKD gibt35. 11. Die Oekumene wird durch das Kirchliche Aussenamt, Pfarrer Martin Niemöller DD., unterrichtet, dass das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 194656 die christliche Wiedergeburt unseres Volkes erschwert und darum unheilvolle Folgen haben muß37. 12. Auf einer herbeizuführenden Besprechung mit dem Dreiländerrat38 wird Herr Landesbischof D. Wurm auch diesen auf diese Erschwerung hinweisen39. 13. Der Rat der EKD wird ein Wort an die Gemeinden zur Schuldfrage, zum Umfang der jetzt veröffentlichten Judenmorde und zur Methode der

34 Die Kirchenkanzlei hatte dazu keineswegs bereits "Beschluss gefasst", sondern den Ratsmitgliedern mit Rundschreiben vom 4. März 1946 (vgl. 5A3, S. 389) lediglich einen Entwurf zum Kircheneintritt von Kriegsgefangenen in Lagern zukommen lassen (5D2, S. 425f). Wie aus dem Verlaufsprotokoll hervorgeht, wurde Held wahrend der Sitzung mit der Ausarbeitung einer neuen Vorlage beauftragt (vgl. S. 396, 399 und 5C7 bis 5C9, S. 41 lff.), die dann schließlich angenommen und mit Schreiben der Kirchenkanzlei vom 25. März 1946 an die Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Bruderräte versandt wurde (EZA BERLIN, 2/84/046/1). Bis Ende 1947 gingen in Schwäbisch Gmünd zahlreiche Aufnahmeanträge aus Kriegsgefangenenlagern ein, die die Kirchenkanzlei über die Landeskirchen an die Heimatgemeinden weiterleitete; sie teilte den Lagerpfarrern dann auch die Stellungnahmen der Heimatgemeinde mit (vgl. dazu die Unterlagen in: EZA BERLIN, 2/500 und 2/501). - Zum Wiedereintritt in die evangelische Kirche nach dem Ende der NS-Diktatur vgl. K.H. MELZER, Kirchenzucht 35 Nach wie vor gibt es lediglich eine mittelbare Mitgliedschaft zur EKD; die unmittelbare Mitgliedschaft besteht zur einzelnen Kirchengemeinde und zur Gliedkirche des Wohnsitzes. 36 R. HEMKEN, Sammlung, Bd. I; auszugsweise auch bei C. VOLLNHALS, Entnazifizierung, S. 105110.

37 Vgl. das Schreiben Niemöllers an den Ökumenischen Rat der Kirchen vom 23. März 1946 (6C12, S. 527f.) und die Diskussion S. 401ff. 38 Der Dreiländerrat war eine von General Clay im Oktober 1945 eingerichtete Koordinierungszentrale in Gestalt eines Kollegiums der Regierungschefs der drei damals in der amerikanischen Besatzungszone gelegenen Länder Bayern, Hessen und Württemberg. Das Gremium tagte einmal monatlich in Stuttgart (T. ESCHENBURG, Jahre, S. 85). 39 Besprechung nicht ermittelt.

394

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

Entnazifizierung richten40. Der Entwurf zu diesem Wort geht den Mitgliedern des Rates zur Durcharbeitung rechtzeitig vor der nächsten Ratssitzung zu41. 14. Die Botschaft an die Welt und an die Kirchen des Vorl[äufigeri] Ausschusses des Oekumenischen Rates der Kirchen wird im Verordnungs- und Nachrichtenblatt zum Abdruck gebracht mit dem Zusatz, dass diese Botschaft auf Beschluss des Rates der EKD in den Landeskirchen zu Ostern den Gemeinden von den Kanzeln verlesen werden möchte. Die Landeskirchen werden ausserdem gebeten, die Tageszeitung ihres Bereiches zu veranlassen, die Resolutionen des Vorläufigen Ausschusses zu veröffentlichen42. 40 Der Rat verabschiedete auf der folgenden Sitzung zwar drei Entschließungen, die sich mit der Entnazifizierung befaßten (6C2 bis 6C4, S. ¡01-506), nicht jedoch das hier beschlossene Wort an die Gemeinden zu Schuldfrage, Judenmorden und Entnazifizierung. 41 Niesei hatte der Kirchenkanzlei bereits am 23. Februar 1946 einen ersten Entwurf für ein "Wort des Rates an die Gemeinden zu Karfreitag und Ostern" (5D11, S. 440ff.) übersandt mit der Bitte, ihn der nächsten Ratssitzung vorzulegen (EZA BERLIN, 2/35); dieser Entwurf wurde jedoch nicht diskutiert. Bereits am 23. März 1946 schickte Niesei einen neuen Entwurf (6D4, S. 540-543) an die Kirchenkanzlei: "Beiliegend sende ich Ihnen den abgeänderten und mit BrJWer] Niemöller besprochenen Entwurf für ein Wort an die Gemeinden. Bitte, senden Sie ihn den Ratsmitgliedern zu (nur d i e s e n ) , damit sie ihn für die nächste Sitzung durchsehen können" (EZA BERLIN, 2/56). Im Gegensatz zu dieser ausdrücklichen Anweisung Nieseis teilte Jensen diesem am 3. April 1946 mit, er habe, "da verschiedene Bitten aus Kriegsgefangenenlagern vorlagen, Ihr Einverständnis voraussetzend dieses Wort mit dem Zusatz (gez. Pastor Lic. Niesei, Mitglied des Rates der EKD) an die Militärseelsorge in Frankreich und Italien übersandt" (EBD.). Die Ratsmitglieder erhielten den Entwurf mit Schreiben der Kirchenkanzlei vom 10. April 1946 (6A2, S. 455). - Vgl. dazu auch M. GRESCHAT, Schuld, S. 269ff. 42 Die "Botschaft an die Welt" (5C10, S. 413-416) war vom Vorläufigen Ausschuß des Ökumenischen Rates der Kirchen auf seiner Sitzung vom 21. bis 23. Februar 1946 in Genf verabschiedet worden. Nach einem Schreiben Niemöllers an die Kirchenkanzlei vom 23. März 1946 sollte sie mitfolgender Einleitung an die Landeskirchen und Landesbruderräte weitergegeben werden: "Bei der ersten Nachkriegstagung des Vorläufigen Ausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, die vom 21. bis 23. Februar 1946 in Genf stattfand, und an der kirchliche Vertreter aus zahlreichen Kirchen der ganzen Welt teilnahmen, darunter solche aus den Vereinigten Staaten von Amerika, England, Canada, Frankreich, Schweden, Norwegen, Dänemark, Holland, Schweiz, Griechenland, Rumänien, China, Indien usw., wurde die nachstehende Botschaft einmütig beschlossen. Auf einstimmigen Beschluss des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland wird diese Botschaft am Osterfest 1946 sämtlichen evangelischen Gemeinden im Gottesdienst von der Kanzel bekannt gegeben" (EZA BERLIN, 2/161). Die Kirchenkanzlei hatte die Botschaft zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits an die Landeskirchen, Bruderräte und ca. 67 Zeitungen weitergeleitet und dem Verordnungs- und Nachrichtenblatt zum Druck gegeben (vgl. das Schreiben der Kirchenkanzlei an Niemöller vom 1. April 1946: EBD.). Der Vorläufige Ausschuß des Ökumenischen Rates der Kirchen hatte neben der Botschaft außerdem Resolutionen zum Notstand in Europa und Asien, zur Umsiedlung von Bevölkerungen, zu

5B Protokoll

395

15. Der Entwurf der Kanzlei über die Versorgung und Verwendung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen wird den Landeskirchenleitungen mit der Bitte um Stellungnahme spätestens zur Sitzung am 1. Mai zugeleitet, damit der Rat der EKD in seiner Sitzung am 2. Mai diese Frage endgültig entscheiden kann43. 16. Dem Evang. Pressverband soll mitgeteilt werden, dass er unter der Leitung von Oberkonsistorialrat a.D. Schwarz von der EKD bisher in keiner Weise autorisiert ist. Diese Mitteilung soll zugleich an alle Landeskirchenregierungen gehen44. 17. Die Frage der Auflösung der Reichsverbände soll bearbeitet werden45. 18. An den Sitzungen des Rates der EKD darf ein Sachbearbeiter der Berliner Zweitstelle der Kanzlei der EKD teilnehmen, um ein Protokoll für die Berliner Stelle zu führen. 19. Am 1. Mai 1946 soll in Treysa eine Sitzung des Rates mit den Vertretern der Landeskirchen und am 2. und 3. Mai die nächste Sitzung des Rates in Treysa stattfinden46. Die übernächste Ratssitzung soll am 19. und 20. Juno stattfinden, die Entscheidung über den Ort dieser Sitzung bleibt vorbehalten47.

43

44

45 46 47

Antisemitismus und zur Judenfrage sowie zu Christen jüdischer Herkunft verabschiedet (5C11, 5. 416-419). Die Kirchenkanzlei verschickte den Entwurf bereits am 25. März 1946 an die Landeskirchen (5C12, S. 419-423). Aus dem Beschluß der 6. Sitzung geht jedoch hervor, daß die Landeskirchen ihre Stellungnahmen nicht rechtzeitig abgaben (vgl. 6B1, S. 464). Zudem kam es im Verlauf der 6. Sitzung nicht zu einer endgültigen Beschlußfassung; vielmehr einigte man sich auf die Ausarbeitung eines neuen Entwurfs, der erst auf der 7. Sitzung verabschiedet werden konnte (vgl. 7B1, S. 578; vgl. außerdem 3B1, S. 120). Schwarz war am 16. Januar 1946 in Bethel von der Mitgliederversammlung des Ev. Preßverbandes zu dessen geschäftsführendem Direktor gewählt worden (vgl. E. SCHWARZ, Ecclesia, S. 21). - Eine Besprechung am 27. März 1946führte jedoch dazu, daß Wurm den Ratsbeschluß am 2. April 1946 sistierte (vgl. das Schreiben Siegels an Schwarz vom 3. April 1946: EZA BERLIN, 2/653). Zu den Vorwürfen gegen Schwarz vgl. die Aktennotiz Siegels vom 27. März 1946 (5E2, S. 447-450), das Schreiben Mochalskis an Niesei vom 10. April 1946 (5E3, S. 450f.) und den Auszug aus dem Schreiben Schwarz' an Siegel vom 13. April 1946 (5E4, S. 451ff.). Zur weiteren Behandlung der Angelegenheit vgl. die Beschlüsse 6B1, S. 466f; 8B, S. 658 und 9B, S. 725. Vorgang nicht ermittelt. Vgl. S. 454-574. Vgl. S. 575-635.

396

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

5B2. Verlaufsprotokoll über die Verhandlungen am 21. März 1946 F: ETA Berlin, 2/56 (O mit hsl. Unterzeichnung Merzyns).

Protokoll Fünfte Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 21. und 22. März 1946 in Frankfurt/Main. Anwesend waren alle Ratsmitglieder mit Ausnahme von Oberstudiendirektor Mayer [Meyer]. Landesbischof D. W u r m eröffnet die Sitzung mit Andacht und Gebet. Dibelius: Erstattet Bericht über die Lage im Osten (Flüchtlingsproblem, Bodenreform, Parteien, Presse, Staatsjugend, Einheitsschule, finanzielle Lage, kirchliche Vereine und Kirchenpatronat.) Wurm: Verliest die Schreiben der alliierten Kontrollbehörde vom 15. und 27.2.194648. Asmussen: Schlägt vor, Dibelius, Smend und Held um einen Entwurf über die Rechtslage der EKD zu bitten. Asmussen: Trägt den Entwurf vor betreffend der Wiederaufnahme von Gefangenen in die evangelische Kirche 49 . Held wird beauftragt einen neuen Entwurf zu formulieren. Es besteht Einigkeit darüber, dass durch die Regelung dieser Angelegenheit keine Entscheidung der Frage getroffen werden soll, ob es eine unmittelbare Mitgliedschaft in der EKD gibt 50 . Der Entwurf einer Anordnung betreffend den Haushalt der EKD für 1946 nebst dem Haushaltsplan und der Umlageberechnung wird vorgetragen und in der aus der Anlage ersichtlichen Fassung angenommen 51 . Der beiliegende Entwurf eines Stellenplanes 52 wird vorgetragen und in vollem Umfang abgelehnt. Beschlossen wird hierzu folgendes 53 : 1. Die Beamtenrechte der vier von der alten DEK in den Dienst der neuen EKD übernommenen Beamten, Oberkirchenrat Dr. Merzyn, Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt, Konsistorialrat Gerstenmaier und Amtsrat Hellriegel, bleiben unberührt und werden vom Rat erneut bestätigt. 48

5D12 (S. 442) und 5D13 (S. 443).

49

5D2 (S. 425f.).

50

Vgl. 5B1, S. 393.

51

Vgl. m,

52

5D9(S. 438f.).

53

Zum folgenden vgl. den Beschluß 5B1, S. 390f.

390f.; 5C4 bis 5C6 (S. 407-411).

5B Protokoll

397

2. Die Herrn Pastor Asmussen DD. erteilte Beauftragung mit der Leitung der Kanzlei der EKD gilt für die ganze Amtsdauer des Rates. 3. Der Leiter der Kanzlei ist ermächtigt, nach seinem pflichtmässigen Ermessen selbständig neue Mitarbeiter in die Kanzlei einzuberufen. 4. Alle vom Rat oder vom Leiter der Kanzlei zur Mitarbeit Berufenen werden im Anstellungsverhältnis und nicht im Beamtenverhältnis beschäftigt. 5. Die bisher vom Leiter der Kanzlei einberufenen Theologen sollen daher im Anstellungsverhältnis weiterbeschäftigt werden. 6. Die Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung des Leiters der Kanzlei und seiner Hilfsreferenten soll sichergestellt werden. Asmussen: Verliest den Antrag Gerstenmaiers auf Einberufung Dr. Schönfeld's 54 . Es wird beschlossen: Dr. Schönfeld wird in den Dienst der EKD übernommen; über seine weitere Verwendung werden Asmussen und Niemöller das weitere besprechen 55 . Asmussen: Beantragt eine endgültige Regelung der Frage Heckel in der Form, dass Heckel 50% seines erdienten Ruhegehalts und einen Beschäftigungsauftrag mit einer Vergütung von monatlich RM 150,erhält. Niemöller: Ohne öffentliche Rechtfertigung ist über seine Weiterbeschäftigung gar nicht zu reden. (Animosität im Ausland und Misstrauen bei uns). Es wurde beschlossen: Heckel bleibt pensioniert und erhält angesichts der finanziellen Notlage der EKD nur 50% des an sich erdienten Ruhegehalts. Ausserdem steht Heckel in einzelnen Fällen der Kirchenkanzlei und dem kirchlichen Aussenamt auf Wunsch gutachtend und beratend zur Verfügung und erhält dafür bis auf weiteres eine monatliche Dienstaufwandsentschädigung von RM 150,-. Der Rat nimmt schliesslich mit Zustimmung davon Kenntnis, dass Heckel die Absicht hat, eine quellenmässige Darstellung der bisherigen und künftig notwendigen Arbeiten an den Diaspora- und Auslandsgemeinden zu erarbeiten 56 . Bezüglich Dr. Wahl wird beschlossen, dass es verbleiben soll bei seiner Versetzung in den Wartestand, dass auch er angesichts der augenblicklichen finanziellen Notlage der EKD bis auf weiteres nur 50% der an sich erdienten Bezüge ausbezahlt erhält und dass auch er der Kirchenkanzlei und dem kirchlichen Aussenamt in einzelnen Fällen weiterhin auf Wunsch gutacht54

SDlOfS. 439).

55

Vgl. SB1, S. 391.

56

Vgl. 5B1, S. 392.

398

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

lieh und beratend zur Verfügung steht und dafür eine Dienstaufwandsentschädigung von RM 150,- erhält57. Bezüglich des Vizepräsidenten Dr. Fürle soll es bei dem Beschluss der letzten Sitzung verbleiben, wonach die Kirchenkanzlei ermächtigt ist, eine entsprechende Regelung selbst vorzunehmen58. Asmussen: Liest zur Frage der Ergänzung des Rates ein Telegramm von Oldenburg vor, in dem Dr. Ehlers vorgeschlagen wird59. Beschlossen wird, dass Landesbischof D. Meiser um möglichst baldigen Vorschlag gebeten bleiben soll60. Pastor Dr. Hammelsbeck berichtet über die kulturpolitische Tagung in Detmold und über seine Pläne zur Fortführung der Arbeit61. Held berichtet über die Stellungnahme des Bruderrates hierzu62 und schlägt vor, Herrn Dr. Hammelsbeck zu danken für die Detmolder Tagung und ihn zu beauftragen, diese Arbeit fortzusetzen. Lilje stellt folgende Fragen: "Haben wir eigene Kammern63? Soll man diese Arbeit Akademie nennen? Sind wir uns ganz klar über die Basis? Haben wir keine deutlichen Angaben über das Programm? Haben wir ein genaues Bild über die Kräfte, die die Arbeit tragen sollen? Ist die Finanzierung ausreichend geklärt?" Beschlossen wurde folgendes: Der Rat dankt Herrn Dr. Hammelsbeck für die Durchführung des seinerzeit gegebenen Auftrages und bittet ihn und seinen Arbeitskreis, diese Arbeit weiterzuführen. Der Rat bewilligt ihm hierfür eine einmalige Beihilfe von RM 3 000,-, ohne indessen irgendwelche weiteren Bindungen einzugehen. 57 58

59

60

61 62

63

Vgl. m, Ebd. Vgl. m, Ebd. In diesem Telegramm bat der oldenburgische Oberkirchenrat, "dem Willen der Treysaer Kirchenversammlung entsprechend den zwölften Platz an Oldenburg zu geben und zwar an Oberkirchenrat Ehlers, womit sogleich die vom Rat erbetene juristische Mitarbeit Ehlers' erfolgen würde" (7'elegramm Kollers an Asmussen vom 19. Man 1946: LKA NÜRNBERG, Meiser 120; vgl. auch das Telegramm 1Cloppenburgs an Meiser vom 18. Man 1946: EBD.). Vgl. dazu auch S. 35, Anm. 41 und 3C10 (S. 225). Vgl. 5B1, S. 392. Vgl. 5B1, S. 392f. Hammelsbeck hatte auch auf der Sitzung des Bruderrates am 19. und 20. Man 1946 in Darmstadt über die Detmolder Tagung berichtet und war vom Bruderrat gebeten worden, seine Arbeit weiterzuführen (vgl. VONB1 Nr. 12, April 1946). Asmussen hatte bereits seit Herbst 1945 von sich aus die Bildung verschiedener "Kammern" bei der Kirchenkanzlei EKD in die Wege geleitet (vgl. dazu den umfangreichen Schriftwechsel: EZA BERLIN, 2/198); sein entsprechender Antrag (2D21, S. 83-86) war vom Rat jedoch nicht behandelt worden.

5B Protokoll

399

5B3. Verlaufsprotokoll über die Verhandlungen am 22. März 1946 F:EZA Berlin, 2/56 (D mit hsl. Unterzeichnung

Mochalskis).

Protokoll der Sitzung des Rates der EKD am 22. März 1946. Die Sitzung eröffnete um 8.30 Uhr der Vorsitzer, Herr Landesbischof D. Wurm durch Verlesung der Tageslosung, über die er eine kurze Auslegung gibt. Dr. Heinemann bittet ums Wort und teilt dem Rate mit, dass seine Berufung zum zweiten Bürgermeister von Essen bevorsteht 64 . Er fragt, ob durch diese neue öffentliche Tätigkeit seine Mitgliedschaft im Rate der EKD in Frage gestellt sei. Ihm werden zu dieser Berufung die herzlichsten Wünsche des Rates ausgesprochen und ihm gesagt, dass seine Mitgliedschaft im Rate dadurch in keiner Weise aufgehoben sei. Asmussen: Schlägt als Termin für die nächste Sitzung des Rates vor: Den 1. Mai zur Besprechung mit den Vertretern der Landeskirchen, den 2. und 3. Mai zur Sitzung des Rates. Als Ort: Treysa65. Der Vorschlag wird einstimmig angenommen. Die übernächste Ratssitzung wird für den 19. und 20. Juni festgelegt66. Uber den Ort wird noch eine Vereinbarung getroffen. Held: verliest die Vorlage zur Wiederaufnahme von Gefangenen in die evangelische Kirche. Die Vorlage wird in der verlesenen Fassung einstimmig angenommen 67 . Smend eröffnet die abschliessende Aussprache über die Notordnung der EKD 68 . Meiser betont noch einmal den Zustand der Vorläufigkeit der in Treysa getroffenen Vereinbarung 69 . Held: Der Zusammenhang der Landeskirchen mit der EKD ist keine freiweillige Abmachung. Die Freiwilligkeit würde einen Zustand der Rechtlosigkeit bedeuten. In Treysa ist deshalb an die Verfassung von 193370 angeknüpft worden, damit die Rechtskontinuität gewahrt bleibt. Die Verfassung von 1933 ist nicht aufgehoben. Sie darf natürlich nicht zentralistisch missbraucht werden. 64 Heinemann wurde im Herbst 1946 schließlich Oberbürgermeister von Essen; dieses Amt trat er am 30. Oktober 1946 an (vgl. dazu G. HEINEMANN, Vaterländer, S. 26f.). 65 Vgl. S. 454-574. 66 Vgl. S. 575-635. 67 5C7 bis 5C9 (S. 411ff). 68 Vgl. dazu den Entwurf für eine "Notordnung" der EKD (5D14, S. 443ff.) und den beschlossenen Text der "Ubergangsordnung" (5C1, S. 405f.). 69 D.h. die in Treysa verabschiedete Vorläufige Ordnung der EKD (1E1, S. 12-15). 70 Gemeint ist die Verfassung derDEK vom 11. Juli 1933 (GBlDEK 1933, S. 2-6).

400

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

Meiser: Wir können nicht bei dieser Verfassung bleiben, da ihre Aufhebung dem Alliierten Kontrollrat von uns angezeigt wurde 71 . Wir müssen bei der Abmachung von Treysa bleiben. Niemöller: Aber auch in Treysa ist auf die Verfassung Bezug genommen. Wir werden also in der Notordnung weder den Bestand noch die Aufhebung der Verfassung erwähnen. Dibelius: Es kann sich nur darum handeln, bestimmte Staatsartikel des Gesetzes von 193372 aufzuheben, aber nicht darum, die ganze Verfassung ausser Kraft zu setzen. Der Alliierte Kontrollrat soll die Verfassung erst dann amtlich ausser Kraft setzen, wenn die Kirche eine neue Verfassung ausgearbeitet hat. Meiser: Ich habe nie behauptet, dass die Landeskirchen bindungslos gegenüber der EKD dastünden. Smend: Das Verhältnis der Landeskirchen zur EKD ist im Ganzen unklar. Wir müssen aber wieder festen Boden haben. Held: Das Vertrauen der Landeskirchen innerhalb der EKD, in dem sie zueinander stehen, muss im Gleichgewicht gehalten werden durch eine feste Bindung. Meiser: Wir können aber keinen Rechtszustand über die Abmachung von Treysa hinausgehend setzen. Smend bringt folgenden Protokollvermerk in Vorschlag: "Der Rat ist dahin einig, dass die rechtliche Bindung der Landeskirchen gegenüber der EKD durch die VoA[äufige\. Ordnung in Treysa in ihren rechtlichen Grundlagen wesentlich verändert, aber nicht aufgehoben ist." Dieser Protokollvermerk wird einstimmig angenommen? 3 . Dibelius: Da in der Notordnung nichts über die Aufhebung der Verfassung von 1933 steht, dem Kontrollrat aber die Aufhebung dieser Verfassung schon in Treysa angezeigt wurde 74 , ist es angebracht, die Notordnung dem Alliierten Kontrollrat persönlich zu überreichen und dabei in einer mündlichen Verhandlung Einzelheiten zu klären.

71 Vgl. das Schreiben Wurms an den alliierten Kontrollrat vom 10. Oktober 1945 (1E3, S. 15f). 72 Gemeint ist das Reichsgesetz über die Verfassung der DEK vom 14. Juli 1933 (RGBl I 1933, S. 471ff.), das am 20. März 1947 vom Interalliierten Kontrollrat aufgehoben wurde (AB1EKD 1, 1947, S. 131ff.). 73 5C3 (S. 406). 74 Diese Anzeige erfolgte nicht in Treysa, sondern durch das Schreiben Wurms vom 10. Oktober 1945 (1E3, S. 15f.).

5B Protokoll

401

Niemöller bringt eine Mantelnote zur Notordnung in Vorschlag des Inhaltes, dass eine neue Verfassung dem Allierten Kontrollrat erst eingereicht werden kann, wenn eine Synode der EKD die Verfassung festgelegt hat. Dibelius: In der mündlichen Verhandlung mit dem Kontrollrat muss dieser dahin gebracht werden, dass er nur das Staatsgesetz, aber nicht die Verfassung selbst aufhebt. Den Uebergang zur neuen Verfassung soll diese Notordnung bilden: sie sollte daher Uebergangsordnung genannt werden. Heinemann verliest die "Uebergangsordnung" 75 . Mit der Ausarbeitung der endgültigen Fassung werden Smend und Heinemann beauftragt. Dibelius: bittet um folgenden Beschluss: "An den Sitzungen des Rates des Rates der EKD darf ein Sachbearbeiter der Berliner Zweitstelle der Kanzlei der EKD teilnehmen, um eine Protokoll für die Berliner Zweitstelle zu führen." Der Beschluss wird angenommen 76 . Asmussen: eröffnet die Aussprache zur Frage der Entnazifizierung. Am 15. März war eine Besprechung mit Vertretern der Landeskirchen der amerikanischen Zone in Stuttgart 77 , da das Gesetz vorläufig nur für die amerikanische Zone gilt78. Die Vertreter der Landeskirchen einigten sich auf 4 Punkte: 1.) Alle anfallenden Fragen sollten in möglichst naher Verbindung miteinander gelöst werden. Vor der Inkrafttretung des Gesetzes soll versucht werden, noch möglichst viele Fälle bei der amerikanischen Militärregierung zu klären. 2.) Mit dem Länderrat soll im Auftrag der betroffenen Landeskirchen über das Gesetz verhandelt werden. 3.) Auf diesem Wege muss versucht werden, eine Einflussnahme auf die Durchführung des Gesetzes zu erreichen.

75 Vgl. den Entwurf 5D14 (S. 443ff.). 76 Vgl. 5B1, S. 395. 77 Unter dem Vorsitz Asmussens hatten sich am 15. März 1946 in Stuttgart Pfarrer Mochalski und Oherkirchenrätin Schwarzhaupt für die Kirchenkanzlei der EKD, Landesbischof Kortheuer für Nassau, Präsident Müller und Pfarrer Guyot für Hessen-Darmstadt, Pfarrer Fricke für Frankfurt, die Oberkirchenräte Weeber und Eichele für Württemberg, Rechtsanwalt Blesse für Kurhessen, Oberkirchenrat Friedrich für Baden sowie Dekan Langenfaß für Bayern zu einer ersten Besprechung über Fragen der Entnazifizierung getroffen (vgl. dazu C. VOLLNHALS, Entnazifizierung, S. 105ff.).

78 Das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" vom 5. März 1946 (vgl. S. 393, Anm. 36) trat Mitte 1947 auch für die französische Zone in Kraft

402

5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

4.) Es muss der Ort herausgearbeitet werden, an dem die Verschuldung eines Pfarrers liegt, der Mitglied der Partei war. Dem Länderrat gegenüber ist eine Warnung vor dem Eingriff in die Freiheit der Verkündigung auszusprechen. Lilje: Dürfen wir bei diesem Gesetz nur an eine Ausnahmebehandlung für die Kirche denken, oder müssen wir nicht alle Betroffenen in Betracht ziehen? Auch die Auswirkungen des Gesetzes sind für alle zu bedenken. Asmussen verliest den Beschluss des Bruderrates zur Reinigung vom Nationalsozialismus 79 . Lilje weist darauf hin, dass dieses Gesetz psychologisch unheilbare Folgen haben wird und daß [es] juristisch so weitmaschig gefasst ist, dass aller Bosheit die Tür geöffnet ist. Niemöller: Dies Gesetz zeugt davon, dass in ihm christlicher Geist nicht zur Geltung gekommen ist, sondern nur Rache-Gefühle. Wir werden nur eine grundsätzliche Erklärung zu diesem Gesetz abgeben können, aber uns nicht in einen Kampf um Einzelpositionen einlassen können, denn es geht bei dem ganzen Gesetz nicht um das Bekenntnis und um die Freiheit der Verkündigung. Held: Die Kirche darf sich nicht vom Leiden des Volkes distanzieren. Bisher hat die Kirche sowieso schon eine Ausnahmestellung. Das Gesetz ist weniger ein Reinigungsgesetz als ein Strafgesetz. Es bestraft eine Gesinnung, die zu Taten geworden ist. Meiser: Ueberall begegnet man jetzt der Frage: Was tut die Kirche? Die Vollstrecker des Gesetzes werden zu Vollstreckern der Rache. Die Landeskirchen kommen in eine sehr schwierige Lage durch eine summarische Entfernung vieler Geistlicher. Es ist zu fragen, ob das nicht ein Eingriff in die Verkündigung ist. Es muss eine grundsätzliche Erklärung zum Gesetz an den Länderrat und an die Militärregierung in dem von Niemöller vorgeschlagenen Sinn ergehen. Das Gespräch mit dem Länderrat soll möglichst Landesbischof D. Wurm führen zusammen mit den zuständigen Referenten der drei betroffenen Landeskirchen 80 . Das Ziel dieser Besprechung muss die Erreichung eines Stillhalte-Abkommens sein, damit nicht summarisch viele Geistliche am Stichtag81 aus dem Amte entfernt werden. Während der Dauer des Stillhalte-Abkommens kann dann

79 5D15 (S. 445/.). 80 Nämlich Bayern, Württemberg und die hessischen Kirchen. 81 Nach Art. 46des "Befreiungsgesetzes" war Stichtag der 1. Juni 1946.

5B Protokoll

403

eine Rechtsklärung erfolgen82. Pfarrer müssen auf alle Fälle unter unabkömmliche Beamte wegen des riesigen Anschwellens der Gemeinden durch den Flüchtlingszuzug gerechnet werden. Dibelius: Alles was ordiniert ist, darf nicht abgesetzt werden. Niemöller: Dieses Gesetz erschwert eine christliche Wiedergeburt unseres Volkes. Das müssen wir dem Länderrat, der Militärregierung und der Oekumene mitteilen. Heinemann: Sollte nicht an alle Glieder der Kirche eine Warnung ergehen, in den Ausschüssen83 mitzuwirken? Wurm fasst zusammen: a) Die Oekumene wird durch das Kirchliche Aussenamt, Pfarrer Martin Niemöller DD, unterrichtet, dass das Gesetz zur Befreiung von Nationalismus und Militarismus vom 5. März 1946 die christliche Wiedergeburt unseres Volkes erschwert und darum unheilvolle Folgen haben muss84. b) Auf einer herbeizuführenden Besprechung mit den Dreiländerrat wird Herr Landesbischof D. Wurm auch diesen auf diese Erschwerung hinweisen 85 . c) Der Rat der EKD wird ein Wort an die Gemeinden zur Schuldfrage, zum Umfang der jetzt veröffentlichten Judenmorde und zur Methode der Entnazifizierung richten. Der Entwurf zu diesem Wort geht den Mitgliedern des Rates zur Durcharbeitung rechtzeitig vor der nächsten Ratssitzung zu 86 . Meiser schneidet die Frage der Auflösung der Reichsverbände an. Diese Auflösung bedeutet eine Bedrohung des Kaiserswerther Verbandes, der Reichsfrauenhilfe usw. Die Angelegenheit soll bearbeitet werden87. Niemöller gibt einen Bericht über die Genfer Tagung des Vorläufigen] Ausschusses des Oekumenischen Rates der Kirchen vom 21.-23. Febr. 1946. Es wird beschlossen: Die Botschaft an die Welt und an die Kirchen des Vorläufigen] Ausschusses des Oekumenischen Rates der Kirchen wird im Verordnunges- und Nachrichtenblatt zum Abdruck gebracht mit dem Absatz, dass diese Botschaft auf Beschluss des Rates der EKD in den Lan-

82 Konkrete Vorschläge für ein derartiges "Stillhalteabkommen" enthielt die Eingabe Wurms an die amerikanische Militärregierung für Deutschland vom 26. April 1946 (6C13, S. 528-535). 83 D.h. in den für die Durchführung der Entnazifizierung zuständigen "Kammern" (vgl. Art. 31 bis Art. 56des "Befreiungsgesetzes"). 84

Vgl. 5B1, S. 393.

85

Vgl. 5B1, Ebd.

86

Vgl. 5B1, S. 393f.

87

Vorgang nicht ermittelt.

404

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deskirchen zu Ostern den Gemeinden von den Kanzeln verlesen werden möchte. Die Landeskirchen werden ausserdem gebeten, die Tageszeitung ihres Bereiches zu veranlassen, die Resolutionen des Vorläufigen Ausschusses zu veröffentlichen 88 . Smend verliest die endgültige Fassung der Uebergangsordnung. Die Uebergangsordnung mit den Zusätzen89 wird einstimmig angenommen und beschlossen, dass die Uebergangsordnung vom 22.3.46 dem Alliierten Kontrollrat von Herrn Bischof D. Dr. Dibelius persönlich überreicht werden soll. Niesei berichtet, dass der Evang. Presseverband für Deutschland e.V. einen neuen Direktor in der Person des früheren geistlichen Dirigenten des Schlesischen Konsistoriums, Oberkonsistorialrat a.D. Schwarz bekommen habe. Schwarz muss wegen seiner schlesischen Vergangenheit als Direktor des Presseverbandes abgelehnt werden, damit nicht eine Restauration in dem Verband sich breit machen kann. Es wird beschlossen, dem Evang. Presseverband mitzuteilen, dass er unter der Leitung von Oberkonsistorialrat a.D. Schwarz von der EKD bisher in keiner Weise autorisiert ist. Diese Mitteilung soll zugleich an alle Landeskirchenregierungen gehen90. Ein Entwurf der Kanzlei der EKD über die Versorgung und Verwendung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen wird den Landeskirchenleitungen mit der Bitte um Stellungnahme spätestens zur Sitzung am 1. Mai zugeleitet, damit der Rat der EKD in seiner Sitzung am 2. Mai diese Frage endgültig entscheiden kann 91 .

88 Vgl. 5B1, S. 394. 89 5C7 bis 5C3 (S. 405/.). 90 Vgl. 5B1, s. m. 91 Vgl. m, Ebd.

5C Anlagen

405

5C Anlagen 5C1. Ubergangsordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Frankfurt/Main, 22. März 1946 F: LKA Nürnberg, Meiser 124 (H). - Abdruck: VONBl Nr. 14, April 1946; H. Brunotte, Grundordnung, S. 303f.; KJ1945-1948, S. 67f. §1 Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Fortsetzung der Deutschen Evangelischen Kirche. §2

Das einzige verfassungsmässige Organ der EKD ist bis auf weiteres der Rat der EKD. Er besteht aus 12 Mitgliedern, 6 aus lutherischen, 4 aus unierten, 2 aus reformierten Kirchengebieten. §3 Der Rat leitet und verwaltet die EKD. Er vereinigt insoweit die Rechte und Pflichten der früheren verfassungsmässigen Organe der DEK in seiner Hand. Besondere Aufgaben des Rates sind: a) die Vertretung der EKD in ihren gemeinsamen Anliegen. Dabei bleibt die Selbständigkeit der Landeskirchen unberührt. b) die Mitarbeit der EKD in der Ökumene c) Wahrnehmung der Belange der EKD nach aussen d) Durchführung kirchlicher Hilfswerke e) Beratung und Unterstützung von Landeskirchen bei der Wiederherstellung bekenntnismässiger Ordnungen f) die Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der EKD. §4 Der Rat übt die fördernde Obhut über diejenigen Arbeitsverbände und Werke aus, die als Einrichtungen der EKD von ihr anerkannt sind. Hierzu gehören vor allem die Innere und Äussere Mission, die männliche und weibliche Diakonie, die kirchliche Männer-, Frauen- und Jugendarbeit, die Verbände zur Pflege der Diaspora, der Kirchenmusik und des gottesdienstlichen Lebens, der religiösen Kunst, der theologischen Wissenschaft, sowie der Evangelische Bund zur Wahrung der protestantischen Interessen.

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§5 Der Rat ist berechtigt, bei Ausscheiden eines Mitgliedes unter Wahrung seiner bekenntnismässigen Zusammensetzung eine Neuwahl zu treffen. Sie bedarf der Zustimmung aller anwesenden Ratsmitglieder. §6

Im Auftrage des Rates führt die Kanzlei der EKD die laufenden Geschäfte der EKD, bereitet Verhandlungen des Rates vor und führt dessen Beschlüsse aus. §7 Die EKD bringt ihren Finanzbedarf durch Umlage der Landeskirchen auf. §8 Die Verordnungen des Rates werden im Verordnungs- und Nachrichtenblatt der EKD verkündet. Sie treten am vierzehnten Tage nach der Ausgabe des Blattes in Kraft, soweit nicht ein anderes bestimmt wird. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 5C2. "Wünsche für das Mantelgesetz" F: LKA Nürnberg, Meiser 124 (H). Zu Art. 1 Die Ubergangsordnung der EKD vom 22. März 1946 wird anerkannt. Zu Art. 2 Die EKD ist Körperschaft des deutschen öffentlichen Rechts. Sie ist die rechtliche Fortsetzung der DEK. Zu Art. 4 Im formellen kirchlichen Rechtsverfahren gegen kirchliche Amtsträger sind die Amtsgerichte verpflichtet, den Rechtshilfeersuchen der kirchlichen Behörden stattzugeben. 5C3. "Protokoll-Vermerk" F: LKA Nürnberg, Meiser 124 (HJ. Der Rat ist dahin einig, dass die rechtliche Bindung der Landeskirchen gegenüber der EKD durch die vorläufige Ordnung in Treysa in ihren rechtlichen Grundlagen wesenhaft verändert, aber nicht aufgehoben ist.

5C Anlagen

407

5C4. Anordnung zum Haushalt der EKD 1946. Frankfurt/Main, 21. März 1946 F: ETA Berlin, 2/769 (H; Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei vom 27. März 1946). Anordnung betreffend den Haushalt der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Rechnungsjahr 1946. Vom 21. März 1946. Auf Grund des § 1 der Ersten Ausführungs-Verordnung 92 zur Vorläufigen Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland 93 (Treysa vom 31. August 1945) vom 19. Oktober 1945 (Verordnungs- und Nachrichtenblatt 1946 N r . 1) wird folgendes bestimmt: §1 (1) Das Rechnungsjahr 1946 läuft vom 1. April 1946 bis zum 31. März 1947. (2) Die Kassenführung der Evangelischen Kirche in Deutschland gründet sich im Rechnungsjahr 1946 auf den als Anlage 1 beigefügten Haushaltplan 94 , der in Einnahme und Ausgabe auf 715 000,- RM 95 festgestellt wird. (3) Die bei Kapitel II und HI der Einnahme angesetzten Beträge müssen in voller H ö h e aufgebracht werden. Die Landeskirche, die den auf sie nach dem Umlageschlüssel zu errechnenden Betrag durch die Kollekte nicht erreicht, hat zum Ausgleich den Minderbetrag aus anderen Mitteln aufzubringen. (4) Die für die einzelnen Titel der Ausgabe ausgeworfenen Beträge sind gegenseitig deckungsfähig 96 , mit Ausnahme von Kapitel III Titel 1. §2 (1) Der durch Umlagen der Landeskirchen aufzubringende Finanzbedarf beträgt für das Rechnungsjahr 1946 nach dem Haushaltplan 538 974,- RM. (2) Dieser Finanzbedarf wird auf die Landeskirchen in der Weise verteilt, dass die im britischen, amerikanischen und französischen Besatzungsgebiet liegenden Landeskirchen 66 % der Umlagebeiträge nach der Anordnung vom 10. Febr. 1942 (Gesetzblatt der DEK 1942, S. 38ff.) zahlen. Bei der Evangelischen Kirche des Rheinlandes und bei der Evangelischen Kirche Westfalens werden je 12 % der nach der Umlageberechnung von 1942 auf die Evangelische Kirche der altpreussischen Union entfallenden Umlage

2C3 (S. 61f). 93 1E1 (S. 12-15). 94 5C5 (S. 408ff.j. 95 Der mit Rundschreiben der Kirchenkanzlei vom 28. Februar 1946 (5A2, S. 388) versandte Entwurf lautete auf RM 600.000,- (EZA BERLIN, 2/769). 96 Im Entwurf endet Abs. 4 an dieser Stelle (EBD.). 92

408

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zugrundegelegt. Wegen der Umlagezahlung der im russischen Besatzungsgebiet liegenden Landeskirchen ergeht besondere Anordnung. (3) Die hiernach auf die einzelnen Landeskirchen in den westlichen Gebieten entfallenden Umlagebeiträge sind in der als Anlage 2 beigefügten Umlageberechnung 97 festgestellt. Die Umlagebeiträge sind vierteljährlich im voraus an die Kasse der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Schwäb. Gmünd, - Konto bei der Deutschen Bank - zu entrichten. Frankfurt a.M., den 21. März 194698 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gez. D. Wurm 5C5. Haushaltplan der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Rechnungsjahr 1946 F: ETA Berlin, 2/769 (H; Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei

vom 27. März

1946).

Einnahme Kapitel I Kapitel II Kapitel III Kapitel IV Kapitel V

Aus Kapitalvermögen Kollekte für grosse gesamtkirchliche Notstände Kollekte für die Gefangenen-Seelsorge in aller Welt Umlagebeiträge der Landeskirchen der westlichen Besatzungsgebiete Insgemein

100.000,-RM" 75.000,- RM 100 538.974,- RM 1.026,- RM 715.000,- RM 101

Ausgabe Kapitel I Titel 1

Kirchenleitung Rat der Evang. Kirche in Deutschland

97 5C6(S. 410/.). 98 Entwurf: "31. März 1946" ( E Z A 99 Entwurf: RM36.000,- (EBD.). 100 Entwurf:RM24.000,-

(EBD.).

101 Entwurf: RM 600.000,- (EBD.).

BERLIN, 2 / 7 6 9 ) .

6.000,- RM

5C Anlagen

Titel 2

Beratende Organe und Disziplinargerichte (insbesondere die Kammern, die Göttinger Stelle einschl. Besoldung D. Wehrhahn und Sekretärin)

409

43.000,- RM 102 49.000,- RM 103

Kapitel II Titel 1 Titel 2 Titel 3 Titel 4 Titel 5 Titel 6 Titel 7 Titel 8 Titel 9 Titel 10 Titel 11

Kirchenverwaltung Beamtenbesoldung einschl. Hilfskräfte Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung Angestelltenvergütungen und Arbeiterlöhne Unterstützungen Dienstreisen Geschäftsbedürfnisse Diensträume Presse-Arbeit Archiv-Arbeit Statistik Sonstige Verwaltungsausgaben

90.000,- RM 15.000,- RM 104 40.000,- RM 1.500,-RM 9.000,- RM 6.000,- RM 6.000,- RM 3.000,-RM 9.000,- RM 6.000,- RM 4.500,- RM 190.000,- RM 105

Kapitel EI Titel 1 Titel [2]

Innerkirchliche Arbeit Gefangenen-Seelsorge Sonstige innerkirchl. Arbeit (darunter eine einmalige Zuwendung von 30.000,- RM an die Zweitstelle der KK in Berlin

75.000,- RM 106

179.000,- RM 107 254.000,- RM 108

Kapitel IV Titel 1 Titel 2 102 103 104 105 106 107

108

Auslands arbeit Personalausgaben für das Kirchl. Aussenamt Dienstreisen, Geschäftsbedürfnisse und alle

40.000,- RM

Entwurf:RM23.000,(EBD.). Entwurf:RM 29.000,- ( E B D . ) . Im Entwurf ist hier kein Betrag angegeben ( E B D . ) . Entwurf:RM 175.000,- ( E B D . ) . Entwurf:RM24.000,(EBD.). Entwurf: RM 150.000,•• ( E B D . ) . - Nach dem Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Landeskirchenregierungen vom 20. April 1946 ist der Betrag durch RM 219.000,- zu ersetzen ( E B D . ) . Entwurf:RM 174.000,- ( E B D . ) .

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5. Sitzung Frankfurt/Main 21. und 22. März 1946

sonstigen sächlichen Ausgaben des Kirchl. Aussenamtes u. seiner Arbeit.

40.000,- RM 80.000,- RM

Kapitel V Kapitel VI

Abwicklung der Verbindlichkeiten der alten DEK

135.000,- RM

Insgemein

7.000,- RM 600.000,- RM 109

5C6. Umlageberechnung F: ETA Berlin, 2/769 (H; Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei vom 27. März 1946). Umlageberechnung der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Zeit vom 1. April 1946 bis 31. März 1947. Lfd.Nr. Landeskirche

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Höhe des Jahresbeitrages RM

Evang. Kirche des Rheinlandes Evang. Kirche Westfalens Evang.-luth. Landeskirche Hannovers Evang. Landeskirche in Württemberg Evang. Landeskirche Nassau-Hessen Evang.-lutherische Landeskirche SchleswigHolsteins Evang.-luth. Kirche in Bayern rechts des Rheins Evang.-luth. Kirche im Hamburgischen Staate Evang. Landeskirche Kurhessen-Waldeck Vereinigte evang.-protestantische Landeskirche Badens Bremische Evang. Kirche Vereinigte protestantisch-evang.- christliche Kirche der Pfalz Braunschweigische evang.-luth. Landeskirche

68.163,16 68.163,16 65.024,52 54.630,84 47.871,12 42.678,24 41.701,44 37.601,52 24.479,40 23.913,12 15.490,13.900,92 12.324,84

109 Nach dem Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Landeskirchenregierungen 1946 ist dieser Betrag durch RM 715.000,- zu ersetzen (EBD.).

vom 20. April

411

5C Anlagen

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Evang.-luth. Kirche des Landesteils Oldenburg Evang.-luth. Kirche in Lübeck Evang.-ref. Landeskirche der Provinz Hannover Lippische Landeskirche Evang. luth. Landeskirche von Schaumburg-Lippe Evang.-luth. Landeskirche Eutin Bund evang.-reformierter Kirchen Deutschlands Brüderunität

8.095,56 4.377,12 4.059,3.468,96 1.008,48 1.008,48 714,12 300,538.974,-

5C7. Anweisungen des Rates zur Wiederaufnahme von Gefangenen in die evangelische Kirche F: E2A Berlin, 2/84/046/1

(vervielfältigte

Abschrift).

Der Rat der Evang. Kirche in Deutschland erlässt für die Wiederaufnahme von Kriegsgefangenen und politischen Gefangenen, die sich zur Zeit in Lagern befinden, folgende Weisungen: 1. In jedem Lager für Kriegsgefangene und politische Gefangene wird im Einvernehmen mit dem Organ der Militärregierung eine Evang. Lagergemeinde gebildet. 2. Die Leitung der Lagergemeinde liegt in den Händen des Lagerpfarrers, oder, falls kein Geistlicher für die Gefangenen vorhanden ist, eines damit von der Kirche besonders beauftragten und durch die Militärregierung anerkannten Laien. 3. Der Lagerpfarrer (Laie) wirkt auf die Bildung eines Evang. Kirchenrates in seinem Lager hin, der mit ihm gemeinsam die Verantwortung für das Gemeindeleben trägt. 4. Gefangene, die aus der Kirche ausgetreten sind und die Absicht haben, wieder in die Kirche einzutreten, melden dieses ihrem Lagerpfarrer, der nach anliegendem Formular die schriftliche Anmeldung vornimmt. 5. Die Angemeldeten sollen am Gottesdienst und einer besonderen geistlichen Unterweisung teilnehmen. Frühestens nach 3 Monaten führt der Lagerpfarrer ein abschliessendes Gespräch mit dem Antragsteller. In dieser Wartezeit ist nach Möglichkeit ein Urteil der Heimatgemeinde über den Angemeldeten herbeizuführen. 6. Auf Grund eingehender Kenntnis des Gesuchstellers entscheidet der Lagerpfarrer im Einvernehmen mit dem Evgl. Kirchenrat des Lagers über die Wiederaufnahme in die Evgl. Kirche, die im Gottesdienst vollzogen wird.

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7. Über die erfolgte Wiederaufnahme in die Kirche ist eine Urkunde nach anliegendem Muster auszustellen. Die erfolgte Wiederaufnahme ist in das vom Pfarrer zu führende kirchliche Register des Lagers einzutragen. 8. Der Wiederaufgenommene ist dahin zu unterrichten, dass er nach seiner Freilassung dem Pfarrer seines Ortsbezirkes die Wiederaufnahme-Urkunde vorlegen muss, damit der Orts- bzw. Bezirkspfarrer den Heimatvermerk eintragen kann. N u r wenn dieser Heimatvermerk ausgefüllt ist, ist die Wiederaufnahmeurkunde für den Freigelassenen von Bedeutung. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gez. D. Wurm 5C8. Anmeldeformular zur Wiederaufnahme in die evangelische Kirche F: EZA Berlin, 2/84/046/1

(H; Anlage zu 5C7).

Vorname Zuname Geburtstag u. Geburtsort Wohnort u. Strasse Beruf Familienstand Kinder Kirchliche Zugehörigkeit der Frau der Kinder Ich bin im Jahre aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. Für diesen Austritt gebe ich folgende Begründung:

Meine Bitte um Wiederaufnahme ist wie folgt begründet:

Lager , den 1946 Unterschrift des Antragstellers: Votum und Unterschrift des Pfarrers:

5C Anlagen

413

5C9. Formular einer Urkunde über die Wiederaufnahme in die evangelische Kirche F: EZA Berlin, 2/84/046/1

(H; Anlage zu 5C7).

Vorname Zuname Geburtstag u. O r t Wohnort Strasse Beruf Familienstand Kinder Der vorstehend bezeichnete ist auf Beschluss des Evangelischen Kirchenrates im Lager am 19 im Lagergottesdienst in die Evangelische Kirche aufgenommen worden. -Diese Wiederaufnahme ist in das Kirchenregister des Lagers aufgenommen und wird durch diese Urkunde bestätigt. Lager

, den Unterschrift des Lagerpfarrers oder Laien:

Der Vorgenannte hat sich nach seiner Entlassung als Glied der Evangelischen Kirchengemeinde am heutigen Tage gemeldet. den

1946 Unterschrift des Pfarrers:

5C10. Botschaft des Vorläufigen Ausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen. Genf, 21. bis 23. Februar 1946 F: VONBlNr.

12, April 1946.

Der Vorläufige Ausschuß des Oekumenischen Rates der Kirchen, zu seiner ersten Tagung nach dem Weltkriege in Genf versammelt, erläßt folgende Botschaft: Die Welt steht heute zwischen Leben und Tod. Die Hoffnungen der Menschheit auf eine bessere Welt sind nicht erfüllt worden. Millionen müssen Unerträgliches erleiden. Die Völker scheinen nicht in der Lage zu sein, mit den entscheidenden Fragen internationaler Ordnung fertig zu werden. Eine schwere Last ruht auf der ganzen Menschheit.

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Wir stehen vor dieser Krisis als Christen, deren eigenes Gewissen schwer verstört ist. Dennoch hat Gott uns in Seiner Gnade den Dienst Seines Wortes anvertraut, und wir stehen unter der Pflicht, dies Wort auszurichten. Die Menschheit befindet sich auf dem Wege des Todes, weil sie Gottes Willen ungehorsam ist. Aller [sie!] Erneuerung hängt an der Buße, an der Umkehr von unseren eigenen Wegen auf den Weg Gottes. Er ruft die Menschen zu einer letzten Entscheidung: "Ich habe euch Leben und Tod vorgelegt, daß ihr das Leben erwählt." 110 Der Krieg entsteht aus dem menschlichen Eigenwillen und aus der unglückseligen Unfähigkeit der Menschheit, die rechte Lösung für ihre widerstreitenden Interessen zu finden. Wir beten zu Gott, die Vereinigten Nationen möchten den Weg des Lebens wählen und künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges bewahren. Doch die Zeit ist kurz. Der Triumph, den der Mensch mit der Entbindung der Atomenergie errungen hat, bedroht ihn selbst mit Vernichtung. Unsere Kultur wird zugrunde gehen, es sei denn, daß der Mensch seine Einstellung von Grund aus ändert. Ein trüglicher Friede ist nur wenig besser als Krieg. Ein dauerhafter Friede kann nur auf echten geistigen Grundlagen aufgebaut werden. Wir rufen alle Menschen auf, die guten Willens sind, und alle, die an die Wirksamkeit geistiger Werte und seelischer Kräfte glauben, gemeinsam für eine gerechte und menschliche Ordnung zu wirken. Alle Nationen stehen unter Gottes Gericht. Diejenigen, die besiegt wurden, müssen eine fürchterliche Vergeltung über sich ergehen lassen. Aber die Quellen für ihre Genesung liegen in ihnen selbst verborgen und warten darauf erschlossen zu werden; wenn sie sich zu Gott wenden und den Stimmen derer in ihrer Mitte folgen, die selbst in den dunkelsten Tagen den Mächten des Bösen widerstanden, so können sie trotzdem den ihnen zukommenden Platz in der Gemeinschaft der Völker wieder einnehmen. Auch die Siegervölker sind durch erhebliche Leiden hindurchgegangen, nun aber legt gerade ihr Sieg ihnen eine neue Verantwortung vor Gott auf. Sie müssen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zugleich üben. Wenn sie ihre früheren Feinde des Lebensnotwendigen berauben oder ihre Bevölkerung massenweise austreiben und auf solche oder andere Weise Rache üben, so kann das nur zu neuem Unheil führen. Für die Beziehungen der Völker untereinander muß ein neuer Anfang gefunden werden. Die Völker haben als solche in Gottes Plan ihren besonderen Platz; aber nationale Selbstsucht ist eine Sünde gegen den Gott, der alle Völker schuf, große und kleine. Kein Volk kann das verwirklichen, was Gott mit ihm vorhat, wenn es sich seinem Ruf zu voller Zusammenarbeit und Gemeinschaft mit anderen Völkern als den Gliedern 110 Dtn 30,19.

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einer großen Familie versagt. Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen sozialer und internationaler Ordnung. Wir wenden uns deshalb insbesondere an die Regierungen der fünf großen Mächte mit dem Appell, sie möchten sich ihrer Verantwortung gegenüber der ganzen Welt gewachsen zeigen. Dadurch, daß sie ihre Machtmittel miteinander vereinten, gewannen sie den Sieg. Wir fordern sie auf, jetzt noch einmal ihre ganzen Kräfte für ein gemeinsames Ziel einzusetzen, um Gerechtigkeit zu schaffen, den Hunger zu besiegen und eine weltumspannende Gemeinschaft freier Völker zu verwirklichen. Es sei denn, daß sie den alten Weg des Vertrauens auf die bloße Macht verlassen und sich bewußt dem göttlichen Gesetz der Gerechtigkeit und Liebe unterstellen, so werden sie auf dem Weg des Unheils und des Todes bleiben. "Ich habe euch Leben und Tod vorgelegt, daß ihr das Leben erwählt." Auf den Kirchen ruht die besondere Verpflichtung, den Völkern dazu zu helfen, daß sie den Weg des Lebens wählen. Die Christen sind berufen, das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein. Ihnen ist das Amt der Versöhnung aufgetragen. Sie sind dafür verantwortlich, durch Wort und Tat davon Zeugnis zu geben, daß das Gesetz Gottes seine Erfüllung findet in der Liebe Christi. Wir rufen alle auf, die in der Nachfolge Christi stehen, alles zu tun, was in ihrer Kraft steht, um denen zu helfen, auf denen die furchtbaren Nöte und Leiden der Gegenwart lasten, und für eine bessere Ordnung zu kämpfen, in der die Menschenrechte in vollem Umfang anerkannt und geschützt sind. Wir haben das gute Vertrauen, daß die leistungsfähigen Kirchen mit ihrer Hilfe für die Kirchen in den befreiten und in den leidenden Ländern fortfahren, und daß alle Kirchen sich in wachsendem Maße für die Erfüllung des missionarischen Auftrages der Kirche an die Welt einsetzen werden. Wir erinnern mit eindringlichem Ernst an die Pflicht aller Christen, ohne Unterlaß betend dafür einzutreten, daß Vergebung, Einigkeit und echte menschliche Bruderschaft Macht gewinnen. Wir sagen Gott Dank für unsere oekumenische Gemeinschaft in Christus. In den Jahren des Krieges ist diese Gemeinschaft noch erweitert und vertieft worden, und durch Gottes Gnade haben wir aufs neue die Erfahrung gemacht, daß Er uns in der weltweiten Gemeinschaft Seiner heiligen Kirche eine Quelle der Kraft schenkt. Wir sind voller Freude darüber, daß wir nach den Prüfungen dieser Jahre wieder haben zusammenkommen dürfen und unsere Herzen eng verbunden fanden in christlicher Liebe. Wir bezeugen, daß wir bei dieser ersten Zusammenkunft nach dem Kriege einander wirklich als Brüder begegnet sind und in innerster, in Christus gegründeter Einigkeit unsere Arbeit getan haben, einer Einigkeit, die sich gegenüber dem, was uns trennt, als die überragende Wirklichkeit erwiesen hat. Dies

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Erleben erfüllt unsere Herzen mit Freude und Dank, und wir sehen darin ein Zeichen der Hoffnung für die gesamte Menschheit. Gott hat uns das Geheimnis Seines Willens dahin kundgetan, daß Er in der Fülle der Zeiten alles zusammenbringt in Christus. Er ist unser Friede. In Ihm liegt das Leben der Menschheit beschlossen. "Ich habe euch Leben und Tod vorgelegt, daß ihr das Leben erwählt." Auf Beschluß des Rates der EKD vom 22. März 1946 werden die Landeskirchenregierungen gebeten, diese Botschaft den Gemeinden im Oster-Gottesdienst zur Verlesung zu bringen. 5C11. Resolutionen des Vorläufigen Ausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen. Genf, 21. bis 23. Februar 1946 F: VONBl Nr. 12, April 1946.

I. Resolution über Notstand in Europa und Asien. 1. Angesichts der verzweifelten Lage von Millionen von Flüchtlingen und sonst aus ihren Heimatländern entfernten Menschen, welche Obdach, Nahrung, Wärme und verdienstbietende Beschäftigung entbehren, bringt der Vorläufige Ausschuß des Oekumenischen Rates der Kirchen (VA.) seine tiefste Besorgnis um die leidenden Völker zum Ausdruck. Es ist sein ernsthafter Wunsch, daß alles nur Mögliche von zwischenstaatlichen und staatlichen Instanzen sowie seitens der freien Verbände geschehe, um die gegenwärtige Notlage zu mildern, sowie um für die Ansiedlung und Eingliederung der entwurzelten Volksgruppen ohne Ansehen ihrer Herkunft zu sorgen. 2. Der VA. nimmt mit Dankbarkeit Kenntnis davon, daß verschiedene Regierungen, insbesondere Großbritannien und USA., Einschränkungen in der Lebensmittelversorgung beschlossen haben, um ein Höchstmaß von Nahrung an den europäischen Kontinent und Asien abgeben zu können. 3. Der VA. ersucht dringend, das von der Generalversammlung der Vereinigten [sief] Nationen bestellte Gremium, bei Einstellung der Tätigkeit der UNRRA 1 1 1 , Ende dieses Jahres, Vorkehrungen für Fortsetzung und Ausdehnung der Hilfs- und Wiederaufbauarbeiten in Europa zu treffen; er ersucht insbesondere, für Einfuhr von Saatkorn, Düngemittel, Zuchtvieh sowie landwirtschaftlichen Geräten zu sorgen, damit überall die künftigen Ernten vorbereitet werden können. 4. Der VA. ersucht die dem Oekumenischen Rat angeschlossenen Kirchen in Auswirkung der besonderen Christenpflicht, für die heute so schwer leiden111 - United Nations Relief and Rehabilitation Administration.

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den Menschen zu sorgen, den Dienst geistiger und materieller Hilfe für die notleidenden Völker in Europa und Asien aufrechtzuerhalten und nach Kräften auszudehnen. II. Resolution über Umsiedlung von Bevölkerungen. Die Potsdamer Konferenz hat beschlossen, daß alle Umsiedlungsmaßnahmen auf geordnete und menschliche Weise zu erfolgen hätten. Sie erkannte an, daß das Einströmen einer großen Zahl von Deutschen in das verkleinerte Deutschland die bereits von den Behörden des Landes getragene Last erheblich vermehren würde, und daß daher das Problem mit besonderer Berücksichtigung der gerechten Verteilung dieser Deutschen auf die einzelnen Besetzungszonen zu prüfen sei. Sie ordnete an, daß die Verteilung der Aussiedlung unter Berücksichtigung der bestehenden Lage in Deutschland auf eine bestimmte Zeitspanne abgeschätzt werde. Die Konferenz hat verlangt, daß während der Dauer dieser Prüfung von weiteren Vertreibungsmaßnahmen vorläufig abzusehen sei. Diese Vorschläge der Potsdamer Konferenz sind nicht ausgeführt worden; vielmehr haben die Umsiedlungsmaßnahmen große Härten, Not und Leid für Millionen Menschen, einschließlich sehr vieler Frauen und Kinder, mit sich gebracht. Krankheit und Tod in erschreckendem Ausmaß sind die Folge. Dieser Zustand ist eine Herausforderung des christlichen Gewissens; er hat die christliche Kirche erneut zu ihrer Verantwortung für die leidende Menschheit wachgerufen. Obwohl der VA. anerkennt, daß neuerdings einige Anstrengungen zur Einhaltung der Bedingungen des Potsdamer Abkommens erfolgt sind, ersucht er dringlich die alliierten Regierungen sowie die Organisation der Vereinigten Nationen, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um 1. angemessene Hilfe für die bereits Ausgesiedelten sicherzustellen, die sich in Not und Elend befinden; 2. um für die Einhaltung der Potsdamer Vereinbarungen bei weiteren Aussiedlungsmaßnahmen zu sorgen, d.h. daß diese auf geordnete und menschliche Weise vor sich gehen; insbesondere daß geeignete Transportmittel, persönlicher Schutz und angemessener Reiseproviant zur Verfügung stehen; daß geeignete Vorkehrungen im voraus für den Empfang der Deportierten an ihrem Bestimmungsort getroffen werden; 3. um schließlich eine Aufsicht seitens der Organisation der Vereinigten Nationen über die Durchführung der zweckmäßigen Seßhaftmachung aller Ausgesiedelten in ihren neuen Heimstätten herbeizuführen.

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Außerdem ist die Politik der an der Besetzung Deutschlands beteiligten Mächte, wenn auch noch unbestimmt und ohne Zusammenhang, dennoch deutlich auf eine so radikale Beschränkung der deutschen Industrie und Ausfuhr gerichtet, daß diese einzig und allein durch eine lange militärische Besetzung erzwungen werden könnte. Der VA. ist überzeugt, daß diese Politik, die durch die zwangsmäßige Überführung großer Volksgruppen aus anderen Ländern in das verkleinerte Deutschland erschwert wird, nochmaliger Prüfung unterworfen werden sollte. Falls dies nicht geschieht, so wären Millionen von Deutschen dazu verurteilt, entweder auf unbestimmte Zeit als Wohlfahrtsempfänger ihr Leben zu fristen oder aber Hungers zu sterben, bis daß die überlebende Bevölkerung innerhalb der neuen Grenzen existieren kann. Solche Politik aber wäre nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa verderblich. Ferner bittet der VA. die alliierten Regierungen und die Organisation der Vereinigten [sic!\ Nationen dringend, das altüberlieferte Asylrecht für politische Flüchtlinge, die keines gemeinen Verbrechens schuldig sind, neu zu bestätigen und durchzuführen, und diese Flüchtlinge vor zwangsweiser Heimschaffung gegen ihren Willen zu schützen. III. Resolution über Antisemitismus und die Judenfrage. Der VA. bringt seinen tiefen Abscheu über die noch nie dagewesene Tragödie zum Ausdruck, deren Opfer das jüdische Volk bei dem Versuche der Nazis, die europäische Judenheit auszurotten, geworden ist; er drückt sein herzliches Mitgefühl den Uberlebenden dieser Tragödie sowie ihren jüdischen Brüdern in der Welt aus. Der VA. anerkennt dankbar das treue Zeugnis vieler Christen, welche unter großer Lebensgefahr gegen den Antisemitismus Protest erhoben und seine Opfer geschützt haben. - Der VA. bekennt bußfertig das Versagen der Kirchen, im Geiste Christi eine menschliche Haltung zu überwinden, welche das Übel des Antisemitismus hervorgerufen hat und es heute verstärkt, eines Übels, das die jüdischen wie die christlichen Gemeinschaften in gleicher Weise bedroht. Der VA. ruft daher dringlich alle Christen der Welt auf, dieses Übel mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen, und zwar besonders auf folgende Weise: a) Gegen den Antisemitismus als Gedanken und praktische Haltung zu zeugen, weil er Geist und Lehre unseres Herrn Jesus Christus verleugnet. b) Wenn immer möglich die Nöte derer zu lindern, welche noch unter den Folgen antisemitischer Entrechtung und Verfolgung zu leiden haben.

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c) Durch Unterstützung aller Bestrebungen, für Juden, die von ihrer Heimat getrennt sind oder an ihren jetzigen Wohnstätten nicht bleiben können, neue, für sie annehmbare Heimstätten zu finden. d) Durch Zusammenarbeit mit Juden im Sinne beiderseitiger Bemühungen um Beseitigung von Reibungsflächen im Bereiche persönlicher und kollektiver Beziehungen. e) Durch Förderung gegenseitigen Verständnisses und guten Willens zwischen Christen und Juden, um so gemeinsam Zeugnis abzulegen für die Pflicht guter Nachbarschaft zwischen allen Menschen, und für Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe, als Grundlage jeder wohlgeordneten menschlichen Gesellschaft. IV. Resolution über Christen jüdischer Herkunft. Der VA. bezeugt hierdurch, daß für alle Christen jüdischer Herkunft die Kirche Christi ebenso wahre Heimat ist wie für alle anderen Christen und daß sie deshalb ohne Einschränkung an Rechten und Pflichten teilhaben, die zu der Gliedschaft und dem Dienst der Kirche gehören. - In Zeiten von Verfolgung oder anderer Not sollen die Christen jüdischer Herkunft versichert sein, daß die Kirche stets ihre Zuflucht bleibt, ob in ihrer ursprünglichen Heimat, oder im Auslande, oder auf der Wanderung nach einer neuen Heimat. Der kirchliche Dienst für geistliche und materielle Hilfe wird ihnen überall zur Verfügung stehen. - Die Zusicherung gründet sich auf Lehre und Botschaft der Heiligen Schrift, wonach die Kirche ihrem Wesen nach eine sich über die gesamte Menschheit erstreckende Gemeinschaft ist, eins in ihrem einen Herrn. 5C12. Entwurf über einen Beschluß zur Frage der Ostpfarrer F: LKA Nürnberg, Meiser 125 (H; Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei

vom

25. März 1946).

I. Unter die Bezeichnung Ostpfarrer fallen: a) alle Pfarrer - einschliesslich der von der Bekennenden Kirche installierten - in den jetzt von den Polen besetzten Gebieten der Ev. Kirche der Altpreussischen Union, einschl. der kirchenrechtlich zur Ev. Kirche der a[lt\p[reußischeriyj\nion\ gehörigen Kirchen im polnischen Staatsgebiete mit den Grenzen vom 1. Sept. 1939; ausserdem alle Pfarrer der Deutschen Ev. Kirche im Sudetenland und in Böhmen und Mähren. b) alle Pfarrer - einschliesslich der von der Bekennenden Kirche installierten - der in der russischen Besatzungszone liegenden Landeskirchen.

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n. 1.) Bei der Versorgung und Verwendung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen ist zwischen den unter Ia und Ib Aufgeführten zu unterscheiden, da eine Rückkehr der Pfarrer, die jenseits der Oder-Neisse Linie zuständig sind, im Unterschied zu diesen so gut wie unmöglich ist. Die unter Ia Aufgeführten sind daher bei der Versorgung und Verwendung zu bevorzugen, sofern nicht die unter Ib Aufgeführten die Unmöglichkeit ihrer Rückkehr nachweisen. Andernfalls endet die Verwendung und Versorgung dieser Pfarrer mit dem 31. März 1947. Für eine Sonderstellung der unter Ia Aufgeführten kommen folgende Gruppen in Frage: a) Flüchtlingspfarrer mit ihren Angehörigen aus den Gebieten jenseits der Oder-Neisse Linie. Flüchtlingspfarrer dieser Art sollen möglichst in feste Pfarrstellen eingewiesen werden. Bis dahin erhalten sie eine monatliche Unterstützung in Höhe der unten aufgeführten Sätze. b) Angehörige von Pfarrern, die jenseits der Oder-Neisse Linie Dienst tun. Die Angehörigen dieser Pfarrer erhalten ein zinsloses Darlehn bis zur Höhe von 75% des ihrem Ernährer zustehenden Gehaltes. Alleinstehende Kinder, deren Berufsausbildung noch nicht beendet ist, erhalten bis zum 24. Lebensjahre eine monatliche Unterstützung von 70,- RM, falls ihre ausreichende Unterbringung und Versorgung nicht anders gewährleistet ist. 2.) Die unter I Aufgeführten erhalten folgende Unterstützungen gezahlt: A. Aktive Pfarrer (d.h. Pfarrer, die zuletzt ein Pfarramt im russisch besetzten Gebiet inne hatten, einschliesslich der von der Bekennenden Kirche eingewiesenen Pfarrer). 1. Ledige (Verwitwete): 150,- RM monatlich 2. Verheiratete: 200,- RM monatlich dazu ein Zuschlag von 20,- RM für jedes Kind unter denselben Bedingungen, wie sie bisher für die Gewährung von Kinderzuschlag massgebend waren. Verheiratete Pfarrer, deren Ehefrau und Kinder im Ostgebiet verblieben sind, erhalten den Satz für Ledige (Verwitwete). 3. Diensttuende (mit Beschäftigungsauftrag der Kirchenleitung) erhalten als Vergütung die angeführten Sätze mit einem Zuschlag von 50,- RM. Ausserdem ist ihnen freie Unterkunft (d.h. Wohnung) zu stellen.

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B. Pfarrfrauen. Frauen von solchen aktiven Pfarrern, die im russisch besetzten Gebiet verblieben oder kriegsgefangen oder vermisst sind, erhalten eine Unterstützung nach A 1), dazu gegebenenfalls den Zuschlag für Kinder. C. Pfarrer im Ruhestand, Pfarrwitwen und -waisen. Ruhestandspfarrer erhalten eine Unterstützung nach den Sätzen unter A), jedoch nicht mehr als ihr Ruhegehalt. Pfarrwitwen und Halbwaisen erhalten eine Unterstützung nach B), jedoch nicht mehr als ihre Hinterbliebenenbezüge. Für Vollwaisen beträgt die Unterstützung 70,- RM monatlich. Die Unterstützung wird nach Prüfung der Verhältnisse jedesmal für den Einzelfall bewilligt und von der Landeskirche, in der sich die Betreffenden aufhalten, gezahlt und zwar vom l.d.M. der polizeilichen Anmeldung, frühestens jedoch vom 1. Juli 1945 an. Ein Rechtsanspruch wird durch solche Bewilligung nicht begründet. 4. Die gleiche Behandlung wie die unter I angeführten Pfarrer und deren Angehörige erfahren entsprechend die Hilfsprediger, Kirchenbeamten, Kirchengemeinde- (Parochial-, Verband-) Beamten, Vereinsgeistliche pp. und ihre Angehörigen bzw. Hinterbliebenen. 5. In besonders gelagerten Fällen kann ein Härteausgleich auf Antrag gewährt werden. III. 1. Für die Verwendung der Ostpfarrer im Kirchendienst werden sich folgende Möglichkeiten bieten: a) Wiederbesetzung eingezogener Pfarrstellen b) Errichtung von Hilfspfarrstellen in allen grossen Parochien. c) Besetzung der von D C freigemachten Pfarrstellen. d) Rückkehr der Pfarrer im Ruhestand und anderer Hilfskräfte, die Kriegsvertretungen übernommen hatten, in den Ruhestand. e) Einheitliche Festsetzung des Pensionsalters - von Ausnahmen abgesehen - auf 65 Jahre. f) Erteilung von Aufträgen zur Betreuung von Flüchtlingslagern. g) Verstärkter Einsatz in der inneren Mission. h) Seelsorge an Kriegsgefangenen in den Kriegsgefangenenlagern, ev. im Austausch gegen kriegsgefangene dort diensttuende Pfarrer. i) Einsatz in der kirchlichen Unterweisung und im Religionsunterricht der Schule.

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2. Die Landeskirchen bereiten die endgültige Übernahme der Ostpfarrer in den Kirchendienst vor. Nach einer zeitlich angemessenen Tätigkeit in einer Landeskirche und evtl. nach einem Kolloquium wird den Gemeinden die Erlaubnis gegeben, bei Neubesetzung der Pfarrstellen einen Ostpfarrer zu wählen, bzw. wird die Kirchenleitung die Neubesetzung einer Pfarrstelle auch mit einem Ostpfarrer vornehmen. 3. Bei der Übernahme in den Kirchendienst werden die Pfarrer, die in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft im Staat und in der Kirche abgesetzt oder nicht anerkannt waren, oder eine sonstige Massregelung erfahren haben, bevorzugt behandelt, auch gegenüber den DC der eigenen Landeskirche. Die selbe bevorzugte Behandlung erfahren die Pfarrer, die jenseits der Linie Oder-Neisse noch amtieren bzw. während der polnischen Besetzung noch amtiert haben und von den Polen ausgewiesen wurden bzw. noch werden. IV. 1. Zur Herbeiführung eines finanziellen Lastenausgleiches übernimmt die Kanzlei der EKD die zentrale Bearbeitung der Versorgung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen. Zu diesem Zweck geben die Landeskirchen der Kanzlei der EKD vierteljährlich ihren tatsächlichen Aufwand für Ostpfarrer und deren Angehörige, getrennt nach Beschäftigten und Nichtbeschäftigten, an. Nach Feststellung des Aufwandes aller Landeskirchen wird die Kanzlei der EKD den finanziellen Lastenausgleich unter Zugrundlegung des Umlageschlüssels vornehmen. Den in der russischen Besatzungszone liegenden Landeskirchen ist es freigestellt, sich diesem finanziellen Lastenausgleich anzuschliessen oder ihren Aufwand für Ostpfarrer und deren Angehörige nach der oben angegebenen Regelung selbst zu tragen. 2. Die Vergütung der Pfarrer, die aus kirchlichen oder sonstigen öffentlichen Mitteln gezahlt wird, fällt nicht unter den Lastenausgleich. Die Landeskirchen geben der Kanzlei der EKD halbjährlich an, wieviel Ostpfarrer bei ihnen in einer Tätigkeit stehen, die aus kirchlichen oder sonstigen öffentlichen Mitteln vergütet wird. 3. Die Kanzlei der EKD errichtet eine Kartei von allen in den westlichen Besatzungszonen befindlichen Ostpfarrern und den Angehörigen von Ostpfarrern. Zu diesem Zwecke geben die Landeskirchen der Kanzlei die in ihrem Bereich untergebrachten Ostpfarrer, getrennt nach Beschäftigten und Nichtbeschäftigten, an. V. Die Ostpfarrer - Beschäftigte wie Nichtbeschäftigte - unterstehen der Dienstaufsicht und der Disziplinarordnung der Landeskirche ihres Aufenthaltes.

5D Vorlagen und Anträge

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VI. Bei allen Erstbeauftragungen und Anstellungen von Ostpfarrern befragen die Landeskirchen die Kanzlei der EKD über die kirchliche Vergangenheit und evtl. besondere Eignung des betreffenden Ostpfarrers. Durch dieses Verfahren können die Landeskirchen über solche Pfarrer, die in den vergangenen Jahren durch ihre Haltung mit zur Zerstörung ihrer Heimatkirche beigetragen haben, und über Pfarrer mit besonderen Gaben und Arbeitsgebieten unterrichtet werden. Wo Dienstaufträge an Ostpfarrer schon erteilt sind, holen die Landeskirchen diese Befragung nach. 5D Vorlagen und Anträge 5D1. Entwurf für eine Geschäftsordnung des Rates der EKD F-.EZA Berlin, 2/62 (H).

Geschäftsordnung des Rates der Evang. Kirche in Deutschland. Vom § 1. Aufgaben des Rates (1) Entscheidungen, die die Leitung der EKD betreffen, trifft der Rat in seinen Sitzungen oder durch schriftliche Verständigung mit den Mitgliedern. (2) Wenn eine derartige Entscheidung nicht aufgeschoben werden kann, trifft sie der Vorsitzer im Benehmen mit dem Leiter der Kanzlei. Von der Entscheidung ist den Mitgliedern des Rates unverzüglich Mitteilung zu machen. § 2. Aufgaben der Kanzlei Die Kanzlei sorgt für die Durchführung der Beschlüsse des Rates, arbeitet Vorlagen für seine Entscheidungen aus und führt im Auftrage des Rates die laufenden Verwaltungsgeschäfte der EKD. § 3. Sitzungen (1) Die Sitzungen des Rates werden vom Vorsitzer anberaumt und geleitet. (2) Die Tagesordnung wird von dem Vorsitzer bestimmt und den Mitgliedern nach Möglichkeit vor der Sitzung durch die Kanzlei zugänglich gemacht. Ein Gegenstand muss in die Tagesordnung aufgenommen werden, wenn der Antrag eines Mitgliedes dem Vorsitzer spätestens 3 Tage vor der Sitzung zugegangen ist oder wenn 3 Mitglieder in der Sitzung den Antrag auf Aufnahme des Gegenstandes in die Tagesordnung unterstützen.

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(3) Der Termin für die nächste ordentliche Sitzung wird in der Regel in der vorangehenden Sitzung festgesetzt. (4) Uber Anträge von Mitgliedern oder des Leiters der Kanzlei auf Anberaumung einer ausserordentlichen Sitzung entscheidet der Vorsitzer. Bei der Einladung der Mitglieder zu ausserordentlichen Sitzungen ist der Anlass für die Sitzung tunlichst anzugeben. § 4. Sitzungsbeteiligte (1) Der Leiter der Kanzlei nimmt an den Sitzungen teil. Er kann sich im Einvernehmen mit dem Vorsitzer des Rates von einem Sachbearbeiter der Kanzlei begleiten lassen, der ihn bei der Ausführung der Beschlüsse zu unterstützen hat. (2) Die übrigen Sachbearbeiter der Kanzlei sollen grundsätzlich zur Beratung der von ihnen ausgearbeiteten Vorlagen im Rat und in den vom Rat gebildeten Ausschüssen zugezogen werden. (3) Der Rat kann Sachverständige zu bestimmten Gegenständen zuziehen. § 5. Verschwiegenheit (1) Die Verhandlungen des Rates sind nicht öffentlich. (2) Die Mitglieder sowie sämtliche zu den Beratungen zugezogenen Personen haben über den Hergang bei der Beratung und - soweit Geheimhaltung beschlossen ist - auch über den Gegenstand und Inhalt der Beschlüsse Stillschweigen zu bewahren. § 6. Protokoll (1) Uber den allgemeinen Gang der Verhandlungen und über den Wortlaut der Beschlüsse ist eine Niederschrift aufzunehmen. Der Leiter der Kanzlei beauftragt im Einvernehmen mit dem Vorsitzer Sachbearbeiter der Kanzlei mit der Niederschrift. (2) Die Niederschrift wird von dem Protokollführer und dem Leiter der Kanzlei unterzeichnet. (3) Ein Auszug aus der Niederschrift mit dem Wortlaut aller gefassten Beschlüsse wird den Mitgliedern mitgeteilt. § 7. Beschlüsse (1) Für die Beschlüsse des Rates ist Einmütigkeit zu erstreben. (2) Wenn die Aussprache die Verschiedenheit der Auffassungen nicht beseitigt hat, wird abgestimmt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzers den Ausschlag.

5D Vorlagen und Anträge

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(3) Beschlüsse des Rates bedürfen einer Zweidrittelmehrheit, wenn sie betreffen a) Verordnungen über die verfassungsmässige Neuordnung der EKD b) eine Abänderung dieser Geschäftsordnung. (4) Beschlüsse des Rates über die Ersatzwahl von Mitgliedern können nur einstimmig gefasst werden. § 8. Vertretung nach aussen Der Vorsitzer vertritt den Rat nach aussen. Seine Erklärungen im Namen des Rates bedürfen im Konzept der Mitzeichnung durch den Leiter der Kanzlei oder, falls dieser verhindert ist, durch ein anderes Mitglied des Rates. § 9. Tätigkeit der Mitglieder Die Mitglieder unterrichten den Rat über alle für seine Arbeit wichtigen Angelegenheiten und halten ihn auf dem Laufenden über ihr öffentliches Auftreten. § 10. Akten der Kanzlei (1) Alle Erklärungen, die im Namen des Rates abgegeben werden oder an den Rat gerichtet sind, sind unverzüglich zu den Akten der Kanzlei zu geben. (2) Die Mitglieder des Rates können jederzeit Einsicht in die Akten der Kanzlei nehmen. 5D2. Entwurf zur Regelung der Wiederaufnahme von Gefangenen in die evangelische Kirche F: ETA Berlin, 2/62 (H).

Der Rat der Evang. Kirche in Deutschland nimmt dankbar zur Kenntnis, dass in den Gefangenenlagern, in denen Lagergeistliche eingesetzt sind, ein reges geistiges Leben anzutreffen ist. Er stellt erfreut fest, dass Gefangene in grösserer Anzahl den Wunsch äussern, in die Evang. Kirche wieder einzutreten. Für die Wiederaufnahme solcher Gefangener in die Evang. Kirche erteilt der Rat der Evang. Kirche in Deutschland folgende Weisungen: 1. In jedem Lager für Kriegsgefangene und politische Gefangene wird im Einvernehmen mit den Organen der Militärregierung eine evangelische Lagergemeinde gebildet. 2. Die Leitung der Lagergemeinde liegt in den Händen des Lagerpfarrers oder, falls kein Geistlicher für die Gefangenen des Lagers vorhanden ist,

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eines damit von der Kirche besonders beauftragten und durch die Militärregierung legitimierten Laien. 3. Dieser wirkt auf die Bildung eines evang. Kirchenrates in seinem Lager hin, der mit dem Lagerpfarrer gemeinsam die Verantwortung für das Gemeindeleben trägt. 4. Aus der Kirche ausgetretene Gefangene, die die Absicht haben, wieder in die Kirche einzutreten, melden dieses schriftlich ihrem Lagerpfarrer. 5. Die Gesuchsteller sollen in der Regel mindestens 3 Monate lang zu kirchlicher Unterweisung, mit dem Ziel einer Prüfung zugelassen werden. Der zuständige Lagerpfarrer ist selbst zur Abnahme dieser Prüfung berechtigt. 6. Auf Grund dieser sorgfältigen persönlichen Kenntnis des Gesuchstellers entscheidet der Lagerpfarrer im Einvernehmen mit dem Evang. Kirchenrat über dessen Wiederaufnahme in die Evang. Kirche. 7. Über die erfolgte Wiederaufnahme in die Kirche ist eine Urkunde auszustellen. 5D3. Entwurf für eine Verordnung über die Kirchenkanzlei F: EZA Berlin, 2/777(H;

Anlage 3 zu 5A3).

§1. Die Kanzlei der EKD sorgt für die Durchführung der Beschlüsse des Rates und arbeitet Vorlagen für seine Entscheidungen aus. Sie führt im Auftrage des Rates die laufenden Verwaltungsgeschäfte der EKD. §2. (1) Die Kanzlei der EKD wird von einem Mitglied des Rates geleitet. (2) Die für die Dauer der Verkehrsschwierigkeiten vorübergehend eingerichtete Zweigstelle der Kanzlei in Berlin wird von dem Mitglied des Rates, Bischof D. Dr. Dibelius geleitet. §3. Die Aufgaben des bisherigen Kirchlichen Aussenamtes übernimmt ein Ratsmitglied, das mit Genehmigung des Rates die erforderlichen Hilfskräfte heranzieht.

5D Vorlagen und Anträge

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§4. (1) Die Amter des juristischen Leiters der Kirchenkanzlei und des Direktors der Kirchenkanzlei fallen fort. Die neue Kanzlei beschäftigt Beamte gemäss dem anliegenden Stellenplan 112 . (2) Beamte der alten Kirchenkanzlei sind nach Möglichkeit zu übernehmen. §5. (1) § 45 [muß heißen: § 43] 'D[eutsches1^>[eamten\G[esetz\ni findet auf die Inhaber der auf Grund dieser Verordnung weggefallenen Stellen sowie die bisher vom Kirchlichen Aussenamt besoldeten Kräfte Anwendung. (2) Mit Genehmigung des Rates kann der Leiter der Kanzlei mit Beamten der alten Kirchenkanzlei, die nicht übernommen werden können, Vereinbarungen über den Zeitpunkt und die finanziellen Bedingungen ihrer Versetzung in den Wartestand oder Ruhestand treffen, die von den gesetzl. Bedingungen abweichen. §6. Beamte und Geistliche, die in einem lebenslänglichen Dienstverhältnis zur D E K standen, können entlassen werden, wenn sie durch kirchenfremde Einflüsse in ihr Amt gekommen sind, oder wenn sie auf Grund solcher Einflüsse der Kirche zuwider gehandelt haben. Zur Kenntnisnahme für die Ratsmitglieder: § 43 des Deutschen Beamtengesetzes lautet: ["] Wird eine Behörde aufgelöst, oder wird sie durch gesetzliche Vorschrift oder durch Verordnung des Führers und Reichskanzlers mit einer anderen verschmolzen oder in ihrem Aufbau wesentlich verändert, so können die auf Lebenszeit oder auf Zeit ernannten Beamten der beteiligten Behörden durch die oberste Dienstbehörde in den Wartestand versetzt werden. Die Versetzung in den Wartestand ist nur innerhalb dreier Monate nach Auflösung der Behörde oder nach Inkrafttreten des Gesetzes oder der Verordnung und nur innerhalb der Zahl der im Haushaltplan aus diesem Anlass abgesetzten Planstellen zulässig. ["] 114

112 5D9(S. 438f.). 113 Vom 26. Januar 1937: RGBl 1 1937, S. 48. 114 EBD.

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5D4. Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Bischöfe, Landeskirchenregierungen und Landesbruderräte. Schwäbisch Gmünd, 7. März 1946 F: NL Smend (HJ. Betrifft: Staatskirchenrecht. Es ist zu befürchten, dass sich das Staatskirchenrecht in den verschiedenen Landeskirchen und Besatzungszonen verschieden entwickelt. Zwar können wir wohl davon ausgehen, dass es übereinstimmende Praxis in allen Besatzungszonen ist, dass die Rechte, die sich der NS-Staat durch die 15. Verordnung zur Durchführung des Kirchensicherungsgesetzes 115 zugelegt hatte, nicht mehr in Anspruch genommen werden. Wir sind aber nicht im einzelnen darüber unterrichtet, wieweit Mitwirkungsrechte des Staates auf Grund von Staatsverträgen und älterem Kirchenrecht noch praktiziert werden. Wir denken dabei insbesondere an die staatliche Mitwirkung bei der Bildung von kirchlichen Körperschaften, beim Erlass von Kirchensteuerbeschlüssen, bei der Ernennung von Leitern und Mitgliedern von Kirchenleitungen und obersten kirchlichen Verwaltungsbehörden, beim Erlass von Gesetzen und Verordnungen und anderes mehr. Damit nicht einzelne Landeskirchen durch ihre Praxis eine künftige Entwicklung vorweg nehmen, bitten wir, diese Fragen vorerst nur im Benehmen mit uns zu entscheiden. Es ist dringend notwendig, dass in diesen Fragen einheitlich und mit grösster Behutsamkeit vorgegangen wird. Ausserdem bitten wir, da die Unterlagen der K[ircben]K[anzlei] z.T. zerstört sind, und [sich] zum anderen Teil noch in Stollberg [Stolberg] und Berlin befinden, um Mitteilung der massgebenden Bestimmungen, die im dortigen Bereich die Mitwirkungsrechte des Staates an kirchlichen Entscheidungen regeln, möglichst unter Ubersendung der betreffenden Gesetzblätter oder Abschriften aus ihnen, und um eine Darlegung in welcher Weise diese Bestimmungen seit der Besetzung Deutschlands angewandt worden sind. Die Angelegenheit soll den Rat der EKD bei seiner nächsten Sitzung am 21./22.III. beschäftigen. Sie soll auch bei der für den 1. V. vorgesehenen Zusammenkunft der Landeskirchenführer (vgl. unser Rundschreiben vom 13.2.46 - 4519 -116) besprochen werden. Wir wären deshalb für eine beschleunigte Antwort dankbar, damit wir einen möglichst vollständigen Uberblick über die z.Zt. bestehenden Verhältnisse geben können. gez. Asmussen D D .

115 GB1DEK 1937, S. 33ff.

5D Vorlagen und Anträge

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5D5. Entwurf Smends für eine Verordnung über das Disziplinarrecht der EKD F: EZA Berlin, 2/56 (H; Anlage 2 zu 5A4). Entwurf von Professor Smend. Verordnung über das Disziplinarrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 31. Januar 1946.

§1 Die Disziplinarverordnung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 13.4.39 - Gbl. d. D E K . S. 27 - gilt als ein wichtiger Fortschritt der Rechtssicherheit und der Rechtseinheit im Recht der kirchlichen Amtsträger bis zur demnächstigen Neuregelung des kirchlichen Disziplinarrechts mit folgenden Änderungen: 1. § 1 Abs. 2, Satz 2 erhält folgende Fassung: Solche Pflichten sind die unmittelbaren Dienstpflichten, die Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit und die Pflicht, sich in und ausser dem Dienst des Vertrauens und der Achtung würdig zu zeigen, die seinem Amt entgegengebracht werden. 2. § 30 Abs. 2 wird gestrichen. 3. § 35 Abs. 1, Ziffer 3 wird gestrichen. 4. § 47 Abs. 1, Ziffer 2 wird gestrichen. 5. § 55 Abs. 2 wird gestrichen. 6. § 57 Satz 2 erhält folgende Fassung: Zutritt haben Beauftragte des Rates der EKiD unter der vorgesetzten Behörde des Beschuldigten. 7. § 63 Abs. 3 Satz 2 wird gestrichen. 8. Im Gesamttext der Disziplinarordnung ist einzusetzen: statt Deutsche Evangelische Kirche (DEK) - Evangelische Kirche in Deutschland (EKiD), statt Deutsche Kirchenkanzlei (DKK) - Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, statt "Leiter der D K K " - "Rat der EKiD". §2 Die Verordnung zur Abänderung, Ergänzung und Durchführung der Disziplinarordnung der D E K vom 15.12.39 - GBl. d. DEK. S. 130 - gilt mit der Massgabe fort, dass der § 5 gestrichen wird.

116 6A1 (S. 454/.).

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§3 Die Verordnung über den Verlust der Rechte des geistlichen Standes vom 14.4.44 - GBl. d. DEK. S. 3 - gilt mit der Massgabe fort, dass § 1 Abs. 1, Ziff. 3 und § 4 Abs. 2 letzter Satz gestrichen werden. §4 Eine im Beamtenrecht oder in anderen Gesetzen und Verordnungen der Deutschen Evangelischen Kirche vorgesehene Mitwirkung des Reichsministers für kirchliche Angelegenheiten fällt fort. §5 Diese Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft. 5D6. Entwurf für eine Verordnung über die Aufhebung und Abänderung von Gesetzen der Deutschen Evangelischen Kirche F: ETA Berlin, 2/56 (H; Anlage zu 5A4).

§1 Das Kirchengesetz vom 3. Oktober 1933 über die obersten Amtsstellen der Deutschen Evangelischen Kirche (GBl. S. 10) und die sämtlichen zwischen dem 25. November 1933 und dem 14. Oktober 1935 im Namen der Deutschen Evangelischen Kirche erlassenen Gesetze und Verordnungen (vgl. Anlage117) sind rechtsunwirksam. §2 Wo in Gesetzen und Verordnungen der Deutschen Evangelischen Kirche eine Mitwirkung des Reichsministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten bei Entscheidungen kirchlicher Stellen vorgesehen ist, fällt diese weg. §3 Wo in Gesetzen und Verordnungen der Deutschen Evangelischen Kirche eine Zuständigkeit des Leiters der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei oder des Geistlichen Vertrauensrats der Deutschen Evangelischen Kirche vorgesehen ist, wird diese bis auf weiteres von dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgeübt. §4 Bis zu einer Neuordnung des kirchlichen Beamtenrechts gilt die Kirchenbeamtenordnung der DEK vom 13. April [1939] - GBl. d. DEK. S. 43 - mit folgenden Abänderungen weiter: 117 Nicht ermittelt.

5D Vorlagen und Anträge

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1. Von der sinngemässen Anwendung gemäss § 2 der Kirchenbeamtenordnung sind diejenigen Vorschriften des Deutschen Beamtengesetzes ausgeschlossen, die das Vorhandensein einer NS-Staatsführung voraussetzen; insbesondere werden nicht angewandt die §§ 25, 59, 71, 72 des DBG. 2. § 3 der Kirchenbeamtenordnung erhält folgende Fassung: Der Diensteid der evangelischen Kirchenbeamten lautet: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass ich die mir obliegenden Pflichten treu und gewissenhaft erfüllen und mich in und ausser dem Amte so verhalten werde, wie es einem Beamten der evangelischen Kirche gebührt, so wahr mir Gott helfe! In § 4 Abs. 1 ist statt "Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei" einzusetzen "Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland". 3. § 7 Ziffer a wird gestrichen. 4. § 15 erhält folgende Fassung: Die oberste Dienstbehörde kann anordnen, dass das Beamtenverhältnis fortdauert, wenn der Kirchenbeamte die deutsche Staatsangehörigkeit verliert. 5. § 25 wird gestrichen. §5 Die Disziplinarordnung der DEK vom 13.4.39 GBl. d. DEK. S. 27 gilt bis zu einer Neuordnung des kirchlichen Disziplinarrechts mit folgenden Abänderungen weiter: 1. § 1 Abs. 2, Satz 2 erhält die folgende Fassung: Solche Pflichten sind die unmittelbaren Dienstpflichten, die Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit und die Pflicht, sich in und ausser dem Dienst des Vertrauens und der Achtung würdig zu zeigen, die seinem Amt entgegengebracht werden. 2. § 30, Abs. 2 wird gestrichen. 3. § 35, Abs. 1 Ziffer 3 wird gestrichen. 4. § 47, Abs. 1, Ziffer 2 wird gestrichen. 5. § 55, Abs. 2 wird gestrichen. 6. § 57, Satz 2 erhält die folgende Fassung: Zutritt haben Beauftragte des Rates der EKD und der vorgesetzten Behörde des Beschuldigten. 7. § 63, Abs. 3, Satz 2 wird gestrichen.

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§6 Die Verordnung zur Abänderung, Ergänzung und Durchführung der Disziplinarordnung der DEK vom 15.12.39 - GBl. d. DEK S. 130 - gilt mit der Massgabe fort, dass § 5 gestrichen wird. §7 Die Verordnung über den Verlust der Rechte des geistlichen Standes vom 14.4.44 - GBl. d. DEK S. 3 - gilt mit der Massgabe fort, dass § 1, Abs. 1, Ziffer 3 u. § 4, Abs. 2 letzter Satz gestrichen werden. §8

Die Verordnung über das Beflaggen kirchlicher Gebäude vom 9.11.38 - GBl. d. DEK S. 87 - wird aufgehoben. §9 Diese Verordnung tritt mit der Verkündigung in Kraft. §10 Den Landeskirchen bleibt es überlassen, anstelle der §§ 4-7 abweichende Ubergangsregelungen zu treffen. Bereits ergangene landeskirchliche Regelungen bleiben unberührt. 5D7. Entwurf der Kirchenkanzlei über einen Beschluß des Rates zur Frage der Ostpfarrer F:EZA Berlin, 2/56 (H).

In Weiterführung und Ergänzung des Beschlusses von Treysa vom 30. Aug. 1945 betr. Flüchtlingspfarrer118 wird über die Verwendung und Versorgung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen folgendes beschlossen: I. Die Kanzlei der EKD übernimmt die zentrale Bearbeitung der Versorgung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen und berät die Landeskirchen bei der Verwendung der Ostpfarrer. Durch diese zentrale Bearbeitung und Beratung wird ein Ausgleich der durch die Versorgung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen entstehenden personellen und finanziellen Belastungen der einzelnen Landeskirchen gewährleistet, und eine gleichmässige Behandlung und Unterbringung der Ostpfarrer und der Angehörigen von Ostpfarrern herbeigeführt.

118 Vgl. F. SÖHLMANN, Treysa, S. 93-96.

5D Vorlagen und Anträge

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1. Zur Herbeiführung eines personellen Ausgleichs geben die Landeskirchen der Kanzlei der EKD die in ihrem Bereich untergebrachten Ostpfarrer getrennt nach Beschäftigten und Nicht-Beschäftigten - soweit das noch nicht geschehen ist - an. 2. Zur Herbeiführung eines finanziellen Ausgleiches geben die Landeskirchen der Kanzlei der EKD vierteljährlich ihren tatsächlichen Aufwand für Ostpfarrer und deren Angehörige, getrennt nach Beschäftigten und NichtBeschäftigten, an. Nach Feststellung des Aufwandes aller Landeskirchen wird die Kanzlei der EKD den finanziellen Lastenausgleich unter Zugrundelegung des Umlageschlüssels vornehmen. Den in der russischen Besatzungszone liegenden Landeskirchen ist es freigestellt, sich diesem finanziellen Lastenausgleich anzuschliessen oder ihren Aufwand für Ostpfarrer und deren Angehörige nach der unten angegebenen Regelung selbst zu tragen. 3. Die Kanzlei der EKD errichtet eine Kartei von allen in den westlichen Besatzungszonen befindlichen Ostpfarrern und den Angehörigen von Ostpfarrern. II. 1. Unter die Bezeichnung Ostpfarrer fallen: a) Alle Pfarrer - einschliesslich der von der Bekennenden Kirche installierten - in den jetzt von den Polen besetzten Gebieten der Evang. Kirche der Altpreussischen Union, einschliesslich der kirchenrechtlich zur Evang. Kirche der Altpreussischen Union gehörigen Kirchen im polnischen Staatsgebiete mit den Grenzen vom 1. Sept. 1939; ausserdem alle Pfarrer der Deutschen Evang. Kirche im Sudetenland in Böhmen und in Mähren. b) Alle Pfarrer - einschliesslich der von der Bekennenden Kirche installierten - der in der russischen Besatzungszone liegenden Landeskirchen. 2. Bei der Verwendung und Versorgung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen ist zwischen den unter 1 a) und 1 b) Aufgeführten zu unterscheiden, da eine Rückkehr der Pfarrer, die jenseits der Oder-Neisse-Linie zuständig sind, im Unterschied zu diesem so gut wie unmöglich ist. Die unter 1 a) Aufgeführten sind daher bei der Verwendung und Versorgung zu bevorzugen, sofern nicht die unter 1 b) Aufgeführten die Unmöglichkeit ihrer Rückkehr nachweisen. Für eine Sonderstellung der unter 1 a) Aufgeführten kommen folgende Gruppen in Frage: a) Flüchtlingspfarrer mit ihren Angehörigen aus den Gebieten jenseits der Oder-Neisse-Linie. Flüchtlingspfarrer dieser Art sollen möglichst in feste

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Pfarrstellen eingewiesen werden. Bis dahin erhalten sie eine monatliche Unterstützung in Höhe der ihnen sonst zustehenden Pension. b) Angehörige von Pfarrern, die jenseits der Oder-Neisse-Linie Dienst tun. Die Angehörigen dieser Pfarrer erhalten das volle, ihrem Ernährer zustehende Gehalt. c) Hinterbliebene der Pfarrer, die während der russischen oder polnischen Besetzung jenseits der Oder-Neisse-Linie ums Leben gekommen sind. Diese Hinterbliebenen erhalten das ihnen zustehende Witwen- und Waisengeld. Ihnen werden die Hinterbliebenen der Pfarrer gleichgestellt, die während der russischen Besetzung westlich der genannten Linie ums Leben gekommen sind. Die unter 1 b) Aufgeführten erhalten folgende Unterstützungen gezahlt: A. Aktive Pfarrer (d.h. Pfarrer, die zuletzt ein Pfarramt im polnisch oder russisch besetzten Gebiet inne hatten, einschliesslich der von der Bekennenden Kirche eingewiesenen Pfarrer. 1. Ledige (Verwitwete): 150,-- RM monatlich 2. Verheiratete: 200,- RM monatlich Dazu ein Zuschlag von 20,- RM für jedes Kind unter denselben Bedingungen, wie sie bisher für die Gewährung von Kinderzuschlag massgebend waren. Verheiratete Pfarrer, deren Ehefrau und Kinder im Ostgebiet verblieben sind, erhalten den Satz für Ledige (Verwitwete). 3. Diensttuende (mit Beschäftigungsauftrag der Kirchenleitung) erhalten als Vergütung die angeführten Sätze mit einem Zuschlag von 50,- RM. Ausserdem ist ihnen freie Unterkunft (d.h. Wohnung) zu stellen. B. Pfarrfrauen. Frauen von solchen aktiven Pfarrern, die im russisch besetzten Gebiet verblieben oder kriegsgefangen oder vermisst sind, erhalten eine Unterstützung nach A 1), dazu gegebenenfalls den Zuschlag für Kinder. C. Pfarrer im Ruhestand, Pfarrwitwen und -waisen. Ruhestandspfarrer erhalten eine Unterstützung nach den Sätzen unter A), jedoch nicht mehr als ihr Ruhegehalt. Pfarrwitwen und Halbwaisen erhalten eine Unterstützung nach B), jedoch nicht mehr als ihre Hinterbliebenenbezüge. Für Vollwaisen beträgt die Unterstützung 70,- RM monatlich. Die Unterstützung wird nach Prüfung der Verhältnisse jedesmal für den Einzelfall bewilligt und von der Landeskirche, in der sich die Betreffenden aufhalten, gezahlt und zwar vom 1. d.M. der polizeilichen Anmeldung, frühe-

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stens jedoch vom 1. Juli 1945 an. Ein Rechtsanspruch wird durch solche Bewilligung nicht begründet. 3. Die gleiche Behandlung wie die unter 1 a) und 1 b) angeführten Pfarrer und deren Angehörige erfahren entsprechend die Hilfsprediger, Kirchenbeamten, Kirchengemeinde- (Parochial-, Verbands-) Beamten, Vereinsgeistliche pp. und ihre Angehörigen bzw. Hinterbliebenen.

in. 1. Für die Verwendung der Ostfarrer im Kirchendienst werden sich folgende Möglichkeiten bieten: a) Wiederbesetzung eingezogener Pfarrstellen b) Errichtung von Hilfspfarrstellen in allen grossen Parochien. c) Besetzung der von D C freigemachten Pfarrstellen. d) Rückkehr der Pfarrer im Ruhestand und anderer Hilfskräfte, die Kriegsvertretungen übernommen hatten, in den Ruhestand. e) Einheitliche Festsetzung des Pensionsalters - von Ausnahmen abgesehen auf 65 Jahre. f) Erteilung von Aufträgen zur Betreuung von Flüchtlingslagern. g) Verstärkter Einsatz in der Inneren Mission. h) Seelsorge an Kriegsgefangenen in den Kriegsgefangenenlagern, ev. im Austausch gegen kriegsgefangene, dort diensttuende Pfarrer. i) Einsatz in der kirchlichen Unterweisung und im Religionsunterricht der Schule. 2. Die Landeskirchen bereiten die endgültige Uebernahme der Ostpfarrer in ihren Kirchendienst vor. Nach einer zeitlich angemessenen Tätigkeit in einer Landeskirche und ev. nach einem Lehrgespräch wird den Gemeinden die Erlaubnis gegeben, bei Neubesetzung der Pfarrstellen einen Ostpfarrer zu wählen, bzw. wird die Kirchenleitung die Neubesetzung einer Pfarrstelle auch mit einem Ostpfarrer vornehmen. 3. Bei der Uebernahme in den Kirchendienst werden die Pfarrer, die in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft im Staat und in der Kirche abgesetzt oder nicht anerkannt waren, oder eine sonstige Massregelung erfahren haben, bevorzugt behandelt, auch gegenüber den D C der eigenen Landeskirche. Dieselbe bevorzugte Behandlung erfahren die Pfarrer, die jenseits der Linie Oder-Neisse noch amtieren, bzw. während der polnischen Besatzung noch amtiert haben und von den Polen ausgewiesen wurden bzw. noch werden.

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IV. Bei allen Erstbeauftragungen und Anstellungen von Ostpfarrern befragen die Landeskirchen die Kanzlei der E K D über die kirchliche Vergangenheit und eventuelle besondere Eignung des betreffenden Ostpfarrers. Durch dieses Verfahren können die Landeskirchen über solche Pfarrer, die in den vergangenen Jahren durch ihre Haltung mit zur Zerstörung ihrer Heimatkirche beigetragen haben, und über Pfarrer mit besonderen Gaben und Arbeitsgebieten unterrichtet werden. Wo Dienstaufträge an Ostpfarrer schon erteilt sind, holen die Landeskirchen diese Befragung nach. 5D8. Entwurf der Kirchenkanzlei für eine Verordnung über die Aufhebung von Disziplinarmaßnahmen aus der Zeit nach dem 30. Januar 1933 F: ETA Berlin, 2/56(H; Anlage 5 zu 5A4). In der Zeit zwischen dem 30.1.33 und dem Zusammenbruch des N.S. Staates haben kirchliche Disziplinarinstanzen eine Reihe von Disziplinarurteilen erlassen, die auf einer kirchenfremden Gesetzgebung und auf kirchenfremden Rechtsauffassungen beruhten. Diese Urteile trafen Männer, die im Kampf um eine ihrem Wesen entsprechende Kirche mit den damals im Staat und in einem Teil der evangelischen Kirche herrschenden politischen Kräften in Konflikt geraten waren. Es ist notwendig und möglich, diese Urteile schon vor einer Neuordnung des kirchlichen Disziplinarrechtes von den Urteilen über Tatbestände krimineller Art zu sondern und sie zu revidieren. Sie sollen ohne Rücksicht auf eine etwaige formale Gültigkeit der gesetzlichen Grundlage insoweit aufgehoben werden, als sie ev. Christen in ihrem Kampf um eine echte Kirche auf Grund von kirchenfremden Gesetzen oder Rechtsauffassungen bestrafen. § 1 Vorlage bei dem Nachprüfungsgericht (1) Die Landeskirchenleitungen veranlassen von Amts wegen, dass sämtliche kirchliche Disziplinarurteile und Disziplinarverfügungen, die zwischen dem 30. Jan. 1933 und dem 1.5.45 ergangen sind und bei denen der Verurteilung kirchenfremde Motive zugrunde lagen, einem Nachprüfungsgericht vorgelegt werden. (2) Dem Nachprüfungsgericht sind auch alle Fälle eines Ausscheidens aus dem Amt auf Grund von § 5 der Verordnung zur Abänderung, Ergänzung und Durchführung der Disziplinarordnung der D E K vom 15.12.39 (Gesetzblatt der D E K S. 130) vorzulegen. Den Betroffenen ist von der Vorlage Kenntnis zu geben.

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(3) Widerspricht der Verurteilte der Vorlage, innerhalb eines Monats nach Kenntnisnahme, so hat sie zu unterbleiben. (4) Wenn die Landeskirchenleitungen einen Fall dem Nachprüfungsgericht nicht vorlegt [sie/], kann der Verurteilte die Nachprüfung verlangen. § 2 Zuständigkeit und Zusammensetzung der Nachprüfungsgerichte. (1) Nachprüfungsgerichte werden bei den obersten landeskirchlichen Behörden und bei dem Rat der EKD gebildet. (2) Das Nachprüfungsgericht bei der landeskirchlichen Verwaltungsbehörde ist zuständig für die Nachprüfung von Verfahren, die in erster Instanz von dem Disziplinargericht der Landeskirche entschieden worden sind und für Disziplinarverfügungen, die von einer Stelle der Landeskirche ergangen sind. (3) Das Nachprüfungsgericht der DEK ist zuständig für Beschwerden gegen die Entscheidungen der landeskirchlichen Nachprüfungsgerichte. (4) Die Nachprüfungsgerichte bestehen aus einem Geistlichen, einem nicht in der kirchlichen Verwaltung beschäftigten Laien und einem kirchlichen Verwaltungsbeamten, der die Berechtigung zum Richteramt hat; dieser führt den Vorsitz. Für jedes Mitglied wird ein Stellvertreter ernannt. (5) Als Richter in einem Nachprüfungsverfahren ist ausgeschlossen, wer bei dem nachzuprüfenden Disziplinarverfahren mitgewirkt hat. An Stelle eines ausgeschlossenen Richters tritt sein Stellvertreter. Ist auch dieser ausgeschlossen, wird ein weiterer Stellvertreter von der Kirchenleitung bestellt. § 3 Antragsfrist Anträge auf Nachprüfung gemäss § 1 Abs. 1 und 4 müssen spätestens am 1.10.46 bei dem Nachprüfungsgericht eingegangen sein. § 4 Entscheidungen des Nachprüfungsgerichtes. (1) Das Nachprüfungsgericht hebt Disziplinarurteile und Disziplinarverfügungen auf, wenn die bestrafte Handlung nur auf Grund kirchenfremder Gesetze oder kirchenfremder Rechtsauffassung als Dienstvergehen angesehen werden kann. Das Nachprüfungsgericht setzt die Strafe herab, wenn bei der Beurteilung der strafbaren Handlung kirchenfremde Masstäbe wesentlich mitgewirkt haben. Es bestätigt die angefochtene Disziplinarmassnahme, wenn sie auch ohne kirchenfremde Masstäbe begründet erscheint. (2) In den Fällen des § 5 der Disziplinarergänzungverordnung vom 15.12.39 muss das Nachprüfungsgericht entscheiden, dass die Entfernung des ausgeschiedenen Geistlichen oder Kirchenbeamten aus seinem Amt kirchlich

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ungerechtfertigt war, dass das Ausscheiden aus dem Amt bestätigt wird oder dass ein kirchliches Disziplinarverfahren einzuleiten ist. (3) Das Nachprüfungsgericht weist den Antrag als unzulässig zurück, wenn die Voraussetzungen der § 1 und § 5 nicht gegeben sind. § 5 Wiederbeschäftigung. (1) Wird ein Disziplinarurteil auf Dienstentlassung gemäss § 4 Abs. 1 aufgehoben oder wird gemäss § 4 Absatz 2 entschieden, dass die Entfernung aus dem Amt kirchlich ungerechtfertigt war, so weist die zuständige landeskirchliche Dienststelle den Geistlichen oder Kirchenbeamten auf seinen Antrag tunlichst innerhalb eines halben Jahres in ein gleichwertiges Amt ein und veranlasst die rückwirkende Zahlung des Gehaltes. Schlägt der Geistliche oder Kirchenbeamte zwei ihm angebotene angemessene Dienststellen aus, so kann er in den Wartestand versetzt werden. (2) Wird gemäss § 4 Abs. 2 die Einleitung eines kirchlichen Disziplinarverfahrens verfügt, so gilt der Geistliche oder Kirchenbeamte als seit der Rechtskraft des Gerichtsurteils suspendiert. Über die Fortdauer der Suspension und über die Höhe der für die Dauer der Suspension einzubehaltenden Dienstbezüge entscheidet die zuständige Einleitungsbehörde. Sie kann die Einbehaltung bis zur vollen Höhe des Gehaltes anordnen. Der von der Einbehaltung nicht betroffene Teil der Bezüge ist für die Vergangenheit nachzuzahlen. § 6 Beschwerde. Gegen die Entscheidung des Nachprüfungsgerichtes der Landeskirche kann binnen eines Monates nach Zustellung, Beschwerde bei dem Nachprüfungsgericht der EKD eingereicht werden. 5D9. Entwurf eines Stellenplans für 1946 F: EZA Berlin, 2/769 (.Hmit hsl. Vermerk: "Entwurf für die Ratssitzung v. 21.m.46").

Stellenplan zu Ausgabekapitel H Titel 1 des Haushaltes der EKD für 1946 1 Stelle B 7 a Leiter der Kanzlei 5 Stellen A 2 b Referenten, und zwar 3 Theologen (Dr. Siegel, Mochalski, Dr. Jensen) und 2 Juristen (Dr. Merzyn und Dr. Schwarzhaupt.)

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2 Stellen A 2 b Referenten, und zwar (Dr. Gerstenmaier und Dr. Schönfeldt [Schönfeld], die beide bis auf weiteres für andere Arbeiten ohne Gehalt beurlaubt sind.) 4 Stellen A 2 c 2 Hilfsreferenten, und zwar 2 Theologen und 2 Juristen (in Aussicht genommen Dr. Schweitzer für Kriegsgefangenen-Pastoration und ökumenische Arbeiten, sowie Assessoren Elss und v. Harling für Finanz- u. Archivarbeiten und eine theol. Stelle z. Zt. unbesetzt) 3 Stellen A 2 d Büro und Kassenbeamte. 5D10. Schreiben Gerstenmaiers an Wurm. o.O., 7. März 1946 F: EZA Berlin, 2/Pers. Schönfeld (D mit Paraphe Gerstenmaiers).

Wie ich soeben höre, hat der vorläufige Ausschuss des Oekumenischen Rates in Anwesenheit der Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland die Entlassung des Direktors der Forschungs-Abteilung des Oekumenischen Rates, Dr. Hanns [Hans] Schönfeld, zum Ende dieses Jahres beschlossen. Ich sehe davon ab, in eine Erörterung dieser Massnahme einzutreten, die nicht nur eine unbegreifliche Missachtung der über alles Lob erhabenen oekumenischen Tätigkeit dieses deutschen Vertreters im General-Sekretariat des Oekumenischen Rates, sondern auch eine Verletzung eines wohl erworbenen Anspruches der Evangelischen Kirche in Deutschland darstellt. Von der Voraussetzung ausgehend, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland diese Massnahme seinerseits nicht billigt und den anerkannten Verteidiger der oekumenischen Beziehungen der Deutschen Evangelischen Kirche in den schwersten Jahren ihres Kampfes nicht fallen zu lassen gewillt ist, beantrage ich, Herrn Dr. Hanns [Hans] Schönfeld per 1.4.46 zum Oberkonsistorialrat im Aussenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland zu ernennen und ihm eine der jetzt freien Planstellen zu übertragen. Gleichzeitig mache ich den Vorschlag, Herrn Dr. Hanns [Hans] Schönfeld für die nächsten Jahre in das Zentralbüro des Hilfswerks abzustellen unter Übernahme seines Gehaltes auf das Hilfswerk. Von hier aus müsste allerdings zur Bedingung gemacht werden, dass Herr Dr. Schönfeld angewiesen wird, sich ausschliesslich im Rahmen des Arbeitsgrundrisses des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland zu betätigen und auf eine Tätigkeit in dem seither von ihm hauptamtlich verwalteten Bereich der Oekumenischen Studienarbeit und auch der kirchenpolitischen Fragen der Oekumenischen Bewegung zu verzichten.

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5D11. Entwurf Nieseis für ein Wort des Rates an die Gemeinden F: ETA Berlin, 2/35 (O mit hsL Korrekturen Nieseis). • Abdruck: M. Grescbat, Schuld, S. 276f.

Wort des Rates an die Gemeinden zu Karfreitag und Ostern Karfreitag und Ostern feiern wir wieder, zum erstenmal nach dem Zusammenbruch des dritten Reichs. Wir blicken empor zum Gekreuzigten. Ob wir es diesmal wohl besser wissen als in den hinter uns liegenden Jahren: "Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen119"? Wir haben es im Herbst vor den Vertretern anderer Kirchen bekennen müssen: "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden" 120 . Ob wir das wohl einsehen und ein jeder von uns mit aufrichtigem Herzen in den Gesang einstimmt: "Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, das dich schläget"121? Wenn wir an all das Furchtbare denken, das über uns gekommen ist, sind wir geneigt zu sagen: die anderen!, und sind schnell dabei, uns selber zu entschuldigen. Aber nun steht der Mann der Schmerzen vor uns. Willst du vor ihm auch sagen, dass du keine Sünde begangen und keine Schuld auf dich geladen habest? In dem Herrn Jesus Christus Geliebte! Wir sind - wenn wir an die vergangenen Jahre denken - alle abgewichen; wir sind unserem Herrn viel schuldig geblieben; wir haben alle mitgemacht! Wir haben uns von irdischen Herren regieren lassen und nicht oder nur sehr lässig nach den Geboten des Herrn aller Herren gefragt. So ist es zu ungeheuerlichen Missetaten in unserem Volke gekommen. Wir Deutsche haben allein gegen sechs Millionen Juden und Judenchristen umgebracht, Männer und Frauen, Greise und Kinder; von allem anderen zu schweigen, was wir anderen Völkern genommen haben an Menschenleben und anderen Gütern. Du sagst, du habest122 diese Verbrechen nicht begangen. Aber unsere Schuld ist darum nicht geringer, sondern eher grösser als die der anderen. Hätte es denn zu solcher Fäulnis im Leben unseres Volkes kommen können, wenn wir wirklich das Salz gewesen wären, wie wir es nach dem Willen des Herrn sein sollen? Anstatt Gottes heilsame Gebote klar zu bezeugen und dafür einzutreten, haben wir geschwiegen, ja, wir haben mit den anderen Heil gerufen und geflaggt. Wir haben unsere Kinder in falsche Hände gegeben und haben manches gerade sein lassen, was doch krumm war. Nicht einmal durch regelmässigen Gang 119 Jes 53, X 120 Vgl. 2C2 (S. 60f.). 121 EG Nr. 84, Strophe 3. 122 Korrigiert aus: "Wir Christenmenschen haben".

5D Vorlagen und Anträge

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zum Gottesdienst haben wir den anderen bekundet: "Gefällt es euch aber nicht, dass ihr dem Herrn dienet - ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen"123. Aber gerade wir dürfen heute hören, dass der Herr Christus "unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben"124. Hört ihr's, ihr s e i d entlastet durch den Herrn Christus, wenn ihr euch von ihm nur helfen lassen wollt. "Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiss werden"125. Ach, dass doch ein jeder seine besonderen Verfehlungen und Versäumnisse einsehen und sich von dem Gekreuzigten von aller Schuld freimachen lassen wollte! Andernfalls gibt es keine Befreiung und keinen Neuanfang für unser Volk126. Gottes Strafgerichte sind über uns ergangen. Wenn wir uns dadurch zum Herrn treiben lassen, steht es nicht schlimm um uns. Hoffnungslos wäre es erst um unser Volk bestellt, wenn es sich verstocken würde. Dann ist es aus mit uns; wenn wir fortfahren, uns zu entschuldigen oder uns127 selbst zu rechtfertigen durch den Hinweis darauf, dass die anderen es ja auch schlimm treiben. Dann gehen wir am Kreuze von Golgatha vorbei und tun so, als ob wir die Hilfe des Gekreuzigten nicht brauchten. Wenn wir aber unsere Schuld zu ihm hintragen, dann macht er uns frei. Dann brauchen uns die grauenvollen Bilder von den Konzentrationslagern und anderen Greueln nicht mehr zu schrecken. Wir brauchen uns nicht mehr zu zergrübeln. Wir brauchen unsere Köpfe nicht mehr hängen zu lassen. Wer mit dem Zöllner betet: "Gott, sei mir Sünder gnädig"128, der kann gerechtfertigt seine Strasse ziehen. Unsere Zukunft wird dann mit einem Male hell; denn Gott ist für uns, der das Opfer seines Sohnes für uns anerkannt und ihn am Ostertage der Todeskette entrissen hat, die uns fesselt. Wir, wir deutschen Menschen dürfen dann jubeln: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?129 Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns"130. Begreift ihr's, was uns da geschenkt werden soll? Dann wollen wir aber auch das Alte fahren lassen, unsere verkehrten Ideale und Träume von menschli-

123 Jos 24,15. 124 1 Petr 2, 24. 125 Jes 1, 18. 126 Dieser Satz wurde von Niesei hsl. eingefügt. 127 "Oder uns" korrigiert aus "und". 128 Lk 18,13. 129 Rom 8, 31. 130 Rom 8, 34.

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eher und völkischer Herrlichkeit, die uns so viel Unglück gebracht haben. Wir sind der Sünde abgestorben und wollen unter der gnädigen Herrschaft des Siegers von Ostern der Gerechtigkeit leben! Erzieht eure Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn! Lasst den Herrn Christus in euren Häusern herrschen! Sorgt an eurem Teile dafür, dass im politischen Leben unseres Volkes die gnädigen Gebote des Lebensfürsten zur Geltung kommen und in Stadt und Land Männer die Verantwortung tragen, die ihn lieben 131 ! Im Herzen ein Christ sein und im praktischen Leben nach unchristlichen Regeln handeln, das geht nicht an. Christus hat uns teuer erkauft, er will uns ganz für sich haben. So lasst uns aus der Kraft des Ostersieges für ihn leben und viele Müde, Ratlose und Hoffnungslose auf diesen Weg mitnehmen. Ein Leben unter dem Herrn Christus hat Zukunft. "Wohl dem Volk, des Gott der Herr ist" 132 .

5D12. Schreiben des Alliierten Kontrollrates an Wurm. Berlin, 15. Februar 1946 F: LKA Stuttgart, Dl/212 (Abschrift mit masch. Vermerk: "Vertraulich"). Die Alliierte Kontrollbehörde bestätigt den Bericht des Rates der Evangelischen Kirche von Deutschland vom 3. November 1945133. Sie stellt mit Befriedigung fest, dass die Arbeit zum Wiederaufbau der Kirche auf einer gesunden Basis begonnen wurde, und sie anerkennt die zahlreichen noch zu überwindenden Schwierigkeiten. Gleichzeitig hebt sie hervor, dass es unangebracht wäre, gegenwärtig Berichte vorzulegen, welche die Besatzungspolitik betreffen, sowie alle anderen Handlungen, welche die Spuren des Hitlerregimes [ein Wort unleserlich]. Solange die Kirche sich mit Fragen geistlicher Art befasst, wird sie die Unterstützung der Besatzungsmächte erhalten. Die Anhänge des Berichtes, die besonders die juristische Seite hinsichtlich der Aufhebung der Kirchenverfassung von 1933134 behandeln, werden in Erwägung gezogen. Der Generalkonsul von Frankreich, Vorstand des Allierten Sekretariats

131 132 133 134

"[...] und in Stadt [...] ihn lieben" hsl. ergänzt. Ps 33, 12. 2C6(S. 65-70). GB1DEK 1933, S. 2-6.

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5D13. Schreiben des Ausschusses für religiöse Angelegenheiten in der alliierten Kontrollbehörde an Wurm. Berlin, 27. Februar 1946 F: LKA Stuttgart, Dl/212

(Abschrift).

Sehr geehrter Herr Bischof! Auf die im Schreiben des Alliierten Sekretariats der Kontrollbehörden vom 16. Februar 135 angekündigten Verfügungen, ist die rechtliche Seite der Aufhebung der Kirchenverfassung vom 11. Juli 1933136 in Erwägung gezogen worden. Die evangelische Kirche von Deutschland, wie sie erneuert aus den Besprechungen von Treysa (31. August 1945) hervorging, die in ihrem Wesen eine Einrichtung des öffentlichen deutschen Rechts bleibt, kann nur durch ein Gesetz anerkannt werden. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns einen vollständigen Text Ihrer Kirchenverfassung zuschicken würden. Dieser Text würde nach Prüfung den alliierten Regierungen vorgelegt werden, die die gesetzgebende Macht in Händen haben, um ein Gesetz erscheinen zu lassen, welches das Gesetz vom 14. Juli 1933 ausdrücklich abschaffen und die neue Verfassung bekannt machen würde. Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Ed. Carteron*, Minister von Frankreich Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für religiöse Angelegenheiten. 5D14. Entwurf für eine Notordnung der EKD F: NL Smend (D).

Notordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 21. März 1946. Abschnitt 1. $1Die Deutsche Evangelische Kirche besteht als Evangelische Kirche in Deutschland fort.

135 Vermutlich das Schreiben des Alliierten Kontrollrates an Wurm vom 1 5 . Februar 1946 (5D12, S. 442). 136 GB1DEK 1933, S. 2-6.

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§2. Die EKD wird bis auf weiteres durch den von der Kirchenversammlung in Treysa am 31. August 1945 eingesetzten Rat der EKD geleitet und verwaltet. Der Rat vereinigt insoweit die Rechte und Pflichten der früheren verfassungsmässigen Organe der DEK in seiner Hand. §3. Besondere Aufgaben des Rates sind: a) die Vertretung der EKD in ihren gemeinsamen Anliegen. Dabei bleibt die Selbständigkeit der Landeskirchen ünberührt. b) die Mitarbeit der EKD in der Oekumene. c) Die Wahrnehmung der Belange der EKD nach aussen. d) Die Durchführung kirchlicher Hilfswerke. e) Die Beratung und Unterstützung von Landeskirchen bei der Wiederherstellung bekenntnismässiger Ordnungen. f) Die Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der EKD. §4. Der Rat übt die fördernde Obhut über diejenigen Arbeitsverbände und Werke aus, die als Einrichtungen der EKD anerkannt sind. Hierzu gehören vor allem die Innere und Äussere Mission, die kirchliche Männer-, Frauenund Jugendarbeit, die Verbände zur Pflege der Diaspora, der Kirchenmusik und des gottesdienstlichen Lebens, der religiösen Kunst, der theologischen Wissenschaft, sowie der Evangelische Bund zur Wahrung der protestantischen Interessen. §5. Der Rat ist berechtigt, bei Ausscheiden eines Mitgliedes unter Wahrung seiner bekenntnismässigen Zusammensetzung eine Neuwahl zu treffen. Sie bedarf der Zustimmung aller anwesenden Ratsmitglieder. Abschnitt 2. §6. Die Landeskirchen bleiben im Bekenntnis und Kultus selbständig. §7. Die EKD kann den Landeskirchen für ihre Verfassung, soweit diese nicht durch deren Sonderbekenntnis gebunden ist, durch Verordnung einheitliche Richtlinien geben. Sie hat die Rechtseinheit unter den Landeskirchen auf dem Gebiete der Verwaltung und Rechtspflege zu fördern und zu gewährleisten.

5D Vorlagen und Anträge

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§8. Eine Berufung führender Amtsträger der Landeskirchen erfolgt nach Fühlungnahme mit dem Rat der EKD. §9. Die EKD bringt ihren Finanzbedarf durch Umlagen der Landeskirchen auf. §10.

Bekenntnisverwandte Kirchengemeinschaften, die der EKD bisher nicht angehören, können aufgenommen werden. Abschnitt 3. $11. Die Verfassung der EKD [iic/J vom 14. Juli 1933137 ist aufgehoben. §12.

Die Verordnungen des Rates werden im Verordnungs- und Nachrichtenblatt der EKD verkündet. Sie treten am vierzehnten Tage nach der Ausgabe des Blattes in Kraft, soweit nicht ein anderes bestimmt wird. 5D15. Entschließung des Bruderrates der EKD zur Reinigung der Kirche vom Nationalsozialismus. Darmstadt, 20. März 1946 F: NL Smend(D).- Abdruck VONBlNr. 13, April 1946.

1) Der Nationalsozialismus war nicht nur eine politische Lehre und ein staatliches Prinzip. Er wurde mit seinem Totalitätsanspruch zur R e l i g i o n und als Religion zum Antichristentum. Er wollte die Kirche vernichten und den christlichen Glauben ausrotten. Er setzte an die Stelle des lebendigen Gottes irdische Mächte und Gestalten und verführte unser Volk zur Auflehnung gegen Gottes Gebote. So konnte das masslos Böse in unserem Volke triumphieren. Wer als Geistlicher und kirchlich Verantwortlicher dem Nationalsozialismus verbunden war und sich nicht deutlich von ihm geschieden hat, muss sich fragen lassen, ob er nicht gegen das erste Gebot gesündigt und ob er sich nicht der Verführung der Gemeinde Gottes schuldig gemacht hat. 2) Der Kampf um die Freiheit der Kirche gegenüber dem totalen Staat und gegen das Eindringen des nationalsozialistischen Geistes in die Lehre und Verkündigung der Kirche war die Pflicht aller derer, die ein Amt in der Kirche hatten. 137 GB1DEK 1933, S. 2-6 (dort mit richtigem Datum vom 11. Juli 1933).

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Wer sich in der Gemeinde oder als einzelner nicht an diesem Kampfe beteiligt hat, muss sich fragen lassen, ob er sich nicht eines Versäumnisses schuldig gemacht und die Pflicht der Brüderlichkeit verletzt hat. 3) Es gehört zum Hirtenamt der Kirchenleitung, das ihr durch den Herrn der Kirche auferlegt ist, die Reinigung der Kirche vom nationalsozialistischen Geist und Wesen mit Ernst durchzuführen und um die Sühne der schuldig gewordenen Geistlichen und anderen kirchlich Beauftragten besorgt zu sein. Der schuldig gewordene Träger eines kirchlichen Amtes seinerseits hat ein Recht darauf, dass die Kirchenleitung seine Schuld ernst nimmt und ihm dazu hilft, wo es möglich ist, die Glaubwürdigkeit seines Dienstes zurückzugewinnen. Der Bruderrat der E K D 5E

Dokumente 5E1. Mitteilung Hammelsbecks. Falkenhagen, April 1946 F: LKA Nürnberg, Meiser 120 {Druck auf Kopfbogen: "Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland - Arbeitskreis Evangelische Akademie - Geschäftsführung: P. Dr. O. Hammelsbeck."). Der Rat der Evang. Kirche in Deutschland hat den "Arbeitskreis Evang. Akademie" beauftragt, Begegnungen und Aussprachen zwischen den Männern und Frauen in den Ämtern des öffentlichen Lebens und der Kirche zu veranstalten. So ist im Januar eine kulturpolitische Tagung in Detmold gewesen 138 ; Tagungen ähnlicher Art auf den Gebieten der Sozialpolitik, des Gesundheitswesens, der Jugendpflege sollen folgen. Es ist auch daran gedacht, eine "Korrespondenz" als monatliches Mitteilungsorgan zu schaffen, um alle Interessierten auf dem laufenden zu halten. Es geht darum, dem neuen Offentlichkeitswillen der Kirche und ihrer Mitverantwortung Ausdruck und Folge zu geben, nicht um eines Machtanspruches willen, sondern um in der Freiheit eines Christenmenschen jedermann zu dienen, der für eine verantwortliche Ausübung von Amt und Beruf Besinnung, Rückhalt und Gehorsam an der heilsamen Lehre des Wortes Gottes sucht. Es geht nicht um eine "christliche" Ideologie oder Weltanschauung, nicht um eine Verfrömmelung der weltlichen Notwendigkeiten, für die uns Gott 138 Vgl. dazu S. 354, Anm. 134.

5E Dokumente

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Verstand und Vernunft verliehen hat, sondern um unser gemeinsames Fragen und Antworten vor Gottes heiligem Willen in Gesetz und Evangelium, um das mutuum colloquium und die consolatio fratrum139 (Schmalk[