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German Pages 206 Year 2002
STEFFEN KLUMPP
Die Privatstrafe - eine Untersuchung privater Strafzwecke
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 266
Die Privatstrafe eine Untersuchung privater Strafzwecke Zivilrechtlicher Schutz vor Zwangskommerzialisierung
Von Steffen Klumpp
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Klumpp, Steffen: Die Privatstrafe - eine Untersuchung privater Strafzwecke : zivilrechtlicher Schutz vor Zwangskommerzialisierung / von Steffen Klumpp. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 266) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10648-2
Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10648-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2001 von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Mein Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Volker Rieble, der die Arbeit angeregt und stets gefördert hat. Ihm verdanke ich viel. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Professor Dr. Egon Lorenz, der nicht nur das Zweitgutachten erstellt, sondern der Dissertation auch inhaltlich durch seine wissenschaftlichen Arbeiten wesentliche Impulse gegeben hat. Nicht missen möchte ich die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Mannheim; das Klima an diesem Lehrstuhl war mehr als angenehm und förderte so die Arbeit zusätzlich. Für den geduldig und liebevoll getragenen Verzicht danke ich Frau Claudia S.Thommes. In Dankbarkeit gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern. Mannheim, im September 2001
Steffen Klumpp
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Darstellung der Privatstrafe
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A. Die Aktualität der privaten Strafe
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B. Was ist Privatstrafe? I. Phänomenologie der Privatstrafe 1. Merkmale der Strafe a) Strafe als Übelauferlegung b) Strafe als zwangsläufige Reaktion auf normbrecherisches Verhalten c) Adressat: Der schuldhafte Normbrecher 2. Zweck der Strafe a) Strafe als bloße Reaktion auf eine Rechtsverletzung b) Relative Strafzwecke: Speziai- und Generalprävention aa) Spezialprävention bb) Generalprävention cc) Vereinigung der Strafzwecke in der strafrechtlichen Praxis 3. Die private Strafe a) Offensichtliche Unmöglichkeit einer privaten Strafe? b) Die vollkommene Privatstrafe c) Struktur einer modernen Privatstrafe aa) Zivilrechtliche Strafwürdigkeit bb) Verhängung der Strafe cc) Der Anspruch aus Privatstrafe dd) Legitimation durch Strafgrund II. Zusammenfassung
16 16 17 17 19 20 21 22 25 25 27 29 30 30 31 32 33 33 35 36 36
C. Die Privatstrafe im historischen Überblick I. Germanisches Recht II. Römisches Recht
37 37 38
D. Privatstrafe in anderen Rechtssystemen I. USA - punitive damages 1. Besondere Voraussetzungen für die Gewährung von punitive damages 2. Funktionen der punitive damages 3. Kritik an punitive damages 4. Punitive damages und Persönlichkeitsrechtsverletzungen II. England III. Frankreich IV. Ergebnis
39 40 40 41 42 43 44 45 46
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Inhaltsverzeichnis
E. Verfassungsrechtliche Fragen und systematische Fragen I. Verfassungsrechtliche Probleme II. Systematische Vorüberlegungen 1. Notwendigkeit einer systematischen Einordnung 2. Elemente (Prinzipien) des inneren Systems 3. Einordnung der Privatstrafe in das äußere System des Schuldrechts
46 46 49 49 53 54
Teil 2 Private Strafzwecke A. Privatstrafgrund der Prävention I. Vorfragen 1. Prävention durch Zivilrecht? 2. Prävention durch Verhaltenssteuerung 3. Begründung einer Leistungspflicht als Mittel der Verhaltenssteuerung 4. Prävention durch Rechtsverlust a) Inventaruntreue, §2005 BGB b) Erbunwürdigkeit, §2339 BGB c) Kondiktionsausschluß § 817 Abs. 1 Satz 2 BGB II. Bestandsaufnahme: Zivilrechtliche Leistungspflichten mit Präventionszweck . 1. Die Vertragsstrafe 2. Schadensersatz a) § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB b) §288 Abs. 1 BGB c) Dreifache Schadensberechnung bei Verletzung von Immaterialgüterrechten d) GEMA-Fälle und Aufwendungen für Überwachungskosten e) Diskriminierungsentschädigung des § 611 a Abs. 2 BGB f) Schmerzensgeld gemäß § 847 BGB g) Verhaltenssteuerung durch Schadensersatz? aa) Präventive Wirkung der Haftungsbegründung bb) Präventive Wirkung durch Haftungsausfüllung cc) Prävention durch Ausweitung des Schadensbegriffes? dd) Prävention als Funktion des Schadensersatzes neben dem Ausgleich h) Zwischenergebnis 3. Strafzuschläge 4. Zusammenfassung für die Privatstrafe III. Legitimation der präventiven Privatstrafe 1. Systematische Einordnung 2. Wirkung und Begründung von Schuldverhältnissen a) Rechtswirkungen eines Schuldverhältnisses b) Begründung eines Schuldverhältnisses - Die Privatstrafe als heteronomes Schuldverhältnis 3. Die Legitimation von Rechtsfolgen des Schuldverhältnisses a) Willenslegitimierte rein präventiv ausgelegte Schuldverhältnisse
55 56 56 56 56 59 60 61 61 62 64 64 67 67 68 69 70 71 73 75 75 76 77 79 81 83 84 85 85 87 87 88 89 89
Inhaltsverzeichnis
4.
5.
6.
7.
aa) Der Wille als Legitimationsgrund bb) Die Vertragsstrafe b) Rechtsfolgenlegitimation bei heteronom begründeten Schuldverhältnissen Prinzip der qualitativen Relativität a) Ausprägungen und Durchbrechung der quantitativ-relativen Leistungsbeziehung b) Die qualitative Relativität bei außervertraglichen Schuldverhältnissen .. aa) Ausgangspunkt: Zivilrecht als System des Interessenausgleichs .... bb) Erscheinungsform der iustitia commutativa c) Von der qualitativen Relativität getragene Rechtsfolgen aa) Ausgangspunkt: Die unerlaubte Handlung bb) Der Zuordnungsbereich des Rechtssubjekts (Rechtskreis) cc) Die Begrenzung des Handlungsspielraumes bei unerlaubter Handlung d) Die heteronome Obligation als Gleichgewichtslösung Einordnung der Prävention a) Unterscheidung zwischen monofunktionaler Prävention und Prävention als Reflexwirkung b) Verstoß einer generalpräventiv orientierten Leistungspflicht gegen den Grundsatz der Relativität c) Verstoß einer spezialpräventiv orientierten Leistungspflicht gegen den Grundsatz der Relativität Gerechtfertigte Durchbrechung des Prinzips der Relativität im Falle der präventiv orientierten Privatstrafe? a) Grundsätzliche Geeignetheit der Privatstrafe zur Verhaltenssteuerung .. b) Unsicherheitsfaktor: Einsatz der Privatstrafe c) Unsicherheitsfaktor: Präventionswirksame Bemessung der Privatstrafforderung d) Zwischenergebnis Möglichkeiten der Gewinnhaftung bei Zwangskommerzialisierung a) Mögliche Grundlagen der Haftung b) Der Grund der Haftung aa) Zuweisungsgehalt (1) Grundsätzliches (2) Besondere Persönlichkeitsrechte (a) Das Recht am eigenen Bild (b) Das Recht am Namen (3) Die Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit (a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als alleiniges Abwehrrecht (b) Die dualistische Auffassung (c) Die monistische Auffassung (d) Entscheidende Kriterien für den Zuweisungsgehalt (aa) Nutzungsmöglichkeit durch Einwilligungsvorbehalt. (bb) Anerkennenswerter Marktwert (e) Der fehlende Kommerzialisierungswillen
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Inhaltsverzeichnis
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(4) Zwischenergebnis bb) Tatbestandsmerkmale der angemaßten Eigengeschäftsführung c) Der Haftungsumfang aa) Lizenzanalogie - zur Prävention nicht geeignet bb) Die Gewinnhaftung (1) Grundlagen (2) Die Gewinnberechnung IV. Ergebnis
139 139 140 140 141 141 142 145
B. Der Strafzweck der Genugtuung I. Entwicklung der Genugtuung 1. Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsgeschichte des §847 BGB 2. Die Doppelfunktionslehre des BGH II. Was ist Genugtuung? III. Kritik der Genugtuung 1. Der spezielle Subjektivismus der Genugtuung 2. Keine Rechtfertigung durch den Ausgleichsgedanken 3. Das Interesse an Genugtuung ist rechtlich nicht zu schützen 4. Keine interessengerechten Ergebnisse 5. Genugtuung als Funktion der Vertragsstrafe? 6. Zwischenergebnis IV. Entschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen jenseits der Genugtuung 1. Grundlage der Entschädigungszahlung 2. Bemessung der Entschädigung a) Der Nichtvermögensschaden nach § 847 BGB b) Die rein objektive Schadensbestimmung c) Stellungnahme 3. Folgen für die Verletzung des Persönlichkeitsrechtes V. Zusammenfassung
145 146 147 148 151 155 155 157 158 159 160 161 162 162 164 164 167 169 171 173
C. Strafzweck der Vergeltung 173 I. Die Verschuldenshaftung, Ausgang für eine Vergeltungs- oder Sühnefunktion? 173 1. Die Schuld im Strafrecht 174 2. Der zivilrechtliche Verschuldensbegriff 176 3. Objektiver Verschuldensmaßstab 177 a) Der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab 177 b) Vorwerfbarkeit bei Vorsatz? 179 4. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip 180 II. Ergebnis 182 Teil 3 Ergebnisse
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A. Die Privatstrafe
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B. Der private Strafgrund der Prävention
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Inhaltsverzeichnis C. Der Strafgrund der Genugtuung
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D. Die Verschuldenshaftung hat keine dem Strafrecht vergleichbare vergeltenden Elemente 185 E. Die Privatstrafe ist nicht zu rechtfertigen
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Literaturverzeichnis
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Sachwortverzeichnis
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Teil 1
Darstellung der Privatstrafe A. Die Aktualität der privaten Strafe Eine zivilrechtliche Strafe wird ganz überwiegend abgelehnt1. Wie selbstverständlich werden „poenale Elemente" als dem Privatrecht systemfremd bezeichnet - eine Ansicht, die sich auf die Gesetzgebungsgeschichte des BGB stützen kann2. Die Privatstrafe als privatrechtliches Strafinstrument ist danach ein „Saurier der Rechtsgeschichte4', wie schon Philipp Heck 1929 meinte3, und die Aufgabe zu strafen wird allein dem Strafrecht überantwortet. Strafende Rechtsfolgen werden damit aus dem Privatrecht ausgeschlossen. Eine lange rechtshistorische Entwicklung hat in der Trennung von Zivil- und Strafrecht scheinbar ihren Abschluß gefunden. Dies dokumentiert nichts deutlicher als die Tatsache, daß der BGH die USamerikanischen punitive damages, die als Prototyp einer Privatstrafe gelten können, als mit dem deutschen ordre public nicht vereinbar erklärt hat4. Allerdings ist die Diskussion um Strafelemente im Zivilrecht nie gänzlich verstummt - vor allem über die Frage der Bemessung der Entschädigung immaterieller Schäden wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes 5. Hier wurden, nachdem das allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt war 6, durch die höchstrichterliche Rechtsprechung immer auch Funktionen der Entschädigungszahlung und in der Folge Faktoren für die Bemessung der Höhe der Entschädigungszahlung berücksichtigt, die nach striktem Verständnis eher einer strafenden denn einer ausgleichenden Rechtfolge zuzuordnen wären: Wurden unter die der Entschädigung zukommenden Funktionen die der Genugtuung, der Sühne und der Prävention gerechnet7, so unter die Bemessungsfaktoren die Schwere des Eingriffes, der Verschuldensgrad, die Vermögensverhältnisse 8. 1
Siehe nur BGH vom 4.6.1992 - IX ZR 149/91 - Β GHZ 118,312; Lange, Schadensersatz2, S. 12. 2 Mot II, 17. 3 Grundriß des Schuldrechts, S.437. 4 BGH vom 4.6.1992-IX 149/91 - BGHZ 118, 312. 5 Lange, Schadensersatz2, S. 12. 6 BGH vom 25.5.1954 - 1 ZR 211/53 - BGHZ 13, 334. 7 BGH vom 19.9.1961 - V I ZR 259/60 - BGHZ 35, 363, 367. 8 Siehe nur BGH vom 8.7.1980 - V I ZR 158/78 - NJW 1980, 2810; MünchKomm-/taecker 4, § 12 Anh. Rn.214ff.
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Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
Letztlich neu entfacht wurde die alte, aber noch glimmende Diskussion um eine zivilrechtlich-strafende Rechtsfolge durch eine höchstrichterliche Entscheidung, die die Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit und mit ihr ein Problem der modernen Mediengesellschaft zivilrechtlich einzuordnen versuchte9. Der Bundesgerichtshof sprach der Klägerin, einer monegassischen Prinzessin, eine Entschädigung für die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zu, weil eine Zeitschrift auf ihrer Titelseite ein „Exklusivinterview" mit ihr angekündigt und im Innenteil auch über mehrere Seiten abgedruckt hatte. Freilich war dieses Interview, das bezeichnenderweise das Verhältnis der Prinzessin zur Presse zum Inhalt hatte, nie geführt worden 10. In einer späteren Ausgabe11 derselben Zeitschrift konnte die Prinzessin Fotos aus ihrem „Familienalbum" bestaunen, welche darin aber niemals enthalten waren, sondern von einem Paparazzo rechtswidrig aufgenommen wurden. Schließlich veröffentlichte ein anderes Blatt des beklagten Verlages vorsätzlich die falsche Nachricht von der baldigen Hochzeit der Prinzessin 12. Nach der überkommenen Rechtsprechung ist eine Entschädigung für immateriellen Schäden an hohe Voraussetzungen geknüpft. Sie wird nur zugesprochen, wenn ein schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegt und dem Schädiger ein hohes Verschulden zur Last gelegt werden kann. Darüber hinaus dürfen andere Rechtsbehelfe wie Widerruf oder Unterlassungsanspruch keine Abhilfe schaffen 13. In der Begründung des Caroline-Urteils führt das Gericht zusätzlich aus, aus den Art. 1, 2 GG folge auch ein zivilrechtlicher Schutzauftrag für die Persönlichkeitsrechte. Ein Schutz vor der Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit durch die Medien sei aber nur dann wirklich sicherzustellen, wenn von der zu leistenden Entschädigung für den Schädiger ein „echter Hemmeffekt" ausgehe.14. Folgerichtig wurden so als Bemessungsfaktor nicht etwaige Beeinträchtigungen auf Seiten der Prinzessin 15, sondern der durch die Vermarktung erzielte Gewinn herangezogen - wobei freilich nicht der gesamte Gewinn abgeführt werden sollte16. Obwohl auch bei vorangegangenen Entscheidungen bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes die Prävention als Funktion der Entschädigung genannt 9 BGH vom 15.11.1994 - V I ZR 56/94 - Β GHZ 128, 1 = NJW 1995, 861 = L M Nr. 119 zu §823 (Ah) = JZ 1995, 360. 10 „Die Bunte" vom 19.3.1992, S. 16ff. 11 „Die Bunte" vom 21.5.1992, S.22ff. 12 „Glücks Revue" vom 20.8.1992. 13 Schon BGH vom 14.2.1958 - 1 ZR 151/56 - BGHZ 26, 349, 359; BGH vom 15.12.1987 - V I ZR 35/87 - VersR 1988,405; BGH vom 15.11.1994 - 56/94 - BGHZ 128, 1, 12. Vgl. hierzu G. Müller, VersR 2000, S.797, 800. 14 BGH vom 15.11.1994-VI ZR 56/94-BGHZ 128, 1, 16. 15 Widersprüchlich hier G. Müller, VersR 2000, S. 797,803, die zwar zugibt, daß kein wertmäßiger Zusammenhang zwischen dem erzielten Gewinn und der immateriellen Beeinträchtigung bestehe, gleichwohl aber am Charakter des Entschädigungsanspruches festhält. 16 BGH vom 15.11.1994-VIZR 56/94-BGHZ 128, 1, 16.
Α. Die Aktualität der privaten Strafe
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wurde , trat diese bei BGHZ 128, 1 erstmals deutlich und als charakteristisches Merkmal hervor, das sogar beim Vergleich mit dem Schmerzensgeld nach § 847 BGB die bisweilen sehr differierenden Entschädigungszahlungen rechtfertigen können soll 18 . Die Caroline-Entscheidung löste eine Fülle an wissenschaftlichen Äußerungen aus19. Dies nicht zuletzt deshalb, weil hier das klar abgegrenzt geglaubte zivil- und strafrechtliche Instrumentarium sich zu überschneiden scheint. Mit einer privatrechtlichen Rechtsfolge, nämlich der Verpflichtung zur Entschädigung eines immateriellen Schadens, sollte in erster Linie ein präventiver Zweck erreicht werden. Und die Bemessung der Verpflichtungssumme gehorchte hauptsächlich diesem Zweck. Man war Gleiches nur bei der Strafbemessung oder etwa bei US-amerikanischen punitive damages gewohnt. Somit steht die Caroline-Entscheidung in einem Spannungsverhältnis zur Rechtsprechung des BGH zur Vollstreckbarkeit von punitive damages. Wobei man bei dieser Wandlung der Rechtsprechung von der strikten Ablehnung der punitive damages hin zur - vielleicht unbewußten - Anerkennung von zumindest strafnahen Elementen an einen ähnlichen Wandel in den Auffassungen v. Iherings erinnert ist. Hatte dieser zunächst von der Privatstrafe als „vollkommene(r) pathologische(r) Form der Bekämpfung des civilrechtlichen Unrechts" 20 gesprochen, so lobte er später im Zusammenhang mit den klassischen Privatstrafen das „gesunde römische Rechtsgefühl" 21. Auch die zeitgenössischen Meinungen zu privatrechtlichen Strafelementen divergieren. Wird einerseits begrüßt, daß Aspekte der Strafe - wenngleich die strafrechtliche Terminologie meist vermieden wird - auch im Zivilrecht Berücksichtigung finden 22, weil gerade im Falle der Zwangkommerzialisierung das vom BGH gewählte das einzig geeignete Mittel für den Persönlichkeitsrechtsschutz sei, so wird auf der anderen Seite festgestellt, daß diese Rechtsprechung an den Grundlagen der Dogmatik rüttele 23, wenn nicht gar ein „Todesstoß für die schadensrechtliche Dogmatik" sei24. 17 BGH vom 22.1.1985 - V I ZR 28/83 - VersR 1985, 391, 393; BGH vom 19.9.1961 - V I ZR 259/60 - BGHZ 35, 363, 367. 18 So BVerfG vom 8.3.2000-1 BvR 1137/96 - NJW 2000, 2187, 2188. 19 Es seien nur erwähnt Bentert, Das poenale Element, 1996; Seitz, NJW 1996, S. 2849; Soehring, NJW 1997, S.360; Prinz, NJW 1996, S.953; Stürner, AfP 1998, S. 1; Gounalakis, AfP 1998, S. 16; Steffen, NJW 1997, S. 10; Canaris, in: FS Deutsch, S. 85; v. Holleben, Geldersatz bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Medien; Βeuthienì Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Gewinnherausgabe, K&R 1999, S.396; Löwe, Der Gedanke der Prävention im deutschen Schadensersatzrecht, 2000. 20 Schuldmoment, S.61. 21 Kampf um's Recht, S.84. 22 Bentert, passim; Stürner, AfP 1998, S. 1; Schwerdtner, Karlsruher Forum, S.43, nennt die Berücksichtigung präventiver Gesichtspunkte „dringend geboten". 23 Seitz, NJW 1996, S. 2849. 24 Gounalkais, AfP 1998, S. 10, 18.
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Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
Die skizzierte Diskussion zeigt, daß die Rechtsprechung zur Zwangskommerzialisierung neben der Bedeutung für den Persönlichkeitsrechtsschutz die grundsätzliche Frage aufwirft, ob nicht doch auch im deutschen zivilrechtlichen System eine private Strafe dogmatisch zu begründen ist. Weitergedacht könnte eine solche dann nicht nur zum Schutz vor Zwangskommerzialisierung, sondern auch in anderem Zusammenhang genutzt werden. Man denke nur an die Frage, wie die Bagatellkriminalität künftig zu bekämpfen sei. Die Privatstrafe könnte hier ein probates Mittel zur Entlastung der Strafjustiz sein. Gleichzeitig kann man sich eine private Strafe als flexibles Instrument des Rechtsgüterschutzes vorstellen. Dies setzt aber voraus, daß eine Privatstrafe mit dem überkommenen zivilrechtlichen System so vereinbart werden kann, daß sie sich entweder jetzt schon einfügt oder aber als neues privatrechtliches Instrument das System sinnvoll erweitert. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es vor allem darauf an, die Funktionen, die einer Privatstrafe zukommen, zu untersuchen. Diese Funktionen können auch als private Strafzwecke bezeichnet werden. Die vorliegende Untersuchung will zuerst feststellen, welche Merkmale und welche Strafzwecke eine Privatstrafe ausmachen (1. Teil). Danach ist zu fragen, ob die einzelnen privaten Strafzwecke dogmatisch tragfähig sind und sich mit dem herkömmlichen zivilrechtlichen System in Einklang bringen lassen (2. Teil). Dabei orientiert sich die Arbeit am Problem der Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit und versucht hierfür auch Lösungsmöglichkeiten jenseits der Privatstrafe zu finden.
B. Was ist Privatstrafe? I. Phänomenologie der Privatstrafe Will man die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Strafe untersuchen, so tut es not, zuerst die Erscheinungsform einer solchen Privatstrafe zu beschreiben. Denn nach wie vor gilt die Feststellung Großfelds, daß die meisten Juristen mit der Privatstrafe keine klaren Vorstellungen mehr verbinden 25. Die Privatstrafe gilt als ein Relikt aus vergangener Zeit 26 - eine Beschäftigung mit ihr lohnt sich aus zivilrechtlicher Sicht vermeintlich nicht. Erst wenn die Frage nach den Merkmalen einer Privatstrafe beantwortet ist, ist es möglich, sie auf ihre Übereinstimmung mit dem zivilrechtlichen System zu über25 Großfeld, Die Privatstrafe, S. 9; dies zeigt sich schon an der verschiedenen Verwendung des Begriffes „Privatstrafe": Während zum einen lediglich auf die Bezeichnung abgestellt wird und insbesondere Vertrags-, Betriebs- und Vereinsstrafen als Privatstrafen bezeichnet werden, so bei Löwe, S. 142, auch bei Roxin, AT 3 § 2 XIII, S. 36, sehen andere diese gerade nicht als Privatstrafe an, Staudinger-Rieble (2001), Vorbem. Zu §§339 ff. Rn. 26. 26 Vgl. nochmals Heck, Grundriß des Schuldrechts 1929, S.437.
Β. Was ist Privatstrafe?
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prüfen. Dabei geht es nicht darum, einen Privatstrafenbegriff nach Belieben zu konstruieren, der gleichsam das Ergebnis der nachherigen Untersuchung schon impliziert. Vielmehr sind anhand der Phänomenologie der Privatstrafe diejenigen Funktionen und Rechtsfolgen herauszuarbeiten, die für eine Privatstrafe konstituierend sind. Die Untersuchung ist in zwei Schritte zu gliedern. Zum einen ist zu klären, was überhaupt eine Strafe ausmacht, zum anderen dann, was die speziellen Merkmale einer privaten Strafe sind. 1. Merkmale der Strafe
Strafe gibt es, solange menschliches Zusammenleben besteht, sie hat die Geschichte des Menschen seit dessen Anfängen begleitet27. Aus dieser Tatsache folgt auch, daß es einen festen „Strafbegriff" nicht gibt und nicht geben kann. Strafe wurde und wird immer im historischen, gesellschaftlichen, philosophischen und rechtlichen Kontext gesehen28. Heute werden mit dem Rechtsinstitut der Strafe aber einige bestimmte Inhalte und Funktionen verbunden, die die Strafe der Begriffsbeliebigkeit entziehen und es möglich machen, sie gegenüber anderen Rechtsinstituten abzugrenzen. Trotz ihres bisweilen metaphysischen Charakters 29 sollen diese Strafinhalte nachfolgend herausgearbeitet werden. Hierfür muß auf die strafrechtliche Literatur zurückgegriffen werden: In der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung findet sich zu den Merkmalen der Strafe wenig - dem herrschenden Dogma der Trennung von Straf- und Privatrecht folgend 30. a) Strafe als Übelauferlegung Vergleicht man die verschiedenen Definitionen der Strafe, so ergeben sich folgende Merkmale: Strafe ist demnach ein Übel, das dem Normbrecher wegen eines begangenen Normverstoßes auferlegt wird und das die Mißbilligung der Tat zum Ausdruck bringt 31 . 27
Strathenwerth, AT 4 , S.4; siehe hierzu auch unten Teil 1 C. Strathenwerth, a. a. O.; vgl. nur die berühmte Äußerung v.Iherings, daß der Begriff der Strafe wie kein anderer das getreue Spiegelbild der zeitlichen Denk- und Empfindungsweisen eines Volkes sei, der alle Phasen seiner sittlichen Entwicklung mit durchmache, Schuldmoment, S. 2; i. d. S. auch Jescheck/Weigend, AT 5 , S. 66. 29 Hierzu insbesondere Müller-Dietz, Strafbegriff und Strafrechtspflege, 1968, S. 13. 30 Vgl. schon v.Ihering, Schuldmoment, S.3: „Unsere heutige Trennung zwischen Strafrecht und Civilrecht... hat doch den Uebelstand in ihrem Gefolge gehabt, daß unsere Wissenschaft dem Begriff der Strafe innerhalb des Civilrechts nicht die entsprechende Bedeutung geschenkt hat." 31 Vgl. nur die Definitionen bei Jeschek/Weigend, AT 5 , S. 13; Schmidhäuser, AT 2 , S. 1, Gropp, AT 2 , S. 29; LK-Jeschek l\ Einleitung Rn. 23; Achter, S. 10; BVerfG vom 6.6.1967 - 2 BvR 375, 53/60 und 18/65 - BVerfGE 22, 499, 132. 28
2 Klumpp
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Teil 1: Darstellung der Privatstrafe
Die Auferlegung eines Übels, d. h. einer für den zu Bestrafenden negativen Reaktion 32 , ist der Kern der Strafe. Die Strafe soll eine Belastung für den Bestraften sein. Schon umgangssprachlich ist eine Strafe, die nicht in einer Belastung, sondern vielleicht gar in einer Belohnung, einer angenehmen Zuwendung besteht, nicht vorstellbar 33 . Dabei spielt, betrachtet man die Phänomenologie der Strafe, die konkrete Ausgestaltung - sei es als ζ. B. Geld- oder Freiheitsstrafe - keine Rolle. Bei der Interpretation, ob eine bestimmte Maßnahme ein Übel darstellt, kommt es nicht auf das Empfinden des Bestraften, sondern vielmehr auf die Bewertung der Maßnahme durch die die Strafe verhängende Person oder Gemeinschaft an 34 . Das Beispiel des Landstreichers, der winters eine mit Freiheitsstrafe bewehrte Straftat begeht, um in der Wärme zu sein, zeigt dies deutlich - auch die vermeintlich angenehme Belastung kann eine Strafe sein. Allein daß eine Maßnahme aus der Sicht der sie verhängenden Ordnung negativ für den Täter ist, kann für die Bestimmung, ob ein Übel vorliegt von Bedeutung sein. Auch ein tatsächliches, inneres Leiden des Delinquenten ist folglich nicht vorauszusetzen. Wäre dies so, so würde die Grenze zwischen Strafe und Sühne35 verwischt, da diese die wirkliche innere Läuterung und damit das innere Leid voraussetzt36. Weiterhin kann man von einer rechtlich relevanten Strafe nur dann sprechen, wenn es sich um Übel handelt, das dem Bestraften gewollt und gezielt zugefügt wird 37 , so daß eine poena naturalis - wie beispielsweise die durch Begehung einer Straftat zugezogene Körperverletzung des Täters - nicht zu den Rechtsstrafen gerechnet werden kann38. 32 Jescheck/Weigend, AT 5 , S. 65; auch schon Merkel, Lehre vom Verbrechen und der Strafe, S. 195; Hirsch, Zur Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht, in: FS Engisch, S. 316. 33 Dies wäre - oberflächlich betrachtet - allenfalls dann nicht der Fall, wenn man einer rein spezialpräventiven Strafzwecktheorie folgte. Hier käme als Reaktion auf ein normbrecherisches Verhalten, als „Strafe", etwa auch eine Verhaltenstherapie in Betracht - was aber von der Rechtsgemeinschaft nicht als Strafe aufgefasst würde. Das ändert aber nichts daran, daß auch in diesem Fall Strafe mit Übel gleichgesetzt werden müßte: Es wäre dann Resozialisierung statt Strafe, nicht durch Strafe. So auch Jescheck/Weigend, a. a. O.; Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S.53; siehe auch Albrecht, Spezialprävention angesichts neuer Tätergruppen, ZStW 97(1985), S. 831, 833. 34 Schmidhäuser, a. a. O., S. 5; dies zeigt sich auch im umgekehrten Fall: Ein Schädiger mag die Verpflichtung zum Ausgleich eines von ihm zurechenbar veranlassten Schadens als Strafe empfinden, dies ist aber für die rechtliche Qualifikation der Maßnahme unbeachtlich, so auch Müller, Punitive damages, S. 33; Schmidt, Schadensersatz und Strafe, S.52. 35 Siehe Göhler, AT, S. 37; auch Strathenwerth, AT 4 , S. 7 f.; wobei die Strafe intendiert, daß die Schuldigen „durch die Strafe mit sich selbst und der Gesellschaft wieder ins Reine gebracht werden sollen", so LK-Jeschek 11 Einl. Rn.23; E. Schmidt, Materialien, S. 12. 36 Zur Sühnefunktion der Strafe noch unten Teil 1 B. 2. a). 37 Jeschek, AT 4 , S.58; Hoerster, Zur Generalprävention als den Zweck staatlichen Strafens, GA 1970, S. 272, 279. 38 Vgl. hierzu Kant, Metaphysik der Sitten, Der Rechtslehre Zweiter Theil; Vom Straf- und Begnadigungsrecht I.; Nagler, Die Strafe, S.43f., der die poena naturalis als „die sich nach Naturgesetzen von selbst mit dem Laster einstellenden Nachteile" definiert, a. a. O., S. 44.
Β. Was ist Privatstrafe?
b) Strafe als zwangsläufige Reaktion auf normbrecherisches
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Verhalten
Strafe ist immer Reaktion39. Sie setzt eine Handlung des zu Bestrafenden voraus. Gestraft wird folglich post hoc und propter hoc, also nach und wegen der Tat 40 . Diese Tat fordert - gleichsam nach dem Prinzip von actio und reactio - die Strafe heraus - malum passionis propter malum actionis 41. Wie es nicht vom Täter abhängt, ob er die Strafe als Übel empfindet 42, so ist auch eine etwaige Zustimmung oder Ablehnung des Täters zur Strafe unbeachtlich43: Denn eine nicht zwangsläufige Strafe, die also eine Einwilligung des Täters voraussetzte, würde die Strafzwecke vereiteln. Strafe hat immer einen Zwangscharakter. Sie trifft den Bestraften, ob dieser will oder nicht. Hierin liegt auch ein Unterschied zur Sühne oder Buße: Buße ist stets ein freiwillig übernommenes Übel, um die Gemeinschaft, die durch eine normwidrige Tat durchbrochen war, wieder herzustellen 44 . Mit dem Anknüpfungspunkt der begangenen Tat unterscheidet sich die Strafe auch von reinen Präventionsmaßnahmen, wie es sie im Strafrecht mit dem System der Maßregeln (§§ 61 ff. StGB), vor allem im Polizeirecht, aber auch im Zivilrecht mit dem zukünftigen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB 45 , insbesondere bei Erstbegehungsgefahr, gibt 46 . Reine Präventionsmaßnahmen werden nur im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung eingeleitet, sie sollen mögliche Unbill schon im Vorfeld verhindern. Zwar erfordern auch sie einen gewissen Anhaltspunkt, nämlich eine Gefahr. Dies ist aber bereits dann der Fall, wenn ein Normbruch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten könnte47. Ein solcher Normbruch soll gerade verhindert werden. Anders die Strafe, sie hat als Ausgangspunkt nicht das Kommende, sondern das Geschehene48. Daß die Strafe eine Reaktion auf die Tat ist, führt zu der Frage, welche Qualität eine strafwürdige Handlung haben muß. Die Strafwürdigkeit einer Handlung wird festgelegt von demjenigen, der straft; stets kommt es auf die Ordnung an, in die der 39 Jakobs, S. 5; auch schon Nagler, S. 40: „Strafe ist nichts Primäres."; Merkel, Die Lehre, S. 194. 40 Merkel, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts (1889), S. 189, 190. 41 Siehe so schon Grotius, De iure belli ac pacis (1625), Lib. II, Cap. XX. 42 Siehe oben Teil 1 B.I.l.a). 43 Siehe Kant, Metaphysik der Sitten, Der Rechtslehre Zweiter Theil, Vom Straf- und Begnadigungsrecht I.: „Strafe erleidet jemand nicht, weil er sie, sondern weil er eine strafbare Handlung gewollt hat; denn es ist keine Strafe, wenn einem geschieht, was er will, und es ist unmöglich, gestraft werden zu wollen." 44 Siehe auch Achter, S. 86. 45 Siehe hierzu MünchKomm3-Medicus, § 1004, Rn. 80; Staudinger-Gwr^ (1993), § 1004, Rn. 197. 46 Köhler AT 2 , S.37. 47 Dazu MünchKomm-Medicus 3 § 1004 Rn. 80ff. 48 Vgl. Hassemer, Warum und zu welchem Ende strafen wir?, ZRP 1997, S.316, 319.
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Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
Handelnde eingebunden ist 49 . Bei der Rechtsstrafe kann die maßgebliche Ordnung nur die Rechtsordnung sein. Anknüpfungspunkt für die Strafe ist nur ein Verhalten, das die Rechtsordnung bricht, das sich gegen die geltenden Rechtsregeln stellt 50 . Wobei freilich nicht jeder Rechtsbruch automatisch eine Strafe nach sich zieht. Wann eine Rechtsordnung den Bruch ihrer selbst als so gravierend ansieht, daß eine Strafe verhängt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So wird eine Rechtsordnung, die wegen einer Notsituation - wie Krieg, Naturkatastrophen o. ä. - alle Kräfte aufbieten muß, andere Akzente setzen, wie ein saturierter Staat51. Somit kommt durch die Strafe auch ein Unwerturteil der Rechtsordnung über die normbrecherische Handlung als nicht mehr tolerierbar zum Ausdruck 52.
c) Adressat: Der schuldhafte Normbrecher Wenn Strafe ein Übel ist, das wegen eines Normbruches verhängt wird, so folgert Hess daraus, daß diese Merkmale auch auf den Schadensersatz oder auf Herausgabeansprüche des durch Eingriff in die Rechtsposition rechtsgrundlos Erlangten zuträfen 53. Diese Argumentation übersieht aber einen gewichtigen Unterschied, der im Zweck der jeweiligen Ansprüche liegt: Die Strafe begnügt sich, wenn sie als Anknüpfungspunkt den begangenen Normbruch nimmt, auch mit diesem, sie will den Täter wegen des Normbruches treffen. Am Täter orientieren sich dann auch Art und Maß der Strafe. Die genannten Ansprüche dagegen knüpfen nicht alleine an einer Handlung, sondern an einem Zustand beim Anspruchsberechtigten an: Beim Schadensersatz nämlich bei der Schädigung des Opfers - ein Schadensersatzanspruch ohne Schaden kommt nicht in Frage, auch wenn eine grundsätzlich zum Schadensersatzanspruch führende unrechtmäßige Handlung vorliegt 54. Nach der alten bildhaften Definition steht beim Schadensersatz das Heilen einer Wunde, bei der Strafe das Schlagen einer solchen im Vordergrund 55. Sie ist nicht am Schadensausgleich orientiert und somit als ejcira-kompensatorisch zu bezeichnen. Bestraft wird so allein derjenige, der eine mit Strafe bewährte Norm gebrochen hat, er ist Orientierungspunkt für das „Ob" und das „Wie" einer Strafe. 49 Im modernen Rechtsstaat ist dies Souverän das Volk. Schon aus diesem Grund wird „im Namen des Volkes" gestraft; siehe auch Hess, Die Vertragsstrafe, S. 183. 50 So ζ. B. im Gegensatz zur elterlichen „Erziehungsstrafe". Hier erfolgt kein Bruch der Rechtsordnung, sondern ein Bruch der vom Erziehungsverantwortlichen aufgestellten Regeln. 51 Siehe Jakobs, AT 2 , S.5. 52 Merkel, Die Lehre, S. 195. 53 Hess, Die Vertragsstrafe, S. 184. 54 Hierzu noch ausführlich unten Teil 2 Α. II. 2. 55 So Exner, Das Wesen der Fahrlässigkeit (1910), S. 106; siehe auch die berühmtere Formulierung von Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, (1878), S.61, die Strafe geschehe dem Täter zuleide, der Ersatz aber dem Verletzten zuliebe; ebenso heute Kern, AcP 191 (1991), S.249, 254.
Β. Was ist Privatstrafe?
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Ihm wird durch die Strafe sein Normbruch zum Vorwurf gemacht, wenn er fähig gewesen wäre, sich auch für das der Norm entsprechende Verhalten zu entscheiden. Dieser Vorwurf des Gegen-die-Regel-Handelns trotz besseren Könnens begründet die Schuld des Täters. Ohne diese Schuld ist die Kriminalstrafe im modernen Rechtssystem nicht denkbar - keine Strafe ohne Schuld56. Aus diesem Schuldvorwurf leitet sich auch die Mißbilligung der Rechtsordnung dem Täter gegenüber ab, die in der Strafe zum Ausdruck kommen soll - dabei zeigt sich auch in diesem Zusammenhang, daß es sich bei der Strafe um eine Reaktion handelt: Schuld setzt begangenes Unrecht voraus 57. Das ist bei rein präventiven Maßnahmen wie Unterlassungsanspruch oder polizeirechtlichen Instituten gerade nicht der Fall. Durch die Notwendigkeit der Schuld erhellt sich aber noch ein anderer grundlegender Gesichtspunkt: Die Strafe soll stets den Normbrecher persönlich als Individuum treffen 58. Er soll zur Verantwortung gezogen werden, niemand sonst. Eine etwaige Sippenhaft ist somit genauso undenkbar wie die Vererbung einer Geldstrafe - in poenam heres non succedit 59.
2. Zweck der Strafe
Strafe ist zuerst Zufügung eines Übels. Und zwar eines Übels, das auf ein anderes Übel, den geschehenen Normbruch, folgt. Schon Hegel bemerkte, daß es unvernünftig wäre, ein Übel bloß deswegen zu wollen, weil ein anderes Übel vorhanden sei 60 . In einer modernen Rechtsordnung ist eine solche Zwangsläufigkeit nicht tolerierbar. Eine Strafe braucht so immer eine zusätzliche Begründung und Legitimation. Mit anderen Worten: Der Zweck macht schließlich die Strafe. Er erhebt die Strafe über die bloße Übelszufügung und damit über die Rache. Hassemer wirft deshalb zu Recht die immer aktuelle Frage auf: Warum und zu welchem Ende strafen wir? 61 56
BGH vom 18.3.1952 - GSSt 2/51 - BGHSt 2, 194, 200; BGH vom 8.4.1957 - GSSt 3/56 - BGHSt 10, 259, 263; BVerfG vom 9.6.1970 - 1 BvL 24/69 - BVerfGE 28, 386, 391; BVerfG vom 5.3.1968 - 1 BvR 579/67 - BVerfGE 23, 127, 132; BVerfG vom 25.10.1966 - 2 BvR 506/63-BVerfGE 20,323,331; BVerfG vom 4.2.1959-1 BvR 197/53-BVerfGE 9,167, 169. 57 Maurach/Zipf AT 8 Bd. 1, S. 61. 58 Achter, Die Geburt der Strafe, S. 111, sieht in der Entdeckung der Persönlichkeit des Täters gerade die Geburtsstunde der Strafe: Von Strafe könne man ab dem Zeitpunkt sprechen, ab welchem der Mensch als Individuum zur Kenntnis genommen wurde, ab welchem von konkreter, individueller Schuld und nicht nur von einem Verstoß gegen den göttlichen ordo die Rede ist. Achter nennt als historisch faßbaren Zeitpunkt das 12. Jh. Daß vor diesem Zeitpunkt nicht die individuelle Vorwerfbarkeit maßgebend war, sieht er darin, daß unabhängig von der jeweiligen Schuld, nur den ordnungswidrigen Erfolg betrachtend, eine Sanktion verhängt wurde. 59 Vgl. hierzu die §§459c Abs. 3 StPO, 101 OWiG. 60 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821 (Nachdruck 1964), §99. 61 Hassemer, ZRP 1997, S.316.
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Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
Die Diskussion der Strafzwecke ist so alt wie die rechtliche Betrachtung des Phänomens der Strafe selbst62. Sie muß und kann auch hier nicht entschieden werden. Es soll deshalb nachstehend eine kurze Darstellung der Strafzwecke, ihrer Begründungen und der wichtigsten Gegenargumente erfolgen. In der Strafrechtswissenschaft werden zwei Legitimationsgrundlagen für die Strafe unterschieden: Eine von den absoluten und eine von den relativen Strafzwekken ausgehend, je nachdem, ob man mit der Strafe allein auf ein begangenes Unrecht reagieren will oder ob andere, außerhalb der Strafe liegende Zwecke verfolgt werden sollen. a) Strafe als bloße Reaktion auf eine Rechtsverletzung Die absolute Strafe ist losgelöst von allen sozialen Zwecken63, sie ist vergeltende Reaktion auf ein begangenes Unrecht 64 und nur auf dieses bezogen: punitur, quia peccatum est. Die Strafe soll ein rechtsabweichendes Verhalten gleichsam ausgleichen und nur das - sie soll letztendlich Gerechtigkeit herstellen 65. Andere Gesichtspunkte, die über die eigentliche Tat hinausgehen, spielen keine Rolle 66 - oder allenfalls als unselbständige Reflexwirkung 67. Die Strafe ist dann zuerst Vergeltung im ursprünglichen Wortsinn, nämlich die einfache - hier dann negative - Reaktion auf eine geschehene Handlung. Und so wird die Strafe sowohl in der alltäglichen Bewertung in der Laiensphäre68 als auch in der straf- und verfassungsrechtlichen Rechtspraxis gesehen, wenn von der Strafe als „Vergeltung durch Zufügung eines Übels" die Rede ist 69 . Gleichwohl ist Vergeltung als Rechtsbegriff ebenso schillernd wie wandelbar - und mithin dem Verdacht der metaphysischen Spekulation ausgesetzt70. Ihre 62 Die ersten faßbaren Äußerungen über den Zweck der Strafe finden sich in der klassischen Antike. Man denke nur an den allseits zitierten, von Seneca überlieferten Ausspruch des Protogoras: Nam, ut Plato ait, nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur. : Seneca, De ira, Liber I, XIX-7; zur geschichtlichen Entwicklung der Strafzwecke siehe Hoffmann, Zum Verhältnis der Strafzwecke Vergeltung und Generalprävention in ihrer Entwicklung und im heutigen Strafrecht, 1992. 63 Roxin, AT 3 , S.41. 64 Jakobs, AT 2 , S. 15. 65 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S.40; weshalb die absoluten Strafzwecktheorien besser als „Gerechtigkeitstheorien" bezeichnet werden. 66 Gropp, AT 2 , S. 34. 67 Siehe Maurach/Zipf AT 8 , S. 66. 68 Roxin, AT 3 , S.41. 69 BVerfGw om 4.7.1967-2 BvL 10/62-BVerfGE 22,125,132; BVerfG vom 21.6.1977 - 1 BvL 14/76-BVerfGE 45, 187, 255; siehe weiter auch bei Volk, ZStW 83 (1971), S.405. 70 Hierzu Müller-Dietz, S. 22 ff., der deshalb auch einen auf Empirie aufbauenden Strafbegriff favorisiert.
Β. Was ist Privatstrafe?
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Entwicklung, die bei der bloßen, weil ungezügelten Rache ihren Ausgang nimmt 71 , läßt sich über die vergeltende Talion, also die Reproduktion der Tat zum Nachteil des Täters 72, zur real-symbolischen Tatvergeltung73 - die äußere Bestrafung brachte die Mißbilligung der Tat zum Ausdruck - bis zur heute angewandten Schuldvergeltung 74 , die weniger die äußere Tat, als vielmehr die Schuld des Täters, also einen rein inneren Vorgang zum Anknüpfungspunkt nimmt 75 , verfolgen. Nach Kant sind die Gerechtigkeit und die Vergeltung a priori geltende Gesetze, die nicht durch „irgendwelche irdische Zwecke" 76 in Frage gestellt werden dürften, eine Auffassung, die er durch sein berühmtes Inselbeispiel drastisch unterstreicht 77 - fiat iustitia, et pereat mundus. Heute von größerer Relevanz ist das Argument, daß der freie Mensch niemals zu einem Mittel zum Zweck degradiert werden dürfe 78 - der Mensch muß folglich bestraft werden, gerade und nur weil er verbrochen hat 79 . Relative Strafzwecke stehen so im Widerspruch zum aufgeklärt-individualistischen Bild des Menschen: Man kann diesen nicht dadurch zum Objekt außerhalb der Tat machen, daß man seine Bestrafung als Exempel für andere einsetzt80 - willkürliches Strafen aber ist dem Begriff der Strafgerechtigkeit buchstäblich zuwider 81. Dann würde der Mensch zum „Gegenstand des Sachenrechts"82 und zum „Hund, gegen den man den Stock erhebt" 83. Für Hegel soll die Strafe das durch den Verbrecher negierte 84 und so in Frage gestellte Recht wieder herstellen 85. Und 71
Anders aber Ν agier, Die Strafe, S. 672 ff., der die grundsätzliche Gleichstellung von Rache und Vergeltung als „unausrottbare Verwechslung" bezeichnet. 72 Vgl. Ex. 21, 24; entgegen Ν agier, a. a. O., ist aber mit Jakobs zu Recht zu sagen, daß die Talion der erste Schritt zur „limitierten Rache" war, siehe AT 2 , S. 16. 73 Hierzu Müller-Dietz, S. 23. 74 Vgl. für „Schuldausgleich" als Strafgrund BGH vom 8.12.1970- 1 StR 353/70-BGHSt 24,40,42,44; BGH vom 27.10.1970-1 StR 423/70-BGHSt 24, 132,133. 75 Müller-Dietz, S.24. 76 Kant, Metaphysik der Sitten, Der Rechtslehre Zweiter Theil, EI, Vom Straf- und Begnadigungsrecht. 77 Kant, Metaphysik der Sitten, Der Rechtslehre Zweiter Theil, EI, Vom Straf- und Begnadigungsrecht. 78 Kant, Metaphysik, Der Rechtslehre Zweiter Theil, EI. 79 Kant, Metaphysik, Der Rechtslehre Zweiter Theil, EI. 80 Köhler, AT, S.45. 81 Kant, Metaphysik der Sitten, Anhang erläuternder Bemerkungen zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, Nr. 5. 82 Kant, Metaphysik, Anhang, Nr. 5. 83 Hegel, Grundlinien, §99. 84 So der berühmte Ausspruch Hegels von der Strafe als „Negation der Negation des Rechts", wenngleich dieser wohl nicht selbst von Hegel stammt, sondern vielmehr von seinem Schüler Eduard Gans in einem Anhang zu den Hegeischen Grundlinien gebraucht wurde, siehe hierzu Roxin, AT 3 , S.42 (FN 7). 85 „Vergeltung" versteht sich also im Rahmen der absoluten Straftheorien im eigentlichen Wortsinne: Die Verletzung der Rechtsordnung durch den Täter soll nicht mehr gelten, Gropp, AT 2 , S.32.
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Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
zwar durch den Täter selbst86 - hier kommt der Ausgleichsgedanke der Vergeltung zum Ausdruck. Der Gedanke der alleinigen Vergeltung als Strafzweck wird im heutigen strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum aber mehrheitlich abgelehnt87. Die Aufgabe des Strafrechts, nämlich der Rechtsgüterschutz88, ließe sich allein mit der Vergeltung nicht in Einklang bringen. Vergeltung müsse auch dort gefordert werden, wo Rechtsgüterschutz nicht möglich oder nicht nötig ist 89 , ebenso könne man ein Übel nicht durch ein anderes ausgleichen90. Der Mensch könne Vergeltung und damit Wiederherstellung der Gerechtigkeit nicht erreichen. Denn führte man die Strafe allein darauf zurück, daß sie Gerechtigkeit wiederherstellen soll, so hätte dies keineswegs einen so absoluten Charakter, der nur auf die Strafe und nur auf den Täter bezogen ist. Will man nämlich ein Verbrechen ausgleichen, so muß man festlegen, was ein Verbrechen ist; will man eine Negation des Rechts negieren, so muß man festsetzen, was Recht ist. Wie man dies aber „gerecht" bewerkstelligen will 9 1 , ist dunkel. Die Rechtsordnung würde übersteigert, sie kann die absolute Gerechtigkeit nicht leisten92. Hier liegt auch eine immense Gefahr: Bei der Festsetzung von strafwürdigen Handlungen kann es leicht zu Willkür kommen, ist aber einmal eine solche Handlung festgesetzt, so ist die Strafe dafür, wegen ihrer Absolutheit, schon per se gerechtfertigt 93. Rechtspraktisch gibt das Vergeltungsprinzip aber als Grundlage für die Schuldvergeltung 94 bei aller metaphysischen Unschärfe den Ausgangspunkt für das Maß einer zu verhängenden Strafe vor. Schwere von Schuld und Tat können als Maßstab für eine angemessene Strafe herangezogen werden. Damit ist die Schuldvergeltung gleichsam auch die Grenze für etwaige präventive Erwägungen 95. Unter die absoluten Straftheorien wird gemeinhin auch die Sühnetheorie gerechnet. Die Sühne als ursprünglich rein theologisches Phänomen ist weniger eine passive Sanktion an dem Täter, als vielmehr eine innere Leistung des Täters selbst. Ihm 86
Vgl. Hegel, Grundlinien § 100: „Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht nur an sich gerecht - als gerecht ist sie zugleich sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht; sondern sie ist auch ein Recht an dem Verbrecher selbst, d.h. in seinem daseienden Willen, in seiner Handlung gesetzt." 87 Roxin, AT 3 , S.43; wenngleich in jüngster Zeit Köhler die Strafe als Restitution eines gestörten Rechtsverhältnisses begreift, was notwendig Verbrechensausgleich sein müsse, AT, S.45. 88 Vgl. schon v.Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883), S.42ff. 89 Roxin, AT 3 , S.43. 90 Roxin, AT 3 , S.43 . 91 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S.44, spricht überspitzt von einer Neigung zu idealistischem Pathos hinsichtlich der Gerechtigkeitstheorien. 92 Schreiber, ZStW 94 (1982), S.281 genaue Seite; Jescheck/Weigend, AT 5 , S.71. 93 Roxin, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S.377, 378. 94 Müller-Dietz, S.24. 95 Roxin, JuS 1966, S.377, 378.
Β. Was ist Privatstrafe?
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soll durch die Bestrafung die Gelegenheit gegeben werden, zu sühnen, und zwar profan durch freiwilliges Ertragen des durch die Strafe auferlegten Leides96 die Aussöhnung mit der Gemeinschaft zu suchen - im theologischen Zusammenhang mit Gott, dem Mitmenschen und sich selbst. Diese Sühne soll den Rechtsbrecher „reinigen" 97 . Die Strafe wird ein Recht des Täters, sich zu bessern und die Allgemeinheit ist verpflichtet, diese Besserungsmöglichkeit zu ermöglichen 98 - sog. donatum poenitentiae". Der Sühnegedanke spielt jedoch in der heutigen Strafzweckdiskussion keine Rolle mehr: Sühne100 ist ein ebenso metaphysisches Phänomen wie Vergeltung - wenn man nicht beide Begriffe ohnehin synonym verwenden will. Die innerliche Besserung eines Delinquenten ist ohne weiteres zu wünschen, eine Legitimation für die Strafe kann sie wegen ihres Charakters als innerer Akt, der gar nicht zwangsweise herbeigeführt werden kann, nicht sein 101 . b) Relative Strafzwecke:
Speziai- und Generalprävention
Die Legitimation durch relative Strafzwecke 102 löst sich von der Fokussierung auf die Tat und bezieht außerhalb ihrer liegende Überlegungen mit ein. Diese im Grunde utilitaristischen Begründungen gehen davon aus, daß jede Tat „den Keim der Wiederholbarkeit" in sich trägt 103 . Die Strafe aber soll dazu führen, daß zukünftig ein gleiches Unrecht, wie es der Bestrafte begangen hat, nicht mehr begangen werden wird: punitur, ne peccatur. D. h. in seiner ursprünglichen Bedeutung, daß von der Begehung weiterer Taten abgeschreckt werden soll. Diese Abschreckung kann sich an zwei Adressaten richten: an den Bestraften selbst oder an die übrigen Rechtsgenossen. aa) Spezialprävention Die Spezialprävention hat zum Ziel, daß der bestrafte Täter zukünftig keine Straftaten mehr begeht, sondern sich rechtstreu verhält 104. Bezugsobjekt ist ausschließlich der Täter, nach dessen Verhalten und Person sich auch Art und das Maß der Strafe bestimmt. Nach dem Grad der individuellen Rückfallgefahr gibt es drei qualitativ verschiedene Stufen der Spezialprävention: Sicherung, Abschreckung und 96
Müller-Dietz, S. 27. Preiser, in: Mezger-FS, S.77. 98 Preiser, in: Mezger-FS, S. 77. 99 Hierzu Achter, S. 89. 100 Zum Ausdruck der Privatsühne siehe unten Teil 2 Β. II. 101 So auch Roxin, AT 3 , S. 44. 102 Zur Entwicklung siehe Hoffmann, S. 7 ff. und Jescheck/Weigend AT 5 , S. 69 ff. 103 So Walther, ZStW 1999, S. 130. 104 Siehe nur Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 53; Jakobs, AT 2 , S. 22. 97
Teil 1: Darstellung der Privatstrafe
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Besserung 105. Diese Elemente spielen auch in der heutigen strafrechtlichen Praxis eine wichtige Rolle 106 und haben auch positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden, § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB. Ziel der Strafe - durch den Strafvollzug 107 - ist letztlich die Resozialisierung des Täters. Eine nur auf spezialpräventiven Überlegungen aufbauende Straflegitimation begegnet allerdings durchgreifenden Bedenken108: Ihre ausschließliche Anwendung würde zu erheblichen Gerechtigkeitslücken führen 109 und zwar insbesondere dann, wenn von einem Straftäter in Zukunft auch ohne Strafe kein normbrecherisches Verhalten mehr zu erwarten wäre und somit überhaupt keine Resozialisierungsbedürftigkeit besteht110. Als Beispiel sei der aufgrund gewisser politischer Verhältnisse Normbrüchige 111 oder der aus Verzweiflung Handelnde genannt. Nach lediglich spezialpräventiver Einschätzung wäre eine Strafe überflüssig, allerdings wäre ein Unterlassen der Strafe aber gerade in diesen Fällen nicht hinnehmbar 112. Des weiteren läßt sich auch ein vermeintlich gerechtes Strafmaß auf diese Weise nicht finden: Auch für kleine Delikte müßte bei großer Wiederholungsgefahr eine schwere, vielleicht sogar unbegrenzte, Strafe ausgesprochen werden 113 - was dem Strafenden eine große, schwer zu überprüfende Strafmacht an die Hand gibt 114 ; ganz abgesehen von der Frage, ob es mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar ist, daß ein Mensch einer „Zwangserziehung" unterzogen wird 1 1 5 oder, daß er von 105 v. Liszt , der auch als Begründer der spezialpräventiven Lehre gilt, ZStW 3 ( 1883), 1,35 ff. (sog. „Marburger Programm"); vgl. dazu auch Maurach/Zipf, AT 8 , S. 83. 106 Vgl. nur BVerfG vom 5.6.1973 - 1 BvR 536/72 - BVerfGE 35, 202, 235; BGH vom 8.12.1970-1 StR 353/70-BGHSt 24,40,42. 107 Vgl. § 2 StVZG: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen." los Wobei die spezialpräventive Wirkung der Strafe empirisch durchaus überprüfbar ist, indem man die Rückfallquote betrachtet. Eine solche Empirie ist bei Vergeltungstheorie und Generalprävention nicht möglich, so daß diese sich im Grunde nur auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken können, dazu auch Albrecht, Spezialprävention angesichts neuer Tätergruppen, ZStW 97 (1985), S. 831 ff.; zur Empirie im Zusammenhang mit der Prävention siehe noch Bock, Prävention und Empirie - Über das Verhältnis von Strafzwecken und Erfahrungswissen, JuS 1994, 90. 109
Vgl. auch Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S.55. Roxin, AT 3 , S.48; Jakobs, AT 2 , S.25; Jescheck/Weigend, AT 5 , S.75; dieses Problem sah im übrigen auch v. Liszt , der einen Versuch der Besserung dieses Tätertyps als „durchaus zwecklos" bezeichnete, dann die Strafe gleichsam - und wenig konsequent - aber damit rechtfertigte, daß sie die Autorität des übertretenen Gesetzes wiederherstellen sollte, Der Zweckgedanke im Strafrecht ZStW 3 (1883), S.42. 111 Schmidhäuser nennt als Beispiel den KZ-Mörder der NS-Zeit, der sich nach dem Krieg stets untadelig verhalten hat, Vom Sinn der Strafe, S. 57; ebenso Roxin, JuS 1966, S. 377, 379. 112 Jescheck/Weigend, AT 5 , S.75. 113 Roxin, AT 3 , S.47; Jakobs, AT 2 , S. 25. 114 Roxin, JuS 1966, S.377, 379. 115 Siehe BVerfG 18.7.1967-2 BvF 3,4,5,6,7,8/62; 2 BvR 139,140,334,335/62 - BVerfGE 22, 180, 219: „Der Staat hat aber nicht die Aufgabe, seine Bürger zu „bessern" und deshalb 110
Β. Was ist Privatstrafe?
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der Rechtsgemeinschaft als unverbesserlich und deshalb strafbedürftig abgestempelt wird 116 . Die Spezialprävention kann also nicht der allein legitimierende Strafzweck sein. Wenngleich spezialpräventive Gedanken das Strafen richtig und heilsam beeinflus-
bb) Generalprävention Beziehen sich die spezialpräventiven Überlegungen zur Strafe allein auf den konkreten Täter der begangenen Straftat, so steht der potentielle Täter weiterer Straftaten im Blickpunkt der generalpräventiven Strafbegründungen. Gestraft wird, um andere von Straftaten abzuhalten. Nach dem negativen, „klassischen"118 Aspekt der Generalprävention heißt dies Abschreckung - die am Täter vollzogene Strafe soll als abschreckendes Beispiel von zukünftigen Straftaten abhalten119. Ursprünglich basierte der generalpräventive Strafzweck darauf, daß man sich die Entscheidungssituation eines potentiellen Straftäters vorstellte: Bei dem Kampf zwischen „guten und bösen" Absichten könne man durch die Androhung von Strafe für den Fall der Verwirklichung der Tat der „besseren" Seite zum Siege verhelfen 120. J.P.A. Feuerbach entwickelte diese psychologische Zwangstheorie 121, die freilich heute widerlegt ist, da man nicht davon ausgehen kann, daß im Straftäter vor der Tat wirklich ein solch rationaler Vorgang wie der des Abwägens zwischen Gut und Böse stattfindet 122. Im Anschluß an Feuerbach vertrat - allerdings selten erwähnt 123 - auch Schopenhauer einen modernen, generalpräventiven Standpunkt. Verweisend auf Plato , Seneca und vor allem Hobbesm, hatte er als alleinigen Zweck des Strafrechts die „Abschreckung von Beeinträchtung(en) fremder Rechte" gesehen125. Der Staat hat - vor allem durch die Strafe - den Einzelnen vor Schädigungen zu schützen126. auch nicht das Recht, ihnen die Freiheit zu entziehen, nur um sie zu „bessern", ohne daß sie sich selbst oder andere gefährdeten, wenn sie in Freiheit blieben." 116 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S.59. 117 Auch Schmidhäuser, Vom Sinn des Strafens, S.60; Roxin, JuS 1966, S.377, 379. 118 Zip/, in: FS-Pallin, S.479, 483. 119 Gropp, AT 2 , S.35. 120 Vgl. J.P.A. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts; auch Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, 1799, 1800. 121 Zu ihr näher: Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962. 122 Roxin, AT 3 , S.50. 123 Vgl. aber: Hoerster, Akuelles in Arthur Schopenhauers Philosophie der Strafe, ARSP 1972, S. 555 ff. und ders., Zur Verteidigung von Schopenhauers Straftheorie der Generalprävention, in: FS Arthur Hübscher, 1972, S. 101, auf diesen verweisend auch Roxin, AT 3 , S.49. 124 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I, Viertes Buch § 62 a. E. 125 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Ergänzungen zum vierten Buch, Zur Ethik, Kap. 47, 3: „Dem Strafrecht sollte, nach meiner Ansicht, das Prinzip zu Grunde lie-
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Teil 1: Darstellung der Privatstrafe
Für die generalpräventive Strafbegründung spricht, daß sie vor dem Hintergrund des Rechtsgüterschutzes erklären kann, warum auch ein nicht rückfallgefährdeter Täter bestraft werden muß - von dem Verzicht auf Prognosen hinsichtlich solcher Rückfallgefahr zu schweigen127. Da für den Abschreckungseffekt klare, eindeutige Strafandrohungen von Nöten sind, setzt sich die Generalprävention auch nicht der Gefahr der Unbestimmtheit aus. Gegenüber dem Strafgrund der Vergeltung heben die Vertreter der Generalprävention hervor, daß der Zweck der Strafe für den Rechtsgüterschutz letztlich den Unterschied zur Rache ausmache128. Allerdings konnte die Theorie der reinen Generalprävention maßgebliche Einwände nicht ausräumen: Sie gibt kein Maß für die Strafe vor. Welches Strafmaß zur Abschreckung notwendig und ausreichend ist, läßt sich nicht empirisch feststellen - hier besteht die Gefahr der Willkür 129 . Gleiches gilt, wenn es darum geht, von was überhaupt abgeschreckt werden soll 130 . Außerdem ist es nach wie vor problematisch, warum ein Täter zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes anderer leiden soll - dies gilt noch mehr als bei der Spezialprävention, denn bei dieser soll der Täter immerhin einen persönlichen Nutzen aus der Strafe ziehen131. Diesen Einwänden ist auch die heute im Vordergrund stehende132 - namentlich von Jakobs begründete 133 - Variante der Generalprävention ausgesetzt. Nach dieser positiven oder Integrationsprävention soll der Sinn der Strafe darin liegen, daß die Rechtsgemeinschaft in ihrem Normvertrauen gefestigt wird, wenn sie sieht, daß ein Normbrecher seine „verdiente Strafe" erhält. Dieser positive Aspekt läßt sich nach Roxin wieder in verschiedene Zielrichtungen 134 teilen: Es soll Rechtstreue eingeübt 135 , Vertrauen in die Rechtsdurchsetzung und damit Rechtsordnung geschaffen 136 gen, daß eigentlich nicht der Mensch, sondern nur die Tat gestraft wird, damit sie nicht wiederkehre: der Verbrecher ist bloß der Stoff, an dem die Tat gestraft wird; damit dem Gesetze, welchem zufolge die Strafe eintritt, die Kraft abzuschrecken bleibe. Dies bedeutet der Ausdruck: „Er ist dem Gesetze verfallen." Die Spezialprävention lehnt Schopenhauer ab, da er den „moralischen Charakter" als unveränderlich ansieht und sich dagegen ausspricht, den „Spitzbuben" „palastähnliche Gefängnisse" als Erziehungsanstalten zu bauen, a. a. Ο. 126 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I, Viertes Buch, § 62. 127 Roxin, AT 3 , S.51. 128 So schon Schopenhauer. Die Welt als Wille und Vorstellung I, Viertes Buch, §62: „Alle Vergeltung des Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes ohne Zweck für die Zukunft ist Rache und kann keinen anderen Zweck haben, als durch Anblick des fremden Leidens, welches man selbst verursacht hat, sich über das selbst erlittene zu trösten." 129 Roxin, AT 3 , S. 52. 130 Roxin, AT 3 , S.380. 131 Siehe auch Roxin, AT 3 , S. 53. 132 Zipf, in: FS-Pallin, 1989, S.479, 481,485. 133 Vgl. Jakobs, AT 2 , S.5; aber auch schon Welzel, Deutsches Strafrecht, 1969, S.3f. 134 Nach Zipf, in: FS-Pallin, S. 484, bestehen zwei zu unterscheidende Zielrichtungen der positiven Generalprävention: Normdurchsetzung und Normakzeptanz. 135 Jakobs, AT 2 , S. 13. 136 Roxin, AT 3 , S.51.
Β. Was ist Privatstrafe?
29
und schließlich die Rechtsgemeinschaft befriedet werden: Der Täter ist bestraft, Ruhe kann wieder eintreten 137. Die Strafe gilt somit der Einübung von Normvertrauen 138. Freilich nähert sich insbesondere Jakobs der hegelianischen, absoluten Straftheorie an: Denn von der Bestätigung der Rechtsordnung als Grundlage für das Normvertrauen der Rechtsgenossen hin zur Rechtsbestätigung durch die „Negation der Negation" ist es - wenn überhaupt - nur ein kleiner Schritt. cc) Vereinigung der Strafzwecke in der strafrechtlichen Praxis Der Legitimationsstreit ist in der Praxis nicht für eine Straftheorie entschieden, er ist eingestellt. Von der Notwendigkeit einer Strafe überhaupt ausgehend, werden in den sogenannten Vereinigungstheorien die verschiedenen Legitimationsaspekte zusammengefügt. Die scheinbar konträren Strafzwecke Schuldausgleich, Speziai- und Generalprävention werden in Einklang gebracht. Sieht man die generalpräventive Zwecksetzung insbesondere bei der Androhung der Strafe durch das Gesetz als im Vordergrund stehend an, so kann man bei Verhängung der Strafe auf die Schuld nicht verzichten - weder bei der Feststellung des Ob, noch bei der Festlegung des Wie der Sanktion139. Dabei soll das Maß der Schuld die präventiv begründete Strafe begrenzen helfen. Gleichsam bereitet es Schwierigkeiten, eine der Schuld angemessene Strafe letztlich zu bestimmen140. Nach der Punktstraftheorie gibt es nur eine angemessene Strafe, es wird aber als unmöglich gesehen, diese zu finden 141. Nach der - herrschenden Spielraumtheorie 142, dagegen gibt es mehrere schuldangemessene Strafen, durch sie wird dem Tatrichter ein Spielraum eröffnet, den er „nach seinem Ermessen" 143 nutzen kann. Nur darf er den gegebenen Rahmen weder unter- noch überschreiten. Innerhalb dieses Spielraums ist bei Verhängung der Strafe Platz für präventive Überlegungen. Der Gesetzgeber ist in § 46 StGB der Spielraumtheorie gefolgt. Wenn das Präventionsbedürfnis derart groß ist, daß es mit dem Schuldprinzip nicht mehr in Einklang zu bringen ist - insbesondere bei Schuldunfähigkeit des Tä137
Roxin, AT 3 ,S.51. Jakobs, AT 2 , S. 13. 139 Vgl. Mir Puig, Die begründende und begrenzende Funktion der positiven Generalprävention, ZStW 102 (1990), S.913, 915. 140 Insgesamt hierzu Grasnick, Über Schuld, Strafe und Sprache, 1987. 141 Heinitz, Der Entwurf des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches vom kriminologischen Standpunkt aus, ZStW 70 (1958), S.5. 142 BGH vom 10.11.1954 - 5 StR 476/54 - BGHSt 7, 28, 32; BGH vom 4.8.1965 - 2 StR 282/65-20,264,267;£G//vom 27.10.1970-1 StR 423/70-BGHSt 24,132,133;£G//vom 17.9.1980 - 2 StR 355/80 - 29, 319, 320; BGH vom 29.4.1987 - 2 StR 500/86 - NJW 1987, 2685, 2686; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 1990, S. 127 f. m. w. N. 143 BGH vom 10.11.1954 - 5 StR 476/54 - BGHSt 7, 28, 32. 138
30
Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
ters - greift als Ausdruck der Zweispurigkeit des strafrechtlichen Sanktionensystems eine schuldunabhängige Maßregel 144. Die Probleme sowohl bei der Legitimation der Strafe, als auch bei der konkreten Verhängung konnten im Rahmen dieser kurzen Darstellung nur gestreift werden. Gleichwohl sollten die grundlegenden Gedanken aufgezeigt werden, um eine Ausgangsbasis für die Beurteilung einer privaten Strafe zu haben.
3. Die private Strafe
a) Offensichtliche
Unmöglichkeit einer privaten Strafe?
Das Rechtsinstitut Strafe wird als staatliche Sanktion heute fast ausschließlich dem Strafrecht zugeschrieben. Will man die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Strafe beurteilen, so ist zunächst zu fragen, ob es außerhalb des staatlichen Kriminalstrafrechts überhaupt etwas geben kann, das in Funktion und Phänomenologie der Strafe gleicht. Nicht, ob innerhalb des Zivilrechts eine Strafe möglich ist, muß also zunächst klargestellt werden, sondern ob sie überhaupt außerhalb des Strafrechts denkbar ist. Ist also eine Strafe denkbar, die nicht von dem Subordinationsverhältnis von Staat auf der einen und Bürger auf der anderen Seite abhängig ist? Ein Blick in die Rechtsgeschichte145 lehrt, daß es Strafe vor jeder verfassten Staatlichkeit gab, die Strafe mithin genuin ein Instrument ist, das auch auf der Stufe der Gleichordnung eingesetzt wurde. Neben diesen rechtshistorischen Überlegungen von größerer Bedeutung ist aber, daß die Wirkungen und Funktionen einer Strafe keinesfalls nur im Verhältnis Staat und Bürger eine Rolle spielen. Daß eine Belastung als zwangsläufige Folge eines Normbruches auferlegt wird, findet sich im Zivilrecht als durchgängige Sanktion, insbesondere bei der Verpflichtung zum Schadensersatz. Und auch die möglichen Funktionen der Strafe, nämlich Repression und Prävention, sind außerhalb des Strafrechts nicht unbekannt, was man zivilrechtlich etwa an der Vertragsstrafe und am Unterlassungsanspruch erkennen kann. Somit sind die einzelnen Wirkungen einer strafenden Sanktion nicht davon abhängig, ob sie darauf aufbauen, daß die strafende Seite stets der übergeordnete Staat ist. Ob freilich das Zivilrecht für ein Institut der Privatstrafe geeignet ist, ist eine andere, nachfolgend gerade zu untersuchende Frage. Eine bestrafende Sanktion ausschließlich dem Staat vorzubehalten, scheint aber zumindest voreilig.
144 145
Hierzu allgemein Roxin, AT 3 , S. 63 ff. Siehe hierzu unten Teil 1 C.; siehe auch Hess, Die Vertragsstrafe, S. 184 f.
Β. Was ist Privatstrafe?
31
b) Die vollkommene Privatstrafe Die vollkommene Privatstrafe 146 zeichnet sich im Grunde dadurch aus, daß man, den Typus der modernen Kriminalstrafe vor Augen, den strafenden Staat durch einen strafenden Dritten ersetzt, der dem Täter auf derselben rechtlichen Ebene gegenübersteht. Eine rechtlich anerkannte Beeinträchtigung dieses Dritten durch den Täter vorausgesetzt, charakterisieren die vollkommene Privatstrafe folgende Elemente: Die Bestrafung hängt alleine vom Verletzten ab; Art und Maß der Strafe bestimmt allein der Verletzte; dieser vollstreckt die Strafe selbst. Und als letzter Punkt: Das mit der Strafe verbundene Übel des Täters wird zum unmittelbaren Vorteil des Verletzten selbst147. Ob dieser Vorteil materiell oder immateriell ist, mag für die vollkommene Privatstrafe dahingestellt bleiben. Das mittlerweile scheinbar abgeschlossene „Absterben der Strafe" 148 darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine der vollkommenen sehr nahe kommende Art der Privatstrafe lange Zeit im römischen, aber vor allem im deutschen Recht die einzige oder zumindest grundsätzliche Strafart war. Erst die Entwicklung des modernen Staates führte allmählich zur heutigen Kriminalstrafe. Gleichsam ist eine solche vollkommene Privatstrafe in der heutigen rechtsstaatlichen Ordnung nicht mehr tolerierbar 149: Die Festlegung einer Strafe in Art und Maß, sowie ihre Vollstreckung kann nicht losgelöst von zumindest staatlicher Kontrolle geschehen. Dies gründet darin, daß der Schuldner nicht zum Objekt des Gläubigers wird, er ist nicht dessen Herrschaft unterworfen, sondern der Herrschaft der objektiven Rechtsordnung 150. Ebenso trägt hier die Idee des Rechtsfriedens. Eine eigenständige Vollstreckung, also ein Selbsthilferecht, kann grundsätzlich 151 nicht hingenommen werden, weil ein solches Recht die gewaltlose Streitbeilegung eher hintertreiben denn unterstützen würde 152 . Die Vollstreckungsgewalt hat folglich alleine der Staat, nicht aber der private Gläubiger, der gegen den Staat nur einen Zwangsvollstreckungsanspruch hat. Gleichwohl gilt es zu hinterfragen, welche Merkmale einer „modernen" Privatstrafe grundsätzlich denkbar sind.
146 147
Vgl. den Ausdruck von Großfeld, S. 9. Großfeld, S. 9; J. Schmidt, Schadensersatz und Strafe, S.41; Müller, Punitive damages,
S. 55. 148
So v.Ihering, Schuldmoment, S.4. So auch Großfeld, S.9; ihn bestätigend Löwe, S. 147 (FN513); ebenso P. Müller, Punitive damages, S. 55. 150 Larenz, SchR AT 1 4 , § 2 II, S. 16. 151 Siehe die Ausnahmen der §§229f., 562b, 859 BGB. 152 Vgl. BVerfG vom 11.6.1980 - 1 PbvU 1/79 - BVerfGE 54, 277, 292. 149
32
Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
c) Struktur einer modernen Privatstrafe Bei einer Privatstrafe steht zu Beginn ein Rechtsbruch und am Ende eine Verpflichtung des Rechtsbrechers zu einer Leistung an das Opfer. Es entsteht zwischen Täter und Opfer ein Schuldverhältnis mit dem Inhalt der Verpflichtung zur Strafleistung. Diese Verbindung von Schuldner und Gläubiger macht die Privatstrafe zu einem zivilrechtlichen Institut. Würde die Strafe vom Richter verhängt und dem Opfer lediglich zugesprochen, ohne daß dieses einen zivilrechtlichen Anspruch hätte, so wäre der Boden des Zivilrechts verlassen. Will man die dogmatische Struktur der Privatstrafe freilegen, so muß man zeigen, wann der Anspruch auf Leistung der Strafzahlung und damit das Privatstrafschuldverhältnis entsteht. Hierbei ist es nicht damit getan, auf den Zeitpunkt der unrechtmäßigen Handlung abzustellen, wie dies beim Schadensersatz der Fall ist: Dort entsteht das Schuldverhältnis, das zum Schadensersatz verpflichtet, zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung. Bei der Privatstrafe kann man auf diesen Zeitpunkt nicht abstellen, denn eine Strafe muß verhängt werden. Bei der Kriminalstrafe geschieht dies durch den Richter. Für die Verhängung der Privatstrafe kann es keinen Automatismus geben. Dies leitet sich schon aus den potentiellen Strafzwecken ab. Sowohl bei einer an die absoluten Strafgründe angelehnten wie auch bei einer der Prävention verpflichteten Privatstrafe kann es eine von vornherein feststehende Strafe nicht geben153. Sie hängt immer vom konkreten Fall ab: Einmal wäre entscheidend, wie groß das verwirklichte Unrecht war, zum anderen, welche Art und welches Maß der Strafe zu präventiver Wirkung führt. Wie die Kriminalstrafe dem Strafanspruch des Staates entspringt, so muß bei der Privatstrafe gelten, daß allein das Opfer eines zivilrechtlichen Normbruches einen Strafanspruch hat 154 . Diese Terminologie ist freilich recht ungeschickt, denn es werden öffentlich-rechtliche Begriffe unversehens in das Zivilrecht übernommen. Besser wäre es hier, von einem „Recht zu Strafen" zu sprechen 155: Denn es geht nicht darum, von einem anderen - etwa dem Staat - die Bestrafung zu fordern, und diese Bestrafung dann - eben weil ein Anspruch auf Bestrafung bestünde - ausgesprochen zu erhalten, vielmehr muß dem Privatstrafenden im Grunde ein Recht, selbst zu strafen zugestanden werden. Aus der Privatstrafe selbst erwächst schließlich ein Anspruch des Strafenden gegen den Bestraften auf die Leistung der Strafe 156. 153
Dies wäre ein Unterschied zum Schadensersatz: Dieser Anspruch entsteht in der Regel, wenn auch der Schaden entstanden ist; und er entspricht grundsätzlich genau der Schadenshöhe. Einer Festsetzung der Höhe des Schadensersatzanspruches bedarf es nicht. Zum immateriellen Schaden siehe unten, Teil 2 Β. IV. 2. 154 So gemeinhin die Terminologie, vgl. etwa bei Löwe, S. 147: Die Privatstrafe sei „Ausdruck eines privaten Strafanspruches"; ebenso Großfeld, S. 121. 155 Vgl. auch Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 238, wonach bei der Privatstrafe „die Verfolgung der Tat ganz vom Verletzten abhängt." 156 Deshalb ist es unrichtig, die Privatstrafe als bloßes „Ordnungsgeld ohne gerichtlichen Titel" zu bezeichnen, so aber Stürner, AfP 1998, S. 1, 7.
Β. Was ist Privatstrafe?
33
Bei Lichte betrachtet ergeben sich für die Entstehung eines Anspruches aus Privatstrafe drei Schritte: Die grundsätzliche zivilrechtliche Strafwürdigkeit eines Normverstoßes, die Festsetzung oder gleichsam Verhängung der Strafe und schließlich der Anspruch auf Leistung der festgesetzten Strafe. aa) Zivilrechtliche Strafwürdigkeit Die zivilrechtliche Strafwürdigkeit ist der Ausgangspunkt für die Privatstrafe. Dabei ist der spezielle zivilrechtliche Aspekt darin zu sehen, daß die Privatstrafe eine Rechtsverletzung zwischen zwei Privatrechtssubjekten sanktioniert. Strafrelevant und strafbegründend ist also der Eingriff in den Rechtskreis des Opfers. Anders ist es dagegen bei der Kriminalstrafe. Hier wird die Strafwürdigkeit einer Verhaltensweise vom Verhältnis des Täters zur Rechtsgemeinschaft bestimmt - woraus sich letztlich auch der strafrechtliche Unrechtsvorwurf an den Täter ergibt 157 . Die zivilrechtliche Strafwürdigkeit, also das Recht des von einem Normbruch Betroffenen zu strafen, darf dem Strafenden nicht aus einer zuvor getroffenen Vereinbarung mit dem zu Bestrafenden erwachsen 158. Damit von einer echten Strafe überhaupt die Rede sein kann, muß ihre Verhängung vom Willen des zu Bestrafenden unabhängig sein. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn zuvor eine „Strafvereinbarung" 159 getroffen wurde, auf deren Grundlage der Strafende dann eine Strafe ausspricht. Die Strafwürdigkeit muß sich folglich aus dem Gesetz ergeben. Es läge ein gesetzliches Rechtsverhältnis vor mit dem Inhalt, daß das Opfer eines Normbruches bei Vorliegen der Voraussetzungen der zivilrechtlichen „Strafnorm" das Recht hat, den Täter zu bestrafen und gegen ihn eine Strafe festzusetzen: So faktisch nach BGHZ 128, 1 bei der Zwangskommerzialisierung einer fremden Person 160. bb) Verhängung der Strafe Für die Verhängung der Privatstrafe - bei Vorliegen der Strafwürdigkeit - kommen mehrere Modelle in Betracht: Bei dem ersten, der vollkommenen Privatstrafe am nächsten kommenden Modell, läge das „ob" und das „wie" der Strafe in der Hand des Strafenden: Die Verhängung der Strafe wäre als ein kreatives, gestaltendes Recht auf dessen Seite zu sehen - im Recht der Vertragsstrafe ist dies mit dem Fall zu vergleichen, daß die Vertragsstrafe nicht verwirkt, sondern nach Vereinbarung der Vertragsparteien durch 157
Siehe oben Teil 1 E.I. So aber Löwe, S. 147. 159 Zur Vertragsstrafe ausführlich noch unten, Teil 2 Α. II. 1. und Teil 2 A. III. 3. a). 160 Seitz, NJW 1996, S. 2848, 2849, der meint, der BGH habe praktisch die Strafbarkeit der vorsätzlichen Persönlichkeitsrechtsverletzung eingeführt. 158
3 Klumpp
Teil 1: Darstellung der Privatstrafe
34
den Gläubiger gemäß § 315 BGB festgesetzt werden soll 161 . Der Gläubiger legt fest, ob gestraft werden soll und grundsätzlich auch Art und Maß der Strafe. Das Recht zur Privatstrafe, das sich aus der zivilrechtlichen Strafwürdigkeit ergibt, würde durch Gestaltungsrecht ausgeübt162. Die Grenzen der Strafe würden entweder durch den konkreten Strafzweck der speziellen Privatstrafnorm, durch einen speziellen richterlichen Gestaltungsakt wie im Falle des § 343 BGB oder durch das Prinzip von Treu und Glauben gezogen. Das zweite Modell - wie sie der actio iniuriarum wegen Ehrverletzung des klassisch-römischen und gemeinen Rechts zugrunde lag 163 - bedürfte zur Festlegung der Strafe einer dritten, richterlichen oder schiedsrichterlichen Instanz: Diese würde dann Art und Maß der Privatstrafe festsetzen und die konkrete Strafe verhängen - entsprechend dem Leistungsbestimmungsrecht eines Dritten nach §§ 317 ff. BGB. Prozeßrechtlich müßte der Bestrafende eine Gestaltungsklage erheben 164, durch den Richterspruch käme es dann zur Konkretisierung des Privatstraf(schuld-) Verhältnisses. Der Verletzte hätte hier ein Recht auf Festsetzung der Strafe durch das Gericht. Freilich findet sich auch dahinter ein subjektives Recht auf Bestrafung. Dies ist das Modell, das der BGH - den Gepflogenheiten beim Schmerzengeld folgend - auch im Falle der Zwangskommerzialisierung anwendet, wenn er als Bemessungsfaktor die Prävention in den Vordergrund stellt: die Höhe der Entschädigung wird durch den Richter festgesetzt. Ebenso käme in Betracht, die zu verhängende Strafe an den durch den Rechtsbruch eingetretenen Schaden zu koppeln, wie dies auch im klassischen römischen Recht zu finden ist 165 . Dort kannte man Privatstrafklagen, die auf den vierfachen oder doppelten Wert einer zerstörten Sache gerichtet waren 166. Die Frage, ob eine Strafe schließlich verhängt werden soll oder nicht, läge aber bei allen Modellen alleine in der Hand des Opfers. Nur wenn dieser unabhängig von Dritten über das Ob der Strafe entscheiden kann, ist von einer echten Privatstrafe zu sprechen - auch in dem Sinne, als die Bestrafung Ausdruck der Privatautonomie des Opfers ist. Hier liegt denn auch ein Unterschied zu den Antragsdelikten und dem 161
Vgl. Stmdmgcr-Rieble (2001), §343 Rn.91 ff. Vgl. hierzu allgemein Seckel, Besinnung auf das Gestaltungsrecht und das Gestaltungsklagerecht, 1903; und Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 1964. 163 Siehe Wieling, Interesse und Privatstrafe, S.240. 164 Vgl. hierzu auch Bötticher, AcP 158 (1959), S. 385,399, der zum selben Ergebnis für das von der Genugtuungsfunktion dominierte Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzung kommt, das sich aus seiner ablehnenden Sicht in „unmittelbarer Nachbarschaft" zur Buße befindet. Hier ergäbe sich der Schmerzensgeldanspruch nicht, wie es eigentlich bei einem Schadensersatzanspruch der Fall sein sollte, unmittelbar durch die schadenstiftende Handlung, sondern erst durch das einer Klage stattgebende Urteil. Zur Problematik der Genugtuungsfunktion siehe noch unten, Teil 2 B. 165 Siehe dazu unten Teil 1 C. II. 166 Siehe auch Wieling, S. 240. 162
Β. Was ist Privatstrafe?
35
Privatklageverfahren im Strafprozeß. Zwar ist in diesen Fällen die staatliche Bestrafung auch von einer Initiative des Opfers abhängig, Inhaber des „Strafanspruches' 4 und damit des Rechtes zu strafen ist aber letztlich der Staat. Bei ihm liegt die Herrschaft über das Verfahren 167. Das Recht der Bestrafung kann also auch durch Verzicht auf das Recht zu Strafen durch den Berechtigten ausgeübt werden 168. Die Ausübung hätte in den für Gestaltungsrechte allgemein geltenden Regelungen zu erfolgen. Ebenso kann nach § 397 BGB durch Forderungsverzicht auf die sich aus dem Privatstrafschuldverhältnis ergebende Forderung verzichtet werden - und zwar selbst dann, wenn die Strafhöhe noch nicht feststeht, denn auch auf zukünftige und noch nicht bestimmte Forderungen kann verzichtet werden 169. Ein Verzicht nach § 397 BGB setzt freilich eine Einigung mit dem Schuldner voraus. Korrespondierend mit dem gestaltenden Recht der Privatstrafe ist das zwangsläufige Ausgeliefertsein des Bestraften. Er hat - bei rechtmäßiger Ausübung des Strafrechtes - keine Möglichkeit zur Abwendung, er ist der Rechtsmacht des Strafenden unterworfen 170 - und zwar ohne daß dies vorher einer dahingehenden Vereinbarung bedurft hätte. cc) Der Anspruch aus Privatstrafe Durch die Ausübung des Rechts zur Privatstrafe entsteht der Anspruch des Strafenden auf die Leistung der Strafe - der mit der Leistung verbundene Nachteil des Bestraften wird so zum unmittelbaren Vorteil des Strafenden 171. Aus dem Privatstrafverhältnis wird ein außervertragliches Schuldverhältnis mit dem Inhalt der Privatstrafleistung. Gegenstand der Leistung müßte keineswegs nur die Zahlung einer Geldsumme sein. Grundsätzlich käme hier jede andere Leistung - in den allgemein167
Was sich auch daran zeigt, daß bei den Antragsdelikten die Bestrafung zwar grundsätzlich vom Stellen eines Strafantrages abhängt und das Strafverfahren bei Rücknahme des Antrages gemäß § 77 d Abs. 1 StGB wegen eines Verfahrenshindernisses nach §§206 a, 260 Abs. 3 StPO einzustellen ist; allerdings gibt es für die große Mehrheit der Antragsdelikte die Möglichkeit der Verfolgung auch ohne Strafantrag - und folglich auch bei Rücknahme des Antrages - , wenn eine besonderes öffentliches Interesse gegeben ist, so in den Fällen der §§182 Abs. 3, 183 Abs. 2, 230 Abs. 1, 248 a, 257 Abs. 4, 259 Abs. 2, 263 Abs. 4, 265 a Abs. 3, 266 Abs. 2,266b Abs. 2,301 Abs. 1,303 c StGB. Siehe auch bei der Beleidigung § 193 StGB. Keine Klausel zur Verfolgung bei Vorliegen eines besonderen Interesses sehen lediglich die §§247 (Haus- und Familiendiebstahl), 292 (Jagdwilderei), 293 (Fischwilderei) StGB vor. Auch beim Privatklageverfahren nach §§ 374 StPO kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren jederzeit übernehmen, wenn sie dies für geboten hält, § 377 Abs. 2 StPO. 168 Zum Verzicht auf Gestaltungsrechte siehe ausführlich Staudinger-/?/e£/e (1999), §397 Rn. 62. 169 Staudinger-Rieble (1999), §397 Rn.95 und 126. 170 Vgl. auch Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, S.7ff. 171 So auch schon Großfeld, S. 9. 3*
Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
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gesetzlichen Grenzen - ebenso in Betracht. Nur der Zweck der Strafe hätte Einfluß auf den Inhalt der Verpflichtung. Bei der Durchsetzung und Vollstreckung der Strafe ist der Strafende - wie bei jeder anderen Forderung auch - auf den Zivilrechtsweg angewiesen. Das sich aus der Verhängung der Strafe durch den Berechtigten ergebende gesetzliche Schuldverhältnis wäre denn auch die causa für die Privatstrafeleistung. Diese wäre kondiktionsfest und könnte nicht mehr vom Bestraften zurückgefordert werden. dd) Legitimation durch Strafgrund Ob eine solche Privatstrafe als Rechtsgrund wirklich Anerkennung finden kann, hängt davon ab, welchen Zwecken sie dienen soll und ob diese Zwecke als Legitimation einer Vermögensverschiebung vom Bestraften auf den Strafenden ausreicht 172 . Sowohl bei der Ausübung der Bestrafung durch richterlichen Gestaltungsakt, als auch durch Gestaltungsrecht des Opfers muß diese einseitige Rechtsmacht, die entscheidend in einen fremden Rechtskreis eingreift, legitimiert werden 173. Mehr noch als bei einem klassischen Gestaltungsrecht kommt es auf diese Legitimation des Eingreifenden an: Denn der Bestrafende unterwirft sich nicht freiwillig, wie er dies bei der Vereinbarung eines Rücktrittsrechtes und im Grunde auch bei jedem aus einem Vertragsverhältnis sich ergebenden Gestaltungsrechtes macht 174 . Bei der echten Privatstrafe, will man sie konsequent handhaben, wird er vielmehr unterworfen. Die Funktionen, die man mit der Verhängung einer Privatstrafe verfolgen kann, gleichen im Grunde denen einer Kriminalstrafe: Zum einen die absolut zu begründende Privatstrafe, die Vergeltung, Sühne oder Genugtuung für das begangene Unrecht herstellen will, zum anderen sind auch relative, also präventive Funktionen in Betracht zu ziehen; hier ist an die Spezialprävention zur Abschreckung des konkreten Täters von der Wiederholung der Tat aber auch an die Generalprävention als Möglichkeit der Verhinderung weiterer Rechtsbrüche von Seiten Dritter zu denken. Diese Funktionen im Zusammenhang der Privatstrafe und ihre systematische Konvergenz im Zivilrecht und ihre Anwendung auf die Rechtsbeziehung der Beteiligten gilt es im folgenden zu untersuchen. II. Zusammenfassung Somit läßt sich, was unter einer modernen, echten Privatstrafe zu verstehen ist, wie folgt umreißen: Privatstrafe ist die Auferlegung eines zivilrechtlichen, durch ei172 173 174
So auch Bunte, in: FS Giger, S. 55, 57. Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung, S.4. Hierzu Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung, S.7.
C. Die Privatstrafe im historischen Überblick
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nen Strafgrund legitimierten Übels, dessen Festsetzung gegenüber dem Bestraften von demjenigen abhängt, gegen den sich ein Normbruch des Bestraften gerichtet hat. Aus der Privatstrafe leitet sich ein Anspruch des Strafenden auf die Leistung der Strafe ab, diese kommt dem Strafenden unmittelbar zugute.
C. Die Privatstrafe im historischen Überblick I. Germanisches Recht Anfänglich - und entsprechend der oben gezeigten Ur-Situation der Strafe - war auch im germanischen Recht die Reaktion, die begangenem Unrecht folgte, eine „private" und keine Angelegenheit der Gemeinschaft. Sie wurde aber dadurch aus dem ursprünglichen Verhältnis Täter - Opfer gerissen, daß aus der Strafe als Rache des Opfers schließlich eine Blutfehde zwischen den einzelnen Familien- und Sippenverbänden wurde und so auch weitere Personen einbezogen wurden. Der Beistand für die unmittelbar Beteiligten war für die Sippe des Täters wie des Opfers heilige Pflicht 175 , die Reaktion war an keine Angemessenheitsvoraussetzung gebunden und führte meist zum Tode des Täters oder eines anderen Sippenmitgliedes176. Diese Reaktion war eine vollkommene Privatstrafe. Da aber Rache eine absolut heilige Pflicht war, folgte auf diese wiederum eine strafende Reaktion. Folge dieser letztlich selbstzerstörerischen Fehden war die Herausbildung des Mann- oder Wergeides177, das bei Tötung eines Mannes an die verbliebene Sippe zu entrichten war 178 . Die Zahlung des Wergeides war Genugtuung und Ausgleich für die Tötung 179 - bei anderen als Tötungsdelikten orientierte sich die Buße am Wergeid 180. Konnte der Täter selbst nicht bezahlen, so mußten die Angehörigen seiner Familie oder Sippe für das Wergeid aufkommen. Im Grunde wurde damit schon von der vollkommenen Privatstrafe abgerückt, da der Strafende nicht mehr gänzlich frei war in der Festsetzung der Strafhöhe, denn mit dem Wergeid war das Strafmaß vorherbestimmt 181. Damit übernahm das Wergeid eine Befriedungsfunktion 182, es war der Kaufpreis für den Abkauf der Rache und den Erhalt des Friedens unter den einzelnen Sippen183. Dies lag im Erhaltungs175
Mitteis-Lieberich, Kap. 9, S.38. Mitteis-Lieberich, Kap. 9, S. 38. 177 Zum Einfluß der christlichen Lehre auf die Herausbildung des Wergeides siehe Nehlsen, in: FS Thieme 1983, S. 3 ff. 178 Vgl. KroeschelU Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S.47f. 179 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 78. Wobei es grundsätzlich nicht auf irgendein Verschulden des Täters ankam: „Die Tat tötet den Mann.", Mitteis-Lieberich, S.43. 180 Siehe bei Kroeschell, S.47f. 181 Beispiele für Wergeidkataloge finden sich bei Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S.50ff. 182 Gotthardt, S. 336. 183 Rüping, ZStW 85 (1973), S.671, 675; Eisenhardt, S.78. 176
Teil 1 : Darstellung der Privatstrafe
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interesse der übergeordneten Stammes- und später Rechtsgemeinschaft 184. Allerdings zog sich der Kampf gegen die Fehde bis ins späte Mittelalter hin 185 . Im Laufe der Zeit wurde das Wergeid vom Richter festgesetzt und verfiel zu einem Teil auch an die öffentliche Hand 186 . Aus diesem Prozeß der Überwindung der Fehde und der „Verstaatlichung" der Unrechtsreaktion entwickelte sich letztlich auch die öffentliche Strafe 187. II. Römisches Recht Im klassischen römischen Recht wurden öffentliche Strafen nur dann verhängt, wenn auch öffentliche Belange zu schützen waren. Für den Schutz privater Rechte und Rechtsgüter bildeten sich private Strafen heraus, die bereits vor den schadensersatzrechtlichen Klagen entstanden188. So wegen Beeinträchtigung der Sachherrschaft die actio furti manifesti 189 gegen den Dieb einer Sache, wenn dieser auf frischer Tat ertappt wurde. Der Kläger erhielt das Vierfache des Sachwertes. Das Zweifache des Sachwertes erhielt der Geschädigte, wenn der Dieb nicht auf frischer Tat ertappt wurde, actio furti nec manifesti. Dies galt bereits bei culpa levis 190. Bei der Tötung eines Sklaven oder eines Vierbeiners erhielt der Kläger aufgrund der actio legis Aequiliae den Höchstwert des Sklaven oder Tieres im der Tat vorangegangenen Jahr, bei „Brennen, Brechen oder Verderben" sonstiger Sachen den Höchstwert von 30 Tagen191; bei arglistigem Leugnen des Beklagten fand eine Klage auf das Doppelte statt 192 . Bei absichtlichen, widerrechtlichen Äußerungen einer Mißachtung gegenüber einer Person 193 - wozu auch Körperverletzungen gehörten - , also bei heutigen Persönlichkeitsrechtsverletzungen, wurde dem Beklagten eine vom Richter zu bestimmende Strafe auferlegt. Die ursprünglich durch das Zwölftafelgesetz bestehende Regelung, wonach die fixe Summe von 25 Assen zu leisten sei 194 , wurde hierdurch außer Kraft gesetzt195. 184
Kroeschell, S, 41. Mitteis-Lieberich, S.39. 186 Eisenhardt, S. 78. 187 Rüping, ZStW 85 (1973), S.671, 675. 188 Wieling, Interesse und Privatstrafe, S.239. m Wieling, S.240. 190 Dernburg, System des Römischen Rechts, § 388, S. 826. 191 Hierzu Vangerow, Pandekten7, § 681, S. 579; Dernburg, System des Römischen Rechts8, § 388, S. 825 ff.; Puchta, Pandekten4, § 388, S. 536; Thibaut, Pandekten-Recht8, § 624, S. 152; Wieling, S.241. 192 Thibaut, Pandekten-Recht8, §622, S. 150. 193 Dernburg, § 392, S. 832. 194 Vgl. XII-Tafel-Gesetz 8,4: Si iniuria faxserit, viginti poena esto. 195 Dernburg, § 392, S. 834 (FN 11). 185
D. Privatstrafe in anderen Rechtssystemen
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Die Privatstrafen wurden im Laufe der Zeit sowohl durch die Schadensersatzklagen verdrängt 196, als auch durch den öffentlichen Gesetzgeber, der die Strafgewalt in seiner Hand konzentrieren wollte 197 . Rezipiert wurde letztlich im usus modernus nur die actio iniuriarum m. Diese ging auf eine Strafhöhe, die der Kläger aufzustellen hatte und die dann vom Richter ermäßigt werden konnte 199 . Allerdings war auch diese Privatstrafklage der Kritik ausgesetzt - neben der Frage, ob überhaupt eine Strafe oder vielmehr eine Schadensersatzklage vorliege 200 , besonders im 19. Jahrhundert mit dem Argument, daß die Ehre nicht zu Geld zu machen sei 201 . Infolge dieser Debatte wurde die Klage per Gesetz in fast allen deutschen Staaten abgeschafft 202. So daß zur Zeit der Reichsgründung keine Privatstrafe mehr zugesprochen wurde. Dieses Ergebnis belegen auch die Verhandlungen zum BGB, wo poenale Elmente im Zivilrecht ausdrücklich abgelehnt wurden 203 . Strafe und Schadensersatz waren also getrennt 204.
D. Privatstrafe in anderen Rechtssystemen In anderen Rechtssystemen ist der Gedanke der Strafe im - oder besser: durch - Zivilrecht nicht so belastet wie im deutschen Rechtskreis. Es finden sich nicht nur massive Strafelemente in einzelnen zivilrechtlichen Instituten, die Privatstrafe kommt hier auch noch (fast) in ihrer Reinform vor. Daß es sich hierbei um höchst moderne und komplexe Rechtsordnungen handelt, die die Privatstrafe kennen und nutzen, sollte davor bewahren, dieses Rechtsinstitut ohne genauere Prüfung als zivilrechtlich systemfremd zu bezeichnen.
196
Wieling, S.242. Wieling, S. 240. 198 Wieling, S. 243; Dernburg, § 392, S. 834, (FN 15), verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Regelungen der §§ 824,825, und 847 BGB. Vgl. auch Thibaut , Pandekten-Recht8, § 622, S. 150. 199 Puchta, Pandekten4, § 387, S. 535. 200 Dazu Moosheimer, S. 8; die ganz h. M. war aber der Ansicht, es handele sich um eine Poenal-Klage, Moosheimer, S. 9. 201 Im 18. Jahrhundert hatte man sich noch auf den Standpunkt gestellt, die Klage säe Haß zwischen den Parteien, Moosheimer, S. 101 ff. 202 Moosheimer, S. 121 ff.; einzige Ausnahme eines großen Staates ist Württemberg, wo die Klage selbst nach der Reichsgründung und damit nach Inkrafttreten des § 188 a. F. StGB noch angewandt wurde. 203 Mot. II, 17. 204 Vgl. auch v.lhering, Schuldmoment, S.61: Die Idee der Strafe sei der des Schadensersatzes erlegen. Zur Diskussion um das Schmerzensgeld siehe unten Teil 2 B. 197
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Teil 1: Darstellung der Privatstrafe
I. USA - punitive damages Insbesondere in den USA 2 0 5 gibt es mit den punitive damages , also dem „strafenden Schadensersatz"206 eine echte Privatstrafe. Einem Geschädigten207 wird nicht nur der durch eine Verletzung entstandene Schaden ersetzt, sondern darüber hinaus ein Zuschlag gezahlt. Allerdings kann von einem einheitlichen US-amerikanischen Haftungsrecht nicht gesprochen werden, denn dieses ist, wie sich aus einem Umkehrschluß aus Art. I See. 8 cl. 3 US-Constitution ergibt, state law und damit in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich geregelt 208. Der Strafschadensersatz gilt keineswegs flächendekkend, so gibt es Staaten, die ihn, zumindest in Fällen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, gar nicht kennen (wie ζ. B. Nebraska, Puerto Rico, Washington), ebenso gibt es Staaten, in denen die, naturgemäß nicht dem Schadensausgleich dienenden, punitive damages auf bestimmte Höchstbeträge begrenzt sind 209 (so auf absolute Höchstgrenzen ζ. B. in Alabama, Nevada; oder auf relative Höchstgrenzen wie in New Jersey, wo das 5fache der compensatory damages , also des Ausgleichsschadensersatzes die Grenze bildet). Etwa die Hälfte der Bundesstaaten haben aber keine Regelungen für eine Begrenzung getroffen, hier steht die Höhe des Strafschadensersatzes im Ermessen einer Jury 210 . Bei den punitive damages handelt es sich also um ein Rechtsinstitut das, um mit Stürner zu sprechen, nur eine „Stimme im reichhaltigen Konzert einer Rechtskultur" ist 211 . 1. Besondere Voraussetzungen für die Gewährung von punitive damages
Punitive damages werden aber nicht automatisch bei jedem deliktischen Verhalten des Schädigers fällig. Sie knüpfen zwar an einen festgestellten Schadensersatz205 Zum Schadensrecht der USA allgemein siehe Magnus, Schaden und Ersatz, S. 31 ff.; siehe auch die neuere Literatur zu den punitive damages, die sich insbesondere mit der Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer punitive-damages-Urteile in Deutschland beschäftigt: Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999; Müller, Punitive damages und deutsches Schadensersatzrecht, 2000; Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages"-Klagen, 1995; aus der US-amerikanischen Literatur Blatt/ Ηammesfahr/ Nugent, Punitive damages, 1991; Ρ rosser, Law of torts, S.9ff. 206 Zu Begriff und Übersetzung siehe Bungert, Vollstreckbarkeit US-amerikanischer Schadensersatzurteile, ZIP 1992, S. 1707,1715 m. w.N.; Überblick über die Geschichte der punitive damages : Entscheidungsgründe Pacific Mut. Life Ins. Co. v. Haslip (1991) 499 U.S. 1 (1991); auch Stoll, Gutachten, S. 112. 207 Grundsätzlichfließen die punitive damages dem Geschädigten zu, Merkt, S. 83; die neuere Entwicklung, daß sie auch an öffentliche Einrichtungen abzuführen sind, ist verfassungsrechtlich sehr umstritten, vgl. Brockmeier, S. 17; Merkt, S. 86. 208 Vgl. hierzu Blatt/ ti ammesfahr /Nugent, S. 55 ff.; Bungert ZIP 1992, S. 1707 (FN 109). 209 Hierzu Brockmeier, S. 11 f. 210 Blatt/ ti ammesfahr/ Nugent, S. 66; zur Verfahrensweise Merkt, S. 68 ff. 211 Stürner, AfP 1998, S.2.
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anspruch an und sind so akzessorisch , zu ihrer Gewährung bedarf es jedoch vielmehr eines zusätzlichen, schwerwiegenden Moments im Verhalten des Schädigers. Dieses kann - je nach bundesstaatlicher Voraussetzung - von Schädigungsabsicht bis zu Leichtfertigkeit im Verhalten des Schädigers reichen 214. Bei einfacher Fahrlässigkeit kommt die Gewährung von punitive damages - soweit ersichtlich - nicht in Frage 215. Vorliegen muß also ein „Verwerflichkeitsmoment" 216, sog. aggravated circumstances , das die Schädigung insgesamt charakterisiert. Diese Verwerflichkeitsvoraussetzung ist in ihrer Intension durchaus zu vergleichen mit den Voraussetzungen, die der BGH für die Gewährung eines Schmerzensgeldes für Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufstellt 217. Auch hier spielt der Grad des Verschuldens auf der Schädigerseite eine wichtige Rolle 218 . 2. Funktionen der punitive damages
Die Hauptfunktion der punitive damages , die grundsätzlich nicht bei Vertragsverletzungen gewährt werden 219, ist die präventive Straffunktion 220, der Schädiger soll vor allem davon abgehalten werden, nochmals eine Rechtsverletzung zu begehen. Wobei Speziai- wie Generalprävention (special and general deterrence) gleichermaßen221 entscheidende Elemente sind 222 . Dem Schädiger soll vor Augen geführt werden „that tort does not pay "223. Weitere Funktionen sind eine Ausgleichsfunktion, und zwar nicht im Sinne des Ausgleichs für den eigentlichen Schaden, sondern für den Ausgleich der nach amerikanischem Recht immer von der jeweiligen Partei zu zahlenden eigenen Prozeßkosten224, und als drittes eine Genugtuungsfunktion, 212
P. Müller, Punitive damages, S. 8; wobei nicht unbedingt ein Schaden nachgewiesen werden muß, die Verpflichtung zu symbolischem Schadensersatz, nominal damages , reicht aus; hierzu Brockmeier, S. 5; Merkt, S. 77 f. 213 Brockmeier, S. 4. 214 Brockmeier, S. 6; Bungert, ZIP 1993, S. 815, 820. 215 Brockmeier, S.6. 216 Vgl. Bungert, a. a. O.; Schmitz, Ersatz immaterieller Schäden nach Vertragsrecht, Freiburg, 1980, spricht von „böswilliger Verwirklichung" eines Deliktstatbestandes; siehe auch Stoll, Gutachten, S. 100; P. Müller, Punitive damages, S. 9; Prosser, S. 9. 217 Siehe nur BGH vom 151.11.1994 - V I ZR 56/94 - BGHZ 128, 1, 12; BGH vom 15.12.1987 - V I ZR 35/87 - VersR 1988, 405. 218 BGH vom 15.11.1994-VI ZR 56/94-BGHZ 128, 1, 15. 219 Merkt, S. 79; zur Tendenz, diesen Grundsatz zu durchbrechen, siehe Köndgen, Immaterialschadensersatz, Gewinnabschöpfung oder Privatstrafen als Sanktionen für Vertragsbruch?, RabelsZ 56 (1992), 696, 710f. siehe hierzu auch unten S.64. 220 Blatt/Hammesfahr/Nugent, S. 75; P. Müller, Punitive damages, S. 11; Merkt, S. 66. 221 Brockmeier, S. 18. 222 Magnus, der von einem „Strafzuschlag" spricht, Schaden und Ersatz, S.33; S.214; Bungert a. a. O. 223 Prosser, S. 9. 224 P. Müller, Punitive damages, S. 13; hierzu auch Stoll, Gutachten, S. 113.
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die sich aus der moralischen Verurteilung des Schädigers allein durch die Gewährung von punitive damages ergibt 225 . Das gekränkte Ehrgefühl des Geschädigten soll wiederhergestellt werden 226. Hier geht die Funktion auch über in den Ersatz immateriellen Schadens227. Des weiteren soll dadurch, daß dem Kläger Strafschadensersatz in Aussicht gestellt wird, die Wahrscheinlichkeit der Rechtsdurchsetzung erhöht werden. Der private Kläger übernimmt also gewissermaßen staatsanwaltschaftliche Aufgaben und erhält dafür den Lohn in Form von über den Schadensersatz hinausgehenden Zuschlägen228. Allerdings haben diese Zuschläge letztlich auch die Form einer - sonst in den USA unbekannten - Prozeßkostenhilfe: Bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars kann der Berechtigte seine Anwaltskosten dann aus den gewährten punitive damages decken229.
3. Kritik an punitive damages
Allerdings sind die punitive damages nicht unumstritten. Insbesondere die strafende Funktion wird kritisiert: Strafe sei eine Aufgabe des Staates230 - eine Verletzung des Grundsatzes „nulla poena sine lege" wird beklagt 231 . Auch die bisweilen astronomischen Höhen der zu zahlenden Summen232 hat Kritik aufkommen lassen233. Wobei die Richtung der Rechtsprechung dahingeht, die von den (Laien-)juries zugesprochenen äußerst hohen Summen im remittitur-Verfahren wieder zu reduzieren 234. Weitere Stimmen mahnen, daß die Garantien des Strafverfahrens im Zivilprozeß nicht gewahrt seien235, daß die Jury nicht immer von sachgemäßen Argumenten geleitet wird 236 . Ebenso stößt auf Kritik, daß die Entschädigungssummen willkürlich festsetzt, daß eine Doppelbestrafung möglich 225 226 227 228 229
der s., 230
Großfeld, S.53. Ρ: Müller, Punitive damages, S. 12; insbesondere in Michigan, vgl. Brockmeier, S. 20. P. Müller, Punitive damages, S. 13; Prosser, S. 9. Brockmeier, S. 19. Brockmeier, S. 19; dies ist in Connecticut eine Hauptfunktion der punivite damages ,
S. 20.
Merkt, S. 87. 231 Siehe bei Merkt, S. 87. 232 So im „berühmten" Fall BMW of North America, Inc. v. Ira Gore, jr bei einem Schaden von $4000 noch $4Mio. als punitive damages; 64 U.S.L.W. 4335 (1996), deutsch JZ 1997, S. 156; siehe dazu auch Eisenhardt, EuZW 1996,523. Im Fall TXO Prod. Corp. V. Alliance Resources Corp., 61 U.S.L.W. 4766 (1993) wurde das 526fache des Schadens als punitive damages zuerkannt ($ lOMio. bei $ 19.000 Schaden). 233 Hierzu schon Großfeld, S. 55. 234 So im Fall Grimshawv. Ford Motor Co., 119 Cal. App.3d757,174 Cal.Rptr.348, wo der trial judge eine von der jury zugesprochene Summe von 125 Mio. $ auf 3,5 Mio. $ kürzte; Brockmeier, S. 8. ™ Merkt, S.87. 236 Stoll, Gutachten, S. 113; vgl. Brockmeier, S. 10.
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wird und daß es sich, da die Strafe an den Kläger zu entrichten ist, im Grunde um eine ungerechtfertigte Bereicherung (windfall) dieses handelt238. So werden auch in den USA die Probleme, die mit der Anerkennung der Privatstrafe zusammenhängen, gesehen. Und gerade diese Argumente hat sich der BGH zu eigen gemacht, als er über die Möglichkeit der Vollstreckung eines US-amerikanischen Urteils 239 in Deutschland zu entscheiden hatte 240 . Der BGH hat, wie oben bereits angesprochen, in der Zuerkennung von punitive damages einen Verstoß gegen den ordre public gesehen und hierfür insbesondere den Gedanken der fehlenden Strafverfahrensgarantien angeführt 241. 4. Punitive damages und Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Punitive damages können, bei Vorliegen des schon angesprochenen Verwerflichkeitsmoments, bei jeder deliktischen Schädigung zuerkannt werden. Eine große Rolle spielen sie insbesondere bei Produkthaftungsfällen 242. Verhängt werden sie aber auch, wenn die Privatsphäre, das „right of privacy", durch die Presse verletzt wird, sog. defamation. Auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird ein immaterieller Schaden zwar nicht grundsätzlich ersetzt, dies beruht auf der Erkenntnis, daß die genaue Bestimmung einer Entschädigung für einen solchen Schaden nur sehr schwer möglich ist. Läßt eine Summe aber auch nur ungefähr bestimmen, so werden auch immaterielle Schäden ersetzt. Der Gedanke, immaterielle Werte seien nicht kommerzialisierbar und damit nicht entschädigungsfähig, ist dem amerikanischen Rechtskreis fremd 243 , was sich dadurch äußert, daß neben dem right of privacy seit langem ein right of publicity anerkannt ist. Dieses ist ein Vermögensrecht, vergleichbar den in Deutschland als vermögenswert angesehenen besonderen Persönlichkeitsrechten und Eingriffe können Gewinn- und Lizenzherausgabeansprüche auslösen244. In den Vereinigten Staaten wird bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes insbesondere das Spannungsfeld zur Pressefreiheit problematisiert. Der Schutz der Pressefreiheit als konstituierendes Moment einer Demokratie ist im I s t Amendment zur Verfassung der USA festgelegt. Es hat sich eine höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt, die bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Presse sehr 237
Hierzu Koch, Ersatz für Schaden und Strafe, in: Liber amicourm Norbert Reich, S. 845,
853. 238
Hierzu Gounalakis, AfP 1998, S. 10, 16. Zur Problematik der Vollstreckung ausländischer Urteile in Deutschland allgemein siehe R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, München, 1995. 240 BGH vom 4.6.1992 - IX ZR 149/91 - BGHZ 118, 312. 241 BGH vom 4.6.1992 - IX ZR 149/91 - BGHZ 118, 312, 344. 242 Merkt, S.67. 243 Magnus, S.35. 244 Wagner, ZEuP 2000, 200, 218ff.; ausführlich unten Teil 2 A.III.6. 239
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genaue Abwägungskriterien gefunden hat. So ist zunächst zu prüfen, ob es sich bei der durch eine vermeintlich falsche Pressemitteilung betroffenen Person um eine Person in einem öffentlichen Amt, public official , oder um eine Person der Zeitgeschichte, public figure handelt, also um Personen, die durch ihre Tätigkeit und ihr Auftreten im Rampenlicht der Berichterstattung stehen. Diese müssen bis zu einem gewissen Grad auch falsche Berichterstattung in Kauf nehmen, denn das Presseorgan haftet nur bei Vorliegen von vorsätzlicher falscher Berichterstattung oder bei gröbster Fahrlässigkeit, sog. actual malice. Der Grund hierfür ist, daß einer eigenen Vorzensur seitens der Presse vorgebeugt wird. Ist der Betroffene eine Privatperson und geht es um öffentliche Angelegenheiten, so ist für comperative damages kein actual malice notwendig, sehr wohl aber für punitive damages. Bei der dritten Stufe, wenn es sich um eine Privatperson und um private Angelegenheiten handelt, ist, auch bei Begehr von punitive damages , actual malice nicht geboten.245 II. England Auch das englische Recht 246 kennt den Strafschadensersatzes. Die sogenannten exemplary damages sind die Vorläufer der US-amerikanischen punitive damages 247. Ebenso wie diese werden die exemplary damages nicht automatisch fällig, auch hier bedarf es demütigender und persönlichkeitsverachtender Umstände248. Gegenüber der amerikanischen Praxis hat sich aber eine restriktivere Anwendung des Strafschadensersatzes durchgesetzt, so daß dieser nur bei vorliegen bestimmter Fallgruppen zugesprochen wird; so wenn ein behördliches Vollzugsorgan willkürlich seine Befugnisse gegenüber einem Bürger überschreitet 249, wenn exemplary damages ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sind oder wenn der Schädiger bewußt darauf abzielt, daß sein aus einer Schädigung gezogener Gewinn größer ist als eventuelle Ausgleichszahlungen an den Geschädigten250. Die letzte Fallgruppe wird vor allem von Eingriffen in Persönlichkeitsrechte wie der Zwangskommerzialisierung bestimmt 251 . Programmatisch für die Aufgabe der exemplary damages ist eine Aussage in der Grundsatzentscheidung Rookes v. Barnard, bei der es um Ehrverletzungen durch die Medien ging: Exemplary damages can properly be awarded whenever it is necessary to teach a wrongdoer that tort does not pay." 252 245
Vgl. zum Ganzen: Kötz, Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit im US-amerikanischen Recht, in: FS für Manfred Engelschall, S. 25 ff. 246 Allgemein zum englischen Schadensrecht Magnus, Schaden und Ersatz, S. 36; auch H. Stoll, in: FS Rheinstein II, S.569, 572 ff. 247 Zur Geschichte der exemplary damages siehe Großfeld, S. 37 f. 248 Stoll, Haftungsfolgen, S.61. 249 Stoll, Haftungsfolgen, S.62. 250 Stürner, AfP 1998, S. 1,4; Wagner, ZEuP 2000, S. 200, 217. 251 Wagner, ZEuP 2000, S.200, 217. 252 Rookes v. Barnard, (1964) A. C. 1129, 1227 (H. L. 1963), per Lord Devlin.
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Die exemplary damages haben eindeutigen Strafcharakter, sie sollen bestrafen und abschrecken, Jo punish and deter" 253. Einen gleichsam fließenden Übergang zu den exemplary damages stellen die aggravated damages dar. Sie zählen noch zu den Ausgleichszahlungen, die im Falle einer unerlaubten Handlung zu entrichten sind, auf ihre Höhe haben aber auch persönlichkeitsverletzende Umstände der Tat einen großen Einfluß 254 . Hauptanwendungsgebiet der exemplary damages sind also die besonders verwerflichen, weil von zügellosem Gewinnstreben getriebenen Verletzungen der Persönlichkeit, wobei das englische Recht eine Unterscheidung zwischen materiellem und immateriellem Schaden und folglich auch Schadensersatz nicht kennt 255 . Bei Ausgleichszahlungen decken die compensatory damages auch die psychologischen Beeinträchtigungen ab 256 . Das englische Recht hat also in den exemplary damages ein Instrument gegen die bewußte und von Gewinnstreben geprägte Verletzung von Persönlichkeitsrechten, das wohldosiert, aber doch wirksam einzusetzen ist. Gleichwohl sind auch hier die exemplary damages nicht unumstritten: Zum einen werden die für eine Strafe im Zivilprozeß fehlenden Verfahrensgarantien angemahnt 257 , zum anderen aber auch andere, nicht poenale Lösungswege vorgeschlagen. So im Falle der Zwangskommerzialisierung insbesondere das bereicherungsrechtliche Instrumentarium, sog. restitutionary damages 25*. I I I . Frankreich Auch bei der französischen astreinte 259 soll es sich um eine Privatstrafe handeln. Die astreinte kann vom Richter dann nach freiem Ermessen festgesetzt werden, wenn ein Schuldner einer richterlichen Anordnung nicht nachkommt. Somit soll von der astreinte ein Zwangseffekt ausgehen: zuerst von der Androhung, dann durch die endgültige Festsetzung im Falle der Nichtbeachtung des Gerichtsbefehles, „iastreinte provisoire " 26Ό. Sie ist damit eng verwandt mit dem deutschen Zwangs- und Ordnungsgeld nach §§ 888 Abs. 1, 890 ZPO und sie soll auch eine im französischen Vollstreckungsrecht 253
Großfeld,
S.54; Stürner, AfP 1998, S. 1, 4; v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht,
S.607. 254
Stoll, Haftungsfolgen, S.61. Großfeld, S.41; Stürner, AfP 1998, S. 1, 4. 256 Stürner, AfP 1998, S. 1, 4. 257 Wagner, ZEuP 2000, S. 217 (FN 79). 258 Wagner, ZEuP 2000, S. 200, 217. 255
259 Hierzu: Steltmann, Die Vertragsstrafe, S.58; Stoll, Haftungsfolgen, S.218, ders., in: FS Rheinstein II, S.569, 575 ff. 260 Hierzu Stoll, Haftungsfolgen, S. 219; später entwickelte sich die „