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German Pages 313 Year 2003
OLAF KIESCHKE
Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht
Schriften zum Prozessrecht Band 173
Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht Eine Bestandsaufnahme am Beispiel ausgewählter Entscheidungen des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland
Von Olaf Kieschke
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2001l2oo2 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-10969-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Diese Untersuchung hat der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Wintersemester 200112002 als Dissertation vorgelegen. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit auf den Stand von März 2002 gebracht. Später erschienene Literatur sowie Rechtsprechung konnten noch in Einzelfällen berücksichtigt werden. Besonders herzlich möchte ich mich bei meinem Doktorvater und verehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Hinrich Rüping bedanken, der mir die Anregung zur Bearbeitung des vorliegenden Themas gab und mir den für die Erstellung der Arbeit nötigen größtmöglichen Freiraum ließ. Für meine diesbezüglichen Sorgen, Nöte oder einfachen Fragen fand ich bei ihm jederzeit ein offenes Ohr. Besonders danke ich ihm für das kritische und dennoch zügige Lesen einzelner Kapitel sowie letztlich der gesamten Arbeit. Aufrichtig danken möchte ich Herrn Prof. Dr. loachim Renzikowski, der es übernommen hat, auch über den Jahreswechsel das Zweitgutachten zu fertigen. Im Juni 2001 durfte ich einen Monat am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verbringen. Diesen Studienaufenthalt finanzierte ich mit Hilfe eines "DAAD Doktorandenstipendiums im Rahmen des gemeinsamen Hochschulsonderprogramms III von Bund und Ländern". Für die mir am EGMR zuteil gewordene Betreuung und Hilfe möchte ich mich stellvertretend bei den Mdmes. Montserrat Enrich Mas sowie Nora Binder bedanken. Weiterhin waren für mich die Gespräche mit Herrn Axel Müller-Elschner von der Kanzlei des Gerichtshofes und Herrn Mikhail Lobov vom Ministerkomitee des Europarates besonders wertvoll und informativ. Für weitere Unterstützung bezüglich bestimmter Passagen meiner Arbeit bedanke ich mich ganz herzlich bei den Herren Surrer und Wächter vom Referat ZS 3 beim Bundesministerium der Justiz, die in unermüdlicher Kleinarbeit ältere Schreiben des Ministeriums aus den Akten hervorgewühlt haben, den Senatsvorsitzenden am Bundesgerichtshof Herrn Vizepräsidenten und VRiBGH lähnke und Frau VRi'inBGH Harms sowie dem Vorsitzenden des 2. Strafsenats am OLG Celle Herrn VRiOLG Wolff. Zudem möchte ich mich bei allen meinen Freunden und Bekannten bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Zu nennen sind insbesondere Antje Lepold und Heidi Martini, die die undankbare Aufgabe des Korrekturlesens übernommen haben. Weiterhin seien lörg Dreher,
Vorwort
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LL.M., Holger Ette, M.B.L.-HSG, Dr. ZsoJia Lendvai, Patrick Schroeder, M.L.E., der auch die französische Übersetzung der Zusammenfassung besorgte, und vor allem Tobias Eckardt genannt, bei denen ich an manch geselligen Abenden in unserem Doktorandenkreis meine Fragen loswerden und hilfreiche Tipps sammeln konnte. Die Hilfe meiner Kolleginnen und Kollegen in der Fachbereichsbibliothek Rechtswissenschaften und der Abteilung Zentrale Dienste der Fachbereichsbibliotheken der Niedersächsichen Landesbibliothek am Königsworther Platz ersparte mir viel unnützen Aufwand. Letztendlich wäre die vorliegende Arbeit aber sicher nicht entstanden ohne die Unterstützung meiner Freundin Birgit Ostenvald und meiner Eltern, die mir während der ganzen Zeit verständnisvoll und hilfreich zur Seite gestanden haben. Bei ihnen stehe ich in besonderer Schuld. Hannover, im Mai 2002
Olaf Kieschke
Inhaltsverzeichnis Einleitung - Gegenstand und Gang der Untersuchung ................... 21 Erstes Kapitel
Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen § 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 ........................... A. Zur Entstehung der Konvention .................................. B. Die Mindestgarantien der Menschenrechtskonvention für sich betrachtet und im Vergleich mit dem deutschen Grundgesetz ............... I. Die Garantien der MRK im Kurzüberblick ..................... 11. Vergleich mit der deutschen Verfassung und Konsequenzen für die praktische Anwendung der Konvention ........................ C. Die Rechtsnatur der Konvention und ihre Stellung im Normengefüge .. I. Die Rechtsnatur der Konvention und ihre Stellung in Europa . . . .. 11. Die Stellung der Konvention in Deutschland ................... 1. Die EMRK als einfaches Bundesgesetz ..................... 2. Die lex-posterior-Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ............................ A. Die Beschwerdemöglichkeiten nach der Menschenrechtskonvention . .. I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Staatenbeschwerde ...................................... III. Die Individualbeschwerde .................................... 1. Die Stellung des Individuums im Rechtsschutzsystem bis 1998 2. Die Stellung des Individuums nach 1998 .................... B. Die Straßburger Instanzen und das Beschwerdeverfahren ............ I. Die ursprüngliche Konzeption des Rechtsschutzsystems ......... 11. Das Rechtsschutzsystem seit 1998 ............................ 1. Zur Notwendigkeit der Reform ............................ 2. Die reformbedingten Änderungen für Verfahren vor dem Gerichtshof und die Organisation des neuen EGMR .......... C. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre innerstaatliche Wirkung ..................................... I. Die Arten von Urteilen des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Wirkung der Urteile nach völkerrechtlichen Grundsätzen ....
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Inhaltsverzeichnis III. Speziell: Die restaurativen Folgerungen des Staates nach Feststellung einer Verletzung der Konvention . ..... .. ..... .. .......... IV. Die Wirkung der Urteile des EGMR in Deutschland .. .......... 1. Die Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Deutschland selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes durch einen deutschen Verwaltungs akt ................... .. ..... .. .. b) Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes durch eine deutsche Rechtsnonn ........ . ......................... c) Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes durch ein deutsches Urteil .. .. . . .... ... . . ................. .. ..... ... 2. Die Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen andere Konventionsstaaten . . . .. .. .. . .
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Zweites Kapitel
Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK
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§ 3 Der Fall Luedicke u. a. ............... . ... . ................ . ...... . . A. Das Urteil des EGMR vom 28. November 1978 .................... B. Die Beachtung der Entscheidung in Deutschland .. .. ... . .... . .. . ... I. Die Reaktion des deutschen (Bundes-)Gesetzgebers ........... . . 11. Die Reaktion der Exekutive . .. ...... . ...... . . . ... . . . ..... . ... III. Die Reaktion der Rechtsprechung und der strafverfahrensrechtlichen Literatur ................... . ...... .. ................. 1. Die Praxis vor dem Urteil des EGMR ... . .. . ... . ........ . .. 2. Veränderungen nach dem Urteil des EGMR ..... . ........... a) Die Endgültigkeit der Kostenfreistellung .............. .. . b) Zum Anspruch auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers für Gespräche mit dem Verteidiger ................ aa) Kein eigener Anspruch des Wahlverteidigers auf Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Vennengung der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c und Buchst. e MRK . . .. .. .. .. ... .. .. . .... cc) Das Erfordernis einer gerichtlichen Beiordnung ....... dd) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2000 (BGHSt 46, 178 = NJW 2001,309) .. ... ..... . .
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§ 4 Der Fall Öztürk ... .. .............................................. A. Das Urteil des EGMR vom 21. Februar 1984 .. .. .. .. . .. . . .. .. . .... B. Die Folgen der Entscheidung in Deutschland. .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . I. Die Reaktion des bundesdeutschen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Reaktion der Exekutive . .. ........ . ..... . . . .... .. ... .. . . .
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Inhaltsverzeichnis III. Die Reaktion der Rechtsprechung und der (strafverfahrensrechtlichen) Literatur ............................................ 1. Gerichtsentscheidungen im Vorfeld des Öztürk-Urteils ........ 2. Gerichtsentscheidungen nach dem Öztürk-Urteil ............. 3. Exkurs: Zwischen 1980 und 1990 in Straßburg anhängige Individualbeschwerdeverfahren gegen Deutschland mit Bezug zum Öztürk-Urteil ...................... . ..................... a) Die Beschwerden von G. M. sowie A. P. ................. b) Die Beschwerden von C. Zengin sowie A. Akdogan ....... c) Die Beschwerden von A. Rajaratnam, Ö. Karabulut, Y. Cavusoglu, A. K., S. Shanmukanathan sowie R. R. . . ...... d) Fazit des Exkurses .. ............ . ................ . .... 4. Aufnahme des Öztürk-Urteils innerhalb der Literatur .. . ......
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§ 5 Abschließende Bemerkungen zum zweiten Kapitel ................... 115 Drittes Kapitel
Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK § 6 Der Fall Pakelli ..... . ........ .. ........ . .......................... A. Das Urteil des EGMR vom 25. April 1983 ................... . .... B. Die Auswirkungen der Entscheidung in Deutschland ................ I. Die generellen Folgerungen aus dem Pakelli-Urteil .............. 1. Die Rechtslage zur Zeit der deutschen Gerichtsverfahren in der Sache Pakelli ........ . ............. . . . ................... a) Zur Notwendigkeit von Verteidigung .................... b) Besonderheiten für die Revisionshauptverhandlung ........ aa) § 350 Abs. 3 StPO ........................... . .... bb) § 140 Abs. 2 StPO ................................ ce) Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 (BVerfGE 46, 202 = NJW 1978, 151) ............................................. c) Schlussfolgerung für den Fortgang der Untersuchung im Fall Pakelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Praxis des Bundesgerichtshofs in der Zeit nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli .. ............................. . .................. a) (Veröffentlichte) Gerichtsentscheidungen, die sich auf das Pakelli-Urteil beziehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) (Veröffentlichte) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Revisionshauptverhandlung ......................... c) Die (ungeschriebene) Praxis der Strafsenate des Bundesgerichtshofs ............................................
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Inhaltsverzeichnis d) Exkurs: Die Praxis am 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle ................................................ 3. Die heutige Gesetzeslage bezüglich der Pflichtverteidigerbestellung für die Revisionshauptverhandlung und Änderungsvorschlag de lege ferenda .................................... a) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung nach heutigem Recht .................. b) Die besondere Bedeutung der Revisionshauptverhandlung .. c) Vorschläge für eine Änderung der strafprozessualen Bestimmungen .............................................. II. Die konkreten Folgerungen aus dem Pakelli-Urteil .............. 1. Die vergeblichen Bemühungen Pakellis um eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens .............................. 2. Die Einführung von § 359 Nr. 6 StPO und kritische Stellungnahrne ..................................................
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Viertes Kapitel
Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafvedahren
(Art. 6 Abs. 2 EMRK) - Insbesondere: Die Kostenverteilung nach nichtverurteilendem Vedahrensabschluss
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§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz ........................................ 163 A. Das Urteil des EGMR vom 25. März 1983 ........................ 163
B. Auswirkungen im (Strafverfahrens-)Recht der Schweiz .............. I. Kurze Einführung in die schweizerische Rechtslage ............. 1. Das Strafverfahrensrecht der Schweiz ....................... 2. Die Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz und ihre Beachtung in der Praxis ............... 3. Die Unschuldsvermutung im schweizerischen Rechtssystem ... a) Allgemeine Ausführungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beachtung der Unschuldsvermutung bei der Kostenauferlegung nach Abschluss eines Strafverfahrens bis 1983 .. aa) Die diesbezügliche schweizerische Praxis ............ bb) Der Fall Geerk .................................... II. Folgerungen in der Praxis des Schweizer Bundesgerichts nach dem Urteil im Fall Minelli ................................... 1. Das Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 1983 (BGE 109Ia, 160 = EuGRZ 1984,79) ........................... 2. Fortführung der Rechtsprechung und erneute Verurteilung in Straßburg im Fall I. und C. ................................ 3. Das Urteil des Bundesgerichts vom 29. Juni 1988 (BGE 114 Ia, 299) .................................................
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Inhaltsverzeichnis
11
4. Das Urteil des Bundesgerichts vom 30. Juni 1989 (BGE 115 Ia, 309) ................................................. 184 5. Das Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juni 1990 (BGE 116 Ia, 162 = EuGRZ 1990,322) .............................. 185 § 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff ........................ A. Zusammenfassung der Urteile des EGMR vom 25. August 1987 ..... I. Die den Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte (einschließlich Verfahrensgänge vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte) ..................................................... 1. Der Fall Lutz ............................................ 2. Der Fall Englert ......................................... 3. Der Fall Nölkenbockhoff .................................. 11. Die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte .......................... : .......................... B. Einflüsse der Entscheidungen auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Unschuldsvermutung im deutschen Strafverfahrensrecht und ihre Berücksichtigung im damit verbundenen Kostenrecht bei nichtverurteilenden Verfahrensabschlüssen bis 1987 ............. 1. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im deutschen Strafverfahrensrecht .......................................... 2. Die gesetzlichen Regelungen in der StPO zur Kostenverteilung bei einem Freispruch bis 1968 und in den Gesetzen betreffend die Entschädigung für eine erlittene Haft bis 1971 ........... 3. Konfliktpotential der neuen Regelungen hinsichtlich der Unschuldsvermutung ..................................... a) Die vorausgegangene Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153 StPO ........................................... b) Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses .............. . c) Die Fälle Neubecker und Liebig ........................ 4. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1987 (BVerfGE 74, 358 = NJW 1987,2427) ................ 11. Die Berücksichtigung der Unschuldsvermutung bei der Auslagenerstattung und/oder Entschädigung infolge nichtverurteilender Verfahrensabschlüsse nach den Straßburger Urteilen ................ 1. Die Praxis bei Kostenentscheidungen von 1987 bis 1990 . . . . . . 2. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 106 = NJW 1990,2741) ................ 3. Die Praxis bei Kostenentscheidungen ab Mai 1990 bis heute .. a) Der Beschluss des OLG Köln vom 30. Oktober 1990 (NJW 1991,506 = StrVert 1991, 115) ......................... b) Die vorrangige Rezeption der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis ........................ c) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05. November 1999 (NJW 2000, 1427 = NStZ 2000, 330) ..............
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Inhaltsverzeichnis
§ 9 Abschließende zusammenfassende Bemerkungen zum vierten Kapitel . . 224
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Summary ............................................................ . 239 Resume ............................................................... 243 Anhang ............................................................... I. Übersicht über die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik Deutschland ................ . 11. Übersicht über die Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), welche die in dieser Arbeit betrachteten Urteile des EGMR erwähnen ..................................................... . 1. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte, die das Urteil des EGMR im Fall Luedicke u. a. erwähnen .............. 2. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte, welche den Bericht der EKMR im Fall Luedicke u. a. erwähnen ........ . 3. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte, die das Urteil des EGMR im Fall Ötztürk erwähnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), die das Urteil des EGMR im Fall Pakelli erwähnen .... 5. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), welche die Urteile des EGMR in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff erwähnen .......................... 6. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), die eine oder mehrere der Kommissionsentscheidungen in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff erwähnen . . . . . . III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), in denen weitere vom EGMR oder der Europäischen Kommission für Menschenrechte entschiedene Fälle Erwähnung finden ....................... IV. Auszüge aus der neuen Schweizerischen Bundesverfassung von 1999 [Stand: 26. Oktober 1999] .......................................
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Literaturverzeichnis ................................................... 282 Sachwortverzeichnis .................................................. . 308
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. a.E. a.F. AG
AK
a.M. Anm. AnwBI. AöR AR ArbGG arg. Art. AS Aufl. AV Az. BAG BAnz. BayObLG BayObLGSt BayVBI. BayVerfGH BB
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort Absatz am Ende alte(r) Fassung; alte Folge - Amtsgericht - Aargau (Kanton in der Schweiz; http://www.ag.eh [Stand: 20.06.2002]) - Arbeitsgemeinschaft Kommentar zur Strafprozeßordnung in der Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Rudolf Wassermann (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) am Main Anmerkung(en) Anwaltsblatt (Zeitschrift; http://www.anwaltverein.de/Ol/07/ index.html [Stand: 20.06.2002]) Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Appenzell-Ausserrhoden (Kanton in der Schweiz) Arbeitsgerichtsgesetz argumentum Artikel Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen (Schweiz) Auflage Allgemeine Verfügung Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht (http://www.bundesarbeitsgerieht.de [Stand: 20.06.2002]) Bundesanzeiger (http://www.bundesanzeiger.de [Stand: 20.06. 2002]) Bayerisches Oberstes Landesgericht (http://www.justiz.bayem.de/ bayoblg/ [Stand: 20.06.2002]) Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift; http://www.ruw-bb.de [Stand: 20.06. 2002])
14 Bd. BE
Abkürzungsverzeichnis
Band Bem (Kanton in der Schweiz; http://www.be.eh [Stand: 20.06. 2002]) Beschl. Beschluss Schweizerisches Bundesgericht (http://www.BGer.eh [Stand: BG 20.06.2002]) Bundesgesetzblatt Teil I (http://www.bundesgesetzblatt.de [Stand: BGBl.I 20.06.2002]) Bundesgesetzblatt Teil II BGBl. II BGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (zitiert nach Band und Seite) (http://www.bundesgeriehtshof.de [Stand: BGH Bundesgerichtshof 20.06.2002]) BGH-Rechtsprechung in Strafsachen (zitiert nach Paragraph und BGHR Stichwort) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert BGHSt/St nach Band und Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (zitiert BGHZ nach Band und Seite) Basler Juristische Mitteilungen (Zeitschrift) BJM Bonner Kommentar zum Grundgesetz, hrsg. v. Rudolf Dolzer BK (Gesamthrsg.; zitiert nach Bearbeiter, Artikel und Randnummer) Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte BRAGO BR-Drucksache Drucksache des Bundesrates BS Basel-Stadt (Kanton in der Schweiz; http://www.bs.eh [Stand: 20.06.2002]) bspw. beispielsweise BT-Drucksache Drucksache des Deutschen Bundestages Buchst. Buchstabe Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom BV 18. April 1999 (Alte) Schweizerische Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 BV 1874 Bundesverfassungsgericht (http://www.bundesverjassungsgericht.de BVerfG [Stand: 20.06.2002]) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band BVerfGE/E und Seite) BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht BVerwG (http://www.bundesverwaltungsgerieht.de [Stand: 20.06.2002]) beziehungsweise bzw. Recueil de decisions de la Commission Europeenne des Droits de CD l'Homme/Collection of Decisions of the European Commission of Human Rights, Sammlung der Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte von 1960 bis 1974, hrsg. v. Europarat (zitiert nach Band und Seite)
Abkürzungsverzeichnis DAR DAV
DDR ders. DIE FRIEDENSWARTE Die Justiz Diss. iur. DNotZ DÖV DR
DRiZ DtZ DVBl. EG EGMR EGOWiG EGStGB E.H.H.R. Einl. EKMR E.L.R. EMRK/MRK
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Deutsches Autorecht (Zeitschrift) Deutscher Anwaltverein (http://www.anwaltverein.de [Stand: 20.06. 2002]) Deutsche Demokratische Republik derselbe (Autor) Die Friedenswarte: Blätter für internationale Verständigung und zwischenstaatliche Organisation (Zeitschrift) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg juristische Dissertation Deutsche Notar-Zeitschrift (Zeitschrift) Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Decisions et rapports de la Comrnission Europeenne des Droits de l'HommelDecisions and Reports, Sammlung der Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte ab 1975, hrsg. v. Europarat (zitiert nach Band und Seite) Deutsche Richterzeitung (Zeitschrift; http://www.driz.de [Stand: 20.06.2002]) Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaften (European Communities) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (European Court Of Human Rights; http://www.echr.coe.int [Stand: 20.06.2002]) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch European Human Rights Reports (Zeitschrift) Einleitung Europäische Kommission für Menschenrechte (European Commission Of Human Rights) European Law Review (Zeitschrift) (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten/(Europäische) Menschenrechtskonvention vom 04. November 1950 (European Convention For The Protection Of Human Rights And Fundamental Freedoms/European Convention On Human Rights) Erläuterung European Treaty Series, offizielle Vertragssarnrnlung des Europarates (http://conventions.coe.int [Stand: 20.06.2002]) Europäische Union (http://europa.eu.int [Stand: 20.06.2002]) Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (http://curia.eu.int [Stand: 20.06.2002]) Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Zeitschrift) Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union
16 EuZW
f./ff. FG Fn. FN FR FS GA GE GG GKG GS GVBl. GVG GVGZH Habil. HFR HK HK-OWiG h.M. HRLJ HRR Hrsg. hrsg. HRSt HStR i. Br. i.E. IGH
InfAuslR IntKornrnMRK
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Abkürzungsverzeichnis Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift; http:// www.euzw.beek.de [Stand: 20.06.2002]) folgende/fortfolgende Festgabe Fußnote Fußnote innerhalb dieser Arbeit (http://www.frankfurterrundsehau.de Frankfurter Rundschau [Stand: 20.06.2002]) Festschrift Goltdammer's Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) Genf (Kanton in der Schweiz; http://www.ge.eh [Stand: 20.06. 2002]) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 Gerichtskostengesetz GedenkschriftiGedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gerichtsverfassungsgesetz des Schweizer Kantons Zürich Habilitationsschrift Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift; http://www. efg-hfr.de [Stand: 20.06.2002]) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung, hrsg. v. Michael Lernke (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. v. Michael Lernke (zitiert nach Paragraph und Randnummer) herrschende Meinung Human Rights Law Journal (Zeitschrift) Human Rights Review (Zeitschrift) Herausgeber herausgegeben Höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen (zitiert nach Paragraph und Nummer) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Josef Isensee und Paul Kirchhof, Heidelberg 1987-1997 im Breisgau im Ergebnis Internationaler Gerichtshof (International Court Of Justice; http:// www.iej-eij.org/ [Stand: 20.06.2002]) Informationsbrief Ausländerrecht (Zeitschrift) Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, bearbeitet von Heribert Golsong, Wolfram Karl, Herbert Miesler [u. a.] (zitiert nach Bearbeiter, Artikel und Randnummer) Internationaler Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte
Abkürzungsverzeichnis i.V.m. JA JGG
JöR JR Jura JurBüro JuS JZ KG KK
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in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jugendgerichtsgesetz Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau (Zeitschrift; http://www.degruyter.de/ journals/jr/ [Stand: 20.06.2002]) Juristische Ausbildung (Zeitschrift; http://www.degruyter.de/ journals/jura/ [Stand: 20.06.2002]) Das Juristische Büro (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift; http://www.jus.beek.de [Stand: 20.06.2002]) Juristenzeitung (Zeitschrift; http://www.mohr.de/jz.html [Stand: 20.06.2002) Kammergericht (http://www.kammergerieht.de [Stand: 20.06. 2002]) Karlsruher Kommentar zur StrafprozeBordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, hrsg. v. Gerd Pfeiffer (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, hrsg. v. Karlheinz Boujong (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Loseblattkommentar zur Strafprozessordnung, begründet von Th. Kleinknecht, H. Müller und L. Reitberger (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Kostenrechtsänderungsgesetz Kostenverfügung Kostenverzeichnis (Anlage zum GKG) liber amicorum Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier und Möhring (zitiert nach Paragraph und Nummer) Löwe-Rosenberg, Die StrafprozeBordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, GroBkommentar, hrsg. v. Peter RieB (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Leitsatz Luzern (Kanton in der Schweiz; http://www.lu.eh [Stand: 20.06.2002]) Landesverfassung Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift; http://www. mdr.ovs.de/mdr.htm [Stand: 20.06.2002]) meines Erachtens Menschenrechtsmagazin (Zeitschrift; http://www.uni-potsdam.de/ u/mrz/mrm.htm [Stand: 20.06.2002]) mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Disziplinarordnung
18 nds. NdsRpfl. n.F. NF NILR NJ NJW No. Nr. NStE NStZ NStZ-RR NVwZ NVwZ-RR ÖZöR OLG OLGSt (alt)
OLGSt (neu)
OWiG Piller/Hermann P.L. recht RGBl. RHDI RiStBV Rn. RPfleger Rs. S. SAR
Abkürzungsverzeichnis niedersächsisch Niedersächsische Rechtspflege (Zeitschrift) neue(r) Fassung Neue Folge Netherlands International Law Review (Zeitschrift; http://www. srdi. ws/Nilr.htm [Stand: 20.06.2002]) Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift; http://www.njw.beck.de [Stand: 20.06.2002]) Number (Nummer) Nummer(n) Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht, hrsg. v. Kurt Rebmann, Hans Dahs und Klaus Miebach (zitiert nach Paragraph und Nummer) Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift; http://www.nstz. beck.de [Stand: 20.06.2002]) NStZ-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift; zur URL siehe NStZ) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift; http://www. nvwz.de [Stand: 20.06.2002]) NVwZ-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift; zur URL siehe NVwZ) Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht (Zeitschrift) Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, hrsg. v. Max Kohlhaas und Wolfgang Ullrich (zitiert nach Paragraph und Seite) Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Strafsachen und über Ordnungswidrigkeiten, hrsg. v. Michael Lernke (zitiert nach Paragraph und Nummer) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Justizverwaltungsvorschriften, begründet von Richard Piller und Georg Hermann, Loseblattausgabe Public Law (Zeitschrift) recht - Zeitschrift für juristische Praxis und Ausbildung, Bern (Zeitschrift) Reichsgesetzblatt Revue Hellenique de Droit International (Zeitschrift; http://www. srdi. ws/Rhdi.htm [Stand: 20.06.2002]) Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Randnummer Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift; http://www.rpjleger.de [Stand: 20.06.2002]) Rechtssache Seite(n) Systematische Sammlung des Aargauischen Rechts (Schweiz)
Abkürzungsverzeichnis Sartorius 11 SR SJIR
SJZ Slg. Sp. SPD SR SRL SRSZ StGB StPÄG StPO StPO ZR StRÄndG 1953 StraFo StrEG StrVert StVÄG StVG SZ
SZIER TVG Tz. u.a. UN URL u.s.w. v. Verf. 2*
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Sartorius 11, Internationale Verträge - Europarecht, Loseblattausgabe, München Schaftbausen (Kanton in der Schweiz; http://www.sh.chlkantonl [Stand: 20.06.2002] ) Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht, bis 1990; ab 1991: Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht, SZIER (Zeitschrift) Schweizerische Juristen-Zeitung (Zeitschrift) Sammlung Spalte(n) Sozialdemokratische Partei Deutschlands (http://www.spd.de [Stand: 20.06.2002]) Systematische Sammlung des Bundesrechts (Schweiz) Systematische Rechtssammlung des Kantons Luzern (Schweiz) Schwyzer Gesetzessammlung (Schweiz) Strafgesetzbuch Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (Deutsche) Strafprozessordnung Zürcher Strafprozessordnung Strafrechtsänderungsgesetz vom 04. August 1953 Strafverteidiger Forum (Zeitschrift; http://www.ag-strafrecht.de/ strafo.htm [Stand: 20.06.2002]) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Strafverteidiger (Zeitschrift; http://www.straJverteidiger-stv.de [Stand: 20.06.2002]) Strafverfahrensänderungsgesetz Straßenverkehrsgesetz - Süddeutsche Zeitung (http://www.sueddeutsche.de [Stand: 20.06. 2002]) - Schwyz (Kanton in der Schweiz; http://www.sz.ch [Stand: 20.06. 2002]) Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht; bis 1990: SJIR (Zeitschrift) (Schweizerisches) Bundesgesetz betreffend den Telegrafen- und Telefonverkehr vom 14. Oktober 1922 Textzahl und andere/unter anderem United Nations (Vereinte Nationen; http://www.un.int [Stand: 20.06.2002]) Uniform Resource Locator (Adresse für internet-Seiten) und so weiter von/vom Verfasser
20 VerfO-EGMR VerfO-KOM vgl. Vol. Vorb.lVorbem. VRS VVDStRL wistra YB
ZaöRV
ZAR
z.B. ZBJV ZBL
ZBR ZEuS ZfRV ZG ZH Ziff. zit. ZRP ZSR ZStR ZStW zugl. ZSEG Zweitb.
Abkürzungsverzeichnis Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vergleiche volume (Band) Vorbemerkung( en) Verkehrsrechts-Sammlung (Zeitschrift) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1924 ff. Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht, bis 1996; ab 1996: Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (Zeitschrift) Yearbook of the European Convention on Human Rightsl Annuaire de la Convention Europeenne des Droits des L'Homme (zitiert nach Band (Jahrgang) und Seite) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Zeitschrift; http://www.mpiv-hd.mpg.de/de/hp/zaorv_dhome. efm [Stand: 20.06.2002]) Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (Zeitschrift; http://www.nomos.de/nomos/zeitsehr/zar/zar.htm [Stand: 20.06. 2002]) zum Beispiel Zeitschrift des Bemischen Juristenvereins (Zeitschrift) Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung; seit 1989: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Beamtenrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für europarechtliche Studien (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Zeitschrift) Zug (Kanton in der Schweiz; http://www.zug.eh [Stand: 20.06. 2002]) Zürich (Kanton in der Schweiz; http://www.kanton.zh.eh [Stand: 20.06.2002]) Ziffer zitiert als Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift; http://www.zrp.beek.de [Stand: 20.06.2002]) Zeitschrift für schweizerisches Recht (Zeitschrift) Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Zeitschrift; http://www.degruyter.de/joumals/zstw/ [Stand: 20.06.2002]) zugleich Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zweitbearbeitung
Einleitung - Gegenstand und Gang der Untersuchung "Bei dem Versuch, dem Einzelmenschen durch eine kollektive Garantie eine geschützte Freiheitssphäre zu schaffen, handelt es sich um die stärkste, vielleicht die einzige ideologische Waffe, die wir dem Weltbild des Ostens entgegenzusetzen haben."
Als Gerhard Erdsiek 1 diese Zeilen im Jahre 1959 anlässlich der Errichtung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schrieb, war die Phase des wirtschaftlichen und politischen Neuaufbaus Europas nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs noch nicht abgeschlossen. Ein wesentlicher Grundstein für die Integration Europas war jedoch vom neu geschaffenen Europarat in Form eines für die damalige Zeit bahnbrechenden völkerrechtlichen Vertragswerkes gelegt worden - der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die am 04. November 1950 in Rom von zunächst 13 (west-)europäischen Staaten unterzeichnet worden ist und die knapp drei Jahre später am 03. September 1953 völkerrechtlich in Kraft trat. Im Jahre 1959 konnte Erdsiek noch nicht ahnen, dass sich seine "ideologische Waffe" im Laufe der Jahrzehnte zu einer Art europäischem Grundrechtskatalog entwickeln würde, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 heute in mehr als 40 europäischen Staaten inklusive der meisten osteuropäischen Staaten gilt und Beachtung findet. Aber nicht nur diese geographische Ausdehnung macht die Konvention in der Reihe der Menschenrechtsverträge zu etwas Besonderem. Einen großen Anteil daran hat auch die Schaffung eines eigenen Rechtsschutzsystems zur Überwachung und Durchsetzung der Konventionsgarantien. Erst dieses Rechtsschutzsystem sorgte dafür, dass die Menschenrechtskonvention anders als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 nicht lediglich ein auf internationaler Ebene formuliertes Programm auf geduldigem Papier blieb. Erstmalig in der Geschichte der Menschenrechte wurde dem Einzelnen ein wirksames Mittel in Form der Individualbeschwerde in die Hand gegeben, um sich gegen Verletzungen einer oder mehrerer Garantien der Menschenrechtskonvention durch einen Vertrags staat zur Wehr zu setzen und eine internationale Instanz anzurufen. Die völkerrechtliche Stellung des Individuums wurde damit gestärkt und ihm "völkerrechtliche Parteifähigkeit" verliehen. Es wurde
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Erdsiek, NJW 1959, S. 1215.
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Einleitung - Gegenstand und Gang der Untersuchung
dem einzelnen Bürger ermöglicht, einen Staat wegen Menschenrechtsverletzungen anzuklagen. Die völkerrechtliche Instanz, die letztendlich über die Vereinbarkeit staatlicher Akte mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu befinden hat, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Straßburg. Entwickelte sich die Nutzung des Rechtsschutzsystems im Rahmen von Individualbeschwerden zunächst sehr langsam2 , so wurde die Möglichkeit, staatliche Menschenrechtsverletzungen vor einer internationalen Instanz zu rügen, im Laufe der Jahre zunehmend3 genutzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich dabei in den letzten Jahrzehnten zu einer Art Verfassungsgericht für Europa entwickelt. 4 Gegen die Bundesrepublik Deutschland selbst sind in den letzten Jahrzehnten unzählige Individualbeschwerden in Straßburg eingereicht worden. Von diesen Beschwerden mündeten jedoch nicht alle in Verfahren vor dem EGMR. Bisher entschied dieser in "nur" 56 Urteilen für oder gegen die Bundesrepublik Deutschland. Gemäß Art. 46 Abs. 1 MRK (= Art. 53 MRK a.F.) besteht eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Befolgung der Urteile des EGMR, wenn sie Partei des Verfahrens war. Der genaue Umfang dieser vertragsstaatlichen Pflicht ist jedoch bis heute noch nicht vollständig geklärt. 5 Es fehlt hier insbesondere an neueren umfassenden Analysen zu dieser eher völkerrechtlichen Problematik. Auch die vorliegende Arbeit möchte nicht die grundlegende Frage nach der Bindungswirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entscheiden. Dennoch soll zur Lösung der Problematik ein Beitrag geleistet werden, indem die vorliegende Untersuchung die tatsächlichen Auswirkungen verschiedener Urteile des EGMR im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland näher betrachtet. 6 Soweit ersichtlich, ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser Problematik bisher nicht vorgenommen worden. 7 Eine vollständige Aufarbeitung der Straßbur2 Knapp 11 Jahre nach seiner Errichtung hatte der Gerichtshof lediglich 8 Urteile gefällt. 3 Allein im Jahr 2001 hat der EGMR in 889 Fällen durch Urteil entschieden (2000: 695; 1999: 177). 4 Vgl. nur Stefan U1rich in der SZ vom 03. November 1998, S. 1. 5 Vgl. Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 153; Bemhardt, FS Doehring, S. 23 wies im Jahre 1989 darauf hin, dass das Problem der Wirkung von Entscheidungen internationaler Organe und Gerichte in der innerstaatlichen Rechtsordnung als "ein neues Problem" hinzugekommen sei. 6 Zu einer thematisch ähnlichen Untersuchung für das Zivilprozessrecht siehe S. Matthei, Der Einfluß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die ZPO, Frankfurt a.M. [u. a.] 2000. 7 Während der Entstehung dieser Arbeit erschien dazu ein Beitrag von Walter Odersky in der Festschrift zu Ehren von Rolv Ryssdal, der die Problematik letztlich
Einleitung - Gegenstand und Gang der Untersuchung
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ger Rechtsprechung zu strafverfahrensrechtlichen Fragestellungen war an dieser Stelle nicht möglich und soll auch nicht Sinn und Zweck der Arbeit sein. Sie bleibt den Kommentatoren zur Europäischen Menschenrechtskonvention oder den Monographien zu ihren einzelnen Garantien überlassen, gleichwohl die Praxis der Konventionsorgane nicht völlig außer Acht gelassen und an entsprechenden Stellen berücksichtigt wurde. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelte Verfahren, in denen die Bundesrepublik Deutschland Partei war. Aus der Fülle der Urteile wurden exemplarisch sechs deutsche Fälle herausgegriffen, die unterschiedliche strafprozessrechtliche Thematiken betrafen und die Wirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie eine Entwicklung in ihrer Aufnahme durch die deutsche Praxis gut illustrieren. Es handelt sich hierbei in zwei Fällen 8 um die Feststellung einer Verletzung der Menschenrechtskonvention durch die überwiegende gerichtliche Praxis, die auf einer konventionswidrigen gesetzlichen Regelung beruhte. In einem Fall9 wurde die Bundesrepublik Deutschland wegen eines konventionswidrigen Gerichtsverfahrens verurteilt. In den drei anderen Fällen 10 konnte der EGMR keine Verletzung der Menschenrechtskonvention feststellen und bestätigte die deutsche Praxis. Daneben werden im vierten Kapitel die Auswirkungen im Strafverfahrensrecht der Schweiz nach einer Verurteilung der Schweizerischen Eidgenossenschaft gezeigt. 11 Dabei soll verdeutlicht werden, wie in einem benachbarten Konventionsstaat auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte reagiert wird, zumal sie eine in beiden Staaten weitgehend ähnliche Praxis bei Kostenentscheidungen nach Abschluss von Strafverfahren betraf. Ausgeklammert von der Untersuchung wurde die umfangreiche Problematik der Dauer von Strafverfahren, wegen derer die Bundesrepublik Deutschland mehrmals im letzten Jahrzehnt verurteilt worden iSt. 12 Ebenaber nur anzureißen vermochte: siehe W. Odersky, Zum Einfluss der Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR auf das deutsche Strafverfahrensrecht, in P. Mahoney [u. a.] (Hrsg.): Protection des droits de l'homme: la perspective europeenne/Protecting Human Rights: The European Perspective, Köln [u. a.] 2000, S. 1039 ff. 8 Fall Luedicke u. a. (Series A, Vol. 29) und Fall Öztürk (Series A, Vol. 73). 9 Fall Pakelli (Series A, Vol. 64). Im entsprechenden Kapitel dieser Arbeit wird am Rande der Fall Croissant (Series A, Vol. 237-B) berücksichtigt werden. 10 Fälle Lutz (Series A, Vol. 123-A), Englert (Series A, Vol. 123-B) sowie Nölkenbockhoff (Series A, Vol. 123-C). 11 Fall Minelli (Series A, Vol. 62).
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falls unberücksichtigt blieben das Problem der V-Personen 13 sowie die kontrovers diskutierte Frage des Akteneinsichtsrechts 14 • Die Betrachtung der drei Thematiken hätte den Umfang der Arbeit über Gebühr und ohne nennenswerte Änderung ihres Ergebnisses erweitert. So erklärt sich auch, warum Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Beschwerden gegen Deutschland, die erst nach 1987 in Straßburg anhängig wurden, in der Arbeit nicht im Einzelnen berücksichtigt worden sind. Letztlich resultiert daraus folgender Gang und Aufbau der Untersuchung: an eine Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen, innerhalb derer im ersten Teil auf die Geschichte und die Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland und im zweiten Teil auf das Rechtsschutzsystem der Konvention und den Meinungsstand zur Wirkung von Entscheidungen des EGMR im innerstaatlichen Recht eingegangen wird, schließen sich die Ausführungen zu den rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der hier betrachteten Straßburger Urteile an. Dabei wurde versucht, einen gleichförmigen Aufbau beizubehalten. Jede einzelne Betrachtung beginnt mit einer Darstellung des Sachverhalts und einer Zusammenfassung der Entscheidungsbegründung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Während der Beschäftigung mit dem Thema 12 Die beiden letzten Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR wegen überlanger Strafverfahren erfolgten in den Fällen Metzger (Urteil vom 31. Mai 2001, EuGRZ 2001, 299 = StrVert 2001, 489 m. Anm. Roxin) sowie im Fall Erdem (Urteil vom 05. Juli 2001, EuGRZ 2001, 391). Zur Problematik siehe nur den neueren Beitrag von Ress, FS Müller-Dietz, S. 627 ff. und die aktuelle Rechtsprechungsübersicht bei Kühne, StrVert 2001, S. 529 ff. l3 Der BGH hat sich bei der Frage der prozessualen Wirkung eines Lockspitzeleinsatzes ausdrücklich nicht dem EGMR angeschlossen: BGHSt 45, 321 = NJW 2000, 1123 = StrVert 2000, 57 = NStZ 2000, 269 mit Anm. v. Endriß/Kinzig = JZ 2000, 363 mit Anm. v. Roxin; fortgeführt in BGHSt 47, 44 = NJW 2001, 2981 = NStZ 2001, 553; siehe dazu auch Sommer, StraFo 2000, S. 150 ff.; weiterhin Kinzig, StrVert 1999, S. 288 ff.; Renzikowski, JZ 1999, S. 605 ff. sowie K. Krauß, V-Leute im Strafprozeß und die Europäische Menschenrechtskonvention, Freiburg i.Br. 1999. 14 Vgl. die unterschiedlichen Reaktionen auf das Urteil des EGMR im Fall Foucher./. Frankreich: ablehnend LG Mainz NJW 1999, 1271 = NStZ 1999, 313 (LS); zustimmend Deumeland, NStZ 1998, S. 429 f. m. w.N.; siehe auch Böse, StraFo 1999, S. 293 ff. Der Gesetzgeber hat durch das StV ÄG 1999 (BGBI. 2000 I, S. 1253) ein Akteneinsichtsrecht für den Beschuldigten in die Strafprozeßordnung eingeführt, was offensichtlich eine Reaktion auf das EGMR-Urteil darstellt und gleichartige Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland verhindern soll; kritisch allerdings Dedy, StraFo 2001, S. 149 ff. Zum uneingeschränkten Akteneinsichtsrecht für inhaftierte Beschuldigte siehe die jüngeren Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vom 13. Februar 2001 in den drei Fällen Garcia Alva, Lietzow sowie Schöps, abgedruckt in StrVert 2001, 201 ff. mit Anm. von Kempj sowie in NJW 2002, 2003 ff.; mit Anm. von KieschkelOsterwald.
Einleitung - Gegenstand und Gang der Untersuchung
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fiel auf, dass der deutschen Praxis die Urteile aus Straßburg bzw. deren Kemaussagen meist bekannt waren, was sich auf einen vereinfachten Zugang zu den Entscheidungen durch ihren Abdruck in juristischen Fachzeitschriften zurückführen lässt. Dennoch scheint über die genaue Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und seine Auslegung der Konventionsgarantien und letztlich über deren Inhalt und Umfang selbst in der Bundesrepublik Deutschland streckenweise Unklarheit zu herrschen, der auf diesem Wege ebenfalls abgeholfen werden soll. Nach der Darstellung der EGMR-Urteile wird die Reaktion der deutschen Staatsgewalten auf die jeweiligen Entscheidungen untersucht. Bedauerlicherweise ergaben sich dabei teilweise Schwierigkeiten bei der Besorgung von Schreiben des Bundesjustizministeriums oder der Landesjustizministerien, die Hinweise auf Straßburger Entscheidungen enthielten. Während sich das Bundesministerium noch sehr kooperativ zeigte, wurde von den Landesministerien eine Mithilfe durchweg abgelehnt oder ohne nähere Begründung verweigert. Innerhalb der Untersuchungen der Reaktion der Rechtsprechung und der strafverfahrensrechtlichen Literatur wird zunächst jeweils die Rechtslage und Praxis vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kurz dargestellt, um anhand dessen die möglichen Veränderungen im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland zu zeigen.
Erstes Kapitel
Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen § 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 1
A. Zur Entstehung der Konvention Im Mai des Jahres 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und dem Sieg der Alliierten. Weite Teile Europas, Asiens und Afrikas boten ein Bild der Verwüstung. Eine Unmenge an Toten war zu beklagen. Die gigantische Vernichtungsmaschinerie eines Terrorregimes hatte ihr blutiges Ende gefunden. Unter diesem Eindruck begann der Neuautbau eines Europas, in dem ein stärkerer Zusammenhalt der Völker in einer Gemeinschaft gewährleistet sein sollte. 2 Der Freiheit und der Würde eines jeden Menschen kam dabei besondere Bedeutung zu. Seine Stellung im Völkerrecht sollte unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen betont werden und zu einer internationalen Angelegenheit erhoben werden. 3 Dazu wollte man die Rechte eines jeden Menschen schriftlich auf internationaler Ebene garantieren. 4 Einen ersten Schritt in diese Richtung stellt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) vom 10. Dezember 1948 1 Der Text ist unter anderem in einer deutschen Übersetzung im Sartorius 11 unter Ordnungsnummer 130 abgedruckt. Ebenso als Nr. 005 in der ETS (im internet unter http://conventions.coe.int/ [Stand: 20.06.2002]) sowie zweisprachig auf der Internetseite des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (englisch: http:// www.echr.coe.int/eng/basictexts.htm oder französisch: http://www.echr.coe.intlfr/ basictexts.htm [für beide Stand: 20.06.2002]). 2 Vgl. die Präambel der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (BGB!. 1973 11, S. 430); siehe auch Bleckmann, Europarecht, Rn. 2. Zum historischen Hintergrund der "Europaidee": Koenig/Haratsch, Rn. 26 ff. (S. 12 f.). 3 lescheck, NJW 1954, S. 783; Wiebringhaus, Kommentar, Einführung, S. 12 ff. (insbesondere S. 14); Schom, Vorgeschichte (S. 24); Zwingenberger, S. 151; Appell, S. 6; für Europa: Trechsel, EMRK, S. 73; Ulsamer, FS Zeid1er, Bd. 11, S. 1802; Ryssdal, FS Odersky, S. 246. Zur Entwicklung der Menschenrechte im Völkerrecht Scheuner, FS Jahrreiss, S. 361 ff.; Doehring, Rn. 967 ff. 4 Vgl. Schindler, ZSR 94 I (1975), S. 364.
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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dar, die einen Katalog von Freiheitsrechten, politischen Rechten sowie Gleichheitsrechten enthält. 5 Ihr ist damals von 48 der zu dieser Zeit 56 Mitgliedstaaten der UN zugestimmt worden. Ihrer Rechtsnatur nach war die Menschenrechtserklärung eine Empfehlung und kein völkerrechtlicher Vertrag, der mit verbindlicher Wirkung ratifiziert werden konnte. In der Folgezeit hat sie jedoch aufgrund ihrer Modellwirkung für nachfolgende internationale Verträge im Rahmen der UN und regionale Menschenrechtsverträge, wie beispielsweise die Amerikanische Konvention zum Schutze der Menschenrechte aus dem Jahre 19696 oder die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker von 1981 7 an politischer Bedeutung gewonnen. Auch die Schöpfer der (Europäischen) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, kurz Menschenrechtskonvention, die einen Grundstein auf dem Weg zu einem geeinten Europa bilden sollte, haben sich inhaltlich an der UN-Erklärung orientiert, was in der Präambel der MRK zum Ausdruck gebracht wird. 8 Eine erste Bezugnahme auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erfolgte schon im Februar 1949 in einer Empfehlung für eine europäische Menschenrechtssatzung im hierfür eingesetzten Rat der "Europäischen Bewegung".9 Auf dieser Grundlage wurde ein erster Konventionsentwurf ausgearbeitet, dem in der Folgezeit noch etliche Entwürfe folgten. Diese Entwürfe wurden dem - erst am 05. Mai 1949 mit Sitz in Straßburg gegründeten - Europarat lO vorgelegt und dort in einer Beratenden Versammlung sowie im Ministerkomitee diskutiert. 5 Zu den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta Doehring, Rn. 426 ff.; Scheuner, FS Jahrreiss, S. 357 f. 6 American Convention 0/ Human Rights vom 22. November 1969. Diese Konvention ist erst am 18. Juli 1978 in Kraft getreten. Vorausgegangen war die American Declaration 0/ the Rights and Duties 0/ Man von 1948. Zum Einfluss der UNDeklaration auf die Amerikanische Menschenrechtskonvention: Doehring, Rn. 1000; zur Vorbildfunktion der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Amerikanische Konvention Wittinger, Jura 1999, S. 408 f. 7 Die Charta datiert vom 27. Juni 1981 und ist am 21. Oktober 1986 in Kraft getreten. Eine deutsche Textfassung ist in EuGRZ 1986, S. 677 ff. abgedruckt. Die Charta ist sowohl von der Europäischen als auch von der Amerikanischen Menschenrechtskonvention beeinflusst, hat sich aber auch am Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen orientiert und verweist vielfach auf dieses: Wittinger, Jura 1999, S. 409 f. m. w.N. Zu Übereinstimmungen zwischen der UN-Deklaration und der Afrikanischen Charta Doehring, Rn. 1005; unter Betonung der Universalität der Menschenrechte Petersohn, S. 160 f. 8 Näher: Schom, Präambel Erl. 4 (S. 29 0; FroweinlPeukert (2), EMRK, Präambel Rn. 1. 9 Pansch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 635 f.; Guradze, Kommentar, Einleitung S. 1; zu dem Entwurf auch Wiesler, S. 3 f. 10 Näheres zum Europarat bei KoeniglHaratsch, Rn. 20 ff.; Bleckmann, Europarecht, Rn. 19 f.; Herdegen, Rn. 14 ff.; lpsen, § 34 Rn. 2 ff. sowie Seidl-Hohenvel-
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l. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
Eine herausragende Stellung nahmen dabei die Vorstellungen des ehemaligen französischen lustizministers (und Vertreter Frankreichs in der Beratenden Versammlung) Pierre-Henri Teitgen ein, die bei den Beratungen der Entwürfe Berücksichtigung fanden. I I Seit Ende des Zweiten Weltkriegs nahmen erstmals im August 1950 auch deutsche Delegierte 12 an den Sitzungen der Beratenden Versammlung teil. Am 04. November 1950 wurde die endgültige Fassung einer europmsehen Menschenrechtskonvention im Barberini-Palast in Rom von zunächst 13 europäischen Staaten 13 unterzeichnet. Sie stand generell nur Staaten zur Unterzeichnung offen, welche die grundlegenden individuellen und staatsbürgerlichen Rechte eines demokratischen Gemeinwesens gewährleisteten l4 und speziell nur den Mitgliedern des Europarates l5 , womit sie sich zu Zeiten der Ost/West-Teilung territorial ausschließlich auf das westliche Europa erstreckte. Gemäß Art. 66 Abs. 1 MRK a. F. 16 bedurfte (und bedarf) sie der nationalstaatlichen Ratifikation. 17 Der Vertragstext wurde in englischer und in französischer Sprache ausgefertigt. Beide Textfassungen sind gleichbedeutend maßgebend. IB
dem/Loibl, Rn. 2206 ff; im internet ist der Europarat unter der URL http:// www.coe.int [Stand: 20.06.2002] vertreten. 11 Zum Ganzen Guradze, Kommentar, Einleitung S. 2 ff.; Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 640 ff.; Wiesler, S. 3 ff.; Escher, S. 3 ff. 12 Die Bundesrepublik Deutschland war neben der Saar assoziiertes Mitglied des Europarates mit lediglich beratender Stimme: Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), Fn. 85 (S. 655); Ernst, S. 72. 13 Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Frankreich, Island, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Saar, Türkei sowie Vereinigtes Königreich; von Griechenland und Schweden wurde die Konvention wenig später am 28. November 1950 unterzeichnet. 14 So auch die Intention bei den Vorarbeiten zur Konvention: Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 633. 15 Zur Verpflechtung von Konvention und Europarat: Scham, Präambel Er!. 10 bis 13 (S. 32 f.); Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 658; Golsong, JZ 1960, S. 195. 16 Durch das Protokoll Nr. 11 aus dem Jalrre 1994 wurde eine Umstrukturierung des Rechtsschutzsystems der Konvention vorgenommen, die mit einer Neufassung der bisherigen Abschnitte 11 bis IV der MRK verbunden war. Sämtliche in dieser Arbeit zitierten Konventionsartikel ohne Angabe entstammen der neuen Textfassung der MRK. Beim Zitieren der alten Fassung wird dies kenntlich gemacht. Die oben angesprochene Ratifikationsvorschrift findet sich nun in Art. 59 Abs. 1 MRK. 17 Zur völkerrechtlichen Ratifikation vg!. allgemein Seidl-Hohenveldem/Stein, Rn. 264 ff.; HäfelinIHalier (5); Rn. 1912. 18 Siehe aber zu den damit verbundenen Schwierigkeiten Richter, S. 7; zu den Problemen bei der Übersetzung der Konvention ins Deutsche: Bericht des Abgeordneten Dr. Brill in BT-Drucksache 113338, S. 3 sowie Ulsamer, FS Zeidler, Bd. 11, S. 1812.
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte die Europäische Menschenrechtskonvention durch Gesetz l9 zum 05. Dezember 1952?O Gemäß Art. 66 Abs. 2 MRK a. F?I sollte die Konvention nach Hinterlegung von 10 Ratifikationsurkunden in Kraft treten, was zeitgleich mit der Ratifikation der EMRK durch Luxemburg am 03. September 1953 geschehen ist. 22 Zu diesem Datum trat die Konvention auch in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Die diesbezügliche Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt erfolgte am 15. Dezember 1953. 23 Die Anwendung der Menschenrechtskonvention in Berlin (West) wurde dort eigens durch Gesetz vom 24. September 1953 24 mit Wirkung vom 23. August 1952 festgestellt. Die Deutsche Demokratische Republik hatte die Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet. B. Die Mindestgarantien der Menschenrechtskonvention für sich betrachtet und im Vergleich mit dem deutschen Grundgesetz I. Die Garantien der MRK im Kurzüberblick
Wie schon angesprochen, sollte die Konvention bestimmte (klassische) Menschenrechte, die als in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft nach "westlichen,,25 Vorstellungen unverzichtbar angesehen wurden, völkerrechtlich festschreiben, sie aufrecht erhalten und dem Einfluss 19 Gesetz vom 07. 08. 1952, BGBL 1952 11, S. 685 (berichtigt S. 953). Zur Geschichte des Gesetzes: Dronsch, S. 82; Ernst, S. 75 ff. 20 Vgl. dazu auch BT-Drucksache 1/3338. 21 In der neuen Fassung entsprechend Art. 59 Abs. 2 MRK. 22 Siehe den Überblick bei MiehslerlPetzold, EMRK (1982) I, EMRK S. 54; Richter, S. 1 (Fn. 1). 23 BGBI. 1954 11, S. 14. Hier wurde gleichzeitig erklärt, dass die Konvention auch für das Land Berlin gelten solle. 24 Art. I Z. 4 des Dritten Gesetzes über die Anwendung von Bundesgesetzen über internationale Abkommen der Bundesrepublik Deutschland, abgedruckt in GVBI. (Berlin) 1953, S. 1163. Zu den Bedenken im Hinblick auf den besonderen Status Berlins und die Besatzungsmächte ausführlich Richter, S. 123 ff.; zum Problem der Menschenrechtsbeschwerde gegen West-Berliner Hoheitsakte Schumann, S. 176 (Fn. 34) sowie LR(24)-Gollwitzer, MRK, Ein!. Rn. 13; zur völkerrechtlichen Stellung Berlins bis 1990: M. Schweitzer, Rn. 638 ff. 25 Diesen nicht bloß geographischen Unterschied betonte schon Schom, Vorgeschichte (S. 24). Zu unterscheiden sind die Vorstellungen Westeuropas beispielsweise von den vielfältigen und stark religiös geprägten islamistischen Vorstellungen, die scharf zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen trennen und die Frau nach unseren Vorstellungen weitgehend diskriminieren, auch wenn sich das Menschenrechtsverständnis zunehmend "westlichen" Vorstellungen annähert: vgl. Petersohn, S. 57 ff. (insbesondere S. 61 f.), 92 ff., 120 ff. sowie S. 228 ff.; zu den klassischen islamistischen Vorstellungen auch Bielefeldt, EuGRZ 1990, S. 492 f. sowie Franco,
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
nationaler Gesetzgebung und Willkür entziehen. 26 Gerade das dritte Ansinnen27 wurde vom Rückblick auf den Albtraum der jüngst erlebten nationalsozialistischen Terrormaschinerie und dem Seitenblick auf die damalige Entwicklung in der damaligen Sowjetunion und der damit verbundenen Furcht vor dem totalitären Stalinismus gestützt. 28 Als zu den klassischen Rechten gehörig wurden Gedankenfreiheit, Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und das Recht zu politischer Opposition gezählt. 29 Die Konvention sichert demgemäß das Recht auf Leben (Art. 2) sowie das Verbot von Folter (Art. 3) und Sklaverei (Art. 4), den Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8), Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit (Art. 9), Meinungsfreiheit (Art. 10), Versammlungsund Vereinigungsfreiheit (Art. 11), das Recht auf Eingehung der Ehe sowie in Art. 14 das Verbot der Diskriminierung (Gleichheitsgrundsatz). Nicht in die am 04. November 1950 unterzeichnete Fassung wurden das Recht auf Eigentum, Bildung und Erziehung sowie freie Wahlen aufgenommen, die im Vorfeld der Beratungen streitig waren. 30 Sie fanden ihren Eingang in das erste Zusatzprotokoll zur Konvention, das am 20. März 1952 in Paris unterzeichnet wurde und am 18. Mai 1954 in Kraft trat. Es bedurfte eines solchen Zusatzprotokolls, weil der Text der Konvention selbst wiederum nur vertraglich abänderbar ist?l Bis heute sind zwölf (Zusatz-)Protokolle32 unterzeichnet worden: Protokolle Nr. 2 und Nr. 3 - unterzeichnet am 06. Mai 1963 und in Kraft seit 21. September 1970; Protokoll Nr. 4 - unterzeichnet am 16. September 1963 und in Kraft seit 02. Mai 1968; Protokoll Nr. 5 - unterzeichnet 20. Januar 1966 und in Kraft seit 20. Dezember 1971; Protokoll Nr. 6 - unterzeichnet am 28. April 1983
JöR 44 NF (1996), S. 205 ff.; zum gesellschaftlich orientierten Menschenrechtsverständnis des Sozialismus vgl. Eh. Schneider, S. 7 ff. 26 Vgl. Escher, S. 5. 2? Dazu auch Vogler, Wiederaufnahme, S. 725 f.; HaejligerlSchünnann, S. 18. 28 Vgl. Trechsel, EMRK, S. 73; Weidmann, S. 43 f.; bezüglich der Menschenrechtserklärung der UN Biele/eldt, EuGRZ 1990, S. 491. 29 Guradze, Kommentar, Einleitung S. 1; Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 634; zum "fundamentalen Grundtatbestand" und dispositiven Menschenrechten Doehring, Rn. 986 ff. 30 Schom, Präambel Erl. 1 (S. 27 f.); Guradze, Kommentar, Einleitung S. 4 f. 31 Ryssdal, FS Odersky, S. 252. 32 Die Texte der Protokolle sind u. a. im Sartorius 11, Nr. 131 ff. sowie in ETS Nr. 009 (Protokoll Nr. I), 044 (Nr. 2), 045 (Nr. 3), 046 (Nr. 4), 055 (Nr. 5), 114 (Nr. 6), 117 (Nr. 7), 118 (Nr. 8), 140 (Nr. 9), 146 (Nr. 10), 155 (Nr. 11), 177 (Nr. 12) nachzulesen. Zur Ratifikation der Protokolle durch die Bundesrepublik Deutschland vgl. KleinknechtlMeyer-Goßner (45), MRK (A4), Vorbem. Rn. 2. Siehe auch die Ratifikationsübersichten in YB 42 (1999), S. 2 ff.; bei Frowein/Peukert (2), EMRK, S. 988 f. sowie in EuGRZ 1994, S. 350 = HRLJ 15 (1994), 114. Zum Stand der Ratifikation im Januar 2000: Marie, HRLJ 21 (2000), S. 97 f.
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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und in Kraft seit 01. März 1985; Protokoll Nr. 7 - unterzeichnet am 22. November 1984 und in Kraft seit 01. November 1988; Protokoll Nr. 8 - unterzeichnet am 19. März 1985 und in Kraft seit 01. Januar 1990; Protokoll Nr. 9 - unterzeichnet am 06. November 1990 und in Kraft seit 01. Oktober 1994; Protokoll Nr. 10 - unterzeichnet am 25. März 1992 und noch nicht in Kraft getreten. Das elfte Protokoll, das am 11. Mai 1994 unterzeichnet wurde und am 01. November 1998 in Kraft trat 33 , ist aufgrund der damit einhergehenden Strukturveränderungen weniger ein Zusatzprotokoll zur Konvention, denn eher ein Reformprotokoll bezüglich des Kontrollmechanismus?4 Im Rahmen dieser Reform wurde der Text der Menschenrechtskonvention bis auf die Regelungen in Abschnitt I (Art. 1 bis 18 MRK) neugefasst. Am 4. November 2000 wurde das Protokoll Nr. 12, das ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält, in Rom unterzeichnet.
Diese Protokolle regeln teils Verfahrensfragen in Bezug auf die Organe der Menschenrechtskonvention, führen aber auch zusätzliche Menschenrechte, wie z. B. die Gewährleistung der Freizügigkeit und das Verbot von Ausweisungen aus dem Hoheitsgebiet des eigenen Staates (beide geregelt im Vierten Protokoll) sowie die Abschaffung der Todesstrafe (Sechstes Protoko1l 35 ) in den Schutzbereich der Konvention ein. Das siebte und von der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht ratifizierte Protoko1l 36 erweiterte den Katalog der Menschenrechtskonvention um solche Rechte, die der Internationale Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR37 ) gewährleistete, wie beispielsweise das Recht auf eine übergeordnete Instanz in Strafsachen und das Recht, wegen einer bereits abgeurteilten Sache nicht erneut vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden (ne bis in idem-Grundsatz38 ).
33 Vg!. die "Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Protokolls Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" vom 12. Februar 2001 in BGB!. 2001 11, S. 231 f. 34 Zu dieser Begrifflichkeit vg!. näher DrzemczewskiIMeyer-Ladewig, EuGRZ 1994, S. 321; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 954 sowie ders., JZ 1999, S. 222; HaejligerlSchürmann,S. 350. 35 Dazu Hartig, EuGRZ 1983, S. 270 ff. 36 Vg!. die diesbezügliche Erklärung der Bundesrepublik abgedruckt bei Froweinl Peukert (2), EMRK, S. 917. 37 Vom 19. Dezember 1966; in Kraft seit 23. 02. 1976. Der Pakt ist nebst Fakultativprotokollen unter Nr. 20 ff. im Sartorius 11 abgedruckt. Die Deutsche Demokratische Republik war diesem Pakt gleichfalls beigetreten: vg!. Eh. Schneider, S. 6, 13 f. 38 In Deutschland ist der Grundsatz des Verbots der Mehrfachbestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegt und wird allgemein als Prozessgrundrecht angesehen: Schultze-Fielitz, in H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 103 III Rn. 14 m.w.N.; differenzierend Schroeder, JuS 1997, S. 227ff.; zur Herkunft und Entwicklung des Grundsatzes wiederum Schultze-Fielitz, in H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 103 III Rn. 1 ff. sowie Rüping, in: BK, Art. 103 Abs. 3 (Zweitb. 1982) Rn. 2 ff.
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I. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
Für das deutsche Strafverfahren sind vor allem die in Art. 5 und 6 der Konvention präzise geregelten Mindestrechte wesentlich. Art. 5 MRK regelt das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie diesbezügliche Mindestgrundsätze und erfährt seine Bedeutung vornehmlich im Hinblick auf die Untersuchungshaft. Art. 6 MRK schützt das Verfahren als solches?9 Im ersten Absatz sind dazu die Grundsätze eines fairen (gerichtlichen) Verfahrens aufgeführt und somit ein "rechtsstaatlicher Mindeststandard,,4o festgelegt. In Art. 6 Abs. 2 MRK ist der Grundsatz der Unschuldsvermutung positiviert. Art. 6 Abs. 3 MRK behandelt detailliert (Minimal-)Rechte des "Angeklagten,,41 zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, wie z. B. das Recht auf Gehör und umfangreiche effektive Verteidigung. 42 Art. 7 Abs. 1 MRK schreibt den Grundsatz nullum crimenlnulla poena sine lege fest. Bei der Unterzeichnung der Ratifikation behielt sich die Bundesrepublik gemäß Art. 64 MRK a. F. 43 die Anwendung des Abs. 2 von Art. 7 MRK in den Grenzen von Art. 103 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes vor. 44 11. Vergleich mit der deutschen Verfassung und Konsequenzen für die praktische Anwendung der Konvention
An dieser Stelle soll kurz auf das Verhältnis der Menschenrechtskonvention zum deutschen Grundgesetz eingegangen werden. Bei der Betrachtung der in der Konvention niedergeschriebenen Mindestrechte45 drängt sich ein 39 Nicht jedoch dessen Ausgang: vgl. Villiger, ZStR 113 (1995), S. 284. Einen kurzen Überblick über die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 MRK gibt Callewaert, EuGRZ 1996, S. 366 ff. 40 Kadelbach, Strafverteidigertag 1997, S. 253; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 44. 41 So der Wortlaut der deutschen nichtamtlichen Übersetzung. Die Konvention selbst ist autonom auszulegen, so dass bei der Verwendung bestimmter deutscher Begriffe Vorsicht geboten ist, da sie im Lichte der Menschenrechtskonvention eine andere Bedeutung haben können: vgl. Echterhölter, JZ 1956, S. 142; Mosler, Problems of interpretation, S. 161 f.; Vlsamer, FS Zeidler, Bd. 11, S. 1813; Hilf, Arbeitstagung, S. 24 f.; Weidmann, S. 70 ff.; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. I, § 17 Rn. 1 (S. 1094). 42 Überblick u. a. bei Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 61 ff. 43 In der neuen Fassung entsprechend Art. 57 MRK; allgemein zu Vorbehalten hinsichtlich völkerrechtlicher Verträge HaejligerlSchürmann, S. 26 ff. 44 Vgl. BT-Drucksache 1/3338, S. 5; BGBl. 195411, S. 14. Der Vorbehalt ist u.a. abgedruckt bei MiehsleriPetzold, EMRK (1982) I, EMRK S. 58; Kühl, ZStW 100 (1988); S. 407 sowie in Frowein/Peukert (2), EMRK, S. 903. Kritisch zum Ratifizierungsvorbehalt Jescheck, NJW 1954, S. 785; Echterhölter, JZ 1956, S. 146 sowie Wäsche, S. 96 ff. 45 Zu dem Umstand, dass die Konvention nur einen Mindeststandard gewähren und keine neuen Grundfreiheiten schaffen wollte Scheuner, FS Jahrreiss, S. 367.
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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direkter Vergleich zu den ersten 19 Artikeln des Grundgesetzes sowie den Justizgrundrechten in Art. 103 ff. GG auf. 46 Der diesbezügliche Schutzbereich in beiden Normwerken ist in seinem Umfang annähernd gleich, was seine Ursache in beider Entstehung hat. 47 Das deutsche Grundgesetz datiert vom 23. Mai 1949 und die völkerrechtliche Menschenrechtskonvention vom 04. November 1950. Beide sind durch die gleichen Vergangenheitsbilder beeinflusst und beide verfolgen das Ziel, einen rechtsstaatlichen und ethischen Standard zu gewährleisten. 48 Demgemäß sind beide mit einem detaillierten Katalog von Menschenrechten ausgestattet worden. Der (Text-)Katalog der MRK geht dabei in einigen Punkten weiter als der des GG (wie z. B. im ausdrücklichen Festschreiben eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK) oder der Unschuldsvermutung in Art. 6 Abs. 2 MRK). Auf der anderen Seite enthält das GG einen in manchen Punkten differenzierter ausgebauten Menschenrechtsschutz. 49 Das Bundesverfassungsgericht greift eher auf die deutsche Verfassung zurück und entwickelt bestimmte Verfahrensprinzipien, wie bspw. die Unschuldsvermutung, bevorzugt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (teils in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG).50 In den ersten Jahren nach Inkrafttreten der Menschenrechtskonvention nahm man in der Bundesrepublik noch an, dass das deutsche Recht in seinem Schutzumfang über die MRK hinausgehe und maß der Konvention, die diesen Fall in Art. 60 MRK a. F. 51 ausdrücklich vorsieht52 , nur eine geringe Bedeutung 46 Zur Gegenüberstellungen von MRK und GG siehe Schom, Art. 1 Erl. 26a ff. (S. 62 ff.); Richter, S. 6 ff.; Hilf, Arbeitstagung, S. 25 ff. sowie Bemhardt, EuGRZ 1996, S. 339. Die Menschenrechtskonvention verwendet zwar den Begriff "Menschenrechte" während das GG von "Grundrechten" spricht - auf diese terminologischen Feinheiten soll hier jedoch ebenfalls nicht näher ein.~egangen werden. Dazu ausführlicher: Schom, Präambel Erl. 18 (S. 35); Herzog, DOV 1959, S. 45 f.; Kleeberger, S. 1 ff. (vor allem S. 6 und 11). 47 Vgl. Frowein, HStR, § 180 Rn. 24. 48 Das betont auch Appell, S. 12. Zu den "gemeinsamen Wurzeln" und Entwicklungen Uerpmann, S. 118 ff.; in diesem Zusammenhang vgl. Pe mice, NJW 1990, S. 2419 f.; Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 18 sowie erneut Uerpmann, S. 126 ff. zu einer europäischen Grundrechtskultur. 49 Als Beispiel sei die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG genannt. Eine entsprechende Garantie enthält die Menschenrechtskonvention ausdrücklich nicht. 50 Zur Unschuldsvermutung statt vieler BVerfGE 22, 254 (265) sowie weitere Nachweise bei § 8 B. I. 1.; zum Recht auf ein faires Verfahren: BVerfGE 26, 66 (71) sowie E 64, 135 (145 f.); zum Beschleunigungsgebot: BGH NJW 1972, 402 ff.; zum Anspruch auf konkrete und wirkliche Verteidigung: BGH NJW 2000, 2217 (2219). Vgl. auch die Beispiele bei H. Seibert, FS Hirsch, S. 523 f. 51 In der neuen Fassung entsprechend Art. 53 MRK. 52 Guradze, Kommentar, Einleitung S. 19, bezeichnete diese Bestimmung daher als "GÜnstigkeitsprinzip". Siehe auch Trechsel, EMRK, S. 91 f. 3 Kieschke
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
bei. 53 Echterhölter54 rief drei Jahre nach Inkrafttreten der MRK dazu auf, "die Konvention in der gerichtlichen und Verwaltungspraxis aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken." Doch selbst heute noch wird von Roxin 55 im Hinblick auf die StPO angenommen, dass diese "günstigere" strafprozessuale Garantien enthalte. Zunehmend musste man freilich feststellen, dass die Konvention in der Auslegung, die sie durch ihre Organe erfährt, teilweise umfangreichere Menschenrechtsgarantien als das Grundgesetz gewährt. 56 Dementsprechend fand die MRK Eingang in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 57 , das sich auf eine alte herkömmliche Regel des Völkerrechts (das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung 58 ) besann und deutsches Recht mittlerweile konventionskonform auslegt59 , obwohl dennoch die MRK von ihm selbst nicht allzu oft herangezogen wird. 6o Eine Verfas53 So bspw. der Bericht des Abgeordneten Dr. Brill in BT-Drucksache 1/3338, S. 5; lescheck, NJW 1954, S. 784 f.; Herzog, AöR 86 (1961), S . 194 f.; Richter, S. 2; Appell, S. 12; Vogler, ZStW 82 (1970), S. 752; Priebe, FS Simson, S. 287 f. Aus neuerer Zeit Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 22 f. und S. 28; vgl. auch weitere Nachweise bei Stenger, S. 335 (Fn. 1168). 54 Echterhölter, JZ 1956, S. 146. 55 Roxin (25), § 3 C II (Rn. 7); a. A. Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 1 (S. 1093 a.E.). 56 Frowein, EuGRZ 1980, S. 231 unter Verweis auf die Verurteilungen in den Fällen König sowie Luedicke, Belkacem und Ko(: (beide 1978); Ulsamer, FS Zeidler, Bd. II, S. 1811; Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 152; Matthei, S. 2; Weigend, StrVert 2000, S. 385 f.; a.A. Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 23. 57 Einzelheiten bei Uerpmann, S. 98 ff. 58 Solange sich ein nationales Gesetz nicht ausdrücklich gegen völkerrechtliche Normen wendet, soll im Zweifel davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber völkerrechtskonforme Normen setzen wollte. In diesem Sinne sprachen sich schon Triepel, S. 398 f. m. w.N. und später v. LisztlFleischmann, S. 15 aus. Ebenso Richter, S. 122; H. Seibert, FS Hirsch, S. 525; Hilf, Arbeitstagung, S. 40; E. Klein, Arbeitstagung, S. 54. Die Ansicht Fiedlers, das Bundesverfassungsgericht habe diesen Grundsatz eigens aufgestellt (Fiedler, S. 17), ist somit nicht ganz richtig. V gl. aus neuerer Zeit zu diesem Gebot auch Kreuzer, JA 1998, S. 732 m.w.N.; Matthei, S. 22 ff. sowie Doehring, Rn. 734. 59 Grundlegend BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 (206): " ... Auch Gesetze - hier die Strafprozeßordnung - sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag ... " Diese Auffassung wurde bestätigt in BVerfGE 82, 106 (115) sowie E 83, 119 (128). Dem ist der Verfassungsgerichtshof Sachsen hinsichtlich der Grundrechte der sächsischen Verfassung gefolgt: siehe VerfGH Sachsen JZ 1996,957 = EuGRZ 1996,437 = DVBl. 1996, 1423. Ebenso für Bundesrecht einige jüngere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs unter Einbeziehung der Auslegung der MRK durch den EGMR: BGHSt 45, 321 (328 f.) = NJW 2000, 1123 (1124 f.) = JZ 2000, 363 (365) = NStZ 2000, 269; auf die vorgenannte Entscheidung verweisend BGHSt 46, 93 (97) = NJW 2000, 3505 (3507) = StrVert 2000, 593 (595);
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
35
sungsbeschwerde kann in Deutschland nach dem Wortlaut des § 90 Abs. 1 BVerfGG sowie ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts61 jedoch nicht allein auf die Verletzung von Konventionsnormen gestützt werden62 ; das Bundesverfassungsgericht scheint allerdings vermehrt zur Stärkung der Beachtung der Konventionsnormen durch deutsche Gerichte einen Umweg über das Willkürverbot des Art. 3 GG einschlagen zu wollen, der es ermöglichen kann, die Verletzung von Konventionsnormen doch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zu überprüfen. 63
c.
Die Rechtsnatur der Konvention
und ihre Stellung im Normengefüge
I. Die Rechtsnatur der Konvention und ihre Stellung in Europa
Die Europäische Menschenrechtskonvention ist unbestritten ihrer Rechtsnatur nach ein völkerrechtlicher Vertrag. 64 Dementsprechend entfaltet sie ihre Wirksamkeit nur zwischen den Vertragsparteien bzw. Unterzeichnerstaaten, im Text der Konvention als "Hohe Vertragschließende Teile,,65 bezeichnet. Diese sind ausschließlich die Mitglieder des Europarates, was heutzutage auf europäischer Ebene aber kaum noch exklusive Wirkung hat, BGH NJW 2001, 309 (311) = StrVert 2001, 1 (3) = NStZ 2001, 107 (09); siehe auch BVerwG JZ 2000, 1050 (1053) = InfAuslR 2000, 171 (175). 60 Vgl. Weidmann, S. 58; Kühl, ZStW 100 (988), S. 426; Hoffmeister, S. 8; Beispiele für die Heranziehung der Konvention gibt Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 32 f. 61 BVerfGE 4, 110 (111); E 10, 271 (274); E 34, 384 (395); E 41, 88 (105 f); E 41, 126 (149); E 64, 135 (157); E 74, 102 (128); BVerfG NJW 1984, 1293 (1294); BVerfG EuGRZ 1986,439; 1987, 92 (93); BVerfG DVBl. 1991, 1139; Kleinknechtl Meyer-Goßner (45), MRK (A 4), Art. 13 Rn. 2; a.A. noch Schom, Präambel Erl. 50 (S. 48); zum abstrakten und konkreten Normenkontrollverfahren aus heutiger Sicht siehe Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 28 ff.; zum Rechtsschutz vor dem BVerfG bei Konventionsverletzungen vgl. auch E. Klein, Arbeitstagung, S. 53 ff. 62 Dazu auch Schumann, S. 96 f.; H. Seibert, FS Hirsch, S. 520 f.; E. Klein, Arbeitstagung, S. 53 ff.; Uerpmann, S. 96 ff. 63 Vgl. BVerfGE 64, 135 (157); E 74, 102 (128). Dazu Frowein, FS Zeidler, Bd. H, S. 1766 ff.; ders., HStR, § 180 Rn. 28; Uerpmann, S. 98 f.; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 183; Kilian, S. 214 ff.; Ernst, S. 151 f. sowie Fiedler, S. 18 f. (insbesondere S. 19); zurückhaltend E. Klein, Arbeitstagung, S. 58. 64 Statt vieler: Schom, Art. 1 Erl. 11 (S. 54 f.); Richter, S. 99; Frowein, HStR, § 180 Rn. 4; FroweinlPeukert (2), EMRK, Einführung Rn. 4; Weigend, StrVert 2000, S. 386. Den Vertragscharakter betont auch Hoffmeister, S. 2-3 im Hinblick auf die Kündigungsmöglichkeit. Einen allgemeinen aber umfassenden Überblick über völkerrechtliche Verträge gibt Ipsen, §§ 9-15; zur Kategorisierung allgemein Fiedler, S. 13 ff. 65 Z. B. in Art. 1 MRK: "Les Hautes Parties Contractantes"I"High Contracting Parties". 3*
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
da fast alle europäischen Staaten im Europarat vertreten sind und dementsprechend nunmehr 43 europäische Staaten die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben66 , wobei hier anzumerken ist, dass die Unterzeichnung der MRK und ihrer materiell relevanten Protokolle mittlerweile (ungeschriebene) Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Europarat ist. 67 Gemäß der Intention ihrer Schöpfer und aufgrund ihres detaillierten Menschenrechtskataloges sowie ihres umfassenden Schutzbereiches ist die Menschenrechtskonvention zunehmend als eine Art europäischer Grundrechtskatalog mit Verfassungscharakter gerühmt worden 68 und hat bei der Entwicklung eines europäischen Grundrechtsstandards eine herausragende Bedeutung in ganz Europa erlangt. Die Europäischen Gemeinschaften sind der Konvention selbst nicht beigetreten69 , obwohl ein solcher Beitritt von verschiedenen Seiten70 (u. a. auch von der Europäischen Kommission 71) be66 Die jüngsten Ratifikationen erfolgten durch Armenien (26.04.2002) und Aserbaidschan (15.04.2002). Beide Staaten hatten sich schon bei der Unterzeichnung verpflichtet, die Konvention zu ratifizieren (vgl. EuGRZ 2001, S. 83). Am 24. April 2002 wurde die MRK von Bosnien und Herzegowina unterzeichnet. 67 Vgl. Golsong, EuGRZ 1992, S. 249; Ryssdal, FS Odersky, S. 249; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 920 f. ; ders., JZ 1999, S. 221; Matscher, LA Seidl-Hohenveldem, S. 447; Seidl-HohenveldemILoibl, Rn. 1316. 68 So schon 1949 in der Beratenden Versammlung: vgl. Langer, S. 26. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst bezeichnete die Konvention im Urteil vom 23. März 1995 - Loizidou ./. Türkei (Series A, Vol. 310, Nr. 75 = HRLJ 16 (1995), 15 (24) = YB 38 (1995), 245 ff.) als "constitutional instrument of European public order (ordre public)." Siehe auch Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 633; Echterhölter, JZ 1955, S. 692; Klug, GS Peters, S. 437; Uerpmann, S. 20; Peukert, Strafverteidigertag 1997, S. 231; Walter, ZaöRV 59 (1999), S. 964 f.; Hoffmeister, S. 3; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. I, § 17 Rn. 1 (S . 1093); Chryssogonos, EuR 2001, S. 54. Weitere Nachweise zu begeisterten Stimmen bei Kleeberger, S. 142. 69 Die MRK steht nur Staaten als Mitgliedern des Europarates offen. Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts fehle es zudem an einer Rechtsgrundlage: vgl. das Gutachten des EuGH vom 28. 03 . 1996, Slg. 1996, 1-1759 ff. = EuGRZ 1996, 197 = EuZW 1996, 307 ff. - Gutachten 2/94; kritisch dazu Ress, FS Winkler, S. 926 ff. Siehe auch Golsong, EuGRZ 1978, S. 350 ff.; FroweinlPeukert (2), EMRK, Einführung Rn. 13; KoeniglHaratsch, Rn. 90 (S. 35 f.); LoschIRadau, ZRP 2000, S. 86; AlberlWidmaier, EuGRZ 2000, S. 505 f. (zum Gutachten des EuGH). Bemhardt, FS Everling, Bd. I, S. 104 sieht demgemäß nur die Alternativen eines Beitritts oder eines geschriebenen Grundrechtskataloges für die EG; ebenso Golsong, EuGRZ 1979, S. 71 hinsichtlich eines Beitritts als Sofortlösung oder eines Kataloges als langfristiges Ziel. Anders der Vorschlag der finnischen Regierung vom 22. September 2000 (in vollem Wortlaut und deutscher Übersetzung in EuGRZ 2000, S. 572 wiedergegeben), der betont, dass sich die (mittlerweile proklamierte) EU-Charta und ein Beitritt der EU zur MRK ergänzten. 70 Vgl. nur Golsong, EuGRZ 1978, S. 350 ff. (insbesondere S. 352) sowie ders., EuGRZ 1979, S. 70; Frowein, EuGRZ 1980, S. 237; Kleeberger, S. 144; Ryssdal,
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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fürwortet worden ist. Ungeachtet dessen griff jedoch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Vergangenheit auf die in der Konvention verankerten Menschenrechte zurück72 , da immer mehr EG-Mitgliedstaaten die Menschenrechtskonvention ratifiziert hatten. Die MRK findet insofern vor dem EuGH in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind73 Beachtung. 74 Der am 07. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnete Vertrag über die Europäische Union nahm folgerichtig die Rechtsprechung des EuGH auf und schrieb in Artikel F Abs. 2 EUV ausdrücklich die Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention vor. Diese Bestimmung findet sich seit dem Vertrag von Amsterdam, der eine Erweiterung der Europäischen Union und vertragliche Änderungen bewirkte, in Art. 6 Abs. 2 EUV. 75 FS Odersky, S. 256; Bemhardt, FS Everling, Bd. I, S. 106 (für einen erneuten Versuch); auch in BT-Drucksache 12/7772, S. 2. Für einen Beitritt der Europäischen Union zur Vermeidung "doppelter Standards" aufgrund von Konvention und Grundrechtecharta der EU: Wildhaber, ZSR 119 I (2000), S. 135; ebenso im Hinblick auf das Verhältnis von EuGH und EGMR Limbach, NJW 2001, S. 2918 sowie Böse, ZRP 2001, S. 402 ff. (404); ablehnend Wetter, S. 234; zweifelnd auch Gusy, ZfRV 30 (1989), S. 21 f. 71 Memorandum betreffend den Beitritt der Europäischen Gemeinschaften zur Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, verabschiedet am 4. April 1979, abgedruckt im Bulletin der EG, Beilage 2/79, S. 5 (Einleitung) = EuGRZ 1979, 330; siehe auch Wetter, S. 22 f. sowie S. 228. Rengeling, EuR 1979, S. 131, 137 begrüßte die Beitrittsambitionen der Europäischen Kommission, allerdings unter Vorbehalt. 72 Siehe nur EuGH, Rs. 36/75, Slg. 1975, 1-1219 Tz. 32 - Rutili; EuGH, Rs. C-185/95 P, Sig. 1998,1-8417 Tz. 20 ff. (hier vor allem S. 26 ff.) - Baustahlgewebe GmbH ./. Kommission. Ebenso das Gericht erster Instanz: EuG, Rs. T-347/94, Slg. 1998, 11-1759, Tz. 311 f. - Mayr-Melnhof ./. Kommission; vgl. auch Wetter, S. 63 ff., 71 ff. und die Zusammenstellung bei Pescatore, FS Wiarda, S. 455. 73 So die Formel des EuGH, mit der er seit 1969 sukzessiv eigenständige Grundrechte unter späterem Hinzuziehen der MRK entwickelt hat: vgl. EuGH, Rs. 29/69, Sig. 1969, 1-419 Tz. 3 ff. - Stauder; EuGH, Rs. 44/79, Sig. 1979, 1-3727, 13 ff. Hauer; EuGH, Rs. 63/83, Sig. 1984, 1-2689 Tz. 22 - Regina sowie EuGH, Rs. C-260/89, Sig. 1991,1-2925 Tz. 41 = EuGRZ 1991,274 (281) - ERT. Zu dieser Entwicklung C. O. Lenz, EuGRZ 1993, S. 586 f.; Wetter, S. 37 ff.; AlberlWidmaier, EuGRZ 2000, S. 502 f. m. w. N. aus der Rechtsprechung des EuGH. Neben die Alternativen eines Beitritts der EG/EU zur MRK oder eines Grundrechtskataloges trat daher neuerdings auch die Überlegung, die Grundrechtsprechung des EuGH einfach fortzuführen: vgl. Mahlmann, ZEuS 2000, S. 424 f. 74 In diesem Sinn schon Escher, S. 130 ff.; vgl. auch Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 24; Wolfram, Themenheft MRM, S. 93 f.; Losch/Radau, ZRP 2000, S. 85; näher zu den verschiedenen vom EuGH anerkannten (überwiegend wirtschaftlichen) Grundrechten des Gemeinschaftsrechts: Pe mice, NJW 1990, S. 2413; C. O. Lenz, EuGRZ 1993, S. 587 ff.; Koenig/Haratsch, Rn. 81 ff. (S. 31 ff.) sowie Herdegen, Rn. 169 ff. - heide m.w.N.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
In dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Matthews ./. Vereinigtes Königreich vom 18. Februar 199976 hat der EGMR andererseits deutlich gemacht, dass er seinerseits EG-Recht im Rahmen einer Prüfung der Vereinbarkeit nationaler Vollzugsakte von Gemeinschaftsrecht mit den Bestimmungen der EMRK mittelbar selbst überprüfen kann. 77 Die Menschenrechtskonvention muss bei Erlass und Durchführung von Gemeinschaftsrecht daher in besonderem Maße beachtet werden. 78 In großem Umfang ist dies bspw. bei der Erarbeitung der am 08. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union 79 geschehen. 8o 11. Die Stellung der Konvention in Deutschland
1. Die EMRK als einfaches Bundesgesetz Die Art und den Umfang der Einbindung der Menschenrechtskonvention in das jeweilige nationale Recht eines Mitgliedsstaates lässt die MRK ausdrücklich offen und macht hierzu keine Vorgaben. 81 Demgemäß hat sie in 75 Näher zur Bindung der EU an die Konvention über Art. 6 Abs. 2 EUV Busse, NJW 2000, S. 1074 f.; Wolfram, Themenheft MRM, S. 94 f.; AlberlWidmaier, EuGRZ 2000, S. 498 f.; Wetter, 66 f. (noch für Art. F Abs. 2 EUV a. F.). 76 Urteil 7/1998/910/1122, Reports/Recueil, 1999-1, S. 250 ff. = HRLJ 20 (1999), 4 = EuZW 1999, 308 (auszugsweise in englischer Sprache) = NJW 1999, 3107 = EuGRZ 1999, 200 = JuS 2000, 1013. Die Zulässigkeitsentscheidung der Kommission vom 16. 04. 1996 ist in HRLJ 17 (1996), 251 abgedruckt. Siehe zum Urteil des EGMR die Anmerkung von C. Lenz, EuZW 1999, S. 311 ff.; Wolfram, Themenheft MRM, S. 91 f. sowie Winkler, EuGRZ 2001, S. 18 ff. 77 Zur bisherigen Praxis der Straßburger Menschenrechtsorgane vgl. Winkler, EuGRZ 2001, S. 22 f.; Wolfram, Themenheft MRM, S. 89 ff.; C. Lenz, EuZW 1999, S. 311 f. 78 PechsteinlKoenig, Rn. 117 f.; Iglesias, NJW 1999, S. 5; Busse, NJW 2000, S. 1077; Winkler, EuGRZ 2001, S. 27; i.E. auch Böse, ZRP 2001, S. 404; siehe auch Wolfram, Themenheft MRM, S. 92. 79 Zur Geschichte der Ausarbeitung der Charta durch den hierfür eingesetzten Konvent AlberlWidmaier, EuGRZ 2000, S. 497 f.; Herdegen, Rn. 174a; siehe auch die umfangreichen Nachweise bei Holoubek, S. 25 (Fn. 1); kritisch zur Charta Tettinger, NJW 2001, S. 1010 ff. Allgemein zur europäischen Verfassungsdiskussion vgl. PechsteinlKoenig, Rn. 560 ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 80 Siehe Mahlmann, ZEuS 2000, S. 426 ff.; Holoubek, S. 27 ff.; vgl. auch die (rechtsunverbindlichen) Erläuterungen des Präsidiums des Konvents zum endgültigen Textentwurf der Charta, die am 11. Oktober 2000 in Brüssel vorgelegt worden sind (hier: zu Art. 52). Die Erläuterungen sind in EuGRZ 2000, S. 559 ff. (hier S. 569) sowie in der Sonderbeilage zu NJW 49/2000 und JuS 1/2001 "Charta der Grundrechte der EU" abgedruckt. 81 Scheuner, FS Jahrreiss, S. 372 m. w.N.; Ros, S. 56 ff.; Hilf, Arbeitstagung, S. 31; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 180 f. sowie insbesondere Ryssdal, FS
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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den einzelnen Mitgliedstaaten eine sehr unterschiedliche Stellung inne, die sich nach dem jeweiligen nationalen Recht bestimmt. 82 Für den Fall, dass die Konvention innerstaatliche Geltung erlangt hat, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten für den letztlich von ihr eingenommenen Rang im Normengefüge des Staates - vom (einfachen) Gesetzesrang bis zum Übergesetzesrang unter, neben oder sogar über der Verfassung des betreffenden Staates. 83 Die Bundesrepublik Deutschland hat durch das Ratifikationsgesetz aus dem Jahre 195284 die Adoption der völkerrechtlichen Konvention im nationalen Rechts angeordnet 85 und ihr damit in Einklang mit der Bestimmung des Art. 59 Abs. 2 GG zur unmittelbaren Anwendbarkeit verholfen. 86 Es entspricht der überwiegenden und heute herrschenden Ansicht in Deutschland, dass die Konvention aufgrund des Umstandes, dass das Zustimmungsgesetz 87 nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hatte88 , in Deutschland ebenfalls nur den Rang 89 eines einfachen Bundesgesetzes innehat. 90 Odersky, S. 253, der diesen Umstand dem der Konvention immanenten "Grundsatz der Subsidiarität" zuschreibt. 82 Zur Stellung der MRK in einzelnen Staaten Scheuner, FS Jahrreiss, S. 372; Trechsel, EMRK, S. 146 ff. (allgemein) sowie S. 277 ff. (speziell für die Schweiz); Ros, S. 66 ff.; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 291 ff.; Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 260 ff.; Hilf, Arbeitstagung, S. 31; Frowein, HStR, § 180 Rn. 5; Gusy, ZfRV 30 (1989), S. 6 ff.; Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 150 ff.; aktuell Chryssogonos, EuR 2001, S. 55 ff. 83 Siehe auch Klug, GS Peters, S. 434 ff. mit Begründungen und Nachweisen zu entsprechenden Auffassungen. 84 BGBl. 1952 11, S. 685, 953. 85 Diese Terminologie entspricht der hier gefolgten Vollzugslehre. Näheres bei Doehring, Rn. 708 ff. m. w.N.; Kempen in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 59 Rn. 81 ff.; Maunz in MaunzlDürig/Herzog, Art. 59 Rn. 22 ff. sei als Vertreter der Transformationstheorie genannt. Allgemein zur Transformationstheorie v. Ingersleben, S. 14 ff.; M. Schweitzer, Rn. 424 ff. und Kreuzer, JA 1998, S. 732 m. w.N.; zu den vertretenen "monistischen" und "dualistischen" Auffassungen vgl. M. Schweitzer, Rn. 24 ff.; Doehring, Rn. 696 ff.; Seidl-HohenveldemIStein, Rn. 539 ff. sowie Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 53 ff. 86 Schom, Präambel Erl. 32 (S. 41); Ulsamer, FS Zeidler, Bd. 11, S. 1799. Näher zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Konventionsgarantien in Deutschland sowie zum "self-executing"-Charakter der EMRK: Dronsch, S. 78 ff.; Uerpmann, S. 42 ff. m. w. N.; allgemein Kreuzer, JA 1998, S. 734. 87 Diese Bezeichnung resultiert aus der Fassung des Art. I des Gesetzes vom 7. August 1952 (BGBl. 1952 11, S. 685): "Der ... Konvention ... wird zugestimmt."; vgl. auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406 f. 88 "Die EMRK, die ... transformiert worden ist, kann keinen höheren Rang haben als das transformierende Gesetz.": vgl. Uerpmann, S. 72; ebenso M. Schweitzer, Rn. 447. Im Sinne der Vollzugslehre und mit dem gleichen Ergebnis Doehring, Rn. 720; Kempen in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 59 Rn. 92. Anders Klug, GS
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
Vereinzelte Gegenansichten91 , die vorwiegend in den Anfangsjahren nach Inkrafttreten der Menschenrechtskonvention geäußert wurden und einen Verfassungs- oder sogar Überverfassungsrang der MRK in Deutschland begründen wollten, haben sich gänzlich nicht durchsetzen können. 92 In jüngerer Zeit wird zutreffend - wenn auch erfolglos - darauf hingewiesen, dass die Bedeutung der Menschenrechtskonvention aufgrund der Europäisierung93 zugenommen habe und es nicht einzusehen sei, weshalb die EMRK als europäisches Vertrags werk dann in ihrer formalen Stellung in Deutschland nicht hervorgehoben werden könne. 94 Bleckmann 95 wählte dazu den Weg über Art. 25 GG in Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 2 GG und wollte die MRK als regionales Völkergewohnheitsrecht mit Verfassungsrang in Deutschland etablieren. Hoffmeister96 schließlich will die Peters, S. 440 sowie Kleeberger, S. 73 ff. (sowie im Ergebnis S. 87), die diese Konsequenz als nicht zwingend ansehen. 89 Nach der Vollzugslehre selbst kann über den Rang des zu vollziehenden Völkerrechts nichts ausgesagt werden. Doch hat sich die Einordnung aufgrund anderslautender Bestimmungen in der Verfassung an der Transformationstheorie orientiert. Dem zu vollziehenden Völkerrecht wird demnach der Rang des "transformierenden" Gesetzes zugewiesen: vg!. M. Schweitzer, Rn. 422 f., 449 sowie Doehring, Rn. 720 a.E. 90 Statt vieler: Schom, Präambel Er!. 37 (S. 42 f.) m. w. N.; Kadelbach, Strafverteidigertag 1997, S. 257; E. Klein, Arbeitstagung, S. 51; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 182; Simon, S. 1; Fiedler, S. 16 m.w.N.; Limbach, NJW 2001, S. 2915; BVerfGE 82,106 (114); BGHSt 21,81 (84); BGH NJW 2001,309 (311); BVerwG NJW 1999, 1649 (1650); BAG NJW 2000, 1132 (1133). Im Ergebnis auch BVerfGE 19, 342 (347) sowie BGHZ 45, 46 (49). Umfangreiche Rechtsprechungsund Literaturnachweise finden sich bei Kleeberger, S. 12 sowie Uerpmann, S. 72 (Fn. 7 f.). 91 So u.a. von Guradze, Kommentar, Einleitung S. 14 ff.; H. Krüger, ZBR 1955, S. 290 m.w.N.; Echterhölter, JZ 1955, S. 691 f.; Frowein, FS Zeidler, Bd. H, S. 1770 sowie ders., ZaöRV 46 (1986), S. 287; Ress, FS Zeidler, Bd. H, S. 1790 ff. (S. 1792). 92 Vg!. Überblick bei Schom, Präambel Er!. 38 ff. (S. 43 ff.) und Hilf, Arbeitstagung, S. 35 ff. m. w. N. sowie die Auseinandersetzung mit einzelnen Theorien bei Walter, ZaöRV 59 (1999), S. 972 ff. 93 Zur Bedeutung der Konvention für die Einigung Europas schon Golsong, ZSR 94 I (1975), S. 345 ff. 94 Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 150 unter Betonung der Wechselwirkung zwischen Gemeinschaftsrecht und dem Recht der EMRK; ebenso Fiedler, S. 20 f. sowie i.E. Odersky, GS Ryssdal, S. 1043. In Anbetracht der Absicht der Unterzeichner der Konvention, die europäische Integration voranzutreiben, sprach sich schon Klug, GS Peters, S. 441 f. für einen Überverfassungsrang der MRK aus. Für einen Übergesetzesrang der Konvention in allen Mitgliedstaaten Chryssogonos, EuR 2001, S.59. 95 Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 153 ff.; anerkennend, wenn auch zurückhaltend: Ress, EuGRZ 1996, S. 353. 96 Hoffmeister, S. 7.
§ 1 Die (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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EMRK als europäische Grundrechtsverfassung verstanden wissen und ihr über Art. lAbs. 2 und Abs. 3 GG zu höherer verfassungsgleicher Bedeutung in Deutschland verhelfen. 2. Die lex-posterior-Problematik
Die Konsequenz aus der Stellung der Konvention in Deutschland ist allerdings auch, dass ein zeitlich später erlassenes einfaches Bundesgesetz, das einen gleichen Regelungsgegenstand wie die MRK beträfe, diese verdrängen und ihr vorgehen würde (lex posterior derogat legi priori).97 Zweifellos galt diese Regel im Verhältnis zu dem vor dem Inkrafttreten der Konvention erlassenen Bundesrecht sowie jedenfalls gegenüber Landesrecht (wegen Art. 31 GG). Die Konvention verdrängte solche Normen. 98 Wegen ihres vergleichbar einfachgesetzlichen Ranges stand aber die Konvention selbst in Gefahr, von später erlassenem Bundesrecht verdrängt zu werden. Diese Konsequenz war allerdings nicht hinzunehmen99 , weshalb es in der Geschichte der Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Versuche gab, die Stellung der MRK im deutschen Recht zwar unangetastet zu lassen, dafür jedoch die zu ihren Ungunsten greifende lex-posterior-Regel zu modifizieren. 100 Mittlerweile entspricht es - wie oben schon angesprochen - der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass deutsches Recht konventionskonform auszulegen sei, um Kollisionen mit dem Völkerrecht, die vom Gesetzgeber im Zweifel nicht gewollt seien, zu vermeiden. 101
97 Herzog, DÖV 1959, S. 44 ff.; Kleeberger, S. 13 m. w.N.; Matthei, S. 7; Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 30. Detailliert Uerpmann, S. 73 ff. 98 Echterhölter, JZ 1955, S. 689; Zwingenberger, S. 149 f.; Wäsche, S. 5 sowie S. 11 m. w. N.; Richter, S. 120; Dronsch, S. 103 ff.; vgl. allgemein Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 25. 99 v. Ingersleben, S. 39; deutlich auch E. Klein, Arbeitstagung, S. 50; Hilf, Arbeitstagung, S. 40; Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 30; ebenso Kleeberger, S. 13 ff., der den praktischen Einfluss der Konvention dahinschwinden sieht. 100 Beispielsweise über die Betonung des Vertrages als lex specialis: Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 274 unter Verweis auf die entsprechende Ansicht in der Schweiz; Bemhardt, EuGRZ 1996, S. 339 sowie i. E. Deumeland, NStZ 1998, S. 429. Den Weg über den Grundsatz "paeta sunt servanda" wählen Grewe, VVDStRL 12 (1954), S. 149, 176 und ebenso H. Krüger, ZBR 1955, S. 289; kritisch zu dieser vertragstypischen Ansicht äußern sich allerdings Echterhälter, JZ 1955, S. 691; v. lngersleben, S. 43 ff. sowie Dronsch, S. 91 ff.; Einzelheiten und weitere Nachweise bei Matthei, S. 10 sowie Uerpmann, S. 81 ff. 101 Für Masuch, NVwZ 2000, S. 1268 ergibt sich daraus ein mittelbarer Verfassungsrang der Menschenrechtskonvention.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
Die Europäische Menschenrechtskonvention nimmt insofern eine Zwitterstellung 102 ein. Auf der einen Seite steht sie formal "nur" im Range eines einfachen Bundesgesetzes und unterfällt in ihrer Beachtung Art. 20 Abs. 3 GG, mit der Folge, dass Exekutive und Judikative bei konventionswidrigen Verwaltungsakten oder Gerichtsurteilen nicht anders reagieren dürfen, als wenn es sich um einen rechtswidrigen Verstoß gegen (andere) Bundesgesetze handele. Auf der anderen Seite ist die lex-posterior-Regel bei ihr praktisch außer Kraft gesetzt, was ihr innerhalb des deutschen Normengefüges einen Sonderstatus zwischen Verfassung und einfachem Recht verleiht.
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention -
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
Neben den in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Mindestgarantien ist gleichfalls ein eigenes Rechtsschutzsystem vorgesehen, dessen Aufgabe darin besteht, den Schutz der Menschenrechte justiziell und unabhängig von staatlichen Beeinflussungen zu gewährleisten. 1 Im Folgenden soll im Überblick auf dieses Rechtsschutzsystem eingegangen werden, bevor die Frage nach einer etwaigen Bindungswirkung von Entscheidungen aus Straßburg behandelt werden wird. A. Die Beschwerdemöglichkeiten nach der Menschenrechtskonvention I. Überblick
Die Konvention sieht zwei völkerrechtliche Beschwerdemöglichkeiten vor: • die Staatenbeschwerde nach Art. 33 MRK2 , bei der ein Vertragsstaat gegen einen anderen Vertragsstaat Beschwerde mit der Begründung erheben kann, dieser Staat habe Bestimmungen der Konvention selbst oder ihrer Protokolle verletzt sowie • die Individualbeschwerde nach Art. 34 MRK3 als "echte Menschenrechtsbeschwerde", mit der jedes vom Schutzbereich der Konvention umfasste Individuum die Verletzung seiner von der Menschenrechtskonvention 102 So auch Kadelbach, Strafverteidigertag 1997, S. 257; vgl. auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 409 f.; Bemhardt, Symposion 1999, S. 149. I Vogler, Wiederaufnahme, S. 725 f. 2 Art. 24 MRK a. F. 3 Art. 25 MRK a. F.
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
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garantierten Rechte und Freiheiten durch Hoheitsakte der gesetzgebenden, vollziehenden oder rechtsprechenden Gewalt eines Vertragsstaates geltend machen kann. Gerichtskosten werden dafür nicht erhoben (Art. 50 MRK).4 Zusätzlich kennt die MRK das sogenannte Gutachtenveifahren nach Art. 47 MRK5 , in dem das Ministerkomitee des Europarates beim Gerichtshof Gutachten über die Auslegung der Konvention und der Protokolle beantragen kann. In diesem Verfahren, dem das Gutachtenverfahren in der amerikanischen Menschenrechtskonvention nachempfunden ist6, geht es allerdings nur um Verfahrensfragen. Materielle Fragen werden nicht erörtert, weshalb das Gutachtenverfahren im Hinblick auf die zwei Beschwerdemöglichkeiten vor dem Gerichtshof praktisch bedeutungslos ist7 und innerhalb dieser Arbeit vernachlässigt wird. 11. Die Staatenbeschwerde8
Mit der Ratifikation der Menschenrechtskonvention unterwirft sich ein Vertragsstaat automatisch der Staatenbeschwerde. Seit Bestehen der Menschenrechtskonvention bis heute ist diese Beschwerdemöglichkeit jedoch praktisch selten genutzt worden. 9 Gegen die Bundesrepublik Deutschland ist bisher noch keine Staatenbeschwerde eingelegt worden, weshalb diese Möglichkeit, die Verletzung der Menschenrechtskonvention zu rügen, im Hinblick auf die Zielstellung der vorliegenden Untersuchung ebenfalls vernachlässigt wird.
4 Näher v. Stackelberglv. Stackelberg, Rn. 81 ff. (S. 121 f.). Die dortigen Ausführungen beziehen sich zwar auf den Zustand vor Inkrafttreten des Reformprotokolls (gemäß Art. 58 MRK a. F.). Die Sachlage hat sich jedoch nicht verändert. 5 Entsprechend Art. 1 des 2. Protokolls zur Menschenrechtskonvention von 1963 (ETS Nr. 044). 6 Wittinger, Jura 1999, S. 409; Doehring, Rn. 1001. 7 Bemhardt, FS Doehring, S. 25 f.; Wittinger, Jura 1999, S. 407. 8 Siehe die Darstellungen bei HaejligerlSchümumn, S. 383 ff.; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 181 ff. 9 Als Beispiele seien hier die Staatenbeschwerden von Dänemark, Norwegen, Schweden und den Niederlanden gegen Griechenland im Jahre 1974 und die wiederholten Beschwerden gegen die Türkei genannt. Siehe auch die Beispiele bei Weidmann, S. 34 ff.; Frowein, Vortrag, S. 8 f.; FroweinlPeukert (2), EMRK, Einführung Rn. 4 sowie a.a.O., Erl. zu Art. 24 Rn. 2 bis 4; Haejliger/Schürmann, S.384 f.; zur diesbezüglichen Zurückhaltung der Staaten: Scheuner, FS Jahrreiss, S. 359 f.; Vogler, ZStW 82 (1970), S. 748.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
III. Die Individualbeschwerde
Dagegen hat die Individualbeschwerde im Laufe der Jahre an Bedeutung gewonnen, weshalb sie auch innerhalb dieser Einführung im Mittelpunkt stehen soll. Sie macht durch die effektive Möglichkeit einer Kontrolle der Einhaltung und Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention das Besondere dieser Erklärung gegenüber anderen Menschenrechtserklärungen aus 10 und hat sich zu einem wirksamen Instrument des internationalen Menschenrechtsschutzes entwickelt. Die Zahl der Beschwerden hat im Laufe der Jahre stetig zugenommen. Wurden im Jahre 1955 noch 138 Beschwerden gezählt, lag ihre Anzahl im Jahre 1997 bei über 4750 registrierten Beschwerden. l1 Im Jahr 2001 wurden 31398 Beschwerden erfasst und davon 13858 Beschwerden registriert. 12
1. Die Stellung des Individuums im Rechtsschutzsystem bis 1998 Ursprünglich konnte das betroffene Individuum nicht selbst den Gerichtshof anrufen und vor ihm auftreten 13 und seine Interessen wurden weitgehend von der Kommission für Menschenrechte ähnlich einer Prozessstandschaft verfolgt. 14 Einen bedeutenden Fortschritt auf dem Weg hin zu einer echten Menschenrechtsbeschwerde brachte vierzig Jahre nach Unterzeichnung der Konvention das 9. Protokoll zur MRK aus dem Jahre 1990 15 , das Art. 44, 48 MRK a. F. dahingehend änderte, dass der individuelle Beschwerdeführer nunmehr selbst den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen, vor diesem persönlich auftreten und sich damit als Beteiligter in eigener Sache vertreten konnte. Diese Besonderheit galt vorerst jedoch nur für diejenigen Staaten, die das 9. Protokoll ratifiziert hatten.
Scheuner, FS Jahrreiss, S. 360. Vgl. EuGRZ 1999, S. 616. 12 Vgl. Pressemiueilung des Gerichtshofs vom 21. 01. 2002 (NT. 032; abrufbar auf der homepage des EGMR im internet [Stand: Mai 2002]). 13 Das Individuum sollte ursprünglich ganz vom Gerichtsverfahren ausgeschlossen werden und nicht gleichberechtigt neben dem beklagten Staat stehen. Art. 44, 48 MRK a. F. sahen daher nur die Kommission und die betroffenen Hohen Vertragschließenden Teile als berechtigt an, ein Verfahren vor dem Gerichtshof anzustrengen und durchzuführen; siehe Langer, S. 91 ff. und S. 109 ff. zu entsprechenden Reformvorschlägen; Murswiek, JuS 1986, S. 178; zur Praxis in Straßburg siehe Frowein, HStR, § 180 Rn. 10. 14 Zur Stellung der Kommission vor dem Gerichtshof für Menschenrechte vgl. Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 102. 15 ETS NT. 140; das Protokoll trat im Oktober 1994 in Kraft. 10 11
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
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Auch die Möglichkeit der Individualbeschwerde selbst war von einer besonderen Erklärung des Vertragsstaates abhängig (Art. 25 Abs. I Satz 1 MRK a. F.).16 Unabhängig davon war eine zweite Erklärung zur Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichtshofs vorgesehen (Art. 46 Abs. 1 MRK a.F.)Y Bis zum Ende der 80er Jahre hin hatten noch nicht alle Mitgliedstaaten diese Erklärungen abgegeben. 18 Dieser Zustand war jedoch bis Mitte der 90er Jahre beseitigt. 19 2. Die Stellung des Individuums nach 1998
Mit dem Reform- oder Änderungsprotokoll (Nr. 11) von 199420 wurde bei der Neustrukturierung des Gerichtshofs auch das diesbezügliche Verfahren 21 komplett umgestaltet. Das Protokoll trat am 01. November 1998 in Kraft, nachdem es von allen Vertragspartnern der Menschenrechtskonvention ratifiziert worden war, was aufgrund seines ändernden Charakters unbedingte Voraussetzung war?2 Infolgedessen wurden dabei auch keine Vorbehalte mehr zugelassen. 23 Besondere Unterwerfungserklärungen wurden ebenfalls nicht mehr vorausgesetzt, sondern die Jurisdiktion des Gerichts16 Dazu Wiesler, S. 45 ff.; die Möglichkeit der Staatenbeschwerde war ipso iure mit Inkrafttreten der Konvention eröffnet und bedurfte keiner besonderen Erklärungen. 17 Die beiden Erklärungen in Bezug auf Art. 25,46 MRK a.F. gab die Bundesrepublik erstmalig am 05. Juli 1955 ab und erneuerte sie ab 1961 in Fünfjahresabschnitten. Ebenfalls am 05. Juli 1955 war die Mindestzahl von 6 Annahmeerklärungen für die Individualbeschwerde erreicht und das Verfahren damit anwendbar. Die Mindestzahl von 8 Erklärungen für die Anerkennung des Gerichtshofs war am 03. September 1958 erreicht; zu den Gründen der Erklärungsabgabe durch Deutschland siehe BT-Drucksache 1/3338, S. 2. 18 Vgl. Nachweise bei H. C. Krüger, EuGRZ 1980, S. 238 (Fn. 3 und 4); Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 920 sowie Frowein/Peukert (1), EMRK, Anhang C (S. 580 f.). 19 Siehe die Ratifikationstabelle in EuGRZ 1994, S. 350. 20 ETS Nr. 155; ebenfalls abgedruckt in BGBl. 1995 11, S. 579 ff.; siehe auch die Bekanntmachung vom 12. Februar 2001 über das Inkrafttreten des Protokolls in BGBl. 2001 11, S. 231 f. 21 Überblick zum Verfahren in DRiZ 2000, S. 338 f.; zu den Neuerungen auch Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 908 ff. sowie ders., JZ 1999, S. 223 f.; Meyer-Ladewig, NJW 1998, S. 512 f.; Wittinger, Jura 1999, S. 407 f.; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 8 ff. 22 Erläuternder Bericht zu Protokoll Nr. 11 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Ziff. 55 f. - in deutscher Übersetzung abgedruckt in BT-Drucksache 131 858, S. 33 ff. (38) = EuGRZ 1994, S. 328 ff. (332); Drzemczewski/Meyer-Ladewig, EuGRZ 1994, S. 322; Meyer-Ladewig, NJW 1998, S. 512. Das deutsche Gesetz zu Protokoll Nr. 11 ist in BGBl. 199511, S. 578 abgedruckt. 23 Hoffmeister, S. 2-5; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 954.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
hofs als obligatorisch festgelegt 24 , womit die Individualbeschwerde nunmehr von allen Mitgliedstaaten anerkannt ist. Der Beschwerdeführer tritt seither immer auch als Kläger in eigener Sache auf und ist nicht mehr nur der Kommission, die Ende Oktober 1998 ihre letzte Sitzung hatte und ihre Arbeit nach einer gewissen Übergangstätigkeit im Oktober 1999 endgültig einstellte25 , beigeordnet. Die Stellung des Beschwerdeführers sowie weiterer Verfahrens beteiligter wird durch das Europäische Übereinkommen über die an Veifahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen 26 weiter verbessert. 27 B. Die Straßburger Instanzen und das Beschwerdeverfahren
Wie eben angesprochen, wurde das Verfahren für Beschwerden wegen Verletzung der Konventionsrechte durch das 11. Protokoll zur MRK grundlegend geändert. Auf eine detaillierte Darstellung des Systems vor dem Inkrafttreten des Reformprotokolls soll jedoch an dieser Stelle verzichtet werden und nur die Hintergründe bei der Entstehung der Instanzen verdeutlicht werden. 28 24 Die letzte Erklärung zur Anerkennung der Zuständigkeit von Kommission und Gerichtshof für Menschenrechte vor Inkrafttreten des Reforrnprotokolls gab die Bundesrepublik Deutschland am 12. Juli 1994 ab (BGBl. 1994 11, S. 3856). Seither sind diese Erklärungen nicht mehr vonnöten. Von Neumitgliedern wird heute erwartet, dass sie das System der Individualbeschwerde anerkennen: Trechsei, Aktuelle Fragen, S. 7; Schiette, ZaöRV 56 (1996), S. 921 m. w.N.; vgl. auch Haejliger/ Schürmann, S. 386 f. 25 Siehe auch YB 42 (1999), S. 13 f. sowie EuGRZ 1999, S. 616. 26 European Agreement relating to Persons Participating in Proceedings of the European Court of Human Rights/ Accord europeen concernant les personnes participant aux procedures devant la Cour Europeenne des Droits de l'Homme: ETS Nr. 161. Durch Gesetz vom 27. April 2001 (BGBl. 2001 11, S. 358; mit dreisprachigem Abdruck des Übereinkommens) ist die erneuerte Fassung von 1996 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten; der Text ist ebenfalls (dreisprachig) in BT-Drucksache 14/4298, S. 7 ff. wiedergegeben; siehe auch BGBl. 200211, S. 1438. 27 Das Übereinkommen geht zurück auf das Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen aus dem Jahre 1969 und ersetzt dieses. Die aufgrund der Rechtsschutzreforrn nötige Neufassung wurde im März 1996 in Straßburg zur Unterzeichnung aufgelegt. Sie trat am 01. Januar 1999 in Kraft. Zur Bedeutung vgl. Haejliger/Schürmann, S. 362 f. 28 Siehe zum früheren Verfahrensgang stattdessen H. Goisong, Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention, Karlsruhe 1958; Murswiek, JuS 1986, S. 8 ff. (Teil 1), S. 175 ff. (Teil 2); Schiette, ZaöRV 56 (1996), S. 906 ff.; Haejliger/Schürmann, S. 377 f.; Villiger (1), Handbuch der EMRK, Rn. 183 ff., 208 ff., 229 ff.
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
47
I. Die ursprüngliche Konzeption des Rechtsschutzsystems
Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention war ursprünglich auf drei Instanzen aufgebaut: auf die Europäische Kommission für Menschenrechte29 (kurz EKMR) , den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 30 (kurz EGMR) und das Ministerkomitee des Europarates31 . Alle Organe haben bzw. hatten ihren Sitz in Straßburg. Schon vor den Beratungen zur Ausgestaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention war klar, dass es nicht nur das Vertragswerk an sich geben, sondern auch ein entsprechender Rechtsschutz gewährleistet werden sollte32 , was für die damalige Zeit ein absolutes Novum darstellte. Die Schaffung dieses Rechtsschutzsystems hebt die Konvention dann auch unter anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen, die den Schutz der Menschenrechte bezwecken, heraus. Das System ist anfanglich folglich als "kühnes Experiment,,33 oder "Wagnis,,34 bezeichnet und später oft ob seiner Bedeutung gerühmt worden?5 Eine erfolgreiche Individualbeschwerde kann beispielsweise dazu führen, dass der beklagte Staat sein Rechtssystem oder seine Rechtsprechung präzisieren und den Erfordernissen der Konvention anpassen muss. 36 Daneben muss sich der betroffene Staat vor einer internationalen Instanz und den Augen der Vertragspartner verantworten. 29 Zur (ursprünglichen) Stellung der Kommission im Rechtsschutzsystem Zwingenberger, S. 285 ff.; Wiesler, S. 81 ff; lAnger, S. 66 ff.; Golsong, JZ 1960, S. 194; umfassend zur EKMR: Trechsel, ZSR 94 I (1975), S. 407 ff.; H. C. Krüger, EuGRZ 1980, S. 238 ff.; Villiger (1), Handbuch der EMRK, Rn. 175 ff. 30 Einzelheiten zum ("alten") EGMR: Mosler, ZaöRV 20 (195911960), S. 415 ff. 31 Näher dazu Leuprecht, FS Ennacora, S. 97 ff.; Villiger (1), Handbuch der EMRK, Rn. 228 ff.; Klerk, NILR 45 (1998), S. 65 ff. Teilweise findet man in der Literatur auch den Begriff "Ministerausschuß" (vgl. Schom, Art. 19 Erl. 10 (S. 301 f.)), womit aber dasselbe Organ gemeint ist; dazu siehe Wiebringhaus, Kommentar, Art. 21, S. 104. 32 Auf dem Europakongreß im Mai 1948 in Den Haag wurde schon ein Gerichtshof, der über eine zukünftige Menschenrechtserklärung wachen sollte, gefordert: vgl. Pansch, ZaöRV 15 (195311954), S. 633 f.; Wiebringhaus, Friedenswarte, S. 7 f.; Escher, S. 1; Wiesler, S. 3; Guradze, Kommentar, Einleitung § 1 I (S. 1); Haejliger/Schürmann, S. 19. 33 Mosler, ZaöRV 20 (195911960), S. 415 f. 34 Huber, ZaöRV 21 (1961), S. 651. 35 Siehe nur Wiebringhaus, Friedenswarte, S. 23 anläßlich der Konstituierung des Gerichtshofs; ders., Kommentar, Einführung, S. 16 f. und zu Art. 25, S. 107 f.; Schom, Vorgeschichte (S. 25: "revolutionäre Neuerung"); Scheuner, FS Jahrreiss, S. 360 f.; Vogler, Wiederaufnahme, S. 715; Trechsel, ZSR 94 I (1975), S. 407; H. C. Krüger, EuGRZ 1980, S. 238; Trechsel, Aktuelle Fragen, S. 6; Ryssdal, FS Odersky, S. 246; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 907 sowie ders., JZ 1999, S. 219; auch Herdegen, Rn. 19, 22; zuletzt Limbach, NJW 2001, S. 2914 ("im internationalen Vergleich bisher einzigartig").
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
Die Einzelheiten waren dementsprechend im Vorfeld bei den Beratungen der Entwürfe zur europäischen Konvention umstritten. Während ein Teil der (zukünftigen) Konventionsmitglieder einen echten Gerichtshof zu akzeptieren bereit war, wollten andere die alleinige und endgültige Entscheidung dem Ministerkomitee des Europarates, einem politischen Organ, überlassen. 37 Ebenso uneins war man sich über die Ausgestaltung der Beschwerdemöglichkeiten im Fall einer Verletzung der Menschenrechtskonvention. 38 Schließlich einigte man sich auf eine Lösung, die eine fakultative Anerkennung der Beschwerdemöglichkeit sowie der entsprechenden Gerichtsbarkeit beinhaltete und welche letztlich die Annahme der Konvention erst ermöglichte. Die Staaten konnten mittels einer eigens abzugebenden Erklärung die Rechtsschutzmöglichkeiten für ihr Territorium bestimmen. 39 Zudem wurde der neu eingerichtete Gerichtshof nicht allein mit der Prüfung von Konventionsverletzungen betraut, sondern mit der Europäischen Kommission für Menschenrechte eine gerichtsähnliche (Vor-)Entscheidungsinstanz errichtet, deren Aufgabe unter anderem darin bestand, als eine Art Filter für den Gerichtshof zu fungieren, da man fürchtete, von Individualbeschwerden überschwemmt zu werden. 4o Durch die Errichtung der Kommission wurde gleichzeitig die Befürchtung einiger Staaten, ein alleiniger Gerichtshof könne als Instrument politischer Ziele missbraucht werden41 , gemildert. Der Gerichtshof konnte im weiteren Verlauf des Verfahrens nur über die Fälle entscheiden, die von der Kommission für zulässig erklärt wurden. Eine eigene Auswahl bezüglich der zu entscheidenden Fälle konnte der Gerichtshof nicht treffen. 42 Der Einzelne erhielt keinen direkten Zugang zum EGMR. 43 Neben den Gerichtshof wurde zudem das Ministerkomitee als alternative (nicht-gerichtliche) Entscheidungsinstanz gestellt. 36 Diesen Eingriff in die staatliche Souveränität betonen auch Schom, Art. 19 Erl. 5 (S. 299) sowie FroweinlPeukert (2), EMRK, Art. 25 Rn. 3. 37 Zu den in den verschiedenen Entwürfen niedergelegten Vorschlägen bezüglich des zu schaffenden Rechtsschutzsystems und den diesbezüglichen Reaktionen in den Beratungen vgl. nur die detaillierten Darstellungen bei W. Schmid, Wirkungen, S. 44 ff. m. w.N. und Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 10 ff. 38 Einzelheiten zur Kontroverse finden sich bei Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 645, 652 ff.; FroweinlPeukert (2), EMRK, Art. 25 Rn. 4 f.; Golsong, EuGRZ 1975, S. 448; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 913 f. sowie ders., JZ 1999, S. 220; Erläuternder Bericht zu Protokoll Nr. 11 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Ziff. 6 bis 9 - in BT-Drucksache 13/858, S. 33 ff. (34) = EuGRZ 1994, S. 328 ff. (329). 39 Wiesler, S. 107 ff.; siehe auch die Nachweise oben bei A. III. 1. für die entsprechenden Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland. 40 Vgl. Wiebringhaus, Kommentar, Einführung, S. 17. 41 Zu dieser Furcht Wiebringhaus, Friedenswarte, S. 8 f. 42 Vgl. Merrills, S. 4.
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
49
Eine solche Instanz war zur damaligen Zeit im Hinblick auf die Vorbehalte einzelner Staaten gegenüber einem Gerichtshof für Menschenrechte - mit der Möglichkeit, dessen Anerkennung zu verweigern - und den daneben bestehenden Vorbehalten, ausschließlich der Kommission die letzte Entscheidung in der Sache zu überlassen, für die Schaffung eines effektiven Rechtsschutzes unumgänglich. Einzelne Staaten hofften, über das Ministerkomitee politischen Einfluss auf einzelne Entscheidungen nehmen zu können. 44 Die Errichtung der Kommission (Einzelheiten im früheren Abschnitt III der Konvention; Art. 20 ff. MRK a. F.) sowie des Gerichtshofs für Menschenrechte (Einzelheiten im früheren Abschnitt IV der Konvention; Art. 38 ff. MRK a.F.) wurden in Artikel 19 MRK a.F. vorgeschrieben. Rechtlich bestand die Menschenrechtskommission seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der MRK. 45 Tatsächlich erfolgte die Bildung der EKMR nach der ersten Wahl ihrer Mitglieder am 18. Mai 1954.46 Ihre Eröffnungssitzung fand vom 12. bis 17. Juli 1954 statt. 47 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde am 21. Januar 1959, also immerhin neun Jahre nach Unterzeichnung der Konvention, nach der Wahl seiner Richter durch die Beratende Versammlung des Europarates rechtlich ins Leben gerufen. Zu diesem Zeitpunkt war der in Art. 56 Abs. 1 MRK a. F. genannte Voraussetzung, dass 8 Vertragsstaaten ihre Erklärungen zur Anerkennung des Gerichtshofs gemäß Art. 46 MRK a. F. abgegeben haben mussten, endlich genügt worden. 48 43 Für Escher, S. 13 weist das auf eine übermäßige Betonung der einzelstaatlichen Souveränität bei Ausarbeitung der Konvention hin; zu den Gründen für die Benachteiligung des Individuums Langer, S. 91 ff. 44 Zum eben Gesagten vgl. Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 33, 35; W. Schmid, Wirkungen, S. 62; Leuprecht, FS Ermacora, S. 99. Nach Ansicht von Langer, S. 104 war das Ministerkomitee damit das primäre Entscheidungsorgan. Diese Auffassung konnte sich in der Tat kaum sieben Jahre nach Errichtung des Gerichtshofs aufdrängen, da die Kommission anfänglich nur selten Sachen dem Gerichtshof vorlegte. 45 Wiebringhaus, Friedenswarte, S. 2. 46 Vgl. BAnz. Jg. 6 Nr. 133 vorn 15. 7. 1954, S. 9 sowie Einzelheiten bei Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 21 f. 47 Einzelheiten zu den ersten Sitzungen der Kommission bei Zwingenberger, S. 287 f., 319 ff. 48 Die Bundesrepublik Deutschland erklärte ihre Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des EGMR erstmalig am 05 . Juli 1955. Die Anerkennung des Gerichtshofs durch acht Staaten (Belgien, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Irland, Island, Luxemburg, die Niederlande und Österreich) war am 03. September 1958 erreicht; vgl. Wiebringhaus, Friedenswarte, S. 1 ff., der zusätzlich die Wahlvorschläge der ersten für das Richterarnt am EGMR empfohlenen Kandidaten vorn Dezember 1958 auflistet (S. 3 ff.); Golsong, JZ 1960, S. 194. Zu den ersten Sitzungen des Gerichtshofs wiederum Zwingenberger, S. 339 f. 4 Kieschke
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen 11. Das Rechtsschutzsystem seit 199849
1. Zur Notwendigkeit der Reform
Das ursprüngliche Rechtsschutzsystem funktionierte über die Jahre zufriedensteIlend. 50 Die im Zusammenhang mit dem steigenden Bekanntheitsgrad des Menschenrechtssystems seit Mitte der 80er Jahre rapide anwachsende Anzahl der Beschwerden51 , die Komplexität des Rechtsschutzsystems und die damit einher gehende unangemessene Verfahrenslänge52 sowie die Ausweitung der Konvention (und damit der Organe) auf mehr als das Doppelte ihrer ursprünglich konzipierten Mitgliederzahl machten aber eine Reform des gerichtlichen Kontrollsystems im Hinblick auf seine Wirksamkeit nötig. 53 Die Arbeitsbelastung des EGMR besteht gleichwohl bis heute fort. 54 2. Die reformbedingten Änderungen für Veifahren vor dem Gerichtshof und die Organisation des neuen EGMR An die Stelle dreier Straßburger Entscheidungsinstanzen trat am 01. November 1998 eine einzige Institution in Form des ständig tagenden Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Art. 19 MRK). Zeitgleich trat eine neue Verfahrensordnung für den Gerichtshof in Kraft. 55
49 Zum Folgenden ausführlich Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 186 ff.; Haejliger/Schünnann, S. 379 ff.; Wittinger, NJW 2001, S. 1239 ff.; eine graphische Darstellung gibt Herdegen, S. 20. 50 So auch RowelSchlette, E.L.R. 23 (1998), S. 5 m. w. N.; Lindenmann, ZBJV 134 (1998), S. 663. 51 In den Jahren 1981 und 1984 wurden 404 bzw. 586 Beschwerden registriert. 1989 waren es dagegen schon 1445 registrierte Beschwerden. Im Jahre 1994 hatte sich diese Zahl mehr als verdoppelt und auf 2944 erhöht. 52 Vgl. das Beispiel bei Lindenmann, ZBJV 134 (1998), S. 663 (Fn. 4): in einem Fall gegen die Schweiz entschied der EGMR, dass ein dortiges Gerichtsverfahren mit 42 Monaten zu lang gedauert habe und die MRK verletzt sei. Für diese Feststellung benötigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst jedoch 46 Monate (!). 53 Das betont die Präambel zum 11. Protokoll ausdrücklich; siehe auch Trechsel, Aktuelle Fragen, S. 18 ff.; Ryssdal, FS Odersky, S. 255 ff.; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 916 ff.; ders., JZ 1999, S. 220 ff.; DrzemczewskiIMeyer-Ladewig, EuGRZ 1994, S. 320; RowelSchlette, ELR. 23 (1998), S. 5 ff.; Lindenmann, ZBJV 134 (1998), S. 663 f.; zu den Reformarbeiten: Rudolf, EuGRZ 1994, S. 53 ff. 54 Vgl. Pressemitteilungen des Gerichtshofs vom 21. 06. 1999 (Nr. 349) sowie vom 05. 12. 2000 (NI. 871; abrutbar auf der Homepage des EGMR im internet [Stand: März 2002]); EuGRZ 2000, S. 334; SZ vom 22. 06. 1999, S. 2; FR vom 04.11. 2000 (zitiert nach NJW 2000, Heft 48, S. LVI); jüngst EuGRZ 2001, S. 431.
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
51
Im Rahmen der Reform änderte sich auch die Struktur des EGMR. 56 Das Plenum des Gerichtshofs, in dem alle Richter zusammen sitzen, wird nunmehr nur noch bei organisatorischen bzw. administrativen Fragen entscheidend tätig (Art. 26 MRK). Die eigentlichen Entscheidungsinstanzen blieben die sogenannten Kammern (Art. 29 MRK), die nunmehr nur noch mit sieben Richter (vorher neun) besetzt sind. Ein Richter kann mehreren Kammern angehören. Die frühere Aufgabe des Plenums, bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder für den Fall der Abweichung von früheren Entscheidungen des Gerichtshofs tätig zu werden, übernimmt eine Große Kammer, die aus 17 Richtern besteht. Die Große Kammer kann gemäß Art. 30 MRK an Stelle der ("kleinen") Kammer mit Zustimmung der betroffenen Parteien57 tätig werden oder von den Beteiligten gemäß Art. 43 MRK zusätzlich zur ("kleinen") Kammer als eine Art zweite Instanz angerufen werden. 58 Bei allen Entscheidungen des Gerichtshofs muss der Richter des betroffenen Staates zwingend mitwirken (Art. 27 Abs. 2 MRK).59 Die Kanzlei des Gerichtshofs (Art. 25 MRK) korrespondiert heute anstelle des früheren Sekretariats der Europäischen Menschenrechtskommission mit den jeweiligen Beschwerdeführern. Bei der Kanzlei wird auch die Menschenrechtsbeschwerde eingelegt, registriert und an eine Kammer weitergeleitet. Die Aufgabe des ersten Filterns von eingereichten Beschwerden6o , die früher der Kommission oblag, übernehmen Ausschüsse, die aus drei Richtern bestehen. Von den Ausschüssen wird nach Registrierung der Beschwerde eine Zulässigkeitsprüfung vorgenommen. Eine zulässige Be55 BGBl. 2002 11, S. 1080. Ein Abdruck findet sich auch in Form der von der Ratifikation des Protokoll Nr. 9 abhängigen Fassung ("VerfO-EGMR B") als Nr. 137 im Sartorius 11. Eine englische Version der Verfahrensordnung vorn 04. 11. 1998 ist in HRLJ 19 (1998), S. 269 ff. nachzulesen. Die jeweils aktuelle Fassung ist ebenfalls auf der Internetseite des Gerichtshofs veröffentlicht (englisch: http:// www.echr.coe.int/Eng/EDocs/RulesOjCourt.html [Stand: 20.06.2002]). 56 Überblick bei Mowbray, P.L. 1999, S. 223 ff.; HaefligeriSchürmann, S. 379 ff.; Lindenmann, ZBJV 134 (1998), S. 667 ff.; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 3 ff. 57 Zur Kritik siehe nur Trechsel, Aktuelle Fragen, S. 23 f.; Schlette, JZ 1999, S. 225 m. w. N. sowie Matscher, LA Seidl-Hohenveldern, S. 453 f. 58 Auf dieser Grundlage karn der oben angesprochene Komprorniß bei der Schaffung eines neuen Gerichtshofs zustande: vgl. DrzemczewskilMeyer-Ladewig, EuGRZ 1994, S. 321 f.; Wittinger, NJW 2001, S. 1241. 59 Ein Überblick zur Zusammensetzung des Gerichtshofs findet sich in dessen jährlichen Tätigkeitsbericht (Survey of Activities) sowie im internet unter http:// www.echr.coe.int/Eng/general.htm [Stand: 20.06.2002]. 60 Filtern meint das Aussortieren von eingereichten Beschwerden (provisional files) anhand bestimmter Kriterien. Die aussortierten Beschwerden werden nicht registriert und nicht weiter geprüft. 4*
1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
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schwerde wird der Kammer zugeleitet, die nochmals über die Zulässigkeit vor allem aber auch über die Begründetheit der Beschwerde entscheidet. Vor der Kammer findet dann eine (im Regelfall öffentliche) mündliche Verhandlung statt, der ein schriftliches Vorverfahren und ggf. Sachverhaltsermittlungen vorausgehen. Zunächst versucht die Kammer, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Wenn diese fehlschlägt, ergeht ein Urteil über die Begründetheit der Beschwerde und die unter Umständen zu leistenden Entschädigungen. Danach steht es den Parteien frei, innerhalb von drei Monaten die Große Kammer anzurufen, bevor das (erste) Urteil in Rechtskraft erwächst. Die endgültigen Urteile werden ausschließlich in englischer und französischer Sprache in der amtlichen Sammlung "Reports of Judgments and Decisions/Recueil des Arrets et Decisions,,61 und zunehmend auch im intemet62 veröffentlicht. 63 Über die Durchführung von Urteilen des Gerichtshofs wacht wie zuvor das Ministerkomitee des Europarates. 64
c.
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre innerstaatliche Wirkung65
Im Folgenden soll näher auf die das Verfahren in Straßburg beendenden Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingegangen 61 Bis Ende Dezember 1995 erschienen die Urteile in einer amtlichen Sammlung unter dem Titel "Publications de la Cour Europeenne des Droits de L'Homme; Serie A: Arrets et decisions/Publications of the European Court of Human Rights; Series A: Judgments and Decisions". Die Zählweise war "Vol." In der ebenfalls 1995 eingestellten Serie BISeries B wurden die Protokolle der mündlichen Verhandlungen sowie diverse Prozessunterlagen veröffentlicht. Seit 1996 erscheinen nur noch die Urteile in einer einzigen Serie unter dem Titel "Recueil des Arrets et Decisions/Reports of Judgments and Decisions". Mit Band 1996-1 der "Reports" begann die Zählweise erneut mit Nummer [',No."] 1. Seit Band 1999-1 wird nicht mehr extra numeriert. 62 Dafür existiert eine eigene Datenbank: http://www.echr.coe.int/HUDOC.htm [Stand: 20.06.2002]. 63 In Deutschland nimmt die Zahl der veröffentlichten Urteile erfreulicherweise zu. Der Abdruck erfolgt überwiegend in der EuGRZ und der NJW, daneben aber auch vereinzelt in anderen Fachzeitschriften. Seit geraumer Zeit kann man sich in der Zeitschrift German Yearbook 0/ International Law (bis 1975 lahrbuchfür internationales Recht) in einer jährlich aktualisierten Zusammenstellung über die neuesten Urteile des EGMR einen Überblick verschaffen. 64 Siehe dazu HaefligerlSchürmann, S. 428; HRLJ 21 (2000), S. 272 ff.; kritisch O. Klein, ZRP 2001, S. 401 f. Von den früheren Kompetenzen des Ministerkomitees in Bezug auf die Konvention ist das die einzig verbliebene. 65 Zu den (rechtstechnischen) Anforderungen an den Aufbau, den Inhalt sowie die Formulierung der Urteile und deren praktische Umsetzung siehe Merrills, S. 21 ff. Zur innerstaatlichen Wirkung der Urteile vgl. den sehr ausführlichen Beitrag von G. Ress, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Vertragsstaa-
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
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und ein wertungsfreier Überblick über ihre Wirkung in der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung des hiesigen Ranges der Konvention für Menschenrechte gegeben werden. Die Darstellung dient dazu, eine Grundlage zu schaffen, welche vom Verfasser für das Verständnis von im Laufe der Arbeit wiedergegebenen Argumentationen als unverzichtbar angesehen wird. Der Gerichtshof als unabhängige Institution und Hauptorgan der Europäischen Menschenrechtskonvention66 ist schon zu Beginn seiner Tätigkeit als "Krönung ihres Rechtsschutzsystems,,67 bezeichnet worden. Ihm soll die Durchsetzung und Überwachung der Anwendung der MRK in den Vertragsstaaten und die Sanktionierung etwaiger Verletzungen der Konventionsbestimmungen durch Akte der mitgliedstaatlichen Exekutive, Judikative und Legislative obliegen. Dabei hat er auch über die (autonome68 ) Auslegung und Anwendung der Konventionsnormen in Einzelfällen zu befinden, was in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass die Garantien der Konvention über den reinen Text hinaus eine dynamische Ausfüllung mittels evolutiver Auslegung 69 erfahren haben und der Gerichtshof "rechtsfortbildend,,7o tätig wurde.
ten: Die Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im innerstaatlichen Recht und vor innerstaatlichen Gerichten, in I. Maier (Hrsg.): Europäischer Menschenrechtsschutz: Schranken und Wirkungen, Heidelberg 1982, S. 227 ff. 66 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist kein Organ des Europarates: siehe nur Escher, S. 18 m.w.N.; zu dieser Problematik auch Ress, FS Zeidler, Bd. 11, S. 1791 f. sowie ders., LA Seidl-Hohenveldern, S. 552 ff. m. w. N. 67 Mosler, ZaöRV 20 (195911960), S. 415. 68 Siehe nur das Urteil des EGMR im Fall Deweer .I. Belgien, Series A, Vol. 35, Nr. 42 = EuGRZ 1980, 667 (671), in dem der Gerichtshof die französische Textfassung der EMRK "within the meaning of the convention" auslegt. 69 Mosler, Problems of interpretation, S. 158 f. unter Verweis auf eine Studie von S~rensen; Mosler, FS Huber, S. 602; Frowein, EuGRZ 1980, S. 234; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 179; Jung, EuGRZ 1996, S. 372; siehe auch die in diesem Zusammenhang häufig zitierte Passage im Urteil des EGMR vom 25. April 1978 - Fall Tyrer ./. Vereinigtes Königreich, Series A, Vol. 26, Nr. 31 = YB 21 (1978), 612 ff.: "The Court must also recall that the Convention is a living instrument which, as the Comrnission rightly stressed, must be interpreted in the light of present-day conditions."; zur Auslegung der Konvention allgemein noch Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 162 ff.; FroweinlPeukert (2), EMRK, Einführung Rn. 7 ff.; Weidmann, S. 65 ff., 227 ff.; Ryssdal, FS Odersky, S. 251 f. 70 Kälin, FS Schindler, S. 532 ff. (S. 535); Kühne, Grundrechtsschutz, S. 63 f.; vgl. auch Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 174 ff.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
I. Die Arten von Urteilen des EGMR
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind eine Mischung aus einem Feststellungsurteil und (gegebenenfalls) einem Leistungsurteil. In der Hauptsache stellt der Gerichtshof fest, ob eine Konventionsverletzung durch einen Mitgliedsstaat der Konvention vorliegt oder nicht, die Beschwerde also begründet oder unbegründet ist. Dieses Urteil ist in keinem Falle ein vollstreckungsfähiges Gestaltungsurtei1. 71 Unmittelbare Adressaten der Urteile sind die Staaten, nicht seine Organe. 72 Für deren Handeln muss auf völkerrechtlicher Ebene der jeweilige Staat einstehen?3 Regelmäßig verbindet der EGMR seit einigen Jahren - soweit angebracht - die Entscheidung über eine "gerechte Entschädigung" gemäß Art. 41 MRK74 mit dem Hauptsacheurtei1. 75 In der Vergangenheit hat sich der Gerichtshof die Festlegung der Entschädigungssumme im (Feststellungs-) Urteil häufig vorbehalten und diese erst nach einer weiteren mündlichen Verhandlung in einem separaten (Leistungs-)Urteil festgelegt, um dem verurteilten Staat zuerst Gelegenheit zu Wiederherstellung eines konventionskonfonnen nationalen Zustandes (restitutio in integrum) zu geben. Das Maß der zu leistenden Entschädigung (compensation) wurde vom Gerichtshof erst nach Würdigung des Umfangs der erfolgten Restitution bestimmt. 76
71 Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 476; vgl. auch Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 232; Bausback, BayVBl. 1995, S. 739; Bemhardt, Symposion 1999, S. 150. 72 Kritisch Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 225 f. 73 Verdross/Simma, § 1270 ff.; W. Schmid, Wirkungen, S. 84 m. w.N.; Ipsen, § 40 Rn. 3 ff.; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 104. 74 Art. 41 MRK lautet: "Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist." Der Artikel ist damit eine vereinfachte und gekürzte Fassung des Art. 50 MRK a. F. Der hier wiedergegebene deutsche Wortlaut wurde dem Abdruck in Sartorius 11, Nr. 130 (vgl. auch BGBl. 1995 11, S. 585 zur dem Textfassung des Protokolls) entnommen und unterscheidet sich wenn auch unwesentlich - von der in EuGRZ 1994, S. 343 abgedruckten Fassung. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass die deutsche Übersetzung unverbindlich ist. 75 Die Festlegung einer gerechten Entschädigung nach einer Verletzung der Konvention obliegt ausschließlich dem EGMR: vgl. BGH NJW 1998,2288 (2289). 76 Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 481 ff.; vgl. aber auch Klerk, NILR 45 (1998), S. 81 f.
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11. Die Wirkung der Urteile nach völkerrechtlichen Grundsätzen
Bei der Frage nach dem Umfang der Bindungswirkung der Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte ist zunächst der Blick auf das Völkerrecht zu lenken, dessen Grundsätze in Ermangelung abweichender Regelungen 77 im Falle einer Konventionsverletzung zum Tragen kommen. Die Beachtung der Konventionsgarantien durch den Vertragsstaat ist eine völkerrechtliche Verbindlichkeit, so dass bei Verletzungen dieser Pflicht primär auf völkerrechtliche Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit zurückgegriffen wird. 78 Die Verletzung der Konvention ist somit als völkerrechtliches Delikt anzusehen, mit der Folge, dass der betreffende Staat zur Wiedergutmachung verpflichtet ist, die - wie im vorhergehenden Abschnitt schon angedeutet primär in der vollständigen Wiederherstellung eines konventionsgemäßen Zustandes besteht (restitutio).79 Unabhängig von der Pflicht zur Wiedergutmachung besteht eine Pflicht des Staates, die noch andauernde Verletzung von Völkerrecht unverzüglich zu beenden. 8o Alternativ (bei Unmöglichkeit einer vollständigen restitutio in integrum) oder zusätzlich (als Form der Wiederherstellung des Ursprungszustandes) ist der betroffene Staat in einem zweiten Schritt völkerrechtlich verpflichtet, Entschädigung an den oder die Betroffenen zu leisten. 81 Art. 41 MRK, 77 Zur Möglichkeit, spezielle Rechtsfolgen für den Fall der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages in diesem selbst zu vereinbaren VerdrosslSimma, § 1309; Wengier, Bd. I, S. 504 ff. 78 Vgl. Frowein, JuS 1986, S. 850; Kühl, ZStW 100 (1988), S. 422; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 164 unter Verweis auf die travaux preparatoires; Froweinl Peukert (2), EMRK, Art. 50 Rn. 1. 79 Schumann, S. 324; Schindler, FS Guldener, S. 277, 279; W. Schmid, Wirkungen, S. 64; Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 473 ff.; E. Klein, Arbeitstagung, S. 61; v. Stackelberglv. Stackelberg, Rn. 87 (S. 123); Bausback, NJW 1999, S. 2484; Seidl-HohenveldemIStein, Rn. 1685; allgemein zu den Rechtsfolgen nach Verletzung völkerrechtlicher Verträge VerdrosslSimma, § 1294 ff.; Wengier, Bd. I, S. 510 ff.; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 164 f.; Doehring, Rn. 838 ff.; zu Grundzügen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit siehe Ipsen, § 39. 80 Die Beendigungspflicht ist eine selbständige Verpflichtung des Staates, die vor allem dann in den Vordergrund rückt, wenn der EGMR eine Verletzung der MRK aufgrund nationaler abstrakt-genereller Normen festgestellt hat: dazu siehe Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 52 ff., 63 ff. sowie ders., ZaöRV 52 (1992), S. 171 ff. m. w.N.; O. Klein, ZRP 2001, S. 401 (Fn. 59). 81 Diese Entschädigung umfaßt jedenfalls die Verfahrenskosten als Ganzes (also auch vor den nationalen Instanzen) sowie den materiellen Schaden aufgrund der Konventionsverletzung; vgl. allgemein Wengier, Bd. I, S. 512; konkret Frowein, Vortrag, S. 25; Weidmann, S. 35 ff.; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 239. Daneben stehen Ansprüche auf Genugtuung (satis/action) für immaterielle Schäden: Wengier, Bd. I, S. 514 f.; VerdrosslSimma, § 1299; Villiger, ZSR 104 I (1985), S.475.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
der diesen Grundsatz für die Konvention ausdriicklich und eindeutig regelt82 , entspricht dabei den anerkannten völkerrechtlichen Vorgaben83 , so dass hier auf weitergehende Ausführungen verzichtet und auf die Lektüre des Konventionstextes verwiesen wird. Im Übrigen bereitet die Frage der Entschädigungsleistung praktisch so gut wie keine Schwierigkeiten 84 und wird im Verlauf der Arbeit auch nicht eingehender behandelt werden. 85 IH. Speziell: Die restaurativen Folgerungen des Staates nach Feststellung einer Verletzung der Konvention
Wichtiger, wenn auch schwieriger zu beantworten, ist die Frage, welche konkreten Folgerungen der jeweilige verurteilte Staat aus der Feststellung einer Konventionsverletzung aufgrund von Handlungen seiner Organe zu ziehen hat. Das ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Eine auf die Verurteilung folgende völkerrechtliche Handlungspflicht des betroffenen Staates ergibt sich grundsätzlich aus Art. 46 Abs. 1 MRK86 , nach dem sich die Vertragsstaaten verpflichten, die endgültigen Urteile 87 des Gerichtshofs in allen Sachen, in denen sie Partei sind, zu befolgen; 82 Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 104 f. sowie ders. erneut in JZ 1960, S. 197 hat aus dieser Regelung im Umkehrschluß gefolgert, dass die Konvention damit schon im Text keine Aufhebung oder Beseitigung des staatlichen Aktes durch die Organe der MRK zulassen will, da sonst nicht darauf abgestellt werden müßte, dass dem Staat die Wiedergutmachung nur eingeschränkt möglich oder unmöglich ist; ebenso Wiesler, S. 130; Schumann, S. 176 f.; Frowein, JuS 1986, S. 850; Uerpmann, S. 204 f. m. w.N.; BVerfG EuGRZ 1985, 654 (655) = NJW 1986, 1425 (1426) - Fall Pakelli. 83 Vgl. W. Schmid, Wirkungen, S. 60 f. sowie Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 16 (entsprechende Nachweise in Fn. 35) unter Verweis auf herkömmliche Klauseln in einigen internationalen Schiedsverträgen. Die Formulierung des Konventionsartikels knüpft dabei an die Entscheidung des IGH vom 13. 09. 1928 im Fall Chorz6w Factory an: vgl. Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 51. 84 Vgl. Kühl, ZStW 100 (1988), S. 423; Uerpmann, S. 212; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 268 f.; Frowein, HStR, § 180 Rn. 14; Bemhardt, Symposion 1999, S. 151; Weigend, StrVert 2000, S. 387. 85 Siehe stattdessen U. Zwach, Die Leistungsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Stuttgart [u.a.] 1996 sowie G. Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention: eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung nach Artikel 50 EMRK, Köln, Berlin [u.a.] 1~4. . 86 Art. 46 Abs. 1 MRK lautet "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen." und entspricht damit bis auf die Ersetzung des Wortes "Entscheidung" durch das Wort "Urteil" dem Art. 53 MRK a. F. Der hier wiedergegebene deutsche Wortlaut wurde wiederum dem Abdruck in Sartorius II, Nr. 130 entnommen. 87 Die Endgültigkeit der Urteile ist in Art. 42, 44 MRK (ehemals Art. 52 a.F.) geregelt.
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den Umfang dieser Pflicht beschreibt die Konventionsnorm jedoch nicht näher. 88 Einig ist man sich nur daIiiber, dass der betroffene Staat handeln musi9 , dass die Urteile unmittelbar nur inter partes gelten90 und daIiiber, dass die Urteile des Gerichtshofs die betreffenden innerstaatlichen Hoheitsakte nicht unmittelbar aufheben oder außer Kraft setzen, den Urteilen also keine kassatorische Wirkung zukommt. 91 Weitergehende Regelungen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der staatlichen Verpflichtung will nicht die Konvention, sondern soll das eigene nationale Recht des verurteilten Staates treffen. Demzufolge enthalten auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine diesbezüglichen Vorgaben. 92 Zwar wurde in die Diskussion um die jüngste und bisher umfassendste Reform des Rechtsschutzsystems, die schließlich durch das 11. Protokoll praktisch umgesetzt worden ist, der Vorschlag eingebracht, dem Gerichtshof kassatorische Kompetenzen einräumen93 ; letztendlich wurde er jedoch nicht realisiert.94 Vgl. Bemhardt, Symposion 1999, S. 149. Bemhardt, FS Doehring, S. 28; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 817; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 233; Wittinger, Jura 1999, S. 407 m. w.N. 90 Verpflichtet ist also nur der konkret verurteilte Staat: vgl. Mosler, FS Huber, S. 604; Ress, EuGRZ 1996, S. 350; Doehring, Rn. 1142; Masuch, NVwZ 2000, S. 1267. 91 Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 104; Schumann, S. 176 m. w. N.; Higgins, RHDI 31 (1978), S. 31; Schindler, FS Guldener, S. 275 f.; E. Klein, Arbeitstagung, S. 60; Kühl, ZStW 100 (1988), S. 423 m.w.N.; Frowein/Peukert (2), EMRK, Art. 53 Rn. 2 f.; Ryssdal, FS Odersky, S. 247; Uerpmann, S. 181 m. w. N.; Rüping, Rn. 696; Vi/tiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 232; Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 911; Bemhardt, Symposion 1999, S. 150; HaefligeriSchürmann, S. 426; Doehring, Rn. 999; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 15; Seidl-HohenveldemlLoibl, Rn. 1320; Wittinger, NJW 2001, S. 1238; Limbach, NJW 2001, S. 2915; O. Klein, ZRP 2001, S. 401. Einen kurzen Überblick über die anerkannten Wirkungen der Urteile geben Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 476 ff. sowie Gusy, ZtRV 30 (1989), S. 19. 92 So der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmalig in seiner Entscheidung im Fall March./. Belgien, (Series A, Vol. 31, Nr. 58 = YB 22 (1979), 410 ff.): " ... the Court's judgment is essentially dec1aratory and leaves to the State the choice of the means to be utilised in its domestic legal system for performance of its obligation under Artic1e 53."; zu der Entscheidung siehe Frowein, EuGRZ 1980, S. 235 und Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 151 ff. Die Ansicht des EGMR entspricht im Übrigen der gängigen völkerrechtlichen Praxis (vgl. Urbanek, ÖZöR 11 NF (1961), S. 70) sowie dem infolgedessen in der Konvention verankerten Grundsatz der Subsidiarität (dazu Ryssdal, FS Odersky, S. 252 ff.; Wi/dhaber, ZSR 98 11 (1979), S. 290 ff.) und ist mittlerweile in die ständige Rechtsprechung des EGMR eingegangen: vgl. Nachweise bei Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 17 ff.; ders. , ZaöRV 52 (1992), S. 817 (Fn. 34). 93 Vgl. Schlette, ZaöRV 56 (1996), S. 949 (Fn. 248). 88
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Interessanterweise sieht die Konvention keine Sanktionen für den Fall vor, dass die Staaten ihrer Verpflichtung aus den Feststellungs- oder Leistungsurteilen nicht nachkommen. Ein Vollstreckungssystem ist nicht eingeführt worden und die Konventionsorgane besitzen keinerlei Zwangsmittel zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen. 95 In der Praxis sind die verurteilten Staaten ihrer völkerrechtlichen Pflicht jedoch immer - wenn auch manchmal mit Verzögerungen - nachgekommen. 96 IV. Die Wirkung der Urteile des EGMR in Deutschland
Seit Bestehen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bis heute hat dieser in 57 Urteilen eine Verletzung der Menschenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland geprüft. 97 Dabei ist die Bundesrepublik in etwas mehr als der Hälfte der Fälle in Straßburg wegen Verletzung der EMRK verurteilt worden, womit trotz der Menschenrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung aufgrund des detaillierten Grundrechtskataloges offensichtlich wird, dass deutsche Normen und sogar das Grundgesetz selbst in ihrem Schutzumfang hinter der Menschenrechtskonvention zurückbleiben können. 98 Um die mögliche Wirkung einer solchen Verurteilung in Deutschland zu verdeutlichen, ist zunächst auf die Art des staatlichen Aktes, der nach Auffassung des EGMR gegen die Menschenrechtskonvention verstößt, abzustellen - also darauf, ob es sich um einen nationalen Verwaltungsakt, ein nationales Gesetz oder ein nationales Urteil handelt. Zwar muss hier eingeräumt werden, dass beispielsweise ein nationales Urteil sowohl aufgrund von Fehlern im Verfahren als auch aufgrund der Anwendung einer (konventionswidrigen) Rechtsnorm, wenn dieses letztlich (mit-)ursächlich für die gerichtliche Entscheidung war, gegen die Menschenrechtskonvention versto94 Damit scheiterte die Einführung entsprechender Befugnisse des EGMR erneut. Schon im Vorfeld der Beratungen zur Menschenrechtskonvention waren im Entwurf der "Europäischen Bewegung" im Jahre 1949 kassatorische Kompetenzen für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgesehen (vgl. Partsch, ZaöRV 15 (1953/1954), S. 636; Wiesler, S. 128 f.; Sattler, S. 8 f.), die anfanglieh auch in den nachfolgenden Beratungen zur Konvention aufgegriffen wurden (vgl. den Redebeitrag von Teitgen während der achten Sitzung der Beratenden Versammlung am 19. August 1949, wiedergegeben in Collected Edition of the "Travaux Preparatoires"/Recueil des "Travaux Preparatoires", Bd. I, The Hague 1975, S. 48/49). 95 Vgl. zur Vollstreckung von Entscheidungen des Ministerkomitees: Wiesler, S. 140 ff.; W. Schmid, Wirkungen, S. 147 ff. 96 Ress, EuGRZ 1996, S. 353; Wittinger, Jura 1999, S. 407; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 16. 97 Vgl. die Übersicht im Anhang I. 98 H. Seibert, FS Hirsch, S. 519; E. Klein, Arbeitstagung, S. 46; Matthei, S. 2.
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Ben kann, so dass hier eine Überlappung der Materien stattfindet. Dennoch soll an der Unterscheidung nach den drei Staatsgewalten festgehalten werden, da zwar der Adressat eines Straßburger Feststellungsurteils immer nur der betreffende Staat ist, die konkreten Folgerungen aber dennoch verschiedene Staatsorgane betreffen. Weiterhin ist für die Wirkung des Straßburger Urteils relevant, ob der betreffende staatliche Akt in der Vergangenheit lag und beendet ist oder ob er zukünftig noch fortwirkt. 99 1. Die Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Deutschland selbst Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wirken nach allgemeiner Auffassung nur mittelbar. 1oo Mittelbare Wirkung bedeutet dabei zweierlei: Das nationale Recht wird durch das Urteil nicht unmittelbar geändert, da die betreffenden konventionswidrigen Hoheitsakte durch die Verurteilung in StraBburg weder kassiert noch automatisch nichtig werden. Sie bleiben zunächst wirksam bestehen. Es ist primär Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland als verurteiltem Staat, diesbezügliche Folgerungen zu ziehen und sich dazu an seine Organe zu wenden. 101 Die deutschen Staatsorgane sind erst in zweiter Linie von den beabsichtigten oder nötigen staatlichen Konsequenzen berührt, womit die Urteile aus Straßburg bei ihnen sozusagen doppelt mittelbar wirken. 102 Da die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte allerdings (vor allem aufgrund ihrer Endgültigkeit) in formelle und materielle Rechtskraft erwachsen 103, haben alle deutschen Staatsorgane für sich genommen die Dazu vgl. Bemhardt, Symposion 1999, S. 150 ff. Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 245 f.; Frowein, Vortrag, S. 24; ders., HStR, § 180 Rn. 17; Kilian, S. 207 f.; Bemhardt, FS Doehring, S. 27 f.; Weigend, StrVert 2000, S. 388; Limbach, NJW 2001, S. 2915. 101 Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 388; vgl. auch OLG Düsseldorf StrVert 1982, 361 f.; a.A. Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 175. 102 A. A. und für eine unmittelbare Bindung der Staatsorgane an die Urteile aus Straßburg soweit ersichtlich nur Stöcker, NJW 1982, S. 1909; Stöcker, NStZ 1983, S. 374 (betreffs der Folgerungen im Fall Pakelli); Bleckmann EuGRZ 1995, S. 389; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 228 ff.; ders., ZaöRV 52 (1992), S. 176, hier allerdings nur für den Fall, dass die nach dem Urteil des EGMR "geschuldeten Maßnahmen hinreichend bestimmt und ihrem Inhalt nach geeignet sind, unmittelbar von den innerstaatlichen Behörden und Gerichten ergriffen zu werden." Offen gelassen von Nds. Disziplinarhof NdsRpfI. 1998,241, (242). 103 Siehe nur W. Schmid, Wirkungen, S. 139 ff.; E. Klein, Arbeitstagung, S. 60; Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 387 m. w. N.; ausführlich Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 231 ff.; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 23 ff.; Kilian, 99
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Pflicht, die festgestellte Konventionswidrigkeit zumindest zu beachten, selbst wenn die konkreten Folgerungen aufgrund des Urteils des Gerichtshofs sie selbst im Einzelfall nicht berühren. 104 a) Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes durch einen deutschen Verwaltungsakt Bezüglich der deutschen Reaktionen auf eine Verurteilung in Straßburg wegen der Verletzung der Menschenrechtskonvention durch einen Verwaltungsakt sind die Aussagen der einschlägigen Literatur eher dürftig. 105 Es wird insoweit immer betont, dass diesbezüglich nur geringfügige Probleme auftreten können. 106 In der Tat steht in den entsprechenden Fällen nicht allein ein Verwaltungsakt im Blickfeld des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, sondern auch die ihm zugrundeliegende Rechtsnorm 107 und/oder ein Gerichtsurteil 108 , das die Richtigkeit dieses Verwaltungsaktes bestätigt. Solche Gerichtsurteile wird es immer geben, da es zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde gehört, dass der nationale Rechtsweg erschöpft ist (vgl. Art. 34 Satz 1 MRK 109). Folglich wirkt die Verletzung der Konvention durch einen Verwaltungsakt immer auch in den ihn bestätigenden Gerichtsurteilen fort. Der EGMR kann die Verletzung S. 115 ff. (insbesondere S. 125), 131 ff.; einschränkend Kadelbach, Strafverteidigertag 1997, S. 257 der den Urteilen "keine Rechtskraft im strengen Sinne attestiert" und das mit einer seiner Ansicht nach fehlenden präjudiziellen Wirkung begründet. 104 Frowein, JuS 1986, S. 850; W. Schmid, Wirkungen, S. 86; vgl. auch Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 247 ff.; E. Klein, Arbeitstagung, S. 60 sowie erneut Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 177. Für die deutschen Gerichte ebenso BVerfG EuGRZ 1985, 654 (656) = NJW 1986, 1425 (1427) - Fall Pakelli; BVerwG JZ 2000, 1050 (1052) (mit Anm. Kadelbach) = InfAuslR 2000, 171 (173 f.); a.A. noch KG RPfieger 1988, 330 (331). 105 Die einzigen ausführlicheren Stellungnahmen finden sich soweit ersichtlich bei Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 240 und Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 107 ff. Detaillierter sind schon die Ausführungen in der Schweizer Literatur, vgl. nur Schindler, FS Guldener, S. 282; W. Schmid, Wirkungen, S. 92 ff.; Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 500 ff.; ders. (2), Handbuch der EMRK, Rn. 249 f., die auf das deutsche Verwaltungsrecht aber nur bedingt übertragbar sind. 106 So von Frowein/Peukert (2), EMRK, Art. 53 Rn. 5; Guradze, Kommentar, Art. 50 Erl. 3 (S. 248); Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 107. 107 Darauf weist auch Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 246 hin; siehe zur Praxis des EGMR Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 167 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung (Fn. 73). Polakiewicz mußte aber an anderer Stelle einräumen, dass sich der Beschwerdeführer eines Individualbeschwerdeverfahrens in der Regel gegen die Anwendung der Norm in seinem Fall, also eher direkt gegen den konkreten Vollzugsakt wenden wird: Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 43. 108 Dazu Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 94. 109 Vgl. Art. 26 MRK a.F.
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eines Artikels der Menschenrechtskonvention somit auch nie nur auf einen (ursprünglichen) Verwaltungsakt bezogen feststellen, weshalb dieser wohl innerhalb der Literatur relativ wenig Beachtung erfährt. liD Immerhin lassen sich doch gewisse Grundaussagen treffen. Sofern sich irreparable Schäden materieller oder immaterieller Art ergeben haben 111 , soll die Bundesrepublik Deutschland von vornherein zu Leistung einer gerechten Entschädigung verpflichtet sein. 112 Für den Fall, dass noch eine verwaltungsrechtliche Rückgängigmachung des Geschehens möglich ist, soll der Staat die betreffende Behörde anweisen, den fraglichen Verwaltungsakt aufzuheben 113 oder zumindest für die Zukunft zur Beachtung der Straßburger Rechtsprechung in der behördlichen Praxis anweisen. 114 Dies bereitet dann keine Schwierigkeiten, wenn der Staat letztlich oberster Dienstherr ist. Durch die Aufhebung des Verwaltungsakts wird dann ein Fortwirken des Konventionsverstoßes für die Zukunft vermieden. Die Behörden sind aber genauso gehalten, von sich aus die für sie selbst primär unverbindlichen EGMR-Urteile gegen die Bundesrepublik Deutschland zu respektieren und im Rahmen ihrer Möglichkeiten unter Beachtung der nationalen Rechtsordnung l15 versuchen, dem Urteil aus Straßburg gerecht zu werden. 116 Diese Grundsätze müssen gleichbedeutend für die Fälle der landeseigenen Verwaltung gelten. Eine Grenze erfährt ihre Anwendung für den Fall, dass deutsche Rechtsnormen etwas anderes eindeutig vorschreiben. 117
110 Nach Urbanek, ÖZöR 11 NF (1961), S. 88 stellt dennoch allein der zugrundeliegende Verwaltungsakt das völkerrechtliche Unrecht dar; ebenso W. Schmid, Wirkungen, S. 93. 111 Beispielsweise bei einmaligen Verwaltungsakten, die in der Vergangenheit liegen oder bei unwiderruflichen Verwaltungsakten. 112 Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 105; ders., JZ 1960, S. 197; Schom, Art. 48 Erl. 55 (S. 404); Kilian, S. 204; Bemhardt, Symposion 1999, S. 151. Diese Konsequenz wird auch bei irreparablen Schäden aufgrund nationaler Urteile angenommen: Urbanek, ÖZöR 11 NF (1961), S. 82 f. Insofern gelten hier die gleichen Grundsätze. 113 In diesem Sinne generell bejahend bei der Möglichkeit zur Naturalrestitution für den Fall, dass diese durch Aufhebung des konventionswidrigen Aktes möglich ist Urbanek, ÖZöR 11 NF (1961), S. 87. 114 Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 68 f. 115 Vgl. generell zu dieser Beachtungspflicht W. Schmid, Wirkungen, S. 86. 116 Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 240; Bemhardt, Symposion 1999, S. 151, 152; wohl auch Frowein, JuS 1986, S. 850. 117 In diesem Fall ist der deutsche Gesetzgeber gefordert. Dazu sogleich unter b).
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b) Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes durch eine deutsche Rechtsnorm Etwas komplizierter ist die Lage, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil festgestellt hat, dass eine deutsche Rechtsnorm 118 gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. 1l9 Der EGMR kann - anders als das Bundesverfassungsgericht - diese Norm nicht unmittelbar aufheben oder für nicht anwendbar erklären, was Probl~me aufwirft, wenn es sich bei der konventionswidrigen Norm ebenfalls um einfaches Bundesrecht oder gar Verfassungsrecht handelt. Die betreffende nationale Regelung bleibt zunächst innerstaatlich gültig. 120 Sie ist, solange der deutsche Gesetzgeber nicht eingreift, wegen Art. 20 Abs. 3 GG von deutschen Gerichten und Behörden, die per se nicht an die Rechtsprechung des EGMR bzw. die von ihm vorgenommene Auslegung der Konventionsbestimmungen gebunden sind l2 I, zu beachten. 122 Die deutschen Gerichte und Behörden sind dadurch verpflichtet, völkerrechtswidrige Normen anzuwenden. Auf diesem Wege wirkt die festgestellte Konventionswidrigkeit allerdings nicht nur für den in Straßburg verhandelten Einzelfall, sondern auch in zukünftigen Verfahren, welche die gleiche Sach- oder Rechtslage betreffen und in denen ebenfalls eine völkerrechtswidrige Norm anzuwenden wäre, fort. Die Pflicht des deutschen Gesetzgebers, in diesem Fall zu reagieren und die konventionswidrige Norm ex nunc 123 entweder zu ändern oder gänzlich 118 Eigentlich unnötig ist es, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass das nur Normen betrifft, die nach Inkrafttreten der MRK geschaffen worden sind. Zeitlich vor der Konvention gesetzte Normen wurden, soweit sie der MRK widersprechen, außer Kraft gesetzt, da die Konvention diesbezüglich lex posterior ist. 119 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist durchaus berechtigt, im Rahmen einer Individualbeschwerde die Vereinbarkeit nationaler Rechtsnormen mit den Bestimmungen der Menschenrechtskonvention zu überprüfen: vgl. Schom, Art. 48 Erl. 54 (S. 403); Moller, NJW 1967, S. 2339; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 40 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR; zögerlich noch Wiebringhaus, Friedenswarte, Fn. 37 (S. 21). 120 Schindler, FS Guldener, S. 276; Uerpmann, S. 182; KleinknechtIMeyer-Goßner (45), MRK (A 4), Vorbem. Rn. 3. 121 Weidmann, S. 56; E. Klein, Arbeitstagung, S. 60 f.; Kilian, S. 207; Bausback, BayVBl. 1995, S. 739; ders., NJW 1999, S. 2484; Böse, StraFo 1999, S. 293 f.; KG RPfleger 1988,330 (331 m.w.N.); a.A. Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 388 f. Neuerdings hat Kühne, Grundrechtsschutz, S. 70 eine gesetzliche Regelung zur Klärung des Umfangs der Bindungswirkung von Entscheidungen des EGMR für deutsche Gerichte angeregt. 122 Schumann, S. 250; Schumann, NJW 1964, S. 755; Sattler, S. 109; Uerpmann, S. 190; Matthei, S. 27; exemplarisch: LG Heilbronn EuGRZ 1991, 185 (186). 123 Theoretisch müßte man verlangen, dass der Staat den Zustand wiederherstellt, der bestehen würde, wenn das schadensverursachende Ereignis nicht eingetreten wäre. Rein dogmatisch müßte der Staat also rückwirkend tätig werden. Ein Außer-
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aufzuheben, die nationale Rechtsordnung also den Feststellungen des EGMR anzupassen, ergibt sich dabei zunächst aus der völkerrechtlichen Pflicht des Staates zur Restitution. 124 Der deutsche Gesetzgeber ist gehalten, schnellstmöglichst zu handeln, um die fortdauernde Verletzung der Konvention durch Normen, die unter Umständen die Grundlage für Verwaltungsakte oder die Entscheidungsgrundlage für Urteile sind, zu beenden. 125 Aus Art. 46 Abs. 1 MRK lässt sich weiterhin die Pflicht des Staates herleiten, Verstöße gegen die Konvention in Zukunft zu vermeiden. 126 Auch aus diesem Grund ist somit selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer nicht mehr betroffen ist, der Staat verpflichtet, zu reagieren, um zukünftige Konventionsverletzungen aufgrund der wiederholten Anwendung der Norm zu vermeiden. 127 Ist der Beschwerdeführer noch betroffen, weil sein Fall vor einem deutschen Gericht wieder "aufgerollt" wird, ergibt sich diese Pflicht des Staates von selbst. Es macht keinen Sinn, wenn ein Gericht in einem Wiederaufnahmeverfahren nach Feststellung eines Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention durch ein Urteil 128 wiederum die gleiche konventionswidrige Norm anwenden müsste und damit unter Umständen noch einmal zu einem konventionswidrigen Ergebnis käme. 129 Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn der Beschwerdeführer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgreich eine Verletzung seiner Menschenrechte aufgrund einer landesrechtlichen Norm gerügt kraftsetzen von Normen mit Wirkung ex tunc würde jedoch dem Prinzip der Rechtssicherheit zuwiderlaufen, was allgemein anerkannt ist, vgl. nur Ress. Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 237 ff.; Polakiewicz. ZaöRV 52 (1992), S. 167 ff. Die in der Vergangenheit liegenden (irreparablen) Folgen müssen mit der Zahlung einer Entschädigungsleistung aufgefangen werden. 124 Schumann, S. 328; Urbanek. ÖZöR 11 NF (1961), S. 72 f.; Bleckmann. EuGRZ 1995, S. 388; vgl. auch Polakiewicz. Verpflichtungen, S. 156 m.w.N. 125 Ress. Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 235; ders .• EuGRZ 1996, S. 352; Polakiewicz. ZaöRV 52 (1992), S. 166 f.; Bemhardt. Symposion 1999, S. 152. A. A. Kilian, S. 202 f., der aber immerhin einen diesbezüglichen faktischen Zwang anerkennt, um dem Staat weitere Verurteilungen zu ersparen. 126 Haejliger/Schürmann, S. 426; Weigend, StrVert 2000, S. 389; im Hinblick auf die alte Fassung der MRK ebenso Frowein, JuS 1986, S. 850. Die Pflicht des Staates zur Vermeidung zukünftiger Konventionsverletzungen ist allgemein anerkannt, wenn auch oft eher auf den Sinn und Zweck der Konvention verwiesen wird: Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 153 ff.; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn 233; Bausback, NJW 1999, S. 2483. 127 Frowein, JuS 1986, S. 850; Zimmer, ZAR 1998, S. 122; Bemhardt, Symposion 1999, S. 154. Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 388 begründet sogar eine Pflicht des Staates, den Erlaß wesentlich inhaltsgleicher Gesetze in Zukunft zu unterlassen. 128 Dazu sogleich unter c). 129 Schumann, S. 329.
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hat. 130 Der Konvention widersprechendes Landesrecht wird aufgrund der Stellung der Konvention im Range eines Bundesgesetzes gemäß dem Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht" gebrochen, so dass der Konventionsverstoß allein schon deswegen von deutschen Gerichten beachtet werden muss. 131 Im Hinblick auf die Unvereinbarkeit von Landesrecht mit Bundesrecht in Form der Menschenrechtskonvention soll vom betreffenden Fachgericht ein Normenkontrollantrag an das Bundesverfassungsgericht gestellt (Art. 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG) und, solange dessen Entscheidung noch aussteht, die betreffende landesrechtliehe Norm nicht angewendet werden. Das diesbezügliche Verwerfungsmonopol liegt letztlich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch völkerrechtlich verpflichtet, auf die Änderung inhaltsgleicher Bestimmungen anderer Bundesländer einzuwirken, die einer entsprechenden Aufforderung aufgrund des Prinzips der Bundestreue nachkommen müssen. 132 Probleme wirft der praktische Umgang durch die deutschen Gerichte und Behörden mit noch nicht geänderten oder außer Kraft gesetzten gültigen bundesrechtlichen Normen, deren Konventionswidrigkeit der EGMR schon festgestellt hat, in späteren Parallelfällen auf. Ein (allerdings nur) den Gerichten offenstehender Normenkontrollantrag an das Bundesverfassungsgericht in direkter Anwendung von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist diesen verwehrt, da es aufgrund der RangsteIlung der Menschenrechtskonvention unter der deutschen Verfassung bei der Frage der Vereinbarkeit der anzuwendenden Norm mit der Konvention nicht - wie jedoch vom Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorgeschrieben - um die Vereinbarkeit dieser Norm mit deutschem Verfassungsrecht geht. Die betreffenden Stellen können zwar sicher sein, dass der deutsche Gesetzgeber die fraglichen Normen in Zukunft in irgendeiner Weise ändern 130 Welche Probleme dabei auftreten können, zeigt das relativ junge Beispiel der kommunalen Feuerwehrabgabe. Im August 1987 hatte sich ein Deutscher mit einer Beschwerde an die Kommission für Menschenrechte gewandt, eine in Baden-Württemberg von ihm erhobene Feuerwehrabgabe verletze ihn in seinen von der MRK garantierten Rechten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte in seinem Urteil vom 18. Juli 1994 (Series A, Vol. 291-B - Karlheinz Schmidt ./. Bundesrepublik Deutschland = HRLJ 16 (1995), 47) eine Verletzung von Art 14 MRK fest. Kurz darauf hatte sich das BVerfG, das die baden-württembergische Landesnorm in einer älteren Entscheidung selbst für verfassungsgemäß erklärt hatte, mit einer ähnlichen Regelung im bayerischen Landesrecht zu beschäftigen; Einzelheiten bei Bausback, BayVBl. 1995, S. 737 ff.; Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 387 ff.; Bemhardt, Symposion 1999, S. 148. J3] Darauf wies auch J. A. Frowein in seinem Diskussionsbeitrag während des im Januar 1999 in Leipzig stattfindenden Symposions "Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtungen der internationalen Beziehungen" hin. 132 Bausback, BayVBl. 1995, S. 740 f.; Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 388.
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wird; doch brauchen Gesetzgebungsverfahren meist einige Zeit. Solange der Gesetzgeber nicht tätig geworden ist, sind die deutschen Gerichte und Behörden allerdings - wie oben schon angesprochen - per se an die konventionswidrige Norm gebunden und müssen sie anwenden. In einigen Fällen wird eine konventionskonforme Auslegung möglich sein, die dann vorzunehmen ist. 133 Schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist dies jedoch, wenn beispielsweise der eindeutige Wortlaut der betreffenden Norm oder der offensichtliche Wille des Gesetzgebers bei der Formulierung der Norm eine andere Auslegung verbietet. 134 Verschiedentlich wurde daher in der Literatur angeregt, dass sich deutsche Gerichte in dieser Situation unmittelbar am Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientieren sollten und die konventionswidrigen Normen bis zum Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers nicht anwenden dürften. 135 Damit wären deutsche Gerichte unmittelbar an eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden, was praktisch verhindern würde, dass die Konventionsverletzung durch eine nationale Norm in nationalen Gerichtsurteilen fortwirke. Deutsche Behörden können von ihren Dienstherren angewiesen werden, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu beachten. 136 Letztendlich kann aber wohl eine unmittelbare Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur ausnahmsweise in den Fällen angenommen werden, in denen Behörden oder Gerichte fortwährend ein Norm anwenden müssen, deren Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention festgestellt worden ist. In diesen Fällen kann es geboten sein, die Norm für den Zeitraum nicht anzuwenden, in dem noch keine Reaktion des Gesetzgebers erfolgt. 137 Ein vorübergehender Kompetenzkonflikt zwischen Judikative und Legislative l38 wäre solange hinzunehmen. Auf das gesetzSo auch für die Schweiz Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 246. Bedeutung erlangten die damit angesprochenen Auslegungsschranken u. a. bei der Frage, ob der strafrechtlich verurteilte Ausländer die verauslagten Kosten für einen im Strafverfahren hinzugezogenen Dolmetscher erstatten muss. Vg!. dazu die entsprechende Argumentation des Kammergerichts, Besch!. v. 14.1.1988 - 3 Ws 287/87, RPfleger 1988,330 (332) sowie LG Heilbronn, Besch!. v. 2.3.1988 - 3 Qs 680/87, EuGRZ 1991, 185 (185 f.) und ausführlich unten im zweiten Kapitel. 135 Schom, Art. 48 Er!. 55 (S. 405) sowie wiederholt Er!. 59 (S. 408); Stöcker, NJW 1982, S. 1909; Frowein, JuS 1986, S. 850; ders. in einem Diskussionsbeitrag auf dem Leipziger Symposion (1999), S. 24. Alternativ könnte man an eine Aussetzung des Verfahrens denken: Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 177 f. unter Verweis auf die Praxis nach entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Haejliger/Schürmann, S. 427 halten dagegen eine Nichtbeachtung der fraglichen Normen für unvereinbar mit dem Rechtsstaatsgedanken. Wie die deutschen Gerichte in der Praxis damit umgingen, wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit zur Reaktion auf das Urteil im Fall Öztürk (unten § 4) deutlich. 136 Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 68 f. 133 134
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geberische Handeln soll jedoch nicht verzichtet werden, entspricht es doch der eigentlichen Reaktion auf die staatliche Pflicht aus dem Feststellungsurteil des EGMR, um eine andauernde Verletzung der Konvention zu beenden. 139 c) Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes durch ein deutsches Urteil 140 Stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass ein innerstaatliches Urteil gegen die Menschenrechtskonvention verstößt, kann er dieses nationale Urteil nicht aufheben (kassieren). Einer solchen Wirkung stehen die Unabhängigkeit der nationalen Rechtsprechung und vor allem die innerstaatliche Rechtskraft des konventionswidrigen Urteils entgegen 141 137 So kann man zumindest auch die Aussage des Gerichtshofs im Urteil vom 29. 11. 1991 - Fall Venneire ./. Belgien (Series A, Vol. 214-C, Nr. 26 = HRLJ 13 (1992), 48 (49) = YB 34 (1991), 255 ff.) bezüglich Art. 53 MRK a. F. verstehen: " ... The freedom of choice allowed to aState as to the means of fulfilling its obligation under Article 53 cannot allow it to suspend the application of the Convention while waiting for such areform to be completed ... " Belgien war 1979 im Fall Marckx (Series A, Vol. 31 = YB 22 (1979), 410 ff. = Lawson/Schenners, S. 69 ff.) wegen Verstoßes gegen die Konvention durch nationale erbrechtliche Normen, die eine Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Nachkommen zur Folge hatten, verurteilt worden. Nach dem Urteil im Fall Marckx dauerte es bis 1987, bis das belgische Erbrecht vom Gesetzgeber entsprechend den Feststellungen des EGMR geändert wurde. In dieser Zeit stützten die belgischen Gerichte einschlägige Entscheidungen weiterhin überwiegend auf die für konventionswidrig erklärten Normen und entschieden wider des EGMR-Urteils. Das Urteil im Fall Venneire im Jahre 1991 beendete ein Verfahren, dessen Sachverhalt fast haargenau dem im Fall Marckx entsprach. Siehe dazu auch Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 151 ff.; Kilian, S. 201 f. 138 Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 177 verneint einen solchen Konflikt von vornherein. 139 Dazu siehe die oben stehenden Ausführungen; kritisch Stöcker, NJW 1982, S. 1909, der bemängelt, dass ein solcher Gesetzgebungsakt regelmäßig zu spät käme und vor allem noch mehr Normen hervorbrächte. 140 Im Folgenden soll dem Thema der Arbeit entsprechend nur auf Strafurteile eingegangen werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zudem nur auf solche Urteile, bei denen die Konventionswidrigkeit auf verfahrensrechtlichen Fehlern oder der fehlerhaften Anwendung einer konventionsgemäßen Norm beruht. Für Urteile, die aufgrund konventionswidriger Rechtssätze ergehen, gelten die dort gemachten Ausführungen entsprechend, mit der Folge, dass der Gesetzgeber gehalten ist, die konventionswidrige Norm im Wege einer Gesetzesänderung zu beseitigen, um die andauernde Konventionsverletzung zu beseitigen. Zu den verschiedenen Fallkonstellationen vgl. auch Sattler, S. 44 ff. 141 Urbanek, ÖZöR l1 NF (1961), S. 76; Vogler, ZStW 82 (1970), S. 779; ders., Wiederaufnahme, S. 715; O. Klein, ZRP 2001, S. 401; vgl. auch Nds. Disziplinarhof NdsRpfl. 1998, 241 (242).
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und der EGMR ist nicht mit der Befugnis ausgestattet worden, diese Rechtskraft anzugreifen. 142 Deutsche Gerichte können nur in zukünftigen Parallelverfahren darauf achten, gleichartige Konventionsverstöße nicht zu wiederholen. 143 Aus diesem Grunde wurde in Deutschland schon frühzeitig über Möglichkeiten nachgedacht, die strafrechtliche (konventionswidrige) Verurteilung rückgängig zu machen oder auf anderem Wege zu beseitigen. So wurden in der Literatur für die Fälle einer völkerrechtswidrigen Verurteilung zu einer Strafe die Möglichkeit einer Begnadigung l44 oder der Betrachtung eines EGMR-Urteils als Vollstreckungshindernis 145 erwogen, um die festgestellte Konventionswidrigkeit nicht noch zusätzlich zu intensivieren. Im Falle einer Verletzung der Konvention aufgrund der Dauer des Gerichtsverfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK) ist es wohl zweckmäßiger, das Verfahren unverzüglich abzuschließen oder für den Fall, dass das Verfahren mittlerweile abgeschlossen ist, eine angemessene materielle Entschädigung zu leisten. 146 Für strafgerichtliche Urteile war und ist in diesem Zusammenhang allerdings eine zur Durchbrechung der Rechtskraft geeignete Wiederaufnahme des Verfahrens nach Feststellung eines Verstoßes gegen die MRK, gestützt auf die StPO, am naheliegendsten. 147 Einschränkend muss zwar gesagt werden, dass ein erneutes zeitaufwendiges Verfahren in den Fällen, in denen die Verurteilung durch den EGMR aufgrund der unverhältnismäßigen Dauer des Verfahrens erfolgte, nur bedingt Sinn macht. 148 Besonderheiten ergeben 142 Siehe nur lescheck, NJW 1954, S. 786; Golsong, Rechtsschutzsystem, S. 105; Schumann, S. 176 sowie S. 278; Escher, S. 14 f.; Schorn, Art. 48 Er!. 55 (S. 404). Vg!. auch die entsprechenden Nachweise zu frühen Kommissionsentscheidungen bei Wiebringhaus, Kommentar, Art. 6, S. 83. Dieser Zurückhaltung trägt die Kompensationsvorschrift des Art. 41 MRK implizit Rechnung: Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 822. 143 Frowein, HStR, § 180 Rn. 22. 144 Darauf deutet schon lescheck, NJW 1954, S. 786 hin; ebenso Urbanek, ÖZöR 11 NF (1961), S. 81 f.; Schindler, FS Guldener, S. 278; W. Schmid, Wirkungen, S. 100 f.; Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 240; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 95, 112. 145 Schorn, Art. 48 Er!. 55 (S. 405) und insbesondere Stöcker, NJW 1982, S. 1908. Siehe auch E. Klein, Arbeitstagung, S. 63 f.; Kühl, ZStW 100 (1988), S. 422 f. sowie Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 820 ff., der allerdings vorher (a. a. 0., S. 817 f.) selbst nach der Art und Weise, in der das Verfahren gegen die Konvention verstoßen hat, differenziert. Offengelassen in BVerfG EuGRZ 1985,654 (654) = NJW 1986, 1425 (1426) - Fall Pakelli. 146 Ress, EuGRZ 1996, S. 351. 147 Sattler, S 16 f.; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 112; gegen eine Wiederaufnahme wenn die Konventionswidrigkeit des Urteils in der falschen Anwendung konventionsgemäßer Normen besteht: Guradze, Kommentar, Art. 50 Er!. 4 II (S. 248 m.w.N.). 5*
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sich auch, wenn sich der betroffene Staatsbürger in Haft befindet und deren Verstoß gegen Art. 5 MRK in Straßburg festgestellt worden ist. Der Betroffene ist in diesem Fall unverzüglich freizulassen, um die Fortwirkung der Konventionsverletzung für die Zukunft zu vermeiden. 149 Zusätzlich steht dem Betroffenen unter Umständen ein Anspruch auf Schadensersatz zu (Art. 5 Abs. 5 MRK; Art. 9 Abs. 5 IPBPR).150 Auch für diese und jedenfalls für die meisten anderen Fälle bot sich jedoch eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an. Im Katalog der strafprozessualen Wiederaufnahmegründe (§ 359 StPO) war diese Möglichkeit jedoch nicht ausdrücklich vorgesehen. Verschiedene Autoren befürworteten in der Vergangenheit daher die Schaffung eines diesbezüglichen Wiederaufnahmegrundes durch den deutschen Gesetzgeber. 151 Hilfsweise wurde in der Literatur über eine entsprechende Anwendung von § 359 StPO nachgedacht. 152 Das Urteil des EGMR 153 sollte dazu als "neue Tatsache" im Sinne der Norm angesehen werden. Eine direkte oder entsprechende Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG wurde ebenfalls erwogen. 154 In der Praxis wurde von 148 Ress, EuGRZ 1996, S. 351; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), S. 824; hier wird in der Praxis mit einer Strafminderung oder einer Verfahrenseinstellung reagiert: vgl. BGHSt 24, 239 (242) = NStZ 1988, 552; LG Düsseldorf NStZ 1988, 427 (428) ; Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 42. 149 Frowein, JuS 1986, S. 850; ders., HStR, § 180 Rn. 20; Kühl, ZStW 100 (1988), S. 422 f.; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 71 f.; Kilian, S. 203; Bemhardt, Symposion 1999, S. 152; Weigend, StrVert 2000, S. 388. 150 Dazu näher W. Schmid, Wirkungen, S. 110 ff. 151 Schumann, NJW 1964, S. 755 f. schlug dazu ein besonderes Ausführungsgesetz zur MRK vor; der Sache nach zustimmend Schom, Art. 48 Erl. 55 (S. 405); neuerdings für ein "EMRK-Umsetzungsgesetz" Kühne, Grundrechtsschutz, S. 70. Siehe auch Vogler, Wiederaufnahme, S. 726 f.; J. Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 130 f., 157; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 25; Sattler, S. 108; Ress, FS Zeidler, Bd. 11, S. 1793; Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 241; Frowein/ Peukert (1), EMRK, Art. 53 Rn. 5; E. Klein, Arbeitstagung, S. 65; Kühl, ZStW 100 (1988), S. 424 und S. 637; Bemhardt, FS Doehring, S. 30; v. Stackelberg/ v. Stackelberg, Rn. 97 f. (S. 127); Marxen/Tiemann, Fn. 874 (S. 154); Odersky, GS Ryssdal, S. 1045; in Bezug auf den konkreten in Straßburg verhandelten Einzelfall Bausback, NJW 1999, S. 2484. 152 So noch Schumann, S. 324; ebenso v. Stackelberg/v. Stackelberg, Rn. 98
(S. 127).
153 Nicht aber die Feststellung der Konventionswidrigkeit eines staatlichen Urteils durch Kommission und Ministerkomitee: Schumann, S. 326 f.; Vogler, Wiederaufnahme, S. 722 f.; a. A. für das Ministerkomitee Sattler, S. 110 ff. Die Unterscheidung hatte sich mit Inkrafttreten des Reformprotokolls und Konzentration des Rechtsschutzes auf den Gerichtshof als einzige Entscheidungsinstanz jedoch ohnehin erübrigt. 154 Siehe die Ausführungen zur Anwendbarkeit der §§ 359 Nr. 5 StPO, 79 Abs. I BVerfGG bei Vogler, Wiederaufnahme, S. 717 ff. Für eine entsprechende Anwen-
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den deutschen Gerichten dessen ungeachtet jedoch keine Wiederaufnahme zugelassen. 155 Ausdrücklich wurde dieses vom Bundesverfassungsgericht l56 im Beschluss zum Fall Pakelli, der im Mittelpunkt des dritten Kapitels dieser Arbeit stehen wird, bestätigt. Die gesamte Problematik wurde nunmehr für das Strafverfahrensrecht l57 im Jahre 1998 entschärft, nachdem der Gesetzgeber im Rahmen einer Gesetzesänderung l58 in § 359 Nr. 6 StPO einen Wiederaufnahmegrund geschaffen hat, der - nebenbei bemerkt - wohl bisher die einzige deutsche Nonn darstellt, in welcher der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Erwähnung findet. 159 2. Die Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen andere Konventionsstaaten l60
Schließlich bleibt noch zu fragen, ob hierzulande auch Urteilen des EGMR, die nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland ergangen sind, eine Bindungs- oder überhaupt eine Wirkung zu kommt. Im ersten Moment neigt man dazu, dieses zu verneinen, da die Urteile des Gerichtshofs (wie oben angesprochen) nur inter partes l61 gelten. Solange die Bundesrepublik Deutschland nicht Partei eines Verfahrens in Straßburg ist oder war, berühren die Urteile sie nicht unmittelbar. 162 Eine Verpflichtung der Staaten, aufgrund von Parallelfällen ihr eigenes Recht zu ändern, ist nicht anerkannt. 163
dung von § 79 Abs. 1 BVerfGG bei vor Inkrafttreten der MRK erlassenen Gesetzen: Sattler, S. 50 ff.; gegen die Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG Marxen/Tiemann, Rn. 352; Bausback, NJW 1999, S. 2483; siehe dazu auch die Stellungnahme des BVerwG im Beschl. v. 04. 06. 1998 - 2 DW 3/97, NJW 1999, 1649 (1650). 155 Vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 = MDR 1985, 605; OLG Koblenz MDR 1987,254 = GA 1987, 367. 156 Dreierbeschluß vom 1l. Oktober 1985 - 2 BvR 336/85, EuGRZ 1985, 654 = NJW 1986, 1425 = ZaöRV 46 (1986), 289; dazu Anmerkungen von Frowein, ZaöRV 46 (1986), S. 286 ff. sowie Trechsel, StrVert 1987, S. 187 f.; Darstellung der Entscheidung bei E. Klein, Arbeitstagung, S. 61 ff. 157 Zum Verwaltungsrecht vgl. den eine Wiederaufnahme ablehnenden Beschluß des BVerwG v. 04. 06. 1998 - 2 DW 3-97 - (NJW 1999, 1649) mit Anmerkung von Bausback, NJW 1999, S. 2483 ff. 158 Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts vom 09. Juli 1998: BGBL 1998 I, S. 1802. Siehe dazu auch Böse, StraFo 1999, S. 294; Maur, NJW 2000, S. 338; Weigend, StrVert 2000, S. 388. 159 Vgl. Bemhardt, Symposion 1999, S. 147. 160 Dazu siehe auch den jüngst erschienenen Beitrag von Masuch, NVwZ 2000, S. 1266 ff. 161 Für eine erga-omnes-Wirkung bei Feststellung der Konventionswidrigkeit von bestimmten Gesetzen allerdings: Bleckmann, EuGRZ 1995, S. 388.
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1. Kap.: Einführung in die völkerrechtlichen Grundlagen
Straßburger Urteile werden aber im Hinblick auf eine zukünftige Vermeidung der gleichen Konventionsverletzung relevant. l64 Zwar bedeutet eine Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht automatisch eine erneute Verurteilung in einem späteren ähnlichen Fall, was durch die Dynamik der Konvention verhindert wird. Der Gerichtshof praktiziert - wie angesprochen - eine evolutive Auslegung. Dabei sind frühere Entscheidungen des EGMR für diesen selbst nicht bindend. Dieser entscheidet in jedem Fall neu, ob eine Verletzung der Konvention im Hinblick auf die Konventionsgarantien selbst vorliegt. 165 Unbenommen dessen kann er sich natürlich an Parallelfällen aus der Vergangenheit orientieren, so dass sich in Bezug auf seine jahrzehntelange Rechtsprechung ein eigenes "Case-Law" des EGMR erkennen lässt. 166 Damit besteht in den Verfahren vor dem Gerichtshof immer noch ein gewisses Risiko, dass er in vergleichbaren Beschwerden gegen ein- und denselben oder gegen verschiedene Staaten zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. 167 Dieser Umstand allein macht Urteile gegen einen Konventionsstaat schon für die anderen Staaten beachtenswert. 168
162 Vgl. Masuch, NVwZ 2000, S. 1267; allgemein Bemhardt, FS Doehring, S. 29: ,.zweifellos kommen insoweit keine Rechtskraftwirkungen in Betracht, denn am Verfahren vor dem Gerichtshof nicht beteiligte Staaten sind an ein ergangenes Urteil nicht unmittelbar gebunden." 163 Schindler, FS Guldener, S. 289; Bemhardt, Symposion 1999, S. 154. Dieser Aspekt gewann in jüngerer Zeit Bedeutung durch Entscheidungen des BVerwG, in denen das Gericht bei der Frage des Verbots der Ausweisung von Ausländern gemäß Art. 3 MRK die Auslegung des EGMR ausdrücklich verwarf und sich daran explizit nicht gebunden fühlte. Eine mögliche Erklärung für diese ablehnende Haltung könnte sein, dass bis heute in Straßburg noch kein entsprechender Fall gegen Deutschland anhängig gewesen ist; siehe hierzu Frowein, DÖV 1998, S. 809 ff. sowie Masuch, NVwZ 2000, S. 1266 ff. Für das Strafverfahren relevant ist die ablehnende Haltung des LG Mainz (Beschl. v. 22. 10. 1998 - 1 Qs 225/98, NJW 1999, 1271), das bei der Frage des Akteneinsichtsrechts eines sich selbst verteidigenden Beschuldigten in Kenntnis einer jüngeren Entscheidung des EGMR, die zu diesem Problem gegen Frankreich erging, eine davon abweichende Auffassung vertritt; dazu auch Deumeland, NStZ 1998, S. 429 f. 164 Vgl. Masuch, NVwZ 2000, S. 1267. 165 Vgl. E. Klein, Arbeitstagung, S. 61; Merrills, S. 13 f.; Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 512 f.; ders. (2), Handbuch der EMRK, Rn. 260; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 158 f., der eine Rechtsprechungsänderung jedoch für wenig wahrscheinlich hält. 166 Der Gerichtshof versucht praktisch, eine Kontinuität seiner Rechtsprechung zu erreichen: Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 347 f. 167 Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 49 f. 168 So auch Merrills, S. 12 mit verdeutlichenden Beispielen aus der Rechtsprechung des EGMR auf den folgenden Seiten.
§ 2 Das Rechtsschutzsystem der Menschenrechtskonvention
71
In der Praxis lässt sich (zusätzlich) eine indirekte Wirkung von Urteilen gegen fremde Konventionsstaaten aufgrund der Überzeugungskraft 169 des EGMR im Hinblick auf die ausführlichen Urteilsbegründungen, der Autorität 170 des Gerichtshofs und aufgrund der Kompetenz seiner gewählten Richter 171 erkennen. Die nationalen Staatsorgane orientieren sich mehr oder weniger faktisch an der Auslegung der Konvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beachten damit mittelbar auch die Urteile gegen andere StaatenP2 Der Bundesgerichtshof hat dieses in drei jüngeren Entscheidungen aus den Jahren 1999 und 2000 eindrucksvoll demonstriert. 173 Eine Rechtspflicht zur Beachtung der "authentischen Auslegung,,174 des EGMR besteht dennoch nicht, da diese nicht in Rechtskraft erwächst. 175 Für Fälle, in denen die Konventionswidrigkeit von ausländischen Normen, die mit deutschen Regelungen identisch sind, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt wurde, sieht die deutsche Strafprozessordnung die Möglichkeit einer Wiederaufnahme eines Strafverfahrens (noch) nicht vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Berücksichtigung von Urteilen aus Straßburg bisher nicht so weit reichen l76 , obwohl man eine diesbezügliche Wiederaufnahmemöglichkeit durchaus in Erwägung ziehen könnte.
Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 514. Ress, EuGRZ 1996, S. 350; detailliert zur Autorität des EGMR Uerpmann, S. 220 ff.; Zimmer, ZAR 1998, S. 122; von der Autorität der Urteile des EGMR sprechen Fiedler, S. 17 sowie Limbach, NJW 2001, S. 2915. I7l Art. 21 Abs. 1 MRK (== Art. 39 Abs. 3 MRK a.F.) bestimmt: "Die Richter müssen hohes sittliches Ansehen genießen und entweder die für die Ausübung hoher richterlicher Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Rechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein." 172 Vgl. Nds. Disziplinarhof NdsRpfl. 1998, 241 (242); W. Schmid, Wirkungen, S. 114 ff.; Stöcker, NJW 1982, S. 1909; Mosler, FS Huber, S. 605; Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 279, 291 ff. mit Nachweisen aus der Staatenpraxis; Weidmann, S. 59 f.; Zimmer, ZAR 1998, S. 123; Ryssdal, FS Odersky, S. 248; Böse, StraFo 1999, S. 293 f.; Haejliger/Schünnann, S. 428; Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 38. Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 15 hält das für "selbstverständlich"; befürwortend auch Kühl, NJW 1984, S. 1264. 173 Vgl. BGHSt 45, 321 (328 f.) == NJW 2000, 1123 (1124 f.) == JZ 2000, 363 (365) == NStZ 2000, 269; BGHSt 46, 93 (97) == NJW 2000, 3505 (3507) == StrVert 2000, 593 (595); BGH NJW 2001, 309 (311) == StrVert 2001, 1 (3) == NStZ 2001, 107 (109). 174 Deumeland, NStZ 1998, S. 429. 175 Kilian, S. 175, 195 f.; vgl. ebenso die Nachweise zur überwiegend verneinenden Ansicht des Schrifttums, den vertretenen abweichenden Ansichten und der Spruchpraxis des EGMR bei Polakiewicz, Verpflichtungen, S. 285 ff. 176 Vgl. BT-Drucksache 13110333, S. 4. 169
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Zweites Kapitel
Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK § 3 Der Fall Luedicke u. a. 1 A. Das Urteil des EGMR vom 28. November 19782 Der Schwerpunkt des Luedicke-Urteils des EGMR vom 28. November 1978 liegt auf der Frage, ob die Kosten für den Dolmetscher3 , der zugunsten eines der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen ausländischen Angeklagten, gemäß §§ 259 StPO, 185 GVG im Strafverfahren tätig geworden ist, im Falle seiner Verurteilung diesem auferlegt werden können. Am Rande wird vom Gerichtshof allgemein zum Anspruch des ausländischen Angeklagten auf Bereitstellung eines Dolmetschers in einem fairen Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 MRK Stellung genommen. Das Urteil betrifft drei Beschwerden, die am 23. Juli 1973 4 , am 20. Dezember 19745 sowie am 28. Juli 19756 gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht und im März 7 und Oktober 19768 von der Kommission für
1 Series A, Vol. 29 = YB 21 (1978), 630 ff. Eine nichtamtliche Übersetzung des Urteils durch die Kanzlei des Gerichtshofes ist in vollem Wortlaut in EuGRZ 1979, 34 und in Auszügen in NJW 1979, 1091 abgedruckt. Dort ist als Datum der Entscheidung falschlicherweise der 23. Oktober 1978 angegeben - ein Fehler, der seither in etlichen Entscheidungen deutscher Gerichte, die auf das Urteil des EGMR Bezug nahmen, wiederholt wiederzufinden ist. Eine kurze Darstellung des Urteils geben Kirsch, DRiZ 1979, S. 185; Duffy, HRR Vol. IV (1979), S. 98 ff.; Berger, Rn. 190 ff. (Urteil Nr. 22) sowie Rzepka, S. 80 f. 2 Im Folgenden auch kurz als Luedicke-Urteil bezeichnet. 3 Zum Begriff: Jessnitzer, RPfieger 1982, S. 366. 4 Beschwerde Nr. 6210/73 (Luedicke). 5 Beschwerde Nr. 6877/75 (Belkacem). 6 Beschwerde Nr. 7132/75 (Ko~). 7 Luedicke: Entscheidung der Kommission vom 11. März 1976, DR 4, S. 200 = YB 19 (1976), 290 ff.; eine nichtamtliche deutsche Übersetzung ist in EuGRZ 1976, 267 abgedruckt. Siehe auch Vogler, ZStW 89 (1977), S. 789. g Belkacem und Kof,' Entscheidungen der Kommission vom 04. Oktober 1976, DR 6, S. 76 (Belkacem) sowie S. 135 (Ko~); vgl. auch EuGRZ 1976, S. 452.
§ 3 Der Fall Luedicke u. a.
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zulässig erklärt worden waren. Die Individualbeschwerden wurden aufgrund einer Anordnung der Kommission verbunden. Gerhard W. Luedicke, ein in Deutschland stationierter britischer Soldat, war wegen eines Vergehens zu einer Geldstrafe und zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt worden. Von den gemäß § 465 Abs. 1 StPO erhobenen Verfahrenskosten in Höhe von 1.330,90 DM entfielen 225,40 DM auf die Kosten eines wegen der unzureichenden Deutschkenntnisse des Angeklagten nötigen Dolmetschers, die gemäß § 464 a Abs. 1 S. 1 StPO zu den von der Staatskasse verauslagten Verfahrenskosten zählten.
Die von Luedicke gegen die Kostenrechnung eingelegte Erinnerung wurde zurückgewiesen und diese Zurückweisung bestätigt. Schließlich zahlte Luedicke die Verfahrenskosten einschließlich der Dolmetscherkosten. Mohammed Belkacem, ein in der Bundesrepublik Deutschland arbeitender Algerier, wurde im April 1974 einer Körperverletzung für schuldig befunden und verurteilt. Zu den ihm ebenfalls auferlegten Verfahrenskosten in Höhe von 665,63 DM gehörten die seinetwegen entstandenen Dolmetscherkosten in Höhe von 321,95 DM. Auch die von Belkacem eingelegte Erinnerung sowie die gegen die im Mai 1975 erfolgte Zurückweisung der Erinnerung eingelegte Beschwerde blieben erfolglos.
Anders als Luedicke zahlte Belkacem jedoch nicht sofort, sondern hatte einen Zahlungsaufschub bis zum Vorliegen der Entscheidung der Kommission für Menschenrechte erbeten, der ihm gewährt worden war. Die Beitreibung der Kosten wurde später in Erwartung der Entscheidung des EGMR ausgesetzt. Arif Kor, ein in der Bundesrepublik tätiger Türke, war wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im Unterschied zu den Luedicke und Belkacem enthielten die ihm auferlegten Kosten anfangs die Dolmetscherkosten nicht. Durch Beschluss des zuständigen Oberlandesgerichts Köln vom Juni 19759 wurde jedoch eine erneute Kostenfestsetzung vorgenommen, die diesmal die Kosten für den von Kor im Verfahren benötigten Dolmetscher in Höhe von 934,50 DM enthielt. Die Verfahrenskosten wurden letztlich aber doch nicht festgesetzt, da sich herausstellte, dass der Betroffene kaum Geld übrig hatte und die Beitreibung keine Erfolgsaussichten besaß. 1O Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verzichtete die Bundesregierung demgemäß auf die künftige Beitreibung der Kosten.
OLG Köln, Besch!. v. 05. 06. 1975 - 1 Ws 16/74, NJW 1975, 1615. Die Möglichkeit, vom Kostenansatz abzusehen, ergab sich hier aus § 10 Abs. 1 KostVfg; abgedruckt bei Piller/Hermann, Ne. 10. Siehe auch KMR(7)-Paulus, vor § 464 Rn. 12 a.E. 9
10
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Die Europäische Kommission für Menschenrechte hatte die drei Beschwerden für zulässig erklärt und in ihrem Bericht vom 18. Mai 1977" die Auffassung geäußert, dass das Wort "unentgeltlich" in Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK 12 vollständig und - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens - endgültig unentgeltlich bedeute 13 und diese Auslegung der Bestimmung mit dem Sinn und Zweck der Konvention vereinbar sei. 14 Infolgedessen bejahte die Kommission im Fall der Beschwerdeführer eine Konventionsverletzung durch die Entscheidungen der deutschen Gerichte über die Dolmetscherkosten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich der Ansicht der Kommission angeschlossen. Dabei stellte er sich der Ansicht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland entgegen, die davon ausging, dass der besagte Artikel der Konvention zwar die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers im Strafverfahren gewährleiste, aber nicht die Auferlegung der Dolmetscherkosten bei Abschluss des Verfahrens durch eine rechtskräftige Verurteilung verbiete. Nachdem der Gerichtshof die übliche Bedeutung und den absoluten Sinn der beiden Ausdrücke "gratuitement" bzw. ,free" der beiden amtlichen Fassungen des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK zu ergründen sucht, kommt er zu dem Ergebnis, dass beide Ausdrücke eine endgültige Befreiung (von den Kosten) meinen l5 , der Ausgang des Verfahrens also keinen Unterschied mache. Art. 6 Abs. 3 MRK gewähre gewisse Rechte des Angeklagten zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens. Diese Rechte sollen nicht dadurch zeitlich beschränkt werden, dass nationale Gerichte sie im Falle einer Verurteilung nicht zu beachten hätten und sie somit "praktisch allen Angeklagten [vorenthalten], die später verurteilt werden." In der Praxis könne das dazu führen, dass einzelne Betroffenen angesichts zu erwartender Kosten 11 Series B, Vol. 27. In nichtamtlicher deutscher Übersetzung und gekürzt abgedruckt in EuGRZ 1977, S. 467. 12 Art. 6 Abs. 3 Buchst. e der MRK lautet in der nichtarntlichen deutschen Übersetzung: ,,Jeder Angeklagte hat mindestens (englische Fassung)/insbesondere (französische Fassung) die folgenden Rechte: ... e) die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann." 13 Nr. 34 (= Series B, Vol. 27, S. 25 = EuGRZ 1977, 468): "The Commission is of the opinion that "free" in Article 6 § 3 (e) means completely and definitively free and that consequently an accused, even if convicted, cannot be charged with interpreters' fees." 14 Nr. 35 (= Series B, Vol. 27, S. 25 f. = EuGRZ 1977,468). 15 Nr. 40 (= Series A, Vol. 29, S. 16 f. = EuGRZ 1979, 34 (39) = NJW 1979, 1091): "Consequently, the Court cannot but attribute to the tenns "gratuitement" and "free" the unqualified meaning they ordinarily have in both of the Court's offici al languages: these tenns denote neither a conditional remission, nor a temporary exemption, nor a suspension, but a once and for all exemption or exoneration."
§ 3 Der Fall Luedicke u. a.
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auf eine wirksame Verteidigung unter Mithilfe eines Dolmetschers verzichteten, was wiederum auf das Recht auf ein faires Verfahren ausstrahlte. Die Auferlegung der Dolmetscherkosten zu Lasten des verurteilten Angeklagten liefe somit auch dem Zweck des Art. 6 MRK zuwider. 16 Der Gerichtshof erachtet es sodann als "nicht ausgeschlossen,,17, den Anwendungsbereich des Buchst. e des Art. 6 Abs. 3 MRK über die Hauptverhandlung hinaus auf sämtliche in dem Verfahren gegen den Angeklagten verwendeten Schriftstücke und geäußerten mündlichen Erklärungen, auf deren Verständnis er ja angewiesen ist, auszuweiten. Er bekräftigt diese Ansicht im Hinblick auf den englischen Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK, wo von "language used in court,,18 gesprochen wird und somit die dort verwendete Sprache nur als Randvoraussetzung für den unentgeltlichen Einsatz eines Dolmetschers gilt. Infolgedessen kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in allen drei Fällen zur Feststellung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK durch die Luedicke, Belkacem und Kor auferlegten Dolmetscherkosten. Eine mögliche Verletzung von Art. 14 MRK wegen Diskriminierung von der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländern gegenüber deutschen Staatsangehörigen wegen der höheren finanziellen Belastung durch die zusätzlichen Dolmetscherkosten ließ der Gerichtshof dahinstehen, da diese Frage im vorliegenden Verfahren nicht relevant gewesen sei und Art. 6 MRK diesbezüglich eine Spezialnorm sei. 19 Die Bundesrepublik Deutschland wurde gemäß Art. 50 MRK a. F. verurteilt, dem Beschwerdeführer Luedicke die schon von ihm gezahlten Dolmetscherkosten zu erstatten. Eine weitergehende Entschädigung der drei Beschwerdeführer gemäß Art. 50 MRK a.F. behielt sich der Gerichtshof vor?O B. Die Beachtung der Entscheidung in Deutschland
Hinsichtlich der Folgen des Luedicke-Urteils in der Bundesrepublik Deutschland soll der Blick nun näher auf die Reaktion und Praxis der drei 16 Nr. 42 (= Series A, Vol. 29, S. 18 = EuGRZ 1979, 34 (39) = NJW 1979, 1091). Braitsch, S. 185 f. bezeichnet das als "zentralen Gesichtspunkt". 17 Nr. 45 (= Series A, Vol. 29, S. 19 = EuGRZ 1979, 34 (40) = NJW 1979, 1091 (1092»: "not at first sight appear excluded ... ". 18 In der französischen Textfassung: "la langue employee a l'audience". Die deutsche Textfassung lautet: "die Verhandlungssprache des Gerichts" und ist damit eher der englischen Fassung angenähert. 19 Nr. 53 (= Series A, Vol. 29, S.21 = EuGRZ 1979, 34 (41) = NJW 1979, 1091 (1092». 20 Sie erfolgte durch Urteil des EGMR vom 10. März 1980 - abgedruckt in Series A, Vol. 36 (= YB 23 (1980), 470 ff. = EuGRZ 1980,602).
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Staatsgewalten gelenkt werden, von denen nach dem in der Einführung gesagten21 das Urteil zumindest beachtet werden sollte. 22 Im Vordergrund sollen dabei entsprechend dem Schwerpunkt des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die kostenrechtlichen Aspekte bei der Inanspruchnahme der Hilfe von Dolmetschern stehen. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass hinsichtlich der Beeinflussung der Judikative oftmals nicht genau zwischen dem Einfluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und dem Einfluss der entsprechenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, die mindestens als einfaches Bundesgesetz Gültigkeit und Beachtung beansprucht, unterschieden werden kann. I. Die Reaktion des deutschen (Bundes-)Gesetzgebers
Gemäß Art. 53 MRK a. F. 23 traf den beteiligten Staat die Pflicht, sich nach der Entscheidung des Gerichtshofs zu richten und die Folgen der Konventionsverletzung wiedergutzumachen. 24 In den Fällen, in denen die Konventionsverletzung auf einem nationalen Urteil beruht, sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden. Einmal kann die Anwendung einer Norm auf eine Weise geschehen, die nicht konventionsgemäß ist. Zum anderen aber kann die nationale Rechtsnorm selbst gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen, wie es in den deutschen Verfahren von Luedicke, Belkacem und Kor der Fall war, bei denen die Gerichte zwar die damals aktuellen Fassungen der §§ 464 a Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. Nr. 190425 des Kostenverzeichnisses des GKG (KVGKG) i. V.m. §§ 17, 1, 3 ZSEG richtig anwendeten, besagte Nr. 1904 KVGKG jedoch ihrem Wortlaut nach nicht mit Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK in Einklang stand. In einem solchen Fall ist das Urteil aus Straßburg über den konkreten Fall hinaus auch als Aufforderung an den Gesetzgeber zu verstehen, die nationale Rechtsordnung anzupassen. 26 Oben § 2 C. IV. Die Zahlung der Entschädigungssummen, zu der die Bundesrepublik ebenfalls verurteilt wurde, soll dagegen nicht weiter betrachtet werden. Vgl. dazu vielmehr den gemäß Art. 54 MRK a. F. gefassten abschließenden Beschluss des Ministerkomitees DH (83) 4 vom 23. März 1983, der sich nur auf die von der Bundesrepublik Deutschland geleistete Entschädigung bezieht; kritisch zu diesem Beschluss Bartseh, FS Wiarda, S. 50 ff. 23 Der Artikel lautete in der nichtamtlichen deutschen Übersetzung: "Die Hohen Vertragschließenden Teile übernehmen die Verpflichtung, sich in allen Fällen, an denen sie Beteiligt sind, nach der Entscheidung des Gerichtshofs zu richten." und entspricht dem heutigen Art. 46 MRK. 24 Siehe oben § 2 C. III. 25 Nr. 1904 KVGKG ist nach der Neufassung des Kostenverzeichnisses durch das KostRÄndG 1994 vom 24. Juni 1994 (= BGBl. 1984 I, S. 1325; siehe hier S. 1329 und insbesondere S. 1347) in Nr. 9005 Abs. 1 KVGKG aufgegangen. 21
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§ 3 Der Fall Luedicke u. a.
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Nach dem Urteil im Fall Luedicke, Belkacem und Kor erfolgte eine gesetzgeberische Reaktion prompt durch das "Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens" vom 21. Mai 197927 , das in § 12 ArbGG einen neuen Absatz 5 a einfügte, der wie folgt lauten sollte: ,,(5a) Kosten für vom Gericht herangezogene Dolmetscher und Übersetzer werden nicht erhoben, wenn ein Ausländer Partei und die Gegenseitigkeit verbürgt oder ein Staatenloser Partei ist."
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren war somit alles entsprechend den Vorgaben des EGMR geregelt. Es dauerte jedoch noch mehr als ein Jahr, bis endlich die konkrete gesetzgeberische Folgerung aus der Verurteilung der Bundesrepublik durch den Gerichtshof gezogen wurde. Für das Strafverfahrensrecht erfolgte die Reaktion des bundesdeutschen Gesetzgebers mittels des Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 18. August 1980. 28 Die Nummer 1904 KVGKG erhielt in Abänderung des früheren Wortlautes hinsichtlich der Auslagen für Zeugen und Sachverständige zusätzlich die Passage: " ... Ausgenommen sind Beträge für Dolmetscher und Übersetzer, welche im Strafverfahren herangezogen werden, um für einen Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig, taub oder stumm ist, Erklärungen oder Schriftstücke zu übertragen, auf deren Verständnis er zu seiner Verteidigung angewiesen ist. ... "
Dass diese Änderung auf das Luedicke-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückgeht, belegt die dazugehörige Bundesratsdrucksache: " ... Durch die Änderung des Kostenverzeichnisses soll das Gerichtskostengesetz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ... angeglichen werden ... Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dem gegen die Bundesrepublik Deutschland anhängig gewesenen Fall Luedicke, Belkacem und Kor; mit Urteil vom 28. November entschieden, "dass das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. e geschützte Recht für jedermann, der die Verhandlungssprache des Gerichts nicht spricht oder versteht, den Anspruch auf unentgeltlichen Beistand eines Dolmetschers einschließt, ohne dass im nachhinein Zahlung der dadurch von ihm verursachten Kosten verlangt werden darf" [Kursivdruck durch Verf.] ... Dies soll durch die vorgeschlagene Änderung des Kostenverzeichnisses klargestellt werden .... ,,29 26 Siehe oben § 2 C. IV. l. b). Eindringlich auch Vogler, EuGRZ 1979, S. 642; D. Meyer, JurBüro 1980, Sp. 324. Ebenfalls deutlich KG RPfieger 1988, 330 (331) und LG Heilbronn EuGRZ 1991, 185 (186), die allerdings die Bundesregierung in der Pflicht sehen. A. A. Rzepka, S. 21. 27 BGBI. 1978 I, S. 545; vgl. auch den Bericht des Abgeordneten Müller in BTDrucksache 812535, S. 32 ff. (hier insbesondere S. 34 f.) . 28 BGBI. 1980 I, S. 1503 (siehe hier S. 1506 f.). 29 BR-Drucksache 1979/637, S. 60; siehe auch BT-Drucksache 8/3691, S. 22.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Der deutsche Gesetzgeber hatte also reagiert und somit seiner Pflicht gemäß Art. 53 MRK a. F. genüge getan. Das Ministerkomitee erklärte den Fall Luedicke, Belkacem und Ko~ im Jahre 1983 für abgeschlossen?O 11. Die Reaktion der Exekutive 3 !
Für die Exekutive der Bundesrepublik Deutschland wirkte sich das Luedicke-Urteil in Form von internen Dienstanweisungen der Landesjustizverwaltungen aus, derzufolge sich die Verwaltungsbehörden bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers, am Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientieren und in Parallelfällen die Dolmetscherkosten nicht erheben sollten?2 Ein diesbezüglicher Runderlass des baden-württembergischen Justizministeriums vom 22. März 1979 stützte diesen Hinweis dabei auf Art. 53 MRK a.F. 33 Im Jahre 1986 erließ das baden-württembergische Justizministerium eine Allgemeine Verfügung 34 , welche die für einen aufgrund gerichtlicher Anordnung bei privaten Besuchen eines Untersuchungshäftlings beigeordneten Dolmetscher entstandenen Kosten der Staatskasse aufbürdete. Einen Hinweis darauf, ob sich das Landesjustizministerium dabei von der Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte inspirieren ließ, findet sich darin jedoch nicht. Letztendlich erfolgte in der praktischen Tätigkeit der Exekutive gemäß den Ausführungen zu Beginn dieses Kapitels die Rezeption des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Luedicke u. a. jedoch in beachtenswertem Umfang.
Resolution DH (83) 4 vom 23. März 1983. Zur Schwierigkeit einer aussagekräftigen Betrachtung vgl. Hilf, Arbeitstagung, S. 21, der anspricht, dass sich diese meist in Vermutungen erschöpft. Ebenso Kühl, ZStW 100 (1988), S. 637, der Hilfs Hinweis auf "Vermutungen" allerdings an anderer Stelle (S. 638) widerspricht. 32 Vgl. Stöcker, NJW 1982, S. 1907; Vogler, EuGRZ 1979, S. 642; zu den verwaltungstechnischen Regelungen an den Gerichten, die überwiegend von den Anweisungen der Landesjustizminister bezüglich bereits gezahlter oder aktuell nach Beendigung des Strafverfahrens zu erhebender Dolmetscherkosten bestimmt waren, siehe Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 282. 33 Vgl. Vogler, EuGRZ 1979, S. 642. 34 AV des Justizministeriums vom 02. Dezember 1986 (Az. 4572 - VI/40), in Die Justiz 1987, S. 3. 30
3!
§ 3 Der Fall Luedicke u. a.
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Iß. Die Reaktion der Rechtsprechung und der strafverfahrensrechtlichen Literatur35
Während in der unmittelbar nach dem Urteil erschienenen Literatur das Luedicke-Urteil überwiegend positiv aufgenommen wurde 36 , erfolgte die Reaktion der an Recht und vor allem aber an das Gesetz gebundenen Rechtsprechung ein wenig anders. In den nach 1979 erscheinenden deutschen Gerichtsentscheidungen, die sich mit den Kosten für einen im Strafverfahren tätig gewordenen Dolmetscher befassten, eröffnete sich (auch aufgrund der Einzelfallgerechtigkeit) eine große Bandbreite an Ergebnissen, Kriterien zur Befreiung oder Nichtbefreiung von den Kosten und in diesem Zusammenhang Argumentationen gegen die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte oder im Einklang mit ihr. 1. Die Praxis vor dem Urteil des EGMR 37
Die Frage der Befreiung des ausländischen Verurteilten von den Dolmetscherkosten war vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte höchst umstritten. Im Jahre 1975 war § 92 Nr. 4 a.F. GKG, der in Verbindung mit § 17 Abs. I ZSEG dem Verurteilten auch die von der Staatskasse ausgelegten Kosten für den benötigten Dolmetscher in Rechnung stellte, aus dem GKG heraus und unverändert in Nr. 1904 des neu und als Anlage zum Gerichtskostengesetz geschaffenen Kostenverzeichnisses übernommen worden?8 Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte sich dabei auch mit der Anfrage des Bundesrates, ob nicht in allen gerichtlichen Verfahren die Dolmetscherkosten ausländischer Arbeitnehmer erlassen werden könnten, befasst und nahm wie folgt Stellung: "... [Der Bundesrat] hat weiter unter B 13 seiner Stellungnahme um Prüfung gebeten, ob ein Verzicht auf die Wiedereinziehung der an Dolmetscher zu zahlenden Beträge auf alle Verfahren vor den Gerichten der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit ausgedehnt werden sollte, an denen ausländische Arbeitnehmer beteiligt sind. Der Rechtsausschuß hält derartige Regelungen in Übereinstimmung mit der Bundesre35 Lesenswert dazu auch der Bericht von Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 275 ff. 36 Kirsch, DRiZ 1979, S. 185 ("wichtiges Urteil"); Vogler, EuGRZ 1979, S. 640 ff. ; Strate, AnwBl. 1980, S. 15; Heldmann, StrVert 1981, S. 254; Kühne, FS Schrnidt, S. 33 f.; Trechsel, JR 1981, S. 139; J. Meyer, ZStW 93 (1981), S. 514 ("bedeutsam"); Hartmann (21), KV 1904 (S. 380); ebenso später Basdorf, GS Meyer, S. 28; mit rechtspolitischen Bedenken allerdings Lässig, S. 23. 37 Einen Überblick gibt auch Vogler, EuGRZ 1979, S. 640 ff. 38 Geschehen durch das Kostenrechtsänderungsgesetz vom 20. August 1975 (BGBl. 1975 I, S. 2189 (hier genauer S. 2195 und S. 2198 ff.)).
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
gierung nicht für angebracht. ... In Strafsachen wäre ebenfalls nicht einzusehen, weshalb eine Freistellung auf ausländische Arbeitnehmer beschränkt sein sollte. Würde in Strafsachen freigestellt, so müßte das auch im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde gelten. Zu einer Freistellung aller Ausländer in allen Verfahren von Dolmetscherkosten besteht aber kein hinreichender Grund. Dem Ausschuß ist auch nicht bekannt, dass in einem ausländischen Staat eine Regelung dieser Art bestünde 39 • . . . ,,40
Die Auffassung des Rechtsausschusses des Bundestages entsprach der zu dieser Zeit herrschenden Ansicht in Literatur41 und Rechtsprechung42 , die damit eine offene Bestätigung erfahren hatte. 43 Dennoch gab es auch vor dem Urteil des EGMR schon Stimmen in der Bundesrepublik, die unter Verweis auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK den der deutschen Sprache nicht mächtigen (meist ausländischen) Verurteilten von den Dolmetscherkosten befreien und deren Übernahme der Staatskasse zuschlagen wollten. 44 Diese Stimmen bildeten jedoch die Minderheit. Die bis 1978 vorherrschende Meinung stützte sich in ihrer Argumentation nicht ausschließlich auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e 39 Vgl. an dieser Stelle die Übersichten bei Setsevits, MDR 1976, S. 547; ebenso bei Vogler, ZStW 89 (1977), S. 790; Lässig, S. 86 ff. sowie J. Meyer, ZStW 93 (1981), S. 517. Wohl auch bei LG Duisburg vom 14. 12. 1973, auf welches LG Darmstadt RPfleger 1974, 451 verweist. 40 Bericht der Abgeordneten Dr. Hauser und Dr. Stienen in BT-Drucksache 7/ 3243, S. 1 ff. (hier vor allem S. 6 f.) ; vgl. auch Mümmler, JurBüro 1976, Sp. 646 und Mümmler, JurBüro 1978, Sp. 1850 sowie LR(23)-Schäfer, § 465 Rn. 10. Die Stellungnahme ist in vollem Wortlaut ebenfalls bei Oestreich/Winter/Hellstab, Nr. 9005 Rn. 8 (S. 526 f.) abgedruckt. 41 Hartmann (19), KV 1904 (S. 268); Kleinknecht (33), MRK (A 4), Art. 6 Rn. 20; Lappe, Anm. zu KV 1904 (S. 192); D. Meyer, MDR 1974, S. 194 ff. und (im Angesicht des zu erwartenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) bekräftigend ders., JurBüro 1978, Sp. 1276 f.; ebenso LR(23)-Schäfer, § 465 Rn. 9. 42 In zeitlicher Reihenfolge: LG Mannheim RPfleger 1965, 52; LG Heide1berg Die Justiz 1973, 444 (zitiert nach LG Wuppertal JurBüro 1975, 370); LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 06. 03 . 1974 - 5/9 Qs 12/75 (zitiert nach LG Frankfurt a. M. JurBüro 1978, 1688); LG Darmstadt RPfleger 1974,451; LG Wuppertal JurBüro 1975, 369; LG Würzburg JurBüro 1975, 370; OLG Köln NJW 1975, 1615; AG Tübingen MDR 1975,956; OLG Bamberg JurBüro 1976,643. 43 LR(23)-Schäfer, § 465 Rn. 10; Mümmler, JurBüro 1976, Sp. 646 spricht von einer gesetzlichen Klärung. 44 So aus der Rechtsprechung u.a. AG Bremerhaven NJW 1963, 827; LG Aachen vom 21. 01. 1969 - 19/255/68; AG Geilenkirchen NJW 1971, 2320 = MDR 1973, 872; AG Duisburg vom 02. 07. 1973 (zitiert nach AG Tübingen in MDR 1975, 956); LG Duisburg (Az: VI Qs (Owi) 198/73; zitiert nach LG Wuppertal JurBüro 1978, 1053) sowie aus dem Schrifttum Appell, S. 80; Scham, Art. 6 Abs. 3 e (S. 234); Guradze, Kommentar, Art. 6, Nr. 38; H. Schmidt, NJW 1974, 90; Bussmann, NJW 1976,458 ff.; Setsevits, MDR 1976,545 ff. (m.w.N.); Kettel, MDR 1974, 816 f.; Vogler, ZStW 89 (1977), 789 f.
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MRK, sondern auf den Sinn und Zweck der Konvention45 , wonach nur während des Verfahrens und auch nur einstweilen46 der Dolmetscher kostenfrei gewährt werden solle. Die Konventionsnorm enthielte eine bloße Klarstellung dessen, was ein faires Verfahren sichern solle, während die Regelung der Kostenfrage letztlich dem nationalen Recht gebühre47 bzw. von untergeordneter Natur sei. 48 Art. 6 Abs. 3 MRK konkretisiere und festige insofern nur bestehendes nationales Recht, ohne es umzugestalten49 oder ihm vorzugehen. Schließlich sei die MRK zwar später als die allgemeinen Kostenvorschriften erlassen worden und würde diesen nach der Regel lex posterior derogat legi priori50 vorgehen; diese seien jedoch mittlerweile auch schon wieder geändert worden, womit die entsprechenden Bestimmungen der EMRK überholt seien. 51 Der verurteilte Ausländer werde durch die Dolmetscherkosten zwar mehr belastet als der sprachkundige Inländer, wisse aber andererseits auch, dass erhöhte Kosten auf ihn zukämen, wenn er im Ausland verurteilt werde. 52
Innerhalb der Ansicht, welche die Dolmetscherkosten nicht dem verurteilten Angeklagten nachträglich zur Last legen wollte, wurde ebenfalls zuallererst auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK verwiesen, der eine Kostenbefreiung "für immer,,53 bedeute. Eine andere Auslegung des Wortlautes würde dem Schutzzweck der Konvention widersprechen. 54 Die Gegenseite nähme auf die deutsche Übersetzung Bezug, deren Wortlaut sachlich falsch sei. 55 45 Vgl. D. Meyer, MDR 1974, S. 196; LG Mannheim RPfleger 1965, 52; OLG Köln NJW 1975, 1615 (1616) sowie AG Tübingen MDR 1975,956. 46 LG Mannheim RPfleger 1965, 52; LG Darmstadt RPfleger 1974, 451; LG Würzburg JurBüro 1975,370 (371); vgl. auch D. Meyer, MDR 1974, S. 195. 47 So D. Meyer, MDR 1974, S. 195; ders., JurBüro 1978, Sp. 1277 sowie LG Würzburg JurBüro 1975, 370 (371); dagegen Bussmann, NJW 1976, S. 459. 48 Siehe OLG Köln NJW 1975, 1615 (1617), das hier in der Sache Ko~ zu entscheiden hatte. 49 Siehe LG Darmstadt RPfleger 1974,451. 50 Mit diesem Grundsatz befassen sich LG Darmstadt RPfleger 1974, 451 und D. Meyer, MDR 1974, S. 196 sowie ders., JurBüro 1980, Sp. 323. Allgemein zu völkerrechtlichen Verträgen siehe die kurzen Ausführungen bei Lässig, S. 45 f.; siehe auch oben in § 1 C. H. 3. 51 D. Meyer, MDR 1974, S. 196; direkt gegen dieses "Argument" richtet sich Setsevits, MDR 1976, S. 546 (Fn. 15): es komme nur auf die inhaltliche Änderung der hier einschlägigen Vorschriften an, die eben nicht erfolgt sei. Siehe auch OLG Köln NJW 1975, 1615 (1616). 52 D. Meyer, MDR 1974, S. 196. 53 So H. Schmidt, NJW 1974, S. 90. 54 AG Bremerhaven NJW 1963,827.
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Weiterhin gehe die Europäische Menschenrechtskonvention dem GKG als "lex specialis" vor. 56 Die Kollision der MRK mit den §§ 464 ff. StPO sei dabei vom deutschen Gesetzgeber übersehen worden. 57 Ein Dolmetscher sei von Amts wegen zuzuziehen und könne einem Verurteilten, dem nicht vorgeworfen werden könne, die deutsche Sprache nicht zu beherrschen, nicht extra aufgebürdet werden. 58 Der verurteilte ausländische Angeklagte müsste sonst im Nachhinein für die Gewährung seines rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) bezahlen59 , was eine Belastung der effektiven Verfolgung seiner Rechte durch den Betroffenen darstellte. 6o Wegen der damit einhergehenden Gleichbehandlung von in- und ausländischen Angeklagten stelle die Kostenbefreiung auch keine Benachteiligung der Inländer oder eine übermäßige Bevorzugung der Ausländer dar. 61 2. Veränderungen nach dem Urteil des EGMR
Im Jahre 1978 nun wurde die Bundesrepublik in den Fällen Luedicke u. a. wegen Verletzung der Konvention verurteilt und das Urteil in deutscher Übersetzung durch den Abdruck in NJW und EuGRZ der deutschen Justiz und Rechtswissenschaft publik und relativ leicht zugänglich gemacht. 62 Die darauffolgenden Jahre sind jedoch hinsichtlich der Entscheidungspraxis deutscher Gerichte in der Frage der Befreiung des verurteilten Angeklagten von den Kosten für einen Dolmetscher von erheblichen Divergenzen geprägt63 , so dass es sich lohnt, diese näher zu beleuchten. Im Vordergrund sollen dabei immer die Urteile und Beschlüsse der ordentlichen Gerichtsbarkeit stehen, die das Luedicke-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. November 1978 erwähnen oder gar zitieren. Andere veröffentlichte Entscheidungen wurden dabei weitgehend außen vor gelassen, es sei denn, sie lieferten treffende Kernaussagen zu einzelnen 55 Setsevits, MDR 1976, S. 545 f.; insofern allerdings auch zutreffend OLG Köln NJW 1975, 1615 (1616). 56 AG Geilenkirchen NJW 1971, 2320; auch Setsevits, MDR 1976, S. 546. 57 Bussmann, NJW 1976, S. 459. OLG Köln NJW 1975, 1615 (1616 a.E.) geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass sich die Ansichten des Gesetzgebers im Nachhinein nicht ennitteln lassen. 58 Kettel, MDR 1974, S. 817; vgl. auch Setsevits, MDR 1976, wonach der Ausländer seine Sprachprobleme nicht verschuldet habe. 59 Bussmann, NJW 1976, S. 460. 60 Vogler, ZStW 89 (1977), 790. 61 Setsevits, MDR 1976, S. 546; a.A. jedoch LG Mannheim RPfleger 1965,52. 62 Siehe auch Vogler, ZStW 89 (1977), S. 763 und Uerpmann, S. 170 f.; zur erschwerten Kenntnisnahme aufgrund der Sprachbarriere ebenfalls Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 277 (Fn. 215). 63 Vgl. auch Braitsch, S. 258 f.
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Problemfeldern. Unveröffentlichte Entscheidungen wurden nicht berücksichtigt, da der genaue Wortlaut nur schwer zugänglich und insofern keine aussagekräftige Auswertung möglich war. In den knapp 170 nach dem Urteil des EGMR ab 1979 bis März 2002 veröffentlichten Entscheidungen der deutschen ordentlichen Gerichte, die sich mit den kostenrechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit den Rechten des ausländischen Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK befassten, wurde - soweit ersichtlich - in etwa einem Drittel der Entscheidungen64 auf das Luedicke-Urteil Bezug genommen. Davon befassten sich die meisten Urteile und Beschlüsse mit der Frage der Erstattung von Kosten für den vom der deutschen Sprache nur unzureichend mächtigen ausländischen Angeklagten für die Gespräche mit seinem Verteidiger hinzugezogenen Dolmetscher. Anhand dieses bisher sehr umstrittenen Problems wird beispielhaft gezeigt werden, von welchen typischen Problemen die Rezeption einer Straßburger Entscheidung in der deutschen Rechtsprechung begleitet worden ist und immer noch wird. Die Problemschwerpunkte der restlichen Entscheidungen seien hier nur kurz genannt: Eine Entscheidung erging zur Einreichung von Rechtsmitteln in fremder Sprache. In sechs Entscheidungen war die Frage der Kostentragung für die Beiziehung eines Dolmetschers zur Überwachung von Gesprächen in der Untersuchungshaft oder der Überwachung des Briefverkehrs zu klären. 65 Drei Gerichte befassten sich in 5 Entscheidungen mit der Frage, ob dem ausländischen Angeklagten das Recht zustünde, eine Übersetzung des schriftlichen Urteils zu verlangen, was durchweg unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Luedicke u. a. verneint wurde. Fünf weitere Entscheidungen ergingen zum Anspruch auf einen unentgeltlichen Dolmetscher im Bußgeldverfahren 66 , wobei sie auf das Urteil des EGMR in den Fällen Luedicke u. a. Bezug nahmen. In diesem Zusammenhang ist einmal der Kommissionsbericht erwähnt worden. Dreizehn Entscheidungen behandelten nicht die Rechte des Verurteilten aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK sondern die Kostentragungspflicht des Verurteilten hinsichtlich eines im Verfahren beigeordneten Pflichtverteidigers gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK. In diesen Entscheidungen wurden die im Luedicke-Urteil vorgebrachten Argumente zu Hilfe genommen, um eine Kostenbefreiung hinsichtlich der diesbezüglichen Auslagen der Staatskasse zu verweigern. Implizit wurden die Aussagen des Straßburger Urteils vom 28. November 1978 hinsichtlich der Freistellung Siehe die Zusammenstellung im Anhang 11. Zum Streitstand vgl. Simon, S. 203 ff. 66 Zu dieser Problematik näher unten bei den Ausführungen zum Urteil des EGMR im Fall Öztürk. 64 65
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des ausländischen Verurteilten von den Dolmetscherkosten dabei jedoch durchweg bestätigt. Die Kommission ist dabei einmal als Vorinstanz aufgeführt. a) Die Endgültigkeit der Kostenfreistellung War, wie oben gesehen, die Frage, ob die Auslagen für den Dolmetscher endgültig oder nur vorübergehend von der Staatskasse zu übernehmen waren, vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte höchst umstritten, so herrschte in der nach 1979 erscheinenden Judikatur weitestgehend Einigkeit darüber, dass dem verurteilten Ausländer die Dolmetscherkosten vom Grundsatz her nicht im Nachhinein als Auslagen in Rechnung gestellt werden sollten. Erleichtert wurde diese Rechtsauffassung wesentlich durch die 1980 vorgenommene Änderung der Nr. 1904 des Kostenverzeichnisses zum GKG und die Anweisungen der Landesjustizminister67 . Allein LG Aschaffenburg68 vertrat noch 1979 die Auffassung, dem Verurteilten seien die Dolmetscherauslagen in Rechnung zu stellen, und das sogar in Ansehung des schon erschienenen Kommissionsberichts. Zur Begründung führte es aus, dass der Wortlaut der §§ 464 a Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. Nr. 1904 KVGKG i.V.m. §§ 17,1,3 ZSEG eindeutig und klar sei und eine Kostentragungspflicht des Verurteilten voraussetze, was dem Willen des deutschen Gesetzgebers entspräche. Sofern die Europäische Kommission für Menschenrechte in ihrem Bericht vom 15. Mai 1977 eine andere Auffassung vertrete, so fühle sich die Kammer nicht daran gebunden und vermöge ihr nicht zu folgen. In Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK könne nur eine vorläufige Unentgeltlichkeit gemeint sein. Das stelle auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG dar, da dieser nicht vor "gewissen Nachteilen", die fremdsprachigen Personen "immanent" seien, schützen wolle. 69 Im Übrigen wurde die endgültige Freistellung des verurteilten Angeklagten von den Dolmetscherkosten durch die übrigen Gerichte, welche ausdrücklich auf den Bericht der Kommission Bezug nahmen70 , bejaht und ist bis heute zu recht nicht mehr angezweifelt worden. 71 Die oben dargestellte Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 282. Beschl. v. 01. 02. 1979 - Qs 4/79, JurBüro 1979, 1040 (mit Anm. D. Meyer). Auf den Beschluss des OLG Ramm vom 16. 06. 1978 (siehe bei Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 281) soll hier nicht näher eingegangen werden, da er noch vor dem Urteil des EGMR erging. 69 LG Aschaffenburg JurBüro 1979, 1042. 70 So die Landgerichte LG Bonn JurBüro 1978, 1849; LG Frankfurt a.M. JurBüro 1978, 1687 (1688) sowie LG Ansbach NJW 1979, 2484 und AG Berlin-Tiergarten NJW 1978, 2462. 67
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langjährige Kontroverse hat damit aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ihren Abschluss gefunden, so dass diesem hier ein nennenswerter Einfluss zugeschrieben werden kann. 72 b) Zum Anspruch auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers für Gespräche mit dem Verteidiger Zu einer der höchst kontrovers diskutierten Fragen gehört die Frage nach der Übernahme der Kosten für einen Dolmetscher, der bei Gesprächen mit dem Verteidiger hinzugezogen worden ist, allerdings unabhängig davon, ob diese Gespräche bloß vorbereitenden Charakter für die Hauptverhandlung hatten oder das ganze Verfahren umfassten. Herrscht insoweit noch grundsätzlich Einigkeit darüber, dass die Kostenfreistellung von den Dolmetscherauslagen nicht nur innerhalb der Hauptverhandlung sondern für das gesamte Verfahren gelten muss 73, folgen die Gerichte in diesem Punkt also der Auslegung des EGMR74 , so sind die Einzelheiten hier doch umstritten. Die Rechtsprechung macht die Befreiung von der Pflicht zur Kostenerstattung im Wesentlichen davon abhängig, ob sich der ausländische Angeklagte eines Wahl- oder eines Pflichtverteidigers bedient und/oder ob die Auslagen für seine Verteidigung erforderlich waren. In den Fällen, in denen der Angeklagte die Kosten für einen Dolmetscher zur Verständigung mit dem Verteidiger nicht aufbringen könne, solle ein 71 Vgl. auch OLG Düsseldorf MDR 1981, 74 (75) sowie OLG München NJW 1982, 2739 (2739 f.), die sich ganz dem Luedicke-Urteil des EGMR anschließen. Zum Besch!. des BGH v. 26. lO. 2000 - 3 StR 6/00, BGHSt 46, 178 == NJW 2001, 309 siehe unten § 3 B. III. 2. b) dd). 72 So auch Simon, S. 22l. 73 Unter Verweis auf das Luedicke-Urteil des EGMR: OLG Hamm NStZ-RR 1999, 158 (159); LG Berlin AnwBl. 1980, 30; LG München I AnwB!. 1982, 495 (496); LG Bremen StrVert 1987, 193; LG Hamburg StrVert 1990, 16 und dasselbe in StrVert 1990, 219; LG Berlin StrVert 1994, 11; LG Oldenburg StrVert 1998, 649 == NStZ-RR 1999, 149; auch LG Ravensburg StraFo 2000, 70. Aus der Literatur statt vieler LR(25)-Hilger, § 464a Rn. 8 sowie Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 730. A. A. bezüglich der Dolmetschertätigkeit im Ermittlungsverfahren wenn unklar ist, ob es zur Erhebung einer Anklage kommen wird: LG Saarbrücken, Besch!. v. 12. 03. 1997 - 8 Qs 53/97 (zitiert nach Egon Müller, NStZ-RR 2000, S. 232 f. (Fn. 66)). Wolf, StrVert 1992, S. 367 f. lehnt die Anwendung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK auf vorbereitende Gespräche des Beschuldigten und einem Verteidiger gänzlich ab. 74 So ausdrücklich OLG Düsse1dorf MDR 1981, 74 (75) und OLG Hamm StrVert 1994, 475 sowie LG Berlin AnwBl. 1980, 30 und LG Hamburg InfAus1R 1980, 153; einschränkend OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1998, 158; zur Interpretation der Begriffe "free" und "gratuitement" durch Gerichtshof und Kommission für Menschenrechte siehe auch Duffy, HRR Vo!. IV (1979), S. 112 f.
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Ptlichtverteidiger bestellt werden, um ihn vor möglichen Nachteilen aufgrund der Sprache zu bewahren?5 Die Ptlichtverteidigung stellt den einfachsten möglichen Fall dar, da der Pflichtverteidiger in jedem Fall über § 97 Abs. 2 BRAGO die Erstattung der eventuell von ihm selbst verauslagten Dolmetscherkosten verlangen kann. 76 Diese Auslagen sollen dem verurteilten Ausländer auch nicht in Form der Pflichtverteidigerkosten nachträglich aufgebürdet werden können?7 Schwieriger lässt sich die Frage der Kosten für einen benötigten Dolmetscher beantworten, wenn sich der Angeklagte eines Wahl verteidigers bedient. Bis zum Ende der 80er Jahre vertrat der überwiegende Teil der Rechtsprechung entgegen der Auffassung eines Großteils der Literatur78 die Ansicht, dass dem ausländischen Angeklagten kein Anspruch auf die unentgeltliche Beiordnung eines Dolmetschers für Gespräche mit dem Wahlverteidiger zustehe bzw. er diesbezügliche Auslagen nicht erstattet bekomme. Erst seit Beginn der 90er Jahre schien sich das Verhältnis umzukehren und verstärkt zur Bejahung der endgültigen Kostenfreiheit einer Verständigung des ausländischen Mandanten mit seinem Wahl verteidiger unter Inanspruchnahme eines Dolmetschers zu tendieren79, was höchstwahrscheinlich sowohl auf ein geändertes "europäisches Denken" hauptsächlich jedoch auf den Beschluss des Kammergerichts vom 12. Januar 199080 zurückzuführen ist, in der das KG in Abweichung von seiner früheren Auffassung sehr detailliert einen Anspruch des Wahlverteidigers auf Erstattung der von ihm selbst für den Dolmetscher verauslagten Kosten gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK i. V. m. einer entsprechenden Anwendung von § 2 Abs. 4 Satz 2 GKG bejahte. Diese Entscheidung hat wohl maßgeblich zu einem Umdenken in dieser Frage beigetragen81 , auch wenn nicht alle Gerichte ihr im Ergebnis folgten. 75 Vgl. OLG Celle NStZ 1987, 521; LG Aachen StrVert 1989, 148 (149) sowie Kleinknecht (35), § 140 Rn. 20 a.E.; offen gelassen von OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 579 (580); dagegen LG Bamberg NStZ 1992, 500 (501). Siehe auch Basdorf, GS Meyer, S. 29 m. w.N. 76 Darauf verweisen auch OLG Düsseldorf StrVert 1992, 362 sowie Basdorf, GS Meyer, S. 28 und LR(25)-Hilger, § 464a, Rn. 9. 77 OLG München NJW 1982,2739 (2738); IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 583. 78 Vogler, EuGRZ 1979, S. 643 sowie ders. in IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 589; zustimmend Peuken, EuGRZ 1980, S. 267; Heldmann, StrVert 1981, S. 254; Kühne, FS Schmidt, S. 38; J. Meyer, ZStW 93 (1981), S. 515 und 521; wohl auch Lüderssen, NJW 1986, S. 2747; a.A. Basdorf, GS Meyer, S. 29, der aber eine diesbezügliche Regelung zumindest für rechtspolitisch diskutabel hält (siehe S. 34). Siehe auch KMR(7)-Paulus, § 464a Rn. 11 m. w. N. 79 Münchhalffen, StraFo 1999, S. 71 bezeichnet die Auffassung, die eine endgültig kostenfreie Dolmetscherbeiordnung für Gespräche mit dem Wahlverteidiger gestattet, schon als wohl herrschende Meinung. 80 KG StrVert 1990, 171 = NStZ 1990,402 (mit Anm. Hilger).
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Weiterhin muss hier auf die Einführung des § 464c StP0 82 verwiesen werden. Demnach werden die durch Heranziehung eines Dolmetschers entstandenen Auslagen dem Angeschuldigten nur auferlegt, soweit er sie schuldhaft unnötig verursacht hat. Daraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass sie ihm in allen anderen Fällen grundsätzlich nicht auferlegt werden dürfen 83 , womit die endgültige Kostenbefreiung neben der Regelung im KVGKG nun auch ihren Platz in der StPO gefunden hat und sich auch deshalb der Rückgang der eine Kostenbefreiung oder nachträgliche Erstattung ablehnenden Entscheidungen erklären lässt. aa) Kein eigener Anspruch des Wahlverteidigers auf Kostenerstattung In den die Kostenfreiheit ablehnenden Entscheidungen wird meist festgestellt, dass der Wahlverteidiger keinen eigenen Anspruch auf Kostenerstattung habe 84, da er nicht unter § 97 Abs. 2 BRAGO falle, der sich ausdrücklich nur auf den gerichtlich bestellten Pflichtverteidiger bezieht. 85 Wer sich daher eines Wahlverteidigers bediene, habe auch dessen Dolmetscherauslagen zu tragen. 86 Eine mögliche Lösung wurde daraufhin in dem Verweis an den Anwalt gesehen, er (der Wahlverteidiger) möge sein Mandat niederlegen und als Pflichtverteidiger tätig werden8? oder es solle ein (zusätzlicher) Pflichtverteidiger bestellt werden. 88 Einen praktischen Vorschlag unterbrei81 So auch Simon, S. 197 f.; lesenswert ebenfalls die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Kammergerichts bei AG Darmstadt wistra 1993, 197 (197 0. 82 Eingeführt im Rahmen des "Gesetz zur Regelung des Geschäftswertes bei land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben und zur Änderung sonstiger kostenrechtlicher Vorschriften"; siehe BGBl. 1989 I, S. 1082. 83 So auch LR(25)-Hilger, § 464c Rn. 1; Pfeiffer, Kommentar, § 464c Rn. 1. Siehe aber auch Kotz, NStZ-RR 1999, S. 164: "Offenbar haben weder die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR [1978] noch die Einführung des § 464c StPO ausgereicht, manchen mit Kostensachen befaßten Gerichten hierzulande den Sinngehalt des Art. 6 III e EMRK nahezubringen. " 84 OLG Frankfurt a.M. NJW 1981, 533; OLG Zweibrücken NJW 1980, 2143. Neuerdings wurde allerdings vom OLG Karlsruhe Die Justiz 2000, 90 (91) = NStZ 2000, 276 (277) = StrVert 2000, 193 ein Anspruch in entsprechender Anwendung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK i. V.m. § 2 Abs. 4 Satz 2 GKG bejaht. 85 OLG Zweibrücken NJW 1980, 2143; OLG Düsseldorf NJW 1980, 2655; OLG Frankfurt a.M. NJW 1981, 533; LG München I AnwBl. 1982, 495; OLG Düsseldorf JurBüro 1986,579; OLG Stuttgart Die Justiz 1995,53; OLG Düsseldorf RPfleger 1999, 234 (235). 86 Vgl. Basdorf, GS Meyer, S. 31. 87 Dazu OLG Stuttgart Die Justiz 1995, 53. Ausdrücklich diese Möglichkeit vorschlagend Basdorf, GS Meyer, S. 32; zweifelnd zur praktischen Umsetzung Hilger, NStZ 1990, S. 404; ablehnend HK(2)-Krehl, § 464c Rn. 1.
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tete J. Meyer89, der riet, bei Gericht Listen mit dem Namen von Rechtsanwälten zu führen, die über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Die Unterscheidung in Wahl- oder Pflichtverteidigung ist jedoch nicht geboten. Das grundlegende Recht des Angeklagten, sich eines Wahlverteidigers zu bedienen9o , darf nicht eingeschränkt werden. Dem Angeklagten darf die Verteidigung nicht dadurch erschwert werden, dass er sich anstelle eines Wahlverteidigers einen Pflichtverteidiger zuordnen lassen muss, nur damit eine Gesprächsführung mit Hilfe eines Dolmetschers keine zusätzlichen Kosten aufwirft. Damit wächst die Gefahr, dass der Angeklagte aus Furcht vor den Kosten auf eine wirksame (aber eben womöglich auch teurere) Verteidigung verzichtet. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber in seinem Urteil vom 28. November 1978 festgestellt hat, soll diese Gefahr aus Gründen der Vermeidung von Nachteilen für den ausländischen Angeklagten gerade gebannt werden. 91 Dazu kann es keinen Unterschied machen, welcher Art von Verteidigung sich der Angeklagte bedient. 92 Ebensowenig kann ein finanzieller Unterschied dadurch hervorgerufen werden, dass dem Ausländer zu den Kosten für den Wahlverteidiger noch die Kosten für einen Dolmetscher aufgebürdet würden. 93 Damit würde er unangemessen benachteiligt und ein faires Verfahren beeinträchtigt. 94 Der Angeklagte muss eben nicht selbst für die Möglichkeit der Verständigung mit seinem Wahl verteidiger sorgen. 95 Die "Wandlung" des Wahlverteidigers in einen Pflichtverteidiger ist schließlich allein schon deshalb wenig sinnvoll, weil sie auch mit neuen und unnötigen Kosten für die Staatskasse verbunden ist. 96 88 Vgl. LR(25)-Hilger, § 464a Rn. 9 m. w.N., der beiden Lösungsvorschlägen kritisch gegenübersteht. Zu den kostenrechtlichen Problemen bei gleichzeitiger Wahlund Pflichtverteidigung vgl. KMR(7)-Paulus, § 464a Rn. 30 f. 89 J. Meyer, ZStW 93 (1981), S. 521 f. 90 Vgl. BVerfGE 39, 156 (163) sowie E 64, 135 (149); BGH StrVert 1999, 524; KMR(7)-Paulus, § 464a Rn. 11. 91 Dazu auch LG Hamburg StrVert 1985,500 (501). 92 OLG Karlsruhe Die Justiz 2000, 90 = NStZ 2000, 276 (277) = StrVert 2000, 193; LG Aachen StrVert 1997,404 (unter Aufgabe seiner noch in StrVert 1989, 148 wiedergegebenen Auffassung); LG Oldenburg StrVert 1998, 649 = NStZ-RR 1999, 149; Strate, AnwBl. 1980, S. 16; Kühne, FS Schmidt, S. 38; Hilger, NStZ 1990, S. 405; Braitsch, S. 183; Simon, S. 198; HK(2)-Julius, § 259 Rn. 15; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 90. 93 Kühne, FS Schmidt, S. 38. 94 LG Düsseldorf StrVert 1984, 112; LG Ravensburg StraFo 2000, 70; AG Bremen StrVert 1984, 113. 95 So aber OLG Zweibrücken NJW 1980,2143. 96 KG StrVert 1990, 171 (172); OLG Celle StrVert 1997, 432; OLG Karlsruhe Die Justiz 2000, 90 = NStZ 2000, 276 (277) = StrVert 2000, 193; LG Berlin NStZ 1990,449 (450). Siehe auch LG Bamberg NStZ 1992, 500 (501).
§ 3 Der Fall Luedicke u. a.
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bb) Die Vermengung der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c und Buchst. e MRK Weiterhin wurde damit argumentiert, dass der Dolmetscher in den hier relevanten Fällen nicht der Verständigung des Angeklagten mit dem Richter, sondern eben der Verständigung mit dem Verteidiger diene. Der Anspruch auf unproblematische und unentgeltliche Verständigung mit dem Verteidiger mittels eines Dolmetschers könne aber nicht weiter gehen als der Anspruch auf unentgeltliche Verteidigung selbst97 , der aber den Einschränkungen des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK98 unterlie1e. 99 Es sei widersinnig, wenn der Angeklagte zwar keinen Anspruch auf unentgeltliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers habe, seine Gespräche mit einem Wahlverteidiger aber ohne Verpflichtung zur Erstattung der Dolmetscherauslagen führen könne. lOO Auch der EGMR habe letztlich die Art und Weise und den Umfang des nicht gerichtlich angeordneten Dolmetscherbeistandes offen gelassen. lOl Damit bringen die Gerichte, welche diese Argumente vorbringen, aber die Kriterien der "Mittellosigkeit" und des "Interesses der Rechtspflege" in den Regelungsbereich des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK hinein, was nicht zu überzeugen vermag. Sie vermengen beide Konventionsrechte in unzulässiger Art und Weise lO2 und übersehen dabei, dass Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK einen eigenständigen Anspruch verleiht lO3 und eben nicht unter irgendwelchen Einschränkungen, gerade auch nicht hinsichtlich finanzieller Möglichkeiten oder eben der Mittellosigkeit des angeklagten Ausländers, stehen SOll.l04
Dagegen Lüderssen, NJW 1986, S. 2747. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK lautet in der nichtamtlichen deutschen Übersetzung: ,,Jeder Angeklagte hat mindestens (englische Fassung)/insbesondere (französische Fassung) die folgenden Rechte: ... c) sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; ... " 99 OLG Zweibrücken NJW 1980, 2143; OLG Düsseldorf StrVert 1992, 363 (364); OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 215 (216); Basdorf, GS Meyer, S. 32 stellt demgegenüber zunächst auf die Einschränkungen des § 140 StPO ab. 100 OLG Zweibrücken NJW 1980, 2143; i.E. auch OLG Stuttgart Die Justiz 1995, 53. Die Vermögenslage des Verurteilten wird auch von Markl (2), KV 1904, Rn. 3 herangezogen. 101 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999,215. 102 LG Berlin NStZ 1990, 449 (450); ebenso Wolf, StrVert 1992, S. 367 sowie Simon, S. 200 f. 103 LG Aachen StrVert 1997,404. 97
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
cc) Das Erfordernis einer gerichtlichen Beiordnung Eine elegante Art, die Staatskasse von den Kosten zu entlasten, wurde von den Gerichten 105 gewählt, die - unter Bezugnahme auf das Urteil des EGMR - nur den vom Gericht beigeordneten Dolmetscher kostenfrei stellen wollten. 106 Nach ihrer Auffassung - gestützt vom Wortlaut des Luedicke-Urteils, das ebenfalls nur von "Beiordnung,,107 spricht und nur den gerichtlich herangezogenen Dolmetscher beträfe lO8 - gewähre Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK allenfalls einen Anspruch gegen das Gericht auf Beiordnung eines Dolmetschers. 109 Demnach sei bei der Zuhilfenahme eines Dolmetschers in den Gesprächen des Mandanten mit seinem Verteidiger jedenfalls ein vorheriger Antrag an das Gericht erforderlich. llo Dieses prüfe dann die Notwendigkeit der Gespräche für das Verfahren und entscheide dann über die Beiordnung oder die Versagung des Anspruchs. 111 Für den Fall, dass der Verteidiger eigenmächtig einen Dolmetscher hinzuziehe, solle er keine Kostenerstattung gewährt bekommen 112, was durchaus im Einklang mit zwei Entscheidungen der EKMR 113 steht. Ein Wahlrecht bezüglich des Dolmetschers räume Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK nicht ein. 114 104 So schon die Europäische Kommission für Menschenrechte in ihrem Bericht vom 18. Mai 1977, Nr. 35 a.E. (Series B, Vol. 27, S. 26; = EuGRZ 1977, 468). Darauf verweisend: OLG Stuttgart StrVert 1986, 491. Wie hier KG StrVert 1990, 171 (172); LG Berlin NStZ 1990,449 (450); LG Köln StrVert 1994, 492; LG 01denburg StrVert 1998, 649 = NStZ-RR 1999, 149; ebenso Hilger, NStZ 1990, S. 405; Pfeiffer, Grundzüge, Rn. 92 a.E. ohne nähere Begründung; Simon, S. 200 sowie HK(2)-Julius, § 259 Rn. 15. 105 Vgl. die Nachweise bei Simon, S. 202. Die amtliche Heranziehung des Dolmetschers durch das Gericht sieht auch Hartmann (31), KV 9005 Rn. 6 als zwingende Voraussetzung für die Auslagenfreiheit an. 106 Im Fall des LG Bremen StrVert 1987, 193 allerdings unabhängig davon, ob es sich um Wahl- oder Pflichtverteidigung handelt. 107 Das betont OLG Stuttgart StrVert 1986,491. 108 So OLG Düsseldorf NJW 1980, 2655; OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 579; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 215 (216); OLG Düsseldorf RPfleger 1999, 234 (235). 109 So auch Kühne, FS Schmidt, S. 40 und Stenger, S. 83. 110 Das Erfordernis eines Antrags und dessen Zumutbarkeit betont OLG Düsseldorf RPfleger 1999, 234 (235); ebenso schon LG München I AnwBI. 1982, 495 (496) sowie LG Hamburg StrVert 1990,219; auch HK(2)-Krehl, zu § 464c Rn. 1 111 OLG Düsseldorf RPfleger 1999,234 (235); LG München I AnwBI. 1982,495 (496); vgl. auch OLG Stuttgart Die Justiz 1995, 53 (54). Jessnitzer, RPfleger 1982, S. 368 will zumindest die Auswahl des Dolmetschers dem Gericht überlassen. 112 OLG Stuttgart StrVert 1986, 491. OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 579 (580) will jedoch einen Erstattungsanspruch unter Umständen dann gewähren, "wenn in der Kostenentscheidung die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt worden sind". Differenzierend insofern auch Kühne, FS Schmidt, S. 40 f.; KK(I)-Schikora, § 464a Rn. 4 und in KK(2)-SchikoraISchimansky, § 464a Rn. 4; KK(4)-Franke, § 464a Rn. 4a sowie noch HK(2)-Krehl, § 464c Rn. 1 m. w. N.
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Diese Erfordernisse wurden sowohl auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte l15 als auch auf den Wortlaut von Nr. 1904 KVGKG 1l6 gestützt, nach denen jeweils nur dann eine endgültige Freistellung von den Kosten erfolgen soll, wenn die Prozesshandlungen für die Verteidigung des Angeklagten erforderlich sind bzw. er auf ihr Verständnis angewiesen ist. 117 Die Prüfung dieser Erforderlichkeit obliege aber dem in der Sache damit befassten Gericht l18 und würde bei eigenmächtiger Hinzuziehung eines Dolmetschers durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger unterlaufen. 1 19 Auch diese Auffassung ist jedoch erheblichen Bedenken ausgesetzt. 120 Die Prüfung der Erforderlichkeit eines Dolmetschers, sofern man sie denn überhaupt zulassen will - richtiger ist wohl eher eine Prüfung, um Missbrauch zu verhindern 121 -, obliegt in erster Linie dem Verteidiger als Organ der Rechtspflege.122 In zweiter Stufe wird vom Kostenbeamten des Gerichts ebenfalls eine Prüfung der Zweckentsprechung der verauslagten Kosten vorgenommen. 123 Eine zusätzliche Prüfung des Gerichts während des Verfahrens ist daher nicht geboten. Dolmetscherkosten sind unabhängig vom Ausgang des Verfahrens von der Staatskasse zu verauslagen. Verzichtet man also auf eine gerichtliche Prüfung, ist der zweite Schritt, der Verzicht auf einen entsprechenden Antrag an das Geriche 24 , nur folgerichtig. Insofern ist der Schwerpunkt für die Kostenfreiheit des hinzugezogenen Dolmetschers nicht auf die ,,Beiordnung" durch das Gericht, sondern in der zweckgemäßen und nicht missbräuchlichen Beiziehung durch den Ange113 Entscheidung vom 15. Juli 1983 (Beschwerde NT. 10221/82) sowie Beschwerde Nr. 10196/82; beide zitiert nach FroweinlPeukert (1), EMRK, Art. 6 Rn. 139 (Fn. 99, S. 181). 114 OLG Zweibrücken NJW 1980, 2143; LG Bremen StrVert 1987, 193. 115 So von OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1998, 158. 116 OLG Stuttgart Die Justiz 1984, 191 (192) unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien; LG München I JurBüro 1985, 1531. 117 LG München I JurBüro 1985, 1531; siehe auch LR(25)-Hilger, § 464a Rn. 8. 118 Vgl. auch Basdorf, GS Meyer, S. 21 f.; kritisch LR(25)-Hilger, § 464a Rn. 9. 119 OLG Stuttgart StrVert 1986, 491. 120 Vgl. Wolf, StrVert 1992, S. 367. Markl (4), KV 9005 Rn. 39 bezeichnet die Auffassung, dass nur der amtlich bestellte Dolmetscher kostenfrei sei, daher zu Unrecht als unstreitig. 121 Zum Missbrauchsverbot vgl. Vogler, EuGRZ 1979, S. 644; Kühne, FS Schrnidt, S. 37. 122 So auch OLG Ramm NStZ-RR 1999, 158; Braitsch, S. 184. 123 KG StrVert 1990, 171 (172); OLG Karlsruhe Die Justiz 2000, 90 (91) = NStZ 2000,276 (277 a.E.) = StrVert 2000, 193; so auch Hilger, NStZ 1990, S. 405 sowie Simon, S. 202. Siehe zur Praxis KMR(7)-Paulus, vor § 464 Rn. 12. 124 Zum Verzicht auf einen Antrag vgl. Rzepka, S. 392 f.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
klagten zu legen, so dass der Umweg über das Gericht, nicht vorgeschrieben werden kann und bei Nichtbefolgung nicht zur Kostentragungspflicht des ausländischen Angeklagten führen darf. 125 dd) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2000 (BGHSt 46, 178 = NJW 2001, 309) Ein Ende der Kontroverse könnte ein neuer Beschluss des 3. Senats des BGH 126 herbeiführen, der zu einer vom OLG Oldenburg gemäß § 121 Abs. 2 GVG vorgelegten Rechtsfrage erging. Das Oberlandesgericht hatte sich in einem Revisionsverfahren mit der Verfahrensrüge mehrerer verurteilter ausländischer Angeklagter zu befassen, die geltend machten, ihnen wäre im Verfahren vor dem zuständigen Amtsgericht kein Pflichtverteidiger beigeordnet worden und dass, obwohl sie die deutsche Sprache nicht beherrschten. Die Oldenburger Richter wollten diese Rüge als unbegründet zurückweisen. Sie sahen sich diesbezüglich jedoch durch einen anderslautenden Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts 127 gehindert. Der Bundesgerichtshof präzisierte die ihm vorgelegte Frage dahingehend, ob einem Angeklagten allein [Hervorhebung durch Verf.] wegen seiner sprachlichen Benachteiligung und seiner Mittellosigkeit ein Pflichtverteidiger beizuordnen war und verneinte diese dann. Was die gesamte Entscheidung für die in diesem Kapitel behandelte Frage der Dolmetscherkosten jedoch erst interessant macht, ist zum einen, dass es dem Bundesgerichtshof dabei ermöglicht wurde, zu einem Problem Stellung zu nehmen, das weitgehend auf untergerichtlicher Ebene und dabei - wie oben gesehen durchaus kontrovers diskutiert wird. Zum anderen überrascht auch die vom obersten Fachgericht der Bundesrepublik Deutschland abgegebene Begründung. Der BGH stellt die Ansichten des BayObLG und des OLG Oldenburg einander gegenüber, da beide Gerichte von unterschiedlichen Vorstellungen ausgehen, was den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK betrifft. Das BayObLG hatte in seinem Beschluss die Bestellung eines Pflichtverteidigers deswegen für geboten erachtet, weil es den Vorschriften der BRAGO entnommen hatte, dass nur einem Pflichtverteidiger die Erstattung der für die erforderliche Hinzuziehung eines Dolmetscher entstandenen Kosten möglich war. Um dem Angeklagten die Unentgeltlichkeit der DolEbenso Simon, S. 198 f. Beschl. v. 26. 10. 2000 - 3 StR 6/00, BGHSt 46, 178 = NJW 2001, 309 = StrVert 2001, 1 = NStZ 2001, 107 = StraFo 2001, 54 = wistra 2001, 107; dazu auch KleinknechtlMeyer-Goßner (45), MRK (A4), Art. 6 Rn. 25. 127 Beschl. v. 20. 12. 1989 - RReg 4 St 245/89, StrVert 1990, 103. 125
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§ 3 Der Fall Luedicke u. a.
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metschertätigkeit zu sichern, sprach es ihm somit kurzerhand einen Pflichtverteidiger zu. Das OLG Oldenburg hingegen legte an den Anspruch des Angeklagten gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK offensichtlich den Maßstab des Buchst. c an, wonach das fehlende Interesse der Rechtspflege eine unentgeltliche Zurverfügungstellung des Dolmetschers für vorbereitende Gespräche mit dem Verteidiger ausschlösse und auch die Mittellosigkeit des Angeklagten kein anderes Ergebnis rechtfertige. Die Stellungnahme des 3. Senats des Bundesgerichtshofs offenbart im Folgenden ein sehr weites Verständnis des Rechts des Angeklagten auf unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers. Nach Ansicht des BGH gewährt Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK dem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten oder dem Beschuldigten einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers für das gesamte Strafverfahren. Davon sind folglich auch vorbereitende Gespräche mit einem Verteidiger erfasst und zwar unabhängig davon, ob ein Fall der Wahl- oder Pflichtverteidigung vorliegt. Die finanzielle Lage des Betroffenen soll darauf keinen Einfluss haben. 128 Der Senat verweist dazu auf das Urteil des EGMR im Fall Luedicke u. a. und den vorausgegangenen Bericht der Kommission und schließt sich deren Auffassung an, dass dem Betroffenen ein Anspruch auf unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers zugesprochen werden müsse, um ihm ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu ermöglichen und eine Ungleichbehandlung des sprachunkundigen Angeklagten zu vermeiden. 129 Dazu gehöre auch, dass sein Recht, sich in jeder Verfahrenslage eines Verteidigers zu bedienen und sich vor allem mit ihm verständigen zu können, gewährleistet werden müsse, was die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers für die betreffenden Gespräche bedinge. Der Senat bemerkt dabei, dass es zu kurzsichtig sei, den Ausländer auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu verweisen, um die Unentgeltlichkeit sicherzustellen. Vielmehr ergebe sich der Anspruch auf unentgeltlichen Beistand eines Dolmetschers direkt aus der Menschenrechtskonvention, die in Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK aber eben keine Unterscheidung nach der Art der Verteidigung vornimmt. Die deutschen entsprechenden Kostennormen seien - ergänzend - konventionskonform auszulegen 130, womit dem sprachbenachteiligten Ausländer auch die Unentgeltlichkeit eines Dolmetschers gewährleistet sei, wenn er sich eines Wahl verteidigers bediene. Die vom OLG Oldenburg vorgelegte Frage war daher zu verneinen, da allein der Umstand, dass ein Angeklagter 128 129 130
BGHSt 46,178 (183) = NJW 2001, 309 (310) = StrVert 2001,1 (2). BGHSt 46,178 (183 ff.) = NJW 2001, 309 (311) = StrVert 2001, 1 (2). BGHSt 46,178 (187) = NJW 2001, 309 (311) = StrVert 2001,1 (3).
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
der deutschen Sprache nicht (hinreichend) mächtig ist, die Bestellung eines Pflichtverteidiger nicht erfordert. Was die Entscheidung des BGH im Hinblick auf die in diesem Abschnitt der Arbeit dargestellte Problematik so bedeutend macht, ist das ausdrückliche Bejahen der unentgeltlichen Hinzuziehung eines Dolmetschers für vorbereitende Gespräche des Betroffenen mit einem Verteidiger seiner Wahl. Die oben dargestellte Kontroverse sollte sich damit erledigt haben, vor allem nachdem der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sich die entsprechenden deutschen Kostenvorschriften der Regelung des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK sozusagen "unterordnen" lassen müssen. Es bleibt zu wünschen, dass die in Zukunft mit der Frage der Unentgeltlichkeit eines Dolmetschers befassten Gerichte dieser Auffassung folgen. 13l
§ 4 Der Fall Öztürk l
A. Das Urteil des EGMR vom 21. Februar 19842 Der Schwerpunkt der Entscheidung des EGMR vom 21. Februar 1984 lag auf der Frage, ob Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK auf die deutschen Ordnungswidrigkeitenverfahren überhaupt Anwendung findet, da das die Voraussetzung ist, um im zweiten Schritt eine Verletzung der Konventionsgarantie zu bejahen oder zu verneinen. Die Anwendbarkeit der Konventionsnorm bejahte der Gerichtshof mit 13 Stimmen gegen fünf ablehnende Stimmen. Die Verletzung der Norm durch die Bundesrepublik Deutschland, wobei kurz auf das Luedicke-Urteil vom 28. November 1978 Bezug genommen wurde, bejahte der Gerichtshof mit 12 Stimmen gegen sechs die Verletzung verneinende Stimmen. Auffällig ist hierbei die Stimmendivergenz, weshalb unten die sechs abweichenden Meinungen im Einzelnen Berücksichtigung finden.
131 Mittlerweile haben soweit ersichtlich zwei Gerichte auf den Beschluss des BGH Bezug genommen: vgl. KG NStZ 2002, 52 (52 f.) sowie LG Düsseldorf StrVert 2001, 635. Bedauerlicherweise orientieren sich beide Gerichte im Hinblick auf die von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK gewährleisteten Rechte nur an den Ausführungen des BGH und lassen einen Rückgriff auf die (ursprüngliche) Ansicht des EGMR vermissen. 1 Series A, Vol. 73 = YB 27 (1984), 272 ff. = HRLJ 5 (1984), 293. Eine nichtamtliche Übersetzung des Urteils durch die Kanzlei des Gerichtshofes ist in vollem Wortlaut in EuGRZ 1985, S. 62 abgedruckt; Auszüge in NJW 1985, 1273 = NStZ 1984, 269 = StrVert 1984, 273. Einen Überblick geben Berger, Rn. 462 ff. (Urteil Nr. 53) und FroweinlPeukert (2), EMRK, Art. 6 Rn. 39. 2 Im Folgenden auch kurz als Öztürk-Urteil bezeichnet.
§ 4 Der Fall Öztürk
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Die Frage der Entschädigung behielt sich der Gerichtshof wiederum vor. Sie wurde mit Urteil vom 23. Oktober 19843 entschieden. Das Urteil betrifft die Beschwerde4 des in Deutschland beschäftigten Türken Abdulbaki Öztürk gegen die Bundesrepublik Deutschland. Wegen eines von Öztürk verschuldeten Verkehrsunfalls im Januar 1978, war ihm ein Bußgeld in Höhe von 60,00 DM auferlegt worden. Dagegen hatte Öztürk Einspruch eingelegt, so dass die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig geworden war. Im Anschluss an die öffentliche Hauptverhandlung nahm Öztürk seinen Einspruch zurück und wurde im Folgenden neben der Geldbuße auch mit den Gerichtskosten belastet, von denen 63,90 DM auf den Dolmetscher entfielen, der Öztürk im gerichtlichen Verfahren beigestanden hatte. Gegen die Kostenfestsetzung wurde vom Betroffenen Erinnerung eingelegt, wobei er sich auf den Bericht der Kommission im Fall Luedicke u. a. berief, der zu diesem Zeitpunkt gerade beim EGMR in Straßburg anhängig war. Die Erinnerung wurde allerdings vom zuständigen Landgericht im Oktober 1978 zurückgewiesen. Die Kosten wurden letztlich von Öztürks Versicherung übernommen. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hatte die Beschwerde im Dezember 1981 5 für zulässig erklärt und in ihrem Bericht vom 12. Mai 19826 mit 8 gegen vier Stimmen die Anwendbarkeit und Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK bejaht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich der Ansicht der Mehrheit der Kommissionsmitglieder angeschlossen. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland vertrat die Ansicht, dass die behauptete Verletzung allein schon deswegen zu verneinen sei, weil die in Frage stehende Norm nicht anwendbar sei. Art. 6 Abs. 3 MRK beziehe sich nur auf das Strafverfahren, finde also in Deutschland auf Ordnungswidrigkeiten, die sich maßgeblich von Straftaten unterscheiden würden, keine Anwendung.
3 Series A, Vol. 85 = YB 27 (1984), 296 ff.; in Auszügen und in nichtamtlicher Übersetzung abgedruckt in EuGRZ 1985, 144. Öztürk bekam keine Entschädigung zugesprochen, da seine Versicherung die Dolmetscherkosten übernommen hatte. Der Antrag von Öztürks Rechtsanwalt auf Ersatz der Anwaltskosten für das Verfahren vor den Organen der MRK wurde einstimmig als unbegründet verworfen, da nicht klar war, ob Öztürk diese Kosten schon bezahlt hatte oder noch bezahlen musste. 4 Beschwerde Nr. 8544/79, eingelegt am 14. Februar 1979. 5 Entscheidung vom 15. Dezember 1981 - abgedruckt in DR 26, S. 55; für einen kurzen Überblick über den diesbezüglichen Sachverhalt siehe EuGRZ 1982, S. 143. 6 Series B, Vol. 58, S. 9 ff.; siehe zur Sache Öztürk ebenfalls EuGRZ 1982, S. 288 (zum Bericht der EKMR nach Art. 31 MRK a.F.); EuGRZ 1983, S. 17 (hier: Nr. 90); HRLJ 3 (1982), S. 460.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Dieser Auffassung trat der Gerichtshof entgegen. Zwar stellte er fest, dass es sich nach dem Wortlaut der Konventionsnorm um eine strafrechtliche Handlung oder diesbezügliche Anklage handeln muss und das deutsche Recht bestimmte Tatbestände als Ordnungswidrigkeiten durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten von 1968/1975 nach dem Vorbild früherer Regelungen aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen hatte. Er betonte zusätzlich, dass es den Staaten grundsätzlich frei stehe, verschiedene Kategorien von Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. 7 Der Europäische Gerichtshof für Menschemechte machte auf der anderen Seite jedoch auch deutlich, dass diese innerstaatliche Unterscheidung für die Anwendung der Konvention aufgrund von deren Sinn und Zweck irrelevant ist. Eine solche Betrachtung sei von Nöten, um der Gefahr vorzubeugen, dass die (Konventions-)Mitgliedstaaten nach ihrem Belieben die Beachtung und Anwendbarkeit der dort festgelegten Menschemechte unterwandern, indem sie innerstaatlich bestimmte Tatbestände nicht als Strafrecht definierten. 8 Der Gerichtshof legte seinem Urteil demzufolge einen eigenständigen Begriff der "strafbaren Handlung" zugrunde, wonach drei Kriterien erfüllt sein müssen, um eindeutig von einer "Straftat" sprechen zu können. Diese drei Kriterien, die der Gerichtshof schon im Fall Engel u. a. 9 entwickelt hatte, sind nach seiner Auffassung: • Gehört die fragliche Zuwiderhandlung im Rechtssystem des beklagten Staates dem Strafrecht oder einem verwandten Rechtsbereich an? • Wie lässt sich die Art des Vergehens und die Art und Schwere der dafür angedrohten Sanktion beurteilen (= "wahre Natur" des Vergehens und entsprechende Folgen)?
7 Nr. 49 (Series A, Vol. 73, S. 17 f. = HRLJ 5 (1984), 293 (297 f.) = EuGRZ 1985, 62 (66»: "The Convention is not opposed to States, in the performance of their task as guardians of the public interest, both creating or maintaining a distinction between different categories of offences for the purposes of their domestic law and drawing the dividing line, ... " 8 Nr. 49 a.E. (Series A, Vol. 73, S. 18 = HRLJ 5 (1984), 293 (298) = EuGRZ 1985, 62 (67»: " ... Nevertheless, if the Contracting States were able at their discretion, by classifying an offence as "regulatory" instead of criminal, to exclude the operation of the fundamental clauses of Articles 6 and 7, the application of these provisions would be subordinated to their sovereign will. A latitude extending thus far might lead to results incompatible with the object and purpose of the Convention." 9 Nr. 80 ff. (Series A, Vol. 22); siehe auch FroweinlPeukert (2), EMRK, Art. 6 Rn. 36. Diese Kriterien spielen auch heute immer noch eine Rolle bei der Frage der Anwendbarkeit der MRK: vgl. Villiger, ZStR 113 (1995), S. 284 f.; Callewaert, EuGRZ 1996, S. 367 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR.
§ 4 Der Fall Öztürk
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• Ergibt sich eine andere Betrachtung im Licht und unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Art. 6 MRK sowie des Rechts der Vertragsstaaten? Nachdem der Gerichtshof das erste Kriterium im Sinne der deutschen Bundesregierung klärte und dazu kam, dass die von Öztürk begangene Ordnungswidrigkeit nach deutschem Recht eben keine Straftat gewesen war, wendete er sich dem zweiten Kriterium zu, dem er erheblich mehr Gewicht für seine Beurteilung der Lage zusprach. Der Gerichtshof wies hier darauf hin, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sanktionsbewehrte Handlungen dem Strafrecht unterfallen. Das stützte er mit einem Verweis auf die Mehrzahl der anderen Vertragsstaaten, in denen Handlungen, die der Öztürks glichen, mit Kriminalstrafen geahndet worden wären. Die Herausnahme des fraglichen Tatbestandes aus dem deutschen Strafgesetzbuch habe an diesem inhaltlich keine Veränderungen bewirkt. Es wurden nach Auffassung des Gerichtshofs im Wesentlichen nur das Verfahrensrecht und die Art der Sanktion geändert. 1O Es handele sich aber bei der Geldbuße als einziger Sanktion aber immer noch um eine Strafsanktion, selbst wenn sie vielleicht geringfügig erscheine. Die ihr vorausgehende Verletzung von Normen (im vorliegenden Falle von Straßenverkehrsrecht) sei keinem Bürger erlaubt, was durch die Sanktion (als Abschreckung) untermauert werde. Die Geringfügigkeit einer Sanktion für eine Handlung könne zudem kein Kriterium für die Einordnung dieser Handlung als strafbar sein, da der nationale Gesetzgeber sonst eine ganze Kategorie von Straftaten dem Anwendungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention entziehen könne, indem er sie mit geringfügigen Sanktionen versehe. Mit dem Hinweis auf das damit gefundene Ergebnis, Öztürk habe eine strafbare Handlung im Sinne des Art. 6 MRK begangen, verzichtete der EGMR auf die Prüfung des dritten Kriteriums und bejahte letztlich die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK für den vorliegenden Fall. Die Verletzung der Konventionsnorm bejahte der Gerichtshof dann relativ kurz unter Verweis auf das Luedicke-UrteilY
10 Nr. 53 (Series A, Vol. 73, S. 20 = HRLJ 5 (1984), 293 (300) = EuGRZ 1985, 62 (67»: " ... Moreover, the changes resulting from the 1968/1975 legislation relate essentially to procedural matters and to the range of sanctions, henceforth limited to Geldbußen. Whilst the latter penalty appears less burdensome in some respects than Geldstrafen, it has nonetheless retained a punitive character, ... " 11 Nr. 58 (Series A, Vol. 73, S. 22 = HRLJ 5 (1984), 293 (301) = EuGRZ 1985, 62 (68»: "On the basis of the above-cited judgment, the Court finds that the impugned decision of the Heilbronn Distriet Court violated the Convention ... " 7 Kieschke
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Wie oben schon angedeutet, soll an dieser Stelle noch kurz auf die abweichenden Auffassungen der an der Entscheidung beteiligten Richter eingegangen werden. Die Richterin Bindschedler-Robert (Schweiz) gab grundsätzlich zu, dass es dem Gerichtshof obliege, sich zu vergewissern, dass eine (national-)staatliche Normqualifizierung, mit der normwidrige Handlungen entgegen dem Sinn und Zweck der Konvention aus deren Anwendungsbereich genommen werden können, nicht missbräuchlich erfolge. Sie kritisierte jedoch die zur Beurteilung angewandten Kriterien, die es dem Gerichtshof versagten, sich genauer mit dem Prozess der Entkriminalisierung von Handlungen zu befassen. Hier habe der EGMR konkret die wahr.e Bedeutung der Herausnahme von bestimmten Tatbeständen aus dem deutschen Strafgesetzbuch verkannt und übersehen, dass darin nicht nur eine formalrechtliche Veränderung liegt. Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK wäre dementsprechend zu verneinen gewesen. Frau Bindschedler-Robert wehrte sich zudem dagegen, die präzise geregelten Konventionsgarantien des Art. 6 MRK auf Bagatelldelikte auszudehnen, da es hier an der moralischen Verurteilung fehle, wie sie typischerweise mit der Verurteilung aufgrund von Straftaten verbunden sei. Auch Richter Liesch (Luxemburg) folgte im Grundsatz dem Gerichtshof bei dessen Missbrauchskontrolle hinsichtlich (konventions-)staatlichen Wirkens. Seiner Ansicht nach handelte es sich bei den deutschen Ordnungswidrigkeiten jedoch nicht um Straftaten, da ihnen nicht der sozialschädliche Charakter strafbarer Handlungen zukomme und somit das staatliche Interesse, diese Handlungen unter Strafe zu stellen, fehle. Die damit verbundene Sanktion der Geldbuße sei vielmehr eine bloße Ordnungsrüge, die auch von den Staatsbürgern nicht als Maßnahme empfunden werde, welche sie in ihren fundamentalen Eigenschaften tangiere. Schließlich brachte Liesch noch die Maßnahmen in anderen Mitgliedstaaten der Konvention, denen in bestimmten Fällen ein Ersatzcharakter für Strafe zukomme, als Beispiel, um zu belegen, dass hierin ebenfalls eine Entkriminalisierung lag, die dem Anwendungsbereich der Menschenrechtskonvention aus gutem Grund entzogen sei. Der aus Österreich stammende Richter Matscher ging in seinem abweichenden Votum zuerst auf die Probleme ein, die eine eigenständige Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention angesichts der verschiedensten Gesetzesregelungen der Mitgliedstaaten aufwirft. Er wendete sich dann den drei aufgestellten Kriterien des EGMR zu, deren grundlegende Motivation er auch nachvollzog, wenn er sie auch als unbegründet einschätzte. Matscher folgte ihnen daher inhaltlich nicht, wobei er insbesondere seinen Unmut über das zweite Kriterium äußerte, das er für zu wenig ausgefüllt hielt. Nach detaillierten Ausführungen zur "wahren Natur" der Ordnungswidrigkeiten kam er zu dem Ergebnis, dass sich Ordnungswidrig-
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keiten und Straftaten aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen in ihrer Rechtsnatur so weit unterschieden, dass erstere außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention blieben. Nach Auffassung von Richter Pinheiro Farinha (Portugal) hatte Öztürk durch die Rücknahme des Einspruchs gegen die Geldbuße auf sein Rechtsmittel verzichtet, was in der Konsequenz die Anwendung von Art. 6 MRK ausschloss. Eine nähere Begründung gab Pinheiro Farinha nicht ab. Der deutsche Richter Bemhardt ging wieder auf die drei Kriterien ein, mit denen der EGMR eine Handlung als "strafbar" einordnete. Auch er stimmte dem Ausgangspunkt zu, vermochte ihm aber im Ergebnis nicht zu folgen. Bemhardt betonte noch einmal die deutsche Unterscheidung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die nicht einfach von der Eigenständigkeit der Konvention überlagert werden solle. Entsprechenden Entwicklungen in den Mitgliedstaaten habe der Gerichtshof Rechnung zu tragen und sie gebührend zur Kenntnis zu nehmen. Im vorliegenden Fall könne keine illegitime Ausübung des nationalen Bestimmungsrechts gesehen werden, weshalb die deutsche Rechtsauffassung beachtlich sei, zumal es sich um Bagatellen handle. Die Schlussfolgerung, Art. 6 der Konvention sei anwendbar, sei dementsprechend nicht gerechtfertigt. Auf die Meinung des Richters Bernhardt verwies schließlich Richter Th6r Vilhjalmsson (Island), der allerdings zusätzlich ein die Meinung des Gerichtshofs stützendes Argument brachte. Er stellte auf das Ausmaß der Änderungen ab, die das Gesetz zur Entkrlminalisierung mit sich gebracht hatte. Für den konkreten Fall konnte Vilhjalmsson keine völlige verfahrensrechtliche Neuerung feststellen. Vielmehr sei das (neue) Ordnungswidrigkeitenrecht mit dem (früheren) Strafverfahrensrecht eng verbunden, was bei Beachtung dieses Umstandes von einigem Gewicht für die Argumentation im Fall Öztürk gewesen wäre. Letztendlich folgte er jedoch im Ergebnis der Argumentation von Bernhardt und schloss auf eine Nichtanwendbarkeit der Konventionsnorm im Fall Öztürk. B. Die Folgen der Entscheidung in Deutschland Nachdem der Gerichtshof eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention bejaht hatte, oblag es wiederum den drei deutschen Staatsgewalten, ihre diesbezüglichen Folgerungen zu ziehen. Dieses ist in unterschiedlichem Ausmaß geschehen, was es im Folgenden darzulegen gilt. I. Die Reaktion des bundesdeutschen Gesetzgebers
Nachdem 1979 die Begründung zur Gesetzesänderung aufgrund des Luedicke-Urteils ausdrücklich klargestellt hatte, dass sich die Rechtslage in 7"
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Bußgeldverfahren nicht ändern sollte l2 , dauerte es nach dem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahre 1984 noch geraume Zeit, bis der deutsche Gesetzgeber reagierte, was dem Straßburger Urteilsspruch die Durchsetzung in der deutschen Praxis erheblich erschwerte. \3 Hatte man 1979 noch die Verbindlichkeit des Straßburger Urteils im Fall
Luedicke u. Q. betont 14 und verhältnismäßig schnell reagiert, ließ sich der deutsche Gesetzgeber nach dem Urteil im Fall Öztürk ganze fünf (!) Jahre
Zeit, um entsprechende Veränderungen im nationalen Recht vorzunehmen. Eine Zeitperiode, in der es, wie noch zu zeigen sein wird, aufgrund divergierender Entscheidungen nationaler Gerichte zu erheblichen Rechtsunsicherheiten kam.
Über die Ursachen dieser zeitlichen Verzögerung ließe sich umfassend spekulieren. Festzuhalten ist jedoch, dass das Urteil des EGMR im Fall Öztürk im Schrifttum der Bundesrepublik Deutschland auf breite Ablehnung stieß l5 , da man hierzulande von einer so weit gehenden Differenzierung von Straf- und Bußgeldverfahren ausging, die eine (konventionsrechtliche ) Gleichstellung, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorgenommen hatte, verbiete. Aus diesem Grund stand auch die deutsche Rechtsprechung dem Urteil skeptisch gegenüber. 16 Hinzu kam, dass bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg gerade das Verfahren im Fall Lutz anhängig war, in dem es um die Frage ging, ob die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK in einem kostenpflichtig eingestellten Bußgeldverfahren verletzt sein könne. 17 Die Kommission erklärte die Beschwerde im Oktober 1985 für zulässig und BR-Drucksache 1979/637, S. 61; siehe auch BT-Drucksache 8/3691, S. 22. Lappe, NJW 1987, S. 1865, bemerkte dazu: "Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Auslegung durch den EGMR haben es nach wie vor schwer, sich ohne ausdrückliche Anpassung des nationalen Rechts durchzusetzen."; vgl. auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 603. 14 BR-Drucksache 1979/637, S. 60: "Das Urteil ist für die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 53 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbindlich." 15 Siehe nur Göhler, NStZ 1985, S. 64; Frowein/Peukert (2), EMRK, Art. 6 Rn. 50; IntKommMRK- Vogler, Art. 6 Rn. 233 ff.; zu diesem Aspekt bei der abwartenden Haltung des Gesetzgeber Odersky, GS Ryssdal, S. 1041. Eine jüngere ablehnende Stellungnahme kommt aus der Schweiz: vgl. HaejligerlSchürmann, S. 451. 16 Als Beleg dafür sei die Entscheidung KG RPfleger 1988, 330 (332) genannt, in der das Kammergericht die abwartende Haltung des deutschen Gesetzgebers als "bewusste Distanzierung von der Rechtsprechung des EGMR" wertete. 17 Es handelte sich um die Beschwerde Nr. 9912/82. Der Fall Lutz wird unten in § 8 näher behandelt werden, so dass hier auf umfassende Nachweise verzichtet wird. 12
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brachte sie vor den Gerichtshof. Die deutsche Bundesregierung, die als Beschwerdegegnerin Verfahrensbeteiligte war, hoffte daraufhin, dass der EGMR sein im Fall Öztürk gefundenes Ergebnis hinsichtlich der Anwendbarkeit der Menschenrechtskonvention auf das deutsche Bußgeldverfahren korrigieren werde l8 und wartete gespannt auf die diesbezügliche Entscheidung. Während dieses Zeitraums wurde eine gesetzgeberische Reaktion auf das Öztürk-Urteil vertagt. 19 In seinem Urteil vom 25. August 198720 verneinte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dann zwar zugunsten der Bundesrepublik Deutschland eine Konventionsverletzung, betonte allerdings ebenfalls seine Auffassung, dass Bußgeldverfahren als Strafverfahren im Sinne der Konvention anzusehen sind. 21 Eine erhoffte Korrektur des Urteils im Fall Öztürk war damit entgegen den Erwartungen des Bundesjustizministeriums nicht erfolgt. 22 Zusätzlich geriet die Bundesregierung durch zwei Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 04. und 05. März 1986 unter Druck, mit denen zwei Beschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland, welche die gleiche Sachlage wie im Fall Öztürk betrafen, unter ausdrücklichen Verweis auf dieses Urteil für zulässig erklärt wurden. 23 Die Kommission erklärte beide Beschwerden auch für begründet 18 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte dazu fest: "The Govemment appeared, in fact, to be criticising the Öztürk judgment for not having considered the nature and degree of severity of the penalty that the person concerned risked incurrlng. They claimed that it thereby differed from the Engel and Others judgment of 8 June 1976." (= Nr. 55, Series A, Vol. 123-A). 19 Vgl. Kühl, ZStW 100 (1988), S. 604; Odersky, GS Ryssdal, S. 1041. Kritisch zu dieser Vorgehensweise Frowein, HStR, § 180 Rn. 52; Frowein/Peukert (2), EMRK, Art. 53 Rn. 9 sowie Zimmer, ZAR 1998, S. 122; diesbezüglich a. A. zunächst Bemhardt, Symposion 1999, S. 154, der den Staaten zugesteht, Rechtsauffassungen des EGMR, die sie für falsch halten, in einem zweiten Verfahren korrigieren oder bestätigen zu lassen. Für den Fall allerdings, dass der EGMR seine frühere Rechtsauffassung bestätigt, postuliert Bernhardt an anderer Stelle eine unbedingte Pflicht des Staates zur Änderung der nationalen Rechtsordnung (ders., FS Doehring, S. 28 f.). 20 Series A, Vol. 123-A = YB 30 (1987), 144 ff. 21 Nr. 53 (Series A, Vol. 123-A, S. 22): "The issue raised in the present case is therefore broadly the same as the one already decided in the judgment of 21 February 1984. The Court sees no reason to depart from that decision, especially as the Government, the Commission and counsel for the applicant reiterated, or else referred to, the arguments they had put forward in the Öztürk case." 22 Zum ganzen auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 604; kritisch zum Ergebnis der Entscheidung des EGMR Göhler, NStZ 1988, S. 65. 23 Es handelt sich um die Beschwerden Nr. 10551/83 - Zengin ./. Deutschland und Nr. 11394/85 - Akdogan ./. Deutschland; siehe auch EuGRZ 1987, S. 392. Daneben waren bis 1990 noch weitere Beschwerden bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte anhängig. Dazu unten im Exkurs.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
und erkannte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK. Damit stand eine weitere Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR oder das Ministerkomitee im Raum. Der bundesdeutsche Gesetzgeber konnte somit schon aus politischen Gründen nicht mehr untätig bleiben?4 Im November 1987 waren dann immerhin bezüglich der Folgerungen aus dem Öztürk-Urteil beim Bundesministerium der Justiz "erste Überlegungen im Gange,,25. Die Anpassung des deutschen Rechts an das Öztürk-Urteil aus Straßburg geschah durch Gesetz vom 15. Juni 198926 , dem ein Gesetzesentwurf des Bundesrates 27 vorausgegangen war, der land- und forstwirtschaftliehe Kostenregelungen betraf. In der Folge hatte sich jedoch der Rechtsausschuss des Bundestages mit dem Entwurf befasst und ihn um weitere kostenrechtliche Änderungen ergänzt. Gleichzeitig unterrichtete das Bundesministerium für Justiz das Ministerkomitee des Europarates von dem geplanten Vorhaben. 28 In seiner Beschlussempfehlung und Bericht vom 20. April 198929 nahm der Rechtsausschuss dann ausdrücklich auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bezug. Im Lösungsansatz der Beschlussempfehlung heißt es auf Seite 2: " ... Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird durch eine Änderung des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz und der Strafprozeßordnung zu den Kosten eines notwendigen Dolmetschers oder Übersetzers im Strafverfahren oder im gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Rechnung getragen . ... " [Hervorhebungen durch Verf.]
Desgleichen wird im Bericht zur Änderung der Nr. 1904 KVGKG ausgeführt: " . . . Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dem gegen die Bundesrepublik Deutschland anhängig gewesenen Fall Öztürk mit Urteil vom 21. Februar 1984 (Veröffentlichungen des Gerichtshofes Serie A Band 73) entschieden, 24 Kühl, ZStW 100 (1988), S. 639; auf die weiteren anhängigen Beschwerden verweist schließlich auch Odersky, GS Ryssdal, S. 1042. 25 LG Heilbronn EuGRZ 1991, 185 (186). 26 Artikel 2 des Gesetzes zur Regelung des Geschäftswertes bei land- und forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben und zur Änderung sonstiger kostenrechtlicher Vorschriften, BGBl. 1989 I, S. 1082 (hier: 1083); EuGRZ 1989, S. 350 f.; zur hier relevanten Gesetzesänderung siehe auch Otto/Schnigula, JurBüro 1989, Sp. 897 ff. 27 BR-Drucksache 11/2343. 28 Vgl. die Zwischen-Entschließung des Ministerkomitees DH (89) 8 vom 02. März 1989. Sie ist in YB 32 (1989), 234 f. sowie in vollem Wortlaut und nichtarntlicher Übersetzung in EuGRZ 1989, S. 328 nachzulesen. Das Ministerkomitee nahm die Absicht des Bundesjustizministeriums zur Kenntnis und vertagte vorerst eine weitere Überwachung. 29 BT-Drucksache 11/4394.
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daß das Recht nach Artikel 6 Abs. 3 Buchstabe e der Menschenrechtskonvention auch einem Betroffenen in einem gerichtlichen Verfahren nach dem deutschen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten zusteht. Diese Auffassung hat er im Urteil ... Lutz bekräftigt. Die vorgeschlagene Änderung trägt ihr Rechnung. ,,30
Durch das letztlich verabschiedete Gesetz wurden sowohl der Wortlaut der Nr. 1904 Satz 2 KVGKG neu gefasst als auch der heutige § 464c in die Strafprozessordnung eingefügt. Nr. 1904 KVGKG erhielt nun folgende Fassung: "Ist für einen Beschuldigten oder Betroffenen, der der deutschen Sprache nicht mächtig, taub oder stumm ist, im Strafverfahren oder im gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ein Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen worden, um Erklärungen oder Schriftstücke zu übertragen, auf deren Verständnis er zu seiner Verteidigung angewiesen ist, werden von diesem die dadurch entstandenen Auslagen nur erhoben, wenn das Gericht ihm diese nach § 464c StPO oder die Kosten nach § 467 Abs. 2 Satz 1 StPO, jeweils auch i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG, auferlegt hat." [Hervorhebungen durch Verf.]
Soweit ersichtlich, bezog sich die Absicht des Gesetzgebers vorrangig auf die Änderung des Kostenverzeichnisses zum GKG. Die Einführung des § 464c StPO erfolgte hingegen aus autonomen Motiven. Im diesbezüglichen Abschnitt des Berichts des Rechtsausschusses wird nicht auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bezug genommen, wenn wohl auch eine gewisse Verbindung zu den Urteilen des EGMR in den Fällen Luedicke, Belkacem und Kor sowie Öztürk nicht zu leugnen sein wird. Es ist jedoch auch auf die Entscheidung der EKMR vom 9. Dezember 198731 hinzuweisen, die augenscheinlich für die Einführung des Paragrafen mitbestimmend war?2 Festzuhalten bleibt, dass der deutsche Gesetzgeber seiner völkerrechtlichen Pflicht gemäß Art. 53 MRK a.F. im Jahre 1989 erst nach jahrelangem Zögern nachgekommen ist?3
BT-Drucksache 11/4394, S. 8 (11). Beschwerde Nr. 11311/84 - Mario Fedele ./. Bundesrepublik Deutschland, abgedruckt in EuGRZ 1989, S. 329. Die Kommission bestätigte die Auffassung des EGMR und befand, dass für Fedele ein Anspruch auf unentgeltlichen Beistand eines Dolmetschers in dessen vor Gericht verhandelten Bußgeldverfahren bestanden hatte. Dies sollte aber nicht für die Termine gelten, zu denen er nicht erschienen war, da der Dolmetscher einer nicht anwesenden Person nicht "beistehen" könne. 32 Ebenso Ernst, S. 287 f.; Simon, S. 170 sowie Kühne (5), Strafprozessrecht, Rn. 41 (Fn. 30). 33 Der diesbezügliche Abschlussbericht des Ministerkomitees DH (89) 31 (= YB 32 (1989), 248 f.) datiert vom 10. November 1989. Das Ministerkomitee betrachtete damit das (Überwachungs-)Verfahren gemäß Art. 54 MRK a.F. als abgeschlossen. 30
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers 11. Die Reaktion der Exekutive
Mit dem Zögern des Gesetzgebers geht auch eine zögerliche Reaktion der deutschen (Justiz-) Verwaltungs behörden einher. Schon Ende August 1979 hatte der Berliner Senator für Justiz unter Verweis auf die Meinungen des Bundesministers für Justiz und der anderen Landesjustizverwaltungen in einem Schreiben34 betont, dass Art. 6 MRK trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Luedicke u. a. auf das Bußgeldverfahren keine Anwendung finde, da es sich hierbei nicht um ein Strafverfahren handele und die Rechtsfolge des Bußgeldes nicht in den Schutzbereich der Konvention falle. Diese Auffassung erfuhr nach dem Urteil im Fall Öztürk vorerst keine wesentliche Änderung. In einem Schreiben vom 08. Juni 198435 an alle Landesjustizverwaltungen wies das Bundesjustizministerium diese darauf hin, dass durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das innerstaatliche Recht nicht geändert worden sei. Das Straßburger Urteil verpflichte nur völkerrechtlich und stelle die dazu nötigen Folgerungen letztendlich in das Ermessen der "Verfassungsorgane der Bundesrepublik". Hierbei betonte das Bundesjustizministerium, dass Urteilen des EGMR hinsichtlich des Bestandes innerstaatlicher Entscheidungen im konkreten Fall keine unmittelbare Wirkung in Deutschland zukomme. Es müsse vorerst noch geprüft werden, welche Folgerungen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Öztürk gezogen werden sollten. Ähnlichen Inhalts war das Schreiben des Bundesjustizministeriums vom 24. September 1985 in dem den Landesjustizverwaltungen noch einmal bestätigt wurde, dass "der Sachstand unverändert" und insofern auch weiterhin noch keine gesetzgeberische Reaktion zu erwarten sei. 36 Erst mit der Gesetzesänderung im Jahre 1989, die zum 01. Juli 1989 in Kraft trat, war diese "Prüfung" abgeschlossen. Von nun an konnte aus Sicht der Landes34 Teilweise abgedruckt bei Strate, InfAuslR 1979, S. 53. Auf zwei weitere Schreiben des Bundesjustizministers vom 23. Dezember 1981 sowie des nordrheinwestfälischen Justizministers vom 15. Juni 1979 weist Stenger, S. 61 (Fn. 165) hin. Die Einsichtnahme dieser Schreiben wurde dem Verfasser von den zuständigen Stellen verweigert. 35 Das Schreiben vom 08. Juni 1984 (Az 5622 - 14 730/84) wurde dem Verfasser freundlicherweise vom Bundesjustizministerium zur Verf~~ung gestellt und konnte somit präziser ausgewertet werden. Es bereitete im Ubrigen erhebliche Schwierigkeiten, an weitere entsprechende Schreiben zu gelangen. 36 Vgl. die Verweise auf beide Schreiben in den Entscheidungen der EKMR vom 04. März 1986, 05. März 1986 sowie 05. Juli 1988 im Rahmen der Beschwerden Nr. 10551/83 - Zengin und Nr. 11394/85 - Akdogan sowie bei Kühl, ZStW 100 (1988), S. 604 f. und S. 639; zu den beiden Beschwerden siehe auch unten § 4 B. III. 3. b).
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justizverwaltungen die Praxis an den Gerichten dem Urteil aus Straßburg angepasst werden. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass sich die eben gemachten Ausführungen ausschließlich auf die Landesjustizverwaltungen und das gerichtliche Verfahren beziehen. Vor der allgemeinen Verwaltungsbehörde, die gemäß § 35 OWiG im Bußgeldverfahren tätig wird, findet Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK nach allgemeiner Auffassung 37 keine Anwendung, so dass sich in der allgemeinen Behördenpraxis in Ordnungswidrigkeitenverfahren auch kein positiver Einfluss des Öztürk-Urteils belegen lässt. IH. Die Reaktion der Rechtsprechung und der (strafverfahrensrechtlichen) Literatur38
Zur Freistellung von den Auslagen für einen im Ordnungswidrigkeitenbzw. Bußgeldverfahren hinzugezogenen Dolmetscher sind bisher insgesamt 23 Entscheidungen39 deutscher Gerichte ergangen, von denen die zeitlich letzte Entscheidung vom Oktober 198840 datiert. Auf die unveröffentlichten Entscheidungen, auf die beispielsweise LG Düsseldort l , LG Stuttgart42 sowie Mümmler43 verweisen, kann hier aufgrund der erschwerten Zugänglichkeit und der Dunkelziffer anderer relevanter Entscheidungen nicht eingegangen werden. Sie werden ebenfalls nicht zahlenmäßig berücksichtigt. Zur Verdeutlichung wird jedoch an den betreffenden Stellen in den Fußnoten darauf zurückzukommen sein. 37 Statt vieler Oestreich/WinteriHelistab, Nr. 9005 Rn. 6 (S. 525) sowie KKOWiG(2)-Lampe, § 46 Rn. 9. Zum gesetzgeberischen Hintergrund: Otto/Schnigula, JurBüro 1989, Sp. 899 (oberster Absatz). 38 Lesenswert dazu auch der Bericht von Ress, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 275 ff. 39 Der Beschluss des LG Heilbronn vom 20. Januar 1987 - 3 Qs 777/86 - befasste sich zwar mit der Frage, ob es vonnöten sei, den Bußgeldbescheid zu übersetzen, wurde aber hier aufgrund der Sachnähe ebenfalls mitgezählt. 40 Beschl. des LG Baden-Baden v. 05. Oktober 1988, JurBüro 1989, 87. 41 LG Düsseldorf, Beschl. v. 17. 10. 1984 - Qs 195/84, JurBüro 1985,427 verweist auf LG Lübeck v. 02. 04. 1984 - 6 Qs 218/83; LG Berlin v. 03. 05. 1984 501 Qs 1183/83 OWi; LG Hamburg v. l3. 07. 1984 - 32 Qs OWi 52/84; AG Dortmund v. 22. 08. 1984 - 83 OWi 21 Js1944/83. 42 LG Stuttgart, Beschl. v. 13. 12. 1984 - 12 Qs 306/83, JurBüro 1985, 1069 verweist u. a. auf LG Duisburg v. 14. 12. 1977 - IV Qs 202/77; LG Bonn v. 16.08. 1978 - l3 Qs 108/78; LG Karlsruhe v. 20. 10. 1982 - III Qs 65/82; LG Frankfurt a.M. v. 10.07. 1984 - 5/9 Qs OWi 1805/81. 43 In seiner Anmerkung zum Beschl. des LG Ansbach vom l3. Mai 1986, JurBüro 1986, Sp. 1858 verweist er auf AG Oberhausen v. 20. 09. 1984 - 20 OWi 78a Js 254/84 sowie AG Unna v. 12. 10. 1984 - 10 OWi 26 Js 2401/83.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich 1984 ebenfalls mit den Dolmetscherkosten im Ordnungswidrigkeitenverfahren aufgrund einer Verfassungsbeschwerde zu beschäftigen44 , nahm die Sache jedoch nicht zur Entscheidung an, weil sie keine verfassungsrechtlichen Fragen aufwarf. Demgemäß erfolgte zum hier behandelten Problem keine ausdrückliche Stellungnahme aus Karlsruhe. Immerhin legte das BVerfG seine Auffassung dar, dass "das Recht der Ordnungswidrigkeiten und das allgemeine Strafrecht sich in wesentlichen Punkten unterscheiden". Eine Aussage zur Anwendbarkeit des Art. 6 MRK traf es dabei jedoch nicht. 1. Gerichtsentscheidungen im Vorfeld des Öztürk-Urteils
Bis zum Urteil des EGMR vom 21. Februar 1984 im Fall Öztürk finden sich 11 veröffentlichte Entscheidungen deutscher Gerichte, die zu dem Problem Stellung nahmen, ob der im Bußgeldverfahren verurteilte Ausländer von der Pflicht, die staatlichen Auslagen für einen hinzugezogenen Dolmetscher selbst zu tragen, befreit werden könne oder solle. Dabei wurde diese Pflicht 6 mal verneint45 und 5 mal bejaht46 . Das Verhältnis zwischen bejahenden und verneinenden Entscheidungen war also nahezu aus geglichen. 47 Die Gerichte diskutierten hierbei überwiegend die Frage, ob die Garantie des Art. 6 Abs. 3 der Menschenrechtskonvention im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht einschlägig sei. Häufig wurde die Anwendbarkeit der Konventionsgarantie noch mit dem Hinweis darauf verneint, dass diese sich auf Strafverfahren beziehe und das deutsche Ordnungswidrigkeitenverfahren eben kein Strafverfahren sei, sondern die abweichenden Besonderheiten in Verfahren wegen begangener Ordnungswidrigkeiten eine andere Betrachtung rechtfertigen und Bußgeldverfahren nicht dem Schutz der Menschenrechtskonvention unterstellten. 48
44 Beschl. v. 25. Juni 1984 - 2 BvR 1383/82. Der Beschluss des BVerfG ist unter Abdruck des vollen Wortlauts der Gründe in EuGRZ 1986,439 veröffentlicht. 45 LG Ansbach NJW 1979, 2484; LG Hechingen JurBüro 1980, 102; LG München 11 NStZ 1982, 124; LG Verden JurBÜfo 1984, 259; AG Bremen-Blumenthal AnwBl. 1980,218; AG Mannheim EuGRZ 1983, 113. 46 OLG Celle NJW 1960, 880; LG Stuttgart Die Justiz 1982, 375; LG FrankenthaI JurBüro 1982, 1702; LG Nürnberg-Fürth JurBüro 1983,412 sowie dasselbe in JurBüro 1983, 1347. 47 Im Ergebnis auch Simon, S. 178: 9 verneinende und 10 die Pflicht zur Kostentragung bejahende Entscheidungen bis zum Februar 1984. 48 Zuerst OLG Celle NJW 1960, 880 (881); siehe auch LG FrankenthaI JurBüro 1982, 1702 (mit Nachweisen zu Gegenauffassung (a.a.O., Sp. 1703» sowie LG Nürnberg-Fürth JurBüro 1983, 1347 (1348).
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Das LG Stuttgart49 nahm zusätzlich auf die als Reaktion auf das Urteil des EGMR in den Fällen Luedicke u. a. erfolgte Änderung der Nr. 1904 KVGKG Bezug, die ausdrücklich "Strafverfahren" betraf, Bußgeldverfahren jedoch nach seiner Auffassung nicht berührte. Das Gericht ließ die Frage, ob Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK auf das Bußgeldverfahren anwendbar sei, unter Verweis auf die Neufassung des Kostenverzeichnisses als lex posterior ausdrücklich dahinstehen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Luedicke u. a. hatte jedoch auch einen ganz anderen Effekt; bewegten doch die dortigen Äußerungen zum Recht des Ausländers auf ein faires Verfahren und Verhinderung von sprachbedingten Nachteilen einige deutsche Strafgerichte, die endgültige Unentgeltlichkeit eines Dolmetschers auch für das Bußgeldverfahren anzunehmen, sofern das Verfahren vor ein deutsches Gericht gelangt war. Für diesen Fall sollte nichts anderes gelten als für "normale" gerichtliche Strafverfahren. 50 Das betonte auch LG Hechingen51 , indem es die tragende Argumentation des Luedicke-Urteils aufgriff und gleichzeitig ausführte, dass der enge Zusammenhang zwischen deutschem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht erfordere, die Konventionsgarantie auch auf letzteres zu erstrecken. Die Einordnung einer Tat als Ordnungswidrigkeit oder Straftat sei letztlich willkürlich. 52 Schließlich könne auch nicht auf die "Geringfügigkeit" der Geldbußen abgestellt werden53 , da wirtschaftliche Argumente außen vor zu bleiben hätten. 54 Das Amtsgericht Mannheim55 nahm in seinem Beschluss vom 10. Januar 1983 zur Neufassung der Nr. 1904 KVGKG Stellung und führte aus, dass sich die dort und in Nr. 1914 KVGKG getroffenen Regelungen nur auf "das dem gerichtlichen Verfahren vorausgehende Bußgeldverfahren" bezögen und somit Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK gar nicht berührt (geschweige denn durch eine lex posterior verdrängt) sein könne.
Beschl. v. 04. 02. 1982 - XII Qs 20/82, Die Justiz 1982, 375. LG Ansbach NJW 1979, 2484, das neben anderen auch den Bericht der EKMR im Fall Luedicke u. a. erwähnt; illustrativ auch LG München 11 NStZ 1982, 124. 51 Beschl. v. 01. 08. 1979 - Qs 126179, JurBüro 1980, 102 (103). 52 So auch AG Bremen-Blumenthal AnwBl. 1980, 218 sowie AG Mannheim EuGRZ 1983, 113 (114). 53 So aber LG Frankenthal JurBüro 1982, 1702 (1703) sowie Mümmler, JurBüro 1984, Sp. 260. 54 LG München 11 NStZ 1982, 124 unter Verweis auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 08. März 1979. 55 Beschl. v. 10.01. 1983 - 27 OWi 143/80 -, EuGRZ 1983, 113. 49
50
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
2. Gerichtsentscheidungen nach dem Öztürk-Urteil
Nach dem Urteil des EGMR in der Sache Öztürk finden sich 12 Veröffentlichungen 56 deutscher Strafgerichte in den einschlägigen Zeitschriften, die sich mit der Kostenpflicht für einen Dolmetscher im Ordnungswidrigkeitenverfahren befassen. Ausnahmslos wird hier auf das verhältnismäßig junge Öztürk-Urteil Bezug genommen. 57 Das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil dabei verstärkt Ausführungen zur Bindung an das Urteil aus Straßburg und dem Verhältnis nationaler Gerichte zum EGMR getroffen wurden, während die materiellrechtliche Argumentation zur Begründung der Kostentragungspflicht des verurteilten Ausländers im Wesentlichen unverändert blieb und den Ausführungen deutscher Gerichte vor Ergehen des Öztürk-Urteils entsprach. Immerhin fünf Gerichte entschieden sich dafür, der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu folgen. Die Mehrheit der (veröffentlichenden) Gerichte58 passte ihre Rechtsprechung nicht dem Straßburger Urteil an und bejahte eine Pflicht des verurteilten Ausländers, die im Bußgeldverfahren entstandenen Dolmetscherauslagen zu übernehmen. Ihre Reaktion ist dabei untrennbar mit dem Zögern des Gesetzgebers hinsichtlich der Änderung des Kostenverzeichnisses im GKG verbunden. Die Gerichte sahen sich gänzlich durch die bestehende Fassung der Nr. 1904 KVGKG gehindert, die sich vom Wortlaut her eindeutig nur auf "Strafverfahren" bezog. Aufgrund des daraus folgenden Fehlens einer Gesetzeslücke und im Hinblick auf den Wortlaut als Auslegungsschranke59 sollte für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf das Bußgeldverfahren kein Raum bleiben. Als "lex posterior" verdränge die Vorschrift Vgl. Anhang 11.3. Die Ansicht des EGMR in der Sache Öztürk, eine (deutsche) Ordnungswidrigkeit sei als "stratbare Handlung" im Sinne der MRK zu behandeln, wurde ebenfalls von OLG Köln NStZ 1987, 564 angesprochen. Der Beschluss des OLG erging jedoch in der Hauptsache zu der Frage, ob die Immunität eines Europaabgeordneten die Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit hindert und wird deswegen hier nicht weiter berücksichtigt. 58 Anders stellt sich das Verhältnis bei Simon (a. a. 0., S. 178) dar, der 10 Gerichtsentscheidungen aufführt, welche die Anwendung der Konventionsgarantie im Ordnungswidrigkeitenverfahren annehmen. Demgegenüber stellt er 4 dieses verneinende Gerichte, wobei er drei Entscheidungen, die nach dem Beschluss des KG im Januar 1988 ergangen sind, nicht berücksichtigt. Die betreffenden Gerichte (LG Baden-Baden, LG Bielefeld sowie LG Heilbronn) haben sich jedoch ebenfalls gegen die Dolmetscherkostenbefreiung im Bußgeldverfahren ausgesprochen. 59 KG RPfleger 1988, 330 (332); einen eindeutigen Wortlaut als Auslegungsschranke betonte auch schon D. Meyer, JurBüro 1980, Sp. 324 im Zusammenhang mit der Frage, ob entgegenstehende deutsche Normen konventionskonform auszulegen seien. 56
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§ 4 Der Fall Öztürk
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die Bestimmung der Menschenrechtskonvention und verhindere deren Berücksichtigung. 6o Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde allgemein als reine Feststellung einer Konventionsverletzung durch Deutschland angesehen und eine Bindungswirkung für die nationalen Gerichte verneint. 61 Vielmehr wurde betont, dass nationale Gerichte an bestehende nationale Gesetze gebunden seien und insofern allein die entsprechende Regelung im Kostenverzeichnis beachtlich sei. Der deutsche Gesetzgeber habe seinerseits seiner entsprechenden Verpflichtung aus dem ÖztürkUrteil noch nicht Folge geleistet. Nationalen Gerichten stände es aber nicht zu, dem Gesetzgeber vorzugreifen. 62 Die Gerichte, welche eine Anwendung der Konventionsgarantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK bejahten, nahmen an diesem Argument allerdings keinen Anstoß. Die Änderung des Kostenverzeichnisses zum GKG sei zur Klarstellung und in Anpassung des deutschen Rechts an das Luedicke-Urteil des EGMR erfolgt. Es sei gerade nicht der Zweck verfolgt worden, die entsprechende Konventionsgarantie zu verdrängen oder ihr entgegenzustehen. 63 Die Bestimmung der Menschenrechtskonvention sei somit beachtlich und im Lichte des EGMR-Urteils auszulegen. 64 Dieses solle jedenfalls so lange gelten, bis der Gesetzgeber eine entgegenstehende Regelung treffe.65 60 So ausdrücklich LG Heilbronn, dessen Beschluss vom 02. März 1988 in EuGRZ 1991, 185 in vollem Wortlaut abgedruckt ist. Die dort behandelte Sache ging später als Individualbeschwerde vor die Europäische Kommission für Menschenrechte (Nr. 14261/88 - S. Shanmukanathan ./. Bundesrepublik Deutschland) und fand ihren Abschluss im Jahre 1990 nach einer gütlichen Einigung. Mit der gleichen Argumentation verneinte das Landgericht schon in einem unveröffentlichten Beschluß vom 31. Mai 1985 eine Kostenbefreiung. Der Inhalt dieses Beschlusses des Landgerichts ist kurz in der Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 13. Juli 1987 im Fall Rajaratnam (Beschwerde Nr. 11665/85) wiedergegeben. Dort wird es allerdings als LG Heidelberg zitiert. Siehe zu beiden Beschwerden näher unten § 4 B. III. 3. c). 61 D. Meyer, JurBüro 1980, Sp. 324 betont, dass laut Art. 53 a.F. MRK die Staaten und nicht deren unabhängige nationale Gerichte unmittelbare Adressaten eines Urteils des EGMR sind. Ebenso D. Meyer (1), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, Anlage 6 (KFV) Rn. 59 (S . 533). Weiter geht LG Osnabrück JurBüro 1986, 1224 (1225), das dem EGMR zudem in der Sache nicht folgt, da dieser nach seiner Auffassung "Sinn und Zweck des Ordnungswidrigkeitengesetzes verkennt". 62 KG RPfieger 1988, 330 (332). D. Meyer, JurBüro 1980, Sp. 324 betonte unmittelbar nach dem Luedicke-Urteil, es sei nicht Sache der Gerichte, "Auslegungsschranken zu beseitigen", sondern dieses dem Gesetzgeber obliege. In diesem Sinne auch Göhler, NStZ 1985, S. 64 sowie Uerpmann, S. 114 f., der zwar zugibt, dass der Gesetzgeber 1980 einer "Fehleinschätzung" erlegen war, demgegenüber die Korrektur dieser Fehleinschätzung im Falle Öztürk allerdings allein ihm vorbehalten will. 63 LG Stuttgart JurBüro 1985, 1069 (1070) betonte dabei unter Verweis auf eine teilweise in der Literatur vertretene Ansicht, dass die MRK "neues widersprechendes Bundesrecht aus ihrer völkerrechtlich verpflichtenden Kraft" verhindere.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
Mit dieser Argumentation setzten sich diese Gerichte zu Recht über eine bestehende und gültige deutsche Rechtsnorm hinweg, deren Wortlaut geradezu gebot, die Dolmetscherauslagen allein in Strafverfahren der Staatskasse aufzubürden und auch mit Blick auf die Gesetzesmaterialien nicht anders ausgelegt werden konnte. Dennoch folgten deutsche Gerichte einem Urteil aus Straßburg und entschieden sozusagen contra legern, was für die Frage nach der Wirkung der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf das deutsche Strafverfahrensrecht von großer Bedeutung ist - wird hier doch der Straßburger Gerichtsbarkeit Anerkennung gezollt. Nach 1988 wurden (soweit ersichtlich) keine Entscheidungen deutscher Gerichte zu dem hier behandelten Problemkreis veröffentlicht. Das mag auch nicht weiter verwundern, da die viel beschworene Gesetzesänderung 1989 erfolgte66 und die Gerichte, die eine Kostenpflicht des Betroffenen unter Verweis auf das Untätigbleiben des Gesetzgebers bejaht hatten, nicht mehr gehindert waren, in Anwendung geltenden nationalen Rechts ihre Rechtsprechung dem Straßburger Urteil anzupassen. Es entspricht nunmehr der heute herrschenden Auffassung, von ausländischen Betroffenen im gerichtlichen Verfahren wegen Bußgeldangelegenheiten keine Dolmetscherauslagen zurück zu fordern. Ihren normativen Ausdruck findet diese Regelung in der heutigen Nr. 9005 KVGKG. 3. Exkurs: Zwischen 1980 und 1990 in Straßburg anhängige Individualbeschwerdeverfahren gegen Deutschland mit Bezug zum Öztürk-Urteil 67
An dieser Stelle soll ein kurzer Blick auf die während der Zeit zwischen dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Öztürk und dem Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers im Jahre 1989 in Straßburg anhängigen Individualbeschwerdeverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich von Dolmetscherkosten in Ordnungswidrig64 LG Wuppertal JurBüro 1987, 402 (403) lässt hier allerdings ausdrücklich offen, ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbindlich ist. 65 So ausdrücklich LG Ansbach JurBüro 1986, 1857, das damit doch indirekt die stärkere Bindung an das nationale Recht zugibt. Auf eine ausdrückliche entgegenstehende Regelung stellt auch KK-OWiG(1)-Lampe. § 46 Rn. 11 a.E. ab. 66 Die dazugehörige Gesetzesinitiative wurde schon im November 1987 vom Bundesrat eingebracht. Der Wille des Gesetzgebers, das innerstaatliche Recht im Sinne des Straßburger Urteils anzupassen, wurde insofern spätestens 1988 erkennbar; siehe auch Simon. S. 179 f. 67 Zu dem Problem der - zeitgleich zur in Deutschland aufgrund des Öztürk-Urteils erfolgten Gesetzesanpassung - in Straßburg anhängigen Verfahren auch Rogge. EuGRZ 1991, S. 161.
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keitenverfahren erlaubt sein. Trotz der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im Fall Öztürk wurde in einzelnen Fällen den Betroffenen wie eben geschildert - dennoch die Kosten für einen im Ordnungswidrigkeitenverfahren vor Gericht hinzugezogenen Dolmetscher mit Blick auf die fehlende gesetzgeberische Reaktion auferlegt. Infolgedessen wurden auch nach 1984 diesbezüglich Individualbeschwerden wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention weiterhin eingelegt. a) Die Beschwerden von G. M. sowie A. P. Die zwei zuerst zu schildernden Fälle haben ihren Ursprung noch vor der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im Fall Öztürk. Etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Einreichung von dessen Beschwerde in Straßburg, wurde dort eine weitere Beschwerde68 , die sich gegen die Auferlegung von Dolmetscherkosten im Ordnungswidrigkeitenverfahren richtete, registriert, der ein dreiviertel Jahr später noch eine diesbezügliche Beschwerde69 folgte. Die Bundesrepublik Deutschland wurde im Juli 1981 unter Verweis auf den gleichfalls anhängigen Fall Öztürk von beiden Beschwerden unterrichtet und im Dezember 1984 (nach dem Urteil des EGMR im Fall Öztürk) unter Fristsetzung um eine diesbezügliche Stellungnahme gebeten. 7o Nachdem die Bundesregierung noch im September 1985 erfolgreich eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme für beide Verfahren erreichte, infonnierte sie die Kommission im Dezember 1985 - in der Zwischenzeit war der Bericht der Kommission im Fall Lutz erschienen (Art. 31 MRK a.F.), der mit 7 zu 5 Stimmen eine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt hatte -, dass sie die Absicht habe, beide Verfahren gütlich beizulegen. Beiden Beschwerdeführern wurden nach einer gegenseitigen Vereinbarung ihre schon gezahlten Dolmetscherkosten zurückerstattet und ihnen zudem eine Entschädigung für die ihnen in den deutschen Verfahren sowie dem Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte entstandenen Kosten und Auslagen gezahlt. Im Gegenzug erklärten die Be68 Beschwerde Nr. 8796/79 vom 28. 09. 1979 - G. M. .I. Bundesrepublik Deutschland. 69 Beschwerde Nr. 9026/80 vom 29. 05. 1980 - A. P. ./. Bundesrepublik Deutschland. 70 Siehe Art. 42 Abs. 2 Buchst. b VerfO-KOM: [Die Kommission kann] " ... b. dem Hohen Vertragschließenden Teil, gegen den sich die Beschwerde richtet, von der Beschwerde Kenntnis geben und ihn auffordern, gegenüber der Kommission zur Beschwerde schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme wird dem Beschwerdeführer mitgeteilt, der darauf schriftlich erwidern kann."
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
schwerdeführer die Beschwerden für erledigt und sich mit deren Streichung aus dem Register einverstanden. Die Kommission strich daraufhin beide Beschwerden gemäß Art. 44 Abs. 1 Buchst. a VerfO-KOM aus dem Register. 71 b) Die Beschwerden von C. Zengin sowie A. Akdogan Etwas anders verfuhr die Bundesregierung in den zwei schon erwähnten Beschwerden in den Fällen Zengin 72 und Akdogan73 . Nachdem das Urteil im Fall Öztürk ergangen war, informierte die Kommission im Mai 1985 die deutsche Bundesregierung von den beiden Beschwerden. Im Gegensatz zu ihrer Reaktion in den im vorhergehenden Abschnitt geschilderten Beschwerdeverfahren, beharrte die deutsche Regierung jedoch auf ihrem schon in der Sache Öztürk vertretenen Standpunkt, Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK sei in den vorliegenden beiden Fällen nicht anwendbar. 74 Zusätzlich seien die Dolmetscherkosten im Verfahren von Akdogan von dessen Rechtsschutzversicherung bezahlt worden, so dass er gar nicht selbst beschwert sei. Im März 1986 erklärte die Kommission beide Beschwerden für zulässig 75 und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem schon der Fall Lutz beim EGMR anhängig war. Trotz der Bemühungen der Kommission ließ sich jedoch keine gütliche Einigung erreichen?6 In ihren Berichten vom 05. Juli 1988 im Fall Akdogan und 06. Dezember 1988 im Fall Zengin bejahte die Kommission unter ausdrücklicher Berücksichtigung des Urteils des EGMR vom 25. August 1987 im Fall Lutz eine Konventionsverletzung.
71 Vgl. Entscheidungen der Kommission vom 03. Dezember 1986. Art. 44 Abs. 1 Buchst. a VerfO-KOM lautete: "Die Kommission kann eine Beschwerde, sofern sie nicht ihre weitere Prüfung wegen der allgemeinen Bedeutung für die Anwendung der Konvention für gerechtfertigt hält, in ihrem Register streichen, a. wenn der Beschwerdeführer die Zurücknahme seiner Beschwerde erklärt . .. " 72 Beschwerde Nr. 10551/83 vom 11. 01. 1983. 73 Beschwerde Nr. 11394/85 vom 27. 12. 1984. 74 Vgl. Nr. 45 im Bericht der Kommission vom 06. Dezember 1988 im Fall Zen-
gin.
75 Die Zulässigkeitsentscheidung vom 05. März 1986 im Fall Akdogan ist in DR 46, S. 214 sowie in EuGRZ 1986, S. 444 abgedruckt. 76 Vgl. Nr. 12 im Bericht der Kommission gemäß Art. 31 MRK a.F. vom 05. Juli 1988 (Akdogan) sowie Nr. 14 im Bericht vom 06. Dezember 1988: "After declaring the case adrnissible, the Commission, acting in accordance with Article 28 para. B of the Convention, placed itself at the disposal of the parties with a view to securing a friendly settlement of the case. In the light of the parties' reaction, the Commission now finds that there is no basis upon which such a settlement can be reached."
§ 4 Der Fall Öztürk
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Angesichts dieser Umstände wird noch einmal deutlich, dass die Bundesregierung auf eine Korrektur der Betrachtung deutscher Ordnungswidrigkeitenverfahren im Rahmen von Art. 6 MRK hoffte. Nur so läßt sich plausibel erklären, dass es im Rahmen der beiden Beschwerden von Zengin und Akdogan zu keiner gütlichen Einigung vor der Kommission kam. Beide Verfahren fanden schließlich 1989 ihren Abschluß vor dem Ministerkomitee, das angesichts der Informationen der Bundesregierung über die bevorstehende Gesetzesänderung keine weiteren Schritte für nötig befand. 77 Zengin bekam im Übrigen die von ihm gezahlten Dolmetscherkosten zurückerstattet. c) Die Beschwerden von A. Rajaratnam, Ö. Karabulut, Y. Cavusoglu, A. K., S. Shanmukanathan sowie R. R. 78 Die in der Folgezeit gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereichten Beschwerden79 , die überwiegend im Jahre 1988 bei der Kommission für Menschenrechte registriert worden sind, wurden dort ausnahmslos mit einer gütlichen Einigung beendet. Auch die Beschwerde von Rajaratnam, die nur ein knapp ein halbes Jahr nach der Beschwerde Akdogans bei der Kommission für Menschenrechte registriert wurde, endete auf diese Weise. Auffällig ist hier allerdings, dass in diesem Fall die Bundesregierung zweimal (erfolgreich) um eine Verlängerung der Frist für ihre Stellungnahme gebeten hatte, was den Eindruck stärkt, dass man in Deutschland die Lutz-Entscheidung abwarten und so lange andere Verfahren möglichst verzögern wollte. 80 Jeder der sechs Beschwerdeführer bekam die schon von ihm geleisteten Dolmetscherkosten erstattet sowie eine Kosten- und Auslagenentschädigung für die Verfahren gezahlt. Im Gegenzug erklärten sich alle Beschwerdeführer mit der Streichung der Beschwerde aus dem Register einverstanden, was von der EKMR in allen Fällen auch bestätigt worden ist. 81 In den letzten fünf Entscheidungen der Kommission wies diese zudem jeweils darauf 77 Vgl. Resolutionen vom 11. November 1989 DH (89) 28 - Akdogan (= YB 32 (1989), 226 f.) sowie DH (89) 29 - Zengin (= YB 32 (1989), 227 f.). 78 Zur Beschwerde Nr. 11311/84 vom 26. 04. 1984 - Fedele ./. Bundesrepublik Deutschland siehe schon oben § 4 B. I. a. E. Die Beschwerde wird im Folgenden nicht berücksichtigt. 79 Beschwerden Nr. 11665/85 vom 20. 07. 1985 - Rajaratnam; Nr. 13402/87 vom 13. 10. 1987 - Karabulut; Nr. 13591/88 vom 07. 01. 1988 - Cavusoglu; Nr. 14260/88 vom 29. 07. 1988 - A. K.; Nr. 14261/88 vom 01. 08. 1988 - Shanmukanathan sowie Nr. 14446/88 - R. R . ./. Bundesrepublik Deutschland. 80 Der Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland auf eine gütliche Vereinbarung datiert übrigens vom 13. Februar 1987, als schon erkennbar war, dass der Gerichtshof seine Rechtsprechung nicht ändern würde.
8 Kieschke
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
hin, dass sie von der deutschen Gesetzesänderung als Folge des Öztürk-Urteils Kenntnis genommen habe. d) Fazit des Exkurses Die eben gemachten Ausführungen unterstreichen zweierlei. Zum einen wurde noch einmal deutlich, dass das lange Aufschieben der Reaktion des bundesdeutschen Gesetzgebers nach der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR im Fall Öztürk tatsächlich mit der Erwartung einer Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der Betrachtung von deutschen Ordnungswidrigkeitenverfahren im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Zusammenhang steht. Zum anderen wurde deutlich, dass zwar deutsche Gerichte zuungusten von Betroffenen in Ordnungswidrigkeitenverfahren und gegebenenfalls unter Mißachtung des Öztürk-Urteils entschieden und ihnen die Kosten für einen hinzugezogenen Dolmetscher auferlegt haben, diesbezügliche Beschwerdeverfahren jedoch letztlich in Straßburg gütlich im Sinne der zu ziehenden Folgerungen aus dem EGMR-Urteil beendet und die Ergebnisse deutschen Entscheidungen damit korrigiert wurden. Bedauerlicherweise läßt sich dieses aber nur für die Betroffenen sagen, die tatsächlich eine Individualbeschwerde in Straßburg eingelegt haben. Andere haben von der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland nicht "profitiert", was wiederum vom jeweils erkennenden Gericht abhängig war.
4. Aufnahme des Öztürk-Urteils innerhalb der Literatur Innerhalb der Literatur bietet sich bei der Betrachtung des relevanten Zeitraumes ein ähnliches Bild wie bei der Rechtsprechung. Wurde die Anwendbarkeit der Konventionsgarantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK in Bezug auf das Ordnungswidrigkeitenrecht bis zur gesetzgeberischen Reaktion auf das Öztürk-Urteil überwiegend abgelehnt82, so verstummten spätestens ab 1989 die meisten kritischen Stimmen, was mit der geänderten Fas81 Siehe zur Entscheidung der EKMR im Fall Shanmukanathan auch EuGRZ 1991, S. 160. 82 Vogler, EuGRZ 1979, S. 645 f.; Peukert, EuGRZ 1979, S. 269; D. Meyer, JurBüro 1980, Sp. 324 sowie noch KleinknechtlMeyer (37), MRK (A 5), Art. 6 Rn. 1, der im Übrigen ab der 38. Auflage seine diesbezügliche Auffassung aufgab. Eine Anwendbarkeit der Konventionsgarantien in Kenntnis des Öztürk-Urteils ablehnend: IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 237; Göhler (8), § 46 Rn. lOa sowie ders., NStZ 1985, S. 64. Unsicher Kühl, NJW 1984, S. 1266. Eine andere Auffassung vertraten Markl (2), KV 1904 Rn. 3; KK-OWiG(1)-Lampe, § 46 Rn. 11 sowie Schroth, EuGRZ 1985, S. 561 f. in seiner Besprechung des Öztürk-Urteils.
§ 5 Abschließende Bemerkungen
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sung der betreffenden Nummer des Kostenverzeichnisses zusammenhängt. 83 Heute steht die Freistellung des ausländischen Betroffenen von den Kosten für die Hinzuziehung eines Dolmetschers im (gerichtlichen) Bußgeldverfahren im Grundsatz außer Frage 84 und wird praktisch nur noch durch die Einschränkungen modifiziert, auf die oben in den Ausführungen zum Einfluss des Luedicke-Urteils schon eingegangen wurde.
§ 5 Abschließende Bemerkungen
zum zweiten Kapitel
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Luedicke, Belkacern und KOf sowie Öztürk gehören ohne Frage zu den in der Vergangenheit meist beachteten Entscheidungen aus Straßburg. Das ist darauf zurück zu führen, dass neben den in Straßburg verhandelten EinzeInillen auch die dahinterstehende gesetzliche (konventionswidrige) Regelung in die Kritik geriet. Infolgedessen war auch der Gesetzgeber zum Tätigwerden aufgerufen, um zukünftige erneute Verletzungen der Menschenrechtskonvention zu vermeiden und diesen vorzubeugen. In beiden Fällen hat der Gesetzgeber - und das muss trotz allem betont werden auch reagiert und die betreffenden deutschen Regelungen in konventionskonformer Weise umgestaltet. Hier offenbarte sich jedoch auch das erste Problem. Während die gesetzgeberische Reaktion auf die Entscheidung im Fall Luedicke u. a. für das Strafverfahrensrecht noch (verhältnismäßig schnell) innerhalb von zwei Jahren erfolgte, ließ man sich nach dem Urteil im Fall Öztürk ganze 5 Jahre Zeit. In Deutschland war man in Bezug auf die Ansicht des EGMR schlicht anderer Meinung und stand der Entscheidung ablehnend gegenüber. Die Meinung der deutschen Rechtsprechung war in dieser Zeit bei der Frage der Erstattung oder Freistellung von den Kosten für einen Dolmetscher im gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren gespalten. Während einerseits 83 So lässt es sich erklären, dass Hartmann (23), KV 1904 (S. 401) davon spricht, dass die Frage "zumindest für den Zustand bis 1.7.89 streitig" ist und dabei den zeitlichen Rahmen um die Gesetzesänderung infolge des Öztürk-Urteils absteckt. Seit der 30. Auflage (2001) erwähnt er diesen "Zustand" allerdings nicht mehr. 84 Vgl. nur KleinknechtlMeyer-Goßner (45), MRK (A 4), Art. 6 Rn. I, 24; KMR(7)-Paulus, § 464a Rn. 10; LR(25)-Hilger, § 464a Rn. 11; LR(24 )-Gollwitzer, Art. 6 MRK Rn. 237; HK-OWiG-Lemke, § 46 Rn. 8; Sommer, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 17 Rn. 122; Hartmann (31), KV 9005 Rn. 5. Differenzierend RebmannlRothlHerrmann, § 46 Rn. 2 und § 107 Rn. 12 sowie Göhler (13), § 46 Rn. 10a, die zwar der Auffassung des EGMR zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 MRK im Bußgeldverfahren nicht zustimmen, allerdings einräumen müssen, dass die "praktisch wichtige Streitfrage" nunmehr gesetzlich entschieden ist. 8*
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
auf die Haltung des Gesetzgebers verwiesen wurde und einzelne Betroffene mit den Kosten belastet wurden, bezog sich ein anderer Teil der deutschen Gerichte direkt auf die Entscheidung aus Straßburg und legte die Kosten der Staatskasse auf. Welche Ansicht richtig oder falsch war, sei hier dahingestellt. Im Ergebnis fällt auf, dass sich das Problem divergierender Entscheidungen erst nach der Gesetzesänderung im Jahre 1989 nicht mehr stellte. Im Zeitraum zwischen dem Urteil aus Straßburg und dem Tätigwerden des Gesetzgebers herrschte jedoch eine unbefriedigende und unkalkulierbare Situation. Trotz des eindeutigen Urteilsspruchs eines internationalen Gerichts und der völkerrechtlichen Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer menschenrechtswidrigen nationalen Praxis stand es keineswegs außer Frage, dass dieser Urteilsspruch auch beachtet werde. Im nationalem Rahmen stand dieser Beachtung der Grundsatz der Gewaltenteilung als Hindernis gegenüber. Die Gesetzesänderung war allein schon deswegen nötig, um den Gerichten den nötigen Hinweis im nationalen Recht zu geben, ihre Rechtsprechung dem Straßburger Urteil anzupassen l und die Durchsetzung des völkerrechtlichen Urteils somit an das Tätigwerden des Gesetzgebers gekoppelt. Dass es trotz dessen jahrelanger Untätigkeit dennoch vereinzelt zur Rezeption der Straßburger Entscheidung kam, unterstreicht einmal mehr die Bedeutung des EGMR. Dennoch ist die Konsequenz, dass die Berücksichtigung der Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und das Ziehen von Schlussfolgerungen bzw. das ausdrückliche Abstellen auf die Meinung des Gerichtshofs mit Auswirkungen auf die nationale Entscheidungspraxis stark an die - ja als konventionswidrig kritisierte - nationale Gesetzeslage und damit die Reaktion des Gesetzgebers gekoppelt werden soll, unbefriedigend. Eine Lösung könnte darin liegen, der Menschenrechtskonvention einen höheren Rang innerhalb der deutschen Rechtsordnung zuzusprechen 2, um es den nationalen Gerichten zu ermöglichen, sich nach einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR in nachfolgenden Parallelfällen auf die entsprechende und vom EGMR hervorgehobene Bestimmung der Menschenrechtskonvention zu beziehen und nicht weiterhin konventionswidriges einfaches Bundesrecht anwenden zu müssen, bis der Gesetzgeber tätig wird. Eine stärkere Beachtung der Urteile aus Straßburg wäre damit in jedem Fall erreicht, ohne dass - wie jüngst gefordert3 - den Urteilen des EGMR ein direkter Effekt beigemessen werden muss. Die mehrfach angesprochene lex posterior-Problematik würde sich in diesem Fall ebenfalls nicht stellen. I So auch Rogge, EuGRZ 1991, S. 161; vgl. ferner Otto/Schnigula, JurBüro 1989, Sp. 898. 2 So beispielsweise Odersky, FS Ryssdal, S. 1043. 3 Siehe O. Klein, ZRP 2001, S. 402 m. w.N.
§ 5 Abschließende Bemerkungen
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So weit muss man jedoch unter Umständen nicht gehen. Eine andere Möglichkeit wäre, den nationalen Gerichten ein spezielles Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht ähnlich der Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zu eröffnen, in dessen Ergebnis dieses konventionswidrige Normen für unanwendbar erklärt, so dass die Rechtsprechung nicht gezwungen wäre, darauf zurück zu greifen. Als ein ausschlaggebendes Indiz für eine Außerachtlassung dieser Normen muss die Entscheidung des EGMR und die damit einhergehende Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden. Die Parallelen zum Normenkontrollverfahren, aufgrund dessen verhütet werden soll, dass sich einzelne Gerichte über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen4 , liegen nach dem oben Gesagten deutlich auf der Hand. Ein wenig anders erfolgte die Reaktion auf das Urteil des EGMR im Fall Luedicke u. a. Zwar folgen die nationalen Gerichte auch hier nicht unvoreingenommen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dennoch ist diese Praxis nicht der Reaktion des Gesetzgebers geschuldet. Vielmehr resultiert sie aus dem Einzelfallcharakter von zu entscheidenden Verfahren. Im Zusammenhang damit hat sich in der Praxis eine feine Abstufung von Situationen oder Verfahrensstadien entwickelt, in denen die Beiziehung eines Dolmetschers nicht kostenfrei erfolgen soll. Innerhalb der Rechtsprechung sind die Einzelheiten wiederum umstritten. Ein Ende dieser Situation vermag die sehr zu begrüßende Entscheidung des Bundesgerichtshofs herbeizuführen, in welcher der BGH den Umfang der Verfahrens garantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Auffassung des EGMR bestimmte und dessen Auffassung im Luedicke-Urteil uneingeschränkt folgte, womit die Straßburger Entscheidung nun auch auf höchstrichterlicher Ebene gebührend gewürdigt worden ist. Bedauerlicherweise lassen seither die unteren Gerichte unmittelbare Bezugnahmen auf das Luedicke-Urteil des EGMR vermissen. Es erfolgt vielmehr eine vorrangige Orientierung an den Aussagen des Karlsruher Gerichtshofes, die damit die Aussagen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahre 1978 aus dem Bewusstsein der deutschen Praxis verdrängen. Damit tritt auch das zweite Problem bei der Reaktion der deutschen Gerichte nach den Verurteilungen Deutschlands in Straßburg zu Tage. Eine Rezeption der EGMR-Ansicht hängt neben der gesetzgeberischen Reaktion auch von der Aufnahme der Straßburger Urteile in der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Während die Argumentation des EGMR zwar berücksichtigt wird, zeichnet sich dennoch die Tendenz ab, dieser sehr allgemein formulierten - Auffassung ein geringes Gewicht zuzumes4
Statt vieler Schlaich, Rn. 128 f. m. w. N.
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2. Kap.: Die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers
sen. Die Urteile des EGMR haben es immer leichter, sich in Deutschland Anerkennung zu verschaffen, wenn eines der höchsten deutschen Gerichte darauf Bezug nimmt und im besten Falle der Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausdrücklich folgt.
Drittes Kapitel
Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK § 6 Der Fall Pakelli! A. Das Urteil des EGMR vom 25. April 19832 Zwischen den Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK aufgrund der Erhebung von Dolmetscherkosten bei ausländischen Verurteilten in deutschen Strafverfahren (Fall Luedicke, Belkacem und Ko(:, 1978) und deutschen Ordnungswidrigkeitenverfahren (Fall Öztürk, 1984) wurde die Bundesrepublik Deutschland unter einem anderen Gesichtspunkt wegen der Verletzung einer Verfahrensgarantie des Art. 6 Abs. 3 MRK verurteilt. Gemeint ist hier das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli vom 25. April 1983, dessen Sachverhalt und Urteilsbegründung zunächst kurz wiedergegeben werden sollen. 3 Die der Entscheidung zugrundeliegenden Umstände berührten mehrere Konventionsgarantien und warfen sowohl Probleme des fairen Verfahrens, insbesondere des Grundsatzes der Waffengleichheit der Prozessparteien (Art. 6 Abs. I MRK), der unentgeltlichen Hinzuziehung eines Dolmetschers (Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK) als auch vorrangig des Rechts auf unentgeltliche Beiordnung eines Verteidigers im Strafverfahren (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK4 ) auf, auf dessen Verletzung die Verurteilung in Straßburg letztlich beruhte.
1 Series A, Vol. 64 = YB 26 (1983), Eur. Court Case-Law, S. 21 ff. = HRLJ 5 (1984), 242. Eine nichtamtliche Übersetzung des Urteils durch die Kanzlei des Gerichtshofes ist vom Europarat herausgegeben worden (im Folgenden zitiert als "ERDokument"). Eine daran angelehnte Übersetzung wurde in vollem Wortlaut in EuGRZ 1983,344 und auszugsweise in NStZ 1983, 373 [mit Anm. Stöcker] = NJW 1983, 1962 (LS) abgedruckt. Vgl. auch den Überblick bei Berger, Rn. 431 ff. (Urteil Nr. 48) sowie die kurze, aber infonnative Darstellung bei IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 532 f. 2 Im Folgenden teilweise auch als Pakelli-Urteil bezeichnet. 3 Vgl. auch die Sachverhaltsdarstellung in der Zulässigkeitsentscheidung der EKMR in DR 24, S. 112 ff./122 ff. = StrVert 1981, S. 379 f. sowie die Wiedergabe des Sachverhalts in EuGRZ 1982, S. 39 f.
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Der türkische Beschwerdeführer Lütjü Pakelli lebte und arbeitete in der Bundesrepublik Deutschland. Wegen eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Steuerhinterziehung wurde Pakelli Ende April 1976 vom Landgericht Heilbronn zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In diesem Verfahren wurde Pakelli von einem Rechtsanwalt vertreten, der ihm als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war. Nach der landgerichtlichen Verurteilung Pakellis legte sein Rechtsanwalt Revision beim 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ein, weil er in derselben Sache noch einen weiteren Beschuldigten verteidigt5 und das Strafverfahren von Pakelli somit an formellen Fehlern gelitten habe. Nachdem der Generalbundesanwalt aufgrund eben dieses Arguments eine Verwerfung der Revision beantragt hatte, da der Rechtsanwalt Pakelli jedenfalls dann auch nicht weiterhin vertreten dürfe, wurde an dessen Stelle ein Kollege aus dergleichen Sozietät tätig. Dieser (neue) Anwalt beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, was ihm vom Bundesgerichtshof auch gewährt wurde. Im Januar 1977 bestellte das Landgericht Heilbronn den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger für die Revisionsbegründung, woraufhin er erneut Revision einlegte. Für die beim BGH anberaumte Revisionsverhandlung beantragte er ebenfalls seine Bestellung als Pflichtverteidiger für Pakelli, die vom (stellvertretenden) Vorsitzenden des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs abgelehnt wurde, da die Sach- und Rechtslage nach seiner Auffassung die Beiordnung des Anwalts nicht erforderlich mache und ohnehin vor dem Revisionsgericht nur die schriftlichen Revisionsbegründungen relevant seien. 6 Die mündliche Revisionsverhandlung fand in Abwesenheit von Pakelli und dessen Rechtsanwalt statt. Im Rahmen dieser Verhandlung erfolgten von Seiten der Bundesanwaltschaft erstmalig Ausführungen zur Begründetheit der vorgebrachten Revisionsrügen, und infolge dieser Verhandlung wurde gemäß dem Antrag der Bundesanwaltschaft die Revision Pakellis verworfen. 7 Eine dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom 4 Art. 6 Abs. 3 Buchst. c der MRK lautet in der nichtamtlichen deutschen Übersetzung: "Jeder Angeklagte hat mindestens (englische Fassung)/insbesondere (französische Fassung) die folgenden Rechte: ... c) sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; ... " 5 Vgl. zu diesem zweiten Verfahren den Beschl. des 4. Strafsenats des BGH vom 22. November 1977 - 4 StR 395177, NJW 1978, 384 = MDR 1978, 242 = LM 1979 Nr. 7 zu § 146 StPO 1975. 6 Siehe die wörtliche Wiedergabe bei Molketin, Schutzfunktion, S. 155 f. 7 Urteil vom 29.11. 1977 - 1 StR 631176, zitiert nach Molketin, Schutzfunktion, S. 156 (Fn. 16).
§ 6 Der Fall Pakelli
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Dreierausschuss des zuständigen Senats des Bundesverfassungsgerichts für aussichtslos befunden und nicht zur Entscheidung angenommen. 8 Darautbin legte Pakelli gemäß Art. 25 MRK a. F. Individualbeschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg ein. 9 In der Hauptsache rügte er eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK durch die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Revisionsverhandlung vor dem BGH. Hilfsweise rügte er zudem die Verletzung weiterer Konventionsgarantien. Die hilfsweise vorgebrachten Rügen wurden gemäß Art. 27 Abs. 3 MRK a. F. von der Kommission zurückgewiesen, da diesbezüglich der nationale Rechtsweg noch nicht erschöpft war und die Vorbringen damit gemäß Art. 26 MRK a. F. als unzulässig angesehen wurden. Bezüglich der Rüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst c MRK erklärte die Kommission für Menschenrechte die Beschwerde für zulässig. 1O In ihrem Bericht vom 12. Dezember 1981 11 stellte sie einstimmig eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK fest und brachte den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Art. 32 Abs. 1,48 MRK a.F.)Y Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland legte den Fall von sich aus ebenfalls dem Gerichtshof vor (gemäß Art. 48 MRK a. F.). In seinem Urteil vom 25. April 1983 bejahte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig eine Verletzung der Menschenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland. Der EGMR betonte zunächst, dass Pakelli sich zum Zeitpunkt der Revisionshauptverhandlung zwar in Freiheit befunden und insofern persönlich vor dem Bundesgerichtshof habe auftreten können, es aber von sich aus nicht getan habe. Damit habe er seine Rechte jedoch nicht verwirkt. Sein Anspruch auf einen Pflichtverteidiger bei Erfüllung der in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK genannten Voraussetzungen - "Mittellosigkeit" und "Interesse der Rechtspflege" - bliebe davon vielmehr unberührt. 13 Bezüglich der Mittellosigkeit Pakellis konnte im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weder eindeutig bewiesen noch 8 Besch!. v. 10. 05. 1978 - 2 BvR 452/78 (unveröffentlicht), zitiert nach Molketin, Schutzfunktion, S. 156 (Fn. 22). Von Odersky, GS Ryssdal, S. 1044 wird hingegen ein Besch!. v. 10. Mai 1980 - 2 BvR 23/78 zitiert: vg!. a.a.O., Fn. 27. 9 Beschwerde Nr. 8398/78 vom 05. Oktober 1978. 10 Entscheidung vom 07. Mai 1981, DR 24, S. 112 ff.; siehe die nichtamtliche deutschsprachige Wiedergabe in StrVert 1981, S. 379 ff. 11 Series B, Vo!. 53, S. 9 ff.; dazu auch EuGRZ 1982, S. 144; zur mündlichen Verhandlung siehe EuGRZ 1982, S. 39 f. 12 Vg!. EuGRZ 1982, S. 288. 13 Insofern korrigierte der Gerichtshof seine frühere und viel kritisierte Auffassung: vg!. Simon, S. 48 f.
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Ptlichtverteidigers
widerlegt werden, dass Pakelli zum Zeitpunkt des Antrags auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die mündliche Revisionsverhandlung keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung standen, diesen zu bezahlen. Die Kammer schloss allerdings aus diversen Anhaltspunkten, dass vieles für die behauptete Mittellosigkeit Pakellis sprach und bejahte damit die erste Voraussetzung des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK. 14 Umfangreicher war die Prüfung der zweiten Voraussetzung. Es ging hier um die Frage, ob das Interesse der Rechtspflege entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowie der vor dem EGMR auftretenden Kommission den Beistand eines Pflichtverteidigers erfordert hatte. Die Vertreter der Bundesregierung brachten hiergegen vor, im Fall Pakelli seien während der Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof nur Rechtsausführungen gemacht worden, die für Laien nicht besonders schwierig nachvollziehbar gewesen seien und keine schwerwiegenden Folgen, insbesondere keine Verschlechterung seiner Lage, nach sich gezogen hätten. Pakelli habe persönlich erscheinen können und sei dabei nicht auf einen Verteidiger angewiesen gewesen. Schließlich verwies die Bundesregierung noch auf die besondere Stellung eines Bundesanwalts im deutschen Revisionsverfahren, der "die Revisionsbegründung in völliger Unabhängigkeit zu prüfen und dabei insbesondere auf die gleichmäßige Rechtsanwendung und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu achten,,15 habe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war jedoch anderer Auffassung als die Bundesregierung. In der Sache Pakelli lag der seltene Fall vor, dass überhaupt eine mündliche Revisionshauptverhandlung durchgeführt worden war. 16 Daraus schlussfolgerte die Kammer, dass eine Sache, für die eine Hauptverhandlung anberaumt worden war, von gewisser Bedeu14 Nr. 34 (= Series A, Vol. 64, S. 16 = HRLJ 5 (1984), 242 (249) = ER-Dokument, S. 11 = EuGRZ 1983, 344 (347»: "Admitted1y, these particu1ars are not sufficient to prove beyond all doubt that the app1icant was indigent at the relavant time; however, having regard to his offer to the Federal Court to prove his lack of means and in the absence of clear indications to the contrary, they lead the Court to regard the first of the two conditions contained in Article 6 § 3 (c) as satisfied." 15 Vgl. Nr. 35 (= Series A, Vol. 64, S. 17 = HRLJ 5 (1984), 242 (248) = ERDokument, S. 11 f. = EuGRZ 1983, 344 (347». Dem Gerichtshof für Menschenrechte kam es für seine Urteilsbegrtindung jedoch auf die genaue Rolle der Bundesanwaltschaft nicht an. Ihm genügte allein der Umstand, dass ein Bundesanwalt in der mündlichen Revisionsverhandlung zugegen gewesen war. 16 Gegen Ende der 70er Jahre wurde nur in 10% aller Revisionsverfahren eine Hauptverhandlung vor dem BGH anberaumt: vgl. die gleichlautenden Angaben im Urteil des EGMR unter Nr. 36 (= Series A, Vol. 64, S. 17 = HRLJ 5 (1984), 242 (248) = ER-Dokument, S. 12 = EuGRZ 1983, 344 (347», in der Zu1ässigkeitsentscheidung der Kommission vom 7. Mai 1981 in DR 24, S. 120/129 = StrVert 1981, 381 sowie im Bericht der Kommission vom 12. Dezember 1981 in Fn. 1 zu Nr. 49 (= Series B, Vol. 53, S. 18).
§ 6 Der Fall Pakelli
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tung sein müsse. Im konkreten Fall habe es sich um eine so umfangreiche Revisionsbegründung von Pakellis Rechtsanwalt gehandelt, dass auf diese in der mündlichen Verhandlung unter Umständen genauer und zum Vorteil des Beschwerdeführers hätte eingegangen werden können und müssen. Die endgültige Entscheidung im Revisionsverfahren vom 29. November 1977 habe weiterhin die Problematik des § 146 StPO, die in der ersten Revisionsbegründung ausdrücklich angesprochen worden war, für die deutsche Rechtsprechung abschließend geklärt, so dass ein diesbezüglicher mündlicher Vortrag eines Anwalts ebenfalls wünschenswert gewesen wäre. Die Anwesenheit eines Pflichtverteidigers sei somit von besonderem juristischen Wert gewesen und habe nicht durch das bloße Erscheinen Pakellis zur Verhandlung ausgeglichen werden können. 17 Schließlich wirkte erschwerend, dass die Staatsanwaltschaft während des schriftlichen Revisionsverfahrens keine Stellung zur Begründetheit der Revisionsrügen genommen hatte. Eine solche Stellungnahme verbunden mit einem Antrag auf Verwerfung der Revision Pakellis wurde von der Bundesanwaltschaft erst im mündlichen Verfahren abgegeben. Der EGMR betonte insoweit, dass dem Beschwerdeführer damit keine Gelegenheit offengestanden habe, dazu eine Gegenerklärung (gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) abzugeben und ihm jeglicher Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens genommen worden sei. 18 Aufgrund dieser Umstände bejahte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im konkreten Fall auch das Interesse der Rechtspflege an der Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof. Da demzufolge nach Ansicht des EGMR zum Zeitpunkt der Antragstellung des Rechtsanwalts auf Bestellung zum Pflichtverteidiger für die mündliche Hauptverhandlung vor dem BGH beide Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK erfüllt waren, verletzte die diesbezügliche Ablehnung des Antrags durch den Bundesgerichtshof die Menschenrechtskonvention.
17 Nr. 38 (= Series A, Vol. 64, S. 18 = HRLJ 5 (1984), 242 (249) = ER-Dokument, S. 12 = EuGRZ 1983, 344 (348»: "In these circumstances, it goes without saying that the personal appearance of the appellant would not have compensated for the absence of his lawyer: without the services of a legal practitioner, MT. Pakelli could not have made a useful contribution to the exarnination of the legal issues arising ... " 18 Nr. 39 (= Series A, Vol. 64, S. 18 = HRLJ 5 (1984), 242 (249) = ER-Dokument, S. 13 = EuGRZ 1983, 344 (348»: "By refusing to provide hirn [Mr. Pakelli] with a defence counsel, the Federal Court deprived hirn, during the oral stage of the proceedings, of the opportunity of influencing the outcome of the case, a possibility that he would have retained had the proceedings been conducted entirely in writing."
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Im letzten Teil des Urteils 19 ging der Gerichtshof noch auf die Entschädigung Pakellis gemäß Art. 50 MRK a. F. ein, sprach ihm jedoch nur die Kosten, die aufgrund der Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht entstanden waren, als gerechte Entschädigung zu. Die primär von Pakelli verlangte Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichtshofes wurde vom EGMR mit dem Argument abgelehnt, dass er hierzu nicht ermächtigt sei, wobei er auf seine Ausführungen in den Urteilen Marck.x20 und Dudgeon21 verwies. 22 B. Die Auswirkungen der Entscheidung in Deutschland
Das Pakelli-Urteil des EGMR konnte sich in der Bundesrepublik Deutschland auf verschiedene Weise auswirken, was im zweiten Einführungskapitel ausführlich dargestellt worden ist. Die Bundesrepublik Deutschland war vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte völkerrechtlich verurteilt worden, was in erster Linie die Wiedergutmachung (restitutio in integrum) des angerichteten Schadens nach sich ziehen musste. Pakelli war vom EGMR schon eine Entschädigung zugesprochen worden. Diese wurde von der Bundesrepublik Deutschland auch gezahlt. 23 Es erhebt sich jedoch die Frage, ob dessen ungeachtet weitere Folgerungen in Betracht kamen, wie beispielsweise eine Wiederaufnahme seines Falles. Das Problem der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach einer diesbezüglichen Verurteilung der Bundesrepublik vor dem EGMR ist zu Beginn dieser Arbeit im Zusammenhang mit den Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland schon angesprochen worden und soll nunmehr in Bezug auf den Fall Pakelli im zweiten Teil dieses Kapitels als konkrete Folgerung aus dem diesbezüglichen Urteil vertieft werden. Es wurde ebenfalls schon angesprochen, dass den verurteilten Staat die Pflicht trifft, künftigen Konventionsverletzungen gleicher Art vorzubeugen. Die Erfüllung dieser Pflicht soll im ersten Teil dieses Kapitels behandelt 19 Nr. 43 ff. (= Series A, Vol. 64, S. 19 ff. = HRLJ 5 (1984), 242 (250 f.) = ERDokument, S. 14 f. = EuGRZ 1983, 344 (348 f.)). 20 Urteil vom 13. Juni 1979, Series A, Vol. 31 = YB 22 (1979), 410 ff. 21 Urteil vom 24. Februar 1983, Series A, Vol. 59 = YB 26 (1983), Eur. Court case-Iaw, S. 8 ff. 22 Nr. 45 (Series A, Vol. 64, S. 19 = HRLJ 5 (1984), 242 (250) = ER-Dokument, S. 14 = EuGRZ 1983, 344 (348 f.)): "The Court notes, ... tbat it is not empowered under tbe Convention eitber to annul the Federal Court's judgment or to direct the Govemment to disavow tbe passages complained of ... " 23 Vgl. den Anhang zur Resolution des Ministerkomitees DH (84) 1 vom 26. Januar 1984 (= Series B, Vol. 53, S. 1001102 = YB 27 (1984), 308 f.). Weitere Folgerungen lassen sich der Resolution nicht entnehmen.
§ 6 Der Fall Pakelli
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werden und zwar im Zusammenhang mit der Frage nach den generellen Folgerungen aus der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im Fall Pakelli, also dem Problem, wie zukünftig generell die Beiordnung von Pflichtverteidigern in strafrechtlichen Revisionshauptverhandlungen vor dem Bundesgerichtshof gewährleistet werden sollte. Wenn im Folgenden von "generellen" und "konkreten" Folgerungen gesprochen wird, so entspricht diese Terminologie den beiden angesprochenen Problemkreisen. I. Die generellen Folgerungen aus dem Pakelli-Urteil
Für die notwendige Beiordnung eines Verteidigers im Strafverfahren gab es im Jahre 1977 - dem Jahr, in dem der Antrag von Pakellis Anwalt, ihn dem Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht als Pflichtverteidiger beizuordnen, abgelehnt worden war - sehr detaillierte Regelungen in der deutschen Rechtsordnung, namentlich in der Strafprozessordnung, die auch im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im einzelnen aufgeführt sind. Für die vorliegende Untersuchung lohnt es sich daher, zunächst der Frage nachzugehen, ob jene Regelungen in ihrer damals geltenden Fassung und diesbezüglichen Auslegung durch die Praxis nicht die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionsverhandlung vor dem BGH im Einklang mit der entsprechenden Bestimmung der Menschenrechtskonvention geboten haben. Sollte dies zu bejahen sein, wäre die ablehnende Antwort des Vorsitzenden des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in der Sache Pakelli wohl als Einzelfall zu werten, der aus einer fehlerhaften Rechtsanwendung resultiert. Für die Untersuchung der generellen Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli wäre daher vorrangig die nachfolgende Praxis der deutschen Revisionsgerichte, insbesondere der fünf Strafsenate des BGH, zu betrachten. Die Verurteilung betrifft diese zwar nicht unmittelbar, doch sind sie mindestens gehalten, die Auslegung der Menschenrechtskonvention durch den EGMR zu beachten?4 Haben die einschlägigen deutschen Rechtsnormen jedoch die Ablehnung der Bestellung des Anwalts zum Pflichtverteidiger zumindest ermöglicht, wäre unter Umständen auch der Gesetzgeber aufgrund der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland in der Pflicht, die deutsche Rechtsordnung den vom EGMR dargelegten Erfordernissen des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK anzupassen.
24 Seit BVerfGE 74, 358 ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; aus der Literatur siehe statt vieler Spaniol, S. 185; im Ergebnis auch Stöcker, NStZ 1983, S. 374 mit Bezug zum Pakelli-Urteil.
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
1. Die Rechtslage zur Zeit der deutschen Gerichtsverfahren in der Sache Pakelli 25 a) Zur Notwendigkeit von Verteidigung Die "notwendige Verteidigung" ist grundsätzlich in § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO geregelt, hat aber auch in andere Nonnen der Strafprozessordnung und auch des Jugendgerichtsgesetzes ihren Eingang gefunden. 26 Alle diese Nonnen sollen insbesondere sicherstellen, dass dem staatlichen Interesse an einem geordneten Ablauf des Verfahrens Genüge getan wird. 27 Liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, so muss dem Betroffenen ein Verteidiger beistehen und ein Gericht darf ohne diesen nicht verhandeln?S Eine Verletzung oder Nichtbeachtung dieses Grundsatzes in den wesentlichen Teilen der Hauptverhandlung stellt in der Regel den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StP029 oder gegebenenfalls einen relativen Revisionsgrund gemäß § 337 StP030 dar. Bedient sich der Beschuldigte oder der Angeklagte noch nicht des Beistandes eines Verteidigers (seiner Wahl), so wird ihm vom Vorsitzenden des zuständigen Gerichts ein Verteidiger bestellt. 3 ! Für diesen "bestellten Verteidiger" hat sich als Pendant zum Wahlverteidiger die Bezeichnung als "Pflichtverteidiger" eingebürgert. 32 25 Die im folgenden Abschnitt genannten Normen der StPO sind bis heute in den hier relevanten Textpassagen unverändert geblieben. Die Ausführungen zur Rechtslage gelten daher im Wesentlichen noch für die heutige Zeit, so dass die Darstellung wegen der besseren Lesbarkeit im Präsens gehalten ist und nur bei konkret die Sache Pakelli betreffenden Umständen die Vergangenheitsform gewählt wurde. 26 Nachweise bei Kleinknecht (33), § 140 Rn. 1; ausführliche Darstellung bei Hahn, S. 12 ff. 27 Vgl. BVerfGE 39, 238 (242) = NJW 1975, 1015 (1016); BGHSt 3, 395 (398); LR(23)-Dünnebier, § 141 Rn. 1; ebenso noch 1979 Bringewat, ZRP 1979, S. 249. Kleinknecht betonte in der 32. Auflage seines StPO-Kommentars zusätzlich noch das Recht des Betroffenen auf ein faires rechts staatliches Verfahren (vgl. Kleinknecht (32), § 350 Rn. 4), nahm diesen Aspekt aber ab der 33. Auflage (vorerst) aus der Kommentierung. 28 Kleinknecht (33), § 140 Rn. 1; bezüglich § 350 Abs. 3 StPO: C. Seibert, MDR 1965, S. 266; Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 350 Erl. 6. 29 Vgl. nur BGHSt 15, 306 (307 f.) = NJW 1961, 740 (741) m. w.N.; OLG Köln NJW 1972, 1432 (1433) = MDR 1972, 798 (798 f.); Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 140 Erl. 3 ff.; LR(23)-Dünnebier, § 140 Rn. 3 sowie Erl. zu § 141 Rn. 51 f., 54; Kleinknecht (33), § 140 Rn. 26; KMR(6)-Müller, § 140 Erl. 3 sowie Erl. 5. 30 Vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 140 Erl. 5; LR(23)-Dünnebier, § 141 Rn. 53 ff. 31 Kritisch zu dieser Alleinzuständigkeit später Bringewat, ZRP 1979, S. 252 f. 32 LR(23)-Dünnebier, § 141 Rn. 1; Hahn, Fn. 77 (S. 28 f.); einen historischen Abriss zum Institut der Pflichtverteidigung geben wiederum Hahn, S. 48 ff. und B.
§ 6 Der Fall Pakelli
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b) Besonderheiten für die Revisionshauptverhandlung Für die Revisionshauptverhandlung ergeben sich hinsichtlich der notwendigen Verteidigung vorerst zwei Besonderheiten. Das Gesetz sieht hier in § 350 Abs. 3 StPO einen besonderen Fall der notwendigen Verteidigung während der Revisionshauptverhandlung vor. 33 Für alle anderen Fälle muss auf die Grundnorm der notwendigen Verteidigung, § 140 StPO, zurückgegriffen werden. Die Verteidigung in der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren ist jedoch niemals notwendig im Sinne von § 140 Abs. 1 StPO, so dass dessen Katalog hier nicht beachtlich ist. 34 Für die Revisionshauptverhandlung ist, falls letztlich kein Fall des § 350 Abs. 3 StPO vorliegt, nur ein Rückgriff auf die Generalklausei des § 140 Abs. 2 StPO möglich. aa) § 350 Abs. 3 StPO Die spezielle Regelung einer notwendigen Verteidigung gemäß § 350 Abs. 3 StPO für Angeklagte, die nicht auf freiem Fuße sind, wurde Ende des Jahres 196435 in die Strafprozessordnung eingeführt, um inhaftierten Angeklagten ein faires Verfahren vor dem Revisionsgericht zu gewährleisten?6 Die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung war bis dato nicht ohne weiteres üblich und man nahm hier generell - trotz Bedenken in der Literatur37 gerade hinsichtlich der nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten - keinen Fall einer notwendigen Verteidigung an. 38 Schneider, S. 4 ff.; zu den einzelnen Textfassungen des § 140 StPO von 1877 bis hin zu der 1985 geltenden Fassung Molketin, Schutzfunktion, S. 27 ff. 33 AA Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 140 Erl. 11, auch bei § 350 Erl. 6. 34 Vgl. BGHSt 19, 258 (259) = NJW 1964, 1035 (1036); OLG Hamburg MDR 1951, 183; ebenso auch Kohlhaas, NJW 1951, S. 179; Gage/Sarstedt (3), S. 15; LR(23)-Meyer, § 350 Rn. 5 m. w. N.; a. A offensichtlich Seydel, NJW 1964, S. 1035 f. 35 Die Einführung erfolgte durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) vom 19. Dezember 1964, BGBL 1964 I, S. 1067. Zu Details im Gesetzgebungsverfahren Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO) , § 350 Erl. 1; kritisch C. Seibert, MDR 1965, S. 266, der ein Verlangsamen des Revisionsverfahrens befürchtete. 36 Vgl. BVerfGE 65, 171 = NJW 1984, 113 = StrVert 1984, 53; zum fairen Verfahren in der Revision auch schon LG Verden NdsRpfl. 1969, 21 (22). 37 Vgl. Jagusch, NJW 1959, S. 268 f. 38 Vgl. nur den Beschl. des OLG Harnm vom 05. 03. 1963, NJW 1963, 1513: "ausnahmsweise [soll] die notwendige Verteidigung auch auf die Verhandlung vor dem Revisionsgericht ausgedehnt werden"; ebenso vorher schon OLG Braunschweig NJW 1950, 79. Siehe auch Kohlhaas, NJW 1951, S. 179: der Bundesge-
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Interessanterweise erfolgte die Einführung der Regelung auch angesichts zweier in Straßburg eingelegter Beschwerden39 , in denen die Verletzung des "Grundsatzes der Waffengleichheit" in der Revisionshauptverhandlung gerügt worden war. Von der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg wurden beide Beschwerden zwar als unzulässig verworfen40, es deutete sich jedoch an, dass es mit ziemlicher Sicherheit bei einer zukünftigen zulässigen Individualbeschwerde mit ähnlichem Sachverhalt zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Garantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK kommen konnte. 41 § 350 Abs. 3 StPO bestimmt, dass dem sich nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten42 , der keinen Wahlverteidiger hat, auf seinen Antrag hin vom Vorsitzenden des Revisionsgerichts ein Verteidiger für die Revisionshauptverhandlung bestellt werden kann, sofern er (der Angeklagte) nicht vorgeführt wird. Ein solcher Antrag ist auch dann vonnöten, wenn dem Angeklagten schon vom Tatgericht ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist, da diese Bestellung nur bis zur Anfertigung der schriftlichen Revisionsbegründung reicht. Die Erstreckung darüber hinaus auf die Revisionshauptverhandlung wird von der herrschenden Ansicht43 verneint, weil hier andere richtshof habe Anfang der 50er Jahre die Gesuche von Anwälten, sie für die Revisionshauptverhandlung als Pflichtverteidiger zu bestellen, ausnahmslos abgelehnt. Gage/Sarstedt (3) bemerkt im Kapitel zur Hauptverhandlung in Fn. 917 (S. 201) schlicht: "Es gibt hier keine notwendige Verteidigung"; a. A. dazu LG Verden NdsRpfl. 1969, 21. 39 Hierbei handelt es sich vermutlich um die Beschwerden Nr. 599/59 - X ./. Bundesrepublik Deutschland sowie Nr. 1035/61 - X ./. Bundesrepublik Deutschland. 40 Zur Beschwerde Nr. 599/59 vgl. Entscheidung der EKMR vom 14. Dezember 1961, CD 8, 12. Zur Entscheidung der EKMR vom 17. Januar 1963 betreffs die Beschwerde Nr. 1035/61 vgl. CD 10, 12 = YB 6 (1963), 180. 41 Einzelheiten dazu bei Kleinknecht, JZ 1965, S. 161; Vogler, ZStW 82 (1970), S. 744. In dem dazugehörigen Bericht des Rechtsausschusses (zu BT-Drucksache 4/ 1020) findet sich nur der Hinweis, man wolle der Gefahr vorbeugen, "daß dem zurzeit geltenden Strafverfahrensrecht nachgesagt wird, es garantiere nicht in allen Instanzen das durch ... [die] Menschenrechtskonvention, insonderheit seinen Absatz 3 Buchstaben c, vorgeschriebene ,fair trial'." (a. a. 0., S. 6). 42 Der Freiheitsentzug ist dabei im weitesten Sinne (und somit u. a. auch als Beschränkung der Wahl des Aufenthaltsortes) zu verstehen. Auf freiem Fuß befindet sich somit der Angeklagte, der nicht durch staatliche Anordnung in seiner Bewegungsfreiheit gehindert ist: vgl. BGHSt 4, 308 (309); St 13, 209 (212) = NJW 1959, 1834 (1835). 43 BVerfGE 46, 202 (209) = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977, 476 (477) = JZ 1978, 20 (21); BGHSt 19, 258 (259 f.) = NJW 1964, 1035 (1036) mit zustimmender Anmerkung Pelchen, LM 1964 Nr. 4 zu § 141 StPO; BayObLGSt 2 NF (1952), 85 (86) m. w.N.; BayObLG NJW 1953, 194 (195); OLG Harnm NJW 1963, 1513; OLG Hamburg NJW 1966, 2323 (2324); Kleinknecht (33), § 140 Rn. 5; LR(23)Dünnebier, § 141 Rn. 37 m. w. N.; LR(23)-Meyer, § 350 Rn. 5; KMR(6)-Müller,
§ 6 Der Fall Pakelli
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Schwerpunkte als in der Tatinstanz gesetzt werden, die eine andere Beurteilung erfordern. In der Sache Pakelli war § 350 Abs. 3 StPO jedoch nicht einschlägig, da sich Pakelli in Freiheit befand und damit dem Anwendungsbereich der Vorschrift nicht unterfiel. Seine Anwesenheit oder die seines Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung bestimmte sich somit nach § 350 Abs. 2 Satz 1 StPO. Danach kann der Angeklagte in der Hauptverhandlung erscheinen oder sich durch einen Verteidiger seiner Wabl vertreten lassen. Die Formulierung "kann" zeigt dabei ganz deutlich, dass die Anwesenheit beider Prozeßsubjekte in der Hauptverhandlung vom Gesetz nicht für erforderlich gehalten wird44 und sich für den Angeklagten, der sich auf freiem Fuß und damit im Gegensatz zu einem inhaftiertem Angeklagten außerhalb des Anwendungsbereiches von Absatz 3 befindet, kein Fall der notwendigen Verteidigung aus § 350 StPO begründen lässt. 45 bb) § 140 Abs. 2 StPO Die Regelung des § 350 Abs. 3 StPO ist aber keine abschließende Regelung. 46 Vielmehr kann weiterhin auf die GeneralklauseI des § 140 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden. 47 Die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung unter Anwendung dieser Norm obliegt dem Vorsitzenden des Revisionsgerichts 48 als eine Art "primus inter pares". § 140 Er!. 2 a; Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 140 Er!. 10; Eb. Schmidt, NJW 1967, S. 854; Kohlhaas, NJW 1951, 179; GagelSarstedt (3), S. 15 m.w.N.; a. A. (allerdings vor Einführung des § 350 Abs. 3 StPO) OLG Hamburg NJW 1964,418 m.w.N. zur herrschenden Meinung; Seydel, NJW 1964, S. 1035 f.; Peters, Strafprozess, § 29 III (S. 186). 44 Dazu vg!. auch BVerfG NJW 1965, 147 (mit ablehnender Anmerkung von Amdt); OLG Hamburg MDR 1951, 183; Kleinknecht (33), § 350 Rn. 3; LR(23)Meyer, § 350 Rn. 4; Cüppers, NJW 1950, S. 80; sehr deutlich Eb. Schmidt, NJW 1967, S. 857 f. Kritisch zur diesbezüglichen Ansicht der Revisionsgerichte (insbesondere des BGH) Peters, JZ 1978, S. 231. 45 Kritisch zu dieser Ungleichbehandlung Eb. Schmidt, Lehrkomrnentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 350 Er!. 3 sowie ausführlicher ders., NJW 1967, S. 855 ff. 46 In diesem Sinne auch BVerfG NJW 1965, 147. 47 So schon OLG Hamburg MDR 1951, 183 m.w.N.; LG Frankfurt a.M. NJW 1967, 66 (67). Vor Einführung des speziellen Falles einer notwendigen Verteidigung in § 350 Abs. 3 StPO (Dezember 1964) verblieb den Revisionsgerichten ohnehin keine andere Möglichkeit, als zur Bestellung von Pflichtverteidigem für die Revisionshauptverhandlung auf die Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO zurückzugreifen. Konsequent deshalb auch noch ein Beschluss des Bundesgerichtshofes (in BGHSt 19,258 (259) = NJW 1964, 1035 (1036», der vor der Einführung des § 350 Abs. 3 StPO erging, sowie die Meinung von Pelchen, LM 1964 Nr. 4 zu § 141 StPO. 9 Kieschke
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Nach § 140 Abs. 2 StPO ist die Bestellung eines Verteidigers in den nicht von Absatz 1 erfassten Fällen notwendig, wenn die "Schwere der Tat" oder die "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt. Das Gesetz verwendet hier zwei unbestimmte Rechtsbegriffe, welche die Fälle einer Pflichtverteidigerbestellung in einer "zwar elastischen, aber doch sehr deutlichen Weise,,49 bestimmen. Die Bejahung des Vorliegens solcher Fälle ist aber letztlich in das Ermessen des beiordnenden Vorsitzenden des jeweiligen Gerichts gestellt50 und daher überwiegend durch die dazu ergangene Judikatur ausgefüllt worden. 51 Angebracht ist es daher, weniger von einer notwendigen, denn vielmehr einer "als geboten erscheinenden" Verteidigung zu sprechen. 52 Als dritte Möglichkeit einer notwendigen Verteidigung nennt § 140 Abs. 2 StPO den Fall, "daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann". Vom reinen Wortlaut her erfasst die gesamte Regelung somit eine Vielzahl von Fällen und entspricht damit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK. 53 Bedauerlicherweise waren die Revisionsgerichte hinsichtlich der Beiordnung von Pflichtverteidigern für die Revisionshauptverhandlung nach § 140 Abs. 2 StPO bis zum Ende der siebziger Jahre sehr zurückhaltend. 54 Denn auch hier ergeben sich wiederum Besonderheiten für die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht. Wirklich einschlägig für die Beurteilung, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung im Revisionsverfahren gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen ist, kann nur das Merkmal der "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage,,55 sein und damit die Frage, ob es sich - unabhängig davon, dass sich der Ange48 Vgl. statt vieler BGHSt 19, 258 (261) = NJW 1964, 1035 (1037); OLG Köln, Beschl. v. 21. 01. 1964 - 1 Ws 74/63, OLGSt (alt) StPO § 140, S. 3 m. w. N.; Pelehen, LM 1964 Nr. 4 zu § 141 StPO; LR(23)-Meyer, § 350 Rn. 7 m.w.N. 49 Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 140 Erl. 24. 50 Für eine Ermessensentscheidung BGH NJW 1963, 1114 (1115); LR(23)-Dünnebier, § 141 Rn. 32 f.; KMR(6)-Müller, § 140 Erl. 5; Peters, Strafprozess, § 29 III (S. 186); B. Schneider, S. 74 f.; a.A. OLG Stuttgart, Urteil v. 17.07. 1964 - 1 GG 302/64, OLGSt (alt) StPO §140 Abs. 2, S. 1; Lantzke, NJW 1971, S. 738 m.w.N. (für einen Beurteilungsspielraum); Hahn, S. 31 f. (ebenfalls für einen Beurteilungsspielraum); Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband I (StPO), § 140 Erl. 24. 51 Bei der Betrachtung der relevanten gerichtlichen Praxis soll im Folgenden getreu dem hier verfolgten Anspruch, die Rechtslage bis zum Jahr 1977 zu erfassen - nur auf bis dato ergangene Entscheidungen abgestellt werden. 52 Vgl. LR(23)-Dünnebier, Vor § 137 Rn. 6 sowie erneut bei § 140 Rn. 31. 53 So schon Schom, Art. 6 Absatz 3c Erl. 5 (S. 231 0. 54 Vgl. Dahs, NJW 1978, S. 140; Peters, JZ 1978, S. 231; siehe dazu auch die bezeichnenden Ausführungen von Sarstedt in GagelSarstedt (3), S. 15 f., die dieser aus der Sicht eines Bundesrichters macht.
§ 6 Der Fall Pakelli
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klagte auf freiem Fuß befindet - um einen schwierigen Fall handelt. Die diesbezügliche Beurteilung hat aus der Sichtweise des Angeklagten zu erfolgen 56 und sich auch an seinen persönlichen Fähigkeiten57 zu orientieren. Allerdings kam gerade an dieser Stelle der Beurteilungsspielraum des Vorsitzenden besonders zum Tragen und manifestierte sich in einer Fülle von Einzelfallentscheidungen58 , die meist nicht zur Bestellung eines Verteidigers führten. 59 Abgesehen davon, dass es sich in der Sache Pakelli um einen der seltenen Fälle handelte, in denen beim BGR eine Revisionshauptverhandlung anberaumt wurde6o , hatte die Revisionsbegründung eine Fülle juristischer Probleme aufgeworfen, die vom Bundesgerichtshof (wie vom EGMR geschildert) gerade hinsichtlich des Verbots der Mehrfachverteidigung grundsätzlich für die Zukunft geklärt worden sind. Es handelte sich also mithin um fachliche Fragen, die einem juristischen Laien, zumal einem Ausländer, welcher der deutschen Sprache nicht uneingeschränkt mächtig war, nicht ohne weiteres klar und verständlich sein konnten. Insofern barg der konkrete Fall in der Sache Pakelli eine "schwierige Rechtslage" in sich. 61 Dafür spricht ebenfalls die umfangreiche Revisionsbegründung seines Verteidigers. Die dort aufgeworfenen juristischen Fragen wurden in der Revisionshauptverhandlung noch einmal mündlich erörtert, so dass der Verweis auf die Schriftlichkeit des Revisionsverfahrens durch den Vorsitzenden des 1. Strafsenats des BGR in Pakellis Fall leerlief. Die Bestellung eines 55 Hier gilt allerdings ebenfalls: das Revisionsgericht tritt nicht in eine erneute Sachprüfung ein, so dass die Schwierigkeit der Sachlage im Revisionsverrahren ebenfalls so gut wie bedeutungslos ist. In diesem Sinne wohl auch OLG Hamburg MDR 1951, 183, das von der "alleinigen Voraussetzung einer schwierigen Rechtslage" ausgeht; für die Beiordnung des Pflichtverteidigers vorrangig im Hinblick auf die Schwierigkeit der Rechtslage auch KMR(6)-Sax, § 350 Er!. 2 sowie LR(23)Meyer, § 350 Rn. 6. 56 BVerrGE 46, 202 (211) = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977, 476 (477); B. Schneider, S. 16 f.; LR(23)-Dünnebier, § 140 Rn. 34. 57 OLG Celle NJW 1964, 877 (LS). 58 Überblicke und Nachweise bei Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil II, Nachtragsband I (StPO), § 140 Er!. 26; LR(23)-Dünnebier, § 140 Rn. 34 ff. 59 Kritisch zu der daraus resultierenden Abhängigkeit des Angeklagten vom Vorsitzenden Hahn, S. 75 ff. 60 Wie der EGMR zu Recht festgestellt hat, kamen Revisionshauptverhandlungen am Bundesgerichtshof praktisch sehr selten vor; dazu vg!. auch die Angaben zu den Jahren 1978/1979 bei Rieß, FS Sarstedt, S. 286, 323 sowie die Übersicht zu den Revisionen ab 1950 (S. 320). Allein der Umstand, dass eine Hauptverhandlung stattfand, konnte schon als Indiz dafür angesehen werden, dass der konkrete Fall juristische Probleme aufwarf, zu deren Klärung ein Laie allein nicht ohne weiteres in der Lage war; ebenso Dahs, NJW 1978, S. 141. 61 Eine solche Konstellation wird von Hahn, S. 14 als Beispiel für eine typischerweise schwierige Rechtslage genannt. 9*
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Pflichtverteidigers für dessen Revisionshauptverhandlung war somit allein gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten. cc) Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 (BVerfGE 46, 202 = NJW 1978, 151) Zusätzlich ergab sich die Notwendigkeit einer Ptlichtverteidigerbestellung für Pakellis Verfahren auch im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 19. Oktober 197762 für die Beiordnung eines Ptlichtverteidigers in der Revisionshauptverhandlung aufgestellten Grundsätze. 63 Das Bundesverfassungsgericht betonte hier die Konkretisierung des "Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung" durch die strafprozessualen Vorschriften über die Notwendigkeit einer Verteidigung im Strafverfahren. Diese Normen trügen letztlich dazu bei, dem Betroffenen seine Rechte, auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, zu wahren. Um dieses zu sichern, ergänzte das Bundesverfassungsgericht die in § 140 Abs. 2 StPO normierten Fälle um generell alle Fälle, in denen der Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt würde. 64 Diese Verletzung sei jedenfalls dann gegeben, wenn es sich um einen "schwerwiegenden Fall" handele und der "Beschuldigte die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen" vermöge. 65 Dabei fällt auf, dass die vom Bundesverfassungsgericht genannten Kriterien in ihrer Bedeutung fast genau mit den in der Verfahrensgarantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK genannten Voraussetzungen ("Mittellosigkeit" und "Interesse der Rechtspflege") übereinstimmen. Das Vorliegen eines schwerwiegenden Falles sei nach Ansicht der Karlsruher Richter aus der Interessenlage des Betroffenen heraus zu beurteilen, und es seien beispielsweise die zu erwartenden Auswirkungen auf das Schicksal des Angeklagten zu berücksichtigen. 62 Beschl. des Zweiten Senats des BVerfG - 2 BvR 462/77, BVerfGE 46, 202 = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977, 476 = JZ 1978, 20 mit zustimmenden Anmerkungen von Dahs, NJW 1978, S. 140 sowie Peters, JZ 1978, S. 230. 63 Der betreffende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 wurde von Pakellis Verteidiger in dessen Gegenvorstellungen vom 7. November 1977 zur erstmaligen Ablehnung seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung auch angeführt. Offensichtlich war er jedoch zu "frisch", um vom Vorsitzenden des 1. Strafsenats des BGH entsprechend gewürdigt werden zu können, zumal der offizielle Abdruck der Entscheidung erst viel später erfolgte und unter Umständen noch nicht vollständig vorlag. 64 Gegen eine Ausweitung des § 140 Abs. 2 StPO zuvor noch LG Frankfurt a.M. NJW 1967,66 (67). 65 BVerfGE 65, 202 (210 f.) = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977, 476 (477); kritisch zum Kriterium der Mittellosigkeit des Angeklagten Dahs, NJW 1978, S. 141.
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Unter rechtsfehlerfreier Berucksichtigung dieser vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe hätte Pakelli allein und unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die von seinem Anwalt vorgebrachte Mittellosigkeit und die drohende offizielle Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland ein Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung vor dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes bestellt werden müssen. Die entgegenstehende Ansicht des Senats vorsitzenden war daher auch diesbezüglich eine fehlerhafte Ermessensentscheidung. c) Schlussfolgerung für den Fortgang der Untersuchung im Fall Pakelli Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass es in der Sache Pakelli nach der Rechtslage des Jahres 1977 durchaus geboten war, ihm einen Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung beizuordnen, dieses jedoch letztlich der Vorsitzende des Revisionsgerichts nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen hatte. Seine ablehnende Entscheidung stellt daher in erster Linie eine Einzelfallentscheidung dar, die nicht zwingend vom Gesetz gefordert, sondern vielmehr von den einschlägigen gesetzlichen Regelungen und ihrer Ausfüllung durch die Praxis nur gestattet wurde. 66 Für diese Arbeit ergibt sich daraus die Konsequenz, dass im Hinblick auf die Folgen des Pakelli-Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte primär die Praxis der Revisionsgerichte in Deutschland zu untersuchen ist, um festzustellen, ob sich diese an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Grundsätzen orientiert haben oder ob sich ungeachtet dessen Fälle, wie der Pakellis, wiederholt haben. Vorausgeschickt werden soll, dass sich die oben dargestellte Rechtslage zu §§ 140 ff., 350 StPO zwischen der Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung im Fall Pakelli für die Revisionshauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof im Jahre 1977 und dem darauf bezogenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahre 1983 nicht wesentlich geändert hat. Auf eine ausführliche (weil neuerliche und daher überflüssige) Darstellung wird daher verzichtet. 67 Hinzuzufügen bleibt nur noch, dass die Vgl. Stöcker, NStZ 1983, S. 374 a.E. Zum Vergleich mit den obigen Ausführungen siehe stattdessen DahslDahs (2), Rn. 153 ff. (zur Vernachlässigung der Pflichtverteidigerbestellung als Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO) sowie Rn. 450 ff. (zur Revisionshauptverhandlung); SarstedtlHamm (5), Rn. 21, 473 ff.; Kühne (2), Strafprozeßlehre, Rn. 87; KK(l)-Laufhütte, § 140 Rn. I, 6, 20 ff.; KK(l)-Pikart, § 350 Rn. 7 ff. (vor allem Rn. 11 0; Kleinknecht-Meyer (36), § 140 Rn. 5, 16 ff. sowie zu § 350 Rn. 3 ff.; KMR(7)-Müller, § 140 Rn. 6; KMR(7)-Paulus, § 350 Rn. 3 ff.; Oellerich, StrVert 1981, S. 434 ff.; Wasserburg, GA 1982, S. 316 ff. 66 67
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Zulässigkeitsentscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte im Fall Pakelli nach ihrem Abdruck im "Strafverteidiger,,68 relativ schnell in zwei praktisch einflussreichen strafverfahrens rechtlichen Werken, einem bemerkenswerten Aufsatz sowie einer Urteilsanmerkung Erwähnung gefunden hat. 69 2. Die Praxis des Bundesgerichtshofs in der Zeit nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli
Haben nun die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Revisionshauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof in der Folgezeit eine Resonanz erfahren? Von Interesse bei der Beantwortung dieser Frage ist dabei, ob die Pflichtverteidigung für eine Hauptverhandlung vor dem BGH im Rahmen eines Revisionsverfahrens vielleicht gar zum Regelfall geworden ist oder ob sich die bis 1977 restriktive Praxis des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO fortgesetzt hat. Bei der Untersuchung der Frage, ob es sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erneut ereignet hat, dass einem sich auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof verweigert wurde, ergibt sich zunächst die Schwierigkeit, dass - soweit ersichtlich - sowohl in den einschlägigen Fachzeitschriften, den strafverfahrensrechtlichen Entscheidungssammlungen als auch unter iuris nur wenige entsprechende Fälle veröffentlicht worden sind. 7o Molketin, der umfangreiche Rechtsprechungsübersichten zu § 140 Abs. 2 StPO veröffentlicht hat 71 , weist keine Judikatur zur Hauptverhandlung vor einem Revisionsgericht (sei es vor dem BGH, sei es auch "nur" vor einem OLG/dem KG/dem BayObLG) nach, sondern widmet jeweils nur der Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Begründung der Revision einen eigenen knappen Abschnitt. 72 Hier: StrVert 1981, S. 379. So in KK(I)-Laujhütte, § 140 Rn. 6 und SarstedtlHamm (5), Rn. 473; bei Hanack, FS Dünnebier, S. 302 sowie in der Anmerkung von Dahs zum (vorstehenden) Besch!. des OLG Hamm v. 05. 02. 1981 - 1 Ws 15/81, NStZ 1982, S. 347. 70 Kritisch zur restriktiven Veröffentlichungspraxis des BGH: Hamm, Symposium des DAV 1986, S. 24 f. Der Beitrag von Hamm ist in überarbeiteter Fassung abgedruckt in StrVert 1987, S. 262 ff. (siehe hier: S. 264). 71 Abgedruckt in AnwB!. 1989, S. 19 ff; AnwB!. 1991, S. 615 ff.; AnwB!. 1994, S. 15 ff; AnwBl. 1995, S. 527 ff.; AnwB!. 1998, S. 175 ff. sowie in AnwB!. 2001, S. 85 ff. (Teil 1), 208 ff. (Teil 2); Jura 1992, S. 120 ff. n Vgl. Molketin, AnwBl. 1991, S. 620; ders., AnwBI. 1994, S. 19; ders., AnwBI. 1995, S. 535; ders., AnwBI. 1998, S. 180. In der Rechtsprechungsübersicht für die 68
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§ 6 Der Fall Pakelli
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a) (Veröffentlichte) Gerichtsentscheidungen, die sich auf das Pakelli-Urteil beziehen Möglicherweise geben zunächst die veröffentlichten Entscheidungen, die das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli zitieren oder erwähnen, Aufschluss über etwaige Auswirkungen des Urteils. Seit 1983 wurde das Pakelli-Urteil siebenmal73 genannt. Gleich einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass es sich dabei in fünf Fällen um Entscheidungen handelt, die im Zusammenhang mit den Bemühungen von Pakelli stehen, nach seinem Erfolg in Straßburg eine Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens zu erreichen. 74 In einer Entscheidung handelt es sich offensichtlich um ein Fehlzitat oder einen Fehler beim auszugsweisen Abdruck in der NStZ. 75 Die siebente Entscheidung, ein Beschluss des OLG Düsseldorf76 , behandelt vorwiegend die Frage nach der Freistellung des Verurteilten von den Pflichtverteidigerkosten. Zu den Voraussetzungen der Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung enthält sie jedoch keine Aussagen. Das Pakelli-Urteil wird hier nur dahingehend gebraucht, um kurz die Ansicht des EGMR zum Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK darzustellen77 und für die Argumentation des OLG heranzuziehen, die Mittellosigkeit des Angeklagten bedinge auch die Freistellung des Betroffenen von den Pflichtverteidigerkosten. Jahre 1996/1997 (abgedruckt in AnwBl. 2001, S. 85 ff. , 208 ff.) fehlen Nachweise bezüglich einer Verteidigerbestellung für die Anfertigung der Revisionsbegründung schließlich auch. 73 In BVerfG EuGRZ 1985, 654 = NJW 1986, 1425 = StrVert 1987, 185 = ZaöRV 46 (1986), 289; BGH StrVert 1999, 138 = NStZ-RR 1999, 176; OLG Düsseldorf StrVert 1986,204 = NStZ 1985, 370; OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 = MDR 1985, 605 = VRS 68 (1985), 367 = YB 28 (1985), 289; OLG Stuttgart Die Justiz 1999,382 = NStZ 1999,587; OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 20 = NStZ-RR 2000,243 = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 13; LG Düsseldorf NStZ 1988,427. 74 Dazu sogleich unter H. 75 Gemeint ist hier der Beschl. des LG Düsseldorf v. 26. 08. 1987 - XII 29/87, NStZ 1988, 427 in dem das Pakelli-Urteil zwar erwähnt wird (a. a. 0., S. 428), offensichtlich jedoch das Urteil des EGMR im Fall Eckle gemeint ist. Immerhin entschied das Landgericht zur Frage der Einstellung eines Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer und nicht zur Frage der Pflichtverteidigerbestellung für eine Revisionshauptverhandlung. Der naheliegende Bezug auf das Urteil des EGMR im Fall Eckle wird daran deutlich, dass das Landgericht an anderer Stelle erneut und explizit auf dieses Urteil Bezug nimmt (a. a. 0 ., S. 428). 76 Beschl. v. 21. 03. 1985 - 5 Ws 2/84, StrVert 1986,204 = NStZ 1985,370. 77 OLG Düsseldorf StrVert 1986, 204 (205). Das OLG beruft sich daneben auch auf das Luedicke-Urteil des EGMR und dessen Aussagen zu Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK.
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Die wenigen Entscheidungen deutscher Gerichte, die das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli erwähnen oder zitieren, lassen demnach keine Rückschlüsse auf generelle Folgewirkungen zu. Weiterhin ist auffällig, dass im Zusammenhang mit der allgemeinen Bestellung von Pflichtverteidigem weitaus häufiger der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 197778 zur Argumentation herangezogen wird.79 Diese nur sechs Jahre vor dem Pakelli-Urteil veröffentlichte Entscheidung behandelte zwar die gleiche Materie wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli. Es wird hier jedoch wieder einmal mehr deutlich, dass deutsche Gerichte eher auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (zum Rechtsstaatsprinzip) als auf die des EGMR (zu menschenrechtlichen Garantien) achten. b) (Veröffentlichte) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Revisionshauptverhandlung Unter Umständen lässt sich ein Einfluss des Pakelli-Urteils aus den veröffentlichten Entscheidungen des BGH im Zusammenhang mit Revisionshauptverhandlungen entnehmen. Im relevanten Zeitraum zwischen April 1983 und Herbst 2001 sind nur zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs veröffentlicht worden, die sich näher mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Revisionsverfahren befassen. 8o Dabei handelt es sich um einen Beschluss des 1. Strafsenats81 und eine Verfügung des dortigen Vorsitzenden 82 . Die sehr geringe Zahl an Veröffentlichungen des Bundesgerichtshofs zur Pflichtverteidigung in der Revisionshauptverhandlung lässt sich aufgrund des Umstandes erklären, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Ablehnung richterliche Verfügungen83 sind. Diese werBVerfGE 46, 202 = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977,476 = JZ 1978,20. Siehe nur OLG Düsseldorf NStZ 1984, 43 = StrVert 1984, 66; KG StrVert 1985, 184; KG StrVert 1986, 239; OLG Brandenburg StrVert 2000,69 (70). 80 Nicht in diese Sammlung aufgenommen wurden die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verhandlungsfahigkeit des früheren Ministers und obersten Dienstherren des Staatssicherheitsdienstes der DDR Erich Mielke (in BGHSt 41, 16 = NJW 1995, 1973 sowie BGHSt 41, 69 = DtZ 1995, 303), da der BGH nur am Rande auf die Bedeutung des Verteidigers für die Revisionshauptverhandlung einging. Siehe zum Fall Mielke auch BVerfG NJW 1995, 1951 sowie BGHSt 41, 72 = DtZ 1995,296. 81 Beschl. v. 11 . 07. 1996 - 1 StR 352/96, NStZ 1997, 48 = HRSt Nr. 2 zu § 140 StPO. 82 Verfügung des Vorsitzenden v. 19. 12. 1996 - 1 StR 76/96, StrVert 1997, 238 = NStZ 1997,299 = BGHR StPO § 141 - Bestellung 2. 83 Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers durch richterliche Verfügung, die den Charakter eines begünstigenden Verwaltungsaktes habe, vgl. BVerfGE 39, 238 (244) = NJW 1975, 1015 (1016); Hahn, S. 29; Wasserburg, GA 1982, S. 311; a.A. 78
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den aber im Regelfall nicht veröffentlicht. Einen Rückschluss auf die Praxis der Revisionsgerichte können meist nur die diesbezüglich eingelegten Verfassungsbeschwerden geben. 84 Beide Entscheidungen lassen jedoch den Bezug zum Urteil des EGMR im Fall Pakelli vermissen. In der veröffentlichten Verfügung finden sich immerhin kurze Ausführungen zu den Voraussetzungen der Ptlichtverteidigerbestellung für eine Revisionshauptverhandlung im Rahmen von § 140 Abs. 2 StPO. Der Vorsitzende des 1. Strafsenats bejahte hier einen schwerwiegenden Fall wegen der Schwere des gegen die Angeklagte erhobenen Tatvorwurfs und sah die Verteidigung als notwendig an. Leider lässt sich der Verfügung nicht entnehmen, ob der Vorsitzende Kenntnis von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli hatte. Die Formulierung "insoweit lag ein schwerwiegender Fall vor" [Hervorhebung durch Verf.] lässt aber zumindest einen Einfluss des oben schon besprochenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 erkennen, in dem das BVerfG § 140 Abs. 2 StPO über seinen vom Wortlaut bestimmten Anwendungsbereich hinaus auf alle "schwerwiegenden Fälle" erweiterte. c) Die (ungeschriebene) Praxis der Strafsenate des Bundesgerichtshofs Im Hinblick auf die Beantwortung von schriftlichen Anfragen des Verfassers bei den Senatsvorsitzenden des Bundesgerichtshofs lassen sich aber zumindest Aussagen für die derzeitige Praxis der Vorsitzenden des 1. bis 4. Strafsenats in Karlsruhe und der Vorsitzenden Richterin am 5. Strafsenat des BGH in Leipzig für das Jahr 2000 treffen. 85 Alle Senate konnten zwar nur bedingt detaillierte Angaben zur Zahl der bestellten Ptlichtverteidiger und die diesbezüglichen Begründungen machen, da hierüber am Bundesgerichtshof keine Statistik geführt wird. Dennoch lässt sich folgendes Bild zeichnen: der Vorsitzende des 2. Strafsenats betonte in seinem ersten kurz LR(25)-Lüderssen, § 141 Rn. 1 f.; Vogelsang, S. 106 ff. (S. 115). Die Rechtsnatur der Bestellung ist im Übrigen nicht vollständig geklärt: vgl. AK-Stem, Vorbem. § 140 Rn 23 f. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung von einer ..besonderen Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken" aus: vgl. BVerfG NJW 2001, 1269. 84 So hatte sich das BVerfG im oben schon angesprochenen Beschluss aus dem Jahr 1977 (BVerfGE 46, 202) mit der Bestellung eines Verteidigers für die Revisionshauptverhandlung zu befassen; ebenso erneut im Jahre 1983 (BVerfGE 65, 171). Ansonsten waren diesbezügliche Verfassungs beschwerden in der Vergangenheit eher spärlich gesät. 85 Der Schriftverkehr mit dem Vorsitzenden des 2. Strafsenats - derzeit ebenfalls Vizepräsident des Bundesgerichtshofs - verlief unter dem Aktenzeichen 2 ARs 97/ 01 (Schreiben des BGH vom 08. Mai 2001 sowie 07. Juni 2001).
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
gefassten - und nach seiner Aussage mit den anderen Karlsruher Strafsenaten abgestimmten - Schreiben den Einzelfallcharakter der Entscheidungen der Senatsvorsitzenden. Diese hingen von der Sachlage und den gestellten Anträgen ab. Eine Bestellung scheide jedenfalls immer dann aus, wenn sich ein Wahlverteidiger gemeldet habe. In seinem zweiten Schreiben beschrieb der Vorsitzende des 2. Strafsenats seine eigene Praxis: ein Pflichtverteidiger werde ausnahmslos bestellt, wenn der Angeklagte oder ein Verteidiger die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Hauptverhandlung wünsche. Werde kein Antrag angebracht, prüfe er die Frage von Amts wegen, verhandle aber in einfachen Fällen auch ohne Anwalt. Keinem Angeklagten, der einen Verteidiger wünsche, werde dieser Wunsch jedoch letztlich abgeschlagen. Ebenfalls in diese Richtung gehen die Angaben des 5. Strafsenats. Dieser hatte im Jahre 2000 in 628 Verfahren über Revisionen gegen erstinstanzliche landgerichtliche Urteile zu entscheiden. Lediglich in 36 Verfahren wurde eine Hauptverhandlung durchgeführt, was einem zahlenmäßigen Anteil von 5,73 % entspricht. Von der Vorsitzenden des 5. Strafsenats wurde dabei in jedem Fall sichergestellt, dass stets ein Verteidiger an der Hauptverhandlung mitwirkte, der - soweit die Angeklagten keinen Wahlverteidiger hatten - "ohne Ausnahme" bestellt wurde. 86 Dem Schreiben des 5. Strafsenats ließ sich im Übrigen entnehmen, dass die Angeklagten selbst nur höchst selten an Hauptverhandlungen teilzunehmen pflegten, was mit früheren Erfahrungen des gleichen Strafsenats87 übereinstimmt. Leider liegen entsprechende detailfreudige Aussagen der anderen drei Strafsenate des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe nicht vor. Dem Verfasser ist es daher unabhängig von der am Bundesgerichtshof nicht geführten Statistik nahezu unmöglich zu sagen, ob und wieviele Anträge auf Bestellung von Pflichtverteidigern für die Revisionshauptverhandlungen in den Verfahren (ausländischer) Angeklagter vor dem Bundesgerichtshof insgesamt von den Vorsitzenden der fünf Strafsenate in der Zeit vor und nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Pakelli abgelehnt worden sind. 88 Hier kann nur erneut auf die schon erwähnten kritischen Stimmen verwiesen werden, die den Revisionsgerichten (also auch dem BGH) zumindest bis gegen Ende der 70er Jahre eine zurückhaltende Praxis hinsichtlich der Pflichtverteidigerbestellung für die Revisionshauptverhandlung bescheinigten. 89 Im Hinblick auf die derzeitige 86 Siehe hierzu den Hinweis auf die frühere Praxis des 5. Strafsenats, für die Revisionshauptverhandlung überwiegend ortsansässige Anwälte zu bestellen bei AK-Stem, § 140 Rn. 8. 87 Vgl. BGHSt 41,69 (71) = DtZ 1995, 303 (304). 88 Nach der Einschätzung von Odersky, GS Ryssdal, S. 1044 folgen die Revisionsgerichte uneingeschränkt der Rechtsauffassung des EGMR.
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Praxis des 5. Strafsenats scheint sich diese Kritik heute so nicht mehr anbringen lassen zu können. 9o In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass der prozentuale Anteil von Revisionshauptverhandlungen vor dem Bundesgerichtshof im Vergleich zur Anzahl der eingelegten Revisionen noch weiter gesunken ist. Wurden 1979 noch etwa 9,954% (::: 367) der im gesamten Jahr 1979 erledigten 3687 Revisionen durch Urteil nach einer Hauptverhandlung entschieden91 , so ist diese Zahl über die 80er Jahre 92 bis in die Mitte der 90er Jahre 93 hinein bei annähernd konstanter Zahl an eingelegten und erledigten Revisionen stetig im Rückgang begriffen. Im Jahre 2001 wurden 193 der 2833 erledigten Revisionen nach einer Hauptverhandlung durch Urteil entschieden, was einem Anteil von 6,8% (2000: 6,0%; 1999: 5,8%) entspricht. 94 Die Anzahl an Revisionshauptverhandlungen vor dem Bundesgerichtshof scheint leicht zuzunehmen, ist aber prozentual immer noch sehr gering. Dieses ist umso beachtlicher, da Revisionen von Angeklagten in der 89 Siehe nur Kohlhaas, NJW 1951, S. 179; Dahs, NJW 1978, S. 140; Molketin, Schutzfunktion, S. 154 m. w. N. 90 Auch DahslDahs (6), Rn. 560 meint, in der recht unterschiedlichen Praxis der Revisionsgerichte eine Tendenz zur zunehmenden Bejahung notwendiger Verteidigung in Fällen mit "schwierigeren revisionsrechtlichen Fragen" zu erkennen. Molketin, Schutzfunktion, S. 154 hingegen meint, der früheren Praxis der Revisionsgerichte sei mittlerweile ein Ende bereitet worden. Er führt das vor allem auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983 (BVerfGE 65, 171) und das Pakelli-Urteil des EGMR zurück (a. a. 0., S. 158 f.). Von einer wesentlichen Auswirkung des Falls Pakelli auf die Praxis der Revisionsgerichte spricht auch Frowein, HStR, § 180 Rn. 53 a.E. 91 Vgl. die tabellarische Übersicht bei Rieß, FS Sarstedt, S. 320. 92 Bspw. wurden im Jahr 1984 von 3960 erledigten Revisionsverfahren am Bundesgerichtshof nur 323 (= etwa 8,16%) durch Urteil beendet. Siehe die jüngere Übersicht von Rieß, Symposium des DAV 1986, S. 53. Der Beitrag ist auszugsweise abgedruckt in StrVert 1987, S. 269 ff. 93 Barton ermittelt in seiner sehr umfangreichen Untersuchung zur Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen für die Jahre 1991 bis 1996 nur noch eine Urteilsquote von 6,6% (!): vgl. Barton, S. 48 ff. sowie erneut ders., StraFo 1998, S. 327 f. Leider gibt Barton keinen Hinweis darauf, ob und wieviele Angeklagte in der Revisionshauptverhandlung unverteidigt waren und verschweigt damit eine etwaige Praxis der BGH-Senats-Vorsitzenden hinsichtlich der Bestellung von Pflichtverteidigern. Er stellt nur bei der Untersuchung eines "Verteidigerprofils" durch nicht ohne weiteres repräsentative Aktenanalysen fest, dass jedenfalls 71 % der Verteidiger bestellt worden waren und gibt folgendes Fazit: "Der typische Verteidiger in der Revisionsinstanz ist der gleiche, wie vor dem Landgericht, nämlich ein nicht spezialisierter, allein auftretender und vom Vorsitzenden bestellter ortsansässiger Anwalt." (Barton, S. 75); siehe zur Erledigung der Revision durch Urteil auch die Zahlenangaben bei AK-Maiwald, § 349 Rn. 1; Pfeiffer, Grundzüge, Rn. 164 (S. 90; für das Jahr 1997). 94 Vgl. den Bericht auf der homepage des BGH: http://www.bundesgerichtshof de/presseOl .htm [Stand: 20.06.2002]; siehe auch NJW, Heft 812002, S. XXXII.
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Praxis des Bundesgerichtshofes häufig durch Beschluss verworfen werden, während bei den Revisionen der Staatsanwaltschaft, die in weitaus geringerer Anzahl eingelegt werden, häufiger eine Hauptverhandlung stattfindet. 95 Es spricht allein aus diesem Grund noch mehr dafür, das Anberaumen einer Revisionshauptverhandlung - vom Gesetz eigentlich als "Normalfall einer Revision,,96 verstanden - als ein Indiz dafür zu sehen, dass kompliziertere juristische Fälle entschieden werden müssen. 97 Wie sich aus § 349 Abs. 5 StPO ergibt, findet eine Hauptverhandlung nämlich nur statt, wenn die eingelegte Revision nicht unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (§ 349 Abs. 1 und 2 StPO) oder gemäß § 349 Abs. 4 StPO vom Revisionsgericht einstimmig für begründet erachtet wird. 98 Eine Revision, die nicht durch dieses Raster fallt, wirft demnach diskussionswürdige oder notwendigerweise zu diskutierende Probleme auf. Dafür bietet die Revisionshauptverhandlung die Plattform. Eine hier verhandelte Revision erfordert in hohem Maße die Anwesenheit eines Verteidigers (ob nun Wahl- oder Pflichtverteidiger) zur Vertretung der Angeklagteninteressen.99 d) Exkurs: Die Praxis am 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle Die soeben dargestellte Praxis des Bundesgerichtshofes betrifft im Übrigen gleichermaßen die Praxis der Oberlandesgerichte in Revisionssachen, so dass an dieser Stelle ein kurzer Exkurs erlaubt sein soll. In einem Gespräch des Verfassers mit dem Vorsitzenden des 2. Strafsenats am Oberlandesgericht Celle teilte dieser die Erfahrungen der Vorsitzenden der Strafsenate am Bundesgerichtshof. Das Problem der Bestellung eines Pflichtverteidigers stelle sich in der Praxis höchst selten, was der geringen Anzahl an Hauptverhandlungen geschuldet sei. Meist handele es sich in diesen Fällen um Revisionen der Staatsanwaltschaft und nur selten um Revisionen des Angeklagten, dessen Anträge auf Revision meist ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden würden. Lege hingegen die Staatsanwaltschaft Revision ein, käme es eher zu einer Hauptverhandlung, in der dem Angeklagten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werde. 95 Vgl. Barton, S. 220. Eine entscheidende Rolle spielt dabei in der Regel der Antrag des Generalbundesanwalts, dem sich der BGH meist anschließt: siehe wiederum Barton, S. 196 f., 220; ders., StraFo 1998, S. 331 f. 96 AK-Maiwald, § 349 Rn. 1. 97 Zutreffend Voge/sang, S. 66; so schon Dahs, NJW 1978, S. 141; Oellerich, StrVert 1981, S. 435. 98 Zu den einzelnen Möglichkeiten, die Revision durch Beschluss zu entscheiden, statt vieler näher SarstedtlHamm (6), Rn. 1239 ff. 99 Im Ergebnis ebenso Hanack, FS Dünnebier, S. 310 sowie erneut S. 320.
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Der Vorsitzende teilte allerdings ebenfalls die Erfahrung der Vorsitzenden am 5. Strafsenat des BGH: die Angeklagten kämen selten selbst zur Revisionshauptverhandlung, weil das Gesetz sie nicht dazu zwinge. In den Fällen, in denen eine Hauptverhandlung stattfinde, wäge der Senats vorsitzende sorgsam ab, ob die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Einzelfall notwendig sei. Pauschal bejahte er dieses nicht, da die Anwesenheit eines Verteidigers in einfachen Fällen oder Revisionen der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten nicht unbedingt notwendig sei.
3. Die heutige Gesetzeslage bezüglich der Pflichtverteidigerbestellung für die Revisionshauptverhandlung und Änderungsvorschlag de lege ferenda a) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung nach heutigem Recht Seit 1977 haben sich die hier diskutierten gesetzlichen Grundlagen zur Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung nicht grundlegend geändert. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verlangte eine solche Gesetzesänderung auch nicht. Es handelte sich in der Sache Pakelli um einen Einzelfall, der aus einer rechtsfehlerhaften Beurteilung seines Falles durch den Vorsitzenden des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofes resultierte. Die damals geltenden Normen haben die Bestellung eines Pflichtverteidigers ermöglicht und in Pakellis Fall auch geboten. Eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen war aufgrund des Urteils des EGMR demzufolge nicht notwendig. 100 Somit erfolgt die Bestellung auch heute noch durch den Vorsitzenden des Revisionssenats gemäß §§ 350 Abs. 3, 140 Abs. 2 StPO. lOl Eine weitere gesetzliche Grundlage zur Bestellung eines Pflichtverteidigers stellt Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK dar 102 , der von den Revisionsgerichten gleichermaßen neben den entsprechenden Vorschriften der StPO heranzuziehen ist, was umso deutlicher anhand des Umstandes wird, dass die Bundesrepublik So auch Stöcker, NStZ 1983, S. 374. BGH StrVert 2001, 606; OLG Stuttgart StrVert 2000, 413 (LS); vgl. dazu auch BGH DAR 2000, 198 = BGHR StPO § 141 - Bestellung 3. Aus der Literatur siehe nur Pfeiffer, Kommentar, § 140 Rn. 3; LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 9 ff.; Vogelsang, S. 65 ff.; E. Müller, Rn. 104. Für Molketin, Jura 1992, S. 120 ist die Revisionshauptverhandlung eine der wenigen für die Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO verbleibenden Konstellationen. Krey spricht hingegen nur von "analoger Anwendung": vgl. Krey, Rn. 690. 102 Zutreffend Stöcker, NStZ 1983, S. 374. Dementsprechend geht auch Vogelsang, S. 69 an einschlägiger Stelle kurz darauf ein. \00
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im Fall Pakelli ja wegen Verletzung eben dieser Konventionsgarantie völkerrechtlich verurteilt worden ist. Dennoch tritt die Beachtung des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK in der Praxis angesichts der in ihrem Umfang gleichbedeutenden deutschen Normen leider allzu leicht in den Hintergrund. Trotz dem die Anpassung der deutschen Rechtslage nach der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte somit nicht zu den unmittelbaren Folgerungen aus dem Urteil zu zählen ist, könnte sich dennoch unter dem Gesichtspunkt, künftig gleichartige Konventionsverletzungen zu vermeiden, die Pflicht des Gesetzgebers ergeben, die Strafprozessordnung, respektive die Regelung des § 350 StPO, im Hinblick auf die Bestellung von Pflichtverteidigern für die Revisionshauptverhandlung zu reformieren. Unabhängig von der Vereinbarkeit der Bestimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde in der Literatur 103 schon kurz nach Einführung des Absatzes 3 in den § 350 StPO heftige Kritik an der nicht nachvollziehbaren und sachlich nicht gerechtfertigten Trennung zwischen sich auf freiem Fuß und sich in Haft oder sonstiger Unterbringung befindlichen Angeklagten geäußert, die vom Gesetzgeber jedoch (bisher) nicht beachtet wurde. Diese Untätigkeit ist unverständlich, denn es leuchtet in der Tat nicht ein, warum dem sich in Haft befindlichen Angeklagten, der zugegebenermaßen vom Gesetzeswortlaut her selbst keinen Anspruch auf Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung hat 104 (§ 350 Abs. 2 Satz 2 StPO), auf seinen Antrag hin ein Pflichtverteidiger vom Vorsitzenden des Revisionsgerichts bestellt wird, während sich ein in Freiheit befindlicher Angeklagter, der sich finanziell keinen Wahlverteidiger leisten kann 105, auf eine wohlwollende Beurteilung der Umstände seines Falles und damit letztlich den Ermessensspielraum des Richters gemäß § 140 Abs. 2 StP0 106 verlassen 103 Vgl. Eh. Schmidt, NJW 1967, S. 855 ff.; ders., Strafprozessrecht, Rn. 404; Hanack, FS Dünnebier, S. 301, 311 f.; ebenso AK-Maiwald, § 350 Rn. 7; Roxin (25), § 53 H 2 (Rn. 52); unter dem Gesichtspunkt von Art. 103 Abs. 1 GG auch Arndt, NJW 1965, S. 148 sowie KMR(6)-Sax, § 350 Erl. 2; hinsichtlich der Praktikabilität der Norm Molketin, Schutzfunktion, S. 165. 104 Was einen eigenen Kritikpunkt darstellt: siehe AK-Maiwald, § 350 Rn. 4. 105 Vgl. in Bezug auf fehlende Mittel für die Fahrt zum Revisionsgericht Hanack, FS Dünnebier, S. 312 m.w.N. Das gleiche Problem scheint sich im Übrigen auch bei Mandanten bemerkbar zu machen, die sich prinzipiell einen Wahl verteidiger leisten können: vgl. E. Müller, Rn. 104 (S. 147 f.). 106 Auf den Ermessensspielraum im Rahmen von § 140 Abs. 2 StPO verweisen beispielsweise OLG Düsse1dorf OLGSt (neu) StPO § 140 Nr. 10, S. 3 (Beschl. v. 19. 10. 1989 - 3 Ws 784/89) sowie OLG Düsse1dorf OLGSt (neu) StPO § 140 Nr. 13, S. 3 f. (Urteil v. 22. 01. 1990 - 2 Ss 423/89 - 84/89 III); siehe auch AKStern, § 140 Rn. 25; HK(3)-Julius, § 140 Rn. 12; KK(4)-Laufhütte, § 140 Rn. 20; entgegen der insoweit herrschenden Meinung und für einen Beurteilungsspielraum
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muss. Ob darin entgegen der Auffassung des BVerfG I07 letztlich nicht doch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG liegt, erscheint denkbar. lOS Immerhin ist § 140 Abs. 2 StPO im Rahmen der notwendigen Verteidigung durch seinen generalklauselartigen Charakter eher als eine Art Auffangvorschrift zu Absatz 1 konzipiert lO9 und nicht als alleinige Bestellungsnorm für Revisionshauptverhandlungen außerhalb von § 350 StPO. Allein hier besteht unabhängig von etwaigen Konsequenzen aus dem PakelliUrteil ein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, was auf eine Änderung des § 350 StPO zugunsten des sich in Freiheit befindlichen Angeklagten hinauslaufen muss. 110 b) Die besondere Bedeutung der Revisionshauptverhandlung Die besondere Bedeutung der Hauptverhandlung wird von den mit dem Revisionsrecht befassten Autoren schon seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts betont. 111 Im einzelnen wird folgendes vorgebracht, dem sich hier uneingeschränkt angeschlossen wird: Das Revisionsverfahren bestehe nicht nur aus umfangreichen Schriftsätzen l12 , sondern erhalte seine Bedeutung gerade auch in der mündlichen Verhandlung, in der ein Rechtsgespräch 1!3 stattfinden könne, innerhalb dessen ausreichendes rechtliches Gehör gewährt werde. 114 Oftmals würden auch neue Details des Falles angeVogelsang, S. 32 m.w.N. und wohl auch LR(25)-Lüderssen, § 140 Rn. 47 a.E.; vermittelnd und zutreffend Ahrens, S. 11 f. 107 BVerfG NJW 1965, 147. 108 AA und dem BVerfG zustimmend KK(3)-Pikart, § 350 Rn. 1; KK(4)Kuckein, § 350 Rn. 1. 109 Vgl. Hahn, S. 75; Molketin, Schutzfunktion, S. 36; ders., Jura 1992, S. 121; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 167; LR(25)-Lüderssen, § 140 Rn. 47; AK-Stern, § 140 Rn. 24 m. w.N.; Pfeiffer, Kommentar, § 140 Rn. 5. 110 So schon Eh. Schmidt, NJW 1967, S. 856 f. 111 Vgl. den kurzen Überblick bei Hanack, FS Dünnebier, S. 306 f. m.w.N.; a.A Schünemann, JA 1982, S. 130 der die Bedeutung der Revisionshauptverhandlung als "überschätzt" empfindet. 112 Diese betonen jedoch Kohlhaas, NJW 1951, S. 179 sowie Pikart, NStZ 1984, S. 83. Dem entspricht auch die Auffassung des "historischen Gesetzgebers": vgl. Hanack, FS Dünnebier, S. 302 f. sowie LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 1. Auch das BayObLG ging 1952 noch davon aus, dass "in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht mündliche Darlegungen in den Hintergrund treten": vgl. BayObLGSt 2 NF (1952), 85 (86). 113 Zum Rechtsgespräch vor dem Bundesgerichtshof vgl. Schäfer, Rn. 1850; Pfeiffer, Grundzüge, Rn. 161: "Der BGH pflegt auch die Verhandlung zu einem Rechtsgespräch zu nutzen." Ein womöglich Art. 103 Abs. 1 GG zu entnehmender Anspruch auf ein solches Gespräch ist im Übrigen von der herrschenden Meinung nicht anerkannt: vgl. - mit zutreffender Begründung - Rüping, in: BK, Art. 103 Abs. 1 (Zweitb. 1980) Rn 45 ff.; Schulte, FS Rebmann, S. 473 m. w.N.; BVerfGE
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sprochen. Im Rahmen der Diskussion rechtlicher Fragen innerhalb der Revisionshauptverhandlung ließe sich noch auf den Ausgang des Verfahrens einwirken. 115 Die Anwesenheit eines Verteidigers sei hier demnach grundsätzlich unumgänglich ll6 oder zumindest sinnvoll 1 17. Oftmals erfahre dieser auch erst in der Hauptverhandlung die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft oder des Bundesanwaltes zu seiner Revisionsbegründung und müsse bzw. könne erst dann dementsprechend im Sinne seines Mandanten reagieren. 118 Häufig würden zudem in der Hauptverhandlung Rechtsfragen diskutiert, bei denen der (in der Regel rechtsunkundige) Angeklagte - so er denn überhaupt anwesend sei 119 - nicht gewinnbringend mitreden könne. 12o Zur 54, 100 (117); E 89, 381 (391). Ein Rechtsgespräch vor dem BGH ist dennoch "erwünscht und fast immer förderlich" (so Schulte, FS Rebmann, S. 474). 114 Hier sollen sogar Verletzungen des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG im vorangegangenen Verfahren geheilt werden können: vg!. Rüping, in: BK, Art. 103 Abs. 1 (Zweitb. 1980) Rn. 93; Schulte, FS Rebmann, S. 479 unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG. 115 So Cüppers, NJW 1950, S. 80; Amdt, NJW 1965, S. 147 f.; Dahs, NJW 1967, S. 67 f. sowie ders. erneut unter Verweis auf Erfahrungen aus der Praxis in NStZ 1982, S. 346; Eh. Schmidt, Lehrkommentar Teil II, § 350 Er!. 1; ders., NJW 1967, S. 853 f.; ders., Strafprozessrecht, Rn. 402 f.; Hanack, FS Dünnebier, S. 304 f.; Vogelsang, S. 65 f.; SarstedtlHamm (6), Rn. 1269 ff.; DahslDahs (6), Rn. 567 f.; Roxin (25), § 53 H 2 (Rn. 52); AK-Maiwald, § 351 Rn. 1; KK(3)-Pikart, § 351 Rn. 4; KK(4)-Kuckein, § 351 Rn. 4; Rieß, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, § 13 Rn. 251 ; zurückhaltend Schünemann, JA 1982, S. 130. 116 In diesem Sinne Seydel, NJW 1964, S. 1035; Dahs, NJW 1967, S. 68; Eh. Schmidt, NJW 1967, S. 858; AK-Stem, § 140 Rn. 8; AK-Maiwald, § 350 Rn. 6. 117 Schlüchter, Rn. 749.2; zurückhaltender und auf den Einzelfall abstellend Hanack, FS Dünnebier, S. 309 f.; Pikart, NStZ 1984, S. 84. 118 Amdt, NJW 1965, S. 147; Dahs, NJW 1967, S. 67; Hanack, FS Dünnebier, S. 310 sowie wiederholt in LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 2; Vogelsang, S. 67; ebenso LG Verden NdsRpfl. 1969, 21 (22). Rüping, Rn. 660 betrachtet die "Überraschung" des Angeklagten mit Umständen, die letzten Endes erst im Revisionsurteil angeführt werden, sogar als einen Verstoß gegen den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör. Schulte, FS Rebmann, S. 472, 478 (Fn. 34) berichtet allerdings aus der Praxis des BGH, dass den Verfahrensbeteiligten grundSätzlich alle Eingaben der Gegenseite und den Verteidigern sogar die Terminanträge des Generalbundesanwalts für die Revisionshauptverhandlung mit ihren Begründungen mitgeteilt werden. 119 Barton kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich in 62% der von ihm untersuchten Revisionen der Angeklagte in Untersuchungshaft und von vornherein nicht auf freiem Fuß befand: vg!. Barton, S. 74. Ob diese Zahl repräsentativ ist, sei dahingestellt, da es der Angeklagte in vielen Fällen dennoch vorziehen wird, der Revisionshauptverhandlung vor dem BGH fernzubleiben: vg!. dazu auch BGHSt 41,69 (71) = DtZ 1995, 303 (304). 120 Deutlich Eh. Schmidt, NJW 1967, S. 854 f.; AK-Maiwald, § 350 Rn. 4; Hanack, FS Dünnbier, S. 311, der zudem noch auf die zunehmende "Verkomplizierung und Ausweitung des verfahrensrechtlichen ,Stoffs'" hinweist (S. 306). Siehe auch die Äußerung des BGH im Fall Mielke (BGHSt 46, 16 (19) = NJW 1995, 1973), in der Revisionshauptverhandlung fanden weniger tatsächliche als vielmehr rechtliche
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Wahrnehmung seiner Rechte und zur Sicherung der "Waffengleichheit" 121 bedürfe er folglich eines Verteidigers. Eine zusätzliche Stütze erhielt die insofern im Schrifttum vorherrschende Meinung, die mit der Praxis der Revisionsgerichte im Übrigen lange Zeit nicht ohne weiteres konform lief122, durch den schon mehrfach angesprochenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 123 , in dem die Karlsruher Richter zur Gewährleistung eines fairen Strafverfahrens den Anwendungsbereich des § 140 Abs. 2 StPO für Revisionshauptverhandlungen auf "schwerwiegende Fälle" ausweiteten. Letztendlich hatten sie damit indirekt die Bedeutung der Revisionshauptverhandlung und vor allem die unzureichende Regelung der Bestellung eines Pflichtverteidigers für eben diese innerhalb der Strafprozessordnung bestätigt. Dahs nahm in seiner Anmerkung zu dem Beschluss sogar an, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung "in Zukunft nicht mehr die Ausnahme sondern die Regel,,124 sein werde. Dennoch blieben die gesetzlichen Regelungen nach diesem Beschluss unverändert. Auswirkungen spiegelten sich nur vereinzelt in der Praxis der Revisionsgerichte wieder. 125 Die Kritik der Literatur an der bestehenden gesetzlichen Situation hatte sich insofern nicht erübrigt, so dass erneut Forderungen nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers laut wurden. 126 Dazu wurde im Wesentlichen Erörterungen statt wobei die Mitwirkungsmöglichkeiten des Angeklagten gering seien. Jagusch, NJW 1959, S. 269 sprach sogar von einer "schwer erträglichen Peinlichkeit", sofern der Angeklagte sein letztes Wort ergreife. 121 Dazu siehe nur Molketin, Schutzfunktion, S. 164; LG Verden NdsRpfl. 1969, 21 (22). 122 Vgl. an dieser Stelle nur Hanack, FS Dünnebier, S. 314 f.; Oellerich, StrVert 1981, S. 435. 123 BVerfGE 46, 202 = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977,476 = JZ 1978, 20. 124 Dahs, NJW 1978, S. 141; zustimmend Oellerich, StrVert 1981, S. 435; Wasserburg, GA 1982, S.318; neuerdings LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 11 m. w. N. entgegen seiner Auffassung in FS Dünnebier, S. 318; zweifelnd Peters, JZ 1978, S. 232. 125 Unter ausdrücklichem Bezug auf den Beschluss bejahte beispielsweise OLG Düsseldorf die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung in einem Fall, in dem der Angeklagte mit der Aufhebung eines ihn freisprechenden Urteils rechnen musste: OLG Düsseldorf NStZ 1984, 43 (44) = StrVert 1984, 66 (67) = OLGSt (neu) StPO § 141 Nr. 1, S. 3 f.; OLG Oldenburg NStZ 1984, 523 = NJW 1985, 79 (LS) = JR 1985, 257 = NdsRpfl. 1984, 241 (242) lehnte die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO für das Revisionsverfahren ab, ließ aber eine Beiordnung für die Revisionsverhandlung offen (vgl. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1984,241 (242 a.E.). 126 So beispielsweise von Hanack, FS Dünnebier, S. 318 f., der eine richterliche Rechtsfortbildung für unzureichend erachtet und allein dem Gesetzgeber die Verbesserung der "verworrenen" Situation anheim stellt; noch in der 5. Auflage von SarstedtlHamm (5), Rn. 481; Molketin, Schutzfunktion, S. 164 ff.; neuerdings wieder 10 Kieschke
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vorgeschlagen, generell notwendige Verteidigung vor dem Revisionsgericht einzuführen 127 oder eine einzelfallgerechte spezielle Regelung anstelle des § 350 Abs. 3 StPO einzuführen 128. Von anderer Seite wurde wiederum eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 350 Abs. 3 StPO auf nichtinhaftierte mittellose Angeklagte befürwortet, denen auf deren Antrag hin ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei. 129 Vereinzelt findet man in der Literatur den einfachen Hinweis, dass in der Revisionshauptverhandlung im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli bei mittellosen Angeklagten immer ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei. 130 Nähere Begründungen 131 sucht man hier jedoch vergebens, was verwunderlich ist, da diese Auffassung immerhin nicht dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, sondern nur auf das Urteil aus Straßburg abstellt und wohl eher der Sorge vor einer erneuten Verurteilung entspringt. Der herrschenden Literaturmeinung ist beizupflichten, dass die derzeit bestehende Gesetzeslage den Vorsitzenden der Revisionsgerichte in der Tat die Möglichkeit offenlässt, die Bestellung eines Pflichtverteidigers außerhalb des Anwendungsbereichs von § 350 Abs. 3 StPO abzulehnen, wenn sie der Meinung sind, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht gegeben seien. Daran vermag auch die positive und im Sinne des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte liegende Praxis einzelner BGH-Senate, wie die oben erwähnte Praxis des 2. und des 5. Strafsenats, sowie die mittlerweile mehrfach geäußerte (konventionsfreundliche) Auffasvehement von Hanack in LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 2 m. w. N.; a. A. Pikart, NStZ 1984, S. 83, der die Regelung als ausgewogen und in der Praxis bewährt ansieht. 127 So Roxin (25), § 53 H 2 (Rn. 52); Schlüchter, Rn. 749.2; Molketin, Schutzfunktion, S. 165 f.; AK-Maiwald, § 350 Rn. 6 sowie Hahn, S. 89,119 f.; LE. auch Beulke, Verteidiger, S. 47 (Ausdehnung auf alle Instanzen jenseits der Bagatellgrenze). Kritisch zu dieser Ausweitung Hanack, FS Dünnebier, S. 320 f. 128 Vgl. Hanack, FS Dünnebier, S. 323 f. 129 Eh. Schmidt, NJW 1967. S. 856; zustimmend Hanack, FS Dünnebier, S. 324. 130 So bei Stöcker, NStZ 1983, S. 374; Schäfer, Rn. 79 sowie Fn. 282 (zu Rn. 1849); HK(3)-Temming, § 350 Rn. 15; Pfeiffer, Kommentar, § 350 Rn. 3 sowie ders. , Grundzüge, Rn. 161. Zurückhaltend Rieß, Strafverteidigung in der Praxis, Bd. I, § 13 Rn. 253, der aber letztlich kumulativ einen schwerwiegenden Fall gemäß der Ansicht des BVerfG fordert und das EGMR-Urteil im Fall Pakelli nur als "möglicherweise weitergehend" bezeichnet. Das Pakelli-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat im Übrigen ohne Ausnahme Eingang in die einschlägige Kommentarliteratur gefunden: vgl. daher auch AK-Stem, § 140 Rn. 7 f. (fälschlicherweise den EGMR als "EuGH" bezeichnend); AK-Maiwald, § 350 Rn. 6; KK(4)-Laufhütte, § 140 Rn. 6; KK(4)-Kuckein, § 350 Rn. 1, 12; Kleinknechtl Meyer-Goßner (45), § 350 Rn. 7; LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 1, 11; siehe ebenfalls Krey, Rn. 690 (Fn. 273/274). 131 Für Stöcker, NStZ 1983, S. 374 ist das die (völkerrechtliche) Folgerung aus dem Pakelli-Urteil. HK(3)-Temming, § 350 Rn. 15 verweist insoweit immerhin noch auf die Schwierigkeit der Rechtslage.
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sung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Garantie des fairen Verfahrens nichts zu ändern. Auch vereinzelte höchstrichterliche Verweise darauf, dass "die Wertentscheidung der Menschenrechtskonvention ... bei der Gesetzesauslegung ... stets zu berücksichtigen" sei und diese Wertentscheidung in Urteilen des EGMR zum Ausdruck gebracht werde l32 oder die seit den 80er Jahren entwickelte Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur notwendigen Verteidigung bei ausländischen und mit dem deutschen Rechtssystem nicht hinreichend vertrauten oder der deutschen Sprache nur unzureichend mächtigen Angeklagten 133, aufgrund derer deutsche Gerichte auch spezifische ausländerrechtliche Folgen - wie etwa eine drohende Ausweisung aus der Bundesrepublik 134 - verstärkt beachten, ist letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein und noch lange keine Garantie für die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung. Schließlich ist die Verfügung der jeweiligen Senatsvorsitzenden, durch die er oder sie einen Pflichtverteidiger für die Hauptverhandlung im Revisionsverfahren gemäß § 140 Abs. 2 StPO bestellt, nach dem Willen des Gesetzgebers eine Einzelfallentscheidung. 135 Eine in der Vergangenheit entwickelte angeklagtenfreundliche Praxis mag daher ganz in seinem Sinne sein. Dennoch kann sie, solange sie sich offensichtlich und auch für den Angeklagten erkennbar an § 140 Abs. 2 StPO orientiert, nach dessen gesetzgeberisch gewollter Zielstellung niemals schematisch sein. Eine nirgendwo normierte sondern ungeschriebene Praxis kann sich daher auch leicht wieder zum Nachteil des Betroffenen verändern. Sollte sich die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Hauptverhandlung vor dem BGH jedoch derzeit als anerkannter Regelfall erweisen, so ist sie allein aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch gesetzlich zu normieren, um dem Angeklagten die Möglichkeit zu geben, nicht nur aus einem diesbezüglichen Passus 136 in der Terminmitteilung zur 132 So ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Auslegung des EGMR von Art. 6 Abs. 3 Buchst e MRK im Urteil Luedicke u. a. OLG Karlsruhe NStZ 2000, 276 (277) = StrVert 2000, 193. 133 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Oellerich, StrVert 1981, S. 438 f.; Molketin, AnwBl. 1989, S. 21 f.; ders., AnwBl. 1991, S. 618 f.; ders., AnwBl. 1994, S. 18 f.; ders., AnwBl. 1995, S. 533 f.; ders., AnwBl. 1998, S. 177 f.; ders., AnwBl. 2001, S. 208 ff.; Vogelsang, S. 42 ff.; LR(25)-Lüderssen, § 140 Rn. 103 ff.; AK-Stem, § 140 Rn. 66; HK(3)-Julius, § 140 Rn. 17; siehe zur Pflichtverteidigerbestellung bei Ausländern auch Basdorf, GS Meyer, S. 30 ff. 134 Vgl. beispielsweise LG Berlin StrVert 1994, 11; siehe auch Molketin, Schutzfunktion, S. 50 ff.; Vogelsang, S. 35. 135 So auch HK(3)-Temming, § 350 Rn. 16; LR(25)-Hanack, § 350 Rn. 11; für die Verhandlung vor dem Schöffengericht beispielsweise hervorgehoben von OLG Düsseldorf OLGSt (neu) StPO § 140 Nr. 10, S. 3 f. sowie erneut im Hinblick auf die "Schwere der Tat" OLG Düsseldorf OLGSt (neu) StPO § 140 Nr. 13, S. 2 ff. m.w.N. 10*
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Revisionshauptverhandlung von seinem Recht auf einen Pflichtverteidiger zu erfahren, sondern ihm auch beim Blick in das Gesetz das Erkennen seiner Rechte zu erleichtern. Zwar wird einem mit der Einlegung der Revision betrauten Verteidiger die betreffende Praxis der BGH-Senate bekannt sein. Aber auf dessen Kenntnis kann es hier nicht ankommen. Gerade auf das Wissen des Angeklagten, der Subjekt des Verfahrens ist, muss abgestellt werden. Dieser wird von der (ungeschriebenen) Praxis des BGH aber regelmäßig nichts wissen. c) Vorschläge für eine Änderung der strafprozessualen Bestimmungen Um sicherzugehen, dass sich Fälle wie der Pakellis in Zukunft nicht wiederholen, ist der Gesetzgeber daher verpflichtet, eine eindeutige und weitgehend einzelfallunabhängige Regelung für die Pflichtverteidigerbestellung zur Revisionshauptverhandlung zu schaffen. 137 Dabei erscheint zunächst die grundsätzliche Erfassung aller Revisionshauptverhandlungen als Fälle einer notwendigen Verteidigung zu eng. 138 Es sind nämlich relativ einfache Sachverhalte denkbar, in denen die schriftliche Revisionsbegründung allein ausreichend ist, die Beantwortung der Fragen auf der Hand liegt und die Anwesenheit eines Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung letztlich nicht den Ausschlag gibt. 139 Dass solche einfachen Fälle in der Praxis auch vorkommen, belegt die Äußerung des Vorsitzenden des 2. Strafsenats am BGH in der Beantwortung der Anfrage des Verfassers. 140 Auch ohne die Mitwirkung eines Verteidigers wird ein Strafverfahren oder eine Hauptverhandlung regelmäßig in rechtsstaatlicher Art und Weise verlaufen, wofür schon allein die Staats- bzw. Bundesanwaltschaft als auch die Richter selbst einstehen müssen. 141 Dieses gewinnt insofern an Gewicht, da die meisten Revisionshauptverhandlungen in der 136 Jedenfalls der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte muss nach der derzeitigen Formulierung der StPO auf sein Recht, die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen, ausdrücklich hingewiesen werden (vgl. § 350 Abs. 3 Satz 2 StPO). 137 So i.E. auch Kühl. ZStW 100 (1988), S. 606, 636. 138 So auch Schünemann. JA 1982, S. 130; noch SarstedtlHamm (5), Rn. 481. 139 Vgl. Hanack. FS Dünnebier, S. 320 f.; Vogelsang. S. 69; KK(3)-Pikart. § 350 Rn. 12; KK(4)-Kuckein. § 350 Rn. 12; KleinknechtlMeyer-Goßner (45), § 350 Rn. 8; einschränkend insoweit auch BVerfGE 46, 202 (212) = NJW 1978, 151 (152) = EuGRZ 1977,476 (477). 140 Siehe oben unter § 6 B. I. 2. c). 141 Vgl. B. Schneider. S. 27 ff.; an dieser Pflicht ändert auch die Art des jeweiligen Falles nichts: B. Schneider. S. 50. Auf die besondere Stellung des Bundesanwalts im Rahmen einer Revisionshauptverhandlung hat im Übrigen auch die Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hingewiesen.
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Praxis nach Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft stattfinden. Zu denken ist hier vor allem an die (wenn auch selteneren) Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten Revision einlegt und dessen Interessen quasi wie ein Verteidiger wahrt. 142 Aus der Sichtweise des angeklagten juristischen Laien - auf die im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO hinsichtlich des dort normierten zweiten Falles abzustellen ist l43 - wird sich die Rechtslage in der Revisionshauptverhandlung jedoch regelmäßig als schwierig darstellen. l44 Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird aus diesem Grund meist geboten erscheinen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, seine Sicht als Subjekt des Verfahrens zu vernachlässigen. 145 Auch hier kann es jedoch Fälle geben, in denen der Angeklagte aus den verschiedensten Gründen keinen Verteidigerbeistand möchte. 146 Ihm in diesem Fall einen Verteidiger aufzuzwängen l47 , würde über Gebühr in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingreifen. 148 Insofern muss die Bestellung eines Pflichtverteidigers von einem Antrag des Angeklagten abhängig gemacht werden. 149 Sofern der verhandlungsfähige Angeklagte in Kenntnis der Umstände seines (einfachen) Falles auf einen Antrag zur Bestellung eines Verteidigers und damit auf rechtliche Unterstützung verzichten will, liegt das in seiner Macht und wahrt dennoch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, dessen Reichweite er eigenverantwortlich bestimmen kann. 150
Vgl. LG Verden NdsRpfl. 1969,21 (22); Molketin, Schutzfunktion, S. 164. Siehe nur BVerfGE 46, 202 (211) = NJW 1978, 151 = EuGRZ 1977, 476 (477); Molketin, Jura 1992, S. 122 m. w. N. 144 Vgl. für den unverteidigten Angeklagten Eh. Schmidt, NJW 1967, S. 856 f.; generell B. Schneider, S. 72; Molketin, Jura 1992, S. 122 f. 145 Im Ergebnis auch B. Schneider, S. 31 . 146 Vgl. AK-Stem, Vorbem. § 140 Rn. 34 ff.; der Angeklagte kann beispielsweise auf die Objektivität der Justiz vertrauen, auch wenn er sich laut einem alten Sprichwort "vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand" befindet. 147 Zur Problematik der Zwangsverteidigung vgl. statt vieler nur Ahrens, S. 62 f. mit umfangreichen Nachweisen. Gerade für den Fall, dass der Betroffene kein Vertrauen in die Objektivität des Gerichts hat, will jedoch B. Schneider ihm von Seiten des Staates einen Verteidiger aufdrängen: B. Schneider, S. 51. 148 Zum Selbstbestimmungsrecht vgl. Hermumn, StrVert 1996, S. 397 f. 149 So im Ergebnis auch Hernnann, StrVert 1996, S. 400, der das Antragserfordernis auf alle Fallgruppen des § 140 Abs. 2 StPO ausdehnen will und eine zwangsweise Verteidigerbestellung außerhalb von Absatz 1 ablehnt. 150 So auch Hanack, FS Dünnebier, S. 322 m. w. N.; LR(24)-Gollwitzer, MRK Art. 6 Rn. 189. Siehe zum Recht auf Verzicht auf Gelegenheit zur Äußerung ebenso Rüping, in: BK, Art. 103 Abs. 1 (Zweitb. 1980) Rn. 35. 142
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Der Angeklagte wird in der Regel von seinem Verteidiger, dem er die schriftliche Ausarbeitung der Revisionsbegründung anvertraut hat oder vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, zu dessen Protokoll er seine Revisionsbegründung abgibt 151 , über die Bedeutung der Verteidigung vor dem Revisionsgericht informiert werden, so dass Fälle, in denen der Angeklagte bewusst auf eine Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung verzichtet, praktisch selten sein werden. Mithin sind sie einzukalkulieren. In diesem Zusammenhang erscheint es dann nicht nötig, die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung, in deren Rahmen er ohnehin nicht viel beitragen können wird, solange es um Rechtsfragen geht, vorzuschreiben. 152 Hinsichtlich der Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung sind somit zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Im Hinblick auf die regelmäßig aus der Sicht des Angeklagten vorliegende Schwierigkeit der Rechtslage kann de lege lata auf § 140 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden. Die Verteidigung des Angeklagten ist dabei jedoch nicht als notwendig und unerlässlich, sondern nur als geboten anzusehen. Sie kann unter Umständen zu vernachlässigen sein, so dass kein Verteidiger von Amts wegen bestellt wird. Diese Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers kann problemlos auf einer richterlichen und überprüfbaren Ermessensentscheidung fußen. Die zweite und de lege ferenda aufzugreifende Möglichkeit, die zwingend zu einer Pflichtverteidigerbestellung für die Revisionshauptverhandlung führen muss, ist die, dass der Angeklagte beim Revisionsgericht eigens einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers stellt. Diese Möglichkeit muss sich dem Betroffenen beim bloßen Blick in die Strafprozessordnung und für ihn verständlich erschließen. Zusätzlich ist er ausdrücklich von seinem Antragsrecht zu unterrichten. 153 Diesen Anträgen ist vom Vorsitzenden des Revisionsgerichts immer zu entsprechen. Dass im Ergebnis der Angeklagte häufig der Revisionshauptverhandlung fernbleiben und stattdessen einen Verteidiger "entsenden" 151 Kritisch zur diesbezüglichen Qualifikation der Urkundsbeamten/Rechtspfleger: Dahs, NStZ 1982, S. 345. 152 Ähnlich Jagusch, NJW 1959, S. 269. Für das Erfordernis der Anwesenheit des Angeklagten in der Revisionshauptverhandlung spricht sich dennoch Rüping, Rn. 660 aus, der auf die verfassungsrechtlichen Vorstellungen, den Angeklagten als Verfahrenssubjekt zu behandeln, verweist; i. E. ebenso Rzepka, S. 206. Auch Eb. Schmidt, NJW 1967, S. 858 bezog die Anwesenheit des Angeklagten in seine Forderung hinsichtlich einer Reforrnierung des § 350 StPO durch den Gesetzgeber mit ein. Letztendlich ist aber wohl die Entscheidung eines Angeklagten, der Revisionshauptverhandlung fernzubleiben und stattdessen seinen Verteidiger zu entsenden, als ausreichend für die Wahrnehmung seiner Rechte anzusehen. 153 Vgl. Herrmann, StrVert 1996, S. 400.
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wird, mag verwundern, kann aber dem Einzelnen nicht zum Nachteil gereichen. Es darf weiterhin keinen Unterschied machen, ob im Rahmen der betreffenden Revision bloße Sachrügen oder Verfahrensrügen erhoben werden, da sich an der Bedeutung einer daraufhin stattfindenden Revisionshauptverhandlung für den Angeklagten nichts ändert. Dabei ist auch die in § 350 Abs. 3 StPO geregelte Unterscheidung in auf freiem Fuß befindliche und nicht in Freiheit befindliche Angeklagte abzuschaffen. Der finanzielle Hintergrund des Angeklagten kann ebenfalls keine Rolle spielen. Auch dem vermögenden Angeklagten soll - über den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK hinaus - auf seinen Antrag hin ein Ptlichtverteidiger bestellt werden, solange er keinen Wahlverteidiger hat. 154 Dies gilt umso mehr, da die endgültige Freistellung des Angeklagten von den Pflichtverteidigerkosten keineswegs sicher ist. ISS Es reicht m. E. nicht aus, dass in der Praxis - wie beispielsweise am 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs - in dieser Art und Weise verfahren wird. Vielmehr sollte diese Praxis gesetzlich festgeschrieben werden. Um dieses zu erreichen, ist jedenfalls eine Neuformulierung des § 350 Abs. 3 StPO derart angebracht, dass sich die Regelung ausnahmslos auf alle Angeklagten bezieht. Der Zeitraum der Antragsfrist von einer Woche kann gegebenenfalls verlängert werden i56, um dem Angeklagten ausreichend Gelegenheit zu geben, sein Recht auf Stellung eines Antrags zu überdenken und wahrzunehmen. Geregelt werden müsste auf jeden Fall, wann diese Frist genau beginnt, da die Benachrichtigung des Angeklagten und des Verteidigers außerhalb des Anwendungsbereiches von § 350 Abs. 3 StPO in seiner jetzigen Fassung bisher nur den Charakter einer bloßen Mit154 Auch wenn der Angeklagte von einem Wahlverteidiger vertreten wird, kann eine Abwägung der wegen der Revisionshauptverhandlung insgesamt zu erwartenden Kosten mit dem zu erwartenden Nutzen dazu führen, dass der Verteidiger der Hauptverhandlung fernbleibt. Der Angeklagte wäre trotz seiner Mittel unverteidigt: vgl. E. Müller, Rn. 104 (S. 1470. A.A. und gegen die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers, solange der Angeklagte nicht mittellos ist: Herrmann, StrVert 1996, S. 400; KK(3)-Pikart, § 350 Rn. 12 (in die vierte Auflage des Karlsruher Kommentars wurde diese Auffassung allerdings nicht übernommen: vgl. KK(4)Kuckein, § 350 Rn. 12.). 155 Die Kosten für einen Pflichtverteidiger gehören zu den Auslagen der Staatskasse, die im Fall des Fehlschlags einer Revision der Angeklagte zu tragen hat. Die Inanspruchnahme des Angeklagten wegen der Pflichtverteidigerkosten ist aber nicht unumstritten. Vgl. dazu Simon, S. 61 ff., insbesondere S. 95 ff. mit umfangreichen Nachweisen; Spaniol, S. 83 ff.; KleinknechtlMeyer-Goßner (45), MRK (A 4), Art. 6 Rn. 21. Siehe dazu auch das Urteil des EGMR vom 25. September 1992 (Series A, Vol. 237-B - Croissant ./. Bundesrepublik Deutschland; ebenfalls abgedruckt in HRLJ 14 (1993), 92 und EuGRZ 1992, 542 mit Anm. Kühne). Der EGMR ließ hier die Frage, ob ein Staat wegen Art. 6 MRK daran gehindert sei, die verauslagten Kosten für einen Pflichtverteidiger zurückzuverlangen, ausdrücklich offen. 156 In diesem Sinne auch Molketin, Schutzfunktion, S. 165.
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teilung und keiner Ladung hat 157 und daher keinen gesetzlichen Regelungen zu Fristen direkt unterworfen ist. Kurz zusammengefasst bedeutet dies also: die Bestellung soll zukünftig aufgrund einer reformierten Fassung des § 350 Abs. 3 StPO auf Antrag des Angeklagten oder seines Verteidigers in Absprache mit dem betreffenden Mandanten erfolgen. Wird kein solcher Antrag gestellt, ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung gemäß § 140 Abs. 2 StPO aufgrund einer (pflichtgemäßen) Ermessensentscheidung des Senatsvorsitzen weiterhin möglich und in der Regel geboten. Eine solche umfassende Neufassung der gesetzlichen Regelungen zur Pflichtverteidigerbestellung für eine Revisionshauptverhandlung ist geeignet, Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland, die der im Fall Pakelli gleichen, vorzubeugen 158 und daher auch von der völkerrechtlichen Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Befolgung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pakelli umfasst. 11. Die konkreten Folgerungen aus dem Pakelli-Urteil
1. Die vergeblichen Bemühungen Pakellis um eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens
Im Anschluss an die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den Straßburger Gerichtshof aufgrund des konventionswidrigen Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof stellte Pakelli einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Verfahrens beim LG Stuttgart. 159 Das Landgericht verwarf seinen Antrag jedoch als unzulässig, da er keinen gesetzlichen Wiederaufnahmegrund geltend gemacht habe. Auch seinen weiteren Bemühungen war kein Erfolg beschieden. 16o Im Jahre 1991 verstarb Lütjü Pakelli. Die Erfolglosigkeit Pakellis erklärt sich schnell durch einen Blick auf die Besonderheiten des Rechts der Wiederaufnahme. Das Institut der Wieder157 Vgl. näher Hanack, FS Dünnebier, S. 312; AK-Maiwald, § 350 Rn. 2 f.; HK(3)-Temming, § 350 Rn. 2 ff. 158 Vor diesem Hintergrund auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 606; Stöcker, NStZ 1983, S. 374. 159 Zur Zuständigkeit des LG Stuttgart siehe auch BGH StrVert 1999, 138 = NStZ-RR 1999, 176 m.w.N. 160 Zur Beschwerde vor dem OLG Stuttgart vgl. dortigen Beschl. v. 13. 02. 1985 - 1 Ws 19/85, Die Justiz 1985, 177 = MDR 1985,605 = VRS 68, 367. Zum anschließenden Verfassungsbeschwerdeverfahren siehe den Beschl. des BVerfG v. 11. 10. 1985 - 2 BvR 336/85, EuGRZ 1985,654 (voller Wortlaut) = NJW 1986, 1425 = ZaöRV 46 (1986), 289 [mit Anm. v. Frowein] = StrVert 1987, 185 [mit Anm. v. Trechsel].
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aufnahme 161 versucht, praktisch eine Brücke zu schlagen zwischen der staatlich gewährleisteten formalen Rechtssicherheit bedingt durch die Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidungen 162 und der materiellen Gerechtigkeit oder Wahrheit im Strafverfahren. 163 Um der Wahrheit Genüge zu tun und angesichts der Unerträglichkeit, Fehlentscheidungen bestehen zu lassen, kann im Einzelfall und ausnahmsweise deren Rechtskraft zum Nachteil der Rechtssicherheit im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten oder zuungunsten des Verurteilten durchbrochen werden. 164 Die Durchbrechung der Rechtskraft und die damit einhergehende Verkürzung der Rechtssicherheit erfordern aber wiederum eine eindeutige Festlegung der Fallkonstellationen einer Wiederaufnahme. Diese kann nur in engen Grenzen möglich sein und zwar nur dann, "wenn die Fehlerhaftigkeit des Urteils ein unerträgliches Maß erreicht" 165. Diese Grenzen werden von den §§ 359, 362 StPO sowie § 79 Abs. I BVerfGG markiert. Hier ist abschließend 166 geregelt, wann eine Wiederaufnahme stattfindet. Eine Erweiterung dieser Möglichkeiten obliegt nicht dem Richter sondern ausschließlich dem Gesetzgeber. 167 Das Urteil des EGMR im Fall Pakelli vom 25. April 1983 berührte nicht die Rechtskraft des BGH-Urteils. 168 Diese konnte nur im Rahmen einer 161 Zum historischen Hintergrund der Wiederaufnahme vgl. Deml, S. 5 ff.; J. Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 55 ff.; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 6 ff.; KK(4)-Schmidt, Vor § 359 Rn. 6 ff. 162 Ausführlicher zu den Wirkungen der formellen und materiellen Rechtskraft Schäfer, Rn. 1621 ff.; Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 640 ff.; Rüping, Rn. 548 ff.; LR(25)-Gössel, Vor § 359 Rn. 34 ff.; zur Bedeutung der Rechtssicherheit siehe BVerfGE 2, 380 (403) == NJW 1953, 1137 (1138); allgemein: Peters, Fehlerquellen, Band 3, § 8 III (S. 32 ff.); Deml, S. 41 ff.; KMR(7)-Paulus, Vorb. § 359 Rn. 1l. 163 Vgl. Sattler, S. 19 f.; J. Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 37; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 2 Rn. 19; HK(3)-Krehl, Vor §§ 359 f. Rn. 1; Pfeif/er, Kommentar, Vorbem. § 359 Rn. 1; KK(4)-Schmidt, Vor § 359 Rn. 4; AK-Loos, vor § 359 Rn. 1; siehe auch BT-Drucksache 13/3594, S. 5. 164 Zum diesbezüglichen Konflikt lesenswert KK(4)-Schmidt, Vor § 359 Rn. 1 ff.; LR(25)-Gössel, Vor § 359 Rn. 5 ff.; Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 1106. 165 Vgl. Deml, S. 59; ebenso schon Sattler, S. 21; auch KMR(7)-Paulus, Vorb. § 359 Rn. 11; Pfeif/er, Kommentar, Vorbem. § 359 Rn. 1; KK(4)-Schmidt, Vor § 359 Rn. 4; Roxin (25), § 55 Rn. 1; zur "Unerträglichkeitsforme1" siehe auch J. Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 38. 166 LR(25)-Gössel, Vor § 359 Rn. 16 sowie erneut a.a.O. Rn. 146; Pfeif/er, Kommentar, Vorbem. § 359 Rn. 1; nur in Bezug auf § 359 StPO AK-Loos, § 359 Rn. 2 m.w.N. 167 Vgl. KMR(7)-Paulus, § 359 Rn. 14; ebenso Rüping, in: BK, Art. 103 Abs. 3 (Zweitb. 1982) Rn. 12; HK(3)-Krehl, § 359 Rn. 1; Pfeif/er, Grundzüge, Rn. 172; dementsprechend zurückhaltend OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 (179) == VRS 68, 367 (370). 168 So der EGMR ausdrücklich im Pakelli-Urteil: Nr. 45.
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
Wiederaufnahme nach den Maßstäben des nationalen Recht durchbrochen werden. Eine solche Möglichkeit sah das deutsche Recht zu dieser Zeit allerdings nicht explizit vor. Den deutschen Gerichten verblieb dementsprechend nur der von vornherein bedenkliche Rückzug auf eine analoge Anwendung der bestehenden Wiederaufnahmegründe zugunsten des Angeklagten. 169 Zutreffend verwies aber das OLG Stuttgart im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zunächst darauf, dass eine Analogie eine unbewusste Regelungslücke voraussetze. Dem deutschen Gesetzgeber sei die Problematik aber seit den 60er Jahren bekannt gewesen. l7O Dennoch sei er bewusst untätig geblieben. Von einer unbewussten Lücke könne man hier demnach nicht mehr sprechen. 171 Selbst wenn man sich über diesen Punkt hinwegsetzte, kamen nur eine entsprechende Anwendung von § 359 Nr. 5 StPO, dem Hauptanwendungsfall im Rahmen der Wiederaufnahmegründe, oder von § 79 Abs. I BVerfGG I72 in Betracht. Der in der Strafprozessordnung normierte Wiederaufnahmegrund betrifft "neue Tatsachen oder Beweismittel". Das Urteil des EGMR stellte jedoch keines von beiden dar. Vielmehr handelte es sich um eine andere (menschenrechtlich dominierte) rechtliche Bewertung eines juristischen Sachverhaltes in Bezug auf das diesbezügliche Strafverfahren. Eine solche ist aber von § 359 Nr. 5 StPO nicht umfasst. 173 Allein deswegen konnte dieser Wiederaufnahmegrund in Pakellis Fall nicht einschlägig sein. 174 Eine Ausweitung der Bestimmung durch das OLG Stuttgart hätte letztlich eine doppelt analoge Anwendung der Norm bedeutet. Im Hinblick auf die Sensibilität des Wiederaufnahmerechts und die abschließende Rege169 Für eine entsprechende Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften schon Schumann, S. 324; v. Stackelberglv. Stackelberg, Rn. 98 (S. 127). Vgl. auch die Ausführungen zur Anwendbarkeit der §§ 359 Nr. 5 StPO, 79 Abs. 1 BVerfGG bei Vogler, Wiederaufnahme, S. 717 ff. Gegen die Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG: KMR(7)-Paulus, Vorb. § 359 Rn. 20; Bausback, NJW 1999, S. 2483. 170 Vor allem im Hinblick auf eine 1963 eingeführte einschlägige gesetzliche Regelung in Österreich; vgl. dazu Schumann, NJW 1964, S. 753; Vogler, Wiederaufnahme, S. 716. 171 Vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 (178) = VRS 68, 367 (368); ebenso OLG Koblenz GA 1987,367 (368) =MDR 1985, 254. 172 Eine direkte Anwendung des § 79 Abs. 1 BVerfGG schied von vornherein aus: vgl. Sattler, S. 50. 173 Ganz h.M.; vgl. nur BVerfGE 12, 338 (340); BGHSt 39, 75 (79 f.) - Fall v. Ossietzky; LR(25)-Gössel, § 359 Rn. 75 m. w.N.; KMR(7)-Paulus, § 359 Rn. 55 f.; AK-Loos, vor § 359 Rn. 6 ff.; KK(4)-Schmidt, § 359 Rn. 19; Sattler, S. 35 f.; Rüping, Rn. 685. Für den ähnlich gefassten § 97 Abs. 2 Nr. 1 NDO auch Nds. Disziplinarhof NdsRpfl. 1998,241 (242 f.). 174 Zutreffend OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 (178) = VRS 68, 367 (368 f.) m. w. N.; AK-Loos, vor § 359 Rn. 33; in Bezug auf ein Urteil des EGMR allgemein Sattler, S. 36.
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lung der diesbezüglichen Gründe verbot sich eine solche Analogie jedoch in jedem Fall. Auch § 79 Abs. I BVerfGG ließ keine andere Bewertung zu. Die Vorschrift stellt einen eigenständigen Wiederaufnahmegrund dar 175 und ist aufgrund ihres Ausnahmecharakters 176 sehr eng auszulegen 177 sowie einer Analogie nur in Einzelfällen zugänglich 178 . Ihr Anwendungsbereich endet dort, wo nicht eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Norm für das Zustandekommen des Strafurteils ausschlaggebend ist. Prüfungsmaßstab ist somit letztlich die Verfassung. Die Menschenrechtskonvention steht in Deutschland jedoch unterhalb der Verfassung im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Eine Unvereinbarkeit mit Verfassungsrecht lag demzufolge für den Fall einer Konventionswidrigkeit nicht vor. Für eine Analogie fehlte es an der dafür erforderlichen plan widrigen Regelungslücke. 179 Letztlich verbot sich eine entsprechende Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG auch, weil es in Pakellis Fall um Fehler im Verfahren ging. 180 § 79 Abs. 1 BVerfGG stellt aber auf die fehlerhafte Anwendung materiell-strafrechtlicher Normen ab. 181 Eine dritte Möglichkeit, um dennoch eine Wiederaufnahme von Pakellis Verfahren zu begründen, konnte Art. 13 MRK I82 darstellen, wenn man die Wiederaufnahme des Verfahrens als nationale Beschwerde nach einer Kon175 KMR(7)-Paulus, Vorb. § 359 Rn. 18 m. w.N.; AK-Loos, vor § 359 Rn. 27; HK(3)-Krehl, Vor §§ 359 f. Rn. 4; KK(4)-Schmidt, Vor § 359 Rn. 21; zum Hintergrund der Einführung von § 79 Abs. I BVerfGG vgl. Sattler, S. 23 ff. 176 Vgl. BVerfGE 2, 263 (265) = NJW 1953, 1137 (1138); OLG Koblenz GA 1987, 367 (368 f.) = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 2, S. 5. 177 Vgl. LR(25)-Gässel, Vor § 359 Rn. 161 m. w. N. 178 Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 262 f.; eine analoge Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG für vor Inkrafttreten der MRK erlassene Gesetze befürwortet Sattler, S. 50 ff. m.w.N.; dagegen Vogler, Wiederaufnahme, S. 719. Gegen eine Analogiefähigkeit von § 79 Abs. I BVerfGG allgemein Lechner/Zuck, § 79 Rn. 6; siehe auch OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 (178) = VRS 68, 367 (369) m. w. N. im Fall Pakelli; OLG Koblenz GA 1987,367 (368 f.) = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 2, S.5. 179 Vgl. Marxen/Tiemann, Rn. 352; Nds. Disziplinarhof NdsRpfl. 1998, 241 (243). 180 OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 (179) = VRS 68, 367 (369); AK-Loos, vor § 359 Rn. 33. 181 BVerfGE 11, 263 (265) = NJW 1960, 1563; OLG Koblenz GA 1987, 367 (369) = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 2, S. 5. Ebenso Lechner/Zuck, § 79 Rn. 5 m. w. N.; AK-Loos, vor § 359 Rn. 29; HK(3)-Krehl, Vor §§ 359 f. Rn. 4; a. A. Sattler, S. 59 ff. (S. 62); Marxen/Tiemann, Rn. 353. 182 Art. 13 der MRK lautet in der nichtamtlichen deutschen Übersetzung: "Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen ... "
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
ventionsverletzung betrachten wollte. Art. 13 MRK ist jedoch nur im Rahmen des bestehenden nationalen Rechts anwendbar und begründet keine Pflicht zur Schaffung eines neuen Rechtsbehelfs. 183 Eine Erweiterung der bestehenden Wiederaufnahmemöglichkeiten kam danach also ebenfalls nicht in Betracht. 184 Das Bundesverfassungsgericht185 bestätigte dieses Ergebnis im Fall Pakelli mit Blick auf Art. 50 MRK a. F., der davon ausgehe, dass eine Wiedergutmachung nur unvollkommen möglich sei und dem Betroffenen für diesen Fall eine gerechte Entschädigung zuspreche. Es müsse also nicht um jeden Preis zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommen. 186 Vielmehr sei den Staaten gestattet, rechtskräftige und dennoch konventions widrige nationale Entscheidungen unangetastet zu lassen. 187 2. Die Einführung von § 359 Nr. 6 StPO und kritische Stellungnahme Knapp 40 Jahre nach Errichtung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gab der deutsche Gesetzgeber im Jahre 1998 unerwartet den schon jahrzehntelang vom Schrifttum 188 geäußerten berechtigten Forde183 OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 177 (179) = VRS 68, 367 (370) m.w.N.; bestätigt von BVerfG EuGRZ 1985, 654 (655 f.) = NJW 1986, 1425 = ZaöRV 46 (1986), 289 = StrVert 1987, 185; ebenso schon BVerfGE 20, 68 (70); aus der neueren Literatur siehe nur Kleinknecht/Meyer-Goßner (45), MRK (A 4), Art. 13 Rn. 1. 184 So auch Nds. Disziplinarhof NdsRpfl. 1998, 241 (242) im Fall Vogt; a.A. Sattler, S. 95 ff. (S. 99 f.); Vogler, Wiederaufnahme, S. 724 ff. 185 BVerfG EuGRZ 1985, 654 = NJW 1986, 1425 = ZaöRV 46 (1986), 289 = StrVert 1987, 185. Zustimmend Trechsel, StrVert 1987, S. 188 im Hinblick auf die Feststellung, das deutsche Recht enthalte keine Wiederaufnahmemöglichkeit. Zustimmend ebenfalls Frowein, ZaöRV 46 (1986), S. 286 ff. allerdings überwiegend hinsichtlich des Umgangs des BVerfG mit der EMRK. 186 So auch Vogler, Wiederaufnahme, S. 723 f.; a. A. insoweit Sattler, S. 107 ff. 187 BVerfG EuGRZ 1985, 654 (655) = NJW 1986, 1425 (1426 f.) = ZaöRV 46 (1986), 289 (292 f.) = StrVert 1987, 185 (186) mit umfangreichen Nachweisen. Diesbezüglich jedoch kritisch Trechsel, StrVert 1987, S. 188, wenn er dem BVerfG vorwirft, es befinde selbst darüber, ob es der anderen Rechtsansicht einer (insofern) höheren Instanz zustimme und distanziere sich damit vom EGMR. Der Nds. Disziplinarhof NdsRpfl. 1998, 241 (242) stimmte der Auffassung des BVerfG später im Wiederaufnahmeverfahren im Fall Vogt zu. 188 Vgl. Schumann, NJW 1964, S. 755 f.; der Sache nach zustimmend Schom, Art. 48 Erl. 55 (S. 405); Vogler, Wiederaufnahme, S. 726 f.; J. Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 130 f., 157; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 25; Sattler, S. 108; Ress, FS Zeidler, Bd. II, S. 1793; ders., Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 241; Frowein/Peukert (1), EMRK, Art. 53 Rn. 5; E. Klein, Arbeitstagung, S. 65; Kühl, ZStW 100 (1988), S. 424 und S. 637; Bemhardt, FS Doehring, S. 30; v. Stackelberg/v. Stackelberg, Rn. 97 f. (S. 127); Marxen/Tiemann, Fn. 874 (S. 154);
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rungen nach einer Wiederaufnahmemöglichkeit nach und ergänzte die abschließende Aufzählung von Wiederaufnahmegründen in § 359 StPO um eine neue Nummer 6 und damit einen expliziten Wiederaufnahmegrund für Strafverfahren nach einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR wegen eines konventionswidrigen deutschen Strafurteils. Diese Erweiterung des bestehenden Kataloges folgt einem Gesetzentwurf l89 , der § 359 StPO vollständig neu fassen und damit eine Rechtsvereinfachung erreicht sollte. Begründet wurde die Einführung einer solchen Wiederaufnahmemöglichkeit im Hinblick auf Urteile des EGMR damit, dass " ... das geltende Recht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diesbezüglich eine Lücke aufweist."I90,
womit ganz offensichtlich auf den Beschluss des BVerfG im Fall Pakelli Bezug genommen worden ist. Eine genauere Erklärung für den Vorschlag auf Einführung eines neuen Wiederaufnahmegrundes liefert der Gesetzentwurf an anderer Stelle l91 : "Durch § 359 Abs. 3 Satz 1 StPO n. F. wird der Mißstand des bisherigen Rechts behoben, das es nicht erlaubte, im Falle einer durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konventionswidrigkeit das Urteil eines deutschen Strafgerichts aufzuheben. Dies ist aber erforderlich, um der Konvention Geltung zu verschaffen. Deshalb ist in solchen Fällen die Zulassung der Wiederaufnahme obligatorisch."
Das bestätigte der abschließende Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages 192: ,;Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 11. Oktober 1985 (NJW 1986, 1425, 1426 f.) festgestellt, daß auch von Verfassungs wegen in einem solchen Fall eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht geboten ist, doch entspricht es in besonderem Maße dem Prinzip einer konventionsfreundlichen Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts, wenn Staaten eine entsprechende Wiederaufnahmemöglichkeit in ihrer Rechtsordnung vorsehen.,,193
Die mit der Gesetzesänderung 194 neu in § 359 StPO eingeführte Nr. 6 regelt die Wiederaufnahme eines Verfahrens nach Urteilen, die auf einer Kühne, Grundrechtsschutz, S. 70; LR(25)-Gössel, Vor § 359 Rn. 149; Bausback, NJW 1999, S. 2484; erst vor kurzem erneut von Odersky, GS Ryssda1, S. 1045. 189 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts vom 29. Januar 1996, BT-Drucksache 13/3594; siehe dazu auch Maur, NJW 2000, S. 338; zu einem gleichlautenden Gesetzentwurf der vorangegangenen Wahlperiode vgl. BT-Drucksache 12/6219. 190 BT-Drucksache 13/3594, S. 7; ebenso die identische Passage in BT-Drucksache 12/6219, S. 7. 191 BT-Drucksache 13/3594, S. 9 (identisch mit BT-Drucksache 12/6219, S. 9). 192 Bericht vom 01. April 1998, BT-Drucksache 13110333. 193 BT-Drucksache 13/10333, S. 4.
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konkret festgestellten Konventionsverletzung beruhen l95 , beschränkt sie aber gleichzeitig auch darauf. Begünstigt sind nach dem Willen des Gesetzgebers nur Verurteilte, die in eigener Person in Straßburg geklagt und gewonnen haben. 196 Unproblematisch ist das bei Menschenrechtsbeschwerden, die Verfahrensfehler in Bezug auf ein einzelnes strafrechtliches Urteil betreffen, wie es bei Pakelli der Fall war. Diese Beschwerdeführer können ohne weiteres die Wiederaufnahme ihres Verfahrens beantragen. Das damit zu befassende deutsche Gericht kann eine Konventionsverletzung als gegeben annehmen und prüft lediglich noch, ob die angegriffene rechtskräftige Entscheidung auf diesem Verstoß beruht. 197 Stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch die Konventionswidrigkeit einer deutschen Rechtsnorm fest und wurde diese Norm in einem deutschen Strafverfahren angewendet, so soll davon ebenfalls nur derjenige begünstigt sein, der das diesbezügliche Feststellungsurteil erstritten hat. Nur er kann nach dem Willen des Gesetzgebers eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens gemäß § 359 Nr. 6 StPO anstreben, was im Wortlaut des Gesetzes auch deutlich wird. 198 Andere Verurteilte hingegen, deren Fälle aufgrund einer Anwendung dergleichen konventionswidrigen Norm ebenso menschenrechtswidrig entschieden wurden, sollen vom diesbezüglichen EGMR-Urteil nicht betroffen sein. Ein entsprechender Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Rechtsausschuss wurde mehrheitlich mit dem Hinweis darauf abgelehnt, den Feststellungen des EGMR komme nur Bindungswirkung inter partes zu. Das Urteil betreffe daher nur den einzelnen Beschwerdeführer. Die Konventionswidrigkeit sei nur für seinen Fall festgestellt wor194 Gesetz zur Refonn des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts vom 09. Juli 1998, BGBl. 1998 I, S. 1802; das Gesetz trat unmittelbar danach in Kraft. Siehe zur neuen Wiederaufnahmemöglichkeit auch Böse, StraFo 1999, S. 294; Maur, NJW 2000, S. 338; Weigend, StrVert 2000, S. 388. 195 Der Rechtsausschuss ging dabei offensichtlich davon aus, es reiche aus, wenn die deutsche Entscheidung auf der Konventionsverletzung beruhen könne: vgl. BTDrucksache 13/10333, S. 4 f. Ebenso OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 20 (21 f.) = NStZ-RR 2000, 243 (244) = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 13, S. 4; Weigend, StrVert 2000, S. 388. 196 Vgl. KK(4)-Schmidt, § 359 Rn. 40; Weigend, StrVert 2000, S. 388; wohl auch KleinknechtlMeyer-Goßner (45), § 359 Rn. 52. 197 Vgl. Böse, StraFo 1999, S. 294; i.E. auch Maur, NJW 2000, S. 338 und wohl Pfeiffer, Kommentar, § 359 Rn. 7a. Von relativ geringen Problemen bei solchen Fallkonstellationen geht KK(4)-Schmidt, § 359 Rn. 43 aus, der Pakelli eine eigene Randnummer widmet. Skeptisch zur "Beruhensfrage" jedoch Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 1113.1 a. E. 198 Etwas umständlich formuliert bei Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 42; a. A. hinsichtlich der Eindeutigkeit des Wortlauts Weigend, StrVert 2000, S. 388.
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den und somit könne nur er eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens anstreben. Anderen Betroffenen verbliebe die Möglichkeit, sich in eigener Sache ebenfalls an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden. 199 Diese Einschränkung zeigt, dass der neue Wiederaufnahmegrund ganz auf den Verfahrensgang im Fall Pakelli zugeschnitten ist. Dort ging es nämlich ebenfalls nicht um die Konventionswidrigkeit von deutschen Normen, sondern um ein konventionswidriges Einzelverfahren vor dem Bundesgerichtshof. Genau diese Konstellation ist in der neuen Wiederaufnahmeregelung der Strafprozessordnung erfasst. Es ist daher durchaus gerechtfertigt, im Hinblick auf § 359 Nr. 6 StPO von einer "lex Pakelli,,200 zu sprechen. Dessen Fall hat damit, wenn auch nicht im Hinblick auf die ursprünglich festgestellte Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK, so doch im Hinblick auf seine Anstrengungen, eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens zu erreichen, erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht genommen und hier zu einer konventionsfreundlichen Gesetzesänderung geführt. Der Gesetzgeber muss sich dennoch vorhalten lassen, dass er es versäumt hat, den neuen Wiederaufnahmegrund umfassend zu formulieren und so eine gerechte Regelung für die Behandlung konventionswidriger strafrechtlicher Entscheidungen zu schaffen. Mit der Forderung, eine Wiederaufnahme komme nur bei Verurteilten in Betracht, die selbst in Straßburg geklagt und gewonnen haben, werden letztlich nur wenige Fälle erfasst. Es ist letztlich unbefriedigend, wenn für den Fall, dass der EGMR eine deutsche Rechtsnorm für unvereinbar mit der Menschenrechtskonvention ansieht, nur ein in Straßburg behandeltes Verfahren wieder aufgenommen werden kann, ein anderes Verfahren, bei dem die rechtskräftige Gerichtsentscheidung auf der Anwendung der gleichen konventionswidrigen Norm beruht, jedoch unberührt bleibt. Von diesem Verurteilten zu verlangen, im Bewusstsein, dass die betreffende Norm ohnehin konventionswidrig ist, eine Menschenrechtsbeschwerde einzureichen, benachteiligt diesen in nicht nachvollziehbarer Weise und erscheint im Hinblick auf den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG mehr als bedenklich. Hier kann nicht der Rechtssicherheit, sondern muss der Gerechtigkeit der Vorrang gegeben werden und eine Wiederaufnahme möglich sein. Aber auch vom ohnehin überlasteten Gerichtshof kann nicht verlangt werden, sich unter Umständen einer Fülle von deutschen Beschwerden geVgl. BT-Drucksache 13110333, S. 3 f.; KK(4)-Schmidt, § 359 Rn. 40. In diesem Sinne auch OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 20 (22) = NStZ-RR 2000, 243 (244) = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 13, S. 6. 199
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genüber zu sehen, die von Einzelnen zu Fragen eingereicht werden, die schon einmal Gegenstand eines Verfahrens in Straßburg gewesen sind. Ein in Deutschland Verurteilter, der in Straßburg klagt, weil die Entscheidung unter Anwendung einer Norm ergangen ist, deren Konventionswidrigkeit der EGMR schon festgestellt hat, würde vermutlich zwar die Zulässigkeitshürde am Gerichtshof überspringen, müsste sich aber mit einer nicht absehbaren Dauer seines Beschwerdeverfahrens zufrieden geben. Dennoch wäre das nach dem Willen des Gesetzgebers die einzige Möglichkeit, eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Es bliebe die Frage, ob eine Entscheidung des über die Zulässigkeit der Menschemechtsbeschwerde befindenden Ausschusses am EGMR schon für einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 6 StPO ausreichte. Diese Frage wäre aber wohl zu verneinen, da Voraussetzung für die Wiederaufnahme ein Feststellungsurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschemechte sein soll. Letztlich mündet die Annahme, ein Betroffener könne sich in eigener Sache an den Europäischen Gerichtshof für Menschemechte wenden, in einer unnötigen Formalität. Der Rechtsausschuss und mit ihm letztlich der Gesetzgeber hätte gut daran getan, dem diesbezüglichen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu folgen und die Feststellung der Konventionswidrigkeit einer bundesdeutschen Rechtsnorm in den Regelungsgehalt des § 359 Nr. 6 StPO aufzunehmen. Wie die Vergangenheit insbesondere im Fall Öztürk gezeigt hat, kann nach einem Feststellungsurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschemechte bezüglich der Unvereinbarkeit einer deutschen Norm mit der Europäischen Menschemechtskonvention einige Zeit verstreichen, bis der deutsche Gesetzgeber seiner völkerrechtlichen Pflicht, die Gesetzeslage anzupassen, nachkommt. 20 I Je länger dieser Zeitraum ist, desto wahrscheinlicher werden konventionswidrige Gerichtsentscheidungen aufgrund der fortgesetzten Anwendung der betreffenden Norm?02 Der Anwendung dieser Normen dürfen sich die Gerichte grundsätzlich nicht verweigern. Alle davon Betroffenen einzeln auf eine Menschenrechtsbeschwerde zu verweisen, nur um ihnen die Möglichkeit zur Wiederaufnahme ihrer Strafverfahren zu geben, wird der Bedeutung der Konvention aber nicht gerecht. Vielmehr muss jedem aus diesem begrenzten Kreis die Wiederaufnahme seines Verfahrens offenstehen?03 Bezüglich der zu ihren Lasten ergangenen Fehlurteile muss die Rechtskraft dieser Urteile und damit zwangsläufig auch die Rechtssicherheit zurückstehen. Zwar ist diese Sicherheit, auf der aus der Sicht des Staates und des Staatsbürgers eine klare Rechtslage und damit auch eine geordnete Strafrechtspflege beVgl. zu diesem Problem nur Schumann, S. 328 f. Vgl. auch Schumann, NJW 1964, S. 755. 203 Im Ergebnis ebenso und für die Anwendung von § 359 Nr. 6 StPO in diesen Fällen Weigend, StrVert 2000, S. 388. 201
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§ 6 Der Fall Pakelli
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ruht und die daneben das Vertrauen des Einzelnen in den Bestand einer richterlichen Entscheidung schützt204 , ein wesentlicher Grundgedanke des Rechtsstaates. Dennoch ist die Wiedergutmachung für Verletzungen von Menschenrechten als elementaren Rechten in Fonn einer Wiederaufnahme des Verfahrens und damit die Korrektur (unter Umständen schon zuvor ersichtlicher) Fehlentscheidungen in den oben genannten Fällen höher zu bewerten und ihr der Vorzug zu geben. Eine analoge Anwendung von § 359 Nr. 6 StPO dürfte sich jedoch im Hinblick auf den ausdrücklichen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers verbieten. Es fehlt insoweit an einer plan widrigen Regelungslücke. Eine andere Möglichkeit bietet trotz des eindeutigen Wortlauts eine konventionsfreundliche Auslegung der Vorschrift durch die Gerichte, die sich bei der Auslegung der StPO nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientieren sollen. 205 Bisher gibt es zu der neuen Regelung des § 359 Nr. 6 StPO jedoch nur sehr wenig Judikatur.206 Es bleibt daher abzuwarten, wie eine diesbezügliche Entwicklung verläuft. Abschließend soll noch einmal kurz auf das Verfahren im Fall Pakelli zurückgekommen werden. Nach Einführung der neuen Nummer 6 in § 359 StPO im Jahre 1998 beantragten Pakellis Angehörige noch einmal die Wiederaufnahme des nunmehr 20 Jahre alten Strafverfahrens, mit dem Ziel, das rechtskräftige Urteil des 1. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 1977 aufzuheben und Pakelli nachträglich zu rehabilitieren. 207 Doch erneut wurde der Antrag vom LG Stuttgart verworfen und diese Entscheidung vom OLG Stuttgart208 bestätigt, das Zweifel äußerte, ob das letztlich zu Ungunsten Siehe nur Deml, S. 42 f. Seit BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 (206) ständige Rechtsprechung; bestätigt in BVerfGE 82, 106 (115) sowie E 83, 119 (128). Der Bundesgerichtshof (vgl. nur BGHSt 45, 321 (328 f.) = NJW 2000, 1123 (1124 f.) = JZ 2000, 363 (365) = NStZ 2000, 269) und das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG JZ 2000, 1050 (1053) = InfAuslR 2000, 171 (175» haben sich dieser Auffassung angeschlossen. 206 Vgl. daher LG Ravensburg NStZ-RR 2001, 115. Das Landgericht wendete unter Berufung auf die soeben erwähnte konventionsfreundliche Rechtsprechung des BVerfG - § 359 Nr. 6 StPO analog in einem Fall an, in dem es eigenständig eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 MRK bejahte, obwohl kein entsprechendes Urteil des EGMR vorlag. Nur am Rande nahm BVerfG NJW 2000, 1480 = NJ 2000, 139 auf § 359 Nr. 6 StPO Bezug, da der Beschwerdeführer den EGMR angerufen und im deutschen Verfahren eine Aussetzung der Strafvollstreckung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beantragt hatte. 207 Zur Bestellung des Pflichtverteidigers für dieses Verfahren siehe OLG Stuttgart Die Justiz 1999, 382 = NStZ 1999, 587; zur Rehabilitierung im Rahmen der Wiederaufnahme allgemein Deml, S. 37 f. 204 205
11 Kieschke
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3. Kap.: Der unentgeltliche Beistand eines Pflichtverteidigers
ausgefallene Urteil des BGH auf dem Verstoß gegen die MRK tatsächlich beruhte, was nicht aufgrund eines bloßen Hinweises auf das Urteil des EGMR zu bejahen sei. 209
208 Beschl. v. 26. 10. 1999 - 1 Ws 157/99, Die Justiz 2000, 20 = NStZ-RR 2000, 243 = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 13. 209 OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 20 (22) = NStZ-RR 2000, 243 (244) = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 13, S. 4 f.
Viertes Kapitel
Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren (Art. 6 Abs. 2 MRK) - Insbesondere: Die Kostenverteilung nach nichtverurteilendem Verfahrensabschluss Die im folgenden Kapitel betrachteten Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hatten sich mit der Frage zu befassen, ob die von staatlicher Seite erfolgende Auferlegung von Kosten für einen nichtverurteilten Angeklagten nach Abschluss von dessen Strafverfahren, die Nichterstattung seiner notwendiger Auslagen oder die Versagung einer Entschädigung für aufgrund einer Untersuchungshaft erlittene Schäden eine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK' darstellen. Dabei soll zunächst ein Urteil gegen die Schweiz aus dem Jahre 1983 im Mittelpunkt stehen, das diese Frage für einen nichtverurteilenden Verfahrensabschluss zuerst grundsätzlich klären musste. Danach werden drei Urteile gegen die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1987 betrachtet und die Reaktion der deutschen Gerichte darauf untersucht. Am Rande soll auf eine mögliche Verbindung von Urteilen gegen zwei verschiedene Konventionsstaaten eingegangen werden.
§ 7 Der Fall Minelli J. Schweiz! A. Das Urteil des EGMR vom 25. März 19832 Ludwig A. Minelli, ein Schweizer Journalist, wurde im Februar 1972 aufgrund eines von ihm verfassten Artikels in der Basler "Nationalzeitung" einer Ehrverletzung 3 angeklagt. In seinem Artikel hatte er eine Firma und 1 Art. 6 Abs. 2 MRK lautet in der nichtamtlichen deutschen Übersetzung: "Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist." 1 Series A, Vol. 62 = HRLJ 4 (1983), 215 ff. Deutsche nichtamtliche Übersetzun~en sind in EuORZ 1983, 475 ff. und SJZ 1983, 197 abgedruckt. Vgl. auch den Uberblick bei Berger, Rn. 425 ff. (Urteil Nr. 47); Hansjakob, S. 171 ff.; Haefligerl Schürmann, S. 213 f. sowie IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 455 f. 2 Im Folgenden auch teilweise als Minelli-Urteil bezeichnet. 3 Siehe Art. 173 bis 178 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0; im Folgenden: StOB (Schweiz)). ll*
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
deren Geschäftsinhaber des Betruges beschuldigt. Ein solcher konnte den derart Bezichtigten allerdings gerichtlich nicht nachgewiesen werden. Die betroffene Firma und ihr Geschäftsinhaber fühlten sich durch den Zeitungsartikel aber in ihrer Ehre verletzt und erhoben daraufhin Privatstrafklage4 gegen Minelli. Ebenfalls angeklagt wurde von ihnen der Journalist Fust, der eineinhalb Wochen vor Minelli einen Artikel ähnlichen Inhalts in einer anderen Tageszeitung veröffentlicht hatte. Dessen Verfahren hatte einen Tag vor dem Verfahren von Minelli begonnen. Fust wurde abschließend im September 1975 vom Obergericht des Kantons Zürich rechtskräftig verurteilt und mit einer Buße bestraft. Zusätzlich trug er auch die Gerichtskosten und hatte jedem der Privatkläger eine Parteientschädigung zu zahlen. Während des Verfahrens von Fust wurde das Gerichtsverfahren gegen Minelli auf Begehren des einen Klägers hin suspendiert und erst im September 1975 wieder aufgenommen. Im November 1975 wurde Minellis Fall auf dessen Verlangen hin an das Geschworenengericht des Kantons Zürich überwiesen 5 , wogegen die Kläger vergebens Beschwerde beim Schweizerischen Bundesgericht erhoben. Am 27. Januar 1976 war die absolute Verjährungsfrist für die in Frage stehende Ehrverletzung abgelaufen. 6 Das Geschworenengericht ließ daher die Klage nicht mehr zu und entschied nur über die Kosten auf der Grundlage von §§ 190, 293 StPO ZH7 . Im Rahmen der Kostenverteilung legte es Minelli zwei Drittel der Gerichtskosten auf und verpflichtete ihn, jedem der 4 In der Schweiz muss zur Verfolgung strafbarer Handlunge gegen die Ehre ein Strafantrag gestellt werden. Im Schweizer Kanton Zürich war das Verfahren als Privatstrafklageverfahren ausgestaltet. Hierbei wird die Durchsetzung des Strafanspruchs dem Geschädigten überlassen. Das Verfahren folgt im Kanton Zürich strafprozessualen Regeln. Vgl. allgemein zum Privatstrafklageverfahren Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 88 (S. 377 ff.) ; Bischofberger, S. 53. 5 Gemäß § 294 StPO ZH a.F. sowie § 56 GVG ZH a. F. (Gesetz vom 13. Juni 1976) konnte bei Ehrverletzungen durch die Presse vom Angeklagten die Überweisung seines Falles vom zunächst zuständigen Bezirksgericht an das Geschworenengericht verlangt werden. 6 Die Verfolgung von strafbaren Handlungen gegen die Ehre verjährt gemäß Art. 178 Abs. 1 StGB (Schweiz) nach zwei Jahren, kann aber gemäß Art. 72 Abs. 2 StGB (Schweiz) unterbrochen werden. Jedenfalls nach vier Jahren tritt aber eine absolute Verjährung ein (siehe Art. 73 Abs. 3 StGB (Schweiz): "Die Strafverfolgung ist jedoch in jedem Fall verjährt, wenn die ordentliche Verjährungsfrist um die Hälfte, bei Ehrverletzungen und bei Übertretungen um ihre ganze Dauer überschritten ist."). 7 § 190 StPO ZH lautete: "Bei Privatstrafklagen werden die Kosten, welche nicht dem Freigesprochenen überbunden werden können, dem unterliegenden Privatkläger auferlegt." § 293 StPO ZH lautete: "Die unterliegende Partei wird in die Kosten des Verfahrens und zu einer Prozessentschädigung an die Gegenpartei verfällt; von dieser Regel darf nur abgewichen werden, wenn besondere Verhältnisse es rechtfertigen."
§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz
165
Privatankläger eine Aufwandsentschädigung zu zahlen. Die Kläger sollten das letzte Drittel der Gerichtskosten übernehmen. Das Gericht wich damit von der Regel des § 293 StPO ZH ab, wobei es die Privatkläger als unterliegende Parteien, die aufgrund der Verjährung ihr Recht nicht verfolgen konnten, ansah. Die Kostenverteilung begründete das Geschworenengericht mit der kantonalen Rechtsprechung, nach der bei Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit oder bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Todes des Angeklagten abweichend von § 293 StPO ZH ausnahmsweise darauf abzustellen ist, wie die Kosten aufgeteilt worden wären, wenn es zu einem Urteil gekommen wäre. Bei einer Nichtzulassung der Klage wegen Verjährung sei dieser Grundgedanke ebenfalls anzuwenden. Jedenfalls sollte bei Privatstrafklagen nie der Staat mit Kosten belastet werden. Zur Ermittlung des Verfahrensausganges für den Fall, dass keine absolute Verjährung eingetreten wäre, bezog sich das Geschworenengericht auf die (oben angesprochene) Verurteilung des Journalisten Fust und stellte fest, dass der Fall Minelli diesem nahezu und nur mit geringfügigen Abweichungen gleiche. Daraus schlussfolgerte das Geschworenengericht, dass auch Minelli mit höchster Wahrscheinlichkeit wegen Ehrverletzung verurteilt worden wäre und daher als vermutlich Unterliegender die Kosten des Verfahrens zu tragen und die Entschädigung an die Privatkläger zu leisten habe. Eine gegen diese Entscheidung von Minelli beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde8 wurde dort abgewiesen. Ebenso erfolglos blieb die beim Bundesgericht im November 1976 eingereichte staatsrechtliche Beschwerde, in der Minelli eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK rügte. 9 Das Bundesgericht wartete zunächst mit seiner Entscheidung, da mehrere ähnliche Fälle bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte anhängig waren. IO In seiner Entscheidung vom 16. Mai 1979 11 bestätigte es dann die Überlegungen des Geschworenengerichts zur Wahrscheinlichkeit von Minellis Verurteilung. Dieses habe damit nur eine "Würdigung der Prozesschancen" vorgenommen und kein formelles Urteil gefällt. Bei einem normalen Verfahren wäre möglicherweise ein Freispruch 8 Zu diesem Rechtsinstitut siehe nur Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 104 (S. 460 ff.). 9 Zur Möglichkeit, Verletzungen der Konvention vor dem Schweizerischen Bundesgericht zu rügen, näher unter B. I. 2. 10 Bei den damals anhängigen Fällen handelte es sich um zwei Beschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland (Nr. 6281173 - Neubecker; Nr. 6650174 - Liebig) und eine Beschwerde gegen die Schweiz (Nr. 7640176 - Geerk). Auf die drei Beschwerden wird unten zurückgekommen. 11 Unveröffentlichter Entscheid; siehe aber die auszugsweise Wiedergabe in SJIR 1979, S. 208.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
erfolgt. Somit sei also auch keine Entscheidung über die Schuld als solche gefällt worden und die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK nicht berührt. Am 20. Juni 1979 wandte sich Minelli mit einer Beschwerde 12 an die Europäische Kommission für Menschenrechte und rügte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK. Die Kostenentscheidung des Geschworenengerichts vom 12. Mai 1976 bestrafe ihn aufgrund bloßen Verdachts und sei mit der Unschuldsvermutung nicht vereinbar. Die Kommission erklärte seine Beschwerde für zulässig 13 und bejahte in ihrem gemäß Art. 31 MRK a. F. abgefassten Bericht vom 16. Mai 1981 14 einstimmig eine Konventionsverletzung. Sowohl die Kommission als auch die Schweizerische Eidgenossenschaft (deren Vertreter im Folgenden als "Regierung" bezeichnet werden l5 ) brachten den Fall vor den Gerichtshof. 16 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich der Kommission angeschlossen und ebenfalls einstimmig eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK bejaht. Zunächst musste der Gerichtshof klären, ob Art. 6 Abs. 2 MRK im Fall Minelli überhaupt anwendbar war. Von der Schweizerischen Regierung wurde die Anwendbarkeit der Konventionsgarantie ratione materiae und ratione tempore bestritten. Ihrer Ansicht nach hatte die Privatstrafklage gegen Minelli grundsätzlich zivilrechtlichen Charakter gehabt. Das Verfahren privater Strafverfolgungen falle nicht unter Art. 6 Abs. 1 MRK (als Voraussetzung für die Anwendung von Abs. 2), wobei sich die Regierung auf die Rechtsprechung der Kommission stützte. Weiterhin habe sich Minelli nur bis zum Eintritt der Verjährung auf Art. 6 Abs. 2 MRK stützen können. Die Kostenentscheidung des Geschworenengerichts liege daher in einem zeitlichen Abschnitt des Verfahrens, in dem die Unschuldsvermutung nicht mehr zu beachten gewesen sei. Beiden Argumenten trat der Gerichtshof jedoch entgegen. Die Ehrverletzung gehöre in der Schweiz zu den im Schweizerischen Strafgesetzbuch enthaltenen Straftaten. Die Verfolgung werde in den kantonalen StrafprozessBeschwerde Nr. 8660/79. Entscheidung vom 17. Dezember 1980 - abgedruckt in DR 21, 1991203; siehe auch EuGRZ 1981, S. 158 f. 14 Series B, Vol. 52, S. 10 ff.; siehe den Hinweis darauf in EuGRZ 1981, S. 319. 15 Die Zuständigkeit für die auswärtigen Angelegenheiten liegt gemäß Art. 184 Abs. 1 der Schweizerischen Bundesverfassung beim Bundesrat, der - trotz seiner im deutschen Verfassungsrecht anders belegten Bezeichnung - mit der deutschen Bundesregierung vergleichbar ist. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte werden die schweizerischen Interessen durch das Bundesamt für Justiz vertreten. 16 Der Antrag der Schweiz datiert vom 14. Oktober 1981 und ist wiedergegeben in Series B, Vol. 52, S. 31. Zum Beschluss der Kommission vgl. EuGRZ 1981, S.544. 12 13
§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz
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ordnungen geregelt und könne zu einer Bestrafung führen. Damit habe das Verfahren hinreichenden strafrechtlichen Charakter, um sachlich den Anwendungsbereich von Art. 6 MRK zu eröffnen. 17 Die Kostenentscheidung sei dabei nicht nur als reine Verfahrens entscheidung zu sehen. Vielmehr gehöre sie untrennbar zum gesamten Strafverfahren im Rahmen der Ehrverletzungsklage und beende dieses, habe also ebenfalls straf(verfahrens)rechtlichen Charakter. Damit sei auch der zeitliche Aspekt kein Argument, um den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 MRK zu verneinen. Die Kostenentscheidung habe lediglich die letzte Etappe eines Strafverfahrens dargestellt. Die Unschuldsvermutung gelte aber auch für das gesamte Verfahren und nicht nur in einzelnen Abschnitten, habe also auch bei der Kostenentscheidung zum Abschluss des Verfahrens beachtet werden müssen. Art. 6 Abs. 2 MRK war damit im Fall Minelli sowohl in sachlicher wie in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Überprüfung der Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK vornahm, ging er kurz auf das Vorbringen der Schweizerischen Regierung ein, dass eine von einer rechtlichen Regel abweichende Entscheidung wie die des Geschworenengerichts des Kantons Zürich unter Anwendung des § 293 StPO ZH in der Schweiz nicht ungewöhnlich sei und das System, welches eine solche flexible Lösung in bestimmten Fällen erlaube, sogar zur schweizerischen Rechtstradition gehöre. In Übereinstimmung mit der Kommission betonte der Gerichtshof hierzu, dass er nicht die Praxis der schweizerischen (bzw. zürcherischen) Rechtsprechung und Gesetzgebung insgesamt, sondern nur die konkrete Beschwerde zu überprüfen habe. 18 Hierbei sei von ihm nur die Kostenentscheidung des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 1976 zu betrachten. Die spätere Entscheidung des Bundesgerichts, auf welche die Regierung ausschließlich abstellen wollte, sei nicht Gegenstand der Beschwerde. Für die Feststellung einer Verletzung der Unschuldsvermutung stellte der EGMR darauf ab, ob eine gerichtliche, den Angeklagten betreffende Gerichtsentscheidung die Auffassung wiedergab, er sei schuldig, ohne dass es überhaupt zu einem Verfahren gekommen sei, in dessen Abschluss er auf gesetzliche Weise für schuldig befunden worden sei ("proved guilty according to law") und in dem er seine Verteidigungsrechte habe ausüben kön17 Nr. 28 (Series A, Vol. 62, S. 15 = HRLJ 4 (1983), 215 (222) = EuGRZ 1983, 475 (478)): "According1y, the Court has no doubts as to the criminal nature of the proceedings brought against Mr. Minelli ... " 18 Nr. 35 (Series A, Vol. 62, S. 17 = HRLJ 4 (1983), 215 (223) = EuGRZ 1983, 475 (479)): "Accordingly, it [the Court] has to give a ruling not on the Zürich legislation and practice in abstracto but solelyon the manner in which they were applied on the applicant."
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
nen. Dieses sah der Gerichtshof durch die Äußerung des Geschworenengerichts des Kantons Zürich, eine Verurteilung Minellis wäre "sehr wahrscheinlich" gewesen, für gegeben an. Damit habe das Geschworenengericht die Ehrverletzung als erwiesen dargestellt und gezeigt, dass es, ohne eine entsprechende - und strafverfahrens- sowie konventionsrechtlichen Anforderungen genügende - gerichtliche Überprüfung vorzunehmen, von der Schuld Minellis überzeugt gewesen sei. 19
B. Auswirkungen im (Strafverfahrens-)Recht der Schweiz20 Bevor genauer die Wirkung der ersten Verurteilung der Schweiz in ihrem zweiten Verfahren 21 vor den Organen der Europäischen Menschenrechtskonvention untersucht wird, soll zuvor ein kurzer Einblick in die schweizerische Rechtslage gegeben werden. Hierbei sollen die Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der praktische Umgang mit ihr sowie die Beachtung der Unschuldsvennutung bis zum Urteil gegen die Schweiz im Fall Minelli dargestellt werden. I. Kurze Einführung in die schweizerische Rechtslage
1. Das Strafverfahrensrecht der Schweii 2
Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist ein Bundesstaat. 23 Vor wenigen Jahren erfolgte in der Schweiz eine Revision der alten Bundesverfassung (BV) vom 29. Mai 1874. 24 Die neue Schweizerische Bundesverfassung 19 Nr. 38 (Series A, Vol. 62, S. 18 = HRLJ 4 (1983), 215 (225) = EuGRZ 1983, 475 (480»: "In this way the Chamber of the Assize Court showed that it was satisfied of the guilt of Mr. Minelli, an accused who, ... , had not had the benefit of the guarantees contained in paragraphs 1 and 3 of ArticIe 6 [of the convention]. Notwithstanding the absence of a formal finding and despite the use of certain cautious phraseology (,in all probability', ,very probably'), the Chamber proceeded to make appraisa1s that were incompatible with respect for the presumption of innocence." 20 Zum Folgenden siehe auch S. Trechsel, Der Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Schweiz, ZStW 100 (1988), S. 667 ff.; A. Haejliger/F. Schürmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz: die Bedeutung der Konvention für die schweizerische Rechtspraxis, 2. Aufl. Bern 1999; M. E. Villiger, Die Wirkungen der Entscheide der EMRK-Organe im innerstaatlichen Recht, namentlich in der Schweiz, ZSR 104 I (1985), S. 469 ff. sowie ders., Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage, 2. Aufl. Zürich 1999. 21 Den ersten Kontakt mit dem EGMR hatte die Schweiz im Fall Schiesser, in dem der Gerichtshof eine Konventionsverletzung verneinte (siehe das Urteil vom 04. 12. 1979; Series A, Vol. 34).
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vom 18. April 1999, welche im Vergleich zur alten Verfassung klarer strukturiert und übersichtlicher ist und im Verfassungstext das heutige staatsrechtliche Verständnis widerspiegelt25 , ist zum 01. Januar 2000 in Kraft getreten. 26 Das Staatsgebiet der Schweiz ist in 26 Kantone unterteilt. 27 Hinsichtlich der Verteilung der staatsgewaltlichen Kompetenzen trifft die Schweizerische Bundesverfassung eine relativ einfache Regelung: alle Kompetenzen, die nicht durch die Verfassung ausdrücklich dem Bund zugewiesen sind, können von den Kantonen beansprucht werden (Art. 3 Halbsatz 2 BV)?S Während die Eidgenossenschaft seit einer Volksabstimmung vom 21. Dezember 1898 gemäß Art 64 bis BV 187429 (heute Art. 123 Abs. 1 BV) die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Strafrecht zugewiesen bekam, 22 Dazu siehe auch den Überblick bei R. Hauser, Der Strafprozeß in der Schweiz und seine Besonderheiten, in H. Jung (Hrsg.): Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen ... , Berlin, New York 1990, S. 83 ff. 23 FleinerlGiacometti, S. 39 ff. (48); Hauser, Strafprozeß im Spiegel, S. 85; HäfelinlHaller (3), Rn. 164 und (nach der Verfassungsrevision) HäfelinlHaller (5), Rn. 936 ff. 24 Der Text der alten Schweizerischen Bundesverfassung lässt sich im internet nachlesen: http://www.verfassungen.delch/ [Stand: 20.06.2002]. Hier ist gleichzeitig ein Änderungsindex bis zum 17. Mai 1992 wiedergegeben. Ausgewählte Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen sind ebenfalls bei R. J. Schweizer, S. 767 ff. sowie J. P. Müller (3), Grundrechte, S. 709 ff. abgedruckt. 25 Zur Entstehung der revidierten Bundesverfassung und den Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerverfassung siehe H. KollerIG. Biaggini, Die neue schweizerische Bundesverfassung - Neuerungen und Akzentsetzungen im Überblick, EuGRZ 2000, S. 377 ff. mit umfangreichen Literaturnachweisen; Häberle, FS Maurer, S. 935 ff.; HäfelinlHaller (5), Rn. 58 ff. 26 Text im internet unter http://www.admin.chlch/d/sr/10l/index.html (Stand: 20.06.2002). Die wichtigsten Bestimmungen sind in Anhang IV. abgedruckt. Sofern nicht anders angegeben, wird hier die neue Fassung verwendet. Da für diese Arbeit jedoch auch der Text der BV von 1874 relevant ist, sind die dort enthaltenen Bestimmungen an entsprechender Stelle in den Fußnoten wiedergegeben. 27 Zur Rechtsstellung der Kantone siehe HäfelinlHaller (5), Rn. 941 ff. Durch die sprachliche Neufassung von Art. I BV, der alle Kantone aufzählt, ist die alte Kontroverse um die Rechtsstellung der Halbkantone beendet: siehe Häfelinl Haller (5), Rn. 966 ff. Zur früher diskutierten Problematik siehe HäfelinlHaller (3), Rn. 196 ff. sowie Hangartner, S. 55. 28 Auch die alte Bundesverfassung von 1874 bestimmte in Art. 3 BV 1874: "Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist, und üben als solche alle Rechte aus, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind." Zum Hintergrund dieser Regelung FleinerlGiacometti, S. 66. 29 Art. 64bis BV 1874 lautete: Art. 64bis Abs. I BV 1874: "Der Bund ist zur Gesetzgebung im Gebiete des Strafrechts befugt." Art. 64bis Abs. 2 BV 1874: "Die Organisation der Gerichte, das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung verbleiben, wie bis anhin, den Kantonen."
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verblieb die Zuständigkeit zur Regelung des Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsrechts im großen und ganzen bei den einzelnen Kantonen, mit der Folge, dass es in der Schweiz 26 einzelne (wenn auch meist ähnliche) Strafprozessordnungen gibt. 3o Ungeachtet dessen enthalten die Bundesverfassung aber auch das Schweizerische Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 sowie das Militärstrafgesetzbuch vom 13. Juni 1927 einige wenige bundesrechtliche strafprozessuale Normen und Garantien?! Zur Wahrung der Rechtseinheit wurde in der Schweiz ein Bundesgericht errichtet, das in verschiedenen Abteilungen sowohl in öffentlichrechtlichen32 (staatsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen) als auch in zivil-, straf- (als Bundesstrafgericht) und sozialrechtlichen Sachen meist als letzte oder in wenigen Fällen als einzige Instanz entscheidet. 33 Die Organisation und die Befugnisse des Bundesgerichts regeln Art. 188 bis 191 BV?4 Die in diesem Zusammenhang erlassenen Bundesgesetze35 enthalten ebenfalls formelles Bundesstrafrecht. Festzuhalten bleibt jedoch, dass außerhalb dieser wenigen Normen die Regelung der Strafverfahren und diesbezüglichen Gerichtsverfahren in der Zuständigkeit der Kantone liegt.
2. Die Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz und ihre Beachtung in der Praxis Im Mai 1963 trat die Schweiz dem Europarat bei, womit sich ihr die Möglichkeit eröffnete, in den Kreis der Vertragsstaaten der Europäischen 30 Trechsel, ZStW 100 (1988), S. 667 spricht sogar von 29 verschiedenen Strafverfahrensordnungen. Eine Übersicht über die kantonalen Strafprozessordnungen und Gerichtsverfassungsgesetze findet sich bei HauserlSchweri (4), Strafprozessrecht, § 5 (S. 25 ff.); siehe bei HauserlSchweri (4), Strafprozessrecht, § 7 (S. 33 ff.) auch die umfangreichen Literaturnachweise zu den einzelnen kantonalen strafprozessualen Gesetzen. Im internet präsentiert sich jeder Kanton mit einer eigenen Seite, auf der sich bei fast allen die kantonalen Gesetze im einzelnen erschließen lassen. Den Einstieg nimmt man arn besten über: http://www.admin.ch/ch/d/ schweizlkantonelindex.html [Stand: 20.06.2002]. 31 Vgl. Hauser, Strafprozeß im Spiegel, S. 87; HauserlSchweri (4), Strafprozessrecht, § 5 (S. 23 f.). 32 Ein besonderes (Bundes-)Verfassungsgericht kennt die Schweiz nicht. 33 Allgemein zum Aufbau und den Kompetenzen des Bundesgerichts Häfelinl Haller (5), Rn. 1703 ff. mit umfangreichen Literaturhinweisen; Hangartner, S. 127 ff.; FleinerlGiacometti, S. 629 ff. (mit Fn. 2 zum geschichtlichen Hintergrund); Hauser, Strafprozeß im Spiegel, S. 87 f. 34 Vorher Art. 106 bis 114bis BV 1874. 35 Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vorn 15. Juni 1934 (SR 312.0); Bundesgesetz über die Organisation des Bundesrechtspflege vorn 16. Dezember 1943 (SR 173.110); Bundesgesetz über den Militärstrafprozess vorn 23. März 1979 (SR 322.1).
§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz
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Menschenrechtskonvention einzutreten?6 Dennoch ließ die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention noch einige Jahre auf sich warten. 37 Sie wurde von der Schweiz erst am 21. Dezember 1972 vorgenommen?8 Am 28. November 1974 ratifizierte die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention in der Fassung der Änderungsprotokolle 3 und 5?9 Gleichzeitig erkannte sie für begrenzte und immer wieder verlängerte Zeiträume die Möglichkeit der Individualbeschwerde vor der EKMR an (gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 1 MRK a. F.) und unterwarf sich der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (gemäß Art. 46 Abs. 1 MRK a.F.) auf unbestimmte Zeit. In der Folgezeit unterzeichnete und ratifizierte die Schweiz ebenfalls die nachgelegten Zusatzprotokolle zur Konvention (mit Ausnahme der Protokolle Nr. 1,4 und 9) und nunmehr am 13. Juli 1995 auch das Reformprotokoll Nr. 11.40 Für die Antwort auf die Frage nach Geltung und Rang der Konvention in der Schweiz ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dort völkerrechtliche Verträge vom nationalen Recht "adoptiert" werden und somit zwar ihren völkerrechtlichen Charakter behalten, praktisch aber wie nationales Recht zu behandeln sind. 41 Die MRK gilt somit in der Schweiz seit ihrer Ratifikation wie schweizerisches Recht und bindet alle drei Staatsgewalten (Parlament, Verwaltung, Gerichte) auf allen Stufen (Bund, Kantone, Gemeinden).42
36 Gemäß Art. 66 Abs. 1 MRK a. F. stand die Konvention nur Mitgliedstaaten des Europarates zur Unterzeichnung offen. 37 Zu den Gründen siehe Schindler, ZSR 94 I (1975), S. 357 ff.; Cagianut, FS Haug, S. 47; HaejligerlSchürmann, S. 21 ff.; zur Stellung des Bundesrates im Hinblick auf einen Beitritt der Schweiz zur Menschenrechtskonvention vgl. Levi, ZStR 106 (1989), S. 226 ff.; siehe auch Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 27 f. 38 Zu den dabei gemachten Vorbehalten und auslegenden Erklärungen der Schweiz in Bezug auf einzelne Bestimmungen vgl. YB 17 (1974), S. 6 ff.; siehe auch die detaillierten Überblicke bei Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 35 ff. sowie HaejligerlSchürmann, S. 31 ff. Die Vorbehalte oder Erklärungen wurden im Laufe der Jahre bis heute teilweise zurückgenommen oder für unwirksam erklärt: vgl. Wildhaber, FG BatIiner, S. 325 ff. sowie die Nachweise bei R. J. Schweizer, S. 670 (Fn. 411). 39 Siehe AS 1974, S. 2151; AS 1974, S. 2148 (Genehmigung); allgemein zum schweizerischen Verfahren beim Abschluss von Staatsverträgen und ihre Inkorporation in nationales Recht: HäfelinlHaller (5), Rn. 1892 ff. 40 Siehe nur die Nachweise bei R. J. Schweizer, S. 594 (Fn. 15) und Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 30 ff. sowie die Ratifiaktionstabelle in EuGRZ 1994, S. 350. Das Protokoll Nr. 11 ist in AS 1998, S. 2993 abgedruckt. Interessanterweise waren es die Schweizer, die den Anstoß zur Reform gaben. 41 Vgl. Cagianut, FS Haug, S. 49; Villiger, EuGRZ 1991, S. 82 m. w. N.; ders. (2), Handbuch der EMRK, Rn. 56. Die Schweiz folgt damit der monistischen Lehre: HäfelinlHaller (5), Rn. 1913.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvennutung im Strafverfahren
Aus den positiven Regelungen in der Schweizerischen Bundesverfassung kann nicht auf den Rang völkerrechtlicher Bestimmungen im nationalen Recht geschlossen werden. 43 Die Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge wird insoweit von der Verfassung in Art. 189 Abs. 1 Buchst. c BV44 vorausgesetzt, und diese werden als Völkerrecht in Art. 191 BV45 für maßgebend für Bundesgericht und rechtsanwendende Behörden erklärt. Ohne Zweifel war jedoch schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Konvention, dass diese als völkerrechtlicher Vertrag nach der Ratifikation zunächst jedenfalls im Rang eines Bundesgesetzes stehen musste, was insofern ungeschriebenem Verfassungsrecht entsprach. 46 Die Menschenrechtskonvention ging unbestritten kantonalem Recht, Bundesverordnungen sowie früheren Bundesgesetzen (lex posterior) VOr. 47 Die lex-posterior-Problematik in Bezug auf zeitlich nach Ratifikation der Konvention erlassene Bundesgesetze wurde vom Schweizerischen Bundesgericht durch eine harmonisierende, völkerrechtskonforme Auslegung umgangen. 48 Die Einordnung der Konven42 Diese Wirkung ist in der Schweiz automatisch Folge der Ratifikation eines internationalen Vertrages: vgl. nur BGE 94 I, 669 (672); FleineriGiacometti, S. 829; Wildhaber, ZBJV 105 (1969), S. 265; ders., ZSR 98 II (1979), S. 328; J. P. Müller, ZSR 94 I (1975), S. 377; Ros, S. 150; Haefliger, ZSR 104 I (1985), S. 458; Trechsei, ZStW 100 (1988), S. 671. 43 V gl. in Bezug auf die alte Bundesverfassung BGE 117 Ib, 367 (372) = EuGRZ 1992, 416 (417). Die dort gemachten Ausführungen treffen in gleicher Weise auf die entsprechenden Bestimmungen der neuen Bundesverfassung zu. Eine ausdrückliche Regelung zum Rang völkerrechtlicher Verträge ist dieser nicht zu entnehmen; siehe auch R. J. Schweizer, S. 624 f. 44 Entspricht Art. 113 Abs. 1 Nr. 3 BV 1874: "Das Bundesgericht urteilt ferner: ... 3. über Beschwerden betreffend Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Bürger sowie über solche von Privaten wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen." Art. 113 Abs. 3 BV 1874 bestimmte: "In allen diesen Fällen sind jedoch die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemein verbindliche Beschlüsse sowie die von ihr genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht maßgeblich." 45 Letztlich entspricht das in Kurzfonn Art. 114bis Abs. 3 BV 1874. 46 BGE 101 IV, 252 (253); vgl. auch FleinerlGiacometti, S. 830; Wildhaber, ZBJV 105 (1969), S. 261; Villiger, EuGRZ 1991, S. 82; ders. (2), Handbuch der EMRK, Rn. 58; Cagianut, FS Haug, S. 49 m. w. N.; allgemein Häfelinl Haller (5), Rn. 1917 a.E. 47 So z.B. BGE 111 Ib, 68 (71); J. P. Müller, ZSR 94 I (1975), S. 378; Wildhaber, ZSR 98 II (1979), S. 328 f.; Ros, S. 152; Villiger, EuGRZ 1991, S. 82; in Bezug auf kantonales Recht auch Cagianut, FS Haug, S. 53; HäfelinlHaller (5), Rn. 1924 ff.; weitergehend und die generelle Überprüfbarkeit aller Bundesgesetze bejahend J. P. Müller, ZSR 94 I (1975), S. 380. 48 Siehe nur BGE 94 I, 669 (678 f.); 112 II, 1 (13); 117 Ib, 367 (372 f.) = EuGRZ 1992,416 (417 f.); J. P. Müller, ZSR 94 I (1975), S. 388 f.; Cagianut, FS Haug, S. 52 f.; HäfelinlHaller (3), Rn. 1054; zur Harrnonisierung von MRK und Schweizerischer BV Villiger, EuGRZ 1991, S. 86 f. Zur gleichlaufenden Praxis des deutschen Bundesverfassungsgerichts siehe oben in § 1 B. II. Bei Unmöglichkeit
§ 7 Der Fall Minelli .I. Schweiz
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tion als Bundesgesetz war jedoch nicht unumstritten. Während das Bundesgericht49 der EMRK "zumindest Gesetzesrang" zuwies, vertrat der überwiegende Teil der Literatur die Auffassung, der Konvention komme in der Schweiz ein Übergesetzesrang zu. Teilweise ging man sogar von einem Verfassungs- oder Überverfassungsrang aus. 50 Die Streit um die Einordnung der Menschenrechtskonvention besaß jedoch keine große praktische Relevanz. Das Schweizerische Bundesgericht behandelt - anders als das deutsche Bundesverfassungsgericht - Beschwerden wegen der Verletzung der MRK gleich einer "Verfassungsbeschwerde".51 Daneben ist auch die Geltendmachung von Konventionsverletzungen im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens denkbar. 52 Die Konvention konnte daher eigenständig als Maßstab für die gerichtliche Überprüfung von schweizerischem Recht herhalten. Seit Beginn der 90er Jahre entschied das Schweizerische Bundesgericht in diesem Sinne. 53 Damit nimmt die Menschenrechtskonvention seither faktisch einen übergesetzlichen Rang im schweizerischen Rechtssystem ein. Zur Konkretisierung der Konventionsgarantien berücksichtigt das Schweizerische Bundesgericht auch die Rechtsprechung der Konventionsorgane, vornehmlich jedoch die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. 54 In der jüngeren Praeiner völkerrechtskonformen Auslegung geht man in der Schweiz dennoch vom Primat des Völkerrechts aus: vgl. Tophinke, S. 118 m.w. N. 49 BGE 101 IV, 252 (253); 105 V, 1 (3) = EuGRZ 1979,294 m.w.N. Für einen einfachen Gesetzesrang der Menschenrechtskonvention mit der Folge, dass diese jüngerem entgegenstehenden Bundesrecht zu weichen habe, noch Cagianut, FS Haug, S. 53 f.; Ros, S. 154 sowie Haefliger, ZSR 104 I (1985), S. 459. Diese Auffassung ist nunmehr durch die Praxis überholt. 50 Vgl. die Nachweise zur Literatur bei Ros, S. 152 f.; Villiger (2), Handbuch der EMRK, Rn. 59; Polakiewiczllacob-Foltzer, HRLJ 12 (1991), S. 137. Für einen Übergesetzesrang war schon Wildhaber, ZBJV 105 (1969), S. 261; für einen Verfassungsrang bspw. R. J. Schweizer, S. 628. 51 Vgl. BGE 101 la, 67 (69) = EuGRZ 1975, 351; 102 Ia, 196 (199); 112 IV, 138 (139) m.w.N.; 117 Ib, 367 (371) = EuGRZ 1992,416 (417); 122 III, 404 (406); 124 III, 1 (2); BG v. 12. 11. 1990, SZIER 1991, 383 (zitiert nach Poledna, S. 12 (zu 24.)). Unter den hier verwendeten Oberbegriff der "Verfassungsbeschwerde" fallen dabei sowohl staatsrechtliche Beschwerden als auch Verwaltungsgerichtsbeschwerden. Über beide entscheidet die erste Abteilung des Bundesgerichts. Detailliert dazu sowie zu weiteren Überprüfungsverfahren in der Schweiz bei vermuteten Verletzungen der Menschenrechtskonvention Villiger, EuGRZ 1991, S. 84 ff.; zur staatsrechtlichen Beschwerde auch Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 105 (S. 474 ff.); Häfelin/Haller (5), Rn. 1929 ff. 52 So BGE 102 la, 279 (283). 53 Vgl. nur die völkerrechtsfreundlichen Entscheidungen BGE 117 Ib, 367 (373) = EuGRZ 1992, 416 (418) mit Anmerkung von Trechsel, recht 1993, S. 16 ff.; BGE 122 11, 385; siehe auch R. J. Schweizer, S. 625, 628 ff.; Thürer, ZBl. 89 (1988), S. 397 ff. m. w. N.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
xis ist das Bundesgericht sogar dazu übergegangen, einen generellen Vorrang des Staatsvertragsrechts gegenüber (auch jüngeren) Bundesgesetzen anzunehmen. 55 Bis zum Ende der 80er Jahre war die Frage der Anwendbarkeit der Menschenrechtskonvention in der Schweiz noch nicht völlig geklärt. Während das Schweizerische Bundesgericht die materiellen Konventionsgarantien für hinreichend justiziabel ansah 56 , betonte die schweizerische Rechtslehre57 die direkte Anwendbarkeit von Art. 2 bis 14 MRK - allerdings mit Ausnahme von Art. 13 MRK. Nach nunmehr vorherrschender Ansicht der Praxis 58 sind ihre materiellen Garantien insgesamt unmittelbar anwendbar und der Streit um Art. 13 MRK damit überholt. 3. Die Unschuldsvermutung im schweizerischen Rechtssystem59
a) Allgemeine Ausführungen Die neue Schweizerische Bundesverfassung von 1999 enthält eine ausdrückliche Bestimmung betreffend die Unschuldsvermutung in Art. 32 Abs. 1 BV. Dasselbe lässt sich jedoch für ihre Vorgängerverfassung von 1874 nicht sagen. Bis zur Verfassungsrevision fand die "Vermutung der Schuldlosigkeit,,60 im schweizerischen Verfassungsrecht keine volle Entsprechung. 61 54 Vgl. BGE 102 la, 379 (381) = EuGRZ 1977, 25 (26); 105la, 41 (42) = EuGRZ 1980, 82; 106 la, 219 (221) = EuGRZ 1981, 284 (285); siehe auch Villiger, ZSR 104 I (1985), S. 509 f. 55 Vgl. HäfelinlHalier (5), Rn. 1926 m. w. N. 56 BGE 102 la, 468 (481); zu Art. 6 Abs. 1 MRK BGE 111 la, 239 (243 f.) = EuGRZ 1986, 163 (164). 57 J. P. Müller, ZSR 94 I (1975), S. 382 ff.; HäfelinlHalier (3), Rn. 1078; wohl auch Wildhaber, ZBJV 105 (1969), S. 267; die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 13 MRK verneinten im Übrigen noch BGE 103 V, 190 (192); 105 V, 1 (3) = EuGRZ 1979, 294. 58 BGE 111 Ib, 68 (72); siehe zudem das Urteil vom 9. November 1983 - abgedruckt in EuGRZ 1984, 223 - in dem das Schweizerische Bundesgericht wie selbstverständlich eine Verletzung von Art. 13 MRK prüft; vgl. auch Cagianut, FS Haug, S. 50; Villiger, EuGRZ 1991, S. 84 m. w.N.; ders. (2), Handbuch der EMRK, Rn. 63; R. J. Schweizer, S. 628 m. w.N.; HaejligerlSchürmann, S. 38 ff.; Tophinke, S. 115; HäfelinlHalier (5), Rn. 1894. 59 Zum Folgenden sehr ausführlich E. Tophinke, Das Grundrecht der Unschuldsvermutung: aus historischer Sicht und im Lichte der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts, der EMRK-Organe und des UNO-Menschenrechtsausschusses, Bern 2000; siehe ebenfalls die Darstellung bei C.-F. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, Berlin, New York 1998, S. 154 ff. 60 So die von Trechsel, SJZ 1981, S. 318 bevorzugte Ausdrucksweise.
§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz
175
Dennoch soll das nicht bedeuten, dass der Schweiz das Prinzip der Unschuldsvermutung vorher fremd war. Man leitete es als "Selbstverständlichkeit,,62 aus dem verfassungsimmanenten Rechtsstaatsprinzip63 oder verschiedenen strafprozessualen Regelungen in der Verfassung 64 ab. Die Lücke auf der positiven Verfassungsebene wurde anerkanntermaßen seit 1974 durch die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 MRK verkleinert. 65 Zusätzlich war und ist in den Verfassungen und/oder Strafprozessordnungen einzelner Kantone66 schon vorher eine entsprechende positivrechtliche Bestimmung 61 Vgl. zum Grundsatz in dubio pro reo BGE 96 I, 442 (444): "Dieser Grundsatz ist kein solcher des Bundesrechts oder gar des Verfassungsrechts."; ebenso BGE 106 IV, 20 (21); 120 Ia, 31 (38). 62 Bischojberger, S. 126. Siehe auch die Bemerkung des Bundesgerichts im unveröffentlichten Entscheid vom 16. Mai 1979 (SJIR 1979, 208 (209», der Grundsatz der Unschuldsvermutung sei selbstverständlich und in allen schweizerischen Strafprozessrechten anerkannt. 63 Vgl. Schubarth, Unschuldsvermutung, S. 2; auch J. P. Müller (2), Grundrechte, S. 299 verwies auf den Rechtsstaat. Allgemein zum Rechtsstaatsprinzip der Schweiz Häfe/in/Haller (5), Rn. 170 ff.; zur Verankerung des Rechtsstaatsprinzips innerhalb der neuen Verfassung Koller/Biaggini, EuGRZ 2000, S. 340 f. 64 Vgl. die Nachweise bei Bischojberger, Fn. 460 (S. 127). Zur Herleitung des Grundsatzes in dubio pro reo aus dem Willkürverbot des Art. 4 BV 1874 siehe BGE 120 Ia, 31 (35 f.); 123 I, 221 (238 0 . In einem jüngerem Urteil aus dem Jahr 1998 leitete das Bundesgericht die Unschuldsvermutung als Ganzes sowohl aus Art. 6 Abs. 2 MRK als auch aus Art. 4 BV 1874 ab: vgl. BGE 124 I, 327 (331). 65 Vgl. Trechsel, ZStW 100 (1988), S. 697 f.; auf die MRK verweisen zunächst auch Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 57 (Rn. 20). 66 U.a. in folgenden kantonalen Verfassungen: • Verfassung des Kantons Zug vom 31. Januar 1894 (in der Fassung gemäß Änderung vom 28. Juni 1990), § 8 Abs. 2 Verfassung ZG (http://www.zug.ch/bgs/ [Stand: 20.06.2002]); siehe auch Schubarth, Unschuldsvermutung, Fn. 5 (S. 2); • Verfassung des Kantons Genf vom 24. Mai 1847, Art. 4 Verfassung GE (vgl. Tophinke, S. 109 (Fn. 38»; • Verfassung des Kantons Bem vom 06. Juni 1993, Art. 26 Abs. 4 Verfassung BE (siehe Band 1 unter http://www.sta.be.ch/belex/d/home.htm [Stand: 20.06.2002]); • Verfassung des Kantons Appenzell-Ausserrhoden vom 30. April 1995, Art. 20 Abs. 3 Verfassung AR (vgl. Tophinke, S. 110 (Fn. 43» sowie beispielsweise die folgenden kantonalen StPO: • Verordnung über den Strafprozess im Kanton Schwyz (Strafprozessordnung) vom 28. August 1974, § 17 a StPO SZ (neu eingefügt am 01. 12. 1988; siehe SRSZ 233.110 unter http://www.kantonschwyz.ch/gesetze/ [Stand: 20.06.2002]); • Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986, Art. 38 Abs. 1 StPO SH (siehe Band 3 im kantonalen Rechtsbuch unter http:// www.rechtsbuch.sh.ch/[Stand: 20.06.2002]). Den Grundsatz in dubio pro reo enthält das Gesetz über die Strafrechtspflege (Strafprozessordnung) für den Kanton Aargau vom 11. November 1958, § 28 Abs. 2 StPO AG (siehe SAR 251.100 unter http://www.ag.ch/SAR/ [Stand: 20.06.2002]). Weitere Nachweise - auch zu nicht mehr existierenden Regelungen aus dem 19. Jahrhundert - bei Tophinke, S. 108 ff.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
enthalten. In einigen anderen Kantonen wurde und wird die Unschuldsvermutung als stillschweigender Grundsatz des kantonalen Strafprozessrechts angesehen. 67 Den genauen Inhalt der Unschuldsvermutung für das schweizerische Recht ausführlich darzulegen, ist hier nicht die geeignete Stelle und würde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Nur kurz sei gesagt, dass aus der Unschuldsvermutung der Grundsatz in dubio pro reo abgeleitet wird 68 und sie in schweizerischen (gerichtlichen) Verfahren seit 1980 sowohl als Beweiswürdigungsregel als auch als Beweislastregel Geltung beansprucht. 69 b) Die Beachtung der Unschuldsvermutung bei der Kostenauferlegung nach Abschluss eines Strafverfahrens bis 1983 aa) Die diesbezügliche schweizerische Praxis Interessant ist der Umgang der schweizerischen Praxis mit der Unschuldsvermutung bei "nichtverurteilendem Verfahrensabschluss,,7o und zwar insbesondere im Hinblick auf die Verteilung oder Auferlegung von Kosten, die mit dem Verfahren in Zusammenhang stehen. Damit ist auch schon der Schwerpunkt der hier anzustellenden Betrachtung definiert, in dessen Mittelpunkt die Praxis der schweizerischen Gerichte bis 1983 steht. Ähnlich wie im Fall Pakelli, der Gegenstand des dritten Kapitels dieser Arbeit war, betraf die Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die konkrete Praxis eines nationalen Gerichts in einem Einzelfall. Der schweizerische Gesetzgeber war nicht völkerrechtlich zum Handeln verpflichtet, so dass darauf nicht näher eingegangen werden soll. Daneben ergaben sich für den Verfasser Schwierigkeiten beim Auffinden von publizierten kantonalen Gerichtsentscheidungen, was mit der großen Zahl von verschiedenen Strafverfahrensordnungen und dementsprechend vielen kantonalen Entscheidungen verknüpft ist. 71 Deshalb wird hier nur auf die Vgl. Trechsel, ZStW 100 (1988), Fn. 160 (S. 698). Vgl. nur BGE 106 IV, 85 (88 f.); 117 Ib, 367 (377), 120 Ia, 31 (35); Schubarth, Unschuldsvermutung, S. 3 ff.; Nay, ZStR 114 (1996), S. 88 f. 69 Dazu BGE 117 Ib, 367 (377 f.), 120 Ia, 31 (33 ff.); BG SZIER 1991, 426 (zitiert nach Poledna, S. 128 (zu Nr. 525» . Siehe im Übrigen Trechsel, SJZ 1981, 319 ff.; J. P. Müller (3), Grundrechte, S. 559 ff.; Haejliger/Schürmann, S. 211 f.; Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 57 (Rn. 20 ff.) sowie die Nachweise zur schweizerischen Rechtsprechung bei Poledna, S. 127 ff. 70 Formulierung von Trechsel, SJZ 1981, S. 337. 71 Zu diesem Problem schon Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 5 (Rn. 15); Trechsel, ZStW 100 (1988), S. 667, 681. Ros, S. 156 spricht zusätzlich noch an, dass grundrechtliche Streitigkeiten oft erst auf nationaler (und nicht kantonaler) Ebene ausgetragen werden. 67
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§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz
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Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts bis zum Urteil des EGMR im Fall Minelli eingegangen. Letztlich lassen sich daraus in gleicher Weise Rückschlüsse auf die kantonale Praxis ziehen. Grundsätzlich hat - abgesehen von Privatstrafklageverfahren - bei VerfahrenseinsteIlungen und bei Freisprüchen damals wie heute der Staat die gesamten Verfahrenskosten zu übernehmen. 72 Etwas anderes galt nach schweizerischer Rechtstradition in den Fällen, in denen die Eröffnung oder eine Verlängerung des Strafverfahrens in zu missbilligender Weise vom Angeklagten verursacht worden war. 73 Hier sollte nicht der Staat, sondern der Angeschuldigte die Kosten übernehmen, allerdings nur in Fällen, in denen ihm ein "prozessuales Verschulden" unter Rückgriff auf zivilrechtliche Haftungsgrundsätze vorgeworfen werden konnte. 74 Dazu musste der Betreffende in ethisch vorwerfbarer Weise das gerichtliche Verfahren adäquat kausal hervorgerufen75 oder es verzögert haben. Teilweise stellten kantonale Gerichte einfach darauf ab, dass der nicht verurteilte Angeschuldigte verurteilt worden wäre, wenn sein Verfahren mit einem Urteil geendet hätte. 76 Trotzdem sich das Bundesgericht mehrmalig mit staatsrechtlichen Beschwerden befassen musste, in denen die Beschwerdeführer allein schon in dieser schweizerischen Praxis einen Verstoß gegen die Unschulds vermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK sahen, wurde ein solcher jedesmal verneint. 77 Etwas anderes sollte allerdings zumindest nach Meinung der Literatur bei 72 Vgl. HauserlSchweri (4), Strafprozessrecht, § 108 (Rn. 16) mit Nachweisen zu entsprechenden kantonalen Gesetzesbestimmungen; Tophinke, S. 425. Allgemein zum Kostenproblem in schweizerischen Strafverfahren: Hansjakob, S. 15 ff. 73 Gressly, Melanges Assista, S. 469. Eine Übersicht über entsprechende kantonale normative Regelungen gibt BGE 107 Ia, 166. Eine mögliche Erklärung für die Aufnahme solcher Regelungen in die kantonalen Gesetze gibt Minelli, recht 1995, S. 73. Generell kritisch zu dieser Praxis in Fällen, in denen mangels Beweisen freigesprochen worden ist: Schubarth, Unschuldsvermutung, S. 25 f. 74 Vgl. BGE 107 Ia, 166 (167); zuvor schon BG v. 05. 11. 1980 (unveröffentlicht; vgl. SJIR 1981, 319 (319 f.»; Trechsel, SJZ 1981, S. 339; Hauser (2), Strafprozessrecht, § 100 (S. 322); Jenny, S. 2. Für "wirklich verschuldete" Unkosten auch Schubarth, ZSR 94 I (1975), S. 505. Den Begriff des "prozessualen Verschuldens" hat das Bundesgericht von der Literatur übernommen und in ständiger Rechtsprechung als eine Art Oberbegriff benutzt. Die verschiedenen kantonalen Strafprozessordnungen verwendeten unabhängig davon verschiedene Begriffe, um das zur Kostenauferlegung führende Verhalten näher zu bezeichnen: vgl. die Nachweise bei Jenny, S. 1 (Fn. 2) sowie Hauser/Schweri (4), Strafprozessrecht, § 108 (Rn. 19). 75 Beispielsweise durch verdächtiges Benehmen oder durch mindestens fahrlässig abgegebene irreführende Angaben, die einen Verdacht gegen ihn erregt oder verstärkt haben. 76 Siehe die Beispiele bei Hansjakob, S. 167. Diese Praxis scheint historisch an eine "Verdachtsstrafe" anzuknüpfen: vgl. Gressly, Melanges Assista, S. 469. 77 So auch in BGE 107 Ia, 166; vgl. auch Trechsel, SJZ 1981, S. 339; Hauser (2), Strafprozessrecht, S. 322.
12 Kieschke
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
einem Freispruch oder einer Einstellung des Verfahrens mangels Beweisen gelten, wenn in der Begründung des Gerichts anlässlich der Kostenverteilung Zweifel an der Unschuld des Betroffenen ersichtlich wurden?8 bb) Der Fall Geere 9 Die eben geschilderte Praxis der schweizerischen Gerichte erlebte ihren ersten Konflikt mit den Organen der Europäischen Menschenrechtskonvention gegen Ende der 70er Jahre im Fall Geerk. Frank Geerk, ein deutscher Student, hatte zwei (provokative) Gedichte über die Weihnachtszeit und die Rückkehr von Jesus Christus zur Erde veröffentlicht. Eines dieser Gedichte wurde später auf einem Flugblatt abgedruckt und in der Stadt Basel verteilt, womit die Aufmerksamkeit eines Baseler Staatsanwalts geweckt worden war. Daraufhin wurde gegen den Studenten ein Strafverfahren wegen Störung der Glaubens- und Religionsfreiheit (Art. 261 StGB Schweiz) eingeleitet. Geerk wurde zwar freigesprochen, ihm wurden aber gemäß § 191 Abs. 3 StPO Basel-Stadt80 die Kosten des Verfahrens auferlegt. Diese Entscheidung wurde in letzter Instanz vom Schweizerischen Bundesgericht bestätigt. 81 Dagegen richtete er sich mit einer Beschwerde 82 an die Europäische Kommission für Menschenrechte, in der er neben einem Verstoß gegen Art. 10 MRK (Meinungsfreiheit) einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung durch die Auferlegung der Kosten trotz Freispruchs rügte. Seine Individualbeschwerde wurde für zulässig erklärt83 und letztendlich mit einer gütlichen Einigung vor der Kommission (Art. 28 MRK a. F.) erledigt84 , 78 Vgl. Schubarth, ZSR 94 I (1975), S. 505; Trechsel, SJZ 1981, S. 339 m. w.N.; Jenny, S. 4 f. Einen kurzen Überblick über die in der schweizerischen Rechtslehre vertretenen Ansichten gibt Hansjakob, S. 167 ff. Siehe aber zur Verdachtsstrafe auch BG v. 05. 05. 1976 (unveröffentlicht; vgl. SJlR 1977, 189 (190»; BG v. 05. 11. 1980 (unveröffentlicht; vgl. SJlR 1981,319). 79 Siehe zum Folgenden auch Hansjakob. S. 169 f. und die Kurzdarstellung in EuGRZ 1981, S. 126 f. 80 Diese Regelung entspricht heute § 35 Abs. 3 der neueren Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8. Januar 1997: "Wird die angeschuldigte Person freigesprochen oder das gegen sie geführte Verfahren eingestellt, trägt in der Regel der Staat die Verfahrenskosten. Diese können ihr aber ganz oder teilweise auferlegt werden, soweit sie das Strafverfahren durch ein strafrechtlich vorwerfbares Verhalten veranlasst oder erschwert hat." (siehe http://www.gesetzessammlung.bs.ch [Stand: 20. 06. 2002]). 81 Das (ansonsten unveröffentlichte) Urteil des BG vom 05. Mai 1976 ist auszugsweise in SJlR 1977, 189 wiedergegeben. Zur Geschichte des Verfahrens in der Schweiz mit Nachweisen zu den Entscheidungen der einzelnen Instanzen vgl. noch Schubarth. Unschuldsvermutung. S. 24 (Fn. 110); Jenny, S. 2 f. (Fn. 8 f.). 82 Beschwerde Nr. 7640/76.
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ohne dass das Ministerkomitee oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte tätig werden mussten. Die Schweiz zahlte Geerk eine angemessene Entschädigung. Weitergehende praktische Folgerungen wurden daraus jedoch zunächst nicht gezogen. 85 11. Folgerungen in der Praxis des Schweizer Bundesgerichts nach dem Urteil im Fall Minelli 86
Die erste praktische Auswirkung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war das Inkenntnissetzen der Zürcherischen Justizdirektion, des Schweizerischen Bundesgerichts sowie der Schweizerischen Anwaltsvereinigung durch die Schweizerische Regierung - also den Bundesrat - über das Urteil im Fall Minelli. 87 Die Hauptpassagen des Urteils wurden zudem in einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht und damit das Urteil des EGMR einem größeren Kreis auch auf kantonaler Ebene und insbesondere den kantonalen Richtern bekanntgemacht. 88
83 Entscheidung der EKMR vom 07. März 1978, abgedruckt in DR 12, 103/107 = YB 21 (1978), 470 ff.; vgl. auch EuGRZ 1978, S. 63 (Schreiben der EKMR betreffs Stellungnahme der Regierung zur Zulässigkeit der Beschwerde) sowie EuGRZ 1979, S. 160 (Erklärung der Zulässigkeit). 84 Siehe den gemäß Art. 30 MRK a.F. angefertigten Bericht der Kommission vom 04. Mai 1979, abgedruckt in DR 16,56/62 = YB 22 (1979), 382 ff.; zur mündlichen Verhandlung vor der Kommission vgl. EuGRZ 1979, S. 32; zum Bericht der EKMR gemäß Art. 30 MRK a.F. EuGRZ 1979, S. 383 sowie EuGRZ 1981, S. 126 f. 85 Das wird angesichts des vorletzten Satzes in BGE 107 Ia, 166 (167) verständlich: "Das Bundesgericht hat sich an den eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers jedenfalls so lange zu halten, als nicht durch einen Grundsatzentscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [die; im Original: "dessen"] Unvereinbarkeit [des Gedankens, es solle nicht der Staat und damit nicht der einzelne Bürger als Steuerzahler für Verfahrenskosten aufkommen, die vom Angeklagten durch vorwerfbares Verhalten verursacht worden sind] mit der EMRK festgestellt worden ist." Ein Verfahren vor der Kommission genügte somit nicht, um eine Änderung der gerichtlichen Praxis oder des kantonalen Strafverfahrensrechts herbeizuführen. Hier konnte nur ein Urteil des EGMR Auswirkungen zeigen. Ein solches kam dann im Fall Minelli. 86 Dazu siehe ebenfalls W. Gressly, Die Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens, in Melanges Assista, Genf 1989, S. 465 ff.; Tophinke, S. 425 ff. 8? Vgl. Appendix der Resolution des Ministerkomitees DH (83) 10 vom 23. Juni 1983 (= Series B, Vol. 52, S. 113/115). 88 Drei Jahre später wurde das vom Ministerkomitee im Rahmen einer Beschwerde gegen die Schweiz, der ein ähnlicher Sachverhalt wie der im Fall Minelli zugrundelag, wohlwollend notiert: vgl. DH (86) 11 . Zu der Beschwerde näheres unter B. II. 2. 12"
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvennutung im Strafverfahren
Viel interessanterer waren jedoch die Folgerungen, die das Schweizerische Bundesgericht daraus zog. Schon ein knappes Vierteljahr nach der Verurteilung der Schweiz in Straßburg sah es sich erneut mit der Problematik der Beachtung der Unschuldsvermutung bei einer Kostenauferlegung konfrontiert. 89 Zunächst handelte es sich allerdings um ein Verwaltungsstrafverfahren. Gegen einen schweizerischen Bürger war wegen Verdachts der Zuwiderhandlung gegen Art. 42 TVG90 ein Verfahren eröffnet worden, das letztlich mangels Beweises eingestellt wurde. Dem Betroffenen wurden danach die Kosten mit der Begründung aufgebürdet, er habe die Untersuchung schuldhaft verursacht. Diesbezüglich wurde in der Kostenauflage ausgeführt, dass eine Zuwiderhandlung des Betroffenen gegen Art. 42 TVG - trotzdem sie nicht bewiesen worden war - "aufgrund der vorhandenen Tatsachen und Indizien ... wahrscheinlich" gewesen sei. Das Bundesgericht erkannte unter Bezugnahme auf die Ausführungen des EGMR im Fall Minelli zu Recht einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK.
1. Das Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 1983 (BGE J091a, 160 = EuGRZ 1984, 79) Ein dem Fall von Ludwig A. Minelli vergleichbarer Sachverhalt lag der Sache zugrunde, über die wenig später vom Schweizerischen Bundesgericht zu entscheiden war. Dem Bundesgericht wurde hier die Gelegenheit gegeben, die vorherige Praxis der Kostenauferlegung zulasten des Beschuldigten bei Verfahrenseinstellung oder Freispruch im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu überprüfen. Diese Gelegenheit nahm die I. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts auch war. Gegenstand des Falles war ursprünglich eine Strafklage gegen einen schweizerischen Bürger wegen Betruges und fortgesetzter Urkundenfälschung im Kanton Luzern. Während des Strafverfahrens verstarb der Angeklagte. Dessen Verfahren wurde daraufhin eingestellt und die Untersuchungskosten sowie die Hälfte der klägerischen Anwaltskosten seinen Hinterbliebenen aufgebürdet. 91 89 Vgl. Urteil der Anklagekammer des Bundesgerichts vom 21. 06. 1983, BGE 109 Ia, 85 = EuGRZ 1983,499 = SJIR 1984,229. 90 Bundesgesetz vom 14. Oktober 1922 betreffend den Telegrafen- und Telefonverkehr. Das Gesetz wurde im Jahre 1991 durch ein neues Fernrneldegesetz ersetzt, welches wiederum durch ein neues Fernmeldegesetz (SR 784.10) aufgehoben worden ist. 91 Dies entsprach der Regelung von § 283 Abs. 2 StPO Luzern (LU) vom 03. Juni 1957. Voraussetzung dafür war, dass der Verstorbene das Verfahren durch ein ver-
§ 7 Der Fall Minelli ./. Schweiz
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Das Schweizerische Bundesgericht betonte zunächst, dass die Auferlegung von Verfahrenskosten auch ohne Verurteilung nicht per se konventionswidrig sei. Auch der EGMR habe eine solche generelle Konventionswidrigkeit im Fall Minelli nicht angenommen. Die Kostenauferlegung müsse aber bestimmten Voraussetzungen genügen. Dazu zählte das Bundesgericht einen Kausalzusammenhang zwischen dem vorwerfbaren Verhalten des Betroffenen und den entstandenen Kosten, der aber nicht weitergehen dürfe als der kausale Zusammenhang zwischen dem vorgeworfenen strafrechtlich relevanten Verhalten und den zur Untersuchung nötigen Verfahrenskosten. 92 Sodann müsse dem Betroffenen ferner ein schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden können. Dessen Verhalten müsse dabei "aufgrund zivilrechtlicher oder ethischer Regeln vorwerfbar" gewesen sein. Nachdem das Bundesgericht auf seine ständige Rechtsprechung dazu verweist, stellt es fest, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Minelli keinen Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung gebe. Für eine Verletzung der in der Menschenrechtskonvention garantierten Unschuldsvermutung komme es letztlich darauf an, ob sich aus dem Kostenentscheid ergebe, dass der Richter den Beschuldigten als schuldig betrachtet habe. 93 Im konkreten Fall hatte sich in der Begründung des Kostenentscheids in der Tat eine Formulierung befunden, aus der hervorging, dass man den Verstorbenen zumindest teilweise für schuldig gehalten hatte. Das Bundesgericht hieß demgemäß die Beschwerde für gut, da der Kostenauflage in diesem Fall die Wirkung einer Strafe zukomme, und bestimmte, den angefochtenen Kostenentscheid aufzuheben. Für die Folgerung aus dem Urteil des EGMR in der Sache Minelli ist hier eine der letzten Passagen des Bundesgerichtsurteils interessant, die als wörtliches Zitat wiedergegeben werden soll: " ... warfen ihm [dem Beschuldigten] die luzernischen Behörden mehr oder weniger direkt vor, sich (teilweise) strafbar gemacht zu haben. Dies lässt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestützt auf Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht zu, und in dieser Hinsicht wird das Bundesgericht kantonale Entscheide kritischer zu werfliches, leichtfertiges oder verdächtiges Verhalten veranlasst hatte: vgl. BGE 109 Ia, 160 (163) = EuGRZ 1984, 79 (80) = SJIR 1984, 225 (226). Der Text von § 283 Abs. 2 StPO LU ist 1989 mit Wirkung zum 01. 01. 1990 geändert worden und lautet derzeit: "Hat jemand durch eine schuldhafte und erhebliche Verletzung von Rechtspflichten Untersuchungshandlungen verursacht und stirbt er vor Eröffnung der Untersuchung, können die Kosten seinen Erben, soweit sie aus der Erbmasse bereichert sind, auferlegt werden." (siehe Band 3 der SRL im internet unter http:// www.lu.ch/index/systematischeJechtssammlung.htm [Stand: 20. 06. 2002]). 92 BGE 109 Ia, 160 (163) = EuGRZ 1984, 79 (80 f.) = SJIR 1984,225 (227). 93 BGE 109 Ia, 160 (165) = EuGRZ 1984, 79 (81) = SJIR 1984,225 (227).
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
prüfen haben und hat es der strengen Praxis des Europäischen Gerichts Rechnung zu tragen ... ,,94 Das Schweizerische Bundesgericht druckte hier unmissverständlich und in programmatischer Weise seine Absicht aus, sich an dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu orientieren und seine Rechtsprechung danach auszurichten.
2. Fortführung der Rechtsprechung und erneute Verurteilung in Straßburg im Fall I. und C. In den folgenden Jahren führte das Schweizerische Bundesgericht seine soeben beschriebene Rechtsprechung zur Unschuldsvermutung zunächst fort. 95 Dennoch wurde die Schweiz im Jahre 1986 erneut wegen Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK durch eine kantonale Kostenentscheidung verurteilt, womit ein Beschwerdeverfahren96 seinen Abschluss fand, dessen Sachverhalt dem im Fall Minelli frappierend ähnelte. 97 Die Europäische Kommission für Menschenrechte erklärte die Beschwerde am 12. Juli 1984 (mehr als ein Jahr nach dem Urteil des EGMR im Fall Minelli!) aufgrund ihrer rechtlichen und tatsächlichen Komplexität im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 MRK zunächst für zulässig 98 und bejahte in ihrem gemäß Art. 31 MRK a. F. abgefassten und dem Ministerkomitee zugeleiteten Bericht vom 4. Dezember 1985 99 einstimmig eine Verletzung der Unschulds vermutung wegen BGE 109 Ia, 160 (165 f.) = EuGRZ 1984, 79 (81) = SJIR 1984,225 (228). Vgl. BGE 109 Ia, 235 (237 f.) = SJIR 1984, 228 f.; BG v. 20. 02. 1984 (unveröffentlicht; vgl. SJIR 1984, 229 f.); BG v. 09. 07. 1984 (unveröffentlicht; vgl. SJIR 1985, 268); BG v. 25. 01. 1985 (unveröffentlicht; vgl. SJIR 1986, 151 = YB 28 (1985), 329); BG v. 24. 09. 1985 (vgl. EuGRZ 1985, 620 = SJIR 1986, 152); BGE 112 Ia, 371 (373 ff.) = SJIR 1988, 309; 113 Ia, 76 (77 f.) = SJIR 1988, 308, alle mit Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Minelli; siehe auch BGE 112 Ib, 446 (455) = SJIR 1988,310 und die Nachweise in SJIR 1988, 310 ff. 96 Beschwerde Nr. 10107/82 - l. und C. ./. Schweiz; vgl. dazu auch Tophinke, S.412. 97 Ein Strafverfahren gegen beide Beschwerdeführer im Kanton Zug war wegen des Eintritts der Verjährung eingestellt worden. Das Strafgericht des Kantons hatte ihnen jedoch die Gerichtskosten auferlegt, weil sie "mehrfach in krasser Weise gegen die Bestimmungen der lex von Moos [gemeint war der Bundesbeschluss über die Bewilligungspjlicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961, der Verf.] verstoßen" und so "delinquiert und damit durch ihr verwerfliches Verhalten Anlass für den Strafuntersuch gegeben" hatten: vgl. die Wiedergabe der wörtlichen Zitate in DR 48, 39 U50. 98 Die Zulässigkeitsentscheidung ist in DR 38, 90/97 veröffentlicht; siehe auch EuGRZ 1985, S. 626 f. mit Sachverhaltsdarstellung. 94 95
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einer Art Ersatzverurteilung durch die kantonale Gerichtsentscheidung. 100 Eine gütliche Einigung beider Parteien war nicht erreicht worden. Im Verfahren vor dem Ministerkomitee, vor dem die Sache ohne Einschaltung des Gerichtshofes behandelt wurde, wies die Schweizerische Regierung auf die Parallelen zum Fall Minelli hin und betonte ausdrücklich ihre bis dato erfolgten Reaktionen sowohl bezüglich der Informationsschreiben als auch der einschlägigen Urteile des Bundesgerichts. Das Ministerkomitee nahm dieses zur Kenntnis, stellte aber fest, dass sich diese Praxis der Schweiz im konkreten Fall nicht begünstigend ausgewirkt habe. In seiner Entscheidung vom 23. Oktober 1986 101 schloss sich das Ministerkomitee der Meinung der Kommission an und bejahte ebenfalls eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK durch die Schweizerische Eidgenossenschaft. 3. Das Urteil des Bundesgerichts vom 29. Juni 1988 (BGE 114 1a, 299)
Eine erste Änderung zur beschriebenen Praxis des Bundesgerichts bezüglich der Vorwerfbarkeit des Verhaltens deutete sich im Jahre 1988 an. Das Bundesgericht wiederholte zunächst seine mittlerweile ständige Rechtsprechung, "dass der verfahrensabschliessende Entscheid nicht den Eindruck des Bestehens strafrechtlicher Schuld erwecken" dürfe. Solche Kostenauflagen seien unzulässig. Generell verbiete Art. 6 Abs. 2 MRK die Auflage von Kosten trotz fehlender strafrechtlicher Verurteilung dagegen nicht. Die Vorschrift des Art. 200 StPO BE sei demnach nicht per se konventionswidrig, sondern könne nur in konventionsverletzender Weise angewendet worden sein. 102 In diesem Zusammenhang bestätigte das Bundesgericht zunächst seine Rechtsprechung bezüglich des Abstellens auf ein "prozessuales Verschulden im engeren oder weiteren Sinn" und dem Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem schuldhaften (prozessualen) Verhalten und den auferlegten Kosten. Im weiteren sprach das Bundesgericht jedoch die in der Literatur geäußerte Kritik an dem Kriterium der ethischen Vorwerfbarkeit an lO3 und wies in diesem Zusammenhang auf ein dieser Kritik entgegenAbgedruckt in DR 48, 35/47. In mehreren vorangegangenen und die Schweiz betreffenden Fällen bzw. Beschwerdeverfahren, die eine Verletzung der Menschenrechtskonvention durch Kostenauflagen unter Berücksichtigung eines prozessualen Verschuldens rügten, war im Übrigen von der Kommission für Menschenrechte keine Verletzung der Unschuldsvermutung festgestellt worden und die diesbezügliche Praxis der Schweiz insoweit bestätigt worden: vgl. Nachweise in EuGRZ 1985, S. 627. 101 Entscheidung gemäß Art. 32 MRK a. F., DH (86) 11 = DR 48, 45 f./56 f. = YB 29 (1986), 207. 102 BGE 114 Ia, 299 (302 f.). 99
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschulds vermutung im Strafverfahren
kommendes, unveröffentlichtes Bundesgerichtsurteil vom 10. Mai 1988 hin. Im konkret zu entscheidenden Fall ließ es die Frage der Zulässigkeit dieses Kriteriums allerdings (noch) offen. 104 Dafür erweiterte das Bundesgericht vielmehr die schon anerkannte Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Angeschuldigten unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf eine Vorwerfbarkeit von "jeder Verletzung allgemeiner gesetzlicher Pflichten,,105, womit es sich noch näher an zivilrechtliche Haftungsgrundsätze heranbewegte. Den beiden Beschwerden wurde im Übrigen unter dem Gesichtspunkt des im konkreten Fall fehlenden Kausalzusammenhangs stattgegeben.
4. Das Urteil des Bundesgerichts vom 30. Juni 1989 (BGE 115 Ia, 309) Ein Jahr später konkretisierte das BG seine Schlussfolgerungen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich der Vereinbarkeit von Kostenauflagen oder der Verweigerung von Entschädigungen bei nichtverurteilendem Verfahrensabschluss. Im Kanton Uri war 1985 einem Schweizer wegen Führens eines überladenen Lieferwagens ein Ordnungsbußgeld auferlegt worden. Seine dagegen eingelegten Rechtsmittel hatten Erfolg und das diesbezügliche Verfahren wurde 1988 eingestellt. Die Verfahrenskosten sollten vom Staat getragen werden und der Betroffene eine Entschädigung erhalten. Da diese jedoch anteilig gekürzt worden war, rekurrierte er dagegen an das Präsidium des Landgerichts Uri, mit dem Begehren, ihm eine höhere (und angemessene) Entschädigung zuzusprechen. Der Rekurs wurde jedoch mit der Begründung abgewiesen, der Betroffene habe eine einseitige Beladung seines Fahrzeugs schon vor Fahrtantritt festgestellt und dennoch die Fahrt bedenkenlos aufgenommen. Dadurch habe er sich letztlich in ethisch vorwerfbarer Weise verhalten. Eine teilweise Verweigerung der Entschädigung sei damit gemäß Art. 64 Abs. 1 Ziffer 2 der StPO des Kantons Uri vom 29. April 1980 gerechtfertigt. Das Schweizerische Bundesgericht sah im Rahmen der vom Betroffenen erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung der Unschuldsvermutung als gegeben an. Der Text eines verfahrensabschließenden Bescheides dürfe nach einem nichtverurteilenden Abschluss des Verfahrens "nicht den Eindruck des Bestehens strafrechtlicher Schuld erwecken" und eine 103 Vgl. Nachweise bei BGE 114 Ia, 299 (304 f.); J. P. Müller (2), Grundrechte, S.303. 104 Kritisch daher Gressly, Melanges Assista, S. 481 f. 105 BGE 114 Ia, 299 (306) m. w. N. zur früheren Rechtsprechung.
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strafrechtliche Missbilligung ausdrücken. Unter Verweis auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff gegen Deutschland stellte das Bundesgericht fest, dass gleiches auch für die Verweigerung einer Entschädigung gelte. 106 Einen Schritt weiter ging das Bundesgericht jedoch, indem es im konkreten Fall betonte, es komme nicht nur auf den ausdrücklichen Wortlaut der gerichtlichen Entscheidung an. Vielmehr seien Kostenauflagen oder Verweigerungen von Entschädigungen "auch dann unzulässig, wenn sich die strafrechtliche Mißbilligung sonstwie aus dem Text der Entscheidung ergibt [Kursivdruck im Original], d.h. wenn darin ein strafrechtlich relevanter Vorwurf nur implizit zum Ausdruck gelangt,,107. Damit stellte das Bundesgericht die Weichen, um umfassend Verletzungen der Menschenrechtskonvention, die der im Fall Minelli gleichen könnten, zu heilen und letztlich auch zu vermeiden. Die Anforderungen an die Begründungen von Kostenentscheidungen oder Verweigerungen von (Prozess-)Entschädigungen waren damit auf einem so hohem Niveau, dass man sagen kann, das Bundesgericht habe eine annähernd optimale Folgerung aus der Verurteilung der Schweiz in Straßburg gezogen. 5. Das Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juni 1990 (BGE 116 1a, 162 = EuGRZ 1990, 322)
Wieder ein Jahr später sah sich das Bundesgericht gezwungen, die Frage der Zulässigkeit des Kriteriums des "ethisch vorwerfbaren Verhaltens" in einem Fall, der seinen Ausgang im Kanton Aargau genommen hatte, zu entscheiden. Zunächst fasste es jedoch in einer sehr ausführlichen Begründung seine bisherige Rechtsprechung zur Frage der Auferlegung von Kosten im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens zusammen. Es betonte erneut unter Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Minelli seine nunmehr gefestigte Rechtsprechung, dass die betreffenden Regelungen im schweizerischen Recht nicht an sich gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK verstießen. Diese sei vielmehr dann verletzt, "wenn im Einzelfall die Begründung des Kostenentscheids den Eindruck erwecke, das Ge106 Schon ein halbes Jahr zuvor hatte das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde gut geheißen, weil dem in einem Strafverfahren freigesprochenen Beschwerdeführer eine Entschädigung verweigert worden war und der diesbezügliche Entscheid die Auffassung des Gerichts, es halte ihn letztendlich doch für schuldig, erkennen ließ. Das Bundesgericht bezog sich in seinem unveröffentlichten Urteil vom 06. Dezember 1988 (vgl. SJIR 1990, 244) neben dem Urteil des EGMR im Fall Minelli ebenfalls ausdrücklich auf die jüngeren Urteile in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff. 107 BGE 115 la, 309 (311).
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvennutung im Strafverfahren
richt halte den nicht verurteilten Beschuldigten gleichwohl für strafrechtlich schuldig, ohne dass seine Schuld zuvor in einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren nachgewiesen worden sei und ohne dass er insbesondere seine Verteidigungsrechte habe ausüben können,,108. Nachdem das Bundesgericht seine bisherige Auffassung der Kriterien wiederholte, unter denen ausnahmsweise eine Durchbrechung des Grundsatzes, der Staat habe im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens die Kosten zu übernehmen, zulässig sein sollte, verwarf es ausdrücklich das Kriterium des ethisch vorwerfbaren Verhaltens. Das Verhalten des Beschuldigten müsse aufgrund der Rechtsordnung bzw. unter rein rechtlichen Gesichtspunkten nach seiner Vorwerfbarkeit hin beurteilt werden. Recht und Moral seien bei dieser Beurteilung voneinander zu trennen. Andererseits sei die gesamte schweizerische Rechtsordnung zu berücksichtigen. 109 Schließlich wurde der Beschwerde, nachdem vom Bundesgericht sehr detailliert der Umfang des von ihm geforderten "prozessualen Verschuldens" im engeren und im weiteren Sinne bestimmt worden war 11O, stattgegeben.
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhojjl A. Zusammenfassung der Urteile des EGMR vom 25. August 1987 Die drei im Folgenden Abschnitt der Arbeit zu betrachtenden Urteile betrafen trotz ihrer unterschiedlichen Sachverhalte weitgehend die gleiche rechtliche Problematik. Die jeweiligen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind dementsprechend im Hinblick auf die 108 BGE 116 Ia, 162 (166) = EuGRZ 1990, 322 (323). In einem späteren Abschnitt der Entscheidung wird diese Auffassung unter Verweis auf "die Rechtsprechung der Strassburger Organe" inklusive der Urteile des EGMR in den Fällen Lutz, Englert und Nölkenbockhoff gegen die Bundesrepublik Deutschland wiederholt: vgl. a.a.O., S. 174 = EuGRZ 1990, 322 (326). 109 BGE 116 Ia, 162 (168 f.) = EuGRZ 1990, 322 (324); bestätigt in BGE 119 Ia, 332 (334). 110 Vgl. BGE 116 Ia, 162 (168 ff.) = EuGRZ 1990, 322 (324 ff.). 1 Alle drei Entscheidungen sind in Series A, Vol. 123 abgedruckt. Siehe auch E.H.H.R. 10:182 (Lutz); E.H.H.R. 13:392 (Englert); E.H.H.R. 13:360 (Nölkenbockhoff) sowie die Zusammenfassung in YB 30 (1987), 144 ff. Das Urteil im Fall Englert ist weiterhin in NJW 1988, 3257 = EuGRZ 1987,405 = NStE Nr. 11 zu Art. 6 MRK publiziert. Eine nichtverbindliche deutsche Übersetzung des Urteils im Fall Lutz hat die EuGRZ erstellt, abgedruckt in EuGRZ 1987, 399. Ebenfalls übersetzt wurde das Urteil im Fall Nölkenbockhoff: EuGRZ 1987,410. Siehe auch den Überblick bei AndrewslSherlock, E.L.R. 13 (1988), S. 70 f. sowie die Anmerkung von Westerdiek, EuGRZ 1987, S. 393 ff.
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff
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rechtlichen Gesichtspunkte fast gleichlautend. 2 Es erscheint daher unnötig, die Darstellung der Urteile einzeln vorzunehmen. Vielmehr soll dieses nur hinsichtlich der Sachverhalte der einzelnen Fälle geschehen. I. Die den Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte (einschließlich Verfahrensgänge vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte)
1. Der Fall Lutz
Gegen Vii Lutz, einen deutschen Staatsangehörigen, war wegen eines Verkehrsunfalls ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eröffnet und per Kostenbescheid eine Geldbuße festgesetzt worden. Gegen diesen Bescheid legte er Einspruch beim zuständigen Amtsgericht Heilbronn ein. Vom Amtsgericht wurde das Verfahren gegen Lutz Ende August 1981 wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 4 StVG3 ) eingestellt. Die Verfahrenskosten wurden der Staatskasse auferlegt. Lutz sollte allerdings seine notwendigen Auslagen selbst übernehmen. Das AG Heilbronn wendete damit die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO an und begründete das wie folgt: " ... Nach Lage der Akten wäre der Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen eines Verstoßes gegen die StVO verurteilt worden. Unter diesen Umständen wäre es unbillig, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. ,,4 Die von Lutz im September 1981 beim LG Heilbronn eingereichte Beschwerde blieb erfolglos. Das Landgericht hielt zunächst die in Art. 6 Abs. 2 MRK niedergelegte und von Lutz als verletzt gerügte Unschuldsvermutung im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht für anwendbar. Unabhängig davon bestätigte das LG Heilbronn die amtsrichterliche Kostenentscheidung, da Lutz mit "annähernder Sicherheit" verurteilt worden wäre, wenn nicht das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung eingetreten wäre. Eine von Lutz beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Verfassungsbeschwerde wurde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. 5 2 Gerade diese "Gleichförmigkeit der Begriindungsmuster" wird von Westerdiek, EuGRZ 1987, S. 397 als richtungsweisend für spätere Urteile des EGMR angeführt. 3 § 26 Abs. 4 StVG ist durch Gesetz vom 2. März 1974 zu Absatz 3 geworden und 1986 neugefasst worden. Im Fall Lutz betrug die Frist der Verfolgungsverjährung 6 Monate. 4 Vgl. den auszugsweisen Abdruck der Entscheidung im Urteil des EGMR: Nr. 16 (Series A, Vol. 123-A, S. 11 = EuGRZ 1987, 399 (400». 5 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02. 02. 1982 - 2 BvR 1312/ 81.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
Am 14. Juni 1982 erhob Lutz eine Individualbeschwerde6 bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte, die seine Beschwerde im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Unschuldsvermutung für zulässig, im Übrigen für unzulässig erklärte? In ihrem Bericht vom 18. Oktober 1985 8 erklärte die Kommission die Beschwerde mit 7 gegen 5 Stimmen für begründet.
2. Der Fall Englert9 Joachim Englert, ebenfalls deutscher Staatsangehöriger, war wegen verschiedener Straftaten angeklagt und schließlich wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gegen dieses Urteil legte Englert erfolgreich Revision ein. Das Verfahren wurde später, ebenso wie die vorangegangenen Verfahren, gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, die Verfahrenskosten der Staatskasse auferlegt und die Entscheidung für unanfechtbar erklärt. Die notwendigen Auslagen Englerts sollten von diesem - mit seinem Einverständnis - selbst getragen werden. Entgegen seiner Erwartung versagte ihm das (zuständige) Landgericht Heilbronn allerdings eine Entschädigung für die im Februar 1982 erfolgte Festnahme und anschließende Untersuchungshaft. Nach Ansicht der Kammer überwogen "die Umstände, welche die Unschuldsvermutung entkräften, derart, daß eine Verurteilung deutlich wahrscheinlicher [war] als ein Freispruch." Englert habe zudem "durch seine eigenes Verhalten den dringenden Verdacht, ein Verbrechen der räuberischen Erpressung begangen zu haben, hervorgerufen". Schließlich habe er "die Strafverfolgung selbst grob fahrlässig" verursacht, was im Ergebnis einen Ausschluss der Entschädigung gemäß § 5 Abs. 2 StrEG rechtfertige. 1O Die dagegen eingelegte Beschwerde Englerts wurde vom OLG Stuttgart als unzulässig verworfen.
Englert reichte daraufhin eine Beschwerde 11 bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte ein und rügte die Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK durch den Einstellungs- und Kostenbeschluss des Landgerichts Heil6 Beschwerde Nr. 9912/82. Zum Verfahren vor der Kommission siehe YB 29 (1986), S. 125 f. 7 Zur Entscheidung der EKMR vom 09. Juli 1985 siehe EuGRZ 1985, S. 556. 8 Der Bericht der Kommission ist im Anhang der EGMR-Entscheidung in Series A, Vol. 123-A, S. 31 ff. wiedergegeben. Siehe zum Bericht auch StrVert 1986, S. 281 (LS) = StrVert 1988, S. 30 f. (LS) sowie EuGRZ 1986, S. 147 f. und zur Vorlage an den EGMR ebenfalls HRLJ 7 (1986), S. 155 f. 9 Siehe auch die Sachverhaltsdarstellung in EuGRZ 1985, S. 80. 10 Die wesentlichen Passagen aus dem Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 13. September 1982 sind im Urteil des EGMR in Nr. 17 (Series A, Vol. 123B, S. 46 f. = EuGRZ 1987,405 (406» abgedruckt.
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff
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bronn. Seine Beschwerde wurde am 12. Dezember 1984 für zulässig erklärt. 12 Die Kommission vertrat in ihrem Bericht vom 9. Oktober 1985 13 einstimmig die Auffassung, die Unschuldsvermutung sei im Fall Englert verletzt und brachte den Fall innerhalb der Dreimonatsfrist vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 14 3. Der Fall Nölkenbockhoff 15
Die dritte Beschwerde stammte von Frau Martha Nölkenbockhoff. Ihr Ehemann, T. Nölkenbockhoff, war mehrere Jahre lang Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft gewesen. U.a. wegen des Verdachts von Konkursstraftaten wurde er in Untersuchungshaft genommen und nach der mündlichen Verhandlung neben vier weiteren Angeklagten vom Landgericht Essen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen das Urteil des Landgerichts legte T. Nölkenbockhoff Revision beim Bundesgerichtshof ein. Noch bevor dort eine Entscheidung über seine Revision getroffen werden konnte, verstarb er jedoch. Kurz darauf beantragte seine Witwe, die spätere Beschwerdeführerin vor dem EGMR, beim LG Essen, die notwendigen Auslagen ihres Ehemannes im Zusammenhang mit dem landgerichtlichen Verfahren der Staatskasse aufzuerlegen und an den Nachlass eine Entschädigung für die Zeit der Untersuchungshaft ihres Mannes zu zahlen. Diesen Begehren wurde jedoch vom Landgericht mit Beschluss vom März 1982 im Hinblick auf einen mutmaßlichen Verfahrensausgang nicht entsprochen. 16 Das eigene Vorbringen T. Nölkenbockhoffs in seiner Revisionsbegründung ließe "nicht den Schluß zu, daß der Angeklagte bei Fortführung des Verfahrens freigesprochen worden wäre". Es sei vielmehr davon auszugehen, dass es "bei Wegdenken des Verfahrenshindernisses 17 annähernd sicher zu erwarten war, daß 11 Beschwerde Nr. 10282/83 vom 13. 10. 1982; zum Verfahren vor der EKMR siehe YB 29 (1986), S. 126. 12 Siehe dazu EuGRZ 1985, S. 627. 13 Teilweise wiedergegeben im Anhang der EGMR-Entscheidung in Series A, Vol. 123-B, S. 60 ff. Siehe auch StrVert 1986,281 (LS) = StrVert 1988, 30 (LS). 14 Vgl. dazu HRLJ 7 (1986), S. 155 f. sowie EuGRZ 1986, S. 147. 15 Siehe auch die Sachverhaltsdarstellung in EuGRZ 1985, S. 48. 16 Die wesentlichen Passagen aus dem Beschluss des Landgerichts Essen vom 05. März 1982 sind im Urteil des EGMR in Nr. 17 (Series A, Vol. 123-C, S. 70 f. = EuGRZ 1987,410 (411)) abgedruckt. 17 In der gerichtlichen Praxis wurde zu jener Zeit unterschiedlich beurteilt, ob der Tod eines Angeklagten ein Verfahrenshindernis im Sinne der kostenrechtlichen Vorschriften der StPO oder des StrEG darstellte. Während einige Gerichte in Fällen der Beendigung von Strafverfahren bei Versterben der Angeklagten dieses verneinten und jegliche Entscheidungen über eine Entschädigung oder Erstattung der notwendi-
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
es bei der Verurteilung des Angeklagten geblieben wäre", so dass das Landgericht davon absehen könne, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass schon während des landgerichtlichen Verfahrens eine teilweise Einstellung gemäß § 154 StPO erfolgt war, weil es dennoch "wesentlich wahrscheinlicher war, daß es insoweit zu einer Verurteilung des Angeklagten gekommen wäre". Hinsichtlich der Entschädigung wegen der erlittenen Untersuchungshaft ergebe sich keine andere Bewertung. Das LG Essen sah insofern gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 StrEG von einer Entschädigung ab. Frau Nölkenbockhoff legte darautbin Beschwerde beim Oberlandesgericht Hamm ein, die jedoch verworfen wurde, da das OLG ebenfalls zu dem Ergebnis gelangte, "der frühere Angeklagte [wäre] bei Durchführung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß mit annähernder Sicherheit verurteilt geblieben". Eine Verfassungsbeschwerde von Frau Nölkenbockhoff wurde vom Bundesverfassungsgericht mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Auch Frau Nölkenbockhoff legte Beschwerde l8 bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte ein, die hinsichtlich Art. 6 Abs. 2 MRK für zulässig, im Übrigen für unzulässig erklärt wurde. 19 In ihrem Bericht20 bejahte die Kommission einstimmig eine Verletzung der Unschuldsvermutung und brachte den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 21
gen Auslagen für ausgeschlossen hielten (so z.B. OLG Celle NJW 1971,2182; KG OLGSt (alt) StPO § 467, S. 125; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1975, 23 (24); OLG Hamburg NJW 1983, 464 (465) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung), wendete das Landgericht Essen im Fall Nölkenbockhoff die betreffenden Vorschriften entsprechend an (ebenso noch OLG Hamburg NJW 1971, 2183 (2184) m. w.N.; OLG Stuttgart OLGSt (alt) StPO § 467, S. 115 (116); OLG Frankfurt a.M. NJW 1982, 1891 (1892) = NStZ 1982, 480; noch offengelassen in OLG Hamm OLGSt (alt) StPO § 467, S. 141 (142) mit Darstellung des Streitstandes). Zum Streitstand auch: LR(23)-Schäfer. § 467 Rn. 12 ff. 18 Beschwerde Nr. 10300/83 vom 07. Februar 1983; zum Verfahren vor der Kommission siehe YB 29 (1986), S. 127. 19 Die Zulässigkeitsentscheidung der Kommission vom 12. Dezember 1984 ist in DR 40, 180/188 publiziert; siehe auch EuGRZ 1985, S. 627. 20 Bericht vom 09. Oktober 1985, teilweise abgedruckt im Anhang von Series A, Vol. 123-C, S. 86 ff. 21 Siehe zur Vorlage an den EGMR HRLJ 7 (1986), S. 155 f.; EuGRZ 1986, S. 147.
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff
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11. Die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Zunächst musste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in allen drei Fällen mit deren besonderen Umständen befassen. Auf deren Wiedergabe wird hier verzichtet. Es soll aber auf die oben in § 4 schon angesprochene Frage, ob die Menschenrechtskonvention auf deutsche Ordnungswidrigkeitenverfahren überhaupt anwendbar sein konnte, hingewiesen werden. Der Gerichtshof bejahte dieses im Fall Lutz mit vierzehn gegen drei Stimmen22 unter Verweis auf die entsprechende Argumentation im Fall Öztürk. 23 Fast gleichlautend sind sodann die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Bezug auf die Feststellung, ob in den drei deutschen Verfahren die Unschuldsvermutung verletzt worden war oder nicht. Obwohl die Umstände und damit die Problematik in allen drei deutschen Fällen mit derjenigen des vier Jahre zuvor entschiedenen - und zuvor in dieser Arbeit besprochenen - Falles Minelli nahezu identisch waren, verneinte der Gerichtshof in den drei deutschen Verfahren eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Zunächst stellte der Gerichtshof fest, dass Art. 6 Abs. 2 MRK dem Angeklagten kein Recht auf Rückerstattung seiner Auslagen gebe, wenn das Strafverfahren gegen ihn eingestellt werde. Eine gerichtliche Kostenentscheidung, die eine Entschädigung für eine erlittene Untersuchungshaft oder die Erstattung der notwendigen Auslagen eines Angeklagten nach Einstellung des Verfahrens ablehne, verstoße daher nicht als solche gegen die Unschuldsvermutung?4 Unter Bezugnahme auf sein Urteil im Fall Minelli betonte der EGMR aber, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 MRK dann vorliege, wenn die Begründung der Kostenentscheidung im Wesentlichen einer Entscheidung über die Schuld des Angeklagten gleichkäme, ohne dass dessen Schuld vorher gesetzlich nachgewiesen worden sei und insbesondere ohne dass er 22 Abgelehnt wurde diese Ansicht von den Richtern Bindschedler-Robert (Schweiz), Matscher (Österreich) sowie Bernhardt (Deutschland), deren gemeinsame abweichende Meinung im Anschluss an das Urteil des EGMR abgedruckt ist: siehe Series A, Vol. 123-A, S. 30 = EuGRZ 1987, 399 (405). 23 Siehe dazu Series A, Vol. 123-A, Nr. 50--57. Das Urteil im Fall Öztürk ist in der amtlichen Sammlung, Series A, Vol. 73 veröffentlicht. Siehe dazu auch die Darstellung im zweiten Kapitel dieser Arbeit unter § 4. 24 Vgl. für den Fall Lutz: Nr. 59 (Series A, Vol. 123-A, S. 25 = EuGRZ 1987, 399 (403»; für den Fall Englen: Nr. 36 (Series A, Vol. 123-B, S. 54 = EuGRZ 1987,405 (408 f.) = NJW 1988, 3257); für den Fall Nölkenbockhoff: Nr. 36 (Series A, Vol. 123-C, S. 79 = EuGRZ 1987,410 (413».
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
seine Verteidigungsrechte habe ausüben können?5 Nach Auffassung des Gerichtshofes waren den deutschen Gerichtsentscheidungen - trotz zweideutiger und unbefriedigender ("ambiguous and unsatisfactory") Formulierungen wie "wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit verurteilt worden" (so AG Heilbronn im Fall Lutz) oder "ist eine Verurteilung deutlich wahrscheinlicher als ein Freispruch" (so LG Heilbronn im Fall Englert) oder "es wesentlicher wahrscheinlicher war, daß es zu einer Verurteilung des Angeklagten gekommen wäre" (so LG Essen im Fall Nölkenbockhoff) - jedoch keine Schuldfeststellungen in Bezug auf die Angeklagten zu entnehmen. Bei den Kostenentscheidungen nach Einstellung der Verfahren, die nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen gewesen seien, seien die Gerichte auch verpflichtet gewesen, unter anderem das Verhalten der Angeklagten und den Grad des Verdachts, der noch auf ihnen lastete, zu berücksichtigen. Bei den in Frage stehenden Passagen der Kostenentscheidungen habe es sich daher um bloße "Verdachtsäußerungen" gehandelt, die im Zusammenhang mit den von den Gerichten notwendigerweise anzustellenden Überlegungen zu sehen seien. Das unterscheide diese drei deutschen Fälle vom Fall Minelli und ebenso von drei kurz zuvor vom Bundesverfassungsgericht26 entschiedenen und als "case-law" vom EGMR berücksichtigten Fällen. 27 Ein weiterer Unterschied zum Fall Minelli und zu den der BVerfG-Entscheidung zugrundeliegenden Fällen sei nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darin zu sehen, dass die drei deutschen Kostenentscheidungen in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff keine Strafe oder eine ihr gleichkommende Maßnahme darstellten. Vielmehr sei lediglich die Erstattung der notwendigen Auslagen aus der Staatskasse bzw. eine Entschädigung für die Inhaftierungen abgelehnt worden, was mit der Auferlegung von zusätzlichen Kosten wie beispielsweise im Fall Minelli nicht vergleichbar sei. Eine Pflicht zur Entschädigung oder Auslagenerstattung sei aus der Konvention nicht ableitbar, so dass die Ablehnung eines diesbezüglichen Antrags keiner Strafe gleichkäme. 28 25 Fall Lutz: Nr. 60 (Series A, Vol. 123-A, S. 25 = EuGRZ 1987, 399 (403»; Fall Englert: Nr. 37 (Series A, Vol. 123-B, S. 54 f. = EuGRZ 1987, 405 (409) = NJW 1988, 3257 (3257 f.)); Fall Nölkenbockhoff: Nr. 37 (Series A, Vol. 123-C, S. 79 =
EuGRZ 1987,410 (413)). 26 Zur Entscheidung des BVerfG siehe unten § 8 B. I. 4. 27 Die fast gleichlautenden wesentlichen Passagen in den Urteilen des EGMR lauten: "The Gerrnan courts thereby meant to indicate, as they were required to do for the purposes of the decisions to be taken, that there where still strong suspicions concerning [the applicant)."; " ... the decisions described a ,state of suspicion' and did not contain any finding of guilt. In this respect they contrast with the more substantial, detailed decisions which the Court considered in the Minelli case . . ." Siehe Fall Lutz: Nr. 62; Fall Englert: Nr. 39; Fall Nölkenbockhoff: Nr. 39.
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff
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In Anbetracht dieser Umstände verneinte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in allen drei Fällen mit sechzehn gegen eine Stimme eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK. Der Richter Cremona (Malta) missbilligte die Verneinung der Konventionsverletzung. In seinen im Anschluss an die EGMR-Urteile abgedruckten Stellungnahmen stellte er auf den Wortlaut der deutschen Kostenentscheidungen ab. Dieser sei seiner Ansicht nach jeweils eindeutig gewesen und habe sehr wohl als Schuldfeststellung (und nicht als bloße Verdachtsäußerung) verstanden werden können, womit sich Cremona der Auffassung der Kommission anschloss, die in allen drei Fällen eine Verletzung der Unschuldsvermutung bejaht hatte.
B. Einflüsse der Entscheidungen auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland Ohne eine inhaltliche Würdigung der drei Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vorzunehmen, deren Ergebnis überrascht und deren Argumentation zwar zum Widerspruch reizt29 , aber an dieser Stelle keiner weiteren Diskussion bedarf, soll der Blick auf etwaige Folgerungen der deutschen Gerichte, deren Praxis hier - entsprechend den Ausführungen zum Fall Minelli - im Mittelpunkt des Interesses zu stehen hat, gerichtet werden. Analog zu den obigen Ausführungen zum schweizerischen Strafverfahrens- und Kostenrecht soll zunächst kurz das Verhältnis der deutschen Praxis und Lehre zur Unschuldsvermutung im Strafverfahren und der Verteilung der Kosten und Auslagen nach Abschluss eines Strafverfahrens skizziert werden. Unter dem Begriff "Strafverfahren" werden im Folgenden auch die gerichtlich abgeschlossenen Ordnungswidrigkeitenverfahren verstanden. Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG fanden und finden die Vorschriften der StPO sinngemäße Anwendung, was für sich genommen schon eine Gleichbehandlung beider Verfahren im kommenden Abschnitt rechtfertigt.
28 Fall Lutz: Nr. 63 (Series A, Vol. 123-A, S. 26 = EuGRZ 1987, 399 (403»; Fall Englert: Nr. 40 (Series A, Vol. 123-B, S. 55 f. = EuGRZ 1987, 405 (409) = NJW 1988, 3257 (3258»; Fall Nölkenbockhoff: Nr. 40 (Series A, Vol. 123-C, S. 81 =
EuGRZ 1987,410 (414). 29 Siehe Kühl. NJW 1988, S. 3235 f.; Hansjakob. S. 182: "schwer nachzuvollziehende Argumentation"; K. Meyer, FS Tröndle, S. 72 f.; ebenso Tophinke. S. 413 ff., S. 423 ff.; dem EGMR i.E. jedoch zustimmend Levi. ZStR 106 (1989), S. 239, der angesichts der drei Entscheidungen gegen die Bundesrepublik Deutschland die Tragweite der (strengeren) Entscheidung im Fall Minelli für überschätzt hielt. \3 Kieschke
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
I. Die Unschuldsvermutung im deutschen Strafverfahrensrecht und ihre Berücksichtigung im damit verbundenen Kostenrecht bei nichtverurteilenden Verfahrensabschlüssen bis 1987
1. Der Grundsatz der Unschuldsvennutung im deutschen Strajverjahrensrecht30
Der Grundsatz, ein Angeklagter sei solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld gesetzlich (also in einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung) und prozessordnungsgemäß nachgewiesen worden ist, wird als dem Recht der Bundesrepublik Deutschland immanent unumstritten anerkannt. Dieser Grundsatz der Unschuldsvermutung ist zwar bis heute - analog dem Zustand in der Schweiz bis 1999 31 - weder im deutschen Grundgesetz noch in der deutschen Strafprozessordnung ausdrücklich normiert und auch noch nicht in allen Einzelheiten geklärt32 . Zumindest hinsichtlich seiner Gültigkeit ergeben sich jedoch keine Zweifel. Das Bundesverfassungsgericht leitet ihn in ständiger Rechtsprechung 33 aus dem in der Verfassung enthaltenem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ab und misst ihm damit Verfassungsrang bei. In der Literatur34 findet sich vereinzelt der Hinweis auf die 30 Dazu siehe vor allem D. Krauß, Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren, in H. Müller-Dietz (Hrsg.): Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, Köln [u.a] 1971, S. 153 ff.; K. Meyer, Grenzen der Unschuldsvermutung, in H.-H. Jescheck/T. Vogler (Hrsg.): Festschrift für Herbert Tröndle, Berlin, New York 1989, S. 61 ff.; K. Geppert, Grundlegendes und Aktuelles zur Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Europ. Menschenrechtskonvention, in Jura 1993, S. 160 ff. m. w. N.; C.-F. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, Berlin, New York 1998, S. 46 ff. ; siehe auch den knappen aber informativen Überblick bei PJeifJer, FS Geiß, S. 147 ff. 31 Siehe oben § 7 B. I. 3. a). In der neuen Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999, die am 01. Januar 2000 in Kraft trat, ist der Grundsatz der Unschuldsvermutung nunmehr ausdrücklich normiert. 32 So das Fazit von K. Meyer, FS Tröndle, S. 74 f. und immer noch vertreten von Roxin (25), § 11 11 (Rn. 4); siehe auch Stuckenberg, S. 47. 33 BVerfGE 19, 342 (347) = NJW 1966, 243 (244); E 22, 254 (265) = NJW 1967, 2151 (2153); E 25, 327 (331) = NJW 1969, 1163 (1164); E 74, 358 (3690 = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 (206); E 82, 106 (114) = NJW 1990, 2741 = EuGRZ 1990, 329 (331); BVerfG NStZ 1988, 21 ; BVerfG NStZ 1988, 84 = StrVert 1988, 31; BVerfG NJW 1992, 1611 [Az.: 2 BvR 260/91]; BVerfG EuGRZ 1992, 120 (122) = NJW 1992, 1611 [Az.: 2 BvR 1590/89]; BVerfG StrVert 1993, 138; BVerfG NStZ-RR 1996,45 (46). Ebenso D. Krauß, S. 153 f.; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 376 m. w. N.; Jarassl Pieroth, Art. 20 Rn. 100; SachslDegenhart, Art. 103 Rn. 93; Schmidt-BleibtreulKlein, Art. 20 Anm. 22. 34 Vgl. Schom, Art. 6 Abs. 2 Erl. 1 (S . 221 0; siehe auch BVerfGE 74, 358 (371) = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 (206); umfassende Nachweise zu weiteren Theorien bezüglich der Herleitung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung gibt Stuckenberg, S. 48 ff.
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Menschenwürde, wie sie Art. I Abs. I GG betont. In den Verfassungen einzelner Bundesländer ist die Unschuldsvennutung ausdrücklich festgeschrieben. 35 Und letztlich steht die Europäische Menschenrechtskonvention in Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes, kraft dessen der Grundsatz der Unschuldsvennutung, wie er in Art. 6 Abs. 2 MRK nonniert ist, nach der Fonnel des BVerfG ohnehin "Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland,,36 ist. Er ist damit im deutschen Strafverfahrensrecht zu beachten?7 Das gleiche gilt für das Ordnungswidrigkeitenrecht. 38 2. Die gesetzlichen RegeLungen in der StPO zur Kostenverteilung bei einem Freispruch bis 1968 und in den Gesetzen betreffend die Entschädigung für eine erlittene Haft bis 1971
Bei der Verteilung der Kosten nach Abschluss von Strafverfahren oder Bußgeldverfahren ist der Grundsatz der Unschuldsvennutung selbstver35 So in Art. 9 Abs. 1 (vonnals Art. 65 Abs. 2) LV Berlin; Art. 6 Abs. 3 LV Bremen; Art. 20 Abs. 2 Satz 1 LV Hessen; Art. 6 Abs. 4 Satz 2 LV RheinlandPfalz; Art. 14 Abs. 2 LV Saarland. In den nach 1990 konstituierten Verfassungen der neuen Bundesländer ist der Grundsatz der Unschuldsvennutung nur in der Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 enthalten (hier: Art 53 Abs. 2 LV Brandenburg). Die entsprechend fonnulierten Artikel haben Kühl, Unschuldsvennutung, S. 10 sowie Stuckenberg, S. 46 (Fn. 1) abgedruckt. 36 BVerfGE 19, 342 (347) = NJW 1966, 243 (244); E 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 (206); E 82, 106 (114) = NJW 1990, 2741 = EuGRZ 1990, 329 (331); siehe auch E 35, 311 (320) = NJW 1974,26 (27); aus der Literatur nur Schwenk, NJW 1960, S. 1933; Wimmer, ZStW 80 (1968), S. 374 f.; KK(4)-Pfeiffer, Einleitung Rn. 32a = Pfeiffer, Grundzüge, Rn. 32a; Stuckenberg, S.46. 37 Nach K. Meyer, FS Tröndle, S. 62 f. ist die Unschuldsvennutung "ihrem Wesen nach ein nur für das Strafrecht erforderlicher Grundsatz" und gelte daher weder im Zivilprozess noch im Verwaltungsstreitverfahren noch für die Behörden der öffentlichen Verwaltung; ebenso Pfeiffer, FS Geiß, S. 152; zur "praktischen Beschränkung" der Unschuldsvennutung auf den Strafprozess vgl. Stuckenberg, S. 558. Für Hassemer, JuS 1991, S. 256 ist das Strafverfahren lediglich "Zentrum und Sitz des Prinzips" der Unschuldsvennutung. Von hier aus wirkt sie sich nach richtiger Ansicht in das Verwaltungs- und Arbeitsrecht aus: siehe nur BVerfG NJW 1991, 1530 (1531 f.); BAG NJW 2000, 1132 (1133) = BB 2000, 306 (307). 38 Unstreitig; vgl. statt vieler Göhler (13), § 46 Rn. lOb; KleinknechtIMeyer-Goßner (45), MRK (A 4), Art. 6 Rn. 1. Ob dies auf der Ableitung der Unschuldsvennutung aus dem Rechtsstaatsprinzip beruht oder ob sie auch in ihrer von der Menschenrechtskonvention garantierten Fonn in der Bundesrepublik Deutschland gilt, ist immer noch nicht eindeutig geklärt: für eine Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 MRK: KK-OWiG(2)-Lampe, § 46 Rn. 11 sowie mit Einschränkungen HK-OWiGLemke, § 46 Rn. 18; grundsätzlich a.A. noch LG Heilbronn Die Justiz 1981, 405; Göhler, NStZ 1988, S. 65; nunmehr offengelassen bei Göhler (13), § 47 Rn. 45 (anders noch die Vorauflage). 13*
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ständlich ebenfalls zu beachten, da sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld voraussetzt und es daneben verbietet, "ohne gesetzlichen, prozeßordnungsgemäßen - nicht notwendigen rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten oder Angeklagten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensmäßig als schuldig zu behandeln,,39. Hinsichtlich der Verteilung der Kosten eines Strafverfahrens oder eines gerichtlich abgeschlossenen Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist sie daher insbesondere bei einem Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens bedeutsam, da hierbei nicht explizit die Schuld des Angeschuldigten oder Angeklagten festgestellt und die Unschuldsvermutung dadurch nicht widerlegt worden ist. Angesichts dessen könnte in dem Aufbürden von Kosten trotz Nichtverurteilung eine damit nicht vereinbare Straf- oder zumindest strafähnliche Maßnahme gesehen werden. Die Verteilung der Kosten eines Strafverfahrens nach nichtverurteilendem Verfahrensabschluss regelt § 467 StPO. Bis zum Jahre 1968 normierte dessen Absatz 1 (in der Fassung des StPÄG 19644°) den bis in die heutige Zeit noch gültigen Grundsatz im deutschen Kostenrecht, dass die Kosten eines Verfahrens der Staatskasse zu Last fallen, wenn "der Angeschuldigte freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt" wird. 41 Die Frage der Erstattung der notwendigen Auslagen42 wurde hingegen bis dahin von dem Grundsatz beherrscht, dass der freigesprochene Angeklagte diese selbst zu tragen habe. 43 § 467 Abs. 2 StPO a.F. 44 machte hier allerdings eine Ausnahme. Die notwendigen Auslagen sollten gemäß § 467 Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. der
Staatskasse dann zwingend auferlegt werden, wenn die Unschuld des Angeschuldigten bewiesen oder ein gegen ihn begründeter Verdacht widerlegt worden sei. 45 In allen anderen Fällen war die Auferlegung dieser Kosten zu Siehe statt vieler BVerfG NStZ 1988, 21. Gesetz zur Änderung der StPO und des GVG vom 19. Dezember 1964, BGBI. 1964 I, S. 1067. 41 Vgl. den Abdruck von § 467 Abs. 1 StPO in der noch 1967 gültigen Fassung in BVerfGE 22, 254 (263); E 25, 327 (328) = NJW 1969, 1163. Ebenfalls im Anhang bei Wangemann, S. 132. 42 Zum Umfang der notwendigen Auslagen Eh. Schmidt, Lehrkommentar Teil H, Nachtragsband I (StPO), § 467 Erl. 9 ff.; LR(2l)-Schäfer, § 467 Anm. 5. 43 Dazu Naucke, NJW 1970, S. 84; Oske, MDR 1974, S. 712. 44 Abgedruckt in BVerfGE 22, 254 (263); E 25, 327 (328) = NJW 1969, 1163; Wangemann, S. 132 f. 45 Dazu LR(21)-Schäfer, § 467 Anm. 10 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. Das Fehlen eines begründeten Verdachts bzw. dessen Widerlegung sollte dabei explizit in den Entscheidungsbegründungen belegt werden: OLG Celle NdsRpfl. 1962, 89; OLG Celle NdsRpfl. 1963, 261 = OLGSt (alt) StPO § 467, S. 11. 39
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Lasten der Staatskasse gemäß § 467 Abs. 2 Satz 1 StPO a. F. in das Ermessen des mit der Kostenentscheidung befassten Gerichts gestellt ("können der Staatskasse auferlegt werden"). In der Regel entschieden die Gerichte unter Verweis auf einen fortbestehenden Tatverdacht46 zu Ungunsten der mangels Beweises freigesprochenen Angeklagten. 47 Auf der Kostenebene machte es somit letztlich einen Unterschied, ob ein Angeklagter wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wurde oder ob "nur" ein Freispruch erfolgt war, weil man einem Angeklagten trotz eines weiterbestehenden Tatverdachts die Tat nicht nachweisen konnte. Trotz der in der Literatur48 erhobenen Kritik an diesem "Freispruch zweiter Klasse", wurde diese Regelung noch 1967 vom Bundesverfassungsgericht49 als verfassungsgemäß bestätigt. Nach Ansicht des BVerfG verstießen Verdachtsäußerungen in Kostenentscheidungen nicht gegen die Unschuldsvermutung. 5o Von Seiten des Gesetzgebers wurde die Kritik jedoch aufgegriffen. Das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten von 196851 hob die kostenrechtliche Differenzierung bei einem Freispruch bewusst52 auf 46 Zum begründeten Verdacht im Sinne des § 467 Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. siehe nur die Ausführungen bei BGHSt 11, 383 (385 f.) = NJW 1958, 1452 = JZ 1959, 286 (287) [mit zustimmender Anm. von Gossrau, JZ 1959, S. 288 f.]; OLG Bremen NJW 1961,617; vg!. auch LR(21)-Schäfer, § 467 Anm. 9 m.w.N.; Vogler, ZStW 82 (1970), S. 775. 47 So beispielsweise OLG Celle NdsRpfl. 1963, 261 = OLGSt (alt) StPO § 467, S. 11; OLG Hamm NJW 1966, 2326; OLG Köln OLGSt (alt) StPO § 467, S. 79 sowie die der Verfassungsbeschwerde in BVerfGE 22, 254 = NJW 1967, 2151 zugrundeliegende Entscheidung des BayObLG v. 28. 07. 1966 - RReg 4a St 127/ 1965 (dazu BVerfGE 22, 254 (255 f.»; siehe auch OLG Celle NdsRpfl. 1962, 89; OLG Celle NdsRpfl. 1965,48. 48 Insbesondere von Schwenk, NJW 1960, S. 1932 ff.; Pusinelli, NJW 1967, S. 616 stellte die Vereinbarkeit von § 467 Abs. 2 StPO a. F. mit dem Gleichheitsgrundsatz in Frage. Vg!. auch Peters, Strafprozess, § 8011 (S. 617); Wimmer, ZStW 80 (1968), S. 369 ff. und die Nachweise bei Kühl, JR 1978, S. 98 (Fn. 33 ff.). 49 Besch!. v. 19. 07. 1967 - 2 BvR 489/66, BVerfGE 22, 254 = NJW 1967, 2151. 50 BVerfGE 22, 254 (265) = NJW 1967, 2151 (2153). 51 EGOWiG; Gesetz vom 24. Mai 1968, BGB!. 1968 I, S. 503; siehe hier auch BT-Drucksache 5/2601, S. 23 f. sowie Kühl, ZStW 100 (1988), S. 613 f. Im gleichen Jahr wurde übrigens auch im Strafverfahrensrecht der DDR ein "einheitlicher Freispruch" eingeführt: vg!. Stuckenberg, S. 412. 52 Die Begründung im schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages nahm unter Verweis auf die Unschuldsvermutung in Art. 6 Abs. 2 MRK ausdrücklich auf die "als unbefriedigend, ja als unangemessen" angesehene Situation Bezug und betonte die Absicht, diese zu beseitigen: vg!. zu BT-Drucksachen 5/ 2600, 512601, S. 19 f.; ebenfalls abgedruckt bei Wangemann, S. 122 f.; Kühl, NJW 1988, S. 3236. Schon im Rahmen des StPÄG 1964 wurde versucht, das Problem des Freispruchs zweiter Klasse durch einen gesonderten Auslagenbeschluss zu entschärfen: vgl. Kleinknecht, JZ 1965, S. 162; Vogler, ZStW 82 (1970), S. 774 f.; Eb.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
und änderte § 467 StPO in eine FassungS3 , die, wenn auch im Laufe der Jahre leicht verändert, grundsätzlich heute noch gilt. Danach bestimmte der am 1. Oktober 1968 in Kraft getretene § 467 Abs. 1 StPO n. F. nun generell, dass neben den Kosten eines Verfahrens auch die notwendigen Auslagen eines "Angeschuldigten" im Falle eines Freispruchs, einer Außer-Verfolgung-Setzung oder einer - dem Freispruch gleichzustellendens4 - Einstellung des Verfahrens der Staatskasse zur Last fallen sollten. Ausnahmen sollten für Kosten gelten, die der Betroffene durch schuldhafte Säumnis oder unnötige Veranlassung der Erhebung der öffentlichen Klage verursacht hatte (§ 467 Abs. 2, 3 StPO n.F.).ss Schon kurz nach Inkrafttreten von § 467 StPO n.F. war die Norm erneut Gegenstand einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Das BVerfGs6 bestätigte jedoch auch die Vereinbarkeit der Neufassung des Paragraphen mit dem Grundgesetz. Die hinsichtlich des "Freispruchs zweiter Klasse" nach der StPO geführte Diskussion betraf gleichermaßen die Regelung bezüglich der Entschädigung für eine erlittene Untersuchungshaft. s7 Bis 1971 wurde noch in einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld bzw. einen Freispruch wegen der FestSchmidt, Lehrkommentar Teil II, Nachtragsband I (StPO), § 467 Erl. 27 sowie ders., Lehrkommentar Teil II, Nachtragsband II (StPO), § 467 Erl. 2 ff.; Kühl, NJW 1988, S. 3236. 53 Abgedruckt u.a. in BVerfGE 25, 327 (327 f.) = NJW 1969, 1163 sowie bei Wangemann, S. 132 f. Siehe auch den Überblick über die Neuregelungen bei Oske, MDR 1969, S. 712 ff.; Wangemann, S. 17 ff. 54 Der Gesetzgeber nahm damit die Behandlung der Verfahrenseinstellung innerhalb der Praxis in den Wortlaut der Norm mit auf. Schon seit Jahren wurde in der Rechtsprechung die Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld gleich gesetzt: vgl. BGHSt 13, 75 (78 f.) = NJW 1959, 1449 = MDR 1959, 859; OLG Celle NdsRpfl. 1963,262; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1963, 89; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1967, 157 = OLGSt (alt) StPO § 467, S. 31. Die Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO sollte hingegen wie ein Freispruch mangels Beweises anzusehen sein: vgl. OLG Hamm NJW 1966, 2326 und OLG Köln NJW 1967,2173 m.w.N.; a.A. AG Osterode NdsRpfl. 1966, 274 (275). Zur "Minderwertigkeit der Einstellung gegenüber der Freisprechung" siehe umfassend Kühl, Unschuldsvermutung, S. 85 ff. 55 Zur Begründung für die Einführung der Ausnahme Naucke, NJW 1970, S. 84. Zu dem sogenannten "Veranlasserprinzip" oder "Verursacherprinzip" siehe nur KMR(7)-Paulus, vor § 464 Rn. 38; IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 441, 450; LR(23)-Schäfer, Vor § 464 Rn. 18 f.; Schlüchter, Rn. 579, Rn. 851.1 f. m.w.N.; M. J. Schmid, JR 1979, S. 224. 56 Beschl. v. 15.04. 1969 - 1 BvL 20/68, BVerfGE 25,327 = NJW 1969, 1163. Das BVerfG räumte dabei ein, dass die Neuregelung "dem rechtsstaatlichen Prinzip der ,Unschuldsvermutung' tendenziell besser gerecht werde" (BVerfGE 25, 327 (331) = NJW 1969, 1163 (1164)); zustimmend Kühl, Unschuldsvermutung, S. 42. Zu dem gleichen Ergebnis wie das BVerfG kamen auch LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 372 f.; ebenso IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 444. 57 Siehe nur Schwenk, NJW 1960, S. 1935; Wimmer, ZStW 80 (1968), S. 371.
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stellung, es liege kein begründeter Verdacht (mehr) vor, und einem Freispruch mangels Beweises unterschieden. 58 Diese sogenannte "Unschuldsklausel',59 wurde erst 1971 im Rahmen des neugeschaffenen Entschädigungsgesetzes60 beseitigt, das die bis dahin bestehenden Gesetze über die Untersuchungshaftentschädigung von 190461 und die Strafhaftentschädigung von 189862 (!) ersetzte. 63 § 2 Abs. 1 StrEG bestimmte nun eine grundsätzliche Pflicht des Staates zur Entschädigung für bestimmte Strafverfolgungsmaßnahmen im Falle eines Freispruchs - und zwar unabhängig von jeglicher Verdachtslage - sowie im Fall der Einstellung eines Strafverfahrens oder der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens. 64 In den §§ 5, 6 StrEG wurden wiederum Ausnahmen vom Grundsatz der staatlichen Entschädigungspflicht geregelt, so u. a. für den Fall, dass der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte (§ 5 Abs. 2 StrEG).
Siehe dazu Schätzler, Einleitung Rn. 14. Vgl. Schätzler, Einleitung Rn. 18 f.; D. Meyer (1), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, Einleitung Rn. 20 f.; Baumann, FS Heinitz, S. 706 (Fn. 5); Kühl, NJW 1980, S. 806 f.; siehe auch die Bezugnahme auf den kurz zuvor abgeschafften Freispruch mangels Beweises in § 467 StPO in der Begründung des Gesetzentwurfes in BT-Drucksache 6/460, S. 5. 60 StrEG, Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 08. März 1971, BGBI. 1971 I, S. 157. Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung siehe BT-Drucksache 6/460; zum schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses BTDrucksache 6/1512. Siehe auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 614 f.; ders., NJW 1988, S. 3236 f. 61 Gesetz betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. Juli 1904, RGBI. 1904, S. 321. Bis 1971 galt das Gesetz in einer durch Gesetz vom 24. November 1933 (RGBI. 1933 I, S. 1000, 1005) geänderten Fassung. Die §§ 1 und 2 des Gesetzes sind bei Wangemann, S. 118 f. abgedruckt. 62 Gesetz betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. Mai 1898, RGBI. 1898, S. 345. Zur Entstehung dieses sowie des nachfolgenden Gesetzes aus dem Jahre 1904 (vgl. vorstehende Fußnote) siehe Schätzler, Einleitung Rn. 6 ff.; D. Meyer (4), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, Einleitung Rn. 15 ff. 63 Die Begründung des Regierungsentwurfs weist diesbezüglich auf die veränderte Stellung des Einzelnen im Verhältnis zur staatlichen Ordnung hin: vgl. BTDrucksache 6/460, S. 5; siehe auch D. Meyer (1), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, Einleitung Rn. 21 ff.; Kühl, NJW 1980, S. 807. 64 Siehe auch den Überblick über die Regelungen des neuen StrEG bei Baumann, FS Heinitz, S. 707 ff. 58
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
3. Konfliktpotential der neuen Regelungen hinsichtlich der Unschuldsvermutung
Ein Potential zu Konflikten mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung bargen jedoch die neuen Regelungen in § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, Abs. 4 StPO und §§ 3, 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG, die bis heute (nahezu65 ) unverändert geblieben sind. In diesen besonderen Fällen ist die Entscheidung, wer die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten tragen solle, in das Ermessen des Gerichts gestellt. 66 Während die §§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG dem Gericht ein Absehen von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Nichtverurteilten zu Lasten der Staatskasse dann erlauben, wenn eine Verurteilung nur wegen eines bestehenden Verfahrenshindemisses 67 nicht erfolgte, knüpfen die §§ 467 Abs. 4 StPO, 3 StrEG an eine Einstellung des Verfahrens aufgrund einer Ermessensvorschrift68 an. Das Gericht hat danach auch bei der Entscheidung bezüglich der Aufbürdung der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten einen Ermessensspielraum. 69 Den Hauptanwendungsfall für die Einstellung des Verfahrens nach dem Ermessen des Gerichts bildete dabei in der Vergangenheit § 153 StPO, der hier zuerst interessieren soll. a) Die vorausgegangene Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153 StPO Problematisch daran war zunächst, dass eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO bis zu einer Änderung der Vorschrift im Jahre 1974 stets an eine Einschätzung des Maßes der Schuld des Angeschuldigten anknüpfte 70 und diese damit voraussetzte. Die Gerichte stellten dabei ihre Ge65 In § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO wurden die Worte "strafbaren Handlung" durch Art. 21 Nr. 140 EGStGB (BGBl. 1974 I, S. 519) durch das Wort "Straftat" ersetzt; vgl. dazu die Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung in BTDrucksache 7/550, S. 191,316. 66 Naucke, NJW 1970, S. 84 kritisierte die betreffenden Regelungen der StPO zu Recht als "ein erstes Anzeichen für das Wiedererstehen der Unbilligkeitsklausel (,der Angeschuldigte hat die notwendigen Auslagen selbst zu tragen, wenn es unbillig wäre, daß die Staatskasse sie trägt')"; ebenfalls kritisch bzgl. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Eb. Schmidt. Lehrkommentar Teil 11, Nachtragsband 11 (StPO), § 467 Erl. 20. Der Rechtsausschuss des deutschen Bundestages hatte sich im Vorfeld ausdrücklich gegen eine solche Klausel ausgesprochen: vgl. zu BT-Drucksachen 512600, 51 2601, S. 21. 67 Den Hauptanwendungsfall bildet hier die Verfolgungsverjährung. 68 Siehe die Auflistung dieser Normen bei KleinknechtlMeyer-Goßner (45), StrEG (A5), § 3 Rn. 1; AK-Meier, § 467 Rn. 15; Oske, MDR 1969, S. 713; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 372. 69 § 3 StrEG stellt dabei auf die "Billigkeit" angesichts der Umstände des Einzelfalles ab.
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ringfügigkeit fest oder bewerteten zumindest die Wahrscheinlichkeit der Schuld des Einzelnen aufgrund des vorliegenden Tatverdachts?l Für die darauffolgende Kostenentscheidungen nach § 467 StPO leiteten die Gerichte daraus die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ab und berücksichtigten insofern ebenfalls "die für die Schuld des Angeklagten sprechenden Verdachtsmomente,,72. Wenn auch in den ersten Jahren nach Einführung des neuen § 467 Abs. 4 StPO in Einzelfällen73 zu seinen Gunsten differenziert wurde, setzte sich in der Rechtsprechung 74 überwiegend die Ansicht durch, dass sich im Regelfall die zum Zeitpunkt der Einstellung des Verfahrens festgestellte - wenn auch geringe - Schuld bzw. deren Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 467 Abs. 4 StPO zuungunsten des Betroffenen auswirken musste. Diese Praxis führte im Übrigen zu zwei Beschwerden bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte, auf die gleich näher eingegangen wird. 75
70 Seit dem StPÄG 1964 lautete § 153 Abs. 1 StPO bis 1974: "Übertretungen werden nicht verfolgt, wenn die Schuld des Täters gering ist, es sei denn, daß ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung besteht." In Abs. 2 (ebenfalls 1964 geändert) fand sich der Bezug auf die Schuld des Täters erneut: ,,Ist bei einem Vergehen die Schuld des Täters gering ... so kann die Staatsanwaltschaft ... das Verfahren einstellen." [Hervorhebungen jeweils durch Verf.]. 71 So schon für die alte Fassung des § 467 StPO: OLG Hamm VRS 30 (1966), 370 (371); OLG Hamrn NJW 1966, 2326 (2326 f.); OLG Köln NJW 1967, 2173; nach der Neufassung: OLG Stuttgart NJW 1969, 1446 (1448); OLG Hamm NJW 1969, 1448; OLG Celle NdsRpfl. 1970, 70 (71) = MDR 1970,439; OLG Hamburg MDR 1970, 524 (525); kritisch zu dieser Praxis Bruns, FS Maurach, S. 477 f.; Kühl, Unschuldsvermutung, S. 106 f. 72 So für den "alten" § 467 Abs. 2 Satz 1 StPO schon OLG Hamm VRS 30 (1966), 370 (372); OLG Köln NJW 1967, 2173; siehe auch LG Mannheim NJW 1971, 2319; kritisch zu dieser Schlussfolgerung der Rechtsprechung M. J. Schmid, JR 1979, S. 222 ff. 73 Siehe OLG Hamburg NJW 1969, 1450 (1451); OLG Hamrn NJW 1969, 1448; OLG Celle NdsRpfl. 1970, 70 (71) = MDR 1970, 439; LG Schweinfurt AnwBl. 1969, 369; i.E. auch LG Kassel AnwBl. 1970, 63. Der Einzelfallcharakter im Rahmen von § 467 Abs. 4 StPO wurde im Übrigen auch vom Rechtsausschuss des Bundestages bei der Neufassung der Norm angeführt: zu BT-Drucksachen 5/2600, 5/ 2601, S. 21 f.; zustimmend D. Meyer, JurBüro 1982, Sp. 484. Für eine obligatorische Auslagenerstattung nach einem Freispruch des Angeklagten: OLG München NJW 1969, 1450. 74 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1969, 1446 (1448); OLG Stuttgart OLGSt (alt) StPO § 467, S. 107; OLG Hamburg MDR 1970, 524 (525); i.E. auch OLG Hamburg MDR 1974, 160; ebenso Oske, MDR 1969, S. 713 f.; a.A. wohl LG Flensburg AnwBl. 1969, S. 370; Naucke, NJW 1970, S. 86; kritisch in Bezug auf das alleinige Abstellen auf die Wahrscheinlichkeit der Tatschuld auch D. Meyer, JurBüro 1982, Sp.485. 75 Unter Punkt c).
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
Durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch aus dem Jahre 197476 wurde § 153 StPO geändert und die Formulierung in Abs. 1, die sich auf die Schuld des Täters bezog, im Konjunktiv abgefasst. 77 Im Hinblick auf die Unschuldsvermutung, die - wenn sie auch durchaus nicht unberücksichtigt gelassen worden ist78 - vorher durch die jeweiligen Schuldfeststellungen in den Entscheidungsbegründungen der Gerichte in bedenklichem Maße berührt worden war79 , erschien die neue Fassung des § 153 StPO nun unbedenklich. 8o Etwaige Feststellungen über die Schuld wurden nunmehr nach dem Gesetzeswortlaut weder bei der Einstellung eines Verfahrens noch in der Begründung der Kostenentscheidung verlangt. 81 Der Vermutung, dass der wegen einer Straftat Angeklagte solange unschuldig ist, bis seine Schuld gesetzlich bzw. in einem rechtskräftigen Urteil nachgewiesen ist, schien somit Genüge getan. Auch die in diesem Zusammenhang ebenfalls aufgeworfene und eingangs (unter b)) schon angesprochene Frage, ob die Versagung der Erstattung von notwendigen Auslagen der Nichtverurteilten bzw. die Nichtgewährung einer Entschädigung nach Abschluss des Strafverfahrens eine Strafe bzw. strafähnliche Sanktion sei und schon darin ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung gesehen werden könne, wurde einstimmig verneint. 82 76 EGStGB, Gesetz vom 02. März 1974, BGBl. 1974 I, S. 469; zur Änderung der StPO vgl. ebenda, S. 502 ff.; zum Gesetzentwurf der Bundesregierung siehe BTDrucksache 7/550. Siehe auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 615 f.; ders., NJW 1988,
S.3237.
77 Vgl. BGBl. 1974 I, S. 508. § 153 StPO legt seither eine Einstellung des Verfahrens nahe, "wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre" [Kursivdruck durch Verf.]; siehe dazu BT-Drucksache 7/550, S. 298. 78 Siehe nur OLG Stuttgart NJW 1969, 1446 (1447 f.); OLG Celle NdsRpfl. 1970, 70 (71) = MDR 1970, 439. Zur Vereinbarkeit von § 467 Abs. 2 bis 4 StPO mit Art. 6 Abs. 2 MRK OLG Celle NJW 1971, 2182 (2183). 79 Kritisch daher Wangemann, S. 94 ff.; Bruns, FS Maurach, S. 476 ff.; Kühl, JR 1978, S. 96; ders., NJW 1980, S. 808 f.; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 374 f.; zu Einstellungsbeschlüssen auch Frowein, FS Huber, S. 557 f. 80 Siehe im Einzelnen Kühl, Unschuldsvermutung, S. 108 f. 81 Kühl, JR 1978, S. 96 f.; ders., NJW 1980, S. 809; ders., Unschuldsvermutung, S. 128; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 374; KK(I)-Schoreit, § 153 Rn. 8; wohl auch Frowein, FS Huber, S. 557 f.; die Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung legt das ebenfalls nahe: "Da die Vermutung der Unschuld bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt, wird auch bei der Einstellung des Verfahrens nach erhobener Klage keine Schuldfeststellung vorausgesetzt." (vgl. BT-Drucksache 71 550, S. 298). 82 Vgl. aus der Rechtsprechung: BVerfG, Beschl. v. 13. 07. 1984 - 2 BvR 13481 83-147/84 (Dreierausschuss) [zitiert nach Kühl, NJW 1988, Fn. 37 (S. 3235) und Stenger, Fn. 289 (S. 95)]; ursprünglich BGHZ 64, 347 (353) = BGH NJW 1975, 1829 (1831); OLG Frankfurt a.M. NJW 1980,2031 = NStZ 1981, 114 (LS); OLG Hamburg NJW 1983, 464 (465); aus der Literatur: Kühl, JR 1978, S. 101; ders., Unschuldsvermutung, S. 120; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 372; Kleinknecht
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Gleichwohl wurde die Praxis der Rechtsprechung, in die Ennessensentscheidung gemäß § 467 Abs. 4 StPO eine Wertung der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten miteinzubeziehen, auch nach der Änderung des § 153 StPO nicht aufgegeben und gegen die in der Literatur83 und Rechtsprechung 84 geäußerte Kritik an den Entscheidungsbegründungen "verteidigt". Noch 1980 argumentierte das OLG Frankfurt a.M. 85 , § 153 StPO n.F. setze weiterhin einen Tatverdacht voraus: "Gegen die verbreitete gerichtliche Praxis, sich bei Entscheidungen über die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten ... in erster Linie an der Wahrscheinlichkeit der Verurteilung zu orientieren,,86 sei deshalb zumindest in den Fällen der Einstellung des Verfahrens mit Zustimmung des Angeschuldigten (§ 153 Abs. 2 StPO) nichts einzuwenden. 87 Hier verzichte dieser auf die Feststellung seiner Unschuld in einem rechtskräftigen Urteil, was es rechtfertige, von der Kostenauflage zu Lasten der Staatskasse abzusehen. 88 Das Kriterium der Wahrscheinlichkeit der Verurteilung sei, davon abgesehen, jedoch auch eine "praktikable, klare Richtlinie für den Ennessensgebrauch".89 An dieser Praxis vennochten (zunächst) die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Adolf ./. Österreich (1982) und (35), MRK (A 4), Art. 6 Rn. 11; KK(1)-Schikora, § 467 Rn. 11; ungenau daher OLG Frankfurt a.M. NJW 1982, 1891 (1892) = NStZ 1982,480. 83 Insbesondere Kühl, JR 1978, S. 94 ff. (hier vor allem S. 97 ff.); ders., NJW 1980, S. 806 ff.; ders., Unschuldsvermutung, S. 33 ff.; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 373 ff.; Vogler, ZStW 89 (1977), S. 786 (gegen "Verdachtsklauseln"); KK(1)-Schoreit, § 153 Rn. 9; KleinknechtlMeyer (36), § 467 Rn. 19. Wohl auch Frowein, FS Huber, S. 560 f., der seine Kritik jedoch auf reine Schuldfeststellungen beschränkt. 84 LG Hanau MDR 1978, 1047 = DAR 1978, 335; wohl auch LG Heilbronn, Besch!. v. 20. 02. 1981 - 2 Qs 103/81 [zitiert nach Stenger, Fn. 242, 250 (S. 88)]. 85 Besch!. v. 23. 04. 1980 - 2 Ws 90/80, NJW 1980, 2031 = NStZ 1981, 114 (LS); siehe dazu die ablehnende Anmerkung von Kühl, NStZ 1981, S. 114 f. 86 So OLG Frankfurt a.M. NJW 1980, 2031. 87 So auch LR(23)-Schäfer, § 467 Rn. 67 und letztlich Roxin (20), § 14 B 11 2 a aa (S. 69). 88 OLG Frankfurt a.M. NJW 1980, 2031; zustimmend Haberstroh, NStZ 1984, S. 294; i. E. ebenso D. Meyer, JurBüro 1982, Sp. 485 f. für den Fall, dass sich der Angeschuldigte ausdrücklich zur Übernahme seiner notwendigen Auslagen bereiterklärt hat [Hervorhebung im Original]. 89 OLG Frankfurt a.M. NJW 1980, 2031 (2031); i.E. zustimmend Kleinknecht (35), § 467 Rn. 22; ablehnend Kühl, NStZ 1981, S. 114 f.; M. J. Schmid, JR 1979, S. 222 ff. wegen der Gefahr unbilliger Ergebnisse. KK(2)-Schoreit, § 153 Rn. 7 ließ eine Bewertung der Rechtsprechung in Kostenentscheidungen offen, lehnte die entsprechende Praxis jedoch im Rahmen von Entscheidungen gemäß § 153 StPO ab. Hinsichtlich der Berücksichtigung eines Verdachtsgrades bei der Auslagenerstattung nach Einstellung von Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ebenfalls ablehnend Göhler (8), § 47 Rn. 46.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
Minelli ./. Schweiz (1983)90, in denen der EGMR ausdrücklich festgestellt hatte, dass Schuldfeststellungen in den Begründungen91 gerichtlicher Entscheidungen, die keine rechtskräftigen Verurteilungen darstellen (also bspw. Einstellungs- oder damit zusammenhängende Kostenentscheidungen), gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen, nichts zu ändern, obwohl deren Bedeutung für das deutsche Recht auf der Hand lag. 92
Auch die mehrfache Bezugnahme auf die Unschuldsvermutung in den bis 1987 diskutierten Gesetzgebungsvorhaben mit Berührung der §§ 153, 467 StP093 , wobei von staatlicher Seite unter anderem auch das Abstellen der Rechtsprechung auf den Grad des verbleibenden Tatverdachts kritisiert wurde 94 , bewirkte weder eine Änderung der Normen noch eine spürbare Änderung der gerichtlichen Praxis. Man könnte im Übrigen vermuten, dass die Gesetzgebungsvorhaben der Jahre 1984 bis 1987 in ihrer Berücksichtigung der Unschuldsvermutung vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Minelli beeinflusst wurden. Dieses lässt sich heute allerdings nur noch schwer nachprüfen. Genauso gut könnte es sich in der Absicht, eine Verurteilung in Straßburg zu vermeiden, um Vorwirkungen der Urteile in den hier betrachteten deutschen Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff handeln95 , zumal die jeweiligen Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte, in denen diese eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 MRK bejaht hatte, ebenfalls im besagten Zeitraum vorlagen.
90 Fall Adolf Series A, Vol. 49 = EuGRZ 1982, 297 ff.; Fall Minelli: Series A, Vol. 62 = EuGRZ 1983, 475 ff.; siehe zur Argumentation des EGMR im Fall Minelli oben § 7 und bezüglich beider Urteile den Überblick bei Kühl, NJW 1984, S. 1264 ff. 91 Unbeanstandet vom EGMR blieb allerdings die bloße Äußerung eines fortbestehenden Verdachts neben anderen Entscheidungskriterien; kritisch dazu Kühl, NJW 1984, S. 1268. 92 Siehe Kühl, NJW 1984, S. 1267 f. 93 Überblick und Nachweise bei Kühl, ZStW 100 (1988), S. 616 ff. sowie ders., NJW 1988, S. 3236 ff. 94 Siehe z. B. die Begründung der Bundesregierung im Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1984 vom 13. April 1984 zur Änderung von § 467 Abs. 4 StPO (Nr. 36 StVÄG 1984) in BT-Drucksache 10/1313, S. 41: "Die Einräumung eines nicht näher bestimmten Ermessens stellt die Praxis vor erhebliche Begründungsprobleme. Sie führt nicht selten dazu, daß für diese Entscheidung auf den Grad des verbleibenden Tatverdachts abgestellt wird, was im Hinblick auf die Unschuldsvermutung (Artikel 6 Abs. 2 MRK) Bedenken unterliegen könnte." Auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ging davon aus, "daß bei der Ausübung des Ermessens bei der Anwendung des § 467 Abs. 4 StPO der Grad des verbleibenden Tatverdachts keine Rolle spielen" dürfe: vgl. BT-Drucksache 10/6592, S. 24 f.; dazu auch LR(25)-Hilger, § 467 Rn. 64. 95 So auch Kühl, ZStW 100 (1988), S. 606.
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An dieser Stelle sei noch kurz ein Beschluss des LG Göttingen96 erwähnt, der unmittelbar vor den Urteilen des EGMR in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff erging. Das Landgericht sah in der Versagung des Auslagenersatzes wegen des Abstellens auf einen verbleibenden Tatverdacht einen Verstoß gegen die Unschuldsvennutung des Art. 6 Abs. 2 MRK und verwies dazu auf die Berichte der Europäischen Menschenrechtskornrnission in den Fällen Lutz und Englert. Ein Absehen von der Belastung der Landeskasse mit den notwendigen Auslagen sei nur möglich, "wenn das Gericht den Betroffenen aufgrund der gegebenen Beweislage, z.B. eines Geständnisses, mit Sicherheit hätte verurteilen können.'.97.98 Die Rechtsprechung hinsichtlich der Auferlegung der notwendigen Auslagen gemäß § 467 Abs. 4 StPO deckte sich im Übrigen mit der Praxis bei der Gewährung einer Entschädigung für eine unschuldig erlittene Untersuchungshaft gemäß (dem fast gleichlautenden) § 3 StrEG. 99 Obwohl diesbezüglich nicht viele veröffentlichte Entscheidungen vorliegen, so lässt sich doch feststellen: erfolgte eine Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 StPO, so wurde mit der gleichen Argumentation, die im Rahmen des § 467 StPO dazu führte, dass der Angeschuldigte seine notwendigen Auslagen selbst tragen musste, eine Entschädigung für eine gegebenenfalls erlittene Untersuchungshaft in der Regel 100 verwehrt. Auch hier wurde von der herrschenden Meinung die zur Zeit der Anordnung der U-Haft festgestellte Schuld oder deren Wahrscheinlichkeit zum Ausgangspunkt der Beurteilung einer Entschädigung genommen. 101
Beschl. v. 04. 06. 1987 - 11 Qs (OWi) 186/87, NdsRpfl. 1987, 261. LG Göttingen NdsRpfl. 1987,261 (262). 98 Es sei noch vennerkt, dass das Landgericht die Frage, ob die Menschenrechtskonvention in Ordnungswidrigkeitenverfahren gelten sollte, ohne nähere Begründung zugunsten der EMRK beantwortete. Dabei bezog es sich allerdings nicht - obwohl es nahegelegen hätte - auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Öztürk, sondern leitete diese Ansicht schlichtweg aus dem in StrVert 1986, S. 281 abgedruckten Leitsatz zum Bericht der EKMR im Fall Lutz ab. 99 Siehe zum Verhältnis der Nonnen zueinander D. Meyer, Kommentar zum StrEG 1978, § 3 Rn. 28 ff.; Schätzler, § 3 Rn. 5 f. 100 Vgl. zum "Regelfall" einer Versagung der Entschädigung D. Meyer, Kommentar zum StrEG 1978, § 3 Rn. 14; Schätzler, § 3 Anm. 4, 21; D. Meyer, MDR 1979, S. 77; Kleinknecht (35), StrEG (A 6), § 3 Rn. 2; ebenso M. J. Schmid, JR 1979, S.224. 101 In diesem Sinne bspw. LG Flensburg MDR 1979, 76 (76 f.); LG Köln, Beschl. v. 27. 12. 1979 - 47 - 1/74 - im Fall Eckle [zitiert nach Stenger, Fn. 317 (S. 101)] sowie die OLG Harnrn NJW 1974, 374 zugrundeliegende und vom OLG nicht beanstandete vorinstanzliche Kostenentscheidung; aus der Literatur D. Meyer, Kommentar zum StrEG 1978, § 3 Rn. 21; (noch) Kleinknecht (35), StrEG (A 6), § 3 Rn. 2; vgl. aber auch Schätzler, § 3 Rn. 16 ff. unter Verweis auf die Entschei96
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b) Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses Bezogen sich die vorstehenden Ausführungen nur auf die Kostenverteilung nach Einstellung des Verfahrens aufgrund einer Ermessensvorschrift, so lässt sich eine ähnliche Praxis der Rechtsprechung auch im Rahmen von (Ermessens-)Entscheidungen gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO feststellen, die an den Umstand anknüpften/anknüpfen, dass eine Verurteilung wegen eines bestehenden Verfahrenshindernisses unterblieben ist. 102 Bestanden gegen eine Konventionsgemäßheit der Norm an sich keine Bedenken lO3 , so erhob sich jedoch Kritik in der Literatur lO4 angesichts des praktischen Umgangs der Rechtsprechung mit der Regelung. Regelmäßig mussten die notwendigen Auslagen des Angeklagten von diesem selbst getragen werden, wenn das Verfahrenshindernis nach Anklageerhebung lO5 entstand. Begründet wurde dieses Ergebnis mit Blick auf die annähernde Sicherheit (nicht Wahrscheinlichkeit) einer Verurteilung bei Wegdenken des Verfahrenshindernisses. 106 Im Falle des Todes des Angeklagten während des Rechtsmittelverfahrens nach vorausgegangener Verurteilung sollte berücksichtigt werden, ob es bei der Verurteilung geblieben wäre. 107 Nur bei dungen der EKMR in den Fällen Liebig und Neubecker. Kritisch Kühl, NJW 1980, S. 806 ff.; a. A. auch Kleinknecht/Meyer (36), StrEG (A 6), § 3 Rn. 2. 102 § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist erst auf einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses und entgegen des Vorstellungen des Rechtsausschusses des Bundestages in den Text aufgenommen worden: vgl. Nachweise Naucke, NJW 1970, Fn. 5 ff. (S. 84). Zu den Beweggründen für die Einführung der Vorschrift vgl. ebenfalls Naucke, NJW 1970, S. 85; Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, Fn. 14 (S. 372). 103 Vgl. Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, S. 373; wohl auch Kleinknecht/Meyer (36), § 467 Rn. 16 a.E. 104 Insbesondere Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, S. 374 f; auch von Kühl, NStZ 1981, S. 114 f. und IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 442 f. 105 Stand das Verfahrenshindemis dem Verfahren von vornherein entgegen, so erschien es regelmäßig als unbillig, den Angeschuldigten mit seinen Auslagen zu belasten: vgl. BGH wistra 1984,62 (63); OLG Hamm NJW 1969, 707; OLG Düsseldorf OLGSt (alt) StPO § 467, S. 143 (143 f.); OLG Karlsruhe NStZ 1981, 228 m. w.N. mit kritischen Anm. von Schätzler; Kleinknecht/Meyer (36), § 467 Rn. 18; KK(2)-Schikora/Schimansky, § 467 Rn. 10 m. w.N.; differenzierend OLG Frankfurt a.M. NJW 1971,818. 106 Aus der Rechtsprechung: OLG Hamburg NJW 1969,945 (945 f.); BayObLG NJW 1970, 875; OLG Hamburg NJW 1971, 2183 (2184 f.); OLG Stuttgart OLGSt (alt) StPO § 467, S. 115 (117); OLG Karlsruhe AnwBl. 1976,305; OLG Frankfurt a.M., Beschl. vom 05. 05. 1980 - 2 Ws 100/80 [zitiert nach Kühl, NStZ 1981, S. 114]; OLG Karlsruhe JR 1981, 38 (39); OLG Koblenz OLGSt (neu) StPO § 467 Nr. 3, S. 6 f.; LG Krefeld MDR 1970, 697 (698); LG Braunschweig AnwBl. 1973, 367; mit Schulderwägungen auch OLG Hamburg MDR 1972, 344. Nach OLG Frankfurt a. M. NJW 1980, 2031 komme die Norm in der Praxis ohne Schulderwägungen gar nicht aus. In der Literatur vgl. LR(23)-Schäfer, § 467 Rn. 56; Kleinknecht (35), § 467 Rn. 18; KK(1)-Schikora, § 467 Rn. 10.
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Zweifeln an der Verurteilung bzw. deren Bestand im Rechtsmittelverfahren sollte es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO bleiben. IOS Ein Jahr nach Erscheinen der Kommissionsberichte in den Fällen Lutz und Englert hatte das OLG Zweibrücken 109 über eine Auslagenerstattung nach Einstellung eines Strafverfahrens zu befinden. Unter Beachtung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze bei der Anwendung der Norm lehnte es schon eine Anwendbarkeit von § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO wegen einer zu vagen Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung im konkreten Fall ab. Ausdrücklich offen ließ das Oberlandesgericht allerdings mit Blick auf die genannten Kommissionsberichte sowie ein Schreiben des Bundesjustizministeriums als Folge des Beschwerdeverfahrens im Fall Liebig eine Vereinbarung dieser herrschenden Rechtsprechungsansicht mit der Unschuldsvermutung. 110 Im Rahmen der "Parallelvorschrift"lJI, dem (fast) gleichlautenden § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG, sollte für die Beantwortung der Frage, ob es billig erscheine, dem Betroffenen eine Entschädigung zu gewähren, ebenfalls auf die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung abgestellt werden 112 , was regelmäßig in einer Versagung der Entschädigung resultierte. Auch auf diese Praxis hatten die Urteile des EGMR in den Fällen Adolf und Minelli (zunächst) keine Auswirkungen. Vielmehr wurden beispielsweise vom OLG Hamm 113 107 OLG Hamm OLGSt (alt) StPO § 467, S. 141 (142). Vergleichbare Überlegungen stellte das OLG auch im Fall Nölkenbockhoff an; kritisch zu dieser Praxis Kühl, NStZ 1982, S. 482. lOS Vgl. OLG Hamburg NJW 1969,945 (946); BayObLG NJW 1970, 875; OLG Hamburg NJW 1971, 2183 (2185); OLG Karlsruhe Die Justiz 1973, 26; LG Krefeld MDR 1970,697; LG Braunschweig AnwBl. 1973,367; LG Ellwangen MDR 1986, 341; Kleinknecht/Meyer (36), § 467 Rn. 16; KK(2)-Schikora/Schimansky, § 467 Rn. 10. 109 Beschl. v. 19. 08. 1986 - 2 Ws 19/86, NStZ 1987,425 = StrVert 1987, 161 = NStE Nr. 1 zu § 467 StPO. 110 OLG Zweibrücken NStZ 1987, 425 (426) = StrVert 1987, 161 = NStE Nr. 1 zu § 467 StPO (S. 2). 111 Schätzler, § 6 Rn. 14; siehe auch OLG Hamm NJW 1986, 734 (735) sowie die Gegenüberstellung bei D. Meyer (1), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 6 Rn. 3 ff. Zur Anwendung der Vorschrift bei Vorliegen der Verfolgungsverjährung als Verfahrenshindernis siehe jedoch BGHSt 29, 168. 112 So ist wohl OLG Karlsruhe NStZ 1981, 228 (229) zu verstehen; ebenso OLG Hamm NJW 1986, 734 (735). Der BGH ging in einer früheren Entscheidung davon aus, dass § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nur Fälle umfasse, in denen die Schuld des Angeklagten "gerichtlich festgestellt ist": BGHSt 29, 168 (171). Siehe auch Schätzler, § 6 Rn. 19; D. Meyer, Kommentar zum StrEG 1978, § 6 Rn. 24; i.E. ebenso Kleinknecht/Meyer (36), StrEG (A 6), § 6 Rn. 7; für eine "einengende" Auslegung wegen der Gefahr eines Konflikts mit der Unschuldsvermutung allerdings später D. Meyer (1), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 6 Rn. 30.
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auch nach dem Minelli-Urteil unter ausdrücklicher Berücksichtigung der geäußerten Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch Schuldfeststellungen gegen den Angeklagten gebilligt. Das OLG bezog sich daneben auch auf den Bericht der Kommission im Fall Nölkenbockhoff. Es betonte zwar, dass auf Prognosen im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung verzichtet werden müsse, das Gericht bei der Kostenentscheidung jedoch nicht gehindert sei, sich auf in einer begonnenen Hauptverhandlung getroffene Schuldfeststellungen zu berufen. c) Die Fälle Neubecker und Liebig 1l4 Wie weiter oben und soeben erneut angesprochen, führte die Praxis der deutschen Rechtsprechung bei der Verteilung und Aufbürdung der notwendigen Auslagen im (Ermessens-)Rahmen von § 467 Abs. 4 StPO schon knapp 10 Jahre vor den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff zu zwei Individualbeschwerden bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte, in denen eine Verletzung der Unschuldsvermutung durch die Begründungen der Kostenentscheidungen vorgebracht wurde. Das stellt eine interessante Parallele zum Vorfeld des Urteils des EGMR im Fall Minelli dar, dem ebenfalls eine thematisch ähnliche Individualbeschwerde gegen die Schweiz 1l5 vorausging. Bei den zwei Beschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland handelte es sich um die Individualbeschwerden gemäß Art. 25 MRK a. F. von OUo Friedrich Neubecker 1l6 und Rainer Liebig 1l7 , denen ein weitgehend ähnlicher Sachverhalt zu Grunde lag. Gegen beide Beschwerdeführer, waren Strafverfahren anhängig gewesen, die wegen Geringfügigkeit (im Fall Neubecker) bzw. im Hinblick auf eine schwerer wiegende Verurteilung in einem Strafverfahren wegen einer anderen Tat (im Fall Liebig) eingestellt worden waren. Beiden Beschwerdeführern wurde es von den jeweiligen Gerichten im Rahmen der Kosten- und Auslagenentscheidungen gemäß § 467 Abs. 4 StPO überlassen, ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen. Begründet wurden diese Entscheidungen "im Hinblick auf das Ergebnis der Ermittlungen und die in dem ersten Rechtszug getroffenen Feststellungen, die die Verurteilung gerechtfertigt haben,,118 bzw. damit, es sei klar, dass Beschl. v. 12.08. 1985 - 2 Ws 118/85, NJW 1986, 734 (hier: S. 735). Siehe zum Folgenden auch LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 372, 373 f.; Frowein, FS Huber, S. 559 ff.; Westerdiek, EuGRZ 1987, S. 393. 115 Beschwerde Nr. 7640176 vom 26. August 1976 - Fall Geerk; dazu ausführlich oben in § 7 B. I. 3. b) bb). 116 Beschwerde Nr. 6281/73 vom 07. September 1973. 117 Beschwerde Nr. 6650174 vom 07. Juni 1974. 1\3
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r"
"eine Verurteilung des Angeklagten normalerweise ... erfolgt [wäre 19. In den nachfolgenden Instanzen wurden diese Entscheidungen jeweils bestätigt, weil für die Entscheidung über die notwendigen Auslagen ebenso wie bei der Verfahrenseinstellung "schon die Wahrscheinlichkeit einer Schuld [genüge]"120 bzw. es nicht angebracht sei, "den Angeklagten wie einen Freigesprochenen ... zu behandeln, weil ein echter Freispruch ... unwahrscheinlich,,121 sei. Die Europäische Kommission für Menschenrechte erklärte beide Beschwerden zunächst für zulässig 122 und erreichte - wiederum in einer Parallele zum späteren Fall Geerk - in beiden Verfahren eine gütliche Einigung zwischen den Beschwerdeführern und der Bundesrepublik Deutschland (friendly settlement gemäß Art. 28 Buchst. b MRK a. F.).123 Bei der mündlichen Verhandlung hatte die Kommission durchblicken lassen, dass sie zwar nicht die Regelung des § 467 Abs. 4 StPO als solche, wohl aber die Begründungen der Kostenentscheidungen als mit Art. 6 Abs. 2 MRK für unvereinbar erachte. Im Fall Neubecker erklärte die Bundesregierung, mit dem Einstellungsbeschluss des LG Berlin sei das früher ergangene Urteil gegenstandslos geworden. Daher ließe sich weder aus diesem noch aus dem Einstellungsbe118 So LG Berlin im Fall Neubecker: vgl. DR 5, 14/24 = YB 19 (1976), 306/307; ebenfalls wiedergegeben in DR 8, 31 f./37 und bei Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, S. 373. Der Beschluss des Landgerichts vom 24. 09. 1969 hat das Aktenzeichen (510) 60 Ms 6/68 (Ns) (97/68), zitiert nach der Erklärung der Bundesregierung im Rahmen der gütlichen Einigung: DR 8, 34/40. 119 So AG Oldenburg im Fall Liebig: vgl. DR 5, 59/64 = YB 19 (1976), 332/333 ebenfalls wiedergegeben in YB 21 (1978), 544/545 und bei Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, S. 373. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. 08. 1973 hat das Aktenzeichen 10 Ls 19/72, zitiert nach der Erklärung der Bundesregierung im Rahmen der gütlichen Einigung: YB 21 (1978),552/553. 120 KG im Fall Neubecker, Beschl. v. 13. 11. 1972 -1 AR 1109/69 -1 Ws 330/ 69, zitiert nach Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, Fn. 29 (S. 373); siehe zum Beschluss des Kammergerichts auch Kühl, Unschuldsvennutung, S. 123 mit Nachweis zur Vorinstanz. 121 LG Oldenburg im Fall Liebig, Beschl. v. 22. 04. 1974 - Qs 49a/74, ebenfalls zitiert nach Liemersdorf/Miebach, NJW 1980, Fn. 27 (S. 373). 122 Neubecker: Entscheidung vom 05. März 1976, abgedruckt in DR 5, 13/24 = YB 19 (1976), 304 ff. Liebig: Entscheidung vom 15. Juli 1976, abgedruckt in DR 5, 58/63 = YB 19 (1976), 330 ff. 123 Siehe hierzu die gemäß Art. 30 MRK a.F. angefertigten Berichte der Kommission vom 09. März 1977 im Fall Neubecker, abgedruckt in DR 8, 30/35 sowie vom 11. Mai 1978 im Fall Liebig, abgedruckt in YB 21 (1978), 540 ff. Zur mündlichen Verhandlung vor der Kommission im Fall Neubecker vgl. EuGRZ 1977, S. 204; zur mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 1977 im Fall Liebig (mit kurzer Sachverhaltsdarstellung) vgl. EuGRZ 1977, S. 492, 526; zum Bericht der Kommission im Fall Liebig vgl. EuGRZ 1978, S. 311.
14 Kieschke
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schluss selbst irgendein Schuldvorwurf herleiten. Herr Neubecker semerseits nahm seine Beschwerde zurück. 124 Im Fall Liebig gab die Bundesrepublik eine analoge Erklärung ab. Durch den rechtskräftigen Beschluss des AG Oldenburg sei das Verfahren eingestellt worden. Auch aus dem Kostenbeschluss des LG Oldenburg könne daher kein Schuldvorwurf hergeleitet werden. Das Land Niedersachsen übernehme die tatsächlichen Auslagen des Beschwerdeführers im deutschen Strafverfahren sowie im Straßburger Individualbeschwerdeverfahren. Herr Liebig erklärte seine Beschwerde für erledigt. 125 Als Besonderheit nach Abschluss beider Verfahren ist hier das Schreiben des Bundesministers der Justiz an die Landesjustizverwaltungen zu nennen, in dem diese auf die Beachtung der in Straßburg aufgeworfenen Rechtsfrage hingewiesen wurden. 126 In diesem Schreiben wurden die beiden den Beschwerden zugrundeliegenden Sachverhalte, die Meinung der Europäischen Menschemechtskommission sowie der Ausgang der Verfahren berichtet. Zuvor hatte die Kommission in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen, dass ähnlich unzulässige Formulierungen in der deutschen Praxis öfter vorkämen. 127 Die Bundesregierung schlug daraufhin der Kommission vor, dass "die Landesjustizverwaltungen auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, daß bei der Begründung von Kostenbeschlüssen nach § 467 Abs. 4 StPO nicht auf den Gesichtspunkt der mutmaßlichen Verurteilung des Angeschuldigten abgestellt wird" 128, womit sich die Kommission zufriedengab, da sie das als ausreichend für die Berücksichtigung der "über den Einzelfall hinausgehenden allgemein-menschemechtlichen Aspekte" betrachtete. Wie mittlerweile gesehen, hat sich die diesen Aspekten widersprechende Praxis aber auch danach (zunächst) nicht geändert. Von einer Kenntnisnahme des Inhalts des Briefes zeugt lediglich der schon erwähnte Beschluss des OLG Zweibrücken. 129
Vgl. DR 8, 34 f./39 ff. Vgl. YB 21 (1978),550 ff.; LiemersdorflMiebach, NJW 1980, Fn. 32 (S. 374). 126 Schreiben vom 22. Mai 1978 (Az. 9470/2 - 4 E (225) - 53 919/78; das Schreiben wurde dem Verfasser freundlicherweise vom Bundesjustizministerium zur Verfügung gestellt). 127 Vgl. LiemersdorflMiebach, NJW 1980, S. 374. 128 Zitiert nach dem Schreiben des Bundesministers der Justiz v. 22. 05. 1978, S. 3 f. 129 Nachweis oben unter § 8 B. 1. 3. b). 124 125
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4. Der Beschluss des Bundesveifassungsgerichts vom 26. März 1987 (BVeifGE 74,358 = NJW 1987, 2427)130 Den vorläufigen Höhepunkt in der Frage der Zulässigkeit von Schuldklausein in den Begründungen gerichtlicher Einstellungsbeschlüsse oder nachfolgenden Kostenentscheidungen im Vorfeld der drei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff bildete der nur wenige Monate zuvor ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts J31, der im Folgenden einer genaueren Betrachtung unterzogen wird. Diese Entscheidung des BVerfG befasste sich mit der Praxis deutscher Gerichte bei Kostenentscheidungen nach Einstellung eines Privatklageverfahrens (§§ 471 Abs. 3 Nr. 2, 383 Abs. 2 StPO).132 Dabei traf es grundsätzliche Aussagen zu der Frage, wann eine solche Entscheidung nicht mit der Unschuldsvermutung im Einklang steht und äußerte sich erstmals ausführlich zum Inhalt dieses Grundsatzes. Der Beschluss wurde später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als aktuelles "case-law" in den drei Urteilen gegen die Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt. Zu Beginn seiner Ausführungen zur Begründetheit der Beschwerden betonte das Bundesverfassungsgericht erstmals ausführlich die Stellung und Bedeutung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland, die einerseits als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang habe. Andererseits sei sie über Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik. 133 Diesen letzten Punkt nimmt das Bundesverfassungsgericht kurz zum Anlass, um das Verhältnis von Konvention und dem deutschen Grundgesetz zu skizzieren, da es sich selbst in der Vergangenheit mangels einer ausdrücklichen Bestimmung im nationalen Recht zur Definition der Unschuldsvermutung auf den Wortlaut des Konventionsartikels, also einer völkerrechtlich gesetzten Norm, bezogen habe. 134 Es stellte insofern fest, dass bei der Auslegung des 130 Dazu siehe auch Stenger, S. 105 und die Anmerkungen von Krehl, NJW 1988, S. 3254 f. sowie von Nierwetberg, NJW 1989, S. 1978 f. 131 Besch!. v. 26. 03. 1987 - 2 BvR 589/79, 2 BvR 740/81 und 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 [voller Wortlaut] = StrVert 1987, 325 = NStZ 1987,421. 132 Zu dieser Praxis siehe auch Krehl, NJW 1988, S. 3254. 133 BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987,2427 = EuGRZ 1987,203 (206). 134 Kühl, NJW 1988, S. 3233 sieht darin den Vorteil der Unschuldsvermutung. Als Konventionsgarantie sei eine Verletzung der Unschuldsvermutung einerseits vor den Konventionsorganen zu rügen. Aufgrund ihres Verfassungsranges in Deutschland könne sie aber auch Prüfungsgegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Demzufolge seien sowohl EGMR als auch BVerfG in der Lage, zur Unschuldsvermutung Stellung zu nehmen. Daraus erklärt sich auch die nachfolgend vom BVerfG 14*
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
Grundgesetzes der Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK zu beachten sei, sofern dieses den Grundrechtsschutz nach der deutschen Verfassung nicht mindere. In diesem Zusammenhang betonte das Bundesverfassungsgericht zum (zumindest im Hinblick auf die EMRK) ersten Mal den Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sollte dazu als Auslegungshilfe dienen. 135 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts "verbietet die Unschuldsvermutung zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne gesetzlichen, prozeßordnungsgemäßen - nicht notwendigerweise rechtskräftigen Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen [Kursivdruck im Original] Nachweis der Schuld, bevor dem Verurteilten diese im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf d36 . Für die Einstellung von Strafverfahren wegen "geringer Schuld" folgert das BVerfG daraus, dass es dem zuständigen Gericht vor "Schuldspruchreife", also bevor die prozessordnungsgemäßen Voraussetzungen für das Erkenntnis zur Schuldfeststellung geschaffen seien, verboten sei, Schuld festzustellen und Schuld zuzuweisen. Das Gericht habe lediglich eine hypothetische Schuldbeurteilung vorzunehmen. Im Unterschied zu gewöhnlichen Strafverfahren erhielte die zusätzliche Auferlegung der Kosten des Privatklägers auf den Betroffenen in Verbindung mit Schuldzuweisungen in einem Privatklageverfahren zudem sanktions- und strafähnlichen Charakter. 137 Für die Feststellung eines Grundrechtsverstoßes seien hier nicht nur der Tenor der Entscheidungen, sondern auch die Entscheidungsgründe zu betrachten, wobei das Bundesverfassungsgericht auf die entsprechenden Passagen im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Minelli verweist 138 und damit seine wenige Absätze zuvor geäußerte Aufforderung, gezogene Verknüpfung zwischen deutschem Verfassungsrecht und Menschenrechtskonvention bzw. ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 135 BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987,203 (206). 136 BVerfGE 74, 358 (371) = NJW 1987, 2427 (2427 f.) = EuGRZ 1987, 203 (207); a. A. bezüglich des Verzichts auf die Rechtskraft des Schuldnachweises beim Beschuldigten: K. Meyer, FS Tröndle, S. 69, 71. \37 BVerfGE 74, 358 (375 f.) = NJW 1987, 2427 (2428 f.) = EuGRZ 1987, 203 (208). Diesen Unterschied hat der EGMR in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff denn auch für die Prüfung seines zweiten Kriteriums betont: siehe im Fall Lutz: Nr. 63 (Series A, Vol. 123-A, S. 26 = EuGRZ 1987, 399 (403»; Fall Englert: Nr. 40 (Series A, Vol. 123-B, S. 55 f. = EuGRZ 1987, 405 (409) = NJW 1988, 3257 (3258»; Fall Nölkenbockhoff: Nr. 40 (Series A, Vol. 123-C, S. 81 = EuGRZ 1987, 410 (414); kritisch zu diesem Aspekt im Beschluss des BVerfG später Kühl, NStZ 1989, S. 135 f. sowie LR(25)-Hilger, § 467 Rn. 60 m.w.N.
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff
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auch dessen Rechtsprechung "als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes" heranzuziehen, in die Tat umsetzt. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass die ausdrückliche Feststellung oder Zuweisung von Schuld in Einstellungs- und darauf folgenden Kostenbeschlüssen jedenfalls vor Beendigung einer etwaig anberaumten Hauptverhandlung nach Ansicht der Bundesverfassungsgerichts nicht mit der Unschuldsvermutung vereinbar sein sollte. 139 Dabei wurde von den Karlsruher Richtern ein neues Kriterium, die "Schuldspruchreife", zur Begründung herangezogen. Offen blieb freilich, ob die Unschuldsvermutung auch verletzt werde, wenn an die Schuldfeststellungen keine strafähnliche Sanktion gekoppelt werde. 140 Offen blieb auch die Zulässigkeit von "anderweitigen Erwägungen" und damit auch von Verdachtsäußerungen oder eben Schuldwahrscheinlichkeitsklauseln, zumal die Gerichte nach Auffassung des BVerfG ja immer noch eine - wenn auch hypothetische - Schuldbeurteilung vornehmen mussten und dabei die Schuld "unterstellen" durften. 141 Im Ergebnis schwenkte das Bundesverfassungsgericht jedoch im Umgang mit der Unschulds vermutung ausdrücklich auf die Linie ein, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil zum Fall Minelli vorgezeichnet hatte. Die besondere Bedeutung der Entscheidung des BVerfG liegt dabei einerseits darin, dass sie im unmittelbaren Vorfeld der erwarteten Urteile in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff erging und wohl auch dazu dienen sollte, die bisherige bedenkliche Praxis und Neigung der Rechtsprechung zu Schuldfeststellungen in Kostenentscheidungen nach Einstellung von Verfahren zu korrigieren sowie im Hinblick auf eine eigentlich naheliegende Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR ein Signal zu setzen. 142 Auf der anderen Seite markiert sie den Beginn eines neuen Verständnisses zur Bedeutung der Menschenrechtskonvention und ihrer (monopolisti138
(207).
Vgl. BVerfGE 74, 358 (374) = NJW 1987,2427 (2428) = EuGRZ 1987, 203
139 Zustimmend Nierwetberg, NJW 1989, S. 1978 f.; auch Krehl, NJW 1988, S. 3255 mit Kritik im Hinblick auf die praktischen Auswirkungen in Privatstrafklageverfahren. 140 Gerade dieses soll ja den Unterschied zur Versagung der Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen oder einer Entschädigung ausmachen: vgl. Kühl, NStZ 1989, S. 136. 141 BVerfGE 74, 358 (373) = NJW 1987, 2427 (2428) = EuGRZ 1987, 203 (207) [Kursivdruck jeweils im Original]. 142 Auch die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts betonte anlässlich des 50-jährigen Bestehens des BVerfG, dass dieses seit jeher bemüht ist, Divergenzen zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu vermeiden: vgl. Limbaeh, NJW 2001, S. 2915.
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
sehen) Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im deutschen Recht, das von fortan konventionskonform und unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR ausgelegt werden sollte. 11. Die Berücksichtigung der Unschuldsvermutung bei der Auslagenerstattung und/oder Entschädigung infolge nichtverurteilender Verfahrensabschlüsse nach den Straßburger Urteilen
Konnte man vor den drei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert und Nölkenbockhoff sowohl angesichts der neusten Gesetzesvorhaben (insbesondere ihrer Begründungen)143 und neuerer oberlandesgerichtIicher Entscheidungen sowie insbesondere auch des eben erwähnten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1987 144 als auch angesichts des in der Literatur 145 wachsenden Verständnisses der Unschuldsvermutung und der Vorentscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte, die sogar in der Tagespresse 146 Beachtung fanden, noch durchaus optimistisch im Hinblick auf die angemessene Berücksichtigung der Unschuldsvermutung bei Kostenentscheidungen nach Ermessenseinstellung von Strafverfahren oder nach Beendigung des Strafverfahrens aufgrund eines Verfahrenshindernisses sein, so brachten die Urteile des EGMR nicht die erhoffte Bestätigung aus Karlsruhe. Der Gerichtshof bestätigte vielmehr die zuvor vertretene Auffassung des Bundesverfassungsgerichts 147 und übernahm sogar dessen Kriterium von der Strafahnlichkeit bestimmter Maßnahmen in seine Argumentation. 148 143 Vgl. nur BT-Drucksachen 10/1313, S. 41 sowie 10/6592, S.24 f; weitere Nachweise unter Zugrundelegung der Entwicklung seit 1964 bei Kühl, NJW 1988, S. 3236 ff 144 BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427 = EuGRZ 1987, 203 = StrVert 1987, 325 = NStZ 1987,421. 145 Vgl. Roxin (20), § 11 (S. 59); IntKommMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 442; weitere Nachweise bei Kühl, NJW 1988, S. 3234. 146 Vgl. H. Kerscher in der SZ vom 14./15. März 1987; ebenfalls abgedruckt in AnwBl. 1987, 184. 147 Vgl. die Ausführungen der aus drei Richtern des BVerfG bestehenden Ausschüsse in den Nichtannahmebeschlüssen im Fall Lutz, auszugsweise abgedruckt in Series A, Vol. 123-A, Nr. 18 (S. 12) = EuGRZ 1987, 399 (400) sowie insbesondere bei Nölkenbockhoff, auszugsweise abgedruckt in Series A, Vol. 123-C, Nr. 22 (S. 73) = EuGRZ 1987,410 (412). 148 Vgl. zum zweiten Kriterium Westerdiek, EuGRZ 1987, S. 397 f; kritisch dazu Kühl, NJW 1988, S. 3236 sowie Tophinke, S. 416 ff; grundSätzlich gegen die Verneinung einer strafähnlichen Maßnahme bei Ablehnung der Auslagenerstattung Kühne (5), Strafprozeßrecht, Rn. 587.
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Aus der Sicht des Völkerrechts war damit keine irgendwie geartete Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland entstanden, da vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keine Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem völkerrechtlichen Vertrag "Menschenrechtskonvention", mit anderen Worten kein völkerrechtliches Delikt, festgestellt wurde. Die für das Völkerrecht typischen Rechtsfolgen der Restitution (restitutio in integrum) und/oder materielle Entschädigung (compensation und satisfaction) traten insofern nicht ein. Natürlich ist es einem Staat nicht verwehrt, dennoch tatsächlich auf die Entscheidungen eines mehrstaatlich errichteten Gerichtshofes Bezug zu nehmen und deren Ausführungen ähnlich den Leitentscheidungen der obersten staatlichen Gerichte zu berücksichtigen. Der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Exekutive lassen eine solche Reaktion in der Folgezeit allerdings nicht erkennen. Interessant ist es jedoch, der Frage nachzugehen, ob die drei Urteile des EGMR einen Einfluss auf die deutsche Rechtsprechung bei Kostenentscheidungen nahmen. Das Augenmerk soll sich auf den folgenden Seiten somit verstärkt auf die deutsche Praxis richten. Von dieser konnte man - das sei einschränkend gesagt - angesichts der oben dargestellten Rechtsprechung zur Erstattung notwendiger Auslagen und Entschädigung für erlittene Haft nach nichtverurteilendem Verfahrensabschluss, die letztlich in Straßburg bestätigt wurde, nur bedingt erwarten, dass sie tatsächliche Folgerungen aus den drei Nichtverurteilungen ziehen würde. Die ersten Reaktionen der Literatur divergierten dementsprechend von gedämpfter Resignation 149 bis zu hoffnungsvollen Erwartungen 150 bezüglich der Folgerungen aus den drei Urteilen. Um statistische Angaben nicht zu vernachlässigen, soll zunächst gesagt werden, dass die drei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff zusammen bzw. gegebenenfalls einzeln bisher (soweit ersichtlich) nur fünfmal 151 zur Argumentation herangezogen wurden. Am häufigsten fand das Urteil im Fall 149 Vgl. Kühl, NJW 1988, S. 3239: " ... unsicher erscheint nach den neuen Urteilen des EGMR, die ja Entscheidungen des BVerfG im Ergebnis bestätigen, die Zukunft der Unschuldsvermutung in diesem Bereich." 150 Vgl. Beitlich, NStZ 1988, S. 490: "Es ist zu hoffen, daß die Entscheidungen des EuGMR in Straßburg zu einer größeren Einheitlichkeit in der Rechtsprechung bei den deutschen Obergerichten führen wird." 151 In zeitlicher Reihenfolge: LG Göttingen NdsRpfl. 1990,99; BVerfGE 82, 106 = NJW 1990, 2741 = EuGRZ 1990, 329; OLG Köln NJW 1991, 506 = StrVert 1991, 115 = MDR 1991, 371 = NStE Nr. 7 zu § 467 StPO; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 127; BGH NJW 2000, 1427 = NStZ 2000, 330 = StraFo 2000, 168 = wistra 2000, 233 = BGHR StPO § 467 Abs. 3 - Verfahrenshindernis 2. Der Beschluss des BVerfG vom 16. 12. 1991 - 2 BvR 1590/89, NJW 1992, 1611 = EuGRZ 1992, 120 = NStZ 1992, 289 erwähnt zwar ein Urteil des EGMR vom 25. August 1987. Dieses erfolgt allerdings nur im Rahmen einer Stellungnahme des Vorsitzenden des 3. Strafsenats am BGH und lässt zudem offen, welches der drei Urteile aus Straßburg
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unsehu1dsverrnutung im Strafverfahren
Englert Erwähnung, was offensichtlich dem Umstand geschuldet ist, dass es als einzige der drei Straßburger Entscheidungen in der NJW abgedruckt wurde. Drei der sich auf den EGMR beziehenden Entscheidungen stammen aus den Jahren 1989 und 1990. Die anderen beiden - die Beschlüsse des OLG Hamm und des Bundesgerichtshofs - sind jüngeren Datums. Im dazwischen liegenden Zeitraum wurde von deutschen Gerichten trotz etlicher einschlägiger Entscheidungen nicht auf die Urteile aus Straßburg zurückgegriffen. 1. Die Praxis bei Kostenentscheidungen von 1987 bis 1990
Auf die Argumentation, die das BVerfG in seinem wegweisenden Beschluss vom 26. März 1987 entwickelt hatte, griff es schon wenig später bei der Entscheidung zweier Verfassungsbeschwerden betreffs die Kostenaufbürdung und Begründung derselben in Privatklageverfahren zurück und erkannte in beiden Fällen auf eine Begründetheit der diesbezüglichen Beschwerden. 152 Daneben musste sich der zweite Senat mit der Frage auseinandersetzen, wann die Kostenverteilung nach Einstellung eines Strafverfahrens wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Auflage der eigenen notwendigen Auslagen des Betroffenen sowie derjenigen eines zugelassenen Nebenklägers die Unschuldsvermutung verletzt. 153 Hierzu bezog er sich ebenfalls auf seine Ausführungen im eben erwähnten Beschluss, die er auf den vorliegenden Fall für übertragbar hielt. Eine Bezugnahme auf die jungen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfolgte hier bedauerlicherweise jedoch nicht. Auch in anderen Gerichtsentscheidungen vermisst man Bezugnahmen auf die Urteile des EGMR. Viel eher finden sich hier Anlehnungen an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. 154 Die dort entwickelten Kriterien wurden überwiegend übernommeniss und ihr Anwendungsbereich erweitert. In einem Fall fand sich ein Anklang an das aus der schweizerigemeint ist. In den Entscheidungsgründen geht das Bundesverfassungsgericht selbst nicht mehr auf den EGMR ein. 152 Besehl. v. 16.07. 1987 - 2 BvR 787/84, NStE Nr. 2 zu § 471 StPO; Besehl. v. 19.08. 1987 - 2 BvR 898/84, NStE Nr. 3 zu § 471 StPO. 153 Besehl. v. 19.08. 1987 - 2 BvR 815/84, NStZ 1988, 84 = StrVert 1988, 31. 154 So bei OLG München, Besehl. v. 01. 08. 1988 - 2 Ws 237/88 K, NStZ 1989, 134 = NStE § 467 StPO Nr. 2; LG Darrnstadt, Besehl. v. 29. 02. 1988 - 26 Js 17.878/82 - 3 KLs, MDR 1988, 885; LG Kob1enz, Besehl. v. 15.08. 1988 - 9 Qs 100/88, StrVert 1991,117. 155 Siehe zum vom BVerfG entwickelten Kriterium der "Schuldspruchreife" OLG München NStZ 1989, 134 (135) = NStE Nr. 2 zu § 467 StPO (S. 2): "Verurteilungsreife" mit zustimmenden Anm. von Kühl, NStZ 1989, S. 136; LG Darrnstadt MDR 1988, 885: "Entscheidungsreife".
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schen Rechtsprechung bekannte Kriterium des "vorwerfbaren prozessualen Verhaltens" .156 In den betrachteten Zeitraum fällt aber auch die Entscheidung eines deutschen Gerichts, in deren Begründung die Urteile des EGMR in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff und die vorausgegangenen Berichte der Kommission in den Fällen Lutz und Englert ausdrücklich Erwähnung gefunden haben. Dabei handelt es sich um einen Beschluss des LG Göttingen 157 in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Auslagenentscheidung nach Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens. Dabei wurden vom Landgericht zunächst die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom März und August 1987 und ausdrücklich auch die Urteile des EGMR herangezogen, in denen nach Ansicht der Kammer "die Reichweite der Unschuldsvermutung ... gegenüber den Entscheidungen der EKMR vom 9. und 18. Oktober 1985 erheblich eingeschränkt,"58 worden sei. Was auch hier im Ergebnis auffällt, ist jedoch die bevorzugte Bezugnahme auf die jüngeren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Reichweite der Unschuldsvermutung in Auslagenentscheidungen. Und wenn sich das Landgericht Göttingen explizit auf die Ansicht des EGMR bezieht, so schimmert doch durch, dass nach seiner Einschätzung zuerst das deutsche Bundesverfassungsgericht die Reichweite bestimmte und der EGMR dieser Interpretation "nur" folgte. 2. Der Beschluss des Bundesveifassungsgerichts vom 29. Mai 1990 (BVeifGE 82, 106 = NJW 1990, 2741)159
Angesichts der eben kurz erwähnten angeklagtenfreundlichen Auslagenentscheidungen kann leicht der Eindruck entstehen, als habe sich in der Praxis das Verständnis und die Bewertung von der Zulässigkeit der Schuldfeststellungs- oder Schuldwahrscheinlichkeitsklauseln mit der Berücksichtigung der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts verändert. Dass dieser Eindruck trügt, belegen die Sachverhalte von zwei Verfassungsbeschwerden, die vom Bundesverfassungsgericht l60 im Frühjahr 1990 entschieden wurden.
156 Vg!. OLG Düsse1dorf, Besch!. v. 23. 10. 1989 - 2 Ws 518/89, MDR 1990, 359 (360) = JurBüro 1990, 239 (240). 157 Besch!. v. 15. 09. 1989 - 1 Qs (OWi) 184/89, NdsRpfl. 1990, 99. 158 LG Göttingen NdsRPfl. 1990,99 (100). 159 Siehe dazu auch die ablehnende Anmerkung von Paulus, NStZ 1990, S. 600 f.; die Besprechung von Hassemer, JuS 1991, S. 256 f. sowie die kurze Darstellung bei Geppert, Jura 1993, S. 164 f.
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In seinen - weitgehend mit denen im Beschluss vom 26. März 1987 identischen - Ausführungen zur Begründetheit der bei den Beschwerden definierte das Bundesverfassungsgericht zunächst noch einmal generell den Umfang und die Reichweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung. Erneut betonte es, dass bei der Auslegung des Grundgesetzes auch der Inhalt und der Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen seien. 161 Auch das Kriterium der Schuldspruchreife 162 und das Abstellen darauf, ob es sich um Maßregeln handelt, die in ihrer Wirkung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion gleichkommen, behielt es bei. Es sei weiter nicht ausgeschlossen, "in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen.,,163 Wiederum stellte der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts für die Unterscheidung zwischen unzulässiger Schuldzuweisung und bloßer Beschreibung einer Verdachtslage auf die Ausdrucksweise in der Formulierung der Entscheidungsgründe ab. Für die Einstellung eines Strafverfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO gelte demgemäß folgendes: regelmäßig erfolge diese Einstellung in einem Stadium, in dem noch keine Schuldspruchreife vorliege. Etwaige Äußerungen zur Schuld des Betroffenen müssten sich deshalb aus einem hypothetischen Urteil des Gerichts über diese Schuld ergeben. Für diese "hypothetische Schuldbeurteilung" sei aber ein fortbestehender Tatverdacht die verfahrensrechtliche Grundlage, so dass entsprechende Äußerungen im Tenor oder in den Gründen eines Einstellungsbeschlusses nicht zu beanstanden seien. Gleiches gelte für die damit zusammenhängende Auslagenentscheidung gemäß § 467 Abs. 4 StPO. Das Bundesverfassungsgericht stellt zunächst klar, dass die Versagung des Auslagenersatzes keine Strafe und auch keine strafähnliche Sanktion sei, worin sich die konkret betrachtete Fallkonstellation von den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Minelli und des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1987 unterscheide. Dieses stützt das Bundesverfassungsgericht auf die gleichlautende Argumentation des EGMR in den Fällen Lutz, Englert sowie 160 Besch!. v. 29. 05. 1990 - 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88, BVerfGE 82, 106 = NJW 1990,2741 = EuGRZ 1990, 329 [voller Wortlaut] = StrVert 1991,111 = NStZ 1990,598. 161 BVerfGE 82, 106 (115) = NJW 1990, 2741 = EuGRZ 1990, 329 (331) = StrVert 1991, 111 = NStZ 1990,598 (599). 162 Kritisch zu diesem Kriterium Paulus, NStZ 1990, S. 600 in seiner Anmerkung. 163 BVerfGE 82, 106 (117) = NJW 1990,2741 (2742) = EuGRZ 1990,329 (332) = StrVert 1991,111 (112) = NStZ 1990,598 (599).
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Nölkenbockhoff 164 Nur wenige Zeilen später beruft es sich auf dessen ebenfalls dort geäußerte Auslegung von Art. 6 Abs. 2 MRK, nach der im Ergebnis "die Berücksichtigung und Bewertung von Verdachts gründen bei der Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 4 StPO keine durch die Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder -zuweisung" darstelle. Die Feststellung eines Tatverdachts sei in Übereinstimmung mit der Ansicht des EGMR "etwas substantiell anderes als eine Schuldfeststellung oder -zuweisung,,165. In diesem Zusammenhang und an dieser Stelle betont das BVerfG erneut, dass die Auslegung der EMRK durch den EGMR "bei der Ermittlung der Tragweite des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgrundsatzes und der daraus abgeleiteten Unschuldsvermutung heranzuziehen ist".166
Die Entscheidung des 2. Senats am Bundesverfassungsgericht erging jedoch nicht einstimmig. Im Anschluss an den Beschluss ist die abweichende Meinung des Richters Mahrenholz abgedruckt l67 , auf die wegen ihrer m.E. nachvollziehbaren Zweifel ebenfalls kurz eingegangen werden soll. Mahrenholz rügt vorwiegend, dass es unklar sei, wo denn nun der wirkliche Unterschied zwischen den gebrauchten Formulierungen "schuldig" und "wahrscheinlich schuldig" liege 168 und verweist dazu auf die Formulierungen, die in den Gerichtsentscheidungen, über die sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Minelli und den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff als auch das Bundesverfassungsgericht im konkreten Beschluss zu befinden hatte, benutzt worden sind. Für Mahrenholz entbehrt die "hauchdünne Differenz von unanfechtbar festgestellter Schuld und unanfechtbar festgestellter hächstwahrscheinlicher Schuld" einer sachlichen Grundlage. Die Feststellung eines Gerichts, der Betroffene 164 BVerfGE 82, 106 (119) = NJW 1990, 2741 (2742) = EuGRZ 1990, 329 (333) = StrVert 1991, 111 (112); so kurz zuvor auch K. Meyer, FS Tröndle, S. 70 unter Verweis auf die Urteile des EGMR (a. a. 0., Fn. 70). 165 BVerfG 82, 106 (119 f.) = NJW 1990, 2741 (2742) = EuGRZ 1990, 329 (333) = StrVert 1991,111 (112). 166 Auch in den Stellungnahmen des Bundesministers der Justiz, der Vorsitzenden des 1., 2. und 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs sowie des Generalbundesanwalts beim BGH erfolgte schon eine Bezugnahme auf die Argumentation in den drei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff: vgl. BVerfGE 82, 106 (111 ff.) = EuGRZ 1990, 329 (330 f.). 167 BVerfGE 82, 106 (122 ff.) = NJW 1990, 2741 (2743 f.) = EuGRZ 1990, 329 (333 ff.) = StrVert 1991, 111 (113 f.) = NStZ 1990, 598 (600). 168 So auch Geppert, Jura 1993, S. 165: "Letztlich entscheiden nur Nuancen einer mehr oder weniger geschickten Formulierung darüber, ob eine Kostenentscheidung gegen die Unschuldsvermutung verstößt oder nicht." Ebenfalls kritisch Froweinl Peukert (2), EMRK, Art. 6 Rn. 168; AK-Meier, § 467 Rn. 6; KK(4)-Franke, § 467 Rn. 11; K. Meyer, FS Tröndle, S. 72 f.; Tophinke, S. 413 f.
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sei wahrscheinlich schuldig, wirke in der Öffentlichkeit letztlich genau wie eine Schuldfeststellung. 169 Mahrenholz bedauert letztlich, dass die im Fall Minelli begonnene und in den Entscheidungen der Menschenrechtskommission in den Fällen Lutz, Englert sowie Nälkenbockhoff fortgeführte Linie, nach der schon ein Anklingen möglicher Überlegungen des Gerichts, es halte den Angeklagten für schuldig, für eine Verletzung der Unschuldsvermutung ausreichte, vom Bundesverfassungsgericht nun unterbrochen worden sei. 3. Die Praxis bei Kostenentscheidungen ab Mai 1990 bis heute
a) Der Beschluss des OLG Köln vom 30. Oktober 1990 (NJW 1991,506 = StrVert 1991, 115) Die nachfolgende Betrachtung der Praxis bei Kostenentscheidungen soll mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln 170 eingeleitet werden, die gleichzeitig die dritte deutsche (veröffentlichte) Gerichtsentscheidung darstellt, in der auf die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte direkt Bezug genommen wurde. Nach Ansicht des OLG, das diesbezüglich zunächst die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts referiert, sei die gerichtliche Überprüfung der Frage, ob einer Verurteilung allein ein bestimmtes Verfahrenshindemis entgegenstehe, dann unproblematisch vorzunehmen, wenn Schuldspruchreife vorliege. In allen anderen Fällen könne die nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erforderliche Feststellung die Unschuldsvermutung berühren. Für die Darlegung der Umstände, wann diesbezüglich eine Verletzung dieses Grundsatzes zu bejahen sei, zieht das Oberlandesgericht ebenfalls die Auffassung des BVerfG heran, stützt diese aber ausdrücklich mit der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Englert. 171 Dieser habe sich darin der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts angeschlossen und sei damit von seinen früheren Äußerungen in den Fällen Adolf und Minelli und von der in Entscheidungen der EKMR vertretenen Auffassung abgewichen. l72 Im Übrigen decken sich die anschließenden Ausführungen des OLG weitgehend mit denen des BVerfG und des EGMR So auch schon Kühl, Unschuldsvermutung, S. 27 ff. Besch!. v. 30. 10. 1990 - 2 Ws 528/90, NJW 1991, 506 = MDR 1991, 371 = StrVert 1991, 115 = NStE Nr. 7 zu § 467 StPO. 171 Das OLG zitiert den Fall Englert dabei falschlicherweise als "Fall Engert". 172 OLG Köln NJW 1991, 506 (507) = MDR 1991, 371 = StrVert 1991, 115 (116) = NStE Nr. 7 zu § 467 StPO. 169 170
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zum Grundsatz der Unschuldsvennutung in Einstellungs- und Kostenentscheidungen und bringen inhaltlich nichts Neues. b) Die vorrangige Rezeption der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis Abgesehen von dem Beschluss des OLG Köln zeigten sich die nachfolgenden Gerichtsentscheidungen in Bezug auf die untersuchte Fragestellung, ob die Entscheidungen des EGMR einen Einfluss auf deutsche Einstellungs- und Kostenentscheidungen nahmen, jedoch wenig ergiebig. In den Jahren 1990 und 1991 war der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts gleich mehrfach 173 mit der Überprüfung von Einstellungs-, Auslagen- oder Entschädigungsentscheidungen bzw. ihrer Begründungen auf deren Vereinbarkeit mit der Unschuldsvennutung befasst. Dabei erfolgte aber - soweit ersichtlich - in keinem der Fälle eine Bezugnahme auf die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Vielmehr griff das BVerfG nur auf seine eigenen Ausführungen und seine eigene Definition von der Reichweite und Beachtung des Grundsatzes der Unschuldsvennutung bei diesen Entscheidungen, die es im Beschluss vom 26. März 1987 und im Beschluss vom 29. Mai 1990 entwickelt hatte, zurück. Unter fortwährender Bestätigung seiner Auffassung hob es die angefochtenen Entscheidungen in allen Fällen auf. 174 Die Praxis der folgenden Jahre orientierte sich ebenfalls weitgehend ausschließlich an den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen 175, obwohl in den Kommentaren zum Strafprozessrecht ebenfalls auf 173 So u.a. im Beschl. v. 01. 10. 1990 - 2 BvR 340/89, NJW 1991, 829 = StrVert 1991,114; im Beschl. v. 12. 11. 1991 - 2 BvR 281/91, NStZ 1992,238; im Beschl. v. 25. 11. 1991 - 2 BvR 1056/91, NJW 1992, 2011; Beschl. v. 01. 12. 1991 - 2 BvR 260/91, NJW 1992, 1611 = NStZ 1992, 290 (LS); im Beschl. v. 16. 12. 1991 - 2 BvR 1590/89, NJW 1992, 1611 = EuGRZ 1992, 120 [voller Wortlaut] = NStZ 1992, 289 sowie im Beschl. v. 16. 12. 1991 - 2 BvR 1542/90, NJW 1992, 1612 = StrVert 1993, 138 = NStE Nr. 9 zu § 467 StPO. 174 Die jeweiligen Verfassungsbeschwerden waren dabei durchweg "offensichtlich begründet". 175 So wohl erneut der zweite Senat des BVerfG im Beschl. v. 15. 03. 1993 - 2 BvR 140/93 sowie im Beschl. v. 29. 06. 1995 - 2 BvR 1342/95 zu § 467 Abs. 4 StPO [heide zitiert nach KK(4)-Franke, § 467 Rn. 11]. Zu § 383 Abs. 2 StPO vgl. VerfGH Berlin NStZ-RR 2001, 203; zu § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vgl. BVerfG NStZ-RR 1996, 45 (46) = NStE Nr. 13 zu § 467 StPO [für ein Ordnungswidrigkeitenverfahren]; BGH NJW 1995, 1297 (1301) = NStZ 1995, 406 = JR 1996, 117; KG NJW 1994, 600 = NStE Nr. 11 zu § 467 StPO; OLG Düsseldorf StrVert 1998, 87 = NStZ-RR 1997, 288 = OLGSt (neu) StPO § 467 Nr. 9; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 126 = VRS 100 (2001), 52; LG Mainz StrVert 1998, 611; LG Berlin NJW 1993, 2545 = NStE Nr. 10 zu § 467 StPO [nicht rechtskräftig].
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
die Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verwiesen wird. 176 Nach überwiegender Auffassung der Rechtsprechung sollten Formulierungen in Einstellungs- oder Kostenentscheidungen, die sich auf die Schuld des Betroffenen beziehen, dann mit der aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten bzw. in Art. 6 Abs. 2 MRK enthaltenen Unschuldsvermutung vereinbar sein, wenn das Verfahren bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden war. Andernfalls sollten lediglich bloße Verdachtsäußerungen oder Bewertungen (keine Feststellungen) der Schuldwahrscheinlichkeit gestattet sein. Gegen deren Zulässigkeit bestanden keine Bedenken. 177 Für Ermessensentscheidungen nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG setzte sich überwiegend die Auffassung durch, dass es (neben generellen Billigkeitserwägungen l78 ) für die Auslagenüberbürdung zulasten des Betroffenen darauf ankomme, ob bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses eine Verurteilung wegen der bereits bis zur Schuldspruchreife durchgeführten Hauptverhandlung mit Sicherheit zu erwarten gewesen wäre. 179 Hier sollte ein hinreichender Tatverdacht allein, wie von Siehe auch BGH NJW 2000, 1427 (1428) = StraFo 2000, 168 (169 f.) sowie BayVerfGH NStE Nr. 12 zu § 467 StPO. Zu § 3 StrEG vgl. D. Meyer (4), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 3 Rn. 4, Rn. 33 f.; zum OWiG siehe KKOWiG(2)-Bohnert, § 47 Rn. 130 ff. 176 Siehe hier AK-Meier, § 467 Rn. 6; HK(3)-Krehl, § 467 Rn. 12; KK(4)Franke, § 467 Rn. lOa, 11; KMR(7)-Stöckel, § 467 Rn. 43; Pfeiffer, Kommentar, § 467 Rn. 11, 14; KleinknechtlMeyer-Goßner (45), § 467 Rn. 19. Bedauerlicherweise wird fast durchgehend nur das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Englert erwähnt, das bekanntermaßen als einziges von den drei Urteilen in der NJW abgedruckt worden ist. Lediglich LR(25)-Hilger, § 467 Fn. 172 (zu Rn. 60) erwähnt alle drei deutschen Urteile. Bei KMR(7)-Stöckel, § 467 Rn. 43 und KK(4)-Franke, § 467 Rn. lOa finden sich noch zusätzliche Hinweise auf das Urteil des EGMR im Fall Minelli und bei KK(4)-Franke, § 467 Rn. lOb sowie LR(25)-Hilger, § 467 Fn. 170 (zu Rn. 60) auch auf die Berichte der EKMR in den Fällen Lutz und Englert. 177 Ebenso Roxin (25), § 11 11 (Rn. 6). 178 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996,62; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996, 286 sowie D. Meyer (4), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 6 Rn. 34 für die Anwendung von § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG und ders., JurBüro 1982, Sp. 483 ff. für § 467 Abs. 4 StPO. Ebenso im Hinblick auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO schon OLG Düsseldorf MDR 1990, 359 (360) = JurBüro 1990, 239 = StrVert 1990, 79 (LS) = NStE Nr. 5 zu § 467 StPO, das ein zusätzliches vorwerfbares prozessuales Verhalten des Angeschuldigten fordert; zustimmend Pfeiffer, Kommentar, § 467 Rn. 13; ablehnend Brandenburgisches OLG VRS 92 (1997), 422 (425). 179 Vgl. BGH NJW 1995, 1297 (1301) = NStZ 1995, 406 (407); deutlich schon KG NJW 1994, 600 = NStE Nr. 11 zu § 467 StPO; ebenso Brandenburgisches OLG VRS 92 (1997), 422 (424); OLG Hamm NStZ-RR 1997, 127 (128) unter Beachtung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Englert;
§ 8 Die Fälle Lutz, Englert sowie Nälkenbockhoff
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einer Mindermeinung 180 in der Vergangenheit vertreten, nicht mehr ausreichen. Das Bundesverfassungsgericht 181 hatte zuvor betont, dass beide Ansichten verfassungsrechtlich mit der Unschuldsvermutung zu vereinbaren seien. 182 Es hatte jedoch ausdrücklich den zuständigen Strafgerichten überlassen, sich einer der beiden Auffassungen anzuschließen. 183 c) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05. November 1999 (NJW 2000, 1427 = NStZ 2000, 330) In einer Entscheidung jüngeren Datums hat sich der Bundesgerichtshof184 wieder der Meinung zugewandt, die für eine Ermessensentscheidung gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO das Vorliegen eines Tatverdachts genügen ließ. Nach Ansicht des BGH habe die Beschränkung der Fälle auf das Kriterium der Schuldspruchreife den Anwendungsbereich der Norm zu stark eingeengt. Verfahrenseinstellungen außerhalb der Hauptverhandlung seien dabei nicht erfasst. Ein Abstellen auf die Schuld des Betroffenen sei aber nicht nötig, da die Versagung des Auslagenersatzes keine Strafe oder strafähnliche Sanktion sei, wobei der BGH an dieser Stelle auch die entsprechende Äußerung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Englert 185 heranzieht. Der Bundesgerichtshof kommt zu dem Schluss, dass dem Gericht ein Ermessen nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO schon dann eröffnet sei, wenn "nach weitgehender Durchführung der Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige BeOLG Düsseldorf StrVert 1998, 87 (88) = NStZ-RR 1997, 288 = OLGSt (neu) StPO § 467 Nr. 9; LG Mainz StrVert 1998, 611 (612); LG Berlin NJW 1993, 2545 = NStE Nr. 10 zu § 467 StPO [nicht rechtskräftig]; offengelassen von OLG Düsseldorf NStZ 1996, 245. Vgl. allerdings auch die "unsaubere" Formulierung von LG Mannheim NStZ-RR 1996, 147. A.A. für § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG D. Meyer (4), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 6 Rn. 30 a, der eher auf ein prozessuales Fehlverhalten abstellen will. 180 OLG Frankfurt a.M. NJW 1980,2031 (2031 f.) = NStZ 1981, 114 (LS); OLG Karlsruhe JR 1981,38 (39). 181 BVerfG NJW 1992, 1612 = StrVert 1993, 138 = NStE Nr. 9 zu § 467 StPO. 182 So später auch OLG Hamrn NStZ-RR 1997, 127 (128) unter Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Englert. 183 Vgl. BVerfG NJW 1992, 1612 (1613) = StrVert 1993, 138 = NStE Nr. 9 zu § 467 StPO (S. 2). Das Bundesverfassungsgericht stellte allerdings klar, dass sich die Gerichte über die Beachtung der Unschuldsvermutung im Klaren sein sollten und erinnerte für den Fall des Abstellens auf die Verurteilungswahrscheinlichkeit an das Erfordernis der Schuldspruchreife. 184 Besch!. v. 05. 11. 1999 - StB 1/99, NJW 2000, 1427 = NStZ 2000, 330 [mit Anm. von Hilger] = StraFo 2000, 168 = wistra 2000, 233 = BGHR StPO § 467 Abs. 3 - Verfahrenshindernis 2. 185 Hier zitiert der BGH den Abdruck in NJW 1988,3257 (3258).
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvennutung im Strafverfahren
weisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden.,,186 Die bisherige Beschränkung auf das Kriterium der Schuldspruchreife nach durchgeführter Hauptverhandlung (inklusive letztem Wort des Angeklagten) wird dabei ausdrücklich in Frage gestellt. Auf eine zumindest begonnene Hauptverhandlung scheint jedoch auch der BGH nicht verzichten zu wollen, wenn er den Zeitpunkt für die mögliche Ermessensentscheidung bestimmt. Ob sich diese Ansicht in der Praxis durchsetzen wird, ist derzeit noch nicht absehbar, zumal diesbezüglich nur wenige neuere Entscheidungen vorliegen. 187 Zumindest in den Augen des Bundesverfassungsgerichts dürfte die Ansicht des Bundesgerichtshofs jedoch keinen Bedenken ausgesetzt sein, da das BVerfG die Auslegung und den Anwendungsbereich des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ausdrücklich offen und entsprechende Folgerungen der Praxis überließ. Der BGH hat sich nun entgegen der herrschenden Meinung und unter ausdrücklicher Beachtung der Vorgaben des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung für eine Erweiterung der Ermessensgesichtspunkte bei der Anwendung der Norm entschieden.
§ 9 Abschließende zusammenfassende Bemerkungen
zum vierten Kapitel
Das vierte Kapitel hat vorwiegend dreierlei gezeigt. Zum einen wurde deutlich, wie die nationale Rechtsprechung auf Entscheidungen aus Straßburg reagiert, die eine innerstaatliche Praxis bei der Anwendung konventionskonformer Normen betreffen. Zum anderen konnte man sehen, wie in zwei benachbarten Konventionsstaaten (der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz) auf diese Entscheidungen reagiert wurde. Und schließlich konnte man speziell für die Bundesrepublik Deutschland die Auswirkungen von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erahnen, die keine Verletzung der Menschenrechtskonvention feststellen.
186 BGH NJW 2000, 1427 (1429) = NStZ 2000, 330 (331) = StraFo 2000, 168 (170) = wistra 2000 233 (235); ebenso nun KleinknechtlMeyer-Goßner (45), § 467 Rn. 16; zu Recht ablehnend Hilger, NStZ 2000, S. 332. 187 Auf der Linie des BGH bewegt sich mittlerweile das Oberlandesgericht Hamm: vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2001, 126 = VRS 100 (2001), 52 (54 f.) m.w.N.
§ 9 Abschließende zusammenfassende Bemerkungen
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Bei der Betrachtung der Rechtsprechung des EGMR fiel auf, dass der Gerichtshof es noch 1983 im Fall Minelli ausreichen ließ, wenn die Begründung einer Einstellungs- oder Kostenentscheidung, die dem Betroffenen die Verfahrenskosten überbürdete, den Gedanken aufkommen ließ, dass dieser vom Gericht ohne ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens als schuldig angesehen wurde. Schon bei den geringsten Anzeichen dafür sollte von einer unzulässigen Schuldfeststellung und damit einer Verletzung der Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 MRK auszugehen sein. Im konkreten Fall beanstandete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Formulierung des Geschworenengerichts des Kantons Zürich, es wäre ohne die eingetretene Verjährung "sehr wahrscheinlich zu einer Verurteilung" Minellis gekommen. In den nur vier Jahre später entschiedenen Fällen gegen die Bundesrepublik Deutschland hatte sich der Gerichtshof mit ähnlichen Formulierungen deutscher Gerichte auseinander zu setzen. Der Unterschied in den hier entschiedenen Fällen zum Fall Minelli bestand - und das ist dem EGMR zu zugeben - darin, dass es in den deutschen Verfahren nicht um die Auferlegung von Verfahrenskosten nach Abschluss des Verfahrens, sondern um die Versagung einer Erstattung der notwendigen Auslagen der Betroffenen bzw. der Versagung einer Entschädigung für eine erlittene Untersuchungshaft ging. Hinsichtlich der Formulierungen in den Entscheidungsbegründungen gab es jedoch keine Unterschiede. Dennoch beanstandete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den drei deutschen Fällen Wendungen wie "wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit verurteilt worden" (so AG Heilbronn im Fall Lutz), "ist eine Verurteilung deutlich wahrscheinlicher als ein Freispruch" (so LG Heilbronn im Fall Englert) oder "es wesentlicher wahrscheinlicher war, daß es zu einer Verurteilung des Angeklagten gekommen wäre" (so LG Essen im Fall Nölkenbockhoff) diesmal nicht. Er erkannte zwar deren Zweideutigkeit, entnahm ihnen jedoch keine Schuldfeststellungen. Vielmehr habe es sich um bloße "Verdachtsäußerungen" gehandelt. Diese seien nach Ansicht des Gerichtshofs allerdings im Hinblick auf die Unschuldsvermutung zulässig. Damit gab der EGMR seine strenge Ansicht, die er noch im Urteil zum Fall Minelli geäußert hatte, auf. Obwohl die betreffenden Formulierungen mehr als deutlich die Überzeugung der deutschen Gerichte von der Schuld der Betroffenen ausdrückten, verneinte der Gerichtshof jeweils eine Konventionsverletzung. Anzumerken bleibt, dass die Europäische Kommission für Menschenrechte unter Verweis auf den Wortlaut der Entscheidungsbegründungen in allen drei Fällen eine Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung bejaht hatte. Dem schloss sich der Richter Cremona in seinen abweichenden Stellungnahmen zu den drei Urteilen an.
15 Kieschke
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
Im Hinblick auf die Auswirkungen der vier - ähnliche Rechtsprobleme betreffenden - Entscheidungen in der Schweiz und in Deutschland ergaben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede. In beiden Staaten genießt der Grundsatz der Unschuldsvermutung Verfassungsrang. In der Bundesrepublik Deutschland wird er u. a. aus dem verfassungsimmanenten Rechtsstaatsprinzip hergeleitet. Die Schweiz verfuhr lange Zeit ähnlich. In die revidierte Bundesverfassung von 1999 ist die Unschuldsvermutung nun ausdrücklich aufgenommen worden. Daneben enthalten beide Staaten den Grundsatz in kantonalem oder Landesverfassungsrecht. Auch über Art. 6 Abs. 2 MRK hat die Unschuldsvermutung Eingang in das positive Recht beider Staaten gefunden. Der Umgang mit der Menschenrechtskonvention ist jedoch verschieden. Zwar steht sie in beiden Staaten im Range eines einfachen Bundesgesetzes und damit unterhalb der jeweiligen Verfassung. Zudem gilt in beiden Staaten in Konfliktfällen mit späterem Bundesrecht der Grundsatz der völkerrechts- bzw. genauer der konventionskonformen Auslegung, was die Konvention in beiden Rechtsordnungen gesetzesfest macht. Dennoch ist die Stellung der EMRK in der Schweiz ungleich gefestigter. Das Schweizerische Bundesgericht lässt - anders als das deutsche Bundesverfassungsgericht - die Konvention als Prüfungsmaßstab in staatsrechtlichen Beschwerden zu. Die Menschenrechtskonvention ist daher in der Praxis der Schweiz von weitaus größerer Bedeutung als in der Bundesrepublik Deutschland. Die Völkerrechtsfreundlichkeit der Schweiz hat sich sowohl bei der Revision der Bundesverfassung als auch bei der Revision einzelner kantonaler Strafprozessordnungen gezeigt, die sich sehr stark an den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention ausrichten. Diese Völkerrechtsfreundlichkeit der Schweiz hat sich bei der Untersuchung der Praxis des Schweizerischen Bundesgerichts, das sehr konventionsfreundlich ist!, nach der Verurteilung im Fall Minelli bestätigt. Die Rechtsprechung des EGMR findet seit jeher umfangreiche Berücksichtigung in der schweizerischen Praxis und wurde sogar bei der Verfassungsrevision berücksichtigt. Die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Minelli sind zum festen Bestandteil einschlägiger Entscheidungen des Bundesgerichts geworden, nachdem es noch im gleichen Jahr in einem "wegleitend gebliebenen Urteil,,2 seine Rechtsprechung 1 Vgl. Weidmann, S. 56 f.: "vorbildlich"; Villiger, EuGRZ 1991, S. 88 f.: "Spitzenstellung im europäischen Vergleich"; Polakiewiczllacob-Foltzer, HRLJ 12 (1991), S. 138 ff.; im Ergebnis auch Haefliger, ZSR 104 I (1985), S. 467. Die kantonalen Gerichte waren demgegenüber in der Vergangenheit eher zurückhaltend, soweit es sich um die Feststellung einer Konventionswidrigkeit handelte: vgl. Cagianut, FS Haug, S. 54 f. 2 Gressly, Melanges Assista, S. 474.
§ 9 Abschließende zusammenfassende Bemerkungen
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ausdrücklich am Straßburger Urteil überprüft hatte. Zu einer grundsätzlichen Abkehr von der schweizerischen Praxis, unter bestimmten Voraussetzungen trotz eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens dem Betroffenen ein bestimmtes Verhalten vorzuwerfen und ihm die Verfahrenskosten aufzubürden, sieht es jedoch bis heute keinen Anlass. 3 Auffällig ist, dass das Bundesgericht seine Auffassung zur Unvereinbarkeit von Formulierungen in Begründungen von Kostenentscheidungen im Hinblick auf die Unschuldsvermutung trotz der drei jüngeren Urteile gegen Deutschland, in denen der EGMR die Anforderungen an die Vereinbarkeit entsprechender Formulierungen mit Art. 6 Abs. 2 MRK herabsetzte, beibehielt. Die diesbezügliche Praxis des Schweizerischen Bundesgerichts ist damit nun strenger als die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bloße Verdachtsäußerungen in Entscheidungsbegründungen seit jenen Entscheidungen für konventionskonform erachtet. 4 Es spricht viel dafür, dass auch bei den Gerichten der schweizerischen Kantone darauf geachtet wird, im Rahmen eines Kostenentscheids nicht eine strafrechtliche Schuld zu berücksichtigen und durch entsprechende Ausführungen in der Begründung der Kostenauflage den Angeklagten letztlich (doch) zu bestrafen. 5 Der Fall Minelli ist damit sowohl im Hinblick auf die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 MRK durch den EGMR als auch im Hinblick auf die Beachtung der Unschulds vermutung in schweizerischen Strafverfahren zum Leitentscheid geworden 6 und wird auch 15 Jahre später immer noch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung 7 im Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung zum Maßstab genommen. Anders stellt sich die Reaktion der Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland dar. Wenige Monate vor den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der deutschen Praxis bei Kostenentscheidungen nach Einstellung eines Privatklageverfahrens unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung auseinandergesetzt. Unter ausdrücklicher Berücksichtigung des EGMR-Urteils im Fall 3 Für eine grundsätzliche Abkehr von dieser Praxis des "Freispruchs 2. Klasse" allerdings Minelli, recht 1995, S. 73 f. 4 Kritisch im Hinblick auf Privatstrafklageverfahren wegen Ehrverletzungen Bigler-Eggenberger, recht 1995, S. 20 ff.; siehe dazu die Erwiderung von Minelli, recht 1995, S. 72 ff. 5 Vgl. zur entsprechenden Rechtsprechung einzelner Kantonsgerichte nach dem EGMR-Urteil im Fall Minelli: Hansjakob, S. 176 ff.; siehe auch den bei Bigler-Eggenberger, recht 1995, S. 20 f. wiedergegebenen Fall aus dem Kanton St. Gallen und die Argumentation des dortigen Kantonsgerichts. 6 Vgl. insofern Thürer, ZBl. 89 (1988), S. 388 f.; Haefliger/Schünnann, S. 213; Tophinke, S. 191. 7 Vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 22. 10. 1998, BGE 124 I, 327 (331). 15*
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvennutung im Strafverfahren
Minelli legte es den Rahmen fest, in dessen Umfang Schuldfeststellungen ausnahmsweise zulässig sein sollten. Gleichzeitig - und das ist das Besondere an der Entscheidung des BVerfG - betonte es zum ersten Mal den Grundsatz der konventionskonformen Auslegung deutschen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Auslegung der EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Offenbar wollten die Bundesverfassungsrichter damit auch Spannungen zwischen EGMR und BVerfG angesichts der zu erwartenden Urteile zur Beachtung der Unschuldsvermutung im deutschen Kostenrecht vorbeugen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung hat aufgrund seiner besonderen Stellung als verfassungsimmanenter Rechtsgrundsatz und Konventionsgarantie in einem die besondere Eigenart, dass sich sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch das deutsche Bundesverfassungsgericht mit seiner Auslegung und der Bestimmung seines Umfangs beschäftigen können. Zudem diente die Entscheidung des BVerfG vermutlich dazu, im Vorfeld der zu erwartenden Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland in den drei Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff die in der Literatur viel kritisierte deutsche Rechtsprechung auf einen konventionskonformen Weg zu bringen. Die einschlägigen deutschen Vorschriften sind dessen ungeachtet mit der Unschuldsvermutung grundsätzlich vereinbar. 8
Wider Erwarten wurde die Bundesrepublik Deutschland im Sommer 1987 jedoch nicht verurteilt, sondern die deutsche Praxis vielmehr bestätigt. Damit bestand von vornherein keine rechtliche Pflicht zur Beachtung der Aussagen des EGMR für die deutschen Staatsorgane. Mit Genugtuung konnte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss aus dem Jahre 1990, der sich mit der gleichen Problematik befasste, die auch den drei deutschen Individualbeschwerden zugrunde lag, auf die Straßburger Urteile verweisen und seine eigene Rechtsauffassung in einer Art Zirkelschluss wiederholen. Schließlich hatte sich der EGMR vorher am BVerfG orientiert, so dass die Bezugnahme des Bundesverfassungsgerichts auf die Straßburger Rechtsprechung strenggenommen eine Bezugnahme auf sich selbst ist. Dennoch wurde der Hinweis auf die Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Vorgabe, deren Inhalt und Entwicklungsstand bei der Auslegung des Grundgesetzes heranzuziehen, beibehalten. Offenbar wollte das BVerG sicherstellen, dass die Urteile des EGMR einen eigenen Stellenwert behalten, gerade weil sie inhaltlich mit den Entscheidungen aus Karlsruhe korrespondierten. Mit Blick auf die Besonderheit des Grundsatzes der Unschuldsvermutung leuchtet das auch ein. Diese hat anerkanntermaßen in Deutschland Verfassungsrang. Auf dieser Stufe steht die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts per se über der 8
A.A. bezüglich § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Stuckenberg, S. 569.
§ 9 Abschließende zusammenfassende Bemerkungen
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Auslegung des Grundsatzes in Fonn der einfachgesetzlichen MRK-Nonn durch den EGMR. 9 Und über § 31 Abs. 1 BVerfGG ist eine Entscheidung des BVerfG für die deutschen Strafgerichte ohnehin verbindlich, was für eine Entscheidung des EGMR eben nicht (ausdrücklich) gilt. Bedauerlicherweise hat das BVerfG selbst in der Folgezeit viel zu selten auf die Entscheidungen des EGMR verwiesen und diese den Untergerichten "verschwiegen". Bei der Analyse der deutschen Rechtsprechung in den Jahren danach zeigte sich dann auch, dass die Bestätigung der deutschen Praxis durch den EGMR weitgehend stillschweigend hingenommen worden ist. Es wurden überwiegend die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen und zum Maßstab genommen. Auf die entsprechenden Ausführungen des Straßburger Gerichtshofs trifft man sehr selten. Die Verneinung einer Konventionsverletzung scheint demgemäß in Deutschland keine große Aufmerksamkeit zu erregen. Und die (immerhin auf völkerrechtlichem Parkett ergangene) Begründung einer solchen Entscheidung verliert sich hinter den Ausführungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Die deutsche Praxis bei Einstellungs- und Kostenentscheidungen entspricht mittlerweile den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Nur fallt das - salopp gesagt - kaum auf. In der Vergangenheit hat sich dafür die Schwierigkeit der Praxis offenbart, im Grenzbereich zwischen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zulässigen oder im Hinblick auf die Unschuldsvennutung unzulässigen Fonnulierungen zu arbeiten, was am neueren Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05. November 1999 sichtbar wird. Die an den in den Einstellungs- und Kostenbeschlüssen verwendeten Fonnulierungen geübte Kritik von Richter Mahrenholz in seiner abweichenden Meinung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990 gewinnt daher umso mehr an Bedeutung. Offenbar ist die Praxis bei der Ausübung ihres Ennessens und dem Abstellen auf einen verbleibenden Tatverdacht oder der Vornahme einer hypothetischen Schuldbewertung und dem Ausdruck ihres Ergebnisses in den Entscheidungsbegründungen schlicht überfordert. 10 9 Dementsprechend werden die Beschlüsse des Zweiten Senats des BVerfG auch in den Kommentaren zum Grundgesetz im Zusammenhang mit der Beachtung der Unschuldsvermutung bei Einstellungs- und Kostenentscheidungen bevorzugt herangezogen (vgl. Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 100; SachslDegenhart, Art. 103 Rn. 93; Schmidt-Bleibtreul Klein, Art. 20 Anm. 22), während sich zur Auffassung des EGMR nur in einem Kommentar in einer Fußnote ein bloßer Hinweis findet und dessen Praxis dann auch noch als "uneinheitliche Linie" beschrieben wird: so SachslDegenhart, Art. 103 Fn. 441 (S. 1859). 10 So zu Recht Hilger, NStZ 2000, 332; siehe auch LR(25)-Hilger, § 467 Rn. 60 a. E. Darauf, dass man "bei der Feststellung des Maßes der möglichen Tatschuld in arge Bedrängnis geraten kann", hat schon D. Meyer, JurBüro 1982, Sp. 485 hinge-
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4. Kap.: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren
Gerade im Hinblick auf die zu den Grundsätzen eines Rechtsstaates zählende Unschuldsvermutung sollte daher entgegen dem Bundesverfassungsgericht und entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs ein Verstoß gegen diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz und mithin auch Art. 6 Abs. 2 MRK angenommen werden, wenn die Begründung einer gerichtlichen Einstellungs- oder Kostenentscheidung in irgendeiner Form schon den Schluss nahelegt, das Gericht gehe von der Schuld des Betroffenen aus. 11 Wichtig ist für diesen schließlich, wie die verwendete Formulierung nach außen wirkt. Das daneben vom Bundesverfassungsgericht entwickelte und in den drei deutschen Fällen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte übernommene Kriterium der Strafähnlichkeit der Maßnahme kompliziert hingegen aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung seines Begriffs die Problematik unnötig l2 und ist neben dem Abstellen auf das Anklingen einer Schuldzuweisung in der Entscheidungsbegründung auch nicht erforderlich. Diese von der deutschen Rechtsprechung abweichende Ansicht folgt der heutigen Praxis des schweizerischen Bundesgerichts und entspricht im Übrigen der vom EGMR noch im Fall Minelli 13 geäußerten und bedauerlicherweise in den deutschen Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff bis heute aufgegebenen Auffassung. 14 Eine mögliche Lösung des weiterhin aktuellen Problems "Vereinbarkeit der Begründungen von Kostenentscheidungen mit der Unschuldsvermutung" könnte darin liegen, bei der Beurteilung der Frage, ob dem Betroffenen eine Auslagenerstattung zu versagen sei, konsewiesen. Siehe letztlich auch die Feststellung der Bundesregierung in BT-Drucksache 10/1313, S. 41: "Die Einräumung eines nicht näher bestimmten Ermessens stellt die Praxis vor erhebliche Begründungsprobleme." 11 So letztlich Mahrenholz in seiner abweichenden Meinung, abgedruckt in BVerfGE 82, 106 (123 f.) = NJW 1990, 2741 (2743) = EuGRZ 1990, 329 (334) = StrVert 1991, 111 (113); ebenso schon der Richter am EGMR Cremona in seinen abweichenden Stellungnahmen in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff, abgedruckt in Series A, Vol. 123-A, S. 29 f. = EuGRZ 1987, 399 (404 f.), Vol. 123B, S. 58 f. = EuGRZ 1987, 405 (409 f.), Vol. 123-C, S. 84 f. = EuGRZ 1987, 410 (415); noch deutlicher Bi/ger, NStZ 2000, S. 332; LR(25)-Bilger, § 467 Rn. 60; Tophinke, S. 417. 12 So auch K. Meyer, FS Tröndle, S. 70 f. 13 Vgl. Series A, Vol. 62, Nr. 37 (S. 18 = HRLJ 4 (1983), 215 (224) = EuGRZ 1983, 475 (479)): "This [a violation of the presumption of innocence, Anm. des Verf.] may be so even in the absence of any formal finding; it suffices that there is some reasoning suggesting that the court regards the accused as guilty." 14 Auch in nachfolgenden Entscheidungen zur Kostenauflage nach Einstellung des Verfahrens behielt der EGMR seine gemilderte Auffassung bei. Unterschiedlich bewertet er jedoch die Begründungen von Kostenentscheidungen bei Freispruch der angeklagten Person. Hier sollen nicht nur Schuldfeststellung oder diesen im Kern gleichkommende Erwägungen, sondern sogar Hinweise auf einen weiterbestehenden Tatverdacht gegen die Unschuldsvermutung verstoßen: vgl. dazu Tophinke, S. 419 ff.
§ 9 Abschließende zusammenfassende Bemerkungen
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quent von jeglichen Verdachts äußerungen und Feststellungen zur Schuldwahrscheinlichkeit abzusehen 15 und vielmehr allein auf das prozessuale Verhalten des Betroffenen abzustellen. 16 Eine Gemeinsamkeit der Praxis beider Staaten im Umgang mit Entscheidungen aus Straßburg soll diese Bemerkungen beschließen. Sowohl die Schweiz als auch die Bundesrepublik Deutschland sahen sich einige Jahre vor den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Individualbeschwerden bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte konfrontiert, in denen die Praxis beider Staaten bei Kostenentscheidungen und ihre Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK gerügt wurde. Gemeint sind hier die ebenfalls besprochenen Fälle Geerk, Neubecker sowie Liebig. In allen drei Fällen erklärte die Kommission die Beschwerden für zulässig und ließ durchblicken, dass sie die gerügte innerstaatliche Praxis für nicht konventionskonform hielt. Alle drei Fälle wurden im Rahmen einer gütlichen Einigung vor der Kommission erledigt. Doch obwohl die Regierungen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland angesichts der Individualbeschwerden mindestens von der Möglichkeit der Unvereinbarkeit der innerstaatlichen Praxis mit der Menschenrechtskonvention ausgehen mussten und im Fall Liebig sogar ein diesbezügliches Schreiben an die Landesjustizverwaltungen geschickt worden ist, erfolgten keinerlei weitergehende staatliche Reaktionen. Offensichtlich bedurfte es in beiden Staaten erst entsprechender Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dessen Autorität bei der Auslegung und Anwendung der Menschenrechtskonvention damit noch einmal deutlich wird.
15 Siehe dazu K. Meyer, FS Tröndle, S. 72 f.; der konsequente Verzicht auf Verdachtsklauseln in Kostenentscheidungen nach Einstellung des Verfahrens wurde auch schon von Vogler, ZStW 89 (1977), S. 786 gefordert; in jüngerer Zeit erneut von Stuckenberg, S. 569. 16 So auch AK-Meier, § 467 Rn. 6 m.w.N., Rn. 14 f. sowie LR(25)-Hilger, § 467 Rn. 65; ebenso schon OLG Düsseldorf MDR 1990, 359 (360) = JurBüro 1990, 239 (240) = StrVert 1990, 79 (LS) = NStE Nr. 5 zu § 467 StPO; für § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG auch D. Meyer (4), Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 6 Rn. 30 a.; siehe auch Kühl, Unschuldsvermutung, S. 128 f.
Zusammenfassung und Ausblick Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt seit seiner Errichtung im Jahre 1959 eine herausragende Stellung im System des Menschenrechtsschutzes zu. Den Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde es ermöglicht, ein internationales Gericht anzurufen, das die Verletzung oder Nichtverletzung von Menschenrechten durch den jeweiligen Staat verbindlich feststellen konnte. Der betroffene Staat hatte sich - so schrieb es die Menschenrechtskonvention von Anfang an vor - nach der Entscheidung des EGMR zu richten. Im Laufe der Jahre hat sich die Stellung des Gerichtshofs immer mehr verfestigt. Der EGMR ist zu einer Art Verfassungsgericht für Europa geworden. Dazu hat maßgeblich der Fall des Eisernen Vorhangs gegen Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre beigetragen. In Europa haben sich nunmehr 43 Staaten der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterworfen. Aufgrund der zunehmenden Belastung der Straßburger Instanzen, zu denen bis 1998 auch die Europäische Kommission für Menschenrechte zu zählen war und bis in die heutige Zeit das Ministerkomitee des Europarates zu zählen ist, mit Individualbeschwerden wurde das Rechtsschutzsystem der EMRK gegen Ende der 90er Jahre reformiert. Nunmehr entscheidet in Straßburg nur noch der Gerichtshof. Die Befolgung seiner Urteile durch die Staaten überwacht das Ministerkomitee. Die Bundesrepublik Deutschland musste sich erstmals im Jahre 1968 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verantworten. In seinem ersten Urteil gegen Deutschland im Fall Wemhoff stellte dieser jedoch noch keine Verletzung der Garantien der Menschenrechtskonvention fest. Zu diesem Ergebnis gelangte der EGMR in den folgenden Jahren jedoch nicht immer. In einigen Fällen stellte der Gerichtshof eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland fest. Allgemein haben sich die deutschen Reaktionen auf solche Verurteilungen in den letzten Jahrzehnten geändert. Obwohl man sich einig ist, dass ein Urteil des EGMR lediglich feststellende Wirkung hat, erfolgte in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Beachtung dieser Entscheidungen durch die deutsche Praxis. Faktisch haben diese an Relevanz für die deutsche Rechtsprechung gewonnen. Die Autorität der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung der Bestimmungen der EMRK, die in Deutschland im Range eines einfachen Gesetzes steht, wird zunehmend beachtet.
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Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei die Praxis des Bundesverfassungsgerichts, das seit 1987 in ständiger Rechtsprechung betont, dass die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dient. Seit dem wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, in dem dieses diese Auffassung das erste Mal äußerte, ist auch in der Praxis der Fachgerichte vom Bundesgerichtshof bis zum Amtsgericht eine zunehmende Berücksichtigung der Straßburger Rechtsprechung zu beobachten. Zwar werden überwiegend "nur" Entscheidungen des Gerichtshofes herangezogen und die nicht weniger bedeutsame Praxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte, deren Berichte keine bindende Wirkung hatten, weitgehend vernachlässigt. Doch zeigt sich auf der anderen Seite eine zunehmende Berücksichtigung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen andere Konventionsstaaten, was nicht immer nur der Intention zu entspringen scheint, gleichartigen Verurteilungen in deutschen Fällen vorzubeugen, sondern auch der Orientierungswirkung der Straßburger Rechtsprechung geschuldet ist. Weit häufiger erfolgt in der strafverfahrensrechtlichen Praxis allerdings eine Bezugnahme auf Fälle, in denen sich die Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland richtete. Im Mittelpunkt stehen dabei allerdings eher die Fälle, in denen der EGMR die Verletzung einzelner Garantien der Menschenrechtskonvention bejahte. Es hat sich gezeigt, dass im Falle einer Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auch regelmäßig entsprechende Folgerungen gezogen worden sind. In den einzelnen Fällen, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt standen, geschah dies jedoch in unterschiedlicher Weise. Als Reaktion auf die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im Fall Luedicke u. a. wurde das deutsche Kostenrecht geändert und den Erfordernissen des Art. 6 Abs. 3 Buchst e MRK in der Auslegung durch den EGMR angepasst. Ebenfalls nicht zu beanstanden war die Reaktion der Exekutive, die in internen Dienstanweisungen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinwies und dessen Beachtung in Parallelfällen vorschrieb. Lediglich in der gerichtlichen Praxis kam es weiterhin zu Divergenzen. Unklar blieb die Reichweite der Auffassung des EGMR. War man sich über den Grundsatz, einem verurteilten Ausländer etwaige Kosten für einen hinzugezogenen Dolmetscher nicht als notwendige Auslagen aufzubürden, einig, so herrschte doch in Details ein gewisse Unklarheit. Diese Unklarheit führte dazu, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Luedicke u. a. zum meistzitierten und herangezogenen Urteil geworden ist. So dienten die vom EGMR dort gemachten Aussagen sowohl
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bei der Frage der Unentgeltlichkeit eines Dolmetschers bei der Besuchsüberwachung und Briefkontrolle in der Untersuchungshaft, der Frage nach einem Anspruch des Angeklagten auf unentgeltliche Übersetzung des schriftlichen Urteils oder von Aktenteilen und selbst bei der Problematik der Kostentragung für einen Pflichtverteidiger (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK) als Argumentationshilfe sowohl für die eine als auch für die jeweilige andere Ansicht. Hoch umstritten war in der Rechtsprechung, ob dem Angeklagten die unentgeltliche Zuhilfenahme eines Dolmetschers im Strafverfahren nur im Gespräch mit einem Pflichtverteidiger zugute kommen oder ob dieses auch bei einem Wahlverteidiger unproblematisch zu bejahen sein sollte. Diese Streitfrage hat sich durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2000 erledigt, in dem dieser ausdrücklich und unter Berufung auf die Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Luedicke u. a. ein Absehen von der Belastung des verurteilten Angeklagten mit den Dolmetscherkosten befürwortet, gleich in welchem Stadium des Verfahrens und unter welchen Bedingungen er sich der Hilfe des Dolmetschers bedient habe. Somit verhilft in diesem Punkt erst eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum endgültigen Durchbruch. Das kann aber nicht verdecken, dass sich dessen Entscheidung im Fall Luedicke u. a. in großem Umfang im nationalen Strafverfahrensrecht ausgewirkt hat. Unter einem anderen Gesichtspunkt hatte es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Öztürk schwer, sich im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen. Auch hier war es um die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK gegangen. Auch hier hatte der EGMR die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention verurteilt. Im Vergleich zum Fall Luedicke u. a. wies der Fall Öztürk jedoch eine Besonderheit auf. Hier lag dem Sachverhalt ein gerichtliches Ordnungswidrigkeitenverfahren zugrunde. In seinem Urteil hatte der EGMR die Konvention über deren Wortlaut ("strafbare Handlung", "Angeklagter") hinaus auf deutsche Ordnungswidrigkeitenverfahren für anwendbar erklärt. Diese Auffassung aus Straßburg stieß in der Bundesrepublik Deutschland auf Skepsis, die letztlich darin resultierte, dass bis zur Anpassung des deutschen Rechts 5 Jahre verstrichen. Die Gesetzesänderung wurde schließlich zähneknirschend vorgenommen als klar war, dass der EGMR seine diesbezügliche Auffassung nicht aufgeben würde. In diesem Zeitraum nahm auch das Bundesjustizministerium eine abwartende Position ein, die es in mehreren Schreiben an die Landesjustizverwaltungen offen zum Ausdruck brachte.
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Die Praxis war dementsprechend gespalten. Während von einigen deutschen Gerichten auf die abwartende Haltung des deutschen Gesetzgebers verwiesen wurde und die alte konventionswidrige Praxis unter Anwendung der noch nicht geänderten Kostenregelungen fortgeführt wurde, folgten andere unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des EGMR im Fall Öztürk dessen Argumentation und erlegten die Kosten für einen im gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren beigezogenen Dolmetscher contra legern der Staatskasse auf. Dieser unbefriedigende Zustand wurde erst mit der 1989 vorgenommenen Gesetzesänderung beendet. Seither ist die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers in gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren unbestritten. Erneut fällt auf, dass die Durchsetzung eines Straßburger Urteils stark von nationalen Gegebenheiten abhing. Im Fall Öztürk war es jedoch nicht die Entscheidung eines obersten nationalen Gerichts, sondern die Tätigkeit des Gesetzgebers. Verhältnismäßig wenig lässt sich über die generellen Folgerungen im deutschen Strafverfahrensrecht nach der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im Fall Pakelli sagen, dem die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers für eine Revisionshauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof zugrunde lag. Aus den Angaben einzelner Senate des BGH zu ihrer diesbezüglichen Praxis lässt sich aber immerhin schließen, dass der Fall Pakelli wohl ein Einzelfall war. Die heutige Praxis am Bundesgerichtshof wird allem Anschein nach nicht erneut zu einer gleichartigen Konventionsverletzung führen. Dennoch wirkt die gesetzliche Regelung der Pflichtverteidigerbestellung für eine Revisionshauptverhandlung generell unbefriedigend. Aufgrund von deren Ausgestaltung als Einzelfallentscheidung bleibt ein gewisses theoretisches Restrisiko, dass sich ein Fall wie der Pakellis in einer ähnlichen Art und Weise bei einem Revisionsgericht wiederholen könnte. Eine Änderung der gesetzlichen Regelung der §§ 140 Abs. 2, 350 StPO ist im Hinblick auf die Vermeidung einer erneuten Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland in Straßburg wünschenswert. Daneben könnte die anscheinend konventionskonforme Praxis des Bundesgerichtshofs ausdrücklich normiert werden. Neben den generellen Folgerungen nach dem Pakelli-Urteil drängt sich die konkrete Auswirkung des Falls Pakelli im deutschen Strafverfahrensrecht in den Vordergrund. Aus dessen (vergeblichen) Bemühungen um eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens resultiert letztlich die Einführung eines neuen Wiederaufnahmegrundes in § 359 Nr. 6 StPO ("lex Pakelli") für Verfahren nach Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR, der allerdings auf den konkreten Fall beschränkt sein soll. Der Gesetzgeber muss sich dabei jedoch vorhalten lassen, dass diese Beschränkung
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unbefriedigend ist. Er hätte besser daran getan, die Wiederaufnahme auch in eng begrenzten Parallelfällen zuzulassen. Ob sich eine Erweiterung des Anwendungsbereiches des neuen Wiederaufnahmegrundes im Wege einer konventionskonformen Auslegung erreichen lässt, bleibt abzuwarten. Die Schaffung eines Wiederaufnahmegrundes für Strafverfahren nach Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland ist dennoch ein erheblicher Schritt auf dem Weg, dessen Urteilen einen höheren Stellenwert im nationalen Recht einzuräumen. Eine Verurteilung Deutschlands aufgrund konventionswidriger Gerichtsverfahren mündet von nun an nicht mehr nur in Entschädigungsleistungen. Der EGMR kann diese rechtskräftigen nationalen Entscheidungen zwar nicht aufheben. Doch ist der individuelle Beschwerdeführer nunmehr befähigt, im Wege der Wiederaufnahme und gestützt auf die Feststellungen des EGMR der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Schließlich wurde nach den drei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhoff, in denen es sich um die Beachtung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung in Kostenentscheidungen nach nichtverurteilendem Verfahrensabschluss drehte, ersichtlich, wie gering die Beachtung der Straßburger Rechtsprechung ist, wenn der EGMR keine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt hat und vielmehr eine nationale Rechtsauffassung bestätigt. Zwar erfolgte danach eine Bezugnahme auf die drei Entscheidungen aus Straßburg durch das Bundesverfassungsgericht. Doch wird in den nachfolgenden Entscheidungen der Untergerichte fast ausschließlich dessen Auslegung der Unschuldsvermutung und nicht die diesbezügliche Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte herangezogen. Im Rahmen der konkreten Problematik bleibt Kritik an der Praxis des BVerfG, des BGH und letztlich des EGMR zu üben, die in den Begründungen von Einstellungs- und Kostenentscheidungen Schuldfeststellungen für unzulässig befinden, das Abstellen auf einen fortbestehenden Tatverdacht und die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung jedoch zulassen. Diese Auffassung ist mit der Unschuldsvermutung nur schwerlich vereinbar. Es zeigte sich auch, dass die Strafgerichte letztlich Schwierigkeiten mit der differenzierten Wortwahl haben. Die Untersuchung der Auswirkungen dieser drei Fälle gab jedoch auch Aufschluss über das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Besonderheit der Stellung der Unschuldsvermutung, die in Deutschland einerseits aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird, daneben aber auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention positiviert ist, brachte es mit sich, dass sich das deutsche Bundesverfassungsgericht für die Bestimmung des Inhalts des Grundsatzes
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der Unschuldsvermutung an der Auslegung der entsprechenden Konventionsbestimmung durch den EGMR orientierte und diese Orientierungswirkung generell im Jahre 1987 zum Ausdruck brachte. Wie schon angesprochen, hat dieses zu einer zunehmenden Berücksichtigung der Straßburger Rechtsprechung im deutschen Strafverfahrensrecht geführt. Mit eben dieser Aussage hat das Bundesverfassungsgericht aber auch deutlich demonstriert, dass es insofern Rücksicht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nimmt und Divergenzen möglichst vorbeugen will. Ein bedeutsamer Schritt dazu könnte sein, dass das Bundesverfassungsgericht ähnlich dem Schweizerischen Bundesgericht Verletzungen von Garantien der Menschenrechtskonvention im Rahmen von Verfassungsbeschwerdeverfahren prüft, wobei es erst recht die Rechtsprechung des EGMR heranziehen müsste. Diese Vorstellung erscheint derzeit jedoch in Deutschland utopisch. Anders stellt sich dagegen der Umgang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Schweiz dar, die dort einen weitaus größeren Stellenwert einnimmt. Eine vergleichbare Berücksichtigung von Entscheidungen des EGMR in Deutschland wäre durchaus wünschenswert. Zum Abschluss bleibt jedoch festzustellen, dass auch hierzulande die Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zunehmend erkannt wird. In Zukunft wird die Stellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wesentlich im Zusammenhang mit Fragen den sogenannten Europarechts, also dem Recht der EG und EU, abhängen. Von Bedeutung ist dabei die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die in Menschenrechtsfragen als gleichberechtigter Katalog der EU neben die Konvention der Mitgliedstaaten des Europarates treten könnte. Momentan ist die Charta noch nicht rechtsverbindlich. Dennoch erfährt sie in der aktuellen europäischen Verfassungsdiskussion zu recht große Beachtung. Daraus resultiert wiederum ein verändertes Verhältnis zwischen EGMR und EuGH, was in Spannungen zwischen beiden Gerichtshöfen und sogar in Divergenzen im europäischen Grundrechtsschutz münden kann. 1 Eine mögliche Auflösung dieser Spannungen könnte in dem, in jüngerer Zeit wieder vehement befürworteten, Beitritt der EG/EU zur EMRK liegen. Das könnte die ohnehin schon herausragende Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im internationalen Menschenrechtsschutz noch mehr steiI Siehe auch den Vortrag von G. Ress "Die Europäische Grundrechtscharta und das Verhältnis zwischen EGMR, EuGH und den nationalen Verfassungsgerichten", abgedruckt in Duschanek/Griller, Grundrechte für Europa, Wien, New York 2002, S. 183 ff.
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gern, was sich automatisch auf die Berücksichtigung seiner Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland auswirken würde. Aufgrund der ohnehin in den letzten Jahren zugenommenen Beachtung der Straßburger Praxis, darf man gespannt auf die Reaktion der strafverfahrensrechtlichen Praxis auf die jüngeren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik Deutschland in den Fällen Garcia Alva, Lietzow sowie Schöps erwarten, in denen diese wegen Verletzung von Art. 5 Abs. 4 MRK verurteilt worden ist. Im Hinblick auf die in Deutschland lange Zeit entgegen der Ansicht des EGMR verneinte Frage nach einem eigenen Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten ist vom Gesetzgeber ein entsprechender Anspruch nun in § 147 Abs. 7 StPO geregelt und das deutsche Recht der Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angepasst worden. Eine erneute Anpassung der deutschen Praxis bei der Problematik der Einsichtnahme in die Strafakten durch den Verteidiger eines inhaftierten Angeklagten ist vonnöten. 2
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Siehe dazu KieschkelOsterwald, NJW 2002, S. 2003 ff. sowie Kempf, StrVert
2001, S. 206 f.
Summary The title of this treatise is: "The practice of the European Court of Human Rights and it's effect on the gerrnan rules of crirninal procedure - a stocktaking illustrated by selected decisions of the ECHR against the Federal Republic of Gerrnany". The aim of the treatise is to give a complete overview of relevant decisions of the ECHR which concerned the gerrnan rules of crirninal procedure (Strafverfahrensrecht). Until now only single cases have been discussed. In addition to that this dissertation wants to help answering the question of how judgments of the ECHR can gain acceptance in Germany . This question has not been discussed as much as it should have been during the last years. The conclusion of this treatise is that the Federal Republic of Gerrnany always carried out its duty under international law where an adjustment of the domestic law was required to end ongoing violations of the European Convention of Human Rights. But during the last years the Gerrnan legislator also let some opportunities regarding the Convention and the Court' s jurisdiction slip. And at least the Gerrnan District and Regional Courts (Amts- and Landgerichte) considered the jurisdiction of the ECHR to a lesser extent than their obligations implied according to international law. Effects were mostly lirnited to those cases when either the legislator reacted or one of the two highest Courts in Germany , the Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht) or the Federal Court (Bundesgerichtshof) discussed the decisions of the ECHR (and of the Cornrnission). Fortunately, in the last few years both federal courts increasingly took account into the decisions by the ECHR. This dissertation only deals with decisions from Strasbourg which concerned questions of crirninal procedure. The problem of the length of criminal proceedings - which made up the majority of judgments against Germany - as weIl as the problem of agents provocateurs and at least the newer decisions concerning the right to get unlimited access to the investigation files were left aside. Only 6 decisions out of 57 judgments against the FRG until April 2002 were selected. In two judgments the ECHR found a violation of the Convention because of anational rule, in one case it found a violation of the Convention because of the national practice of the Gerrnan Federal Court. In the other three cases the ECHR did not find a violation of the Convention and confirrned the practice of Gerrnan courts.
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In Gerrnany the European Convention of Human Rights has the same status like a federal act. National federal acts are interpretated in the light of the Convention to prevent conflicts with it. Decisions of the ECHR generally have an indirect effect on the national courts and administration even if Gerrnany is party to the proccedings in Strasbourg. The second chapter centers around the costs for an interpreter who was needed during the proceedings. In the case of Luedicke and others the ECHR found a violation of Article 6 § 3 (e) of the Convention, since under domestic law foreign convicted persons who needed the help of an interpreter were obliged to bear the interpreter' s fees. Two years later in 1980 the Gerrnan legislator reacted and changed the relevant provision in the Gerrnan Court Costs Act (Gerichtskostengesetz). In the following years and still today the domestic courts discussed the judgment of the ECHR and it' s argumentation. Their interpretation of the range of the Convention's article as deterrnined by the Strasbourg Court was at least so varying that only a decision of the Federal Court (BGH) put an end to the controversy. Herein the Federal Court explicitely followed the opinion of the ECHR in the case of Luedicke and others. Six years later in the case of Öztürk (1984) the ECHR again found a violation of Article 6 § 3 (e), because in proceedings under the Regulatory Offences Act (Ordnungswidrigkeitengesetz) an accused with difficulties to understand the gerrnan language still had to pay the interpretation costs. While the Govemment argued that Article 6 of the Convention was not applicable the Court found that it was. After the judgment from Strasbourg the Gerrnan legislator waited another five years to see whether the ECHR was changing its opinion and did nothing. The Court instead confirrned it in the case of Lutz in 1987. The reaction of the Gerrnan legislator was a newer amendment of the relevant domestic rule [see above] and of the Code of Criminal Procedure (Strafprozessordnung) in 1989. While the domestic legislator was waiting a widely varying jurisdiction of Gerrnan District and Regional Courts may be seen, which was mainly incompatible with Article 6 § 3 (e) of the Convention. Only after the amendment of the Gerrnan law the domestic courts followed the opinion of the ECHR in an unlimited way. How the essence of adecision of the ECHR has been put into judicial practice of the Gerrnan Federal Court (Bundesgerichtshof) is subject of the third chapter which deals with the case of Pakelli (1983). The application concemed an isolated case. The Court found a violation of Article 6 § 3 (c) of the Convention, since the applicant was refused to appoint hirn a defensive counsel at the hearing before the Federal Court, which violated his right to a fair trial. In the practice of the Gerrnan Federal Court till now a reception of the main points of the decision is only hard to prove. After
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written correspondence with the Presidents of the 2nd and 5th Criminal Chamber (Strafsenat) of the Federal Court it can be said that their practice today is in accordance with Article 6 § 3 (c) of the Convention. A concrete consequence of the Pakelli case was that a new reason for retrials was added to the German Code of Criminal Procedure (Strafprozessordnung) by an act in 1998. Now aretrial is allowed if the ECHR in the same case found a violation of the Convention and the former conviction is based on this violation. Establishing this new provision probably improves the relationship between the domestic legal practice and the ECHR, since it underlines the Courts importance.
In the cases of Lutz, Englert and Nölkenbockhoff the ECHR didn't find a violation of the Convention. The three applications concerned the practice of German courts to award the necessary costs and expenses of defendants in judicial proceedings against them even if these were acquitted or if the proceedings against the defendants were discontinued because their guilt could be held insignificant (gering). This practice seemed - and still seems - not to be compatible with the presumption of innocence as laid down in Article 6 § 2 of the Convention. Nevertheless the Court held that there has been no breach of the Convention while following the argumentation and criteria proposed by the German Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht). The Federal Constitutional Court therefore went on with its judicial practice according the awarding of costs against the defendant considering the presumption of innocence. These decisions are quoted regularly in decisions of the other domestic courts. On the other hand the three judgments of the ECHR - which followed the same argumentation - are barely noted. The confirmation of national law by the ECHR is thus not explicitely taken up in Germany. Therefore the European Court of Human Rights does not win the recognition which it is entitled to on international level. Its case-Iaw is not directly noted in Germany. Switzerland, where the Convention has a status between constitutional and federal law, does better and is exemplary in the reception of judgments and arguments of the ECHR. That could be illustrated by the reaction of the Swiss Federal Court (Bundesgericht) to the judgment of the ECHR in the case of Minelli (1983).
In Germany it could be helpful to give the Convention a higher status in national law. Steps into this direction were the decisions of the Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht) in 1987 and 1991 where the national Court postulated an interpretation of domestic law and above all the German Constitution in the light of the Convention and its interpretation done by the ECHR (völkerrechtskonforme Auslegung), which increased the standing of the ECHR in Germany . It would make sense to 16 Kieschke
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bind the national organs more intensely or even directly to the jurisdiction of the ECHR. In the light of the practice of the domestic courts in the five years between the judgment in the case of Öztürk till the reaction of the domestic legislator one can only support this opinion.
Resume L'etude s'intitule: «La pratique de la Cour Europeenne des Droits de I'Homme (CEDH) et son influence sur le droit allemand de la procedure penale-Exemples de decisions rendues contre l' Allemagne. Au premier plan de l' etude il est necessaire de faire un aperyu des decisions importantes de la CEDH concernant le droit allemand de la procedure penale.» Jusqu'alors seules quelques decisions furent discutees en doctrine. A cote de cela cet expose se veut contribuer a la question de savoir dans quelle mesure on peut executer ces decisions en Allemagne. Ces dernieres annees, ce theme fut a tort peu discute et ainsi peu approfondi. L'etude a montre que l' Allemagne execute toujours ses obligations internationales lorsqu'il s'agit d'adapter sa legislation nationale. Le legislateur a cependant laisse passer quelques occasions de s' adapter a la Convention et a la jurisprudence de la Cour. La pratique juridictionnelle des juridictions inferieurs, contrairement a leur obligations internationales fait encore moins cas de la jurisprudence de la Cour. On n'a pu constater une reception de cette jurisprudence que dans les cas ou le legislateur s'y etait lui meme adapte ou lorsque la Cour Constitutionnelle (Bundesverfassungsgericht) ou de Cassation (Bundesgerichtshof) se conformaient au point de vue de la Cour. Ceci se produit par bonheur de plus en plus frequemment ces derniers temps. N' ont ete retenues dans cet expose que des decisions de Strasbourg concernant les questions de procedure penale. Parmi les 57 jugements rendus contre l' Allemagne, nous avons choisi d'en etudier 6. Il s'agit de 2 condamnations pour h~gislation non conforme a la Convention, d'une pour pratique juridictionnelle non conforme a la Convention et de 3 cas dans lesquels la pratique nationale a ete confirmee par la Cour et dans lesquels aucune violation de la Convention ne fut constatee. La Convention a valeur en Allemagne de loi federale simple. Les decisions de la Cour n'y ont d'effet qu'indirectement. Le second chapitre envisage les couts d'un traducteur attacbe a une procedure penale. Dans le cas Luedicke u. a., 1978, la Cour a admis une violation de l'art. 6 III, car la partie defenderesse etrangere et condamnee avait du supporter a elle seule les frais d'interpretariat. Le legislateur a reagit deux annees plus tard, en 1980, en modifiant le n. 1904 de la KVGKG 16*
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Resume
(Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz). Les juridictions nationales se sont referees dans les annees suivantes et jusqu'a aujourd'hui au jugement de la Cour et a son argumentation. L'interpretation de l'arret de la CEDH relative a la determination du domaine de protection a conduit a tant de divergences qu'une decision du BGH du 26-01-00 a du mettre fin a cette situation incertaine. Le BGH y suit expressement la vision de la Cour dans le cas Luedicke u. a. Une violation de l' art. 6 III fut de meme constatee par la Cour dans le cas Öztürk (1984). En effet la partie defenderesse, dans le cadre d'une procedure judiciaire irreguliere, devait supporter, en cas de condarnnation, les couts de l'interprete. La Cour a admis dans cette affaire l'application de l'art. 6 III de la Convention contre de l'opinion du gouvernement. Le legislateur, attendant de voir si la Cour n'allait pas changer sa jurisprudence, n'a reagit que 5 annees plus tard, en 1989, en modifiant une nouvelle fois le N. 1904 du KVGKG. Durant ces 5 annees la jurisprudence fut entierement disparate et le plus souvent contraire a la Convention. C'est seulement apres la modification de la loi que les tribunaux ont suivi, sans reserve, l'interpretation de la Cour. La reaction qui a suivi le jugement Pakelli de 1983 est etudiee dans le troisieme chapitre. Ce cas etait un cas d'espece. La Cour constata ici une violation de l' art. 6 III c de la Convention dans la me sure Oll dans le cadre d'une audience au fond en cassation aucun avocat commis d'office ne fut accorde a la partie plaignante: son droit a un proces equitable etait par la meme viole. 11 est difficile de mettre en evidence dans la pratique du BGH une reception de cette decision. Seule une enquete a perrnis d'avoir confirmation que sa jurisprudence se conformait bien a l'art. 6 III c de la Convention. Le 4eme chapitre s'attarde sur 3 decisions de la Cour de 1987, cas Lutz. Englert et Nölkenbockhoff. Elles concernent toutes les trois le probleme de la decision sur les couts apres conclusion d'une procedure sans condarnnation. Elles revetent une certaine importance au regard du principe de presomption d'innocence. La Cour, en etudiant la jurisprudence de la Cour Constitutionnelle allemande, a considere que la pratique allemande respectait bien la Convention. Celui-ci a oriente ensuite sa jurisprudence en se referant aux declarations de la Cour. Dans la pratique juridictionnelle allemande les decisions concernees sont regulierement citees. Les decisions de la Cour sont au contraire a peine prises en compte. La Cour n'apprehende par consequent entierement le probleme de la conforrnite du droit national. La Cour ne profite pas ainsi de la reconnaissance qui lui revient en droit international. La jurisprudence n'est pas directement suivie en Allemagne.
Resume
245
11 n'en n'est pas ainsi de la Suisse qui est de ce point de vue exemplaire. C'est ce qu'a montre l'etude de l'impact de la condamnation de la Suisse dans l'affaire Minelli. Un rang superieur a la loi est reconnu a la Convention. On pourrait par consequent de la meme maniere elever en Allemagne la Convention a un rang plus eleve. Un pas dans cette direction a ete realise dans les decisions de la Cour Constitutionnelle allemande dans le cadre de l'interpretation de la Loi Fondamentale conforrnement a la Convention (konventionskonforme Auslegung) et aux decisions de la Cour. Ceci renforce ainsi la place de la Cour. 11 serait sense aussi de lier davantage les organes allemands directement a la jurisprudence de la Cour, ce que l'on ne peut, considerant les problemes de la pratique allemande apres le jugement Öztürk, que soutenir.
Anhang I. Übersicht über die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik Deutschland Beschwerdeführer/Fall
Beschwerde Datum Nr. des Urteils
Verkeine VerAbdruck in Series/ Reports/EuGRZ urteilung urteilung
x
Wernhoff
2122/64
27.06.1968 A7
König
6232/73
28.06.1978 A 27 =EuGRZ 1978, 406 10.03.1980 A 36-B (zu Art. 50 = EuGRZ 1980, 598 EMRK)
Klass u.a.
5029/71
06.09.1978 A 28 =EuGRZ 1979,278
Luedicke, Belkacem und Ko~
6210/73; 28.11.1978 A29 6877/75; =EuGRZ 1979,34 7132/75 10.03.1980 A 36-A (zu Art. 50 = EuGRZ 1980, 602 EMRK)
Buchholz
7759/77
06.05.1981
Eckle
8130/78
15.07.1982 A 51 =EuGRZ 1983, 371 21.06.1983 A65 (zu Art. 50 = EuGRZ 1983, 553 EMRK)
x
Pakelli
8398/78
25.04.1983 A64 =EuGRZ 1983,344
x
Axen
8273/78
08.12.1983
Öztürk
8544/79
21.02.1984 A 73 =EuGRZ 1985,62 23.10.1984 A 85 (zu Art. 50 = EuGRZ 1985, 144 EMRK)
x
x x
x
A42
=EuGRZ 1981,490
An
x
=EuGRZ 1985, 225 x
I. Übersicht über die Urteile des EGMR gegen die BRD
Beschwerdeführer/Fall
Beschwerde Datum Nr. des Urteils
247
Verkeine VerAbdruck in Series/ Reports/EuGRZ urteilung urteilung
Barthold
8734/79
25.03.1985 A 90 ::: EuGRZ 1985, 170 31.01.1986 A 98-A (zu Art. 50 EMRK)
x
Deume1and
9384/81
29.05.1986 A 100 ::: EuGRZ 1988, 20
x
Glasenapp
9228/80
28.08.1986 A 104 ::: EuGRZ 1986,497
x
Kosiek
9704/82
28.08.1986 A 105 ::: EuGRZ 1986, 509
x
Lutz
9912/82
25.08.1987 A 123-A ::: EuGRZ 1987, 399
x
Englert
10282/83 25.08.1987 A 123-B ::: EuGRZ 1987, 405
x
Nölkenbockhoff 10300/83 25.08.1987 A 123-C ::: EuGRZ 1987,410
x
Colak
9999/82
Bock
11118/84 29.03.1989 A 150
x
06.12.1988 A 147
x x
markt intern 10572/83 20.11.1989 A 165 ::: EuGRZ 1996, 302 Verlag GmbH & Klaus Beermann
x
Stocke
11755/85 19.03.1991 A 199
Megyeri
13770/88 12.05.1992 A 237-A ::: EuGRZ 1992,347
Croissant
13611/88 25.09.1992 A 237-B ::: EuGRZ 1992, 542
x
Hennings
12129/86 16.12.1992 A 251-A ::: EuGRZ 1993,68
x
Niemietz
13710/88 16.12.1992 A 251-B ::: EuGRZ 1993,65
Klaas
15473/89 22.09.1993 A 269 ::: EuGRZ 1994, 106
x
Jacubowski
15088/89 23.06.1994 A 291-A ::: EuGRZ 1996, 306
x
x
x
(Fortsetzung Seite 248)
248
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang l.
Beschwerdeführer/Fall
Beschwerde Datum Nr. des Urteils
VerAbdruck in Series/ keine VerReports/EuGRZ urteilung urteilung
Karlheinz Schmidt
13580/88 18.07.1994 A 291-B = EuGRZ 1995, 392
x
Vogt
17851191 26.09.1995 A 323 = EuGRZ 1995,590 02.09.1996 1996 - IV (No. 14) (friendly settlement)
x
Süßmann
20024/92 16.09.1996 1996 - IV (No. 15) = EuGRZ 1996,514
Pamrnel
17820/91 01.07.1997 1997 - IV (No. 40) = EuGRZ 1997, 310
x
Probstmeier
20950/92 01.07.1997 1997 - IV (No. 40) = EuGRZ 1997, 405
x
K.-F.
25629/94 27.11.1997 1997 - VII (No. 58) = EuGRZ 1998, 129
x
Waite und Kennedy
26083/94 18.02.1999 1999 - I = EuGRZ 1999,207
x
x
Beer and Regan 28934/95 18.02.1999
x
Osteo Deutsch- 26988/95 03.11.1999 land GmbH
x
Gast und Popp
29357/95 25.02.2000
x
Elsholz
25735/94 13.07.2000 EuGRZ 2001,595
x
Klein
33379/96 27.07.2000
x
Garcia Alva
23541194 13.02.2001
x
Lietzow
24479/94 13.02.2001
x
Schöps
25116/94 13.02.2001
x
Streletz, Kessler, Krenz
34044/96; 22.03.2001 35532/98; 44801198
EuGRZ 2001,210
x
K.-H.W.
37201/97 22.03.2001 EuGRZ 2001,219
x
Metzger
37591/97 31.05.2001 EuGRZ 2001, 299
x
Erdem
38321/97 05.07.2001 EuGRZ 2001, 391
x
I. Übersicht über die Urteile des EGMR gegen die BRD
Beschwerdeführer/Fall
Beschwerde Datum Nr. des Urteils
Verkeine VerAbdruck in Series/ urteilung urteilung Reports/EuGRZ
x
Prinz HansAdam 11. von Liechtenstein
42527/98 12.07.2001 EuGRZ 2001, 466
H.T.
38073/97 11.10.2001
Kalantari
51342/99 11.10.2001 EuGRZ 2001, 576
Sahin
30943/96 11.10.2001 EuGRZ 2002, 25
Sommerfeld
31871/96 11.10.2001 EuGRZ 2001, 588
Hoffmann
34045/96 11.10.2001
Mianowicz
42505/98 18.10.2001 EuGRZ 2001, 585
x
Janssen
23959/94 20.12.2001
x
P.S.
33900/96 20.12.2001 EuGRZ 2002, 37
x
Bayrak
27937/95 20.12.2001
x
Kutzner
46544/99 26.02.2002
x
Volkwein
45181/99 04.04.2002
x
Stand der Tabelle: 10.04.2002.
249
x x x
(anhängig vor Großer Kammer)
x
(anhängig vor Großer Kammer)
x
250
Anhang
11. Übersicht über die Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), welche die in dieser Arbeit betrachteten Urteile des EGMR erwähnen 1. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte, die das Urteil des EGMR im Fall Luedicke u. a. erwähnen Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bundesgerichtshof 16.09.80 1 StR 468/80 GA 1981,262 Bundesgerichtshof 14.07.81 1 StR 815/80 BGRSt 30, 182 = NJW 1982, 532 = NStZ 1981,487 = MDR 1981,949 = JR 1982,516 = RPfleger 1981, 395 Bundesgerichtshof 26.10.00 3 StR 6/00
BGRSt 46, 178 = NJW 2001,309 = StrVert 2001, 1= NStZ 2001, 107 = StraFo 2001, 54 = wistra 2001, 107
KG
14.01.88 3 Ws 287/87 RPfleger 1988, 330
KG
12.01.90 4 Ws 122/89 StrVert 1990, 171 = NStZ 1990,402 = NStE Nr. 22 zu Art. 6 MRK
OLG Düsseldorf
10.01.80 1 Ws 831179 NJW 1980,2655 = RPfleger 1980, 161
OLG Düsse1dorf
15.09.80 3 Ws 453179 MDR 1981, 74
OLG Düsseldorf
21.04.82 VI 3179
OLG Düsseldorf
30.11.83 1 Ws 223/83 NStZ 1984, 283 = MDR 1984, 513 = RPfleger 1984, 115 = StrVert 1984, 149 = OLGSt (neu) Art. 6 MRK Nr. 3
OLG Düsseldorf
21.03.85 5 Ws 2/84
OLG Düsseldorf
11.11.85 4 Ws 311/85 MDR 1986, 343 = NStZ 1986, 128 = StrVert 1986,491 = AnwBI. 1986, 107 = JurBüro 1986, 579 = NStE Nr. 1 zu Art. 6 MRK
OLG Düsseldorf
30.09.88 3 Ws 721/88 MDR 1989,668 = StrVert 1992, 362 = NStE Nr. 15 zu Art. 6 MRK
OLG Düsseldorf
23.12.98 1 Ws 810/98 NStZ-RR 1999,215 = StrVert 2000,194
OLG Düsseldorf
29.12.98 3 Ws 631/98 RPfleger 1999,234 = NStZ-RR 1999, (+) 351
OLG Frankfurt a.M.
16.10.79 3 Ws 830179 NJW 1980, 1238 = GA 1980, 149 = MDR 1980,339
OLG Frankfurt a. M.
13.11.80 2 Ws 190/80 NJW 1981,533
StrVert 1982, 361 = NStZ 1982, 339 = AnwBl. 1982, 257
StrVert 1986, 204 = NStZ 1985, 370 = NJW 1985,2097 (LS) = MDR 1985, 608 (LS) = RPfleger 1985, 329 (LS)
11. Entscheidungen deutscher Strafgerichte und Urteile des EGMR
Gericht
Datum
251
Quelle
Aktenzeichen
OLG Frankfurt a. M.
15.11.83 3 Ws 142/83 StrVert 1984,427
OLG Frankfurt a. M.
30.08.85 2 Ws 172/85 StrVert 1986, 24
OLG Frankfurt a. M.
14.01.98 2 Ws 158/97 NStZ-RR 1998, 158
OLGHamm
04.01.94 3 Ws 660/93 StrVert 1994,475
OLGHamm
16.02.99 2 Ws 595/98 NStZ-RR 1999, 158
=StraFo 1999, 177
OLGHamm
10.01.00 2 Ws 351/99 NStZ-RR 2000, 160
OLG Karlsruhe
03.01.00 3 Ws 136/99 NStZ 2000, 276 = StrVert 2000, 193 = RPfleger 2000, 237 = StraFo 2000, 139 = Die Justiz 2000, 90
OLG Koblenz
07.12.95 1 Ws 794/95 StrVert 1997, 429 = StraFo 1996, 182 = NStZ-RR 1996, 159
OLG Köln
20.06.83 2 Ws 310/83 OLGSt (neu) Art. 6 MRK Nr. 2
OLG Köln
05.02.91 2 Ws 580/90 MDR 1992, 72 = RPfleger 1991, 336 NStE Nr. 24 zu Art. 6 MRK
OLG München
12.11.80 2 Ws 1205/80 K
NJW 1981,534 = MDR 1981, 341 RPfleger 1981, 125
OLG München
25.05.82 2 Ws 607/82 K
NJW 1982,2739 = MDR 1982,956 = StrVert 1982, 363 = AnwBl. 1983,221 = RPfleger 1982,397 = OLGSt (neu) Art. 6 MRK Nr. 1
OLG Oldenburg
03.02.82 2 Ws 475/81 JurBüro 1982, 742
OLG Oldenburg
28.10.86 2 Ws 454/86 zitiert nach LG Osnabrück, JurBüro 1991, 718 (719)
OLG Stuttgart
25.09.79 1 Ws 304/79 NJW 1980, 1238
OLG Stuttgart
04.03.81 1 Ws 36/81
=
=
=NdsRpfl. 1982,97
Die Justiz 1981, 217
= NStZ 1981, 225
= RPfleger 1983, 37
OLG Stuttgart
01.10.82 3 Ws 253/82 MDR 1983, 256
OLG Stuttgart
12.09.83 1 Ws 135/83 Die Justiz 1984, 191
OLG Stuttgart
30.11.83 1 Ws 223/83 OLGSt (neu) MRK Art. 6 Nr. 3
OLG Stuttgart
20.06.86 3 Ws 139/86 StrVert 1986, 491
OLG Stuttgart
12.09.94 1 Ws 176/94 Die Justiz 1995,53 = NStE Nr. 35 zu Art. 6 MRK = OLGSt (neu) Art. 6 MRK Nr. 13
OLG Zweibrücken 19.12.79 1 Ws 377/79 NJW 1980,2143
= RPfleger 1980, 398
(Fortsetzung Seite 252)
252
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang 1I. 1.
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
LG Aachen
28.06.96 63 Qs 138/96 StrVert 1997, 404
LG Bamberg
10.06.92 Ks 107 Js 11 154/91
LG Berlin
22.05.79 512 Qs 46/78 AnwBl. 1980, 30
LG Berlin
29.05.90 517 Qs 39/90 NStZ 1990, 449
LG Berlin
26.10.93 517 Qs 107/93
StrVert 1994, 11
LG Bremen
22.01.87 21 Qs 5/87
StrVert 1987, 193
LG Hamburg
23.01.80 (97) Qs 13/80 InfAuslR 1980, 153
LG Hamburg
17.01.85 (90) Ds 12/84 StrVert 1985, 500
LG Hamburg
04.10.89 53 Qs 71/89
StrVert 1990, 16
LG Hamburg
10.01.90 (53) 34/89 KLs
StrVert 1990, 219
LG Hechingen
01.08.79 Qs 126/79
JurBüro 1980, 102
NStZ 1992, 500
LG Heilbronn
02.03.88 3 Qs 680/87
EuGRZ 1991, 185
LG Mainz
18.07.83 3 Qs 33/83
RPfleger 1984, 35
LG Mainz
29.06.95 1 Qs 131/95
MDR 1996,645
LG München I
29.04.82 1 Qs 28/82
AnwBl. 1982,495
LG München I
19.07.85 7 Qs 51/85
JurBüro 1985, 1531
= NStZ-RR 1996,32
LG Nümberg-Fürth 14.01.92 Jug I Qs 1/92 JurBüro 1992,685 LG Oldenburg
05.10.98 1 Qs 96/98
LG Osnabrück
24.10.90 25 Qs 60a/90 JurBüro 1991, 718
LG Stuttgart
05.02.81 VI Qs 34/81
AG BremenBlumenthai
MDR 1980, 519 04.02.80 3c OWi 63 Js (B) 763/79
AG Darmstadt
29.01.93 64 Js 17285/92
wistra 1993, 197
AG Mannheim
10.01.83 270Wi 143/80
StrVert 1983, 146 = EuGRZ 1983, 113
Stand der Tabelle: 10.04.2002.
StrVert 1998, 649 StrVert 1981, 227
= AnwBl.
1980,218
11. Entscheidungen deutscher Strafgerichte und Urteile des EGMR
253
2. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte, welche den Bericht der EKMR im Fall Luedicke u. a. erwähnen Gericht KG
Datum
Aktenzeichen
Quelle
12.01.90 4 Ws 122/89
StrVert 1990, 171 = NStZ 1990,402 NStE Nr. 22 zu Art. 6 MRK NJW 1980,2655
= RPfleger 1980,
=
161
OLG Düsseldorf
10.01.80 1 Ws 831/79
OLG Düsseldorf
18.11.80 2 Ws 839/80 unveröffentlicht; zitiert nach Stenger, S. 49 (Fn. 107)
OLG Düsseldorf
11.11.85 4 Ws 311/85
MDR 1986,343 = NStZ 1986, 128 = StrVert 1986,491 = AnwBl. 1986, 107 = JurBüro 1986, 579 = NStE Nr. 1 zu Art. 6 MRK
OLG Düsseldorf
30.09.88 3 Ws 721/88
MDR 1989,668 = StrVert 1992, 362 NStE Nr. 15 zu Art. 6 MRK
OLG Düsseldorf
23.12.98 1 Ws 810/98
NStZ-RR 1999,215 = StrVert 2000, 194
OLG Düsseldorf
29.12.98 3 Ws 631/98 (+)
RPfleger 1999,234
OLG Frankfurt a. M.
30.08.85 2 Ws 172/85
StrVert 1986, 24
OLGHamm
16.06.78 1 Ws 26/78
YB 22 (1979), 521
OLG München
12.11.80 2 Ws 1205/80 NJW 1981,534 = MDR 1981, 341 RPfleger 1981, 125 K
OLG Stuttgart
20.06.86 3 Ws 139/86
StrVert 1986,491
OLG Zweibrücken 19.12.79 1 Ws 377/79
NJW 1980,2143
LG Ansbach
11.07.79 Qs 36/79 OWi NJW 1979,2484
LG Aschaffenburg 01.02.79 Qs4/79
JurBüro 1979, 1040
LG Bonn
16.08.78 13 Qs 108/78 JurBüro 1978, 1849 VII
LG Bremen
22.01.87 21 Qs 5/87
StrVert 1987, 193
LG Frankfurt a.M. 27.07.78 5/8 Qs 44/78 JurBüro 1978, 1687 LG Hamburg
17.01.85 (90) Ds 12/84 StrVert 1985, 500
AG BerlinTiergarten
09.03.78 214b 146/77
Stand der Tabelle: 10.04.2002.
NJW 1978, 2462
=
=
254
Anhang
3. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte, die das Urteil des EGMR im Fall Öztürk erwähnen Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
KG
14.01.88 3 Ws 287/87
RPfleger 1988, 330
OLG Köln
26.05.87 Ss 310/86
NStZ 1987, 564
LG LG LG LG LG
Ansbach Baden-Baden Bielefeld Düsseldorf FrankenthaI
13.05.86 05.10.88 09.02.88 17.10.84 02.12.86
Qs 74/86 OWi Qs 292/88 Qs 84/88 IV Qs 195/84 I Qs 609/86
LG LG LG LG LG LG
Heilbronn Heilbronn Nürnberg-Fürth Osnabrück Stuttgart Wuppertal
20.01.87 02.03.88 12.11.84 23.01.86 13.12.84 10.11.86
3 Qs 777/86 3 Qs 680/87 3 Qs 298/84 25 Qs 3a/86 12 Qs 306/83 22a Qs 10/86
JurBüro 1986, 1857 JurBüro 1989, 87 JurBüro 1988, 908 JurBüro 1985, 427 JurBüro 1987,570 = RPfleger 1987, 214 StrVert 1987, 192 EuGRZ 1991, 185 (voller Wortlaut) JurBüro 1985, 429 JurBüro 1986, 1224 JurBüro 1985, 1069 JurBüro 1987,402
Stand der Tabelle: 10.04.2002.
4. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), die das Urteil des EGMR im Fall Pakelli erwähnen Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
BVerfG
11.10.85 2 BvR 336/85 EuGRZ 1985, 654 = NJW 1986, 1425 = StrVert 1987, 185 = ZaöRV 46 (1986),289 = HFR 1987,580 = NStE Nr. 2 zu § 359 StPO
BGH
27.10.98 1 StR 631/76
StrVert 1999, 138 = NStZ-RR 1999,176
OLG Düsseldorf
21.03.85 5 Ws 2/84
OLG Stuttgart
13.02.85 1 Ws 19/85
OLG Stuttgart
04.05.99 1 Ws 59/99
OLG Stuttgart
26.10.99 1 Ws 157/99
StrVert 1986, 204 = NStZ 1985,370 = NJW 1985, 297 (LS) = MDR 1985, 608 (LS) = RPfleger 1985, 329 (LS) Die Justiz 1985,177 = MDR 1985, 605 = VRS 68 (1985), 367 = YB 28 (1985), 289 Die Justiz 1999, 382 = NStZ 1999, 587 Die Justiz 2000, 20 = NStZ-RR 2000, 243 = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 13
Stand der Tabelle: 10.04.2002.
11. Entscheidungen deutscher Strafgerichte und Urteile des EGMR
255
5. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkI. BVerfG), welche die Urteile des EGMR in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhojj erwähnen Gericht BVerfG
Datum
Quelle
Aktenzeichen
29.05.90 2 BvR 254/88; BVerfGE 82, 106 =EuGRZ 1990, 329 2 BvR 1343/88 = NJW 1990,2741 = StrVert 1991, 111 = HFR 1990,513 = NStZ 1990, 598 NJW 2000, 1427 = NStZ 2000, 330 = StraFo 2000, 168 = wistra 2000,233 = BGHR StPO § 467 Abs. 3 - Verfahrenshindemis 2
BGH
05.11.99 StB 1/99
OLGHamm OLG Köln
02.10.96 3 Ws 496/96 30.10.90 2 Ws 528/90
NStZ-RR 1997, 127 NJW 1991,506 = StrVert 1991, 115 = MDR 1991, 371 = NStE Nr. 7 zu § 467 StPO
LG Göttingen
15.09.89 1 Qs (OWi) 184/98
NdsRpfl. 1990, 99
Stand der Tabelle: 10.04.2002.
6. Übersicht über Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), die eine oder mehrere der Kommissionsentscheidungen in den Fällen Lutz, Englert sowie Nölkenbockhojj erwähnen Gericht BVerfG
Datum
Quelle
Aktenzeichen
29.05.90 2 BvR 254/88; BVerfGE 82, 106 =EuGRZ 1990,329 2 BvR 1343/88 = NJW 1990, 2741 = StrVert 1991, 111 =HFR 1990, 513 = NStZ 1990, 598
OLGHamm
12.08.85 2 Ws 118/85
OLG Köln
30.10.90 2 Ws 528/90
OLG Zweibrücken
19.08.86 2 Ws 19/86
LG Göttingen 04.06.87 11 Qs (OWi) 186/87 LG Göttingen 15.09.89 1 Qs (OWi) 184/98 Stand der Tabelle: 10.04.2002.
NJW 1986,734 NJW 1991,506 =StrVert 1991, 115 = MDR 1991,371 = NStE Nr. 7 zu § 467 StPO NStZ 1987,425 = StrVert 1987, 161 = NStE Nr. 1 zu § 467 StPO NdsRpfl. 1987,261 NdsRpfl. 1990, 99
256
Anhang
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte (inkl. BVerfG), in denen weitere vom EGMR oder der Europäischen Kommission für Menschenrechte entschiedene Fälle Erwähnung finden Gericht
Datum
Aktenzeichen
BVerfG
05.02.81
2 BvR 646/80
BVerfG
Quelle
Bezugnahme auf Fall
BVerfGE 57, 170 = NJW 1981, 1943 = NStZ 1981, 315
Klass u. a . ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 06. September 1978 (Series A, Vol. 28 = EuGRZ 1979,278)
24.11.83 2 BvR 121/83
NJW 1984,967 = NStZ 1984, 128 = wistra 1984, 60
Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371)
BVerfG
11.10.85 2 BvR 336/85
EuGRZ 1985, 654 = • NJW 1986, 1425 = StrVert 1987, 185 = ZaöRV 46 (1986), 289 = NStE Nr. 2 zu § 359 StPO •
BVerfG
17.11.86 2 BvR 1255/86 NJW 1987, 830 = • MDR 1987,466 = NVwZ 1987,466 (LS) =NStE Nr. 7 zu Art. 6 MRK= YB 29 (1986), 295
De Wilde, Ooms und Versyp ./. Belgien; Urteile des EGMR vom 18. November 1970 und vom 18. Juni 1971 (Series A, Vol. 12) Klass u. a . ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 06. September 1978 (Series A, Vol. 28 = EuGRZ 1979,278) • Marckx ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 13. Juni 1979 (Series A, Vol. 31 = EuGRZ 1979,454) • Silver u. a . ./. Vereinigtes Königreich; Urteil des EGMR vom 25. März 1983 (Series A, Vol. 61 = EuGRZ 1984, 147) Colozza ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985, 631)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
257
Bezugnahme auf Fall • Rubinat .I. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-B = EuGRZ 1985,631)
BVerfG
BVerfG
13.01.87 2 BvR 209/84
BVerfGE 74, 102 = Van der Mussele ./. BelNJW 1988,45 = gien; Urteil des EGMR NStZ 1987,275 = vom 23. November 1983 NStZ 1987, 502 (LS) = (Series A, Vol. 70 = MDR 1987,728 (LS) EuGRZ 1985,477)
26.03.87 2 BvR 589/79, 2BVerfGE 74, 358 = Minelli ./. Schweiz; BvR 740/81, 2 NJW 1987, 2427 = Urteil des EGMR vom BvR 284/85 EuGRZ 1987,203 = 25. März 1983 MDR 1987, 825 = (Series A, Vol. 62 = NStZ 1987,421 = EuGRZ 1983,475) StrVert 1987,325 = NStE Nr. 2 zu § 383 StPO = YB 30 (1987), 287 f. BVerfGE 75, 1 = NJW 1987, 2155
BVerfG
31.03.87 2 BvM 2/86
BVerfG
29.05.90 2 BvR 254/88; BVerfGE 82, 106 = 2 BvR 1343/88 EuGRZ 1990,329 = NJW 1990, 2741 = StrVert 1991, 111 = HFR 1990, 513 = NStZ 1990, 598
Minelli ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 25. März 1983 (Series A, Vol. 62 = EuGRZ 1983,475)
BVerfG
14.11.90 2 BvR 1462/87 BVerfGE 83, 119 = NJW 1991, 1043 = NStZ 1991, 181 = YB 33 (1990), 333
Van der Mussele ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 23. November 1983 (Series A, Vol. 70 = EuGRZ 1985,477)
BVerfG
24.01.91 2 BvR 1704/90 NJW 1991, 1411 = MDR 1991,404 = NStZ 1991, 294 = YB 34 (1991), 404
• Coloua ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985,631) • Rubinat ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-B = EuGRZ 1985,631)
allgemeiner Verweis auf Entscheidungen der EKMR
(Fortsetzung Seite 258) 17 Kieschke
258
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang 111.
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle NJW 1992, 168 = NStZ 1991, 445 = StrVert 1991,449 = BayVBI1992,111
Bezugnahme auf Fall Kostovski ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166)
BVerfG
11.04.91 2 BvR 196/91
BVerfG
19.04.93 2 BvR 1487/90 NJW 1993, 3254 = • Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; (2. Kammer) StrVert 1993, 352 = Urteil des EGMR vom wistra 1993, 219 = EuGRZ 1994, 73 = 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = HFR 1994, 345 = YB 36 (1993), 482 EuGRZ 1983, 371) • Foti u. a . ./. Italien; Urteil vom 10. Dezember 1982 (Series A, Vol. 56 = EuGRZ 1985,578) • Corigliano ./. Italien; Urteil des EGMR vom 10. Dezember 1982 (Series A, Vol. 57 = EuGRZ 1985,585)
BVerfG
11.07.94 2 BvR 777/94
BVerfG
14.07.94 2 BvR 1072/94 NJW 1995, 1277 = HFR 1995, 530 = YB 37 (1994), 556
Bezugnahme auf die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch den EGMR
BVerfG
21.08.96 2 BvR 715/96
NJW 1996,3408 = NStZ 1996, 607
• Kostovski ./. Nieder-
NJW 1994,3219 = NStZ 1994,551 = StrVert 1994, 465 = wistra 1994, 342
allgemeine Erwähnung des EGMR
lande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166) • Entscheidung der EKMR im Fall Unterpertinger./. Österreich
BVerfG
12.01.00 2 BvQ 60/99; NJW 2000, 1480 = 2 BvR 2414/99 NJ 2000, 139
allgemein zur Klassifizierung eines Urteils des EGMR als Wiederaufnahmegrund oder Vollstreckungshemmnis
BVerfG
20.12.00 2 BvR 591100
• Kostovski ./. Nieder-
NJW 2001, 2245
lande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
259
Bezugnahme auf Fall
Quelle
• Windisch ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 27. September 1990 (Series A, Vol. 186) • Asch ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 26. April 1991 (Series A, Vol. 203 = EuGRZ 1992, 474) • Artner ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 28. August 1992 (Series A, Vol. 242-A) • Van Mechelen u. a . ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 23. April 1997 (Series A, 1997-III, No. 36) • Teixeira de Castro ./. Portugal; Urteil des EGMR vom 09. Juni 1998 (Series A, 1998-IV, No. 77 = EuGRZ 1999,660) BGH
20.07.64 AnwSt (B) 4/64 BGHSt 20, 68 = NJW 1964, 2119 = MDR 1964,939
erwähnt Entscheidung der EKMR vom 07. Juli 1959 (Beschwerde Nr.436/58)
BGH
14.07.71 III ZR 181/69
NJW 1971, 1986
Lawless ./. Irland; Urteil des EGMR vom 01. Juli 1961 (Series A, Vol. 3)
BGH
03.02.82 2 StR 374/81
MDR 1982,626 = Deweer ./. Belgien; StrVert 1982, 339 = Urteil des EGMR vom NStZ 1982,291 27. Februar 1980 (Series A, Vol. 35 = EuGRZ 1980, 667)
BGH
03.10.86 2 StR 193/86
BGHSt 34, 184 = NJW 1987,661 = NStZ 1987, 336 = MDR 1987, 158 = RPfleger 1987, 126 YB 29 (1986), 294
(KG)
nimmt auf Entscheidungen der EKMR Bezug
= (Fortsetzung Seite 260)
17*
Anhang
260
Fortsetzung Tabelle Anhang IlI. Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall
BGH
20.01.87
I StR 687/86
StrVert 1987, 243 = NStZ 1987, 232 = JZ 1987, 528 = wistra 1987, 176 = NStE Nr. 5 zu Art. 6 MRK = YB 30 (1987), 287
Eckle./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371)
BGH
06.09.88 I StR 473/88
NJW 1990, 56 = EuGRZ 1988,472 = NStZ 1988, 552 = StrVert 1988, 487 = wistra 1989, 16 = NStE Nr. 13 zu Art. 6 MRK
folgt Auslegung des EGMR bei der Angemessenheit der Verfahrensdauer
BGH
12.04.89 3 StR 453/88
BGHSt 36, 167 = NJW 1989,2760 = StrVert 1989, 388 = MDR 1989, 832 = wistra 1989, 272 = NStE Nr. 78 zu § 244 StPO
Schenk ./. Schweiz, Urteil des EGMR vom 12. Juli 1988 (Series A, Vol. 140 = EuGRZ 1988, 390)
BGH
20.11.90 1 StR 562/90
NJW 1991,646 = StrVert 1991, 100 = MDR 1991, 271 = NStZ 1991, 194 = wistra 1991, 149
Kostovski ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166)
BGH
26.05.92 1 StR 131/92
StrVert 1992,452 = Zimmennann und Steiner wistra 1992, 296 = ./. Schweiz; Urteil des StrVert 1993, 567 EGMR vom 13. Juli 1983 (LS) (Series A, Vol. 66 = EuGRZ 1983, 482)
BGH
05.02.93 2 StR 525/92
NStZ 1993, 292 = • Kostovski ./. Niederlande; Urteil des EGMR StrVert 1993, 171 = wistra 1993, 192 = vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166) YB 36 (1993), 483 • Windisch ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 27. September 1990 (Series A, Vol. 186) • Lüdi ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 15. Juni 1992 (Series A, Vol. 238 = EuGRZ 1992, 300)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
261
Bezugnahme auf Fall
BGH
10.02.93 5 StR 550/92
BGHSt 39, 141 = • Kostovski ./. NiederNJW 1993, 1214 = lande; Urteil des EGMR JZ 1993, 1013 = NStZ vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166) 1993,293 = MDR 1993,565 =wistra • Lüdi ./. Schweiz; Urteil 1993, 190 = YB 36 des EGMR vom 15. Juni 1992 (1993),483 (Series A, Vol. 238 = EuGRZ 1992,300)
BGH
29.04.93 III ZR 3/92
BGHZ 122, 268 = NJW 1993,2927 = MDR 1993, 740 = StrVert 1994, 329 = NStZ 1993,493 = YB 36 (1993), 480 = NVwZ 1994,92 (LS)
BGH
19.08.93 1 StR 433/93
StrVert 1993, 638 wistra 1993, 336
BGH
21.07.94 1 StR 396/94
StrVert 1994, 652 = wistra 1994, 344
Zimmennann und Steiner ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 13. Juli 1983 (Series A, Vol. 66 = EuGRZ 1983, 482)
BGH
06.09.94 5 StR 228/94
StrVert 1994, 653 = wistra 1994, 346
Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371)
BGH
30.01.96 1 StR 624/95
NStZ-RR 1996, 334
Kostovski./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166)
=
• Artico ./. Italien; Urteil
des EGMR vom 13. Mai 1980 (Series A, Vol. 37 = EuGRZ 1980,662) • Megyeri ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237-A = EuGRZ 1992,347) Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371)
(Fortsetzung Seite 262)
262
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang l/f. Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall
BGHSt 42, 139 = NJW 1996, 2940 = NStZ 1998,95 (LS) = JA 1997, 15 = JR 1997, 163 = JZ 1997, 737 = MDR 1996, 1054 = StrVert 1996, 465 = StrVert 1997, 116 (LS) = wistra 1996, 309 = NStZ 1996, 502
Lüdi ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 15. Juni 1992 (Series A, Vol. 238 = EuGRZ 1992, 3(0)
26.06.96 3 StR 199/95
NJW 1996,2739 = NStZ 1996, 506 = BB 1996,2167 = MDR 1996, 1056 = StrVert 1996, 526 = wistra 1996, 314
Zimmennann und Steiner ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 13. Juli 1983 (Series A, Vol. 66 = EuGRZ 1983,482)
BGH
20.05.99 4 StR 201/99
NStZ 1999, 501 = StrVert 1999, 631
Teixeira de Castro ./. Portugal; Urteil des EGMR vom 09. Juni 1998 (Series A, 1998-IV, No. 77 = EuGRZ 1999,660)
BGH
18.11.99 1 StR 221/99
BGHSt 45, 321 = • Kostovski ./. NiederNJW 2000, 1123 = lande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 JZ 2000, 363 = StrVert 2000, 57 = (Series A, Vol. 166) NStZ 2000, 269 = • Windisch ./. Österreich; YB 42 (1999), 519 = Urteil des EGMR vom NJ 2000, 159 (LS) 27. September 1990 (Series A, Vol. 186) • Lüdi ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 15. Juni 1992 (Series A, Vol. 238 = EuGRZ 1992, 3(0) • Doorson ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 26. März 1996 (Series A, Vol. 1996-11, No. 6) • Van Mechelen u. a. ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 23. April 1997 (Series A, Vol. 1997-III, No. 36)
BGH
13.05.96 GSSt 1/96
BGH
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
263
Bezugnahme auf Fall • Teixeira de Castro ./. Portugal; Urteil des EGMR vom 09. Juni 1998 (Series A, 1998-IV, No. 77 = EuGRZ 1999,660)
BGH
11.02.00 3 StR 377/99
NJW 2000, 1661 = • Doorson ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom NStZ 2000, 265 = StrVert 2000, 649 = 26. März 1996 (Series A, Vol. 1996-11, No. 6) StraFo 2000, 162 = NJ 2000, 264 (LS) • Van Mechelen u. a. ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 23. April 1997 (Series A, Vol. 1997-III, No. 36)
BGH
06.04.00 1 StR 502/99
BGHSt 46, 36 = • Artico ./. Italien; Urteil des EGMR vom 13. Mai NJW 2000, 2217 = 1980 (Series A, Vol. 37 StrVert 2000, 418 = NStZ 2000, 530 (LS) = EuGRZ 1980, 662) • Goddi ./. Italien; Urteil des EGMR vom 09. April 1984 (Series A, Vol. 76 = EuGRZ 1985, 234)
BGH
14.07.00 3 StR 454/99
wistra 2000, 459 = DNotZ 2001, 566
erwähnt allgemein, dass EGMR bei Fragen der Dauer eines Strafverfahrens und dem Beschleunigungsgebot Vorgaben macht
BGH
25.07.00 1 StR 169/00
BGHSt 46, 93 = NJW 2000, 3505 = StrVert 2000, 593 = NStZ 2001, 212 = StraFo 2001, 12 = wistra 2000, 466 = JZ 2001, 359
• Unterpertinger ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 24. November 1986 (Series A, Vol. 110 = EuGRZ 1987, 147) • Barbera, Messegue und labardo ./. Spanien; Urteil des EGMR vom 06. Dezember 1988 (Series A, Vol. 146) • Bricmont ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 07. Juli 1989 (Series A, Vol. 158) (Fortsetzung Seite 264)
Anhang
264 Fortsetzung Tabelle Anhang lIf. Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall • Kostovski .I. Niederlande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166) • Windisch ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 27. September 1990 (Series A, Vol. 186) • Delta ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 19. Dezember 1990 (Series A, Vol. 191-A) • fsgro ./. Italien; Urteil des EGMR vom 19. Februar 1991 (Series A, Vol. 194-A) • Cardot ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 19. März 1991 (Series A, Vol. 200 = EuGRZ 1992, 437) • Asch ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 26. April 1991 (Series A, Vol. 203 = EuGRZ 1992,474) • Artner ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 28. August 1992 (Series A, Vol. 242-A) • Sai'di ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 20. September 1993 (Series A, Vol. 261-C) • Doorson ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 26. März 1996 (Series A, Vol. 1996-11, No. 6) • Ferrantelli und Santangelo ./. Italien; Urteil des EGMR vom 07. August 1996 (Series A, Vol. 1996-11I, No. 12)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
265
Bezugnahme auf Fall
BGH
25.10.00 2 StR 232/00
BGHSt 46, 159 = NJW 2001, 1146 = StrVert 2001, 89 = NStZ 2001, 270 = StraFo 2001, 47 = JZ 2001, 1091 = wistra 2001, 98
Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vorn 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983,371)
BGH
24.01.01 3 StR 324/00
BGHSt 46, 266 = NJW 2001, 1658 = NStZ 2001, 386
• Klass u. a. ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vorn 06. September 1978 (Series A, Vol. 28 = EuGRZ 1979, 278) • Lüdi ./. Schweiz; Urteil des EGMR vorn 15. Juni 1992 (Series A, Vol. 238 = EuGRZ 1992, 300) • Niemitz ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vorn 16. Dezember 1992 (Series A, Vol. 251-B = EuGRZ 1993, 65) • Khan ./. Vereinigtes Königreich; Urteil des EGMR vorn 12. Mai 2000 (Beschwerde Nr. 35394/97)
BGH
21.02.01 3 StR 372/00
BGHSt 46, 292 = NJW 2001, 2728 = StraFo 200 1, 317
• Irland ./. Vereinigtes Königreich (Staatenbeschwerde); Urteil des EGMR vorn 18. Januar 1978 (Series A, Vol. 25 =EuGRZ 1979, 149) • Selmouni ./. Frankreich; Urteil des EGMR vorn 28. Juli 1999 (Beschwerde Nr. 25803/94) (Fortsetzung Seite 266)
266
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang llI. Gericht BGH
Datum 30.05.01
Aktenzeichen 1 StR 42/01
Quelle
Bezugnahme auf Fall
=
BGHSt 47, 44 NJW 2001, 2981 = StrVert 2001, 492 = NStZ 2001, 553 NStZ 2002, 50 (LS) = wistra 2001, 431 = StraFo 2001, 378 = BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 S.l - fair trial 4
Teixeira de Castro ./. Portugal; Urteil des EGMR vom 09. Juni 1998 (Series A, 1998-IV, No. 77 = EuGRZ 1999, 660)
BGHSt 47, 100 = NJW 2001, 3060 = NStZ 2001,589 = StraFo 2002, 93 = NJ 2001, 604
• Streletz, Kessler und Krenz ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 22. März 2001 (= EuGRZ 2001, 210) • K.-H. W. ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 22. März 2001 (= EuGRZ 2001, 219)
BGHSt 47, 120 = NJW 2002, 228 = StrVert 2002, 85 = NStZ 2002, 166 = StraFo 2002, 12
• Colozza ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985,631) • F. C. B. ./. Italien; Urteil des EGMR vom 28. August 1991 (Series A, Vol. 208-B = EuGRZ 1992, 539) • T. ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Oktober 1992 (Series A, Vol. 245-C = EuGRZ 1992, 541) • Krombach ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 13. Februar 2001
=
BGH
07.08.01
5 StR 259/01
BGH
16.10.01 4 ARs 4/01
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht BayObLG
Datum
Aktenzeichen
Quelle
267
Bezugnahme auf Fall
27.06.89 RReg. 4 St 34/ BayObLGSt 39 • Eckle ./. BundesrepuNF (1989), 102 = blik Deutschland; Urteil 89 des EGMR vom NStZ 1989,489 = 15. Juli 1982 StrVert 1990, 395 = (Series A, Vol. 51 = wistra 1989, 360 = OLGSt (neu) StPO EuGRZ 1983,371) § 207 Nr. 1 NStE • Zimmermann und Steiner ./. Schweiz; Urteil Nr. 4 zu § 207 StPO des EGMR vom 13. Juli 1983 (Series A, Vol. 66 = EuGRZ 1983,482)
=
BayObLG
29.06.99 4 St RR 133/99 BayObLGSt 50 NF Teixeira de Castro ./. (2000), 122 = StrVert Portugal; Urteil des EGMR 1999, 631 = NStZ-RR vom 09. Juni 1998 1999, 527 (Series A, 1998-IV, No. n = EuGRZ 1999,660)
BayObLG
25.11.99 4 St RR 232/99 BayObLGSt 49 NF Van Geyseghem ./. Bel(1999), 170 = NStZ- gien; Urteil des EGMR RR 2000, 307 = YB vom 21. Januar 1999 42 (1999), 519 (Series A, Vol. 1999-1 = EuGRZ 1999, 9)
KG
14.01.88 3 Ws 287/87
RPfleger 1988,330
• Marckx ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 13. Juni 1979 (Series A, Vol. 31 = EuGRZ 1979,454) • Abdulaziz, Cabales und Balkandali ./. Vereinigtes Königreich; Urteil des EGMR vom 28. Mai 1985 (Series A, Vol. 94 = EuGRZ 1985,567)
KG
01.03.00 5 Ws 58/00
NStZ-RR 2001, 136
Hennings./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 16. Dezember 1992 (Series A, Vol. 251-A = EuGRZ 1993, 68) (Fortsetzung Seite 268)
Anhang
268 Fortsetzung Tabelle Anhang IIl. Gericht KG
Datum
Aktenzeichen
03.08.01 5 Ws 380/01
OLG Celle 12.06.90 1 VAs 4/90
Quelle NStZ-RR 2002, 63
Bezugnahme auf Fall Megyeri ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237A = EuGRZ 1992, 347)
NJW 1990, 2570 = • Pretto u. a. ./. Italien; NStZ 1990, 553 = JZ Urteil des EGMR vom 1990, 1023 = MDR 08. Dezember 1983 1990, 1138 AnwBl. (Series A, Vol. 71 = EuGRZ 1985, 548) 1993, 307 = DVBl. 1990, 1361 • Axen ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 08. Dezember 1983 (Series A, Vol. 72 = EuGRZ 1985,225)
=
OLG Celle 01.08.90 1 Ws 203/90
NdsRpfl. 1990,276 = weist auf Einigung unter MDR 1991,76 Vermittlung der EKMR hin
30.11.83 OLG Düsseldorf
NStZ 1984, 283 = • MDR 1984, 513 = RPfleger 1984, 115 = StrVert 1984, 149 = OLGSt (neu) Art. 6 MRK Nr. 3
1 Ws 223/83
OLG 21.03.85 5 Ws 2/84 Düsseldorf
Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/ 81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.) • Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983, 422 f.)
StrVert 1986, 204 = • Marckx ./. Belgien; Urteil des EGMR vom NStZ 1985,370 = NJW 1985,2097 (LS) 13. Juni 1979 = MDR 1985,608 (Series A, Vol. 31 = (LS) = RPfleger EuGRZ 1979,454) 1985,329 (LS) • Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/ 81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983, 422 f.)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
269
Bezugnahme auf Fall • Häni ./. Bundesrepu-
blik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.)
19.03.86 1 Ws 182/86 OLG Düsseldorf
JZ 1986, 508 = MDR 1986, 958
OLG 13.06.91 3 Ws Düsseldorf 323-325/91
StrVert 1992, 283 = erwähnt allgemein eine NStZ 1992, 131 = bei der EKMR anhängige GA 1992, 135 Beschwerde
OLG 29.01.92 2 Ws 18/92 Düsseldorf
Beschwerde Nr. 12748/87; NJW 1992, 1183 = Entscheidung der EKMR MDR 1992, 691 = NStZ 1992, 300 = YB 35 (1992),450 f.
OLG 29.04.92 1 Ws 369/92 Düsseldorf
StrVert 1993,430 = • König ./. BundesrepuMDR 1992, 1078 = blik Deutschland; Urteil wistra 1992, 311 = des EGMR vom 28. Juni VRS 83 (1992), 334 = 1978 (Series A, Vol. 27 = RPfleger 1992, 493 = EuGRZ 1978, 406) NStE Nr. 27 zu • Eckle ./. Bundesrepublik Art. 6 MRK = Deutschland; Urteil des YB 35 (1992),449 f. EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983,371)
OLG 29.12.94 3 Ws Düsseldorf 684-686/94
StrVert 1995,400
Foti u. a. ./. Italien; Urteil vom 10. Dezember 1982 (Series A, Vol. 56 = EuGRZ 1985, 578)
OLG 07.11.95 4 Ws 267/95 Düsseldorf
NStZ 1996, 152
Megyeri ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237A = EuGRZ 1992,347)
OLG 27.06.96 1 Ws Düsseldorf 448-449/96
MDR 1996, 1059
Zimmermann und Steiner
X ./. Belgien (Beschwerde
Nr. 7628/76); Entscheidung der EKMR über die Zulässigkeit der Beschwerde vom 09. Mai 1977 (= EuGRZ 1977,347)
./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 13. Juli 1983 (Series A, Vol. 66 EuGRZ 1983,482)
=
(Fortsetzung Seite 270)
270
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang 11/. Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall
OLG Frankfurt a. M.
24.04.92 3 VAs 11/92
StrVert 1993, 292
Lamy ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 30. März 1989 (Series A, Vol. 151)
OLG Frankfurt a.M.
10.07.01
3 Ws 656/01
NStZ-RR 2001, 374
• Foucher ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 18. März 1997 (Series A, Vol. 1997-11, No. 33) • Garcia Alva ./. Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2001 • Lietzow ./. Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2001 • Schöps ./. Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2001
OLG Hamburg
15.10.91
2 Ws 296/91
MDR 1992, 396 NStZ 1992, 130
OLG Harnm
12.08.85 2 Ws 118/85
NJW 1986, 734
Minelli ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 25. März 1983 (Series A, Vol. 62 = EuGRZ 1983,475)
OLG Hamm
22.04.88
NJW 1989, 1547 = NStZ 1989,327 = NStE Ne. 2 zu Art. 6 MRK
Bozano ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 18. Dezember 1986 (Series A, Vol. 111 = EuGRZ 1987, 101)
OLG Harnm
10.01.00 2 Ws 351/99
NStZ-RR 2000, 160
• Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.)
11 W 133/87
=
• Kruslin ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 24. April 1990 (Series A, Vol. 176-A) • Huvig ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 24. April 1990 (Series A, Vol. 176-B) • Beschwerde Ne. 12748/ 87; Entscheidung der EKMR
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
271
Bezugnahme auf Fall
• Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.) OLG Hamm
06.02.02 2 Ws 27/02
StrVert 2002, 205
• Lamy ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 30. März 1989 (Series A, Vol. 151) • Garcia Alva./. Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2001 • Lietzow./. Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2001 • Schöps./. Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2001
OLG Karlsruhe
20.01.72 1 Ss 222171
NJW 1972, 1907
Wemhoff ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 27. Juni 1968 (Series A, Vol. 7)
OLG Karlsruhe
21.12.82 1 AK 25/82
MDR 1983,342 = • Coloua ./. Italien; EntNStZ 1983,225 = JR scheidung der EKMR 1984, 214 über die Zulässigkeit der Beschwerde (= EuGRZ 1982,368) • Rubinat ./. Italien; Entscheidung der EKMR über die Zulässigkeit der Beschwerde (= EuGRZ 1982, 368)
OLG Karlsruhe
29.04.86 4 Ws 82/86
Die Justiz 1986, 424 Ringeisen ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 16. Juni 1971 (Series A, Vol. 13)
OLG Karlsruhe
26.06.90 1 AK 22/90
NJW 1990, 2208 = Soering ./. Vereinigtes Königreich; Urteil des NStZ 1991, 138 = YB 33 (1990), 332 f. EGMR vom 07. Juli 1989 (Series A, Vol. 161 = EuGRZ 1989, 314)
(Fortsetzung Seite 272)
272
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang 11/. Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall
OLG Karlsruhe
11.02.93 3 Ws 6/93
MDR 1993,780
OLG Karlsruhe
25.02.97 3 Ws 43/97
StrVert 1997, 314 = Megyeri ./. BundesrepuStraFo 1997, 125 = blik Deutschland; Urteil Die Justiz 1997, 343 des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237A = EuGRZ 1992,347)
OLG Karlsruhe
28.08.98 1 AK 14/98
Die Justiz 1999, 116 • Coloua ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985,631) • Rubinat ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-B = EuGRZ 1985, 631)
OLG Koblenz
13.10.71 1 Ws 34/71
NJW 1972, 404
Wemhoff ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 27. Juni 1968 (Series A, Vol. 7)
OLG Koblenz
12.08.86 1 Ws 22/86
MDR 1987,254 = GA 1987, 367 = OLGSt (neu) StPO § 359 Nr. 2 = YB 29 (1986), 294 = OLGSt (neu) MRK Art. 6 Nr. 5 (LS)
Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371)
OLG Koblenz
24.10.86 1 Ausl. 11/86
MDR 1987,520 = YB 29 (1986), 295
• Coloua ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985,631)
• Beschwerde Nr. 17664/ 91; Entscheidung der EKMR vom 09. Oktober 1991 • S. ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 15871/ 89); Entscheidung der EKMR über die Zulässigkeit der Beschwerde vom 09. Oktober 1991
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
273
Bezugnahme auf Fall
• Rubinat ./. Italien; Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-B = EuGRZ 1985, 631) OLG Koblenz
27.01.87 1 Ss 554/86
Bänisch ./. Österreich; NStZ 1987, 283 = NStE Nr. 6 zu Art. 6 Urteil des EGMR vom MRK 06. Mai 1985 (Series A, Vol. 92 = EuGRZ 1986, 127)
OLG Koblenz
03.01.89 2 Ws 766/88
NStE Nr. 2 zu § 11 GKG
OLG Koblenz
09.01.91
1 Ws 609/90
OLG Köln 02.06.87 15 U 39/87
Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.)
StrVert 1991, 172 = erwähnt Tätigkeit der MDR 1991,659 = EKMR NStZ 1991,253 = YB 34 (1991), 404 NJW 1987, 2682 = erwähnt Praxis der NJW-RR 1987, 1433 EKMR
OLG Köln
16.10.90 2 Ws 487/90
NJW 1991,505 = MDR 1991,367
OLG Köln
30.10.90 2 Ws 528/90
NJW 1991,506 = • Adolf ./. Österreich; Urteil des EGMR vom StrVert 1991, 115 = 26. März 1982 MDR 1991, 371 = NStE Nr. 7 zu § 467 (Series A, Vol. 49 = EuGRZ 1982, 297) StPO • Minelli ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 25. März 1983 (Series A, Vol. 62 = EuGRZ 1983, 475)
OLG Köln 05.02.91 2 Ws 580/90
Beschwerde Nr. 12748/87; Entscheidung der EKMR
MDR 1992,72 = • RPfleger 1991, 336 = NStE Nr. 24 zu Art. 6 MRK
Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 93651 81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.) (Fortsetzung Seite 274)
18 Kieschke
274
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang 1Il.
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall • Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vorn 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.)
OLG Köln 21.02.96 Ss 58/96 [Z]
VRS 91 (1996), 290
Kostovski./. Niederlande; Urteil des EGMR vorn 20. November 1989 (Series A, Vol. 166)
OLG Köln
11.12.98 Ss 528/98
NStZ-RR 1999, 112
• Colozza ./. Italien; Urteil des EGMR vorn 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985,631) • Rubinat ./. Italien; Urteil des EGMR vorn 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-B = EuGRZ 1985,631) • Poitrimol ./. Frankreich; Urteil des EGMR vorn 23. November 1993 (Series A, Vol. 277-A) • Lala ./. Niederlande; Urteil des EGMR vorn 22. September 1994 (Series A, Vol. 297-A) • Lala ./. Niederlande; Bericht der EKMR
OLG Nürnberg
31.07.97 OLG Ausl. 9/97 StrVert 1997,648 = • Colozza ./. Italien; NStZ-RR 1998,94 Urteil des EGMR vorn 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-A = EuGRZ 1985, 631) • Rubinat ./. Italien; Urteil des EGMR vorn 12. Februar 1985 (Series A, Vol. 89-B = EuGRZ 1985,631)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
275
Bezugnahme auf Fall
OLG Oldenburg
20.10.98 Ss 397/98
NStZ 1999, 156
• Poitrimol ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 23. November 1993 (Series A, Vol. 277-A) • Lala ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 22. September 1994 (Series A, Vol. 297-A)
OLG Rostock
18.12.01
StraFo 2002, 85
Croissant ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 25. September 1992 (Series A, Vol. 237-B = EuGRZ 1992, 542)
OLG 09.09.94 VAs 8/94 Saarbrücken
NJW 1995, 1440
Lamy ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 30. März 1989 (Series A, Vol. 151)
OLG Schleswig
22.01.91
NJW 1991, 2303
Beschwerde Nr. 12748/87; Entscheidung der EKMR
OLG Stuttgart
20.11.73 3 Ws 311/73
NJW 1974, 284
Wemhojf./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 27. Juni 1968 (Series A, Vol. 7)
OLG Stuttgart
25.04.84 4 Ws 96/84
Die Justiz 1984, 309 = OLGSt (neu) MRK Art. 6 Nr. 4
• Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/ 81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.) • Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.)
OLG Stuttgart
13.03.93 2 Ws 34/93
MDR 1993,788 = StrVert 1993, 378 = YB 36 (1993), 480
Megyeri ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237A = EuGRZ 1992, 347)
1 Ws 548/01
1 Ws 2/91
(Fortsetzung Seite 276)
18'
Anhang
276 Fortsetzung Tabelle Anhang III.
Gericht OLG Stuttgart
Datum
Aktenzeichen
23.05.00 2 Ws 96/2000
Quelle
Bezugnahme auf Fall
Die Justiz 2000, 346 Megyeri ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237A = EuGRZ 1992, 347)
OLG 13.10.89 I Ws 417/89 Zweibrücken
NJW 1991, 309 = • NStZ 1990, 51 = StrVert 1990, 363 = MDR 1990, 175 = RPfieger 1990, 222 = YB 32 (1989), 329 f.
LGBad Kreuznach
22.06.92 7 Js 8677/87 KLs
NJW 1993, 1725 = • Eckle ./. BundesrepuNVwZ-RR 1993,403 blik Deutschland; Urteil = NStE Nr. 31 zu des EGMR vom Art. 6 MRK = YB 35 15. Juli 1982 (1992), 451 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371) • Foti u. a. ./. Italien; Urteil vom 10. Dezember 1982 (Series A, Vol. 56 = EuGRZ 1985,578) • Corigliano ./. Italien; Urteil des EGMR vom 10. Dezember 1982 (Series A, Vol. 57 = EuGRZ 1985, 585)
LG Darmstadt
28.11.90 18 Js StrVert 1991, 342 5790/90 1 KLs
LG 26.08.87 XII 29/87 Düsseldorf
Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/ 81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.) • Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.)
Kostovski ./. Niederlande; Urteil des EGMR vom 20. November 1989 (Series A, Vol. 166)
NJW 1988,2751 • König ./. Bundesrepu(LS) = NStZ 1988, blik Deutschland; Urteil 427 = NStE Nr. 9 zu des EGMR vom Art. 6 MRK 28. Juni 1978 (Series A, Vol. 27 = EuGRZ 1978, 406)
III. Entscheidungen deutscher Strafgerichte, EGMR und EKMR
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
277
Bezugnahme auf Fall • Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371) • Zimmermann und Steiner ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 13. Juli 1983 (Series A, Vol. 66 = EuGRZ 1983,482)
LG Frankfurt a.M.
05.11.70 2 KLs 6170 (nicht rechtskräftig)
JZ 1971,234
• Wemhoff ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 27. Juni 1968 (Series A, Vol. 7) • Neumeister ./. Österreich; Urteil des EGMR vom 27. Juni 1968 (Series A, Vol. 8) • erwähnt allgemein EKMR
LG Hamburg
02.03.01 329 T 77/00
InfAuslR 200 I, 292
Megyeri ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 12. Mai 1992 (Series A, Vol. 237A = EuGRZ 1992,347)
LG Heilbronn
02.03.88 3 Qs 680/87
EuGRZ 1991, 185
Marckx ./. Belgien; Urteil des EGMR vom 13. Juni 1979 (Series A, Vol. 31 = EuGRZ 1979, 454)
LG Köln
19.05.89 112-4/89
NStZ 1989,442
Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 (Series A, Vol. 51 = EuGRZ 1983, 371)
LG Köln
04.10.99 109-7/94
StraFo 2000, 173
• Foti u. a. ./. Italien; Urteil vom 10. Dezember 1982 (Series A, Vol. 56 = EuGRZ 1985,578) (Fortsetzung Seite 278)
278
Anhang
Fortsetzung Tabelle Anhang III.
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
Bezugnahme auf Fall • Zimmermann und Steiner ./. Schweiz; Urteil des EGMR vom 13. Juli 1983 (Series A, Vol. 66 = EuGRZ 1983,482)
LG Krefeld 18.05.71 6 c StK 8/67
JZ 1971, 733
Wemhoff ./. Bundesrepublik Deutschland; Urteil des EGMR vom 27. Juni 1968 (Series A, Vol. 7)
LG Mainz
18.07.83 3 Qs 33/83
RPfleger 1984, 35
• Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9365/ 81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28,229/232 = EuGRZ 1983,422 f.) • Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.)
LG Mainz
18.08.89 34 VRs 7066/8 RPfleger 1990,40 = • Janusziak ./. Bundesrepublik Deutschland (Be(+) NStE Nr. 19 zu Art. 6 MRK schwerde Nr. 9365/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (DR 28, 229/232 = EuGRZ 1983,422 f.) • Häni ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde Nr. 9394/81); Entscheidung der EKMR vom 06. Mai 1982 (EuGRZ 1983,422 f.)
LG Mainz
22.10.98 1 Qs 225/98
LG 04.09.00 1 Qs 169/00 Ravensburg
NJW 1999, 1271 = NStZ 1999, 313 (LS) = wistra 1999, 235 = JuS 2000, 287 (LS)
Foucher ./. Frankreich; Urteil des EGMR vom 18. März 1997 (Series A, Vol. 1997-11, No. 33)
NStZ-RR 2001, 115
erwähnt EGMR allgemein wegen Wiederaufnahme nach Verletzung derMRK
IV. Auszüge aus der neuen Schweizerischen Bundesverfassung (1999)
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Quelle
279
Bezugnahme auf Fall
=
AG Kirchhain
28.02.92 6 Js 671.9/92
MDR 1992, 799 NVwZ 1992, 815 (LS)
AG Mannheim
10.01.83 270Wi 143/80
StrVert 1983, 146 = Adolf./. Österreich; Urteil des EGMR EuGRZ 1983, 113 vom 26. März 1982 (Series A, Vol. 49 = EuGRZ 1982, 297)
erwähnt den Umstand, dass die Auffassung des Vorprüfungsausschusses vor dem EGMR keinen Bestand hätte
Stand der Tabelle: 01.05.2002.
IV. Auszüge aus der neuen Schweizerischen Bundesverfassung von 1999 [Stand: 26. Oktober 1999] Art. 1 Schweizerische Eidgenossenschaft
Das Schweizervolk und die Kantone Zürich, Bem, Luzem, Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothum, Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf und Jura bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft. Art. 3 Kantone
Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind. Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handeins 1
Grundlage und Schranke staatlichen Handeins ist das Recht.
2
Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3
Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4
Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
280
Anhang
Art. 32 Strafverfahren 1
Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2
Jede angeklagte Person hat Anspruch darauf, möglichst rasch und urnfassend über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, die ihr zustehenden Verteidigungsrechte geltend zu machen.
3
Jede verurteilte Person hat das Recht, das Urteil vor einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen das Bundesgericht als einzige Instanz urteilt. Art. 54 Auswärtige Angelegenheiten
1
Die auswärtigen Angelegenheiten sind Sache des Bundes.
2
Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.
3
Er nimmt Rücksicht auf die Zuständigkeiten der Kantone und wahrt ihre Interessen. Art. 123 Strafrecht
1
Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts ist Sache des Bundes.
2
Der Bund kann den Kantonen Beiträge gewähren: a. für die Errichtung von Anstalten; b. für Verbesserungen im Straf- und Maßnahmenvollzug; c. an Einrichtungen, die erzieherische Maßnahmen an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vollziehen.
3
Für die Organisation der Gerichte, das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung in Strafsachen sind die Kantone zuständig. Art. 174 Bundesrat
Der Bundesrat ist die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes.
IV. Auszüge aus der neuen Schweizerischen Bundesverfassung (1999)
281
Art. 184 Beziehungen zum Ausland 1
Der Bundesrat besorgt die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung; er vertritt die Schweiz nach aussen.
2
Er unterzeichnet die Verträge und ratifiziert sie. Er unterbreitet sie der Bundesversammlung zur Genehmigung.
3
Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen. Verordnungen sind zu befristen. Art. 188 Stellung des Bundesgerichts
1
Das Bundesgericht ist die oberste rechtsprechende Behörde des Bundes.
2
Das Gesetz bestimmt die Organisation und das Verfahren.
3
Das Bundesgericht bestellt seine Verwaltung.
4
Bei der Wahl der Richterinnen und der Richter des Bundesgerichts nimmt die Bundesversammlung auf eine Vertretung der Amtssprachen Rücksicht. Art. 189 Verfassungsgerichtsbarkeit
1
Das Bundesgericht beurteilt: a. Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte; b. Beschwerden wegen Verletzung der Gemeindeautonomie und anderer Garantien der Kantone zu Gunsten öffentlichrechtlicher Körperschaften; c. Beschwerden wegen Verletzung von Staatsverträgen oder von Verträgen der Kantone; d. öffentlichrechtliche Streitigkeiten zwischen Bund und Kantonen oder zwischen Kantonen.
2
Das Gesetz kann bestimmte Fälle anderen Bundesbehörden zur Entscheidung zuweisen. Art. 191 Maßgebendes Recht
Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden maßgebend.
Literaturverzeichnis Vorbemerkung: Bei der Verwendung verschiedener Auflagen desgleichen Werkes wird die jeweils benutzte Auflage in Klammern dem Namen des Autors angefügt; so wird beispielsweise die 32. Auflage des StPO-Kommentars von Kleinknecht zitiert als: Kleinknecht (32), § Rn.
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