Die Rechtmäßigkeit von UNO-Wirtschaftssanktionen in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung: Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates am Beispiel der Maßnahmen gegen den Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien [1 ed.] 9783428501021, 9783428101023


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Die Rechtmäßigkeit von UNO-Wirtschaftssanktionen in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung: Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates am Beispiel der Maßnahmen gegen den Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien [1 ed.]
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DOROTHEE STARCK

Die Rechtmäßigkeit von UNO-Wirtschaftssanktionen in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

Schriften zum Völkerrecht

Band 139

Die Rechtmäßigkeit von UNO-Wirtschaftssanktionen in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates am Beispiel der Maßnahmen gegen den Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien

Von Dorothee Starck

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Mitteln des Paul-Reuter-Fonds, verwaltet vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, Genf

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Starck, Dorotbee:

Die Rechtmäßigkeit von UNO-Wirtschaftssanktionen in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung: Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates am Beispiel der Maßnahmen gegen den Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien I von Dorothee Starck. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 139) Zug\.: Düsseldorf, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-10102-2

D61 Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-10102-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Die Arbeit wurde im Sommer 1998 fertiggestellt und lag im September 1998 der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Dissertation vor. Nachfolgende Entwicklungen und später erschienenes Schrifttum konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Manfred Kulessa, dem ich 1995 bei der Erstellung der UN-Auftragsstudie "The Impact of UN Sanctions on Humanitarian Assistance Activities" helfen durfte. Dieser erste Kontakt mit der Sanktionsproblematik motivierte mich zu der vorliegenden Untersuchung, bei der mir Herr Dr. Kulessa durch zahlreiche Anregungen und der Überlassung einer Fülle von Materialien zur Seite stand. Zu danken habe ich weiterhin Prof. Dr. Dr. Juliane Kokott und Prof. Dr. Michael Sachs für die Erstattung des Erst- bzw. des Zweitgutachtens. Herzlich bedanken möchte ich mich auch beim Evangelischen Studienwerk Villigst e.V., dessen materielle und ideelle Förderung mich durch die gesamte Zeit von Studium und Promotion begleitete. Dem Paul-Reuter-Fonds des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Genf danke ich für die großzügige Übernahme sämtlicher Druckkosten. Ich widme die Arbeit meinen Eltern, die mit mir die Höhen und Tiefen der Promotionsjahre durchlebten und deren Freundschaft und Fürsorge ein steter Rückhalt für mich sind. San Jose, im Februar 2000

Karen Dorothee Starck

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ......................................................... 21 I. Aktuelle Diskussion um den UN-Sicherheitsrat und Einordnung der vorliegenden Problematik ........................................ 21 II. Rechtliche und politische Grundlagen kollektiver Wirtschaftssanktionen ............................................................ 24 III. Fragestellung und Gang der Untersuchung ......................... 30 B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen .............. I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen ........... 1. Völkerbund ................................................. 2. Nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen in der Praxis des UN-Sicherheitsrates ................................................... a) Südrhodesien ............................................ b) Südafrika .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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d) Ehemaliges Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. e) Somalia ................................................. f) Liberia.................................................. g) Libyen .................................................. h) Haiti.................................................... i) Angola.................................................. j) Rwanda................................................. k) Sudan................................................... 1) Sierra Leone ............................................. 3. Zusammenfassung der Praxis des Sicherheitsrates ............... II. Die Ziele der UN-Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Rechtlicher Rahmen und Praxis des Sicherheitsrates ............. 2. Maßgeblichkeit einzelstaatlicher Ziele, Problem der ,,hidden agenda" .................................................... 3. Relevanz weiterer nicht ausdrücklich erklärter Zielsetzungen. . . . .. a) Abschreckung anderer Staaten ............................. b) Symbolische Mißbilligung des Verhaltens des Zielstaates . . . . .. c) Beschwichtigung interner Forderungen in den Mitgliedstaaten . d) Vorstufe zu militärischen Maßnahmen ...................... e) Bestrafung............................................... aa) Vorbeugung ......................................... bb) Vergeltung .......................................... 4. Ergebnis....................................................

44 52 53 53 55 56 57 58 59 60 62 63

36 37 37

c) Irak..................................................... 38

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8

Inhaltsverzeichnis III. Die Wirkungsweise der Sanktionen ............................... 1. Wirtschaftliche Wirksamkeit .................................. a) Effizienz: Umsetzung der Sanktionen durch die ON-Mitgliedstaaten .................................................. b) Effektivität: wirtschaftliche Auswirkungen im Zielstaat ....... 2. Politische Wirksamkeit ....................................... a) Die Funktionsweise von Sanktionen im allgemeinen .......... b) Der Ansatz des Sicherheitsrates ............................ IV. Die Sanktionsausschüsse: Verwaltung der Sanktionen auf der Ebene der ON ........................................................ 1. Grundlagen ................................................. 2. Mandat..................................................... 3. Das Verfahren bei humanitären Ausnahmegenehmigungen ........ a) Verfahrensgrundsätze ..................................... aa) Einzelfallentscheidung ................................ bb) Geheimhaltung ...................................... cc) Konsensentscheidung ................................. b) Verfahrensarten ..........................................

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C. Die Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung des Zielstaates............................................................. 98 Darstellung der Auswirkungen an den Beispielen der Sanktionen gegen den Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien ...................... 1. Unmittelbare Auswirkungen der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Inhaltliche Betrachtung der Genehmigungspraxis der Sanktionsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Strukturelle Probleme für humanitäre Hilfsaktionen ........... 2. Die Veränderung der ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Lage in den Zielstaaten von umfassenden Wirtschaftssanktionen ... a) Das Beispiel des Irak ..................................... aa) Die wirtschaftliche Lage .............................. bb) Die soziale und gesundheitliche Lage .................. cc) Die gesellschaftliche Lage ............................ b) Das Beispiel der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) ............................................. aa) Die wirtschaftliche Lage .............................. bb) Die soziale und gesundheitliche Lage .................. cc) Die gesellschaftliche Lage ............................ c) Zusammenfassung ........................................ 11. Die Verantwortlichkeit der UNO für die Auswirkungen .............. 1. Kausalität der Sanktionen ..................................... 2. Die Sanktionen als eigene Handlungen der ONO ................ 3. Verhältnis zur Verantwortung der Regierung des Zielstaates ....... 111. Ergebnis .......................................................

I.

98 99 99 103 106 106 106 109 113 113 113 117 119 120 121 121 125 127 134

Inhaltsverzeichnis

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D. Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates ...................... 135 Anerkennung rechtlicher Grenzen in der Sanktionspraxis des Sicherheitsrates? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Begrenzung der Kompetenzen des Sicherheitsrates nach der UNCharta ......................................................... 1. Bindung des Sicherheitsrates an die Charta ..................... 2. Reichweite der Untersuchung ................................. 3. Die Ziele und Grundsätze der UNO als Begrenzungen der Kompetenzen des Sicherheitsrates gern. Art. 24 Abs. 2 S. 1 UNC ........ a) Art. 24 Abs. 2 S. 1 UNC als Beschränkung der Kompetenzen des Sicherheitsrates ...................................... . b) ,,ziele und Grundsätze" gern. Art. 24 Abs. 2 S. lUNC ....... c) Bindung an das allgemeine Völkerrecht gern. Art. 1 Abs. 1 UNC .................................................... d) Der Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker gern. Art. 1 Abs. 2 UNC ........................ e) Zielbestimmungen gern. Art. 1 Abs. 3 UNC ................. aa) Lösung internationaler Probleme gern. Art. 1 Abs. 3, 1. Hs. UNC ............................................ bb) Menschenrechte und Grundfreiheiten gern. Art. 1 Abs. 3, 2. Hs. UNC ......................................... (1) Beschränkende Wirkung .......................... (2) Auslegung des Begriffs "Menschenrechte und Grundfreiheiten" ....................................... (a) Bezug auf die Menschenrechte ................. (b) Bezug auf das humanitäre Völkerrecht .......... (3) Zwischenergebnis ................................ f) Verhältnis der Zielbestimmungen des Art. 1 zueinander ....... aa) Weite Definition des ,,Friedens" i.S.d. Art. 1 Abs. 1 UNC bb) Systematische Auslegung ............................. cc) Ausweitung des Friedensbegriffes durch die Praxis des Sicherheitsrates? ..................................... dd) Hierarchie zwischen den Zielbestimmungen? ............ (1) Vorrang des Art. 1 Abs. 1 ......................... (2) Für die Gleichrangigkeit der Ziele des Art. 1 ........ (3) Eigene Stellungnahme und Ergebnis ................ 4. Der Grundsatz von Treu und Glauben und das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranken aus der UN-Charta .. . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Treu und Glauben .................................. :..... b) Verhältnismäßigkeitsprinzip .. . . . .. . .. .. . .. . . . .. . . . . .. . .. . . . c) Reichweite der Bindungswirkung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verhältnismäßigkeitsprinzipes .......... 5. Grenzen aus Art. 103 UNC ...................................

I.

135 139 139 140 141 141 143 145 147 150 152 154 154 155 155 156 160 161 161 162 163 169 169 171 172 175 175 177 180 183

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Inhaltsverzeichnis III. Bindung der UNO an das allgemeine Völkergewohnheitsrecht unabhängig von der UN-Charta ....................................... I. Bindungswirkung des Völkergewohnheitsrechtes für alle Völkerrechtssubjekte ............................................... a) Darstellung der Meinung ................................. . b) Adressatenlosigkeit des Völkergewohnheitsrechtes? ........... c) Zur Aussagekraft der Lehre über die Völkerrechtssubjekte .... 2. Bindung internationaler Organisationen nach den für "unbeteiligte" Staaten entwickelten Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bindung von an der Übung unbeteiligten Völkerrechtssubjekten ..................................................... aa) Grundsätze der Bindung stillschweigender Staaten ....... bb) Reichweite der Bindungswirkung ...................... cc) Anwendung der Lehre auf internationale Organisationen .. (1) Bindung an allgemeines Völkergewohnheitsrecht ..... (2) Begrenzte Anwendung des acquiescence-Konzepts ... b) Bindung von neu entstandenen Völkerrechtssubjekten ........ aa) Bindung auf der Grundlage einer Gesamtrechtsnachfolge . bb) Bindung wegen grundsätzlich universeller Wirkung des Völkergewohnheitsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bindung wegen fehlenden Protestes .................... dd) Bindung aufgrund einer Zustimmungsfiktion ............ ee) Die These von der vorgegebenen Rechtsordnung ......... ff) Zwischenergebnis.................................... c) Ergebnis ................................................ 3. Analoge Anwendung der Gewohnheitsrechtssätze ................ 4. Bindung der UNO wegen fehlender Rechtsetzungskompetenz .... . a) Darstellung der Meinung .................................. b) Kompetenz der UNO zur Mitwirkung an der Erzeugung von Völkergewohnheitsrecht .................................. . aa) Eigenständigkeit der UNO ............................ bb) Einfluß auf das zwischenstaatliche Recht ............... (1) Mittelbare Beeinflussung des zwischenstaatlichen Gewohnheitsrechtes ................................. (2) Rechtsetzung nach Kapitel VII der UN-Charta ....... (3) Zwischenergebnis ................................ cc) Gleichgeordnete Mitgestaltung des Völkerrechts durch die UNO ............................................... c) Verhältnis von Normsetzung zu Normgebundenheit ........... 5. Verhältnis der Bindung von Staaten zur Bindung der von ihnen geschaffenen internationalen Organisationen .................... a) Übertragung der die Staaten bindenden Normen .............. b) Grenzen der Handlungsfreiheit der Staaten .................. c) Wirkung der Beschränkungen ..............................

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Inhaltsverzeichnis

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aa) Grundsätzliche Erwägungen ........................... bb) Sonderrolle des jus cogens ............................ d) Ergebnis ................................................ IV. Ergebnis .......................................................

221 222 226 226

E. Beschränkungen in Hinsicht auf Wirtschaftssanktionen .............. . I. Grenzen der UN-Wirtschaftssanktionen aus dem humanitären Völkerrecht .......................................................... I. Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf Wirtschaftssanktionen ...................................................... a) Bewertung wirtschaftlicher Sanktionen als kriegerische Mitteil Recht der Blockade und der Belagerung .................... aa) Untersuchung der wirtschaftlichen Sanktionen nach Art. 41 UNe ............................................... bb) Untersuchung militärisch durchgesetzter Wirtschaftssanktionen .............................................. b) Sanktionen im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes: Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts ....................... aa) Sachlicher Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts ............................................... bb) Analoge Anwendung des humanitären Völkerrechtes ..... c) Sanktionen außerhalb eines bewaffneten Konfliktes: Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts ....................... d) Die UNO als Adressatin des humanitären Völkerrechts ....... e) Bestimmung der anwendbaren Regeln des humanitären Völkerrechts ................................................... aa) Recht des internationalen oder des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts? ............................... bb) Jus cogens im humanitären Völkerrecht ................. (1) Rechtsquellen des für die UNO maßgeblichen jus cogens .......................................... (a) Genfer Konventionen ......................... (aa) Vertragsrecht ............................ (bb) Gewohnheitsrecht ....................... (b) Zusatzprotokoll I ............................. (aa) Vertragsrecht ............................ (bb) Gewohnheitsrecht ....................... (2) Feststellung der zwingenden Regeln des humanitären Völkerrechts .................................... . f) Ergebnis ................................................ 2. Rechtliche Grenzen für UNO-Wirtschaftssanktionen ............. a) Der Grundsatz der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilpersonen ............................................ b) Das Verbot unterschiedsloser Angriffe und die Regelung ziviler Kollateralschäden ........................................

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Inhaltsverzeichnis c) Das Verbot der übermäßige Leiden verursachenden Waffen und Kriegsmittel ............................................. d) Das Verbot der Kollektivstrafen ............................ e) Das Verbot des Aushungerns von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung ........................................ aa) Völkergewohnheitsrecht? ............................. (1) Untersuchung des Art. 54 ZP I . . .. . . .. . .. . . .. . . . . . . (a) Der "fundamentally law-creating character" ..... (b) Verhältnis zum Recht der Seeblockade .......... (2) Opinio iuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Staatenpraxis ........ ; ........................... (4) Ergebnis ........................................ bb) Zwingendes Recht? .................................. cc) Analoge Anwendung auf Wirtschaftssanktionen ......... (1) Grundsätzliches Verbot des Aushungerns der Zivilbevölkerung i. S. v. Art. 54 Abs. 1 ZP I ............... (a) Analoge Anwendbarkeit auf Wirtschaftssanktionen ......................................... (aa) Objektiver Tatbestand .................... (bb) Subjektiver Tatbestand ................... (b) Anwendung auf die Sanktionsfälle der Bundesrepublik Jugoslawien und des Irak ............... (aa) Das Beispiel der Bundesrepublik Jugoslawien ................................... (bb) Das Beispiel des Irak .................... (0:) Objektiver Tatbestand ................ (ß) Subjektiver Tatbestand ............... (cc) Ergebnis ............................... (2) Verbot des Angriffs auf lebenswichtige Objekte i. S. v. Art. 54 Abs. 2 ZP I . .. .. .. .. . . .. . . .. . .. . . .. .. . . . . . (a) Objektiver Tatbestand ......................... (aa) Ähnlichkeit der Handlungsweise .......... (bb) Geschützte Objekte ..................... . (0:) Grundregel .......................... (ß) Einschränkung nach Art. 54 Abs. 3 ZP I (0:0:) Einschränkung i. S. v. Art. 54 Abs. 3 lit. a) ZP I ..................... (ßß) Einschränkung nach Art. 54 Abs. 3 lit b) ZP I ...................... (b) Subjektiver Tatbestand ........................ (c) Anwendung auf die Sanktionsfälle des Irak und der Bundesrepublik Jugoslawien ............... dd) Ergebnis ............................................

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Inhaltsverzeichnis t) Regeln in Hinsicht auf den Durchlaß von Gütern für humani-

täre Zwecke ............................................. aa) Regelungen für nicht besetzte Gebiete .................. (I) Verpflichtung zum freien Durchlaß humanitärer Güter nach Art. 23 GK IV .............................. (a) Bindungswirkung der Norm für den Sicherheitsrat (b) Untersuchung des Tatbestandes ................ (c) Übertragung auf UN-Wirtschaftssanktionen ...... (2) Das Recht humanitärer Hilfsaktionen nach Art. 70 ZP I (a) Geltung als Völkergewohnheitsrecht ............ (aa) Der "fundamentally law-creating character" . (bb) Opinio iuris ............................. (ce) Staatenpraxis ........................... (dd) Ergebnis ............................... (b) Geltung als zwingendes Recht ................. (c) Übertragung auf UN-Wirtschaftssanktionen . . . . . . (3) Untersuchung der Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und den Irak ..................... (a) Das Beispiel der Bundesrepublik Jugoslawien .... (b) Das Beispiel des Irak ......................... bb) Regelungen für besetzte Gebiete ....................... (I) Feststellung der maßgeblichen Regeln .............. (2) Verbindlichkeit des Art. 59 GK IV für den Sicherheitsrat .............................................. (3) Übertragung auf UN-Wirtschaftssanktionen .......... (4) Untersuchung der Sanktionen gegen den Irak in Hinsicht auf ihre Auswirkungen auf das besetzte Kuwait . 3. Ergebnis .................................................... H. Grenzen der UN-Wirtschaftssanktionen aus den Menschenrechten .... I. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Menschenrechten auf Wirtschaftssanktionen ........................................ a) Jus cogens im Bereich der Menschenrechte .................. aa) Quellen des jus cogens im Bereich der Menschenrechte .. bb) Kriterien für die Feststellung zwingender Menschenrechte . (I) Orientierung an der "Bedeutung" der Menschenrechte . (2) Objektive Kriterien .............................. . (a) Vertragliche Einschränkungen .................. (b) Schutz von Menschenrechten durch das humanitäre Völkerrecht .............................. (c) Strafbewehrung von Menschenrechtsverletzungen . (d) Zusammenfassung und Bewertung der gefundenen Kriterien .................................... b) Erforderliche Erheblichkeit von Menschenrechtsverletzungen ..

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Inhaltsverzeichnis 2. Rechtliche Grenzen der UNO-Wirtschaftssanktionen aus den Menschenrechten im einzelnen ................................... . a) Das Recht auf Leben ..................................... aa) Jus-cogens-Charakter ................................ . bb) Anwendung auf UNO-Wirtschaftssanktionen ............ (1) Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf das Leben der Menschen im Zielstaat .................. (2) Bestimmung des Schutzbereiches des Rechts auf Leben ........................................... (a) Schutz vor unmittelbaren Tötungshandlungen .... (b) Das Problem der mittelbaren Auswirkungen der Sanktionen .................................. (aa) Weite Auslegung des Rechtes auf Leben? .. (bb) Eigene Bewertung ....................... (c) Ergebnis .................................... (3) Das Tatbestandsmerkrnal der Willkür ............... (a) Die Regelung der Todesstrafe .................. (b) Die Rechtmäßigkeit von staatlichen Tötungshandlungen im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Eingriffe in das Recht auf Leben ......................... . (4) Ergebnis ........................................ cc) Untersuchung der Sanktionen gegen den Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien .............................. b) Soziale Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Nahrung und das Recht auf medizinische Versorgung ................. c) Das Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gleichheitsrechte und Diskriminierungsverbote .............. e) Recht auf humanitäre Hilfeleistung? ........................ 3. Ergebnis ................. : .................................. 111. Grenzen der UNO-Wirtschaftssanktionen aus den sog. Gruppenrechten 1. Das Verbot des Völkermordes ................................. a) Jus-cogens-Charakter ..................................... b) Völkermord durch UN-Sanktionen? ......................... aa) Tathandlungen ....................................... bb) Nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als Adressatin der Tathandlungen ......................... cc) Absicht zur Zerstörung der Gruppe ..................... c) Förderung und Nicht-Verhinderung fremden Völkermordes durch UN-Sanktionen .................................... . aa) Teilnahme am Völkermord ............................ bb) Verstoß gegen eine pflicht zur Verhinderung von Völkermord ...............................................

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Inhaltsverzeichnis

15

2. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ........................ 387 3. Ergebnis .................................................... 391 F. Abschließende Bemerkungen ......................... '" .......... , . I. Zusammenfassung und Systematisierung der gefundenen Ergebnisse .. 11. Strukturelle Folgerungen für die UN-Sanktionsregime ............... I. Auswirkungen auf die Regelung humanitärer Ausnahmebestimmungen ........................................................ 2. Die Reaktionsflihigkeit auf mittelbare schädliche Folgen der Sanktionen ...................................................... III. Ausblick auf die Folgen der Unrechtmäßigkeit von Aktionen des Sicherheitsrates und denkbare Kontrollmechanismen ................ 1. Kontrolle durch den Internationalen Gerichtshof .. . . . . . . . . . . . . . . . a) Prozessuale Möglichkeiten ................................ b) Einwände gegen eine Kontrollfunktion des IGH .............. c) Bewertung ............................................... 2. Möglichkeiten der Einflußnahme für Generalversammlung und Generalsekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generalversammlung ..................................... b) Generalsekretär .......................................... 3. Überprüfungskompetenz der Einzelstaaten ...................... 4. Selbstkontrolle des Sicherheitsrates ............................ IV. Politische Bewertung und Schlußbetrachtung .......................

392 392 394 395 400 404 405 406 407 410 411 411 414 415 418 419

Literaturverzeichnis .................................................. . 426 Sachwortverzeichnis ................................................... 474

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.E. abgedr. Abs. Abt. AdG AEMR AfCRMV AFSC allg. M. AmMRK Art. Aufl. ausf. Bd. bes. BGBL BGH BRJ bzw. ca. d.h. dass. Def. dems. dens. ders. DHA dies. Dig. Diss. diss.op. Doc. Docs. dt. EA

anderer Ansicht am Ende abgedruckt Absatz Abteilung Archiv der Gegenwart Allgemeine Erklärung der Menschenrechte v. 10. 12. 1948 Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker v. 27.6. 1981 American Friends Service Committee allgemeine Meinung Amerikanische Konvention der Menschenrechte v. 22. 11. 1969 Artikel Auflage ausführlich Band besonders Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) beziehungsweise circa das heißt dasselbe Definition demselben denselben derselbe Department for Humanitarian Affairs dieselbe, dieselben Corpus Juris Civilis, Digesten Dissertation dissenting opinion Document Documents deutsch, deutsche Europa-Archiv

Abkürzungsverzeichnis ECOSOC ECOWAS EG EGMR EGV EMRK eng\. EU EuGH

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EuZW evt. f./ff. FAO

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Fn. FR FS gern. ggf. GKI GK 11 GK III GKIV h.M. Halbs. Hervorh. Hrsg. i. d. R. i.e.S. i.S.d. i.S.e. i.S. v. i.V.m. IAEA ICFY ICJ Rep. 2 Starck

17

(UN) Economic and Social Council Economic Community of West African States Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften v. 25. 3. 1957 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 11. 1950 englisch, englische Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Vertrag über die Europäische Union v. 7. 2. 1992 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell, eventuelle, eventueller folgende (UN) Food and Agriculture Organization Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote, Fußnoten Frankfurter Rundschau Festschrift gemäß gegebenenfalls Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde v. 12. 8. 1949 Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See v. 12. 8. 1949 Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen v. 12. 8. 1949 Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten v. 12. 8. 1949 herrschende Meinung, herrschender Meinung Halbsatz Hervorhebung Herausgeber in der Regel im engen Sinne im Sinne des, im Sinne der im Sinne einer im Sinne von in Verbindung mit International Atomic Energy Agency International Conference on the Former Yugoslavia International Court of Justice, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders

18 IGH IKRK ILC Inst. IPBPR IPWSKR jew. kcal lit. LKO m.w.N. NATO

NGO

No. Nr. Nm. NZZ o. OAS OSCE OSZE o.V. para. Res. Rn. s. S. s.o. s.u. sep.op. Sero sog. sog. StIGH Suppl.

u.

u.a. u.ä. u.U. UN UNC

Abkürzungsverzeichnis Internationaler Gerichtshof Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Commission Instalment Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte v. 19. 12. 1966 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechtev. 19. 12. 1966 jeweils Kilokalorie litera Haager Landkriegsordnung v. 18. 10. 1907 mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization non-governmental organization number Nummer Nummern Neue Zürcher Zeitung oder Organization of American States Organization on Security and Cooperation in Europe Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ohne Verfasser paragraph Resolution Randnummer siehe Seite, Seiten siehe oben siehe unten separate opinion Series sogenannter, sogenannte sogenannter, sogenanntes, sogenannte Ständiger Internationaler Gerichtshof Supplement und unter anderem, und andere und ähnliche, und ähnliches unter Umständen United Nations Charta der Vereinten Nationen v. 26. 6. 1945

Abkürzungsverzeichnis UNCIO UNGCI UNHCR UNICEF UNITA UNO UNPROFOR UNSCOM

v.

v.Chr. Verf. vgl. VN Vol. WEU WFP WHO WVRÜ YB YBILC z.B. z.T. zit. ZP I ZP 11 zugl.

19

Uni ted Nations Conference on International Organization United Nations Guards Contingent in Iraq Office of the United Nations High Commissioner for Refugees United Nations Childrens' Emergency Fund Uniäo para la Independencia Total de Angola United Nations Organization United Nations Protection Force United Nations Special Commission von, vom vor Christus Verfasserin vergleiche Vereinte Nationen Volume Westeuropäische Union World Food Program World Health Organisation Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23. 5. 1969 Yearbook Yearbook of the International Law Commission zum Beispiel zum Teil zitiert Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) v. 8. 6. 1977 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll 11) v. 8. 6. 1977 zugleich

Abgekürzt zitierte Literaturangaben sind im Literaturverzeichnis mit vollständigem Titel wiedergegeben.

A. Einleitung I. Aktuelle Diskussion um den UN-Sicherheitsrat und Einordnung der vorliegenden Problematik Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit zusammenhängenden Ende der Blockadepolitik des Kalten Krieges hat der UN-Sicherheitsrat seit Anfang der neunziger Jahre eine neue Handlungsfähigkeit gewonnen, die sich in einer vorher nicht gekannten Dichte von Resolutionen, präsidentiellen Stellungnahmen und Empfehlungen in bezug auf eine Vielzahl unterschiedlicher Konflikte äußert. Auch und gerade das siebte Kapitel der UN-Charta, nach dem dem Sicherheitsrat die Befugnis zum Beschluß von Zwangsmaßnahmen zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen ist, wurde in verschiedenen Fällen angewandt und erlangte so zumindest vordergründig einen Teil der ihm von den UN-Gründern zugedachten zentralen Bedeutung für die Ordnung des internationalen Zusammenlebens I . Mit der neu erfahrenen Aktivität des Sicherheitsrates wuchs jedoch auch die Kritik an seiner Rolle und Tätigkeit. Politisch steht dabei derzeit die Reform des Rates im Zentrum des Interesses, die eine gerechtere Repräsentation aller Weltregionen zum Ziel hat und den Staaten zudem einen Anlaß bietet, die durch das Vetorecht hervorgehobene Rolle der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder und die als dominierend empfundene Stellung der reichen Industriestaaten, vor allem der USA, neu zu überdenken 2 . Die rechtliche Diskussion knüpft hingegen vor allem an das Tätigwerden des Rates nach Kapitel VII der UN-Charta an. Sie konzentriert sich hier auf zwei eng miteinander zusammenhängende Fragestellungen, die der IGHRichter Shahabuddeen im Jahre 1992 wie folgt zusammenfaßte: "Are there any limits to the Security Council's powers of appreciation? ... If there are I Vgl. zur Entwicklung des Systems der kollektiven Friedenssicherung in den letzten Jahren Bauer, Effektivität und Legitimität; Fink, Kollektive Friedenssicherung. 2 Einen Überblick bieten Winkelmann, MPYBUNL I (1997), S. 35ff., u. Russet/ O'Neill/Sutterlin, Global Governance 2 (1996), S. 65ff. Kritisch zum deutschen Wunsch nach ständiger Mitgliedschaft Debiel/Thomas, Natürlicher Anwärter oder drängelnder Kandidat?, S. 28ff. Umfassende Nachweise im Internet unter ,.http:// www.globalpolicy.org!security!reform!index.htm...

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A. Einleitung

any limits, what are those limits and what body, if other than the Security Council, is competent to say what those limits are?,,3 Die Rolle des Sicherheitsrates und sein Selbstverständnis im Rahmen des UN-Systems werden durch den dezidiert politischen Charakter der ihm nach Art. 24 Abs. 1 UNC übertragenen Aufgabe, dem Tragen der Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, geprägt. Dem entspricht, daß das Vetorecht der ständigen Mitglieder4 - also eine formal-verfahrenstechnische Voraussetzung für die Beschlußfassung durch den Sicherheitsrat - z. T. bis heute als einziges bzw. einzig wirksames Regulativ für die Ausübung dieses Mandates angesehen wird 5 • Dieser Ansatz wurde allerdings durch die Klagen Libyens6 und BosnienHerzegovinas7 vor dem Internationalen Gerichtshof in den Jahren 1992 bzw. 1993 in Frage gestellt. Ohne daß die Vereinten Nationen oder der Sicherheitsrat selbst Parteien dieser Verfahren waren, wurde vom IGH in heiden Fällen implizit die Feststellung der Unrechtmäßigkeit von Sanktionsentscheidungen des Sicherheitsrates verlangt. Der Gerichtshof selbst befaßte sich zwar im Ergebnis nicht mit dieser Fragestellung; gleichwohl wurde durch die Verfahren eine grundlegende Debatte um die Möglichkeit einer Rechtskontrolle des Handeins des Sicherheitsrates durch den IGH sowie - weitergehend - um den "Verfassungscharakter" der UN-Charta8 und die hieraus folgenden Konsequenzen ausgelöst9 • Ein verfassungsförmiges System gerichtlicher Rechtskontrolle setzt jedoch die Existenz objektivSeparate opinion im Fall Libyen v. Großbritannien, ICJ Rep. 1992, S. 33. S. Art. 27 Abs. 3, I. Halbs. UN-Charta - Zu der dem Veto zugedachten Funktion bei Gründung der Vereinten Nationen vgl. Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 208, m. w. N. , So wohl Reisman, AJIL 87 (1993), S. 83 ff., der in Anbetracht der mit dem Ende des Kalten Krieges verminderten Konfrontation eine neue Diskussion über die "Verfassung" der UNO für erforderlich hält. 6 S. Case Conceming Questions of Interpretation of the 1971 Montreal Convention Arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, ICJ Rep. 1992, S. 3 ff. - Ein in Antrag, Gerichtsentscheidung und abweichenden Meinungen identisches Verfahren wurde gegen die USA durchgeführt, s. ICJ Rep. 1992, S. 114ff.; im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird jedoch jeweils nur aus dem Verfahren gegen Großbritannien zitiert. 1 S. Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia (Serbia and Montenegro», Provisional Measures, Order of 8 April 1993, ICJ Rep. 1993, S. 3 ff., und Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia (Serbia and Montenegro», Provisional Measures, Order of 13 September 1993, ICJ Rep. 1993, S. 325 ff. B S. Herdegen, VandITL 27 (1994), S. 135ff.; Reisman, AJIL 87 (1993), S. 83ff. 3

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I. Aktuelle Diskussion um den UN-Sicherheitsrat

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inhaltlicher und damit einer externen Kontrolle zugänglicher Maßstäbe voraus. Es stellt sich damit gleichzeitig die Frage der materiellrechtlichen Bindung des Sicherheitsrates, auch und gerade bei einem Handeln zur Friedenssicherung. Die völkerrechtliche Diskussion knüpft bei der Behandlung dieses Problems in besonderem Maße an die Feststellung einer Friedensbedrohung nach Art. 39 der UN-Charta durch den Sicherheitsrat an, die Voraussetzung für ein weiteres Tätigwerden des Rates nach dem siebten Kapitel der Charta ist 10. Ein anderer Schwerpunkt der Auseinandersetzung liegt in der Kompetenz des Rates zum Beschluß bestimmter Maßnahmen, wie etwa der Einrichtung internationaler Straftribunale I I oder der Ennächtigung der Mitgliedstaaten zu militärischen Aktionen 12. Schließlich wird immer wieder auch auf die mögliche Verletzung von Grundsätzen des humanitären Völkerrechtes und der Menschenrechte durch die Auswirkungen von UN-Wirtschaftssanktionen hingewiesen, ohne daß die mit dieser Frage verbundenen Probleme allerdings im einzelnen untersucht worden wären 13. Mit der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, diese Lücke zu füllen. Ihren Gegenstand bildet somit die Analyse eines spezifischen Ausschnittes aus dem Rechtsfolgeennessen des Sicherheitsrates im Rahmen seines Tätigwerdens nach dem siebten Kapitel der UN-Charta: die Frage seiner Bindung an rechtliche Grundsätze in Anbetracht der Auswirkungen wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen auf die Zivilbevölkerung des Zielstaates. Bewußt soll dabei nicht die prozessuale Durchsetzbarkeit Ausgangspunkt der Untersuchung der materiellrechtlichen Grenzen der Kompetenzen des 9 Vgl. aus der Fülle der einschlägigen Literatur die ausführlichen Abhandlungen von Bedjaoui, The New World Order, und Manenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle, sowie die Aufsätze von Doehring, MPYUNL 1 (1997), S. 91 ff.; Bedjaoui, FS Rigaux, S. 69ff.; Herdegen, VandITL 27 (1994), S. 135ff.; Watson, HarvlLJ 34 (1993), S. lff.; Alvarez, AJIL 90 (1996), S. lff.; Franck, AJIL 86 (1992), S. 519ff.; Gowlland-Debbas, AJIL 88 (1994), S. 643ff. 10 Vgl. hierzu Dupuy, FS Bemhardt, S. 4lff.; Franck, The Security Council and "Threats to the Peace"; Kooijmans, The Enlargement of the Concept "Threat to the Peace";. Freudenschuß, AustrJPIL 46 (1993), S. 1 ff.; Herdegen, FS Bemhardt, S. 103ff.; Schilling, AVR 33 (1995), S. 67ff.; Delbrück, VRÜ 1993, S. 6ff.; lpsen, VN 1992, S. 4lff. 11 Vgl. hierzu die in B., Fn. 99 genannten Nachweise. 12 Vgl. Böhmer, Die Ermächtigung zu militärischer Gewaltanwendung durch den Sicherheitsrat; Freudenschuß, EJIL 5 (1994), S. 492ff. 13 Vgl. z.B. bei Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle, S. 281 f.; Gowlland-Debbas, ICLQ 43 (1994), S. 9lff.; Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 223f. - Köchler, TUFkYIR 22 (1992), S. 11, u. ders., Ethische Aspekte der Sanktionen, S. 16f., erklärt die Zurückhaltung der konventionellen Völkerrechtswissenschaft in bezug auf diese Fragen mit einer Scheu vor der Beschäftigung mit dem "Tabu" der Machtpolitik.

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Sicherheitsrates sein. Trotz der Vorteile, die eine solche Perspektive bietet 14 , verstellt sie leicht den Blick auf die Vielfalt dezentraler Durchsetzungs- und Sanktionierungsmechanismen, die gerade für das Völkerrecht unablässige Funktionsvoraussetzung sind. Für die Etablierung rechtlicher Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates ist nicht unbedingt eine bindende Entscheidung des IGH erforderlich (deren Tenor in Anbetracht der Unsicherheit in bezug auf die rechtlichen Folgen von Ultra-vires-Handlungen internationaler Organisationen im übrigen auch keineswegs vorherzusehen wäre 15 ); es sei insofern nur an die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten der Generalversammlung, des Generalsekretärs, der Einzelstaaten oder auch der Mitglieder des Sicherheitsrates, die ihre Entscheidungen an rechtlichen Kriterien ausrichten und damit ein Bewußtsein für die rechtliche Bindung des Rates schaffen können, erinnert 16 . Außer acht gelassen wird weiterhin die Frage, inwieweit der Sicherheitsrat in den konkret zu untersuchenden Fällen überhaupt berechtigt war, Sanktionen nach Kapitel VII der UN-Charta zu beschließen, d. h. inwieweit für seine Befugnis zur Feststellung einer Bedrohung oder eines Bruches des Friedens nach Art. 39 UNC inhaltliche Grenzen bestehen. Ebenso, wie es für die faktischen Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung unerheblich ist, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für ihre Verhängung vorliegen, müssen auch etwaige Beschränkungen des auf diese Auswirkungen bezogenen Rechtsfolgeermessens des Sicherheitsrates diesen unabhängig von den Grenzen seines Beurteilungsspielraums auf der Tatbestandsseite des Art. 39 UNC treffen. Schließlich muß auch nicht auf die grundsätzliche Berechtigung des Rates zur Wahl der Zwangsmaßnahme "Wirtschaftssanktion" eingegangen werden: Art. 41 UNC liefert insofern eine klare rechtliche Grundlage, die die Zulässigkeit von Wirtschafts sanktionen dem Streit entzieht.

ß. Rechtliche und politische Grundlagen kollektiver Wirtschaftssanktionen Wirtschaftliche Sanktionen nach Art. 41 der UN-Charta stellen im System der kollektiven Friedenssicherung der UN-Charta eines der Mittel dar, derer sich der Sicherheitsrat zur Durchsetzung seiner Entscheidungen zur Wahrung des Weltfriedens bedienen kann. Voraussetzung für sein Tätigwerden nach diesem Artikel ist die vorherige - implizite oder ausdrückliche - Feststellung nach Art. 39 UNC, daß eine "Bedrohung oder ein Bruch des 14

IS 16

Dazu Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle, S. 27 f. Vgl. lAuterpacht, FS McNair, S. 88ff. S. dazu unten unter F. 3.

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Friedens oder eine Angriffshandlung,,17 vorliegt. Gern. Art. 39, 2. Halbs. UNC kann der Rat sodann Empfehlungen abgeben oder Beschlüsse über Maßnahmen nach Art. 41 oder 42 UNC fassen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hä1t 18 . Letztere Entscheidungen sind gern. Art. 25 und 48 UNCharta für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verbindlich, d. h. diese trifft eine völkerrechtliche Pflicht zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen in ihr nationales Rechtssystem, die gern. Art. 103 UNC gegenüber ihren sonstigen Verpflichtungen Vorrang genießt 19. Der Begriff der "Sanktionen" oder "Wirtschaftssanktionen" ist in Art. 41 der UN-Charta nicht enthalten; er findet sich auch an keiner anderen Stelle in der Charta2o. Im völkerrechtlichen Sprachgebrauch wird mit "Sanktion" im allgemeinen eine Zwangsmaßnahme bezeichnet, mit der ein Völkerrechtssubjekt auf das Verhalten eines anderen Völkerrechtssubjektes reagiert 21 . Im Rahmen des UN-Systems ist insofern vor allem die Reaktion des Sicherheitsrates auf ein friedensstörendes Verhalten nach Kapitel VII der UN-Charta gemeint. Verbindendes und kennzeichnendes Merkmal der Maßnahmen, zu deren Beschluß der Sicherheitsrat durch Art. 41 ermächtigt wird, ist das Fehlen von Waffengewalt 22 . Nach dem Wortlaut der Norm hat der Sicherheitsrat ein umfassendes Ermessen zur verbindlichen Entscheidung über alle Maßnahmen, die dieses Kriterium erfüllen und die er subjektiv für geeignet hält, die festgestellte Störung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu beheben. Die Aufzählung verschiedener Zwangsmaßnahmen, die sich in Art. 41 S. 2 findet, ist demgemäß nur beispielhaft und nicht erschöpfend23 ; dies wird auch durch die einleitende Formulierung "These [measures] may include ... ,,24 deutlich. Der Sicherheitsrat hat diesen durch 17 Art. 39 lautet im englischen Urtext: "The Security Council shall determine the existence of any threat to the peace, breach of the peace, or act of aggression and shall make recommendations, or decide what measures shall be taken in accordance with Articles 41 and 42, to maintain or restore international peace and security." 18 Zur leicht mißverständlichen Formulierung des Art. 41 UNC vgl. unten B. H. I., S. 63. 19 Im einzelnen dazu unter D. 11. 4. 20 Lapidoth, AVR 30 (1992), S. 114, führt dies auf den mit dem Begriff der Sanktion konnotierten Strafcharakter von Maßnahmen zurück. 21 S. Kauffmann, in: Creifelds Rechtswörterbuch, S. 1059. Zu weiteren Definitionsansätzen vgl. die Nachweise bei Doxey, International Sanctions, S. 7ff. 22 Art. 41 S. I, l. Halbs. UNC lautet im englischen Urtext: "The Security Couneil may decide what measures not involving the use of armed force are to be employed to give effect to its decisions, ..... , Hervorhebung von der Verf. 23 S. Frowein, in Simma, Art. 41 Rn. 9 m.w.N. 24 Hervorhebung von der Verf.

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A. Einleitung

Art. 41 UNe gewährten Ermessensspielraum in der Vergangenheit auch genutzt; auffälligstes Beispiel hierfür ist die - freilich nicht unumstrittene Errichtung zweier internationaler Ad-hoc-Strafgerichtshöfe auf der Grundlage dieser Norm. Sanktionen mit einem Bezug zu den wirtschaftlichen Außenkontakten des Zielstaates sind jedoch weiterhin als Hauptanwendungsfall der "nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen" gemäß Art. 41 UNe zu sehen. Ausdrücklich benennt Art. 41 S. 2 UNe in diesem Zusammenhang die "vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, Seeund Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten" als denkbare Maßnahmen. Die Aufzählung macht bereits deutlich, daß dem Sicherheitsrat eine Vielzahl von unterschiedlichen Maßnahmen zur Verfügung stehen, die unmittelbar an Wirtschaftstätigkeiten anknüpfen oder die insofern, als nicht die Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen per se beschlossen wird, zumindest in einem engen Bezug hierzu stehen. Die Begrifflichkeiten, die zur Benennung und Analyse dieser verschiedenartigen Maßnahmen verwendet werden, weichen allerdings innerhalb der Literatur voneinander ab25 . In der vorliegenden Arbeit26 wird "Embargo" als das Verbot der Ausfuhr von Rohstoffen und Erzeugnissen in den Zielstaat der Sanktionen definiert. "Boykott" meint hingegen die Unterbrechung der Einfuhr von Gütern, die ihren Ursprung in dem sanktionierten Staat haben. Mit dem Terminus "Wirtschaftssanktionen" werden alle kollektiven nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen mit einem Bezug zu wirtschaftlichen Tätigkeiten, d. h. insbesondere auch ein Verbot der Erbringung von Dienstleistungen oder Restriktionen in bezug auf Transport, Verkehr und Kommunikation, nicht jedoch Einschränkungen etwa des diplomatischen, sportlichen, wissenschaftlichen oder kulturellen Austausches, bezeichnet. Mit dem Begriff der "umfassenden Wirtschaftssanktionen" schließlich ist die vom Grundsatz her vollständige außenwirtschaftliehe Isolierung eines bestimmten Zielstaates gemeint, die insbesondere durch ein umfassendes Embargo und einen umfassenden Boykott, flankiert vom Verbot der Gewährung von Dienstleistungen und Restriktionen des internationalen Finanzflusses, hervorgerufen wird. Wie bereits erwähnt, vermag der Sicherheitsrat seine Entscheidungen über die Verhängung von wirtschaftlichen und anderen nichtmilitärischen 25 Besonders der Begriff des Embargo wird oft in der gleichen umfassenden Bedeutung wie der der Wirtschaftssanktionen eingesetzt; vgl. z. B. die Definition bei Bohr, EJIL 4 (1993), S. 256. Allgemein zu dieser Problematik Burdeau, Les Consequences de la Crise du Golfe, S. 438 ff. 26 Wie hier differenzieren Grün/eid, The Impact of Sanctions, S. 4; Combacau, Le pouvoir de sanction, S. 272; Canizares, L'embargo en question, S. 2; Smeets, JWT 1990, S. 105.

H. Grundlagen kollektiver Wirtschafts sanktionen

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Zwangsmaßnahmen selbst nicht umzusetzen. Seine Beschlüsse sind als Handlungsanweisungen für die Mitgliedstaaten der UNO formuliert, die gern. Art. 25 und 48 der UN-Charta zur Implementierung der Entscheidungen verpflichtet sind. In bezug auf die "Erfüllungsrate" dieser Verpflichtung kann festgestellt werden, daß die jeweils angestrebte Unterbrechung der wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Kontakte mit dem Zielstaat der Sanktionen auf der Ebene des Rechtes der Einzelstaaten regelmäßig in einem hohen Maße gelingt, wenn auch die Interpretation der maßgeblichen Sicherheitsratsresolutionen und die legislative Technik der Umsetzung sich von Land zu Land unterscheiden 27 • Innerhalb der Europäischen Union wurden die vom Sicherheitsrat beschlossenen Wirtschaftssanktionen seit 198228 bis zum 1. 11. 1993 jeweils nach einem intergouvernementalen Beschluß im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) durch gemeinschaftliche Maßnahmen, i. d. R. Verordnungen, auf der Grundlage des Art. 113 EGV umgesetzt 29 . Diese Praxis wurde durch die durch 27 S. Burdeau, Les Consequences de la crise du Golfe, S. 448 ff. Vorschläge zur Verbesserung der einheitlichen Umsetzung der Sanktionen, insbesondere durch Erarbeitung eines für die innerstaatliche Adaptierung geeigneten "model law", finden sich bei Burci, ILSA JICL 2 (1996), S. 579ff.; Carver, ASIL Proc. 1991, S. 183; Scott, RomJIA 3 (1997), S. 103; Camegie Commission on Preventing Deadly Conflict, Final Report, S. 54; Stremlau, Sharpening International Sanctions, S. 51, 59f. Beispielhafte Darstellungen der Umsetzungsbemühungen für verschiedene Länder finden sich bei Joyner, VirgJIL 32 (1991), S. l.8ff. (USA, Großbritannien, Sowjetunion, Frankreich, Japan, Türkei, Polen); Yarrow, US Legal Authority for Imposing Sanctions, ders., Office of Foreign Assets Control (Treasury), ders., The Commerce Department, ders., The State Department's Role and Concerns (USA); Hoffman, ASIL Proc. 1995, S. 341 (USA); Kawagishi, ASIL Proc. 1995, S. 348ff. (Japan); Guillaume, La crise du Golfe, S. 293ff. (Frankreich); Jansen, HuV-I 1995, S. 211 f. (Niederlande); lAuterpacht/Greenwood/Weller/Bethlehem, The Kuwait Crisis: Basic Documents, S. 202 ff. (Großbritannien, USA, EG); Bethlehem, The Kuwait Crisis: Sanctions, S. 13 ff. (verschiedene Staaten); Fox/Wickremasinghe, ICLQ 42 (1993), S. 951ff. (EG, Großbritannien). Ein offener Verstoß gegen die Verpflichtungen war vor allem im Falle Jordaniens zu verzeichnen, das den Ölhandel mit dem Irak mit dem Argument der Aufrechnung gegen irakische Schulden aus der Vergangenheit aufrechterhielt. Der Sanktionsausschuß akzeptierte diese Praxis stillschweigend, s. Dowty, EA 1994, S. 319. 28 Den Wendepunkt in diesem Jahr stellten die gemeinschaftlichen Sanktionen gegen die UdSSR und gegen Argentinien dar, vgl. Stein, Die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, S. 24ff.; Sturma, RMCUE 1993, S. 253f. 29 S. Bohr, EJIL 4 (1993), S. 258ff. In bezug auf die Eignung des Art. 113 EGV als Rechtsgrundlage für Wirtschaftssanktionen standen sich die Ansichten der sog. Instrumentalisten und der sog. Finalisten gegenüber: Während erstere in den Vordergrund stellten, daß es sich bei den Sanktionen um Mittel der Handelspolitik handelte und von daher eine Kompetenz der EG bestehen müsse, betonten letztere die außenpolitische Zielsetzung der Maßnahmen und folgerten hieraus eine Zuständigkeit der Einzelstaaten. Zu diesem - allerdings durch die Praxis und die Ergänzung des EGV durch den Maastrichter Vertrag im wesentlichen belanglos gewordenen -

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A. Einleitung

den Maastrichter Vertrag neu in den EGV eingefügten Art. 228 a EGV (umfassende Kompetenz für Wirtschaftssanktionen) bzw. 73 g EGV (Kompetenz für Maßnahmen auf dem Gebiet des Kapital- und Finanzverkehrs) verbindlich festgeschrieben 3o . Für sicherheitsrelevante Fragen, insbesondere Waffenembargos, besteht eine subsidiäre Kompetenz der Einzelstaaten fort 31 • Die Einzelstaaten erlassen im übrigen z. T. noch eigene Rechtsakte, die die Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen regeln 32 ; diese sind allerdings insoweit, als sie inhaltsgleich zu den unmittelbar anwendbaren Verordnungen der EG sind, lediglich als deklaratorisch zu bewerten33 • Für die Attraktivität von UN-Wirtschaftssanktionen als Instrument der internationalen Politik spricht eine Reihe vön Argumenten34 : Durch ihre weltweit einheitliche Geltung haben sie eine weitaus größere Schlagkraft als Maßnahmen, die von einzelnen Staaten oder Staatengruppen auf freiwilliger Basis verhängt werden. Auch ihre Legitimität ist durch die Verankerung in einem System der kollektiven Sicherheit höher einzuschätzen als bei unilateralen Sanktionen. Schließlich spricht das Wesen Streit s. Meng, ZaöRV 42 (1982), S. 792ff.; Marauhn, ZaöRV 54 (1994), S. 782ff.; Dürr, Economy Fachmagazin 1993, S. 2oof.; Kuijper, European Economic Community, S. 59ff. Zur Rechtsprechung des EuGH in bezug auf die Umsetzung von UN-Sanktionsbeschlüssen vgl. KokottlConrads, AJIL 91 (1997), S. 722ff. 30 Nach Art. 228 a EGV ist für einen Sanktionsbeschluß der EG zunächst eine Entscheidung der Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erforderlich, namentlich die Festlegung eines gemeinsamen Standpunktes gern. Art. J.2 Abs. 2 EUV oder die Annahme einer Gemeinsamen Aktion gern. Art. J.3 Abs. I EUV. Der Rat beschließt daraufhin auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit. Zu den mit dieser Regelung verbundenen völker- und europarechtlichen Problemen vgl. Röuinger, in Lenz, Art. 228 a, Rn. 2ff.; Stein, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, S. 38ff.; Dürr, Economy-Fachmagazin 1993, S. 203ff.; Klein, AVR 30 (1992), S. 108ff.; Krenzier, Die Handelspolitik der EG, S. Q 48ff.; Bohr, EJIL 4 (1993), S. 262ff. 31 Vgl. Art. 223 EGV. Dazu Dürr, Economy-Fachmagazin 1993, S. 202f.; Gilsdorf, RMCUE 1994, S. 19; Neumann, ztZ 1993, S. 312. Die Umsetzung von UNWaffenembargos geschieht in Deutschland administrativ durch Nichtgenehmigung aufgrund von § 6 Abs. 3 Ziff. 2 Kriegswaffenkontrollgesetz und §§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 und 34 Abs. 2 Ziff. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes, s. Eitel, Auswirkungen von Entscheidungen des Sicherheitsrates, S. Q 19 m. w. N. 32 In Deutschland durch die jeweilige Ergänzung des Kapitel VII der Außenwirtschaftsverordnung vom 18. 12. 1986, s. Eitel, Auswirkungen von Entscheidungen des Sicherheitsrates, S. Q 19; Epping, HuV-I 1995, S. 213. 33 BGH v. 27. 1. 1994, abgedr. in EuZW 1994, S. 219ff.; LG Bonn, abgedr. in EuZW 1992, S. 445; Frowein, Regionale Sicherheitssysteme, S. Q 30ff.; Häde, BayVBI. 1991, S. 486f.; a.A. Ress, EuZW 1994, S. 223; MestmäckerlEngel, Das Embargo gegen Irak und Kuwait, S. 75 ff. 34 Vgl. dazu auch WeisslCortrightlLopezlMinear, Overview, S. 15f.; Reismanl Stevick, EJIL 9 (1998), S. 93 f.

11. Grundlagen kollektiver Wirtschaftssanktionen

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wirtschaftlicher Sanktionen selbst für ihre Beliebtheit als Instrument der Friedenssicherung: Einerseits stehen sie als Zwangsmaßnahmen oberhalb der Stufe der bloßen Diplomatie und stellen ein äußerst scharfes Zeichen der Mißbilligung der Politik des Zielstaates dar, andererseits verbleiben sie dabei gerade unter der Schwelle der Anwendung militärischer Gewalt und ermöglichen der Völkergemeinschaft ein entschiedenes kollektives Handeln ohne die mit einem Militärschlag verbundenen materiellen und ideellen Opfer. Vor dem Hintergrund dieser Vorzüge ist auch in der Zukunft eine Inanspruchnahme des Instrumentariums nichtmilitärischer Sanktionen zu erwarten; zum Teil wird sogar ihr präventiver Einsatz in Erwägung gezogen35 . Der politische Erfolg von Wirtschafts sanktionen bleibt allerdings auch in bezug auf Maßnahmen der UNO umstritten. In gleicher Weise wie bei Maßnahmen außerhalb dieses Rahmens betrifft dies zunächst die Frage des politischen Wirkmechanismus,36 und der "richtigen", politischen Erfolg versprechenden Anwendung 37 . Ferner stellt die Frage der effektiven wirtschaftlichen Um- und Durchsetzung der Sanktionen, der wirkungsvollen Kontrolle der Grenzen und der Abwehr von Schmuggel und anderen Methoden der Sanktionsdurchbrechung die Staatengemeinschaft vor besondere praktische Probleme38 . Als besondere Schwierigkeit kollektiver Sanktionen hat sich darüber hinaus die Lage von Drittstaaten, die besonders enge wirtschaftliche Beziehungen zu dem sanktionierten Staat unterhalten und daher von den Sanktionsmaßnahmen wirtschaftlich besonders getroffen werden, herausgestellt39 . Das mit Blick auf·diese Staaten eingerichtete Kon35 Z.B. von Conforti, EJIL 2 (1991), S. 113; Napolitano, Les Sanctions, und ders., Sanctions. Ablehnend: v. Braunmühl/Kulessa, S. 4. 36 Dazu s. u. unter B. III. 2. 37 Als grundsätzlich voneinander zu unterscheidende strategische Optionen bieten sich vor allem die schnelle Verhängung einschneidender Sanktionen ("massive Vergeltung") und ein gradualistischer Ansatz ("flexible Antwort") an. Einen Überblick über die Diskussion m. w. N. bietet Rudolj, Wirtschaftssanktionen, S. 22ff. 38 Vgl. allgemein Rosensweig, AustrlPIL 48 (1995), S. l70ff.; AustralialNetherlands, UN Sanctions, S. 22f.; Gowlland-Debbas, Security Council Enforcement Measures, S. 16ff.; Doxey, International Sanctions, S. 95 ff. (bes. zu Anpassungsstrategien des Zielstaates). Für das Beispiel der Sanktionen gegen die BRJ s. den Bericht des United States General Accounting Office, Implementation of UN Economic Sanctions, S. 6ff. 39 Für das Beispiel der Sanktionen gegen die BRJ vgl. den Bericht des Generalsekretärs "Economic assistance to States affected by the implementation of the Security Council resolutions imposing sanctions against the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia and Montenegro)", UN Doc. A/49/356 vom 9.9. 1994, und die Darstellung der Lage einzelner besonders betroffener Drittstaaten bei Riedei, Südosteuropa 1993, S. 267ff.; dies., Südosteuropa 1993, S. 318ff.; dies., Südosteuropa 1995, S. 439f.; Gabanyi, Südosteuropa 1992, S. 653ff. Zu Reformvorschlägen innerhalb der UNO s. den Bericht des Generalsekretärs "Implementation of the provisions of the Charter of the United Nations related to

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A. Einleitung

sultationsrecht des Art. 50 der UN-Charta stellt insofern nur ein unzureichendes Korrektiv und in keinem Fall einen angemessenen Ausgleich für die im Gemeinwohl erlittenen Schäden jener Staaten dar4o . Schließlich sind auch die Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung der Zielstaaten als Problem, das sich auf die Legitimität der Maßnahmen auswirkt, erkannt; hierauf wird sogleich zurückzukommen sein.

111. Fragestellung und Gang der Untersuchung Das Volumen des weltweiten Außenhandels ist in den letzten Jahrzehnten in rasantem Maße angestiegen und wird sich mit der zunehmenden Liberalisierung in den ehemals sozialistisch-planwirtschaftlich strukturierten Staaten weiter erhöhen41 • Die wachsende wirtschaftliche Interdependenz führt dazu, daß nationale Wirtschaftssysteme auf Störungen ihrer außenwirtschaftlichen Beziehungen zunehmend empfindlich reagieren, besonders, wenn diese nicht nur von bestimmten Staaten oder Regionen ausgehen, sondern weltweite Ursachen und Auswirkungen haben und daher kaum Raum für Ausweich- oder Anpassungsstrategien lassen. Die ge zielte partielle oder vollständige außenwirtschaftliche Isolierung eines bestimmten Staates durch UN-Wirtschaftssanktionen bedeutet vor diesem Hintergrund einen schwerwiegenden Eingriff in das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht des betrof-

the assistance to third States affected by the application of sanctions under Chapter VII of the Charter", UN Doc. A/50/361 v. 22. 8. 1995, und die Entschließung der Generalversammlung "Implementation of Charter provisions re1ated to assistance to third States affected by the application of Sanctions", UN Doc. GA/RES/50/51 v. 29. l. 1996. Allgemein zu dem Problem s. Stremlau, Sharpening International Sanctions, S. 40ff.; Doxey, International Sanctions, S. 70ff.; Stanley Foundation, Political Symbol or Policy Tool?, S. 13, 18, 22; Mathur, UN Sanctions, S. 6ff.; Murphy, Le Temps strategique 1994, S. 76; AustralialNetherlands, UN Sanctions, S. 18ff., 28ff.; United Nations Congress on Public International Law, Discussion on Sanctions, S. 3f., Rosensweig, AustrJPIL 48 (1995), S. 165ff., 191f.; Lapidoth, AVR 30 (1992), S. 122f.; Schrijver, The Use of Economic Sanctions, S. 148ff.; GowllandDebbas, Security Council Enforcement Measures, S. 15f.; Fleischhauer, VN 1991, S. 44; Jansen, HuV-I 1995, S. 190f. 40 Ebenso: Fleischhauer, VN 1991, S. 44. 41 S. LopeziCortright, Fletcher Forum 19 (1995), S. 67, die eine Statistik der UNO zitieren, nach der der jährliche Wert der weltweiten Exporte seit 1960 von 123 Millionen US-Dollar auf 3, 94 Billionen US-Dollar im Jahre 1992 angestiegen ist. Zu dieser Entwicklung auch Stremlau, Sharpening International Sanctions, S. 14f., der darauf hinweist, daß die enge Abhängigkeit zwischen den Staaten ein gemeinsames Interesse an der Herausbildung und Sanktionsbewehrung internationaler Normen fördert.

III. Fragestellung und Gang der Untersuchung

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fenen Staates und eine erhebliche Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit42 • Diese Entwicklung kann nicht isoliert von den hiervon primär betroffenen Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern des Sanktionszielstaates, gesehen werden. Während die Mitglieder von Regierung und sonstiger Führungselite von den Auswirkungen der Sanktionen in der Regel keine eigenen und unmittelbaren Beeinträchtigungen erfahren, haben Sanktionen für die Zivilbevölkerung oft verheerende Folgen43 • Ganze Industriezweige, die vom Import von Rohstoffen oder Erzeugnissen abhängig sind oder deren Güter für den Export bestimmt sind, werden brachgelegt. Die gesamtwirtschaftliche Krisensituation führt zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, deren ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, medizinischer Betreuung und anderen unabdingbaren Gütern zu einem elementaren Problem wird. Durch Embargomaßnahmen kommt es darüber hinaus zu Knappheit oder sogar der gänzlichen Nicht-Verfügbarkeit von Gütern, auf deren Import die Menschen und die oft im Land aktiven humanitären Hilfsorganisationen für die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards angewiesen sind. Ausnahmebestimmungen für humanitäre Zwecke, die der Sicherheitsrat regelmäßig zur Linderung humanitärer Notlagen in seine Sanktionsresolutionen integriert, können hier nur unzureichend Abhilfe schaffen und vermögen an dem grundsätzlichen Problem nichts zu ändern. Die Diskussion um die schädlichen Auswirkungen von wirtschaftlichen Sanktionen ist nicht neu. Bereits im Jahre 1929 stellte Woodrow Wilson fest: "A nation that is boycotted is a nation that is in sight of surrender. Apply this economic, peaceful, silent, deadly remedy and there will be no need of force.,,44, während etwa zur gleichen Zeit der spätere US-Außenminister lohn Foster Dulles gegen den Einsatz umfassender wirtschaftlicher Sanktionen mit dem Argument, getroffen würden zuerst die Unschuldigen und nicht die für das Verhalten des Staates Verantwortlichen, eintrat45 • Durch die Erfahrungen der letzten Jahre ist eindrücklich dokumentiert worden, welches zerstörerische Potential in weltweit effektiv durchgesetzten Wirtschaftssanktionen tatsächlich steckt, und auch, welche Gesetzmäßigkeit sich hinter diesen Auswirkungen verbirgt. Das "Sanktionsdilemma" ist zu einem zentralen Begriff in der politischen und ethisch-moralischen Debatte um die Angemessenheit kollektiver Wirtschaftssanktionen als Mittel der internationalen Politik geworden46 und war der Anlaß für zahlreiche Tagungen, Veröffentlichungen und staatliche wie nichtstaatlicpe Unter42 43 44 45

Vgl. Smeets, JWT 1990, S. 107ff. Ausführlich s. unter C. I. 2. Zit. bei Hujbauer/Schott/Elliott, S. 9. Zit. bei Clawson, Eth.lnt.Aff. 7 (1993), S. 20.

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A. Einleitung

suchungen und Analysen47 • Vereinzelt werden sogar Stimmen laut, die behaupten, ein gezielter militärischer Einsatz würde sich gegenüber wirtschaftlichen Maßnahmen sowohl als schonender für die Zivilbevölkerung als auch als politisch wirkungsvoller darstellen48 . Die Diskussion fand ihren Höhepunkt in dem Anfang des Jahres 1995 veröffentlichten Positionspapier des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Boutros-Ghali, einer Ergänzung seiner "Agenda für den Frieden". In ihm stellt er unter anderem fest: "Sanctions, as is generally recognized, are a blunt instrument. They raise the ethical question of whether suffering inflicted on vulnerable groups in the target country is a legitimate means of exerting pressure on political leaders whose behaviour is unlikely to be affected by the plight of their subjects. ,,49 In Reaktion auf diese Stellungnahme befaßten sich verschiedene Organe und Abteilungen der Vereinten Nationen mit der Problematik und versuchten, Ansätze für eine UN-Sanktionspolitik zu formulieren, die die Zivilbevölkerung in größerem Maße, als das bisher der Fall ist, schont5o . Unter 46 Vgl. Patterson, MER 1994, S. 24; AlmquistlRam, Towards a Just Sanctions Regime, S. 6; v. Braunmühl/Kulessa, S. 5ff. Zusammenfassend zur ethischen Debatte Rudolf, Die Friedens-Warte 1997, S. 313ff., und Köchler, Ethische Aspekte der Sanktionen, S. 5 ff. 47 Vgl. Z. B. von nicht-staatlicher Seite: American Friends Service Committee: Dollars or Bombs: The Search for Justice through International Economic Sanctions; World Vision: Sanctions and Poverty: An NGO Response; International Institute of Humanitarian Law, Panel zum Thema "Humanitarian Consequences of the United Nations Sanctions" im Rahmen des Kongresses "United for the Respect of International Humanitarian Law", 1995; The Fourth Freedom ForumlThe Joan B. Kroc Institute for International Peace Studies, Economic Sanctions, S. 5ff. (Referate von Johansen und ChristiansenlPowers; Zusammenfassung auch bei Vivekananda, Sc.J.Dev.Alt. 1994, S. 153f.); War on Want, Sanctions and Human Rights; International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, World Disasters Report 1995, S. 19ff. 48 Vgl. Nolte, ZRP 1994, S. 238; Murphy, Le Temps Strategique 1994, S. 76; Reisman, ASIL Proc. 1995, S. 351; Damrosch, Civilian Impact, S. 300f.; Swindells, FordILJ 20 (1997), S. 1954f.; ReismanlStevick, EJIL 9 (1998), S. 91 ff. - Kulessa, APuZ 1998, S. 31, stellt insofern aber zutreffend fest, daß der hinter dieser Auffassung stehende Vergleich "makaber (wirkt), solange man davon ausgehen muß, daß in beiden Alternativen primär die Falschen getroffen werden." 49 UN Doc. A/50/60, para. 70. so S. die Stellungnahme des Sicherheitsrates zum Positionspapier vom 22. 2. 1995, UN Doc. S/PRST/1995/9, Abs. 10. Zur Diskussion des Rates vgl. Yarrow, Sanctions and Boutros-Ghali's "Supplement". Die Generalversammlung befaßt sich in der sog. "Informal Open Ended Working Group on An Agenda for Peace" gleichfalls seit 1995 in verschiedenen Unterausschüssen mit der Agenda für den Frieden; ein vorläufiger Abschlußbericht der "Subgroup on the Question of United Nations Imposed Sanctions" wurde am 10. Juli 1996 verabschiedet. Vgl. weiterhin den General Comment Nr. 8 (UN Dok. E/C.l2/1997/8 v. 12. 12. 1997) des ECOSOC -

III. Fragestellung und Gang der Untersuchung

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anderem gab die Abteilung des UN-Sekretariats für humanitäre Angelegenheiten (DHA) zwei externe Studien in Auftrag, mit denen zunächst die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf humanitäre Hilfsaktionen untersucht51 und weiterhin konkrete Kriterien zur Überwachung und Einschätzung der Folgen von Sanktionen für die Zivilbevölkerung des Zielstaates entwickelt wurden 52 • Die Besorgnis um die Menschen im sanktionierten Land stellte ferner die maßgebliche Motivation des Sicherheitsrates zur Implementierung des sog. "oil for food"-Prograrnmes im Fall des Irak dar 3 und prägt sein Sanktionierungs-Verhalten im Fall des Sudan54 . Trotz dieser positiven Ansätze im Rahmen des UN-Systems bleibt die grundsätzliche Frage nach den schädlichen Auswirkungen von Sanktionen weiter relevant. Sie ist auch nicht ausschließlich als politische Frage nach dem Wirkmechanismus von Sanktionen oder als ethisches Problem der Vertretbarkeit friedenssichernder Maßnahmen auf Kosten bestimmter, an den Mißständen unschuldiger Bevölkerungsgruppen zu fonnulieren. Vielmehr stellt sich in Anbetracht der Erfahrungen der letzten Jahre in besonderer Weise die Frage, inwieweit ein Schutz der Zivilbevölkerung unter Sanktionen auch normativ in ausreichender Weise gewährleistet ist, d. h., inwieweit für die Kompetenz des Sicherheitsrates zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen verbindliche materiellrechtliche Grenzen bestehen, die einen konkreten nonnativen Maßstab für die Untersuchung der Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung bilden. Diese Fragestellung, die in der Diskussion um Sanktionen bisher allenfalls am Rande behandelt wurde, bildet den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Nach einer Einführung in Praxis und Politik der Sanktionen werden sich hierbei eine Reihe von Rechtsproblemen ergeben, die auf Grundsatzfragen des Völkerrechts im allgemeinen und des Rechts der Vereinten Nationen im besonderen zurückzuführen sind. So ist zunächst festzustellen, ob und inwieweit die humanitären Auswirkungen der Sanktionen in den Zielstaaten den Vereinten Nationen, die durch den Sicherheitsrat handeln, rechtlich überhaupt zuzurechnen sind. Ferner stellt sich die grundsätzliche Frage Committee on Economic. Social and Cultural Rights zum Thema "The relationship between economic sanctions and respect for economic, social and cultural rights". Zur Diskussion um die Schädlichkeit unilateraler Wirtschaftssanktionen s. Commission on Human Rights. Report on the 50th Session, Res. 1994/47 ("Human rights and unilateral coercive measures"). 51 S. v. Braunmühl/Kulessa: The Impact of UN Sanctions on Humanitarian Assistance Activities, 1995. 52 S. Minear/Cortright/Wagler/Lopez/Weiss: Toward More Humane and Effective Sanctions Management. Enhancing the Capacity of the United Nations System, 1997. 53 Dazu s. u. unter B. I. 2. c). 54 Dazu s. u. unter B. I. 2. k). 3 Starck

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A. Einleitung

nach den Grenzen der Handlungskompetenzen des Sicherheitsrates, einem in erster Linie politischen Organ der VN. Neben der rechtlichen Praxis des Rates selbst sind hier die Bestimmungen der UN-Charta im Detail zu untersuchen, bevor des weiteren auf die Frage eingegangen wird, inwieweit eine Bindung an das allgemeine Völkergewohnheitsrecht bereits aus der Stellung des Sicherheitsrates als Organ einer internationalen Organisation und damit aus allgemein-dogmatischen Erwägungen folgen muß. Auf der Grundlage der gefundenen Erkenntnisse wird sodann zu untersuchen sein, ob und welche völkerrechtlichen Regeln überhaupt Anwendung finden, wenn es um die Bestimmung der Grenzen von Wirtschaftssanktionen geht. Der Schutz von Zivilpersonen ist im allgemeinen Völkerrecht in einer Fülle von Verträgen und gewohnheitsrechtlichen Normen geregelt. Für das Verhältnis zwischen Staat und Einzelmenschen sind hier besonders die Menschenrechte zu nennen, während im Falle eines bewaffneten Konfliktes das sog. humanitäre Völkerrecht ("Genfer Recht") in detaillierter Form der Anwendung von Gewalt Grenzen setzt und Schutz und Versorgung der Zivilbevölkerung regelt. Für nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen, deren Hauptfall Wirtschaftssanktionen darstellen, existiert hingegen kein vergleichbar anerkanntes dezidiertes Rechtsregime, insbesondere nicht, wenn es sich - wie hier - um Maßnahmen nach dem siebten Kapitel der UN-Charta handelt. Aufgabe ist es somit, bereits bestehende, jedoch für andere Sachverhalte und Konfliktlagen konzipierte rechtliche Regelungen auf ihre Anwendbarkeit auf UN-Wirtschaftssanktionen hin zu untersuchen. Von den hier gewonnenen Erkenntnissen ausgehend wird abschließend der Versuch einer Systematisierung und Bewertung der rechtlichen Grenzen unternommen sowie ein kurzer Überblick über mögliche Mechanismen zur Durchsetzung dieser Grenzen der Kompetenzen des Sicherheitsrates gegeben werden.

B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen Wirtschaftliche Sanktionen und Handelskriege haben in der Geschichte eine lange Tradition, die bis auf das Edikt des Perikles gegen die Stadt Megara im Jahre 432 v. ehr. zurückzuverfolgen ist l . Hierbei handelte es sich jedoch, wie in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle bis in die Gegenwart hinein, um Maßnahmen, die von einem Staat oder einer Gruppe von Staaten auf freiwilliger Basis zur Erreichung individueller politischer Ziele verhängt wurden. 1. Völkerbund

Die Geschichte nichtmilitärischer Zwangsmaßnahmen als Bestandteil eines weltweiten Systems der kollektiven Friedenssicherung beginnt demgegenüber erst mit der Zeit des Völkerbundes2 • Art. 16 Abs. I S. I der Satzung des Völkerbundes sah vor, daß jeder Staat, der entgegen seinen internationalen Verpflichtungen einen bewaffneten Überfall auf einen Mitgliedstaat begangen hatte, so angesehen werden sollte, als habe er eine Kriegshandlung gegen alle anderen Mitglieder begangen. Diese verpflichteten sich, in einem solchen Fall "unverzüglich alle Handels- und Finanzbeziehungen mit ihm abzubrechen, ihren Staatsangehörigen jeden Verkehr mit den Staatsangehörigen des vertragsbrüchigen Staates zu untersagen und alle finanziellen, Handels- und persönlichen Verbindungen zwischen den Staatsangehörigen dieses Staates und jedes anderen Staates ... abzubrechen ... 3 Die Feststellung eines unzulässigen Überfallkrieges sowie der Beschluß nichtmilitärischer, insbesondere wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen lag I Von diesen Wirtschaftssanktionen berichtet sowohl der Historiker Thukydides, in: Der Peleponnesische Krieg, als auch der Komödienautor Aristophanes in "Die Achamer", Zeilen 530-543, (eng!. Übersetzung bei Hujbauer/Schott/Elliott, S. 4 f.). Hierzu Simons, The Scourging of Iraq, S. 175 f.; Kulessa, VN 1996, S. 93. 2 Zur inkohärenten Praxis vorher vg!. Schücking/Wehberg, Die Satzung des Völkerbundes, S. 616f. 3 Art. 16 S. I Hs. 2 der Völkerbundsatzung, dt. Übersetzung bei Schücking/Wehberg, Die Satzung des Völkerbundes, S. 601 f.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschafts sanktionen

somit in der individuellen Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten, die grundsätzlich ohne vorherige Anordnung einer internationalen Instanz selbständig gegen Rechtsbrecher vorgehen sollten4 • In Richtlinien, die allerdings nicht ratifiziert wurden und daher als rechtlich unverbindlich zu betrachten waren, wurde dem Rat des Völkerbundes aber die Kompetenz zuerkannt, seine Meinung hinsichtlich des Vorliegens eines Verstoßes gegen die Völkerbundsatzung auszudrücken und einen angemessenen Zeitpunkt für die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen festzusetzen 5 . Dieses Sanktionssystem wurde in der Praxis des Völkerbundes nur in einem einzigen Fall, nach der gewaltsamen Annexion Abessiniens durch Italien im Oktober 1935, umgesetzt. Die entsprechenden Empfehlungen des Rates des Völkerbundes umfaßten ein Waffenembargo, ein Verbot des Imports italienischer Waren, die Beschränkung von Finanzgeschäften sowie ein Verbot der Einfuhr bestimmter Produkte nach Italien; sie wurden von fast 50 Staaten befolgt6 . Die Niederlage Abessiniens konnte im Ergebnis allerdings nicht verhindert werden, und die Sanktionen, die bereits im Juli 1936 wieder aufgehoben wurden, wurden allgemein als Fehlschlag beurteilt 7 •

2. Nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen in der Praxis des UN-Sicherheitsrates Art. 16 der Völkerbundsatzung stellt Vorbild und Grundlage für die Schaffung des Art. 41 der UN-Charta dar, der dem Sicherheitsrat die Kompetenz vermittelt, als zentrale Instanz mit verbindlicher Wirkung für alle Mitgliedstaaten der UNO über die Verhängung nichtmilitärischer Zwangsmaßnahmen zu beschließen. Nachdem der Sicherheitsrat zwischen 1945 und 1990 nur in zwei Fällen Sanktionen nach dieser Vorschrift verhängt hatte, verdichtete sich seine Praxis nach dem Ende des Kalten Krieges. Beginnend mit den Maßnahmen gegen den Irak im Jahre 1990, verhängte er bis heute in zehn Konflikten nichtmilitärische, insbesondere wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von unterschiedlicher IntensitätS. S. auch Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 50. S. Frowein. in Simma, Art. 41, Rn. 2, m. w.N. 6 Ausf. s. Walters, A History of the League of Nations II, S. 659ff. 7 Ruzii, Organisations internationales et Sanctions internationales, S. 66f.; Walters, A History of the League of Nations II, S. 684ff.; Baer, Leticia and Ethiopia before the League, S. 287 ff., bes. 290. 8 Dargestellt werden im folgenden nur Maßnahmen nach dem siebten Kapitel der UN-Charta. Das partielle Embargo, das vom Sicherheitsrat in Res. 792 (1992) vom 30. 11. 1992 in bezug auf Kambodscha genannt wird, zählt nicht zu diesen kollektiven Zwangsmaßnahmen, da insofern ausdrücklich auf die Friedensvereinbarung von Paris als Rechtsgrundlage verwiesen wird. 4

S

I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen

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a) Südrhodesien

Zum ersten Mal wurden im Rahmen der Krise in Südrhodesien wirtschaftliche Sanktionen nach Kapitel VII der UN-Charta verhängt9 . In Reaktion auf die unrechtmäßige Unabhängigkeitserklärung durch das weiße Minderheitenregime unter lan Smith am 11. 11. 1965 beschloß der Sicherheitsrat durch Resolution 232 (1966) zunächst ein Verbot des Im- und Exportes bestimmter Produkte, insbesondere ein Waffen- und Ölembargo gegen dieses Land 10. Diese Maßnahmen wurden durch Resolution 253 vom 29. 5. 1968 ausgedehnt. Die Sanktionen umfaßten jetzt ein umfassendes Embargo und einen umfassenden Boykott, ein Verbot von Investitionen in Südrhodesien, Reisebeschränkungen für seine Staatsangehörigen sowie eine Unterbrechung des Flugverkehrs mit Südrhodesien. Ausnahmen waren für medizinische Güter und Ausbildungsmaterialien, sowie, unter besonderen humanitären Umständen, Nahrungsmittel vorgesehen. Zur Überwachung der Sanktionen wurde ein Sanktions aus schuß eingerichtet. Durch Resolution 277 vom 18. März 1970 verfügte der Sicherheitsrat über das Flugverkehrsverbot hinaus die vollständige Unterbrechung des Transportverkehrs mit Südrhodesien auch auf dem Landwege, ein Verbot der Anerkennung offizieller Akte der südrhodesischen Behörden und den Abbruch aller diplomatischen, konsularischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen mit dem RegimelI. Nach der Unabhängigkeit Südrhodesiens (bzw. dann: Simbabwes) auf der Grundlage einer schwarzen Mehrheitsregierung im Jahre 1979 wurden die Sanktionen schließlich durch Resolution 460 aufgehoben 12. b) Südafrika

Im Verhältnis zu seiner Politik im Falle Südrhodesiens war der Sicherheitsrat gegenüber dem Apartheidsregime in Südafrika zurückhaltender. Trotz weltweiter Verurteilung der Politik der Rassentrennung und Kritik auch von seiten des Sicherheitsrates selbst wurde als einzige Zwangsmaßnahme nach dem siebten Kapitel der UN-Charta durch Res. 418 (1977) ein umfassendes Waffenembargo sowie ein Verbot jeglicher Dienstleistung und 9 Hierzu ausf.: Gowlland-Debbas, Collective Responses; Zacklin, The UN and Rhodesia. 10 S. Res. 232 vom 16. 12. 1966. 11 Ruzie, Organisations internationales et Sanctions internationales, S. 83 f., weist allerdings zutreffend darauf hin, daß letztere Maßnahmen bereits in den vorher verhängten Maßnahmen enthalten waren und daher keine wesentlichen Neuerungen enthielten. 12 Res. 460 von 21. 12. 1979.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

Kooperation auf dem Gebiet der Rüstung, vor allem der Entwicklung von Atomwaffen, beschlossen. Weitergehende wirtschaftliche Sanktionen auf freiwilliger Basis wurden allerdings von der Generalversammlung empfohlen 13 und durch einen weltweiten Verbraucherboykott sowie einzelstaatliche Maßnahmen faktisch durchgesetzt l4 . Die Sanktionen des Sicherheitsrates gegen Südafrika wurden im Jahre 1994, nach den ersten freien und gleichen Wahlen im Land, durch Resolution 919 aufgehoben 15. c) Irak

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der daraus entstandenen weitgehenden Paralysierung des Sicherheitsrates stellten die Sanktionen und das militärische Eingreifen gegen den Irak ab 1990 den ersten Testfall für die von US-Präsident Bush kurz vorher proklamierte "neue Weltordnung" dar. Am 2. August 1990 überfiel der Irak das benachbarte Scheichtum Kuwait und besetzte es in kurzer Zeit l6 . An demselben Tag verurteilte der Sicherheitsrat die Invasion als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und forderte den Irak zum unverzüglichen und bedingungslosen Rückzug auf17 • Vier Tage später, am 6. August 1990, erließ der Sicherheitsrat Resolution 661, in der er weitreichende Sanktionen gegen den Irak verhängte 18. Sie umfaßten ein generelles Einfuhrverbot für alle Rohstoffe und Erzeugnisse, die aus dem Irak oder Kuwait stammten, ein Verbot aller Aktivitäten zur Förderung des Exportes oder Umschlags dieser Güter, ein umfassendes Embargo für alle Rohstoffe und Erzeugnisse außer Lieferungen für rein medizinische Zwecke und - in "humanitären Umständen" - Nahrungsmittel, und ein Verbot der Leistung von Zahlungen oder der Gewährleistung sonstiger finanzieller oder wirtschaftlicher Mittel an den Irak und irakische Unternehmen mit Ausnahme von Zahlungen, die ausschließlich für rein \3 Einen umfassenden Überblick bietet United Nations Department of Public Information (Hrsg.): The United Nations and Apartheid, S. 8ff. 14 Vgl. hierzu Davis, Sanctions and Apartheid, S. 176ff. Eine detaillierte Zusammenfassung der Maßnahmen der westlichen Staaten findet sich in EPD-Entwicklungspolitik 3/1989, Dokumentation S. h, i. Auch der Sicherheitsrat hielt die Staaten zu derartigen Maßnahmen an und unterstützte die bereits verhängten Sanktionen in Res. 569 (1985) v. 26. 7. 1985. 15 S. die Sicherheitsratsres. 919 vom 25. 5. 1994, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 159f. 16 Zu den Hintergründen s. Heinz/Philipp/Woljrum, VN 1991, S. 121 ff. 17 S. Res. 660 (1990), dt. Übersetzung in VN 1990, S. 146. 18 Dt. Übersetzung in VN 1990, S. 146f.

1. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschafts sanktionen

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medizinische oder humanitäre Zwecke und - in humanitären Fällen - für Nahrungsmittel bestimmt waren. In der gleichen Resolution wurde ein Sanktionsausschuß, bestehend aus allen Mitgliedern des Sicherheitsrates, eingerichtet, um Berichte des Generalsekretärs und der Mitgliedstaaten über die Umsetzung der Vorgaben der Resolution zu prüfen und zu bewerten. Dieses Sanktionsregime wurde in der Folge einige Male modifiziert. Durch Resolution 665 vom 25. 8. 1990 19 ermächtigte der Sicherheitsrat die Staaten, die mit der kuwaitischen Regierung zusammenarbeiteten und Seestreitkräfte in die Region verlegten, alle erforderlichen Mittel einzusetzen, um den ein- und ausgehenden Schiffsverkehr anzuhalten und zu kontrollieren und so die vollständige Einhaltung der Sanktionen zu sichern. Resolution 666 vom 13. 9. 199020 befaßte sich mit der Feststellung des Vorliegens "humanitärer Umstände", die nach Res. 661 Voraussetzung für die Lieferung von Nahrungsmitteln waren. Der Sicherheitsrat betonte, daß allein er oder der von ihm eingesetzte Sanktionsausschuß eine entsprechende Entscheidung treffen könne 21 • Der Sanktionsausschuß solle daher die Situation in Hinsicht auf Nahrungsmittel mit Hilfe von Berichten, die ihm vom Generalsekretär auf der Grundlage von Informationen der humanitären Organisationen zu liefern seien, unter ständiger Beobachtung halten. Besondere Aufmerksamkeit sei den Gruppen von Menschen zu widmen, die besonders verwundbar seien, z. B. Kindern unter 15 Jahren, werdenden Müttern, Wöchnerinnen, kranken und älteren Menschen. Sollte der Sanktionsausschuß feststellen, daß ein dringender humanitärer Bedarf an Lebensmitteln bestehe, sollte er dem Sicherheitsrat Bericht erstatten, wie dieser Bedarf befriedigt werden könne. Um sicherzustellen, daß die Nahrungsmittel die richtigen Adressaten erreichten, müsse er dabei beachten, daß die Lieferungen nur durch die Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes oder anderen geeigneten humanitären Organisationen vorgenommen werden sollten. In bezug auf die vom Embargo grundsätzlich ausgenommenen medizinischen Produkte empfahl der Sicherheitsrat, daß die Lieferungen nur unter der strengen Kontrolle der Regierung des Herkunftslandes oder geeigneter humanitärer Organisationen vorgenommen werden sollte. Am 25. 9. 1990 erließ der Sicherheitsrat Resolution 67022 , die den Lufttransport in die Durchsetzung der Sanktionen miteinbezog. Hiernach waren die Staaten verpflichtet, ausschließlich den Flügen, die nicht im Widerspruch zu den bisherigen Sanktionen standen, die Start- und Überflugser\9

20 2\

22

Dt. Übersetzung in VN 1990, S. 215. Dt. Übersetzung in VN 1990, S. 215. Res. 666 (1990) 4. Spiegelstrich. Dt. Übersetzung in VN 1990, S. 216f.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

laubnis für ihr Territorium zu gewähren. Des weiteren sollten alle im Irak eingetragenen Schiffe, die für Verstöße gegen die Sanktionen eingesetzt worden waren, von den Staaten beschlagnahmt oder ihnen - außer bei Gefahr für menschliches Leben - der Zugang zu den Häfen verwehrt werden. Durch Resolution 678 ermächtigte der Sicherheitsrat schließlich die Staaten, "alle erforderlichen Mittel" einzusetzen, um die Durchsetzung der Vorgaben der Resolution 660 und der anderen vom Sicherheitsrat zur IrakKuwait-Krise verabschiedeten Resolutionen zu erzwingen23 . Die inzwischen in der Region dislozierten multinationalen Streitkräfte starteten daraufhin in der Nacht zum 17. Januar 1991 unter der Führung der USA die militärische "Aktion Wüstensturm", die bis zum Abschluß der Kampfhandlungen am 28. Februar über 100 000 Opfer auf irakiseher Seite forderte 24 . Nach der Befreiung Kuwaits von der irakisehen Besatzung erließ der Sicherheitsrat am 2. März 1991 Resolution 68625 , in der er erste Forderungen an den Irak zur Beendigung des Konfliktes stellte und die Sanktionen mit Hinsicht auf Kuwait aufhob 26 • Am 22. März teilte der Sanktionsausschuß in Reaktion auf einen Bericht des Untergeneralsekretärs Ahtisaari über die humanitären Bedürfnisse im Nachkriegsirak mit, daß er von nun an generell das Vorliegen humanitärer Umstände annehmen und Anträge auf die Lieferung von Nahrungsmitteln, medizinischen Produkten und anderen humanitären Gütern, die im Ahtisaari-Bericht ausdrücklich genannt wurden, ohne weiteres genehmigen werde 27 • Am 3. 4. 1991 erließ der Sicherheitsrat die Waffenstillstandsresolution 687 28 , in der er dem Irak seine Bedingungen für die endgültige Beilegung 23 Res. 687 vom 29. 11. 1990, dt. Übersetzung in VN 1990, S. 218. Aus der umfangreichen Literatur zu den mit dieser Ermächtigung zusammenhängenden rechtlichen Problemen vgl. insbesondere Böhmer, Die Ermächtigung zu militärischer Gewaltanwendung durch den Sicherheitsrat, S. 49ff.; Heinz/Phillip/Woljrum, VN 1991, S. 125f.; Schachter, AJIL 85 (1991), S. 459ff.; Rostow, AJIL 85 (1991), S. 506ff.; Weston, AJlL 85 (1991), S. 518ff. 24 INAMO 111995, S. 12; Hoskins, Humanitarian Impacts, S. 93, spricht unter Berufung auf verschiedene Quellen von Schätzungen zwischen 30 000 und 120 000 Opfern; Schätzungen zwischen 100 000 und 200 000 sind bei Simons, The Scourging of Iraq, S. 15f., wiedergegeben. - Die Zahl der getöteten Soldaten der alliierten Streitkräfte beschränkt sich auf einige Hundert, s. INAMO, a. a. 0.; Hoskins, a. a. O. 25 Dt. Übersetzung in VN 1991, S. 73f. 26 Dies geht aus Res. 686 (1991) para. 6 nur mittelbar hervor, wird vom Sicherheitsrat aber durch Res. 687 (1991) 20. Spiegelstrich klargestellt. 27 S. Koskenniemi, AFDI 1991, S. 128. 28 Dt. Übersetzung in VN 1991, S. 74ff. Umfassend zu Entstehungsgeschichte, Fragen der Rechtmäßigkeit und Umsetzung der Resolution s. lohnstone, Aftermath of the Gulf War, S. l3ff.

I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen

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des Konfliktes diktierte. Die wichtigsten Forderungen waren die Anerkennung der kuwaitisch-irakischen Grenze durch beide Staaten und die Einrichtung einer demilitarisierten Sicherheitszone unter Aufsicht der Vereinten Nationen; der Verzicht des Irak auf Massenvernichtungsmittel, insbesondere ABC-Waffen und ballistische Raketen mit einer Reichweite von über 150 Kilometern, und die Zerstörung bereits vorhandener Programme und Einrichtungen, die von einer UN-Sonderkommission (UNSCOM) bzw. durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) vor Ort verifiziert würden 29 ; die Kooperation des Irak bei der Repatriierung kuwaitischer Staatsangehöriger und schließlich die Haftung des Irak für alle Schäden, auch Umweltschäden, die durch die Besetzung Kuwaits entstanden sind. Für die Befriedigung entsprechender Ansprüche sollte ein Fonds geschaffen werden, in den ein bestimmter Prozentsatz der irakisehen Öleinkünfte fließen und der von einer Sonderkommission der UNO verwaltet werden sollte. Auch das Sanktionsregime erfuhr einige Änderungen: Nahrungsmittel durften nunmehr nach einfacher Notifikation des Sanktionsausschusses in den Irak eingeführt werden, und es wurde eine Möglichkeit der Genehmigung für die im Ahtissarl-Bericht genannten humanitären Produkte sowie entsprechende Güter nach Ermessen des Sanktionsausschusses geschaffen 3o . Weiterhin wurde ein umfassendes Verbot für die Lieferung von Waffen, Rüstungsgütern sowie von Personal und Material, das für die Entwicklung, Herstellung und den Gebrauch der Waffen ausgebildet bzw. geeignet ist, ausgesprochen 31 . Für die Aufhebung der Sanktionen enthält die Resolution drei Bestimmungen 32 : Nach Abs. 21 sollte der Sicherheitsrat im Abstand von 60 Tagen anhand der Berücksichtigung der Politiken und Praktiken der irakisehen Regierung, insbesondere der Durchführung "aller einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats" prüfen, ob eine Aufhebung oder Abmilderung des Verbotes der Einfuhr von Rohstoffen und Erzeugnissen in den Irak in Betracht käme. Gemäß Abs. 22 sollte das Verbot des Importes irakiseher Güter aber bereits dann seine Gültigkeit verlieren, wenn das Entschädigungsprogramm wie vorgesehen errichtet und im Sicherheitsrat Einigkeit darüber bestehen würde, daß der Irak dem durch Res. 687 auferlegten Abrüstungsprogramm Folge geleistet habe. Bis dahin könne der Sanktionsausschuß allerdings Ausnahmen vom Boykott zulassen, wenn die daraus 29 Vgl. Res. 687 (1991) para. 7-10 in bezug auf biologische und chemische Waffen und para. 11-13 in bezug auf Atomwaffen; ferner Res. 715 (1991) vom 11. 10. 1991, dt. Übersetzung in VN 1991, S. 217f. 30 Res. 687 (1991), para. 20. 31 Res. 687 (1991), para. 24. 32 Vgl. dazu im einzelnen lohnstone, Aftermath of the Gulf War, S. 35 ff.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

erzielten Erlöse vom Irak für die Beschaffung humanitärer Güter benötigt würden 33 . Die Möglichkeit einer Lockerung des Waffenembargos schließlich sollte gern. Abs. 28 regelmäßig überprüft werden, wobei "die Befolgung der Resolution 687 durch den Irak und der allgemeine Fortschritt in Richtung auf die Kontrolle der Rüstungen in der Region" berücksichtigt werden sollten 34 . Die differenzierenden Vorgaben der Resolution, insbesondere die divergierenden Bestimmungen für die Aufhebung von Boykott und Embargo, wurden in der Praxis des Sicherheitsrates allerdings nicht umgesetzt. Im Streit um die Aufhebung der Maßnahmen setzten sich vielmehr die USA und Großbritannien durch, die sich einer teil weisen Aufhebung der Sanktionen widersetzen und das Ende der Sanktionen an einen positiven Beschluß des Sicherheitsrates gern. Abs. 21 knüpfen 35 . Zu den dort genannten "einschlägigen Resolutionen", deren Befolgung vom Irak verlangt wird, zählen sie auch - wiederum entgegen dem Willen anderer Sicherheitsratsmitglieder - die nicht nach Kapitel VII der UN-Charta erlassene Resolution 688, die die Menschenrechtslage im kurdischen Teil Iraks zum Gegenstand hat 36 . Festzuhalten bleibt, daß die Sanktionen, die ursprünglich verhängt worden waren, um den Rückzug des Irak aus Kuwait zu erzwingen, mit nur wenigen Modifikationen aufrechterhalten wurden, um die neuen, weitergehenden Ziele des Sicherheitsrates, insbesondere die Entwaffnung des Irak, durchzusetzen. Ihre Aufhebung wurde gleichzeitig an einen entsprechenden Beschluß des Sicherheitsrates geknüpft, bei dem die ständigen Mitglieder des Rates wiederum ihr Vetorecht geltend machen können 37 • In nachfolgenden Resolutionen wurden der in Resolution 687 angelegte Mechanismus des Tausches "Öl gegen Nahrung bzw. humanitäre Güter" sowie das Verfahren für die Geltendmachung und Erstattung von Reparations- und Kompensationsleistungen weiter verfeinert 38 . Der Irak verweigerte Res. 687, para. 23. Wörtlich: " ... taking into account Iraq's compliance with the resolution and general progress towards the control of armaments in the region." 35 S. Graham-Brown, MER 1995, S. 5. Zum nicht ausdrücklich erklärten Ziel der Ablösung des Regimes im Irak vgl. unten unter B. 11. 2. 36 S. Graham-Brown, MER 1995, S. 5. lohnstone, Aftennath of the Gulf War, S. 36, stellt vor diesem Hintergrund fest: "The net result is that members of the Security Council, particularly the pennanent five, have considerable discretion to decide when and if the sanctions regime can be altered." Die Haltung der USA als unrechtmäßig betrachtet Simons, The Scourging of Iraq, S. 58 f. 37 Kritisch zu diesem Mechanismus, der auch in den späteren Sanktionsfällen implementiert wurde, s. Bonnefous, ON 1995, S. 92; Caron, AJIL 87 (1993), S. 577ff.; Kulessa, APuZ 1998, S. 31, 33. 38 Vgl. insbesondere Res. 705 (1991) und 706 (1991) vom 15.8. 1991, dt. Übersetzung in VN 1991 S. 214f., Res. 712 vom 19. 9. 1991, dt. Übersetzung in VN 33 34

I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen

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allerdings lange Zeit seine Zustimmung zu dem von der UNO eingerichteten System, da es einen für ihn nicht akzeptablen Eingriff in seine Souveränität darstellte. Erst im Mai 1996 gelang eine Einigung, die dem Irak ab Dezember 1996 zunächst für ein halbes Jahr den Export von Erdöl im Wert von 2 Millarden US-Dollar erlaubte 39 , und die bis heute mit gewissen Anpassungen immer wieder verlängert wurde 4o . Die Erlöse, eingezahlt auf ein Sonderkonto in Frankreich, werden zu einem Drittel von der UN-Entschädigungskommission, die die Schadensersatzansprüche gegen den Irak verwaltet, verwendet41 , sechs Prozent werden für die Kosten von UNSCOM und der IAEA, die die Abrüstung des Irak überwachen, abgeführt, vier Prozent gehen an die Überwachungs- und Kontrollmechanismen des "oil for food"-Programmes selbst und der Rest, etwa 1, 2 Millarden Dollar, von denen noch einmal 300 Millionen direkt von der UNO in den Kurdengebieten eingesetzt werden, wird vom Irak unter Aufsicht der UNO für den Erwerb humanitärer Güter für die irakische Zivilbevölkerung verwendet42 . Das Verhältnis des Irak zur UNO ist seit dem Ausbruch des Konfliktes gespannt geblieben. Mit den Waffenkontrolleuren von UNSCOM und der Internationalen Atomenergie-Organisation trieb das Regime Husseins von Beginn der Kontrollen an ein "Katz und Maus"-SpieI43 , das immer wieder 1991, S. 217, und schließlich Res. 986 (1995) vom 14.4. 1995, dt. Übersetzung in VN 1995, S. 223 f., die die wesentliche Grundlage für das seit Dezember 1996 praktizierte Verfahren darstellt. 39 Vgl. Memorandum of Understanding between the Secretariat of the United Nations and the Government of Iraq on the Implementation of Security Council resolution 986 (1995), signed in New York, 20 May 1996, ILM 35 (1996), S. 1095. Dazu: Perthes, Sechs Jahre nach dem zweiten Golfkrieg, S. 15; Bericht des Generalsekretärs in UN Doc. S/1997/206 v. 10.3. 1997. 40 Zur Umsetzung in der Praxis vgl. Beneheneb, JDI 1997, S. 945ff. 41 Zu deren Tätigkeit s. Böekstiegel, VN 1997, S. 89ff.; sowie die Beiträge verschiedener Autoren in Lillieh, The Uni ted Nations Compensation Commission, S. 3 ff. 42 Zahlen von Perthes, Sechs Jahre nach dem Zweiten Golfkrieg, S. 15 f. Die Verteilungspläne finden sich in S/1996/987 v. 25. 11. 1996; S/1997/606 v. 4. 8. 1997; S/1998/4 v. 6. 1. 1998. Zu den ersten Erfahrungen s. die fortlaufenden Berichte des UN-Generalsekretärs in UN Doc. S/1996/978 v. 25. 11. 1996; S/1996/1015 v. 9. 12. 1996; S/1997/206 v. 10.3. 1997; S/1997/419 v. 2. 6. 1997; S/1997/685 v. 4. 9. 1997; S/1997/935 v. 28.11. 1997; S/1998/90 v. 1. 2.1998. 43 S. Barry/Thomas in Newsweek vom 8. 12. 1997, S. 36f. ("Cat and Mouse"). Zu Erfahrungen der internationalen Kontrollen vgl. ausf. Bailey, The UN Inspections in Iraq, S. 5ff., sowie EMus, SD 1994, S. 7ff.; ders., SIPRI YB 1992, S. 509ff.; ders., SIPRI YB 1993, S. 69lff.; Dowty, EA 1994, S. 320ff.; Perthes, Sechs Jahre nach dem zweiten Golfkrieg, S. 18f.; Krause, VN 1992, S. 46ff.; Trevan, SIPRI YB 1994, S. 739ff.; lohnstone, Aftermath of the Gulf War, S. 27ff.; Simons, The Scourging of Iraq, S. 73 ff.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschafts sanktionen

zu internationalen Spannungen führte und im Frühjahr 1998 nach der Ausweisung der US-amerikanischen Kommissionsmitglieder im November 1997 und fortlaufenden Behinderungen der Kontrollen besonders in bezug auf die sog. "Präsidentenpaläste" einen neuen Höhepunkt erreichte44 . Erst durch die erfolgreiche Vermittlungsmission des Generalsekretärs Koji Annan im Februar 1998 konnte ein drohender Militärschlag vermieden werden 45. Allerdings ist auch die Golfkriegskoalition inzwischen brüchig geworden und drängen die meisten Staaten auf eine Normalisierung des Verhältnisses zum Irak und insbesondere auf ein Aufheben der Wirtschaftssanktionen46 . Dieser Schritt scheiterte jedoch bisher stets am Widerstand der USA. d) Ehemaliges Jugoslawien 47

Nachdem am 25. Juni 1991 die bei den Teilrepubliken der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Kroatien und Slowenien ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, brachen zwei Tage später schwere Kämpfe zwischen den von der Zentralregierung in Belgrad befehligten Streitkräften der Jugoslawischen Volksarmee und den (noch provisorischen) slowenischen bzw. ab Juli den kroatischen Truppen aus 48 . Vermittlungsversuche der Europäi44 Eine Chronik der Krisen zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen findet sich in der FAZ vom 24. 2. 1998, S. 5. Zum Angriff der USA auf die irakische Geheimdienstzentrale in Bagdad am 26. Juni 1993 s. Reisman, EJIL 5 (1994), S. 120ff. 45 Annan erreichte vor allem, daß der stellvertretende irakische Ministerpräsident Aziz am 23. 2. 1998 ein Abkommen unterzeichnete, das die Modalitäten für künftige Kontrollen festlegt, s. UN Doc. S119981166, dt. Übersetzung in FAZ v. 25. 2. 1998, S. 2. Der Vertrag wurde durch Res. 1154 v. 2. 3. 1998 vom Sicherheitsrat angenommen. 46 Zu den Protagonisten gehören hier insbesondere Ägypten, Frankreich und Rußland, deren Druck sich namentlich nach der im November 1994 erfolgten Anerkennung Kuwaits durch den Irak verstärkte. S. dazu Perthes, Sechs Jahre nach dem zweiten Golfkrieg, S. 23ff.; Graham-Brown, MER 1995, S. 5; Simons, The Scourging of Iraq, S. 62f., 67ff.; Bonne/ous, DN 1995, S. 94. 47 Einen guten Überblick über die komplexen Ereignisse im Jugoslawien-Konflikt und die Reaktionen der UNO bieten PetroviclCondorelli, AFDI 1992, S. 32ff.; Dastis Quecedo, RED! 1992, S. 686ff.; MacKay, TulJlCL 3 (1994), S. 221 ff.; Martin-Bidou, AFDI 1993, S. 262ff.; Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 123ff.; Pape, Humanitäre Intervention, S. 209ff.; Stremlau, Sharpening International Sanctions, S. 25 ff., und die Reihe ,,zur Neuordnung des südslawischen Raumes" in ÖMZ 1993, S. 11ff., 122ff., 228ff., die insbesondere auch auf die militärischen Maßnahmen der Staatengemeinschaft eingehen, auf deren Darstellung vorliegend verzichtet wird. 48 Bereits am 19. Juli 1991 wurden die Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee aus Slowenien zurückgezogen und verlagerte sich der Konflikt auf die überwiegend von Serben bevölkerten Gebiete Kroatiens, s. Weller, AJIL 86 (1992), S. 574.

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schen Gemeinschaft und der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) blieben ohne Erfolg49 , so daß der Sicherheitsrat si~h nicht zuletzt auf einen Antrag der jugoslawischen Regierung hin - am 25. September 1991 erstmals mit der Situation befaßte. Auf dieser Sitzung verabschiedete der Rat Resolution 713, in der er ein umfassendes Embargo für alle Waffen und militärische Ausrüstung gegen das ehemalige Jugoslawien verhängte 5o . Am 15. Dezember desselben Jahres richtete der Sicherheitsrat einen Sanktionsausschuß ein, der Informationen zur Umsetzung des Waffenembargos sammeln und auswerten sollte51 . Im März 1992 sprach sich in einer Volksabstimmung in Bosnien-Herzegovina eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit aus; daraufhin griffen die Kämpfe - angeführt von serbischen Milizen, die massiv von Restjugoslawien unterstützt wurden - auf das Gebiet dieses neuen Staates übe~2. Der Sicherheitsrat forderte die Regierung in Belgrad auf, die Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee aus Bosnien zurückzuziehen 53 und verhängte, nachdem dieser Forderung nicht Folge geleistet worden war, durch Resolution 757 (1992) umfassende Sanktionen nach Art. 41 der UN-Charta gegen Restjugoslawien 54 . Die Staaten mußten hiernach den Import aller Rohstoffe und Erzeugnisse aus Serbien und Montenegro und alle Aktivitäten, die den Import befördern könnten, insbesondere Finanztransfers, verhindern. Des weiteren wurde ein umfassendes Embargo verhängt, das Ausnahmebestimmungen nur für medizinische Güter sowie - nach Notifikation des Sanktionsausschusses - für Nahrungsmittel vorsah. Zahlungen oder die Zurverfügungstellung von anderen finanziellen und wirtschaftlichen Mitteln an die Behörden von Restjugoslawien, einem gewerblichen, industriellen oder der öffentlichen Versorgung dienenden Unternehmen oder sonstigen juristischen oder natürlichen Personen waren zu unterbinden, es sei denn, es handelte sich um Zahlungen für rein medizinische oder humanitäre Zwecke oder Nahrungsmittel. Nach Genehmigung des Sanktionsausschusses galten die Beschränkungen allerdings nicht für die (vorübergehende) Durchlieferung von Erzeugnissen und Rohstoffen durch das Gebiet Restjugoslawiens. Hierzu Weller, AJIL 86 (1992), S. 572ff.; Lucron, RMCUE 1992, S. 7ff. Dt. Übersetzung in YN 1991, S. 175. Das Waffenembargo wurde auch nach dem Untergang der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien beibehalten und fand Anwendung auf alle Nachfolgestaaten dieses Staates, s. Res. 727 (1992), dt. Übersetzung in YN 1992, S. 75. Dazu PetroviclCondorelli, AFDI 1992, S. 43 f. 51 S. Res. 724 (1991) para. 5, dt. Übersetzung in YN 1992, S. 74. 52 S. Weller, AJIL 86 (1992), S. 593, 597; Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 125. 53 S. Res. 752 (1992) vom 15.5. 1992, dt. Übersetzung in YN 1992, S. 109f. 54 Res. 757 (1992) vom 30. 5. 1992, dt. Übersetzung in VN 1992, S. 11 0 ff. 49

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Der Luftverkehr von und nach Serbien und Montenegro sowie alle damit zusammenhängenden Dienstleistungen wurden bis auf entsprechende Aktivitäten für humanitäre Zwecke mit Genehmigung des Sanktionsausschusses vollständig verboten. Schließlich verfügte der Sicherheitsrat, daß die Staaten die Zahl des Personals an den jugoslawischen Botschaften und Konsulaten zu verringern hätten, daß Sportler aus Restjugoslawien nicht mehr an internationalen Sportveranstaltungen teilnehmen dürften und daß die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit sowie der kulturelle Austausch mit Vertretern oder staatlich geförderten Personen Restjugoslawiens ausgesetzt würde. Aus Verträgen, die wegen der Sanktionen nicht eingehalten werden konnten, durften keine Ansprüche mehr hergeleitet werden. Nicht betroffen von dem Maßnahmenpaket waren die bereits im Februar 1992 vom Sicherheitsrat eingerichtete UN-Schutztruppe UNPROFOR55 , die Internationale Konferenz über das ehemalige Jugoslawien (ICFY) und die Beobachterkommission der Europäischen Union 56. Das Mandat des Sanktionsausschusses wurde entsprechend den erweiterten Zwangsmaßnahmen ausgeweitet. Durch Resolution 760 vom 18. Juni 1992 nahm der Sicherheitsrat Rohstoffe und Erzeugnisse zur Deckung unabweisbarer humanitärer Bedürfnisse nach Genehmigung des Sanktionsausschusses von dem Embargo sowie den darauf bezogenen finanziellen Sanktionen aus. Im November 1992 beschloß der Rat Maßnahmen zur Durchsetzung der von ihm verhängten Sanktionen gegen die inzwischen als neuer Staat anerkannte, jedoch gegen ihren Willen nicht als identisch mit dem ehemaligen Jugoslawien betrachtete57 Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro)58. 59. Die Durchlieferung von bestimmten Produkten wie Rohöl, Kohle und Fahrzeugen wurde an die vorherige Zustimmung des Sanktionsausschusses geknüpft, um eine Aneignung durch serbisch-montenegrinische Kräfte zu verhindern. Weiterhin wurden die handlungswilligen Staaten aufgefordert, alle erforderlichen, den Umständen angemessenen Maßnahmen anzuwenden, um alle ein- und auslaufenden Seetransporte zur Kontrolle und Überprüfung von Fracht und Bestimmungsort anzuhalten und so die

S. Res. 743 vom 21. 2. 1992. Zu deren Tätigkeit s. Preisinger, Die EG-Beobachtermission im ehemaligen Jugoslawien. 57 Dazu s. Blum, AJIL 86 (1992), S. 830 ff. und die Reaktionen Degans. Brings. Malones sowie wiederum Blums in der "Correspondents' Agora", AJIL 87 (1993), S. 240ff.; Dastis Quecedo, RED! 1992, S. 693ff.; Weller, AJIL 86 (1992), S. 595f., 599. 58 Im folgenden kurz BRJ genannt. 59 S. Res. 787 (1992) vom 16. 11. 1992, dt. Übersetzung in VN 1992, S. 220f. 55

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Einhaltung der Sanktionen zu sichern6o . Eine parallele Ermächtigung wurde in bezug auf die Kontrolle des Schiffsverkehrs auf der Donau erteilt61 . Die Kämpfe in Bosnien-Herzegovina wurden in diesem Zeitraum ebenso fortgesetzt wie die Friedensbemühungen der internationalen Gemeinschaft, besonders durch die Internationale Konferenz über das ehemalige Jugoslawien. Am 4. 1. 1993 wurde in diesem Rahmen in Genf ein umfassender Friedensplan, der sog. Vance-Owen-Plan, vorgestellt62 . Am 17. April 1993 beschloß der Sicherheitsrat Resolution 82063 , in der er begrüßte, daß dieser Plan zwischenzeitlich von zwei der bosnischen Parteien angenommen worden war, und in der er die Verweigerungs haltung der Partei der bosnischen Serben gegenüber der Friedensregelung kritisierte. Gleichzeitig enthielt die Resolution eine wesentliche Verschärfung der bereits von Beginn an als umfassendes Paket konzipierten Sanktionen gegen die BRJ, die nach der fortgesetzten Weigerung der bosnischen Serben zur Unterzeichnung des Friedensplans am 26. April 1993 in Kraft traten. Folgende Maßnahmen sind dabei von besonderer Bedeutung: Die Einfuhr in, die Ausfuhr aus und die Durchfuhr durch die Schutzzonen der Vereinten Nationen in Kroatien und die von den Serben besetzten Gebiete Bosnien-Herzegovinas sollte nur noch mit Genehmigung der kroatischen bzw. der bosnischen Regierung gestattet sein; eine Ausnahme galt insofern für die von internationalen humanitären Organisationen verteilten, unverzichtbaren humanitären Hilfsgüter. Die Staaten wurden zu größeren Anstrengungen aufgerufen, die Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien effektiv durchzusetzen, insbesondere die Um1enkung von für andere Destinationen bestimmten Rohstoffen und Erzeugnissen in die BRJ zu verhindern und bei der Einwanderungs- und Zollkontrolle zusammenzuarbeiten. Die Durchfuhr von Rohstoffen und Erzeugnissen auf der Donau wurde an die Genehmigung durch den Sanktionsausschuß geknüpft und sollte wirksam überwacht werden. Die Passage von Schiffen unter mehrheitlicher jugoslawischer Beteiligung oder Registratur in der BRJ durch Anlagen in Ausland wurde verboten, die bereits vorher erteilten Befugnisse zur Kontrolle des Verkehrs auf der Donau bestärkt. Gegen natürliche und juristische Personen, die gegen die Sanktionen verstießen, sollten Verfahren eingeleitet und wirksame Strafen verhängt werden. Alle im Ausland befindlichen Gelder der BRJ, von Handels-, Industrie- oder öffentlichen Versorgungsunternehmen oder unter der Kontrolle solcher Behörden und Unternehmen waren einzufrieren. Die Beförderung aller Rohstoffe und Erzeug60 61

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Res. 787 (1992), para. 12. Res. 787 (1992), para. 13. S. OSCE, UN Sanctions, S. 8. Dt. Übersetzung in VN 1993, S. 75 ff.

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nisse über die Landgrenzen oder Häfen der BRJ war zu unterbinden, mit Ausnahmen für die Einfuhr medizinischer Hilfsgüter und Nahrungsmittel sowie nach Genehmigung des Sanktionsausschusses für andere unverzichtbare humanitäre Hilfsgüter in die BRJ und für die Durchlieferung durch die BRJ mit Genehmigung des Sanktionsausschusses. Den Nachbarstaaten der BRJ wurde die Aufgabe übertragen, allen Last- und Schienenverkehr mit der BRJ bis auf bestimmte, dem Sanktionsausschuß mitzuteilende Grenzübergänge zu verhindern. Alle jugoslawischen Last-, Schienen- und Luftfahrzeuge, die sich im Ausland befanden und mit denen gegen die Sanktionen verstoßen wurde, waren zu beschlagnahmen und konnten dem Verwahrungsstaat mitsamt ihrer Fracht verfallen. Für eine entsprechende Untersuchung konnten jedenfalls alle Fahrzeuge aufgehalten werden. Die Kosten für die Verwahrung durften auf die Eigentümer abgewälzt werden. Finanzielle und nichtfinanzielle Dienstleistungen zur Durchführung von geschäftlichen Tätigkeiten in der BRJ durften nicht mehr bereitgestellt werden, mit Ausnahme von Dienstleistungen auf dem Gebiet des Fernmelde- und Postverkehrs, juristischen Dienstleistungen im Einklang mit Res. 757 (1992) und Dienstleistungen, die vom Sanktionsausschuß im Einzelfall genehmigt worden waren und aus humanitären oder anderen außergewöhnlichen Gründen notwendig werden könnten. Der gesamten Seehandelsschiffahrt wurde der Zugang zum jugoslawischen Küstenmeer ohne Genehmigung des Sanktionsausschusses verboten. Die durch Res. 787 (1992) erteilte Ermächtigung zum Einsatz aller erforderlichen Mittel zur Durchsetzung der Sanktionen auf der Adria wurde auf diesen Bereich ausgedehnt. Die grundsätzliche Ausnahmestellung von UNPROFOR, der Internationalen Konferenz über das ehemalige Jugoslawien und der EU-Beobachtermission wurde bestätigt. Inzwischen war ein umfassendes System zur Durchsetzung der Sanktionen errichtet worden. Von den Staaten der OSZE waren in Zusammenarbeit mit der EU sog. Sanktionsunterstützungsmissionen (Sanctions Assistance Missions, SAMs) in die Nachbarstaaten der BRJ entsandt worden, die ab 1992 den lokalen Behörden Hilfestellung bei der Überwachung der Grenzübergänge zur BRJ leisteten und deren Aktivitäten durch eine Zentrale in Brüssel koordiniert und ausgewertet wurden 64 • Auf der Donau kontrollierte eine aus ca. 250 Zoll- und Polizeibeamten der WEU bestehende "Danube Patrol Mission" den Schiffsverkehr zusammen mit den Behörden Rumäniens, Ungarns und Bulgariens65 . Auf der Adria wurden die Sanktionen 64 Hierzu ausf. Vork, Les missions d'assistance, S. 79ff.; Kalpyris, Les aspects juridiques des sanctions, S. 64 ff.; Yarrow, Sanctions Assistance Missions; Train, RGDIP 1995, S. 406ff.; United States General Accounting Office, Implementation of UN Economic Sanctions, S. 14ff. 65 S. dazu Train, RGDIP 1995, S. 408ff.; OSCE, UN Sanctions, S. 8.

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bereits ab Juli 1992 durch unabhängig voneinander agierende Missionen der WEU auf der einen und der NATO auf der anderen Seite gesichert. Nach der Verabschiedung der Resolution 820 wurden diese Aktivitäten am 8. Juni 1993 zur Operation "Sharp Guard" unter einem einheitlichen Kommando zusammengefaßt66 • Durch Resolution 827 vom 25. Mai 199367 richtete der Sicherheitsrat kraft seiner Kompetenz nach Art. 41 der UN-Charta ein internationales Adhoc-Tribunal zur Verfolgung der Verantwortlichen für die seit 1991 auf dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen schweren Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht ein68 . Dieser Gerichtshof nahm am 17. November 1993 seine Tätigkeit auf; mittlerweile sind eine Reihe von Verfahren anhängig und erste Urteile gefällt69 • Im Sommer 1994 kam es zum Wendepunkt in dem Konflikt. Nachdem ein neuer Friedensplan bereits von der bosnisch-kroatischen Föderation, der kroatischen Republik und der BRJ angenommen worden war und nur die Zustimmung der bosnischen Serben weiterhin ausstand, entschloß sich die Bundesrepublik Jugoslawien am 4. 8. 1994, alle politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der selbst ernannten "Republik Srpska" der bosnischen Serben abzubrechen und die gemeinsame Grenze zu diesen von den Serben besetzten Gebieten Bosnien-Herzegovinas für alle Transporte außer von Nahrungsmitteln, Kleidung und Medizin zu schließen7o . Der Sicherheitsrat reagierte auf diese Entwicklung, indem er am 23. September 1994 zwei Resolutionen erließ. Die erste, Resolution 94271 , richtete sich gegen die Partei der bosnischen Serben und verhängte umfassende nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen gegen Vertreter und Angehörige dieser Gruppe. Hierzu zählten u. a. ein Verbot aller Wirtschaftstätigkeiten72 66 S. dazu Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 127 ff.; Zabkar, ÖMZ 1993, S. 236ff.; OSCE, UN Sanctions, S. 9; Napolitano, Sanctions, S. 135ff. 67 Dt. Übersetzung in VN 1993, S. 156ff. Vorausgegan~.en war der Beschluß des Sicherheitsrates in Res. 808 (1993) vom 22. 2. 1993, dt. Ubersetzung in VN 1993, S. 71. Das Statut des Gerichtshofes, UN Doc. S/25704 Add. 1, findet sich in deutscher Übersetzung in ZaöRV 54 (1994), S. 434ff. 68 Vgl. aus der umfangreichen Literatur zu Tätigkeit und Rechtsgrundlagen des Gerichtshofes Partsch, VN 1994, S. Ilff.; Graefrath, NJ 1993, S. 433ff.; Hollweg, JZ 1993, S. 980ff.; Marx, KJ 1994, S. 358ff.; Oellers-Frahm, ZaöRV 54 (1994), S. 416ff.; Aldrich, AJIL 90 (1996), S. 64ff.; Goldstone, Duke JCIL 6 (1995), S. 5ff.; Hochkammer, VandJTL 48 (1995), S. 119ff.; Roggemann, Der Internationale Strafgerichtshof; 0' Brien, AJIL 87 (1993), S. 639 ff. 69 Die Urteile betrafen die Fälle Erdemovic und Tadic. Aktuelle Informationen über die Tätigkeit des Gerichtshofes finden sich auf seiner Homepage ,,http:// www.un.orglicty/". 70 S. MacKay, TulJICL 3 (1994), S. 230f.; OSCE, UN Sanctions, S. 10. 71 Res. 942 (1994) vom 23. 9. 1994, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 225ff. 4 Starck

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mit Körperschaften unter der Kontrolle bosnischer Serben bzw. zugunsten der bosnischen Serben mit Ausnahme von Lieferungen humanitärer Güter, die durch den Sanktionsausschuß genehmigt worden waren; das Einfrieren von Geldern oder anderen finanziellen Vermögenswerten oder Ressourcen von Körperschaften und Personen aus den serbisch besetzten Gebieten Bosnien-Herzegovinas mit Ausnahme von Zahlungen im Zusammenhang mit nach den Ausnahmebestimmungen der Resolution erlaubten Lieferungen oder Transaktionen, die von der bosnischen Regierung genehmigt worden waren; die Verfügung, daß bestimmte, den bosnischen Serben zugute kommende Einzahlungen nur noch an eingefrorene Konten geleistet werden dürften; ein Verbot von Dienstleistungen finanzieller und nichtfinanzieller Art für die Zwecke einer Geschäftstätigkeit in den von Serben kontrollierten Gebieten Bosnien-Herzegovinas mit Ausnahme von Telekommunikations- und Postdiensten, Dienstleistungen für humanitäre Zwecke mit Genehmigung des Sanktionsausschusses sowie Dienstleistungen mit Genehmigung der bosnischen Regierung; ein Einreiseverbot für alle Amtsträger, Angehörige der Streitkräfte und sonstige Vertreter der bosnischen Serben, Personen, die diese unterstützten, sowie Personen, die gegen die Sanktionsresolutionen des Sicherheitsrates verstoßen haben; ein Verbot für den kommerziellen Binnenschiffahrtsverkehr, in den von den bosnischen Serben kontrollierten Häfen ohne Genehmigung des Sanktionsausschusses oder der bosnischen Regierung einzulaufen, sowie weitere Maßnahmen, die die Isolierung der bosnischen Serben effektivieren sollten. Durch Resolution 943 von demselben Tag73 erkannte der Sicherheitsrat die Wende in der Politik der Bundesrepublik Jugoslawien an und verfügte unter dem Vorbehalt der Kontrolle des effektiven Abbruchs der Beziehungen zwischen der BRJ und den bosnischen Serben - die Aussetzung der folgenden, gegen diesen Staat gerichteten Sanktionen für zunächst 100 Tage: der Beschränkungen in bezug auf den zivilen Passagier-Luftverkehr, des Frachtluftverkehrs mit Genehmigung des Sanktionsausschusses, des Personen-Fährverkehrs zwischen der BRJ und Italien und der Sanktionen in bezug auf den sportlichen und kulturellen Austausch. Ferner beauftragte der Sicherheitsrat den Sanktionsausschuß, geeignete vereinfachte Verfahren für die Prüfung legitimer humanitärer Hilfssendungen, insbesondere vom UNHCR und dem IKRK, anzuwenden. Die Suspendierung wurde durch die Resolutionen 970 vom 12. 1. 1995 74 und 988 vom 21. 4. 199575 verlängert. In bei den Resolutionen ermahnte der Zur Definition des Begriffs der "Wirtschaftstätigkeiten" s. Res. 942 para. 9. Res. 943 (1994) vom 23.9. 1994, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 227f. 74 Dt. Übersetzung in VN 1995, S. 164. 7~ Dt. Übersetzung in VN 1995, S. 167 f. 72

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Sicherheitsrat wiederum den Sanktionsausschuß zur Beschleunigung seiner Verfahren sowie vorrangigen Beurteilung von Anträgen betreffend humanitärer Hilfeleistungen des UNHCR und des IKRK. Der Sicherheitsrat erließ des weiteren in gesonderten Resolutionen Ausnahmebestimmungen von den Sanktionen für den Export eines Diphterie-Antiserums aus der BRJ76 sowie in bezug auf die Nutzung bestimmter Schleusen auf der Donau 77. Am 21. November 1995 unterzeichneten die Präsidenten von BosnienHerzegovina, Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien in Dayton, USA, das "Allgemeine Rahmenübereinkommen für den Frieden in Bosnien und Herzegovina,,78. Einen Tag später legte der Sicherheitsrat einen Stufenplan bis zur in Aussicht gestellten Aufhebung des Waffenembargos gegen die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangenen Staaten fest 79 • Nach diesem Plan konnte der Präsident des Sicherheitsrates am 18. Juni 1996 die endgültige Beendigung des Waffenembargos feststellen. In einer weiteren Resolution 80 verfügte der Sicherheitsrat die Suspendierung aller anderen gegen die BRJ verhängten Sanktionen auf unbestimmte Zeit, unter dem Vorbehalt der Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus dem Dayton-Abkommen. Die Maßnahmen gegen die bosnischen Serben waren von der Aussetzung bis zu ihrem Rückzug hinter die vom Friedensabkommen gezogenen Trennungslinien, der vom Sicherheitsrat am 27. 2. 1996 festgestellt wurdeSt, ausgenommen. Nachdem die im Friedensabkommen vorgesehenen Wahlen in BosnienHerzegovina am 14. September 1996 stattgefunden hatten, hob der Sicherheitsrat durch Resolution 1074 vom 1. Oktober 199682 die gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und die bosnischen Serben verhängten Sanktionen endgültig auf und verfügte die Auflösung des Sanktionsausschusses. Das durch Resolution 827 (1993) geschaffene Ad-hoc-Tribunal setzt seine Arbeit bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt fort und trägt so zur Aufarbeitung des Konfliktes auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien bei. Im Frühjahr 1998 entstanden schließlich neue bewaffnete Auseinandersetzungen in der nach Unabhängigkeit strebenden serbischen Provinz Kosovo, 76 S. Res. 967 v. 14. 12. 1994, dt. Übersetzung in VN 1995, S. 81. Zum Hintergrund dieser Resolution s. Bettati, Le droit d'ingerence, S. 158. 77 S. Res. 992 v. 11. 5.1995, dt. Übersetzung in VN 1995, S. 171. 78 S. OSCE, UN Sanctions, S. 11. Das Dayton-Abkommen ist abgedruckt im Anhang des UN Doc. S/1995/999 und in SIPRI YB 1996, S. 232ff. Dazu: Borden/ Caplan, SIPRI YB 1996, S. 226ff.; Gaeta, EJIL 7 (1996), S. 147ff.; Preisinger, IP 1997, S. 29ff. 79 Res. 1021 (1995) vom 22. 11. 1995, dt. Übersetzung in VN 1996, S. 77. 80 Res. 1022 (1995) vom 22. 11. 1995, dt. Übersetzung in VN 1996, S. 77 f. 81 OSCE, UN Sanctions, S. 12. 82 Dt. Übersetzung in VN 1997, S. 35. 4"

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

die den Sicherheitsrat dazu bewegten, am 31. 3. 1998 erneut ein umfassendes Waffenembargo gegen die BRJ zu verhängen und einen Sanktionsausschuß zu seiner Überwachung einzurichten83 • Insgesamt waren somit drei verschiedene Gruppen Adressaten von nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen im Rahmen des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien: Alle Nachfolgestaaten waren in gleicher Weise sowohl von dem Waffenembargo als auch von der Tätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes betroffen. Gesondert gegen die bosnischen Serben waren wirtschaftliche Sanktionen nach den Res. 820 (1993) und 942 (1994) gerichtet. Das umfassendste Sanktionsregime traf jedoch die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) durch die Resolutionen 757 (1992) und 820 (1993) des Sicherheitsrates. e) Somalia

Der seit 1988 anhaltende Bürgerkrieg in Somalia, der einen fast vollständigen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung sowie eine große Hungersnot in weiten Teilen der Bevölkerung mit sich brachte84 , führte im Jahre 1992 nach wachsendem öffentlichen Druck zu einem Eingreifen des Sicherheitsrates. Bevor dieser die in der Literatur ausführlich besprochenen militärischen Aktionen UNOSOM 185 , UNITAp6 ("Action Restore Hope") und UNOSOM 11 87 beschloß88 , verhängte er in Resolution 733 am 23. 1. 199289 ein umfassendes Embargo für Waffen und militärische Ausrüstungen gegen Somalia, das auch nach dem Scheitern von UNOSOM 1190 aufrechterhalten wurde und bis heute fortbesteht.

S. Res. 1160 (1998). Zum Hintergrund vgl. Matthies, VN 1993, S. 45ff. 85 "United Nations Operation in Somalia", s. Res. 751 (1992) vom 24. 4. 1992, dt. Übersetzung in VN 1993, S. 63, und 775 (1992) vom 28. 8. 1992, dt. Übersetzung in EA 1993, D 184f. 86 "Unified Task Force", s. Res. 794 (1992) vom 3. 12. 1992, dt. Übersetzung in VN 1993, S. 65. 87 S. Res. 814 (1993) vom 26. 3. 1993, dt. Übersetzung in EA 1993, D 195. 88 Zur Darstellung und Bewertung des Eingreifens des Sicherheitsrates im Konflikt in Somalia vgl. insbesondere Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 136ff.; Sore/, AFDI 1992, S. 6lff.; Greenwood, EA 1993, S. 99ff.; Hutehinson, HarvIU 34 (1993), S. 624ff.; Matthies, VN 1993, S. 47ff. 89 Dt. Übersetzung in VN 1993, S. 61 f. 90 S. Res. 954 (1994) vom 4. 11. 1994, dazu Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 144ff. 83

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I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschafts sanktionen

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f) Liberia

Ebenfalls ein Waffenembargo wurde im Jahre 1992 durch Resolution 788 gegen Liberia verhängt91 , das seit 1989 Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges konkurrierender politischer Gruppierungen um den ehemaligen Präsidenten Doe (nach dessen Ennordung um seinen Nachfolger Sawyer), seinen ehemaligen Minister Taylor und den ehemaligen Militärkommandanten Johnson war92 . In größerem Maße als der Sicherheitsrat bemühte sich hier die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOW AS) durch diplomatische Vennittlung, wirtschaftliche Sanktionen und Entsendung einer Friedenstruppe (ECOMOG), die von dem UN-Waffenembargo ausgenommen worden war93 , um eine Lösung des Konfliktes. g) Libyen

Gegen Libyen beschloß der Sicherheitsrat am 31. 3. 1992 nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen94 . Hintergrund dieser Sanktionen war die behauptete Verstrickung Libyens in Akte des internationalen Terrorismus, insbesondere in den Anschlag auf Flug 103 der Pan Am am 21. 12. 1988 über Lockerbie, der 270 Todesopfer mit sich brachte, und den Anschlag auf die Maschine der Union de transports aeriens (UTA) am 19. 9. 1989 über der Sahara, der 171 Menschen tötete 95 . Bereits am 21. 1. 1992 hatte der Sicherheitsrat in Resolution 731 96 Libyen aufgefordert, einem Begehr0n Großbritanniens und der USA nachzukommen, die am 27. November 1991 Libyen in einer gemeinsamen Erklärung zur Auslieferung zweier seiner Staatsangehörigen, die des Lockerbie-Anschlags verdächtigt wurden, sowie zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert hatten97 . Libyen weigerte sich, diesen Forderungen Folge zu leisten, und strengte am 3. 3. 1992 ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof an, um eine Lösung des Konfliktes im Rahmen des "Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt" (sog. Montreal-Konvention) zu erreichen98 . Der Sicherheitsrat verhängte daraufhin durch Resolution 748 S. Res. 788 (1992) vom 19. 11. 1992, dt. Übersetzung in VN 1993, S. 117 f. Einen Überblick über den Konflikt und die Reaktionen der Staatengemeinschaft darauf bieten Nolte, ZaöRV 53 (1993), S. 603ff., und Schrijver, The Use of Economic Sanctions, S. 139ff. 93 S. Res. 788 (1992), para. 9. 94 S. Res. 748 (1992) vom 31. 3. 1992. 95 S. Beveridge, ICLQ 41 (1992), S. 907f.; Weller, RADIC 4 (1992), S. 303ff. 96 S. Res. 731 (1992), dt. Übersetzung in VN 1992, S. 67 f. 97 S. UN Doc. A/46/826 vom 10. 12. 1991. 98 Libyen berief sich dabei insbesondere auf das in der Montrea1-Konvention verankerte Prinzip "aut dedere aut iudicare". 91

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vom 31. 3. 1992 unter Kapitel VII der UN-Charta ein komplettes Flugverkehrsverbot mit einer Ausnahmebestimmung für besonderen humanitären Bedarf, ein Verbot von Dienstleistungen in Verbindung mit dem Flugverkehr und ein Embargo für Waffen und militärische Ausrüstungen und Dienstleistungen. Weiterhin beschloß er Einschränkungen der diplomatischen Vertretungen, das Verbot des Betriebs aller Büros libyscher fluggesellschaften im Ausland, ein einheitliches Einreiseverbot für Libyer, die bereits aus einem UN-Mitgliedstaat als Terroristen ausgewiesen worden waren oder denen dort die Einreise verweigert worden war, und richtete schließlich einen Sanktionsausschuß ein, der die Umsetzung und Durchsetzung der Sanktionen überwachen sollte und dem die Genehmigung von Flügen nach der Ausnahmeklausel für humanitären Bedarf übertragen wurde. Der IGH beschied daraufhin Libyens Antrag auf die Anordnung einstweiligen Rechtsschutzes abschlägig, da Libyens Verpflichtung aus Art. 25 der UN-Charta zur Befolgung der noch vor dem Urteil des IGH erlassenen Sicherheitsratsresolution 748 nach Art. 103 UNC prima facie den Rechten und Pflichten aus der Montreal-Konvention vorgehe99 . In der Hauptsache ist der Streit noch anhängig. Libyen sah sich trotz dieser Entscheidung weiterhin nicht imstande, dem Begehren nach Auslieferung seiner Staatsangehörigen nachzukommen. Der Sicherheitsrat verschärfte daraufhin in Resolution 883 vom 11. 11. 1993 die Sanktionen, indem er insbesondere das Einfrieren aller libyschen Gelder im Ausland, sofern sie nicht aus dem Verkauf von Öl, Gas oder landwirtschaftlichen Produkten stammten und auf Sonderkonten eingezahlt worden waren, sowie ein Embargo in bezug auf bestimmte, im Anhang der Resolution benannte Güter verfügte 100 und durch bestimmte Vorgaben die flugverkehrssanktionen effektivierte lO1 • Diese Maßnahmen sind noch nicht aufgehoben worden; ihre Suspendierung wurde jedoch, nachdem sich Libyen und Großbritannien im August 1998 grundsätzlich auf die Auslieferung der Verdächtigen des Lockerbie-Attentats an ein Gericht mit schottischen Richtern, das in den Niederlanden tagen soll, geeinigt haben, vom Sicherheitsrat in seiner Resolution 1192 v. 27. 8. 1998 in Aussicht gestellt 102.

99 S. IC] Resp. 1992, S. 15. Dazu Gowlland-Debbas, AJIL 88 (1994), S. 643ff.; Beveridge, ICLQ 41 (1992), S. 916ff.; Ipsen, VN 1992, S. 41ff.; Franck, AJIL 86 (1992), S. 519ff.; Graefrath, EJIL 4 (1993), S. 184ff.; Marschang, KJ 1993, S. 62ff.; Reisman, AJIL 87 (1993), S. 86ff.; Sorel, RGDlP 1993, S. 689ff.; Watson, HIU 34 (1993), S. 1ff.; Weller, RADlC 4 (1992), S. 304ff. 100 Die Liste setzt sich vor allem aus Gegenständen zur Ö1förderung und -raffinierung zusammen. 101 S. Res. 883 (1993), dt. Übersetzung in VN 1994, S. 76ff.

I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen

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h) Haiti

In Haiti stellten der Sturz und die anschließende Vertreibung des demokratisch gewählten Präsidenten Aristide im Oktober 1990 das auslösende Moment für das Eingreifen zunächst der OAS, später auch der Vereinten Nationen, gegen die Militärregierung Raou1 Cedras' dar lO3 • Der Sicherheitsrat qualifizierte die Lage in Haiti am 16. Juni 1993 104 als Bedrohung des internationalen Friedens in der Region und verhängte ein Embargo für Öl und Ölprodukte sowie in Hinsicht auf Waffen und Rüstungsgüter. Des weiteren veranlaßte er das Einfrieren aller Auslandskonten von Regierung und de-facto-Regierung und die Einrichtung eines Sanktionsausschusses, der neben der allgemeinen Begleitung der Sanktionen insbesondere über die Genehmigung von Lieferungen von Öl und Ölprodukten im Ausnahmefall bei essentiellem humanitären Bedarf zu entscheiden hatte. Das Embargo wurde nach dem Abschluß des sog. Abkommens von Governors Island 105 zwischen dem gewählten Präsidenten Aristide und Cedras im Juli 1993 zunächst suspendiert lO6 , nach der Weigerung der Militärjunta, ihre Pflichten aus dieser Vereinbarung zu erfüllen, jedoch durch Resolution 873 vom 13. 10. 1993 107 wieder in Kraft gesetzt. Drei Tage nach diesem Beschluß ermächtigte der Sicherheitsrat die UN-Mitgliedstaaten in Resolution 875 zum Ergreifen aller erforderlichen Maßnahmen, um das Embargo durchzusetzen und insbesondere den Seeverkehr nach Haiti anzuhalten, wenn dies zur Kontrolle und Überprüfung der Fracht notwendig erscheine 108. Am 6. Mai 1994 weitete der Sicherheitsrat schließlich durch Resolution 917 (1994)109 die Sanktionen durch ein umfangreiches Paket von Maßnah102 S. Res. 1192 (1998), para. 8; sowie FAZ v. 28. 8. 1998 u. v. 29. 8. 1998. Libyen selbst hatte sich bereits 1992 bereit erklärt, die Verdächtigen an die Arabische Liga zu übergeben oder an ein Gericht mit schottischen Richtern auszuliefern, das etwa im Gebäude des IGH in Den Haag tagen könnte; schon früh drängten auch die Arabische Liga und Länder der Europäischen Union auf die Aufhebung der Sanktionen; vgl. Das Sonntagsblatt v. 28. 4. 1995; FAZ v. 19. 4. 1995, FAZ v. 15.2. 1995; NZZ v. 7.12. 1994. 103 Einen Überblick über den faktischen Hintergrund und die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft geben Swindells, FordlU 20 (1997), S. 1907 ff; Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 146ff.; Cema, ASIL Proc. 1992, S. 378ff. (zur Reaktion der DAS); Daudet, AFDI 1992, S. 89ff.; Politakis, RADle 6 (1994), S. 187ff. 104 S. Res. 841 (1993), dt. Übersetzung VN 1993, S. 213ff. lOS Abgedruckt in UN Doc. S126063 (1993). 106 S. Res. 861 (1993) vom 27. 8. 1993, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 33. 107 Dt. Übersetzung in VN 1994, S. 35. 108 S. Res. 875 vom 16. 10. 103, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 35. 109 Dt. Übersetzung in VN 1994, S. 115ff.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschafts sanktionen

men aus: Mit Ausnahme des planmäßigen gewerblichen Passagierverkehrs und vom Sanktionsausschuß aus humanitären Gründen genehmigten Flügen sollten die Landung oder der Start von haitianischen Luftfahrzeugen weltweit unterbunden werden; Angehörigen des Militärs und ihren Familien wurde die Ausreise verwehrt und ihre Gelder und Finanzmittel eingefroren; ein umfassender Boykott für alle Rohstoffe und Erzeugnisse mit Ursprung in Haiti wurde verhängt, flankiert vom Verbot von Dienstleistungen, die den Export dieser Güter aus Haiti befördern könnten; es wurde ein allgemeines Einfuhrverbot (Embargo) ausgesprochen, das Ausnahmen für Hilfsgüter für rein medizinische Zwecke, Nahrungsmittel, Informationsmaterialien sowie für Rohstoffe und Erzeugnisse zur Deckung unabweisbarer humanitärer Bedürfnisse, Erdöl und andere näher bezeichnete Produkte nach Genehmigung des Sanktionsausschusses vorsah; und die Kompetenz zum Anhalten und zur Untersuchung des Transportverkehrs zur Kontrolle und Durchsetzung der Sanktionen wurde auf sämtliche ein- und ausfahrenden Seefahrzeuge sowie alle anderen Verkehrsmittel erstreckt. Es wurde unterstrichen, daß die Maßnahmen erst dann aufgehoben würden, wenn die Bedingungen des Abkommens von Governors Island vollständig erfüllt seien. Allerdings bedurfte es erst der Androhung von militärischen Maßnahmen durch die Sicherheitsratsresolution 940 vom 31. Juli 1994 110, um die Militärregierung zum Aufgeben zu bewegen und durch eine erste Übernahme der Kontrolle durch eine multinationale Eingreiftruppe 111 und später die Dislozierung von UNMIH 112 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung der rechtmäßigen Regierung Aristide zu schaffen. Durch Res. 944 vom 29. September 1994 113 hob der Sicherheitsrat schließlich sämtliche Sanktionen auf und löste den Sanktionsausschuß auf. i) Angola

Am 30. Mai 1991 unterzeichneten die beiden Gegner des langjährigen Bürgerkriegs in Angola, die Regierungspartei MPLA 114 und die Rebellenbewegung UNIT A115 in Portugal ein Friedensabkommen, nach dessen Vorgaben es im Sepember 1992 unter Aufsicht der UN Angola Verification Dt. Übersetzung in VN 1994, S. 195. S. hierzu Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 151ff. 112 "United Nations Mission in Haiti", vgl. Res. 867 (1993), dt. Übersetzung in VN 1994, S. 34. 113 Dt. Übersetzung in VN 1994, S. 229. 114 Movimento Popular de Libertar;äo de Angola. 115 Uniäo para la Independencia Total de Angola. 110 111

I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschafts sanktionen

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Mission 11 (UNAVEM 11) zu freien Wahlen kam 1 16. Die UNITA erkannte jedoch bereits den ersten Wahlgang nicht an und griff erneut zu den Waffen. Der Sicherheitsrat versuchte in mehreren Resolutionen, die UNITA zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag zu bewegen ll7 , und beschloß schließlich am 15. September 1993 unter Kapitel VII der UN-Charta ein Verbot der Lieferung von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial sowie von Erdöl und Erdölprodukten an die UNITA, das dadurch sichergestellt werden sollte, daß entsprechende Sendungen nur noch über bestimmte, von der Regierung Angolas im einzelnen benannte Grenzübergänge in das Land gelangen durften II 8. Ein Sanktionsausschuß wurde eingerichtet, um über die Durchführung dieses gezielt gegen eine Bürgerkriegspartei gerichteten Embargos zu wachen 1l9 . Im August 1997 wurden die Sanktionen durch Resolution 1127 verschärft und umfassen jetzt auch ein Flugverbot für das von UNITA besetzte Gebiet, ein Einreiseverbot für UNITA-Vertreter und ihre Familien und die Schließung aller UNITA-Büros im Ausland 120. j) Rwanda

Am 6. April 1994 wurde der Präsident von Rwanda, Juvenal Habyarimana, durch den Abschuß des Flugzeugs, in dem er zusammen mit dem burundischen Präsidenten Cyprien Ntaryamira saß, aus bis heute ungeklärter Ursache ermordet. In der Folge flammte der Bürgerkrieg im Land, der 1990 begonnen und 1993 durch den Friedensvertrag von Arusha sein vorläufiges Ende gefunden hatte, wieder auf. Es kam zu Massakern an der Zivilbevölkerung in größtem Ausmaß. Die Zahl der Flüchtlinge ging in die Millionen. 121 Der Sicherheitsrat stellte in seiner Resolution 918 vom 17. Mai 1994 fest, daß die Situation in Rwanda eine "Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region" darstellte, und verhängte ein Embargo 116 Vgl. die Übersicht über die Ereignisse bei Schrijver, The Use of Economic Sanctions, S. 142f. 117 S. Res. 811 (1993) vom 12. 3. 1993 (dt. Übersetzung in VN 1993, S. 180f.), 834 (1993) vom 1. 6. 1993 (dt. Übersetzung in VN 1993, S. 181 f.), 851 (1993) vom 15.7. 1993 (dt. Übersetzung in VN 1994, S. 38f.). 118 Res. 864 vom 15.9. 1993, para. 19, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 39f. 119 Res. 864 (1993), para. 22. 120 S. Res. 1127 v. 28. 9. 1997, para. 4, dessen Bestimmungen durch Res. 1130 (1997) v. 29. 9. 1997 ab dem 30. 10. 1997 in Kraft gesetzt wurden. Eine Liste der betroffenen Personen und Familien wurde vom Sanktionsausschuß erstellt und wird von diesem regelmäßig aktualisiert, vgl. Press Release SC/6479 v. 23. 2. 1998. 121 Einen Überblick über die Hintergründe und die Reaktion der Staatengemeinschaft im Konflikt in Rwanda geben Schürings, VN 1994, S. 125ff.; Makinda, EA 1994, S. 579ff., und Bauer, Effektivität und Legitimität, S. 155ff.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

für Rüstungsgüter und sonstiges Wehrmaterial jeder Art 122. Von dieser Maßnahme wurden die bereits vorher eingerichtete "UN-Hilfsmission für Rwanda" (UNAMIR)123 und die "UN Beobachtermission für Uganda und Rwanda" (UNOMUR)124 ausdrücklich ausgenommen 125. Ein Sanktionsausschuß wurde zur Begleitung der Sanktionen auf UN-Ebene eingerichtet l26 . Am 8. November 1994 richtete der Sicherheitsrat nach dem Vorbild des Tribunals für das ehemalige Jugoslawien durch Resolution 955 127 einen weiteren Ad-hoc-Strafgerichtshof ein, dem das Mandat zur Verfolgung der Personen, die für "Völkermord und andere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht" in Rwanda und seinen Nachbarstaaten zwischen dem 1. 1. und dem 31. 12. 1994 verantwortlich waren, übertragen wurde 128 . Im Juni 1995 wurde das Waffenembargo ausgedehnt: Mit Blick auf rwandische Lager in den Nachbarstaaten, von denen immer häufiger Übergriffe auf das rwandische Hoheitsgebiet ausgingen, wurden jetzt auch der Verkauf und die Lieferung von Rüstungsgütern an Personen in den Nachbarstaaten verboten, sofern sie zum Zwecke des Einsatzes in Rwanda erfolgten l29 . Nach der Reduzierung der Truppenstärke der UNAMIR und in Anerkennung der Verantwortlichkeit der rwandischen Regierung für die Sicherheit seiner Bürger wurde durch Resolution 1011 vom 16. August 1995 130 das Embargo für die Streitkräfte der Regierung zunächst suspendiert und am 1. 9. 1996 ganz aufgehoben 131. Für die anderen Parteien des Bürgerkriegs inner- und außerhalb Rwandas bleiben die Maßnahmen weiterhin in Kraft; auch der Strafgerichtshof setzt seine Tätigkeit bis heute fort. k) Sudan

Am 26. 6. 1995 wurde in Addis Abeba ein Mordanschlag auf den ägyptischen Präsidenten Mubarak verübt, in dessen Folge die Organisation der Afrikanischen Einheit den Sudan um Auslieferung dreier dieses Anschlages Res. 918 (1994), para. 13, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 151 f. "Uni ted Nations Assistance Mission for Rwanda", s. Res. 872 vom 5. 10. 1993, dt. Übersetzung in VN 1994, S. 79. 124 "United Nations Observer Mission for Uganda and Rwanda", s. Res. 846 vom 22.6. 1993, dt. Übersetzung in VN 1993, S. 220. 125 S. Res. 918 (1994), para. 16. 126 Res. 918 (1994), para. 14. 127 Dt. Übersetzung in VN 1995, S. 39ff. 128 Dazu: Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), S. 501 ff. 129 S. Res. 997 (1995), para. 4, 5, dt. Übersetzung in VN 1995, S. 136f. 130 Dt. Übersetzung in VN 1995, S. 126f. 131 S. Res. 1O11 (1995), para. 8. 122 123

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verdächtigter Männer an Äthiopien ersuchte. Am 31. Januar 1996 forderte der Sicherheitsrat den Sudan auf, diesem Gesuch Folge zu leisten und in Zukunft jegliche Unterstützung terroristischer Aktivitäten zu unterlassen 132. Nachdem der Sudan diesen Forderungen nicht nachgekommen war, bestimmte der Sicherheitsrat durch Resolution 1054 vom 26. 4. 1996 133 unter Kapitel VII der UN-Charta, daß alle Staaten das Personal der sudanesischen Botschaften und Konsulate zahlen- und rangmäßig beträchtlich zu reduzieren und in ihrer Freizügigkeit einzuschränken hatten und Mitgliedern der Regierung und der Streitkräfte des Sudan die Einreise und Durchreise verwehren sollten. Darüber hinaus sollten alle internationalen und regionalen Organisationen keine Konferenzen im Sudan einberufen. Etwa vier Monate später beschloß der Sicherheitsrat in Resolution 1070 (1996) 134 ein umfassendes Start-und Landeverbot für die sudanesischen Fluglinien. Dieses Luftverkehrsembargo trat allerdings bisher noch. nicht in Kraft, da der Sicherheitsrat sich in Abs. 4 der Resolution ausdrücklich die Bestimmung der näheren Modalitäten seiner Durchführung vorbehalten hatte. Ein entsprechender Beschluß wurde vor allem aus humanitären Gründen immer wieder verschoben; man fürchtete, daß die Sanktionen einen schädlichen Einfluß auf die Wartung der Flugzeuge sowie auf die humanitären Hilfsprogramme im Süden Sudans haben könnten. Zur Feststellung der potentiellen Auswirkungen erstellte die UN-Abteilung für humanitäre Angelegenheiten (DHA) im Frühjahr 1997 einen ausführlichen Bericht I35 , in dem im Ergebnis festgestellt wurde, daß die Flugverkehrssanktionen den Transport medizinischer Notfälle zur Behandlung im Ausland erschweren würden und sich schädlich auf Impfungsprogramme, die Verteilung von Medikamenten und die Nahrungsmiuelproduktion auswirken könnten. Im Hinblick auf dringende Nahrungsmiuelhilfen wurde festgehalten, daß die Verteilung der Güter selbst nicht von den Sanktionen betroffen wäre, diese aber wohl eine Beeinträchtigung der Logistik der Hilfsorganisationen bedeuten und eine Umstrukturierung ihrer Hilfssysteme erfordern würden. I) Sierra Leone

Der jüngste Fall der Verhängung nichtmilitärischer Zwangsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat betrifft Sierra Leone. Dort war am 25. Mai 1997 die demokratisch gewählte Regierung Kabbah vom Militär gestürzt S. Res. 1044 (1996) vom 31. 1. 1996, dt. Übersetzung in VN 1996, S. 131 f. Dt. Übersetzung in VN 1996, S. 132f. 134 Dt. Übersetzung in VN 1997, S. 86f. 135 "Note from the Department of Humanitarian Affairs Concerning the Possible Humanitarian Impact of the International Flight Ban Decided in Security Council Resolution 1070 (1996)", UN DHA, 18.2. 1997. 132 I33

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worden 136 . Nachdem die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOW AS bereits am 30. 8. ein Embargo verhängt hatte, beschloß der Sicherheitsrat am 8. Oktober 1997 durch Resolution 1132 die folgenden Sanktionen gegen das Land: Allen Mitgliedern der MilitäIjunta und ihren Angehörigen 137 wurde die Einreise in und die Durchreise durch dritte Staaten verwehrt, solange es sich nicht um eine vom gleichzeitig eingerichteten Sanktionsausschuß genehmigte Reise für humanitäre Zwecke handelte. Des weiteren wurde ein umfassendes Embargo für Waffen und Öl sowie Ölprodukte verhängt, das Ausnahmen für Öllieferungen auf Antrag der rechtmäßigen Regierung Sierra Leones sowie grundsätzlich für humanitäre Zwecke mit Genehmigung des Sanktionsausschusses vorsah. Die Staaten der ECOW AS wurden in Kooperation mit der rechtmäßigen Regierung zur Durchsetzung der Sanktionen ermächtigt, der Sanktionsausschuß mit der Beobachtung und Auswertung des Sanktionsregimes beauftragt. Am 10. März 1998 konnte die gewählte Regierung Sierra Leones zurückkehren und ihre Macht wiedererlangen. Der Sicherheitsrat hob daraufhin am 16. 3. 1998 das Ölembargo mit sofortiger Wirkung auf und beschloß, die übrigen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Regierung unter Beobachtung zu halten 138. 3. Zusammenfassung der Praxis des Sicherheitsrates In insgesamt zwölf Konflikten verhängte der Sicherheitsrat bislang Sanktionen nach Art. 41 der UN-Charta. Für jeden einzelnen Fall stellte er dabei ein eigenes Maßnahmenpaket nach seinem politischen Ermessen zusammen. In den Fällen von Südafrika, Somalia, Liberia, Rwanda und der BRJ aufgrund der Kosovokrise bestand dieses Sanktionsregime hauptsächlich aus einem Embargo für Waffen und Rüstungsgüter. In den anderen Fällen setzten sich die Maßnahmenbündel zumeist aus verschiedenen Sanktionselementen zusammen: Beschränkungen oder ein Verbot des Luftverkehrs wurden in den Fällen Südrhodesiens, des Irak, der BRJ, Libyens, Haitis, Angolas und des Sudan ausgesprochen. Partielle Handelsbeschränkungen, die über ein Waffenembargo hinausgingen, richtete der Sicherheitsrat in der Anfangsphase seines jeweiligen Eingreifens gegen Südrhodesien und Haiti sowie gegen Libyen, Sierra Leone und die UNITA. Finanzielle Sanktionen in verschiedenem Ausmaß wurden gegen Südrhodesien, den Irak, die BRJ und Haiti Vgl. AdG v. 25. 5. 1997, S. 42052f. Eine entsprechende Liste wurde vom Sanktionsausschuß erstellt, s. Press Release SC/6472 v. 28. 1. 1998. 138 Res. S/1156 (1998) v. 16.3. 1998, para. 2,4. 136 137

I. Überblick über die Fälle kollektiver Wirtschaftssanktionen

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verhängt, Beschränkungen in Hinsicht auf Dienstleistungen gegen Südafrika, die BRJ und die bosnischen Serben, Libyen und Haiti. Nur in insgesamt vier Fällen griff der Sicherheitsrat auf das Instrument umfassender Wirtschaftssanktionen zurück. Diese beinhalten einen vom Grundsatz her umfassenden Boykott und ein umfassendes Embargo und bedeuten insofern die vollständige außenwirtschaftliche Isolierung des Zielstaates. Betroffen von Maßnahmen dieser Reichweite waren Südrhodesien, Haiti, der Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien. Nicht um wirtschaftliche Sanktionen im eigentlichen Sinn handelte es sich bei den Maßnahmen, die der Sicherheitsrat in den Fällen von Südrhodesien, der BRJ, Libyen, Haiti, Angola, Sierra Leone und dem Sudan gezielt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen oder die Führungsschicht eines Landes einsetzte oder auf dem Gebiet des Sportes, der Kultur oder der Diplomatie ergriff. Als Sonderfalle im Rahmen des Art. 41 UNe sind schließlich auch die bei den Ad-hoc-Tribunale anzusehen, die vom Sicherheitsrat für die strafrechtliche Verfolgung internationaler Verbrechen in den Konflikten des ehemaligen Jugoslawien und Rwandas eingesetzt wurden. Bei der Verhängung von Sanktionen und der Begleitung der Maßnahmen in einem bestimmten Konflikt zeigte der Sicherheitsrat Flexibilität. In sieben der zehn Fälle aus der jüngeren Vergangenheit beließ er es nicht bei dem von ihm zu Anfang verhängten Maßnahmenpaket, sondern nahm nachträgliche Veränderungen und Feinabstimmungen vor. Zum einen dienten diese "Nachbesserungen" der Erhöhung des Druckes auf den Adressaten: Der Sicherheitsrat verschärfte die Sanktionen, indem er sachliche Lücken schloß 139 oder ihre Durchsetzung insbesondere durch die Ermächtigung der Staaten zu wirksameren Kontrollrnaßnahmen effektivierte 140; er fügte zusätzliche Maßnahmen zu den bereits beschlossenen hinzu 141 oder richtete die Sanktionen nachträglich gezielt gegen bestimmte Gruppen der Bevölkerung l42 . Auf der anderen Seite nahm der Sicherheitsrat auch die Abmilderung oder Aufhebung der Sanktionen als Gelegenheit zur Ausübung seines politischen Ermessens wahr. Dies gilt zwar weniger für die z. T. aus humanitären Gründen nachträglich eingerichteten Ausnahmebestimmungen 143, kann aber 139 Vgl. z. B. die durch Res. 997 verhängten Maßnahmen gegen Rwanda. Auch nachträglich verhängte zusätzliche Sanktionen können z. T. als "Lückenfüller" gesehen werden; insofern ergeben sich Überschneidungen zu den in der folgenden Fn. genannten Fällen. 140 In den Fällen des Irak, der BRJ und Haitis. 141 In den Fällen des Irak, der BRJ, Libyens, Haitis, Angolas, Rwandas und des Sudan. 142 Vgl. z. B. die Maßnahmen gegen die bosnischen Serben sowie gegen Führungskräfte in Haiti und der UNITA.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

zweifellos für die zunächst auf bestimmte Sanktionsbereiche, Adressaten oder Zeiträume begrenzten Suspendierungen von Maßnahmen in den Fällen des ehemaligen Jugoslawien, Haitis, Rwandas und Sierra Leones festgestellt werden. Bei der politischen Bewertung der einzelnen Sanktionsepisoden in der Praxis des Sicherheitsrates bleibt im übrigen zu beachten, daß die dargestellten nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen in keinem Fall isoliert verhängt wurden, sondern regelmäßig von Vermittlungsversuchen und anderen Bemühungen zur Lösung des Konfliktes von Seiten verschiedenster einzelstaatlicher und internationaler Akteure flankiert wurden. Auch für den Sicherheitsrat selbst stellten die Sanktionen oft nur einen Ausschnitt aus umfassenderen Versuchen, auch mit Hilfe militärischer Mittel, zur Eindämmung der jeweiligen Friedensstörung dar. In den Fällen des ehemaligen Jugoslawien, Somalias, Haitis, Angolas und Rwandas entsandte er z. B. Peacekeeping-Truppen, und in den Konflikten im Irak, im ehemaligen Jugoslawien, in Haiti und in Somalia ermächtigte er die Staaten sogar zum Ergreifen aktiver militärischer Maßnahmen, um die ursprünglich mit den Sanktionen verfolgten Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

11. Die Ziele der UN-Sanktionen Der politische Erfolg oder Mißerfolg von UN-Sanktionen bemißt sich zuvörderst danach, inwieweit die mit ihnen verfolgten Ziele erreicht werden und sich die mit ihnen verknüpften Erwartungen erfüllen. Der Bestimmung der im einzelnen angestrebten Ziele und der den Sanktionen grundsätzlich zugedachten Funktion kommt deshalb für die politische Auseinandersetzung entscheidende Bedeutung zu. Aber auch für die ethische und rechtliche Betrachtung des Instruments der Wirtschaftssanktionen ist die gen aue Definition der Sanktionsziele unerläßlich. Erst bei Klarheit über den angestrebten Nutzen der Maßnahmen und die politischen Vorteile, die durch die teilweise oder vollständige außenwirtschaftliehe Isolierung des Zielstaates erreicht werden sollen, kann eine Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen den mit den Sanktionen anvisierten Zielen auf der einen und den mit diesen Maßnahmen verbundenen Nachteilen, insbesondere für die betroffenen Zivilbevölkerungen, auf der anderen Seite, vorgenommen werden!44. Zwar zielt die vorliegende Arbeit nicht auf eine Bewertung der Wirksamkeit oder der ethischen Adäquanz von Wirtschaftssanktionen, aber auch für die rechtliche Würdigung und die Suche nach den für den Einsatz der Sanktionen maßgeblichen normativen Grenzen bildet die Gegenüberstellung von erlitte143 144

In den Fällen des Irak und der BRJ. Vgl. hierzu Weiss/Cortright/Lopez/Minear, Overview, S. 21 ff.

11. Die Ziele der UN-Sanktionen

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nen Nachteilen und angestrebten Vorteilen der Maßnahmen den prägenden Hintergrund und die tatsächliche Grundlage.

1. Rechtlicher Rahmen und Praxis des Sicherheitsrates Die rechtlichen Grundlagen für die vom Sicherheitsrat verhängten Wirtschaftssanktionen finden sich in den Artikeln 39 und 41 im siebten Kapitel der UN-Charta. Diese Normen geben auch den Rahmen für die Funktion der Sanktionen im System der kollektiven Friedenssicherung der Charta und die Ziele, die durch sie im einzelnen verfolgt werden können, vor 145 • Art 39 bestimmt insoweit, daß der Sicherheitsrat nach der Feststellung einer Friedensbedrohung oder -verletzung über die Maßnahmen nach Art. 41 oder 42 beschließen kann, die er für die Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als erforderlich erachtet. Nach Art. 41 ist er berechtigt zu beschließen, welche nichtmilitärischen Maßnahmen zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; auch die leicht verunglückte Formulierung dieser Vorschrift ist in dem Sinne zu verstehen, daß der Sicherheitsrat bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 39 UNC einen Beschluß über die in den Artikeln 41 und 42 näher beschriebenen Maßnahmen treffen kann, um seine Entscheidungen zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens durchzusetzen 146 . Nach dem System der Charta bildet damit vor allem die Aufhebung des im konkreten Fall vom Sicherheitsrat als Ursache der Friedensstörung identifizierten Mißstandes das Ziel der Sanktionen 147. In der Praxis umfassen die den Sanktionen in den jeweiligen Sicherheitsratsresolutionen zugrundegelegten Ziele dementsprechend ein breites Spektrum verschiedener politischer Vorgaben, in denen sich die Besonderheiten und Interessen der Staatengemeinschaft im jeweiligen Fall spiegeln. Nur in zwei Fällen, dem des Irak und der Bundesrepublik Jugoslawien, war die Beendigung einer zwischenstaatlichen Aggression, namentlich gegen Kuwait und gegen Bosnien-Herzegovina, Ziel der Sanktionen. Gegen den Irak wurden die Sanktionen allerdings auch nach dem Erreichen dieser ersten Zielsetzung aufrechterhalten und ihre Aufhebung an die Einhaltung 145 Durch diese Vorgaben unterscheiden sich die UN-Sanktionen von den möglichen Zielen und Funktionen einer Repressalie, bei denen das auf eine fremde Völkerrechtsverletzung reagierende Völkerrechtssubjekt freier im Hinblick auf die Bestimmung der Funktion seiner Gegenmaßnahme ist, vgl. dazu Bleckmann, FS Schlochauer, S. 197 ff.; Dzida, Zum Recht der Repressalie, S. 74 ff. 146 S. Frowein, in Simma, Art. 41, Rn. 5. 147 Zur Unterscheidung zwischen der Erreichung dieses Ziel durch eine Funktion der Sanktionen als Beugezwang einerseits und Zwangsvollstreckungsmaßnahme andererseits s. sogleich, Text zu den folgenden Fußnoten.

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B. Geschichte und Praxis von UNO-Wirtschaftssanktionen

der Waffenstillstandsbedingungen, insbesondere an das Erfordernis der umfassenden Abrüstung unter internationaler Kontrolle, geknüpft. In der Mehrzahl der Fälle waren demgegenüber vom Grundsatz her interne Konflikte Anlaß für das Eingreifen des Sicherheitsrates. Die Apartheidsregime in Südrhodesien und Südafrika sind in diesem Zusammenhang ebenso zu nennen wie die Bürgerkriege in der Anfangsphase des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien sowie in Somalia, Liberia, Angola, Rwanda und schließlich der Fall Haitis, in dem mit den Sanktionen die Wiedereinsetzung der rechtmäßigen Regierung Aristide angestrebt wurde. Die Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates richteten sich in diesen Fällen gegen die de facto die Macht innehabende Regierung bzw. gegen alle Protagonisten des internen Konfliktes und sollten sie zur Beendigung ihrer für das internationale Zusammenleben als schädlich bewerteten Politik oder zumindest zur Eindämmung der bewaffneten Auseinandersetzung zwingen. Besondere Fälle stellen schließlich die Sanktionen gegen Libyen und den Sudan dar, bei denen das erklärte Ziel allgemein in der Beendigung der Unterstützung terroristischer Aktivitäten durch die jeweilige Regierung und insbesondere in der Auslieferung bestimmter, als Terroristen verdächtigter Personen an einzelne Länder besteht. Regelmäßig stellt somit die Änderung des Verhaltens des Zielstaates bzw. die Anpassung seiner Politik an die Forderungen des Sicherheitsrates das erklärte Ziel der UN-Sanktionen dar 148 . Eine sich in der Staatenpraxis in bezug auf Repressalien findende Funktion der Zwangsvollstreckung, bei der unmittelbar durch die Maßnahmen ein rechtlicher oder tatsächlicher Zustand hergestellt werden soll 149, tritt demgegenüber kaum in Erscheinung 150 und ist jedenfalls der Zielsetzung der Verhaltensänderung des sanktionierten Staates klar untergeordnet. Die den Sanktionen vom Sicherheitsrat beigelegte Funktion als Mittel des Beugezwangs steht im übrigen im Einklang mit dem durch die UN-Charta vorgegebenen, übergreifenden Ziel der Sicherung des Weltfriedens: Wird dieser durch ein konkretes, vom Sicherheitsrat benanntes Verhalten eines Staates oder sonstigen internationa148 Dieses Ziel wird auch in den Untersuchungen über Sanktionen regelmäßig an erster Stelle genannt: vgl. Stanley Foundation, S. 7, 14; Vivekananda, Sc.J.Dev.Alt. 1994, S. 150f.; AustralialNetherlands, UN Sanctions, S. 12; Church of Scotland, Economic Sanctions, S. 22; RamlAlmquist, Towards a Just Sanctions Regime, S. 4. 149 Vgl. insoweit die Differenzierung bei Dzida, Zum Recht der Repressalie, S.75. 150 Hierfür müßte gerade in der Verhängung der nichtmilitärischen Zwangsmaßnahme nach Art. 41 UNe die Bedingung liegen, die der Sicherheitsrat als erforderlich zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens ansieht. So ließe sich z. B. bei den beiden Ad-hoc-Tribunalen, die nach den Resolutionen 827 (1993) und 955 (1994) für das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens bzw. für Rwanda eingerichtet wurden, argumentieren.

11. Die Ziele der UN-Sanktionen

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len Akteurs gestört, so verlangt das Interesse der Staatengemeinschaft an der Wiederherstellung bzw. Wahrung des Friedens die Änderung eben jenes Verhaltens. Auch das Einfordern von Reparationen, mit denen Wiedergutmachung für ein vergangenes völkerrechtliches Delikt erreicht werden soll, ist hier einzuordnen, da für eine dauerhafte Wahrung des Friedens auch die Anerkennung der Verantwortlichkeit für die Folgen der Friedensstörung durch den jeweiligen Friedensstörer gezählt werden kann. 2. Maßgeblichkeit einzelstaatlicher Ziele, Problem der "hidden agenda" Allerdings ist zuweilen eine Diskrepanz zwischen den offiziell von den Organen der UNO erklärten Zielen der Sanktionen und der sog. "hidden agenda" der die Entschlüsse des Sicherheitsrates maßgeblich mitbestimmenden Mitgliedstaaten festzustellen, also die Verfolgung von nicht offiziell von der UNO erklärten politischen Zielen und Interessen durch einzelne Staaten i51 . Prominentestes Beispiel für die Gefahr einer solchen Instrumentalisierung der UNO für einzelstaatliche Interessen ist der Fall des Irak, in dem vor allem von den USA wiederholt die Forderung ausgesprochen wurde, die Sanktionen so lange aufrechtzuerhalten, bis Saddam Hussein gestürzt und durch eine neue Regierung ersetzt worden sei l52 , also eine Ziel bestimmung als maßgeblich genannt wurde, die an keiner Stelle in den Resolutionen des Sicherheitsrates oder in Stellungnahmen sonstiger UNOrgane auftaucht l53 . 151 Kritik ruft insoweit insbesondere die ungenaue Formulierung der Sanktionsziele (die gleichzeitig die Bedingungen für eine Aufhebung der Sanktionen determinieren sollen) durch den Sicherheitsrat hervor, die nach Ansicht einiger Beobachter die Gefahr einer verborgenen Zielsetzung nahelegt, vgl. Kulessa, VN 1996, S. 91; Council 0/ Churches tor Britain and Ire land, Sanctions against Iraq, S. 2 f.; Johnstone, Aftermath of the Gulf War, S. 55f. 152 Vgl. die Nachweise bei Clawson, McNair-Paper, S. 8ff.; ders., Eth.Int.Aff. 1993, S. 32f.; Rudolf, Wirtschaftssanktionen, S. 16; Simons, The Scourging of Iraq, S. 51.; Scott, RomJIA 3 (1997), S. 91 f. - Auch durch die Clinton-Regierung ist bislang kein Abrücken von dieser Zielvorstellung zu verzeichnen, s. Clawson, McNairPaper, S. 9f.; Perthes, Sechs Jahre nach dem zweiten Golfkrieg, S. 25f.; Simons, The Scourging of Iraq, S. 56ff. Zu weiteren Widersprüchen zwischen US-amerikanischer Position und den Resolutionen des Sicherheitsrates s. den Brief des ständigen Vertreters des Irak bei den Vereinten Nationen, UN Doc. S /1997/261 v. 31. 3. 1997. Das Fernhalten des Irak vom Öl markt wird als Ziel der Sanktionen von Bonne/ous, DN 1995, S. 96, benannt. 153 Auch im Fall der Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) wurde die Vermutung ausgesprochen, die Staaten verfolgten in Wirklichkeit nicht die in der Resolution genannten Ziele, sondern ganz andere, z. B. Veränderungen des politischen Systems oder der Regierung des Zielstaates, die Anerkennung der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien oder einfach die Schä5 S