Die Wahrheit der Anderen: Transnationale Vergangenheitsaufarbeitung in Post-Jugoslawien am Beispiel der REKOM Initiative [1 ed.] 9783666310904, 9783525310908


101 65 7MB

German Pages [391] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Wahrheit der Anderen: Transnationale Vergangenheitsaufarbeitung in Post-Jugoslawien am Beispiel der REKOM Initiative [1 ed.]
 9783666310904, 9783525310908

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Jacqueline Nießer

Die Wahrheit der Anderen Transnationale Vergangenheitsaufarbeitung in Post-Jugoslawien am Beispiel der REKOM Initiative

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schnittstellen Studien zum östlichen und südöstlichen Europa Herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Ulf Brunnbauer Band 18

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Jacqueline Nießer

Die Wahrheit der Anderen Transnationale Vergangenheitsaufarbeitung in Post-Jugoslawien am Beispiel der REKOM Initiative

Vandenhoeck & Ruprecht © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien der Universität Regensburg. Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 2017 Die Arbeit wurde im Jahr 2017 von der Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Umschlagabbildung: Motiv einer Konferenzmappe, REKOM Archiv im Menschenrechtsfond Belgrad Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-6614 ISBN (Print) 978-3-525-31090-8 ISBN (PDF) 978-3-666-31090-4 https://doi.org/10.13109/9783666360978

Dieses Material steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

»The freedom we must finally win is the freedom not to lie.« Albert Camus, The Human Crisis, Vortrag an der Columbia University, New York, im März 1946

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Inhalt

Vorwort und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.3 Forschungsansatz und Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.4 Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.5 Quellen und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.6 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Was sind Wahrheitskommissionen? Eine Erörterung des nominellen Ziels der REKOM Initiative . . . . . 55 2.1 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.2 Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.3 Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.4 Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.5 Welche Wahrheit untersuchen solche Kommissionen? . . . . . . . 69 3. Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet: Artikulieren, Anerkennen, Transformieren . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.1 Fallauswahl und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.2 Artikulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.2.1 Sudbin Musić . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.2.2 Saranda Bogujevci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.2.3 Erzählen in einer Wahrheitskommission . . . . . . . . . . . 111 3.3 Anerkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3.3.1 Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3.3.2 Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.3.3 Multidirektionale Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.3.4 Anerkennung durch REKOM . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Inhalt

8

3.4 Transformieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.4.1 Opfer als »geübte Darsteller ihrer selbst« . . . . . . . . . . . 140 3.4.2 Von Opfern zu Autor*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3.4.3 Abwehr und Wiederkehr der Opferrolle . . . . . . . . . . . 159 3.4.4 Opferperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten . . 169 4.1 Drei Wahrheitskommissionsversuche in Bosnien und Herzegowina 169 4.2 Ein Wahrheitskommissionsversuch in der Bundesrepublik Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.3 Historische Untersuchungskommissionen in Kroatien . . . . . . 181 4.4 Eine Wahrheitskommission für Kosovo . . . . . . . . . . . . . . . 184 4.5 Alternative Erzählformate im postjugoslawischen Raum . . . . . 185 4.6 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5. Die Entwicklung der REKOM Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.1 Impuls von innen oder von außen? Wie REKOM begann . . . . . 197 5.2 Zivilgesellschaftliche Mobilisierung: Akteure, Themen, Dynamiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5.2.1 Verhältnis zum ICTY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5.2.2 Künstler*innen und Intellektuelle . . . . . . . . . . . . . . 223 5.2.3 Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5.2.4 Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5.2.5 Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5.2.6 Menschenrechtsaktivist*innen . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5.2.7 Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 5.2.8 Rückzug des Informations- und Dokumentationszentrums Sarajewo . . . . . . . . . . . . . 260 5.2.9 Die »Koalition für REKOM« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5.2.10 Täter*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 5.2.11 Randgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 5.2.12 »bottom-up« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 5.2.13 Gegengeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 5.2.14 Jugoslawisches Erbe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5.2.15 Verständigung, nicht Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . 300 5.3 Gesetzesvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 5.4 Öffentlichkeitskampagne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 5.5 Politische (De)Mobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Inhalt

9

6. Schluss: Die Wahrheit der Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 6.1 Leugnung verlängert Leiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 6.2 Vergangenheitsaufarbeitung ist keine Erfolgsgeschichte . . . . . . 337 6.3 »Wir brauchen kein weiteres Jugoslawien!« . . . . . . . . . . . . . 352 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1.

Opfererzählungen während der REKOM Treffen . . . . . . . . . . 361

2.

REKOM Treffen Mai 2006 bis März 2011 . . . . . . . . . . . . . . 362

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Vorwort und Danksagung

Die Grundlage dieses Buches ist meine an der Universität Regensburg im September 2017 eingereichte Dissertationsschrift. Sie wurde ermöglicht durch die Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg. Die Graduiertenschule bot nach rund zwanzig Absagen für eine Promotions­ förderung doch noch alles, was ich mir wünschen konnte: ein mehrjähriges Promotionsstipendium, ein Büro am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, eine vortreffliche Bibliothek direkt im Hause, eine kollegiale Atmosphäre, Mittel für Konferenzbesuche, Feldstudien, Weiterbildungen, Software und einen Druckkostenzuschuss. Deswegen gilt mein Dank hier zunächst und zumeist Ulf Brunnbauer, meinem Doktorvater und Regensburger Sprecher der Graduiertenschule  – Freiheit und Sicherheit gehen zusammen, wenn man sich vertrauen kann. Ger Duijzings ist in der zweiten Hälfte meiner Promotion nach Regensburg gekommen und zu meinem Zweitbetreuer geworden. Ger verdanke ich, meine eigene Sprache beim Schreiben (wieder)gefunden zu haben, was einige Sitzungen und Hartnäckigkeit seinerseits bedurfte und mir einen weiteren Zuwachs an Freiheit und Sicherheit bescherte. Unvorstellbar wäre die Promotionszeit ohne meine Mitstreiter*innen in der Graduiertenschule in Regensburg und auch an ihrem Zweitstandort in München gewesen. Nicht nur das erste Büro, sondern die unterschiedlichsten und insbesondere persönlichen Herausforderungen teilte ich mit Dóra Vuk, Anna Juraschek, Alice Buzdugan und Jana Kantórikova. Dóra danke ich für ihre unermessliche Empathie, ihren wachen Geist und ihre bedingungslose Freundschaft. Sie macht uns beide stärker. Mit Anna, Alice und Jana verbinden mich nicht nur die Begeisterung für Literatur, sondern auch viele gemeinsame Abende und Gespräche. Anna Juraschek gilt mein besonderer Dank für das aufmerksame Lektorat des Buchmanuskripts und für ihr Verständnis bezüglich meines bisweilen schwierigen Zeitmanagements. Den Mitgliedern der Studiengruppe »Kultur, Sinn, Orientierung« unter der Leitung von Volker Depkat, Martin Aust und Guido Hausmann danke ich für die konstruktiven Diskussionen. Kapitel drei hat maßgeblich vom Input von Julia Kling, Jasper Trautsch, Darina Volf, David Franz, Henriette Reisner, Mykola Borovyk und den Studiengruppenleitern profitiert. Unvergessen bleiben auch die Sitzungen mit Aleida Assmann und Michael Rothberg in München. Kathleen Beger, Henner Kropp, Melanie Arndt, Petar Kehayov und Marija © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

12

Vorwort und Danksagung

Djokić danke ich für die gemeinsamen Ausflüge, sei es zum Wandern, auf die Regensburger Dult oder ins Theater. Mit Marsha Siefert, Maria Todorova und Stef Jansen, die als Gäste einige Zeit an der Graduiertenschule verbrachten, konnte ich wichtige Gespräche über meinen Forschungsansatz führen. Den Geschäftsführerinnen der Graduiertenschule, Heidrun Hamersky in Regensburg und Caroline Fricke in München, sowie Christoph Hilgert und Kathrin Krogner-Kornalik in der Öffentlichkeitsarbeit, danke ich sehr für das Schaffen einer Promotionsatmosphäre, die den Titel exzellent verdient. Den Sprechern der Graduiertenschule und Herausgebern der Reihe »Schnittstellen«, Ulf Brunnbauer und Martin Schulze Wessel, danke ich für die Aufnahme. Meiner späteren Kollegin am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Sabine Rutar, danke ich für ihre kritische Lektüre der Einleitung und des Schlusses. Den ehemaligen Kolleg*innen Konstanze Jüngling und Sebastian Relitz danke ich für die Diskussion bei einem gemeinsamen Mittagessen, bei dem wir einst den Titel des Buches fanden. An der Universität Regensburg danke ich Heike Karge und Manuela Brenner für den Austausch und Klaus Buchenau für seine Kommentare zu meinem ersten Kapitelentwurf überhaupt. Brigita Malenica und Fatima Ajanović danke ich für das Lektorat einiger Übersetzungen aus dem Bosnisch-Kroatisch-Serbischen ins Deutsche. Neval Berber danke ich für die mühsame Transkription des Großteils meiner Interviews und Marija Krstić-Draško für die Unterstützung bei der Endkorrektur des Buches. Durch Feldforschungs- und Sprachkursstipendien der »Fritz und Helga Exner-Stiftung«, des »Deutschen Akademischen Austauschdienstes« und der »Südosteuropa-Gesellschaft« konnte ich mich gründlich auf die Promotion vorbereiten und längere Zeit insbesondere in Bosnien und Herzegowina verbringen. All denjenigen, die in den postjugoslawischen Ländern für Gespräche mit mir bereit waren, danke ich sehr – sie alle hier namentlich zu nennen sprengte den Rahmen. Ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement gebührt mein Respekt. Nicolas Moll in Sarajewo gilt es gesondert dafür zu danken, dass er einen Großteil der an der Aufarbeitung der Jugoslawienkriege Interessierten im Netzwerk »Memory Lab« versammelt. Dieses Buch wäre ein anderes ohne die gemeinsamen Reisen und Diskussionen bei »Memory Lab«. Juliane Tomann danke ich für das gemeinsame Denken und Schreiben über Geschichte in der Öffentlichkeit. Sudbin Musić und Saranda Bogujevci danke ich für ihr Vertrauen, dass ich mit ihren Geschichten in meiner Forschungsarbeit verantwortungsvoll umgehen werde. Danken möchte ich auch meinen Eltern, die zwar kaum verstehen, was ich tue, aber immer für mich da sind, wenn es mal wieder schief gegangen ist. Meiner Schwester danke ich für ihre Zuversicht und ihren Pragmatismus und © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Vorwort und Danksagung

13

für ihre wunderbare, kleine Familie, die einen willkommenen Kontrast zu meinem Nomadenleben darstellt. Bianca Paslak danke ich für unsere Freundschaft, welche nun schon zwanzig Jahre auch über größere Distanzen trägt. Petar Opačić und Erna Oklapi danke ich dafür, dass sie für mich da sind. Für alle Fehler in diesem Buch trage ich die alleinige Verantwortung.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

1. Einleitung

1.1 Untersuchungsgegenstand »Der Krieg ist vorbei. Die Nachkriegszeit ist vorbei. Jugoslawien ist vorbei.« Mit diesen Worten begann Žarko Puhovski, emeritierter Professor für poli­tische Philosophie der Universität Zagreb, seine Abschlussrede auf dem zehnten Transitional Justice Forum in den postjugoslawischen Ländern im November 2014 in Belgrad.1 In Puhovskis drei kurzen Sätzen kondensiert sich ein Anspruch: mit den Erfahrungen des Krieges klarzukommen, normal zu leben und mit Jugoslawien abzuschließen. Wenn etwas betont werden muss, kann das gleichwohl auch ein Verweis darauf sein, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Der Intellektuelle beendete seine Rede damit: »Wir haben hier in der Region eine spezifische Konzentration von Schmerz. Können wir den Schmerz rational verarbeiten?« Nataša Kandić ergriff das Mikrofon und antwortete: »Ich bin Optimistin.« Die Belgrader Menschenrechtsaktivistin und der Zagreber Professor haben die REKOM Initiative auf den Weg gebracht. Die Abkürzung REKOM steht für »Regionale Kommission zur Feststellung der Fakten über Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens« (Regionalna komisija za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području nekadašnje SFRJ). Diese Kommission gibt es als staatliche Institution (noch) nicht. Denn eine Wahrheitskommission muss staatlich legitimiert werden, was in diesem Fall durch ein multilaterales Abkommen zwischen den Regierungen der postjugoslawischen Länder geschehen soll. REKOM gibt es wohl aber als zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss, der sich seit Jahren dafür einsetzt, dass eine solche Institution geschaffen wird. Dieser zivilgesellschaftlichen Kooperation unter dem Kürzel REKOM widmet sich das Buch. Die nach Art eines Vereins organisierte »Koalition für REKOM« zählt rund 2.000 Mitglieder.2 Die Mitgliederzahl setzt sich aus verschiedenen Nichtregie­ rungsorganisationen (NGOs) und zahlreichen Einzelpersonen zusammen. Für erstere sind das vor allem Menschenrechtsorganisationen, Vereinigungen ziviler Kriegsopfer und auch von Kombattanten oder ihren Angehöri1 Feldnotizen d. Vf., 16.11.2014, Belgrad. 2 URL: https://www.recom.link/about-recom/what-is-the-coalition-for-recom/ (am 21.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

16

gen sowie Jugend-, Kultur- und Minderheitenvereine, während auf der Seite der individuellen Mitglieder interessierte Bürger*innen, Jurist*innen, Journalist*innen und verschiedene Kulturschaffende REKOM unterstützen. Sie kommen aus allen sieben auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens entstandenen Staaten (Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien).3 Rund 130 Beratungen, Konferenzen, Informationsveranstaltungen und auch gemeinsame zivilgesellschaftliche Projekte fanden über mehrere Jahre hinweg an verschiedenen Orten in Post-Jugoslawien statt, woran rund 6.700 Menschen teilgenommen haben.4 Auf diesen mehrjährigen zivilgesellschaftlichen Austausch folgte eine Öffentlichkeitskampagne für die Bekanntmachung des Vorhabens und Konsultationen mit politischen Entscheidungsträger*innen über die staatliche Umsetzung der Wahrheitskommission für den gesamten postjugoslawischen Raum. Viele Besonderheiten kennzeichnen diesen Austausch und das gemeinsame Eintreten für eine transnationale Form von Vergangenheitsaufarbeitung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens mittels einer Wahrheitskommission. Besonders ist etwa, dass obwohl die staatlich legitimierte, länderübergreifende Wahrheitskommission aussteht, REKOM auch Sitzungen abgehalten hat, die den Zeitzeugenanhörungen auf Wahrheitskommissionen gleichen. Derart bietet die Untersuchung der Kooperation bereits Aufschlüsse über das, was eine solche Wahrheitskommission leisten kann. Spezifisch ist zudem der räumliche Zuschnitt, denn eine transnationale Wahrheitskommission wäre ein Novum, da derartige Institutionen bisher fast ausschließlich nationale Projekte darstellten. Darüber hinaus existierte bereits eine andere Aufarbeitungsinstitution, die sich mit allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens beschäftigte: der »Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien« (ICTY). Dieser hat zwar 2017 seine Türen geschlossen, dennoch spielte er für die Entwicklung der REKOM Initiative eine wichtige Rolle. Besonders sind zudem die weitreichenden Erfahrungen von Vergangenheitsaufarbeitung in den postjugoslawischen Ländern, wozu auch mehrere nationale Wahrheitskommissionsprojekte gehören. Und nicht zuletzt macht das Ziel der REKOM Initiative, nicht nur auf der zivilgesellschaftlichen Ebene zu kooperieren, sondern auch politische Wirkung zu entfalten, diese Zusammenarbeit zu einem spannenden Untersuchungsgegenstand.

3 Nordmazedonien verwende ich für Nennungen des Landes nach dem Prespa-Abkommen am 12.06.2018, in Kraft getreten am 12.02.2019. Für die Zeit seit der Abspaltung der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien 1991 von Jugoslawien bis zum Prespa-Abkommen verwende ich den vereinfachten Namen Mazedonien. 4 URL : https://www.recom.link/about-recom/what-is-recom-process/ (am 21.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

17

1.2 Forschungsstand Die Aufarbeitung der Jugoslawienkriege wurde zumeist unter dem Schlagwort »Transitional Justice« erforscht.5 Transitional Justice steht für Überlegungen und Instrumente zum Umgang mit vergangener Gewalt bei der Gestaltung von demokratischen Strukturen in Gesellschaften nach kriegerischen Konflikten und Systemwechseln. In der Forschung darüber für das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens stand die juristische Aufarbeitung, insbesondere durch das ICTY, lange Zeit im Mittelpunkt.6 Nach einer ersten Welle an Forschungsarbeiten, die Transitional Justice und die Wirkung des ICTY in den einzelnen, entstandenen Staaten erforschten, wie beispielsweise in Bosnien und Herzegowina7, in Kroatien8, Serbien9 und im Kosovo10, nehmen insbesondere neuere Studien auch länderübergreifende Perspektiven ein.11 5 Zum Beispiel Braun, Christian: Vom schwierigen Umgang mit Massengewalt. Transitional Justice in den gespaltenen Gesellschaften Srebrenicas und Vukovars. Wiesbaden 2016; Obradović-Wochnik, Jelena: The ›Silent Dilemma‹ of Transitional Justice: Silencing and Coming to Terms with the Past in Serbia. In: International Journal of Transitional Justice 7/2 (2013), 328–347. Subotić, Jelena: Hijacked Justice. Dealing with the Past in the Balkans. Ithaca 2009. 6 Gow, James / Kerr, Rachel / Pajić, Zoran (Hg.): Prosecuting War Crimes. Lessons and Legacies of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. New York 2014; Delpla, Isabelle / Bessone, Magali (Hg.): Peines de guerre. La justice pénale internationale et l’ex-Yougoslavie. Paris 2010; Armakolas, Ioannis / Vossou, Eleni: Transitional Justice in Practice. The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia and Beyond. In: UNISCI Discussion Papers 18 (2008), 20–75; Petrović, Vladimir: Gaining the Trust through Facing the Past? Prosecuting War Crimes committed in the former Yugoslavia in National and International Legal Context. In: CAS Working Paper Series (2008), 4–65. 7 Nettelfield, Lara J.: Courting Democracy in Bosnia and Herzegovina. The Hague Tribunal’s Impact in a Postwar State. New York 2010; Perry, Valery: A Survey of Reconciliation Processes in Bosnia and Herzegovina. The Gap between People and Politics. In: Quinn, Joanna R. (Hg.): Reconciliation(s). Transitional Justice in Postconflict Societies. Montréal, Ithaca [N. Y.] 2009, 207–231. 8 Braun, Christian: Der schwierige Umgang mit der Geschichte. Transitional Justice in Kroatien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 63/17 (2013), 35–41. Pavlaković, Vjeran: Better the Grave than a Slave. Croatia and the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia. In: Ramet, Sabrina P. / Clewing, Konrad / Lukic, Renéo (Hg.): Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations. München 2008, 447–478. 9 Ostojić, Mladen: Between Justice and Stability: The Politics of War Crimes Prosecutions in post-Milošević Serbia. Farnham u. a. 2014; Gordy, Eric: Guilt, Responsibility and Denial. The Past at Stake in Post-Milosević Serbia. Philadelphia 2013. 10 Visoka, Gëzim: Arrested Truth: Transitional Justice and the Politics of Remembrance in Kosovo. In: Journal of Human Rights Practice 8/1 (2016), 62–80. 11 Orentlicher, Diane: Some Kind of Justice. The ICTY’s Impact in Bosnia and Serbia. New York, NY 2018. Clark, Janine N.: International Trials and Reconciliation. Assessing the Impact of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. New York 2014;

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

18

Dennoch wird Vergangenheitsaufarbeitung zumeist als ein »top-down« Vor­gang, also als Vergangenheitspolitik mit vornehmlich nationalem Fokus untersucht.12 Untersuchungen konkret zu REKOM stammen hauptsächlich von qualitativ forschenden Sozialwissenschaftler*innen, die zur Rolle der Zivilgesellschaften in der Transitional Justice arbeiten. Gleich drei politikwissenschaftliche Studien aus den USA, die REKOM behandeln, sind in dem Sammelband »Transitional Justice and Civil Society in the Balkans« versammelt.13 Die Rechts- und Politikwissenschaftlerin Jamie Rowen hat in ihrer Doktorarbeit eine vergleichende Analyse von Wahrheitskommissionen als soziale Bewegungen »auf dem Balkan«, in Kolumbien und in den USA erstellt.14 REKOM hat sie dabei in Bosnien und Herzegowina neben anderen Initiativen untersucht und dazu im oben genannten Sammelband einen Aufsatz veröffentlicht. Rowen versteht REKOM als Initiative der Wahrheitsfindung, mit welcher die Ziele von Transitional Justice zu verwirklichen versucht werden: Verantwortungsbewusstsein (»accountability«) zu fördern, für die Interessen der Überlebenden von Gewaltdelikten einzutreten und neue Gewalt zu verhindern.15 Rowen hat mit verschiedenen Aktivist*innen aus REKOM in Bosnien und Herzegowina Interviews geführt. Sie thematisiert Austritte aus REKOM und wie die Medien Schwierigkeiten in der Initiative ausgeschlachtet haben. ­Rowen problematisiert in ihrem Aufsatz sowohl die gesellschaftliche Wirkung der NGOs in Bosnien als auch die Aussicht auf eine politische Durchsetzbarkeit der regionalen Wahrheitskommission und kommt zu dem Schluss:

12

13 14 15

Ristić, Katarina: Imaginary Trials. War Crime Trials and Memory in Former Yugoslavia. Leipzig 2014; Claverie, Elisabeth: La guerre comme mémoire, le cas de la Yougoslavie. In: Arel, Dominique / Mink, Georges (Hg.): Le passé au présent. Gisements mémoriels et actions historicisantes en Europe centrale et orientale. Paris 2010, 105–129. Pavlaković, Vjeran: Croatia’s (New) Commemorative Culture and Politics of the Past. In: Puljar D’Alessio, Sanja / Fanuko, Nenad (Hg.): Avanture kulture. Kulturalni studiji u lokalnom kontekstu. Zagreb 2013, 139–151; Radonić, Ljiljana: Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards. Frankfurt am Main 2010; Moll, Nicolas: Fragmented Memories in a Fragmented Country. Memory Competition and Political Identity-building in today’s Bosnia and Herzegovina. In: Nationalities Papers: The Journal of Nationalism and Ethnicity (2013), 910–935. Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013. Rowen, Jamie: Searching for Truth in the Transitional Justice Movement. Cambridge u. a. 2017. Dies.: Truth in the Shadow of Justice. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 123–140, hier 123 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

19

While nationalism in BiH might undermine any collaborative truth-seeking initiative, ZaREKOM’s challenges extend beyond existing social and political divides. By setting its goal to create a government sponsored commission, the Coalition may have created expectations that are impossible to fulfill.16

In dem auf ihre Dissertation aufbauenden Buch beschreibt Rowen, dass die Prozesse innerhalb von REKOM die sozialen und politischen Spannungen in Bosnien und Herzegowina widerspiegeln. Sie untersuchte die Erwartungen der Aktivist*innen bei REKOM . Deren Hoffnung sei gewesen, Vergangenheitsaufarbeitung durch die Vernetzung unterschiedlichster Interessierter auf ein besseres Fundament zu stellen als die verschiedenen Wahrheitsprojekte zuvor.17 Doch obwohl es gelang, die Skepsis vieler Opferorganisationen durch eine Einbeziehung zu mildern, war eine politische Mobilisierung für eine regionale Wahrheitskommission in Bosnien und Herzegowina zum Scheitern verurteilt, so Rowen: A regional truth commission was easy to suggest, difficult to promote, and nearly impossible to create. Translating transitional justice into political action in the BiH through this campaign was innovative and groundbreaking, but unmanageable.18

Gleichsam erinnert Rowen an andere Transitional Justice Initiativen in Bosnien und Herzegowina, die ebenfalls zivilgesellschaftlich mitgestaltet, dann aber auf dem Weg zu ihrer politischen Umsetzung durch ethnopolitische Auseinandersetzungen verhindert wurden.19 Deswegen warnt sie vor einer Überbewertung der Dynamiken innerhalb der Kooperation, um den Erfolg oder Misserfolg der REKOM Initiative zu beurteilen und problematisiert die hehren Ziele, mit denen nicht nur Wahrheitskommissionen, sondern Transitional Justice Projekte überhaupt operierten. Problematisch sei beispielsweise, dass sie unerfüllbare Erwartungen schürten. Die Politikwissenschaftlerin hat auch alle wichtigen Transitional Justice Expert*innen wie Priscilla B. Hayner, Alex Boraine, Neil Kritz oder Louis Bickford hinsichtlich ihrer Einschätzungen der Entwicklungen des Praxis- und Forschungsfeldes der Transitional Justice interviewt, sodass ihr Buch einen wichtigen Beitrag zur Historisierung des Feldes leistet. Arnaud Kurze hat in seiner 2012 abgeschlossenen Doktorarbeit zu »bottom-up«-Mechanismen der Transitional Justice in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien geforscht und dabei auch REKOM berücksichtigt. In zwei Aufsätzen beschreibt Kurze REKOM als »andauernden Kampf von Men16 Zu Beginn lautete die Abkürzung der Initiative noch Za REKOM (»für REKOM«). Ebd., 130. 17 Dies., Searching for Truth, 70. 18 Ebd., 87. 19 Ebd., 83.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

20

schenrechtsaktivisten um einen transnationalen außerjuristischen Raum«20 und als Antwort auf die zunehmende Kritik an der unzureichenden, juristischen Aufarbeitung der Jugoslawienkriege.21 In seinem zweiten, zusammen mit Iva Vukusić verfassten Beitrag untersucht der Politikwissenschaftler den Austausch bei REKOM als Versuch, einen »Raum für Wahrheit« zu schaffen.22 Diesen angestrebten »Raum für Wahrheit« verstehen die beiden komplementär zu einem bereits vorhandenen »Raum der Gerechtigkeit«.23 Auch Kurze und Vukusić haben Feldinterviews geführt und einige Konsultationen beobachtet. Bei ihrer Beschreibung der inneren und äußeren Hindernisse der Kooperation bei REKOM bezeichnen sie Opferkonkurrenzen innerhalb der Initiative als eine Konsequenz des transnationalen Charakters dieser Wiedergutmachungsbemühungen. Eine Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Opferkonkurrenzen und Transnationalität bleiben sie jedoch schuldig. Neben Unstimmigkeiten innerhalb der Initiative beschreiben sie auch die politischen Gegebenheiten in Kroatien und Serbien, unter denen REKOM bis 2011 agierte.24 Kurze und Vukusić schließen wie folgt: The road to sustainable transition in the region is still long and full of challenges, and future developments will show whether human rights activists will be able to sustain their grass-roots projects and establish  a dialog between different victim groups across the former Yugoslavia or whether the described obstacles persist and cannot be overcome to create a transnational truth commission for the Balkan region.25

Kurze und Vukusić begreifen REKOM als einen Prozess, wenn sie die Kooperation als ein Ringen von Menschenrechtsaktivist*innen um einen transnationalen, außerjuristischen Raum beschreiben, welcher eine Alternative zu Kriegsverbrechertribunalen darstellt.26 Doch trotz der Abgrenzung von gerichtlichen Institutionen, verstehen der Politikwissenschaftler und die ICTY-Expertin die REKOM Initiative vor allem als einen Institutionalisierungsprozess und nicht als Prozess der Verständigung oder des Austausches.

20 Kurze, Arnaud / Vukusić, Iva: Afraid to Cry Wolf. Human Rights Activists’ Struggle of Transnational Accountability Efforts in the Balkans. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 201–216, hier 203 f. 21 Kurze, Arnaud: Democratizing Justice in the Post-Conflict Balkans. The Dilemma of Domestic Human Rights Activists. In: CEU Political Science Journal 7/3 (2012), 243–268. 22 Iva Vukusić arbeitete für die Presseagentur SENSE , die über die Arbeit des ICTY berichtete. 23 Kurze / Vukusić, Afraid to, 203 f. 24 Warum sie dabei die politischen Verhältnisse in Bosnien und Herzegowina auslassen, thematisieren sie nicht. Ebd., 208 f. 25 Ebd., 213. 26 Ebd., 204.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

21

Meines Erachtens erschöpft sich jedoch eine allein auf die Institution der Wahrheitskommission ausgerichtete Forschungsperspektive auf REKOM in Spekulationen über eine mögliche institutionelle Entwicklung in der Zukunft, denn die Institution gibt es noch nicht. Dieser Fokus auf die Realisierung einer Wahrheitskommission beschränkt die Betrachtung des langjährigen und vielfältigen Austauschs unnötig. Damit verschließen sich Einsichten über Vergangenheitsaufarbeitung, die jenseits des institutionenfokussierten Denkens der Transitional Justice liegen. Während sich Rowen auf Bosnien konzentrierte und Kurze und Vukusić REKOM in Bosnien, Kroatien und Serbien verfolgten, haben Jill A.  Irvine und Patrice C. McMahon die Entwicklung der Initiative in Bosnien, Kroatien, Serbien und im Kosovo begleitet.27 In diesem dritten Beitrag des oben genannten Sammelbands stehen erneut die Schwierigkeiten der REKOM Ini­ tiative im Mittelpunkt.28 Dieses Mal wird REKOM als »grassroot«-Form der »Transitional justice in the Balkans« betrachtet. Die beiden Sozialwissenschaftlerinnen haben die Aktivist*innen bei REKOM in sommerlichen Feldaufenthalten zwischen 2008 und 2011 in Leitfadeninterviews befragt. Anhand des derart gesammelten Materials rekonstruieren sie, wie REKOM entstanden ist, was die Ziele sind und wie die Befragten REKOM bewerten. Irvine und McMahon ziehen aus ihrer REKOM Studie Lehren über Transitional Justice: Erstens erläutern sie, dass unterschiedliche Wahrnehmungen von »justice« die Entwicklungen beeinträchtigt haben und dass die Kämpfe um die Führung innerhalb der Initiative sowie die Frage danach, auf wen man politisch als Partner setzen sollte, die Zusammenarbeit geschwächt hätten.29 Was die Rolle der internationalen Akteure betrifft, bemängeln Irvine und McMahon, dass diese der gerichtlichen Aufarbeitung durch das Haager Tribunal zu viel Bedeutung schenkten, während alternative Aktivitäten vor Ort zu wenig unterstützt würden. Dementsprechend endet der Aufsatz mit einer Empfehlung an die internationale Gemeinschaft, REKOM als »homegrown mechanism of transitional justice« zu fördern.30 Auch in der politikwissenschaftlichen Dissertation von Catarina Bonora, die in Deutschland an der Bremer Graduiertenschule für Sozialwissenschaften entstanden ist, geht es um Wahrnehmungen von »justice«. Bonora untersuchte »bottom-up«-Prozesse der Transitional Justice und analysierte dafür auch die Aktivitäten der REKOM Initiative in Bosnien und Herzegowina. Die 27 Der besseren Lesbarkeit halber verwende ich bisweilen Bosnien als Äquivalent für Bosnien und Herzegowina. 28 Irvine, Jill A. / McMahon, Patrice C.: From International Courts to Grassroots Organizing. Obstacles to Transitional Justice in the Balkans. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 217–237. 29 Ebd., 219. 30 Ebd., 235.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

22

Politikwissenschaftlerin hat zahlreiche Leitfadeninterviews mit Aktivist*innen der Initiative und anderen Akteuren der Transitional Justice in Bosnien und Serbien auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch (BKS) durchgeführt und verbrachte mehrere Feldaufenthalte von bis zu neun Monaten in den beiden Ländern. In den Interviews ging es ihr insbesondere um die Vorstellungen von und die Erwartungen an »justice« und wie NGOs versuchten, diesen gerecht zu werden.31 In einem Aufsatz mit Daniela Lai diskutiert Bonora das transformative Potential von REKOM in Bosnien und vergleicht die Initiative mit dem »Frauengericht« (Ženski Sud) und den sozioökonomisch motivierten Massenprotesten im Jahr 2014 dort.32 Die beiden resümieren, dass REKOM zwar ethnische Stereotypen herausgefordert und der Zivilgesellschaft einen größeren Anteil an Transitional Justice Vorgängen verschafft habe, die Kooperation aber ihr transformatives Potential nicht ausschöpfen konnte.33 Denn REKOM sei es nicht gelungen, Menschen jenseits der organisierten und zum Teil sehr professionalisierten Zivilgesellschaft einzubeziehen und ein alternatives Gerechtigkeitsverständnis zu erörtern. Erhöhte Skepsis gegenüber REKOM und Transitional Justice vermittelt die Studie über REKOM im Kosovo der Soziologin Anna Di Lellio, die sie zusammen mit der New Yorker Entwicklungsberaterin Caitlin McCurn erstellt hat. Di Lellio und McCurn analysieren anhand von REKOM »the performance of the ›toolkit‹ that transitional justice professionals propose on a global scale: an inclusive package that offers truth, justice, reconciliation, stability, democracy, peace, and accountability […].«34 Die Untersuchung der REKOM Aktivitäten im Kosovo dient hier somit einer grundlegenden Kritik dieser Ziele von Transitional Justice und der Frage nach ihrer Umsetzbarkeit vor Ort. Di Lellio greift auf ihre Erfahrungen während ihrer Tätigkeit für die Vereinten Nationen im Kosovo seit 1999 zurück und hat mit McCurn dann 2011 sechs Monate Feldaufenthalt dort verbracht, in denen sie »dozens of interviews with relevant actors« geführt haben. Die Studie bietet ein sehr differenziertes Bild, das sich bisher am stärksten an den Akteuren selbst ausrichtet und eine über31 Bonora, Caterina: Opening Up or Closing the Historical Dialogue. The Role of Civil Society in Promoting a Debate About the Past. In: Dialogues on Historical Justice and Memory Network Working Paper Series 4 (September 2014). Ihre auf Englisch verfasste Dissertation hat Bonora 2016 verteidigt, jedoch nicht publiziert und mir auch nicht zur Verfügung gestellt. 32 Lai, Daniela / Bonora, Catarina: The Transformative Potential of Post-war Justice Initia­ tives in Bosnia-Herzegovina. In: Evans, Matthew (Hg.): Transitional and Transformative Justice. Critical and International Perspectives, London 2019 (im Erscheinen). 33 Ebd., 12–13 (in eingereichter, noch nicht gesetzter Textfassung). 34 Di Lellio, Anna / McCurn, Caitlin: Engineering Grassroots Transitional Justice in the Balkans: The Case of Kosovo. In: East European Politics and Societies 27/1 (2013), 129–148, hier 129.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

23

aus kritische Sicht auf Transitional Justice vertritt. Zwei Schlüsse sind dabei für mich von Bedeutung: Erstens, dass Opfer als Akteure bei REKOM nicht ausreichend berücksichtigt werden. Opfer werden zwar bei REKOM im Kosovo als zentrale Kategorie genannt, erwartet wird von Opfern aber Passivität und eine unschuldige wie unpolitische Haltung.35 Di Lellio und McCurn stellen hingegen fest: »[V]ictims have agency and their own ideologies. Listening to them and trusting them does not mean organizing outreach programs and consultations, but giving priority to the victims’ agency.«36 Zweitens zeigen die beiden, dass die in der Literatur über Transitional Justice zu findenden Dichotomien zwischen global und lokal, zwischen »bottom-up« und »topdown« bei REKOM nicht funktionieren.37 Di Lellio und McCurn rücken die Kooperation in ein differenziertes Licht, wenn sie REKOM beschreiben als »›unofficial truth project‹ that should work both as a lobbyist for an official truth commission and a ›precursor‹ of it.«38 Sie verweisen dadurch auf den Projektcharakter und grenzen REKOM von einer offiziellen, noch nicht verwirklichten Institution ab. Doch obwohl Di Lellio und McCurn die Überwindung des auf Institutionen ausgerichteten Transitional Justice Diskurses anmahnen, bewegen sich bei ihrer Analyse weiterhin innerhalb desselben. Letztlich schlussfolgern die beiden, dass es wichtiger wäre, die Opfer ernst zu nehmen. Um dies zu tun, raten sie dazu, die Transitional Justice »Werkzeugkiste« und damit auch die Idee einer Wahrheitskommission aufzugeben.39 Die bisherigen Studien verwenden das Konzept der Transitional Justice, um REKOM zu untersuchen. Diese Herangehensweise hat eine Reihe von Gegensätzen produziert, mit deren Hilfe versucht wurde REKOM einzuordnen: juristische Vergangenheitsaufarbeitung durch das ICTY versus außerjuristische Aufarbeitung durch REKOM (Kurze und Vukusić), Gerechtigkeitsversus Wahrheitsfindung bei Wahrheitskommissionen (Rowen)40 sowie »topdown«- versus »bottom-up«-Aufarbeitung (Irvine und McMahon). Hinzu kommt der Gegensatz zwischen der global propagierten Transitional Justice und lokalen Bedürfnissen der Opfer, was insbesondere Di Lellio und McCurn sowie Bonora bei REKOM interessierte. Di Lellio und McCurn wie auch Bonora haben diese Dichotomien hinterfragt, was zu einer Dekonstruktion der Annahmen der Transitional Justice führte. Das mit deutschen Mitteln

35 36 37 38 39 40

Ebd., 143. Ebd., 132. Ebd., 131. Ebd., 135. Ebd., 132. Ein vielzitierter Sammelband über Wahrheitskommissionen titelt ebenso: Rotberg, Robert I. / T hompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

24

erstellte Forschungsprojekt »Dealing with the Past and Peacebuilding in the Western Balkans« begreift REKOM als »multi-level approach«, welcher versucht die zivilgesellschaftliche mit der politischen Ebene von Vergangenheitsaufarbeitung zu verbinden.41 Das Projekt untersuchte zwischen 2010 und 2012 die Interaktion von internationalen und lokalen Bemühungen bei der Aufarbeitung in Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kroatien.42 Die Studie analysierte Ziele und Strategien von »Transitional Justice Protagonisten«, also konkret von: […] legal institutions such as the ICTY and the domestic courts, state-driven factfinding commissions, international and bilateral donors, international NGOs and foundations, and local peace and human rights organisations […].43

In der Untersuchung werden »extrem diverse Vorstellungen« über das Potential, die Reichweite und die Interessen innerhalb der Kooperation für REKOM gefunden und Folgendes geschlussfolgert: But the process is still open and in a state of flux, and it remains to be seen whether an institutionalised, transboundary mechanism can genuinely be established in which bottom-up and top-down initiatives meet and create synergies. Above all, it is essential to promote initiatives which are supported by political and civil society actors alike and complement each other.44

In einem Sammelband, den Martina Fischer von der »Berghof Foundation« zusammen mit Olivera Simić herausgegeben hat, wird REKOM ebenfalls mehrmals als vielversprechende zivilgesellschaftliche Kooperation besprochen, die mit mannigfaltigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Zehn Jahre nach dem ersten von REKOM organisierten, großen Forum 2006 verwies Fischer nun aber auf die Herausforderungen, eine zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit über einen langen Zeitraum unter den gegebenen Projekt­ bedingungen aufrecht zu erhalten und betonte: Civil society is still very fragile in the region. […] A particular challenge is to widen the scope of action and build alliances that go beyond the ›like-minded‹. In this respect, joint activities, such as those developed between war veterans’ representatives 41 Das von der »Deutschen Stiftung Friedensforschung« geförderte und von der »Berghof Foundation« in Berlin koordinierte, qualitativ forschende Projekt wurde in Zusammenarbeit mit mehreren Interviewer*innen aus Belgrad, Tuzla und Zagreb zwischen 2010 und 2011 durchgeführt. Die Resultate basieren auf einer Inhaltsanalyse der dadurch entstandenen rund 150 Leitfadeninterviews. 42 Fischer, Martina / Petrović-Ziemer, Ljubinka: Dealing with the Past in the Western Balkans. Initiatives for Peacebuilding and Transitional Justice in Bosnia-Herzgeovina, Serbia and Croatia. Berlin 2013. 43 Ebd., 24. 44 Ebd., 2 (Abstract).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

25

and peace activists, offer innovative space for advancing constructive approaches and more inclusive forms of remembrance that might contribute to bridge-building.45

Insofern habe REKOM gezeigt, so Fischer, dass eine schwierige Verständigung zum Erbe der Jugoslawienkriege über die Grenzen hinweg möglich ist, woran Politiker*innen anknüpfen könnten. Die an der Universität Leuven forschenden Politikwissenschaftler*innen Heleen Toquet und Peter Vermeersch stützten sich nicht auf Transitional ­Justice für ihre Untersuchung zu REKOM . Sie gebrauchten das Konzept des »fram­ ing«, um herauszufinden, wie Akteure des ICTY, der Europäischen Union und der Zivilgesellschaft im postjugoslawischen Raum den Begriff der »Versöhnung« verstehen und verwenden.46 Sie beziehen sich auch auf den Sozialanthropologen Stef Jansen, der in einem Aufsatz den alltäglichen Gebrauch bzw. die Abwehr des Versöhnungsbegriffes in Bosnien und Herzegowina erörtert hat.47 An REKOM sowie zusätzlich anhand der Erinnerungsaktivitäten im nordwestbosnischen Prijedor untersuchten Toquet und Vermeersch die Versöhnungsvorstellungen in der Zivilgesellschaft. Sie kommen zu dem Schluss, dass Versöhnung beim ICTY und in der EU etwas anderes bedeutet als in den zivilgesellschaftlichen Initiativen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, die sich mit Opfern beschäftigen. Wichtig für mich an diesem Aufsatz ist einerseits die Beobachtung, dass die Opferzentrierung bei REKOM als Ausweg aus den Unstimmigkeiten über den Versöhnungsbegriff verstanden werden kann: Über Versöhnung als Ziel der Zusammenarbeit lässt sich streiten, nicht aber darüber, dass Opfer besondere Unterstützung benötigten.48 Zudem halten Toquet und Vermeersch fest, dass Transitional Justice mittlerweile zum Bestandteil des EU-Erweiterungsdiskurses geworden ist, was sich insbesondere in der Rhetorik des seit 2007 geschaffenen »European Instrument for Democracy and Human Rights (EIDHR)« niederschlägt. REKOM hat rund eine Million Fördermittel aus diesem Fördertopf erhalten. Die belgischen Wissenschaftler*innen verwendeten Transitional Justice entgegen den bestehenden Forschungen also nicht als analytisches Instrument. Sie nehmen auch von normativen Einschätzungen Abstand, etwa, ob die Zusammenarbeit bei REKOM gelungen ist und welche Zukunftsprognosen gemacht 45 Fischer, Martina: Dealing with the Past from the Top Down and Bottom up – Challenges for State and Non-state Actors. In: Fischer, Martina / Simić, Olivera (Hg.): Transitional Justice and Reconciliation. Lessons from the Balkans. Abingdon u. a. 2016, 25–60, hier 53. 46 Toquet, Heleen / Vermeersch, Peter: Changing Frames of Reconciliation. The Politics of Peace-Building in the Former Yugoslavia. In: East European Politics and Societies 30/1 (2016), 55–73. 47 Jansen, Stef: If Reconciliation Is the Answer, Are We Asking the Right Questions? In: Studies in Social Justice Vol. 7/2 (2013), 229–243. 48 Toquet / Vermeersch: Changing Frames, 66.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

26

werden können (wie Kurze und Vukusić es tun), sie geben auch keine Handlungsempfehlungen für Förderer (wie Irvine und McMahon). Auch Janine N. Clark widmet sich der Frage nach Versöhnung und bezieht in ihrem Buch über die Wirkung des ICTY auf die Versöhnung in den postjugoslawischen Gesellschaften die REKOM Initiative ein. Diese bezeichnet sie als »den ernsthaftesten und ambitioniertesten Versuch, einen genuinen Wahrheits- und Versöhnungsprozess anzustoßen und zu verwirklichen«.49 Clark bespricht die Dissonanzen in der Initiative und wie diese in den Medien ausgeschlachtet wurden. Sie meint aber, dass REKOM trotz aller Schwierigkeiten ein bedeutendes »regionales Experiment der ausgleichenden Gerechtigkeit« sei und als »teilweise hausgemachter Prozess« größere Chancen hätte, von der lokalen Bevölkerung akzeptiert zu werden als es beim ICTY der Fall war.50 Unter Rückgriff auf rund 350 Interviews in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und dem Kosovo im Zeitraum von fünf Jahren kam Clark zu dem Schluss, dass das ICTY keine positive Auswirkung auf die Versöhnung hatte.51 Sie versteht die REKOM Initiative deswegen als eine Art Kompensationsmechanismus, der die Unzulänglichkeiten des ICTY im soziokulturellen Bereich der Aufarbeitung auszugleichen vermag. Zu erwähnen sind an dieser Stelle auch Wissenschaftler*innen, die REKOM unterstützen, indem sie auf REKOM Veranstaltungen Vorträge über Vergangenheitsaufarbeitung halten und Beiträge in den REKOM Publikationen (Newsletter, Webseite, die Transitional Justice Reihe des Menschenrechtsfonds) veröffentlichen: Eric Gordy, Denisa Kostovicova, Jasna Dragović-Soso, Jelena Subotić und Svetlana Slapšak – um nur die häufigsten Teilnehmenden zu nennen.52 Sie hatten in den regionalen Transitional Justice Foren ihren festen Platz und wurden als Berater*innen sowie als öffentliche Unterstützende von REKOM genutzt.53 In ihren Publikationen erwähnen sie meistens auch REKOM, auch wenn sie die Initiative nicht direkt als Untersuchungsgegenstand behandeln. So beschreibt etwa Eric Gordy REKOM als Zeichen dafür, dass dem soziokulturellen Aspekt von Vergangenheitsaufarbeitung mehr Beachtung geschenkt werden sollte:

Clark: International Trials, 193. Ebd., 196. Ebd., 204. REKOM Newsletter über »Reconciliation in Post-Yugoslav Societies«, Transitional Justice Reihe des Menschenrechtsfonds, sowie Subotić, Jelena: The Need to Confront the Past. URL : http://www.recom.link/the-need-to-confront-the-past/ (am 03.06.2015). 53 Auf dem 9. Forum für Transitional Justice am 17.–18. Mai 2013 in Jahorina, Bosnien und Herzegowina, dankte Nataša Kandić zum Beispiel der Professorin Denisa Kostovicova für die Beratung bei der Konzeption des Forums. Feldnotizen d. Vf., 17.05.2013, Jahorina. 49 50 51 52

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

27

[RECOM] involves the need, in accounting for the past, to move beyond law and procedure and engage with society and culture. It is in the spheres of understanding environment and identity, and of relations with others in the region, that the consequences of large-scale violence are felt.54

Die von REKOM im Laufe der Jahre bereitgestellten Transkripte der Treffen und Diskusionen wurden für die bisherigen Analysen selten genutzt, der Großteil der Studien bezieht seine Informationen aus zumeist englischsprachigen Interviews. Die an der »London School of Economics and Political Science« (LSE) tätige Politikwissenschaftlerin Denisa Kostovicova ist diesbezüglich eine Ausnahme. Sie hat an einem Korpus von 20 Transkripten der REKOM Konsultationen eine Analyse vorgenommen, die quantitativ und qualitativ angelegt ist. Kostovicova kritisiert die nationale Forschungsperspektive auf REKOM und das überwiegende Interesse an inneren Machtkämpfen sowie an der politischen Verwirklichung der Kommission.55 Unter Verweis auf Jürgen Habermas »Theorie des kommunikativen Handelns« hat sie den zivilgesellschaftlichen Austausch bei REKOM in seiner Endphase 2010 bis 2011 untersucht. Für den quantitativen Teil ihrer Analyse hat sie die Frequenzen von Wörtern ausgewertet, die sie zur wiedergutmachenden (restaurativen) Transitional Justice zählt.56 Die Wortfrequenzen hat sie ins Verhältnis zum Format der Konsultation gesetzt,  – entscheidend war hier, ob eine regionale oder nicht regionale (nationale oder lokale) Zusammenkunft bei REKOM stattgefunden hatte. Kostovicova kommt diesbezüglich zum Schluss, dass regionale Debatten bei REKOM einen leicht höheren Anteil an restaurativem Transitional Justice Vokabular aufweisen.57 In ihrer qualitativen Analyse des Korpus wird deutlich, dass die Teilnehmenden bei REKOM Inhalte diskutierten, die über die Transitional Justice hinausgingen beziehungsweise darin verwendete Konzepte anders verstanden.58 Beispielsweise wurde Mitgefühl nicht in Bezug auf einen interethnischen Dialog von Opfergruppen hin thematisiert, sondern hinsichtlich des fehlenden Mitgefühls der nationalen Politiken gegenüber Opfern der Minderheiten im jeweiligen Land.59 Von großer Bedeutung für meinen Forschungsansatz ist Kostovicovas Interesse am regionalen Wirkungsraum des REKOM Austausches. 54 Gordy: Guilt, Responsibility and Denial, 178. 55 Kostovicova, Denisa: Seeking Justice in a Divided Region. Text Analysis of Regional Civil Society Deliberations in the Balkans. In: International Journal of Transitional Justice 11/1 (2017), 154–175, hier 161. 56 In der Transitional Justice unterscheidet man retributive und restaurative Formen, Wahrheitskommissionen gehören zur letzteren. Ebd., 163 f. 57 Ebd., 167. 58 Ebd. 59 Ebd. 168.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

28

Denn alle bisherigen Analysen reflektierten den Raum, in welchem sich

REKOM bewegt, kaum. Der Raum, für den die Wahrheitskommission an-

gestrebt wird, wird in den englischsprachigen Publikationen meistens als Balkan (»the Balkans« oder »Western Balkans«) beschrieben. Toquet und Vermeersch benutzen die Begrifflichkeiten der beiden Institutionen, deren Diskurse sie untersuchen: »Western Balkans« im Kontext der Europäischen Union und »ehemaliges Jugoslawien« im Zusammenhang mit dem ICTY. Fischer benutzt für die Beschreibung des Aktivitätsraumes der Initiative den Begriff »cross-border« abwechselnd mit »regional«. Der Begriff der »Region« wird nicht problematisiert. Selbst Kurze, der die Soziologie von Räumen thematisiert und die REKOM Aktivitäten als »transnational« bezeichnet, diskutiert das Verhältnis von »transnational« und »Region« nicht. Es herrscht somit in den bestehenden Arbeiten über REKOM ein recht unreflektiertes Raumverständnis vor. Die Forscher*innen richten ihren Untersuchungsfokus entweder an einzelnen Staaten aus, verwenden »the Balkans« und »regional« für jene Aktivitäten, welche die REKOM Aktivitäten in mehr als zwei Staaten analysieren oder benutzten die Sprachwahl supra- beziehungsweise internationaler Organisationen (EU, VN). Kostovicova hingegen thematisiert die seltsame Verwendung von Region für das ehemalige Jugoslawien: […] the advocacy of a regional approach resonates with participants’ understanding of regionalism as an experience of life in a common state, that is, the former Yugoslavia. […] A retroactive assigning of regionalism onto the reality of the defunct federal Yugoslav state, which itself was never considered a region either by people who lived in it or by outsiders, is of interest for the question of how regions emerge as cognitive constructs.60

Kostovicova schlussfolgert, dass Transitional Justice (konkret REKOM) ein solches regionales Bewusstsein gefördert habe. Die Politikwissenschaftlerin ist auch an einem Kooperationsprojekt zwischen dem »King’s College London«, der LSE und der »University of the Arts London« unter dem Titel »Art and Reconciliation« beteiligt, welches seit 2017 vom »UK Arts and Humanities Research Council« finanziert wird.61 Auch hier erstellte man eine quantitative Analyse der REKOM Transkripte, bei welcher rund vier Millionen Wörter der REKOM Konsultationen als Daten auf bestimmte Muster hin ausgewertet wurden. Daraus ist bisher unter anderem eine Kunstinstallation zum Thema »Versöhnung« entstanden.62 60 Ebd., 170. 61 Art and Reconciliation. Conflict, Culture and Community. URL: https://artreconciliation. org/ (am 03.07.2019). 62 Kostovicova, Denisa / Sokolić, Ivor / Pashkalis, Tom / Milić, Nela: Text Illuminations: From the Method to the Artefact. URL : https://blogs.lse.ac.uk/government/2018/11/28/textilluminations-from-the-method-to-the-artefact/ (am 03.07.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

29

Meine Untersuchung der Kooperation bei REKOM ist im Feld der erinnerungskulturellen Studien (»Memory Studies«) angesiedelt. Derartige Analysen von Erinnerungspraktiken, -diskursen und Memorialisierungsprojekten lassen häufiger den nationalen Analyserahmen hinter sich.63 Insbesondere anthropologische Untersuchungen bieten Einsichten in lokale und individuelle Spezifika der Erinnerung, was für meinen Ansatz von Bedeutung ist.64 Wolfgang Höpken forderte für Studien der Erinnerungskulturen in Südosteuropa noch mehr neue Perspektiven, die »das Gedächtnis aus den Fesseln nationalstaatlicher Beschränkung« lösen und Südosteuropa als »Bruchzone einer ›europäisierten‹ Erinnerung« betrachten.65 Ich möchte die Untersuchung der Erinnerungsarbeit bei REKOM nicht nur aus der nationalstaatlichen Beschränkung, sondern auch aus der Reduzierung auf ein Instrument der Transitional Justice lösen.

63 Banjeglav, Tamara: Sarajevo. Exhibiting Memories of a Besieged City. In: Südosteuropa 67/1 (2019), 1–23; Brenner, Manuela: Practices of the (Non-)Construction of a Memorial at Omarska. In: Südosteuropa 59/3 (2011), 349–372; Ostojić, Mladen: Facing the Past while Disregarding the Present? Human Rights NGOs and Truth-Telling in Post-Milosević Serbia. In: Bojicic-Dzelilovic, Vesna (Hg.): Civil Society and Transitions in the Western Balkans. Basingstoke, New York 2013, 230–247; Kuljić, Todor: Umkämpfte Vergangenheiten. Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum. Berlin 2010. Erwähnt sei hier auch ein Sammelband von mit Jugoslawien verbundenen Wissenschaftler*innen, die aus ihrer persönlichen wie professionellen Perspektive die Jugoslawienkriege reflektieren: Vidulić, Svjetlan Lacko / Previšić, Boris (Hg.): Traumata der Transition. Erfahrung und Reflexion des jugoslawischen Zerfalls. Tübingen u. a. 2015. 64 So etwa Duijzings, Ger: Commemorating Srebrenica. Histories of Violence and the Politics of Memory in Eastern Bosnia. In: Bougarel, Xavier / Helms, Elissa / Duijzings, Gerlachlus (Hg.): The New Bosnian Mosaic. Identities, Memories and Moral Claims in a Postwar Society. Aldershot, England, Burlington 2007, 141–166; Jones, Briony: Exploring the Politics of Reconciliation through Education Reform: The Case of Brčko District, Bosnia and Herzegovina. In: International Journal of Transitional Justice 6/1 (2012), 126–148; Jansen, Stef: Remembering with a Difference. Clashing Memories of Bosnian Conflict in Every Day Life. In: Bougarel / Helms / Duijzings(Hg.): The New Bosnian Mosaic, 193–208; Wesselingh, Isabelle / Vaulerin, Arnaud: Raw Memory. Prijedor, an »ethnic cleansing laboratory«. London 2005. 65 Höpken, Wolfgang: Zerklüftete Gedächtnisse. Erinnerungskulturen in Südosteuropa. In: Eberhard, Winfried (Hg.): Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume; Beiträge einer internationalen Konferenz, Leipzig, 6. bis 9. Juni 2007. Leipzig 2009, 311–319, hier 312. Für eine Erinnerungskultur nach deutschem Vorbild für Südosteuropa plädiert Lasić, Mile: Kultura sjećanja. (Pledoaje za izgradnju kulture sjećanja i u regiji jugoistoka ­Europe). Sarajevo 2011.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

30

1.3

Forschungsansatz und Hypothese

REKOM ist ein zivilgesellschaftliches, dynamisches und nicht abgeschlossenes Unterfangen auf dem Gebiet der Erinnerungskultur. Das Ziel des Unterfangens liegt nicht in den Händen der Akteure, die den Weg dorthin bereitet haben. Deshalb untersuche ich anhand der Kooperation für REKOM Vergangenheitsaufarbeitung als Prozess. Meinen Untersuchungsgegenstand betrachte ich als einen komplexen Kommunikationsvorgang über Vergangenes, der geprägt ist von den Akteuren, dem angestrebten Instrument der Aufarbeitung (Wahrheitskommission) und von damit verbundenen Diskursen.66 Das bedeutet, dass ich die Kooperation bei REKOM als einen Prozess untersuche, der erstens über einen bestimmten Zeitraum Handlungen und Sinn produziert, der zweitens Veränderungen aufweist und drittens noch nicht abgeschlossen ist. Nach Andreas Wimmer erlaubt ein solches, prozessuales Kulturverständnis den offenen und instabilen Charakter von Aushandlungsvorgängen und die individuellen Handlungsmöglichkeiten ihrer Akteure zu berücksichtigen.67 Kultur wird dadurch dynamisch begriffen, indem sie sowohl mentale Vorgänge wie auch soziale Praktiken umschließt. Da sich REKOM mit Vergangenheitsaufarbeitung beschäftigt, verbinde ich diese kultursoziologische Perspektive mit einer geschichtsanthropologischen. Das heißt, ich untersuche Vergangenheitsaufarbeitung als kulturellen Prozess der menschlichen Orientierung in der Zeit. Als analytischer Zugriff bietet sich dafür das vom Geschichtsphilosophen und Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen geprägte Konzept der Geschichtskultur an, welches ich noch eingehender bei der Begriffsdiskussion erläutern werde.68 Besondere Berücksichtigung erhalten in meiner Untersuchung die Akteure und ihre Vorstellungen von Vergangenheitsaufarbeitung. Mich interessieren insgesamt drei Aspekte: Erstens, Vergangenheitsaufarbeitung empirisch als Praxis zu untersuchen, zweitens die individuellen Akteure in ihrem Engagement zu verstehen und drittens die spezifische räumliche Dimension der Zusammenarbeit bei REKOM zu reflektieren. Sowohl auf der individuellen als auch auf der kollektiven Ebene berücksichtige ich den Einfluss von Emotionen (insbesondere Schmerzen) auf die Vergangenheitsaufarbeitung. Neben der Besonderheit, dass ich einen Vorgang untersuche, dessen Ziel noch nicht erreicht ist und der wesentlich vom Umgang mit Schmerzen ge66 Einen derartigen Zugang vertritt: Kantsteiner, Wulf: Finding Meaning in Memory. A Methodological Critique of Collective Memory Studies. In: History and Theory 41 (2002), 179–197, hier 179. 67 Wimmer, Andreas: Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen. Wiesbaden 2005, 32. 68 Rüsen, Jörn: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln u. a. 2013, 221.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

31

prägt ist, kennzeichnet meinen Forschungsgegenstand auch ein spezifisches Raumverständnis. Die zivilgesellschaftliche Initiative hat ihre Aktivitäten über die Grenzen der neu entstandenen Staaten hinweg auf dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens organisiert. REKOM verwendet für dieses Wirkungsspektrum meistens die Bezeichnung »regional«, manchmal aber auch »Westlicher Balkan«, »postjugoslawisch« oder »ehemaliges Jugoslawien«. Deswegen lege ich meiner Untersuchung der Kooperation bei REKOM ein kritisches Raumverständnis zu Grunde. Ich widme mich der REKOM Initiative auf dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens und in Bezügen zu anderen Räumen. Damit folgt die Arbeit Ulf Brunnbauers Ansatz, den südosteuropäischen Raum ausgehend von den Verflechtungen der ihn prägenden Akteure und Institutionen zu betrachten.69 REKOM bezog seine Impulse wesentlich aus anderen Regionen der Welt. Aufgrund des Modells der Wahrheitskommission stammen diese insbesondere aus Lateinamerika und Südafrika, wo mit derlei Institutionen weitreichende Expertise angesammelt wurde. Als Moderator zwischen den Erfahrungen anderer Wahrheitskommissionen und neuen Wahrheitskommissionsprojekten setzt sich weltweit das »International Center for Transitional Justice« (ICTJ) mit Hauptsitz in New York ein. Dieses war auch für die Entwicklungen bei REKOM von Bedeutung. Für die Beschreibung der REKOM Aktivitäten werde ich ebenfalls die Bezeichnung »regional« verwenden, für ihre Analyse werde ich jedoch auf den Begriff der Transnationalität zurückgreifen. Denn ein transnationales Verständnis von Erinnerungskultur ermöglicht es, die Dynamiken von Vergangenheitsaufarbeitung und ihre Auswirkungen auf soziale Beziehungen jenseits nationaler Kategorien zu berücksichtigen.70 Meine Hypothese für die Entwicklung der Initiative lautet, dass die Zusammenarbeit für eine regionale Wahrheitskommission nicht nur der Aufarbeitung der Vergangenheit dient, sondern auch auf einen zukünftigen Verständigungsraum ausgerichtet ist. Dieser Verständigungsraum entsteht durch transnationale Praktiken und knüpft an Titos Jugoslawien als Erfahrungsraum an, er dient jedoch dazu, die Möglichkeiten eines Miteinanders jenseits eines gemeinsamen Staates und Territoriums zu erörtern.71

69 Brunnbauer, Ulf: Der Balkan als translokaler Raum. Verflechtung, Bewegung und Geschichte. In: Südosteuropa Mitteilungen 51/3 (2011), 78–94. Vgl. auch Mishkova, Diana: On the Space-Time Constitution of Southeastern Europe. In: Rutar, Sabine (Hg.): Beyond the Balkans. Towards an Inclusive History of Southeastern Europe. Münster 2013, 47–66. 70 Rigney, Ann / Cesari, Chiara de: Introduction. In: Rigney, Ann / Cesari, Chiara de (Hg.): Transnational Memory. Circulation, Articulation, Scales. Berlin 2014, 1–25, hier 8. 71 Zum Begriff des Erfahrungsraumes vgl. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. 9. Auflage, Frankfurt am Main 2015, 355.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

32

Ich verfolge somit einen Perspektivenwechsel, welcher die Einrichtung einer Wahrheitskommission weniger als Ziel denn als Weg begreift. Bei dem Vorhaben einer Wahrheitskommission geht es hier meiner Auffassung nach darum, einen gemeinsamen Weg zu finden, um mehrfache Brüche und die damit einhergehenden Schmerzen zu bewältigen. Dabei geht es nicht nur um die Aufarbeitung der Kriege. Mit Brüchen meine ich die verschiedenen Umbrüche, die auf dem Gebiet des einstigen Jugoslawiens fast gleichzeitig stattgefunden haben. Nicht nur Konflikte und Kriege beim Zusammenbruch Jugoslawiens, sondern auch Systemwechsel und neue Staatenbildungen führten dazu, dass mehr oder weniger alle Gesellschaften einen vielfachen Umbruch erlebten: Den Übergang von Konflikt und Krieg zu Frieden, die Umwandlung eines sozialistischen in ein demokratisches Gesellschafts- und in ein kapitalistisches Marktsystem sowie die Etablierung neuer Staaten. Befriedung, Demokratisierung, Marktwirtschaft und Staatenbildung machen den postjugoslawischen Raum zu einem speziellen Fall von Transition, was Igor Štiks und Srećko Horvat veranlasste von einer dadurch entstandenen »Transitionswüste« zu sprechen.72 Damit meinen sie, dass diese vielfachen Umbrüche zu einer besonderen Form von Verwüstung geführt hätten. Auch Jelena Subotić verwies auf die spezifische, multiple Transition der postjugoslawischen Staaten und gab zu bedenken, dass hier der Übergang nicht zwangsläufig in Richtung etwas Besserem verlaufen sei: The transition from communism was a transition to nationalist politics and to war. This was not a transition to democracy but to destructive ethnic politics. […] The Yugoslav transition was also  a partition. This major transformation of the polity from a multi-ethnic federation to individual ethnic states contributed greatly to the low domestic demand for justice.73

Ich gehe davon aus, dass diese postkonfliktuelle, postsozialistische und postjugoslawische Transitionslage ein hohes Maß an neuen Sinnbildungs- und Orientierungsleistungen erforderte und weiterhin erfordert.74 Deshalb nehme ich an, dass die Zusammenarbeit für eine regionale Wahrheitskommission nicht nur der Aufarbeitung der Kriege dient, sondern eine darüber hinaus gehende Orientierungsfunktion hat.

72 Štiks, Igor / Horvat, Srećko: Introduction. Radical Politics in the Desert of Transition. In: Horvat, Srećko / Štiks, Igor (Hg.): Welcome to the Desert of post-Socialism. Radical Politics after Yugoslavia. Brooklyn, N. Y. 2015, 1–17. 73 Subotić, Jelena: Out of Eastern Europe. Legacies of Violence and the Challenge of Multiple Transitions. In: East European Politics and Societies: and Cultures 29/2 (2015), 409–419, hier 411. 74 Vgl. auch Joas, Hans: Kriege und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Weilerswist 2000, 34.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

33

Dieses Buch unterscheidet sich also von den sozialwissenschaftlichen Studien über REKOM in seinem kulturwissenschaftlichen, interdisziplinären Forschungsansatz, der mehrere Perspektivenwechsel enthält. Erstens betrachtet es Transitional Justice als Teil des Untersuchungsgegenstandes und nicht als analytische Kategorie wie es politikwissenschaftliche Untersuchungen tun. Ich greife hingegen für meine Studie auf die im deutschen Forschungskontext gebrauchten Begriffe der Vergangenheitsaufarbeitung, Erinnerungskultur und Geschichtskultur zurück. Zweitens untersucht es eine Wahrheitskommission nicht als Produkt (Institution), sondern als Projekt (Weg). Dadurch leistet es einen empirischen Beitrag zu Erinnerungskulturstudien, die das Prozesshafte von Vergangenheitsaufarbeitung in den Blick nehmen. Schwierigkeiten von Aufarbeitungsprozessen werden somit als Teil des Weges begriffen. Drittens kombiniert es die Analyse der individuellen Ebene von Aufarbeitung anhand zweier Opfergeschichten mit der kollektiven Ebene von zivilgesellschaftlichem Aufarbeitungsaktivismus (Anthropologie und Soziologie von Vergangenheitsaufarbeitung). Viertens operiert die Untersuchung mit einem kritischen Raumverständnis. Wie Vergangenheitsaufarbeitung als Prozess, Opfer als Akteure, und wie der postjugoslawische Raum als Region funktionieren, diskutiert das Buch. Dadurch leistet es einen empirischen Beitrag zur Untersuchung transnationaler Prozesse in der Erinnerungskultur nach dem Zerfall Jugoslawiens.

1.4 Begriffsklärungen Das von REKOM gewählte Ziel der Zusammenarbeit – eine Wahrheitskommission  – gehört zum international für Vergangenheitsaufarbeitung gebrauchten Begriff der Transitional Justice, dessen Genese und Prämissen ich als erstes erläutern möchte. Transitional Justice

Die Diskussionen zwischen Menschenrechtsaktivist*innen und Sozialwissenschaftler*innen darüber, wie mit den Verbrechen der vergangenen Regime umgegangen werden sollte, waren nach dem Zusammenbruch der Militärdiktaturen in Lateinamerika in den achtziger Jahren und dem der kommunistischen Staaten in Osteuropa in den neunziger Jahren miteinander verwoben. Hier wie da stellte sich die Frage, ob man die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und bestrafen sollte oder ob man das neue demokratische System besser stabilisieren könne, wenn die Vergangenheit © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

34

ruhte.75 »Justice in Times of Transition« hieß eine Konferenz 1992 in Salzburg, Österreich, auf welcher sich Lateinamerikaner*innen und Osteuropäer*innen darüber austauschten, wie mit dem Erbe der vergangenen Regime umzugehen sei.76 An der Entstehung des Politik- und Forschungsfeldes »Transitional Justice« hatten Menschenrechtsaktivist*innen einen wesentlichen Anteil. Neil Kritz etwa vom »United States Institute for Peace« (USIP) hatte auch an der Salzburger Konferenz teilgenommen und veröffentlichte 1995 ein dreibändiges Kompendium unter dem Titel »Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with Former Regimes«.77 Darin werden verschiedene Länderstudien und unterschiedliche Formen der Aufarbeitung vergangener Gewalt vorgestellt. Die vergleichende und transfergeschichtliche Denkweise sowie Überlegungen zu anderen als nur strafrechtlichen Aufarbeitungsformen haben fortan die Transitional Justice geprägt. Unter der Prämisse, dass Gesellschaften bei der Aufarbeitung der Vergangenheit voneinander lernen können, tauschten sich etwa 1994 nach dem Ende der Apartheid in Südafrika argentinische und chilenische Menschenrechtsaktivist*innen mit südafrikanischen Akteuren über mögliche Formen der Aufarbeitung aus.78 Zudem zeichnet sich das Feld durch eine starke Verbindung von Forschung und Praxis aus.79 Die Entwicklung des Politik- und Forschungsfeldes wurde großzügig von der amerikanischen »Ford Foundation« unterstützt, welche sich 2000 dazu entschied, ihre Förderung von Menschenrechtsaktivismus neu auszurichten und im Jahr 2001 fünfzehn Millionen Dollar für die Gründung und Ent-

75 Ich beziehe mich im Folgenden auf die Begriffsgeschichte der Transitional Justice. Ein alternativer Zugang wäre es, nicht den Begriff, sondern die Idee, Verbrechen aufzuarbeiten, ins Zentrum zu rücken, wie es z. B. Ruti Teitel vorschlägt. Teitel unterscheidet drei Phasen: erstens die »post-war transitional justice« der Nachkriegszeit mit den Tribunalen in Nürnberg und Tokio, in welchen erstmals die Verfolgung von schwersten Menschenrechtsverletzungen als wichtiger angesehen wurde als die Wahrung staatlicher Souveränität. Darauf folgt die »post-cold war transitional justice«, in welcher der Begriff unter Einbeziehung neuer Aufarbeitungsformen wie Wahrheitskommissionen geprägt wurde. Als dritte Phase nennt sie die »steady-state transitional justice«, in welcher die Aufarbeitungsnorm durch die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag 2002 institutionalisiert wurde. Vgl. Krüger, Anne K.: Transitional Justice, 25.01.2013. URL : https://docupedia.de/zg/Transitional_Justice (am 08.04.2019). 76 Dies.: From Truth to Reconciliation. The Global Diffusion of Truth Commissions. In: Schwelling, Birgit (Hg.): Reconciliation, Civil Society, and the Politics of Memory. Transnational Initiatives in the 20th and 21st Century. Bielefeld 2012, 339–367, hier 352 f. 77 Kritz, Neil J. (Hg.): Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with Former Regimes. Washington DC 1995. 78 Krüger, From Truth, 353. 79 Schimmel, Constanze: Transitional Justice im Kontext. Zur Genese eines Forschungs­ gebietes im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung. Berlin 2016.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

35

wicklung des International Centers for Transitional Justice bereitstellte.80 Dabei kam es nicht nur zu einem Ringen um Ressourcen, sondern auch um Werte: Während für Menschenrechtsaktivist*innen bis dahin das internationale Strafrecht und die Bestrafung von Verbrecher*innen Vorrang hatte, propagierte der neue Zugang der Transitional Justice einen Kompromiss zwischen Bestrafen einerseits und Stabilisieren der neuen Ordnung andererseits. Dadurch entwickelte sich ein breiteres Verständnis von Gerechtigkeit, für welches die Begriffe »Anerkennung« und »Wiedergutmachung« in verschiedensten Ausprägungen an Bedeutung gewannen. Die Schwerpunktsetzungen haben sich im Laufe der mittlerweile dreißigjährigen Entwicklung der Transitional Justice gewandelt. Aktuell lässt sich »accountability« – Verantwortungsübernahme  – als Leitkonzept identifizieren. Unter der Fahne der Verantwortungsübernahme für vergangene Gewalt spielen somit neben dem Aspekt der Strafverfolgung verschiedene Prozesse der Anerkennung und unterschiedliche Formen der Wiedergutmachung eine wichtige Rolle für das Gerechtigkeitsverständnis in Transitionsgesellschaften, was seit den neunziger Jahren unter dem Begriff Transitional Justice diskutiert wird.81 Dabei wird Vergangenheitsaufarbeitung mit demokratischen Werten wie Selbstbestimmung, Teilhabe, Pluralität und Freiheit verbunden und gewinnt normatives Gewicht.82 Kriegsverbrechertribunale und Wahrheitskommissionen gehören zu den prominentesten Instrumenten der Transitional Justice; weitere sind Lustrationen, Reparationsgesetze, das Reformieren von Polizei, Militär und Judikative sowie die Errichtung von Gedenkstätten und Museen. Wahrheitskommissionen ermöglichen die Aufklärung von Verbrechen nach Konflikten und Systemwechseln, wenn die politischen Machtkonstellationen eine juristische Verfolgung der Täter*innen erschweren oder ausschließen. Vierzig Wahrheitskommissionen wurden zwischen 1974 und 2011 weltweit eingesetzt.83 Wahrheitskommissionen sind somit zu einer global verbreiteten Aufarbeitungsform gediehen, bei welcher internationale NGOs, nationale Regierungen und zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort nach einem bestimmten Muster zusammenwirken.84 Die Institution »Wahrheitskommission« steht auch für einen Mechanismus in Transitionsgesellschaften, der 80 Rowen, Searching for Truth, 33. Zur Entstehung und zum Wirken des ICTJ vergleiche darin Kapitel 5.  81 Buckley-Zistel, Susanne u. a. (Hg.): Transitional Justice Theories. Abingdon, Oxon u. a. 2014. 82 Kastner, Fatima: Transitional Justice in der Weltgesellschaft. Hamburg 2015. 83 Krüger, Anne K.: Wahrheitskommissionen. Die globale Verbreitung eines kulturellen Modells. Frankfurt 2014, 23.  84 Langenohl, Andreas: Memory in Post-Authoritarian Societies. In: Erll, Astrid / Nünning, Ansgar (Hg.): A Companion to Cultural Memory Studies. Berlin, New York 2010, 1­ 63–172, hier 165.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

36

es zuvor unterdrückten oder marginalisierten Stimmen ermöglichen soll, Einfluss auf das neu verhandelte Bild über die Vergangenheit zu gewinnen. Indem der Opfer Leidensgeschichten öffentlich Gehör finden und sie nicht unterdrückt oder geleugnet werden, kann ein Gefühl von Gerechtigkeit entstehen. Sprachefinden und Gehörtwerden fungieren damit als Teil des Anerkennungs- und Gerechtigkeitsprozesses nach Gewalterfahrungen.85 Die Verortung von Wahrheitskommissionen in der Transitional Justice sollte aber nicht zum Trugschluss führen, es handele sich dabei um ein Instrument der Rechtsprechung: »Their role is not to judge but to gather information and make it known.«86 Eine Wahrheitskommission stellt ein außergerichtliches Instrument der Aufarbeitung dar, welches ich im zweiten Kapitel eingehender erörtere. Wie bereits dargelegt, betrachte ich Transitional Justice im Folgenden als Teil meines Untersuchungsgegenstandes, welchen ich aus kultursoziologischer und geschichtsanthropologischer Perspektive beleuchte. Ich versuche also zu verstehen, welche Rolle Transitional Justice für REKOM spielte. Denn obwohl REKOM eine Wahrheitskommission initiieren möchte, weichen die zentralen Begrifflichkeiten vom Sprachrepertoire der Transitional Justice ab. Wichtige Begriffe bei REKOM sind vor allem »Opfer« und »Fakten«; während »Wahrheit« und »Versöhnung« problematisiert wurden.87 Deswegen möchte ich nun drei Begriffe umreißen, die für eine Untersuchung des Umgangs mit Vergangenheit in deutscher Sprache verwendet werden und bei denen »Opfer« und »Fakten« eine Rolle spielen: Vergangenheitsaufarbeitung, Erinnerungskultur und Geschichtskultur. Alle drei wurden im deutschen Kontext der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus geprägt, weswegen ihre kurze Konzeptualisierung im Folgenden nicht ohne Bezüge zur deutschen Aufarbeitungsgeschichte auskommt. Die drei Begriffe werden häufig synonym verwendet, setzen allerdings unterschiedliche Schwerpunkte (Vergangenheit, Erinnerung, Geschichte) und sind unterschiedlich ausführlich theoretisch ausdifferenziert. Meine kurzen Begriffserörterungen von Vergangenheitsaufarbeitung, Erinnerungskultur und Geschichtskultur werden zeigen, dass sich die einen mehr für die Beschreibung des Umgangs mit Vergangenheit eignen, während die anderen hilfreicher für dessen Analyse sind.

85 Phelps, Teresa Godwin: Shattered Voices. Language, Violence, and the Work of Truth Commissions. Philadelphia 2004, 60. 86 Ebd., 78. 87 Seitdem REKOM politische Lobbyarbeit betreibt, ist der Versöhnungsbegriff jedoch wieder zum zentralen Vokabular gediehen, vgl. insbesondere die Großveranstaltung »Reconciliation in Post-Yugoslav Countries« am 17.–18.05.2013 in der Jahorina, Bosnien und Herzegowina.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

37

Vergangenheitsaufarbeitung

Als Theodor W. Adorno in einem Vortrag im Jahre 1957 die Frage danach stellte, was eine »Aufarbeitung der Vergangenheit« bedeute, bemängelte er, dass eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland zu jenem Zeitpunkt »nicht gelang und zu ihrem Zerrbild, dem leeren und kalten Vergessen, ausartete […].«88 Der Philosoph und Soziologe verwendete »Aufarbeitung der Vergangenheit« um die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit anzuprangern, in denen, so Adorno, der Faschismus nachlebte und die ökonomische Ordnung zur Unmündigkeit der meisten Menschen beigetragen habe.89 Vergangenheitsaufarbeitung ist somit als Vehikel für Gesellschaftskritik entstanden. Seit den sechziger Jahren hat der Begriff »Vergangenheitsaufarbeitung« laut Martin Sabrow eine »semantische Karriere ohnegleichen gemacht«90, sodass […] der Wille zur Aufarbeitung, verstanden als Bereitschaft, sich einer unbequemen Vergangenheit zu stellen und sie in andauernder Erinnerung zu behalten, […] zu einem Kernelement deutscher und westeuropäischer Identitätsbildung in der Gegenwart geworden [ist].91

Ein alternatives Konzept im deutschen Diskurs ist »Vergangenheitsbewältigung«, das aber im Laufe der Zeit durch Vergangenheitsaufarbeitung abgelöst wurde. Bei »Vergangenheitsbewältigung« ging es vorrangig um eine Schuldbewältigung der Deutschen, was häufig mit einer Verdrängung des Geschehenen und einem Schlussstrichgedanken verbunden wurde. Dies führte eben nicht zu einem kritischen Umgang mit Vergangenheit, sondern zum Schweigen.92 Deswegen wird Vergangenheitsaufarbeitung als der aktivere Begriff verwendet, der die Bereitschaft betont, sich einer unbequemen Vergangenheit zu stellen. Es geht hier um den Anspruch, eine kritische Sicht auf Geschichte einzunehmen, die insbesondere Fehlleistungen thematisiert. Meines Erachtens wird hier der performative Charakter von Vergangenheitsaufarbeitung deutlich, also dass dem Umgang mit Vergangenheit eine handlungsauffordernde Wirkung innewohnt: es soll etwas gelernt und nicht wiederholt 88 Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? In: Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main 1977, 566 f. 89 Ebd. 90 Sabrow, Martin: Das Unbehagen an der Aufarbeitung. Zur Engführung von Wissenschaft, Moral und Politik in der Zeitgeschichte. In: Schaarschmidt, Thomas (Hg.): Historisches Erinnern und Gedenken im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert. Frankfurt am Main, New York 2008, 11–20, hier 13–15. 91 Ebd., 15. 92 Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS -Diktatur von 1945 bis heute. München 2001, 9.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

38

werden.93 Der für das heutige Deutschland attestierte »Wille zur Aufarbeitung« wird international allerdings als »Gebot zur Aufarbeitung« verwendet.94 Dieses Aufarbeitungsgebot wird häufig auch in der Transitional Justice betont. Während jedoch der deutsche »Wille zur Aufarbeitung« aus einer mehr als siebzigjährigen, komplexen und wenig linearen Auseinandersetzung mehrerer Generationen mit dem Holocaust, der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und den Erfahrungen der SED -Diktatur hervorgegangen ist und sich deswegen schwer übertragen lässt, hat man sich bei der Transitional Justice Gedanken über Aufarbeitungsformen gemacht, die auf verschiedene Gesellschaften nach Umbrüchen anwendbar sein sollen.95 Ein weiterer Ansatz für die Bereitschaft, sich kritisch mit Geschichte auseinander zu setzen, wird als Geschichtsbewusstsein bezeichnet. Es meint »die Art, in der Vergangenheit in Vorstellung und Erkenntnis gegenwärtig ist«, wobei die kritische Sicht auf die eigene Vorstellung und Erkenntnis wichtiger Bestandteil des Begriffes ist.96 Es geht bei Geschichtsbewusstsein weitestgehend um die Ausbildung von historischer und selbstkritischer Vorstellungskraft. Erinnerungskultur

Eine Aushöhlung von Geschichtsbewusstsein erkannte die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann allerdings in der deutschen Institutionalisierung und Ritualisierung von Erinnerungskultur.97 Assmann erläuterte, dass das kritische Potential, welches Erinnerungskultur innewohnt, verloren zu gehen droht, wenn Erinnern zum Staatsauftrag geworden ist.98 Sie führt das Un93 Dass Sprechen Handeln bewirkt und wie, hat in den fünfziger Jahren der britische Philosoph John L. Austin in seiner Sprechakttheorie formuliert, vgl. Austin, John Langshaw /  Savigny, Eike von: Zur Theorie der Sprechakte. How to Do Things with Words. Stuttgart 1998. 94 Hammerstein, Katrin / Mählert, Ulrich / Trappe, Julie / Wolfrum, Egdar (Hg.): Aufarbeitung der Diktatur, Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit. Göttingen 2009. 95 Zur Übertragbarkeit der spezifischen deutschen Aufarbeitung im Vergleich zur Anwendung der Transitional Justice auf Vergangenheitsaufarbeitung im postjugoslawischen Raum vgl. Nießer, Jacqueline: Which Commemorative Models Help? A Case Study from Post-Yugoslavia. In: Gabowitsch, Mischa (Hg.): Replicating Atonement. Foreign Models in the Commemoration of Atrocities, Cham 2017, 131–161. 96 Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewusstsein – Theorie. In: Bergmann, Klaus / Fröhlich, Klaus / Kuhn, Annette / Rüsen, Jörn / Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Hannover 1997 (5. überarbeitete Auflage), 42–44, hier 42 f. 97 Assmann, Aleida / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart 1999. 98 Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München 2013, 70.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

39

behagen aber auch auf das Ableben der Zeitzeugengeneration und den Verlust der Deutungsmacht der 1968er Generation zurück und verweist auf die veränderten, gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Erinnerungspolitik im 21. Jahrhundert abläuft.99 Auch andere deutsche Wissenschaftler*innen betrachten diese Entwicklung mit »Unbehagen«.100 Volker Knigge etwa spricht von der Erinnerung als »diffuse[r] Pathosformel«, welche stellvertretend »für gelingende Demokratie- und Menschenrechtserziehung« stehe, jedoch keineswegs gleichbedeutend mit kritischer Geschichtsverhandlung sei.101 Diese Kritik an der deutschen Erinnerungskultur verweist darauf, dass der Umgang mit Vergangenheit häufig normativ hinsichtlich eines Gelingens und unter moralischen Vorzeichen untersucht wird, was ich analytisch berücksichtigen möchte. Ob Vergangenheitsaufarbeitung aus freiem Willen oder aus strategischen Gründen in Reaktion auf ein Gebot vonstatten geht, spielt eine wesentliche Rolle für die Resultate. Während unter »Vergangenheitsaufarbeitung« der Anspruch oder Wille der Auseinandersetzung mit Vergangenem thematisiert wurde, geht es bei »Erinnerungskultur« nun um die Umsetzung dieses Anspruches. Im Zusammenhang damit meint »Gedächtnis« die Fähigkeit sich zu erinnern oder die veränderliche Struktur der Erinnerungen, worauf ich hier jedoch aufgrund meines auf den Prozess ausgerichteten Forschungsansatzes nicht weiter eingehen möchte.102 Geschichtskultur

Während Erinnerungskultur im Zuge des cultural turns in den Geistes- und Sozialwissenschaften und aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen in den neunziger Jahren große Popularität genossen hat, blieb das Konzept der »Geschichtskultur« lange Zeit geschichtsdidaktischen Kreisen vorbehalten. Wenn Erinnerungskultur und Geschichtskultur zusammen thematisiert werden, bemüht man sich, sie voneinander abzugrenzen.103 Bei beiden geht es 99 Assmann meint damit Veränderungen durch Migration, neue Medien und Technologien des Erinnerns sowie die Pluralisierung von Identitäten und Erinnerungen durch Globalisierungsprozesse, welche nationalzentrierte Denkweisen herausforderten. Ebd., 13 f. 100 Frölich, Margrit / Jureit, Ulrike / Schneider, Christian / Brockhaus, Gudrun (Hg.): Das Unbehagen an der Erinnerung. Wandlungsprozesse im Gedenken an den Holocaust. Frankfurt a. M. 2012. 101 Knigge, Volkhardt: Zur Zukunft der Erinnerung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 25–26 (2010), 10–16, hier 10 f. 102 Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart 2005, 7.  103 Hasberg, Wolfgang: Erinnerungskultur  – Geschichtskultur, Kulturelles Gedächtnis  – Geschichtsbewusstsein. 10 Aphorismen zu begrifflichen Problemfeldern. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 3 (2004), 198–207; Demantowsky, Marko: Geschichtskultur und

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

40

jedoch, grob formuliert, um die Funktionen von Geschichte in der Gegenwart, wie auch Juliane Tomann festhielt: Sowohl das Konzept der Geschichts- als auch das der Erinnerungskultur zielt letztlich auf die Analyse von sinnbildenden oder sinnstiftenden Prozessen ab, die die Grundlagen von Identität und Orientierung in der Gegenwart von Individuen und sozialen Gruppen betreffen.104

Reflektionen über die Entstehungsbedingungen von Geschichte außerhalb der akademischen Disziplin »Geschichte« und die Bindung dieser Prozesse an gegenwärtige Fragen der Lebensbewältigung haben sich auch in neuen Begriffsverwendungen, wie der »Public History«, und Neuschöpfungen, wie der »Angewandten Geschichte«, niedergeschlagen.105 Ich untersuche REKOM als Prozess und damit Vergangenheitsaufarbeitung als Kommunikations­ vorgang. Als kommunikativen Vorgang haben auch Welzer u. a. die Tradierung historischen Wissens in Familien untersucht und bemerkten: [e]motionale Erinnerungs- und Weitergabeprozesse sind etwas anderes als das Lernen von Fakten und das Verfügen über Wissen – und deshalb stellen kommunikativ tradierte Gewissheiten und kognitiv repräsentiertes Wissen unterschiedliche Bereiche des Geschichtsbewusstseins dar.106

Ich erwähne all diese Begriffe, weil sie zu einer Anthropologisierung der Geschichtswissenschaft beitragen. Genau das verfolge ich mit meiner Arbeit über REKOM auch, in der ich den Umgang mit Geschichte als kulturellen Prozess der Orientierung in der Zeit betrachte, bei welchem die individuellen Handlungs- und Sinnbildungsmöglichkeiten der Akteure berücksichtigt werden. Ausführlich durchdacht wurde das bereits von Jörn Rüsen in seiner Theorie der »Geschichtskultur«, welche Erinnerungskultur – zwei Konzeptionen des einen Gegenstandes. Historischer Hintergrund und exemplarischer Vergleich. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 33/1/2 (2005), 11–20. 104 Tomann, Juliane: Geschichtskultur im Strukturwandel. Öffentliche Geschichte in Katowice nach 1989. Berlin / Boston 2017, 86. 105 Die »Public History« kam in den USA in den 1970er Jahren auf und etablierte sich seit den neunziger Jahren als Studiengang und Lehrstuhlbezeichnung allmählich auch in Europa. Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice. New York: 2016. Eine Übersicht über die deutsche Entwicklung bietet Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane: Public and Applied History in Germany. Just another Brick in the Wall of the Academic Ivory Tower? In: The Public Historian, 40/4 (2018), 11–27. Eine im deutschen Sprachraum entstandene Alternative ist »Angewandte Geschichte«, die insbesondere ein integriertes Verständnis von Erinnerungskultur und Geschichtskultur vorschlägt. Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane (Hg.): Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit. Paderborn, München, Wien, Zürich 2014. 106 Welzer, Harald / Moller, Sabine / Tschuggnall, Karoline: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main 2002, 209.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

41

[…] die kulturellen Praktiken der Orientierung des menschlichen Leidens und Handelns in der Zeit [umfasst]. […] Ihre Orientierungsleistung besteht darin, die Erfahrungen mit der menschlichen Vergangenheit so zu deuten, dass mit ihnen die gegenwärtigen Lebensverhältnisse verstanden und dabei Zukunftsperspektiven erfahrungsgestützt entwickelt werden können.107

Es geht bei Geschichtskultur also um eine Sinnbildungsleistung, welche der Mensch durch das Bewusstsein seiner Zeitlichkeit vollbringt. Ausgehend vom wandelbaren Charakter historischen Denkens hat Rüsen seine Überlegungen aus den achtziger Jahren vor kurzem aktualisiert. In einer Erweiterung seiner vor rund dreißig Jahren entwickelten Historik fügte er den anthropologischen Operationen, auf denen sich Geschichtskultur gründet (Denken, Wollen, Fühlen), nun zwei weitere hinzu: Werten und Glauben. Die an diese anthropologischen Operationen geknüpfte kognitive, politische und ästhetische Dimension historischen Denkens sind somit entsprechend der Entwicklungen der Geschichtskultur im 21. Jahrhundert um eine moralische und eine religiöse Dimension erweitert worden.108 Die Geschichtswissenschaften spielen für die kognitive Dimension der Geschichtskultur die führende Rolle und verhalten sich, laut Rüsen, gegenüber den anderen Operationen kritisch. Der Umgang mit Vergangenheit wird hier als Prozess verschiedener, mit­ einander verwobener Vorgänge im Menschen begriffen. Dabei geht es um mehr als Denken und Verstehen, auch wenn diese Operationen äußerst wichtig sind. Meine Untersuchung kann von diesem analytischen Zugang profitieren, da der Umgang mit Vergangenheit als menschliche Orientierungsweise in der Zeit verstanden wird, bei welcher die Wissenschaft zwar eine führende Rolle einnimmt, aber auch andere Formen, beispielsweise in der Zivilgesellschaft, berücksichtigt werden. Auch meine ich, dass sich die Vorstellungen der Akteure bei REKOM und ihre Praktiken mit den von Rüsen vorgeschlagenen anthropologischen Grundoperationen gut reflektieren lassen. Insbesondere die moralische (Werten) und ästhetische (Fühlen) Dimension des Umgangs mit Vergangenheit spielen für meine Untersuchung eine wichtige Rolle. Denn die emotionalen und moralischen Aspekte von Erinnerungskultur erhalten in einer Wahrheitskommission eine gehobene Bedeutung. Dass die Deutung von vergangenen Erfahrungen für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven genutzt wird, ist zudem in der Theorie der Geschichtskultur bedacht, während bei dem Konzept der Erinnerungskultur vorrangig auf die Bedeutung von Geschichte für die Gegenwart abgehoben wird. Was die drei zuvor diskutierten Begriffe betrifft, so gilt hier abschließend festzuhalten, dass ich Vergangenheitsaufarbeitung und Erinnerungskultur verwende, um den Um107 Rüsen, Historik, 221. 108 Ebd., 234–246.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

42

gang mit Vergangenheit bei REKOM als Anspruch und Prozess zu beschreiben. Geschichtskultur nutze ich um diesen Umgang zu analysieren. Zivilgesellschaft

Ich nehme mit meiner Arbeit die Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure in den Blick, die sich für Vergangenheitsaufarbeitung einsetzen. Ich sage »zivilgesellschaftliche Akteure«, weil damit zweierlei berücksichtigt wird: Mich interessieren einerseits handelnde Subjekte (Akteure), die andererseits in einer öffentlich organisierten Gruppe »zum Wohle der Gemeinschaft« wirken.109 Dass dabei sowohl das »Wohl« als auch »die Gemeinschaft« sehr unterschiedlich definiert sein können, da etwa eine Initiative, die sich gegen die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften einsetzt, genauso als zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss verstanden wird wie ein Steuerhilfeverein, soll hier angemerkt, aber nicht bewertet werden. Der Soziologe Bojan Bilić problematisiert die Verwendung von Zivilgesellschaft als einen Begriff für seine Untersuchung der Antikriegsbewegung zum Ende Jugoslawiens: »It’s definitional volatility and logical incoherence allow civil society to incorporate extremely divergent phenomena, ideologically and historically.« (Hervorhebung im Original).110 Ich verwende Zivilgesellschaft zur Beschreibung einer von Individuen gemeinsam organisierten sozialen Praxis, die nach den Regeln von Mitbestimmung und Machtteilung einen gesellschaftlichen Kommunikationsraum schafft, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Wie die Politikwissenschaftlerin Catherine Götze festhielt, empfiehlt es sich, eine solche soziale Praxis nicht als »eindeutig, teleologisch oder abgeschlossen, sondern [als] immer ambivalent, willkürlich und offen« zu betrachten.111 Derartige Vorgänge sind zwar nicht staatlich organisiert, wohl aber mit dem Staat verbunden. Wie sich die zivilgesellschaftliche Sphäre zum Staat verhält, ist grundlegend für unterschiedliche Konzeptionen von Zivilgesellschaft.112 Zivilgesellschaftlichen Aktivismus verstehe ich als einen Prozess demokra109 Kocka, Jürgen: Wege zur politischen Identität Europas. Europäische Öffentlichkeit und europäische Zivilgesellschaft. Berlin 16. Juni 2003, 4 f. 110 Bilić, Bojan: We Were Gasping for Air. (Post-)Yugoslav Anti-War Activism and its ­Legacy. Baden-Baden 2012, 50. 111 Götze, Catherine: Rudimentäre Zivilgesellschaften. Das Rote Kreuz auf dem Balkan. Münster 2005, 2. 112 Wim van Meurs hat verschiedene historische Begriffsbestimmungen anhand der Formulierung »für, gegen oder ohne den Staat« eingängig zusammengefasst und einer Kritik unterzogen, vgl. Wim van Meurs: Zivilgesellschaft – für, gegen oder ohne den Staat? In: Sterbling, Anton (Hg.): Zivilgesellschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa. 46. Internationale Hochschulwoche der Südosteuropa-Gesellschaft in Tutzing, 8.–12.10.2007. München 2009, 31–44, hier 35.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

43

tischer Sozialisierung, der ähnlich normativ aufgeladen ist wie der Aufarbeitungsimperativ. Während man jedoch bei der Aufarbeitung Lehren aus der Vergangenheit ziehen soll, wird Zivilgesellschaft häufig als »Kürzel für die Art von Gesellschaft, in der wir leben wollen«, begriffen.113 Claus Offe hielt fest, dass die Zivilgesellschaft besser dafür geeignet sei, sich mit gesellschaftlichen Zukunftsentwürfen zu beschäftigen als Politiker*innen, die aufgrund der Amtsperioden vielmehr der Gegenwart verpflichtet seien.114 Insofern haben wir es bei der Untersuchung von zivilgesellschaftlicher Vergangenheitsaufarbeitung mit einer potenzierten Normativität zu tun. Zunehmend läuft zivilgesellschaftliche Vergangenheitsaufarbeitung auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg ab. Der Sozial- und Kulturhistoriker John R.  Gillis sprach von einer postnationalen Ära, die gekennzeichnet sei durch plurale Identitätskonzepte, welche auf zivile Zeiten und Räume für die Aushandlung von Vergangenheit angewiesen seien, um damit Zukunftsperspektiven auszuloten.115 Der zivilgesellschaftliche Umgang mit Vergangenheit wird somit auch mit Vorgängen, die jenseits nationaler Aushandlungsprozesse ablaufen, und mit der Diskussion von möglichen zukünftigen Verbindungen, verknüpft.116 Zivilgesellschaftliche Aufarbeitung kann deshalb als eine aktuelle und spezifische Entwicklung verstanden werden, die bei der Diskussion von Transnationalität besonderer wissenschaftlicher Aufmerksamkeit bedarf. Transnationalität

Zivilgesellschaftliche »memory activists« berufen sich häufig auf andere, ähnliche Prozesse in der Welt, wobei ihre Forderungen jedoch weiter an die nationalen Regierungen gerichtet sind.117 Um derartige Vorgänge zu untersuchen, eignet sich ein transnationaler Forschungsblick.118 Dieser studiert 113 Kostovicova, Denisa / Bojicic-Dzelilovic, Vesna: Introduction: Civil Societies and Multiple Transitions. Meanings, Actors and Effects. In: Bojicic-Dzelilovic, Vesna (Hg.): Civil Society and Transitions in the Western Balkans. Basingstoke, New York 2013, 1–25, hier 8. 114 Claus Offe: Nach dem »Ende der Utopie«: die Zivilgesellschaft als Fortschrittsidee? Metamorphosen des utopischen Denkens. In: Rüsen, Jörn / Fehr, Michael / Ramsbrock, Annelie (Hg.): Die Unruhe der Kultur. Potentiale des Utopischen. Weilerswist 2004, 27–38, hier 35. 115 Gillis, John R.: Commemorations. The Politics of National Identity. Princeton, N. J. 1994, 20. 116 Gutman, Yifat / Brown, Adam D. / Sodaro, Amy (Hg.): Memory and the Future: Transnational Politics, Ethics and Society. Basingstoke 2010. 117 Assmann, Aleida / Conrad, Sebastian: Introduction. In: Assmann, Aleida / Conrad, Sebastian (Hg.): Memory in a Global Age. Discourses, Practices and Trajectories. Basingstoke 2010, 1–15, hier 11. 118 Vertovec, Steven: Transnationalism. London, New York 2009.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

44

Akteure und Bewegungen, welche sich über die Grenzen, die durch das politische Projekt des Nationalstaates gesetzt sind, hinweg verbinden.119 Dadurch wird aber das nationale Paradigma nicht vollständig überwunden, sondern kontextualisiert und um andere Perspektiven erweitert.120 Transnationale Vorgänge werden oft als Prozesse betrachtet, mit denen sich marginalisierte Gruppen gegen Veränderungen durch Globalisierungsprozesse wehren (was unter der Annahme einer Disparität zwischen lokaler und globaler Kultur passiert). Oder transnationale Praktiken werden als Gegengewicht zu nationalen Machtdiskursen verstanden.121 Transnationale Bewegungen können deswegen als antihegemoniale Vorgänge untersucht werden. Im Bereich der Erinnerungskultur eröffnen transnationale Perspektiven neue Analysemöglichkeiten, so Rigney und Cesari: […] the combination of ›transnational‹ and ›memory‹ opens up an analytic space to consider the inter-play between social formations and cultural practices, or between state-operated institutions of memory and the flow of mediated narratives within and across state borders.122

Laut Assmann und Conrad setzen sich transnationale Initiativen auf dem Gebiet der Erinnerungskultur meistens für ein Gegengedächtnis ein (»counter memory«), welches auf das verweist, was die offiziellen, machtgestützten, nationalen Geschichtsnarrative ausblenden.123 Ein solches Verständnis von transnationalem Agieren stellt zivilgesellschaftliche Akteure in den Mittelpunkt, die häufig auf ein antinationalistisches Geschichtsbild hinwirken, welches multiperspektivisch angelegt ist. Dieses Geschichtsverständnis richtet sich weniger auf ein verbindendes Leitnarrativ aus, sondern vielmehr auf gemeinsame Wertvorstellungen, die durch die öffentliche Aushandlung und Anerkennung unterschiedlicher Versionen der Vergangenheit befördert werden sollen.

119 Engel, Ulf / Middell, Matthias / Troebst, Stefan (Hg.): Erinnerungskulturen in transnationaler Perspektive. Memory Cultures in Transnational Perspective. Leipzig 2012. 120 Clavin, Patricia: Defining Transnationalism. In: Contemporary European History  14 (2005), 421–439. 121 Chris. A. Bayly / Sven Beckert / Matthew Connelly / Isabel Hofmeyr / Wendy Kozol / Patricia Seed: AHR Conversation. On Transnational History. In: The American Historical Review 111/5 (December 2006), 1441–1464, hier 1451. 122 Rigney / Cesari, Introduction, 4. 123 Assmann / Conrad, Introduction, 3.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

1.5

45

Quellen und Methoden

Für meine Datenerhebung habe ich mich auf die Methode der »multi-sited ethnography« gestützt, welche ihr Feld über die Wege und Verbindungen des Untersuchungsgegenstandes definiert und somit ein konstruktivistisches Raumverständnis zu Grunde legt.124 Denn die Zusammenarbeit bei REKOM hat an verschiedenen Orten, teilweise parallel stattgefunden. Somit hatte auch meine Feldforschung über REKOM keinen festen Ort, wohl aber spielte sie sich in einem klar definierten Raum ab: auf dem Gebiet des einstigen Jugoslawiens. Die Kooperation wiederum war und ist Teil der Arbeit verschiedener NGOs und des persönlichen Engagements vieler Individuen im Bereich der Erinne­ rungskultur. Einen derartigen Prozess auf dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zu beobachten, war für eine einzelne Forschende ein komplexes und aufwendiges Unterfangen, das dennoch darauf abzielte, das Beobachtete dicht zu beschreiben und zu verstehen.125 Graue Literatur REKOM bezeichnet den Zeitraum zwischen Mai 2006 und März 2011 als zivilgesellschaftliche Konsultationsphase. Dieser Zeitraum steht im Zentrum meiner Untersuchung. Seit Mai 2006 hat die Initiative den überwiegenden Teil aller Zusammenkünfte gefilmt oder den Ton aufgezeichnet, woraufhin der Großteil der Redebeiträge von den Organisator*innen transkribiert werden konnte. Für die mehr als 130 Treffen innerhalb dieser knappen fünf Jahre sind rund 6.000 Seiten Transkripte mit zusätzlichen Programmen und Teil­ nehmerlisten vorhanden.126 Für manche gibt es gleichwohl nur eine Zusammenfassung und kein Transkript oder keine Teilnehmerliste. Dies könnte auch Wunsch der Teilnehmenden gewesen sein, wie etwa bei einem von ­R EKOM organisierten Austausch mit »kroatischen Veteranen- und Freiwilligenverbänden des Heimatkrieges«, welche wahrscheinlich ungern mit einer regionalen 124 Marcus, George E.: Ethnography in / of the World System. The Emergence of Multi-Sited Ethnography. In: Annual Review of Anthropology 24 (1995), 95–117, hier 105. 125 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M. 1987 (1983). 126 Der überwiegende Teil davon ist auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch (BKS), da auch die überwiegenden Treffen auf BKS durchgeführt wurden. Einige Treffen, die auf Albanisch und Slowenisch stattgefunden haben, wurden so auch transkribiert. Die meisten der Treffen im Kosovo liegen allerdings in der BKS Übersetzung und nicht als albanische Originaltranskripte vor. Alle Übersetzungen aus dem BKS und dem Englischen ins Deutsche sind erfolgt durch die Verfasserin des Buches.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

46

Aufarbeitungsinitiative in Verbindung gebracht werden möchten, was in Kroatiens nationalistischem öffentlichen Diskurs quasi mit einem Verrat kroatischer Interessen gleichgesetzt werden könnte.127 Darüber hinaus wurden aus den Aufnahmen für manche Treffen Kurzfilme erstellt, andere Treffen wurden auch durch Fotos dokumentiert. Zusätzlich bietet REKOM auf der Webseite verschiedene Formen von Übersichten über die Entwicklung der Initiative an, sowohl als Zeitstrahl, als auch als tabellarische Übersicht mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, Anfangs- und Enddaten, aber stets ohne methodische Erläuterungen.128 Ich greife hier somit auf eine umfangreiche und bisweilen unübersichtliche Dokumentation des Austausches in verschiedenen Quellenformen zurück (Transkripte, Übersetzungen der Transkripte, Editionen von Transkriptauszügen, Übersichten in unterschiedlichen Formaten, Filmaufnahmen und daraus erstellte Kurzfilme, Programme und Teilnehmerlisten der Treffen, Fotos). Der enorme Dokumentationsaufwand kann einerseits auf die Notwendigkeit zurückgeführt werden für die Förderer Berichte zu verfassen. Andererseits verweist dieser auch auf das Selbstverständnis der Initiative, die den Austausch ins Zentrum stellt, wohl wissend, dass das Endziel einer Wahrheitskommission nicht in den Händen der Zivilgesellschaft, sondern ein politisch zu legitimierendes und damit in seiner endgültigen Umsetzung fragwürdiges Projekt ist. Somit kommt der Dokumentation des Prozesses eine wichtige Bedeutung zu: sie belegt, wie trotz der möglicherweise ausbleibenden zwischenstaatlichen Institution ein umfangreicher Austausch stattgefunden hat, und dass das Format einer regionalen Wahrheitskommission ausführlich diskutiert und auch erprobt wurde. Das »Feld« und meine Zugänge dazu

Zwischen 2010 und 2018 habe ich ethnographisch Daten erhoben durch teilnehmende Beobachtung, Feldgespräche sowie problemzentrierte Leitfadeninterviews.129 Diese sind durch Feldnotizen und für letztere durch Tonaufnahmen sowie Transkripte dokumentiert. Die internen Arbeitsversionen und Diskussionspapiere der Mitgliederversammlungen sowie die unterschied127 REKOM: Konsultacije sa braniteljima i braniteljskim udrugama o osnivanju REKOM-a. Saopštenje. URL: http://www.recom.link/sr/konsultacije-sa-braniteljima-i-braniteljskim-​ udrugama-o-osnivanju-rekom-a/ (am 17.08.2016). 128 Zeitstrahl: REKOM: A Brief History of the RECOM Process. URL: http://www.recom.link/​ about-us-2/a-brief-history-of-the-recom-process/ (am 02.03.2017), Tabelle: REKOM: Public Debate Review. URL : http://www.recom.link/115677-2/ (am 02.03.2017). 129 Unter Verwendung des Handbuches: Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 2007. Reinbek bei Hamburg 2011.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

47

lichen Arbeitsversionen des Gesetzentwurfes habe ich während meiner Teilnahme an den Treffen erhalten. Erfahren habe ich von REKOM durch meine berufliche Tätigkeit vor der Dissertation als Koordinatorin eines Programmes einer NGO (2006–2009), welche Führungskräfte aus Südosteuropa geschult hat, unter denen auch Menschenrechtsakteure aus dem ehemaligen Jugoslawien waren.130 Darüber hinaus bin ich ehrenamtlich selbst in einer zivilgesellschaftlichen Initiative aktiv gewesen (Institut für angewandte Geschichte e. V.), die sich seit 2010 an einem Netzwerk für Erinnerungskultur zwischen dem »Westlichen Europa« und dem »Westlichen Balkan« beteiligt. Mitarbeiter*innen aller wichtigen NGOs in REKOM sind in diesem Netzwerk, welches seit 2013 »Memory Lab« heißt, vertreten.131 Alle Mitglieder des Netzwerkes können einmal im Jahr gemeinsam an einer Studienreise und einem Workshop über Erinnerungskultur in einem der vertretenen Länder teilnehmen. Zwischen den Teilnehmenden haben sich so Freundschaften und zwischen den beteiligten Organisationen Kooperationen entwickelt. So habe ich etwa als Aktivistin des Instituts für angewandte Geschichte  e. V. zusammen mit der kroatischen NGO »Documenta« 2012 ein Projekt über Erinnerungskultur in Zagreb und Umgebung organisiert. Als Kooperationspartnerin erleichterte sich damit mein Zugang zu der die REKOM Initiative leitenden NGO in Kroatien. Mit »Memory Lab« habe ich zahlreiche Gedenkorte auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zusammen mit Akteuren der Aufarbeitung aus dem ehemaligen Jugoslawien besucht.132 Dabei trat ich sowohl als Aktivistin des Instituts für angewandte Geschichte e. V. als auch als Forscherin über Erinnerungskultur auf. Während der jährlich stattfinden Reisen habe ich in dieser Doppelrolle mit verschiedenen Aufarbeitungs­a ktivist*innen über ihre Wahrnehmung von und ihre Beteiligung an REKOM gesprochen. Während ich zu den Mitarbeiter*innen der bei REKOM aktiven NGOs über meine eigene zivilgesellschaftliche Tätigkeit und »Memory Lab« Zugang hatte, war es anfangs schwierig als Forscherin zu den Führungspersonen eine Verbindung aufzubauen. Beispielsweise dauerte es einige Jahre, bis ich mit diesen Persönlichkeiten auch informelle Gespräche führen konnte. Während der Versammlungen waren alle meistens gestresst und mit Besprechungen beschäftigt – auch die REKOM Partner*innen kamen nicht so häufig gemein130 Das »Leadership Development Program« wurde damals von Sandra Breka, Robert Bosch Stiftung, geleitet. URL : https://www.balkanfund.org/southeast-europe-and-the-eu-​ leader​ship-development-programme/ (am 05.06.2019). 131 URL : http://www.memorylab-europe.eu/ (am 05.06.2019). 132 Die Orte waren in Bosnien und Herzegowina: Prijedor, Omarska, Trnopolje, Keraterm, Mrakovica, Kozarac, Donja Gradina; in Kroatien: Vukovar, Jasenovac, Ovčara, Zagreb; im Kosovo: Gazimestan, »Adem Jashari« Erinnerungspark in Prekaz, städtische Erinnerungsorte in Prishtina; in Mazedonien: Skopje 2014, Tetovo – Museum der Kommunistischen Partei, Neprošteno Denkmal, Zajaz / K ičevo »Nëna Shqiptare«.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

48

sam an einem Ort zusammen. Außerhalb der Treffen waren die Leiter*innen bereit Interviews zu geben. Dabei wurde ich gelegentlich als Journalistin vorgestellt, der Termin war mit der Sekretärin ausgemacht worden. Doch diese Interviews brachten vor allem bei der Leitung in Belgrad nur allgemeine und diplomatische Aussagen, ähnlich wie ich sie in der grauen Literatur der Initiative finden konnte. Persönliche Sichtweisen, wie sie in Form eines »Small Talks« kommuniziert werden, waren von den Führungspersonen in REKOM lange schwer zu erhalten.133 Sie waren zwar für Interviews mit direkten und klaren Fragen zu haben, aber für ein informelles Gespräch in der Kaffeepause eines Treffens nicht. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass es sich hier um öffentliche Persönlichkeiten handelt und dass das Vorhaben letztlich ein politisches ist: eine Wahrheitskommission einzurichten. Darüber hinaus war ich 2010 und 2011 nicht die einzige teilnehmende Beobachterin des REKOM Prozesses.134 Erst durch mein langjähriges Dabeisein über die zivilgesellschaftliche Konsultationsphase hinaus hat sich ein Bekanntheitsverhältnis entwickelt, welches bewirkte, dass ich auf den Treffen nun auch informell von den Führungspersonen begrüßt wurde und ein »Small Talk« mit ihnen möglich war. Sicherlich hat dazu auch beigetragen, dass ich seit 2012 mit den Akteuren auf BKS kommunizieren konnte. Mit den Aktivist*innen aus Mazedonien und dem Kosovo sprach ich Englisch. Weitere Hintergrundinfos habe ich durch Freundschaften mit REKOM Aktivist*innen erhalten, die in meinem Alter sind und teilweise auch eine Promotion über Vergangenheitsaufarbeitung schrieben oder schreiben. Methoden zur Datenerhebung I: Teilnehmende Beobachtung, Feldgespräche

Zum einen habe ich an sechs regionalen Treffen und Mitgliederversammlungen der Initiative zwischen 2010 und 2018 teilgenommen. Zum anderen habe ich die leitenden NGOs mehrmals, andere NGOs einmalig, in ihren Büros zwischen 2011 und 2014 besucht, wobei ich vor allem Leitfadeninterviews durchgeführt habe. Die häufigsten Besuche habe ich aufgrund seiner Führungsrolle dem Belgrader »Menschenrechtsfond« abgestattet. Einmal habe ich dort auch in den Räumlichkeiten meine Arbeit verfolgt und den Alltag beobachtet, mehrmals habe ich mit verschiedenen Mitarbeiter*innen dort 133 Driessen, Henk / Jansen, Willy: The Hard Work of Small Talk in Ethnographic Fieldwork. In: Journal of Anthropological Research 69 (2013), 249–263. 134 Die im Forschungsstand zitierten Jamie Rowen, Arnaud Kurze und Catarina Bonora waren zum Beispiel ebenfalls bei den REKOM Foren 2010 und 2011 zugegen.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

49

und auf Veranstaltungen gesprochen. Andere Akteure der Initiative habe ich nicht in ihren Büros, sondern auf einen Kaffee getroffen oder war mit ihnen auf Veranstaltungen über Erinnerungskultur (Podiumsdiskussionen, Filme, Theater, Ausstellungen) in Sarajewo, Belgrad, Zagreb, Bijelina, Prishtina und Skopje.135 2012 habe ich zudem am mehrtägigen »Friedensmarsch« nach Srebrenica und an der Gedenkveranstaltung mit den Begräbnissen der in jenem Jahr identifizierten Körper(teile)  am 11. Juli teilgenommen. Derartige Ereignisse lieferten mir Kontextwissen zu den Aktivitäten, die in der Region bezüglich Vergangenheitsaufarbeitung stattfanden. Zudem waren dabei häufig Teilnehmende aktiv, die auch bei REKOM involviert waren. Ich konnte dadurch also die Akteure in ihrem »Tagesgeschäft« beobachten, in den Pausen Feldgespräche durchführen oder erste Kontakte aufnehmen, um für einen späteren Zeitpunkt in Ruhe ein Interview zu vereinbaren. Mit »Feld­gesprächen« meine ich das, was Dominique Schirmer »ethnographische Interviews« nennt, also Gespräche, die bei der Beobachtung entstehen, die in der Regel nicht aufgenommen werden und bei denen manchmal auch gar nicht klar ist, dass ich Forschende bin und die andere Person Informant ist.136 Die ­ EKOM Unterschriftenkampagne habe ich im Mai und Juni 2011 in Sarajewo, R ­Zagreb und Belgrad und die Postkartenaktion im September 2012 in Sarajewo beobachtet. Während ich 2010, 2011, 2013, 2014 und 2018 nur kurze Feldaufenthalte zwischen fünf Tagen und drei Wochen durchgeführt habe, verbrachte ich 2012 elf Monate in Bosnien und Herzegowina. Dadurch konnte ich meine Sprachkenntnisse des BKS vertiefen und an vielen Veranstaltungen teilnehmen, die den Beginn des Krieges in Bosnien und Herzegowina zwanzig Jahre danach thematisierten. Zudem konnte ich so beobachten, wie im alltäglichen Leben mit der Kriegsvergangenheit umgegangen wird.137

135 Ich verwende die albanische, bestimmte Form der Städtenamen im Kosovo (Prishtina, Podujeva etc.). 136 Schirmer, Dominique: Empirische Methoden der Sozialforschung. Grundlagen und Techniken. Stuttgart 2009, 197. 137 Wichtige Feldgespräche dafür habe ich mit meinen Vermieterinnen und ihren Angehörigen in Sarajewo, mit neuen Bekannten außerhalb von REKOM sowie mit meiner Bosnisch-Lehrerin geführt.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

50 Methoden zur Datenerhebung II: Problemzentrierte Leitfadeninterviews

Neben dutzenden Gesprächen mit Aktivist*innen bei REKOM habe ich zwischen 2011 und 2014 38 problemzentrierte Leitfadeninterviews erstellt.138 Der Leitfaden bestand aus Fragen und Erzählanreizen, sodass neben der Beantwortung der Fragen auch Raum für lebensgeschichtliche Narrationen gegeben wurde.139 Das sensibilisierende Konzept oder das »Problem« des Leitfadens war »Aufarbeitung der Vergangenheit« (suočavanje s prošlošću bzw. dealing with the past). Konkret ging es um die individuellen Vorstellungen der Akteure über Vergangenheitsaufarbeitung, ihr Engagement bei sowie die Wahrnehmung von REKOM, und ein Teil war offen gehalten für die Erzählung der Kriegserfahrung. Die Interviewpartner*innen habe ich anhand ihres Beteiligungsgrades in der »Koalition für REKOM« ausgewählt, also die Aktivist*innen interviewt, die eine hohe Aktivität in der Initiative zeigten. Die Aktivität erschloss ich durch Beobachtungen auf den regionalen Treffen (wer spricht, moderiert, organisiert) und formal anhand der Arbeitsstrukturen bzw. Rollen innerhalb der Kooperation. Es kamen somit die Mitglieder des Koordinierungsrates, der Expertengruppe zur Erarbeitung des Gesetzentwurfs für die regionale Wahrheitskommission, die regionale Koordinationsstelle, die nationalen Koordinationsstellen für den zivilgesellschaftlichen Konsultationsprozess und die nationalen Koordinationsstellen für die Öffentlichkeitskampagne in Frage. Darüber hinaus habe ich auch ausgeschiedene Mitglieder bzw. Teilnehmende am REKOM Prozess, die aber nie Mitglieder geworden sind, interviewt. Jeweils ein Interview habe ich noch im Jahr 2015 und 2017 durchgeführt, bei welchen es um die aktuellen Entwicklungen ging. Analysiert habe ich die Interviews sowohl durch eine Inhaltsanalyse, bei welcher ich nach bestimmten Themen im Interview suchte, als auch zum Teil durch Kodieren. Kodieren meint Vorgehensweisen, »durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozess, durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden.«140 Aus dem Material heraus werden also Kategorien entwickelt, die schrittweise abstrahiert und dann zueinander in Beziehung gesetzt werden. Für das Analysieren und Kodieren meiner Interviews, Feldnotizen und Protokolle der Feldgespräche verwendete ich die Software MAXQDA . 138 Davon sind einige durch meine Mitschrift und der Großteil durch Tonaufnahmen dokumentiert, welche als Transkripte entweder auf Englisch oder BKS vorliegen, zwei Interviews konnte ich auf Deutsch führen. 139 Flick, Qualitative Sozialforschung, 210–214. 140 Strauss, Anselm L. / Corbin, Juliet M.: Grounded theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996, 39.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

1.6

51

Aufbau der Arbeit

Das Buch besteht neben der Einleitung und dem Schluss aus vier Teilen. Als erstes erörtere ich das nominelle Ziel der Zusammenarbeit bei REKOM und frage danach, was Wahrheitskommissionen sind. Dabei gebe ich einen kurzen Überblick darüber, wie Wahrheitskommissionen entstanden sind, wie sie funktionieren und welche Erwartungen mit ihnen verbunden werden. Abschließend erörtere ich, welche Art(en) von Wahrheit solche Institutionen behandeln. Nach dem Modell, welches REKOM anstrebt, widme ich mich im dritten Kapitel dem Kern von Wahrheitskommissionen: den Opfererzählungen. Exemplarisch stelle ich hier zwei Erzählungen in Form einer Wahrheitskommissionssitzung in den Mittelpunkt, wie sie bei REKOM 2008 stattgefunden haben. Ich analysiere, was und wie erzählt wurde, sowie was verschwiegen blieb und gebe Kontextinformationen. Besonderes Augenmerk lege ich auf Widersprüche und Störungen in der Erzählung, denn wie Michael Rothberg festhielt, äußern sich Traumata in den Fehlstellen.141 Daraufhin frage ich danach, was Wahrheitskommissionen für diejenigen bedeuten, die in ihnen von ihrer Gewalterfahrung Zeugnis ablegten. In diesem anthropologischen Hauptteil arbeite ich somit mit zwei individuellen Fällen von Opfern, die mit der REKOM Initiative verbunden sind. Beide haben auf einem Panel, wie es in Wahrheitskommissionen geschieht und wie es auf den REKOM Konsultationen probehalber durchgeführt wurde, ihre Geschichte erzählt. Die beiden Fälle repräsentieren die beiden Mitgliedsformen bei REKOM: der eine ist ein Vertreter einer Opferorganisation gewesen, die andere ein individuelles Mitglied. Anhand dieser beiden Individualfälle erörtere ich, durch welche Vorgänge Vergangenheitsaufarbeitung als Prozess konkret wirkt. Die Artikulation beider Gewalterfahrungen beleuchte ich jedoch nicht nur in Bezug auf ihre Erzählung in einer Wahrheitskommissionsprobe, sondern auch im Kontext anderer Formen der individuellen Aufarbeitung. Anhand der Einzelgeschichten, die mit REKOM verbunden sind, meine ich die Vielfältigkeit und Ambivalenz von Vergangenheitsaufarbeitung besonders gut beleuchten zu können.142 Es geht mir hier somit nicht nur um die Erzählung und das Engagement bei REKOM allein, sondern vor allem um die Aufarbeitungsgeschichte dieser Individuen. Ich verenge in diesem Teil der Arbeit meinen Blick auf zwei 141 »Analyzing trauma is reading gaps.« Sitzung der Studiengruppe »Kultur, Sinn, Orientierung« der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien mit Michael Rothberg am 30.06.2014 in München. Vgl. auch Rothberg, Michael: Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization. Stanford 2009. 142 Weine, Stevan M.: When History is a Nightmare. Lives and Memories of Ethnic Cleans­ ing in Bosnia-Herzegovina. New Brunswick, N. J. 1999, x.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

52

individuelle Aufarbeitungsfälle. Gleichzeitig erweitere ich meine Perspektive durch diese beiden Fälle über die Aufarbeitungsform der Wahrheitskommission hinaus. Wie sich das Selbstverständnis beider als Opfer verändert hat und welchen Anteil daran ihr Mitwirken bei der regionalen Wahrheitskommission hatte, spielt am Ende dieses Kapitels eine Rolle. Wie bereits erwähnt, ist REKOM nicht das erste Vorhaben einer Wahrheitskommission auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, da es lokale und nationale Varianten schon zuvor gab. REKOM ist aber der erste Versuch einer Wahrheitskommission für das ehemalige Jugoslawien. Das vierte Kapitel widmet sich deswegen derlei Erfahrungen von Wahrheitsprojekten, zunächst auf staatlicher Ebene in der Bundesrepublik Jugoslawien, Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Kroatien. Danach stelle ich auch Erzählprojekte über die Kriegserfahrungen im nicht staatlichen Sektor auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens vor, bei welchem das »Frauengericht« (Ženski Sud) aufgrund der Ähnlichkeiten zu REKOM in der Methode der Zeitzeugenerzählpanel und auch wegen ähnlicher Schwierigkeiten besondere Berücksichtigung findet. Nachdem ich mich zuerst mit dem institutionellen Format, auf das die REKOM Initiative ihre Kooperation ausgerichtet hat, beschäftige, dann exemplarisch zwei individuelle Gewaltgeschichten als Material, mit dem ein solches Modell operiert, beleuchte, und anschließend den gesellschaftlichen Kontext anhand der Erfahrungen mit »Wahrheitsprojekten« vorstelle, analysiere ich im fünften Kapitel den Weg zur Wahrheitskommission, also die Entwicklung der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit bei REKOM . Welche Akteure die Kooperation prägen, welche Themen diskutiert werden und wie dabei der Aktivitätsraum definiert und praktiziert wird, sind die operativen Fragen. Konkret beschäftige ich mich in diesem zweiten Hauptteil zunächst mit der Entstehung der Idee für eine regionale Aufarbeitungskooperation und frage, ob Vergangenheitsaufarbeitung als etwas betrachtet werden kann, dass entweder »als Mahnung von außen daher kommt«, oder etwas, das sich »von innen her« generiert.143 Den größten Teil macht daraufhin die Rekonstruktion des zivilgesellschaftlichen Aushandlungsprozesses bei REKOM aus. Darin lege ich besonderes Augenmerk darauf, wie mit zu erwartendem Dissens in einer derart groß angelegten Initiative umgegangen wird. Auch erhalten hier die verschiedenen Akteure Raum für ihre Sichtweisen und zum Teil auch für ihre Gewalt- und Aufarbeitungsgeschichten, wie sie diese bei REKOM erzählt und verwendet haben. Abschließend umreiße ich die Öffentlichkeitskampagne und die politische Lobbyarbeit für eine regionale Wahrheitskommission bis ins Jahr 2019. 143 Wie es Höpken für Erinnerungspolitik in Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien und Kosovo unterscheidet. Höpken, Zerklüftete Gedächtnisse, 312.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Einleitung

53

In zwei verschiedenen Zugriffen erörtere ich somit die Kooperation bei

REKOM . Zum einen nehme ich die Artikulation individueller Erfahrungen

als wesentliche Grundlage von Erinnerungskultur in den Blick, zum anderen betrachte ich Vergangenheitsaufarbeitung als Kommunikationsvorgang. Ich erörtere damit, wie durch diesen von Individuen praktizierten Erfahrungsaustausch ein spezifischer Raum entsteht, der nicht mehr durch einen gemeinsamen Staat, sondern durch gemeinsame Werte geprägt ist. Meine Arbeit bietet damit eine empirisch fundierte Sicht auf Vergangenheitsaufarbeitung als andauernden, transnationalen Prozess zivilgesellschaftlicher Akteure nach dem Zerfall Jugoslawiens.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

2.

Was sind Wahrheitskommissionen? Eine Erörterung des nominellen Ziels der REKOM Initiative

Ich gehe ich davon aus, dass die Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen anderswo und die Erwartungen, die mit solchen Institutionen verknüpft werden, die Zusammenarbeit bei REKOM geprägt haben. Deswegen widme ich mich im Folgenden den Fragen, wie Wahrheitskommissionen entstanden sind, was als Wahrheitskommission bezeichnet wird, wie sie funktionieren und was von ihnen erwartet wird. Danach erörtere ich, welche Art(en) von Wahrheit solche Institutionen untersuchen.

2.1 Entwicklung Entstanden sind Wahrheitskommissionen noch bevor von Transitional Justice die Rede war. In Bolivien, Argentinien, Uruguay und Uganda berief man in den achtziger Jahren Kommissionen ein, vor allem um das Schicksal der während der Diktaturen Verschwundenen aufzuklären.1 Zu dieser Zeit wurde die Suche nach den von den Militärregimen festgenommenen und dann für immer verschwundenen Personen unter der Bezeichnung »Untersuchungskommission« durchgeführt. Den Namen (nationale) »Wahrheits- und Versöhnungskommission« trug erstmalig die von 1990 bis 1991 in Chile eingesetzte »Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación«.2 Die Transitional Justice Expertin Priscilla B. Hayner definiert eine Wahrheitskommission als:

1 In Uganda war es 1986 der zweite Versuch, da es 1974 bereits eine Kommission gab, die sich mit den Verschwundenen beschäftigte. Da die erste Kommission aber ihre Ergebnisse nie veröffentlichte und auch sonst keine politischen Konsequenzen zeitigte, besteht Uneinigkeit darüber, ob die erste Kommission in Uganda als erste Wahrheitskommission betrachtet werden soll oder nicht. Vgl. Krüger, Anne K.: From Truth to Reconciliation. The Global Diffusion of Truth Commissions. In: Schwelling, Birgit (Hg.): Reconciliation, Civil Society, and the Politics of Memory. Transnational Initiatives in the 20th and 21st Century. Bielefeld 2012, 339–367, hier 344 f. 2 Krüger, Anne K.: Wahrheitskommissionen. Die globale Verbreitung eines kulturellen Modells. Frankfurt 2014, 199.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

56

Was sind Wahrheitskommissionen

(1) focused on the past, rather than ongoing, events; (2) investigates pattern of events that took place over  a period of time;  (3) engages directly and broadly with the affected population, gathering information on their experiences; (4) is a temporary body, with the aim of concluding with a final report; and (5) is officially authorized or empowered by the state under review.3

Wenn Kommissionen zwar Wahrheitskommission heißen, jedoch nur ein bestimmtes Ereignis untersuchen, wie beispielsweise die »Truth Commission on the Palace of Justice« in Kolumbien, dann zählt Hayner sie nicht zu Wahrheitskommissionen gemäß ihrer Definition.4 Denn Punkt zwei ist dabei nicht erfüllt, nämlich das Ziel Gewaltmuster, die in breiterem Maße über einen längeren Zeitraum in einer Gesellschaft – und nicht nur einmalig und punktuell – stattgefunden haben, aufzudecken. Es geht also um Gewalt, die systematisch in einer Gesellschaft angewandt wurde. In der Übersicht zu Wahrheitskommissionen des »United States Institute of Peace« (USIP) werden Projekte, die sich der Aufklärung von Einzelfällen widmen, als Untersuchungskörperschaften (»bodies of inquiry«) abgegrenzt.5 Untersuchungen, die von zivilgesellschaftlichen oder internationalen Organisationen vorgenommen wurden, wie zum Beispiel in Brasilien, befinden sich nicht in Hayners, wohl aber in der USIP-Liste von Wahrheitskommissionen.6 Louis Bickford nennt solche Projekte, die zwar die gleichen Ziele wie Wahrheitskommissionen verfolgen, aber nicht staatlich eingesetzt wurden, »unofficial truth projects«.7 Dass der Staat eine solche Kommission beauftragt, ist 3 Als Expert*innen bezeichne ich Personen, die als Berater*innen für Transitional Justice aktiv sind und welche zu ihrem Feld auch publizieren. Es handelt sich dabei meistens nicht um Forscher*innen an wissenschaftlichen Institutionen, sondern um Personen, deren Expertise zumeist aus der Mitarbeit an einer Wahrheitskommission entspringt und welche daraufhin darüber geschrieben und Schulungen über Transitional Justice gehalten haben. Hayner, Priscilla B.: Unspeakable Truths. Transitional Justice and the Challenge of Truth Commissions. 2. edition, New York, N. Y. 2011, 11 f. 4 Ebd., 12 f. 5 United States Institute for Peace: Truth Commission Digital Collection. URL: https://www. usip.org/publications/2011/03/truth-commission-digital-collection (am 04.09.2017). 6 Die Untersuchung in Brasilien wurde vom Erzbischof von São Paulo (P. E. Arns) im Geheimen mit einem zirka 35-köpfigen Team von 1979 bis zirka 1982 durchgeführt, um Folterpraktiken des seit 1964 herrschenden Militärregimes aufzudecken. Das vom Weltkirchenrat finanzierte Projekt »Nunca Mais« (Nie wieder) besorgte Kopien von Transkripten von Militärgerichtsprozessen, welche durch ein Amnestiegesetz ab 1979 für Anwälte zugänglich waren und konnte so nachweisen, dass Folter systematisch vom Regime angewendet wurde. Mehr als 17.000 Opfer wurden identifiziert. Der Bericht wurde 1986 veröffentlicht und 1995 hat die brasilianische Regierung ein Entschädigungsprogramm für Opfer und Angehörige von Opfern aufgelegt. Ebd. 7 Bickford, Louis: Unofficial Truth Projects. In: Human Rights Quarterly 29/4 (2007), ­994–1035.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Entwicklung 

57

deswegen von grundlegender Bedeutung, weil die Massengewalt, die es hier zu untersuchen gilt, eine staatlich legitimierte war. Auch »unofficial truth projects« können Verbrechen aufdecken und Unrecht dokumentieren, doch erst wenn der Staat eine solche Untersuchung in Auftrag gibt, wird die Bereitschaft der Machthaber signalisiert, das Unrecht auch anzuerkennen und hinter sich zu lassen. Der Soziologe Michael Humphrey stellt das öffentliche Zeugen von Leidensgeschichten in den Mittelpunkt, wenn er Wahrheitskommissionen als »an increasingly popular forum used to witness publicly the victims’ suffering after mass violence as a result of state repression or civil war« beschreibt.8 Unterschiedliche Akteure im Feld der Transitional Justice setzen somit unterschiedliche Schwerpunkte in ihrem Verständnis einer Wahrheitskommission. Der Menschenrechtsexperte Mark Freeman betont ihre Opferzentrierung und die Aufgabe, nach den Gründen und Folgen von Gewaltmissbrauch zu suchen sowie ihren präventiven Anspruch.9 In der einzigen mir bekannten deutschen Übersichtsstudie zu Wahrheitskommissionen fasst die Soziologin Anne K. Krüger die Kernpunkte folgendermaßen zusammen: Trotz kultureller Unterschiede zwischen den Ländern, die eine Wahrheitskommission eingesetzt haben, und politischer Differenzen innerhalb eines Landes wird weltweit unter dem Label Wahrheitskommission auf die formal-bürokratisch organisierte Praktik einer öffentlichen, offiziellen Aufdeckung begangener Verbrechen und An­ erkennung der Opfer zurückgegriffen.10

Krüger bietet eine Übersicht über alle Wahrheitskommission von 1974 bis 2011 weltweit, bei welcher sie tabellarisch auflistet, ob andere Überblicks­ darstellungen diese Einrichtungen auch als Wahrheitskommissionen führen oder nicht (Freeman, Hayner, USIP sowie Dancy u. a.).11 Eine Wahrheitskommission muss im Namen also nicht immer das Wort »Wahrheit« enthalten, und umgekehrt muss eine Institution oder Unter­ suchung, die als Wahrheitskommission benannt wird, nicht zwangsläufig auch von allen als solche verstanden werden. Es zählen beispielsweise auch die beiden deutschen Enquête-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED -Diktatur dazu.12 Obwohl die Enquête-Kommissionen eher eine Mischung aus 8 Humphrey, Michael: The Politics of Atrocity and Reconciliation. From Terror to Trauma. London, New York 2002, 105. 9 Freeman, Mark: Truth Commissions and Procedural Fairness. New York 2006, 18. 10 Krüger: Wahrheitskommissionen, 201. Dancy, Geoff / Kim, Hunjoon / Wiebelhaus-Brahm, Eric: The Turn to Truth. Trends in Truth Commission Experimentation. In: Journal of Human Rights 9/1 (2010), 45–64. 11 Ebd., 213–215. Dancy, Geoff / Kim, Hunjoon / Wiebelhaus-Brahm, Eric: The Turn to Truth. Trends in Truth Commission Experimentation. In: Journal of Human Rights 9/1 (2010), 45–64. 12 Die genauen Bezeichnungen lauten: Enquête-Kommission des 12. Deutschen Bundestages »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED -Diktatur in Deutschland«

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

58

Was sind Wahrheitskommissionen

parlamentarischer Untersuchungs- und Historikerkommission darstellten, die zwar Zeitzeugenanhörungen unternahmen, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit operierten, werden sie als Wahrheitskommissionen bezeichnet.13 Ihre öffentliche Wirkung erzielten diese erst nach der Veröffentlichung des Berichtes und den daraus folgenden Maßnahmen.14 So wurde etwa die »Stiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur« gegründet, welche Entschädigungen an Opfer zahlte und welche Projekte sowie Forschungen zum Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit fördert. Darüber hinaus führen etwa Hayner und USIP auch gescheiterte Wahrheitskommissionen in ihren Übersichten an, wie zum Beispiel die in Rest­ jugoslawien im Jahre 2001 von Präsident Vojislav Koštunica einberufene »Kommission für Wahrheit und Versöhnung«15, was Hayner damit begründet, dass gerade aus gescheiterten Versuchen auf Staatsebene viel gelernt werden kann.16 Nicht in diesen Listen kommen jedoch erfolgreich umgesetzte, offizielle Untersuchungskommissionen vor, wie die »Srebrenica-Kommission«, die von 2003 bis 2004 in Bosnien und Herzegowina die Massengewalt in der ostbosnischen Stadt im Juli 1995 untersuchte.17 Das ist vermutlich wieder auf Hayners Definitionsmerkmal Nummer zwei zurückzuführen, welches Untersuchungen über Einzelereignisse aus ihrer Liste von Wahrheitskommissionen ausschließt. Aus diesem knappen Einblick lassen sich meines Erachtens folgende Schlüsse ziehen. Es lassen sich aus allen Definitionsversuchen drei Merkmale festhalten: Eine Wahrheitskommission ist eine öffentliche (staatlich anerkannte) Untersuchung vergangener Gewalt, bei der Opfer Aufmerksamkeit erhalten. Nicht staatlich sanktionierte Wahrheitsfindungsaktivitäten würde ich somit nicht als Wahrheitskommissionen verstehen. Letztere bleiben »Wahrheitsprojekte«, welche zweifelsohne ihren Beitrag zur Aufdeckung und

13 14 15 16 17

(1992–1994) sowie Enquête-Kommission »Überwindung der Folgen der SED -Diktatur im Prozess der Deutschen Einheit« (1995–1998). Buckley-Zistel, Susanne: Narrative Truths. On the Construction of the Past in Truth Commissions. In: Buckley-Zistel, Susanne u. a. (Hg.): Transitional Justice Theories. Abingdon, Oxon u. a. 2014, 144–162, hier 157 f. Beattie, Andrew H.: An Evolutionary Process. Contributions of the Bundestag’s Inquiries into East Germany to an Understanding of the Role of Truth Commissions. In: International Journal of Transitional Justice 3/2 (2009), 229–249. Serbisch »Komisija za istinu i pomirenje«, vgl. Kap. 4.2 dieses Buches. Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 252 f. Die genaue Bezeichnung lautete übersetzt »Untersuchungskommission zu den Ereignissen in Srebrenica und Umgebung zwischen dem 10. und 19. Juli 1995«. Picard, Michèle / Zinbo, Asta: Sur le rapport du gouvernement de la Republika Srpska. In: Cultures et conflits 65 (printemps 2007), 103–118, vgl. Kap. 4.1 dieses Buches.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Funktionsweise 

59

Dokumentation von Gewalttaten leisten, jedoch fehlt ihnen die staatliche Legitimation und somit ein zentraler Aspekt politischer Anerkennung. Wahrheitskommissionen sind ein aktuelles Aufarbeitungsphänomen, des­ sen Evaluierung und Erforschung Großteils von dessen Akteuren selbst betrieben wird, was eine besonders kritische Sicht gegenüber derlei Beschreibungen und Bewertungen nahelegt. So war Hayner etwa Gründungsmitglied des International Center for Transitional Justice, welches sie zusammen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der »Südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission« Alex Boraine und ihrem Geschäftsführer Paul Van Zyl ins Leben rief, um staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure in Sachen Transitional Justice zu beraten.18 Insbesondere unterstützt das ICTJ Vorhaben von Wahrheitskommissionen und hat dafür Ratgeber, Trainingsprogramme und Vorträge entwickelt.19 Der oben zitierte Mark Freeman leitete jahrelang das Brüsseler Büro des ICTJ und der ebenfalls erwähnte Louis Bickford wirkte maßgeblich in dessen Entwicklungsabteilung in New York. Darstellungen von sogenannten »Practitioners« oder Expert*innen machen also einen Großteil der Literatur über Wahrheitskommissionen aus, die nicht nur gesättigt sind von unmittelbaren Erfahrungen, sondern zumeist auch ausgerichtet auf politische Handlungsempfehlungen.

2.2 Funktionsweise Die Institution »Wahrheitskommission« wird temporär eingerichtet, für wenige Jahre, und mit einem begrenzten Untersuchungsauftrag. Während die frühen Wahrheitskommissionen zumeist in zeitlicher Nähe zum Konflikt ihre Arbeit aufnahmen, wächst mittlerweile der Abstand zwischen Beilegung des Konfliktes und dem Wirken einer Wahrheitskommission.20 Wahrheitskommissionen werden durch ein  Dekret der Regierung, des Präsidenten oder  manchmal auch durch eine internationale Organisation eingesetzt. Das kann, wie im Fall Boliviens, dazu führen, dass eine Wahrheitskommission zwar eingerichtet wird, ihr jedoch weder die notwendigen finanziellen Ressourcen, noch ausreichende politische Unterstützung für ihre Untersuchungstätigkeiten gewährt werden und sie daraufhin ihre Arbeit auf18 Krüger: From Truth to Reconciliation, 355. 19 Gonzalez, Eduardo: Drafting a Truth Commission Mandate. A Practical Tool. URL: http:// ictj.org/sites/default/files/ICTJ -Report-DraftingMandate-Truth-Commission-2013_0.​ pdf (am 22.07.2015). 20 Niethammer, Lutz: Wahrheitskommissionen im Vergleich. In: Marx, Christoph (Hg.): Bilder nach dem Sturm. Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Berlin 2007, 15–35, hier 24–26.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

60

Was sind Wahrheitskommissionen

geben muss.21 Hayner hielt fest, dass die Einrichtung einer Wahrheitskommission der schwierigste Akt sei, gleichwohl aber ihre Existenz sodann nicht zwangsläufig auch Erfolg verspräche: Truth commissions are almost never smooth, pleasant, well-managed, well-funded, politically uncomplicated bodies. On the contrary, most struggle daily with a barrage of methodological, operational, and political problems, and operate under extreme pressures of time and under the heavy moral and emotional weight of their task and the risk of damaging error in their conclusions.22

Jede Wahrheitskommission wird für einen bestimmten Zeitraum durch ein Mandat definiert, welches unter anderem auch die Themenfelder, die Befugnisse, die Arbeitsweise und die Besetzung der Kommission regelt. Das Mandat einer Wahrheitskommission kann auch Amnestien vorsehen. Um Straferlasse aussprechen zu können, muss die Kommission politisch legitimiert sein.23 Amnestien in Aussicht zu stellen ist eine Strategie, um die Täter*innen zu solchen Aussagen zu bewegen, die von großer Bedeutung für die kollektive Bewältigung eines Konfliktes sind. Das Eingeständnis von Schuld kann sodann mit Straffreiheit abgegolten werden. Dieses Vorgehen zur Aufdeckung von Gewalttaten kann gerade in politischen Machtkonstellationen, die eine juristische Verfolgung der Täter*innen nach dem Konflikt ausschließen, weil die Verantwortlichen für die Verbrechen weiterhin an der Macht sind, der einzig praktikable Weg zur Aufklärung der Verbrechen sein. Eine Wahrheitskommission kann auch betrachtet werden als eine »Annäherung an Recht als das eigentlich angestrebte Konfliktlösungsmuster in Fällen, wo dieses nicht existierte oder nicht anwendbar war«.24 Werden Wahrheitskommissionen in Situationen eingerichtet, in denen die politische Lage im Land eine juristische Aufarbeitung nicht zulässt, dann potenziert sich die Gefahr unerfüllbarer Erwartungen. Denn wenn eine Wahrheitskommission als eine Art Ersatzgericht wahrgenommen wird, die Institution aber kein Recht sprechen kann, dann muss sie zwangsläufig scheitern. Die Südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (SATRC) hat die Wahrnehmung von derlei Institutionen maßgeblich geprägt. Sie wurde 1995 nach dem Ende der Apartheid unter Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu beschlossen und 1996 eingesetzt, um schwere Menschenrechtsverbrechen aufzudecken. In Südafrika folgte man dem Motto »Vergebung statt Vergeltung« und hatte speziell für die Entscheidung über Amnestien ein Komitee 21 Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 53. 22 Ebd., 210. 23 Marx, Christoph: Einleitung: Bilder nach dem Sturm. In: Marx, Christoph (Hg.): Bilder nach dem Sturm. Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Berlin 2007, 1–14, hier 6 f. 24 Niethammer: Wahrheitskommissionen im Vergleich, 21.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Funktionsweise 

61

eingerichtet.25 Neben der umstrittenen Amnestiepraxis der Südafrikanischen Wahrheitskommission führten auch die in den Medien übertragenen Zeitzeugenanhörungen zu ihrem großen Bekanntheitsgrad. Im Oktober 1998 lieferte sie ihren Abschlussbericht. Dass wichtige und charismatische Akteure der SATRC , wie etwa ihr stellvertretender Vorsitzender Alex Boraine, später durch das International Center for Transitional Justice die südafrikanischen Erfahrungen als Musterbeispiel propagierten, förderte auch die kritische Auseinandersetzung mit dieser Form von Vergangenheitsaufarbeitung.26 Wer Kommissionsmitglied werden kann, ist unterschiedlich – Jurist*innen, Politiker*innen, Historiker*innen, Intellektuelle, Menschenrechtsaktivist*innen oder Vertreter*innen internationaler Organisationen kommen zum Beispiel in Frage –, je nach Zuschnitt der Kommission und in Abhängigkeit von den politischen Konstellationen während ihrer Einrichtung. Darüber hinaus wirken in einer Wahrheitskommission zahlreiche andere Mitarbeiter*innen (Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen, Computer- und Informations­ expert*innen für die Datenverarbeitung, Logistiker*innen, Übersetzer*innen, Anthropolog*innen), deren Anzahl einige hundert annehmen kann.27 Als Kernelement einer Wahrheitskommission lässt sich das Erzählen und Dokumentieren der Geschichten von Zeitzeug*innen festhalten. Da Wahrheitskommissionen nur zeitweilig bestehen, können sie nicht alle Gewalttaten eines Konfliktes aufarbeiten. Schon vor Beginn ihrer Arbeit wird durch ihr Mandat eine Einschränkung der zu untersuchenden Periode und Ereignisse vorgenommen. Auch, wer als Opfer anerkannt wird und sprechen darf, wird durch das Mandat geregelt. In Südafrika haben sich zum Beispiel 21.000 Opfer beim Menschenrechtskomitee der Wahrheitskommission gemeldet, wovon rund 4.500 (21 %) nicht entsprechend der Definition eines Opfers von schweren Menschenrechtsverbrechen anerkannt wurden.28 Wiederum nur zirka 2.000 der anerkannten Opfer durften vor dem Menschenrechtskomitee in einer Anhörung ihre Geschichte erzählen; sie wurden ausgewählt, wenn ihre Geschichte gut bekannte Ereignisse der Apartheid dokumentierten.29 Der Abschlussbericht nimmt dann auch noch einmal eine Kondensierung der gesammelten Einzelgeschichten und Informationen zu einer konsisten­ 25 Neben dem Komitee für die Gewährung von Amnestien, gab es ein Komitee für die Aufklärung der Verbrechen der Apartheid (seit 1960) und ein Komitee für Entschädigungen. Vgl. Rowen, Jamie: Searching for Truth in the Transitional Justice Movement. Cambridge u. a. 2017, 30 f. 26 Verdoolaege, Annelies: Reconciliation Discourse. The Case of the Truth and Reconciliation Commission. Amsterdam, Philadelphia 2008. 27 Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 213. 28 Humphrey: The Politics of Atrocity, 110. 29 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

62

Was sind Wahrheitskommissionen

teren Geschichte vor. Eine Wahrheitskommission muss also relativ schnell zu klaren Ergebnissen kommen. Der Abschlussbericht dient nicht nur dazu, das Vergangene begrifflich, kausal und periodisiert zu fassen, sondern gleichsam auch dazu, daraus Schlüsse für ein weiteres Vorgehen zu ziehen. Es besteht gleichwohl die Möglichkeit, wie in Deutschland oder Ecuador, noch eine Nachfolgekommission einzusetzen. Diese mehrfachen Perspektivierungen und Verdichtungen können Unzufriedenheiten hervorrufen, wie in Südafrika, wo Opfer die Ergebnisse des Berichtes als nicht zu den Zeugenaussagen passend kritisierten.30 Sander sieht in diesen beiden Ansprüchen von Wahrheitskommissionen einen inhärenten Konflikt: But the mandate of restoring the dignity of victims by granting them the opportunity to tell their stories competed with the commission’s primary task: compiling an accurate picture of gross violations of human rights.31

Der Abschlussbericht kann veröffentlicht werden, was aber nicht immer geschieht, weil manchmal Bedenken bestehen, dass sich die gesellschaftlichen Konfliktlinien durch dessen Enthüllungen verschärfen könnten. Der Bericht der Kommission in Zimbabwe etwa wurde geheim gehalten, während der Ergebnisbericht der Argentinischen Kommission unter dem Titel »Nunca Mas« (Nie wieder) nach 1984 zu einem Bestseller wurde.32 Im Abschlussbericht können auch weitere Maßnahmen empfohlen werden, beispielsweise Reparationsgesetze, zusätzliche Forschungen oder Memoralisierungsprojekte. So empfahl der Bericht der beiden erwähnten deutschen Enquête-Kommissionen u. a. Gedenkaktivitäten sowie Gedenkstätten auszubauen, die an die Repressionen der ostdeutschen Diktatur erinnern, wie zum Beispiel das ehemalige Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen in Berlin.33 Schließlich können die gesammelten Fakten auch, wie im argentinischen Fall, einer anschließenden juristischen Ahndung von Verbrechen dienen, welche aber nicht durch die Wahrheitskommission, sondern durch ein Gericht vollzogen werden muss.34 Abgesehen von der bilateralen »Wahrheits- und Freundschaftskommission« zwischen Indonesien und Osttimor, wurden bisher alle Wahrheitskom30 Ebd., 119. 31 Sanders, Mark: Ambiguities of Witnessing. Law and Literature in the Time of a Truth Commission. Stanford, Calif. 2007, 17. 32 Phelps, Teresa Godwin: Shattered Voices. Language, Violence, and the Work of Truth Commissions. Philadelphia 2004, 79. 33 Beattie, Andrew H.: Post-Communist Truth Commissions. Between Transitional Justice and the Politics of History. In: Stan, Lavinia / Nedelsky, Nadya (Hg.): Post-Communist Transitional Justice. Lessons from Twenty-Five Years of Experience. New York 2015, 213–232. 34 Humphrey: The Politics of Atrocity, 109.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Erwartungen 

63

missionen innerhalb eines Landes eingesetzt.35 Obwohl also auf das Modell »Wahrheitskommission« in vielen Teilen der Welt zurückgegriffen wurde, war ihr Wirkungsradius vor allem ein nationaler.

2.3 Erwartungen Unmittelbare Ziele von Wahrheitskommissionen sind das Aufdecken von Verbrechen, die Dokumentation von Repressionsmustern oder die Enthüllung von Diskriminierungen. Hayner definiert das Hauptanliegen wie folgt: The first and most straightforward objective of  a truth commission is sanctioned fact-finding: to establish an accurate record of  a country’s past, clarify uncertain events, and lift the lid of silence and denial from a contentious and painful period of history.36

Mittelfristig sollen Wahrheitskommissionen dazu dienen, eine gesellschaftliche Akzeptanz für die Verbrechen einer oder die innerhalb einer Gesellschaft zu schaffen. Dafür ist es wichtig, dass Wahrheitskommissionen eine breite Öffentlichkeit erreichen. Die Leugnung bestimmter Gewalttaten soll so verhindert und etwaigem Revisionismus vorgebeugt werden. Nach der staatlich sanktionierten Erarbeitung »der Fakten« und der Darstellung des Leidens, hat deren offizielle und öffentliche Anerkennung große Bedeutung, wie auch der Historiker Charles S. Maier betont: The truth commission may not be able to provide justice in the sense of rendering retribution, but it at least avoids the accumulated injustice of denying recognition of suffering. It is a step toward acknowledgment.37

Anerkennung stellt somit die Hauptwirkung von Wahrheitskommissionen dar. Diese wird zunächst allein schon durch die Praxis des Erzählens und Zuhörens ermöglicht, so die Anglistin und Juristin Teresa Godwin Phelps. Das Sprachefinden und Gehörtwerden fungiert demnach als Teil des Anerkennungs- und Gerechtigkeitsprozesses nach Gewalterfahrungen.38  Indem 35 Während des Referendums über die Unabhängigkeit Osttimors von Indonesien 1999 antworteten die indonesischen Milizen mit Gewalt und viele Menschen verschwanden. Die Commission for Truth and Friendship wirkte von 2005 bis 2008. Krüger: Wahrheitskommissionen, 215. 36 Ebd., 20. 37 Maier, Charles S.: Doing History, Doing Justice. The Narrative of the Historian and of the Truth Commission. In: Rotberg, Robert I. / T hompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000, 261–278, hier 267. 38 Phelps: Shattered Voices, 60.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

64

Was sind Wahrheitskommissionen

der Opfer Leidensgeschichten öffentlich Gehör finden und sie nicht unterdrückt oder geleugnet werden, kann ein Gefühl von Gerechtigkeit entstehen. Dadurch, dass Opfern ein öffentlicher Raum für die Artikulation ihres Leidens bereitet wird, sollen sie als Mitglieder der sich transformierenden Gesellschaft anerkannt werden können. Insofern lassen sich die von Regierungen eingesetzten Wahrheitskommissionen auch als Mechanismen der Annäherung von Randgruppen an die veränderten Machtverhältnisse beschreiben.39 Dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen hier Anteil an der Neukon­ struktion der Geschichte haben, spiegelt, so Phelps, die Versprechen von Demokratisierung und Teilhabe wider.40 Das Eintreten für Anerkennung kann aber auch ganz simpel als Kampf gegen Leugnung verstanden werden. Wahrheitskommissionen operieren entsprechend der Annahme, dass das Wissen über und die Auseinandersetzung mit Verbrechen ihre Wiederholung verhindern könne. So hat man in Brasilien, Argentinien, Chile und Uruguay mit der umfangreichen Dokumentation von Verbrechen die Hoffnung verbunden, durch Wissen einen Schutz gegen eine Wiederkehr des Terrors zu erhalten.41 Langfristig seien deswegen, so Buckley-Zistel, Wahrheitskommissionen darauf ausgerichtet, zu Versöhnung und friedlicher Koexistenz beizutragen.42 Wahrheitskommissionen dienen also dazu, eine neue Gemeinschaft zu propagieren, die sich von der vergangenen abgrenzt, indem sie ihre Vergangenheit staatlich aufarbeitet und »archiviert«. Wenn klar artikuliert und anerkannt wurde, was los war, kann es losgelassen werden. Folglich kann eine Wahrheitskommission als Aufarbeitungsimpuls verstanden werden, der es ermöglichen soll freier in die Zukunft zu blicken. In Bezug auf die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure an Wahrheitskommissionen ist festzuhalten, dass die temporäre Aufarbeitungsinstitution zu einer global verbreiteten Form gediehen ist, bei welcher internationale NGOs, nationale Regierungen und zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort nach einem bestimmten Muster zusammenwirken.43 In Südafrika beispielsweise haben zivilgesellschaftliche Gruppen die Idee einer Wahrheitskommission in Konferenzen und Probesitzungen mitvorbereitet.44 Obwohl sie also 39 Dies: The Ethics of Storytelling. A Nation’s Role in Victim / Survivor Storytelling. In: ­Ethical Perspectives 18/2 (June 2011), 169–195, hier 169. 40 Dies: Shattered Voices, 80. 41 Humphrey: The Politics of Atrocity, 108. 42 Buckley-Zistel, Susanne: Transitional Justice, In: Handreichung. URL : www.konflikt​ bearbeitung.net/downloads/file889.pdf (am 04.09.2017), 2.  43 Langenohl, Andreas: Memory in Post-Authoritarian Societies. In: Erll, Astrid / Nünning, Ansgar (Hg.): A Companion to Cultural Memory Studies. Berlin, New York 2010, ­163–172, hier 165. 44 Crocker, David A.: Truth Commissions, Transitional Justice, and Civil Society. In: Rotberg, Robert I. / T hompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000, 99–121, hier 110.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Bewertungen 

65

staatliche Institutionen sind, wird mit Wahrheitskommissionen der Anspruch verbunden, machtferne gesellschaftliche Gruppen in offizielle Aufarbeitungsprozesse einzubinden. Insofern betrachten einige die Popularität von Wahrheitskommissionen als »Siegeszug der Opfer«45, und andere sehen in ihr sogar eine »Voraussetzung für die Ausbildung postdiktatorischer zeitgeschichtlicher Aufklärung und Gedenkkultur«.46 Meiner Einschätzung nach steht die Wahrheitskommission mit ihrer Opferzentrierung, der Beteiligung von Zivilgesellschaft und ihrer Ausrichtung auf die Zukunft für einen Paradigmenwechsel in der Geschichtskultur. Nicht mehr die Täter*innen, die Staatsführung und die Gewaltvergangenheit stehen im Mittelpunkt des Interesses, sondern die durch das Geschehene Benachteiligten und die Auswirkungen der Gewalt auf die Gesellschaft.

2.4 Bewertungen Ob all diese Erwartungen tatsächlich durch eine Wahrheitskommission erfüllt werden können, steht auf einem anderen Blatt. Onur Bakiner hielt nach seiner vergleichenden Studie von 15 Wahrheitskommissionen fest: The more countries adopt truth commissions, […] the ability of these institutional mechanisms to deliver on their promises of justice, restitution, reconciliation, historical truth, and democratic strengthening is increasingly questioned.47

Wie erfolgreich beispielsweise die Südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission gewesen ist, lässt sich schwer beantworten, insbesondere, wenn man nicht nur die unmittelbaren Zielerfüllungen beurteilen möchte, sondern auch ihre mittel- und langfristigen Auswirkungen.48 Wie im vor­ herigen Abschnitt deutlich geworden sein sollte, werden sehr hohe Erwartungen an Wahrheitskommissionen als alternative Aufarbeitungsinstitutionen gerichtet. Zu hohe, meint Hayner: First, the expectations for truth commissions are often much greater than what these bodies can in fact reasonably achieve. […] While there is certainly room for improvement, some of these expectations are simply not realistic in circumstances where there were very large numbers of victims, where democratic institutions remain very weak, 45 Humphrey: The Politics of Atrocity, 111. 46 Niethammer: Wahrheitskommissionen im Vergleich, 29. 47 Bakiner, Onur: Truth Commissions. Memory, Power, and Legitimacy. Philadelphia, Pennsylvania 2016, 4. 48 Vgl. etwa die Kritik von Jeffery, Anthea: The Truth about the Truth Commission. Braamfontein, Johannesburg 1999.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

66

Was sind Wahrheitskommissionen

and where the will of perpetrators to express remorse or participate in reconciliatory exercises is tenuous, at best.49

Dennoch lassen sich, laut Hayner, Erfolge an den praktischen Auswirkungen von Wahrheitskommissionen ablesen. Sie betrachtet es als Fortschritt, dass beispielsweise in Argentinien, Chile und Marokko Reparationen an tausende von Opfern und deren Angehörige gezahlt wurden, und dass aufgrund der Enthüllungen von Wahrheitskommissionen Prozesse angestrengt werden konnten, oder dass, wie in El Salvador, aufgrund der Empfehlungen des Abschlussberichtes der dortigen Kommission eine Reform des Justizwesens angegangen wurde. Im Falle Südafrikas hat die Kommission umfangreich belegt, dass die Apartheid mit weit verbreiteter Folter aufrechterhalten wurde. Gleichwohl erhält, so Hayner, das Projekt »Wahrheitskommission« an sich zu wenig Wertschätzung.50 Sie expliziert dies nicht, aber es ließe sich so deuten, dass der Prozess selbst als eigenständiger Erfolg betrachtet werden müsse, weil es enorm schwierig sei, eine derartige Kommission überhaupt einzusetzen, um dann die »Wahrheit« zu dokumentieren und ausgewogen innerhalb eines sehr begrenzten Zeitraums und in instabilen gesellschaftlichen Verhältnissen zu präsentieren. Auch Onur Bakiner mahnt an: […] truth commissions should not be evaluated solely on the basis of political outcomes […]. The promotion of a pluralistic and participatory space for reckoning with past wrongs should be a guiding principle as well.51

Krüger hält fest, dass der Einsatz von Wahrheitskommission immer schon umstritten war und dass kritische Studien ihnen wenig Wirksamkeit attestierten.52 Wahrheitskommissionen beeinflussten die Menschenrechts- und Demokratieentwicklung sogar negativ, wenn sie als einziges Aufarbeitungsinstrument eingesetzt würden; nur in Kombination mit Gerichten und Amnestien würden sie dazu einen positiven Beitrag leisten, so Tricia D. Olsen u. a.53 Ebenfalls bezüglich des gleichen Zusammenhangs stellt Eric Wiebel­haus-Brahm fest, dass statistische Analysen negative Auswirkungen von Wahrheitskommissionen auf Menschenrechtspraktiken und keine signifikanten positiven Auswirkungen auf die Demokratieentwicklung nachwiesen, während qualitative Studien das Gegenteil begründeten. Der Politikberater schlägt deswegen vor, die Wirksamkeit oder den Erfolg von Wahrheitskommissionen als etwas 49 50 51 52 53

Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 5 f. Ebd., 5. Bakiner: Truth Commissions, 230. Krüger: From Truth to Reconciliation, 359. Olsen, Tricia D. / Payne, Leigh A. / Reiter, Andrew G.: The Justice Balance. When Transitional Justice Improves Human Rights and Democracy. In: Human Rights Quarterly 32/4 (2010), 980–1007.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Bewertungen 

67

Dynamisches zu betrachten, das von vielen Kontextfaktoren abhängig sei und viele Jahre benötigen kann, um überhaupt messbar zu sein.54 Es kann also passieren, dass eine Wahrheitskommission zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Tätigkeit unterschiedlich wirksam wird. Osttimor ist dafür ein gutes Beispiel. Denn die 2002 nach der Unabhängigkeit von Indonesien startende osttimoresische »Empfangs-, Wahrheits- und Versöhnungskommission« stieß auf breite Akzeptanz und Beteiligung der Bevölkerung, auch weil sie auf traditionelle Streitschlichtungsmethoden setzte und dabei den Dorfältesten eine wichtige Rolle einräumte.55 In ihrer mehrjährigen, landesweiten Arbeit wurden über 7.000 Aussagen aufgenommen und rund 1.400 Versöhnungsprozesse (Reintegration von Tätern in ihre Gemeinschaften) durchgeführt.56 Der 2005 veröffentlichte Abschlussbericht »Chega!« (­ Genug!) stellt offiziell und umfangreich die Menschenrechtsverletzungen in Osttimor dar. Darauf folgte jedoch unmittelbar ihr Misserfolg: die Regierung entschied sich, den Bericht und seine Empfehlungen nicht weiter zu beachten. Die politische und wirtschaftliche Lage des jungen Landes war mehr als prekär und insbesondere seit den Unruhen 2006 kam es immer wieder zu neuen Gewaltausbrüchen. Das Justizwesen funktionierte nicht. So kam Monika Schlicher, Geschäftsführerin der von »Watch Indonesia! Arbeitsgruppe für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor«, zum Schluss: Viele der in die Kommission gesetzten Hoffnungen sind zerstört. Insbesondere die der Opfer und ihrer Familien. Wenn die Wahrheit über Unrecht und Gewalt folgenlos bleibt, bestätigt dies die Macht der Täter und lässt die Opfer ein weiteres Mal ohnmächtig und verletzt zurück.57

Danach setzte man noch die bereits erwähnte »Wahrheits- und Freundschafts­ kommission« bilateral zwischen Indonesien und Osttimor ein. Es scheint somit ein schwieriges Unterfangen die Wirksamkeit von Wahrheitskommissionen zu bewerten. So können die Ziele, wie im osttimoresischen Fall, zu einer bestimmten Zeit erfüllt und zu einer anderen wieder enttäuscht werden. Bezüglich des Zieles, einen gesellschaftlichen Heilungsprozess anzustoßen, gibt es zum Beispiel für Südafrika Studien, die als unmittelbare Folge der 54 Wiebelhaus-Brahm, Eric: Truth Commissions and Transitional Societies. The Impact on Human Rights and Democracy. London, New York 2010, 138–142. 55 Der portugiesische Name dieser Kommission lautete »Comissão de Acolhimento, Verdade e Reconciliação de Timor Leste (CAVR)«. 56 Van der Wolf, Willem-Jan / Tofan, Claudia: The Truth and Reconciliation Commission in East Timor. Nijmegen 2011, XV–XVI . 57 Schlicher, Monika: Geschichte eines Scheiterns. Strafverfolgung und Versöhnung in Osttimor. In: Der Überblick. Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit (1/2007), 39.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

68

Was sind Wahrheitskommissionen

Zeugenaussagen weder einen individuellen Heilungs- noch einen Läuterungseffekt nachwiesen, sondern sogar eine signifikante Verschlechterung des gesamten physischen wie psychologischen Gesundheitszustands der Zeugen feststellten.58 Es ließe sich diesbezüglich argumentieren, dass soziale Heilung als langfristiger Prozess begriffen werden sollte, für den das Aussagen vor einer Wahrheitskommission einen Impuls geben kann, welcher aber kurzfristig gleichwohl individuell Schmerzen hervorrufen wird. Wiebelhaus-Brahm mahnt diesbezüglich an, zwischen den verschiedenen Analyseeinheiten klar zu unterscheiden: geht es um die Auswirkungen einer Wahrheitskommission auf eine ganze Gesellschaft, auf einzelne Gruppen oder auf Individuen?59 Humphrey versteht Heilung ebenso als langfristiges Unterfangen, meint aber: »Healing does not come from the recovery of narra­ tives of violence but from the cultural processes of acknowledgement which involve learning to live with loss and death.«60 Nicht nur das Aufdecken oder die Rekonstruktion von Vorgängen führt demnach zu einem Ausgleich, sondern es braucht auch die soziale Anerkennung des zutage beförderten Wissens. Wir haben es hier somit mit Vorgängen zu tun, deren Auswirkungen besser in Iterationen zu erörtern sind. In die Analyse der Wirksamkeit dieser temporären Institution müsste also sowohl erstens der Entstehungsprozess: ob und wie sie überhaupt ihre Arbeit aufnehmen konnte, zweitens ihre Tätigkeit: ob und wie das Mandat erfüllt wurde, und drittens die Folgen ihrer Arbeit nach Beendigung: welche längerfristigen Konsequenzen ihre Arbeit hatte, einbezogen werden. So gibt auch Wiebelhaus-Brahm zu bedenken: […] looking at long-term consequences is necessarily  a dynamic exercise both in terms of the accumulation of experience and the collection of adequate data to explore these evolving relationships. Coming to terms with  a violent past is an evolving process that may take generations. Just as Germany’s relationship with its Nazi past has changed since the end of World War II, so, too, may society’s engagement with the truth commission experience change over time.61

Möchte man also alle drei oben vorgeschlagenen Wirkungsbereiche – Entstehung, Tätigkeit, Konsequenzen – einer Wahrheitskommission untersuchen, dann erfordert dies eine Langzeitstudie.62 58 Picker, Ruth: Victims’ Perspectives about the Human Rights Violations Hearings, Research Report, Centre for the Study of Violence and Reconcilition, February 2005, zitiert in: Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 152 f. 59 Wiebelhaus-Brahm: Truth Commissions, 161. 60 Humphrey: The Politics of Atrocity, 114. 61 Wiebelhaus-Brahm: Truth Commissions, 161. 62 Eine solche Studie entsteht seit Januar 2017 an der Brigham Young University in Provo, Utah, unter der Leitung von Natalie W. Romeri-Lewis. Zusammen mit 110 Student*innen erstellt das »Global Truth Commission Index Project« eine quantitative Analyse von

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Welche Wahrheit untersuchen solche Kommissionen? 

2.5

69

Welche Wahrheit untersuchen solche Kommissionen?

Abschließend möchte ich auf die nicht ganz einfach zu klärende Frage eingehen, welche Art(en) von Wahrheit derartige Kommissionen untersuchen. Hayner beantwortet dies pragmatisch, indem sie auf das Mandat verweist, welches die Periode, den Umfang und das Ziel der Untersuchung regelt. Da die Institution stets nur temporär arbeitet, muss sie Einschränkungen vornehmen, sodass etwa in Argentinien, Uruguay und Sri Lanka nur Fälle von Verschwinden untersucht worden sind, man sich in Südafrika hingegen auf schwere Menschenrechtsverletzungen konzentrierte.63 Maier exemplifiziert, wie unterschiedlich die Natur der Wahrheit sein kann, indem er das Wahrheitsverständnis, mit welchem in den deutschen Enquête-Kommissionen operiert wurde, mit den Wahrheitskonzeptionen anderer Projekte vergleicht: The GDR was certainly suffocatingly repressive and sanctioned dissent with loss of job and educational opportunities, blanket restrictions on travel, and sometimes prison, but for the prior three decades it had not been particularly violent or brutal, certainly not in comparison with the earlier National Socialist dictatorship, the Argentinian generals, or the South African security forces. The truth that has proved so problematic is not that of denied violence or unacknowledged murders and torture, but of secret informing.64

Darüber hinaus sei, laut Hayner, das Wahrheitsverständnis einer Kommission nicht nur fallspezifisch und beschränkt durch das Mandat, sondern auch abhängig von den Persönlichkeiten und persönlichen Prioritäten der Führungskräfte des jeweiligen Projektes.65 Buckley-Zistel versteht Wahrheitskommissionen als Mechanismen im Sinne von Michel Foucaults Wahrheitsregimen, die bestimmen, was richtig und falsch ist, wer als Erzähler*in anerkannt wird und wer nicht, und wer somit schweigen muss.66 Sie schlägt auch vor, zwischen zweierlei Vorgängen in einer Wahrheitskommission zu unterscheiden, da diese jeweils andere Arten von Wahrheit hervorbrächten: Zum einen den Prozess des Erzählens und Zuhörens, und zum anderen das Produkt des Ab-

63 64 65 66

Wahrheitskommissionen in 47 Ländern, welche vier Phasen berücksichtigt: 1. Pre-Truth Commission Phase, 2. Operation Phase, 3. Final Report Phase, 4. Post-Truth Commission Phase. Die Ergebnisse sollen in Zukunft auf einer Webseite zugänglich sein, Zwischenergebnisse können per E-Mail an [email protected] und [email protected] abgefragt werden. Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 75–77. Maier: Doing History, 263. Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 75–77. Buckley-Zistel: Narrative Truths, 148.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

70

Was sind Wahrheitskommissionen

schlussberichtes.67 Ersterer produziere eine performative Wahrheit, letzteres eine narrative. Humphrey hebt insbesondere auf die Wahrheit des individuellen Leidens – also die Authentizität der Gefühle – ab, die durch den Akt des Erzählens und Zuhörens offenbart werde. Diese Wahrheit des Leidens diene als Grundlage, um eine neue moralische Gemeinschaft zu begründen, welche sodann ein derartiges Leiden in Zukunft zu verhindern bestrebt sei.68 Damit das funktioniert, bedürfe es allerdings nicht nur der Fähigkeit des Erinnerns und Erzählens, sondern auch des Zuhörens sowie der Fähigkeit, das Leid der Anderen anzuerkennen. Adorno bemerkte diesbezüglich gleichwohl, dass man mit dem Leid der Anderen »immer verhältnismäßig leicht fertig wird«.69 Humphrey verweist darauf, dass die Fähigkeit, das Leiden anderer anzuerkennen über das rein sprachliche Vermögen hinausgehe.70 Empathievermögen spielt für diesen emotionalen Aspekt der Wahrheit eine wichtige Rolle. Die Unmittelbarkeit des »live«-Erzählens in einer Wahrheitskommission, welche durch Körpersprache, Tonalität, Lautstärke, Schweigen, Tränen, Geruch, Interaktion, Farbigkeit usw. entsteht, stärkt das Miterleben und Mitfühlen (im Gegensatz zu mittelbaren, geschriebenen Geschichten zum Beispiel). Dennoch ist es schwierig, hier von einer Authentizität der Gefühle und Geschichten zu sprechen, weil die Aussagen vor einer Wahrheitskommission im Vorhinein bereits entsprechend des Mandats und in Hinblick auf ein etwaiges Gesamtnarrativ im Bericht ausgewählt werden. In the truth commissions, testimony is not an autonomous source of ›truth‹ upon which a broader collective ›truth‹ is built. It is a highly mediated narrative production of meaning which has varying contributions to self-knowledge and to a shared understanding of events.71

Im Südafrikanischen Fall hat sich zum Beispiel gezeigt, dass die Vortragenden mit der Zeit ihre Erzählweise den Erzählstrukturen der Vorgänger*innen anpassten.72 Was folglich als authentisch bezeichnet werden kann, ist der Akt, oder das Stattfinden des Erzählens und Zuhörens an sich. Gerade im Versagen der Auswahl- und Darstellungsvorgänge könne aber eine andere Wahrheit zutage treten, die Wahrheit nämlich der Unmöglichkeit, der Schwere der

67 Foucault, Michel: Power / K nowledge, Selected Interviews and Other Things 1972–1977, Harvester 1980, zitiert in ebd., 150. 68 Humphrey: The Politics of Atrocity, 112. 69 Adorno: Was bedeutet, 572. 70 Humphrey: The Politics of Atrocity, 113. 71 Ebd., 114. 72 Buckley-Zistel: Narrative Truths, 156.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Welche Wahrheit untersuchen solche Kommissionen? 

71

Verbrechen nachträglich gerecht zu werden, so die Theaterwissenschaftlerin Catherine M. Cole: Sometimes the most potent moments of truth occurred when the commission failed to follow its own protocols and mandates, when the densely congealed layers of truths and untruths became unglued. The dramatic, unruly, ephemeral, and performed aspects of live hearings strongly expressed both the power of the TRC and its limits for truly grappling with the magnitude of the violations of human rights in South Africa’s past.73

Neben der je spezifischen, durch das Mandat und die Führung geprägten Wahrheit der einzelnen Projekte, lassen sich somit performative, narrative und emotionale Wahrheiten durch solche Kommissionen herausfinden. In der Südafrikanischen Wahrheitskommission arbeitete man sogar mit vier Arten von Wahrheit. Die Zeugenaussagen verstand man als Form der »personal or narrative truth«, mit welcher vielschichtige Erfahrungen verbunden wurden. Die anderen Formen bezeichnete man als »factual or forensic truth«, womit ein rechtlich geprägtes Verständnis gemeint war, das durch das Sammeln von Beweisen und Belegen anhand von objektiven Methoden stattfinden sollte. Die dritte Wahrheitsart in Südafrika war »social or dialogue truth«, also die Diskussionen über Fakten innerhalb der Gesellschaft. Diese sollte zu der vierten Form führen, einer »restorative truth«, welche letztlich durch die Anerkennung der Fakten und der individuellen Leidenserfahrungen zustande kommen sollte.74 Diese verschiedenen Konzeptionen von Wahrheit in Kommissionen verweisen meines Erachtens auf dreierlei: Erstens, dass der Prozess bedeutend für die Form der Wahrheitsfindung ist. Zweitens, dass der Wahrheitsbegriff vielfach ausdifferenziert verstanden werden kann, hier aber immer relativ und nicht absolut funktioniert. Und drittens, dass Wahrheitskommissionen vielmehr subjektive Perspektiven auf zu historisierende Ereignisse zusammentragen und dabei nicht zwangsläufig auf ein historisches Gesamtnarrativ ausgerichtet sind.75

73 Cole, Catherine M.: Performing South Africa’s Truth Commission: Stages of Transition, Bloomington and Indianapolis, 2010, zitiert in ebd., 159. 74 Ebd., 155. 75 Natalija Bašić hielt fest, dass es in der Gewaltforschung, wie sie diese mit Fokus auf die Akteursperspektive betrieb, nicht um »historische Wahrheit« gehe, sondern um »die Wahrheiten und Realitäten derer, die Gewalthandlungen begangen haben.« Bašić, ­Natalija: Die Akteursperspektive. Soldaten und »ethnische Säuberungen« in Kroatien und Bosnien-Herzegowina (1991–1995). In: Brunnbauer, Ulf / Esch, Michael G. / Sundhaussen, Holm (Hg.): Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. »Ethnische Säuberungen« im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts. Berlin 2006, 143–168, hier 146.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

72

Was sind Wahrheitskommissionen

Grundsätzlich wird die Arbeit von Wahrheitskommissionen nicht als historisches Projekt verstanden. Der Philosoph David A. Crocker hielt fest, dass Wahrheitskommissionen gegenüber Historiker*innen benachteiligt seien, denn: Professional historians are likely to have more time and skill in gaining access to ­documents, sifting through facts, unmasking distortions and lies, assessing explanatory hypotheses, and ascribing responsibility.76

Maier jedoch schlägt vor, die Arbeit von Wahrheitskommissionen als das Wirken an einer Gegengeschichte zu verstehen. Die Stimmen der zuvor Unterdrückten würden neue Fakten heraufbefördern, welche als »adversarial or contrapuntal history« betrachtet werden könnten.77 Diese »Gegengeschichten« dann in ein umfangreicheres Geschichtsbild zu integrieren, sei die Aufgabe von Historiker*innen im Anschluss an eine Wahrheitskommission. Insofern helfen derlei temporäre Institutionen doch auch, ein Narrativ zu entwickeln. Doch dieses Narrativ erzähle von Machtmißbrauch: »It presents to the public the dark side of a national project that could not earlier be disclosed.«78 Die durch eine Wahrheitskommission gesammelten Informationen können von Historiker*innen als Quelle weiter verwendet werden, allerdings nur mit Quellenkritik. Historiker*innen müssen, so Maier, genau jene Fragen stellen, welche die Wahrheitskommission vermieden hat.79 Und es sei auch deren Aufgabe, das Projekt Wahrheitskommission an sich zu historisieren. Wahrheitskommissionen dienen also dazu, Aufmerksamkeit auf unterbelichtete Aspekte der Geschichte zu richten, indem sie marginalisierte Stimmen erzählen lassen. Das gesammelte Material kann anschließend für die Geschichtsschreibung verwendet werden. Es handelt sich bei Wahrheitskommissionen demnach nicht um wissenschaftliche historische Untersuchungen, sondern um öffentliche Aufarbeitungsprojekte oder im weiteren Sinne um »Public History«.80 Das bedeutet, Wahrheitskommissionen arbeiten zwar an der Konstruktion von Bildern über Vergangenes, sie sind aber nicht zwangsläufig wissenschaftlichen Methoden und Theorien verpflichtet, sondern zuvorderst dem politisch Mach- und Wünschbaren.81 Crocker: Truth Commissions, 101. Maier: Doing History, 274. Ebd., 273. Ebd., 264–266. Milloy, John: Doing Public History in Canada’s Truth and Reconciliation Commission. In: The Public Historian 35/4 (2013), 10–19. 81 Jouhanneau suggeriert sogar, dass Kommissionen gerade dann eingesetzt werden, wenn die politische Machbarkeit fraglich sei, vgl. Jouhanneau, Cécile: »Si vous avez un problème que vous ne voulez pas régler, créez une Commission.« Les commissions d’enquête

76 77 78 79 80

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Welche Wahrheit untersuchen solche Kommissionen? 

73

Wahrheitskommissionen stehen vielmehr für die Inszenierung eines Bruchs mit der Vergangenheit und für den politischen Neuanfang einer Gemeinschaft: »Truth commissions thus take part in the formation of a new collective identity by constructing an ›imagined moral community‹ which is based on a clear normative demarcation from the past«.82 Bezeichnet man jegliche Informationen über Vergangenes als Geschichte, dann ließe sich festhalten, dass eine Wahrheitskommission nicht (mehr) unter der Prämisse operiert, dass Geschichte dazu verwendet wird, um Politik zu legitimieren. Stattdessen dient Geschichte hier dazu, eine vergangene Politik als illegitim zu verurteilen, also bestimmte hegemoniale Praktiken zu delegitimieren. Oder anders formuliert, Geschichte ist hier nicht mehr das Mittel um Kontinuität zu konstruieren, sondern vielmehr das Mittel um einen Bruch und Neuanfang zu fundieren. So gesehen dient die Aufklärung über Vergangenes durch Wahrheitskommissionen der Imagination der Zukunft einer Gemeinschaft. Diese Zukunft soll sich an Werten orientieren, die möglichst viele teilen. Die Selbstkritik, die mit einer Institution der Vergangenheitsaufarbeitung einhergeht, kann dazu beitragen, diese Werte zu definieren.83 Wenn bei Wahrheitskommissionen von Fakten die Rede ist, dann geht es um eine sogenannte »forensische Wahrheit«, also um Informationen darüber, wessen moralische und gesetzliche Rechte gebrochen wurden, durch wen, auf welche Weise und unter welchen Umständen.84 Die Frage nach Wahrheit wird hier also mit dem Ziel angegangen, Rechtsbrüche zu dokumentieren. Mittlerweile weicht dabei die Engführung auf die Dokumentation von Menschenrechtsverbrechen in Richtung eines breiteren Rechtsverständnisses auf (ökonomische, soziale, kulturelle, politische und Bürgerrechte).85 Bakiner nennt das Ergebnis einer Wahrheitskommission »a notion of factual-cumhistorical truth«, in welchem die Dokumentation von Rechtsbrüchen mit Versuchen, dafür auch Gründe, Muster und Folgen zu bestimmen, kombiniert werden.86 Dass in Wahrheitskommissionen mit einer juristischen Denkweise an Wahrheitsfindung herangegangen wird, kann als problematisch betrachtet werden. Denn wie eben geschildert, bringt ein solches Projekt vielschichtige

82

83 84 85 86

locales dans la Bosnie-Herzégovine d’après-guerre. In: Mouvements 53/1 (2008), 166–174, hier 172. Goodman, Tanya: Performing a »New« Nation: The Role of the TRC in South Africa, In: Jeffrey C. Alexander u. a. (Hg): Social Performance: Symbolic Action, Cultural Pragmatics and Ritual, Cambridge 2006, 169–192, hier 176, zitiert in Krüger: From Truth to Reconciliation, 343. Bakiner: Truth Commissions, 9. Crocker: Truth Commissions, 100. Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 80 f. Bakiner: Truth Commissions, 9.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

74

Was sind Wahrheitskommissionen

Wahrheiten hervor, deren Kondensation auf Verbrechensdokumentation unnötig der Wahrheitsfindung in Gerichten gleichkommt und damit den Blick auf die anderen Dimensionen verstellt. Die Kulturwissenschaftlerin Selma Leydesdorff hat kritisiert, dass ein juristisches Wahrheitsverständnis weder der Komplexität individueller Erfahrungen noch der Vielfalt von Geschichte gerecht werde: By denying the truth of the victims’ total stories in their layered and unfinished form – by dismissing them as outbursts of emotion – we deny them their immediate authenticity and impede how they might reconfigure or even remake the world for those who have lost their place in it. In turn, we dislocate the meaning assigned to events and their places in history; we don’t understand the place of events in particular lives and memories. When we subordinate them to the newly manufactured legal accounts, and thereby phase out everything else, we shall finally put at risk our ability to understand history.87

Leydesdorff hat Opfer aus Srebrenica, die vor dem ICTY ausgesagt haben, interviewt. In einer Wahrheitskommission würde die von ihr beschriebene Komplexität individueller Erfahrungen eher ihren Niederschlag finden. Allerdings erfolgt, wie bereits beschrieben, auch in Wahrheitskommissionen eine spezifische Auswahl derer, die gehört werden, und das Erzählte wird wiederum im Abschlussbericht kondensiert. Letztlich unterliegen auch die subjektiven Wahrheiten, wie sie in einer Kommission erzählt werden, einem nachträglichen Verarbeitungsprozess, sodass auch hier der Anspruch die individuellen Erfahrungen und Komplexitäten historischer Ereignisse zu bewahren, nur bedingt erfüllt werden kann. Die Philosophin Isabelle Delpla hat darauf verwiesen, dass sich der Wahrheitsbegriff in Kommissionen von dem der Gerichte unterscheidet: Während in Kommissionen der Austausch und Dialog über verschiedene Wahrheiten im Mittelpunkt stehe (»vérité déliberative«), sei es in Gerichten das strenge Prozedere der Faktensicherung (»vérité judiciare«).88 Wie ich zuvor herausgearbeitet habe, erhalten jedoch sowohl diese beiden Wahrheitskonzepte (ausgehandelte oder dialogische Wahrheit und juristische oder forensische Wahrheit) und andere Wahrheitskonzeptionen (persönliche, performative, narrative, soziale, restaurative) zu verschiedenen Zeitpunkten der Arbeit einer Wahrheitskommission darin ihren Platz. 87 Leydesdorff, Selma: How Shall We Remember Srebrenica? Will the Language of Law Structure Our Memory? In: Gutman, Yifat / Brown, Adam D. / Sodaro, Amy (Hg.): ­Memory and the Future: Transnational Politics, Ethics and Society. Basingstoke 2010, 121–137, hier 136. 88 Delpla, Isabelle: Justice internationale et réconciliation: Les plaidoyers de culpabilité, un paradigme rhétorique? In: Lefranc: Après le conflit, la réconciliation? Paris 2006, zitiert in: Jouhanneau: Si vous avez un problème, 171.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Welche Wahrheit untersuchen solche Kommissionen? 

75

Meines Erachtens geht es in Wahrheitskommissionen insbesondere um »die Wahrheit der Anderen«. Denn die Arbeit einer solchen Institution zielt auf eine Erweiterung der vorherrschenden »Wahrheit« über das Vergangene einer Gesellschaft ab. Zunächst fungiert das in einer Wahrheitskommission dokumentierte Wissen sogar als Gegengewicht zu bestehenden Leitnarrativen. Die Wahrheitskommission fördert unterdrückte oder marginalisierte Wahrheiten zutage. Die Konfrontation mit den anderen Wahrheiten soll das Selbstbild einer Gesellschaft verändern. Die »Wahrheit der Anderen« wird hier als Stimulus für die Erneuerung einer Gesellschaft verwendet.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

3.

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet: Artikulieren, Anerkennen, Transformieren

REKOM hat auf zivilgesellschaftlicher Ebene Erzählpodien im Stil einer regionalen Wahrheitskommission durchgeführt, weshalb es möglich ist, sich auf individueller Ebene anzusehen, wie sich das Erzählen in diesem populären Format der Transitional Justice gestaltet und was es für Gewaltopfer bedeutet. Der nun folgende anthropologische Zugang trägt somit der individuellen Erfahrung als Grundlage von Erinnerungskultur Rechnung. Anhand der Einzelgeschichten, die mit REKOM verbunden sind, meine ich, die Vielfältigkeit und auch Prozesshaftigkeit von Vergangenheitsaufarbeitung besonders gut beleuchten zu können. Es geht mir hier aber nicht nur um die Erzählung bei REKOM und die Gewaltgeschichte allein, sondern vor allem um die Aufarbeitungsgeschichte dieser Individuen. Ich verenge in diesem Teil der Arbeit folglich meinen Blick auf zwei individuelle Aufarbeitungsfälle. Gleichzeitig erweitere ich meine Perspektive durch diese beiden Fälle über die Aufarbeitungsform der Wahrheitskommission hinaus. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass Opfer Objekte eines erfolgten Übels geworden sind. Im rechtlichen Sinne werden diejenigen als Opfer bezeichnet, deren Rechte gebrochen wurden, wofür sie keine Schuld tragen. Ich verwende deswegen den Opferbegriff im Sinne von Menschen, die von Schädigung und Leid geprägt sind und die nicht für das, was ihnen zugestoßen ist, verantwortlich sind. Verantwortung tragen sie aber für den Umgang mit der Leidensgeschichte nach dem Ereignis, da es zum Teil ihres Lebens geworden ist. Wie im zweiten Kapitel beschrieben, wird in der Forschung über Wahrheitskommissionen das Erzählen der Gewalterfahrung in einem geregelten, öffentlichen Rahmen als Vorgang verstanden, bei welchem die Opfer vom Objekt zum Subjekt werden können. Das geschieht einerseits durch das Erzählenkönnen überhaupt, also der Fähigkeit, zumeist disparate und durch Schmerz unzugängliche Gewalterfahrungen in die Struktur von Sprache und eventuell einer Geschichte zu überführen.1 Dadurch erfolgt eine Art Kontrollgewinn über die schmerzhaften Erfahrungen. Andererseits fördert das Zuhö1 Phelps, Teresa Godwin: The Ethics of Storytelling. A Nation’s Role in Victim / Survivor Storytelling. In: Ethical Perspectives 18/2 (June 2011), 169–195, hier 169.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

78

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

ren anderer, die das Erzählte so annehmen, wie es präsentiert wird, zusätzlich die Anerkennung des Erlebten. Die »Wahrheit« kann hier als etwas verstanden werden, das sich in der Leidensgeschichte der Opfer offenbart, dessen Gefühle nicht in Frage gestellt werden. Es geht somit um Prozesse der Artikulation und Sinngebung verbunden mit ihrer Anerkennung oder Validierung. Nach der Verlautbarung der Geschichte und ihrer Dokumentation sollen Wahrheitskommissionen Opfer dabei unterstützen, Verantwortung für ihr Leben nach der Gewalterfahrung zu übernehmen. Sprachlich wird diese Transformation vom Objekt zum Subjekt mit dem Wandel eines Opfers zur / m Überlebenden gefasst.2 Diese drei Vorgänge – die Artikulation und die Anerkennung einer Gewaltgeschichte sowie die Transformation der Opferidentität – untersuche ich in diesem Kapitel anhand zweier Individualfälle. Als erstes rekonstruiere und vergleiche ich ihr Erzählen bei einer Wahrheitskommission (den Prozess der Artikulation). Nun sind Wahrheitskommissionen aber nicht die einzige Möglichkeit für Opfer ihre Geschichte zu erzählen, sondern Vergangenheitsaufarbeitung wird zu einer beständigen, wiederkehrenden Aufgabe und ist eingebettet in andere Formen des individuellen Umgangs mit der Kriegsvergangenheit. Deshalb spielen bei meiner Untersuchung des zweiten Teils des beschriebenen Vorgangs – dem der Anerkennung – auch andere Arten der Auseinandersetzung mit der Gewaltgeschichte eine Rolle, jenseits der Erzählung bei REKOM . Nachdem ich mich mit den Vorgängen der Artikulation und Anerkennung der Gewalterfahrung beschäftigt habe, interessiert mich im dritten Teil dieses Kapitels, wie sich das Selbstverständnis beider als Opfer verändert hat. Welchen Anteil daran ihr Mitwirken bei der regionalen Wahrheitskommission hatte, spielt dabei eine zentrale Rolle.

3.1

Fallauswahl und Methodik

Beide von mir ausgewählten Fälle sind junge Menschen, die während der Kriege Kinder beziehungsweise Jugendliche waren. Sie entsprechen damit am besten der Kategorie eines Opfers, ihre Unschuld wird durch ihre Unmündigkeit potenziert. Ihr gegenwärtiges Alter entspricht wiederum etwa dem meiner eigenen Generation (zwischen dreißig und Mitte vierzig). Aufgrund der Ähnlichkeit im Alter meine ich einen besseren Zugang und ein besseres Verständnis für diese Fälle zu haben. Beide Personen habe ich im Rahmen meines eigenen zivilgesellschaftlichen Engagements in der Projektarbeit kennengelernt. Doch nicht nur das Alter und das gemeinsame zivilgesellschaftliche Engagement erleichterte meinen Zugang: Beide haben als Kriegsflüchtlinge längere 2 Humphrey: The Politics of Atrocity, 108.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Fallauswahl und Methodik 

79

Zeit in Westeuropa verbracht. Eine dadurch erworbene Mehrsprachigkeit, sowie eine ausgeprägte soziale Vernetzung und Offenheit gegenüber Anderen und auch ein Hochschulabschluss (B. A.) sind beiden ebenfalls gemein. Diese Charakteristika sind nicht repräsentativ für Kriegsopfer bei REKOM . Wie das fünfte Kapitel zeigen wird, sind Opfer keine homogene Gruppe, sondern vor allem Leidende mit sehr disparaten Charakteristika. Repräsentativ für REKOM ist ihr Aktivismus und dass beide ihre Kriegserfahrung im Format einer regionalen Wahrheitskommission auf Probe 2008 erzählt haben. Was das weitere Engagement in der Initiative betrifft, stehen beide Fälle allerdings im Kontrast. Während der eine REKOM fast zehn Jahre als Menschenrechtsaktivist einer Opferorganisation unterstützt hat, ist die andere Person nicht über eine Organisation, sondern als Individuum zu REKOM gekommen. Sie hat an der Entwicklung der Initiative nicht weiter teilgenommen, sondern »nur« ihre Geschichte in einer Sitzung der Wahrheitskommission erzählt. Da sich die Mitgliederzahl aus Vertreter*innen von Organisationen und aus zahlreichen Individuen, die nur punktuell mit REKOM zu tun hatten, zusammensetzt, kann eine derartige Auswahl diese beiden Mitgliedsformen exemplifizieren, obwohl innerhalb beider Mitgliedsgruppen ebenfalls eine Heterogenität an Akteuren besteht. Ein ähnliches Alter wie ich, die Mehrsprachigkeit, Offenheit und der Bildungsgrad der beiden erleichterten mir eine dichte Beschreibung dieser spezifischen Fälle. Zudem erfüllt diese Auswahl von jungen Menschen auch eine Kontrastfunktion zu meinen bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Opfergruppen und Zeitzeugengesprächen. Denn in meiner Auseinandersetzung mit deutscher und osteuropäischer Erinnerungskultur zuvor waren es stets Senior*innen, die in Zeitzeugenformaten von ihren Kriegserfahrungen im Zweiten Weltkrieg erzählten und die bereits auf ein ganzes Leben nach dem Krieg zurückblickten. Die beiden von mir ausgewählten Fälle der Aufarbeitung von Erfahrungen der Jugoslawienkriege sind hingegen junge Menschen, was für meine akademische Bearbeitung erinnerungskultureller Themen ein Novum war und somit auch deswegen besondere Faszination auf mich ausübte. Zentraler Punkt bei der Auswahl dieser beiden Fälle war, dass der Umgang mit ihrer Gewaltgeschichte zum prägenden Motiv ihrer Entwicklung geworden ist. Ihr Erzählen ist zu ihrer Stärke geworden. Beide sind dadurch zu öffentlich bekannten Personen geworden. Aber hat sich ihr Selbstverständnis dadurch auch von Opfern zu Überlebenden gewandelt? Bevor ich mich dieser Frage widme, stehen die jeweiligen Aussagen bei der Probesitzung einer Wahrheitskommission im Zentrum meiner Analyse. Dafür verwende ich die Erzählungen in ungekürzter Länge. Obwohl die verschriftlichte und übersetzte Aussage bereits eine Verarbeitung und damit Veränderung der ununterbrochenen Erzählsituation auf dem Podium bedeutet, möchte ich das Erzählte zumindest in seinem gesamten Umfang festhalten. © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

80

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Da mich interessiert, was und wie bei einer Wahrheitskommission erzählt werden kann, halte ich dieses Vorgehen für unabdinglich.3 Die Wiedergabe der Aussage erfolgt chronologisch, entsprechend des tatsächlich stattgefundenen Erzählflusses. Sie wird aber durch meine Interpretationen, Erläuterungen, Beobachtungen und bisweilen auch durch Kontextualisierungen des Gesagten zergliedert. Da sich die beiden Aussagen trotz des gleichen Settings in einer Probewahrheitskommission von einander unterscheiden, arbeite ich unterschiedlich mit den beiden Fällen. Für Sudbin Musić war die Erzählung auf dem Podium bei REKOM eines der ersten Male, dass er öffentlich versuchte, seine Erlebnisse während der »ethnischen Säuberungen« im Nordwesten Bosniens zu artikulieren. Er berichtete detailliert von seinen Wahrnehmungen und auch von seinen Gefühlen während der schrecklichen Vorgänge. Dem Ziel einer Wahrheitskommission, der Wahrnehmung des Opfers und insbesondere seiner Gefühle Raum zu geben, kommt Musićs Erzählung sehr nahe. Deswegen widme ich mich in seinem Fall der Erzählung eingehender. Ich interpretiere, wie er etwas sagt, was inkongruent ist und gebe Zusatzinformationen zum besseren Verständnis der von Sudbin erzählten Vorgänge. Saranda Bogujevcis Erzählung bei REKOM gestaltete sich anders als die Sudbins. Da die Kosovo-Albanerin mehrfach, über Jahre hinweg zuvor bei Gerichtsprozessen ausgesagt hatte, kondensiert sie die Rekonstruktion des von ihr überlebten Massakers an ihrer Familie in ihrer Aussage auf dem Zeitzeugenpanel kurz und präzise in wenigen Worten. Ein Großteil ihrer Erzählung bei REKOM besteht dann aber aus ihrer Aufarbeitungsgeschichte. Beide Spezifika nehme ich zum Anlass, mit Sarandas Fall anders zu arbeiten: Erstens lässt sich mit ihm der Unterschied zwischen dem Zeugen vor Gericht und vor einer Wahrheitskommission untersuchen. Zweitens zeigt sich bei Saranda, wie schmerzhaft, langfristig und vielfältig die Aufarbeitungsgeschichte nach der Gewalterfahrung ausfallen und deswegen zum zentralen Teil einer Erzählung auf der Sitzung einer Wahrheitskommission werden kann. Neben der Übersetzung und Analyse der Transkripte rekonstruiere ich das Setting beider Aussagen auf den regionalen REKOM Foren anhand von Filmaufnahmen, da ich zum Zeitpunkt dieser beiden Fälle (2008) noch nicht über REKOM forschte und somit nicht dabei gewesen bin. Um die allgemeine Atmosphäre eines Zeitzeugenerzählpanels zu rekonstruieren, ziehe ich zusätzlich meine eigenen Beobachtungen und die Dokumentation zweier anderer REKOM Foren heran, bei denen das Format ebenfalls ausprobiert wurde und auf denen ich anwesend war (Zagreb 2010 und Belgrad 2014). Da beide Personen öffentlich mit ihrer Geschichte bekannt sind, verwende ich ihre Originalnamen. 3 Kreiswirth, Martin: Merely Telling Stories? Narrative and Knowledge in the Human ­Sciences. In: Poetics Today 21/2 (2000), 293–318.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

81

3.2 Artikulieren 3.2.1 Sudbin Musić

Der 1974 geborene Sudbin Musić ist einer der wenigen Opferaktivisten aus Bosnien und Herzegowina, der die REKOM Initiative von Beginn an rund zehn Jahre lang aktiv unterstützt hat. Zum ersten Mal begegnete ich ihm allerdings nicht bei REKOM, sondern im März 2011 bei einem Treffen von Opfer­ organisationen in Ilidža, vor den Toren Sarajewos. Seit mehr als einem Jahr lief damals das Friedensprojekt von CSR , USAID, Caritas, UNDP und ICMP, welches Mitglieder bosnischer Opferorganisationen in ihrer Kommunikation, im Umgang mit Traumata und in der Trauerarbeit schulte; zudem sollte der Austausch zwischen Opfergruppenvertreter*innen in Bosnien und Herzegowina gefördert werden.4 Die Veranstaltung bestand aus einem festlichen Teil, bei dem unter klassischer Musikbegleitung Zertifikate an die Geschulten verliehen wurden, und einem Workshop zur Situation von Opfergruppen im Land, bei welchem heftig über die unzureichende staatliche Unterstützung von Opferbelangen diskutiert wurde.5 Während die meisten Vertreter*innen der bosnischen Opferorganisationen in der Pause mit sich beschäftigt waren, kam der elegant gekleidete, hellblonde Sudbin Musić offen und freundlich auf mich als Außenstehende zu. Der Mitdreißiger kritisierte in unserer kurzen Begegnung auf dem Gang zur nächsten Sitzung, dass Rückkehrer*innen in Bosnien und Herzegowina politisch vernachlässigt würden. Ich erfahre, dass er aus dem nordwestbosnischen Prijedor kommt, im Krieg mit Mutter und Bruder geflüchtet war, auch in Deutschland gelebt hatte, weshalb er nun mit mir Deutsch sprach, und von einem Flüchtlingslager in der Slowakei. Als bosniakischer Rückkehrer in einer nun mehrheitlich serbischen Gemeinde wird er diskriminiert, so klagt er, es gäbe keine Unterstützung von Rückkehrer*innen nach dem Krieg und er sei mit Edin Ramulić, einem anderen Opfergruppenrepräsentanten aus Prijedor, der mir 4 CRS: »Catholic Relief Service«, USAID: »United States Agency for International Development«, UNDP: »United Nations Development Program«, ICMP: »International Commission on Missing Persons«. Das Projekt dauerte bis Januar 2012. Daraus ist das »Netzwerk für Friedensaufbau« (Mreža za izgradnju mira) entstanden, welches fortbesteht und weitere Projekte veranstaltet. Vgl. http://www.mreza-mira.net/o-nama/ (11.12.2015). 5 Eine Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) hielt fest, dass sich viele Opfergruppen und Vereine mehr Unterstützung vom Staat wünschten: UNDP BiH: Facing the Past and Access to Justice from  a Public Perspective. Special Report 2011. URL : http://www.ba.undp.org/content/bosnia_and_herzegovina/en/home/ library/crisis_prevention_and_recovery/facing-the-past-and-access-to-justice.html (am 28.06.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

82

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

bereits durch seine kritischen Bemerkungen im Workshop aufgefallen war, zerstritten. Innerhalb weniger Gesprächsminuten hatte mir Sudbin Musić das für ihn Wesentliche mitgeteilt: er ist ein Rückkehrer, arbeitet für eine Opferorganisation, der Staat unterstützt zu wenig und zusätzlich sind sich Opfergruppenvertreter*innen in Bosnien und Herzegowina uneinig. Er scheint es gewohnt zu sein, sich in kürzester Zeit zu profilieren und für sein Anliegen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Bei REKOM gehörte Sudbin Musić zu denjenigen, die am 12. Februar 2008 auf dem dritten regionalen Transitional Justice Forum in Belgrad zum ersten Mal das Format einer Wahrheitskommission ausprobierten, indem sie als Zeitzeug*innen vor anderen Teilnehmer*innen aus dem ehemaligen Jugosla­ wien von ihren Kriegserlebnissen berichteten: Ich grüße alle hier zusammen und bedanke mich bei Frau Nataša Kandić und dem Fond für Menschenrechte Serbien für die wirklich, ja, außerordentliche Arbeit, die sie vollbringen. Ich heiße Sudbin Musić und bis 1992 lebte ich in der Ortsgemeinschaft Čarakovo, also einer Vorstadtsiedlung Prijedors, in einer Gemeinde, die der Einwohnerzahl nach die sechstgrößte in Bosnien und Herzegowina war. Meine Ortsgemeinschaft liegt etwa fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und man kam mit dem Stadtbus Nr. eins bis zu meinem Haus. Ich lebte also mit meinen Eltern, – dem Vater, der Mutter, dem jüngeren Bruder und zwei jüngeren Schwestern zusammen. Und am 8. Mai 1992, also ein paar Tage nach den Anfängen des Beschusses von Sarajewo, bin ich volljährig geworden. Es war also der Tag, den ich kaum erwarten konnte, um meinem Vater zu sagen: jetzt bin ich mein eigener Herr. Wir lebten durchschnittlich wie jede bosnisch-herzegowinische Familie. Ich war überglücklich, dass wir bei uns im Haus ein paar mehr waren, dann hast du, sagen wir, jedes Jahr andere neue Turnschuhe. Das waren die Jahre, als wir Jungen entdeckt haben, dass es MTV gibt und die Jahre, in denen du die erste große Liebe erlebst. Ich bin in die Mittelschule gegangen und erinnere mich sehr gut. Eines Tages waren wir gerade auf dem Weg zur Schule, als die Autos wieder zurückkamen, sie konnten nicht in die Stadt, weil irgendeine neue Regierung die Macht in meiner Stadt übernommen hatte. Danach wurden wir übers Radio informiert, dass man nun wieder in die Stadt gehen kann. Wir sind dann also noch ein paar Tage weiter zur Schule gegangen. Uns wurde mitgeteilt, dass die Schulzeit dieses Jahr verkürzt wird, etwa bis kurz nach Mitte Mai. Niemals werde ich meine letzte Schulstunde vergessen. Mein Lehrer, übrigens jemand, der mit meinem Vater aufgewachsen ist, hat das Klassenbuch zusammengeklappt und gesagt: ›So, wir sehen uns im nächsten Schuljahr, wer überlebt.‹ Mir war das überhaupt nicht klar. In Wahrheit war mir nichts klar, was sich da abspielte, verstehen Sie?! Irgendwie war ich nicht darauf vorbereitet, was später passieren sollte.6 6 Svedočenje: Sudbin Musić, 12.02.2008, Belgrad. Transkript. URL: http://www.recom.link/ treci-regionalni-forum-sudbin-music-i-deo (vom 03.05.2019). Die Übersetzung aus dem BKS ins Deutsche ist erfolgt durch d. Vf. Ich danke Brigita Malenica für die sorgfältige Korrektur meiner Übersetzung.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

83

Der fast 34-jährige Sudbin Musić erzählt seine Geschichte auf dem Panel aufrecht sitzend, sein Blick springt etwas unruhig in verschiedene Richtungen des Publikums, aber seine Rede ist flüssig, fast etwas zügig und offensichtlich chronologisch aufgebaut.7 Er entwirft ein friedliches und harmonisches Bild der Lebenswelt eines Jugendlichen Anfang der neunziger Jahre in einer gut entwickelten Gemeinde Bosnien und Herzegowinas (öffentlicher Verkehr, Schule, Autos, Fernsehen, Radio, Musiksendungen, Konsum (Turnschuhe)). Für die Beschreibung dieses Zustands verwendet er viele Zahlen (»sechstgrößte Gemeinde«, »fünf Kilometer vom Stadtzentrum«, »Bus Nr. eins«), was den Eindruck einer zuverlässigen Rekonstruktion seiner Erlebnisse hinterlässt. Zusätzlich hält er fest, dass er sich »sehr gut erinnere«. Dass sich Bosnien und Herzegowina im Frühjahr 1992 nach einem Referendum von der »Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien« unabhängig erklärt hatte und die »Jugoslawische Volksarmee« (JNA) als einzige noch funktionierende jugoslawische Institution begonnen hatte, die Abspaltung militärisch zu bekämpfen, erwähnt er nicht explizit. Wohl aber thematisiert er den Beschuss der Hauptstadt Sarajewo. Die Übernahme seiner Heimatstadt Prijedor durch bosnische Serb*innen stellt Sudbin als bürokratischen Vorgang dar, der erst einmal nur seinen Schulweg unterbrach und auf keine großen Veränderungen hinzuweisen schien. Er nennt dafür kein konkretes Datum. Die Machtübernahme in Prijedor durch bosnische Serb*innen erfolgte unter der Führung der »Serbischen Demokratischen Partei« (SDS) in der Nacht vom 29. zum 30. April 1992 ohne Blutvergießen. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien bezeichnete später den Vorgang als einen illegalen Coup d’État, der seit Monaten geplant worden war.8 Soldaten der JNA und der bosnischen Serb*innen hatten dafür die strategischen Institutionen in Prijedor, sowie die Radiozentrale, das Krankenhaus und Banken besetzt.9 Sudbin erinnert sich dann, dass seine Schulzeit verkürzt wurde und in den Abschiedsworten des Lehrers deutet sich viel Schlimmeres an. Der in dunkelgrauem Anzug und weißem Hemd gekleidete junge Mann auf dem Panel, der mit seinen rotblonden Haaren und in seiner Feingliedrigkeit mindestens fünf Jahre jünger wirkt, ist ein guter Erzähler. Sudbin Musić spricht das Publikum direkt an (»verstehen, Sie?«), antizipiert Wandel (»was später passieren sollte«) und wird dem Zuhörer zugänglich, indem er auch seine Gefühle und Schwä7 Die Filmaufnahme der Aussage in vier Teilen ist auf der REKOM Webseite zugänglich unter URL: http://www.recom.link/treci-regionalni-forum-sudbin-music-i-deo/ (03.05.2019). 8 ICTY Case Information Sheet: »Prijedor« (IT-97–24), In: Milomir Stakić. URL: http://www. icty.org/x/cases/stakic/cis/en/cis_stakic.pdf (am 05.01.2016). 9 ICTY Case Information Sheet: »Prijedor« (IT-94–1). Duško Tadić. URL : http://www.icty. org/x/cases/tadic/cis/en/cis_tadic_en.pdf (am 05.01.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

84

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

chen anspricht (»ich war überglücklich«, »in Wahrheit war mir nichts klar«). Ohne Pause setzt er fort: Also, schon ein paar Tage nach dem Schulende und dem Beginn der Schulferien, passierte es also in Prijedor, dass irgendwelche Angriffe, Brandstiftungen, Zerstörungen anfingen und plötzlich fand sich mein Čarakovo mit dem Nachbarort Zecovi umzingelt wieder und tatsächlich wurde es wortwörtlich in ein Ghetto verwandelt. Wir wurden einige Tage mit Granaten beschossen, und dann wurde uns mitgeteilt, dass diejenigen, die irgendeine Art von Waffen besaßen, sie abgeben und wir als Zeichen der Loyalität gegenüber der neuen Regierung weiße Fahnen aufhängen sollten. Das war so lustig. Die Menschen waren so verängstigt, dass sie diese weißen Fahnen –. Sie haben also aus ihren Häusern die größten Bettlaken und Tischdecken geholt, um damit zu sagen: ›Ja, seht her, wir sind loyal. Aber lasst uns einfach in Frieden.‹ Ein Mann aus dem Dorf hat natürlich die Gelegenheit ausgenutzt und hat so das wenige an Waffen eingesammelt  – und Großteils waren das Jagdwaffen oder die ein oder andere Pistole, wenn jemand eine Erlaubnis dafür besaß –, um sie wegzuschaffen und irgendwie für sich selbst zu verwenden, schließlich ist auch er von dort abgehauen. Und was passiert dann schon einige Tage später? Es passiert, dass sie vor allem zu später Nachtstunde in meinen Ort gekommen sind. Sie fingen an bestimmte Häuser anzuzünden, und wir waren irgendwie am Randgebiet des Ortes und grenzten an –. Also mein Haus blickt auf die Sana. Ich blicke aus dem Fenster auf den Fluss Sana und auf der anderen Seite der Sana befinden sich serbische Dörfer. Und ich blicke auf das Haus meiner Nachbarn Martić, die außergewöhnliche Menschen waren und blieben, Müller. So habe ich einen wunderschönen Blick auf eine Mühle.10

Nun war Sudbins Heimatort bereits nicht mehr nur »neu regiert«, sondern belagert. Er erzählt von Plünderungen, Beschuss, Brandstiftung, Angst und gestikuliert viel. Die illegale Machtübernahme durch bosnische Serb*innen in Prijedor zielte darauf ab, eine serbische Gemeinde zu schaffen, die Teil eines »reinen serbischen Staates« werden sollte.11 Dementsprechend kommentiert Sudbin zynisch die Ausweglosigkeit, in der sich alle Nicht-Serb*innen befanden (»Das war so lustig.«). Gleichsam deutet Sudbin aber auch das friedliche Nebeneinander zuvor mit den serbischen Nachbar*innen an, welches durch das idyllische Bild der Mühle am Fluss einprägsam ist. Dann blickt er kurz nach unten, vermutlich auf Notizen (die Filmaufnahme zeigt nur seinen Kopf), um daraufhin weiter zu sprechen: Wir waren also nicht –. Nach ungefähr zehn Tagen, das heißt, es war nun schon Anfang Juni, haben wir uns entschieden, nicht mehr zu Hause zu schlafen, weil wir schreckliche Angst hatten. Das konnte man besonders den Eltern anmerken, Eltern bleiben eben Eltern, nicht wahr?! Meine Eltern waren bescheidene Menschen und sie liebten sich und lebten außerordentlich glücklich zusammen. Bescheiden, aber 10 Svedočenje: Sudbin Musić. 11 ICTY Case Information Sheet: »Prijedor« (IT-97–24), 4.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

85

glücklich und sie versuchten auf jede erdenkliche Art uns Kindern diese Angst zu nehmen, uns die Angst abzunehmen. Und das konnten wir auch fühlen, aber auch sie konnten den Schrecken nicht verhindern, wenn da eine M84 ankommt und vor ihrem Fenster schießt. Das ist –. Das müssten Sie durchleben, also, ich kann Ihnen das nicht mit Worten beschreiben. Wir versteckten uns von Zeit zu Zeit bei irgendwelchen Verwandten, Nachbarn, Freunden. Tatsächlich sind wir durch unser Čarakovo umhergezogen und haben versucht, irgendeinen sicheren Ort zu finden. Aber das war an diesen Tagen sehr schwierig, denn die Leute verloren langsam die Nerven. Alle fürchteten sich vor was auch immer welchen Beschuldigungen. Dass jemand erzählt, wir versteckten entweder irgendwelche Terroristen oder man würde sich bei mir versammeln, eine Menge, und so weiter. Die Leute haben sich wortwörtlich vor ihren Schatten gefürchtet. Hauptsächlich haben wir deswegen in irgendwelchen Wäldchen, Ställen, Scheunen, die fürs Heu, in Heuschobern und so weiter, geschlafen. Morgens sind wir runter ins Tal der Sana gegangen, damit die Mutter etwas zu essen zubereitete. Wir haben dann Nahrung gekauft. Wir hatten auch ein wenig Vieh. Das haben wir beruhigt und dann sind wir wieder zurückgegangen. Stellen Sie sich die Situation vor: Sie verstecken sich in einem Teil des Ortes, dann zünden die den nachts an – fallen dort ein, genau in dieses Viertel [mahala]12, zünden einige Häuser an und töten jemanden. Dann fliehen Sie verängstigt in einen anderen Teil. Und das geschah so immer wieder in Zyklen. Irgendwann am 20. Juli, in den Abendstunden  – und am vorhergehendem Tag haben wir gehört, dass sie den Nachbarort mit Granaten beschossen haben – sind verstörte Menschen zu uns in den Wald gekommen, in dem wir uns diese Nacht versteckt hatten, die erzählt haben, dass man dort wortwörtlich über Leichen geht, dass dort der Schrecken herrscht. Aber am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts können sie so etwas einfach nicht glauben.13

Sudbins Geschichte wird immer dramatischer, denn er erzählt nun von der Flucht der Familie. Die Familie schläft nun wie Tiere in Ställen und Wäldern – ein Prozess der Entmenschlichung setzt ein. In seinem Bericht darüber, wie sich Misstrauen und Schrecken verbreiteten, benennt er die Täter*innen jedoch nicht (»wenn da eine M84 ankommt«; »dann zünden die den nachts an  – fallen dort ein«; »dass sie den Nachbarort mit Granaten beschossen haben«). Im Verlauf der Geschichte fällt es ihm zunehmend schwerer, über seine Gefühle zu sprechen (»Das ist –. Das müssten Sie durchleben, also, ich kann Ihnen das nicht mit Worten beschreiben.«). Er beschreibt das Fliehen wie eine endlose Schleife (»Und das geschah so immer wieder in Zyklen.«). Folgt man seinen Zeitangaben, dauerte diese Binnenflucht tatsächlich zirka sechs Wochen an. Dann nennt er wieder ein Datum (»20. Juli«), von welchem ausgehend sich eine Veränderung andeutet. Er beurteilt die Belagerung und Flucht als einen 12 Mahalas waren die Viertel, die sich in osmanischen Städten um das Zentrum (čaršija) reihten. 13 Svedočenje: Sudbin Musić.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

86

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

anachronistischen Vorgang, der nicht ans »Ende des zwanzigsten Jahrhunderts« gehörte. Der Satz hat eine moralische Note, die sich an das Publikum richtet. Ihre moralisierende, performative Wirkung liegt darin, dass sie dazu anregt, das gerade gehörte Geschehen historisch einzuordnen. Damit leitet Sudbin den nächsten Teil seiner Erzählung ein: Am 23. Juli morgens, das werde ich nie vergessen, es war Donnerstag –. Weil wir uns eingekesselt wiederfanden, in einem Ghetto, sind uns langsam die Lebensmittel ausgegangen und auch der Brennstoff ist uns ausgegangen. Ungeachtet dessen, dass die Leute landwirtschaftliche Maschinen hatten, denn sie haben Wege gefunden, zu arbeiten, da wir gedacht haben, dass wir unsere Häuser nicht zurücklassen werden und man musste ja einfach überleben. Mein Vater hat den Nachbarn geholfen, so hat man sich gegenseitig geholfen, dann haben einige –, in Bosnien gibt es diese Gewohnheit, dass man das Gras in Handarbeit mäht, – miteinander vereinbart, dass an diesem Donnerstag unser Feld an die Reihe kommt, ein großes Feld. Hinter dem Haus ungefähr 500 Meter. Ich komme aus dem Wald zurück, der Vater ist auf das Feld gegangen, der eine [Nachbar] war nicht nach Hause gekommen und mein Bruder hatte –. Ungeachtet dessen, dass wir eine bosniakische beziehungsweise muslimische Familie sind – Bosnien ist eben so, wie es ist: in diesem Land brennt man Rakija [Schnaps] –. Also mein Bruder hatte die Aufgabe an diesem Morgen –. Ich hatte die Aufgabe, die Arbeiten beim Vieh zu erledigen und mein sechszehnjähriger Bruder sollte eine Flasche Rakija nehmen und sie den Leuten auf dem Feld bringen. Kaum waren wir ins Haus gekommen, hatte es Mutter schon geschafft, etwas Kaffee zu kochen, das war in Wirklichkeit kein Kaffee, sondern es war halb Kaffee und halb geröstete Gerste, sodass der Kaffee sein Aroma nicht verliert und es den Anschein hat, dass man Kaffee trinkt. Als wir gerade in die ersten Fildžan-Tassen eingeschenkt hatten –, wissen Sie, in Bosnien trinkt man aus dem Fildžan [henkellose Mokkatasse], habe ich aus dem Fenster geschaut und habe gesehen, dass plötzlich, von allen Seiten auf dieser Straße, denn ich lebe an der Straße zwischen Prijedor und Sanski Most, dass sich dort hunderte von Soldaten befanden.14

Sudbin versucht hier die Lage zu beschreiben, in der sich seine Familie befand an jenem Morgen des 23. Juli 1992. Er gibt Detailinformationen, die für den Fortgang der Geschichte keine unmittelbar erkennbare Rolle spielen (Donnerstag, Lebensmittel und Brennstoff ausgegangen) und den Erzählvorgang behindern. Es scheint, als wollte er erklären, warum der Vater mit den Nachbarn aufs Feld gegangen ist, um mit der Sense Gras zu mähen. Aber zu viele verschiedene Informationen obstruieren diese Darstellung (landwirtschaftliche Maschinen, Häuser nicht zurücklassen, arbeiten). Zusätzlich liefert er Kontextinformationen, die ebenfalls die Rekonstruktion des Vorgangs beeinträchtigen (in Bosnien mäht man Gras in Handarbeit, brennt man Schnaps, trinkt man aus der henkellosen Mokkatasse). Er beschreibt dabei die Alltags14 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

87

kultur eines Landes, das gerade keinen Alltag mehr erfuhr, sondern sich im Krieg befand und dessen Kultur dadurch in Frage gestellt war. Unbewusst flüchtet sich sein Erzählen dadurch in Details und Nebenschauplätze und verzögert die Erinnerung an etwas, was danach kommt und schmerzbelastet ist. Denn »plötzlich« waren da »von allen Seiten auf dieser Straße […] hunderte von Soldaten«. Sudbin erzählt weiter: Plötzlich habe ich gesehen, dass sich einer von ihnen mit einer Handgranate in Richtung unseres Hauses umdrehte. Ich bin erschrocken und habe der Mutter gesagt, dass sie rausrennen soll und mit etwas Weißem winken soll, damit sie begreifen, dass wir uns im Haus befinden. Mutter hat das auch gemacht. Er hat die Handgranate herunter genommen und nicht lange danach sind drei Soldaten zum Haus gekommen. Einer hat sich, wie ich bemerkte, schrecklich geschämt, der zweite war so ziemlich normal und der dritte war äußerst grob und herrisch. Ich bin nach draußen gegangen und haben zu ihnen ›Hallo‹ gesagt. Er hat mir geantwortet: ›Hallo‹, irgendwie zynisch, ›kommt raus‹. Er ist ins Haus gegangen und wir haben gehört, wie er im Haus Dinge zerschlägt, rumwirft, zerbricht. Der, der sich schämte, blieb bei uns und der dritte ist ums Haus herum gegangen, wahrscheinlich um sich umzusehen. Auf einmal kommt der eine raus und fragt mich ›Wie alt bist du?‹ und ich sage, ich weiß nicht, was mit mir los war, dass ich sage, dass ich 17 bin. Vielleicht hat mich das in diesem Moment auch gerettet. Wir hatten Pferde, außergewöhnlich schöne Pferde. Mein Ort ist übrigens bekannt dafür, dass die Leute darum wetteiferten, wer das schönste und größte und teuerste hat, Rennpferde. Sie haben gewiehert, ich habe gefragt, ob ich zu ihnen gehen kann, um ihnen zu fressen zu geben. Er hat mich nicht gelassen und gesagt: ›Geht zurück ins Haus und geht nirgendwo hin bis um 12.00 Uhr.‹15

Die Verwendung von »plötzlich« nimmt zu und verweist auf Situationen des Erschreckens, des Kontrollverlustes über seine Wahrnehmung. Zu Beginn seiner Erzählung hatte Sudbin noch die Naivität belächelt, mit der die bosnia­ kischen Bewohner*innen hofften, durch das Anbringen weißer Fahnen als Zeichen ihrer Loyalität verschont zu bleiben. Nun erfahren wir, dass auch er sich darauf berief im Moment der konkreten Bedrohung durch eine Granate, die auf das Haus seiner Familie gerichtet wurde. Tatsächlich funktionierte dieses Einhalten der Regeln in diesem Moment, denn die Granate wurde nicht gezündet. Auf den Moment, in dem Sudbin aus für ihn nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sein Alter als minderjährig ausgibt, folgt eine zunächst in keiner Weise mit dem vorigen Geschehen verbundene Information (»Wir hatten Pferde.«). Es scheint, als musste sich Sudbin in der Erzählung auf eine nachfolgende, allgemeine Beschreibung retten, um den Schrecken, die der Rekonstruktion dieses Augenblickes anhaftete, zu überbrücken. Erst einige Informationen später wird klar, dass er die Pferde füttern wollte. Die erste 15 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

88

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

dargestellte direkte Begegnung der Familie Musić mit den Soldaten war mit der Ablehnung, die Pferde füttern zu dürfen und dem Befehl ins Haus zu gehen, beendet. Der junge Mann setzt seine Erinnerungserzählung derart fort: Wir sind ins Haus gegangen. Drumherum hörte man schon schreckliches Schießen, irgendein Weinen, Schreie, denn wir sind ein dicht besiedeltes Dorf. Und wenn ich ehrlich bin, ständig zieht es Einen nach draußen. Vor dieser starken Angst machen Sie sich in die Hose, mit Verlaub. Ich musste auf die Toilette und durch das Fenster habe ich auf das Feld des Nachbarn geschaut, zu unseren Nachbarn, gegenüber auf das Haus von Mujo. Ich habe gesehen, dass der Balkon voller Soldaten war und dass sich etwas Schreckliches abspielt. Menschen, die triumphieren. Also, das sieht unglaublich schrecklich aus. Ich bin zurückgegangen, der Mutter habe ich das nicht erzählt. Ich sagte ihnen, dass sie sich runter auf den Boden setzen sollen und ich habe durch das Fenster gespäht. Auf einmal sah ich, wie die erwähnten Nachbarn schrecklich geschlagen und den Weg entlang getrieben werden. Und als ich erst Mujos Frau Mina gesehen habe und ihre drei kleinen Kinder, wie sie kreischen und rennen, sie waren wortwörtlich halbnackt, denn es war ja Sommer, sie rennen die Straße panisch entlang, da habe ich zur Mutter gesagt: ›Mama, hört mir jetzt zu. Das ist der letzte Tag. Denkt daran, was auch immer uns passiert, weint nicht. Brecht nur nicht in Panik aus.‹ Denn meine Mutter war ein schrecklich ängstlicher Typ und Panikerin, deswegen habe ich es ihr gegenüber besonders betont, ein bisschen auch im schärferen Ton. Die Schwestern begannen zu weinen.16

Noch blieb die Familie Musić verschont in ihrem Haus. Doch Sudbin erinnert sich daran, wie er sah, dass in den Häusern der Nachbarschaft nun nicht mehr nur geplündert, sondern auch geschossen und vertrieben wurde. Die unmittelbare Reaktion darauf war Angst (»Vor dieser starken Angst machen Sie sich in die Hose, mit Verlaub.«). Der junge Mann schlussfolgerte rational, dass ihm und seiner Familie gleiches widerfahren würde. Dieses Wissen machte den ältesten Bruder nun zum Verantwortungsträger, sodass er es als Auftrag verstand, seine Mutter und die beiden Schwestern auf Schlimmeres vorzubereiten. Von seinem jüngeren Bruder spricht er hier nicht. Er benennt kurz die Reaktion der Schwestern darauf (Weinen) und erzählt dann weiter: Nicht lange danach sind noch einmal die drei Soldaten gekommen und jetzt hat der, der äußerst herrisch war, jetzt hat er den Auftrag gehabt, die Arbeit in diesem Haus zu verrichten, das nun an der Reihe war. Er beschimpfte uns, er verfluchte uns bei unserer muslimischen Mutter und sagte, dass wir rausgehen sollen. Wir sind rausgegangen und er hat meine Mutter gefragt: ›Nutte [Hündin], was hast du gesagt, wo dein Mann hingegangen ist?‹ ›Na, Bruder‹, sagt die Mutter, ›ich habe dir gesagt, dass er Gras mähen gegangen ist. Also, wenn ihr wollt, schicke ich einen zu ihm, um ihn zu holen.‹ ›Deine liebe Mutter sei dort verflucht‹, sagte er zu meiner Mutter, die mähen uns jetzt um‹. Er wiederholte das und sagte ›Jetzt werde ich dir alle deine ummähen 16 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

89

[umbringen].‹ Meine Mutter war auf einmal explodiert, das war eine Frau in der Größe ungefähr von Nataša und hatte auch so eine Frisur und sah auch irgendwie so aus, sie versammelte uns vier Kinder und sagte ›Das wirst du nicht, das wirst du nicht.‹ Er wiederholte ›Das werde ich, das werde ich.‹ Sie wiederholte wieder: ›Das wirst du nicht, das wirst du nicht.‹ Und beim dritten Mal hat er gerufen –. Mein Haus befindet sich also neben einem Restaurant und ich habe bemerkt, dass sich vor diesem Restaurant so eine Art Kommandantur-Stab formierte, denn ich habe das Auto der Ersten Hilfe gesehen und einen Arzt, den angesehenen Stojnić, aus Prijedor, wie er mit einem Offizier dasitzt.17

Nun sollte also die Familie Musić an der Reihe sein und die Soldaten begannen mit Erniedrigungen sprachlicher Art (»er verfluchte uns bei unserer muslimischen Mutter«). Der »dreiste« Soldat verwendete dabei den stark pejorativen Ausdruck »majka balijska«. »Balije« waren ursprünglich muslimische Hirten, heute ist es aber ein Ausdruck, der sich als abwertende Gruppenbezeichnung gegenüber der bosniakischen Bevölkerung von kroatischer und serbischer Seite erhalten hat. Den Erniedrigungen stellt der Sohn in seiner Schilderung seine Mutter gegenüber, die trotz fortsetzender Beleidigungen (»Nutte«) und ihrer kleinwüchsigen Statur für ihre Kinder eintrat. Doch dann hat die Erzählung eine Lücke. Wir erfahren nicht, was der Soldat beim dritten Mal gerufen hat und was dann mit der Mutter geschah. Unklar bleibt auch, was mit den beiden Schwestern passiert ist und wo sich dies abspielte. Sudbins Erinnerung springt nun zur Umgebung seines Hauses und einem Arzt, der mit einem Offizier vor einem Restaurant in der Nähe sitzt. Denn einer der mit der Familie Musić beschäftigten Soldaten hatte sich an diesen Kommandanten gewendet: Der eine dreht sich also um und rief diesen Leuten zu, die dort saßen: ›Was machen wir mit den beiden?‹ Er rief von dort zurück: ›Treib es dort runter.‹ Ich habe es geschafft, Turnschuhe anzuziehen. Das sage ich Ihnen, eine interessante Sache, das muss ich wirklich erzählen. Diese Turnschuhe waren ein Geburtstagsgeschenk von unserer serbischen Nachbarin. Ich habe diese Turnschuhe angezogen. Mein Bruder hat die Schuhe mit nackten Füßen angezogen. Wir hatten irgendwelche Pullis um die Taille gebunden, in ärmellosen T-Shirts und Jeans, sind wir langsam auf das Gartentor zugegangen. Plötzlich habe ich einen solch schrecklichen Schlag am Rücken gespürt und über meinen Kopf flogen Schüsse unter dem Ruf: ›Auf was wartet ihr, bei Eurer lieben verfluchten Mutter.‹ Wir begannen zu rennen. Sie trieben uns dazu auf der Straße Richtung Prijedor zu rennen, in Richtung einer großen Brücke, die sich noch immer im Bau befand, aber die als Straßenüberführung noch immer nicht fertig gestellt war, an der östlichen Umgehungsstraße nach Banja Luka. Wir mussten 200 Meter rennen, die längsten 200 Meter meines Lebens, durch eine Menge von einigen hundert Soldaten. Sie haben uns geschlagen. Wir sind hingefallen. Sie haben uns gezwungen wieder aufzustehen, dann haben sie uns wieder geschlagen. Besonders 17 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

90

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

meinen Bruder. Wissen Sie, er ist sechzehnjährig, aber viel –. Wir sind körperlich total gegensätzlich. Er ist viel größer, stämmiger als ich, und dunkelhäutig. Er ist – sie sind besonders über ihn hergefallen. Ich habe ihn in einem Moment wortwörtlich weg­ gezerrt und ihn an der Hand gegriffen und wir liefen weiter.18

Die Soldaten waren ratlos, was sie mit den beiden minderjährigen bosniakischen Jungen tun sollten und erhielten von einem Offizier die Anweisung, »es dort runter« zu treiben [»Goni to dole.«]. Der Offizier verwendet für die beiden Jugendlichen das Neutrum »to«, wie Vieh oder Dinge sollen sie hinuntergetrieben werden. Die zunächst nur bei den Frauen angewandte sprachliche Entmenschlichung wird nun auch bei den beiden Jungen praktiziert. Dann erzählt Sudbin wieder von den Turnschuhen, die er noch anziehen konnte. Sie sind dieses Mal nicht das Symbol für Konsum und Großfamilie in den neunziger Jahren, sondern hier stehen die von der serbischen Nachbarin geschenkten Turnschuhe für die guten Beziehungen zwischen Serb*innen und Bosniak*innen. Die Entmenschlichung sprachlicher Art von zuvor wird daraufhin mit einem Spießrutenlauf der beiden Jungen durch eine Überzahl von prügelnden Soldaten physisch ausgeweitet. Der schmächtige Sudbin setzte sich bei den Misshandlungen für seinen jüngeren, aber stärker wirkenden Bruder ein. Plötzlich hat uns ein Typ, so ein sehr stämmiger, mit einer ›šajkača‹ [traditionelle serbische Mütze] auf dem Kopf und einer riesigen Kokarde und langem roten Bart, gesagt, dass wir stehen bleiben und in die Sana baden gehen sollen. Ich habe ihn, den Bruder, weiter an der Hand gehalten und wir sind Richtung Wasser nach unten gegangen, denn der Wasserstand der Sana fällt sehr im Sommer, wir sind Richtung Wasser gegangen. Ich habe schon gesehen, dass im Wasser die Leichen meiner Nachbarn schwammen, derer, die ich vorher gesehen habe, wie sie sie vorbeigeführt haben und ich begann zu beten, wissen Sie. Ich betete zu Gott, dass das schnell – dass es so schnell wie möglich gehe.19

Während Sudbin bis zu diesem Zeitpunkt seiner anstehenden Erschießung kein einziges Mal die Täter*innen als Serb*innen beschrieben hatte, stellt er nun seinen Henker als einen archetypischen Serben mit traditioneller serbischer Kopfbedeckung, »riesiger Kokarde und langem roten Bart« dar. Am Ufer des Flusses sollte der stereotypisierte Serbe ihn und seinen Bruder erschießen. Sudbin sieht die Leichen seiner Nachbar*innen im Fluss schwimmen als eine Art Vorausschau seines Schicksals und fängt im Angesicht des Todes an zu beten. Doch er betete schon gar nicht mehr dafür, verschont zu bleiben, sondern nur noch für einen schnellen Tod, so aussichtslos war die Lage. Daraufhin erzählt er von einer Veränderung der Situation: 18 Ebd. 19 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

91

Plötzlich hörte ich irgendeine Panik und auch Flüche. Jemand hat diesem Mann, der uns umbringen sollte, Flüche zugerufen. Er verfluchte seine Mutter und sagte ihm ›Was machst du mit den Kindern, du Miststück‹, in diesem Sinne. Fast wäre die Situation zu einem Zwischenfall ausgeartet und der, er hatte die Kalaschnikow schon nachgeladen, – und sagte: ›Kommt zurück und lauft runter zu den Bussen.‹ Also sind wir zu den Bussen gerannt und tatsächlich habe ich gesehen, dass das der Fahrer Dronjić, Ranko, ein Arbeitskollege meines Vaters war, der in diesem Augenblick es nicht ertragen konnte zu sehen, wie wir umkommen, er hat dabei sein Leben riskiert. Er weinte, und ein zweites Mal hat er mir geholfen in dem Sinne, als er mir sagte: ›Kind, steig nicht in diesen Bus. Komm in den hier.‹ Später werde ich hören, dass alle Leute, die mit diesem oberen Bus weggefahren wurden, dass sie in dieser Nacht in Halle 3, im berüchtigtsten –, in einem der berüchtigtsten Lager in Bosnien und Herzegowina, in Keraterm, wortwörtlich alle umgebracht worden sind.20

Die beiden Jugendlichen wurden durch das Eingreifen eines serbischen Arbeitskollegen ihres Vaters (Ranko Dronjić) vor dem Erschießen gerettet. Der Busfahrer brachte sich damit selbst in Gefahr. Sudbin berichtet davon, wie der Fahrer weinte – sei es aus Angst vor den Konsequenzen seines Eingreifens für ihn oder aus Mitleid mit den Söhnen seines Kollegen, oder beidem. Der Retter war jedoch Fahrer von Bussen, welche die bosniakische Bevölkerung der Gemeinde Prijedor in Lager transportierte. Er war Teilhaber an den Verbrechen und gleichzeitig konnte er durch seine Position die Ermordung der beiden Jungen verhindern. Keraterm ist der Name einer Keramik­fabrik in der Gemeinde Prijedor, in deren Hallen Ende Mai 1992 ein Lager für nichtserbische Männer eingerichtet wurde. Mehr als 1.500 Männer wurden darin gleichzeitig festgehalten, gefoltert, verhört, erstickt und zirka 150 davon wurden in Gruppen hingerichtet.21 Dieses Schicksal blieb Sudbin und seinem Bruder erspart: Wir sind in den Bus eingestiegen und im Bus haben wir einen (entfernten) Verwandten getroffen, der am Morgen aus dem Prijedorer Krankenhaus auf der anderen Seite der Sana gekommen ist, er hatte eine Tochter bekommen und ist zu Besuch gewesen, tatsächlich war er bei seiner Frau zu Besuch gewesen. Sie haben seinen Ausweis überprüft, sie haben ihn dann auf diese Seite gebracht. Und ich habe ihn gefragt: ›Wo kommst du her? Was machst du hier?‹ Er beschrieb mir, warum er hier ist. Wir saßen normal auf diesen Sitzbänken, das sind diese blauen Ikarus-Busse, diese großen mit viel Platz zum Stehen. Ich habe mich nach links gedreht, und ich sah meine beiden Schwestern, wie sie sich an den Händen halten und weiter die Straße entlang gehen. Einige zwanzig Minuten später sah ich die Mama mit zerzausten Haaren. Sie gingen 20 Ebd. 21 Regelmäßig kamen zu den Wächtern auch Außenstehende hinzu, um sich an den (meist nächtlichen) Gewaltorgien und Exekutionen zu beteiligen. Vgl. Wesselingh, Isabelle /  Vaulerin, Arnaud: Raw Memory. Prijedor, an »Ethnic Cleansing Laboratory«. London 2005, 61.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

92

vorbei und ich habe zu meinem Bruder gesagt, dass er sie ansehen soll. Sie sind in das Haus eines Nachbarn gegangen, von sehr reichen Leuten und das hat mich irgendwie ungeheuer erschreckt. Ich vermutete, dass sie sie nach Geld fragen werden. Einige fünfzehn Minuten später, also es ist der 23. Juli, die Temperaturen sind schrecklich hoch im Sommer, ist plötzlich eine Kolonne Frauen und Kinder aufgetaucht, die ich einfach nicht kannte und in der Tat waren das Frauen und Kinder aus dem Nachbardorf Zecovi. Die Mädchen waren verhüllt, sie hatten sich eingehüllt, verkleidet, im Grunde, wahrscheinlich fürchteten sie sich vor Vergewaltigungen.22

Sudbin beschreibt die Begegnung mit einem entfernten Verwandten im Bus, als ob es eine ganz normale Alltagssituation wäre. Der Verwandte hatte seine Frau und seine frisch geborene Tochter im Krankenhaus besucht. Und nun saßen sie »normal« in einem Bus. Bei einer Körperbewegung »nach links« tauchen nun wieder seine Schwestern auf, wie sie »weiter die Straße entlang gehen«. Das letzte Mal hatte Sudbin von ihnen weinend im Haus berichtet. Nach ungefähr zwanzig Minuten in seiner Erinnerung war auch die Mutter wieder zu sehen. Die zerzausten Haare deuten auf eine physische Aktivität hin. Auch andere Frauen und Kinder »tauchen plötzlich« in der Nähe des Busses auf. Diese »Erscheinungen« wirken wie Erinnerungsblitze, die der Erzählende nur unscharf mit dem Rest der beschriebenen Situation verbinden kann. Sie verweisen darauf, wie disparat seine Erinnerung sich gestaltet und welcher Anstrengung es bedarf, diese Bruchstücke kohärent in eine Geschichte einzufügen. Über die Beschreibung der ihm unbekannten Frauen thematisiert Sudbin nun seine Befürchtung, dass die Frauen Vergewaltigungen ausgesetzt waren. Dann spricht er weiter: Sie kamen zu uns in den Bus. Ich spiele in dem Augenblick wohl erzogen, stehe auf, damit sie sich hinsetzen können. Auch dieser Junge, den ich im Bus gefunden habe, steht auf. Plötzlich bemerkte ich, dass meine Mitschülerin Derviša auf mich zugeht und mir sagt: ›Mensch Leute, versteckt euch, oben haben sie alle umgebracht.‹ Sie haben uns bei der mittleren Tür des Busses auf den Treppen, die in Richtung Sana, Richtung Wasser zeigten, versteckt. Sie haben uns eingekreist und dieser Armselige ist weiter gegangen, in den hinteren Teil des Busses und blieb stehen. Jemand rief: ›Komm raus.‹ Die Leute sind automatisch –, alle sind aufgestanden. ›Bei eurer lieben verfluchten Mutter, nicht ihr, er.‹ Und dann hat irgendein Typ den jungen Mann rausgeholt, Ismet Hopovac, er hieß Ismet Ićo Hopovac und er hat ihn buchstäblich so hingeführt, sodass ich durch das Glas sah, wie er mit sieben Kugeln auf ihn schoss. Also, erst eine, und dann noch sechs, so triumphierend. Damals habe ich das erste Mal gespürt, wie es ist, wenn einem der kalte Schweiß runter läuft. Später haben sie einige Männer gebracht und angefangen, sie zu verprügeln, zu hauen, zu schlagen. Wir hörten Schreie und uns drinnen im Bus haben sie dazu gezwungen, uns alle zu setzen. Außer mir und meinem Bruder waren dort noch zwei vierzehnjährige Jungen und zwei siebzigjährige alte 22 Svedočenje: Sudbin Musić.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

93

Männer, die ich kenne. Die restlichen waren alle Frauen und kleine Kinder. Das waren in Wirklichkeit die Leute, die in dieser Nacht umgebracht werden in der berüchtigten Halle drei des Lagers Keraterm.23

Wieder hatte Sudbin Glück, dass ihn jemand warnte, dieses Mal eine Mitschülerin, und er sich mit seinem Bruder rechtzeitig im Bus verstecken konnte. Dem Bekannten wurde die veränderte Lage ohne ausbleibende Warnung jedoch zum Verhängnis. Der frisch gebackene Vater wurde aus dem Bus geholt und vor Sudbins Augen hingerichtet. Erneut beschreibt Sudbin hier seine durch die extreme Angst entstandenen Körperreaktionen (»kalter Schweiß«). Die Erinnerung an diesen extremen Schrecken wirkt dann auf die weitere Erzählung nach. Denn im Gegensatz zu seiner Schilderung zu Beginn der Geschichte, erzählt Sudbin nun, dass er auch in dem Bus saß, der in das Lager Keraterm fuhr. Zuvor hatte er berichtet, dass dies ein anderer Bus war, in welchen er gerade auf Rat des bekannten Busfahrers nicht eingestiegen war. Vermutlich hatte die Rekonstruktion der vor seinen Augen erfolgten Hinrichtung und das Wissen darum, dass ihm nur durch Zufall Gleiches erspart geblieben war, die darauf folgenden Erinnerungen erschüttert. Wir fuhren los. Der Bus ist plötzlich angesprungen und losgefahren. Wir waren noch weiter dort am Boden des Busses versteckt. Plötzlich sind wir an irgendeinem Ziel angekommen, wir sind aus dem Bus ausgestiegen und plötzlich zeigt sich vor Ihnen eine Szene – das war ungefähr so wie – ein Fotograf kann sich das in etwa so vorstellen: das war eine Kombination aus Jasenovac und diesem Potočari, an jenem Tag, dem 11. Juli. Eine Menge Menschen, tausende Männer, Frauen und Kinder, ausgehungert, dünn, angsterfüllt, schmutzig, bärtig, in schrecklichen hygienischen Zuständen, umgeben von Maschinengewehr-Nestern und Drahtzäunen. Für mich war das das Ende der Welt.24

Der Bus hatte die Insassen also in ein Lager gefahren, welches einen schrecklichen Anblick bereitete. Wir werden später erfahren, dass es sich nicht um Keraterm, sondern um das Lager Trnopolje handelte. Das Lager Trnopolje hatte im Sommer 1992 durch Aufnahmen britischer Journalist*innen die Aufmerksamkeit westlicher Medien auf sich gezogen. Insbesondere ein danach immer wieder zitiertes Foto zeigte ausgehungerte, verwahrloste Männer hinter Stacheldraht und wurde zum Symbol des Beginns des Bosnienkrieges.25 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Die Bildersprache des Fotos  – ausgemergelte Menschenkörper hinter Stacheldraht  – weckte beim Betrachter Assoziationen zu Fotos der Konzentrationslager des Zweiten Weltkriegs und hatte insbesondere deswegen eine enorme, öffentliche Wirkkraft. Inwieweit die fotografierte Situation eine Inszenierung war oder nicht, wurde nach einem Artikel der Zeitschrift »Living Marxism 97« sogar vor Gericht erörtert. Vgl. Campbell, David: Atrocity, Memory, Photography: Imaging the Concentration Camps of Bosnia –

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

94

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Sudbin scheint dieses Foto im Sinn zu haben, wenn er den Anblick des Lagers aus Sicht eines ankommenden Fotografen beschreibt. Auch der Vergleich mit dem kroatischen Vernichtungslager Jasenovac aus dem Zweiten Weltkrieg und dem VN Schutzgelände in Potočari als Teil der bosnischen Enklave Srebrenica, ist eine im Nachhinein auf die Situation aufgesetzte Beschreibung. Denn als der Jugendliche im Juli 1992 im Lager Trnopolje ankam, konnte er nicht wissen, wie der Krieg in Bosnien und Herzegowina im Juli 1995 in Srebrenica aussehen wird. Somit ist der Anblick des Lagers sicherlich schauerlich gewesen, sodass sich Sudbin »am Ende der Welt« wähnte. Die Vergleiche jedoch, die Sudbin in seiner Erzählung dafür verwendet, können nicht als Rekonstruktion dessen, was er bei seiner Ankunft dort im Sommer 1992 wahrgenommen hatte, gelten. Sie sind ausgehend von seinem gegenwärtigen Wissen retrospektiv zur Schilderung seiner Eindrücke bei seiner Ankunft im Lager hinzugefügt worden. Er fährt fort: Aber noch habe ich all diese Zeit weiter –. Auch hat sich irgendwie mein Bruder als Kind, er war ja nur ein stämmigeres Kind, er hat sich ständig bei mir versteckt. Jemand hat uns am Eingang registriert, wir sind reingegangen und haben uns da irgendwie durchgeschlagen, herumirrend von Gruppe zu Gruppe. Wissen Sie, unter solchen Bedingungen verwandeln sich die Menschen zu Bestien, ganz egal ob das alles Bosniaken waren. Nahrung gab es überhaupt nicht, noch gab es organisierte Ernährung, wissen Sie. Und so haben sie von Zeit zu Zeit den Frauen erlaubt, in den Nachbarort Trnopolje zu gehen, denn es war der Monat Juli und die Ernte war geradeso reif, sodass sie etwas Nahrung besorgen konnten, aber die Leute haben die Nahrung für sich behalten. Man war ganz einfach in der Situation, das eigene Leben zu retten und es kam oft zu Situationen, dass Eltern tagelang nicht die Nahrung aßen, die sie hatten, um es für ihre Kinder aufzusparen. Wir hörten, dass Busse und Sattelschlepper kommen, diese großen Transporter, dass man von hier weggebracht wird. Aber es gingen nur Frauen und Kinder. Also an bestimmten Tagen, alle sieben, acht Tage kommt ein Bus, der Frauen und Kinder einsammelt.26

Sudbin erzählt davon, unter welchen Bedingungen er und sein Bruder sich »irgendwie durchgeschlagen« haben. Das Lager Trnopolje war um eine ehemalige Schule und einen Sportplatz auf freiem Gelände von den Streitkräften der Republika Srpska für Frauen, Kinder und Alte errichtet worden. In den Prozessakten des ICTY wird Trnopolje als zeitweilig offenes Gefängnis beschrieben, welches als eine Art Sammellager für zu deportierende Zivilist*in-

the Case of ITN versus Living Marxism, Part I, Journal of Human Rights 1 (2002), 1–33; Part II Journal of Human Rights 1 (2002), Nr. 2, 143–172, zitiert bei Brenner, Manuela: Practices of the (Non-)Construction of a Memorial at Omarska. In: Südosteuropa 59/3 (2011), 349–372, hier 356 f. 26 Svedočenje: Sudbin Musić.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

95

nen fungierte.27 Der amerikanische Psychiater Stevan M. Weine, der in den USA mit Überlebenden »ethnischer Säuberungen« und der Lager gearbeitet hat, beschreibt die nachlässige oder willkürliche Einrichtung als typisches Merkmal der Lager für die nichtserbische Bevölkerung im Bosnienkrieg, denen es im Vergleich zu den Lagern der Nazis an Systematik fehlte, was die dort verübten Gräueltaten jedoch keineswegs minderte.28 Täglich hielten sich im Lager Trnopolje zwischen 4.000 und 7.000 Frauen, Kinder und Alte auf, die zum Großteil unter freiem Himmel, ohne jegliche Nahrung, Wasser und sanitären Einrichtungen kampierten.29 Zusätzlich zu Hunger, Krankheiten und den katastrophalen sanitären Bedingungen in den sehr heißen Sommern der Region, kam es auch in Trnopolje zu Misshandlungen, Morden und insbesondere Vergewaltigungen von jungen Frauen und Mädchen.30 Rund 180 Menschen fanden in dem sechs Monate existierenden Lager den Tod.31 Sudbin erzählt weiter von seinen Erfahrungen dort: In der Zwischenzeit haben wir erfahren, dass unser Vater umgebracht worden ist. Von irgendwoher tauchte eine Freundin auf und berichtet mir, dass mein Vater und alle die Leute umgebracht worden sind. Als sie nach Hause gingen, hatten sie ihre Sensen dabei und ganz nah beim Haus haben sie sie aufgehalten, er hat nur noch sagen können: ›Bruder, ich habe vier Kinder, wer wird mir die ernähren?‹, in diesem Sinne. Sie haben dann eine Salve auf die fünf abgefeuert und der Rest der Gruppe hat es für zweckmäßig befunden ihre Leichen, der fünf, in den Brunnen im Hof des Hauses zu werfen. Ein paar Tage später haben wir wieder von einem schrecklichen Mord an Frauen und Kindern da oben, in dem Ort, aus dem ich komme, gehört – und die unseren, die die uns kannten, haben uns irgendwie seltsam angesehen. Ich und der Bruder haben –. Wir haben vermutet, dass das vielleicht unsere Mutter und Schwestern sind.32

Es bleibt unklar, woher die Freundin im Lager diese detaillierten Informationen hatte, aber zu diesem Zeitpunkt erfuhren Sudbin und sein Bruder nun im Lager von der Ermordung ihres Vaters. Sein Redefluss wird bei der Aussage auf dem REKOM Podium hier erstmalig beeinträchtigt, er hat einen Kloß im Hals als er wiedergibt, wie sein Vater kurz vor seiner Erschießung gefragt haben soll, wer seine vier Kinder ernähren soll. Doch Sudbin schluckt und redet alsbald gefasst weiter.

27 Mihajlović Trbovc, Jovana: Memory after Ethnic Cleansing. Victims’ and Perpetrators’ Narratives in Prijedor. In: Journal of Ethnic Studies 72 (2014), 25–41, hier 28 f. 28 Weine, Stevan M.: When History is a Nightmare. Lives and Memories of Ethnic Cleansing in Bosnia-Herzegovina. New Brunswick, N. J. 1999, 50. 29 Wesselingh / Vaulerin: Raw Memory, 56. 30 Ebd., 57. 31 Clark: International Trials, 95. 32 Svedočenje: Sudbin Musić.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

96

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, dass wir rauskommen, uns durchschlagen, durch die Menge von Frauen und Kindern und wenn der nächste Konvoi kommt, dann werden wir fliehen, weil wir es uns zur Aufgabe gemacht hatten, dass wir überleben. Eines Tages hat uns eine unserer Nachbarinnen geholfen, eine alte Frau. Sie hatte ihre Tochter bei sich. Die Tochter hatte ein Baby. Sie sagte mir: ›Sudbin, mein Sohn, du nimmst das Kind, Almira wird mich nehmen, ich werde so tun, als ob ich krank sei, und Ado, mein Bruder, er soll die Sachen nehmen, dann gehen wir langsam los. Sie werden vielleicht denken, dass ihr zu uns gehört, und so werden wir irgendwie rauskommen.‹ Unterdessen ist an dem Haupttor des Lagers Panik aufgekommen. Wieder ist ein Soldat durchgedreht und hat angefangen auf meinen Bruder einzuschlagen. Mir ist das Kind runtergefallen, ihm die Sachen. Wir blieben hartnäckig. Wir sind zum zweiten Ausgang gegangen. Am zweiten Ausgang haben wir wieder Leute, eigentlich Frauen getroffen, die wir kannten. Da kommt ein Soldat zu einer seiner Bekannten und fragt sie ›Wie geht’s?‹ Ihr haben sie vor ihren Augen den Mann umgebracht. Sie hat ein Baby bei sich gehabt. Sie hat sich unwirsch zu ihm umgedreht und gesagt: ›Mistkerl, was geht dich das an!‹ Er war entrüstet, hatte ich das Gefühl, konnte oder wollte ihr aber nichts antun. Er drehte sich um und begann meinen Bruder zu schlagen und fragte ihn: ›Wo möchtest du denn hin?‹ Er zog ihn weg und brachte ihn zurück, runter zu der Menge Männer des Lagers. Und ich und er, weil wir abgesprochen hatten, dass wir uns nicht trennen werden, ich wollte ihm folgen. Der andere setzte das Gewehr an und sagte: ›Du, komm zurück.‹ Ich bin zurückgegangen und er ist runter gegangen, also so einige hundert Meter, und das stämmige Kind drehte sich zu mir um und rief mir zu, dass ich mit ihm kommen soll. Ich habe ihm nur so mit der Hand gesagt, dass ich nicht kann und mein Bruder hat mir in dem Moment gewunken, und seine Hand hat bei mir in dem Augenblick einen Schalter umgelegt und ich habe in dem Moment wirklich erst begriffen, was sich alles um mich herum abspielt und dass ich gerade allein auf der Welt zurückgeblieben war. Ich weiß nichts über die Mutter und die Schwestern. Ich höre, dass mein Vater getötet wurde und jetzt nehmen sie mir das sechszehnjährige Kind, meinen Bruder. Ich durchlebte in diesem Moment solch einen Schock, Stress, denn stellen Sie sich solch eine Situation vor, dass Sie etwa fünf Tage nichts essen, Sie nehmen nur ganz wenig Wasser zu sich und dann erleben Sie solch einen Stress. Ich bin bewusstlos geworden. Diese Frau hat auf den Soldaten eingeschrien, sie hat ihn verflucht, sagte ihm: ›Ihr habt sie alle umgebracht. Entweder bring den von dort unten [drüben] her oder bring den hier wieder zurück.‹ Ich habe das durch irgendeinen Nebel gehört. Nach ein paar Augenblicken bin ich wieder zu mir gekommen und sie brachte mir den Bruder. Ich habe nicht geweint, nur schrecklich gezittert habe ich. An diesem Tag gab es nicht genügend Transporter, Laster und Schlepper, und an diesem Tag sind wir nicht weggefahren.33

Sudbin schildert nicht nur die Konkurrenz zwischen den Lagerinsassen, sondern auch die Hilfe von verschiedenen Frauen, etwa bei den Versuchen aus dem Lager zu entkommen. Er beschreibt, wie der Bruder wieder ohne eigenes Zutun physisch von Soldaten angegriffen wurde, dieses Mal vermutlich als 33 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

97

Ersatz für den nicht erfolgten Angriff auf eine dem Soldaten bekannte junge Frau mit einem Baby, die ihm verbal eine Abfuhr erteilt hatte. Lagerinsass*innen und Wächter*innen kannten sich also auch, und möglicherweise deswegen konnte die junge Frau in diesem Fall ein Gespräch mit dem Soldaten verweigern. Deutlich wird auch, dass es einen gewissen Handlungsspielraum zwischen Gefangenen und Lagerwärter*innen gab, denn einer anderen Frau war es gelungen derart Druck auszuüben, dass Sudbins Bruder zu ihm zurückgebracht wurde. Sudbin berichtet zwar von keinen Misshandlungen an ihm selbst im Lager, gleichwohl veranschaulicht seine Erzählung, wie der Überlebenskampf, das tagelange Hungern und Dursten, die kursierenden Schreckensgeschichten und die Angst um seine Familienmitglieder bei dem Jugendlichen eine psychische Belastungsreaktion (Ohnmacht) auslösten. Wenn es später um eine Leidenskonkurrenz zwischen den Opfern geht, werden diese Erfahrungen als minderwertig gelten. Dennoch werden sie zu einer bleibenden Last für Sudbin, der weiter erzählt: Sieben Tage später kommt eine Frau an und sagt mir, dass meine Mutter ins Lager gekommen ist. Ich kann ihnen diese Begegnung nicht beschreiben, denn das löst in mir einen Sturm von Gefühlen aus. Stellen Sie sich eine gebrochene Mutter vor, wenn sie nach so viel Zeit, durch Leichen tappend, in Prijedor ankommt, sich versteckt und es ihr dann doch gelingt ihre lebenden Kinder zu finden. Das haben diese Mütter, leider, nicht erleben können. Ich habe ihr sofort gesagt, dass der Vater umgebracht wurde. Sie hat mir dann erzählt, dass an jenem Tag, in dem Haus, wo sie eingesperrt wurden, diese Frauen –, das waren in Wirklichkeit so was wie zivile Punkte. Wissen Sie, ethnische Säuberung sieht so aus, dass die Armee in ein Dorf einfällt, die gesamte männliche volljährige Bevölkerung umbringt, Sie erleben dabei – unter Anführungs­ zeichen muss ich auch ein grobes Wort benutzten  – einen ›Kollateralschaden‹, danach vergewaltigen sie eine bestimmte Zahl von Frauen, zünden alle Häuser an und plündern und zerstören ganze Familien und so weiter und dann bleibt das Dorf leer zurück und nennt sich Territorium, in diesem Falle serbisches, von jemanden befreites Territorium.34

Nicht nur bei der Beschreibung des Schreckens verweist Sudbin auf die Schwierigkeit, große emotionale Bewegung in Worte fassen zu müssen, sondern auch bei der Darstellung seiner Gefühle, die er durchlebte, als er seine Mutter wiedertraf, sagt er, dass er das »nicht beschreiben« kann. Er schildert seine Mutter als »gebrochen« und dennoch erzählt er ihr »sofort« vom Tod des Vaters. Über die Reaktion der Mutter darauf erfahren wir nichts, sondern davon, was der Mutter zur etwa gleichen Zeit an jenem Tag widerfahren ist. Sudbin spricht jedoch im Plural davon, was »diesen Frauen« passiert ist und geht daraufhin noch eine Verallgemeinerungsstufe höher, indem er Vergewaltigungen als systematischen Teil »ethnischer Säuberungen« beschreibt. 34 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

98

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Zu Beginn seiner Erzählung stand eine Lücke bei dem weiteren Schicksal der Frauen. Als sie neben dem Bus »wieder auftauchten«, hatte Sudbin nur ihren sichtlich mitgenommenen physischen Zustand beschrieben. Nun erlaubte diese Verallgemeinerung ihm, Vergewaltigung als Tat zu benennen. Auf eine zynische Bemerkung (»und dann bleibt das Dorf leer zurück und nennt sich Territorium«) folgt dann die konkrete Erfahrung der Frauen seiner Familie: Sie wurden an diesem Tag in diesem Haus misshandelt und plötzlich erschien von irgendwoher ein Soldat, der meine Schwester fragte, wie sie heiße. Meine Schwester heißt übrigens Sudbina. Und dann hat er begriffen, dass das meine Schwester ist. Und er war Serbe. Einer meiner besten Freunde. Und dann hat er –. Er konnte nicht, er war schockiert: ›Aber ihr seid doch Sudbins Schwestern und du bist Sudbins Mama!‹ Und dann hat er sie gefragt, ob sie von dort weggehen würden. Er hat es dann geschafft, sie von dort fortzubringen, sie in die Nähe von Prijedor zu bringen, durch das ganze Spalier von Soldaten, zu dem nächsten zivilem Punkt, von dort sind meine Mutter und Schwestern nach Prijedor zu Fuß gelaufen. Und meine Mutter, weil sie niemanden hatte, ist bei Dragica Jujuć untergekommen, und Dragica Jujuć ist die Witwe eines Muslims, mit dem sie zwei Kinder hatte, Erna und Emir, und diese Dragica hat die ganze Zeit meine Mutter versteckt. Zufällig traf sie in der Stadt den Fahrer Dronjić, der ihr geflüstert hat, dass er Husins Kinder gerettet hat. Dann hat Dragica wirklich begriffen: ›Aber Dronjić, Halida und die Mädchen sind bei mir.‹ Die beiden haben sie also versteckt, beschützt und der Fahrer hat es später geschafft, meine Mutter zur Verwaltung des Busunternehmens zu bringen, sodass sie dort das letzte Gehalt meines Vaters abholen konnte. Weil sie begriffen haben, dass sie oben auf der Liste stehen, auch Dragica, und dass es unausweichlich ist nach Trnopolje zu gehen, haben sie irgendwie ihre Beziehungen im ortsansässigen Roten Kreuz genutzt, haben beim Roten Kreuz in Prijedor ein Auto besorgt und dann meine Mutter und Schwestern auf die schmerzfreieste Art und Weise transportiert, also im Auto des Roten Kreuzes sind sie nach Trnopolje gekommen und hier haben wir uns wiedergefunden.35

Jetzt wird auch deutlich, dass nicht nur die Mutter, sondern auch Sudbins Schwestern »misshandelt« wurden. Und wieder half ein Freund, dieses Mal ein serbischer, der zwar mitvergewaltigte, aber bei den Schwestern und der Mutter seines Freundes »nicht konnte«. Der serbische Freund befreite also trotz seiner Rolle als serbischer Feind Sudbins Mutter und Schwestern aus »diesem Haus«. Danach halfen weitere Freunde bzw. Arbeitskolleg*innen (Dragica Jujuć, Ranko Dronjić) die Überlebenden der Familie Musić im Lager wieder zusammen zu führen. Allerdings standen auch die Familienfreunde mittlerweile »oben auf der Liste« der »ethnischen Säuberungen«. Ob sie aber tatsächlich Sudbins Mutter freiwillig in das Lager Trnopolje begleitet haben, bleibt offen. In der Tat kamen Leute freiwillig ins Lager Trnopolje, in der Hoff-

35 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

99

nung von dort aus in die von der bosnischen Armee kontrollierten Gebiete oder ins Ausland mit den Transporten gebracht zu werden.36 Kurze Zeit danach ist wieder irgendein Konvoi von irgendwoher aufgetaucht, wir wussten auch nicht, was passiert. Wieder die gleichen Bilder. Wissen Sie, verstehen Sie eine Mutter, die einen sechszehnjährigen Sohn hat, der eben gerade seinen ersten Bartwuchs bekam, und damit älter aussah. Und jetzt muss sie ihn im Lager zurücklassen und sie geht in die Freiheit. Zufällig befand sich an diesem Tag ein besserer serbischer Offizier im Lager, der sich in einer ausweglosen Situation befand. Also, es hatte sich eine größere Gruppe von Frauen gebildet, die zufällig alle männliche Kinder in unserem Alter hatten, die darauf bestanden, dass die Kinder mit ihnen gingen, oder sie sollten uns alle töten. Er hat nachgegeben, das heißt er hat auch für uns zwei Busse besorgt. Aber die Busse waren zu klein für diesen Weg und plötzlich fing wieder irgendeine Selektion an, na ja, und so konnte mein Bruder wieder nicht einsteigen. Zwischenzeitlich hat er es ausgenutzt, dass die Soldaten nicht alles sehen konnten, und er ist mit einem Jungen zur hinteren Tür des Busses gegangen und sie sind in den Bus eingestiegen. Wir haben sie unter Decken versteckt und dann haben sie uns also in eine, in irgendeine Richtung gefahren. Später wurden wir nach einigen zehn Stunden Fahrt in irgendwelchen Bergen ausgeladen. Von dort sind wir zu Fuß nach Travnik gelaufen. In Travnik habe ich so zweieinhalb Monate verbracht, wieder unter äußerst schlechten Bedingungen.37

Wie auch schon in zuvor beschriebenen Momenten scheint im Lager etwas Verhandlungsspielraum zwischen den Gefangenen und den Soldaten bestanden zu haben, manchmal auch, weil sich beide Seiten kannten. Weine beschreibt dies ebenfalls als typisch für die Lager im Bosnienkrieg und meint, dass dadurch der Grad der Grausamkeiten erhöht und danach das Gefühl des Verrates umso größer gewesen war.38 Es konnte jedoch anscheinend auch passieren, dass Lagerinsassinnen auf einen Offizier derart Druck ausübten, dass er sich in »einer ausweglosen Situation« wiederfand und extra zwei Busse für diese Frauen mit ihren jugendlichen Söhnen organisierte. Jedenfalls stellt Sudbin es so dar, dass dieser gemeinsame Druck der Mütter und das Nachgeben des »besseren serbischen Offiziers« der Familie Musić aus dem Lager verholfen haben. Doch das Lager hinter sich zu lassen, schien keineswegs zu bedeuten, den Krieg hinter sich zu haben, denn auch in den von der bosnischen Armee kontrollierten Gebieten (Travnik) verbrachten sie noch mehrere Monate unter »äußerst schlechten Bedingungen«. Durch das Rote Kreuz und den Roten Halbmond habe ich es geschafft in die Tschechoslowakei zu gelangen zusammen mit meiner Mutter und den Schwestern. Als ich in die Tschechoslowakei ausgereist bin, hatte ich noch 45,5 Kilo. Aus der Slowakei sind 36 Wesselingh / Vaulerin: Raw Memory, 57. 37 Svedočenje: Sudbin Musić. 38 Weine: When History is a Nightmare, 51.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

100

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

wir später nach Deutschland umgezogen und 1998 mussten wir das Land verlassen, denn der Daytoner Vertrag wurde unterschrieben. Am Tag der Unterschrift des Daytoner Vertrages habe ich schrecklich geweint, weil ich wusste, was das in Wirklichkeit bedeutete. 1998 mussten wir zurückkehren. Aber mein Bruder hat es psychisch nicht verkraftet zurückzukehren. Er hat uns verlassen. Er ist von uns weggegangen. Er ist nach Holland gegangen. Wir sind nach Sanski Most gekommen. Aus Sanski Most bin ich nach Prijedor zurückgekehrt. Das heißt an den gleichen Ort, von dem ich vertrieben wurde.39

Gegen Ende des Jahres 1992 konnten Sudbin und seine Familie also aus Bosnien fliehen, zunächst in die Slowakei, später nach Deutschland. In Deutschland lebten sie mehrere Jahre, bis 1998 als Flüchtlinge. Der Friedensvertrag von Dayton wurde am 21. November 1995 auf einem Militärstützpunkt in der Nähe des amerikanischen Dayton (Ohio) entworfen und am 14. Dezember in Paris von den damaligen serbischen, kroatischen und bosnisch-herzegowinischen Präsidenten (Milošević, Tuđman, Izetbegović) unterschrieben. In den damit beendeten fast vier Jahren Krieg in Bosnien und Herzegowina hatten rund 95.000 Menschen ihr Leben verloren oder waren verschwunden.40 Rund die Hälfte der Bevölkerung war auf der Flucht gewesen, von den zirka zwei Millionen Vertriebenen ist nur rund ein Viertel in ihre Heimatorte zurückgekehrt.41 Ab 1998 begannen Vertriebene in die Gemeinde Prijedor zurückzukehren.42 Sudbin sagt, dass die Familie 1998 Deutschland verlassen musste, was danach klingt, als wäre die Familie unfreiwillig zurückgekehrt. Insgesamt waren aus der Gemeinde Prijedor rund 50.000 Menschen vertrieben worden, etwa 25.000 Menschen erlitten die Qualen der verschiedenen Lager und mehr als 3.000 fanden den Tod.43 Nach Prijedor sind auch neue Serb*innen 39 Svedočenje: Sudbin Musić. 40 Insgesamt kamen in der Zeit von Ende 1991 bis Anfang 1996 rund 95.000 Menschen in Bosnien um. Diese Zahl bezieht sich auf rund 85.000 Tote und rund 10.000 Vermisste. Sie stammt von Ende 2012 und geht auf die mehrjährige Dokumentation des Sarajewoer »Forschungs- und Dokumentationszentrums« zurück. Häufig wird von rund 100.000 Opfern gesprochen, da das Dokumentationszentrum noch Zahlen von rund 5.000 Fällen dokumentiert hat, bei denen jedoch die Umstände des Todes nicht hinreichend geklärt werden können. Vgl. Tokača, Mirsad: Bosanska knjiga mrtvih. Ljudski gubici u Bosni i Hercegovini 1991–1995 I = The Bosnian Books of the Dead. Human Losses in Bosnia and Herzegovina 1991–1995 I. Sarajevo 2012, 107–108. 41 Vor dem Krieg zählte BiH rund 4,4 Millionen Einwohner. Vgl. Calic, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München 2010, 311. 42 Bis 2007 waren weniger als ein Drittel der rund 50.000 vertriebenen muslimischen und kroatischen Bosnier*innen in die Gemeinde Prijedor zurückgekehrt. Ahmetašević, Nidžara: Bosnia’s Unending War. URL : http://www.newyorker.com/news/news-desk/ bosnias-unending-war (am 10.12.2015). 43 Brenner: Practices of the (Non-)Construction, 365; Ahmetašević: Bosnia’s Unending War; Clark: International Trials; Tokača: Bosanska knjiga mrtvih, 179.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

101

gekommen, die aus Kroatien und den mehrheitlich muslimisch bevölkerten Gebieten Bosniens geflohen waren. Zehn Jahre nach seiner Rückkehr nach Čarakovo beendet Sudbin Musić auf dem Belgrader Podium bei REKOM seine rund halbstündige Aussage mit einer Kritik: Das, was ich heute – ich nutze diese Gelegenheit – sagen muss, ist –, gestern haben wir von Herrn Dulić einen medizinischen Ausdruck gehört, das ist ›Prävention‹. Das, was Bosnien und Herzegowina in diesem Augenblick braucht, ist ein größerer chirurgischer Eingriff in dem Sinne, dass dieser Schnitt – und das ist die Daytoner Teilung innerhalb Bosniens und Herzegowinas, je früher desto besser zusammengenäht werden muss, und in diesem chirurgischem Team kommt auf jeden Fall der erste Platz Serbien und Kroatien zu. Bosnien und Herzegowina, so wie es ist, braucht einen Emulgator, der die drei voneinander geteilten Nationen zusammenfügt und das sind in diesem Fall –. Dieser Emulgator können die Rückkehrer sein, also Opfer wie ich. Solche Leute, die Leid durchgestanden haben und zurückgekehrt sind, um zu leben, in diesem Fall bin ich zurückgekehrt, um mit Serben zu leben, um in dem Heim zu leben, wo ich geboren wurde, von wo ich vertrieben wurde. Die Rückkehrer sind leider, dank der politischen Szene in der gesamten Region vernachlässigt und es ist offensichtlich, dass diesen Emulgator noch immer niemand erwünscht. Ich entschuldige mich bei allen, falls ich zu viel Zeit in Anspruch genommen habe. Besonders entschuldige ich mich bei den Opfern, denen hier, ohne Rücksicht auf Nationalität und Religionszugehörigkeit, ganz besonders bei denen, die noch viel mehr Leid als ich durchgestanden haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.44

Seine persönlichen Kriegserfahrungen hat der junge Mann nun ausführlich geschildert und aus ihnen leitet er seine politische Kritik ab, die eine Unterstützung der Rückkehrer*innen in Bosnien und Herzegowina fordert. Obwohl er es zunächst so darstellt, dass er gezwungenermaßen zurückkehrte, hat er aus seiner Rückkehrerrolle nun anscheinend Sinn geschöpft, denn genau Leute wie er könnten etwas bewirken im Nachkriegsbosnien, wenn sie denn eine öffentliche Stimme erhalten würden. Die ethnische Spaltung des Landes (»Daytoner Teilung«) erlebt der Bosniake als untragbar, er wünscht sich ein Bosnien, in welchem »die drei voneinander geteilten Nationen [wieder] zusammengefügt« werden. Sudbin Musić wünscht sich am Ende seiner Erzählung zum Punkt vor dieser Gewalterfahrung zurück. Es macht das Format einer Wahrheitskommission aus, dass die Erzählenden mitteilen können, was sie möchten und keine Moderation eingreift, Fragen stellt oder die Erzählung zu lenken versucht. So wurde es zumindest bei REKOM als Regel vermittelt. Es wurde zwar zu Beginn darauf hingewiesen, dass es um das Erzählen der persönlichen Kriegserfahrungen geht. Entscheidet sich aber ein Zeitzeuge auch anderes zu verlauten, muss das so hingenommen werden. 44 Svedočenje: Sudbin Musić.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

102 3.2.2 Saranda Bogujevci

Ein halbes Jahr nach Sudbin Musićs Aussage bei REKOM erzählte Saranda Bogujevci von ihren Kriegserfahrungen auf dem vierten regionalen Forum der REKOM Initiative, am 29. Oktober 2008 in Prishtina, Kosovo. Saranda war mit 23 Jahren die jüngste Aussagende unter den sieben Zeitzeug*innen aus dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina und Kroatien.45 Die auf Albanisch und Bosnisch-Kroatisch-Serbisch gehaltenen Opfererzählungen mit Simultanübersetzung in die jeweils andere Sprache fanden in zwei Blöcken innerhalb von fünf Stunden eines Mittwochvormittags statt. Die Leiterin des serbischen Menschenrechtsfonds, Nataša Kandić, moderierte die Aussagenden kurz an, Fragen aus dem Publikum erlaubt dieses Format allerdings nie. Zeitliche Vorgaben der Erzählungen scheint es nicht gegeben zu haben, zumindest variierten die Aussagen hier zwischen sieben und 46 Minuten.46 Neben der in einer feinen, gelben Bluse gekleideten, dunkelhaarigen Saranda Bogujevci sitzt ihr Cousin Fatos. Der hochgewachsene, schmale junge Mann in violettem Pullover über schwarzem Rollkragen verhält sich wachsam, beruhigend und unterstützend neben der jungen Frau. Saranda spricht langsam, auf Albanisch, mit gesenktem Blick. Sie ist konzentriert und wirkt, als ob ihre Augen in sich gewendet wären: Guten Morgen allen! Ich wollte mich zunächst bei Ihnen bedanken, dass Sie heute hierhergekommen sind, um die Aussagen von jedem von uns zu hören. Ich bin Saranda Bogujevci, ich komme aus Podujeva. Fatos ist mein Bruder vom Onkel. Am 28. März 1999 ist die serbische Armee in unsere Stadt Podujeva eingedrungen. Zu dieser Zeit waren wir alle in unserem Haus, und sie haben uns gesagt, dass die serbische Armee in jedes Haus geht und die Familien aus ihrem Heim wirft. Wir haben gedacht, dass uns die gleiche Sache passieren wird, aber wir haben gedacht, dass es gut wäre, wie alle anderen fortzugehen und dann wären wir ok. An diesem Tag, es war ein sonniger Tag, Sonntag und es war Bajram. Die serbische Armee ist in unser Haus gekommen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir dort, also unsere Familie, und es war auch die Familie Duriqi da, auch waren meines Vaters Tante mir ihrer Schwiegertochter da, die Familie Lugaliu. Sie haben uns aus dem Haus geworfen, und von hier aus haben sie mit den anderen Häusern weitergemacht, das heißt mit den Häusern 45 Vgl. die Filmaufnahmen der Aussage auf Albanisch mit BKS -Untertiteln. URL : http:// www.recom.link/saranda-bogujevci-6/ (25.04.2019). 46 Vgl. CDs, Javno slušanje. IV Regionalni forum o upostavljanju pravde u post-jugoslovenskim društvima, 28.–29.oktobar 2008, CD 1: Semir Ibrahimović (BiH), Manda Patko (HR), Milena Radević (KOS / SRB), CD 2: Saranda Bogujevci (KOS), Marica Šeatović (SRB / H R), Xhafer Veliu (KOS), Agron Shabani (KOS); erhalten auf der Mitgliederversammlung der REKOM Initiative am 15.10.2010, Zagreb, Archiv d. Vf.. Da die Aufnahmen, wie im Fall Sarandas, möglicherweise nicht die gesamten Aussagen wiedergeben, kann ihre wirkliche Dauer im Nachhinein nicht mehr bestimmt werden.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

103

unserer Nachbarn. Sie haben uns kontrolliert, sie haben gefragt, wo sich die Männer befinden. Die hatten sich vorher von den Häusern entfernt, weil wir immer befürchtet hatten, dass sie sie töten würden, und wir haben gedacht, weil wir Frauen und Kinder waren, würde uns nichts zustoßen. Als wir im Haus eines unserer Nachbarn waren, haben sie die Frau meines Onkels, Fatos’ Mutter, von uns getrennt und uns haben sie auf die Straße geworfen, in die Nähe der Polizeistation, dort gab es auch andere Soldaten in verschiedenen Uniformen, dort draußen. Die ganze Zeit haben sie geschrien, geflucht und sie haben den Vater von Enver Duriqi von uns getrennt, der war so um die 70 Jahre alt, und den Onkel meiner Mutter, Selman Gashi. Sie haben sie in einen von zwei Läden gebracht, die es dort gab, und wir hörten zwei Schüsse. Von dort haben sie uns wieder zurückgeführt in den Garten unseres Nachbarn. Dort habe ich die Frau meines Onkels, Shefkate, gesehen, und das, was ich auf Serbisch verstehen konnte, war, dass sie sagte: ›das sind doch nur Kinder‹, und daher bin ich hinter das Haus gegangen und einer der Soldaten hat meines Onkels Frau weggestoßen und einmal auf sie geschossen, daraufhin habe ich meinen Kopf in Richtung meines Onkels Kinder gedreht, alle haben geweint und gerufen: ›Mutter, Mutter!‹ Sie war da auf dem Boden, der gleiche Soldat hat seine Waffe gewechselt, noch einmal auf die Frau des Onkels, Shefkate, geschossen, sie hat geweint, danach hat er angefangen auf uns alle zu schießen.47

Saranda beginnt nach ihrer Begrüßung direkt mit der Schilderung der Ereignisse am 28. März 1999 in der kosovarischen Stadt Podujeva. Ort, Zeit und Täter (»serbische Armee«) werden sofort klar benannt. Eine friedliche, feierliche Situation wird angedeutet (sonniger Tag, Sonntag, Bajram). Mehrere Familien hatten sich versammelt. Doch die Bedrohung war bekannt, denn die Männer hatten sich bereits ins Versteck begeben. Nur Frauen, Kinder und Alte waren in den Häusern. Ob sie auch flüchten wollten, bleibt unklar, denn Saranda nennt dazu widersprüchliche Angaben (»aber wir haben gedacht, dass es gut wäre, wie alle anderen fortzugehen und dann wären wir ok«, »und wir haben gedacht, weil wir Frauen und Kinder waren, würde uns nichts zustoßen«). Doch das sind wenige Unstimmigkeiten, ansonsten schildert Saranda Bogujevci die Fakten des Massakers an ihrer Familie ohne Umschweife. Die Tante wurde von den Kindern getrennt und die Kinder »aus dem Haus geworfen«. Dann wurden auch die Alten von den Kindern separiert und in Geschäften erschossen. Dass die Kinder sich eine Zeitlang in der Nähe einer Polizeistation aufhielten, wo auch »andere Soldaten in verschiedenen Uniformen« waren, deutet an, dass es sich bei den Tätern im Garten um eine andere, spezielle Einheit »der serbischen Armee« handelte. Dramatische Szenen des 47 Svedočenje: Saranda Bogujevci, 29.10.2008, Prishtina, BKS -Übersetzung des Transkriptes der albanischen Aussage, erhalten als Ausdruck am 16.10.2014 im Humanitarian Law Center Kosovo, Prishtina. Eine kürzere Version ist online verfügbar unter http://www. recom.link/saranda-bogujevci-6/ (25.04.2019). Übersetzung ins Deutsche durch d. Vf.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

104

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Herumgetriebenwerdens wie Vieh unter Schreien und Flüchen spielen sich ab und nachdem der Soldat einmal auf ihre Tante geschossen hatte, schildert Saranda die Drehung ihres Kopfes zu ihren Cousins und Cousinen. Die Er­ zählung wird dadurch entschleunigt, indem sie eine kleine, zumeist unbewusst ausgeführte Bewegung des Kopfes inmitten der Vorgänge beschreibt. Wie in Nahaufnahme wirkt sodann die Schilderung des Weinens der Kinder und der Ermordung der Tante vor den Augen ihrer Kinder, Neffen und Nichten im Garten des Nachbarn. Vermutlich weil die Kinder schrien beim Anblick der Ermordung ihrer Mutter, eröffnete der Soldat dann das Feuer auch auf die Gruppe. Sowohl bei der Erschießung der Alten als auch der Tante, präzisiert Saranda die Anzahl der Schüsse. Das kann entweder mit ihren vorangegangen Aussagen in Gerichten zu tun haben. Oder es kann auch derart gedeutet werden, dass sich jeder Schuss besonders heftig ins Gedächtnis eingeprägt hatte. Die Schüsse dauerten an: Ich hab mich auf die Erde geworfen, die Kugeln haben mich zuerst im rechten Bein getroffen, danach sind sie gegangen. Man hörte jemanden röcheln, wie wenn du nicht atmen kannst. Erneut haben sie mit Schießen begonnen, das zweite Mal haben mich die Kugeln im Arm und am Rücken getroffen. Nach kurzer Zeit war es still, ich habe nichts gehört und ich habe meine Augen geöffnet und mich umgesehen48, was passiert, denn auf irgendeine Weise, – in solchen Zeiten sagt dir auch dein Instinkt etwas –, und als ob ich wusste, dass sie nicht mehr leben. Dann, als ich mich aufgerichtet hatte, habe ich Genc gesehen, den jüngeren Bruder von Fatos, und er sagte zu mir: ›Saranda, schau, was sie Shpetim angetan haben!‹ Shpetim ist der jüngere Bruder, neun Jahre alt. Als ich den Kopf zurückdrehte, war Shpetim bäuchlings auf meinen Beinen, sie hatten ihn im Kopf getroffen, sein Zustand war sehr schlimm und ich wusste, dass er tot war, er hatte keine Chance gerettet zu werden. Gegenüber von mir befand sich Fatos und ich bemerkte etwas wie einen Teil meines Körpers hinter seinem Rücken, ich dachte, dass auch er gestorben war, aber er hat die Augen geöffnet und mir etwas gesagt, und so habe ich gesehen, dass er lebte. Ich habe auch den älteren Sohn Enver Duriqis gesehen, sein Gesicht war total deformiert. Als ich ihn gesehen habe, wusste ich, dass er in diesem Teil des Körpers getroffen wurde. Ich habe auch meine Großmutter getroffen gesehen, die Schwiegertochter der Tante meines Vaters, Fezdrije, die Tochter des Onkels, Nora – Fatos’ Schwester, die ältere, die gestorben ist. Von da an habe ich Lärm gehört und zu Genc gesagt, dass er liegen bleiben soll, 48 Die serbische Übersetzung der albanischen Aussage, mit der ich hier arbeite, verwendet »ustala sam«, was auf Deutsch »ich bin aufgestanden« heißen würde. Aufgrund der Verletzungen in Beinen, Armen und Rücken und auch unter Berücksichtigung der Beschreibung, dass ihr jüngerer Bruder Shpetim »bäuchlings auf ihren Beinen lag«, ist die serbische Übersetzung aus dem Albanischen unwahrscheinlich. Saranda sagt auf Albanisch »Jam zgju e kam kqyr«, was so viel wie »Ich öffnete meine Augen und sah mich um« bedeutet. Vermutlich wurde beim Übersetzen der albanischen Aussage ins Serbische das Verb »zgju« mit »çu« verwechselt, was aufstehen heißen kann. Ich danke Nebi Bardoshi für die Hilfe beim Nachhören und Übersetzen der albanischen Aussage.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

105

und auch ich habe mich in die Position gedreht, in der ich schon vorher war. Es sind irgendwelche anderen Soldaten gekommen und auch sie waren Serben, aber sie hatten andere Uniformen als die ersten. Sie haben uns mitgenommen und ins Krankenhaus nach Prishtina gebracht.49

Sarandas Schilderung konzentriert sich nun auf Ursache und Wirkung: dass geschossen wurde, was und wer getroffen wurde und mit welchem Ergebnis. Nach den Schüssen herrscht Stille und sie schildert andere Sinneseindrücke (jemand röchelt) und wie sie die Augen öffnete und sich umsah. Ein Orientierungsprozess setzt ein anhand der grundlegendsten Fakten: wer lebt, wer war tot. Sie beschreibt auch hier logisch, was auf Leben verwies (Augen öffnen, sprechen), was auf Tod (im Kopf getroffen, »schlimmer Zustand«, ein durch die Schüsse total deformiertes Gesicht). Ihre eigene Körperwahrnehmung war gestört, ihre Verletzungen sind nicht so recht einzuordnen (»ich bemerkte etwas wie einen Teil meines Körpers hinter seinem Rücken«). Dann zählt sie mehrere erschossene Frauen auf, von denen vorher noch nicht die Rede war, die aber auch unter den Toten der Gruppe waren. Auf diese Orientierungsszene in Stille folgte Lärm und eine Wende. Die schwer verletzten Kinder wurden von anderen serbischen Soldaten gerettet und ins Krankenhaus gebracht. Damit ist die Schilderung des Massakers innerhalb weniger Minuten beendet. Für Saranda Bogujevci war die Aussage auf der REKOM Veranstaltung nicht das erste Mal, dass sie ihre Geschichte erzählte. Ganz im Gegenteil, im Interview mit mir betonte Saranda, dass sie über ihre Erfahrungen viele, viele Male zuvor gesprochen hatte.50 Da war zunächst der Austausch mit ihren vier Cousins und Cousinen, die das Massaker ebenfalls erlebt und überlebt hatten, wie sie auch bei REKOM weiter erzählte: Im Krankenhaus in Prishtina sind wir drei Monate geblieben. Die Tochter meines Onkels, Lirije, haben sie nach Belgrad gebracht nach zwei Wochen, sie war die gesamte Zeit in Belgrad. Ich, Fatos, Jehona – Fatos ältere Schwester, und Genc – Fatos Bruder, waren im Krankenhaus in Prishtina bis zum Ende des Krieges. Das war für mich sehr schwer. Zwei Wochen wusste ich nicht, was mit Fatos, mit Lirije, mit Genc geschieht, ich habe sie überhaupt nicht gesehen. Ich kann sagen, dass die Zeit, die wir im Krankenhaus verbracht haben, wie im Gefängnis war. Es gab Ärzte und Schwestern, die uns sehr schlecht behandelt haben, aber es gab auch Einzelne, die besser zu uns waren. Der Vater und Onkel waren in den Wäldern, das heißt, sie sind weggegangen, gleichzeitig mit allen Albanern, und nach einem Monat haben sie gehört, was passiert war und sie sind ins Krankenhaus nach Prishtina gekommen, um uns zu besuchen. Nach Ende des Krieges, als die NATO in den Kosovo kam, haben sie uns zur medizinischen Behandlung in ihre Basis gebracht, die sie in Prishtina hatten. Das heißt, ich war in ihren Händen, denn im Prishtiner Krankenhaus war es sehr schwierig, weil wir alle 49 Svedočenje: Saranda Bogujevci. 50 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

106

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

sehr schwer verletzt waren. Und dann hat ein Arzt aus England entschieden, dass wir in England, in Manchester, behandelt werden. Im September 1999 sind wir nach England gegangen, Lirije ist etwas später gekommen, weil sie sich in Belgrad befand, das heißt bis dahin war sie nicht zurückgekommen.51

Trotz ihrer Rettung hatte Saranda im von Serb*innen betriebenen Krankenhaus in Prishtina eine sehr schwere Zeit. Erst die Überführung zur Behandlung nach England bedeutete eine Verbesserung ihrer gesundheitlichen Lage. Bereits während des mehrmonatigen Krankenhausaufenthaltes in Manchester sprach Saranda mit ihren Cousins und Cousinen wie auch mit den Krankenschwestern über das Erlittene.52 Im Krankenhaus zuvor in Prishtina durfte Saranda darüber nichts verlauten, die albanischen Kinder wurden von den serbischen Ärzt*innen und dem Pflegepersonal dort gezwungen, sich als Opfer der NATO -Bombardierung auszugeben, und es wurde ihnen untersagt mit ausländischen Journalist*innen zu reden.53 Als sie dann in England in die Schule ging, erzählte Saranda ihre Geschichte im Religionsunterricht, wo viele verschiedene konfliktreiche Themen behandelt wurden, eigentlich bezüglich religiöser Konflikte, wie sie einräumt, aber bei ihr ging es darum, dass sie im gleichen Alter war wie ihre Klassenkamerad*innen – 15 oder 16 Jahre alt – und über »wirkliche Ereignisse« berichten konnte.54 Daraufhin wurde sie auch an andere englische Schulen eingeladen, um von ihrem Erlebten zu zeugen. Dass Saranda bereits ein oder zwei Jahre nach dem Massaker vor Mitschüler*innen, aber auch vor ihr fremden, anderen Jugendlichen in einem neuen Land in einer neuen Sprache von ihrer Gewaltgeschichte erzählen konnte, hat auch mit ihrer Familie zu tun. Denn in ihrer Familie herrschte niemals Stillschweigen über das Geschehene: It wasn’t kind of those, you know, forbidden subjects, because it was so painful. I think it was really important for us to talk about it, and to talk about the family. Because that really helped us instead of trying to bury it.55

In Sarandas Familie wurde nicht nur über das grausame Geschehen immer wieder gesprochen, sondern es gab auch eine künstlerische Neigung, die der Heranwachsenden offenbar noch mehr als Worte half, mit dem Erlebten zurecht zu kommen. Seit ihrer Schulzeit, so sagte sie mir, verarbeitete sie vieles auf künstlerische Weise: 51 Svedočenje: Saranda Bogujevci. 52 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 53 Traynor, Ian: In Cold Blood. URL : http://www.theguardian.com/world/2003/jul/10/war​ crimes.balkans (am 26.09.2015). 54 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 55 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

107

It’s my way of expressing how I feel, because it’s not just about telling the story, but it’s about how that changed my life and how that experience made me feel and what really –, how it affected me physically and mentally and emotionally. So it’s –, you know, all of these things are really important. And through art there’s always ways that you can express that, sometimes easier than kind of trying to talk about it through words.56

Der künstlerische Umgang mit dem Erlebten sei Saranda nicht nur als Ausdrucksmöglichkeit für sich selbst wichtig, sondern auch, weil sie mit Kunst andere Menschen besser erreichen könne als durch das Erzählen von Angesicht zu Angesicht, was, so ihre Erfahrung, etwas Konfrontatives hätte.57 Die Konfrontation mit den Tätern jedoch war etwas anderes. Wenn die junge Frau ihre Geschichte gegenüber den Tätern ausführen kann, dann gibt ihr diese Konfrontation Kraft. Eine solche Begegnung mit einem der Täter war vor Gericht bereits fünf Jahre vor ihrer Aussage bei REKOM erfolgt, im Jahr 2003 in Belgrad. Die Überlebenden der Familien Bogujevci und Duriqi waren eingeladen, vor dem Belgrader Amtsgericht gegen ein Mitglied der serbischen Spezialeinheit »Skorpione«, Saša Cvjetan, auszusagen. Saša Cvjetan war an dem Massaker ihrer Familie beteiligt gewesen. Die »Skorpione« (benannt nach einer Waffe gleichen Namens) waren eine 1991 gegründete Untergruppe der »Einheit für Spezialoperationen« (Jedinica za specijalne operacije – JSO) der Jugoslawischen Volksarmee. 1992 kam die Spezialeinheit unter das Kommando der Armee der Serbischen Krajina, dem selbsternannten Serbischen Territorium innerhalb Kroatiens. Später wurden die »Skorpione« vom Serbischen Innenministerium befehligt, kämpften auch im Bosnienkrieg und 1999 wurden sie als »Spezielle Anti-Terror-Einheit« (Specijalna antiteroristička jedinica – SAJ) im Kosovo eingesetzt.58 Seit 1990 hatten sich in der zur Bundesrepublik Jugoslawien gehörenden autonomen Provinz Kosovo die Unabhängigkeitsbestrebungen in eine Parallelwelt verlagert, in welcher die Albaner ihre Regierung, Präsidentschaft sowie ein paralleles Steuer-, Bildungs- und Gesundheitssystem aufbauten.59 1998 brachen Unruhen aus, die durch ein hartes Vorgehen serbischer Sicherheitskräfte gegen die Separation, welche nun militärisch von der »Kosovarischen Befreiungsarmee« (Ushtria ­Çlirimtare e Kosovës – UÇK) angeführt wurde und durch wirtschaftliche Probleme beeinflusst war.60 Nachdem Vermittlungsversuche des Westens scheiterten und der Konflikt zwischen Serb*innen und Albaner*in­nen im Kosovo eskalierte, entschied sich die NATO ab dem 24. März 1999 gegen militärische 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Vgl. Gordy: Guilt, Responsibility and Denial, 225 Fußnote 82. 59 Calic: Geschichte Jugoslawiens, 303. 60 Zachary, Irwin T.: The Uprising and NATO’s Intervention, 1998–1999. In: Listhaug, Ola / Simkus, Albert A. / Ramet, Sabrina P. (Hg.): Civic and Uncivic Values in Kosovo. History, Politics, and Value Transformation. Budapest 2015, 93–118, hier 94.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

108

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Einrichtungen, Infrastruktur- und Industrieanlagen in der Bundesrepublik Jugoslawien Luftangriffe zu fliegen.61 Jedoch zeitigte die NATO -Operation zunächst den gegenteiligen Effekt, da der westliche Angriff die massiven Säuberungs- und Zerstörungsaktionen beschleunigte. Über 700.000 Menschen flohen davor aus dem Kosovo nach Mazedonien, Albanien und Montenegro, 400.000 wurden zu Binnenflüchtlingen.62 Der Einsatz der serbischen Spezialeinheit unter den Namen »Skorpione« in der nordost-kosovarischen Stadt Podujeva erfolgte vier Tage nach Beginn der NATO -Operation. Für seine Beteiligung an diesem sogenannten »Anti-Terror-Einsatz« wurde Saša Cvjetan vier Jahre danach in Belgrad der Prozess gemacht. Der Prozess gegen Cvjetan begann am gleichen Tag (am 12. März 2003), an dem der serbische Premier, Zoran Đinđić, in Belgrad von einem Scharfschützen ermordet wurde. Đinđić hatte zuvor Slobodan Milošević an das Haager Kriegsverbrechertribunal ausliefern lassen. In Anbetracht dieser zweifelhaften Sicherheitslage kostete es Saranda und ihrer Familie große Überwindung einige Monate später nach Belgrad zu reisen. Sie berichtete davon in ihrer Aussage bei REKOM: Mit der Hilfe von Nataša Kandić wurden wir nach Belgrad eingeladen, um auszusagen, im Juli 2003. Es war sehr schwer sich zu entscheiden, während der ganzen Zeit haben wir in der Familie darüber gesprochen. Das heißt, es war sehr hart nach Belgrad zu gehen, wir waren dort nicht sicher und auch, wenn die ganze Familie fährt, waren wir uns nicht sicher, ob wir in Serbien Gerechtigkeit erhalten werden – nachdem, was passiert war, aber es war bedeutend, dass wir wieder hinfahren und aussagen.63

Zu dieser Zeit bezweifelte Sarandas Familie folglich nicht nur ihre Sicherheit auf einer Reise nach Serbien, sondern auch die Möglichkeit schlechthin, vor einem serbischen Gericht Gerechtigkeit zu erfahren. Dennoch entschieden sich alle gemeinsam nach Belgrad zu reisen und Zeugnis abzulegen von dem Verbrechen an ihren Familien. Auf dem REKOM Forum hatte nun der neben ihr sitzende Fatos kurz das Wort und bestärkte Sarandas Erzählung über die immense Bedeutung dessen, ihre Befürchtungen zu überwinden, er schloss mit den Worten: Es war sehr schwer, aber wir haben es geschafft und ich denke, dass es jede Minute wert war. Und wenn sie noch einen finden, der an der Ermordung unserer Familie beteiligt war, werden wir das Gleiche tun, noch einmal von Anfang an, ohne irgendwelche Angst.64 61 Calic: Geschichte Jugoslawiens, 326. 62 Reuter, Jens / Clewing, Konrad: Der Kosovo-Konflikt. Ursachen, Verlauf, Perspektiven. Klagenfurt 2000, 117. 63 Svedočenje: Saranda Bogujevci. 64 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

109

Dann erklärte Saranda weiter: Ich möchte nur sagen, dass wir dort hingefahren sind und ausgesagt haben, war sehr bedeutend, denn dort wurde der erste Schritt getan. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen, die das Verbrechen begangen haben, frei sind. Dass sie ein glückliches Leben haben und mit dem Leben weitermachen, ihre Familien gründen, nachdem sie bereits eine Familie vernichtet haben. Deshalb – das, was uns zugestoßen ist –, sie haben dazu keinen einzigen Grund gehabt, denn wir haben ihnen nichts Böses getan, wir haben sie nicht einmal gekannt, aber gleichzeitig haben auch sie uns nicht gekannt. Das heißt auch, wichtig ist die Nachricht, die sich an sie richtet, und die ist: ihr könnt nicht frei sein nachdem, was ihr getan habt. Ihr habt euch das Recht genommen, Frauen und Kinder umzubringen und das Leben anderer zu zerstören. Sie sollen wissen, dass sie das nicht tun können, dass sie solch ein Verbrechen nicht verüben können, um dann mit dem Leben weiterzumachen. So kann es nicht funktionieren, denn jeder, der solch ein Verbrechen begeht, muss vor Gericht gestellt werden. Ich habe nie gewollt, – ich habe über unseren Fall vor allem auch in England gesprochen –, [ich habe nie gewollt] den Menschen hasserfüllt davon zu erzählen, aber es war immer wichtig, auch für die Familie, dass die Wahrheit gesagt wird. Diejenigen, die Verbrechen begangen haben, müssen vor Gericht gestellt werden, um für das, was sie getan haben, bestraft zu werden. Ich denke, dass wir das vollbracht haben und ich denke, dass unsere Nachricht überall angekommen ist. Ungeachtet dessen, wie jemand solch eine Sache erlebt, wenn du zusiehst, wie deine Familie vor deinen Augen umgebracht wird, für ein Kind ist das sehr schwer, sehr schwer…65

Saranda kann nicht weiter reden, sie bricht ab und ringt um Fassung. Nataša Kandić versucht ihr zu helfen und schlägt vor, die Namen der Getöteten aufzuzählen. Sie bringt das Wort »Getötete« in dieser angespannten Situation gleichwohl nicht über die Lippen, sondern sagt »die Namen der –« und Saranda versteht. Daraufhin erwähnt Saranda zum ersten Mal in ihrer Aussage ihre Mutter Sala als Getötete, gefolgt von ihren beiden jüngeren Brüdern Shpend und Shpetim, dann die Mutter ihres Cousins Fatos, seine ältere Schwester Nora, ihre Großmutter, ihre Tante und deren Schwiegertochter und die gesamte befreundete Familie Duriqi – das waren die Großeltern, die Ehefrau und ihre vier Kinder. Der Vater, Enver Duriqi, versteckte sich wie auch Sarandas und Fatos Vater irgendwo außerhalb Podujevas. Die Tante und die befreundete Familie Duriqi waren aus ihren Dörfern in die Stadt Podujeva gekommen, als sich auf dem Land die Kämpfe zwischen der UÇK und serbischen Kräften intensivierten. Die einzelnen Namen der getöteten Kinder der befreundeten Duriqi-Familie fallen Saranda in dieser Situation nicht mehr ein. Sie versucht es mit Unterstützung von Nataša Kandić noch einmal, doch ihr Gedächtnis stellt sich nicht ein. Das ist ihr sehr unangenehm, mit hängendem Kopf entschuldigt sie sich. Die Kamera schwenkt zum Publikum, 65 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

110

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Schnitt. Danach zeigt sie, wie Saranda in gestärkter Haltung auf dem Podium sitzt, ihr Blick ist aufgerichtet, ihre Gesten sind nicht mehr flüchtig, sondern klar und offen, und ihre Stimme ist lauter, bestimmter als zuvor. Sie bekundet ihr Mitgefühl an der zuvor erzählten Geschichte von Semir Ibrahimović, dessen Vater durch die »Skorpione« im Bosnienkrieg ermordet wurde, und setzt dann fort: Ich möchte sagen, dass der Gerichtsprozess bedeutend ist. Als wir das erste Mal gegangen sind um auszusagen, hat uns das Kraft gegeben, wir konnten die Wahrheit sagen, das, was uns passiert ist, und niemand, auch nicht die Verbrecher, können uns daran hindern zu erzählen, was passiert ist. Wir haben es ihnen ins Gesicht gesagt und sie konnten es uns nicht verbieten. Und es ist wichtig, dass die Wahrheit gesagt wird. Wir haben diese Kraft, die Wahrheit zu sagen.66

Die gefilmte Aufnahme von Sarandas Aussage ist hier zu Ende. Laut Transkript spricht Saranda aber weiter: Sie können uns zu diesem Zeitpunkt nicht daran hindern, sie können gar nichts machen. Es ist wichtig, dass wir ihnen zu verstehen geben, was sie getan haben, und dass sie vielleicht eines Tages begreifen, dass es nicht rechtens war, was sie getan haben. Dass wir ihnen sagen, dass wir jung waren und dass wir weder Waffen, noch etwas anderes hatten, und sie haben mit Waffen und zahlreichen anderen Mitwirkenden unsere Familien getötet. Jetzt allerdings, zu dieser Zeit, sind wir es, die die Möglichkeit haben, die Wahrheit zu sagen und sie haben keinerlei Macht es zu verhindern, dass wir darüber sprechen, was passiert ist, das heißt, sie haben keinerlei Kraft. Wir haben sie und jetzt sind wir an der Reihe, dass wir die Wahrheit sagen und dass wir für die Wahrheit kämpfen und sie haben keine Kraft, das zu verhindern. Es ist wichtig die Wahrheit zu sagen, sie vor ihnen zu sagen, damit sie begreifen, dass sie entgegen ihrer Absicht uns zu töten, uns zu vernichten, sodass niemand aus unserer Familie überlebt, sie es nicht geschafft haben und es nie schaffen werden, und wir unsere Kraft haben, dass wir keine Waffen oder etwas anderes brauchen. Das heißt, wir kämpfen für Gerechtigkeit, wichtig ist, dass …67

Hier bricht nun wiederum die serbische Übersetzung des Transkriptes, das ich erhalten habe, mitten im Satz mit dem Ende der Seite ab, die Fortsetzung auf einer anderen Seite fehlt. Vermutlich wiederholt sich Sarandas beschwörend wirkende Darstellung der Bedeutung ihrer Aussage vor Gericht noch weiter, welche Unschuld und Unrecht durch die Mitteilung der Wahrheit im Angesicht der Täter in Kraft und Gerechtigkeit umzuwandeln vermag. Doch das bleibt eine Vermutung.

66 Ebd. 67 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

111

3.2.3 Erzählen in einer Wahrheitskommission

Die beiden vorgestellten Fälle haben gemeinsam, dass sie von ihren Kriegserlebnissen auf dem Podium einer inoffiziellen Wahrheitskommissionssitzung berichtet haben. Trotz des gleichen Formats variieren jedoch beide Erzählungen erheblich. Sarandas Erinnerungen konzentrieren sich auf zwei Punkte, sie rekonstru­ iert einerseits die Vorgänge des Massakers an ihrer Familie an einem Märzmorgen 1999 in Podujeva, andererseits berichtet sie allgemeiner über ihr Leben danach und dabei insbesondere über die Rolle der Aussage vor Gericht für ihre Aufarbeitung. Saranda spricht langsam auf Albanisch. Sie redet etwas weniger als 20 Minuten und beginnt direkt nach ihrer Danksagung mit der Schilderung des Angriffes. Kurz und bündig rekonstruiert sie das Massaker. Den weitaus größeren Teil ihrer Erzählung bei REKOM nimmt aber Sarandas Aufarbeitungsgeschichte ein. Sudbin spricht schnell auf BKS . Seine halbstündige Erzählung bei REKOM bezieht sich auf mehrere Kriegsereignisse in seinem Heimatort Čarakovo innerhalb mehrerer Monate im Jahr 1992, in welche er viele Kontextinformationen und Details einbaut. Seinem Leben nach dem Krieg widmet er in seiner Aussage nur einen sehr kurzen Teil, der in politische Äußerungen mündet. Eine Reflexion des Umgangs mit seinen Kriegserfahrungen ist nicht Bestandteil seiner Erzählung. Beide hatten bis zum Jahr 2008, als sie bei REKOM von ihrer Gewalterfahrung während der Jugoslawienkriege zeugten, sehr unterschiedliche Erfahrungen der Aufarbeitung gemacht. Die Kosovo-Albanerin setzte sich seit ihrer Kindheit in verschiedenen Formen, sowohl privat mit den überlebenden Familienmitgliedern als auch öffentlich immer wieder mit dem erlebten Grauen auseinander. Seit ihrem Aufenthalt in Manchester erhielt sie psychologische Unterstützung. Doch obwohl Sarandas Aussage bei der REKOM Sitzung inhaltlich kurz und bündig ausfällt, verwiesen ihre angespannte Körperhaltung auf dem Podium, ihr nach unten vor sich gerichteter Blick, ihr Verlust der Fassung und danach ihres Gedächtnisses, sowie die Notwendigkeit, ihren Cousin unterstützend neben sich sitzend zu wissen, von der enormen Anstrengung und Schmerzhaftigkeit, die das Erzählen trotz der Übung mit sich brachte. Sudbins Haltung auf dem Podium wiederum war aufrecht und relativ gelassen, er blickte ins Publikum und betonte zudem, »dass er sich sehr gut erinnere«. Inhaltlich jedoch fiel seine Erzählung ungleich komplizierter und auch länger aus. Viele Details, aber auch Erzähllücken, Sprünge und teilweise widersprüchliche Informationen prägten den Inhalt seiner Aussage. Diese gab es gleichwohl auch in Sarandas kondensierter Erzählung. Erzähllücken, Unklarheiten und Widersprüche lassen auf die Traumatisierung der Erzählenden schließen. Denn ein Trauma äußert sich gerade in der © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

112

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Fragmentierung der Erinnerung, welche sich einer Narrativierung entzieht: »If trauma creates  a separation from the self,  a fragmentation of identity, then the process of narrating  a trauma mimics this fragmentation.«68 Die Schrecken, die Sudbin in verschiedenen Situationen über mehrere Monate der »ethnischen Säuberungen« im Nordwesten Bosniens erlebte, wohnten der Sprache seiner Rekonstruktion inne, immer wieder passierte etwas »plötzlich«, »erschien« auf einmal jemand hier oder dort. Die Literaturwissenschaftlerin und Expertin für Traumatheorie Cathy Caruth beschreibt ein derartiges Erschrecken als typisch für traumatisierte Opfer, es zeuge von der Unverständlichkeit des Erlebten, oder anders formuliert, von der kognitiven Unzugänglichkeit der Erfahrungen Traumatisierter.69 Sudbin thematisiert seine Angst auch direkt und fordert die Zuhörer*innen bisweilen auf, sich in seine Situation von damals hineinzuversetzen; er wirbt somit auch um Verständnis für seine Gefühle und die Schwierigkeiten damit. Dass dafür explizit Raum zur Verfügung steht, ist ein Kennzeichen von Erzählungen in einer Wahrheitskommission. Für Sudbins Zeugnis bei REKOM befand ich es, auch aufgrund der Länge, als unabdinglich, die Komplexität der Informationen und Vorgänge durch Erläuterungen und Deutungen aufzuschlüsseln. Saranda beschränkt sich zunächst auf eine recht faktische Rekonstruktion der Vorgänge des Massakers. Ihre Schilderung der Ereignisse auf der Wahrheitskommissionsitzung bei ­ EKOM ähnelt ihren Darstellungen vor Gericht. Die folgenden Teile, in welR chem sie kurz aus ihrem Leben danach berichtet und vor allem die Bedeutung ihrer Aussage vor Gericht beschreibt, sind aber auch von Brüchen gekennzeichnet. Diese Erschütterungen betreffen jedoch nicht, wie bei Sudbin, die Erzählung, sondern hauptsächlich Sarandas Verfassung: sie kann nicht weitererzählen und sich etwas später dann nicht mehr an die Namen erinnern. Ihr Körper wehrt sich physisch und psychisch gegen das Erzählen. Humphrey hielt fest, dass das Gedächtnis bei Traumatisierten häufig ein Erinnern vermeidet, um sich gegen ein Wiedererleben des Schmerzes zu wehren.70 Während also bei Sudbin Störungen in der Narration auftraten, hat das Trauma bei Saranda die Realisierung des Erzählens an sich, also die Perfor­ manz, beeinträchtigt. Ihr Verlust der Fassung trat jedoch nicht bei der faktischen Rekonstruktion des Massakers ein, worin sie geübt war, sondern vielmehr bei dem Versuch zu beschreiben, was es bedeutet, dass sie all das mit- und überlebt hat. Die Moderatorin Nataša Kandić verstand in diesem Moment sehr gut, dass eine Rückkehr zur Darstellung der Fakten von den 68 Greenberg, Judith: The Echo of the Trauma of Echo, In: American Imago 55 (3), 1998, 319–347, hier 323, zitiert von Humphrey: The Politics of Atrocity, 112. 69 Caruth, Cathy: Unclaimed Experience. Trauma, Narrative, and History. Baltimore 1996, 6. 70 Humphrey: The Politics of Atrocity, 112.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

113

schmerzhaften Gefühlen ablenken würde und schlug sodann vor, die Namen der dabei Umgekommenen aufzuzählen. Derart sammelte sich Saranda zeitweilig, bis kurz danach ihr Gedächtnis sie im Stich ließ. Da die filmische Aufnahme der Aussage geschnitten ist, bleibt das Ende von Sarandas Aussage nur denjenigen vorbehalten, die live im Oktober 2008 in Prishtina dabei gewesen sind. Das Transkript endet in einer sich ständig wiederholenden Beschwörung ihres Kampfes für Gerechtigkeit und ihrer Kraft, den Tätern ohne Angst die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, mit dem Seitenende mitten im Satz. Diese Wiederholungen zeugen von einem erneuten Kontrollverlust Sarandas, dieses Mal aber über ihr Narrativ. Ein Anliegen in diesem Kapitel war es herauszufinden, was bei einer Wahrheitskommissionssitzung erzählt wird und wie sich das Erzählen gestaltet. Es lässt sich festhalten, dass es beim Erzählen in einer Wahrheitskommission zunächst um das Zustandekommen des Erzählens an sich geht. Das Format schafft einen Raum, in welchem Geschädigte ihr Leid artikulieren können. Wie und in welchem Umfang sie das auf dem Podium tun, wurde ihnen bei REKOM weitgehend selbst überlassen. Dennoch kann nicht jede*r auf einer Wahrheitskommission ihre / seine Geschichte platzieren, denn eine Auswahl der Zeug*innen anhand vorher festgelegter Ereignisse, zu denen Informationen bereitgestellt werden sollen, findet im Vorfeld statt. Eingriffe in den Erzählakt erfolgen jedoch üblicherweise nur, um die Erzählung überhaupt in Gang zu bringen. Das Ermöglichen des Erzählens durch eine Wahrheitskommission bezeichnet Phelps als »building voice«.71 Sie benennt das Gefühl von Machtlosigkeit als Kernmerkmal von Opfern und meint, dass durch das Erzählen in einem öffentlich anerkannten Raum Opfer ein Stück Kontrolle über ihre Erfahrung wiedererlangen könnten. Die REKOM Initiative arbeitet mit den gleichen Überzeugungen; ihr Newsletter trägt den Titel »VOICE!/ GLAS!« und jener Teil auf der REKOM Internetseite, wo die Aufnahmen und Transkripte der Aussagen auf den Wahrheitskommissionssitzungen eingestellt worden sind, heißt »die Stimme der Opfer«.72 Besondere Bedeutung kommt bei der Artikulation des Erlebten dem Übersetzen zu, welches sowohl simultan während der Aussagen stattfindet, als auch im Nachhinein für die Erstellung eines Berichtes. Dass jeder in seiner eigenen Sprache von seinen Erfahrungen berichten kann, betrachtet Sanders als eine wichtige Voraussetzung der Anerkennung: »[…] the other is acknowledged as other rather than assimilated to the ›self‹, […] the commission agrees provisionally to hear, and speak, the language of the other.«73 Ein beträcht-

71 Phelps: The Ethics of Storytelling, 169. 72 URL : http://www.recom.link/sr/category/glas-zrtava-sr/ (20.01.2019). 73 Sanders: Ambiguities of Witnessing, 19.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

114

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

licher Teil der Arbeit einer Wahrheitskommission besteht demnach in der Dokumentation und der sorgfältigen Übersetzung des Erzählten. Die dokumentarische Arbeit, wie sie diesbezüglich REKOM erstellt hat, könnte verbessert werden. Bei Sudbin sind zwar sowohl die gefilmte Aufnahme und die Transkription der Erzählung vollständig dokumentiert, zwischen Aufnahme und Transkript bestehen jedoch einige Differenzen, hinzu kommt eine falsche Einleitung auf der Internetseite zu seiner Aussage: Das Bild eines extrem dünnen jungen Mannes vor einem Drahtzaun im Lager ­Trnopolje ist um die ganze Welt gegangen. Dieser junge Mann, Sudbin Musić, sagte auf dem dritten regionalen Forum für Transitional Justice in Belgrad, 11–12. Februar 2008, in Belgrad aus.«74

Auf dem Foto aus Trnopolje, das »um die ganze Welt gegangen ist«, wird allerdings inmitten einer Menschenmasse hinter Stacheldraht nicht Sudbin Musić, sondern der abgemagerte Fikret Alić abgebildet.75 Es handelt sich somit um eine Fehlinformation zum BKS -Transkript der Aussage. In der englischen Version der REKOM Webseite ist diese Information wiederum der Einleitung nicht beigefügt worden.76 Die Aufnahme der Aussage Sarandas bei REKOM ist unvollständig (geschnitten), eine Transkription ihrer Erzählung in der Originalsprache (Albanisch) fehlt ganz, die Übersetzung ins BKS ist unvollständig und fehlerhaft. Diese und andere Ungenauigkeiten sind verständlich, wenn öffentliche Aufgaben wie Forschung und Dokumentation von zivilgesellschaftlichen Akteuren als Projekte erbracht werden und nicht von wissenschaftlichen Einrichtungen.77 Auch letztere sind natürlich nicht vor Fehlern gefeit, doch arbeiten Wissen74 Svedočenje: Sudbin Musić. 75 Vgl. das Interview mit Alić, das der britische Reporter 17 Jahre nach dem Foto mit ihm gemacht hat. Vulliamy, Ed: ›I am Waiting. No One Has Ever Said Sorry‹. In: The Guardian vom 26.07.2008. 76 URL: http://www.recom.link/treci-regionalni-forum-sudbin-music-i-deo/ (am 20.01.2016). Auf der Studienreise von Memory Lab durch Nordwest-Bosnien führte uns Alić durch Trnopolje und brach bei seinen Erläuterungen zusammen, vgl. Feldnotizen d. Vf., 20.10.2011, Trnopolje. 77 Beispielsweise dokumentiert REKOM für das vierte regionale Forum am 28.–29.10.2008 in Prishtina eine Teilnehmerzahl von 325 Personen. Diese Zahl wird danach im Bericht darüber aufgeschlüsselt in über zweihundert Opfer oder Vertreter*innen von Opferorganisationen, zirka einhundert junge Leute von Jugendorganisationen und Schulen, sowie Jugendliche, die keinen Organisationen angehörten und über einhundert Menschenrechtsaktivist*innen und NGO -Mitglieder, einige Richter*innen und Anwält*innen sowie zwanzig Vertreter*innen der »Vereinigung der Familien von entführten, getöteten und verschwundenen Polizisten im Kosovo«. Die Gesamtsumme von 325 Teilnehmer*in­ nen stimmt somit nicht mit den Untereinheiten (200+100+100+20=420) überein. Eine Teilnehmerliste für das Forum ist auf der Seite nicht vorhanden. Vgl. URL : http://www. recom.link/iv/ (am 25.09.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

115

schaftler*innen gemeinhin unter anderen Voraussetzungen als NGOs. Eine Dokumentationsarbeit findet in NGOs in Projektform statt, bei der es häufig wichtiger ist nachzuweisen, dass etwas passiert ist und die Mittel sinnvoll eingesetzt wurden. Eine sorgfältige, methodische Absicherung der Tätigkeiten und eine Offenlegung aller Arbeitsschritte, die zu den Ergebnissen geführt haben, fallen dann dem Ergebniszwang und dem Zeitdruck der Projektarbeit anheim. Sarandas Fall ermöglicht es auch, an dieser Stelle auf den Unterschied des Erzählens in einer Wahrheitskommission und im Zeugenstand von Gerichten einzugehen. Vergleicht man die Performanz der Aussagen vor einer Kommission und vor einem Gericht, so wird deutlich, dass die Art des Erzählens in den jeweiligen Institutionen eine andere ist. Am Beispiel der Thematisierung von Sarandas Mutter in beiden Formaten lässt sich das gut veranschaulichen: In ihrer Aussage bei REKOM kommt ihre Mutter nicht vor, so als ob sie gar nicht beim Massaker dabei gewesen wäre. Erst auf die Frage nach den Getöteten nennt Saranda als erste Sala. Möglicherweise hätte sie ihre Mutter überhaupt nicht erwähnt, weil ihr Verlust zu schmerzbesetzt ist, wäre es nicht zu der Unterbrechung gekommen, sodass die Moderatorin durch eine die Erzählung weiter stimulierende Frage eingreifen musste. Nataša Kandić kannte Sarandas Geschichte sehr gut und nutzte diese Gelegenheit gezielt, um die fehlende Information anzuregen. Im Vergleich dazu lieferte Saranda vor dem ICTY 2009 in Den Haag diese Information wie folgt. Ihr wird ein Foto gezeigt und sie wird gefragt: Q. Do you recognise the persons on this photograph, Ms. Bogujevci? A. Yes, it’s my mother, Sala, and my father, Safet Bogujevci. Q. Was your mother in the group that was shot in the courtyard? A. Yes, she was. Q. And what happened to your mother? A. She was killed. Q. How old was your mother at the time -A. She was 38. Ms. Kravetz: Could we see the next photograph, please.78

Im Gegensatz zu einer Wahrheitskommission wird im Gericht den Erfahrungen der Opfer nur dann Bedeutung beigemessen, wenn sie der Beweisführung dienen. Das Opfer ist Lieferant bestimmter, benötigter Informationen, die gezielt abgefragt werden: Die Zeugin muss anhand eines Fotos ihre Mutter identifizieren, ihren Vor- und Nachnamen nennen und konkrete Fragen nach Ort

78 ICTY: Case Djordjević, 09.03.2009, S. / F. Bogujevci, 1874–1958, 1895. URL : http://www. icty.org/x/cases/djordjevic/trans/en/090309IT.htm (am 03.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

116

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

und Resultat der Schüsse sowie zum Alter der Mutter beantworten. Es findet eine gesetzlich geregelte, kontrollierte und nach klaren Vorgaben dokumentierte Erhebung von prozessrelevanten Informationen statt. Was die Zeugin währenddessen gefühlt hat und was die Ermordung der Mutter vor ihren Kindesaugen für sie bedeutet, ist im Gericht völlig irrelevant. Kommentarlos geht die Vernehmung zum nächsten Punkt über. Der Vergleich des Zeugens vor einer Kommission und vor Gericht verdeutlicht, dass eine Wahrheitskommission einen anderen Raum für das Erzählen von Gewalterfahrungen ermöglichen kann. Dieser erstreckt sich jenseits der Beweisaufnahme für das Richten über eine*n mutmaßliche*n Täter*in und ist durch die Artikulation vielfältiger Erfahrungen gekennzeichnet. Dabei geht es also nicht nur um Faktenwiedergabe oder eine belegbare Geschichte, sondern auch um subjektive Wahrnehmungen, Beurteilungen und Gefühle. In all diesen anderen Aspekten einer Erzählung, jenseits des Faktischen, liegt die sogenannte »Wahrheit« hier. Dementsprechend wird auch damit gerechnet, dass es aufgrund der Traumata zu Störungen kommen kann. Denn Traumata behindern das Erzählen: However, memory is certainly not always accessible as a straightforward narrative. The memory of violence can be inaccessible and inexpressible because it refers to traumatic experience which is encoded not in verbal narrative and context but in sensations and images.79

Womöglich deshalb wurde den Aussagenden in den Anhörungen der Südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission in den einleitenden Worten suggeriert, dass ihre Traumata etwas Vergangenes seien. Die Moderator*innen verwendeten dort eine Rhetorik, die das Leiden als vergangen deklarierte, was die Opfer jedoch als Widerspruch zu ihren persönlichen Lebenssituationen und ihren sehr gegenwärtigen Schmerzen empfanden.80 Das gewünschte Resultat der Bereitstellung eines solchen, anderen Raums des Zeugnisablegens wurde hier folglich und fälschlicherweise schon vorweggenommen.81 Dass diese Art von Erzählung schmerzhaft für die Erzählenden, aber auch für die Zuhörenden sein kann, ist voraussehbarer Umstand des Formates. Hayner verweist auf damit verbundene Gefahren, etwa einer Retraumatisie79 Humphrey: The Politics of Atrocity, 112. 80 Buckley-Zistel: Narrative Truths, 153. 81 Die Südafrikanische Kommission ist allerdings auch aus einer politischen Konstellation heraus entstanden, die eine Aufarbeitung durch ein Gericht verhinderte, sodass die Wahrheitskommission als Kompromiss eingesetzt wurde, um bestimmte Gewaltakte der Apartheid überhaupt ans Licht bringen zu können. Ihre vorrangige Aufgabe war es, Beweise für schwere Menschenrechtsverbrechen zu sammeln. Vgl. Sanders: Ambiguities of Witnessing, 4.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Artikulieren 

117

rung der Opfer, oder auch Schwierigkeiten bei den Zuhörer*innen, mit dem Gehörten umzugehen.82 Die Leugnung von Gewalttaten kann dann auch eine unbewusste, emotionale Abwehrreaktion sein, weil man sich mit derlei zerstörerischen Geschichten nicht auseinandersetzen möchte oder kann. Nicht alle Zuhörenden und nicht alle Aussagenden sind dieser Offenheit für Schmerz, die auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins bewirken kann, gewachsen: Ein älterer Herr auf einer REKOM Sitzung erzählte beispielsweise zunächst zwar davon, wie er mit seinem Sohn Vukovar verteidigte; als er dann aber ansetzte darüber zu berichten, wie sein Sohn brutal vor seinen Augen getötet wurde und er als Gefangener in ein Lager nach Serbien gebracht wurde, wird seine Erzählung zu einer politischen Kampfrede und seine persönlichen Erfahrungen erwähnt er daraufhin nicht weiter.83 Ein anderer Mann, Serbe aus Kroatien, berichtete von seiner Vertreibung und wie er seine alte Mutter zurücklassen musste, die ihn »gelehrt hatte zu lieben«.84 Seine Mutter wurde nach der Rückeroberung der von Serben besetzten kroatischen Gebiete in der »Operation Sturm« ermordet und dann zerstückelt in ihrem Haus gefunden. Der Sohn fragte ins Publikum: »Warum?« Er zitierte daraufhin Sokrates, Horaz, erwähnte Auschwitz und wie er durch die Prozesse des ICTY gede­ mütigt sei, da diese Racheaktionen an alten, serbischen Zivilisten im Zuge der Rückeroberung der Gebiete durch Kroatien dort nicht ausreichend Berücksichtigung fänden. Da die Aussagen bei einer Wahrheitskommission ihre eigene Dynamik entwickeln, werden sie bisweilen also nicht nur für die Rekonstruktionen der eigenen Erfahrungen, sondern auch für die Wiedergabe von allerlei Schlüssen daraus verwendet. Politische Überzeugungen und Forderungen, Bezüge zur Weltgeschichte, Zitate aus Philosophie und Literatur, Erläuterungen zur ortsüblichen Kultur (wie bei Sudbin), aber auch Tränen, Reflektionen zum Sprechen über den eigenen Schmerz vor einem großen Publikum und über die Rolle von Gerichten bei der Aufarbeitung (wie bei Saranda)  waren Bestandteile der Aussagen auf den Probesitzungen einer Wahrheitskommission bei REKOM . Die Wahrheit solcher Erzählungen liegt folglich in den Wahrnehmungen der Erzählenden.

82 Hayner: Unspeakable Truths, 152 f. Auch ich selbst habe die wissenschaftliche Arbeit mit diesen Aussagen und Gewaltgeschichten als schmerzhaft empfunden. Mir ist es beispielsweise zu Beginn nicht gelungen, Sudbins Aussage ohne Unterbrechungen zu lesen. 83 Feldnotizen d. Vf., 7. Transitional Justice Forum, 16.10.2010, Zagreb. 84 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

118

3.3 Anerkennen Auf die Artikulation der Gewalterfahrung folgen bei Vergangenheitsaufarbeitung allgemein und in Wahrheitskommissionen konkret Vorgänge der An­erkennung. Sie sind verbunden mit der juristischen Aufarbeitung, mit symbolischer Anerkennung, politischen Gesten und öffentlichen Gedenkveranstaltungen, haben schlichtweg aber auch mit der subjektiven Wahrnehmung von Gerechtigkeit zu tun. Diesen mehrfachen und vielfältigen Prozessen der Anerkennung widme ich mich anhand der beiden Fälle in diesem Unterkapitel. 3.3.1 Gerechtigkeit

Die englische Kinderpsychologin, Dr. Lynne Jones, die sich auf Trauma­ tisierungen spezialisiert hat, und die die Bogujevci-Kinder in Manchester betreute, sagte einem Reporter der britischen Tageszeitung The Guardian, als dieser 2003 über den Belgrader Prozess berichtete: »People underestimate the role that justice plays in therapy. For these children, it’s not about revenge, it’s about justice.«85 Das englische »justice« kann sowohl Recht als auch Gerechtigkeit bedeuten. Betrachtet man Sarandas Betonung der Stärkung, die sie durch das Aussagen der »Wahrheit« im Angesicht des Täters erfahren hat, so geht es meinem Verständnis nach hierbei vor allem um das Gefühl von Gerechtigkeit. Denn aus ihrer Erzählung geht nicht hervor, ob der Prozess gerecht abgelaufen ist, wir erfahren auch nicht, ob der Täter verurteilt wurde. Doch bereits die Möglichkeit auszusagen und dem Täter vor Augen zu führen, was er getan hat, bescherte Saranda offensichtlich ein Gefühl von Ausgleich. Interessanterweise erhält die Erzählung über die Konfrontation mit den Tätern vor Gericht in Sarandas Rekonstruktionen ihrer Geschichte mit dem Älterwerden mehr Raum, während ihr Bericht über die Einzelheiten des Massakers knapper wird. 2014, also elf Jahre nach ihrer ersten Aussage vor dem Belgrader Gericht im Jahr 2003, bemerkte Saranda in dem internationalen online Forum »TED«, dass es ihr, je älter sie werde, immer schwerer falle, über die Details jenes schrecklichen Tages zu sprechen.86 Bei TED fasste sie das Geschehen in einem einzigen Satz zusammen: 85 Traynor: In Cold Blood. 86 Die Abkürzung TED steht für »Technology, Entertainment, Design«. Zu diesen Themen wurde 1984 in den USA eine Konferenz organisiert, aus welcher sich eine non-profit Organisation entwickelt hat mit dem Motto »ideas worth spreading«. Um »Ideen zu teilen« bietet TED gefilmte Kurzvorträge zu mittlerweile allen möglichen Themen in max. zwanzig Minuten Länge und in mehr als einhundert Sprachen auf der Internetseite (und youtube) an. URL : http://www.ted.com (am 01.10.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

119

So on the day of the 28th of March, my family and the family of our friend Enver Duriqi were rounded up in our neighbour’s garden and deliberately shot at by a police reserve unit, called the Skorpions – the same unit that took part in the Srebrenica massacre.87

Danach zählt sie lediglich dessen unmittelbaren Resultate auf: die Namen der vierzehn Getöteten  – Sala Bogujevci, Shefkate Bogujevci, Nefise Bogujevci Llugialiu, Fezdrije Llugialiu, Shehide Bogujevci, Shpetim Bogujevci, Shpend Bogujevci, Nora Bogujevci, Fitnete Duriqi, Isma Duriqi, Dafina Duriqi, Arber Duriqi, Mimoze Duriqi und Albin Duriqi. Anschließend benennt sie die außer ihr noch vier schwer verletzt Überlebenden des Massakers – Fatos, Jehona, Lirije und Genc Bogujevci. Sie schildert auch, dass sie sechzehn Kugeln in ihrem Körper hatte: in Arm, Bein und Rücken. Wann, wer, wo, was, durch wen und mit welchen Folgen? Saranda hat das Grauen hier auf bloße Fakten reduziert. In detaillierter Form spricht sie jedoch bei TED über ihre Erfahrungen und Gefühle vor dem Belgrader Gericht im Juli 2003: So my time came to give evidence. I was taken to the courtroom, surrounded by security guards. I was made aware that the accused was in the court; also the bodyguards surrounded me so that I would not have to face him. Feelings of anger took over me and I wanted to face him. And ask him why? And asked him how he felt that he was not going to be a free man. And that he could not stop us from telling the truth. How did powerlessness make him feel? So the time came. I faced him in the courtroom. He was sat about three or four meters away from the stand where I would testify, his whole family was sat behind him. For the two hours I testified, he never looked at me once. And at the end, when it was his turn to speak, he apologized with his head down looking at the floor. It was a very surreal moment. It was a moment when I felt strong and it was a moment when I felt that nothing can ever be lost or forgotten. And that this person is not stronger than me, not even his gun three years earlier made him stronger than me.88

Der Titel ihres TED -Vortrags »Why I Choose to Relive my Family’s Massacre« trifft insofern nicht wirklich den Kern ihrer Erzählung, denn Saranda durchlebt hier eben nicht die entsetzlichen Vorgänge des Massakers noch einmal neu, sondern sie betont die Stärkung, die sie durch den Umgang damit gewonnen hat. Das Zeugen von dem Erlebten in Konfrontation mit den Tätern vor Gericht ist fünfzehn Jahre nach dem Geschehen zu einem bedeutenden Teil dieses Umgangs geworden, der dementsprechend große Resonanz in ihrer Erzählweise erhält.

87 TED* Prishtina, Saranda Bogujevci: Why I Choose to Relive my Family’s Massacre, 11.10.2014. URL : https://www.youtube.com/watch?v=nTj78ZYm978 (am 26.09.2015). 88 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

120

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Auch wenn diese Veränderung in der Erzählung eine tatsächliche Entwicklung in Sarandas Aufarbeitung des Massakers widerspiegeln mag, so muss hier auch berücksichtigt werden, dass TED eine bestimmte Art von Präsentation bereits vorbestimmt. Das TED -Format ist eigentlich kein Medium, um Lebensgeschichten zu rekonstruieren, sondern um Ideen zugänglich zu machen. Dementsprechend braucht Sarandas Geschichte dieses Mal Klarheit und Stringenz, positive Gefühle und möglichst keine brechende Stimme, kein Erinnerungsverlust oder Unbehagen. Ihr Text scheint bis ins Detail vorbereitet zu sein, ihn kennzeichnen kurze Sätze, die kraftvoll wirken, die Geschichte ist chronologisch gut aufbereitet und hat eine positive Endaussage. Streckenweise wirkt es, als lese Saranda den Text sogar irgendwo ab. Nur derart kann sich die Botschaft dieses Vortrags in diesem Format entfalten: »I never thought I would get past that day in the garden. But I did get here.«89 Obwohl die junge Frau also Schreckliches erlebt hat und für eine Zeit danach am Sinn des Lebens zweifelte, hat sie wieder Hoffnung und Lebensmut geschöpft. Ihre Geschichte zu erzählen hat ihr dabei geholfen. Ihre Geschichte zu erzählen ist sogar zu ihrer Stärke geworden. Auf diese Weise ist das Aussagen vor dem Belgrader Gericht im Jahr 2003 zum Kern einer Geschichte geworden, die eine Transformation schildert: ein unschuldiges Kind, das gerade so dem Tod entkommen ist, wird zu einer erwachsenen Zeugin, die für die Wahrheit kämpft und die so Gerechtigkeit, Kraft und Sinn erfahren kann.90 Und tatsächlich endete der Prozess gegen den »Skorpion« Saša Cvjetan am 17. März 2004 in Belgrad mit seiner Verurteilung wegen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung zu zwanzig Jahren Haft.91 3.3.2 Recht

In den Augen des Anwalts der Bogujevcis, Dragoljub Todorović, war die Verurteilung des »Skorpions« jedoch alles andere als eine Geschichte von Recht und Gerechtigkeit: Denn Saša Cvjetan war bereits im Mai 1999 festgenommen und vor dem Amtsgericht des südserbischen Prokuplje wegen Mordes an mehreren Personen im Garten eines Hauses in Podujeva am 28. März 1999 89 Ebd. 90 Saranda war kurz vor ihrer Aussage im Prozess wegen Kriegsverbrechen im Juli 2003 achtzehn Jahre alt geworden. 91 Fond za humanitarno pravo: Podujevo 1999 – van svake sumnje. Beograd 2006. URL : http://www.hlc-rdc.org/wp-content/uploads/2013/07/Podujevo-1999-van-svake-sumnje. pdf (am 29.09.2015), 331. Diese Dokumentenedition enthält umfangreiche Abschriften des Prozesses gegen Cvjetan seit Wiederaufnahme der Anklage im November 2001 in Prokuplje bis zum endgültigen Urteil und dessen Bestätigung im Dezember 2005 durch das Oberste Gericht in Belgrad inklusive der Zeugenaussagen.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

121

angeklagt worden. Cvjetan hat wohl sogar bei der ersten Anhörung seine Beteiligung an der Erschießung gestanden.92 Aus »Mangel an Beweisen« wurden die Ermittlungen jedoch eingestellt und der Angeklagte wurde frei gelassen.93 Gegen diese Entscheidung hat die Anklage Beschwerde beim Obersten Gericht in Serbien eingereicht, woraufhin die Entscheidung über die Einstellung der Untersuchungen im Juli 1999 wieder aufgehoben wurde. Daraufhin passierte jedoch mehr als zwei Jahre gar nichts. Es brauchte den Sturz des Milošević-Regimes (Oktober 2000), den Wechsel des Vorsitzenden des Amtsgerichtes in Prokuplje und eine neue, demokratisch gewählte Regierung unter Zoran Đinđić, bis im November 2001 Saša Cvjetan erneut festgenommen und nun wegen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung angeklagt wurde. Im neuen Prozess gegen den »Skorpion«, der im Oktober 2002 in Prokuplje begann, zog Cvjetan sein Geständnis wieder zurück und plädierte auf unschuldig.94 Der Ankläger erhielt Drohbriefe, andere »Skorpione« sagten aus, dass Cvjetan an dem Tag nicht in dem Garten in Podujeva dabei gewesen war und vor dem Gericht demonstrierten Veteranen in größeren Gruppen mit Flaggen und Transparenten gegen den Prozess.95 Aufgrund der schwierigen Bedingungen im südserbischen Prokuplje wurde das Verfahren fortan an das Amtsgericht Belgrad verlegt, wo es dreieinhalb Jahre nach dem ersten Versuch, am 12. März 2003, wiederaufgenommen wurde. Dank der Aussagen der überlebenden Mitglieder der Bogujevci und Duriqi Familien konnten nun genügend Beweise gesammelt und Saša Cvjetan als einer der Anwesenden bei dem Massaker identifiziert werden, sodass er schließlich im März 2004 zu zwanzig Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung verurteilt wurde. Im Dezember 2004 jedoch wurde das Urteil aufgrund von Verfahrensfehlern und anderen Zweifeln aufgehoben.96 Der Prozess wurde wieder aufgenommen. Ein halbes Jahr später, im Juni 2005, wird Cvjetan erneut zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt, was schließlich und endgültig vom Obersten Gericht der Republik Serbien im Dezember 2005 bestätigt wurde.97 Für Sarandas Geschichte ist diese strafrechtliche Achterbahnfahrt nebensächlich. Für sie zählte einerseits die Möglichkeit, einen der Täter mit der Wahrheit zu konfrontieren und andererseits das Ergebnis: dass der Täter schuldig gesprochen und bestraft wurde. Dass es aber überhaupt dazu gekommen ist, war ein schwieriges Unterfangen, welches einige Hindernisse 92 Ebd., 328. 93 Ebd. 94 Fond za humanitarno pravo: Podujevo 1999, 329. 95 Ebd. 96 Ebd., 332. 97 Ebd., 333.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

122

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

und Neuanläufe erfuhr und erst nach dem politischen Umbruch in Rest­ jugoslawien mit dem Sturz Miloševićs und dank des Einsatzes des Belgrader Menschenrechtsfonds möglich wurde. Doch die Geschichte der strafrechtlichen Aufarbeitung ist mit der Verurteilung von Saša Cvjetan längst nicht beendet. Er war nur einer der Befehlsbefolger. Die Anführer der »Skorpione«, die Brüder Slobodan und Dragan Medić, die die zirka 120 Mann starke »Skorpion«-Einheit anleiteten, waren nicht festgenommen worden.98 Es schien, als wurde Cvjetan als Stellvertreter gerichtet, sodass die führenden Köpfe verschont bleiben konnten. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf. Daran hatten die Aussagen der Bogujevcis einen wichtigen Anteil: Wie Saranda bei REKOM schilderte, war ihre Zeugenaussage vor Gericht im Sommer 2003 nur ein Anfang: Als ein anderes Mitglied der »Skorpione«, Goran Stoparić, davon erfuhr, dass die Überlebenden des Massakers von Podujeva in Belgrad ausgesagt hatten, meldete sich Stoparić im November 2003 bei der Leiterin des Belgrader Menschenrechtsfonds, Nataša Kandić. Die Aktivistin beschreibt die Aussage der »­BogujevciKinder« im Prozess gegen Cvjetan als Schlüsselszene für Stoparić: Die Kinder, die er zum letzten Mal vor der Wand gesehen hatte, eines über dem an­ deren, waren aus ihrem Blut wiederauferstanden und sahen ihm in die Augen, Kinder, die um ihre Mutter weinten. Dieses Bild ist ihm immer wieder erschienen, seitdem er erfahren hatte, dass die Kinder ausgesagt hatten. Deswegen wollte er mit mir reden.99

2002 hatte der »Skorpion« Stoparić noch im Prozess in Prokuplje für ­Cjvetans Unschuld an dem Massaker ausgesagt. Ein Jahr später wollte er aber die Wahr­ heit loswerden und wendete sich an die Menschenrechtsaktivistin, die nicht ohne Stolz und Pathos davon berichtet. Stoparić erzählte Kandić seine gesamte Geschichte vom Eintritt in die Spezialeinheit bis zu den Details in Podujeva. Er war an jenem 28. März 1999 in Podujeva an den Säuberungsaktionen beteiligt.100 Sie schrieb alles auf, gab ihm die Mitschrift zur Überprüfung und überreichte die Aussage daraufhin der Serbischen Staatsanwaltschaft.101 Kurz vor seiner Anhörung vor Gericht erhielt Stoparić Drohungen von seinem frü98 Traynor: In Cold Blood. 99 Fond za humanitarno pravo: Škorpioni. Od zločina do pravde. Beograd 2007. URL : http://www.hlc-rdc.org/wp-content/uploads/2012/06/Skorpioni.pdf (am 29.09.2018), 5. 100 Gemäß Stoparićs Zeugenaussage im zweiten Podujeva-Prozess in Belgrad (seit 2008), war er während des Massakers in der Nähe, konnte aber nicht sehen, wer geschossen hat. Vgl. Transkript svedočenja Gorana Stoparića, 11.05.2009. URL : http://www.hlc-rdc. org/images/stories/pdf/sudjenje_za_ratne_zlocine/srbija/Podujevo2/24-11_05_2009_. pdf (am 22.10.2015). Ich danke Dóra Vuk für die Hilfe beim Lesen des kyrillischen Gerichtstranskriptes. 101 Fond za humanitarno pravo: Škorpioni, 6. 

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

123

heren Kommandanten, sodass er seine Heimatstadt Šid verlassen musste und für mehrere Tage bis zur Anhörung bei Kandić Zuflucht fand. Am Tag der Anhörung im Dezember 2003 ist der Anführer der »Skorpione«, Slobodan Medić, mit seinen Leibwächtern selbst im Publikum des Gerichtssaals zugegen, in Begleitung weiterer früherer Angehöriger der Gruppe.102 Stoparić erklärt unter diesen Umständen, dass er aus gesundheitlichen Gründen an jenem Tag nicht aussagen kann und verlässt den Gerichtssaal und seine zufriedenen ehemaligen Kameraden. Am nächsten Tag bittet er erneut um Anhörung, so Kandićs Erzählung, und liefert mit seiner Aussage zentrale Beweise, um einen Prozess gegen den Anführer der »Skorpione« angehen zu können. Nach zwei Monaten unter Polizeischutz verlässt Goran Stoparić dann im Februar 2004 Serbien.103 Der Prozess gegen Slobodan Medić und vier weitere »Skorpione« wegen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung vor der Serbischen Kriegsverbrecherkammer beginnt knappe zwei Jahre später, im Dezember 2005, nachdem Nataša Kandić aufgrund der Hinweise Stoparićs eine Videokassette erhalten und öffentlich gemacht hatte. Das Video dokumentiert die Ermordung von Zivilisten durch die »Skorpione« im Bosnienkrieg. Die »Serbische Kammer für Kriegsverbrechen« war zusammen mit der »Kammer für die Ahnung von organisiertem Verbrechen« im Juli 2003 gegründet worden.104 Die Ermordung des Serbischen Premiers Đinđić zu Jahresbeginn (welche durch ein Sondergericht zusätzlich untersucht wurde) hatte Anlass zu einem politischen Zeichen gegeben, welches Serbiens Bereitschaft zur juristischen Aufklärung von Verbrechen ausdrücken und den Weg in Richtung Europäische Union unterstützen sollte.105 Das Verfahren gegen Medić und seine Mitstreiter vor der Serbischen Kammer für Kriegsverbrechen endete im April 2007 mit einer Verurteilung des Anführers zu zwanzig Jahren Haft, die anderen Angeklagten erhielten zwischen zwanzig und fünf Jahren Gefängnisstrafe. Es gab einen Freispruch.106 Der Ablauf des Prozesses und die Urteile wurden vom für den Menschenrechtsfond tätigen Anwalt Dragoljub Todorović als politisch motiviert und juristisch unangemessen kritisiert (nicht im Einklang mit den geltenden Verfahrensregeln und den verfügbaren Beweisen).107 Auch die Politikwissenschaftlerin Jelena Subotić beschreibt die Arbeit der Serbischen Kammer für 102 Ebd. 103 Ebd, 7.  104 Subotić: Hijacked Justice, 57. 105 Orentlicher, Diane: Shrinking the Space for Denial. The Impact of the ICTY in Serbia. URL : https://www.opensocietyfoundations.org/sites/default/files/serbia_20080501.pdf (am 27.10.2015), 64. 106 Fond za humanitarno pravo: Škorpioni, 9. 107 Ebd. 734 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

124

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Kriegsverbrechen als problematisch, da sie gekennzeichnet sei von Einschüchterungsversuchen der Richter*innen und Ankläger*innen, einem schwachen Zeugenschutz, eingeschränkten Untersuchungsbefugnissen, einer fehlenden Kooperation mit der Serbischen Polizei und insbesondere dem Bemühen, die Verantwortung des serbischen Staates für die gerichteten Verbrechen im Trüben zu lassen.108 So erhielten Kriegsverbrecher wie Slobodan Medić bei guter Führung auch Freigang, was einige Schlagzeilen bescherte, als der mit Höchststrafe für Menschenrechtsverbrechen Verurteilte auf einem Silvesterausflug 2013 tödlich verunglückte.109 Doch auch hier endet die Geschichte der strafrechtlichen Verfolgungen nach Sarandas Aussage gegen Saša Cvjetan noch nicht. Medić und seine Mitstreiter waren für die Kriegsverbrechen in Bosnien gerichtet worden, fortan wurden aber weitere Mitglieder der Spezialeinheit »Skorpione« nun auch für die Verbrechen am 28. März 1999 in Podujeva festgenommen und angeklagt. Deswegen sagten Saranda und ihre Familienangehörigen im Dezember 2008 wiederholt in Belgrad aus, dieses Mal vor der Serbischen Kammer für Kriegsverbrechen.110 Am 18. Juni 2009 wurden Željko Đukić, Dragan Medić, Dragan Borojević zu zwanzig Jahren und Miodrag Šolaja zu 15 Jahren Haft wegen Verbrechen an der Zivilbevölkerung verurteilt.111 Saša Cvjetan ist mittlerweile jedoch wieder ein freier Mann. Er wurde im März 2018, nachdem er zweidrittel seiner Haftzeit (16 Jahre und vier Monate) abgesessen hatte, wegen guter Führung frühzeitig entlassen.112 Dessen ungeachtet: vor Gericht auszusagen und die Verurteilung der Angeklagten sind für Saranda zu einer wiederholten Erfahrung geworden, die zu ihrer mehrfachen Genugtuung und Stärkung beigetragen hat. Ihre Aussage in Belgrad bewirkte sogar eine Art Läuterung eines beteiligten Täters (Stoparić), der Dank des Wirkens von Nataša Kandić und des Belgrader Menschenrechtsfonds freiwillig und trotz massiver Bedrohung zur Aufklärung des Verbre108 Subotić: Hijacked Justice, 58–60. 109 B92: Kako je Medić dobio slobodan vikend, 02.01.2014. URL : https://www.b92.net/info/ vesti/index.php?yyyy=2014&mm=01&dd=02&nav_category=16&nav_id=795883 (am 18.05.2019). Novosti Online: Medić poginuo dok se vraćao u zatvor, 03.01.2014. URL: http:// www.novosti.rs/vesti/naslovna/hronika/aktuelno.291.html:471597-Medic-poginuo-dok-​ se-vracao-u-zatvor (am 18.05.2019). 110 Die umfangreiche Dokumentation der Zeugenaussagen und Urteile des Prozesses sind online hier zugänglich: Fond za humanitarno pravo: Podujevo II . URL : http://www.hlcrdc.org/Transkripti/podujevo_2.html (am 29.09.2018). 111 Đukić hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt, welche aber letztlich im Urteil vom 11.02.2011 abgewiesen wurde. URL: http://www.hlc-rdc.org/images/stories/pdf/sudjenje_ za_ratne_zlocine/srbija/Podujevo2/slucaj_podujevo_2.pdf (am 14.10.2015), 53. 112 Humanitarian Law Center: Saša Cvjetan, convicted for murder of women and children in Podujevo, set free before sentence expires, 25.04.2018. URL : http://www.hlc-rdc. org/?p=35087&lang=de (am 18.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

125

chens beitrug. Die wiederholten Aussagen und ihre Konsequenzen auch für die Täter haben derart besondere Signifikanz für Sarandas Aufarbeitungsgeschichte und ihr Gefühl von Gerechtigkeit erhalten. 3.3.3 Multidirektionale Anerkennung

Sudbin Musić hat nicht das Gefühl, dass ihm nach allem, was er erlebt hat, Gerechtigkeit wiederfahren ist. Der mittlerweile junge Erwachsene war mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern zurückgekehrt an den Ort, von wo sie vertrieben wurden, an dem sie misshandelt, belagert und an welchem ihr Vater ermordet wurde. Dass sie all das überlebt haben, verdanken sie Zufällen, vor allem aber der Hilfe verschiedener Freund*innen. Die Helfenden waren Kroat*innen und Bosniak*innen, aber auch Serb*innen. Dies mag ein Grund für Sudbins Schwierigkeit gewesen sein, den Feind konkret in der Aussage bei REKOM zu benennen, sowie für sein Festhalten an einem »jugoslawischen Geist« im Interview mit mir, der trotz der Gräueltaten für ihn fortbestand. Im November 2012 bin ich nach Prijedor in die Republika Srpska, Bosnien und Herzegowina, gereist um Sudbin zu interviewen. Prijedor hatte ich als eine gepflegte serbische Kleinstadt erlebt, die mit Denkmälern von Soldaten und Kreuzen auf sauberen öffentlichen Plätzen strotzte. In der Fußgängerzone des an der Bahnstrecke zwischen Banja Luka und Zagreb gelegenen Handelszentrums glänzten renovierte Geschäfte; Wegweiser auf Serbisch und Englisch zeigten den Weg zu Kulturstätten. Der Stadtplan am Busbahnhof verspricht auch einen Sport- und Tennisplatz, eine Schwimmhalle und eine Bibliothek. Doch die im Zentrum rekonstruierte Moschee aus dem 18. Jahrhundert ist darauf nicht verzeichnet. Sie ist von einem mindestens zwei Meter hohen, gusseisernen Zaun umgeben und wirkt in der Fußgängerzone wie ein Überbleibsel aus einer anderen Epoche. Ich hatte den Eindruck, dass an diesem Ort zu sehr darauf geachtet wird zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Alle Moscheen der Gemeinde Prijedor und das muslimische Kulturerbe wurden während des Krieges zerstört, auch katholische Kirchen und Friedhöfe wurden verwüstet. Während der Volkszählung 1991 erklärten sich von den 112.543 Einwohner*innen der Gemeinde Prijedor 43,9 % als Muslim*innen113, 42,3 % als Serb*innen, 5,7 % als Jugoslaw*innen, 5,6 % als Kroat*innen und 2,5 % als Sonstige.114 Zu Kriegsende 1995 sollen es dort 89 % Serb*innen, 113 Muslim mit großem »M« auf BKS war die in Jugoslawien eingeführte Bezeichnung für Einwohner*innen der Republik Bosnien und Herzegowina, die sich zum Islam zugehörig deklarierten. »Muslim« fungierte als nationale (also vielmehr kulturelle, weniger rein religiöse) Kategorie, nach dem Krieg wurde dafür der Begriff »Bosniake« verwendet. 114 ICTY Case Information Sheet: »Prijedor« (IT-97–24), 4.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

126

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

ein Prozent Muslim*innen und keine Kroat*innen gewesen sein.115 Die im Juni 2016 veröffentlichten Ergebnisse des im Oktober 2013 durchgeführten Zensus in Bosnien und Herzegowina geben die Einwohnerzahl für die Stadt Prijedor von 89.397 an, davon sind 62,5 % Serbisch, 32,8 % Bosniakisch, 2 % Kroatisch und 2,4 % »Restliche«.116 Sudbin ist also zwar in sein Haus in der Gemeinde Prijedor zurückgekehrt, aber die Gemeinde Prijedor, wie sie vor dem Krieg gewesen war, gibt es nicht mehr. Deswegen frage ich mich bei der Abreise, warum Sudbin und seine Familie an einen Ort zurückgegangen sind, der in seiner Vorkriegslage offensichtlich verloren ist. Einerseits kann es ganz einfache, pragmatische Gründe gehabt haben, in das noch stehende, eigene Haus seiner Vorkriegsheimat wieder einzuziehen. Letztlich musste die Flüchtlingsfamilie Deutschland verlassen und so mag die Rückkehr das Naheliegende gewesen zu sein. Für Sudbins Bruder stellte sich jedoch bald heraus, dass eine Rückkehr unerträglich war. Er verließ Bosnien bald wieder. Andererseits lässt sich dem Weiterleben am Ort nach der »ethnischen Säuberung« auch ein symbolischer Wert zuschreiben. Aus letzterer Argumentation heraus ließe sich dann schlussfolgern, dass die Familie mit der Rückkehr an die Stätte ihrer Vertreibung und Misshandlung verdeutlicht, dass sie sich nicht geschlagen gibt. Die Musićs zeigten damit, wie so viele andere Rückkehrer*innen auch, dass sie die »ethnische Säuberung« nicht anerkennen, sondern auf ihren Heimatort beharren und an ihr Zusammenleben mit anderen Volksgruppen dort seit Generationen anknüpfen können. In dieser Lesart könnten auch Sudbins Aktivitäten als Geschäftsführer der Opferorganisation »Prijedor 92« verstanden werden. Seine Aufgabe in dieser Initiative war es zum Beispiel auch, am Bosnienkrieg Interessierte, zumeist aus dem Ausland, durch Prijedor und Umgebung zu führen. Durch seine Anwesenheit und seine Zeugenschaft füllte er so die Lücken der öffentlichen Gedenklandschaft, die nur an serbische Held*innen und serbische Opfer erinnern, wie beispielsweise ein Denkmal vor dem ehemaligen Lager ­Trnopolje 115 Welche Gruppe die restlichen zehn Prozent ausmachte, bleibt unklar in: Wesselingh / Vaulerin: Raw Memory, 35. 116 Die Kategorie »Bosniakisch« habe ich als lose Zusammenfassung folgender im Zensus verwendeter Kategorien erstellt: Bosniakisch (29.034), Muslimisch (Kategorie aus dem ehemaligen Jugoslawien für Bosniaken) (192), Bosnisch (107), Bosnisch-Herzegowinisch (Diese Kategorie kann auch bedeuten, dass man sich mit dem Staat Bosnien und Herzegowina identifiziert ohne ethnische Zuschreibungen zu berücksichtigen. Da die Anzahl aber gering ist (11), habe ich sie nicht als eigenständige Kategorie erhalten). Die Kategorie »Restliche« ist ebenfalls meine Sammelbezeichnung für die im Zensus verwendeten Kategorien Albanisch, Jugoslawisch, Ukrainisch, Montenegrinisch, Slowenisch, Orthodox, Mazedonisch, Andere, nicht angegeben, unbekannt, vgl. Tabelle 2.1. Stanovništvo prema etničkoj / nacionalnoj pripadnosti i spolu, po općinama / g radovima, 30.06.2016. URL : http://www.popis.gov.ba/popis2013/knjige.php?id=2 (vom 18.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

127

es tut. Das Denkmal in Kreuzform mit stilisierten Betonflügeln gedenkt vor dem ehemaligen Lager für Bosniak*innen und Kroat*innen den wenigen serbischen Opfern, was eine offensichtliche Provokation für die Überlebenden dieses Lagers darstellt.117 Eine derart deutliche, in Beton gemeißelte Entwürdigung der Mehrheit der Opfer dieses Ortes veranschaulicht, worum es bei dem Verweis auf Fakten in der Erinnerungskultur geht – die Leugnung und den Geschichtsrevisionismus zu bekämpfen. Derart wird Sudbin Musić zu einer Art lebenden Gegenmahnmal in der Gemeinde Prijedor. Das Erzählen seiner Opfergeschichte wurde zwangsläufig zu seiner Stärke. Seine Anwesenheit und sein Erzählen waren notwendig, um die Erinnerung an die »ethnischen Säuberungen« wach zu halten.118 Denn nicht nur das Stadtbild von Prijedor wirkt, indem es seine multi-ethnische Vergangenheit bis Anfang der neunziger Jahre ausblendet, wie eine schon ewig homogene serbische Kleinstadt. Auch ein Denkmal für die vielen Opfer der Lager um Prijedor gibt es bisher noch nicht. Zwar wurde in dem zur Gemeinde gehörenden Ort Kozarac, in den viele Bosniak*innen zurückgekehrt sind und nun wieder die Mehrheitsbevölkerung stellen, ein Denkmal für alle Opfer des Krieges errichtet.119 Doch ein auf dem Industriegelände in Omarska zunächst geplantes Denkmal, welches an das brutalste Lager in der Umgebung von Prijedor erinnern sollte, wurde bisher verhindert. Rund 3.000 Gefangene, vorrangig die männliche Intelligenz, aber auch wenige Frauen (Richter*innen, Lehrer*innen, Intellektuelle, Politiker*innen), wurden in Omarska festgehalten.120 Manuela Brenner beschreibt die Zustände im von Mai bis August 1992 von bosnischen Serb*innen eingerichteten Lager folgendermaßen: As  a result of poor hygiene and general living conditions, many people died from infections, diseases, starvation, or the violence afflicted onto them by Serb guards. Castration, forcing cannibalism, gouging eyes, displacing noses, and cutting off ears and sexual organs rank among the gruesome methods of torture to which camp detainees were exposed.121 117 Feldnotizen d. Vf., 20.10.2011, Besichtigung der ehemaligen Lagerstätte Trnopolje. 118 Musić ist mit diesem Anliegen bei weitem nicht der Einzige in Prijedor, doch seine Aufarbeitungsgeschichte zu verstehen, steht hier exemplarisch im Mittelpunkt. 119 Das Denkmal wurde aus Spenden finanziert, aber es hat auch öffentliche Infrastrukturmittel der Gemeinde Prijedor gegeben. Vgl. Subašić, Haris / Ćurak, Nerzuk: History, the ICTY’s Record and the Bosnian Serb Culture of Denial. In: Gow, James / Kerr, Rachel / Pajić, Zoran (Hg.): Prosecuting War Crimes. Lessons and Legacies of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. New York 2014, 133–150, hier 143. Vgl. auch Sivac-Bryant, Sebina: Re-making Kozarac. Agency, Reconciliation and Contested Return in Post-war Bosnia 2016. 120 Gratz, Dennis: Elitozid in Bosnien und Herzegowina 1992–1995. Baden Baden 2007, 192–195. 121 Brenner: Practices of the (Non-)Construction, 356.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

128

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Seit 2004 wird das Eisenerz-Bergwerk in Omarska von dem weltweit größten Stahlkonzern ArcelorMittal betrieben, allerdings hält die Regierung der Republika Srpska daran auch 49 %.122 Das Bergwerk arbeitet normal weiter. Der Bau des anfangs geplanten und von ArcelorMittal zu finanzierenden Gedenkkomplexes auf einem Teil des Industriegeländes, wurde aus Rücksicht auf die serbischen Partner ausgesetzt.123 Gelegentlich wird an der Lagergeschichte interessierten Besuchergruppen Zugang gewährt.124 Doch ein Denkmal in Omarska in Erinnerung an die Prijedorer Lager wird es sobald nicht geben.125 Auch die von Sudbin in seiner Erzählung bei REKOM erwähnte Keramikfabrik »Keraterm« hat wieder ihre Arbeit aufgenommen. Ehemaligen Lagerinsassen, die in dem Verein »Quelle« (Izvor) unter Edin Ramulićs Leitung wirken, ist es gelungen, zumindest eine steinerne Gedenktafel in der Nähe der Fabrik auf dem Boden zu platzieren.126 Allerdings ist die kleine, einem Grabstein ähnelnde Steinplatte nur für diejenigen sichtbar, die ihren Ort kennen. Im Gegensatz zu den riesigen Denkmälern für serbische Opfer in Prijedor, die den öffentlichen Raum dominieren, wirkt diese Gedenkplatte wie eine private Angelegenheit. Für Sudbin sind die Verhinderung des öffentlichen Gedenkens an die nichtserbischen Opfer in der Gemeinde Prijedor und insbesondere der tor­pedierte Denkmalbau in Omarska wichtige Gründe, den neoliberalen Kapitalismus als Gegner von Gerechtigkeit anzugreifen. Dass es vor allem die ser­bische Mehrheitsbevölkerung in der »ethnisch gesäuberten« Gemeinde Prijedor ist, die von der Erinnerung der Minderheiten nichts wissen möchte, ist dabei untergeordnet. Gerechtigkeit bedeutete auch die offizielle Anerkennung seines Leidens, beispielsweise durch einen öffentlichen, den Lagerinsass*innen gewidmeten Gedenkort. Neben der Nicht-Anerkennung durch fehlende Gedenkorte, spielt auch die gerichtliche Nicht-Anerkennung von Sudbins Leidensgeschichte eine Rolle für sein Gefühl der Ungerechtigkeit. Anders als Saranda hat er, soweit mir bekannt, vor keinem Gericht ausgesagt. Gleichsam verbindet Sudbin mit der 122 Ebd., 352 f. 123 Ebd., 361. 2007 gründete der Konzern die ArcelorMittal Foundation, die verschiedene Jugend-, Kultur- und humanitäre Projekte in Prijedor und Umgebung fördert, ebd. 364. 124 Ich hatte im Oktober 2011 mit »Memory Lab« Zutritt zum »Weißen Haus« (bijela kuća) auf dem Omarska Gelände erhalten. Mirsad Duratović und Kemal Parvenić, die in dem Lager brutal gefoltert wurden, erzählten uns hier von ihren abscheulichen und unvergesslichen Erfahrungen. Feldnotizen d. Vf., 20.10.2011, Omarska. 125 Den Zusammenhang zwischen der Privatisierung des Bergwerks und der (unterdrückten) Erinnerung an die Verbrechen dort untersucht Zoran Vučkovac in seiner Promotion an der Justus Liebig Universität Giessen, siehe dessen Vortrag »The Political Life of Exported Steel: Politics of Denial and Culture of Remembering in Postwar Prijedor« am 28.06.2019 auf dem Kongress der »Memory Studies Association« in Madrid. 126 Feldnotizen d. Vf., 20.11.2011, Fabrik Keraterm, Gemeinde Prijedor.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

129

juristisch geprägten Terminologie, mit welcher über seine Erfahrung gesprochen wird, eine Anerkennung. Für Sudbin ist das, was ihm, seiner Familie, seinen Angehörigen und Bekannten widerfahren ist, zweifelsohne versuchter Völkermord. Laut dem Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes wird in Artikel II Völkermord definiert als: eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; c)  vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.127

Der Historiker Norman Naimark sieht zwar einen klaren Unterschied zwischen dem Ziel, ein Volk zu vernichten und dem Ziel, ein Volk von einem Ort zu entfernen, verweist aber auf die Dynamik, die von letzterem Ziel zum ersteren führen kann: Völkermord ist die vorsätzliche Tötung eines Teils oder einer ganzen ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe; sein Ziel ist die Ermordung eines Volkes. Die Absicht der ethnischen Säuberung liegt in der Entfernung eines Volks und oft auch aller seiner Spuren von einem bestimmten Territorium. Das Ziel besteht mit anderen Worten darin, die ›fremde‹ Nationalität, ethnische oder religiöse Gruppe loszuwerden und das Territorium zu übernehmen, das sie früher bewohnte. […] Am anderen Ende unterscheiden sich ethnische Säuberung und Völkermord nur durch das Endziel. Hier geht die ethnische Säuberung in den Völkermord über, da Massenmord begangen wird, um das Land von einem Volk zu ›säubern‹.128

Als Völkermord verurteilte das ICTY bislang nur die Kriegsverbrechen im ostbosnischen Srebrenica, nicht jene in Prijedor. Zwar wurde der Vorsitzende des Prijedorer Krisenstabs und der nationalen Verteidigung der Gemeinde, Milomir Stakić, vor dem ICTY u. a. für Genozid an der nichtserbischen Bevölkerung angeklagt. Doch das Tribunal konnte diesen Anklagepunkt nicht zweifelsfrei bestätigen:

127 Bundesgesetzblatt 1954 II, 730. 128 Naimark, Norman M.: Flammender Haß. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert. Bonn 2009, 11 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

130

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

A comprehensive pattern of atrocities amounting to a campaign of a persecutorial nature was proved to have been committed against non-Serbs in Prijedor municipality in 1992. This included killings on  a massive scale in the Omarska, Keraterm and Trnopolje camps, in Bosnian Muslim towns and villages throughout the municipality, and, finally, on Mount Vlašić. […] Despite the scale of the atrocities, the Trial Chamber was unable to infer the necessary dolus specialis for genocide, this dolus specialis – or specific intent to destroy, in whole or in part, a group as such – being the core element of the crime.129

Mit anderen Worten, das ICTY hat zwar Beweise für die »ethnische Säuberung« der Gemeinde Prijedor gefunden, jedoch konnte das Gericht bisher nicht feststellen, dass die Serb*innen dort vorhatten, die gesamte nichtserbische Bevölkerung zu »vernichten«.130 Für Sudbin verstärkt sich mit dieser Nicht-Anerkennung des Endziels der Vernichtung das Gefühl der Ungerechtigkeit. Für ihn, der nur durch Zufall dem Erschießen an der Sana entkommen war, ist dieses Urteil ungerecht. Er persönlich hatte etwas anderes erlebt, er sollte vernichtet werden und viele seiner Verwandten und Bekannten wurden vernichtet. Den Krieg von Serb*innen und Kroat*innen gegen bosnische Muslim*in­ nen als Genozid zu bezeichnen, stellt einen wichtigen Teil des bosniakischen Erinnerungsnarrativs dar.131 Die Kategorie des Völkermordes wandelt sich dabei von einer juristischen zu einer symbolischen; sie steht für das ultimative Leiden. Als ich Sudbin im Interview 2012 danach frage, wie er beschreiben würde, was ein Opfer ist, antwortet er, dass in Bosnien und Herzegowina »alle« auf die eine oder andere Weise Opfer geworden sind. Diese Antwort habe ich wiederholt in Bosnien erhalten und sie wird auch von den verschiedenen politischen Akteuren bedient.132 Sie zeugt von einer Ohnmacht angesichts unüberwindbar scheinender Hindernisse. Musić räumt dann ein, dass einige mehr und andere weniger gelitten hätten, aber allen Opfern eines gemeinsam sei: Uns allen ist in einem Augenblick das Leben stehengeblieben, alle haben wir Angst verspürt. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die niemanden der nahen Verwandten verloren haben. […] Ich habe meinen Vater verloren, ich habe Erschießungen überlebt, ich habe ein Lager überlebt, ich habe die Vertreibung überlebt, ich habe alles verloren. Ich habe einen riesigen Teil an Freunden, Familienangehörigen, Nachbarn verloren, schlimm.133 129 ICTY Case Information Sheet: »Prijedor« (IT-97–24), 4. 130 Hagan, John / Haugh, Todd: Ethnic Cleansing as Euphemism, Metaphor, Criminology, and Law. In: Sadat, Leila Nadya (Hg.): Forging a Convention for Crimes against Humanity. Cambridge [u. a.] 2011, 177–201, hier 181 f. 131 Moll: Fragmented Memories 916 f. 132 Vgl. Kapitel 5: Bosnia: the Memory of the »Victims« in Ristić: Imaginary Trials, 140–187. 133 Interview mit Sudbin Musić, 12.11.2012, Prijedor, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

131

Die wirklichen Opfer des Krieges seien jedoch diejenigen, »die nicht mehr da sind«.134 Doch auch bei den Toten findet gelegentlich eine Differenzierung statt, etwa wenn gefallene Soldat*innen nicht als Opfer anerkannt werden. Sudbin erwähnt auch ein Hochzeitsvideo aus der Zeit vor dem Krieg, welches er kürzlich mit seiner Familie wieder angeschaut hätte. Der Großteil der Menschen auf dem Video ist seit dem Krieg tot. Dass so viele Menschen seiner Umgebung nicht mehr leben, bleibt für den jungen Mann »unglaublich. […] Das ist schrecklich, das ist schrecklich, das ist ein Schrecken.«135 Sudbin kann oder will es nicht anerkennen, dass all diese Zerstörung stattgefunden hat, dass ihm, seinen Angehörigen und seinen Bekannten derart Unrecht widerfahren ist. Caruth beschreibt dies mit Freud als eine Art seelische Wunde, konkret als »breach in the mind’s experience of time, self, and the world«.136 Derart bleibt seine Erfahrung unfassbar, sodass er sie immer wieder beklagen muss. Er meint: »Ich denke, dass mein Leben zerstört ist, für alle Zeiten. Allen bei uns, die auf irgendeine Art diesen Krieg durchgemacht haben, auf ihren Schultern, allen sind die Leben zerstört.«137 Es ist ein sich wiederholendes Muster, wenn Sudbin von seiner Wahrnehmung auf »alle bei uns« schließt, immer wieder verwendet er das Kollektiv als Absicherung seiner Erfahrungen und seiner Schlüsse daraus. Über bosniakische Opferorganisationen sagt er, dass sie sich  – wie die gesamte NGO -Szene in der Region – nicht weiterentwickelten. Sie verharrten in ihrer selbst auferlegten Opferrolle. Ihnen fehle Selbstkritik. Die NGOs und auch REKOM müssten sich an veränderte Gegebenheiten anpassen, reagier­ ten aber nicht auf Wandel.138 Welche Art von Veränderungen er damit meint, bleibt unklar. Er kritisiert auch, dass NGOs in Bosnien und Herzegowina immer vor etwas Angst hätten. Es zeichnet sich ab, dass die Leugnung und Relativierung der Verbrechen durch die serbische Elite in der Republika Srpska und somit die Abwehr einer Anerkennung des Leidens und dessen Folgen, die eigene Akzeptanz des Geschehenen bei den Opfern erschwert. Denn um gegen die Leugnung und den Revisionismus anzukämpfen, muss das Opfer ja das Erlittene immer wieder aktivieren, sich immer wieder daran erinnern. Die ausbleibende Anerkennung der Verbrechen seitens der Verantwortlichen verlängert somit die Leidenserfahrung, bestärkt die Opferrolle und auch die Angst vor Wiederholung des Unrechts.139 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Caruth: Unclaimed Experience, 3 f. 137 Interview mit Sudbin Musić, 12.11.2012, Prijedor, BKS . 138 Ebd. 139 Govier, Trudy: A Dialectic of Acknowledgement, in Quinn, Joanna R. (Hg.): Reconciliation(s): Transitional Justice in Postconflict Societies, Montreal MacGill Univ. Press 2009, 36–50, hier 38.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

132

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Seit 1998, also seit rund zwanzig Jahren, lebt Sudbin in einer Umwelt, die die Verbrechen an der nichtserbischen Bevölkerung der Gemeinde Prijedor aktiv leugnet. Dieser lange Kampf für eine öffentliche Anerkennung seines Leidens, der Lager und der »ethnischen Säuberungen«, welcher sich im Beharren auf die Bezeichnung »Genozid« kondensiert, verfestigt seine Opferrolle. Zudem verfügt das bosnische Gesundheitssystem nur über mangelhafte Unterstützung für Menschen, deren Gesundheit nach dem Krieg beeinträchtigt ist. All diese Faktoren sind relevant für die so grundlegende, eigene Anerkennung der Kriegserfahrung. In einem solchen Umfeld wird die Opferrolle, anstatt überwunden zu werden, zu einer aktiven Haltung und identitätsstiftend. Die ausbleibende Anerkennung verlängert somit die Gewalterfahrung aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinein. 3.3.4 Anerkennung durch REKOM

Seinen Opferaktivismus konnte Musić durch die Beteiligung bei REKOM über den lokalen und nationalen Radius hinaus erweitern. Sudbin war von Beginn an bei REKOM involviert: REKOM war, zumindest am Anfang, ein Raum, in dem ich begriffen habe, dass es Hoffnung gibt. Das war ein Raum, der einzige Raum, in den alle eingetreten sind, versammelt um die gleichen Themen, auch wenn einer zustimmte und ein anderer dagegen war. Dennoch haben sich die Leute zum ersten Mal alle an einem Ort getroffen und haben, zumindest deklarativ, ausgedrückt, dass sie eine bessere Zukunft möchten und sich wünschen, dass sich so etwas niemals wiederholt und so weiter… Das war meine Motivation, um diese Initiative zu unterstützten.140

So hat Sudbin Musić über mehrere Jahre hinweg als Geschäftsführer der Opferorganisation »Prijedor 92« an verschiedenen Treffen der REKOM Initiative teilgenommen; erst als Zuhörer, wobei er sich einiges Wissen über »internationales Recht, insbesondere über diese Kommissionen« angeeignet hat. »In der Tat habe ich dabei gelernt, die Prozesse vor dem Internationalen Gerichtshof zu verfolgen und vieles zu verstehen, was mir vorher nicht klar war.«141 Im Laufe der Jahre übernahm Musić dann auch die Rolle des Vortragenden und Moderatoren bei Veranstaltungen der REKOM Initiative.142 Beispielsweise erläuterte er auf dem Austausch in der zentralbosnischen Gemeinde Žepce den anwesenden Interessierten kroatischer und bosniakischer Opfergruppen, 140 Interview mit Sudbin Musić, 19.11.2012, Prijedor, BKS . 141 Ebd. 142 Koalicija za REKOM: Lokalne konsultacije sa predstavnicima civilnog društva, 13.05. 2009, Prijedor. Transkript, 26.  URL : http://www.recom.link/wp-content/uploads/​2009/​ 05/Transkript2.pdf (am 10.12.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

133

warum er REKOM für wichtig hält. Er flicht dabei auch persönliche Erfahrungen während des Krieges sowie Eindrücke über das aktuelle Leben im mehrheitlich serbischen Prijedor mit ein und verschweigt nicht, dass REKOM sich in Bosnien und Herzegowina mit einiger Kritik konfrontiert sieht. Seine Rede beendet er mit: Es ist schwierig, in seiner Haltung standhaft zu bleiben und manchmal passiert es, dass Menschenrechtler einbrechen und aufgeben, weil sie ihren Kampf für sinnlos erachten, insbesondere in der Situation, in welcher sich BiH befindet, wo die Menschenrechte bei jedem Schritt gebrochen werden. Deswegen würde ich gerne auch Sie hören, einfach um auch meine Haltung zu stärken, dass ich Teil dieser Koalition bleibe, und um Ihre Meinung über diese Initiative zu hören und über die Kommission an sich.143

REKOM agiert in Bosnien und Herzegowina in einer enorm zerklüfteten erinnerungspolitischen Landschaft. Die gegenläufigen Erzählungen über den Krieg sind entsprechend der politischen und ethnischen Fragmentierung des Landes an serbische, bosniakische, kroatische und internationale Politik geknüpft. Keine der Versionen ist führend, sondern die verschiedenen Interpretationen des Krieges existieren vielmehr parallel und sprechen den jeweils anderen ihre Berechtigung ab.144 Hinzu kommen unterschiedliche Vorgehensweisen in den unterschiedlichen administrativen Einheiten Bosniens: in der stärker zentralisierten Republika Srpska gibt es beispielsweise seit 2007 eine zentrale Kommission, die festlegt, welche historischen Ereignisse erinnert werden sollen. In der Bosnisch-Kroatischen Föderation hat man hingegen Schwierigkeiten, sich auf gemeinsame Gedenkveranstaltungen zu einigen, sodass hier Entscheidungen auf der Kantonsebene getroffen werden. Und im Brčko-Distrikt, der zu keiner der beiden Entitäten gehört, werden Gedenkveranstaltungen wieder anders geregelt. Darüber hinaus variieren und konkurrieren die Geschichtswahrnehmungen auch innerhalb ethnischer Gruppen, denn sie sind stark abhängig vom sozialen Status der sich Erinnernden. Opferkonkurrenz ist weit verbreitet. Hinzu kommt, dass Politiker*innen und öffentliche Institutionen in Bosnien 143 Koalicija za REKOM: Konsultacije sa lokalnom zajednicom o inicijativi za osnivanje ­ EKOM , Žepče, BiH 28.04.2010. Transkript, 10. URL : http://www.recom.link/wpR content/uploads/2010/04/Transkript.pdf (14.12.2015). 144 Alle nationalistischen Versionen des Krieges sind von drei Mustern geprägt: Erstens glorifizieren sie ihre Soldat*innen, was gleichzeitig aber mit der Betonung ihres besonderen Leidens verbunden wird. Die eigenen Verbrechen werden verschwiegen, die Verbrechen der anderen werden angeprangert. Ein zweites Muster ist der Verweis auf den Zweiten Weltkrieg und auf den Kampf der jugoslawischen Partisan*innen als Legitimation für das eigene Handeln. Und drittens bemühen sich alle nationalistischen Geschichten sich in eine möglichst lange historische Tradition einzuschreiben. Vgl. Moll: Fragmented Memories, 914. Das Büro des Hohen Repräsentanten und der EU Institutionen praktizieren Neutralität gegenüber den parallelen Geschichtsversionen. Vgl. ebd., 926 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

134

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

und Herzegowina wenig Vertrauen der Bürger*innen genießen, meistens werden sie mit Korruption und Machtmissbrauch verbunden.145 Die Fragmentierung der Erinnerungspolitik gestaltet sich derart fundamental, dass es keine staatlichen Gedenktage gibt, die für alle in Bosnien und Herzegowina gleich sind. Auch Entschädigungsgesetze gibt es in Bosnien nur auf der Ebene der Entitäten, einheitliche Regelungen für die Unterstützung von Invalid*innen und andere Opfergruppen existieren auf gesamtstaatlicher Ebene nicht.146 So sind Opfergruppen häufig politischer Instrumentalisierung ausgesetzt. REKOM habe, so Sudbin, den Bosniak*innen und Kroat*innen aus Prijedor geholfen »aus dem Schatten anderer Gebiete in Bosnien und Herzegowina« herauszutreten, »denn über Prijedor wurde geschwiegen, über Prijedor wurde nicht gesprochen, im Grunde waren alle Kräfte um Srebrenica usw. konzentriert.«147 Die REKOM Initiative hat, laut Musić, den nichtserbischen Opfergruppen aus Prijedor geholfen dazuzulernen, sich auszutauschen, und sich bei »einigen bekannteren Personen, die für Menschenrechte kämpfen«, zu profilieren. So wurden die Verbrechen in Prijedor auf dem »Schlachtfeld für Menschenrechte und für die Rechte von Opfern« sichtbarer.148 Der Austausch über die Jahre hinweg bei REKOM habe zu einer entspannteren Atmosphäre und dazu geführt, dass Verständnis gegenüber anderen Opfergruppen gezeigt wurde. Somit hat, laut Sudbin, REKOM zu einem Ausgleich zwischen den konkurrierenden Opfergruppen in Bosnien und Herzegowina beigetragen. Allerdings hat Musić mit der Zeit auch den Eindruck gewonnen, dass es bei den wiederholten Treffen nicht darum geht, weiter zu kommen, sondern nur darum, eine bestimmte Form des Austausches zu praktizieren. Er betont, dass es ihm bei seiner Unterstützung REKOMs wichtig sei, stets kritisch zu bleiben und seine Meinung nicht hinterm Berg zu halten.149 Gestört haben ihn etwa die Diskussionen um Geld in der Koalition, die er teilweise aber auch nachvollziehen könne. Doch auch wenn er mit einigen Vorgängen nicht einverstanden war, blieb REKOM für ihn »eine sehr gute Idee«.150 Er sah in dieser Idee keine Konkurrenz zu anderen Ideen und für ihn war REKOM der »einzige Raum, bei dem alle aus dem ehemaligen Jugoslawien vertreten sind«, ein Gebiet, das für ihn weiter ein gemeinsames ist:

145 Jansen, Stef: If Reconciliation Is the Answer, Are We Asking the Right Questions? In: Studies in Social Justice Vol. 7/2 (2013), 229–243, hier 238. 146 Karup-Druško, Dženana: Postignuća u BiH  i prioriteti. Handreichung zum Vortrag auf X. Forum za tranzicionu pravdu, Beograd 15.–16.11.2014, 4. 147 Ebd. 148 Ebd. 149 Interview mit Sudbin Musić, 19.11.2012, Prijedor, BKS . 150 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

135

Ich habe da einen, zumindest für mich anwesenden, edlen Geist des Jugoslawentums gespürt. Und warum sage ich ›edel‹? Weil ich denke, dass alle edlen Ideen auf der Welt immer angegriffen wurden und immer schon mussten Menschen wegen edler Ideen sterben.151

Er erklärt weiter, dass das »Edle« am Jugoslawentum gewesen sei, dass alle Südslaw*innen zusammen lebten, unabhängig ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit. Die nichtslawischen Kosovo-Albaner erwähnt er dabei nicht. Neben dem »jugoslawischen Geist« schätzte Sudbin die REKOM Initiative auch deswegen, weil er dadurch »so viele Leute kennengelernt« hat. Er betont immer wieder, dass er Muslim ist und als ich ihn danach frage, welche Rolle Religion in seinem Leben spiele, antwortet er: »Das ist meine Auswegstrategie, Glaube.«152 Gleichsam kritisiert er vehement den politischen Einfluss der Religionsgemeinschaften auf dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Er als Gläubiger wünsche sich nichts mehr als ein säkulares Staatswesen.153 Die allgegenwärtige Politisierung von Religion und Erinnerungskultur spielt auch eine Rolle bei Musićs Beurteilung der REKOM Initiative. Mit dem Vorhaben, die regionale Wahrheitskommission als politisch legitimierte Institution und nicht nur als zivilgesellschaftliches Projekt einzurichten, musste REKOM zwangsläufig um die Unterstützung von Politiker*innen werben. Sudbin meint, dass dadurch die Idee hinter REKOM in große Not geraten sei.154 Beispielsweise hatte REKOM seit 2010 politische Unterstützung aus Kroatien erhalten, da sich der Sozialdemokrat Ivo Josipović seit seinem Amtsantritt als kroatischer Präsident im Februar 2010 für Vergangenheitsaufarbeitung einsetzte. So hatte Josipović im Oktober 2010 das siebte Transitional Justice Forum der REKOM Initiative in Zagreb eröffnet.155 Im gleichen Monat weihte der im Strafrecht promovierte Jurist auch das erste Denkmal für serbische Opfer des Krieges in Kroatien ein.156 Zwei Jahre später waren aus Kroatien aber ganz andere Töne zu hören: Kurz vor meinem Interview mit Sudbin Musić in Prijedor im November 2012 hatte der kroatische Präsident Josipović dem aus Den Haag entlassenen Ante Gotovina einen öffentlichen Empfang in Zagreb bereitet. Gotovina, der ehemalige General im kroatischen »Heimatkrieg« (Domovinski rat) wurde 151 Ebd. 152 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 153 Interview mit Sudbin Musić, 19.11.2012, Prijedor, BKS . 154 Ebd. 155 Feldnotizen d. Vf., 17.–18.10.2010, 7. Forum für Transitional Justice, Zagreb. Viele Redebeiträge der Opferrepräsentant*innen nahmen Bezug auf Josipović und sprachen von der Hoffnung, die seine Anwesenheit bei diesem Treffen auf eine offizielle Anerkennung ihrer Geschichten weckte. 156 Pavlaković: Croatia’s (New) Commemorative, 146.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

136

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

in Volksfeststimmung als Held zurück in der Freiheit begrüßt.157 Der Generaloberst war zusammen mit dem Kommandanten der Knin-Garnison Ivan Čermak und dem stellvertretenden Innenminister Mladen Markač, 1995 verantwortlich für die kroatische Spezialpolizei, vor dem ICTY angeklagt gewesen. Ihnen wurden Kriegsverbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung Kroatiens in einer »Joint Criminal Enterprise« im Sommer 1995 während der Rück­eroberung des seit 1991 als Republika Srpska Krajina deklarierten Gebietes angelastet (»Operation Sturm«). Im April 2011 waren Gotovina vom ICTY in erster Instanz zu 24 Jahren, Markač zu 18 Jahren Haft verurteilt und Čermak freigesprochen worden.158 Im November 2012 nun stimmten im Berufungsverfahren drei der fünf Richter unter dem Vorsitz von Theodor Meron für den Freispruch Gotovinas und Markačs, weil eine »Joint Criminal Enterprise« doch nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte.159 Die kroatische Regierung schickte noch am gleichen Tag ein Flugzeug nach Den Haag, um die beiden zurück in die Heimat zu holen. Zufällig war ich an diesem Tag in Zagreb. Auf dem zentralen »Ban Jelačić«-Platz herrschte den gesamten Tag vor der abendlichen Ankunft des Oberst Feststimmung. Videoaufnahmen aus dem Krieg liefen auf riesigen Leinwänden, es tönten Lieder wie »Erinnere dich an Vukovar!«160 Ältere Damen tanzten und weinten, einige Männer hatten ihre Uniform noch einmal angezogen und beobachteten versunken in Erinnerungen das Treiben auf dem Platz, Veteranenverbände sammelten Unterschriften für die Unschuld Gotovinas.161 Durch Zagrebs Straßen zogen Jugendgruppen mit riesigen kroatischen Fahnen und winkten mit dem Konterfei der Generäle. Als Gotovina und Markač am Abend mit einer Limousine vorfahren, jubelt die Menge unter unzähligen rot-weißen Schachbrettmustern triumphierend. Präsident Josipović erklärt, dass es zwar Verbrechen in Kroatiens Unabhängigkeitskrieg gegeben hatte, aber die Generäle dafür nicht verantwortlich seien.162 Der Freispruch fügte sich nun offensichtlich doch noch in den in Nachkriegskroatien verbreiteten Mythos des quasi heiligen Befreiungskampfes 157 Feldnotizen d. Vf., 16.11.2012, öffentlicher Empfang Ante Gotovinas und Mladen Markačs in Zagreb. 158 ICTY: Gotovina u. a. (IT-06–90). Judgement Summary. URL : http://www.icty.org/x/ cases/gotovina/tjug/en/110415_summary.pdf (am 15.12.2015). 159 ICTY: Appeals Chamber Judgement. Gotovina u. a. URL : http://www.icty.org/x/cases/ gotovina/acjug/en/121116_judgement.pdf (am 17.12.2015). 160 Die im Nordosten, nahe der serbischen Grenze gelegene kroatische Stadt Vukovar war gleich zu Beginn des Krieges 1991 für mehrere Monate von der Jugoslawischen Volksarmee eingenommen und fast dem Boden gleich gemacht worden. 161 Feldnotizen d. Vf., 16.11.2012, »Ban Jelačić«-Platz am Nachmittag, Zagreb. 162 Pavelić, Boris: Croats Celebrate Acquittal of Gotovina and Markač. URL : http://www. balkaninsight.com/en/article/croatians-celebrate-acquittal-of-gotovina-and-markac (am 17.12.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anerkennen 

137

der Kroat*innen, welcher ein Verteidigungskrieg und somit schwerlich verbrecherisch gewesen sein könne. General Gotovina war zur Hauptfigur dieses nationsbildenden Mythos gediehen, wie Vjeran Pavlaković es beschreibt: According to the opponents of the ICTY, defending Gotovina meant defending recent Croatian history from being written by  a political court. The only other modern Croatian state had been run by a murderous, criminal regime (the Ustashe), and that legacy had weighed heavily around the neck of the Croatian people for half a century. It was thus of paramount importance to avoid the criminalization of Croatia’s war for independence […].163

Kurz nach dem Empfang Gotovinas in Zagreb reiste ich also zum Gespräch mit Sudbin nach Prijedor. Musić nahm sodann das Handeln des kroatischen Präsidenten zum Anlass, die »heuchlerische und deklarative Unterstützung« für REKOM seitens der Politiker*innen zu kritisieren: Josipović ist einer, der die Initiative unterstützt hat und andererseits macht er jetzt irgendwelche öffentliche Äußerungen, empfängt so einen Menschen. Deswegen denke ich, dass sich langsam aber sicher die letzten Spuren der Hoffnung verwischen, darauf, dass diese edle Idee des Jugoslawentums, die in der REKOM Initiative eingewoben ist, irgendeine Chance auf was auch immer für eine Zukunft hat.164

Gleichzeitig bemängelt der Vereinsgeschäftsführer im Büro der Opfervertretung »Prijedor 92«, dass es in der gesamten Region keinen politischen Willen zur Aufarbeitung der Kriege gäbe und dass es ohne politische Unterstützung sinnlos sei, irgendetwas anzugehen. Derart entstehe eine Atmosphäre des »Konfliktes zwischen der Regierung und dem Nichtregierungsbereich«, welche im Grunde letztlich kontraproduktiv für die Arbeit der NGOs werde.165 Trotz dieser harten Realität hielt Musić damals noch an der Idee einer regionalen Wahrheitskommission fest, die dazu dienen sollte, […] dass so eine Atmosphäre entsteht, relax! Dass derart so ein Ambiente entsteht, ein regionales Ambiente, […] ein Raum für weiter, für Stabilisierung, für Friedenssicherung und auch für ökonomische Entwicklung. Im Gegenteil dazu kann sich alles zum Schlechten wenden.166

Eine Entspannung in einem nicht regionalen Rahmen kann sich Sudbin anscheinend nicht vorstellen. Die Gefahr einer Wiederholung der Kriegsschrecken spricht Sudbin Musić immer wieder an. Dieses Bewusstsein, dass alles wieder möglich ist, scheint sein Engagement für REKOM beeinflusst zu haben. 163 Pavlaković: Better the Grave than a Slave, 453. 164 Interview mit Sudbin Musić, 19.11.2012, Prijedor, BKS . 165 Ebd. 166 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

138

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Ich glaube, so wie ich rede, klingt das irre, was ich da sage. Aber ich bin jemand, der 1992 ein Fan von Nirvana war, dieser Rockgruppe. Der in Adidas Turnschuhen ins Konzentrationslager gegangen ist. Ich bin jemand, der etwas durchgemacht hat, was mir unmöglich schien. Das heißt, nachdem, was ich überlebt habe, ist mir nichts unmöglich, nichts ist nicht möglich, Jacqueline, alles ist möglich.167

Ein Jahr zuvor besichtigten wir auch zusammen auf der Studienreise und dem Workshop des Netzwerkes »Memory Lab« seine Heimatstadt Prijedor und die Stätten der Lager in der Gemeinde. Dabei hatte ich jedoch nichts von Sudbins persönlicher Kriegsgeschichte erfahren. Und auch im Interview berichtet er mir darüber, wie er den Krieg erlebt hatte, nichts. Als ich zu einem späteren Zeitpunkt eine diesbezügliche Frage stelle, folgt ein zögerliches: »Schwierig. Also, weißt Du, es ist ein schwieriges Gefühl, dem Tod in die Augen zu blicken. Ich glaube, dass es schwierig ist, das jemanden zu beschreiben.«168 Diese mindestens doppelte Schwierigkeit liegt also einerseits in seiner tatsächlichen Kriegserfahrung und andererseits darin, darüber anschließend zu erzählen. Deswegen redet er im Interview mit mir auch nur von den Konsequenzen: Mir wurde das Leben zerstört. Ich spüre noch jetzt die Folgen. Nicht nur mir und meiner Familie [wurde das Leben zerstört] und vielen um uns herum. Das Problem liegt darin, dass wir nicht miteinander reden. Ich denke, wenn wir, die einen mit den anderen, reden würden, dann würde auch Verständnis gezeigt werden.169

Vergleicht man Sudbins und Sarandas Engagement bei REKOM, so zeigen sich spannende Unterschiede in der Motivation. REKOM scheint Sudbin eine Gelegenheit für ein Miteinanderreden geboten zu haben. Deswegen hat er als einer der wenigen Vertreter*innen von Opfergruppen aus Bosnien und Herzegowina die REKOM Initiative mehrere Jahre lang tatkräftig unterstützt. Er hat durch sein Engagement in der Initiative auch viel gelernt, zahlreiche andere Aktivist*innen aus der Region getroffen und sich dadurch mit seinem Anliegen in den zivilgesellschaftlichen Diskussionen über Aufarbeitung auf dem Gebiet Post-Jugoslawiens profiliert. Für Saranda Bogujevci war es weniger wichtig, dass sie bei REKOM vor einem Publikum aus dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens erzählt hat. Bedeutend bleibt für sie, dass ihre Geschichte in Serbien Gehör findet. Für die Kosovo-Albanerin war ihr Engagement bei REKOM begrenzt auf die Teilnahme an dem Forum in Prishtina 2008 und an der Öffentlichkeitskampagne 2011. Mit dem Belgrader Menschenrechtsfond wiederum hatte sie mehr als zehn Jahre zu tun, aufgrund der Unterstützung des Fonds bei den Gerichtsprozessen und im Zusammenhang mit anderen Aufarbeitungsaktivitäten. Dem Bosniaken hingegen war 167 Ebd. 168 Ebd. 169 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

139

der regionale Aspekt sehr wichtig, da er an dem durch die Kriege zerrütteten, aber nicht vollständig zerstörten »jugoslawischen Geist« hing. Für Saranda war ihre Aussage bei REKOM eine von vielen Möglichkeiten ihre Geschichte zu erzählen. Weitaus größere Bedeutung hatte für die junge Kosovarin ihr Zeugen vor Gericht, welches in eine Bestrafung der Täter mündete. Wenn auch für den Gerichtsprozess die Gefühle der Zeugin irrelevant sind, so hat doch das Aussagen »der Wahrheit« im Angesicht der Täter einen bleibenden Effekt für das Opfer gezeitigt. Saranda schilderte eine Art Genugtuung, dass sich nun im Gericht nicht die Opfer, sondern die Verantwortlichen für die Verbrechen machtlos fühlten. Sudbin konnte diese Erfahrung des Zeugens und der Anerkennung vor Gericht nicht machen. Und genau für solche Fälle, deren Leidensgeschichten nicht gerichtlich anerkannt worden sind, soll eine Wahrheitskommission idealer Weise zu einer anderen Form von offizieller Anerkennung verhelfen. Für Sudbin brachte das Erzählen seiner Erfahrungen bei REKOM eine beschränkte Akzeptanz seiner Erlebnisse in der Region des ehemaligen Jugoslawiens. Denn sein Zeugen spielte sich in der Semi-Öffentlichkeit zivilgesellschaftlicher Aktivist*innen und geladener Gäste ab, welche er selbst immer wieder für ihre Parallelwelt kritisierte. Da die regionale Wahrheitskommission im postjugoslawischen Raum politisch noch nicht umgesetzt, sondern nur zivilgesellschaftlich vorbereitet wurde, ist die Reichweite dieser Anerkennung begrenzt. Beide Aussagen sind gleichwohl über die Webseite der REKOM Initiative BKS -sprechenden Interessierten in Film- und Textform zugänglich. Und es kann auch passieren, dass durch anwesende Journalist*innen im Publikum die Geschichten in eine breitere Öffentlichkeit getragen werden.170

3.4 Transformieren Eng verbunden mit den Prozessen der Narrativierung von Gewalterfahrungen und ihrer vielseitigen Anerkennung ist die Selbst- und Fremdwahrnehmung als Opfer. Wie sich bereits gezeigt hat, ist die Opferrolle keineswegs eine passive. Beide Opfer sind aktiv Handelnde, deren Opferstatus sich daraus ge170 Der Journalist Boris Pavelić hörte zum Beispiel die Aussage Nada Bodirogas auf dem zehnten Transitional Justice Forum der REKOM Initiative am 16.11.2014 in Belgrad. Bodirogas Eltern, die in Slavsko Polje südlich von Karlovac unweit der Grenze Kroatiens zu Bosnien lebten, werden seit der »Operation Sturm« Anfang August 1995 vermisst. Pavelić veröffentlichte daraufhin die Geschichte Bodirogas und ihrer andauernden Suche nach den Überresten der Eltern in der kroatischen Tageszeitung »Novi list«, vgl. Pavelić, Boris: Dva desetljeća agonije Nade Bodiroge. Hoću istinu da napokon mirno zaspim. In: Novi list vom 16.12.2014.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

140

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

neriert, dass sie unschuldig als Kinder und Jugendliche großes Leid erfahren haben. Wie sehr sie an dieser Erfahrung als wesentliches Identitätsmerkmal festhalten oder ob sie sich davon entfernen, und welche weiteren Transformationen die Opferrolle ermöglicht bzw. behindert, behandelt dieses Kapitel. 3.4.1

Opfer als »geübte Darsteller ihrer selbst«

Als ich Sudbin 2015 nochmals interviewte, hatte er sich von REKOM abgewandt. Bei unserem Gespräch in München blickt er auf seine Aktivitäten als Opfervertreter in Prijedor zurück und meint: »Mein Leben da unten ist so eine Hölle. Ich frage mich jetzt endlich, wie ich das alles ausgehalten habe. Und es ist [wird] immer schlimmer. Leute sind immer weniger, sterben. Jugendliche gehen.«171 Er beschreibt mir, dieses Mal auf Deutsch, wie »die Serben […] so ein System gebaut« haben, dass dazu führe, dass Serb*innen und Bosniak*innen in Parallelwelten nebeneinander existierten. Ethnische Diskriminierung nennt er die »letzte Phase des Genozids«, die dazu führe, dass Rückkehrer*innen keine Existenzgrundlage hätten, um dort wieder und weiter zu leben.172 Die Politikwissenschaftlerin Janine N. Clark spricht von Diskriminierungen der Rückkehrer*innen auf dem Arbeitsmarkt in ganz Bosnien und Herzegowina, wobei sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Wirtschaft vorrangig jene Arbeitskräfte angestellt werden würden, die der ethnischen Mehrheit angehörten. Auch der Zugang zu Bildung, Gesundheitsleistungen und Pensionen sei Rückkehrer*innen einer ethnischen Minderheit erschwert.173 Hinzu kommt, dass mittlerweile so viel Zeit verstrichen ist, dass die Opfer nun neben den Täter*innen leben. Auch wenn einige gerichtlich verurteilt wurden, ist ihre Strafe bereits abgesessen und auch sie sind manchmal an ihren Heimatort zurückgekehrt. 37 Täter wurden für Verbrechen während des Krieges in der Gemeinde Prijedor vor dem ICTY und vor bosnischen Gerichten verurteilt.174 Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina wurden sowohl vom ICTY in Den Haag als auch im Land selbst verfolgt.175 Neben den Fällen, die vom ICTY an den Bosnischen Gerichtshof übertragen wurden, 171 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 172 Ebd. 173 Vgl. Clark: International Trials, 124. 174 Ahmetašević: Bosnia’s Unending War. 175 Da das ICTY von Anfang an als temporäre Institution angelegt gewesen war, es aber nicht alle Fälle richten kann, hat man seit 2004 schon damit begonnen, die Justiz in Bosnien zu stärken. Fälle vom ICTY wurden auf den vom Hohen Repräsentanten eingerichteten Gerichtshof Bosnien und Herzegowinas übertragen; in der Staatsanwaltschaft BiHs wurde eine Kammer für die Verfolgung von Kriegsverbrechen eingerichtet. »Human Rights Watch« und die »Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

141

strengt die bosnische Staatsanwaltschaft vor der Kriegsverbrecherkammer im Land auch eigene Prozesse an. Weniger schwere Fälle werden auf kantonaler oder Kreisebene sowie auf der Ebene des Brčko Distriktes gerichtet. Derartige lokale Gerichte waren nach ihrer Einrichtung personell schlecht ausgestattet, ihr Personal war nicht gut qualifiziert und die lokalen Gerichte verfügten über unzureichende Mittel.176 Um die Situation zu verbessern, hat die EU 2012 eine fünfjährige Förderung der Gerichte in BiH in Höhe von rund 15 Millionen Euro zugesichert.177 Im Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2014 wird kritisiert, dass die Justiz in Bosnien nicht unabhängig genug von der Politik sei. Politische Kreise versuchten Einfluss insbesondere auf die Prozesse von Kriegsverbrechen zu nehmen.178 Gelobt wird darin, dass der Zeugenschutz an den lokalen Gerichten verbessert wurde, insbesondere die psychologische Betreuung der Zeug*innen. Zu den Rückkehrer*innen gehörten also nicht nur Opfer, sondern zum Teil auch Täter*innen, was ein Zusammenleben erschwerte. Zudem verzeichnet Bosnien eine beträchtliche Abwanderung von jungen, qualifizierten Menschen. Die alten Bosniak*innen sterben, die jungen gehen weg, klagt Sudbin. Und so überlegte auch er im Frühjahr 2015 in München, »ob es eine gute Idee wäre, Mutter und Schwestern von dort weg zu bringen.«179 Wir saßen auf dem Balkon seiner vom Residenztheater zur Verfügung gestellten Wohnung und tranken starken, bosnischen Kaffee. Sudbin war in München für Theaterproben, denn seit Frühjahr 2015 erzählte er seine Geschichte nun auf der Bühne – im Stück »Dark Ages« des Schweizer Regisseurs Milo Rau. Rau, den der S­ PIEGEL als gegenwärtigen »Star des politischen Theaters« bezeichnet,180 hatte in Vorbereitung zum zweiten Teil seiner »Europa-Trilogie« eine Reise durch Bosnien und Herzegowina unternommen und wurde in Prijedor von Sudbin Musić durch die Gedenklandschaft geführt. Rau war auf der Suche nach Geschichten und Schauspielern für sein Theaterstück über das finstere »Fundament Europas – von 1945 bis 1995, vom Untergang des Dritten Reichs

Europa« (OSZE) haben diese Prozesse überwacht und dem Bosnischen Gerichtshof gute Arbeit attestiert. Vgl. URL: http://www.trial-ch.org/en/resources/tribunals/hybridtribunals/war-crimes-chamber-in-bosnia-herzegovina.html (am 29.06.2015). 176 Kutnjak Ivković, Sanja / Hagan, John: Reclaiming Justice. The International Tribunal for the Former Yugoslavia and Local Courts. Oxford, New York 2011, 169. 177 Die Mittel wurden seit 2014 gezahlt und über hundert Angestellte, 16 Anwälte und sechs Richter konnten so engagiert werden. Karup-Druško: Postignuća u BiH. 178 URL: http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2014/20141008-bosnia-andherzegovina­-progress-report_en.pdf, 12.  179 Ebd. 180 Becker, Tobias: Geschichten aus dem Balkankrieg. Therapie im Theater. In: SPIEGEL vom 13.04.2015. URL : http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/residenztheater-thedark-ages-von-milo-rau-im-marstall-a-1028171.html (am 01.01.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

142

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

bis zur Belagerung Sarajewos«.181 Neben der professionellen Schauspielerin Vedrana Seksan vom Sarajewoer Nationaltheater entschied sich der Theatermacher auch für den Menschenrechtsaktivisten aus Prijedor. Letzterer hatte keinerlei Erfahrung mit dem Theater und lehnte ab. Doch Rau gab Sudbin etwas Zeit, rief nochmal an und bestand auf dessen Teilnahme. Musić stimmte zögerlich zu. Und in Folge wird das Büro des Aktivisten dann im Münchener Marstall zur Theaterkulisse, vor welcher sich fünf Lebensgeschichten aus Europa in Erzählungen entspinnen.182 Ein Großteil von Sudbins Arbeit zuvor bei »Prijedor 92« hatte daraus bestanden, Erzählenden zuzuhören. Regisseur Rau machte diese Praxis in verfremdeter Form zum theatralischen Setting seiner »politischen Psychoanalyse unserer Zeit«.183 Außer dem Theaterlaien Musić, der sich als Bosniake bezeichnet, erzählen vier professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne aus ihrem richtigen Leben – eine Serbin aus Belgien, eine Russin aus Deutschland, ein Deutscher, dessen Identität von anderen als nationalen Kategorien gezeichnet ist, sowie eine Bosnierin.184 Dabei filmt jeweils eine Person die erzählende, die anderen hören zu. Die nah heran geholte Mimik des oder der Erzählenden verstärkt die intime Zuhöratmosphäre des kleinen Büros. Gleichzeitig hat das Filmen einen Dokumentationscharakter, der die Intimität von Zuhören und Erzählen bricht und an Zeitzeugeninterviews im Fernsehen oder an die Sitzungen einer Wahrheitskommission erinnert. Rau meint, dass die Schauspieler*innen beim Erzählen ihrer Erfahrungen sowohl Spezialist*innen für ihr Leben als auch professionelle Darsteller*innen sind. Sudbin schließt er dabei ein, er wird in der Pressemappe als »Menschenrechtsaktivist, Autor und Politiker« vorgestellt, der »geübter Darsteller seiner selbst« sei.185 Sudbin ist zur zentralen Figur des Stückes geworden, auch das Programmheft zeigte sein Gesicht in Großaufnahme. Seine Geschichte ist hier aber nicht wie bei REKOM eine frei erzählte, sondern eine vom Regisseur aus Musićs Rekonstruktionen dramatisch fürs Theater erstellte. Damit hatte Sudbin seine Schwierigkeiten. Der Regisseur habe sehr vieles gestrichen und gekürzt, beschwerte sich Sudbin im Gespräch mit mir. Und wenn er im Theater schon nicht sagen könne, was er will, dann doch wenigstens, wie er es will: »Sag es so oder sag es so. Nein! Ich sage es so, weil ich das aus meinem ganzen Herzen sagen werde, im Rhythmus und Tempo, direkt. Wie ich ja das 181 International Institute of Political Murder: The Dark Ages. Pressemappe. URL : http:// international-institute.de/wp-content/uploads/20150116_Pressemappe_The-DarkAges.pdf (am 01.01.2016). 182 Feldnotizen d. Vf., 18.04.2015, »Dark Ages« – Aufführung im Marstall München. 183 International Institute of Political Murder: The Dark Ages, 4.  184 Als Bosnierin bezeichnet sich diejenige, die sich als Bürgerin des Staates Bosnien und Herzegowinas versteht, ohne ethnische Zuschreibungen zu berücksichtigen. 185 Ebd., 7. 

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

143

immer mache!«186 Nach unserem Gespräch wird der »geübte Darsteller seiner selbst« zwei Jahre lang mit diesem Theaterstück durch Europa reisen und seine Geschichte immer wieder in dieser Form erzählen. Daher habe ich auch untersucht, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Theatererzählung zu Sudbins Erzählung bei REKOM aufweist. Sudbin hatte somit das erste Wort im Theaterstück: »Das ist mein Büro. Das ist die bosnische Flagge, ich bin also Bosnier.«187 Dass diese Identitätszuschreibung aber alles andere als einfach und eindeutig ist, wird danach deutlich. Am Schreibtisch sitzend erzählt »dieser Mohammedaner, skandinavisch aussehende, der Europäer ist«188 auf Bosnisch davon, wie die Überlebenden zu ihm kommen, rauchen, ihre Geschichten erzählen. Die deutsche Übersetzung dazu wird unter der schwarz-weißen Großaufnahme seines Gesichtes auf der Leinwand eingespielt. Er erzählt dann aber nicht von seinen Gewalterlebnissen, wie bei REKOM, sondern von seinem Leben danach. Sudbin schildert ruhig die Ausgrabungen eines vor nicht langer Zeit entdeckten Massengrabes, in Tomašica, und wie dabei auch seine vermissten Bekannten identifiziert wurden. Ausschnitte eines Amateurvideos von einer bosnischen Hochzeit im Januar 1990 werden in Farbe gezeigt. Auch später verwendet das Stück Fotos, Ausweise, Karten, Bücher und Videos als materielle Stützen der Erinnerungserzählungen. Sudbin sagt nach dem Video: »Alle sind tot. Aber ich bin hier. Und ich kann nicht vergessen.«189 Auf diesen Prolog folgt der erste Akt des Stückes. Die Serbin Sanja Mitrović etwa erzählt von ihren ungarischen Kindheitsfreundinnen in der Vojvodina, die plötzlich und »ohne Entschuldigung« nicht mehr zum Spielen gekommen sind, als sich der Krieg in Jugoslawien ausbreitete. Die Bosnierin Vedrana Seksan erinnert sich unter anderem daran, wie sie als Teenager im belagerten Sarajewo Kinokarten kaufen wollte und unweit von ihr eine Granate in eine für Lebensmittel anstehende Schlange Menschen einschlug. Aufnahmen des bosnischen Fernsehens zeigen Blut, Leichen und Panik.190 Die Erinnerungs186 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 187 Feldnotizen d. Vf., 06.12.2015. Zweiter Besuch der »Dark Ages« – Aufführung im Marstall München. 188 Selbstbeschreibung Sudbins im Interview, 15.04.2015, München, D. 189 Feldnotizen d. Vf., 06.12.2015. Zweiter Besuch der »Dark Ages« – Aufführung im Marstall München. 190 Bosniens Hauptstadt Sarajewo war insgesamt 44 Monate von serbischen Streitkräften umzingelt. Das bedeutete, dass Sarajewo fast vier Jahre belagert und dadurch von Wasser, Strom, Versorgung abgeschnitten war und die Zivilist*innen täglich mit Granaten beschossen wurden. Zwei Angriffe auf eine Schlange von Menschen, die auf dem Marktplatz für Lebensmittel und Wasser anstanden, sind nur einige der verheerenden Verbrechen während der Belagerung Sarajewos. Zwei Kommandanten der serbischen Einheiten wurden dafür vor dem ICTY für Kriegsverbrechen verurteilt (Stanislav Galić und Dragomir Milošević).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

144

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

erzählungen der anderen Schauspielerinnen und Schauspieler entfalten sich ebenfalls. In Sudbins zweitem Auftritt berichtet er von seiner Flucht aus Bosnien, der »serbischen Mafia« in slowakischen Flüchtlingsunterkünften und Silvester 1993 im Flüchtlingslager. Er zeigt ein Foto, das ihn abgemagert abbildet und zeichnet auf einer Karte die Fluchtroute seiner Familie nach: Travnik (BiH) – Split (HR)  – Rijeka (HR)  – Budapest (HU)  – Bratislava (SL). Illegal sei die Familie dann nach Deutschland gekommen, ins Ruhrgebiet, in die Kleinstadt Inden. Er erinnert sich, dass in der nächstgrößeren Stadt, Düren, viele Türken wohnten, und an einem Haus die Aufschrift »Messer rein, Messer raus, Messer rot, Türke tot« prangte.191 Sanja erzählt von der Lebensmittelknappheit und den Stromzuteilungen während des internationalen Handelsembargos, das die Vereinten Nationen 1992 über Restjugoslawien verhängt hatten und welches die Wirtschaft des Landes zusätzlich zu den Kriegskosten belastete. In Sudbins drittem und längsten Sprechakt erinnert er sich an die »ethnischen Säuberungen« in seinem Dorf. Hier gibt es Parallelen zu seiner Aussage bei REKOM . Er erzählt von der Handgranate, die aufs Haus gerichtet war; der Mutter, die nach draußen ging und mit einem weißen Tuch winkte, dem zynischen »Guten Morgen« der Soldaten, dem Versprecher bei der Frage nach Sudbins Alter und dass ihm dieser wohl das Leben rettete, sowie von den Erkundigungen nach dem Vater und den Beleidigungen der Mutter als »Hure« durch die Soldaten.192 Identische Sätze wie bei der REKOM Aussage höre ich von Sudbin nun auf der Bühne, wie etwa die Drohung des einen Soldaten: »Die sensen da oben unsere um, jetzt werde ich Euch Eure ummähen.«193 Auch den Befehl des Offiziers an die Soldaten auf die Frage, was sie mit den minderjährigen Jungen machen sollten: »Bring es dort runter!« (Goni to dole) gibt Sudbin im selben Wortlaut wie bei der REKOM Aussage wieder. Des Weiteren erzählt er auf der Bühne wie bei REKOM vom Soldatenprügel, von dem rotbärtigen, archaisch wirkenden Serben, der die beiden Jungen an der Sana erschießen sollte; davon, wie er den Bruder an die Hand genommen hatte, betete und er im Fluss die Leichen seiner Nachbar*innen schwimmen sah. Schließlich berichtet Musić von dem Busfahrerkollegen seines Vaters, der die beiden Jungen vor dem Erschießen rettete. »Dann bin ich mit dem Bus, mit dem ich sonst in die Schule gefahren bin, ins Konzentrationslager gefahren.«194 Damit beendet er seinen dritten Sprechakt. Seine Erlebnisse im Lager Trnopolje sind nicht Teil der auf der Bühne erzählten Handlung. 191 Feldnotizen d. Vf., 06.12.2015. Zweiter Besuch der »Dark Ages« – Aufführung im Marstall München. 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

145

Als Musić das vierte Mal im Stück vor der Kamera sitzt, berichtet er von seinem Besuch beim ICTY in Den Haag. Nun ging es also um juristische Aspekte der Aufarbeitung; in Sudbins Fall jedoch um die juristische Nichtaufarbeitung. Laut Theaterstück wollte Musić im Prozess gegen den Anführer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, aussagen. Doch die Aussage kam nicht zustande, weil der Angeklagte den Prozessbeginn torpedierte. Radovan Karadžić war nach dreizehnjähriger Flucht im Sommer 2008 in Belgrad festgenommen und nach Den Haag ausgeliefert worden. Allerdings boykottierte der für Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Angeklagte das ICTY und erschien nicht zum Prozessauftakt. Mit sechsmonatiger Verzögerung begann dann im März 2010 der Prozess, bei dem sich der studierte Psychiater selbst verteidigte. Die Gerichtsverhandlungen dauerten bis Oktober 2014 und am 24. März 2016 wurde Karadžić für Genozid, Menschenrechtsverbrechen u. a. in erster Instanz zu vierzig Jahren Haft verurteilt.195 Im Berufungsverfahren erhielt er Anfang 2019 die Höchststrafe: lebenslänglich.196 Im Theater werden die Redebeiträge nun immer kürzer. Sanja erinnert sich daran, wie ihr krebskranker Vater im Herbst 2000 zu ihrer Performance in Belgrad aus der Vojvodina anreiste und Fernsehaufnahmen spielen die Straßenproteste ein, die am 5. Oktober 2000 den Kriegspräsidenten Slobodan Milošević stürzten. Es zeichnet das Stück aus, dass private Erinnerungen mit politischen Umwälzungen verwoben werden. Kurz nach dem Sturz Miloševićs in Serbien starb Sanjas Vater und die Schauspielerin ging nach Belgien. Auch Sudbin erzählt in seinem fünften Sprechakt von seinem Vater, und zwar von der DNA-Analyse der Überreste seines ermordeten Vaters. Er kommentiert den Vorgang beinahe zynisch damit, dass die »Bosnier weltweit führend bei der Leichenidentifikation« seien. Letztere Information erhält man tatsächlich von der »International Commission on Missing Persons« (ICMP).197 Zu Kriegsende 1995 waren rund 30.000 Menschen vermisst, 2015 führte das ICMP noch rund 8.000 Vermisste in Bosnien und Herzegowina.198 Somit sind heute etwas mehr als 70 % der Vermissten gefunden bzw. sind Leichenteile von ihnen identifiziert. Noch während des Krieges wurden die 195 ICTY Case Information Sheet: Radovan Karadžić (IT-95–5/18). URL : http://www.icty. org/x/cases/karadzic/cis/en/cis_karadzic_en.pdf (am 08.09.2017). 196 Subotić, Jelena: Radovan Karadžić Leaves  a Legacy of Cruelty, 21.03.2019, URL : https://balkaninsight.com/2019/03/21/radovan-karadzic-leaves-a-legacy-of-cruelty/ (am 01.04.2019). 197 »No other country has matched this.« ICMP : Authorities Will Sustain Search for the Missing. URL : http://www.icmp.int/?story=authorities-will-sustain-search-for-the-missing (am 05.01.2016). 198 ICMP : Effort to Account for the Missing Must Continue. URL : http://www.ic-mp.org/ news/effort-to-account-for-the-missing-must-continue/ (am 28.06.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

146

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Leichen oder Leichenteile häufig noch einmal aus- und dann an anderen Orten begraben, sodass ihr Fund später erschwert werden würde. Ein Raunen geht durch das Publikum, als Sudbin erzählt, wie er den Schädel seines Vaters in der Hand hielt. Nach diesem dramaturgischen Griff wird es dunkel auf der Bühne und plötzlich sieht man auf der Leinwand, wie Sudbin in Renaissancekleidung auf einer Redekanzlei Hamlet zitiert. Für den Regisseur Rau ist Hamlet »die Verkörperung des Nicht-loslassen-könnens. […] Er soll sich beruhigen, er soll sich integrieren, aber er kann die Vergangenheit nicht loslassen, wie unsere Darsteller.«199 Das letzte Mal sehen wir Hamlet-Sudbin wieder im Büroerzählraum. Er berichtet, dass es vor dem Krieg in Čarakovo 2.417 Einwohner*innen gegeben habe. Jetzt lebten dort nur noch »einige Hundert« und er fühle sich »wie der letzte Mohikaner«.200 Genauso hatte er mir auch im Interview 2012 seine Situation beschrieben. Sudbin klagt weiter: »Und ständig frage ich mich, was ich da eigentlich mache? Es gibt kein Denkmal, es gibt keine Gerechtigkeit. Die Leute sterben, sterben, sterben. Und in einigen Jahren wird es hier niemanden mehr geben.«201 Die einzige Hoffnung, die es am Ende des Stückes gibt, liegt in der Erinnerung. Der Historiker K.  Erik Franzen vermutet, dass das Stück zwischen den Schauspieler*innen einen Austausch- und Anerkennungsprozess in Gang gesetzt haben könnte. Denn das Besondere am Dokumentartheaterstück »Dark Ages« läge in der Prominenz des »Erzählen[s] selbst«, welches deswegen einen »große[n] Abend« bewirke, weil die Inszenierung das »Anhören der Geschichten von anderen« als wichtigen Teil betone.202 Damit meint er insbesondere das gegenseitige Anhören der Geschichten von »Angehörigen verfeindeter Gruppen der jüngsten Balkankriege«. Das klingt nach dem Format einer Wahrheitskommission, nur umgesetzt als Theaterstück. Als ich Sudbin im Interview nach der Zusammenarbeit mit den Theaterkolleg*innen frage, sagt er: »Super.« Er macht dann aber eine Pause und meint daraufhin: »Die Rolle von Sanja war mir ein bisschen –. Mir tut sie leid, weil die ist ja nicht so eine, die auf dem eigenen Rücken die Schuld des serbischen Volkes tragen soll.«203 Für die Sarajewoerin Vedrana Seksan war es das erste Mal, dass sie im Theater mit ihrer persönlichen Kriegsgeschichte arbeitete. Insofern war das Stück insbesondere für ihre eigene Aufarbeitung wichtig. Immer wenn Vedrana an der Erzählreihe ist, zündet sie sich eine Zigarette an und sammelt sich ein paar Sekunden, bevor sie zu erzählen beginnt. Sie weiß, dass sie so nicht 199 Flyer / Rückseite des Posters zur Premiere von »Dark Ages« im April 2015 in München. 200 Feldnotizen d. Vf., 06.12.2015. Zweiter Besuch der »Dark Ages« – Aufführung im Marstall München. 201 Ebd. 202 Franzen, K. Erik: Total Real? In: Frankfurter Rundschau vom 12.04.2015. 203 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

147

noch einmal arbeiten möchte, »weil das eine schöne, aber auch schmerzhafte Erfahrung« sei.204 Im Rahmen des Theaterstücks kann Sudbin nun auf das symbolische Kapital des Völkermordbegriffes zurückgreifen, sein Kurzprofil in der Pressemappe hält fest, dass er sich »für die Belange der Opfer des bosnischen Genozids seiner Heimat« einsetzt.205 Dass der genozidale Charakter der Vorkommnisse in der Gemeinde Prijedor gerichtlich bisher nicht anerkannt wurde, für Sudbin jedoch »die Wahrheit« ausmacht, hatte anfangs sein Zögern zusätzlich verstärkt, seine Erfahrungen auf einer Theaterbühne zu erzählen. Er wollte verhindern, dass die Zuschauer*innen die Fakten mit der Fiktion des Theaters verwechslen.206 Letztlich hat Sudbin aber die Strategie des Dokumentar­ theaters akzeptiert: »Sind unsere Erzählungen wirklich oder ausgedacht? Mit anderen Worten, jeder von uns stellt die Frage danach, wo unsere Wirklichkeit beginnt.«207 Während eine Wahrheitskommission per Titel die dort erzählten Geschichten als »wahr« validiert, bietet die Kunst den Raum, genau diese Frage als Kern der Erinnerungsarbeit mehrdimensional zu reflektieren, ohne zu eindeutigen Antworten gezwungen zu sein.208 Mittlerweile sah Musić in »Dark Ages« die Möglichkeit, seine Erfahrungen in Prijedor einer viel breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln als er es als bosniakischer Vertreter einer Opfergruppe vor Ort in der Republika Srpska je tun konnte: Da unten, das ist ein Monolog, ein Monolog, ein Monolog. Und wir in Prijedor, Gott sei Dank, wir haben das super angestellt. Viele machen was, das ist richtig bürgerlich, alles ist total zivilisiert, so ein Niveau, aber nichts!209

Trotz der zahlreichen Opferaktivitäten in der Gemeinde Prijedor bleibt die Anerkennung ihrer Leiden dort aus. Deswegen trat Musić am 31. Mai 2015 mit einer weißen Armbinde auf die Münchener Bühne. Die Armbinde ist Teil einer seit 2012 praktizierten Gedenkaktion an die nichtserbischen Opfer des Krieges in Prijedor. Sie erinnert an die weißen Markierungen, mit denen alle Nichtserb*innen während des Krieges ihre Häuser kennzeichnen mussten, um Loyalität zu bekunden, was letztes jedoch ins Gegenteil gewendet wurde, da sie so besser verfolgt werden konnten und so ihre Loyalität verraten 204 Milekić, Sven: »Mračno doba« rata u BiH pretočeno u dramu. In: BIRN vom 03.11.2015. 205 Pressemappe »Dark Ages«, 13. URL : http://international-institute.de/wp-content/ uploads/20150116_Pressemappe_The-Dark-Ages.pdf (am 05.01.2016). 206 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 207 Milekić: »Mračno doba«. 208 Und prompt kam ein Zuschauer nach der Vorstellung auf Sudbin zu und fragte, ob das wirklich seine persönlichen Erfahrungen waren. Damit hatte Sudbin mittlerweile gerechnet und er erklärte alles gerne noch einmal. Feldnotizen d. Vf., 18.04.2015. 209 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015. München, D.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

148

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

wurde.210 Durch das Theaterstück konnte Sudbin diese lokale Erinnerungsaktivität nun auch außerhalb Bosniens praktizieren und eine europäische Öffentlichkeit erreichen. Mittlerweile wurde »Dark Ages« außer in Deutschland auch in Belgien, der Schweiz, den Niederlanden und in Frankreich aufgeführt. Musić sagt, er habe mit dem Theaterstück »eine Art Denkmal all den Menschen errichtet, die [er] in den Neunzigern verloren habe«.211 Das Erzählen der persönlichen Lebenserfahrungen auf der Bühne schafft somit eine andere Wirklichkeit für die darin dargestellten Individuen – ihr Leben und Wirken werden derart in der Kunst verlängert. In Sudbins Fall bot das Theater auch eine Ersatzwirklichkeit, in der das öffentliche Gedenken an die Opfer des Krieges ohne Leugnung und Politisierung möglich ist. Hier endlich  – auf europäischen Theaterbühnen – fand er bedingungslose Anerkennung. 3.4.2 Von Opfern zu Autor*innen

Während Sudbin eher zufällig seine Geschichte künstlerisch im Theater weiter verarbeitet hat, war für Saranda die Kunst bereits seit ihrer Kindheit ein vertrautes Medium. Und so nutzte die junge Frau trotz der zahlreichen Möglichkeiten, von ihrer Erfahrung zu zeugen – in der Schule, in den Medien, bei REKOM oder mehrmals vor Gericht – auch die Kunst, um ihre ganz eigene Form der Verarbeitung zu finden. Zusammen mit ihrer Cousine Jehona, ihrem Cousin Fatos und unter der Anleitung des britischen Kurators James Walmsley, erarbeitete sie die Ausstellung »BOGUJEVCI // VISUAL HISTORY«.212 In vier Räumen erzählen sie »our story of our shooting, grief, healing, and ultimately our unstoppable quest for the truth and justice, in our own words, interviews, pictures and film«.213 Die vier Räume zeigen vier thematische Installationen: im ersten Zimmer eine Nachbildung des Wohnzimmers als Zentrum des harmonischen Familienlebens, wovon zusätzlich eine Original-Videoaufnahme aus den neunziger Jahren im heimischen Fernseher zeugt. Der Stammbaum der Bogujevci und Duriqi Familien an einer roten Wand im zweiten Zimmer präsentiert die Fotos der Familienmitglieder  – ein Foto in schwarz-weiß 210 Brenner, Manuela: Wem gehören die Nationalhelden des Zweiten Weltkrieges? URL : http://erinnerung.hypotheses.org/387 (am 07.01.2016). 211 Milekić: »Mračno doba«. 212 Walmsley stellt in seiner Galerie in Manchester vor allem politisch und sozial engagierte Kunst vor. Vgl. URL : www.artlandgallery.co.uk (am 18.09.2015). 213 Ich konnte die Ausstellung selbst nicht besuchen, sondern ich beziehe mich in meiner Darstellung auf den Ausstellungskatalog sowie Presseberichte über die Ausstellungseröffnung am 18.12.2013 in Belgrad. Ausstellungskatalog »BOGUJEVCI // VIZUELNA ISTORIJA . Omaž svim porodicama i žrtvama rata. BOGUJEVCI // VISUAL HISTORY. A Homage to all the Families and Victims of War«, hg. Kulturni centar Beograda, Beograd 2013, erhalten von Saranda Bogujevci am 07.10.2014 in Prishtina (Hervorhebungen im Original).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

149

bedeutet tot, farbig bedeutet lebend. Zusätzlich sind im zweiten Raum persönliche Gegenstände ausgestellt, wie beispielsweise ein Kinderpullover mit Kugeleinschusslöchern und Blutflecken sowie eine durch eine Kugel zerteilte Armbanduhr. Zimmer drei rekonstruiert ein Mehrbettenraum des Prishtinaer Krankenhauses, in dem die Kinder elf Wochen verbrachten und von serbischen Ärzt*innen und Pflegepersonal behandelt, aber gedemütigt wurden. Ein großes Foto von Saranda veranschaulicht die Qualen dieser Wochen und in drei Videoinstallationen erzählen die drei Künstler*innen von ihren Erlebnissen im Krankenhaus. Im vierten Zimmer werden vier Dokumentarfilme des BBC Reporters Paresh Patel gezeigt, welche zunächst die physische Gesundung der Kinder in Manchester dokumentieren. Dann berichten sie über die erste Aussage vor Gericht in Belgrad 2003 und das Ringen um die Auslieferung des in Kanada weilenden »Skorpions« Dejan Demirović nach Serbien. Schließlich wird auch über die zweite Aussage vor dem Belgrader Gericht 2008 berichtet. An einer Wand sind Auszüge zahlreicher Presseartikel in verschiedenen Sprachen über das Schicksal der Familien in Kombination mit Aussagen von Familienmitgliedern präsentiert. Im Ausstellungskatalog betonen Saranda, Jehona und Fatos wiederholt, dass sie als Künstler*innen (und nicht als Opfer) ihre Geschichte erzählen. Der Katalog endet mit den Worten: The exhibition is a multi-media experience that has taken us a decade of dedicated work to create. We are three artists from Kosovo who survived one of the worst massacres of the Balkans’ war perpetrated by Serbian forces. It is intended to be a tribute to all innocent victims of war and a poignant reminder that truth and justice can prevail over evil. The exhibition will continue to tour internationally.214

Zum ersten Mal wurde die Ausstellung in der Nationalgalerie des Kosovos am 14. Oktober 2011 gezeigt. In Prishtina wurde die Ausstellung, so Saranda, zu einem Ort, an dem die Menschen über ihre Kriegserfahrung sprechen konnten, viele Menschen empfanden das Projekt als »their story being told«.215 Saranda erklärt das damit, dass etwas mehr als eine Dekade nach dem Kosovokrieg im Land selbst wenig öffentlicher Raum für Zivilist*innen bestanden habe, um die Kriegserfahrungen zu artikulieren. Im Mittelpunkt steht der heroisierte bewaffnete Widerstand der UÇK , der für die Unabhängigkeit des Kosovo sinnstiftend ist. Die im öffentlichen Raum errichteten Denkmäler und Gedenkstätten des Kosovokrieges sind zum überwiegenden Teil private Initiativen von Familien.216 Sie ehren zumeist die Kämpfer der UÇK in martialischer Ikonographie. In der kosovarischen Öffentlichkeit überwiegt somit ein 214 Ausstellungskatalog »BOGUJEVCI // VIZUELNA ISTORIJA«. 215 Ebd. 216 Auch das Denkmal für den Gründer der UÇK , Adem Jashari, in Prekaz, das nach der Unabhängigkeit Kosovos 2008 zur nationalen Gedenkstätte weiterentwickelt wurde, geht auf die private Initiative der Familie Jashari zurück. Es ist gleichzeitig die Grabstätte al-

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

150

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

heroisches Kämpfergedenken, bei welchem die Geschichten der Zivilist*innen – wie im Falle der Bogujevci Familie – wenig Artikulationsraum erhalten. Die Ausstellung wurde dadurch zu einem alternativen Ort des Sprechens über Leidensgeschichten. Nach dem die Ausstellung 2012 in der Nationalgalerie in Tirana gezeigt wurde, folgte Ende 2013 dann ihre Eröffnung im Belgrader Kulturzentrum, einer zentralen öffentlichen Einrichtung der serbischen Hauptstadt. Anlässlich dieses Ereignisses wurde der Ausstellungskatalog auf Serbisch und Englisch gedruckt.217 Die Belgrader Veranstalter*innen nehmen im Grußwort den Titel der Ausstellung noch einmal verändert auf als »Bogujevci – visual – emotional history« (Hervorhebung durch d. Vf.), um darunter festzuhalten: Wir müssen einen Dialog eröffnen, und auch wenn wir unterschiedliche Wahrheiten und Meinungen vertreten, müssen wir die Kraft finden uns gegenseitig zuzuhören. Auch dann, wenn das Resultat des Gespräches ist, dass wir nicht einer Meinung sind. Denn keine Politik ist wichtiger als das Leben.218

Vor dem Belgrader Kulturzentrum protestierten rund einhundert serbische Nationalist*innen gegen die Ausstellung und riefen »Kosovo ist Serbien!« sowie »Verrat!«.219 Zur Eröffnung, die noch zwanzig Minuten vorher wegen Drohungen serbischer Radikaler abgesagt wurde und dann unter aufwendigem Polizeischutz doch stattfand, kam der damalige serbische Premier Ivica Dačić persönlich. 1999 hatte Dačić eine verantwortungsvolle Position in der serbischen Polizei innegehabt, war somit Teil von Miloševićs Machtapparat gewesen und seit dem Tode Miloševićs 2006 war er Vorsitzender dessen Sozialistischer Partei Serbiens (Socijalistička partija Srbije). Es war aber auch Dačić, der im April 2013 als serbischer Ministerpräsident in Brüssel unter Vermittlung der damaligen EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton Verhandlungen mit dem Premier Kosovos, Hashim Thaçi, führte und ein als historisch bezeichnetes Normalisierungsabkommen zwischen Serbien und Kosovo unterzeichnete.220 Im Dezember 2013 eröffnete Dačić nun die Ausstellung über das Massaker einer serbischen Spezialeinheit an kosovarischen ler im Konflikt umgekommenen Familienmitglieder. Feldnotizen d. Vf., 06–07.10.2014, Prishtina, Prekaz (5th annual study trip and workshop of Memory Lab). 217 Am Ende des Katalogs sind die Logos des Außenministeriums der Schweizer Eidgenossenschaft, der »Open Society Foundation Serbien«, der »Bogujevci Family Foundation«, des »heartefact funds« und des Belgrader Kulturzentrums zu finden, was auf eine nicht näher ausdifferenzierte Unterstützung dieser Organisationen für das Zustandekommen der Ausstellung verweist. 218 Ausstellungskatalog »BOGUJEVCI // VIZUELNA ISTORIJA«. 219 Ristić, Marija: Serbia PM Shows Up at Kosovo Massacre Exhibition. In: BalkanInsight vom 19.12.2013. 220 European Stability Initiative: Kosovo. URL : http://www.esiweb.org/index.php?lang=de &id=44 (am 20.10.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

151

Zivilist*innen mit der Mahnung, dass alle Opfer des Kosovo Konfliktes erinnert werden müssten, dass Denkmäler für serbische und albanische Opfer errichtet werden und alle Täter*innen, aller Seiten, vor Gericht gebracht werden müssten.221 Die drei jungen kosovarischen Autor*innen der Ausstellung begrüßte der Premier auf Serbisch mit der Frage »Woher seid ihr?« (Odakle ste?).222 Was unter normalen Umständen eine wohlwollende Frage sein kann, erhält in diesem Setting eine signifikante Brisanz. Woher kommen Saranda, Jehona und Fatos? Aus einer Kleinstadt in der Bundesrepublik Jugoslawien, aus der Bogujevci Familie, aus einer Gruppe von kosovarischen Frauen, Kindern und Alten, an der eine serbische »Anti-Terror-Einheit« ein Massaker verübte? Aus zahlreichen Krankenhausaufenthalten, aus Manchester, aus dem unabhängigen Kosovo, aus dem Zeugenstand verschiedener Kriegsverbrecherprozesse, aus Serbien? So unverfänglich die Frage nach der Herkunft sonst sein mag, in diesem Kontext von einem serbischen Politiker auf Serbisch an drei kosovarische Überlebende eines Kriegsverbrechens einer serbischen Spezialeinheit gerichtet, so unmissverständlich offenbart sie hier die Verweigerungshaltung diese Fakten anzuerkennen. Sie offenbart die Diskrepanz zwischen der symbolischen Anerkennung, die das Stattfinden der Ausstellung in einer öffentlichen Kultureinrichtung der serbischen Hauptstadt unter Anwesenheit des Premiers vermittelt und der tatsächlichen Akzeptanz des Grauens, welches die drei kosovarischen Autor*innen der Ausstellung erfahren haben. Oder anders formuliert, das eine ist die politische, deklarative Akzeptanz des Verbrechens, das andere ist die menschliche, tatsächliche Anerkennung des Leidens der Opfer. Denn woher die drei kommen ist eine Frage nach ihrer Identität, welche durch das Massaker an ihnen und ihren Familien am 28. März 1999 grundlegend erschüttert worden ist. Verbrechen anzuerkennen, die im Namen eines Staates und / oder eines Volkes begangen wurden, gehört zu einer aufgeklärten Kultur, die man mittlerweile von Beitrittskandidaten zur Europäischen Union erwartete und worin sich der serbische Premier zumindest deklarativ fügte. Die Akzeptanz des Leidens der Opfer und des Fortwirkens der Verbrechen in ihren anschließenden Leben erzielt jedoch weniger politische Wirkmacht und gehört in die Kategorie »Empathie«. Diese spielte für den Politiker Dačić offensichtlich keine Rolle. Doch um genau diese menschliche Dimension geht es den drei Autor*innen in ihrer Ausstellung:

221 Ristić: Serbia PM Shows Up. 222 Simonović, Marko: Odakle su deca porodice Bogujevci? In: Peščanik vom 01.01.2014. URL : http://pescanik.net/odakle-su-deca-porodice-bogujevci/ (am 16.10.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

152

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

In addition to being an educational resource, the exhibition is also an attempt to explore the resilience of the human spirit. Our work has also provided us with an outlet and medium to express the impact this crime against humanity has had on lives.223

Für Saranda war Dačićs Anwesenheit zur Belgrader Ausstellungseröffnung deswegen eine Gratwanderung, im Interview mit mir spricht sie darüber erst auf Nachfrage: […], it was a very difficult moment to be honest. Because on the one hand it was really important that he was there and in some way I felt that publicly [?] was acknowledged. But then on the other hand, it’s like: Do I want to let you in when you were part of –, I don’t know. It’s not just the regime, but parts of that group who actually –, ahhmm, let this happen. [Lange Pause] So, it was a –, it was a very tough moment.224

Auch Sudbin Musić war bei der Ausstellungseröffnung im Dezember 2013 in Belgrad, da das Ereignis von einer Podiumsdiskussion begleitet wurde, zu welcher er vom Menschenrechtsfond als Redner eingeladen war. Hier kreuzen sich auch außerhalb der REKOM Initiative beide Aufarbeitungsgeschichten. Die Eröffnung durch den damaligen serbischen Premierminister kritisierte Sudbin vehement: Und ich war sowas von außer mir. […] Pfui, pfui, Jacqueline! Fond za humanitarno pravo [Menschenrechtsfond], quatsch! Das ist das Problem. Öffnen wir unsere Augen: Fond za humanitarno pravo ist ein kosmetischer Salon für neue, aber eigentlich alte, großserbische Politik.225

Dass der während des Kosovokrieges bereits in politischer Verantwortung gewesene Dačić nun zur Ausstellungseröffnung über ein Projekt kommt, welches diese Verbrechen dokumentiert und öffentlich in Serbien thematisiert, war für Sudbin »ein Theater«, welches die Arbeit des Menschenrechtsfonds diskreditiere. Er fand es unerträglich, gemeinsam mit einer serbischen Führungskraft und den überlebenden Opfern nach der Eröffnung in ein Restaurant zu spazieren und dabei von gefühlten »2.000 Ninja Turtles« [Polizist*innen in Kampfausrüstung] bewacht zu werden.226 Einerseits empörte ihn also die heuchlerische Haltung des damaligen serbischen Premiers, der von den Verbrechen im Kosovo 1999 mindestens wusste, sie aber nicht verhinderte, und welcher dann bei einem den Verbrechen gewidmeten Aufklärungsprojekt als politische Versöhnungsprominenz auftritt. Andererseits mag die Anwesenheit einer großen Gruppe serbischer Polizist*innen Sudbin in den Augenblick des 23. Juli 1992 in Čarakovo zurück versetzt haben, als er durch eine Masse 223 Ausstellungskatalog »BOGUJEVCI // VIZUELNA ISTORIJA«. 224 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 225 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 226 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

153

von serbischen Soldaten rennen musste, verprügelt wurde und dabei beinahe getötet worden war.227 Die Besucher*innen in Belgrad reagierten sehr unterschiedlich auf die Ausstellung. Im Gästebuch, so Saranda im Interview mit mir, bekundeten viele, dass das, was passiert war, schrecklich sei und Serb*innen dafür endlich die Verantwortung übernehmen sollten. Andere wiederum hinterließen »nasty comments«, auf welche wiederum neue Besucher*innen reagierten und ihre Ablehnung ausdrückten.228 Auch erhielten die Ausstellungsmacher*innen viele Reaktionen per E-Mail und über die sozialen Netzwerke. In Prishtina hatten die drei Cousins auch Workshops mit kosovarischen Schulkindern durchgeführt und gehofft, dass dies auch in Belgrad möglich wäre. Davon haben die Veranstalter*innen dann jedoch abgeraten, weil sie befürchteten, dass die Eltern damit nicht einverstanden wären. Wie schwer die serbische Leugnung von Verbrechen im Kosovo wiegt, mag der Empfang illustrieren, der dem ehemaligen Stabschef des »Priština Corps«, Vladimir Lazarević, nach vierzehnjähriger Haft zurück in Serbien bereitet wurde: Der serbische Justiz- und der Verteidigungsminister holten den vom ICTY für Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo Verurteilten im Dezember 2015 mit einem Regierungsflugzeug aus den Niederlanden ab.229 Zurück in der Freiheit in Serbien wurde der Kriegsverbrecher Lazarević nicht nur von einigen hundert Jubelnden unter Bannern mit »Willkommen unser Held!«, sondern auch vom serbischen Arbeitsminister, dem Leiter der serbischen Armee, einem serbisch-orthodoxem Bischof und dem Bürgermeister seiner Heimatstadt Niš staatsmännisch begrüßt.230 Vor diesem Hintergrund mag die Vorsicht der Ausstellungsorganisator*innen in Belgrad angemessen gewesen sein. Der serbischen Intellektuellen Borka Pavićević ist die Dimension der Menschlichkeit, die die Ausstellung vermitteln möchte, nahe gegangen. Der Leiterin des Belgrader »Zentrums für kulturelle Dekontaminierung« (Centar za kulturnu dekontaminaciju) habe das Kunstprojekt gezeigt, dass eine Erfahrung wie die der Bogujevcis einen anderen Blick auf das Leben befördere. Denn für Pavićević hat die Ausstellung veranschaulicht, wie »der Tod aus ihren Leben ein Artefakt gemacht hat«.231 Als durch zahlreiche Schüsse ver227 Caruth definiert Trauma als »the response to an unexpected or overwhelming violent event or events that are not fully grasped as they occur, but return later in repeated flashbacks, nightmares, and other repetitive phenomena.« Caruth: Unclaimed Experience, 91. 228 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 229 Ristić, Marija: Serbia Welcomes Freed Yugoslav Army War Criminal. URL : http://www. balkaninsight.com/en/article/yugoslav-army-war-criminal-arrives-to-serbia-12-03-​2015 (am 21.01.2016). 230 Ebd. 231 Pavićević, Borka: Bogujevci / v izuelna istorija. In: Danas vom 20.12.2013. URL : http:// www.danas.rs/danasrs/kolum ​n isti/bogujevcivizuelna_istorija.887.html?news_id= 273258 (am 16.10.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

154

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

letzte Kinder auf und unter den Leichen ihrer Mütter, Geschwister, Großmütter, Tanten und Familienfreunden haben die drei das Leben aus einer Perspektive gesehen, die eine Art Vermächtnis, auf Menschlichkeit zu bestehen, nach sich gezogen hat. Der durchschossene Kinderpullover mit den Blutflecken hinter Ausstellungsglas erzielte bei der Intellektuellen eine besondere Wirkung. Er wurde verstanden als Dokument dafür, »was passiert ist, […] durchaus ein Verbrechen, welches Menschen und ein Staat begangen haben«, was in Anbetracht des blutbefleckten Kinderpullovers nicht zu relativieren, zu ändern oder zu vertuschen sei.232 Die Kulturschaffende schreibt hier gegen die Leugnung serbischer Verbrechen im Kosovo an, gegen Relativierungsversuche, wie in dem Eröffnungsstatement Dačićs und gegen die Weigerung, das Leid der Opfer ohne Wenn und Aber anzuerkennen. Laut Pavićević hat die Konfrontation mit dem Dokumentationsgegenstand eine Läuterungskraft, deren Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit zu berühren und deswegen die Anerkennung sowohl der Schuld der Täter als auch der Leiden der Opfer zu befördern vermag. Saranda Bogujevci ist durch ihre eigene Darstellung zur Autorin ihrer Aufarbeitungsgeschichte geworden. Sie hat bewusst an ihrem Narrativ gewirkt, denn bestimmte Aufarbeitungserfahrungen hat sie in ihrer Geschichte des geglückten Umgangs mit ihrer Gewalterfahrung außen vor gelassen. So kommen einige ihrer Zeugenaussagen vor Gericht in der Ausstellung nicht vor: Im Jahr 2000 hatte Saranda in einem Videointerview in Manchester und wiederholt 2008 für das ICTY ausgesagt; 2009 waren sie und ihr Cousin Fatos Zeugen in Den Haag im Prozess gegen den Chef der »Abteilung für Öffentliche Sicherheit« (Resor Javne Bezbednosti – RJB) des Serbischen Innenministeriums (Ministarstvo Unutrašnjih Poslova – MUP), Vlastimir Đorđević.233 Der von 1997 bis Anfang 2001 stellvertretende serbische Innenminister war wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Deportation, Mord, Verfolgungen aus politischen, rassischen und religiösen Gründen) und wegen Verstößen gegen die Kriegsgesetze (Mord) vor dem ICTY angeklagt worden. Er wurde 2011 zu 27 Jahren Haft und 2014 im Berufungsprozess schließlich zu 18 Jahren verurteilt, die er in einem deutschen Gefängnis absitzt.234 Im Interview mit mir streift Saranda zwar ihre Aussage in Den Haag, aber für ihre Aufarbeitungsgeschichte in ihrer Ausstellung und bei TED hat sie diese Ereignisse nicht verwendet. Dabei dürfte die Videoaussage im Jahr 2000 die tatsächlich erste Zeugenschaft für ein Gericht gewesen sein. Jedoch fand diese Aussage weder 232 Ebd. 233 ICTY: Case Djordjević, 09.0.3.2009, S. / F. Bogujevci, URL : http://www.icty.org/x/cases/ djordjevic/trans/en/090309IT.htm (am03.05.2019). Im Transkript wird von zwei Besuchen in Den Haag gesprochen, 1918. 234 ICTY Case Information Sheet: Djordjević. IT (IT-05–87/1). URL : http://www.icty.org/x/ cases/djordjevic/cis/en/cis_djordjevic_en.pdf (am 26.09.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

155

im Angesicht, noch im Land der Täter statt und hat möglicherweise deswegen weniger Bedeutung für Saranda gewonnen. Im Prozess gegen Đorđević im Jahr 2009 wurden neben den Interviews für das OTP und den Dokumentarfilmen des BBC Journalisten vor allem Sarandas und Fatos Aussagen aus Belgrad zuvor (2003 und 2008) verwendet, verifiziert und nur Details erörtert.235 Insofern können diese Aussagen in Den Haag als eine Art Fortsetzung dessen, was in Belgrad begonnen hatte, verstanden werden. Der vor dem ICTY angeklagte, ehemalige Chef der »Abteilung für Öffentliche Sicherheit« gehörte zu den Hauptverantwortlichen für die serbischen Verbrechen im Kosovo, er war aber nicht unter denjenigen »Skorpionen«, die am 28. März 1999 das Feuer auf Kinder, Frauen und Alte im Podujevaer Garten eröffneten. Daher mag Sarandas Bezug zu diesem Täter abstrakter ausfallen und möglicherweise deswegen keine Berücksichtigung in ihrer Aufarbeitungsnarration gefunden haben. Zusätzlich könnte die Unpopularität des Haager Gerichts in den Nachfolgegesellschaften des ehemaligen Jugoslawiens dazu beigetragen haben, dass sich diese konkrete Aussage nicht in ihre geglückte Aufarbeitungsgeschichte einpasst. Das Zeugen von der Wahrheit im Land und im Angesicht der Täter eignet sich weitaus mehr, um eine Geschichte des mutigen Umgangs mit dem Leiden zu erzählen, welcher zu ihrer persönlichen Transformation, zum Gefühl von Gerechtigkeit und zu ihrer Stärkung führte. Weder in der Ausstellung noch in den mir bekannten anderen Rekons­ truktionen ihrer Aufarbeitungsgeschichte spielt Sarandas Aussage auf dem REKOM Forum eine Rolle. Die junge Frau hat ihre Geschichte bei REKOM erzählt, nun ist diese auf der Webseite der Initiative auf Albanisch und Serbisch öffentlich zugänglich.236 Das Transkript hat Saranda nie erhalten, sie hat aber auch nie danach gefragt: »It was just one of those things that kind of –. Yeah, they –, ya – .«237 Als ich Saranda danach fragte, welche Rolle es gespielt hat, vor einem Publikum zu sprechen, dass aus verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens stammte, wich sie aus. Wichtig für sie ist, dass ihre Erfahrung in Serbien anerkannt wird. Und nicht nur von einer Gruppe von Menschenrechtsaktivist*innen, sondern von einer breiten Öffentlichkeit. Deswegen war es von großer Bedeutung, dass ihre Ausstellung in einer zentralen öffentlichen Institution in der serbischen Hauptstadt gezeigt wurde. Nach ihrer Aussage 2008 in Prishtina hat sich Saranda nicht weiter an REKOM beteiligt. Zu Beginn der regionalen Öffentlichkeitskampagne ist sie dann am 26. April 2011 REKOM beigetreten. Sie hat eine Unterschrift und ihre Kontaktdaten hinterlassen, ist aber ansonsten bei REKOM nicht weiter 235 Vgl. ICTY: Case Djordjević. 236 http://www.recom.link/saranda-bogujevci-6/ (am 14.10.2015). 237 Ebd. Das albanische Transkript ihrer Aussage ist auch nicht auf der REKOM Webseite zu finden, sondern die albanische Version der Seite enthält nur eine Kurzversion des serbischen Transkriptes.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

156

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

involviert. Saranda sagt zwar einerseits, dass die Initiative wichtig ist und richtig, allerdings räumt sie in diplomatischer Art ein, dass sie keine Zeit hatte weiter zu verfolgen, was damit passiert. Ein regelmäßiges Update über die Entwicklung der Initiative erhalten die Menschen nicht, die ihre Unterschrift für REKOM gegeben haben und somit in einer Liste als Mitglieder geführt werden. Saranda kennt viele Leute im Kosovo, die bei REKOM involviert sind und welche die Aktivitäten für bedeutend halten. Sie kennt aber auch viele, die der Meinung sind, dass eine regionale Wahrheitskommission nie funktionieren kann. Weil Institutionen aus den postjugoslawischen Ländern daran beteiligt sein müssten, von denen einige Kosovo nicht als Staat anerkennen. Deswegen meint Saranda über REKOM: »There is a mixed feeling about it.«238 Vermutlich erwähnt Saranda Bogujevci die Erfahrung bei REKOM deshalb ungefragt nirgends, weil sie eigentlich keine Wahrheitskommission brauchte. Der jungen Kosovarin ist es gelungen, auch andersartig öffentlichen Raum für die Artikulation ihrer Erfahrungen zu erhalten: im englischen Bildungswesen, in den englischsprachigen wie postjugoslawischen Medien, vor Gerichten, bei TED und durch ihre Kunstprojekte. Zudem hatte sie das Glück, bald nach dem Massaker umfangreiche medizinische Behandlung zu genießen, die auch, aber bei weitem nicht nur, psychologische Betreuung beinhaltete. Dies war möglich, weil sie im Ausland ihr Leben fortsetzen konnte. Und sicherlich hat die Gewissheit eines unbeschränkten Aufenthaltstitels in England zur für ihre Verarbeitung bedeutenden Entscheidung beigetragen, als erste albanische Zeugin in einem Belgrader Gericht gegen Angehörige einer serbischen Spezialeinheit auszusagen.239 Zudem war Saranda nicht die einzige Überlebende des Grauens, mit ihren Cousinen und Cousins konnte sie über das geteilte Leid sprechen und in ihrer Familie herrschte niemals ein Tabu, das Geschehene zu thematisieren. Diese mehrfach besonderen Umstände für die Aufarbeitung des erlebten Grauens sind Saranda bewusst, wenn sie über ihren Umgang mit der Vergangenheit spricht: But then when I look at –, for example a lot of people in Kosovo, they are struggling on a daily basis just to be able to provide for themselves and their families. So I think that’s a completely different situation. So how can they deal with the past where they are struggling with the present? So I think circumstances as well, have an effect on how you deal with the past. And then also an opportunity for me dealing –, part of dealing with the past, it was the opportunity given to me to talk about it. But then you have a majority of people who don’t have that opportunity of talking about it. […] I think what the difference with my family is that –, we did have the opportunity to testify, you know. There were men who took part in the killing who have been found 238 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 239 Traynor: In Cold Blood.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

157

and have been trialed. But then you have families, for example in Kosovo, who –, [for whom] not only that’s not happening, but you have families who have still not found their loved ones. So, it’s –. And also people who are tired of promises and –, you know. There is also, I think, a big issue with the media in general that it makes the families feel used by them telling the stories in many ways, in many times, and not knowing where is that going, you know. I was lucky enough to have a lot of support in that sense and knew where –, what I could do, and what I could hopefully change by telling my story. But then there are families who, you know, who have no power of how their stories are being used.240

Die Möglichkeit zu haben, über das erfahrene Leid zu reden, stellt Saranda im Gespräch mit mir als eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz dessen, was passiert ist, dar. Und auch die Leichen der Getöteten der Bogujevci und Duriqi-Familien konnten identifiziert und beerdigt werden, was den Angehörigen von rund 4.500 Vermissten nach dem Kosovokrieg zeitweilig oder ganz verwehrt blieb. 2012 waren davon noch rund 900 weiterhin vermisst.241 Auch solche Umstände verhindern den persönlichen Abschluss mit dem Geschehenen, da eine Trauerarbeit so nicht stattfinden kann. Dass diejenigen, die diese schmerzhaften Erfahrungen gemacht haben, durch das Erzählen ihrer Geschichten nicht instrumentalisiert werden, wie Saranda es in Bezug auf Medien und Politiker*innen thematisiert, dass sie also die Kontrolle über den Gebrauch ihrer Geschichten behalten, ist ein weiterer wichtiger Punkt in ihrem Verständnis von Vergangenheitsaufarbeitung. Deswegen hat Saranda auch für sich selbst, trotz vielfacher Möglichkeiten von ihrer Erfahrung zu zeugen, mit dem Ausstellungsprojekt eine eigene Form der Darstellung entwickelt. Indem sie ihre eigene Ausdrucksweise erstellte, entfernte sich Saranda von der bloßen Opferrolle, im Gegenteil: sie wurde zur Autorin einer Geschichte, in welcher sie sowohl die Hauptrolle als auch die Regie innehat. Die Kontrolle über die Verwendung ihrer Geschichte zu haben, ist auch deswegen notwendig, weil Saranda einen Zweck beim Erzählen verfolgt, der mittlerweile über die eigene Auseinandersetzung mit dem Leid und das Informieren über das Geschehene hinausgeht: And, ahh, [to] work towards change. So, that’s something like that it doesn’t get repeated again. […] I’m just at that point where I feel that I had so much opportunities in life with dealing with what happened to me that hopefully I can give some of it to people here.242 240 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 241 ICMP : EU Supports ICMP Program in Kosovo. URL : http://www.icmp.int/news/eusupports-icmp-program-in-kosovo/ (am 23.10.2015); Džidić, Denis: ICMP Seeks to Help Families of Missing. URL: http://www.balkaninsight.com/en/article/icmp-seeks-to-helpfamilies-of-missing-persons (am 23.10.2015). 242 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

158

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

Später betont sie, dass es ihr dabei nicht nur um einen Beitrag zum Wandel im Kosovo geht, sondern um die menschliche Dimension, die überall, auch jenseits nationaler Kontexte und jenseits von Kriegen, eine stärkere Berücksichtigung finden sollte, sodass niemand aufgrund seines Andersseins Leid erfahren muss. Um dafür das Bewusstsein zu schärfen, erzählt Saranda ihre Geschichte. Ihre Cousine sagte einmal, sie hätten das Massaker überlebt, um davon zu erzählen.243 Das Überlebthaben und Zeugenkönnen ist für Saranda und ihre Cousins sinnstiftend geworden und diese Art von Lebenssinn entfaltet sich im Erzählen des Erlebten. Dabei geht es jedoch nicht, wie bereits erwähnt, darum, das Grauen noch einmal zu durchleben, sondern mit jeder Erzählung den Abstand zu dem Geschehen zu vergrößern. Die Erzählung des Grauens verwandelt sich in eine Erzählung des Umgangs damit und bedeutet somit eine Distanzierung vom Grauen. Wenn wir das Erzählen als Distanzierungs- und nicht als Rekonstruktionsprozess begreifen, dann lässt sich besser verstehen, warum Saranda daran gelegen ist, immer wieder von ihren Erfahrungen zu zeugen. Als Kind, welches inmitten seiner Familienangehörigen im Garten niedergeschossen wurde, war Saranda zweifelsfrei ein Opfer. Niemand hat das je angefochten, so Saranda, selbst Serb*innen, die sie als Kosovarin angriffen (»you took my country!«), hätten ihre persönliche Opfergeschichte niemals negiert.244 Auch mit Opferkonkurrenz hat sie keine Erfahrungen, sagt sie. Für Saranda bedeutet ihre Opfergeschichte nicht ausgeliefert zu sein, vielmehr zieht sie daraus den Auftrag, etwas tun zu müssen. Gerade weil sie Opfer geworden ist, setzt sie sich dafür ein, dass andere keine Opfer werden. Sie will, dass ein Bewusstsein geschult wird, welches derartiges in Zukunft verhindert. Saranda bezeichnete sich im Interview mit mir auch nicht als Opfer, sondern sagte »known as a victim« und »seen as the victim«.245 Und weil sie so wahrgenommen wird, verspürt sie eine Verantwortung, die Dinge zu verändern, besser zu machen: […] because it’s with this kind of experience you understand that it’s such  a long process. Ahhm, and that you just have to work and hope and have the will to move forwards, […]. So it’s a really tough one and it takes time, but I think everyone has to take responsibility within themselves to do something about it. I think that’s really important. On each side.246

Saranda Bogjuveci ist eine Persönlichkeit mit Aura, welche eine besondere Mischung aus Verletzlichkeit und Stärke kennzeichnet. Ihr Umgang mit ihrer 243 TED* Prishtina, Saranda Bogujevci: Why I Choose to Relive my Family’s Massacre. 244 Interview mit Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 245 Ebd. 246 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

159

Geschichte hat sie zu einer öffentlichen Persönlichkeit werden lassen. Sicher­ lich aber würde es die Mitdreißigjährige bevorzugen, ihren Arm wieder uneingeschränkt bewegen zu können und nicht unter Konzentrationsschwierigkeiten als Teil der psychischen Beeinträchtigungen nach dem Massaker zu leiden; sie würde bevorzugen, ihre Mutter, Brüder, Großeltern, Familienfreunde weiterhin bei sich zu wissen und auf die Frage »Woher seid ihr?« unverfänglich antworten zu können. Die womöglich aufkommende Mutmaßung, sie würde aus ihrer Opfererfahrung eine Karriere entwickeln, scheint mir daher unethisch. Dass Saranda trotz des Grauens, das sie erlebt hat, wieder Sinn und Halt in ihrem Leben findet, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern harte Arbeit und ein langer Weg, wie sie wiederholt betonte. An anderer Stelle sagte sie: »Um Veränderungen herbeiführen zu können, müssen wir miteinander kommunizieren.«247 Deswegen erzählt Saranda ihre Geschichte, jedoch auf eine Art und Weise, die aus der Opferkategorie eine Aufforderung zum Handeln zieht  – Handeln, um genau dieses Gefühl von Ausgeliefertsein nie wieder erfahren zu müssen. Saranda Bogujevci braucht dafür keine Wahrheitskommission. Aber eine Wahrheitskommission für das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens braucht Saranda Bogujevci. Denn genau solche Persönlichkeiten und Opfergeschichten haben das Potential zu den langfristigen Zielen einer Wahrheitskommission beizutragen: Empathie zu stiften, für das lebenslange Nachwirken derartiger Erfahrungen zu sensibilisieren und das Bewusstsein für Menschlichkeit in einer Gesellschaft nach Konflikten zu stärken. 3.4.3 Abwehr und Wiederkehr der Opferrolle

Bald nach Beginn seines Theaterengagements hatte Sudbin Musić seine Funktion als Geschäftsführer der Opferorganisation »Prijedor 92« aufgegeben. Er pendelte einige Jahre lang zwischen westeuropäischen Theaterbühnen und Prijedor. Der Austausch mit anderen Erinnerungsaktivist*innen aus der Region des ehemaligen Jugoslawien bei REKOM, zahlreiche andere Workshops mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und nun die künstlerische Reflektion seiner Kriegserfahrungen wie seines Lebens danach als Rückkehrer haben Sudbin Musić geschult, aber auch noch kritischer gemacht: Du lernst und lernst und lernst. Für mich war es eine Erleichterung, nachdem ich gehört habe, dass es hier [in Deutschland] auch dauerte und noch immer dauert. Wir wollten auf einmal alles haben. Aber das Problem da unten ist, da ist ja noch Krieg,

247 Forum Ziviler Friedensdienst e. V.: Fokus.Westbalkan. Nachrichten des Forum Zivilier Friedensdienst Mai 2014, 9.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

160

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

mein Gott, und wir sind mittendrin. Und wir sind auf der ersten Linie. So viel Last kannst du einfach nicht zu lange tragen. Irgendwann mal bricht das dir deine Wirbelsäule [das Rückgrat].248

Was er früher als notwendigen Kampf betrachtet hat, scheint mit Abstand betrachtet nun offenbar als Aufopferung. Dementsprechend hatte er nicht nur der NGO »Prijedor 92« sondern auch REKOM den Rücken gekehrt. Als ich ihn im April 2015 frage, warum er nicht bei der letzten Mitgliederversammlung der »Koalition für REKOM« war, empört er sich über das Projekt »Dokumentation der Lager und anderer Internierungsobjekte in BiH, 1992–1995«.249 Die Dokumentation wurde vom »Zentrum für Demokratie und Transitional Justice« in Banja Luka in Zusammenarbeit mit dem Verein »Transitional Justice, Verantwortung und Erinnerung« in Sarajewo von Mitte 2013 bis Anfang 2015 vorgenommen.250 Beide NGOs waren Neugründungen in den beiden Entitäten Bosnien und Herzegowinas (Republika Srpska und Föderation BiH), um den REKOM Prozess dort besser institutionell zu organisieren. Über diese beiden Vereine wird also in Bosnien und Herzegowina seit 2013 Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für REKOM betrieben, gleichzeitig haben sie gemeinsam das mehrjährige Lagerdokumentationsprojekt durchgeführt. In den anderthalb Jahren erstellte das Projekt Profile von 165 Lagern und sogenannten »Internierungsobjekten« (zatočenički objekti) in Bosnien und Herzegowina, wofür hauptsächlich Gerichtsakten ausgewertet, aber auch 358 Interviews mit ehemaligen Lagerinsass*innen geführt, sowie Medienberichte, vorhandene Ego-Dokumente, Berichte von NGOs sowie Fotografien und Karten ausgewertet wurden.251 Das ambitionierte Dokumentationsprojekt hat mittlerweile die Präsentation seiner Ergebnisse im Internet eingestellt.252 Über die verantwortlichen Wissenschaftler*innen und die Kriterien, anhand 248 Ebd. 249 Projekat »Mapiranje / Dokumentovanje logora i drugih zatočeničkih objekata u BiH, 1992–1995«. 250 Centar za demokratiju i tranzicionu pravdu: Saopštenje. URL: http://cdtp.org/saopstenje17-4-2015/ (am 07.01.2016), 9.  251 Ebd. 252 Ich hatte die Ergebnisse für die Gemeinde Prijedor geprüft, wobei mir einige Inkongruenzen auffielen. Für Prijedor waren acht Lager dokumentiert, je nach Größe des Lagers waren auf zirka fünf bis 25 Textseiten auf BKS der politische Kontext, die Errichtung und die Vorgänge in den Lagern sowie die Ahnung der Verbrechen vor dem ICTY und bosnischen Gerichten beschrieben. Nicht alle Lager der Gemeinde Prijedor waren jedoch darin aufgeführt, beispielsweise fehlte das Lager Manjača. Für andere Internierungsorte waren Profile ausschließlich auf Englisch angelegt (z. B. beim Schachclub in Velika Kladuša), zudem waren zwei Lager in Kroatien mit dokumentiert worden. Für das Lager Keraterm enthielt das Dokument auch eine Namensliste der dort Getöteten, im Dokument für Omarska wurden viele Fotos angefügt. http://www.tranzicijska-pravda.org/ profili-logora-i-zatocenickih-objekata/# (am 08.01.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

161

derer ein Ort als Lager bzw. Internierungsobjekt erfasst wurde, erfuhr man auf der Projektseite nichts. Methodische Nachvollziehbarkeit fällt leider häufig bei Dokumentationsprojekten, die durch NGOs und nicht durch wissenschaftliche Institutionen durchgeführt werden, dem Zeit- und Ergebnisdruck der Projektarbeit zum Opfer. Auch Kasernen der JNA, in denen entweder bosniakische und kroatische Politiker*innen und Polizeikräfte interniert, gefoltert und getötet wurden (wie die JNA Kaserne in Račić) oder in welchen gefangene serbische Soldaten durch die Armee BiHs interniert und miss­ handelt worden waren (wie die JNA Kaserne »27. Juli« bei Bihać), wurden aufgeführt. Außer den serbischen Lagern für Zivilist*innen befanden sich sowohl von Bosniak*innen errichtete Lager, in welchen kroatische und serbische Zivilist*innen interniert, misshandelt und getötet wurden (etwa in Bugojno) als auch Internierungsobjekte von Kroat*innen für Bosniak*innen (wie in Mostar) in der Dokumentation. Für den ehemaligen Lagerinsassen in Trnopolje, Sudbin Musić, war dieses Dokumentationsprojekt ein großes Ärgernis. Er empört sich darüber, dass Lager für Zivilist*innen mit Gefängnissen für Soldaten auf gleicher Ebene behandelt werden, »da wird alles gleichgesetzt – das sind alles KZs!«253 Zudem kritisiert Sudbin, dass sich das Projekt vorrangig auf bereits durch Gerichtsprozesse etablierte Fakten stützt und nicht daran interessiert war, neues Wissen zu recherchieren. Seine Bedenken und seine Kritik an der Methodik des Projektes hatte er Nataša Kandić vom Belgrader Menschenrechtsfond mitgeteilt.254 Das Dokumentationsprojekt über die Lager in Bosnien war der Tropfen, der das Fass für Musić zum Überlaufen brachte und zu seinem Rückzug aus der REKOM Initiative führte. Ein wichtiger weiterer Kritikpunkt blieb die Gefahr der Vereinnahmung der REKOM Initiative durch eine fadenscheinige, serbische Politik. Als im Juli 2015 der seit April 2014 amtierende Premierminister Serbiens, Aleksandar Vučić, öffentlich seine Unterstützung für REKOM verkündete,255 schrieb Sudbin auf seiner »Pinnwand« bei Facebook: Ich wiederhole: Die REKOM Initiative ist ein kosmetischer Salon des neuen / a lten Serbiens und es ist kein Wunder, dass sogar Vučić eine derartige Deformation einer einst so humanen Idee wiederholt unterstützt! Und das ist auch kein Wunder, wenn euch die Methodologie der Kinder aus Trnopolje als legitime Angriffsfläche dient.256

Vučić, der seit 2008 Vorsitzender der durch die Abspaltung von den Serbischen Radikalen neu gegründeten »Serbischen Fortschrittspartei« (SNS) ist, 253 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 254 Ebd. 255 Tanjug: Vučić: Podržaćemo osnivanje REKOM-a. In: BLIC Online vom 06.07.2015. 256 Facebook-Wallpost, Sudba Bubi Musić, 07.07.2015, Screenshot 1, JN, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

162

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

hatte am gleichen Tag seines Zuspruchs für REKOM seine Teilnahme an der Gedenkfeier im ostbosnischen Srebrenica angekündigt und verlauten lassen, »Serbien sei bereit zur Versöhnung, aber nicht zur Erniedrigung«.257 Zu jener Zeit diskutierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darüber, die Ereignisse zwanzig Jahre zuvor in der VN-Schutzzone Srebrenica als Genozid zu verurteilen: »We gather in humility and regret to recognize the failure of the United Nations and the international community to prevent this tragedy.«258 Doch die Resolution wurde aufgrund des Vetos des serbischen Verbündeten Russland verhindert. Vučić, der vor 2008 enger Vertrauter des für Kriegsverbrechen vor dem ICTY angeklagten Vojislav Šešelj und unter Milošević von 1998 bis 2000 Informationsminister war, versuchte sich somit in den international erwünschten Versöhnungsgesten, verhinderte mit der Weigerung die Massaker in Srebrenica als Genozid zu benennen aber auch seinen Gesichtsverlust als nationalkonservativer Serbe nach innen. Laut Musićs Beurteilung schadet die Unterstützung eines solchen Politikers der REKOM Initiative, da sie für die Profilierung einer Politik benutzt werde, welche den Großteil der Verantwortung für die Kriege trägt. Die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung von REKOM hatte Sudbin bereits 2012 anhand der kroatischen Politik kritisiert. Im Kommentar zu seinem Facebook-Post sagte er: »Und ja, ich fühle mich nach alledem ausgenutzt und erniedrigt.«259 Er erläuterte, dass er und seine Familie bei der Lagerdokumentation auf die gleiche Ebene gestellt wurden wie gefangene Kämpfer. Er fügte hinzu, dass er die Verdienste der REKOM Kooperation zu Beginn keineswegs anzweifeln möchte, da die Initiative alle zum ersten Mal nach dem Zerfall »unseres gemeinsamen Heimatlandes« versammelt habe.260 Doch irgendwann sei die Initiative heuchlerisch geworden und ihre Hauptakteure ließen sich von der Politik benutzen, als könne die Unterstützung von REKOM den Weg nach Europa sichern. Er sieht in REKOM nun nur noch, wie die serbische Politik damit versuche sich als versöhnungsbereit und aufgeklärt nach Außen darzustellen, im Inneren aber genauso rückwärtsgewandt geblieben sei, wie zu Kriegszeiten (»kosmetischer Salon des neuen / a lten Serbiens«). Zudem ist er mittlerweile davon überzeugt, dass »Hoffnung für Jugoslawien« nur in der ohnehin gegebenen Multikulturalität Bosniens bestehe und deswegen Nataša Kandić nicht »die 257 Agencije: Vučić: Idem u Srebrenicu, Srbija spremna na pomirenje, ali ne i na poniženje. In: Večernje novosti Online vom 07.07.2015. 258 UN News Centre: UN Officials Recall ›Horror‹ of Srebrenica as Security Council Fails to Adopt Measure Condemning Massacre. URL : http://www.un.org/apps/news/story. asp?NewsID =51359 (am 09.01.2016). 259 Kommentar zum Facebook-Wallpost, Sudba Bubi Musić, 07.07.2015, Screenshot 2, JN, BKS . 260 Kommentar zum Facebook-Wallpost, Sudba Bubi Musić, 07.07.2015, BKS , Screenshot 4, JN, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

163

Hauptrolle in diesem ex-jugoslawischen Raum« beanspruchen sollte.261 Eine Personifizierung der Kritik an der REKOM Initiative, indem alle Schwierigkeiten auf die serbische Menschenrechtlerin Kandić bezogen werden, ist ein wiederholt auftretendes Muster auch bei anderen Kritiker*innen, wie Kapitel fünf zeigen wird. Sudbin reflektiert darüber, was nötig wäre, um sich von der Opferrolle zu distanzieren: »Opfer benötigen eine Atmosphäre der Entspannung, das heißt, eine Atmosphäre des Friedens, eine Atmosphäre der Sicherheit, eine Atmosphäre der Hoffnung.«262 Diese Atmosphäre stellt sich in Bosnien und Herzegowina schwer ein. Obwohl die Theaterarbeit zur Abkehr von seiner Tätigkeit als Opferorganisationsvertreter und auch von REKOM führte, ist in Sudbins Äußerungen eine Wiederkehr des Leidens zu erkennen. Doch so lange Gedenkveranstaltungen an die Opfer der Lager von der serbischen Gemeinderegierung in Prijedor verboten werden, so lange ein Denkmal in Omarska als öffentliches Zeichen der Anerkennung der Verbrechen verhindert wird, so lange Rückkehrer*innen gesellschaftlich marginalisiert und diskriminiert werden und so lange Opferaktivist*innen selbst miteinander konkurrieren, so lange bleibt die Opferrolle weiterhin sinnstiftend.263 Sie ist eine Rolle des Protestes, der Anklage und der Profilierung in einer Leidensgemeinschaft. Die Opferrolle bedeutet in einem Umfeld der Leugnung somit nicht Passivität, sondern Aktivität. Selbstkritik, eine Distanzierung von der Vergangenheit und eine innere Befriedung scheinen dadurch jedoch erschwert zu werden. Sudbins Aussage in Form einer Wahrheitskommissionssitzung 2008 hat sicherlich einen Beitrag dazu geleistet, dass die Geschehnisse in Prijedor unter Aufarbeitungsaktivist*innen der Region des ehemaligen Jugoslawiens besser bekannt geworden sind. Welche Bedeutung die Aussage aber konkret für seinen persönlichen Umgang mit seinen Erfahrungen hatte, ist schwer einzuschätzen. Vielleicht war sie der Beginn, um daraufhin auch bei anderen Gelegenheiten, zum Beispiel als Podiumsteilnehmer oder Moderator auf REKOM Veranstaltungen sowie bei anderen Erzählprojekten, von seinen Erlebnissen zu berichten.264 Die empfundene Geringschätzung seiner Leidenserfahrungen durch das Dokumentationsprojekt über die Lager in Bosnien und Herzegowina und sein Misstrauen gegenüber der heuchlerischen 261 Interview mit Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. 262 Interview mit Sudbin Musić, 12.11.2012, Prijedor, BKS . 263 Bajtarević, Mirsad: Abandoned by the State: Bosnia’s Wartime Torture Victims. URL : https://balkaninsight.com/2019/05/06/abandoned-by-the-state-bosnias-wartime-torturevictims/ (am 10.05.2019). 264 Er erzählte zum Beispiel im Oktober 2014 auch bei der regionalen Version des Zeitzeugenprogramms der kosovarischen NGO »Integra«: »People and Memories Talk«, bei denen überlebende zivile Opfer der Jugoslawienkriege vor der Kamera von ihrer Geschichte zeugten. URL : http://peopleandmemories.org/re/stories/ (am 22.01.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

164

Vergangenheitspolitik auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien haben schließlich zu Sudbins Distanzierung von REKOM geführt. Das fünfte Kapitel wird veranschaulichen, dass Sudbin in dieser Haltung nicht allein ist. Politik und Schmerz stellten die größten Herausforderungen, mit denen REKOM zu kämpfen hatte, dar. Auf der Theaterbühne erzählte Musić seine Geschichte wiederholt in einer festgelegten Form. Möglicherweise führte diese immer wieder durchlebte Narrativierung zu einer Distanzierung von seinen schmerzlichen Erfahrungen. Noch wahrscheinlicher aber ist, dass die Anerkennung seines Leidens, welche er im Theater und der das Stück begleitenden europäischen Öffentlichkeit erfahren hat, die meisten Veränderungen in seiner Selbstwahrnehmung als Opfer bewirkt haben. Sudbins Zeugen in einer Wahrheitskommission hätte damit weniger Resonanz für seine individuelle Aufarbeitung gehabt, als das Erzählen seiner Erfahrungen in einem Dokumentartheaterstück. Die Wirklichkeit der Kunst vermag eine tatsächliche Anerkennung von Sudbins Erfahrungen zu befördern, indem seine Geschichte in einer europäischen Öffentlichkeit Gehör findet. Die Reichweite der öffentlichen Anerkennung seines Leidens bei REKOM hingegen reicht nicht über interessierte, zivil­ gesellschaftliche Aktivist*innen hinaus, solange das Projekt seiner politischen Ratifizierung harrt. 3.4.4 Opferperspektiven

Dieser Teil des Buches trug der individuellen Perspektive auf die Gewalterfahrungen der Jugoslawienkriege Rechnung. Dabei ging es mir weniger um die juristische Opferkategorie, sondern um die sogenannten »Opferrollen«, womit ich die Wahrnehmungen leidender Individuen meine. Opferrollen entstehen durch Selbst- und Fremdzuschreibungen, welche wiederum durch zahlreiche Faktoren wie die Anerkennung durch Gerichte, die gesellschaftliche Lage, die individuelle gesundheitliche und finanzielle Situation und durch vieles mehr beeinflusst werden. Am Beispiel von Sudbin und Sarandra zeigten sich viele Faktoren anschaulich: Die beiden hier ausführlich beschriebenen Fälle sind überlebende Kinder bzw. Jugendliche eines Massakers und »ethnischer Säuberungen« im Zuge der Kriege des auseinanderbrechenden Jugoslawiens. Beide Opfer haben dabei Familienmitglieder verloren, die Schädigung überlebender Familienangehöriger miterlebt und selbst gesundheitliche Schäden davon getragen. Beide haben als Kriegsflüchtlinge längere Zeit in Westeuropa verbracht und haben studiert. In beiden Geschichten sind Serb*innen sowohl Täter*innen und als auch Helfer*innen. Das Massaker an Sarandas Familie wurde von einer serbischen Spezialeinheit verrichtet; gerettet wurden sie, ihre Cousinen und ihr Cousin von serbischen © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

165

Polizisten, welche die Kinder in ein von Serb*innen betriebenes Krankenhaus brachten. Sudbins Familie wurde von serbischen Bosnier*innen vertrieben, seine Mutter und Schwestern vergewaltigt, sein Vater ermordet. Doch gerettet wurden Sudbins Mutter und Schwestern auch von einem serbischen Freund und Sudbin entkam der Erschießung an der Sana und schließlich dem Lager Trnopolje aufgrund eines bekannten Serben und eines »besseren serbischen Offiziers«. Diese Ambivalenz bricht eine eindeutige kollektive Zuschreibung der Täterschaft auf eine ethnische Gruppe und legt eine individuelle Betrachtung der jeweiligen Konstellationen von Täter*innen, Opfern und Helfenden nahe. Als Kinder bzw. Jugendliche waren beide während der Kriege nicht in Kämpfe verwickelt, was wichtig wird, wenn verschiedene Opfergruppen untereinander um die Anerkennung ihres Leidens ringen.265 Denn es gab zum Beispiel auch Gefangene in Lagern, die nach der Lagerzeit in die Armee eingetreten sind und kämpfend, nicht als Flüchtlinge, bis zum Ende des Krieges tätig waren. Diese werden dann als Opfer mit Makeln betrachtet oder ihnen wird ihr Opferstatus gänzlich in Abrede gestellt. Die Möglichkeit, vom Ort der Gewalterfahrung Abstand zu nehmen, beeinflusst die Wahrnehmung als Opfer. Während sich Sarandas Familie ein neues Leben in Manchester aufbaute, kehrte Sudbins Familie nach mehreren Jahren Flüchtlingsdasein an den Ort ihrer Gewalterfahrungen zurück. Auch Bildung, also die Entwicklung der kognitiven Möglichkeiten, das Erlebte begreifbar zu machen, spielt für die individuelle Aufarbeitung eine Rolle. Saranda studierte in England Kunst, Sudbin machte seinen Wirtschaftsbachelor in seiner Nachkriegsheimat und studiert mittlerweile Politikwissenschaften in Sarajewo. Der wohl am meisten ins Gewicht fallende Faktor für die Wahrnehmung als Opfer ist die Anerkennung des Leidens durch die Täter. Juristisch wurde das Verbrechen an Sarandas Familie vor Gericht im Herkunftsland der Täter anerkannt und die Täter wurden verurteilt und bestraft. Ungeachtet dessen herrscht gesellschaftlich weiterhin eine Atmosphäre der Leugnung der serbischen Verbrechen im Kosovo. Umso wichtiger war das Stattfinden der Ausstellung über das Massaker an der Familie Bogujevci im Belgrader Kulturzentrum. Dieses ist ein wichtiges Symbol auf dem langen Weg der gesellschaftlichen Anerkennung der Verbrechen in Serbien. Sudbin hingegen lebt zusammen mit den Verantwortlichen für die »ethnischen Säuberungen« in der Gemeinde Prijedor. Eine Leugnung seines Leidens war Bestandteil seines Alltags als Vertreter einer Organisation ehemaliger Lagerinsassen in seiner nun mehrheitlich serbischen Umgebung. Die Anerkennung des Verbrechens 265 Vgl. dazu für BiH: Mijić, Ana: Verletzte Identitäten. Der Kampf um den Opferstatus im bosnisch-herzegowinischen Nachkrieg. Frankfurt am Main 2014.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

166

Was eine Wahrheitskommission für Opfer bedeutet

als »ethnische Säuberung« wird von dem Überlebenden als unzureichend empfunden. Erst sein Mitwirken an einer europäischen Theaterproduktion hat Musić die Anerkennung seines Leidens und den benötigten, wiederholten Abstand zu dieser Lebenslage gegeben. Für Saranda war ihr Ausstellungsprojekt die geeignete Form um eine eigene Version der Darstellung ihrer Erfahrungen zu schaffen, also bleibende Kontrolle über ihre Geschichte zu erlangen. Sudbin war bei Sarandas Ausstellungseröffnung in Belgrad sogar als Gast eingeladen. Hier kreuzten sich beide Geschichten: Verbindendes Glied war dabei Nataša Kandić vom Belgrader Menschenrechtsfond. Das Alter während des Krieges, die Distanz zum Ort der Leidenserfahrung danach, verschiedene Möglichkeiten des Umgangs damit (bedingt durch Gesundheitsversorgung, Familie, Bildung, Kunst), die juristische Ahndung und die gesellschaftliche Leugnung von Verbrechen sind somit wichtige Faktoren für die Wahrnehmung als Opfer. Beide Interviewte erwähnten zudem die Bedeutung der wirtschaftlichen Situation für die Aufarbeitung von Gewalterfahrungen. Schwache Staaten, Arbeitslosigkeit und Armut führten sowohl im Kosovo als auch in Bosnien und Herzegowina zum Anwachsen der Hilfsbedürftigkeit und zur leichteren Instrumentalisierbarkeit von Opfern. Deutlich wurde, dass der Dreh- und Angelpunkt für die Wahrnehmung als Opfer die Anerkennung ist. Aufgrund all der Möglichkeiten, die Saranda hatte, um ihre schmerzhaften Erlebnisse zu artikulieren, hat sich ihre Selbstwahrnehmung vom Opfer zur Überlebenden transformiert. Sie schöpft aus ihren Erfahrungen Kraft, Zuversicht und den Willen, dazu beizutragen, dass in Zukunft niemand aufgrund seines Andersseins Leid erfährt. Die Performanz ihrer Aussage bei REKOM verweist jedoch darauf, dass dies kein selbstverständlicher, sondern ein sehr schwieriger, brüchiger und andauernder Prozess ist. Saranda ist sich bewusst, dass sie für den Umgang mit ihren schrecklichen Erfahrungen selbst die Verantwortung übernehmen muss, immer wieder neu. Was sie daraus gelernt hat, will sie weitergeben. Mittlerweile ist die junge Frau in den Kosovo zurückgekehrt und für die Partei »Bewegung Selbstbestimmung!« (Lëvizja Vetëvendosje!) Abgeordnete im Parlament. Sie wirkt im Komitee für Menschenrechte, für Geschlechtergleichheit, für Vermisste und im Frauenausschuss. Für Sudbin ist das Theaterengagement ein Weg der Distanzierung vom Opferaktivismus geworden. Noch mehr jedoch bot das Theater nun endlich eine bedingungslose Anerkennung seiner Erfahrungen. Eine Veränderung seiner Opferwahrnehmung hat dadurch eingesetzt. Doch obwohl sich Sudbin von seiner Tätigkeit als Opferorganisationsvertreter verabschiedet hat, leidet er weiter an seinen Erfahrungen und schöpft daraus die Gewissheit, dass alles Böse erneut eintreten kann. Eine derartige Entwicklung hält der Soziologe Hans Joas für verständlich: © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Transformieren 

167

Die Folgen der Gewalterfahrung und der von ihr ausgelösten Identitätsveränderung weisen ja oft gar nicht ins Bessere, sondern auf traumatische Meidungen und Wieder­ holungszwänge hin, […] und ganz allgemein auf die Kontingenz historischer Prozesse.266

Der Anthropologe Valentine Daniel zweifelt grundsätzlich an den Möglichkeiten Gewalt so sinnstiftend zu verarbeiten, dass danach eine Normalisierung eintreten kann.267 In der Psychologie allerdings untersucht man seit Mitte der neunziger Jahre unter der Bezeichnung »Posttraumatic Growth (PTG)« positive Veränderungen von Traumatisierten.268 Im Gegensatz zu Patient*innen mit PTSD (Posttraumatic Stress Disorder) sei die Haltung von Personen mit PTG dadurch geprägt, dass sie sich nicht mehr an die Zeit des Bruchs zurückversetzten, sondern weitergingen. Saranda Bogujevcis Geschichte veranschaulicht, wie das wiederholte Erzählen der Distanzierung von der Gewalterfahrung dienen kann. Dadurch, dass das Massaker verschiedenartig anerkannt wurde, kann Saranda diesen Bruch in ihrer Lebensgeschichte als Ausgangspunkt für ein verändertes Weiter nutzen. Traumatisierungen können demnach weitreichende Störungen evozieren (PTSD). Aber aus der Verarbeitung eines Traumas kann auch Wachstum hervorgehen (PTG). Sudbin Musićs Geschichte veranschaulicht, wie die Opferrolle in einem Umfeld der Leugnung zu einer sehr aktiven Haltung und identitätsstiftend wird. Sie ist eine Rolle des Protests und der Anklage, sie kann auch eine Leidensgemeinschaft stiften. Allerdings behindert diese Art von Aktivismus bei den Opfern ihre eigene Akzeptanz der Gewalterfahrung. Da das Opfer nicht annehmen kann, dass die Gewalt vergangen ist, kann es auch nicht in eine Akzeptanzbeziehung zu seiner Gewalterfahrung treten. Leugnung verlängert somit die Gewalterfahrung aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Genau für solche Fälle, deren Leidensgeschichten weder gerichtlich noch anderweitig öffentlich anerkannt worden sind, kann eine Wahrheitskommission idealerweise zu einer alternativen Form von offizieller Anerkennung beitragen. Mittels zweier individueller Gewaltgeschichten habe ich mich mit dem »Stoff«, aus dem eine Wahrheitskommission gewoben ist, auseinandergesetzt. Das Paradigma des Artikulierens, Anerkennens und Transformierens habe ich anhand der beiden Fälle als den Kernprozess von Vergangenheitsaufarbeitung erörtert.

266 Joas, Hans: Kriege und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Weilerswist 2000, 39. 267 Daniel, E. Valentine: Charred Lullabies. Chapters in an Anthropography of Violence. Princeton, N. J. 1996, 202. 268 Calhoun, Lawrence G. / Tedeschi, Richard G.: Trauma & Transformation. Growing in the Aftermath of Suffering. Thousand Oaks, Calif. 1995.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

4.

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

REKOM ist nicht die erste Initiative einer Wahrheitskommission auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, sondern REKOM ist der erste Versuch einer Wahrheitskommission für das ehemalige Jugoslawien. Nationale Experimente mit staatlich eingesetzten Wahrheits- und Untersuchungskommissionen gab es durchaus vor und parallel zu den Entwicklungen bei REKOM . Fragt man zudem auch nach Projekten, bei denen die Stimme der Opfer im Zentrum steht, die aber keine staatlichen »Wahrheitsfindungsbemühungen« darstellen, so lassen sich auch dazu parallele Initiativen im postjugoslawischen Raum finden. Den offiziellen wie zivilgesellschaftlichen Wahrheitsprojekten in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens widmet sich das folgende Kapitel und zeichnet so die engere Aufarbeitungslage jenseits der juristischen Ahndung von Kriegsverbrechen nach.

4.1

Drei Wahrheitskommissionsversuche in Bosnien und Herzegowina

Mehrere Bemühungen, eine Wahrheitskommission auf den Weg zu bringen, gab es in Bosnien und Herzegowina. Dabei spielten internationale Akteure eine wichtige Rolle. Bereits in einem Begleitschreiben zum Friedensabkommen von Dayton 1995 war eine Untersuchungskommission für die »Feststellung der Fakten über die Gründe, den Verlauf und die Folgen des aktuellen Konfliktes« vorgesehen.1 1997 lud das United States Institute for Peace (USIP) Vertreter*innen der orthodoxen und katholischen Kirche sowie des 1 »Side letters to the General Framework Agreement for Peace in BiH«, Dayton, Ohio, 21 November 1995, zitiert in Gisvold, Gregory: A Truth Commission for Bosnia and Herzegovina? Anticipating the Debate. In: O’Flaherty, Michael / Gisvold, Gregory (Hg.): PostWar Protection of Human Rights in Bosnia and Herzegovina. The Hague, Kluwer Law International, 1998, 242, zitiert in: Jouhanneau, Cécile: Les mésaventures des projets de Commission Vérité et Réconciliation pour la Bosnie-Herzégovine (1997–2006). Une étude de la circulation des modèles internationaux de résolution des conflits mémoriels. In: Arel, Dominique / Mink, Georges (Hg.): Le passé au présent. Gisements mémoriels et actions historicisantes en Europe centrale et orientale. Paris 2010, 143–156, hier 144.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

170

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

Islams und der jüdischen Gemeinde ein, um Möglichkeiten der Wahrheitsund Gerechtigkeitsfindung in Bosnien und Herzegowina zu erörtern.2 Neil Kritz vom USIP hatte schon einen Gesetzentwurf für die Bosnische Wahrheitskommission erarbeitet und sie im Frühjahr 1998 dem bosnischen Dreierpräsidium vorgestellt, welche den Vorschlag ablehnte. 2000 lancierte der Leiter der jüdischen Gemeinde in Bosnien, Jakob Finci, eine Petition, um die Idee wiederaufzunehmen, welche von mehr als hundert Vertreter*innen von NGOs und der Zivilgesellschaft unterschrieben wurde.3 Im gleichen Jahr hatte Finci den Verein »Citizens for Truth and Reconciliation« gegründet, um eine Kommission für das Nachkriegsland anzugehen. Die Kommission sollte in dreizehn lokalen Büros im ganzen Land im Zeitraum von 18 Monaten 5.000 bis 7.000 Aussagen über das Geschehen zwischen November 1990 (erste freie Wahlen) und Dezember 1995 (Dayton) sammeln. Die Aussagen von Opfern und Täter*innen sollten anonymisiert in einer Datenbank archiviert werden und ein halbes Jahr nach Ende der Erhebungen sollte auf Grundlage einer Auswertung der Aussagen ein Bericht mit Empfehlungen für Entschädigungszahlungen, institutionelle Reformen und anschließende Versöhnungsprojekte erstellt werden. Für die zweieinhalb Jahre Arbeit einer solchen nationalen Kommission für Bosnien und Herzegowina waren 12 bis 15 Millionen Euro geplant.4 Doch auch die folgenden Versuche, eine Gesetzesvorlage für eine Wahrheits­ kommission im bosnischen Parlament zu diskutieren, scheiterten.5 Der Initiative standen gleichwohl nicht nur Politiker*innen im Land, sondern auch Vertreter*innen des ICTY und von Opferorganisationen skeptisch gegenüber. Das ICTY befürchtete, dass die Ermittlungen für das Tribunal durch das Wirken einer Wahrheitskommission behindert werden und die ethnischen Spannungen im Land durch eine derartige Institution verstärkt werden könnten. Die Verantwortlichen des ICTY warben deshalb dafür, besser alle Kräfte auf die juristische Ahndung der Verbrechen zu konzentrieren.6 Verschiedene Opferorganisationen wiederum fühlten sich nicht ausreichend in die Entscheidungsprozesse zwischen dem Verein unter Finci und USIP einbezo2 »Vodič kroz tranzicijsku pravdu u Bosni i Hercegovini« UNDP Report, 2009, 56 f., zitiert von Bonora, Caterina: Opening Up or Closing the Historical Dialogue. The Role of Civil Society in Promoting a Debate about the Past. In: Dialogues on Historical Justice and Memory Network Working Paper Series 4 (September 2014), hier 5. 3 Dragović-Soso, Jasna / Gordy, Eric: Coming to Terms with the Past. Transitional Justice and Reconciliation in the Post-Yugoslav Lands. In: Đokić, Dejan / Ker-Lindsay, James (Hg.): New Perspectives on Yugoslavia. Key Issues and Controversies. Milton Park, Abingdon, Oxon, New York 2010, 193–212, hier 202. 4 Wesselingh / Vaulerin: Raw memory, 196–198. 5 Jouhanneau: Les mésaventures, 144 f. 6 Subotić: Hijacked Justice. Ithaca 2009, 147.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Drei Wahrheitskommissionsversuche in Bosnien und Herzegowina 

171

gen.7 Nachdem man insbesondere Vereine von Angehörigen von Vermissten konsultiert hatte, lehnte das Bosnische Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge im Jahr 2002 den Gesetzentwurf ebenfalls ab. The victim associations’ resistance to the idea of a national truth commission continued to represent a stumbling block. For victim groups, a truth commission was viewed as an elitist project pushed by ›professionalized‹ NGOs with strong links to international sponsors. Victims’ priorities were to be found elsewhere: achieving legal status for themselves or missing family members and thus being able to claim reparations, pensions, or inheritance; gaining knowledge about missing family members and locations of mass graves and speeding up exhumation and identification of bodies; and encouraging arrests and removal of perpetrators who were still in positions of power in their localities.8

Auch Menschenrechtsgruppen in Bosnien und Herzegowina waren gegen eine nationale Wahrheitskommission, Mirsad Tokača etwa sprach sich öffentlich in der Wochenzeitschrift DANI dagegen aus.9 Deswegen versuchte USIP 2005 bis 2006 nochmals ausschließlich mit Politiker*innen, hinter verschlossenen Türen, über eine solche Kommission als Teil eines größeren Reformpakets der bosnischen Institutionen zu verhandeln.10 Nachdem dies öffentlich bekannt wurde, setzte eine heftige Mediendebatte im Frühjahr 2006 ein, sie dauerte solange bis sich schließlich um das Projekt Stillschweigen einstellte.11 Die Politikwissenschaftlerin Jelena Subotić bewertete das Scheitern einer Wahrheitskommission für Bosnien und Herzegowina im Lichte der institutionellen, politischen und psychologischen Gegebenheiten in dieser Gesellschaft trotz internationaler Unterstützung und vielfältiger Bemühungen ihres Hauptvertreters Jakob Finci, für absehbar.12 Jasna Dragović-Soso sieht darin grundlegende Probleme in Bosnien gespiegelt: The failure of the TRC project uncovered the fear and mistrust held by many Bosnians in regard to such large-scale official projects, which threaten to dilute the specificity of individual experience, promote a narrative of reconciliation at the expense of justice and institutional reform, and make political use of personal tragedy.13

7 Bonora: Opening Up or Closing, 5. 8 Dragović-Soso / Gordy: Coming to Terms, 203. 9 Suljagić, Emir: Genocid nije u brojevima. In: DANI, 23.12.2005, zitiert in Subotić: Hijacked Justice, 148. 10 Dragović-Soso / Gordy: Coming to Terms, 203. 11 Jouhanneau: Les mésaventures, 145. 12 Subotić: Hijacked Justice, 149. 13 Dragović-Soso, Jasna: History of a Failure: Attempts to Create a National Truth and Reconciliation Commission in Bosnia and Herzegovina, 1997–2006. In: International Journal of Transitional Justice 10/2 (2016), 292–310, hier 309.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

172

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

Zwei weitere Kommissionsprojekte gab es in Bosnien und Herzegowina auf der lokalen Ebene. Diese spielten sich gleichzeitig und in Konkurrenz zu dem Versuch einer gesamtstaatlichen Wahrheitskommission ab. Internationalen Akteuren im Nachkriegsbosnien war es besonders an der Anerkennung der Verbrechen in Srebrenica gelegen. Aufgrund der weitreichenden öffentlichen Leugnung der Verbrechen an tausenden bosnischen Muslimen in und um Srebrenica im Juli 1995 sowie der andauernden Appelle der Vereine von Vermissten, verordnete die Bosnische Menschenrechtskammer im Jahr 2003 der Regierung der Republika Srpska eine Untersuchungskommission, welche das Ausmaß der Massaker und den Verbleib der Überreste der Opfer erforschen sollte.14 Dieses Vorhaben wurde von der RS in die Tat umgesetzt, allerdings nicht ohne Verzögerungen und Probleme. Nachdem der Zwischenbericht im Frühjahr 2004 nur die personellen und institutionellen Schwierigkeiten dokumentierte, welche die Kommissare von ihrem eigentlichen Arbeitsauftrag abhielten, wechselte der damalige Hohe Repräsentant in Bosnien und Herzegowina, Lord Paddy Ashdown, einige die Arbeit obstruierende Kommissare aus.15 Die beauftragten Kommissare wirkten unter erschwerten gesellschaftlichen Bedingungen: Sie und ihre Familien wurden bedroht und öffentlich als »Verräter des serbischen Volkes« diffamiert. Die Armee und Polizei der RS enthielt der Kommission lange Zeit Dokumente vor. Erst nach dem Abschluss des Berichtes Anfang Juni 2004 erhielten die Kommissare 16 Kisten Informationen aus dem Innenministerium der Republika Srpska, woraufhin eine Erweiterung des Berichtes bis Oktober 2004 beschlossen und umgesetzt wurde.16 Der Abschlussbericht zeugt von tausenden Ermordungen bosnischer Muslim*innen »als schweren Bruch der internationalen Menschenrechte« und der nachfolgenden Umbettung der Toten zur Vertuschung der Verbrechen.17 32 Massengräber konnten lokalisiert werden, von denen acht bis zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt gewesen waren.18 Eine verbindliche Opferzahl konnte die Srebrenica-Kommission allerdings nicht etablieren, da sich verschiedene Opferlisten widersprachen. Für den Untersuchungszeitraum vom 10. bis 19. Juli 1995 sind rund 7.000 Tote wahrscheinlich.19 14 Die Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina war eine temporäre, hybride Institution, die von 1996 bis 2003 in Folge des Friedensvertrags von Dayton, Annex 6, tätig war. Acht ausländische und sechs bosnische Richter*innen wirkten in der Kammer. http://www.hrc.ba/ENGLISH /DEFAULT.HTM (am 08.04.2016). 15 Subotić: Hijacked Justice, 151. 16 Picard, Michèle / Zinbo, Asta: The Long Road to Admission: The Report of the Government of the Republika Srpska. In: Delpla, Isabelle / Bougarel, Xavier / Fournel, Jean-Louis (Hg.): Investigating Srebrenica. Institutions, Facts, Responsibilities. New York 2012, 131–147, hier 138–140. 17 Subotić: Hijacked Justice, 151 f. 18 Picard / Zinbo: The Long Road, 139. 19 Ebd., 140, Fußnote 24.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Drei Wahrheitskommissionsversuche in Bosnien und Herzegowina 

173

Ein Teil der Ergebnisse wurde öffentlich vorgestellt, beispielsweise las der damalige Präsident der Republika Srpska, Dragan Čavić, Auszüge aus dem Bericht im RS -Fernsehen vor und in einer Regierungserklärung bekundeten die Verantwortlichen der Republika Srpska ihr Beileid für die Angehörigen der Opfer. Im Oktober 2005 übergab die Untersuchungskommission alle Ergebnisse der Bosnischen Kammer zur Ahndung von Kriegsverbrechen. Diese enthielten 17.342 namentlich identifizierte bosnische Serb*innen, die an der Eroberung Srebrenicas und den Massakern beteiligt waren.20 892 Personen davon waren weiterhin im öffentlichen Dienst beschäftigt, vorrangig im Innenministerium und bei der Polizei.21 Hayner führt die Srebrenica-Kommission nicht in ihrer Liste der Wahrheitskommissionen auf. Denn die Untersuchung beschäftigte sich »nur« mit einem spezifischen, lokalen Verbrechen und nicht mit Gewaltvorgängen im ganzen Land, zudem wertete sie vorrangig Dokumente aus, ohne dass es Opferanhörungen gegeben hat, weswegen sie nicht in die von Hayner entwickelte Definition von Wahrheitkommissionen passte. Dennoch halte ich die Srebrenica-Kommission für ein sehr gutes Beispiel, um zu veranschaulichen, dass es bei derlei Vorhaben vor allem um die staatliche Anerkennung von Verbrechen geht. Die »Untersuchungskommission zu den Ereignissen in Srebrenica und Umgebung zwischen dem 10. und 19. Juli 1995« ist die einzige in Bosnien und Herzegowina, die ihre Arbeit abgeschlossen hat, was maßgeblich auf internationalen Druck hin passierte. Obwohl sie wichtige Daten für das Auffinden von Vermissten und Belege für das Ausmaß der Verbrechen an bosnischen Muslim*innen seitens bosnischer Serb*innen lieferte, vermied die RS darin den Begriff »Genozid« und relativierte die Beileidsbekundungen für die Opfer der Bosniak*innen durch den Verweis auf Opfer anderer Gruppen. Die Anerkennung der darin festgehaltenen Informationen steht somit auf einem anderen Blatt. Das zeigt sich insbesondere im wiederholten Bemühen des Präsidenten der RS , die Ergebnisse der Srebrenica-Kommission zu delegitimieren. Vierzehn Jahre später, im August 2018, erklärte Milorad Dodik in einer Sondersitzung des Parlaments, dass der Abschlussbericht falsche Daten enthalte, unter Druck der internationalen Gemeinschaft erstellt wurde und gab zu Bedenken: »Das Verbrechen von Srebrenica ist eine konstruierte Tragödie mit der Absicht Serben zu satanisieren.«22 Er kündigte eine neue, internationale Srebrenica-Kommission an, welche den im Bericht zuvor nicht untersuchten Verbrechen gegen Serb*innen besondere Aufmerksamkeit schenken 20 Subotić: Hijacked Justice, 151 f. 21 Picard / Zinbo: The Long Road, 141. 22 Kovačević, Danijel: Bosnian Serb MPs Annul Report Acknowledging Srebrenica. URL : https://balkaninsight.com/2018/08/14/bosnian-serb-mps-annul-report-acknowledgingsrebrenica-08-14-2018/ (am 22.03.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

174

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

solle.23 Serbische Truppen verübten aber ein Massaker an bosnischen Muslim*innen in der VN-Schutzzone Srebrenica im Juli 1995. Rund 17.500 bosnische Serb*innen, die an der Eroberung Srebrenicas und den Massakern beteiligt waren, sind durch den Bericht der Srebrenica-Kommission dokumentiert, welcher der Bosnischen Kammer zur Ahndung von Kriegsverbrechen übermittelt wurde. Mehrere Urteile des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien dokumentieren die Verbrechen in Srebrenica als Genozid (z. B. Krstić, Popović, Beara, Nikolić, Mladić, Karadžić).24 55 Personen wurden vor der Bosnischen Kammer für Kriegsverbrechen bis Juni 2018 für die Verbrechen in Srebrenica angeklagt und von der Internationalen Kommission für Vermisste sind 6.940 Tote für Srebrenica anhand einer 99,95 % sicheren DNA-Analyse identifiziert, während nach Kriegsende rund 8.000 Menschen als vermisst gemeldet worden waren.25 In Anbetracht dieser Fakten kann Dodiks Annulierung des Srebrenica-Berichtes nur als Leugnungsimpuls eingeordnet werden. Die Daten verschiedener Institutionen gelten gleichwohl weiterhin und können nicht von Milorad Dodik entwertet werden, so lange nicht neue Informationen vorliegen. Die Srebrenica-Kommission war als Instrument gedacht, die Anerkennung der Verbrechen seitens der staatlichen Verantwortlichen der Republika Srpska zu fördern. Aus der Sicht von Michèle Picard, die für die Bosnische Menschenrechtskammer tätig war und von Asta Zinbo, die für die Internationale Kommission für Vermisste in Bosnien wirkte, hat die Srebrenica-Kommission jedoch die Leugnungsbestrebungen in der RS noch verstärkt und die Opferkonkurrenz zwischen den ethnischen Gruppen extremer werden lassen.26 Dodiks offener Geschichtsrevisionismus, unter Ausblendung institutionell gesicherten Wissens und etablierter Fakten noch vierzehn Jahre nach dem Kommissionsbericht, bestätigt diese Beobachtung. Diese Leugnungshaltung ist mittlerweile politischer Mainstream geworden, denn auch die serbische Premierministerin hielt Ende 2018 in einem Interview mit der Deutschen Welle fest, Srebrenica sei »ein schreckliches Verbrechen« gewesen, aber kein Genozid.27 23 Maksimović, Dragan: NSRS: Povući izvještaj Komisije o Srebrenici. URL : https://www. dw.com/bs/nsrs-povu%C4%87i-izvje%C5%A1taj-komisije-o-srebrenici/a-45081221 (am 10.04.2019). 24 Ristić: Imaginary Trials, 169. 25 International Commission for Missing Persons: Srebrenica: No Room for Revisionism. URL : https://www.icmp.int/press-releases/srebrenica-no-room-for-revisionism/ (am 11.04.2019). 26 Picard / Zinbo: The Long Road, 143. 27 Sebastian, Tim: Brnabić: »Verbrechen von Srebrenica war kein Genozid«. URL: https://www. dw.com/de/brnabi%C4%87-verbrechen-von-srebrenica-war-kein-genozid/a-46314368 (am 11.04.2019). Zur Darstellung der zahlreichen Prozesse vor dem ICTY für die Ahndung der Verbrechen in Srebrenica in der serbischen Presse vgl. Ristić: Imaginary Trials, 204–214.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Drei Wahrheitskommissionsversuche in Bosnien und Herzegowina 

175

Als Gegenmaßnahme lancierten serbische Opfergruppen und Politiker*innen in Sarajewo noch im Jahr der Veröffentlichung des Srebrenica-Berichtes (2004) ein Untersuchungsgremium für das Schicksal der serbischen Opfer der Belagerung Sarajewos. Internationale Akteure beteiligten sich nicht daran, weil das von Beginn an als einseitig bewertet wurde. Der Vorschlag wurde zwei Jahre lang nicht im Ministerrat diskutiert, die bosniakischen und kroatischen Vertreter*innen hatten daran wenig Interesse. Die serbischen Ratsmitglieder erwirkten seine Umsetzung dann durch einen Boykott der Mitarbeit auch an anderen Verhandlungen, beispielsweise an wichtigen Verfassungsänderungen, die seit Mai 2005 angestrebt wurden.28 So wurde im Juni 2006 eine Untersuchungskommission beschlossen, allerdings mit verändertem Mandat: nicht mehr nur die Verbrechen an serbischen Opfern, sondern Informationen über alle Opfer der Belagerung Sarajewos sollten erforscht werden.29 Diese Entscheidung wurde ausführlich in den bosnischen Medien diskutiert. Insbesondere die Auswahl der Kommissare zeitigte heftige öffentliche Kontroversen, weil man sowohl in der Föderation wie auch in der RS befürchtete, die Arbeit könnte durch die jeweils andere Seite manipuliert werden. Neben den personellen Schwierigkeiten tat sich das Gremium auch mit der Auslegung des Mandates schwer, welches die Verantwortung für die Ereignisse ausklammern und sich auf die Sammlung von Opferdaten konzentrieren sollte. Zwar konnten sich die Kommissare noch im Juli auf ein Arbeitsprogramm einigen, im Oktober 2006 fanden sie jedoch bezüglich der Forschungsziele keinen Nenner, sodass es fortan keine weiteren Treffen der Kommission gegeben hat.30 Die »Untersuchungskommission über das Leiden der Serben, Kroaten, Bosniaken, Juden und Anderer in Sarajewo zwischen 1992 und 1995«31 hatte sich in ethnopolitischen Grabenkämpfen verloren. Doch die internationalen Akteure in Bosnien gaben nicht auf. Nachdem 2007 das Sarajewoer Büro der UNDP ein neues Programm unter dem Titel »Facing the Past: Access to Justice and Building Confidence for the Future« lancierte hatte, entstand die Idee einer »Transitional Justice Strategie für Bosnien und Herzegowina«.32 Unter Beratung des International Centers for Transitional Justice (ICTJ) bereitete seit 2010 eine Arbeitsgruppe von zehn Regierungsmitgliedern und fünf Repräsentant*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen, wovon drei Opferorganisationen ausmachten, ein Strategiepapier vor.33 Dieses setzte sich für einen weiteren Versuch einer nationalen Wahrheitskommission in Bosnien ein, für Reparationsprogramme und an28 29 30 31 32 33

Dragović-Soso / Gordy: Coming to Terms, 205. Subotić: Hijacked Justice, 149. Jouhanneau: Si vous avez un problème, 169. Ebd., 167. Rowen, Jamie: Searching for Truth, 83. Ebd., 85.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

176

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

dere von der Regierung zu verwirklichende Transitional Justice Mechanismen.34 Während die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsbeauftragten und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Gesprächen mit mir mehrfach als vorbildlich gelobt wurde, so scheiterte die Umsetzung der »Transitional Justice Strategie für Bosnien und Herzegowina« jedoch wie üblich an der Weigerung der Repräsentant*innen der Republika Srpska an einer für den Gesamtstaat relevanten Regelung mitzuwirken.35 Dass man überhaupt zu einem gemeinsam erarbeiteten Strategiepapier gekommen ist, muss somit als Erfolg festgehalten werden. Dessen staatliche Implementierung bleibt jedoch auch in Zukunft höchst unwahrscheinlich. Höpken verwies auf die Ausweglosigkeit solcher geschichtspolitischer Initiativen: wenn es nicht einmal einen politischen Konsens über einen gemeinsamen Staat in Bosnien und Herzegowina gibt, wie sollte dann ein Konsens über gemeinsame vergangenheitspolitische Maßnahmen gefunden werden?36 Dennoch wurden auch nach 2012 zahlreiche Projekte und Workshops zu Transitional Justice in Bosnien und Herzegowina insbesondere von internationalen Geldgeber*innen weiter gefördert. Auch das Deutsche Außenministerium hat Ende 2018 erneut Mittel bewilligt, um die Umsetzung der »Transitional Justice Strategie in Bosnien und Herzegowina« durch einen bis Ende 2019 andauernden strukturierten Dialog mit allen interessierten Beteiligten doch noch voranzubringen.37 Drei Projekte von Wahrheits- und Untersuchungskommissionen hat es somit seit 1997 in Bosnien und Herzegowina gegeben. Davon ist die gesamtstaatliche Wahrheitskommission trotz mehrmaliger Anläufe gescheitert; die Sarajewo-Kommission wurde durch den bosnischen Ministerrat konstituiert, hat aber ihre Arbeit nie aufgenommen; nur die durch die Republika Srpska eingesetzte Srebrenica-Kommission hat mittels Eingreifen des Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina tatsächlich gearbeitet und einen Abschlussbericht erstellt. Die Kommission bewirkte gleichwohl nicht die Anerkennung der bisher erarbeiteten Informationen über die Verbrechen in Srebrenica seitens der Republika Srpska, sondern zeitigte eine eklatante und andauernde Abwehr- und Leugnungshaltung der serbischen politischen Elite. 34 Šimić, Goran: Transitional Justice Strategy for Bosnia and Herzegovina. URL: http://www. transconflict.com/2013/05/transitional-justice-strategy-for-bosnia-and-herzegovinaan-overview-235/ (am 09.05.2019). 35 Rowen: Searching for Truth, 85. 36 Höpken, Wolfgang: Innere Befriedung durch Aufarbeitung von Diktatur und Bürgerkriegen? Probleme und Perspektiven im ehemaligen Jugoslawien. In: Kenkmann, Alfons / Zimmer, Hasko (Hg.): Nach Kriegen und Diktaturen. Umgang mit Vergangenheit als internationales Problem: Bilanzen und Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Essen 2006, 153–191, hier 180. 37 Max Planck Foundation for International Peace and the Rule of Law: Transitional Justice and Reconciliation in Bosnia and Herzegovina. URL : http://www.mpfpr.de/projects/ country-based-projects/bosnia-and-herzegovina/ (am 09.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Ein Wahrheitskommissionsversuch in der Bundesrepublik Jugoslawien 

177

In Bosnien und Herzegowina sind staatliche Wahrheitskommissionsprojekte somit gut bekannt. Erfahrungen bestehen dabei in der Kooperation zwischen internationalen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren, aber auch in der ethnopolitischen Instrumentalisierung, die zur Einstellung zweier solcher Vorhaben geführt hat.

4.2

Ein Wahrheitskommissionsversuch in der Bundesrepublik Jugoslawien

In der Bundesrepublik Jugoslawien wurden nach dem Sturz Slobodan Miloše­ vićs im Herbst 2000 die Hoffnungen auf eine zunehmende Demokratisierung mit Forderungen verbunden, die Gewalt des gestürzten Regimes aufzuarbeiten. So rief im März 2001 der neue Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien, Vojislav Koštunica, per Dekret eine »Kommission für Wahrheit und Versöhnung« ins Leben.38 Die Initiative dafür wird zum einen dem liberal orientierten damaligen Außenminister, Goran Svilanović von der einstigen »Bürgerallianz Serbiens« (Građanski Savez Srbije) zugeschrieben, der auch bekannt war für seine Nähe zu Menschenrechts- und Intellektuellenzirkeln.39 Zum anderen begann das frisch entstandene International Center for Transitional Justice (ICTJ) die neue Regierung zu beraten. Dessen Leiter Alex Boraine war zuvor maßgeblich an der Gründung der Südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission beteiligt gewesen und bereits 1999 vom »Open Society Institute« nach Belgrad zu Konsultationen eingeladen worden. Zu einer ersten Konferenz im Jahr 2000, welche verschiedene gesellschaftliche Akteure in Serbien versammelte, um Fragen der Aufarbeitung der Verbrechen während der Jugoslawienkriege zu erörtern, durfte Boraine noch unter Milošević nicht einreisen. 2001 wurde er dann aber zum Berater des Vertreters der demokratischen Opposition, Koštunica.40 Der neue serbische Präsident erfüllte mit der Einrichtung einer Wahrheitskommission die von außen an ihn herangetragenen Erwartungen, sich nun 38 Hayner: Unspeakable Truths. Transitional Justice, 252 f. Koštunicas Dekret vom 29/30.03.2001 kann auf der Webseite des »United States Institute for Peace« (USIP) herunter geladen werden. USIP schreibt die Kommission allerdings fälschlicherweise »Serbien und Montenegro« zu  – so hieß das Staatengebilde seit 2003 nach der Bundesrepublik Jugoslawien, in dem die Kommission jedoch bereits ihre Arbeit aufgegeben hatte. United States Institute for Peace: Truth Commissions Digital Collection. URL : http://www.usip.org/ publications/truth-commission-serbia-and-montenegro (am 22.07.2015). 39 Ostojić: Facing the Past, 232. 40 Ilić, Dejan: The Yugoslav Truth and Reconciliation Commission. Overcoming Cognitive Blocks. URL: http://www.eurozine.com/articles/2004-04-23-ilic-en.html (am 08.06.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

178

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

auch mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Der Präsidentenerlass erfolgte einen Tag vor Bestätigung der USA, eine weitere Finanzhilfe an die Bundesrepublik Jugoslawien zu leisten.41 Darüber hinaus war der gegenüber dem Westen kritische Koštunica daran interessiert, eine Aufarbeitungsinstitution im Land selbst zu wissen, als Gegengewicht zum Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Das New Yorker ICTJ unter Boraine bemühte sich, die Entwicklungen im eigenen Sinne zu beeinflussen, sah sich aber bei seiner Unterstützung Koštunicas bald der Kritik sowohl von Menschenrechtsaktivist*innen als auch von Seiten des ICTY ausgesetzt. Die Kritiker*innen verwiesen darauf, dass der neue serbische Präsident keinerlei Interesse an Vergangenheitsaufarbeitung hatte und eine von ihm eingesetzte Kommission zu diesem Zeitpunkt im Grunde eine Totgeburt gewesen war.42 Das Haager Tribunal erkannte in Koštunicas Einrichtung einer Wahrheitskommission dessen Strategie, die gerichtliche Aufarbeitung zu marginalisieren und mahnte, wenn schon eine solche Institution wirken sollte, eine uneingeschränkte Zusammenarbeit an. Als Kommissar*innen ernannte der serbische Präsident größtenteils Akademiker*innen mit pro-serbischer Haltung, zudem waren in der zunächst fünfzehn Kommissare zählenden Runde nur zwei Vertreter*innen ethnischer Minderheiten repräsentiert, außer der serbisch-orthodoxen Kirche waren keine religiösen Vertreter*innen dabei, auch Repräsentant*innen von großen Menschenrechtsorganisationen fehlten.43 Bereits nach der ersten Sitzung im April 2001 verließen zwei Mitglieder den Kreis: Die Historikerin Latinka Perović zog ihre Unterstützung unter Kritik an den unklaren Zielen der Kommission und großen Bedenken gegenüber der Unparteilichkeit ihrer Mitglieder zurück.44 Perović bezweifelte, dass sich die Institution kritisch mit serbischer Verantwortung auseinandersetzen würde.45 Der Menschenrechtsanwalt und Aktivist Vojin Dimitrijević trat ebenfalls gleich im April 2001 aus der Kommission zurück. Seine Kritik richtete er vor allem am Mandat aus, das sich anfänglich nur mit der Geschichte der Jugoslawienkriege beschäftigen sollte und keine Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen vorsah.46 Auf einer im Mai 2001 vom Sender B92 veranstalteten Konferenz wurde die ganze Bandbreite der Kritik an einer Jugoslawischen Wahrheits- und Versöhnungskommission deutlich: Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, Intellektuelle und Politiker*innen prangerten unter anderen die Befangenheit der von Koštunića ernannten Kommissionsmitglieder und vor allem die mo41 Subotić: Hijacked Justice, 53. 42 Ebd. 43 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 134. 44 Ostojić: Facing the Past, 232 f. 45 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 134. 46 Ilić: The Yugoslav Truth, 9.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Ein Wahrheitskommissionsversuch in der Bundesrepublik Jugoslawien 

179

ralische Legitimität des Vorhabens an, denn eine auf das gesamte Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens angelegte Erörterung der Kriege sollte von einer ausschließlich serbisch besetzten Kommission unternommen werden. Der damalige Premierminister Zoran Đinđić sprach sich auf der Konferenz offen gegen eine Wahrheitskommission zu diesem Zeitpunkt aus. Er vertrat die Überzeugung, dass sich eine Gesellschaft im Umbruch zunächst konsolidieren müsse bevor eine Auseinandersetzung mit den vergangenen Verbrechen auf eine Weise stattfinden könne, dass sie die neue politische Ordnung und eine notwendige Reform der Staatsinstitutionen nicht gefährden würde.47 Während die Anfangsidee eher einer Historikerkommission glich, so enthielt das im Januar 2002 in seinen Grundzügen beschlossene Arbeitsprogramm dann doch auch eine Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und sah Opferanhörungen vor. Der Untersuchungszeitraum wurde nun zunächst für 1980 bis 2000 (Tod Titos bis Sturz Miloševićs) geplant. Als wichtiges Anliegen der Kommission formulierte man zudem, die Rolle »fremder Faktoren« für das Auseinanderbrechen Jugoslawiens zu beleuchten.48 Zudem betonte der Vorsitzende der Kommission, Svetozar Stojanović, im Interview mit Jelena Subotić, dass eines der Ziele der Jugoslawischen Wahrheits- und Versöhnungskommission sei, »die Verwobenheit der Jugoslawienkriege und die serbischen Verbrechen im Kontext der Verbrechen anderer Gruppen gegen Serben« zu betrachten.49 Eine umfassende Zusammenarbeit mit dem ICTY wurde mit der Aufnahme der Arbeit der Kommission im Februar 2002 versprochen. Alex Boraine zog sich zu dieser Zeit bereits aus seiner Beratungsrolle zurück.50 Nachdem Koštunica innerhalb seiner Partei der »Demokratischen Opposition Serbiens« (Demokratska Opozicija Srbije) auf Kritik für die Initiative stieß, verlor auch er immer mehr Interesse an der Wahrheitskommission. So wurden nur sehr geringe finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt, die Kommissar*innen trafen sich fortan noch seltener. Anfang 2003 beschlossen sie ein erweitertes Mandat, welches den Untersuchungszeitraum weiter in die Geschichte zurück ausweitete, sodass die südslawische Bewegung miteinbezogen werden konnte.51 Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich Koštunicas Vorhaben als Bluff erwiesen. In Folge der Umwandlung der Bundesrepublik Jugoslawien zu Serbien und Montenegro im Februar 2003 löste sich die Jugo-

47 Ostojić: Facing the Past, 233. 48 Ilić: The Yugoslav Truth, 10. 49 Subotić: Hijacked Justice, 55. Svetozar Stojanović war einst Vertreter der systemkritischen Praxis-Gruppe in Jugoslawien, hatte aber aus der Opposition zum Nationalismus gefunden. Vgl. Höpken: Innere Befriedung, 169. 50 Dragović-Soso / Gordy: Coming to Terms, 206. 51 Ilić: The Yugoslav Truth, 11.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

180

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

slawische Wahrheits- und Versöhnungskommission stillschweigend, ohne Ergebnisse produziert zu haben, auf.52 Koštunica hatte versucht ein populäres Instrument der Aufarbeitung für seine Zwecke zu nutzen: mit einer Wahrheitskommission wollte er sowohl internationalen Anforderungen an das demokratisch »geläuterte« Serbien nach dem Sturz Miloševićs gerecht werden, gleichzeitig aber auch die innere Stabilität nach dem Umbruch fördern, indem die Kommission an das bestehende populäre Narrativ des langen Leidens- und Behauptungskampfes der Serben in der Region anknüpfen und die serbische Verantwortung für die Verbrechen der Jugoslawienkriege weiterhin relativieren sollte.53 Darüber hinaus schien der serbische Präsident die Kommission als Möglichkeit verstanden zu haben, dem Tribunal in Den Haag eine »eigene«, serbische Institution »zu Hause« entgegenzusetzen. Denn die vom ICTJ als Vorbild für Serbien konsultierte Südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission funktionierte zumindest als Ersatz für eine nicht zu verwirklichende gerichtliche Aufarbeitung in Südafrika. Dass all diese Ziele nicht miteinander zu vereinbaren waren, mussten der serbische Präsident und sein südafrikanischer Berater bald einsehen. Für das New Yorker ICTJ stellte die Entwicklung der »Koštunica-Kommission« eine Blamage dar  – im Bericht über »Transitional Justice in Serbien und Montenegro« wird der Vorgang als negatives Beispiel beschrieben, das zeige, wie man eine Wahrheitskommission nicht einrichten sollte.54 Kritiker von Wahrheitskommissionen verwiesen danach auf die »Koštunica-Kommission« als Beispiel dafür, wie derartige Aufarbeitungsmodelle von Politiker*innen missbraucht werden könnten, um ihre je eigenen versöhnungsschädigenden Interessen zu verfolgen.55 Derart habe, so Subotić, das Model »Wahrheitskommission« in Serbien ein enorm schlechtes Image erhalten: In fact, so widespread was the sense of the commission’s failure that groups that would not agree on anything else – nationalist historians and human rights activists – agreed that the idea of a truth commission for Serbia had been forever used up and discarded.56

Das ICTJ hat fortan die Idee einer »von unten« (zivilgesellschaftlich) getragenen Wahrheitskommission (die allerdings nicht mehr so heißen durfte) mit regionalem Fokus umfangreich unterstützt –, so als ob es nun darum ginge, die Beratungsfehler bei der »Koštunica-Kommission« im Rahmen von REKOM wieder gut zu machen. 52 53 54 55 56

Hayner: Unspeakable Truths, 252. Ilić: The Yugoslav Truth, 15. Subotić: Hijacked Justice, 56. Rowen: Searching for Truth, 42. Subotić: Hijacked Justice, 56.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Historische Untersuchungskommissionen in Kroatien 

181

Auf der Ebene der juristischen Aufarbeitung konnte das ICTJ dann aber noch erfolgreich beraten. Nach der Ermordung des serbischen Premiers Zoran Đinđić vor dem Regierungsgebäude im März 2003 wuchs nämlich der internationale Druck auf Koštunica, die Strafverfolgung zu verbessern. Zwei Spezialkammern wurden mit Unterstützung der OSZE und des ICTJ eingerichtet: die Kammer für die Ahndung von organisierten Verbrechen und die bereits im dritten Kapitel thematisierte serbische Kammer für Kriegsverbrechen.57 Ein zusätzliches Spezialgericht untersuchte den Mord an Đinđić. Doch auch hier gilt: die Einrichtung von Institutionen bedeutet noch lange nicht, dass sie gut arbeiten. Denn die Prozesse wurden erschwert durch Einschüchterungsversuche der Richter*innen und Ankläger*innen, Behinderungen beim Dokumentenzugang, fehlende Kooperation mit der serbischen Polizei und einem schwachen Zeugenschutz.58 Die Leiterin des »Helsinki Komitees« in Serbien, Sonja Biserko, bezeichnete die Arbeit der Kammer für die Ahndung von organisierten Verbrechen und die Kriegsverbrecherkammer als staatlichen Persilschein (»whitwashing the state«).59 In Serbien bestehen somit Erfahrungen mit juristischen und außerjuristischen staatlichen Aufarbeitungsinstitutionen, bei denen es nominell um eine kritische Auseinandersetzung mit Untaten geht. Reell hatte und hat die politische Führung Serbiens an derlei Bestrebungen keinerlei Interesse.

4.3

Historische Untersuchungskommissionen in Kroatien

In Kroatien hat es keinen Versuch einer Wahrheitskommission für die Aufarbeitung des Krieges der neunziger Jahre gegeben. Erfahrungen mit staatlichen Historikerkommissionen bestehen hier jedoch durchaus. Eine parlamentarisch einberufene, historische Untersuchungskommission wurde im Oktober 1991 in Kroatien beschlossen.60 Die »Kommission für die Ermittlung der Kriegs- und Nachkriegsopfer der Republik Kroatiens (RH)« (Komisija za utvrđivanje ratnih i poratnih žrtava Republike Hrvatske)  erforschte die Opferzahlen unter Kroat*innen während des Zweiten Weltkriegs.61 Derart sollte mit den Kommunist*innen und der jugoslawischen Erinnerung bereits 57 58 59 60

Ebd., 57. Ebd., 58. Ebd., 60. Vukojević, Vice: Biskup Bogović preuzeo na sebe veliku obvezu. URL: http://www.dnevno. hr/kolumnisti/biskup-bogovic-preuzeo-na-sebe-veliku-obvezu-78218 (am 18.07.2016). 61 Geiger, Vladimir: Ljudski gubici Hrvatske u Drugom svjetskom ratu koje su prouzročili »okupatori i njihovi pomagači«. Brojidbeni pokazatelji (procjene, izračuni, popisi). In: Časopis za suvremenu povijest, Hrvatski institut za povijest, Zagreb 43/3 (2011), 699–749, hier 710 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

182

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

während des kroatischen Unabhängigkeitskrieges geschichtspolitisch abgerechnet werden. Denn in der Erinnerungskultur Jugoslawiens hatte der heroische Kampf der Partisan*innen im Mittelpunkt gestanden. Opfer nationaler Einheiten, wie die des »Unabhängigen Kroatiens« (ustaše), der »slowenischen Landwehr« (domobrani) sowie der serbischen und montenegrinischen »antikommunistischen Milizen« (četnici), aber auch die zivilen Opfer wurden nicht erinnert. Im sich von Jugoslawien loslösenden Kroatien richtete man dann eine Untersuchungskommission ein, die selektiv kroatische Opfer im Zweiten Weltkrieg in den Fokus nahm und zwischen 1992 und 1999 dafür Daten sammelte. Ihre Arbeit war von reduzierten finanziellen Ressourcen, Angriffen von außen und auch Unstimmigkeiten zwischen den Kommissionsmitgliedern geprägt.62 In Folge des Regierungswechsels im Jahr 2000 von den Nationalkonservativen (Hrvatska Demokratska Zajednica – HDZ) zu den Sozialdemokraten (Socijaldemokratska partija Hrvatske – SDP) wurde die Kommission aufgelöst, ohne dass sie ihre Arbeit abgeschlossen hatte. Jedoch spielt diese Kommission nicht nur eine geschichtspolitische Rolle als »reminder of the historical revisionism processes in 1990s Croatian politics«.63 Sondern sie ist auch Vorläufer zweier gegenwärtiger Projekte, die nun daran anknüpfen. Das »Kroatische Institut für Geschichte« hat ein Anschlussprojekt initiiert, bei welchem alle Opfer in Kroatien während des Zweiten Weltkrieges ermittelt werden, allerdings unabhängig von der nationalen, ethnischen sowie religiösen Zugehörigkeit und Kriegsrolle (Zivilist*in oder Soldat*in).64 Darüber hinaus arbeitet die »Kommission für kroatisches Märtyrertum, für kroatische Märtyrer und Opfer« (Komisija za hrvatski martirologij, za hrvatske mučenike i žrtve) mit den Daten. Dieses von der kroatischen Bischofskonferenz und der Bischofskonferenz in Bosnien und Herzegowina ins Leben gerufene Projekt wertet die von der Kommission erstellte Liste der katholischen Opfer anhand ihrer Zugehörigkeit zu Bistümern und Kirchengemeinden aus und bemüht sich darin »Vorbilder, Zeugen des Christentums in diesen, unseren Ländern« zu finden.65 Das Kroatische Institut für Geschichte und die katholische Kirche sind also bis heute mit den Opferzahlen des zweiten Weltkrieges in Kroatien beschäftigt. 62 Vukojević: Biskup Bogović. 63 Milekić, Sven: Croatia: Living the Past, Not Confronting It. 11.07.2016. URL : http:// erinnerung.hypotheses.org/827#more-827 (am 26.07.2016). 64 Geiger, Vladimir: Žrtvoslovi ljudskih gubitaka Hrvata u Drugom svjetskom ratu i poraću, koje su prouzročili NOV, Partizanski odredi Jugoslavije, Jugoslavenska armija i KPJ. Zagreb 25./26.04.2016. 65 Portal hrvatskog kulturnog vijeća: U Hvaru predstavljen zbornik »Hrvatski mučenici i žrtve iz vremena komuni­stičke vladavine«. 15.12.2013. URL : http://www.hkv.hr/vijesti/jugoostavtina/16556-bogovic-komisija-​posjeduje-popis-na-kojem-je-260-000-osoba.html (am 20.07.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Historische Untersuchungskommissionen in Kroatien 

183

Wenn es um die Daten des in Kroatien sogenannten »Heimatkrieges« (Domovinski Rat) der neunziger Jahre geht, sind zwei Institutionen von Bedeutung. Erstens sammelt das kroatische »Ministerium der Verteidiger« (Ministarstvo branitelja) Informationen über die gefallenen und geschädigten Kämpfer*innen des Krieges. Dabei werden die Soldat*innen jedoch nicht als Opfer bezeichnet, sondern als »Verteidiger« der Heimat im Kampf für die Unabhängigkeit verstanden (branitelji).66 Katarina Ristić beschreibt die kroatische Siegererinnerung wie folgt: It rejects any responsibility for the conflict, with the perpetuation of classical nationalist stereotypes about glorious battles, brave armies, courageous and wise war leaders and civilian sacrifices, which are built into the creation of [a] new state.67

Zweitens erforscht das 2005 gegründete, staatliche »Kroatische Erinnerungsund Dokumentationszentrum des Heimatkrieges« (Hrvatski memorijalnodokumentacijski centar Domovinskoga rata)  vorrangig die Geschichte der »Held*innen« des Krieges. Die sich als Archiv verstehende Institution ist mit dem Sammeln, Ordnen, Bewahren »aller Daten, die mit dem Heimatkrieg verbunden sind«, beschäftigt und hat auch die »Erforschung der Wahrheit über den Heimatkrieg und das Bekanntmachen der Öffentlichkeit im Land und der Welt mit den festgestellten Fakten« zum Ziel.68 Inwieweit dabei auch zivile Opfer eine Rolle spielen, ist unklar. Die rund zwanzig Quelleneditionen bereiten Dokumente der Verwaltung der Serbischen Republik Krajina auf; in der Rubrik »Memoiren« berichten Soldaten, Generäle aber auch Journalist*innen von ihren Kriegserinnerungen. Mehrere Fotobände von kriegsbegleitenden Fotograf*innen zählen zur Herausgeberschaft des Zentrums.69 Für Kroatien lässt sich somit festhalten, dass es keinen Wahrheitskommissionsversuch gegeben hat, sondern sich staatliche und kirchliche historische Forschungsprojekte noch mit den Opfern des Zweiten Weltkriegs beschäftigen. Während diese vom Opfernarrativ geprägt sind, werden die Untersuchungen zum Krieg der neunziger Jahre vom Verteidigungsministerium und dem Kroatischen Erinnerungs- und Dokumentationszentrum des Heimat66 Von 2003 bis 2011 wurden die Belange der kroatischen Veteranen zusammen mit der Familien- und Sozialpolitik bearbeitet im »Ministerium für Familien, Veteranen und zwischengenerationelle Solidarität« (Ministarstvo obitelji, branitelja i međugeneracijske solidarnosti). Seit 2011 haben die kroatischen Veteranen ihr eigenes Ministerium, vgl. Republika Hrvatska: Ministarstvo branitelja. URL: https://branitelji.gov.hr/ (am 19.08.2016). 67 Ristić: Imaginary Trials, 95. 68 Hrvatski memorijalno-dokumentacijski centar Domovinskog rata. Statut. URL : http:// centardomovinskograta.hr/wp-content/uploads/2013/05/Statut.pdf (am 22.08.2016). Satzung, Artikel 2, 2. 69 Hrvatski memorijalno-dokumentacijski centar Domovinskoga rata. Izdavačka djelatnost. URL : http://centardomovinskograta.hr/?page_id=20 (am 09.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

184

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

krieges unter einem Helden- und Verteidigungsnarrativ vorangetrieben; man konzentriert sich hier vorrangig auf Soldat*innen. Es herrscht in Kroatien eine Siegererinnerung, die sich aus der Verteidigungshaltung und der Unabhängigkeit generiert, in welcher die Erfahrungen von Opfern nur als Held*innen einen Platz haben.

4.4

Eine Wahrheitskommission für Kosovo

Ähnlich wie in Bosnien und Herzegowina gab es im Kosovo vergangenheitspolitische Impulse mit starker Unterstützung internationaler Akteure. 2012 hat der damalige Ministerpräsident Hashim Thaçi (Partia Demokratike e Kosovës – PDK) eine »Interministeriale Gruppe für Vergangenheitsaufarbeitung und Versöhnung« eingerichtet, bei welcher unter der Begleitung verschiedener internationaler Akteure mehrere Vertreter*innen kosovarischer Ministerien und zivilgesellschaftlicher Organisationen eine sogenannte Transitional Justice Strategie erarbeiten sollten.70 Die Arbeitsgruppe wurde jedoch nur von den zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen ernst genommen und hat, im Vergleich zu Bosnien und Herzegowina, kein abschließendes Strategiepapier erstellen können. 2016 richtete man in Den Haag ein temporäres Kosovo-Spezialgericht für die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere Verbrechen, die vom 01. Januar 1998 bis 31. Dezember 2000 verübt wurden, ein.71 Die »Kosovo Specialist Chambers and Specialist Prosecutor’s Office« funktionieren nach kosovarischem Recht, wurden durch eine Verfassungsänderung ermöglicht und werden zum Großteil von der EU finanziert.72 Da der Kampf der Kosovarischen Befreiungsarmee (UÇK) für die Unabhängigkeit des Kosovo sinnstiftend ist und in heroischer Manier erinnert wird, stößt das Spezialgericht auf wenig Begeisterung in der Bevölkerung. Die vorherrschende Meinung ist, dass so lange die serbische politische Elite das erlittene Unrecht der Kosovo Albaner*innen nicht anerkennt, muss man selbst auch nichts für die Auseinandersetzung mit dem Unrecht und Leid tun, welches Albaner*innen Serb*innen und anderen nicht-albanischen Minderheiten sowie politischen Gegner*innen im Kosovo zugefügt haben. 70 Ahmetaj, Nora: Suočavanje s prošlošću na Kosovu. Discussion Paper for the TJ Forum in Belgrade 01.11.2014, 3 f. 71 The Kosovo Specialist Chambers and Specialist Prosecutor’s Office. URL : https://www. scp-ks.org/en (am 09.05.2019). 72 Ristić, Marija: The Hague to Host New Kosovo War Court. 15.01.2016. URL : http://www. balkanin​sight.​com/en/article/kosovo-court-to-be-established-in-the-hague-01-15-2016 (am 21.01.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Alternative Erzählformate im postjugoslawischen Raum 

185

Angesichts des Kosovo-Spezialgerichtes hat Thaçi, einst politischer Anführer der UÇK und nun Präsident des Kosovo, im Februar 2017 die Idee einer nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission für Kosovo artikuliert.73 Auf drei Arbeitstreffen wurde ein Entwurf für eine nationale Wahrheitskommission entwickelt, die insbesondere auf den Dialog zwischen Albaner*innen und Serb*innen im Kosovo abzielen soll.74 Doch dieser Dialog ist ein sehr heikles Thema und wird von beiden Seiten nur zögernd verfolgt. Dennoch gelten Vergangenheitsaufarbeitung und eine häufig als »Versöhnung« artikulierte Dialogbereitschaft zum Teil der Hausaufgaben im Beitrittsprozess zur Europäischen Union. Deswegen übt sich auch Hashim Thaçi in Aufarbeitungsgebärden, die ihn nach außen als aufgeklärten Staatsmann wirken lassen können. Möglicherweise imaginiert der kosovarische Präsident auch, ähnlich wie Vojislav Koštunica im Jahr 2001 in Restjugoslawien, eine nationale Wahrheitskommission für Kosovo als Heimspiel, welche im Gegensatz zum Spezialgericht in Den Haag den eigenen Interessen bei der Kriegsaufarbeitung dienen könnte. Im Mai 2018 soll ein Vorbereitungsteam für die Kommission zusammengestellt worden sein.75 Die Politikwissenschaftlerin Denisa Kostovicova mahnte, dass Thaçi noch beweisen müsse, dass die Idee einer nationalen Wahrheitskommission für Kosovo nicht doch wieder nur ein weiteres Beispiel politischer Instrumentalisierung von Gerechtigkeitsbestrebungen nach Konflikten sei.76

4.5

Alternative Erzählformate im postjugoslawischen Raum

Neben staatlich eingesetzten Kommissionsversuchen gab und gibt es weitere, nicht staatliche Dokumentationsformate auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, welche die individuellen Erzählungen von Kriegserfahrungen zumeist ziviler Opfer in den Mittelpunkt stellen, so wie es auch Wahrheitskommissionen tun.

73 Ahmetaj, Nora: The President Must Be Careful When Establishing a Truth and Reconciliation Commission. 28.02.2017. URL : https://kosovotwopointzero.com/en/presidentmust-careful-establishing-truth-reconciliation-commission/ (am 09.05.2019). 74 Ahmetaj, Nora: The Truth About Many Disappeared Persons Is Still a Long Way Off. 30.08.2017. URL: https://kosovotwopointzero.com/en/truth-many-disappeared-personsstill-long-way-off/ (am 09.05.2019). 75 Haxhiaj, Serbeze: Can Kosovo’s Wartime Truth Commission Achieve Reconciliation? 27.06.2018. URL : https://balkaninsight.com/2018/06/27/can-kosovo-s-wartime-truthcommission-achieve-reconciliation-06-25-2018/ (am 09.05.2019). 76 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

186

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

In Kroatien trägt die Mitbegründerin der REKOM Initiative, die NGO Documenta, in einem Oral History Projekt Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Kriege der neunziger Jahre zusammen.77 Die Zeitzeugenaussagen wurden gefilmt und Ausschnitte davon sind als Kurzfilme online abrufbar.78 Seit 2010 wurden in diesem zivilgesellschaftlichem Dokumentationsprojekt rund 430 Interviews in ganz Kroatien durchgeführt, das Interviewmaterial wurde zum Teil ins Englische übersetzt und archiviert. Das Projekt wurde vom Außenministerium der Niederlande gefördert.79 Auch für ein weiteres Projekt, das das Erstellen einer Opferliste des kroatischen Sezessionskriegs von Jugoslawien zum Ziel hat, werden die Zeitzeugenaussagen ausgewertet.80 Sowohl die Opfergeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg als auch aus dem Krieg der neunziger Jahre werden hier somit im Rahmen einer Erzählung durch die Oral History Methode festgehalten. Mit denselben niederländischen Projektpartnern arbeiteten in Bosnien und Herzegowina auch das »Center for Investigative Reporting« und das »Zentrum für Menschenrechte« der Universität Sarajewo in einem Oral History Projekt zusammen.81 Von 2011 bis 2013 wurden dank der Förderung der Niederländischen Botschaft in Sarajewo rund einhundert Interviews über die Erfahrungen von Menschen aus Bosnien und Herzegowina im Zweiten Weltkrieg und in den Jugoslawienkriegen gefilmt, transkribiert, übersetzt und archiviert. Auch dieses Projekt verbindet wieder die Opfergeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg mit den Opfererfahrungen der letzten Kriege. Ebenfalls in Bosnien hat die amerikanische Stiftung »Cinema for Peace« für einige Jahre Oral History Interviews mit Überlebenden aus Srebrenica durchgeführt.82 Bis Anfang des Jahres 2016 waren von den angeblich eintausend gefilmten Interviews lediglich 21 auf der Webseite abrufbar, mittlerweile 77 Documenta (Hg.): Snimanje osobnih sjećanja na rat metodom usmene povijesti. URL : http://www.documenta.hr/hr/snimanje-osobnih-sje%C4%87anja-na-rat-metodomusmene-​povijesti.html (am 22.07.2016). 78 Documenta (Hg.): Osobna sjećanja na ratove i druge oblike političkog nasilja od 1941. godine do danas. URL : http://www.osobnasjecanja.hr/ (am 22.07.2016). 79 Projektpartner sind die Erasmus Universität Rotterdam, die auf Sprachanalysetechnologie in Zeitzeugeninterviews spezialisierte »Human Media Interaction Group« der Universität Trente, das zur »Königlichen Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften« gehörende Institut DANS (Data Archiving and Network Services) und die auf online-Video-Technologie ausgerichtete Firma »Noterik BV« aus Amsterdam. URL : http://www.croatianmemories.org/en/project-partners/ (am 22.07.2016). 80 Documenta (Hg.): Documenting Human Losses in Croatia During the War 1991–1995. URL: http://www.documenta.hr/en/dokumentiranje-ljudskih-gubitaka.html (am 21.07.2016). 81 Oral History in Bosnia and Herzegovina. Unveiling Personal Memories on War and Detention. URL : http://www.bosnianmemories.org/ (am 22.07.2016). 82 Genocide Film Library Bosnia-Herzegovina records 1000th testimony. URL : http://www. cinemaforpeace-foundation.com/genocide-film-library-bosnia-herzegovina-records1000th-​testimony (am 22.07.2016). Das anfangs vom deutschen Außenministerium fi-

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Alternative Erzählformate im postjugoslawischen Raum 

187

existiert die Seite jedoch nicht mehr. Auch das Sarajewoer Forschungs- und Dokumentationszentrum sammelte anhand der Oral History Methode individuelle Kriegsgeschichten der neunziger Jahre. In diesem Fall ging es um Geschichten gegenseitiger Hilfe zwischen Menschen unterschiedlicher Ethnien im Krieg.83 Im Kosovo hat die NGO »integra« Oral History Erzählungen über Erfahrungen im Kosovokrieg gefilmt, ins Englische übersetzt und online verfügbar gemacht.84 59 Zeitzeugengeschichten wurden so aufgenommen und wurden, laut integra, seit Ende Oktober 2012 jeden Montagabend in »Kohavision« (KTV), einem der führenden Privatfernsehsender Kosovos, ausgestrahlt.85 Darüber hinaus haben verschiedene Wissenschaftlerinnen aus dem Kosovo und den USA 2012 die »Kosovo Oral History Initiative« gestartet, um Lebensgeschichten von Menschen aus dem Kosovo zu sammeln, die weniger öffentliches Gehör finden.86 Die zum »Kosova Women’s Network« in Prishtina und der New Yorker »New School for Public Engagement« gehörenden Akademikerinnen führten die Interviews ehrenamtlich durch, ihre Verarbeitung wurde von privaten Förderern unterstützt. Auch hier wurden die Interviews gefilmt, die Filme sind online abrufbar und die albanischen Transkripte wurden ins Serbische und Englische übersetzt. Die Kriegserfahrungen von Frauen standen dabei zu Beginn im Mittelpunkt, seit 2015 ist die Initiative ein Verein und widmet sich auch anderen Themen, wie beispielsweise dem Zweiten Weltkrieg im Kosovo in einer Ausstellung.87 In Mazedonien führt die NGO »Friedensaktion« seit 2008 Zeitzeugeninterviews durch, welche Erfahrungen des Bürgerkriegs zwischen albanischen und slawischen Mazedonier*innen im Jahr 2001 dokumentieren.88 Regel­ mäßige Schulungen für Interviewer*innen, Publikationen und öffentliche

83 84 85 86 87 88

nanzierte Vorhaben erhielt große Unterstützung von der amerikanischen Schauspielerin Angelina Jolie. Palmberger, Monika: Practices of Border Crossing in Post-War Bosnia and Herzegovina. The Case of Mostar. In: Identities: Global Studies in Culture and Power 20/5 (2013), 544–560, hier 558. Integra: People and Memories Talk. URL: http://peopleandmemories.org/sq/ (am 22.07.2016). Integra: About »People and Memories Talk«. Narrative Film Documentary. URL : http:// peopleandmemories.org/en/# (am 25.07.2016). Kosovo Oral History Initiative. URL: http://oralhistorykosovo.org/about-us/ (am 25.07.2016). Kosovo Oral History Initiative: Below the Radar. Memories of the Second World War in Kosovo, In: Publication Produced for the Exhibition »Below the Radar«. URL: http://oral​ historykosovo.org/below-the-radar-memories-of-the-second-world-war/ (am 25.07.2016). Mirovna Akcija: Dealing With the Past of War of 2001 in Republic of Macedonia. A brief presentation of the Peace Action’s work started in 2008. URL : http://mirovnaakcija.org/ dealing-with-the-past-in-macedonia-in-200809/ (am 25.07.2016). Die NGO ist während des Konfliktes 2001 als ein Zusammenschluss von Pazifist*innen und Kriegsdienstverweigerern entstanden und arbeitet inklusiv mit albanischen und slawischen Mazedonier*innen in ihren Projekten.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

188

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

Diskussionen über die stets zweisprachig publizierten Interviews sind wichtige Aktivitäten der NGO, die vom »Norwegian People’s Aid« unterstützt wird. Schwerpunkte waren beispielsweise die Erfahrungen von Frauen während des Krieges 2001 in Mazedonien und der während des Konfliktes Geflüchteten.89 Auch transnationale Erzählinitiativen über den Krieg gab und gibt es pa­ rallel zu und in Verbindung mit REKOM . In einer Erweiterung des Projektes »People and Memories talk« der kosovarischen NGO integra wurden im Jahr 2014 rund fünfzig Kriegserzählungen von Serb*innen, Kroat*innen, Maze­ donier*innen und Menschen aus Bosnien und Herzegowina gefilmt.90 Integra wurde dafür vom »Rockefeller Brothers’ Fund«, der Schweizer Botschaft im Kosovo und der privaten, amerikanischen »Charles Steward Mott Foundation« gefördert.91 Regionale Friedensarbeit verrichtet das »Center for Non-violent Action«, das sich seit langem mit Veteranen als Friedensbotschafter*innen beschäftigt. Die Hauptaktivitäten sind Begegnungen der Veteranen und eine gemeinsame Teilnahme an Gedenkveranstaltungen in der Region. 2004 erzählten vier Veteranen und ihre Angehörigen aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kroatien ihre Kriegsgeschichten in einem Dokumentarfilm.92 Die wichtigste, transnationale mit REKOM vergleichbare Aufarbeitungsinitiative war das sogenannte »Frauengericht« (Ženski sud). Dabei handelt es sich um ein symbolisches Gericht, das öffentlichen Raum für die Erzählungen der Gewalterfahrungen von Frauen bereitstellt.93 Die Bezeichnung »Gericht« vermittelt hier den Anschein einer juristischen Institution, jedoch geht es in diesem alternativen Projekt um die Verurteilung des Gefühls von Ungerechtigkeit, welches öffentliche Institutionen durch ihre Macht hinterlassen können. Die Idee wurde bereits seit den neunziger Jahren in feministischen Kreisen des ehemaligen Jugoslawiens erörtert.94 Rund vierzig Erzählveranstaltungen dieser Art hat es weltweit seit Anfang der 1990er Jahre gegeben, 89 Mirovna Akcija: 13 Zenski prikazni za edna vojna/ 13 Tregime femërore për një luftë. URL: http://mirovnaakcija.org/wp-content/uploads/2010/09/13-ZENSKI-PRIKAZNI-ZA-­ EDNA-VOJNA-13-TREGIME -FEM %C3%8BRORE -P%C3%8BR .pdf (am 25.07.2016). Mirovna Akcija: Ognishta / Vatra. URL : http://mirovnaakcija.org/ognishta-vatra/ (am 25.07.2016). Andere Interviewprojekte der NGO beschäftigen sich mit Erfahrungen von Diskriminierungen und Kriegsdienstverweigerung. 90 Integra: People and Memories Talk. 91 Integra: Partners. URL : http://peopleandmemories.org/re/#partners (am 25.07.2016). 92 Centar za nenasilnu akciju: Film »Traces«. URL : http://nenasilje.org/en/online-cinema/ film-tragovi-2004/ (am 02.05.2017). 93 Kovačević, Ljupka / Perković, Marija / Zajović, Staša: Ženski sudovi. Feministički pristup pravdi. Novi Sad 2011, 12. 94 Trevisani, Silvia: The Women’s Court: A Feminist Approach to Justice in the Post-Yugos­ lav Space. In: Women’s Studies International Forum (2019), hier 2 der online-Version (Seitenzahlen noch nicht vorhanden).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Alternative Erzählformate im postjugoslawischen Raum 

189

nachdem das erste Frauengericht in Lahore, Pakistan, stattgefunden hatte.95 Frauengerichte wurden insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika abgehalten. Die Belgrader Feministin Žarana Papić hatte im Jahr 2000 in Sarajewo die Initiative zusammen mit Korin Kumar, Koordinatorin der globalen Bewegung von Frauengerichten, ergriffen, um eine solche Veranstaltung für den postjugoslawischen Raum zu organisieren. Daraufhin nahmen Frauen aus der Region an verschiedenen anderen Aktivitäten teil, beispielsweise 2001 am Frauengericht im südafrikanischen Kapstadt. Jedoch verlief die Initiative nach dem Tode Papićs im September 2002 im Sande.96 Nach der Gründung der REKOM Initiative schlossen sich Aktivistinnen der »Frauen in Schwarz« (Žene u crnom) und des Belgrader »Zentrums für Frauenstudien« (Centar za ženske studije)  dem Vorhaben einer regionalen Wahrheitskommission an. Schnell wurde jedoch deutlich, dass REKOM keinen besonderen Schwerpunkt auf Gewalt an Frauen setzen würde, sodass sich einige Aktivistinnen wieder zurückzogen und seit 2008 die Idee eines Frauengerichtes für das ehemalige Jugoslawien selbständig weiter verfolgten.97 Seit Ende 2010 gibt es ein Koordinierungsgremium unter der Leitung der Belgrader Frauen in Schwarz, in welchem Frauenorganisationen aus Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kroatien und dem Kosovo zusammenarbeiten. Das erste Frauengericht in Europa fand im Mai 2015 in Sarajewo mit rund 500 Teilnehmerinnen aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien statt, einschließlich mazedonischer und slowenischer Frauenorganisationen (die mittlerweile auch im Koordinierungsrat vertreten sind) und mit Beteiligung von Repräsentantinnen anderer Frauengerichte aus der ganzen Welt. Die 36 Aussagen von Frauen in Sarajewo in fünf thematischen Sitzungen an zwei Tagen wurden eingeleitet von einer Pressekonferenz, einem Friedensmarsch und einer öffentlichen Podiumsdiskussion am Tag zuvor sowie umrahmt von zahlreichen Kunstprojekten.98 Zu den thematischen Sitzungen waren auch Wissenschaftlerinnen (Ethnologinnen, Historikerinnen, Rechts- und Literaturwissenschaftlerinnen, Soziologinnen usw.) eingeladen, welche die Zeitzeugenerzählungen in einen 95 Ebd. 96 Kovačević / Perković / Zajović: Ženski sudovi, 132–135. 97 Irvine / McMahon: From International Courts to Grassroots Organizing, 229. 98 Die Themen lauteten: Krieg gegen Zivilisten (ethnische / militärische / Geschlechtergewalt); der weibliche Körper als Kampfort (Sexualverbrechen im Krieg); Militärische Gewalt und Frauenwiderstand, die Verfolgung Andersdenkender in Krieg und Frieden – ethnische Gewalt; Unerklärter Krieg – sozio-ökonomische Verbrechen an Frauen und Widerstand. Žene u crnom: Ženski sud: Feministički pristup pravdi. Kratka informacija. URL : http://www.zenskisud.org/pdf/zenski_sud_kratka_informacija.pdf (am 27.07.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

190

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

politisch-historischen Kontext setzen sollten. Am letzten Tag hat eine Gruppe von sieben prominenten Frauenrechtlerinnen aus der Region und von außerhalb, darunter Vesna Teršelić von der kroatischen Documenta, eine Art alternatives, symbolisches Urteil gesprochen.99 Dieses Urteil soll Druck auf nationale und internationale Institutionen ausüben, um die Gewalt an Frauen zu verurteilen und zu verhindern. Durch welche Aktivitäten dies allerdings umgesetzt werden soll, bleibt offen.100 Trevisani sieht die politische Bedeutung des Frauengerichtes im gemeinsamen, regionalen Widerstand gegen eine ethno-nationalistische und machistische Geschichtskultur. The five-year process and the creation of a sympathetic community helped in challenging some common stereotypes of women war survivors, often associated with crying sisters, mothers, and wives or young victims of rape.101

Da sich die Frauen explizit gegen einen Projekt- und Produktcharakter der Kooperation entschieden hatten, standen der Prozess und die gegenseitige Unterstützung im Zentrum der Aktivitäten, welche dann in der Großveranstaltung in Sarajewo 2015 ihren Höhepunkt erreichten.102 Mehrere Jahre wurden die Zeugenaussagen zuvor durch ein Kennenlernen der Frauen und durch Treffen in kleineren Gruppen unter psychologischer Begleitung vorbereitet. Derart wurde ein sicherer Gemeinschaftsraum geschaffen, der die Artikulation von schweren Gewalterfahrungen überhaupt erst ermöglichte. Dieser Raum und diese Gemeinschaft waren exklusiv und streng reguliert: die Frauen blieben unter sich, Vertreterinnen ethno-nationalistischer Standpunkte durften nicht mitmachen und man verzichtete konsequent auf jegliche institutionelle und politische Förderung.103 Hierdurch schuf das Frauengericht im postjugoslawischen Raum intime Erzählinseln, welche Unabhängigkeit und Sicherheit garantierten und so das Zeugen von Gewalterfahrungen befähigten. Gleichsam wurden durch diese Exklusivität jedoch andere Marginalisierte ausgeschlossen, wie beispielsweise Männer, die einer sexuellen Minderheit zugehörten und jene, die anderweitig unter den Gewaltregimen gelitten hatten.104

99 Žene u crnom: Ženski sud: Metodologija. URL : http://www.zenskisud.org/Metodologija. html (am 27.07.2016). 100 Das symbolische Urteil des »Gerichtes« und die daraus hervorgehenden Empfehlungen finden sich hier: Žene u crnom: Ženski sud – feministička pravda. Sudsko vijeće, In: Preliminarne odluke i preporuke. URL : http://www.zenskisud.org/pdf/2015/Zenski_sud_ Preliminarne_odluke_o_preporuke.pdf (am 27.07.2016). 101 Trevisani: The Women’s Court, 6 der online-Version. 102 Ebd., 4 der online-Version. 103 Ebd. 4–6 der online-Version. 104 Ebd., 6 der online-Version.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Alternative Erzählformate im postjugoslawischen Raum 

191

Für viele Teilnehmerinnen war das Frauengericht eine fundamentale und transformative Erfahrung. Schrittweise haben die Frauen eine Stärkung (»empowerment«) durchlebt, wodurch einige selbst zu Aktivistinnen und Gestalterinnen ihres lokalen Umfelds geworden sind.105 Eine teilnehmende Journalistin beschrieb die Subjektwerdung durch das Erzählen im Frauengericht derart: »Sie waren zuerst unsichtbar, dann Opfer oder irgendeine Art Gerichtsbeweis, doch jetzt haben sie ausgesprochen.«106 Deutlich wird hier, dass das Zustandekommen der Erzählungen mehr ist als der Erzählakt selbst. Zunächst musste ein sozialer Raum geschaffen werden, der sich durch klare Regeln und gemeinsame Werte kennzeichnete und zwangsläufig exklusiv ausfiel. Dadurch konnte man besser auf die Bedürfnisse der Zeitzeuginnen und auf die Gefühle, das waren vor allem Schmerzen, eingehen, welche das Erzählen von Gewalterfahrungen prägen. Eine Art »emotionale Gerechtigkeit« konnte so gefördert werden.107 Neben der Schaffung dieses sozialen Erzähl- und Empathieraumes dienten die weiteren Aktivitäten, wie der Friedensmarsch, die Podiumsdiskussion und die Kunstprojekte dazu, für das feministische Gerechtigkeitsverständnis öffentlich Aufmerksamkeit zu erlangen. Konkrete politische Lobbyarbeit scheint jedoch gegenüber der symbolischen und performativen »Besetzung« des öffentlichen Raumes mit dem Thema nachrangig gewesen zu sein. Kennzeichnend für das postjugoslawische Frauengericht ist zudem sein expliziter Antinationalismus, der immer wieder betont wird.108 Trevisani begreift das Frauengericht als Fortsetzung der Antikriegsbewegung der neunziger Jahre, die durch den Antinationalismus geprägt war und in welcher Frauengruppen eine wesentliche Rolle spielten.109 Durch die Zusammenarbeit beim Frauengericht konnten diese Verbindungen reaktiviert und auf den gesamten postjugoslawischen Raum ausgeweitet werden. Dieses historische Erbe bewirkte jedoch auch, dass sich serbische Frauenorganisationen der Republika Srpska nicht in der Initiative wiederfanden, weil insbesondere die führende NGO aus Serbien, die Frauen in Schwarz, auf die Auseinandersetzung mit der Schuld von Serb*innen für die Kriege drängten.110 Seit der Großveranstaltung im Mai 2015 organisiert die Initiative weiterhin vereinzelt 105 Ebd. 106 Ahmetašević, Nidžara: Ženska strana pravde. Vrijeme je za istinu. URL : http://www. zenskisud.org/pdf/Nidzara_Ahmetasevic_bhs.pdf (am 27.07.2016). 107 Trevisani: The Women’s Court, 6 der online-Version. 108 Ljubica Anđelić aus Novigrad, Kroatien, hat beispielsweise großen Applaus mit dieser Aussage auf der Veranstaltung erhalten: »Ich habe meinen Sohn für keinen Staat [der Welt, d. Vf.] geboren.« Ahmetašević: Ženska strana pravde, 3. 109 Trevisani: The Women’s Court, 5 der online-Version. 110 O’Reilly, Maria: Gendered Agency in War and Peace. Gender Justice and Women’s Activism in Post-Conflict Bosnia-Herzegovina. London 2018, 156–178.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

192

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

Präsentationen über das Format des Frauengerichts an verschiedenen Orten der Region, ein Dokumentarfilm wurde auf Youtube veröffentlicht und weitere Frauen sollen ermutigt werden ihre Geschichten zu erzählen.111

4.6 Schlussfolgerungen Die umfangreichsten Erfahrungen mit offiziellen, nationalen Wahrheitskommissionsprojekten bestehen in Bosnien und Herzegowina, wo die Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsakteuren mit staatlichen Vertreter*innen und internationalen Beratern als positiv bewertet wurden, so lange nicht die politische Umsetzung der Vereinbarungen auf der Agenda stand. Die einzige verwirklichte Wahrheitskommission in Bosnien und Herzegowina hat zwar wichtige Dokumentationsarbeit geleistet, jedoch die Leugnung der Verantwortung serbischer Eliten im Land für die Verbrechen in Srebrenica verstärkt. Alle Versuche nationaler Wahrheitskommissionen zeitigten zudem herbe mediale Auseinandersetzungen, was jedoch weniger einer öffentlichen, kritischen Debatte über die Kriege, sondern viel mehr zur Verhärtung von Opferkonkurrenzen beitrug. Die Wahrheitskommissionsinitiativen von Koštunica und Thaçi waren »Imagebooster« für Serbien und Kosovo in der internationalen Arena und gedacht als heimische Gegengewichte zu unliebsamen Gerichten. In Kroatien erforscht man noch die Opferzahlen im Zweiten Weltkrieg.112 Jelena Subotić beschreibt die politische Aufarbeitung in den postjugoslawischen Ländern als »hijacked justice«: Transitional justice in these states, however, was propelled by very narrow political motives: to eliminate domestic political opponents, to secure international financial aid, or to obtain admission to the European Union. As post-conflict justice became ›hijacked‹ for such local political strategies, it produced a domestic backlash, deepened political instability, and even created pernicious and politicized versions of history.113

Keine der staatlichen Wahrheitsprojekte förderte das Erzählen von Gewalterfahrungen der Zivilist*innen. Diesen Geschichten widmen sich aus111 2017 fanden öffentliche Präsentationen des Frauengerichtes in mehreren Städten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens statt. Vgl. Žene u crnom: Izveštaji, bilteni  – 2017. URL : http://www.zenskisud.org/2017.html (am 12.04.2019). Women in Black /  Markovinović, Filip: Women’s Court: Feminist Approach to Justice. Belgrad 2016 (Film). 112 Vgl. hierzu auch David, Lea: Lost in Transaction in Serbia and Croatia. Memory Content as a Trade Currency. In: Gabowitsch, Mischa (Hg.): Replicating Atonement. Foreign Models in the Commemoration of Atrocities. Cham 2017, 73–97. 113 Subotić, Out of Eastern Europe, 412.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schlussfolgerungen 

193

schließlich zivilgesellschaftliche Organisationen. Die zivilgesellschaftlich vorangetriebenen Dokumentationen sind temporäre Projekte, die häufig von Aktivist*innen mit Universitätsabschluss und Methodenkenntnissen betrieben und durch wissenschaftliche Institutionen im Ausland begleitet werden, wie die niederländischen Universitäten im kroatischen und bosnischen Fall oder die New Yorker »New School for Public Engagement« im Kosovo. Die meisten alternativen Erzählinitiativen sind Dokumentationsprojekte, die sich auf die Oral History Methode stützen. Häufig umfassen diese lebensgeschichtlichen Erfahrungsdokumentationen von Zeitzeugen nicht nur die Kriege der neunziger Jahre, sondern beginnen mit den überlieferten Familienerfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die nicht-staatlichen Erzählprojekte setzen also beim Zweiten Weltkrieg an und verbinden diese Narrationen mit den Erfahrungen der letzten Kriege. Finanziert werden die Zeitzeugenerzählungen bisher ausschließlich von ausländischen Förderern. Dabei stechen die Niederlande hervor. Das überproportionale Engagement der Niederländer für die Aufarbeitung der Jugoslawienkriege kann mit der umstrittenen Rolle des niederländischen Kontingents der Schutztruppen der Vereinten Nationen während der Massaker von Srebrenica im Juli 1995 zusammenhängen. So kann die Förderung der Verbrechensaufarbeitung als Wiedergutmachungsaktion der Niederländer interpretiert werden, da sie die Verbrechen selbst, wie im Falle Srebrenicas, nicht verhindern konnten. Unter allen in diesem Kapitel behandelten Versuchen, Vorgängern und Alternativen einer Wahrheitskommission bestehen die größten Gemeinsamkeiten zwischen dem Frauengericht und dem Format einer Wahrheitskommission, wie sie durch REKOM vorangetrieben wird. Denn beiden geht es um eine alternative Form von Gerechtigkeit durch das individuelle Zeugnisablegen in live-Erzählungen. Beide Projekte wurden zivilgesellschaftlich initiiert und umfassen alle postjugoslawischen Länder. Neben der zeitweilig parallelen Entwicklung der Initiativen und einigen personellen Verflechtungen zwischen REKOM und dem Frauengericht ist auch die Ähnlichkeit im grafischen Design der Öffentlichkeitsarbeit auffällig. Das Frauengericht verwendet wie REKOM ein violettes Auge als Symbol. Das Auge kann als Zeichen für das Sichtbarmachen gedeutet werden, denn sowohl im Frauengericht wie in der Wahrheitskommission geht es um die Reintegration von marginalisierten Stimmen in die Öffentlichkeit oder anders formuliert: um ein Augenöffnen für Andere. Der Austausch und die Kooperation der Betroffenen als Prozess haben zudem in beiden Formaten eine große Bedeutung erhalten. Dadurch soll sich unter ähnlich Benachteiligten ein Solidaritätsgefühl entwickeln, aus welchem Stärke erwachsen kann.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen und Erzählprojekten

194

Abb. 1: REKOM Logo

Abb. 2: Frauengericht Logo

Die Politikwissenschaftlerin Caterina Bonora hat beide Initiativen hinsichtlich ihres Verständnisses von »Recht und Gerechtigkeit« (engl. justice) unter­ EKOM fand sie heraus, dass sich die Initiative vorrangig auf sucht.114 Für R internationales Recht beziehe, weil sie auf die Unterstützung internationaler Organisationen zur Umsetzung der Wahrheitskommission angewiesen ist. Das Frauengericht gebrauche, so Bonora, einen flexibleren Rechtsbegriff, da diese Bewegung so weit wie möglich unabhängig wirkte und auf allgemeinere Ungerechtigkeiten innerhalb der Gesellschaft verweisen will. Wie das Frauengericht ist auch die Wahrheitskommission nur eine vermeintliche Körperschaft: beide haben einen temporären Charakter und inszenieren gewissermaßen eine öffentliche Institution. Doch der Grad der Inszenierung variiert zwischen beiden aufgrund der unterschiedlichen Ziele: Während das Frauengericht eine rein zivilgesellschaftliche Veranstaltung bleibt, die sich dezidiert gegen eine institutionelle Förderung und gegen eine politische Unterstützung entschieden hat, um unabhängig zu bleiben, so zielt REKOM auf eine staatliche Legitimierung und politische Umsetzung ab, die sich in der Einrichtung einer tatsächlichen, temporären Institution materialisieren soll. Und obwohl beide Formate auf eine Veränderung des politischen Bewusstseins von Gemeinschaften nach Konflikten ausgerichtet sind, verharrt das Frauengericht in einer Gegenöffentlichkeit, während REKOM in der breiteren Öffentlichkeit gesamtgesellschaftlich wirken möchte. Denn REKOM zielt darauf ab, dass eine öffentliche Institution die dort gehörten Stimmen staatlich validieren soll. Auch die schriftliche Dokumentation der Zeugenaussagen und ihre weitere (wissenschaftliche und andere) Nutzbarmachung erhält bei der Wahrheitskommission mehr Gewicht als im Frauengericht. Der gesellschaftlichen Teilhabe und dem historisch Bewahrenden wird bei einer Wahrheitskommission also mehr Bedeutung zugemessen. Der größte Unterschied besteht letztlich darin, dass das Frauengericht eine bestimmte Opfergruppe aufgrund ihres Geschlechtes ins Zentrum der Auf114 Bonora, Caterina: The Role of Nongovernmental Actors in the Conceptualization of Justice in Transitional Settings: REKOM and the Women’s Court for the Balkans. Amsterdam 02.12.2016. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript der Tagung »Confronting Violent Pasts and Historical (In)Justice« des »Historical Dialogue, Justice and Memory« Netzwerkes.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schlussfolgerungen 

195

merksamkeit rückt. REKOM verwendet einen viel weiter greifenden Opferbegriff, der auf Schädigung als zentrales Kriterium abhebt. Dadurch sind alle Geschlechter aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen sowie zivile wie auch kämpfende Opfer und deren Angehörige einbegriffen, was in der Präambel des Gesetzentwurfes für die regionale Wahrheitskommission definiert ist.115 Mit Blick auf die öffentliche Wirkung hatte man beim Frauengericht auf eine konfrontative Strategie gesetzt. Nach Innen jedoch zeichnete sich das Frauengericht als integrativ und stärkend für seine Teilnehmerinnen aus, da großen Wert darauf gelegt wurde, einen sicheren und unabhängigen sozialen Raum zu schaffen, der die Artikulation von Gewalterfahrungen ermöglichte. Ob eine derartige innere Kohäsion und Stärkung unter den Teilnehmenden der REKOM Initiative erfolgt ist, wird unter anderem das folgende Kapitel erörtern.

115 »Opfer sind Personen, die individuell oder kollektiv Schaden erlitten haben, einschließlich physischer und psychischer Verletzungen, seelischen Leidens, ökonomischem Verlusts oder deutlicher Einschränkung ihrer persönlichen Rechte durch Vorgehen oder Untaten, die eine schweren Bruch der durch das internationale Recht anerkannten Menschenrechte oder einen schweren Bruch des Humanitären Völkerrechts darstellen. Der Begriff ›Opfer‹ schließt auch die engsten Familienmitglieder und Angehörige der Opfer mit ein, wie auch Personen, denen Schaden durch eine Intervention entstanden ist, welche darauf abzielte Opfern zu helfen oder neue Brüche zu verhindern.« Fond za humanitarno pravo: Konsultativni proces o utvrđivanju činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava počinjenim na području nekadašnje SFRJ. Belgrad, 433.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

5.

Die Entwicklung der REKOM Initiative

5.1

Impuls von innen oder von außen? Wie REKOM begann

Wann REKOM begann, wurde bisher mehrstimming beantwort. Folgt man beispielsweise den zahlreichen Berichten der Initiative selbst, die den mehrjährigen Austausch sukzessive dokumentierten, so werden sowohl die Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung zwischen mehreren NGOs 2004 als auch ein Treffen zu regionaler Vergangenheitsaufarbeitung im September 2005 sowie das erste regionale Transitional Justice Forum im Mai 2006 in Sarajewo als Anfang beschrieben. Die Jahre 2004, 2005 und 2006 werden teilweise im gleichen Bericht als Anfang genannt.1 Die Referenzpunkte für die Jahre 2004, 2005 und 2006 beziehen sich alle auf den Beginn einer zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit beim Umgang mit den Verbrechen der Jugoslawienkriege der neunziger Jahre über die jeweiligen Grenzen der neuen Staaten hinweg. Am häufigsten nennt die Initiative das erste regionale Transitional Justice Forum 2006 in Sarajewo als Beginn, was dann auch in den Forschungen seinen Niederschlag gefunden hat.2 Allerdings wurde der Name REKOM für den Beginn dieser regionalen, zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungskooperation noch nicht gebraucht. Betrachtet man, wie Arnaud Kurze, ab wann die Initiative unter der Bezeichnung REKOM wirkte, dann muss 2008 festgehalten werden, weil in jenem Jahr eine Formalisierung der regionalen Zusammenarbeit unter der Bezeichnung »Koalition für REKOM« (koalicija za REKOM) einsetzte.3 Neben den unterschiedlichen Anfangsdaten in den Selbstbeschreibungen der Initiative ist auch der Umstand, dass die Abkürzung REKOM sowohl für die zivilgesellschaftliche Kooperation verwendet wird als auch für ihr Ziel, eine staatliche Institution zu werden, verwirrend. Die gleiche Benennung 1 Coalition for RECOM: Report about The Consultative Process on Instruments of TruthSeeking About War Crimes and Other Serious Violations of Human Rights in Post-­ Yugoslav Countries May 2006–June 2009. Belgrade August 2009, 3. In diesem Bericht wird vom Beginn der Diskussionen im September 2005 gesprochen, auf S. 4 wiederum vom Beginn des Konsultationsprozesses im Mai 2006. Der Abschlussbericht der Initiative aus dem Jahr 2011 bezieht sich auf das Forum im Mai 2006 als Beginn und erwähnt eine Kooperationsvereinbarung im Jahr 2004 als Hintergrund. Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 1. 2 Etwa bei Rowen: Truth in the Shadow. 3 Kurze: Democratzing Justice, 244 und 252. Einige Zeit lang verwendete die »Koalition für REKOM« die Abkürzung korekom.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

198

Die Entwicklung der REKOM Initiative

für den Prozess und dessen Ziel bewirkte möglicherweise, dass Irvine und ­McMahon es so darstellten, als wäre REKOM bereits eine regionale Wahrheitskommission: »Yet, only recently, with the establishment of the Regional Truth Commission for the Former Yugoslavia (RECOM) have local organiza­ tions come together […].«4 Dementsprechend beschrieben sie auch das Mandat der Wahrheitskommission so, als ob sie tatsächlich bereits operierte. Es gibt aber noch keine solche transnationale Aufarbeitungsinstitution für das ehemalige Jugoslawien; und der Gesetzentwurf, der das Mandat festlegen könnte, ist lediglich ein von der Initiative erarbeiteter Diskussionsvorschlag. Auf dessen Grundlage sollen die Regierungen in den sieben aus Jugoslawien hervorgegangenen Ländern eine multilaterale Vereinbarung für eine regionale Wahrheitskommission treffen, was allerdings weiterhin einer Verwirklichung harrt. Mit meiner Forschungsperspektive denke ich REKOM nicht von dem noch nicht verwirklichten institutionellen Ende einer Wahrheitskommission aus. Sondern ich betrachte meinen Untersuchungsgegenstand unter dem Motto »der Weg ist das Ziel«, wozu auch die Verwendung des gleichen Akronyms für den Prozess und dessen Ziel passt. Indem ich REKOM als zivilgesellschaftlichen Aushandlungsprozess begreife, der veränderlich und noch nicht abgeschlossen ist, lassen sich zum einen die individuellen Denkweisen und Handlungsmöglichkeiten seiner Akteure besser berücksichtigen.5 Zum anderen ermöglicht die prozessuale Perspektive auch andere Sinngebungen an REKOM jenseits des institutionellen Ziels einer Wahrheitskommission. Meine Hypothese für die Rekonstruktion der Entwicklung der Initiative lautet, dass das Format einer Wahrheitskommission bei REKOM nicht nur der Aufarbeitung der Vergangenheit dient, sondern auch genutzt wird für das Neuausloten eines zukünftigen, postjugoslawischen Verständigungsraumes. Das bedeutet, die Zusammenarbeit für eine regionale Wahrheitskommission funktioniert als Weg, bei dem es nicht nur um die Vergangenheit, sondern wesentlich auch um ein zukünftiges postjugoslawisches Miteinander geht. Wie im zweiten Kapitel vorgestellt, besteht die grundsätzliche Idee einer Wahrheitskommission darin, den marginalisierten Stimmen einer sich nach einem Konflikt neu ordnenden Gesellschaft öffentliche Anerkennung zu schenken. Durch diese öffentliche Anerkennung soll ihre Integration in die veränderte Gesellschaft begünstigt werden. Im Falle von REKOM gehören zu diesen marginalisierten Stimmen nicht nur die Opfer von Gewalt, sondern auch andere Stimmen, deren genauere Definition erfolgen wird. Die Kooperation als Prozess zu untersuchen, hat methodische Auswirkungen. Die Selbstbeschreibungen der Initiative müssen als strategische Kommu4 Irvine / McMahon: From International Courts to Grassroots Organizing, 217. 5 Wimmer: Kultur als Prozess, 32.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

199

nikationsmittel begriffen werden, die dafür eingesetzt werden, das Ziel einer Wahrheitskommission zu erreichen. So gilt es zu berücksichtigen, dass die Berichte der ­R EKOM Initiative sowohl für die Öffentlichkeit als auch für ihre Förderer erstellt wurden. Sie dienen dazu, die Unterstützung der Medien, der Bevölkerung und vor allem von politischen Entscheidungsträger*innen zu gewinnen. Diese Art von Quellen haben somit performativen Charakter, da sie Zuspruch und Handeln bewirken sollen. Nicht zuletzt funktionieren die Berichte als Nachweis einer angemessenen Verwendung der Fördermittel. Das bedeutet, dass Probleme und Schwierigkeiten darin eher nicht thematisiert werden, denn die Mittel müssen als gut eingesetzt dargestellt werden. Deswegen rekonstruiere ich im Folgenden die Anfänge der Initiative vorrangig anhand der Erzählungen der daran beteiligten Akteure und konsultiere zusätzliche Berichte über Vergangenheitsaufarbeitung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens von anderen als den an REKOM Beteiligten. Konkret erörtere ich, wer und was die Entwicklung der REKOM Initiative geprägt hat. Im Mittelpunkt stehen dabei die Akteure, Themen und Dynamiken der Zusammenarbeit. Das individuelle Verständnis von Vergangenheitsaufarbeitung und der persönliche Weg der Hauptakteure zu ihrem Engagement bei REKOM spielen dabei eine wichtige Rolle. Verbunden mit dieser Akteursperspektive möchte ich die Frage beantworten, ob Vergangenheitsaufarbeitung hier als etwas betrachtet werden kann, dass entweder »als Mahnung von außen daher kommt«, oder als etwas, das sich »von innen her« generiert, wie es Wolfgang Höpken in einem Aufsatz über Erinnerungskulturen in Südosteuropa vorgeschlagen hat.6 Di Lellio und McCurn hielten fest: »If RECOM took off, it is certainly thanks to the doggedly dedication of Nataša Kandić, who is legendary for her long struggle against Yugoslavia’s and Serbia’s repressive policies.«7 Ohne Nataša Kandić ist REKOM nicht zu denken. Im Jugoslawien der ausgehenden achtziger Jahre gehörte die Soziologin Kandić einer Gruppe von Intellektuellen in Serbien an, die sich gegen Slobodan Miloševićs nationalistische Politik wandten. Als der jugoslawische Vielvölkerstaat auseinanderbrach, gründete sie 1992 den Menschenrechtsfond (Fond za humanitarno pravo), um die Verbrechen der Kriege zu dokumentieren.8 Der Menschenrechtsfond hat Büros in Serbien und im Kosovo und besitzt nach seinem mehr als zwanzigjährigem Wirken ein Archiv, welches Kopien von 90 % des öffentlich zugänglichen Archivs des ICTYs, zahlreiche Gerichtsakten von Kriegsverbrecherprozessen in Serbien, 6 Höpken: Innere Befriedung, 156. 7 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 135. 8 Holenstein, René: Dieses Schicksal unterschreibe ich nicht. Gespräche im Balkan. Zürich 2007, 185.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

200

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Bosnien und Herzegowina und Kroatien, ein Medienarchiv (Print, Audio und Video) der neunziger Jahre, Dokumentationen von Konferenzen sowie Zeitzeugeninterviews enthält.9 Als 1999 der Konflikt im Kosovo eskalierte, setzte sich Kandić in ein Taxi, überzeugte die Grenzposten, dass sie serbischen Verwandten dort helfen wollte und fuhr durch Kosovo, um die Vertreibungen, Plünderungen, Massenermordungen zu dokumentieren  – mehrheitlich an Albaner*innen, aber auch an Serb*innen und anderen Minderheiten dort.10 Mit ihrem Kampf gegen die Leugnung von Verbrechen jenseits ethnischer Zuschreibungen hat sich Kandić insbesondere, aber nicht ausschließlich, in Serbien viele prominente Feinde gemacht. Beispielsweise wurde Kandić 2009 von einem Belgrader Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie dem damaligen Vorsitzenden der Serbischen Fortschrittspartei und einstigen Präsidenten Serbiens, Tomislav Nikolić, in einer Sendung im Jahr 2006 beschuldigt hat an Verbrechen gegen Zivilist*innen im kroatischen Dorf Antin 1991 (in der Nähe von Vukovar) beteiligt gewesen zu sein.11 Ihr beharrliches Engagement für Menschenrechte hat der Soziologin aber auch zahlreiche internationale Preise und öffentliche Beachtung beschert. Wie im Kapitel drei beschrieben, erhielt die Aktivistin 2005 im Zuge der Prozesse für die Verbrechen in Podujeva ein Video, welche sie zunächst der serbischen Polizei und Staatsanwaltschaft übergeben hatte. Es handelte sich um Aufnahmen der paramilitärischen Einheit »Skorpione«, die unter der Ägide des Serbischen Geheimdienstes operierte.12 Das Video dokumentiert die Hinrichtung von in Bosnien gefangen genommenen Männern und Jungen in der Umgebung von Srebrenica im Sommer 1995. Die Ermordung von Kriegsgefangenen gilt als Kriegsverbrechen. Das Video wurde am 1. Juni 2005 im Prozess gegen Slobodan Milošević in Den Haag präsentiert und Nataša Kandić wurde international bekannt. Das Video war ein Affront gegen die bis dahin in Serbien 9 Fond za humanitarno pravo: Arhiva Fonda za humanitarno pravo. URL : http://www.hlcrdc.org/?page_id=17468&lang=en (am 16.03.2016). 10 Williams, Daniel: Srebrenica Video Vindicates Long Pursuit by Serb Activist. In: Washington Post vom 25.06.2005, 2. 11 Radio-televizija Srbije: Nataša Kandić osuđena za klevetu Nikolića. URL : http://www.​r ts. rs/page/stories/sr/story/135/Hronika/42799/Nata%C5%A1a+Kandi%C4%87+osu%C4%9 1ena+za+klevetu+Nikoli%C4%87a.html (am 05.03.2014). 12 Petrović, Vladimir: Gaining the Trust through Facing the Past? Prosecuting War Crimes committed in the former Yugoslavia in National and International  Legal Context. In: CAS Working Paper Series (2008), 4–65, hier 56. Dieser Aufsatz existiert in einer Entwurfsversion von 2008, vgl. http://www.cas.bg/en/cas-finalized-programmes/p-gainingthe-trust-through-facing-the-past-prosecuting-war-crimes-committed-in-the-​formeryugoslavia-in-national-and-international-legal-context-70.html und einer Endversion von 2011, vgl. http://www.cas.bg/uploads/files/Shaken%20Order/V.%20Petrovic.pdf (am 25.03.2014). Nur in der Entwurfsversion ist das Kapitel »Role of Visual Records in Shifting Public Attitudes towards Crimes of War« (39–58), das ich hier zitiere, enthalten.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

201

vorherrschende Leugnung von serbisch gesteuerten Militäroperationen im Bosnienkrieg.13 Seine Veröffentlichung stellte einen bedeutenden Impuls für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit serbischer Verantwortung für die Jugoslawienkriege dar. Einen Tag nach der Veröffentlichung wurden mehrere auf dem Video identifizierbare »Skorpione« in Serbien verhaftet.14 Das serbische Fernsehen zeigte die Aufnahmen und der damalige serbische Präsident Boris Tadić verurteilte das Verbrechen in einer öffentlichen Rede.15 Ebenfalls im Jahr 2005 wurde Nataša Kandić zur Ehrenbürgerin Sarajewos erklärt.16 Mittlerweile ist die 1946 geborene Kandić offiziell nicht mehr Direktorin des Belgrader Menschenrechtsfonds, sondern widmet sich seit Ende 2012 als regionale Koordinatorin vor allem REKOM . Di Lellio und McCurn halten REKOM für die logische Schlussfolgerung von Kandićs mehr als zwanzigjährigem energischen Eintretens für die Menschenrechte.17 Als ich die Aktivistin nach ihrem Verständnis von Vergangenheitsaufarbeitung frage, erklärt sie mir: Ich war der Meinung, dass es ungeheuer wichtig ist, Kriegsverbrecher zu verurteilen und dass Urteile in der Tat ein wichtiger, ein sehr wichtiger Bestandteil von Vergangenheitsaufarbeitung sind. Aber es ist in Wirklichkeit nicht möglich, nur auf der Grundlage von Gerichtsprozessen ein vollständiges Bild darüber zu erhalten, was in der Vergangenheit passiert ist. […] Und seitdem denke ich, seit Jahren schon, darüber nach, welchen Beitrag ich dazu leisten kann.18

Nachdem Kandić also die Bedeutung der juristischen Aufarbeitung betont, aber gleichsam auch verdeutlicht hat, dass dies für sie nur einen Teil der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ausmacht, führt sie aus: Ein vollständiges Bild […] ist für uns unabdingbar für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Erst wenn ein komplettes Bild entstanden ist, können wir eine Debatte über die Vergangenheit eröffnen. Aber für mich war das immer eine Frage von regionaler Reichweite. Weil ich sehr gut weiß, dass jede Gesellschaft auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens nur ihre eigenen Opfer anerkennt, […], alle anderen Opfer werden als Feinde angesehen, und dass es nur sehr wenig Achtung anderer Opfer gibt. Und ich denke, es ist auffällig, dass mit der Zeit, anstatt dass der Nationalismus abgenommen hätte, er bei uns zunimmt. […] Und was wesentlich ist: unzureichend 13 Williams: Srebrenica Video. 14 Petrović: Gaining the Trust, 57. 15 Moore, Patrick: A Video Shocks Serbia. In: Radio Free Europe / R adio Liberty vom 09.06.2005. 16 Fond za humanitarno pravo: O nama – Fond za humanitarno pravo / Humanitarian Law Center / Fondi për të Drejtën Humanitare. URL : http://www.hlc-rdc.org/?page_id=14390 (am 18.03.2014). 17 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 135. 18 Interview mit Nataša Kandić, 21.11.2012, Belgrad, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

202

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Intellektuelle engagieren sich gegen diesen Nationalismus. Daher meine Idee, dass es eine regionale Körperschaft geben soll, die sich auf Opfer konzentriert, welche eine öffentliche Anerkennung der Opfer ermöglicht, welche öffentliche Augenzeugen­berichte organisieren wird, damit sich diese Feindschaft und Respektlosigkeit gegenüber anderen Opfern deutlich verringern. […] Und daher meine Idee damals, dass ich Mirsad Tokača einlade. Als erstes habe ich Žarko Puhovski aus Zagreb angerufen.19

Als sich Nataša Kandić an ihn wandte, war Žarko Puhovski Präsident des kroatischen »Helsinki Komitees für Menschenrechte«. Ähnlich wie Kandić hatte der Professor für politische Philosophie der Zagreber Universität (­ 1975–2012) das Helsinki Komitee in Anbetracht des Krieges gegründet, um die Verbrechen zu dokumentieren –, das war in seinem Fall in Kroatien im Jahr 1993. In den sechziger Jahren hatte Puhovski zunächst Physik in Zagreb studiert und war dann nach Frankfurt am Main gegangen, um sich dort dem Studium der Philosophie zu widmen. Auf meine Frage hin, was der Professor unter Vergangenheitsaufarbeitung verstehe, antwortet er: Im Gegenteil zu dem, was die Leute gemeinhin denken, liegt die Vergangenheit vor uns und wir sehen sie, aber die Zukunft hinter uns, denn sie sehen wir nicht. Das heißt, dass wir rückwärts in die Zukunft gehen, dorthin, wo wir nicht sehen wie wir gehen. Die einzige Orientierung, die wir haben, ist die Kenntnis unserer Vergangenheit. Daher stammt die Bedeutung von Vergangenheitsaufarbeitung. Das ist für mich also nicht so sehr eine politische Frage, auch keine psychologische und all das, und keine moralische und so weiter. Sondern ganz einfach eine Frage der Orientierung.20

Puhovski hatte am »Frankfurter Institut für Sozialforschung« Philosophie studiert, woher er Ende der sechziger Jahre wieder nach Jugoslawien zurückkehrte.21 Der kritische Intellektuelle gehörte auch zu jener Gruppe von jugoslawischen Philosoph*innen und Soziolog*innen unter dem Namen »Praxis«, die sich auf eine undogmatische Marxismus-Interpretation ähnlich der »Frankfurter Schule« berief und sich für eine philosophisch im frühen Marxschen Denken verankerte Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen ein19 Ebd. 20 Interview mit Žarko Puhovski, 17.11.2012, Zagreb, BKS . Puhovski erwähnt zwar dabei Homer, sein philosophischer Zugang zu Vergangenheitsaufarbeitung lässt sich aber auch mit Walter Benjamins Text »Über den Begriff der Geschichte« in Verbindung bringen. Benjamin hatte sich darin auf ein Bild eines Engels von Paul Klee bezogen (»Angelus Novus«, 1920). Der Engel, so Benjamin, fliege rückwärts gen Zukunft und könne nur die Trümmer vor ihm sehen, die ihm die Vergangenheit beschert habe. Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. In: Tiedemann, Rolf / Schweppenhäuser, Hermann (Hg.): Gesammelte Schriften. Stuttgart 1980, Band I 2, 691–704, hier 697 f. 21 Benjamin war in den dreißiger Jahren mit dem Frankfurter Institut für Sozialforschung lose verbunden und Horkheimer wie Adorno bezogen sich später in ihrer kritischen Theorie auch auf Benjamins Schriften. Hesse, Christoph: Walter Benjamin und die Frankfurter Schule. Tiflis 07.05.2007, 3.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

203

setzte.22 Auf ein erstes Treffen solcher Intellektueller im Sommer 1963 an der Adria folgte die Herausgabe einer philosophischen Zeitschrift unter dem Titel »Praxis«, für welche auch Puhovski tätig gewesen war.23 1988 hatte sich Puhovski maßgeblich in der »Vereinigung für eine jugosla­ wische demokratische Initiative« (Udruženje za jugoslovensku demokratsku inicijativu, UJDI) für eine Demokratisierung Jugoslawiens engagiert, doch »[die] Idee war zu spät gekommen«.24 Anstelle von gesamtjugoslawischen Wahlen fanden Wahlen in den einzelnen Teilrepubliken statt, gefolgt von Referenden über die Souveränität der Teilstaaten, welche zu Unabhängigkeitserklärungen führten und in eine militärische »Verteidigung des Gesamtstaates« durch die Jugoslawische Volksarmee mündete. In der Zeit als Nataša Kandić mit ihrer Idee Puhovski, den »Dinosaurier der Zivilgesellschaft«25, um Rat bat, waren der Belgrader Menschenrechtsfond wie das Kroatische Helsinki Komitee zusammen mit weiteren Menschenrechtszentren aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens sowie Albanien Mitglieder im Balkan Human Rights Network.26 Puhovski antwortete Kandić, dass sich das Helsinki Komitee mit aktuellen Menschenrechtsverbrechen beschäftigen sollte, mit der Vergangenheit jedoch müsse sich besser eine neue Organisation befassen.27 Und so gründete er als Präsident des kroatischen Helsinki Komitees für Menschenrechte gemeinsam mit dem »Zentrum für Frieden, Gewaltlosigkeit und Menschenrechte« in Osijek, dem »Zentrum für Friedensstudien« und dem »Bürgerforum für Menschenrechte« die neue NGO »Documenta  – Zentrum für Vergangenheitsaufarbeitung« (Documenta  – Cen­tar za suočavanje s prošlošću).28 Der wie Kandić 1946 geborene Puhovski beschreibt Documenta als »eine von zwei Grundpfeilern, auf die sich REKOM stützt«.29 Er war aber dann in der Anfangsphase der regionalen Kooperation nicht dabei, weil er sich im Ausland aufhielt.30 22 Kanzleiter, Boris / Stojaković, Krunoslav: 1968 in Jugoslawien. Studentenproteste und kulturelle Avantgarde zwischen 1960 und 1975: Gespräche und Dokumente. Bonn 2008, 20. 23 Ebd., 210. Die »Praxis«-Autor*innen waren davon überzeugt, dass der »humanistische Kern« des Marxschen Denkens in Wirklichkeit im jugoslawischen Selbstverwaltungs­ sozialismus nicht umgesetzt worden war und deswegen eine neue Praxis unter Bezugnahme auf eine kritische Philosophie angestoßen werden müsse. 24 Holenstein, Dieses Schicksal unterschreibe ich nicht, 68 f. 25 Ebd., 67. 26 Djordjević, Djordje: Summary Report regarding Local, Regional and International Documentation of War Crimes and Human Rights Violations in the former Yugoslavia April 2002, 32. 27 Interview mit Nataša Kandić, 21.11.2012, Belgrad, BKS . 28 Vgl. Documenta: O nama  – Documenta. URL : http://www.documenta.hr/hr/o-nama. html (am 18.03.2014). 29 Interview mit Žarko Puhovski, 17.11.2012, Zagreb, BKS . 30 Ebd. Als Gastwissenschaftler forschte Puhovski in Berlin, Wien, Frankfurt (Main), London, Brighton, Bologna, Venedig, Klagenfurt, Belgrad, Skopje, Ljubljana, Sarajewo

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

204

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Die Geschäftsführung von Documenta hat Vesna Teršelić übernommen. Die 1962 in Slowenien Geborene engagierte sich in den letzten Jahren Jugoslawiens u. a. in der Umweltbewegung und in einem internationalen Netzwerk für Frauenförderung, seit 1991 war sie führende Aktivistin in der Antikriegsbewegung in Kroatien.31 Nach dem Krieg leitete Vesna Teršelić das aus der Bewegung hervorgegangene Zentrum für Friedensstudien, welches 2004 eine der drei Gründungsorganisationen von Documenta wurde.32 Zusammen mit Katarina Kruhonja, Direktorin des Zentrums für Frieden, Gewaltlosigkeit und Menschrechte in Osijek (und ebenfalls Gründungsorganisation von Documenta) wurde Teršelić 1998 in Stockholm mit dem alternativen Friedensnobelpreis (Right Livelihood Award)  ausgezeichnet.33 Die in Kroatien als kritische Stimme gegen Gewalt, Homophobie und Nationalismus bekannte Aktivistin leitet bis heute Documenta.34 Ihre Arbeit versteht Teršelić als Beitrag dazu, die Gesellschaft, in der sie lebt, zu entlasten.35 Wörter mit »Last« fallen in meinem zwanzigminütigen ersten Interview mit ihr, das sie kurzfristig zwischen zwei andere Termine schiebt, häufig. Ihr Büro ist das kleinste bei Documenta, im Zagreber »Haus der Menschenrechte«, einer Kammer gleich. Es sind die Verbrechen der Vergangenheit, die laut Teršelic die Gesellschaft und Individuen belasten: Unsere Dokumentation soll dazu beitragen, diese Last zu schmälern und dass es letztlich zu einem Heilungsprozess kommen und ein produktiverer Prozess einsetzen kann. Wir leben in einer sehr schnellen Welt. Wir müssen bereit sein, entspannt, kreativ – aber wir werden niedergedrückt von einer Last.36

Die psychosoziale Dimension von Vergangenheitsaufarbeitung spielt für Teršelić eine zu wenig beachtete Rolle: Leider erkennt die Gesellschaft die verschiedenen Dimensionen der Vergangenheitsarbeit noch nicht an. In den meisten Ländern bekommen die Opfer keine staatliche Hilfe bei der psychischen Bewältigung der Kriegsfolgen. […] Diskriminierung und und Valencia, vgl. Odsjek za filozofiju Filozofskog fakulteta Sveučilišta u Zagrebu: Prof. dr. sc. Žarko Puhovski, red. prof. URL : http://www.ffzg.unizg.hr/filoz/nastavnici/zarkopuhovski/ (am 24.04.2014). 31 Janković, Vesna / Mokrović, Nikola (Hg.): Neispričana povijest. Antiratna kampanija 1991–2011. Zagreb 2011. 32 Banjeglav, Tamara: Dealing with the Past in Post-war Croatia: Perceptions, Problems, and Perspectives. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 33–50, hier 33. 33 Right Livelihood Award: Right Livelihood Award Laureates. URL : http://www.right​ livelihood.org/kruhonja.html (am 23.04.2014). 34 Teršelić, Vesna: Ne želimo biti privilegirani sam zato što smo rođeni kao hrvati. In: Novi List vom 21.08.1995. 35 Interview mit Vesna Teršelić, 19.05.2011, Zagreb, ENG . 36 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

205

Verfolgung, Haft und Misshandlung hinterlassen bei den Opfern schwere Spuren an Seele und Körper. Auch die Zeugen von Gewalt sowie Menschen, deren Angehörige bei Repressionen verletzt oder ermordet wurden, sind davon betroffen. Sie haben oft mit lebenslangen Gesundheitsschäden zu rechnen. Damit verbunden ist meist ihre gesellschaftliche Marginalisierung. Die psychosoziale Rehabilitierung der Opfer ist nicht ein individuelles Problem, sie betrifft ganze Gemeinschaften.37

REKOM versteht die Aktivistin als einen Lernprozess, bei dem es um Ver-

gangenheitsaufarbeitung geht, um »die Voraussetzung für eine Entlastung der Menschen zu schaffen, damit sie fähig sind, Verantwortung zu über­ nehmen.«38 Nataša Kandić berichtet, dass nachdem Documenta 2004 gegründet worden war, sie »diese Idee, eine regionale außergerichtliche Körperschaft, besprochen haben«.39 Vesna Teršelic hatte anfangs Bedenken bezüglich einer solchen regionalen Initiative. Sie meinte, so Kandić, die kroatische Öffentlichkeit sei sehr empfindlich bei allem, was an das ehemalige Jugoslawien erinnerte. Sodass es zwar sicherlich möglich wäre in einen regionalen Austausch zwischen den NGOs zu treten, aber dass es schwierig werden würde, die kroatische Öffentlichkeit für eine gemeinsame, regionale Körperschaft zu begeistern. »Wir haben darüber fast zwei Jahre diskutiert  –.« berichtet mir Nataša Kandić weiter.40 »Zwischen den drei Organisationen?« unterbreche ich sie. Kandić antwortet zögerlich: »Zwischen –. Ja – drei Organisationen, […]«41. Bisher war bei ihr aber nur vom Belgrader Menschenrechtsfond und der Zagreber Documenta die Rede gewesen. Ich war jedoch aufgrund meiner Vorinformationen über die Entstehung der REKOM Initiative von einem Gründungs-Trio ausgegangen: Den Austausch über Mechanismen zur Aufdeckung und zum Erzählen von Fakten über die unmittelbare Vergangenheit haben drei Menschenrechtsorganisationen begonnen  – der Menschenrechtsfond (Serbien), Documenta (Kroatien) und das Forschungs- und Dokumentationszentrum (Bosnien und Herzegowina) – im September 2005, unter Beteiligung von Experten des Internationalen Zentrums für Transitional Justice.42

Bis zu meiner Nachfrage entsprach diese gedruckte Version in der Selbst­ historisierung des Projektes nicht der Erzählung Kandićs. Der Name des Leiters des bosnischen Dokumentationszentrums, Mirsad Tokača, fällt zwar 37 Holenstein, Dieses Schicksal unterschreibe ich nicht, 57 f. 38 Interview mit Vesna Teršelić, 19.05.2011, Zagreb, ENG . 39 Interview mit Nataša Kandić, 21.11.2012, Belgrad, BKS . 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 117.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

206

Die Entwicklung der REKOM Initiative

zu Beginn des Interviews: »Und daher meine Idee damals, dass ich Mirsad Tokača einlade – .« Kandić ersetzt ihn jedoch wie bei einem Versprecher durch Žarko Puhovski und geht dann, wie oben beschrieben, auf die Gründung von Documenta ein. Nachdem ich mit meiner Nachfrage Kandićs Version unterbrochen und die offizielle REKOM Geschichte über drei Gründungsorgani­ sationen unbewusst quasi eingefordert hatte, bestätigte sie zwar unverbindlich die Version mit den drei NGOs, geht aber dann nicht auf das Sarajewoer Forschungs- und Dokumentationszentrum unter Mirsad Tokača ein, sondern auf eine andere Organisation: »Zwischen –, ja –, drei Organisationen, und dabei war und ist es weiter, das Internationale Zentrum für Transitional Justice, Mark Freeman.« Freeman war Leiter dessen Brüsseler Büros und, wie Kandić erläutert: Professor für Recht, das heißt ein großer Experte für Wahrheitskommissionen. Er kannte sich sehr gut mit dem Krieg und den Kriegsverbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens aus. Und ihm hat die Idee einer regionalen, außergerichtlichen Körperschaft, welche die Fakten darüber herausfindet, was passiert ist, und welche versucht ein Minimum an Konsens zu finden, den alle in der Region anerkennen, sehr gefallen.43

Mittlerweile hat Mark Freeman das Brüsseler Büro verlassen und steht in Barcelona einer neuen Organisation der Transitionsberatung als Geschäftsführer vor.44 Das International Center for Transitional Justice berät weiterhin als international agierende, gemeinnützige Organisation zivilgesellschaftliche und staatliche Aufarbeitungsakteure, um die »Wiedergutmachung für Opfer zu sichern und dabei zu helfen die Wiederholung von Missetaten zu verhindern«, so das »Mission Statement«.45 Gründer*innen waren 2001 die Expert*innen für Wahrheitskommissionen: Priscilla B. Hayner, Paul Van Zyl und Alex Boraine.46 Aufgrund der Praxiserfahrungen letzterer in Südafrika wurde die Südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission zum prägenden Beispiel der Beratungstätigkeiten des neuen Zentrums. Die Zeitschrift »Foreign Affairs« bezeichnete das ICTJ als »truth commission consulting firm«.47 Eine Startfinanzierung der Ford Foundation von vier Millionen 43 Interview mit Nataša Kandić, 21.11.2012, Belgrad, BKS . 44 Das Institute for Integrated Transitions verfolgt eine Art ganzheitlichen Ansatz bei der Beratung in Transitionsbelangen. Alex Boraine, einst stellvertretender Leiter der südafrikanischen Wahrheitskommission sowie Präsident des ICTJ (2001–2004), war bis zu seinem Tod 2018 Vorsitzender dieses Instituts. Der Begriff »Transitional Justice« taucht in der Missionsbeschreibung nicht auf. The Institute for Integrated Transitions. URL: http:// www.ifit-transitions.org/ (am 27.03.2014). 45 International Center for Transitional Justice. URL : http://ictj.org (am 05.12.2013). 46 Rowen: Searching for Truth, 36. 47 Tepperman, Jonathan: »Truth and Consequences«. In: Foreign Affairs, March / April 2002, zitiert in ebd., 38.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

207

Dollar im Jahr 2001 und eine Folgezuwendung von elf Millionen Dollar für 2002 bis 2005 ermöglichten eine rasante Entwicklung: 2007 hatte das Zentrum bereits einhundert Mitarbeiter*innen und war in dreißig Ländern beratend tätig.48 Neben dem Hauptsitz in New York und Büros in Den Haag und Brüssel führt das ICTJ inzwischen weitere Filialen in Kolumbien, der Elfenbeinküste, der Demokratischen Republik Kongo, Kenia, dem Libanon, Nepal, Tunesien und Uganda, während sich seine Beratungstätigkeiten auf rund ein Dutzend weitere Länder beziehen. Mit einem Jahreshaushalt von 17 Millionen Dollar in 2011, der sich aus Zuwendungen von Regierungen, Stiftungen, internationalen Organisationen und privaten Spendern zusammensetzte, wurde das ICTJ ein politikprägender, globaler Berater für Transitional Justice.49 2002 hat das Zentrum seine Tätigkeiten im postjugoslawischen Raum aufgenommen, welche sich zunächst auf Analysen der Entwicklungen auf dem Gebiet der Transitional Justice in den jeweiligen Ländern konzentrierten.50 Eine Bestandsaufnahme der staatlichen, zivilgesellschaftlichen und internationalen Dokumentationsaktivitäten über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zwischen 1991 und 1999 in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und dem damaligen Restjugoslawien (Serbien, Montenegro, Kosovo) erstellte das ICTJ im April 2002.51 In dieser regional angelegten Studie wird eine Atomisierung von Informationen bemängelt entsprechend der unterschiedlichen Interessen, Arbeitsbereiche und Möglichkeiten der verschiedenen Organisationen und Akteure. Es wird aber auch »Einigkeit vieler NGOs und anderer Akteure in der Region […] darüber [festgehalten], dass eine systematische Zusammenarbeit initiiert werden sollte.«52 Die Untersuchung des ICTJs berichtet auch von einem Treffen »unabhängiger Intellektueller« aus Restjugoslawien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Mazedonien im Juni 2001, welches von Nataša Kandić koordiniert wurde.53 Dabei schlug Kandić ein »Independent Regional Center for War Documentation, Research and Truth 1991–1999« in Form eines Netzwerks lokaler Dokumentationszentren vor, die an einer gemeinsamen Datengrundlage arbeiten und sich regelmäßig austauschen sollten.54 Jedoch hält der Bericht auch fest, dass es keine Nachfolgeaktivitäten dieses Treffens gegeben hat. 48 Rowen: Searching for Truth, 37. 49 International Center for Transitional Justice: Annual Report 2011. A Decade of Hope 2011. URL : http://www.ictj.org/sites/default/files/ICTJ-Global-Annual-Report-2011-English_​ 0.pdf (am 27.03.2014), 29. 50 International Center for Transitional Justice: 2004: Serbia and Montenegro: Selected Developments in Transitional Justice. https://www.ictj.org/sites/default/files/ICTJFormerYugoslavia-Serbia-Developments-2004-English.pdf (am 06.05.2019). 51 Djordjević: Summary Report. 52 Ebd, 4. 53 Ebd, 31. 54 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

208

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Diese Entwicklungen im Jahr 2001 wurden bisher weder in den Berichten der REKOM Initiative, noch von den darüber Forschenden thematisiert. Ich halte dieses Treffen für die Erörterung eines »Independent Regional Center for War Documentation, Research and Truth 1991–1999« im Jahr 2001 jedoch für den grundlegenden Impuls für die Entstehung des REKOM Projektes. Im Oktober 2004 hat das österreichische »Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte«, die britische »Quaker Peace and Social Witness Organisation« zusammen mit dem Belgrader Menschenrechtsfond und weiteren NGOs aus der Region ein Steuerungskomitee einberufen, um Aktivitäten zur Vergangenheitsaufarbeitung auf regionaler Ebene voranzutreiben.55 Auf das Jahr 2004 wird auch eine Kooperationsvereinbarung datiert, mit welcher der Menschenrechtsfond, Documenta und das Sarajewoer Forschungs- und Dokumentationszentrum unter Mirsad Tokača vereinbarten, ihre Sammlungen von Daten über Kriegsverbrechen kompatibel zu gestalten und bei der Begleitung von Kriegsverbrecherprozessen zusammen zu arbeiten.56 Diese Vereinbarung kann als konkreter und dokumentierter Anfang der regionalen Zusammenarbeit verstanden werden, auf welche das REKOM Projekt aufbaute. Im Abschlussbericht der Initiative über ihre Treffen wird die Vereinbarung als Fundament für das erste regionale Transitional Justice Forum am fünften und sechsten Mai 2006 in Sarajewo angeführt.57 Mirsad Tokača erklärt 2014 im Interview mit mir, dass genau diese Vereinbarung den Beginn der REKOM Initiative markiere: »Wir haben vor zehn Jahren, jetzt sind es genau zehn Jahre, hier in Sarajewo, ein Protokoll zur regionalen Zusammenarbeit unterschrieben. Und wir waren Pioniere.«58 Der Direktor des bosnischen Dokumentationszentrums wirkte zu jugosla­w ischen Zeiten, von 1980 bis 1990, als Abteilungsleiter in der Gewerkschaft in Sarajewo.59 Während des Krieges von 1992 bis 1995 in Bosnien und Herzegowina dokumentierte Tokača im Auftrag der bosnischen Regierung Kriegsverbrechen.60 Studiert hatte er Journalismus und Politikwissenschaften und so war er auch zeitweise als Journalist, Unternehmer und in der Stadtpolitik Sarajewos aktiv.61 Für Tokača war die Dokumentation der Verbrechen ein persönliches Anliegen, so sagte er mir, denn seine Familie hatte schon während des Zweiten Weltkrieges sehr gelitten, aber diese Leiden wurden von Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 134. Ebd., 135. Fond za humanitarno pravo, Konzultativni proces, 1. Interview mit Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS . http://www.robertboschacademy.de/content/language1/html/54945.asp (25.02.16). Ball, Patrick / Tabeau, Ewa / Verwimp, Philip: The Bosnian Book of Dead: Assessment of the Database 17.06.2007. URL : http://www.hicn.org/wordpress/wp-content/uploads/​ 2012/07/rdn5.pdf (am 13.03.2014), 10. 61 http://www.robertboschacademy.de/content/language1/html/54945.asp (25.02.16).

55 56 57 58 59 60

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

209

der jugoslawischen Geschichtspolitik unter den Teppich gekehrt. Als auch er sich in einem Krieg auf gleichem Boden wiederfand, schien es ihm als ob sich die Vorgänge wiederholten. Dieses Mal aber sollte im Gegensatz zur Geschichtspolitik in Jugoslawien darüber anschließend kein Stillschweigen aufkommen können und deswegen beschloss er, »dass wir alles tun müssen, um zu dokumentieren, natürlich wenn wir überleben. Wenn wir überleben, dann dokumentieren wir.«62 Nach dem Krieg war der Status der von Tokača geleiteten »Staatlichen Kommission für die Untersuchung von Kriegsverbrechen« und der in diesem Zusammenhang gesammelten Daten einige Zeit unklar. »Niemand wollte dieses Archiv!«, sagte er mir.63 Tokača beriet sich mit Freund*innen und mit Vertreter*innen des ICTY und beschloss, das staatliche Archiv in eine zivilgesellschaftliche Organisation zu überführen und die Dokumentationsarbeit politisch unabhängig fortzusetzen. 2003 kündigte er seinen Posten als Leiter der Staatlichen Kommission, weil er »die Einflüsterungen der Regierung nicht mehr hören wollte«.64 2004 rief Tokača das Forschungs- und Dokumentationszentrum (Istraživačko dokumentacioni centar) in Sarajewo als NGO ins Leben.65 Im »Human Losses«-Projekt recherchierte das Zentrum auf der Basis der zuvor unter staatlichem Auftrag gesammelten Daten zusätzliche Informationen. Das Projekt hat Daten über Tote und Vermisste aller ethnischen Gruppen in ganz Bosnien und Herzegowina erhoben und schließt zivile wie auch militärische Opfer ein. In der NGO haben Tokača und sein Team von fünfzehn Mitarbeiter*innen und zwanzig Freiwilligen über 7.000 Interviews durchgeführt und rund 10.000 Zeitungsartikel und Fotos gesammelt.66 Diese Daten unterzogen sie einer statistischen Analyse und veröffentlichten schließlich im Internet eine Zahl von rund 95.000 Toten bzw. Vermissten für den Bosnienkrieg.67 Für Tokača ist es von großer Bedeutung, dass hinter der Zahl von rund 95.000 die Namen, Geburts- und Todesdaten, Adressen und weitere Informationen stehen, sodass die Zahl schwer angefochten werden kann. Eine 62 Interview mit Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS . 63 Ebd. 64 Maunaga, Goran: Mirsad Tokača – Smetam jer sam utvrdio da je u ratu stradalo 98.000 ljudi. In: Glas Srpske vom 02.02.2012. 65 Minor, Elizabeth: ORG in Conversation: Mirsad Tokača and Truth Seeking, Truth Telling and Truth Keeping in Bosnia. URL : http://www.oxfordresearchgroup.org.uk/ publications/other_media/org_conversation_truth_seeking_truth_telling_and_truth_ keeping_bosnia (am 13.03.2014). 66 Aucoin, Louis / Babbitt, Eileen: Transitional Justice. Assessment Survey of Conditions in the Former Yugoslavia. Belgrade 2006. URL : https://www.undp.org/content/dam/serbia/ Publications%20and%20reports/English/UNDP_SRB_TRANSITIONAL_JUSTICE_-_ Assessment_Survey_of_Conditions_in_the_Former_Yugoslavia.pdf (am 05.12.2018). 67 Rowen: Truth in the Shadow, 131.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

210

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Diskussion über Geschichte auf der Grundlage von Fakten und nicht von Behauptungen erachtet er als wesentlich für eine freie Gesellschaft.68 Deshalb ist ihm eine fundierte, politisch unabhängige und sorgfältige Forschungsarbeit wichtig. Dass dies dauert und aufwendig ist, nimmt er humorvoll in Kauf: »Ich scherze manchmal und sage: ich habe zehn Jahre damit verbracht, um nur eine einzige Zahl zu bestimmen.«69 Die Norwegische und die Schweizer Botschaft in Bosnien förderten das mehrjährige »Human Losses«-Projekt und auch seine Validierung durch drei internationale Expert*innen.70 Diese überprüften Methode, Quellen und Analyseergebnisse und kamen zu dem Schluss, dass die Fehlerquote äußerst gering und die Datenbank eine sowohl einzigartige wie wertvolle Quelle unter anderen Quellen über die Opfer des Krieges in Bosnien und Herzegowina sei.71 Dennoch sieht sich Tokača zahlreichen Angriffen ausgesetzt, sowohl von Politiker*innen, die weiterhin gerne Opferzahlen von 200.000 bis 400.000 für den Bosnienkrieg verwenden, als auch von bosnischen Wissenschaftler*innen, welche, so der Aktivist, von der Politik abhängig seien: »Es gab Druck, es gab Angriffe, es gab Drohungen, es gab von allem etwas.«72 Die Erstellung dieser Datenbank war Tokačas Hauptanliegen und eine regionale Zusammenarbeit bei der Kriegsdokumentation sah er als willkom­mene, aber zusätzliche Aufgabe. Er sagt, dass als erstes der Belgrader Menschen­ rechtsfond und sein Zentrum miteinander gesprochen hätten, da sie bereits »etablierte Organisationen waren«.73 Nachdem Documenta 2004 gegründet worden war, habe sich auch diese NGO angeschlossen. »Und wir fingen an, hervorragend, hervorragend haben wir begonnen.«74 Für Tokača standen der Austausch, die Zusammenarbeit und deren gesellschaftliche Wirkung im Mittelpunkt seiner Beteiligung an der regionalen Kooperation. Gegenüber der Idee einer regionalen Wahrheitskommission jedoch zeigte er sich skeptisch. Für den Forscher und Aktivisten ist Vergangenheitsaufarbeitung ein langjähriger, gesellschaftlicher Vorgang, wofür permanente Institutionen geschaffen werden müssten. Eine temporäre Kommission hielt und hält er deswegen für wenig sinnvoll.75 Dennoch hatte er der Idee einer regionalen Wahrheitskommission eine Chance gegeben. In Kandićs Erzählung über die Anfänge der

68 Interview mit Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS . 69 Ebd. 70 Ball / Tabeau / Verwimp: The Bosnian Book of Dead, 3. 71 Um ein noch vollständigeres Bild zu erhalten, empfehlen die drei Wissenschaftler*innen eine Kombination der Datenbank mit weiteren Quellen. Ebd., 9. 72 Interview mit Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS . 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

211

REKOM Initiative spielt die Entstehungsgeschichte der Sarajewoer NGO keine Rolle, wohl aber Tokačas Skepsis.76 Nach der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen der Belgrader, Sarajewoer und Zagreber NGO im Jahr 2004 führte das International Center for Transitional Justice im Januar 2005 ein dreiwöchiges Training über Transitional Justice für Menschenrechtsaktivist*innen aus der Region des ehemaligen Jugoslawien in den USA durch.77 Im September 2005 präsentierte das ICTJ in Belgrad einer Gruppe von NGOs aus der Region einen Vorschlag für eine »Internationale Opferkommission für das ehemalige Jugoslawien«, so ein Bericht des »Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen« (UNDP).78 Der Vorschlag enthielt zwei Stufen, zunächst eine regionale Kampagne mit dem Ziel, eine Million Unterschriften für die Einrichtung einer Kommission zu sammeln, um diese dann dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und den Regierungen der Länder in der Region vorzulegen. Daraufhin sollte eine regionale Kommission eingesetzt werden, um die schwersten Menschenrechtsverbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zu dokumentieren.79 Di Lellio und McCurn betrachten diesen UNDP Bericht als hinreichenden Beleg dafür, dass die Idee einer abgewandelten Wahrheitskommission vom ICTJ vorgeschlagen wurde und somit die institutionelle Form, in welche eine regionale Zusammenarbeit bei der Dokumentation der Kriegsverbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens münden könnte, erstmals 2005 auf dem Tisch lag.80 Allerdings erwähnen weder die Akteure in meinen Interviews, noch die Jahresberichte des Menschenrechtsfonds und des ICTJ für 2005 diesen Vorschlag einer »Opferkommission«. Auch Rowen verwies auf Unstimmigkeiten bei der Rekonstruktion der Zusammenarbeit: In ihrem Interview mit Freeman erklärte dieser, dass man von Anfang an eine Wahrheitskommission anstrebte, während ihr jedoch eine der REKOM Führungspersonen versicherte, dass sie zu Beginn viel breiter über verschiedene Formen der Wahrheitsfindung diskutierten, ohne eine Wahrheitskommission als Modell zu favorisieren.81 Nach den gescheiterten Versuchen von Wahrheitskommissionen in Serbien und Bosnien war man möglicherweise darauf bedacht, restaurative Wahrheitsfindung begrifflich alternativ zu fassen, um eine größere Diskussionsbereitschaft zu erhalten und vermied deswegen das Modell einer Wahrheitskommission zu Beginn des Austausches.

76 77 78 79 80 81

Interview mit Nataša Kandić, 21.11.2012, Belgrad, BKS . International Center for Transitional Justice: ICTJ Annual Report. 2004/2005, 29. Aucoin / Babbitt: Transitional Justice, 114. Ebd., 115. Di Lellio / McCurn, Engineering Grassroots Transitional Justice, 131. Rowen: Searching for Truth, 67.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

212

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Als Kandić mit mir über Mark Freeman als Vertreter des ICTJ spricht, sagt sie, dass ihm die Idee einer regionalen, außergerichtlichen Körperschaft zur Faktensicherung »sehr gut gefallen« habe. So dargestellt, kam die Idee aus der Region des ehemaligen Jugoslawiens und wurde durch den internationalen Experten unterstützt. Bei einem weiteren Besuch im Belgrader Menschenrechtsfond sprach ich Nataša Kandić auf die Version des UNDP Berichtes an, worauf sie sehr erstaunt reagierte und wiederholt betonte, dass es ihre Idee gewesen sei.82 Auch Mirsad Tokača erzählte mir (ohne meinen Verweis auf den UNDP Bericht), dass der Vorschlag »über den Fond« aufgekommen ist: Und daran hat sich auch das Internationale Zentrum für Transitional Justice aus New York angeschlossen. […] Und dann haben wir gesagt, na los! Es war Natašas Idee, dass wir mit einer regionalen Kommission loslegen.83

Es kann also zusammenfassend festgehalten werden, dass verschiedene Akteure der REKOM Initiative (Kandić, Puhovski, Tokača) die Entstehung der Zusammenarbeit ausgehend von Natasa Kandićs Idee einer regionalen Aufarbeitungskooperation rekonstruieren. Das erste Treffen für die Erörterung dieser Idee hat 2001 stattgefunden. 2004 wurde eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, in welcher der Belgrader Menschenrechtsfond, die Zagreber NGO Documenta und das Sarajewoer Forschungs- und Dokumentationszentrum eine regionale Zusammenarbeit für die Aufarbeitung der Jugoslawienkriege vereinbarten. Ein Bericht der UNDP schreibt den Vorschlag einer abgewandelten Wahrheitskommission als konkretes »Modell« für die angestoßene, regionale Zusammenarbeit dem International Center for Transitional Justice im Jahre 2005 zu. Welche Rolle spielt nun dieser Unterschied zwischen der Version, dass die Idee für REKOM zunächst von einer Menschenrechtsaktivistin aus Belgrad in Zusammenarbeit mit einer internationalen Transitional Justice Organisation aus New York geprägt wurde, und der offiziellen Selbstdarstellung, REKOM gründe auf der Zusammenarbeit dreier Menschenrechtsorganisationen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien unter Beteiligung internationaler Experten? Wichtig ist hier festzuhalten, dass die Zusammenarbeit zwischen den drei NGOs tatsächlich stattgefunden und die Entwicklung der Initiative wesentlich gestaltet hat. Nur scheint diese regionale Kooperation als Idee zuvor stärker zwischen Belgrad und New York gediehen zu sein. Aus Sicht der Transitional Justice Literatur ist eine solche Entwicklung wünschenswert: »[W]ithout a vigorous domestic civil society, backed up on occasion by certain types of international civil society, new democracies are unlikely to establish 82 Interview mit Nataša Kandić, 06.06.2014, Belgrad, BKS . 83 Interview mit Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

213

effective truth commissions.«84 Indem internationale NGOs zivilgesellschaftliche Vereinigungen vor Ort unterstützen, geben sie ihnen auch Legitimität, so die Annahme. In der Region des ehemaligen Jugoslawiens führen derartige Verflechtungen jedoch zu dem Vorwurf, dass NGOs vor allem »Dienstleister« internationaler Akteure seien und somit nicht die Interessen der Gesellschaft vor Ort vertreten könnten.85 Grundsätzlich wird zivilgesellschaftlichen Organisationen im postjugoslawischen Raum öffentliche Unterstützung eher selten zuteil, sei es in den Medien oder durch die »einfachen Menschen auf der Straße«: »So arbeiten sie [die NGOs] in Nischen, nicht stark beachtet oder teilweise sogar angefeindet von der sie umgebenden Gesellschaft und Politik.«86 Häufig werden zivilgesellschaftliche Akteure mit ähnlicher Ablehnung betrachtet wie Politiker*innen, die als zynisch, korrupt, selbstgerecht und machthungrig wahrgenommen werden.87 Insbesondere, aber nicht nur, in Bosnien und Herzegowina ist eine grundlegende Abneigung gegenüber alldenjenigen, die auf die Gestaltung des öffentlichen Gemeinwesens abzielen, zu verzeichnen. Ein Kommentar zu einem Interview mit Mirsad Tokača auf der Internetseite des »Radio Freies Europa« illustriert dies: In BiH geht es doch neben den Politikern auf jeden Fall denen aus den Nichtregierungsorganisationen am besten. Denen geht es sogar noch besser, keinerlei Verantwortung, du produzierst nichts, tust schlau und stellst dich als irgendeine Autorität eines fehlerfreien Humanisten dar, und dann bist du auch noch vortrefflich bezahlt. Von all den Reisen, Hotels und Späßen ganz zu schweigen.88

Diese populäre Skepsis gegenüber zivilgesellschaftlichen Aktivitäten in den Ländern des postjugoslawischen Raumes wird genährt durch den Umstand, dass derlei Engagement hauptsächlich durch ausländische Fördergelder finanziert wird.89 Der geringe Rückhalt der lokalen NGOs in der Bevölkerung auf 84 Crocker, David A.: Truth Commissions, Transitional Justice, and Civil Society. In: Rotberg, Robert I. / T hompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000, 99–121, hier 109. 85 Fagan, Adam: Europe’s Balkan Dilemma. Paths to Civil Society or State-building? London 2010, 59. 86 Fischer, Martina: Friedens- und Versöhnungsprozesse im Westlichen Balkan. Von den Schwierigkeiten des Umgangs mit gewaltsamer Vergangenheit. Berlin 2008, 13. 87 Jansen: If Reconciliation Is the Answer, 239 f. 88 Kommentar von »Anonymer Besucher« (Anonimni posjetilac)  12.02.2014, 21:33 zu: Halimović, Dženana: Tokača: Autistična vlast nije prepoznala nezadovoljstvo ljudi na vrijeme. Radio Slobodna Evropa vom 12.02.2014, http://www.slobodnaevropa.org/content/ mirsad-tokaca-za-rse-demonstranti-traze-bolji-zivot/25261718.html (am 14.03.2014). 89 Van Meurs, Wim: Rezension über: Akkaya, Gülcan: Nichtregierungsorganisationen als Akteure der Zivilgesellschaft. Eine Fallstudie über die Nachkriegsgesellschaft im Kosovo, Luzern 2012. In: Südosteuropa. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 457–460, hier 458.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

214

Die Entwicklung der REKOM Initiative

dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens aufgrund eines vorherrschenden Misstrauens gegenüber der ideellen Unterstützung durch internationale NGOs sowie der Finanzierung aus europäischen und anderen Fördermitteln außerhalb des Gebietes des ehemaligen Jugoslawiens erfordert somit ein sorgfältiges Abwägen dabei, wie die Entwicklung der REKOM Initiative öffentlich dargestellt wird. Denn entgegen der Annahmen der Transitional Justice Literatur schwächt die offensichtliche Verflechtung von lokaler und internationaler Zivilgesellschaft das Ansehen der NGOs im postjugoslawischen Kontext. Dies gilt auch für die politische Wahrnehmung der Initiative: Wie Irvine und McMahon festhielten, bezweifelte der serbische Justizminister die Legitimität von REKOM, da die Initiative »von außen« gesteuert sei.90 Deshalb kommt der Darstellung der Zusammenarbeit zwischen Sarajewo, Belgrad und Zagreb eine strategische und legitimierende Rolle zu. REKOM als Prozess zu untersuchen, bedeutet, wie gesagt, auch die Selbstbeschreibungen der Initiative als strategische Kommunikationsmittel zu verstehen, die dafür eingesetzt werden, das Ziel einer Wahrheitskommission zu erreichen. Somit wird verständlich, warum in der offiziellen Version der Entwicklung die Beteiligung internationaler Akteure nicht verschwiegen, gleichwohl aber nur als begleitend dargestellt wird. Für die öffentliche Wahrnehmung der Initiative ist eine solche Gewichtsverlagerung von einer lokal-internationalen Ausgangskonstellation zu einer regionalen Zusammenarbeit bei der Präsentation dessen, wie alles begann, von strategischer Bedeutung. Dass die Zusammenarbeit bei REKOM nicht von Beginn an gleichberechtigt entstanden ist, haben auch Irvine und McMahon kritisiert. Allerdings setzen sie in ihrer kurzen Rekonstruktion in einem Aufsatz den Schwerpunkt auf die zentrale Rolle des Belgrader Menschenrechtsfonds: As it turns out, RECOM did not emerge spontaneously or organically from many active organizations that finally came together but, instead, the structure is quite centralized, with the preponderance of power and authority resting in the Humanitarian Law Center in Belgrade.91

Die zentrale Führungsrolle des Menschenrechtsfonds wird als »serious organizational failure« bewertet, welche weitreichende interne Zerwürfnisse zeitigte.92 Ob die Schwierigkeiten, mit denen REKOM zu kämpfen hatte, ausschließlich auf die Führung des Menschenrechtsfonds zurückgeführt werden können, werden die nachstehenden Ausführungen erörtern. Meine Rekonstruktion setzte bei den Akteuren und ihrem Verständnis von Vergangenheitsaufarbeitung an. Die Hauptakteure – Kandić, Puhovski 90 Irvine / McMahon: From International Courts to Grassroots Organizing, 233. 91 Ebd., 227. 92 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Impuls von innen oder von außen? 

215

und Teršelić – hatten sich in den 1990ern gegen die Kriege im zerbrechenden Jugoslawien engagiert. Das Antikriegsengagement und eine projugoslawische Haltung sind ihnen gemein. Trotz dieser gemeinsamen Haltung divergiert ihr Verständnis von Vergangenheitsaufarbeitung: Während die Soziologin Kandić die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit betont und insbesondere auf die Anerkennung aller Opfer, jenseits ethnischer und anderer Unterschiede abhebt, ist Teršelic die psychosoziale Dimension wichtig. Puhovski betrachtet Vergangenheitsaufarbeitung philosophisch als Orientierungsweise in der Zeit und für Tokača ist der Zusammenhang zwischen freier Geschichtsforschung und einer freien Gesellschaft von großer Bedeutung. Das ICTJ unter Mark Freeman als wichtiger Akteur hebt auf die Verbindung zwischen Vergangenheitsaufarbeitung und der Demokratisierung von Gesellschaften nach Konflikten ab. Trotz der unterschiedlichen Betrachtungsweisen, vereint die Hauptakteure bei REKOM, dass sie die »Opfer« als zentrale Kategorie ihrer Aufarbeitungsbemühungen verstehen. Mittels einer Konzentration auf die »Opfer« lassen sich diese soziologischen, psychologischen, philosophischen, geschichts- und politikwissenschaftlichen Perspektiven auf Vergangenheitsaufarbeitung miteinander verbinden. Das Handeln der beschriebenen Akteure wurde durch den Ansatz der Transitional Justice wesentlich geprägt. Die Aktivist*innen haben ihr langjähriges Engagement für Menschenrechte durch eine Bezugnahme auf Transitional Justice neu belebt und weiterentwickelt. Deshalb stellt Transitional Justice eine bedeutende Ressource für die Entwicklung des REKOM Projektes dar. Unter Beratung des Internationalen Zentrums für Transitional Justice haben die Aktivist*innen die regionale Zusammenarbeit für die Aufarbeitung der Jugoslawienkriege konzipiert als Weg zum »darling der Transitional Justice«: einer Wahrheitskommission.93 Wenn man, wie Höpken, davon ausgeht, dass Vergangenheitsaufarbeitung als etwas betrachtet werden kann, dass entweder »als Mahnung von außen daher kommt«, oder als etwas, das sich »von innen her« generiert, wie ist dann der Beginn der REKOM Initiative einzuordnen?94 Höpken bezog sich mit dieser Annahme auf die Bereitschaft der führenden Politiker*innen in Bosnien 93 Sarkin, Jeremy / Daly, Erin: Too Many Questions, Too Few Answers: Reconciliation in Transitional Societies, Columbia Human Rights Law Review 35 (2004), 661–728, hier 665, zitiert in: Schwelling, Birgit: Transnational Civil Society’s Contribution to Reconciliation. An Introduction. In: Schwelling, Birgit (Hg.): Reconciliation, Civil Society, and the Politics of Memory. Transnational Initiatives in the 20th and 21st Century. Bielefeld 2012, 7–21, hier 14. 94 »Auffällig nämlich ist, dass die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen bislang vornehmlich als Mahnung von Außen daher kommt, nicht selten auch als ultimative Forderung, ungleich weniger jedoch erscheint sie als eine in den betroffene Gesellschaften selbst anerkannte Notwendigkeit.« Höpken: Innere Befriedung, 156.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

216

Die Entwicklung der REKOM Initiative

und Herzegowina, Serbien, Kroatien und Kosovo sich kritisch mit den Verbrechen der Jugoslawienkriege auseinanderzusetzen. Im Zuge der Integration der postjugoslawischen Staaten in die Europäische Union wird die Bereitschaft zur Aufarbeitung in der Tat konkret angemahnt, beispielsweise durch die Forderung mit dem ICTY zusammen zu arbeiten. Auch die Forschungsliteratur geht davon aus, dass sich Aufarbeitungsimpulse häufig durch internationale Akteure in den Gesellschaften entfalten: »[…] transitional justice often occurs from the outside in, through INGO activism.«95 Auf das Aufarbeitungsengagement von Menschenrechtsaktivist*innen wie Nataša Kandić, Vesna Teršelić und Mirsad Tokača bezogen, lässt sich die Frage nach der »Mahnung von außen« oder dem »Bedürfnis von innen« schwerer beantworten. Denn all diese Akteure bewegen sich in einem transnationalen Netz von Erinnerungsaktivismus, welches sowohl Impulse aus dem globalen Menschenrechtsdiskurs erhält als auch aus den gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der Region des ehemaligen Jugoslawiens. Der Beginn der REKOM Initiative veranschaulicht dies. Auch wenn Nataša Kandić die Idee eines »Independent Regional Center for War Documentation, Research and Truth 1991–1999« hatte, so diskutierte sie diese mit anderen Aufarbeitungsaktivist*innen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die Mittel und den konzeptionellen Rahmen dafür boten wiederum internationale Organisationen. Somit fällt es hier schwer von einem »innen« und »außen« zu sprechen, vielmehr trifft die Bezeichnung einer transnationalen Entwicklungskonstellation bei REKOM zu. Für diese transnationalen, zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsimpulse spielt der Menschenrechtsdiskurs eine wichtige Rolle. Während sich Menschenrechtsaktivist*innen zumeist mit gegenwärtigen Verbrechen beschäftigen, hat Transitional Justice einen breiteren Zeithorizont. Transitional Justice mahnt die Auseinandersetzung mit vergangenen Verbrechen an, um es in der Zukunft besser zu machen. Um den Zusammenhang zwischen Vergangenheitsaufarbeitung beziehungsweise Transitional Justice und dem Menschenrechtsaktivismus zu verstehen, ist es wichtig festzuhalten, dass im Mittelpunkt der Menschenrechte die Freiheit des Individuums steht. Wenn, wie in der Transitional Justice, Menschenrechte über die Aufarbeitung von Verbrechen in der Vergangenheit thematisiert werden, dann weil zu den individuellen Freiheiten nicht nur die Freiheit zu, sondern auch die Freiheit von etwas gehört. Die Freiheit von Gewalt meint schlichtweg eine Lesart von Frieden. Deshalb folgt das Zusammendenken von Vergangenheitsaufarbeitung und 95 INGO =International NGO, vgl. Olsen, Tricia D. / Payne, Leigh A. and Reiter, Andrew G.: Transitional Justice in Balance: Comparing Processes, Weighing Efficacy, Washington, DC: US Institute of Peace Press, 2010, zitiert in: Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 131.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

217

Menschenrechtsaktivismus der Annahme, dass unter Betrachtung vergangener Gewalt die Notwendigkeit, sich für zukünftigen Frieden einzusetzen, wächst: »All that can be said about human rights is that they are necessary to protect individuals from violence and abuse, and if it is asked why, the only possible answer is historical.«96 Übersetzt als Streben nach Freiheit und Frieden verstehen Menschenrechtsaktivist*innen ihr Aufarbeitungsengagement jedoch als ein universelles, welches ohne »außen« und »innen« auskommt. Höpkens Unterscheidung zwischen einer »Mahnung von außen« und einem Aufarbeitungsbedürfnis »von innen« trifft deswegen eher auf die Ebene von nationaler Erinnerungspolitik zu. Für das Selbstverständnis der Aktivist*innen bei REKOM ist die Unterscheidung weniger relevant.

5.2

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung: Akteure, Themen, Dynamiken

Aus den bisherigen Darstellungen lässt sich Folgendes zusammenführen: Nach dem Fall Slobodan Miloševićs (2000) und im Zuge der demokratischen Öffnung Serbiens hatte die Belgrader Menschenrechtsaktivistin Nataša Kandić 2001 die Idee einer regionalen Kooperation von Kriegsdokumentationszentren. Kurz danach setzte der serbische Präsident Koštunica eine staatliche Wahrheitskommission für Restjugoslawien ein, welche 2003 im Sande verlief. Im Nachbarland Bosnien und Herzegowina ging man parallel dazu mehrere staatliche Wahrheitskommissionsprojekte an, von denen bis auf die Srebrenica-Kommission keine umgesetzt wurde. Gleichzeitig liefen die Prozesse vor dem ICTY in Den Haag. Seit dem Aufkommen der Idee von Kandić dauerte es auf zivilgesellschaftlicher Ebene bis 2004, als zum Teil neu gegründete Aufarbeitungsorganisationen aus Serbien, Bosnien und Herzegowina und Kroatien eine Kooperationsvereinbarung für eine regionale Zusammenarbeit bei der Kriegsdokumentation unterzeichneten. Nachdem das International Center for Transitional Justice sich von der gescheiterten staatlichen Wahrheitskommission der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgezogen hatte, begleitete es nun die Weiterentwicklung der transnationalen Aufarbeitungszusammenarbeit der Zivilgesellschaften. Wann man sich genau dafür entschieden hatte, durch die Kooperation eine Wahrheitskommission einrichten zu wollen, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Doch das Modell Wahrheitskommission als 96 Ignatieff, Michael: Human Rights as  Ideology. In: Ignatieff, Michael / Gutmann, Amy (Hg.): Human Rights as Politics and Idolatry. Princeton, N. J. 2001, hier 80.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

218

Die Entwicklung der REKOM Initiative

alternative Aufarbeitungsinstitution war vielversprechend: es stand für ein breiteres Verständnis von Gerechtigkeit jenseits der bestehenden Mechanismen, es bot den Opfern und ihren Leidensgeschichten ein staatlich sanktioniertes Forum und es wurde massiv von amerikanischen und internationalen Organisationen gefördert. Allerdings hatte man sowohl in Serbien als auch in Bosnien mit Wahrheitskommissionen schlechte Erfahrungen gemacht und in Kroatien war eine regionale Kooperation ein »No-Go«, sodass es wohl angemessen schien, die Wortwahl und das Vorgehen zunächst stärker an die Gegebenheiten in Post-Jugoslawien anzupassen. Laut der Selbsthistorisierung der REKOM Initiative dauerte der Austausch zu den »notwendigen Arten von Wahrheitsfindung über Kriegsverbrechen in der Region« rund drei Jahre an, von Mai 2006 bis Juni 2009.97 Danach be­ reitete die Kooperation bis Frühjahr 2011 die regionale Wahrheitskommission konkret vor. Die Formulierung für den ersten Entwicklungsabschnitt suggeriert, dass es erst einmal keine Festlegung auf ein bestimmtes institutionelles Modell gegeben hatte, sondern der Austausch der Betroffenen im Mittelpunkt stand. Diese Herangehensweise kann als Reaktion auf die bisherigen vergangenheitspolitischen Interventionen verstanden werden, bei denen allerlei Interessen verfolgt wurden, jedoch die Bevölkerung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens als Aufarbeitungsobjekt und nicht als Subjekt behandelt wurde.98 Demnach wollte man es nun besser machen und erst einmal möglichst viele Betroffene zu Wort kommen lassen bevor man ein konkretes Modell der Aufarbeitung anvisierte. Der umfangreiche Austausch zwischen verschiedenen Aufarbeitungsaktivist*innen aus dem ehemaligen Jugoslawien war gleichwohl kein Selbstzweck, sondern spielte eine legitimierende Rolle, welche auf die politische Umsetzung der regionalen Wahrheitskommission ausgerichtet war. Deutlich sollte werden, dass Vergangenheitsaufarbeitung ein Anliegen vieler Menschen in Post-Jugoslawien war und nicht nur die Sache von internationalen Akteuren. Hier kommt die Frage nach dem Aufarbeitungsimperativ als eigene oder importierte gesellschaftliche Norm zum Tragen. Deswegen lohnt sich ein genauerer Blick auf die Akteure und Themen in der weiteren Rekonstruktion der Zusammenarbeit bei REKOM . Obwohl zwar individuelle Akteure dabei zur Geltung kommen, werde ich die Entwicklungen von nun an in soziologischen Akteurskategorien beschreiben. Diese Gruppenbezeichnungen stammen aus der eigenen Kategorisierung, die REKOM bei der Dokumentation der Aktivitäten vorgenommen hat. Zudem analysiere ich, auf welchen Raum die Akteure 97 Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 472. 98 Hodžić, Refik: Accepting a Difficult Truth: ICTY is Not Our Court. URL : http://www. balkaninsight.com/en/article/accepting-a-difficult-truth-icty-is-not-our-court (am 12.03.2014).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

219

ihr Wirken beziehen. Diese Fragen dienen dazu, meine Hypothese zu prüfen, dass die Zusammenarbeit für eine regionale Wahrheitskommission auf einen Kommunikations- und Handlungsraum ausgerichtet ist, der transnational praktiziert wird und welcher an die Erfahrungen aus Titos Jugoslawien anknüpft, der aber wesentlich die Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft jenseits eines zerbrochenen, gemeinsamen Staates erörtert. Um die verschiedenen Elemente der Hypothese einzeln zu untersuchen, habe ich meinen Untersuchungsgegenstand verschiedener Analysen unterzogen, deren Methodologie ich im Folgenden kurz anreiße bevor ich in die eigentliche Darstellung einsteige. Um die erste Frage nach den Akteuren und Themen zu beantworten, achtete ich bei der Rekonstruktion der Abläufe speziell auf das Protokoll: wer spricht wann, wo, wie und mit welcher Wirkung, und wer spricht nicht? Anhand dieser protokollarischen Aufmerksamkeit ließen sich Machtfragen in einer derart umfangreichen Kooperation erfassen. Darüberhinaus habe ich die Tagungsprogramme aller Großveranstaltungen kodiert, um begriffliche Prioritäten und thematische Veränderungen in der Zusammenarbeit zu analysieren. Seit Mai 2006 hat die Initiative den überwiegenden Teil aller Zusammenkünfte gefilmt oder den Ton aufgezeichnet, woraufhin der Großteil der Redebeiträge von den Organisator*innen transkribiert werden konnte. Für die mehr als 130 Treffen innerhalb dieser knappen fünf Jahre sind rund 6.000 Seiten Transkripte inklusive Programmen und Teilnehmerlisten vorhanden.99 Über den zivilgesellschaftlichen Konsultationsprozess von 2006 bis 2011 hat REKOM einen zirka 500 Seiten umfassenden, gedruckten und auch als PDF online erhältlichen Abschlussbericht erarbeitet, welcher ausgewählte Direktzitate von den Treffen, Zusammenfassungen der und auch im Nachhinein gezogene Schlussfolgerungen aus den Sitzungen enthält.100 Für die Auswahl und den Gesamtüberblick ist Nataša Kandić vom Belgrader Menschenrechtsfond als Herausgeberin verantwortlich. Der Abschlussbericht diente mir als Ausgangspunkt meiner Rekonstruktion. Aufgrund des bereits beschriebenen, performativen Charakters des Berichtes war dabei jedoch besondere Quellenkritik geboten. Ich begreife diesen Bericht als Teil des Prozesses, der einerseits für dessen Förderer die angemessene Verwendung der Mittel dokumentiert, andererseits als Argumentationsgrundlage und als Reservoir für die noch folgende politische Umsetzung der Wahrheitskommission zu Rate gezogen werden kann und welcher nicht zuletzt als Erinnerungs- und Dokumenta99 Der überwiegende Teil davon ist auf BKS , so wie auch die überwiegenden Treffen auf BKS geführt wurden. Einige Treffen, die auf Albanisch und Slowenisch stattgefunden haben, wurden so auch transkribiert. Die meisten der Treffen im Kosovo liegen allerdings in der BKS Übersetzung und nicht als albanische Originaltranskripte vor. 100 Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

220

Die Entwicklung der REKOM Initiative

tionsmedium für die Teilnehmer*innen selbst funktioniert. Deswegen habe ich diese umfassende Selbsthistorisierung der Initiative vor allem als eine Art Kompass verwendet, der eine Übersicht über den Konsultationsprozess bietet. Da jedoch einige Veranstaltungen im Bericht rückwirkend umbenannt wurden, um den Prozess kohärenter zu erzählen, war es unabdinglich in die Tagungsprogramme und zum Teil auch in die vollständigen Transkripte der Konsultationen zu schauen, um die tatsächlichen thematischen Schwerpunktsetzungen zu erfassen. Seit 2010 habe ich auch an einigen Treffen selbst beobachtend teilgenommen, sodass ich diese Feldnotizen und natürlich meine mit den Akteuren geführten Interviews hier ebenfalls als Quellen verwende. Zudem nutzte ich andere Quellen als die von REKOM produzierten  – zum einen graue Literatur anderer NGOs, die neben REKOM auf dem Aufarbeitungsgebiet im ehemaligen Jugoslawien tätig sind, zum anderen weitere Forschungen über die Entwicklung der Initiative. Für die Beantwortung der Frage nach dem Wirkungsraum orientierte ich mich an der Kategorisierung, die REKOM selbst für die Dokumentation der Treffen vorgenommen hat, indem von regionalen, nationalen und lokalen Zusammenkünften die Rede war. Ein regionaler Austausch bedeutete, dass die Teilnehmenden aus mindestens drei Nachfolgestaaten Jugoslawiens kamen. National hieß, dass die Teilnehmenden aus einem Land waren und lokal verwies darauf, dass die Mitmachenden überwiegend aus nur einem Ort zusammenfanden. Anhand einer quantitativen Auswertung des Zuschnitts und der Orte der Treffen konnte ich jeweils eine räumliche Übersicht pro Kalenderjahr nach Häufigkeit erstellen.101 Vorweg sei festgehalten, dass alle Konsultationsjahre sehr unterschiedlich und dynamisch abliefen. Gemein haben alle dennoch, dass mindestens eine Großversammlung aller Beteiligten stattfand, was in den Abschlussbericht als Transitional Justice Forum eingegangen ist. Nach den Konsultationen in den Zivilgesellschaften setzte im Laufe des Jahres 2011 eine dritte Phase ein, die sich durch eine Öffentlichkeitskampagne und politische Lobbyarbeit kennzeichnete, welche auf die staatliche Einrichtung der regionalen Wahrheitskommission abzielte. Diese Phase hatte nicht mehr den zivilgesellschaftlichen Austausch, sondern die Vermittlung der Idee in die Gesellschaft hinein und vor allem die Überzeugung von Politiker*innen zum Ziel. Deswegen widmete ich mich diesen Punkten nach der Analyse der Konsultationen in gesonderten Kapiteln.

101 Siehe Anhang 2 »Orte der REKOM Treffen Mai 2006 bis März 2011«.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

5.2.1

221

Verhältnis zum ICTY

In den ersten beiden Jahren bezogen sich die REKOM Treffen noch stark auf das Verhältnis der neuen Initiative zur juristischen Aufarbeitung. Zur großen internationalen Konferenz unter dem Titel »Wahrheitsfindung in der Zeit nach dem Konflikt: Initiativen und Perspektiven auf dem Westlichen Balkan« (Utvrđivanje istine u post-konfliktnom periodu: Inicijative i perspektive na zapadnom Balkanu) im Mai 2006 in Sarajewo waren deswegen nicht nur Menschenrechts- und Aufarbeitungs-NGOs aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens eingeladen, sondern auch Vertreter*innen des ICTY und von nationalen Gerichten, Repräsentant*innen des bosnischen Präsidiums, der »Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« (OSZE) sowie Medienvertreter*innen. Auch der Vorsitzende der Srebrenica-Kommission und Mitglieder der zu diesem Zeitpunkt sich bereits auflösenden parlamentarischen Arbeitsgruppe in Bosnien und Herzegowina, die eine nationale Wahrheitskommission mit Unterstützung des amerikanischen Friedensinstitutes umzusetzen versucht hatte, waren dabei. Es scheint, als wäre 2006 ein günstiger Zeitpunkt gewesen, um aus allen bis dahin gemachten schlechten Erfahrungen zu lernen: Nachdem das ICTY und bosnische Opferorganisationen das Vorhaben einer nationalen Wahrheitskommission in Bosnien und Herzegowina überaus skeptisch beurteilt hatten, die von Koštunica initiierte Wahrheitskommission in Serbien (Bundesrepublik Jugoslawien) gescheitert war und es heftige Medienkampagnen gegen die jeweiligen Wahrheitskommissionsbemühungen in BiH und Serbien gegeben hatte, galt es nun also möglichst alle am Aufarbeitungsprozess Interessierten in ein Boot für einen neuen, regionalen Ansatz zu holen. Die Unterstützung des Vorhabens durch die gerichtlichen Aufarbeitungsinstitutionen lag den REKOM Initiator*innen besonders am Herzen, da der Eindruck einer Konkurrenz zwischen dem regional arbeitenden ICTY und einer regionalen Wahrheitskommission vermieden werden sollte. Carla Del Ponte, Chefanklägerin in Den Haag, war unter den mehr als 300 Teilnehmer*innen in Sarajewo und stellte die Ahndung der Verbrechen als ausreichend dar, räumte jedoch ein, dass es notwendig sei den Opfern der Jugoslawienkriege auf eine andere als juristische Weise Raum zu verschaffen.102 Der damalige Chefankläger der Bosnischen Staatsanwaltschaft, Marinko Jurčević, hatte nicht nur die Verbrechensahndung, sondern die Gesundung ganzer Gesellschaften im Blick, als er auf die Grenzen gerichtlicher Aufarbeitung verwies:

102 Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 2.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

222

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Die Gerichtsorgane dürfen nicht isoliert arbeiten. Die schwere Last unserer gemein­ samen, dunklen Vergangenheit lässt sich nicht ausschließlich auf sie abwälzen und von unseren Gerichten und Staatsanwaltschaften kann man nicht erwarten, dass sie die Traumata der Post-Konflikt Gesellschaften, in denen wir uns befinden, auflösen […]. Es ist außerordentlich wichtig darauf zu verweisen, dass die gerichtliche Wahrheit gewisse Einschränkungen mit sich bringt.103

Jurčević spricht sich sodann auch für eine Wahrheitskommission aus, die komplementär zur juristischen Aufarbeitung ihre gesellschaftliche Wirkung entfalten könnte. Die Arbeit von Gerichten wurde also mit Blick auf Wahrheitsfindung reflektiert. Dass der Wahrheitsbegriff in Tribunalen ein durch Gerichtsverfahren und der Konzentration auf individuelle Schuld beschränkter ist und deswegen ein Gericht kein »größeres Bild« eines vergangenen Geschehens zeichnen kann, gab Wolfgang Schomburg, Berufungsrichter am ICTY, in einer Rede zu bedenken.104 Der Wahrheitsbegriff der Angehörigen von Vermissten wurde ebenfalls thematisiert: nämlich zu wissen, wo die Überreste ihrer Familienmitglieder verblieben sind, um diese dann beerdigen zu können.105 Man betonte den Bedarf an regionalen und öffentlichen Diskussionen über den Umgang mit den Jugoslawienkriegen und mahnte die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen an. Letztlich waren sich alle in Sarajewo darüber einig, dass eine andere Form von Wahrheitsfindung komplementär und auf keinen Fall in Konkurrenz zur juristischen Ahndung gefunden werden müsse. Das International Center for Transitional Justice lieferte bezüglich der Formen den Input. In einem Vortrag erläuterte Mark Freeman »Fakten und Mythen über Wahrheitskommissionen«. Seine Kollegin Caitlin Reiger stellte weitere Mechanismen der Wahrheitsfindung jenseits von Gerichten vor: die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, die jedoch ausgerichtet sind auf die gegenwärtige und nicht auf die vergangene Verbrechensdokumentation, der Zugang zu Archiven, die Arbeit anderer Organisationen wie dem ICMP sowie andere offizielle Untersuchungskommissionen, und auch zivilgesellschaftliche Wahrheitsprojekte, historische Forschung und nicht zuletzt künstlerische Dokumentationen, z. B. Film.106 Rückwirkend wurde diese internationale Konferenz im Mai 2006 in Sara­ jewo von REKOM als erstes Transitional Justice Forum bezeichnet.107 Das 103 Ebd. 104 Schomburg, Wolfgang: The Role of Courts in Establishing the Truth. Conference Address. Sarajevo 05.05.2006, 2. 105 Fond za humanitarno parvo: Konzultativni proces, 3. 106 REKOM: Utvrđivanje istine u post-konfliktnom periodu: Inicijative i perspektive na zapadnom Balkanu. Transkript audio zapisa izlaganja i rasprave. Sarajevo, Hotel Saraj, Bosna i Hercegovina 5. i 6. maj 2006, 15–17. 107 REKOM: I Regionalni forum za tranzicionu pravdu. URL : http://www.recom.link/sr/ inicijative-i-perspektive-na-zapadnom-balkanu/ (am 15.08.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

223

Schlagwort für diese Konferenz war »Wahrheitsfindung«. In welchen institutionellen Formaten (Gerichte und andere Modelle)  und wie darin die Belange von Opfern berücksichtigt werden, waren die Hauptanliegen. Sie wurden verbunden mit der Frage nach bestehenden regionalen Initiativen und der Notwendigkeit regionaler Wahrheitsfindung. Obwohl Transitional Justice weder im Titel noch im Programm Erwähnung fand, war die Konferenz vom Transitional Justice Diskurs geprägt, welcher sich auf institutionelle Lösungen konzentriert. Um Wahrheit, institutionelle Lösungen, Opfer und die Region kreiste also diese erste REKOM Großveranstaltung im Mai 2006 in Sarajewo. 5.2.2 Künstler*innen und Intellektuelle

Nach dieser Großveranstaltung organisierte man 2006 noch ein weiteres, regionales Treffen und zwar in kleiner Runde mit Künstler*innen. Nicht mit Opfern beriefen die REKOM Initiator*innen somit das nachfolgende Treffen ein, sondern mit Künstler*innen und Intellektuellen. In ihren einleitenden Worten auf dem Treffen erläutert Kandić, dass auf dem Sarajewoer Forum im Mai die Frage aufgekommen war, wie Kunst- und Kulturschaffende als wichtige öffentliche Akteure den Umgang mit Vergangenheit beeinflussten und dass diese in den Austausch einbezogen werden müssten, woraufhin der bosnische Theatermacher Haris Pašović eine gesonderte Veranstaltung dafür vorgeschlagen hatte.108 Diese Expert*innen einer alternativen Form der Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Wirklichkeit und ihrer Vergangenheit trafen sich im Dezember 2006 in Belgrad. 27 Regisseur*innen, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, Designer*innen aus Bosnien und Herzegowina, Serbien, Slowenien und dem Kosovo und eine Tänzerin aus Kroatien diskutierten über die Verantwortung von Künstler*innen für Vergangenheitsaufarbeitung.109 Der serbische Dissident und Filmemacher Lazar Stojanović beschreibt auf dem Treffen das Verhältnis zwischen historischer Wahrheitsfindung und Kunst derart: Das Feststellen, Aufdecken und Achten von Fakten ist eine ernsthafte und wertvolle Arbeit, in erster Linie für die Wissenschaft, für Forscher. Künstlern und Philosophen bleibt ein anderer, nicht weniger wichtiger Teil an Verantwortung, die in den Fakten 108 REKOM: Regionalne konsultacije umetnika o nasleđu prošlosti. Transkript razprave. Beograd 16.12.2006. URL : http://www.recom.link/wp-content/uploads/2006/12/Tran​ skript.pdf (am 09.08.2016), 2 f. 109 Der Titel der Veranstaltung lautete »Regionale Konsultationen von Künstlern über das Erbe der Vergangenheit« (Regionalne konsultacije umetnika o nasleđu prošlosti), Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 5.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

224

gründet: das Enthüllen und Veranschaulichen von Täuschungen und Betrug. […] Mir scheint, als wäre der Künstler per Definition eine Petze […].110

Auch Kandić hebt auf die gesellschaftliche Aufgabe der Kunst im Umgang mit Fakten ab: die Kunst bietet den Spiegel, der das Aufdecken des Gegenpols zur Wahrheit  – der Lüge  – ermöglicht.111 Die Künstler*innen und Kulturschaffenden werden zwar hier nicht als Opfer verstanden, dennoch wird in der Diskussion deutlich, wie unmittelbar ihr Leben und Schaffen von den Kriegen geprägt sind, wie es etwa der in Banja Luka wirkende Schauspieler Duško Mazalica beschrieb: »Der Krieg hat bewirkt, dass ich aus dieser Kriegswirklichkeit geflohen bin ins Theater, um mich einfach dort auszudrücken, um meine gesamte Energie auf etwas zu verwenden, das kreativ und positiv ist.«112 Derart wurde das Treffen auch zu einer alternativen Form der Erzählung von Lebensgeschichten der Künstler*innen, die allesamt vom Krieg gezeichnet sind. Die Schlüsse aus diesen Kriegserfahrungen divergieren. Einige Künstler*innen widmen sich ganz der Gegenwart und der Kunst, wie etwa die kroatische Choreografin Tamara Curić: Also, soll ich jetzt meine Energie darauf verschwenden, eine Reaktion auf die Vergangenheit und auf das gesamte politische Erbe zu finden? Oder aber so zu handeln, dass sich der zeitgenössische Tanz in Kroatien und der Region entwickelt, dass Tanzzentren gebaut werden und wir in irgendeine Zukunft weiter gehen, die es den jungen Menschen überhaupt erst ermöglicht, ihre eigene Antwort auf die Vergangenheit zu geben?113

Andere wiederum halten einen Rückzug in die Kunst und das Hinarbeiten auf eine bessere Zukunft allein für problematisch, wie der bosnische Regisseur Dino Mustafić: Also, wir können die Hausfassaden erneuern, wir können neue Autobahnen bauen, wir können den einen die Ausweise annullieren usw. Aber so lange wir nicht diese mentalen Blockaden herunterreißen, so lange wir nicht aufräumen, so lange die einen den anderen nicht sagen, was die einen den anderen angetan haben, was wir gemacht haben, wo die einen die anderen verletzt haben – bis zu diesem Zeitpunkt ist eine Zukunft hier überhaupt nicht möglich. Und deswegen denke ich, dass die künstlerische Verantwortung vorrangig im künstlerischen Mut der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit liegt, in der Konfrontation mit dieser Vergangenheit, und nicht in der Flucht vor dieser Vergangenheit.114 110 111 112 113 114

REKOM: Regionalne konsultacije umetnika, 7. Ebd., 39. Ebd., 48. Ebd., 47. Ebd., 57.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

225

Am Ende sind sich die meisten darüber einig, dass der Drang zur künstlerischen Reflektion der Wirklichkeit auch häufig aus Schmerz oder Unbehagen entsteht und ihre Kunst sowohl eine Artikulation des Schmerzes, als auch eine Suche nach einer besseren Welt oder auch Weltflucht bedeutet. Auf der das Treffen begleitendenden Pressekonferenz reagierten verschiedene Künstler*innen dann ebenfalls vereint auf die Kritik einer Reporterin der Presseagentur »Tanjug«, welche bemängelte, dass sich auf dem Treffen nur Gleichgesinnte austauschten: Das sei kein Problem, denn es ging hierbei darum, an gleichen Werten Interessierte für ein gemeinsames Handeln zu mobilisieren.115 Das eintägige Programm in Belgrad sah auch einen Austausch über einen gemeinsamen kulturellen Raum vor, dessen Zerfall durch die Kriege einige bedauerten, während Kulturschaffende aus dem Kosovo die Existenz eines solchen grundsätzlich in Frage stellten.116 Die kosovarischen Zweifel blieben nur im Transkript der Veranstaltung dokumentiert, mehrere einen regionalen Kulturraum schätzende (und zurücksehnende) Äußerungen wurden gleichwohl in den REKOM Abschlussbericht aufgenommen.117 Eine Unterstützung der regionalen Dimension des REKOM Vorhabens durch die Teilnehmenden sollte wohl über diesen Tagesordnungspunkt gesichert werden. REKOM hat den Künstler*innen einen regionalen Rahmen des Austausches und eine Vision gemeinsamen Handelns entlang antinationalistischer und humanistischer Werte geboten. Das Vorhaben einer Wahrheitskommission wurde allerdings dezidiert nur von einem der Initiatoren des Treffens, Haris Pašović, als wünschenswert thematisiert, was dennoch später als Schlussfolgerung in den REKOM Bericht Eingang fand. Das Vorhaben einer Wahrheitskommission stand aber auch nicht auf der Agenda dieses von REKOM veranstalteten Künstleraustausches unter dem Schlagwort »Verantwortung«, sondern die Veränderung des öffentlichen Raumes und der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf den Umgang mit den Jugoslawienkriegen. Beim Treffen der Künstler*innen ging es somit eher um Erinnerungskultur, denn hier wurde die Verantwortung des Einzelnen für eine Aufarbeitung und eine kritische Reflektion über Vergangenes mit Aspekten der Freiheit und Formen der Sinnproduktion verbunden. Dragović-Soso und Gordy hielten fest, dass das Wirken von Künstler*innen bis dahin zu wenig berücksichtigt worden war: Writers, filmmakers, artists and musicians are already developing new discourses and generating dialogues deployed to understand the past. These have received little 115 Ebd., 37–39. Das Transkript dokumentiert keine weiteren Fragen von anderen Journalist*innen. 116 Ebd., 59–61. 117 Projugoslawisch äußersten sich der kroatische Künstler Maroje Mrduljaš, der Belgrader Theatermacher Nenad Prokić und der Bosnier Haris Pašović, wobei letzter jedoch ebenso an die Repressionen in Jugoslawien erinnerte.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

226

official or international attention because they do not result in reports or convictions. But it is through these interventions that a new generation of political actors unburdened by complicity with the recent regimes will develop an approach to the past.118

Im Jahr 2006 wurden in der Initiative also sowohl der individuelle Umgang mit als auch die staatlichen Instrumentarien von Vergangenheitsaufarbeitung diskutiert. Transitional Justice und Erinnerungskultur, beide Konzepte des Umgangs mit Vergangenheit, prägten so zu Beginn den Austausch. Dass sowohl zahlreiche Individuen wie die Künstler*innen als auch Organisationen REKOM unterstützen, wird im Weiteren zum Paradigma der REKOM Anhängerschaft. In Bezug auf den Raum lässt sich resümierend für die beiden Treffen im Jahr 2006 festhalten, dass beide regional operierten, allerdings waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle postjugoslawischen Länder einbezogen worden. Im Kern fand der Austausch 2006 zwischen Teilnehmenden aus Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo und Kroatien statt.119

5.2.3 Wahrheit

Auch im zweiten Jahr der Konsultationen diskutierte man Vergangenheits­ aufarbeitung in Bezug auf Rechtsprechung und Wahrheitsfindung. Die nächste große internationale Konferenz fand im Februar 2007 unter dem Titel »Wahrheitsfindung über Kriegsverbrechen und Konflikte« in Zagreb statt, bei welcher erneut zirka dreihundert Teilnehmende aus dem postjugoslawischen Raum und von internationalen Organisationen zusammentrafen.120 Der damalige Präsident Kroatiens, Stjepan Mesić, und die Ministerin für »Familien, Veteranen und intergenerationelle Solidarität« (Ministrica obitelji, branitelja i međugeneracijske solidarnosti), Jadranka Kosor, hielten die Eröffnungs118 Dragović-Soso / Gordy: Coming to terms with the past, 209. 119 In Sarajewo kam der überwiegende Teil der Teilnehmenden aus Bosnien und Herzegowina, aus Montenegro waren zwei Medienvertreter*innen, jedoch keine zivilgesellschaftlichen Initiativen zugegen, aus Mazedonien nahm nur der mazedonische Botschafter in BiH und aus Slowenien niemand teil. Der Titel der Sarajewoer Konferenz suggerierte gleichwohl einen noch weiteren Raum: der aus dem EU-Beitrittsdiskurs stammende Begriff des »Westlichen Balkans« umfasste damals alle postjugoslawischen Länder minus Slowenien plus Albanien. Auf der regionalen Zusammenkunft in Belgrad trafen sich Künstler*innen aus Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo und Kroatien. Eine slowenische Schauspielerin war dabei und der Direktor des Mazedonischen Dramentheaters steht auf der Teilnehmerliste, ist jedoch mit keiner Äußerung im Veranstaltungstranskript zu finden. Aus Montenegro war dieses Mal niemand zugegen. 120 REKOM: Utvrđivanje Istine o Ratnim Zlocinima i Sukobima. Dnevni Red. Zagreb 08./09.02.2007. URL: http://www.recom.link/wp-content/uploads/2007/02/Dnevni-red. pdf (am 18.08.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

227

reden. Der Titel der Veranstaltung führte wie zuvor »Wahrheitsfindung« als Schlagwort, dieses Mal fand jedoch bereits eine Einschränkung dessen, worüber »die Wahrheit« ermittelt werden sollte, statt: über Kriegsverbrechen und Konflikte. Verbrechen sind eine juristische Kategorie, die »Wahrheit über Konflikte« zu erörtern klingt nach historischer Forschung hinsichtlich des Kontextes und der Kriegsverantwortung. Vieles setzte sich auf dem zweiten Forum fort, wie es auf dem ersten begonnen hatte, mit besonderem Fokus auf das Gastgeberland. So widmete sich die erste Podiumsdiskussion im Programm erneut den »Mechanismen der Wahrheitsfindung«, dieses Mal unter dem Schlagwort Transitional Justice, welches im Programm 2006 noch keine Benennung erfahren hatte. Mark Freeman vom Internationalen Zentrum für Transitional Justice hielt nun wieder seinen Vortrag über Wahrheitskommissionen.121 Dieses Mal folgten keine weiteren Informationen über alternative Formen der Wahrheitsfindung, was darauf schließen lässt, dass bereits 2007 das Modell der Wahrheitskommission favorisiert wurde. Auch der gerichtlichen Aufarbeitung wurde noch einmal anhand zweier prominent besetzter Podiumsdiskussionen am ersten Tag Tribut gezollt, bei welchen die Chefankläger*innen des ICTY, der kroatischen und bosnisch-herzegowinischen Staatsanwaltschaften und ein serbischer Staatsanwalt für Kriegsverbrechen ihre Reden hielten. Der Wahrheitsbegriff wurde nun öfter mit dem Begriff der »Fakten« kombiniert. Zusätzlich zu den auch auf dem ersten Forum diskutierten Themen erhielt die künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf dem zweiten Forum ein Podium und an einem Abend rahmten ein Konzert und drei Dokumentarfilme über den Krieg das Programm kulturell ein. Eine Neuerung war, dass am zweiten Tag eine Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen des kroatischen Parlaments stattfand, welche sich Vergangenheitsaufarbeitung aus staatlicher und politischer Perspektive widmete.122 Zudem gab es noch eine kurze Sitzung über die Zukunft des ICTY Archives. Ein Vertreter des ICTY und Nataša Kandić wurden bei diesem Programmpunkt vom Historiker Igor Graovac vom Kroatischen Institut für Geschichte moderiert. Graovac hatte in Sarajewo einen Vortrag gehalten, in Zagreb waren Historiker*innen als Vortragende nicht vorgesehen. Es nahmen jedoch meh121 REKOM: Međunarodna konferencija utvrđivanje istine o ratnim zločinima i sukobima. Drugi regionalni forum o tranzicijskoj pravdi. Zagreb 08./09.02.2007a. URL : http:// www.recom.link/wp-content/uploads/2007/02/Transkript.pdf (am 18.08.2016), 12–15. 122 Milorad Pupovac ging vor allem auf die Zusammenarbeit Kroatiens mit dem ICTY und die Bedeutung der Kriegsverbrecherprozesse ein. Gordana Sobol setzte sich für Frauenrechte und eine stärkere Berücksichtigung von Frauenbelangen bei der Vergangenheitsheitsaufarbeitung in Kroatien ein. Sie kritisierte die fehlende Geschlechterdimension in der kroatischen Politik. Vesna Pusić analysierte die bestehenden Gesetze in Kroatien, die die Vergangenheitsaufarbeitung betreffen. Ebd., 132–141.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

228

rere Historiker*innen an den Treffen teil. Der Direktor des damals seit einem Jahr bestehendem Kroatischen Erinnerungs- und Dokumentationszentrums des Heimatkrieges, Ante Nazor, erklärte in einem Kommentar, dass es auch eine Aufgabe seiner Institution sei, eine Opferliste der Republik Kroatien zu erstellen. Nazor polemisierte, dass es angemessener wäre, das Sammeln von Daten den Historiker*innen zu überlassen und die Memoiren der (hier auf den Podien sprechenden) Jurist*innen und Politiker*innen besser als wertvolle Quellen zu behandeln.123 Beim Forum in Zagreb enthielt der Veranstaltungstitel keine räumliche Zuordnung. Nichtsdestotrotz waren in Zagreb zwei Teile für die Diskussion des »regionalen Zugangs« vorgesehen. Allerdings fanden unter dem Schlagwort »Region« in Kroatien zweierlei Ansätze im Programm Platz. Am ersten Tag diskutierten die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen den »regionalen Zugang beim Erzählen der Wahrheit und der Fakten«, womit der postjugoslawische Raum gemeint war. Am zweiten Tag jedoch stellten sich unter der Bezeichnung »Wahrheitsfindung auf regionaler Ebene aus der Opferperspektive« Opferorganisationen aus verschiedenen Regionen Kroatiens vor (Slawonien, der Posavina) und von einer Vereinigung von Kroaten, die aus anderen Ländern vertrieben wurden.124 Während am ersten Tag also die »Region« als transnationale Raumkategorie gebraucht wurde, war mit »Region« am zweiten Tag des Forums der subnationale Bereich gemeint. Eine der neun Podiumsdiskussionen in Zagreb widmete sich den Opfern des kroatischen »Heimatkrieges«. Die Diskussion mit Opfergruppen über Formen der Wahrheitsfindung verdeutlicht die besonderen Herausforderungen, die mit dem Anspruch entstehen, Opfern Raum für ihr Verständnis von Wahrheit zu geben, sodass sich eine nähere Betrachtung der Diskussion in Zagreb lohnt. Gleich am ersten Tag des Forums in Zagreb hatten Opferorganisationen einen Protest vor dem Veranstaltungshotel organisiert, wie Liljana Alvir vom »Verein der Mütter und der Familien der gefangenen und vermissten Verteidiger Vukovars« (Udruga Vukovarske majke, obitelji zatočenih i nestalih hrvatskih branitelja) in ihrer Ansprache berichtete: Ich begrüße alle Anwesenden und die Organisatoren der Versammlung. Ich bin eingeladen etwas aus der Sicht der Opfer zu sagen. […] Ich entschuldige mich im Voraus. Ich gehöre zu dem Teil der Bevölkerung, der nicht professionell zu reden weiß. Ich hoffe, es wird verständlich, was ich sagen werde. Ich werde mich einfach ausdrücken. Und ich hoffe auch – es ist bekannt, dass ich sonst emotional auftrete –, ich werde hier versuchen nicht emotional aufzutreten und bis zum Ende auszusprechen, was gesagt werden muss. Zunächst: ich bin eine von denen, die gestern auf der Seite der Protestierenden war, und ich habe meine Meinung nicht geändert. […] Warum haben 123 Ebd., 148. 124 REKOM: Međunarodna konferencija 2007, 87.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

229

wir protestiert? Wir haben aus dem einfachen Grund protestiert, dass diese Konferenz den Titel »Wahrheitsfindung nach den Konflikten« trägt. […] Allerdings ist es eine Tatsache, dass über Wahrheit diejenigen reden sollten, die Teilnehmende oder Zeugen der Wahrheit waren. Und das sind die kroatischen Verteidiger, die Verbände der Familien von gefallenen Kämpfern, die Verbände ziviler Opfer. Einige wurden eingeladen hier teilzunehmen, aber nur mit der Möglichkeit, dass sie sich melden, einen Kommentar geben oder eine Frage stellen. Das heißt, die Vertreter der kroa­ tischen Institutionen sind berechtigt über die Wahrheit zu sprechen, genauso wie die Vertreter der Gerichte und der Regierung. Allerdings gibt es auch Historiker und viele andere, die bereits fünfzehn Jahre in Kroatien zur Wahrheit arbeiten, doch die sind hier nicht eingeladen worden etwas zu sagen.125

Weitere Spannungen und Frustrationen entluden sich im Laufe der Konferenz insbesondere unter Bezugnahme auf eine Aussage Žarko Puhovskis, an welcher sich die wenigen Vertreter*innen kroatischer Opfergruppen immer wieder abarbeiteten. Puhovski hatte auf einen Diskussionsbeitrag von Ljerka Pavić, der Vorsitzenden der Organisation »Bollwerk der Liebe« (Bedem ­Ljubavi) reagiert. »Bollwerk der Liebe« ist eine Vereinigung von Müttern, die 1991 einen großen Protest initiiert hatten, um alle nichtserbischen Söhne aus der Jugoslawischen Volksarmee zurückzuziehen als der Krieg in Slowenien begann. Während des Krieges hatte die sehr bald von der kroatischen Regierung unterstützte Bewegung humanitäre Hilfe für verwundete kroatische Kämpfer*innen und Flüchtlinge organisiert und seit Kriegsende kümmert sie sich um Veteranen.126 Pavić sagte in einem weiteren Redebeitrag: »Jeden Tag seit 1991 kämpfe ich für den Frieden.«127 Puhovski kommentierte daraufhin die Vorstellung Pavićs als Friedenskämpferin mit dem Satz: »Einige haben ihre Kinder aus einer Armee zurückgezogen und sie dann schnell in die andere geschickt. […] Und das sind sehr ungewöhnliche Friedensstifter und Friedensstifterinnen.«128 Er vertritt die Haltung, dass es nur eine Wahl gab: gegen oder für den Krieg zu sein, egal auf welcher Seite. Die Vertreter*innen der Opferorganisationen entrüsteten sich wiederholt über diese Äußerung und nannten sie eine »Beleidigung« und »Unwahrheit«.129 Sie meinten, für die Freiheit Kroatiens gewesen zu sein, führte durch den Angriff der JVA zur Verteidigung und damit ausweglos zum Krieg. Es war also aus ihrer Sicht nicht möglich sich für Kroatien ohne Krieg zu entscheiden, da sie sich verteidigen mussten. Sie hätten sich aber nicht für den Krieg entschieden, sondern für Kroatien. 125 REKOM: Međunarodna konferencija 2007, 82. 126 Ein früherer Name war »Bewegung der Mütter für den Frieden« (Pokret majki za mir). Ženska Memorija: Bedem ljubavi. URL : http://www.women-war-memory.org/index. php/​hr/povijest/raskol-zenske-scene/74-bedem-ljubavi (am 22.08.2016). 127 REKOM: Međunarodna konferencija 2007, 92–97. 128 Ebd., 22 f. 129 Ebd., 92–97.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

230

Die Entwicklung der REKOM Initiative

In der Diskussionsrunde über die Opferperspektiven gab es zirka fünfzehn Meldungen gleich zu Beginn, welche der Moderatorin Vesna Teršelić einiges abverlangten. Um die Diskussionsatmosphäre eines solchen Austausches zu veranschaulichen, möchte ich hier einen Auszug in Übersetzung wiedergeben: Ljerka Pavić (LP) vom »Bollwerk der Liebe« hatte mit einer längeren Erzählung ihrer Kriegserfahrungen begonnen, worauf Vesna Teršelić (VT) sie bat zum Punkt zu kommen. Daraufhin kritisiert Pavić die Unangemessenheit von Puhovskis Äußerung, um schließlich wieder eine neue Episode erzählen zu wollen. Teršelić unterbricht sie: VT: Sehr viele Leute warten darauf ein Wort zu sagen, deswegen bitte ich Sie, ihnen eine Chance zu geben. LP: Gut. Ich habe historische Daten. Ich habe aktiv an diesen Ereignissen teilgenommen und ich bitte darum, dass meine Seite gehört wird. Also, ich bin nach Knin am 07. Januar 1996 gekommen mit Geschenken für Kinder serbischer Nationalität. VT: Wir können nicht – ich bitte Sie, aber – LP: Ich bitte Sie, und hier sind persönliche Erzählungen und Ereignisse, hier werden persönliche Erfahrungen vorgestellt. Das ist doch so, oder?! VT: So ist es. Aber Andere möchten auch etwas sagen. Es ist sehr wichtig, dass sie dazu Gelegenheit bekommen. LP: Gut. Ich bitte Sie, dass ich nur die Geschichte mit Knin beende. Kann ich nur die Geschichte mit Knin beenden? Ich kann Ihnen aus jeder Stadt eine Geschichte erzählen, was dort passiert ist! VT: Aber hier ist jetzt nicht die Zeit, wo wir das tun können. Denn Andere warten auf das Wort. LP: Nein, nur dass ich Ihnen –. Es wird ein anderes Bild dessen, was passiert ist, entstehen. Ich bin zu einer Großmutter gegangen – VT: Sehen Sie, es gibt unterschiedliche Erfahrungen, es gibt unterschiedliche Standpunkte. Es ist sehr wichtig, dass unterschiedliche Menschen die Gelegenheit bekommen ihre Standpunkte und ihre Erfahrungen zu äußern. LP: Ich weiß. Aber Sie haben diese Konferenz vorbereitet. Gut. Entschuldigen Sie, Sie haben diese ganze Konferenz mit einer gewissen Anzahl von Vortragenden vorbereitet, verstehen Sie, und wir als »Bollwerk der Liebe« sind dabei nicht einbezogen worden. Wir sind aber hierher eingeladen worden. Mein Sohn hat die Mittelschule beendet, ich habe meinem Mann gesagt, wenn die Heimat verteidigt werden muss, dann du. Es ist mir nicht in den Sinn gekommen meinen Sohn zu schicken. Und geschweige denn, die Söhne anderer Mütter. VT: Ich bitte Sie, ich habe Sie nicht – LP: Aber ich höre solch eine Beleidigung, ich bitte Sie. VT: Sehen Sie, ich habe erwähnt – LP: Und niemand reagiert! VT: –, dass das »Bollwerk der Liebe« im Rahmen Ihres gestrigen Vorschlages etwas organisiert – LP: … Mein Sohn hat die Mittelschule beendet, und als er in den Krieg gehen musste, ist der Mann gegangen.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

231

VT: Ich bitte Sie, geben Sie Anderen die Gelegenheit. LP: Und der Sohn in keinster Weise. Nur dass ich die Geschichte mit Knin zu Ende

erzähle. Also, ich bin zu einer Familie gegangen – (Applaus) –. Vielen Dank.130 VT: Ich würde vorschlagen, dass wir noch einen Redebeitrag nehmen, hier einen noch und dann aufhören – Aus dem Publikum: Wollen Sie, dass wir nach Hause gehen? VT: Nein, nein. Sondern, dass wir vereinbaren, dass wir uns nochmal sehen und einen ganzen Tag dem hier widmen. Denn wir können das nicht in fünfzehn Minuten. Das ist das Problem. Ich denke, wir können vereinbaren, dass wir eine halbe Stunde, fünfzehn Minuten verlängern, aber das wird uns nicht die Möglichkeit geben, dass alle reden. Das ist das Problem. Ich möchte diese Diskussion nicht beenden, aber ich sehe wirklich nicht, wir haben nicht ausreichend Zeit für fünfzehn Leute. Es wird nicht alles gesagt werden können, was es zu sagen gibt. Dies ist wirklich das konkrete Problem, was wir haben. Also jemand von dieser Seite. Bitte sehr, mein Herr. Da ist das Mikrofon vor Ihnen. Čedomir Marić: Ich bitte um Entschuldigung. Mein Name ist Čedomir Marić. Ich vertrete die Familien, das heißt den Verein der vermissten Serben aus Kroatien, vor allem in Belgrad. Bei meiner Reise hierher, das muss ich sagen, habe ich eine völlig andere Atmosphäre erwartet. Und ich melde mich deswegen, weil ich enttäuscht bin. Davon, wie seit gestern versucht wird die Atmosphäre im Saal – und insbesondere mit dem heutigen Versuch – die Konferenz total umzulenken. Ich bin hier nicht als Gast gekommen, sondern als Vater, der seinen einzigen Sohn verloren hat. Ich sage ›verloren‹, weil er getötet wurde, er hat keine Waffe getragen. Aber ich werde mich jetzt nicht meinen Gefühlen hingeben, sondern ich werde über meine Teilnahme und meinen Einsatz all diese Zeit reden, um einen Schritt zu gehen, der hier erwähnt wurde. Dank der Internationalen Kommission für Vermisste, des Internationalen Roten Kreuzes haben die Familien sich zusammengefunden und haben versucht diesen Schritt zu gehen. Doch ich muss sagen, wer gestört hat. Gestört haben die Politiker. Und bis zum heutigen Tage sind es diese Störungen, die verhindern, dass wir als Familien einen zweiten Schritt gehen. Der Atmosphäre nach, die hier herrscht, befürchte ich, dass wir diesen zweiten Schritt nicht machen werden, sondern einen Schritt zurück. […] Leider habe ich nicht so einen Eindruck erhalten und ich fahre enttäuscht zurück und ich befürchte, dass wir Opferfamilien, dass wir wirklich das, was wir am meisten erwarten, dass irgendwo im Dunkeln sich ein Anklang von Einfluss spüren lässt –. Wir können nicht über politischen Einfluss reden, also lasst uns versuchen uns von dieser Politik zu befreien.131 130 Die Memoiren von »Bollwerk der Liebe« wurden 2013 vom Erinnerungs- und Dokumentationszentrum des Heimatkrieges veröffentlich als Dokument des Versuches einer friedlichen Lösung der jugoslawischen Krise. Die Edition heißt »Der Ring des Friedens und der Mutterliebe« (Prsten mira i majčinske ljubavi) vgl. Barbarić, Diana: Predstavljena knjiga prve predsjednice udruge Bedem ljubavi. In: Slobodna Dalmacija vom 14.10.2013. 131 Čedomir Marić vertrat den »Verein der Familien von gefallenen und verschwundenen Personen in der Krajina und in Kroatien, Serbien« (Udruženje Porodice poginulih i nestalih lica u Krajini i Hrvatskoj, Srbija).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

232

Die Entwicklung der REKOM Initiative

VT: Und welchen Schritt erwarten Sie? Und was für einen Fortschritt erwarten Sie? ČM: Als allererstes müssen wir als Opfer einen anderen Ansatz für dieses Problem

haben. Viel ehrlicher. Über seine Opfer nicht nur zu reden, sondern die Opfer [aller] zu achten. Wir können nicht die Schlagwörter der einen Seite herabwürdigen und den anderen wiederum zustimmen. Das heißt, wir müssen die Scheinheiligkeit hinter uns lassen. Das ist das, worauf ich hinweisen möchte. Wenn sich das so fortsetzt –. Ich spüre die Atmosphäre –. Ich denke, dann wird es keinen Fortschritt geben. […] VT: Vielen Dank. Es ist sehr wichtig, das Leiden aller zu beachten. Nuna Zvizdić (NGO »Frauen den Frauen« (Žena ženama) Sarajewo): Vesna, Vesna. Kann ich –. Vesna, kann ich etwas vorschlagen, entschuldige, dass ich so reinplatze. VT: Bitte sehr, bitte sehr. NZ: Können wir vom Geplanten abweichen, ungeachtet dessen, was wir geplant haben, denn es ist eine völlig andere Atmosphäre und Dynamik entstanden. Vielleicht ist das hier wichtig? VT: Na, es ist wichtig. NZ: Können wir jetzt mit dem hier weitermachen? Wir können die Pause ausfallen lassen. Das ist der Vorschlag. VT: Na, wir können nicht völlig davon abweichen, aber wir können die Pause kürzen und diejenigen bitten, die auf die nächste Sitzung warten, dass sie sich 15 Minuten gedulden. NZ: Vesna, entschuldige, wir können hier machen, wie wir es wünschen. Nicht wegen der Pause, ich rede nicht über die Pause. Ich rede darüber, was uns wichtig ist, über die ganze Problematik und ich denke, dass wir alle etwas sagen möchten. Wenn Du damit einverstanden wärest, bitte. VT: Haben Sie etwa schon das Mikrofon? Ivan Pandža (»Bezirksverband der Vereine Kroatischer Invaliden des Heimatkrieges der Stadt Zagreb« (Zajednica Županijskih Udruga Hrvatskih Invalida Domovinskog Rata (ZŽU HVIDR) Grada Zagreba)): Hallo –. Ich habe ein Mikrofon ergattert – . Julijana Rosandić (»Verband der Vereine kroatischer, ziviler Verunglückter des Heimatkrieges, Slavonski Brod« (Zajednica udruga hrvatskih civila stradalnika domovinskog rata, Slavonski Brod)): Also, ich bin –. VT: Warten Sie, denn jetzt sind es zwei. JR : Na, ich hoffe, er gibt der Dame den Vorrang. VT: Die Dame bittet um Vorrang. Also erst die Dame, dann –. IP: Das hier ist Krieg, und im Krieg gibt’s keine –. JR : Aber Sie haben gestern schon drei Mal geredet, ich bitte Sie! VT: Ich bitte Sie, Sie können hier nicht so das Wort ergreifen. IP: Ich muss das so! Warum? VT: Ich bitte Sie nur, sich zu gedulden. IP: Ist Žarko Puhovski hier? VT: Ja, aber auch er kommt an die Reihe. Kann die Frau zuerst, und dann Sie? IP: Wahrheit, Wahrheit –. Das Thema Wahrheit haben sie vorgegeben! Das Thema sind nicht die Verunglückten. VT: Auch Sie erhalten das Wort. Erst die Frau, dann Sie. JR : Also, ich bin Julijana Rosandić. Ich vertrete hier die zivilen Opfer des Heimatkrie-

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

233

ges der Republik Kroatien. Eineinhalb Tage höre ich hier brav zu und warte, dass ich zu Wort komme. Ich danke Ihnen für das gezeigte Vertrauen. Zuerst mein aufrichtiges Beileid an Frau Vjera Solar wegen des Mordes an ihrer Tochter. […] Für all diese Familien, […] und die weiteren siebeneinhalbtausend, die es in Kroatien gibt, wenn wir über Zivilisten reden, sie haben weder Bestätigung noch Recht erfahren. Sollen wir hier über Vereine, über Bürgergruppen oder über individuelle Fälle reden? Na, lasst uns damit aufhören Einzelfälle in politische Probleme umzuwandeln. Ich befürchte, dass uns viel mehr die Politik lenkt als unsere Gefühle. […] VT: Es ist sehr laut, wenn Sie etwas leiser könnten. Entschuldigen Sie. Nur eine kurze Antwort von Herrn Aračić und danach dann Herr Pandža. [L. Alvir hatte zuvor eine Frage an den Podiumsteilnehmer Aračić wegen eines Vermissten gerichtet und er beantwortet sie.] IP: Als erstes möchte ich mich für dieses Verhalten entschuldigen, allerdings auch Puhovski, aber auch ich, wir denken, dass der Mensch für die Wahrheit draufgehen sollte. Und damit wir in diesem Falle zur Wahrheit gelangen, müssen wir wissen, warum es zu diesem Leiden, zu diesem Schrecken hier, gekommen ist, und das ist nicht das erste Mal. […] Das heißt, das ist hier das vierte Mal, dass die internationale Gemeinschaft einen neuen Konflikt zwischen uns schürt. 1918, 45 und 90 haben sie uns aus der Region Mitteleuropas in irgendeine Region, wie sie es wünschen, versetzt. Heute wieder. Sie wissen, wo Bulgarien und Rumänien von uns aus bei allem sind. Sie sind in Europa, wir nicht. Wir müssen einer Region angehören, der wir niemals in der Geschichte angehört haben. Das brauchen wir nicht. Wir sind immer ein Teil Europas gewesen, auch jetzt, aber das ist niemandem wichtig, Europa, niemandem. Wir sind Menschen, die Konflikte nicht mögen. Und damit muss ein für alle Mal aufgehört werden. VT: Geht es ein bisschen leiser? IP: Und denkt ja nicht dieses oder jenes. Na, hier steht, lasst uns zur Wahrheit gelangen, den ursprünglichen Namen ändern, aber Wahrheit. Ich bin verunglückt, ich habe ein Bein verloren, aber ich betrachte mich nicht als Kriegsversehrter, ich betrachte mich als Versehrter dieser Haager Wahrheit und des Netzes dieser Leute, denn das ist nicht die Wahrheit. Lasst uns aufzeigen, warum das war, damit es sich nicht wiederholt. Soviel dazu, damit ich nicht mehr rede. Danke. Aber das musste ich so sagen. VT: Danke. (Applaus)132

Ivan Pandža versteht, dass der Applaus ironisch gemeint war und kritisiert dies. Danach ergreifen mehrere weitere Redner*innen das Wort und der Austausch setzt sich noch zirka zwanzig Minuten fort. Diese Diskussion verdeutlicht meines Erachtens Folgendes: Zum einen zeigt sie, wie schwer es manchen Zeitzeug*innen fällt, jenseits des Zeugens von ihren Erfahrungen über das Wie eines Austausches zu reden. Denn um die Formen und Bedürfnisse, die mit einem Dialog verbunden werden, ging 132 REKOM: Međunarodna konferencija 2007, 92–97.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

234

Die Entwicklung der REKOM Initiative

es ja den Organisatoren ursprünglich, ein Zeitzeugenerzählpodium war nicht vorgesehen. Da das Thema der Diskussion aber »Wahrheitsfindung aus der Sicht von Opfern« war, wurde sie zwangsläufig als Einladung zum Erzählen über die Kriegserfahrungen verstanden. Es zeichnet sich auch ab, dass viele Vertreter*innen der Opfergruppen von Benachteiligung und Marginalisierung geprägt sind. Überhaupt sprechen zu können, wird damit schon zu einer Herausforderung. Damit verbunden ist eine hohe protokollarische Sensibilität: wer redet wann, wo, wie lange, auf welcher Sprache? Das Gefühl von Benachteiligung und auch von einer Unfähigkeit sich artikulieren zu können, führt sehr schnell zu Enttäuschungen, aber auch zu Angriffs- und Verteidigungshaltungen, die beinahe willkürlich gegen alles gerichtet werden, sei es gegen die Veranstalter*innen, andere Redner*innen, Förderer, Europa oder die internationale Gemeinschaft. Gerne wird dann auch ein Sündenbock konstruiert, wie hier Žarko Puhovski, auf den dann alles Unbehagen projiziert werden kann. Vertreter*innen von kroatischen Veteranenverbänden forderten häufig das Wort ein. Sie haben in Kroatien die meiste staatliche Unterstützung und Öffentlichkeit unter den Opfervertreter*innen, sprechen aber dennoch auch von Benachteiligung. Im Gegensatz zum öffentlichen Diskurs, wo die Veteranen heroisch als »Verteidiger« [branitelji] agieren, beanspruchten sie in der Diskussion bei REKOM recht unproblematisch die Stimme der Opfer. Politik wird mehrfach als etwas thematisiert, das die Arbeit der Opfergruppen stört, ihre gesellschaftliche Marginalisierung verstärkt oder sie aber für eine bestimmte Sache instrumentalisiert. Deswegen erachten viele Teilnehmer*innen es für wichtig, dass sich die Benachteiligten zusammenschließen und gemeinsam auftreten. Dabei gilt es Opferkonkurrenzen zu überwinden, die sich sowohl entlang von Unterschieden zwischen zivilen und kämpfenden Opfern, zwischen Frauen oder Männern, am wenigstens in dieser Diskussion jedoch entlang nationaler Zugehörigkeiten entsponnen. Ein weiterer Störfaktor sind Gefühle, was zumeist nur en passant thematisiert wird. Diese Gefühle sind vorrangig mit Schmerzen verbunden, welche ein vernünftiges Reden und Auftreten beeinträchtigen können. Die Kontrolle zu verlieren und nicht artikulieren zu können, was man möchte, sind Gefahren, denen man gewachsen sein musste, wenn man hier mitmachen wollte. Mit welcher Hartnäckigkeit die Teilnehmer*innen zeitweise um das Wort kämpfen, kann als Anzeichen dafür verstanden werden, wie sehr ihnen an einem Raum für ihre Stimme gelegen ist. Trotz der hohen Emotionalität und Bedeutung dieser Äußerungsmöglichkeit trat der Großteil der Sprechenden mit Rücksicht und Höflichkeit ans Mikrofon. Ein Teilnehmer verstand allerdings selbst diesen Austausch als einen von außen auferlegten Konflikt und nicht etwa als selbst gestaltbaren Verständigungsraum. Dennoch appellierte auch er letztlich an den Frieden, schien jedoch keine friedlichen Mittel dafür © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

235

zu kennen.133 Dass zu wenig Raum für Opfervertreter*innen im Programm vorgesehen war, hat Unmut gestiftet und der Moderatorin dieser Diskussion viel Verhandlungs- und Beruhigungsarbeit abverlangt. Eine stärkere Berücksichtigung von Opfergruppen und der Erzählbedürfnisse ihrer Vertreter*innen hat sich hier als zwingend für die nächsten Veranstaltungen der Initiative erwiesen. Am Ende der zweitägigen Konferenz in Zagreb betont Nataša Kandić jedoch, wie wichtig es war, dass Politiker*innen teilgenommen haben und es nach einem »etwas herausfordernden Austausch« mit den Opfervertreter*innen eine »sehr ermutigende« Diskussion mit Künstler*innen gegeben habe.134 Kandić verlautbart mit diesen Akzentuierungen, dass ihr an der politischen Wirkung der Initiative und der Beteiligung von Künstler*innen, Intellektuellen und Wissenschaftler*innen mehr liegt als an dem nervenaufzehrenden Austausch mit Opfern. Dennoch schließt sie damit, dass der Dialog fortgesetzt werden müsse und dabei mehr Aufmerksamkeit den Opfervereinigungen gewidmet werden solle. Vesna Teršelić nimmt keine Beurteilung der verschiedenen Teilnehmergruppen vor, sondern betont am Ende, wie wichtig es sei, dass staatliche und nichtstaatliche Akteure der Aufarbeitung zusammenwirkten. Zwei Vertreter*innen von Veteranenvereinigungen kommentieren die Schlussworte in Zagreb und appellieren daran, weiterhin Veteranen einzubeziehen. Auf dem zweiten regionalen Forum der REKOM Initiative bestand somit Einigkeit darüber, dass nur gemeinsam etwas bewirkt werden kann, das »wie« allerdings blieb (auch beim Auftreten der beiden Hauptorganisatorinnen) eine hochsensible und weiter zu bestimmende Aufgabe. Was die Themen des Programms betrifft, bleibt resümierend festzuhalten, dass die Schlagwörter auf dem zweiten Forum im Vergleich zum ersten ausgeweitet geworden waren: Wahrheit, Fakten, Transitional Justice, Gerichte, Region, Opfer, Kunst, Politik, ICTY Archiv. Auch der Begriff »Region« wurde in Zagreb flexibler verwendet, einmal wurde die »Region« als transnationale Raumkategorie gebraucht, ein anderes Mal war damit der subnationale Bereich innerhalb Kroatiens gemeint. Diese Weitung der verwendeten Begrifflichkeiten lässt sich als Prozess interpretieren, der beginnt die aus dem Transitional Justice Diskurs vorgegebenen Kategorien für diese regionale Aufarbeitungsinitiative zu hinterfragen und der anfängt, das Vorgegebene sowohl anzueignen als auch abzuwandeln.

133 Ivor Sokolić verwies darauf, dass für die meisten kroatischen Veteranen der Krieg noch nicht vorbei ist. Sokolić, Ivor: Heroes at the Margins. Veterans, Elites and the Narrative of War. In: Pavlaković / Pauković: Framing the Nation. 143–159, hier 143. 134 REKOM: Međunarodna konferencija 2007, 163 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

236 5.2.4 Jugendliche

Nach diesen Erfahrungen auf dem Forum in Zagreb verwundert es, dass die meisten der darauf folgenden Treffen im Jahr 2007 als Austausch mit Jugendlichen organisiert wurden (fünf von acht Treffen). In Reaktion auf die Kritik der Opfergruppen hätte man eine andere Schwerpunktsetzung erwartet. Anstatt den Vertreter*innen ein Forum zu bieten, die an einer Teilhabe an der Aufarbeitungsinitiative dezidiert Interesse bekundet hatten, widmete man sich 2007 jedoch vielmehr einer sozialen Gruppe, die schwer für Vergangenheitsaufarbeitung zu begeistern war. Die Zusammenkünfte mit »jungen Leuten« (mladi) waren überwiegend national ausgerichtet: In Bosnien und Herzegowina (Juni), in Serbien und in Kroatien (Juli) kamen Jugendliche aus dem gesamten Land zusammen, um über das Erbe der Kriege zu diskutieren. Das erste Treffen in Sarajewo erfuhr allerdings wenig Resonanz, es waren nur elf Vertreter*innen von Jugendorganisationen wie etwa der »Jugendinitiative für Menschenrechte«, den »Jungen Liberalen« oder der »Jugendinformationsagentur BiH« zur Diskussion in Tokačas Forschungs- und Dokumentationszentrum gekommen.135 In seinen einführenden Worten erläutert der Leiter des Zentrums, dass in Vorbereitung auf das kommende dritte regionale Forum beschlossen worden war, noch mehr unterschiedliche Gruppen in den Konsultationsprozess einzubeziehen und dabei setzte man zunächst den Schwerpunkt auf den Austausch mit Jugendorganisationen: Und warum ist das wichtig? Normalerweise nehmen wir Älteren und die Politiker sich das Recht zu verdeutlichen, woran es den Jugendlichen liegt und dann sagen wir, ihr braucht dies und das. Da haben wir gesagt, na, das ist nicht in Ordnung, lasst uns die Sachen umkehren und sie also fragen und ihnen erlauben –. Nein, nicht erlauben, ich entschuldige mich wirklich, das ist nicht richtig. Sondern: ihnen einen Raum schaffen, ihnen einen Raum ermöglichen, in dem ihre Stimme gehört wird. […] Denn, Vergangenheitsaufarbeitung ist im Übrigen eine Last, die sie [die Jugendlichen] tragen, wir [die Älteren] werden diese Last eine kürzere Zeit lang tragen.136

Immer wieder betonten die Repräsentant*innen der Jugendorganisationen in den Treffen, dass sich nur wenige Jugendliche in der Region überhaupt in zivilgesellschaftlichen Gruppen engagierten und die Auseinandersetzung mit den Kriegen ein Thema sei, welches noch weniger junge Menschen interessiere. Dieses Desinteresse läge nicht nur an der Schwere des Themas 135 »Inicijativa mladih za ljudska prava u BiH«, »Mladi liberali BiH«, »Omladinska informativna agencija BiH«  – OIA , vgl. Istraživaćko Dokumentacioni Centar: Nacionalne konsultacije sa mladima o mehanizmima za utvrđivanje i kazivanje istine. Transkript. Sarajevo, Bosna i Hercegovina 27.06.2007. 136 Ebd., 3.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

237

(Auseinandersetzung mit Gewalt und Verantwortung), sondern auch an der Sprache, mit welcher über Geschichtskultur gesprochen werde, und an dem enorm geringen Wissen, das unter der Generation der Nachkriegsgeborenen über die Konflikte herrsche.137 In Kroatien fand im Oktober ein weiterer Austausch mit Jugendlichen in der nahe der Grenze zu Serbien gelegenem Stadt Osijek statt. Ebenfalls im Oktober kamen dann Jugendliche aus allen Ländern zu einem gemeinsamen, regionalen Treffen in Belgrad zusammen. Daran nahmen neben Vertreter*innen von Jugendorganisationen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien, Montenegro und Kosovo auch Aktivist*innen aus Slowenien und Mazedonien teil.138 Insgesamt zeichnet die Diskussionen ein recht kritisches Bewusstsein der Einflussmöglichkeiten der Jugendlichen aus, das aber häufig in ein »jetzt erst recht« und »wer, wenn nicht wir?!« gekehrt wird.139 Die Kooperation mit anderen Jugendlichen in der Region bot auch dieser Gruppe die Perspektive, ihre marginale gesellschaftliche Position zu überwinden. Eine institutionalisierte Zusammenarbeit würde es ermöglichen »aus diesem Untergrund herauszutreten«, wie es ein Vertreter der serbischen Studentenunion formulierte.140 Auch die Isolation der jungen Generation von anderen in der Region müsse überwunden werden, indem Reisen und Begegnungen gefördert werden sollten.141 Nicht zuletzt verwiesen viele Jugendvertreter*innen darauf, eine eigene Position der Jugendlichen zu unterstützen, um das Wissen, was in der Familie und in Freundeskreisen über die Kriege verbreitet werde, kritisch zu hinterfragen.142 Vertreter*innen aus dem Kosovo mahnten die Brisanz von Vergangenheitsaufarbeitung, insbesondere im Norden Kosovos an, wo – so Agon Maliqi von der »Youth Initiative for Human Rights Kosovo« – der Konflikt (noch) nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart sei und es in erster Linie um Konfliktvermeidung denn um Konfliktaufarbeitung gehen könne.143 Da außer 137 REKOM: Nacionalne konsultacije mladih o mehanizmima za utvrđivanje i kazivanje istine. Transkript. Beograd 08.07.2007, 10 f. 138 REKOM: Regionalne konsultacije sa organizacijama mladih o instrumentima i inicijativama za utvrđivanje i kazivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji. Transkript. Beograd 21.10.2007. 139 Dan Špicer, Vorsitzender des »Jugendforums der SDP Kroatiens« (Forum mladih SDP-a, Hrvatska). REKOM: Nacionalne konzultacije s organizacijama mladih o suočavanju s prošlošću. Transkript. Zagreb 20.07.2007, 10 f. 140 Ebd. 38. 141 REKOM: Konzultacije sa organizacijama mladih o suočavanju s prošlošću. Preporuke. Osijek 08.10.2007, 2. 142 REKOM: Nacionalne konzultacije s organizacijama mladih, Zagreb 2007, 16 f. 143 REKOM: Regionalne konsultacije sa organizacijama mladih o instrumentima i inicijativama za utvrđivanje i kazivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji. Tran­ skript. Beograd 21.10.2007, 31.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

238

Die Entwicklung der REKOM Initiative

dem subjektiven Wissen der Eltern und Bekannten und dem häufig einseitig präsentierten Geschichten in den Medien der Region wenig Informationen über die Kriege in den Schulen vermittelt werde, sehen viele Vertreter*innen der Jugendorganisationen es als die Aufgabe der NGOs, sich für historische Bildung zu engagieren, entweder in Zusammenarbeit mit Schulen oder als alternative Bildungsangebote, die kreativ gestaltet werden müssten.144 Wieder wurde eine neue gesellschaftliche Gruppe in den Konsultationsprozess einbezogen. Nachdem es 2006 Künstler*innen waren, richtete sich 2007 die Aufmerksamkeit auf Jugendliche, obwohl gleich zu Beginn des Jahres Opfervertreter*innen mehr Teilhabe bei REKOM eingefordert hatten. Es scheint, als arbeitete man sich in der Initiative von den weniger offensichtlich von den Kriegen Geschädigten zu den wirklich Betroffenen vor. Anhand dieser Ausweitung der Zielgruppen auf Menschen, die nicht als die herkömmlichen Akteure historischer Aufklärungsarbeit verstanden werden, lässt sich meines Erachtens bereits erkennen, dass es bei der REKOM Initiative um mehr geht als um Vergangenheitsaufarbeitung. Es geht hier darum, den Austausch innerhalb der Gesellschaften des postjugoslawischen Raumes möglichst breit voranzutreiben. Weitere regionale Zusammenkünfte über Vergangenheitsaufarbeitung im postjugoslawischen Kontext fanden im Herbst mit Journalist*innen in Sarajewo und mit Menschenrechtsorganisationen in Belgrad statt. Dass sich nun ein Treffen allein den Medienvertreter*innen aus der Region widmete, blieb zunächst eine Ausnahme. 5.2.5 Opfer

Erst im Jahr 2008 erhielten die Belange der Opfergruppen größeres Gewicht in den Aktivitäten der Initiative. Das äußerte sich zunächst auf der Großveranstaltung unter dem Titel »Drittes regionales Forum über Mechanismen zur Feststellung der Fakten über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien« (Treći regionalni forum o mehanizmima za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji), die man im Februar 2008 in Belgrad mit verschiedenen Neuerungen abhielt, welche den Austausch mit Opfervertreter*innen voranbrachten. Der Begriff »Forum« für dieses Treffen war keine Makulatur, sondern schlug sich tatsächlich in der Gestaltung der Zusammenkunft nieder: Nur am ersten Vormittag fanden Präsentationen statt, der Rest des zweitägigen Treffens war dem Austausch in Arbeitsgruppen gewidmet, die in einer Plenardebatte zusammengeführt werden sollten. Während die erste Großveranstaltung 2006 den sehr weiten und durch die EU geprägten Raumbegriff des »Westlichen Balkans« verwendete und 144 REKOM: Nacionalne konzultacije s organizacijama mladih, Zagreb 2007, 2.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

239

man 2007 auf eine räumliche Kategorie im Titel verzichtete, bezog sich das dritte von REKOM organisierte Forum im Jahr 2008 nun auf das »ehemalige Jugoslawien«. Nach einer weiter gefassten räumlichen Kategorie in der ersten Großveranstaltung und einer unentschiedenen in der zweiten benannte nun das dritte Forum konkret den gesamten einstigen jugoslawischen Raum als Wirkungsradius der Initiative. Im Titel der Veranstaltung wurde der Wahrheitsbegriff durch den der Fakten ersetzt, geblieben ist das Untersuchungsobjekt: wie im zweiten regionalen Forum soll es um die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen gehen. Weitere protokollarische Änderungen fallen ins Auge: das erste Panel in Belgrad widmete sich nicht mehr, wie in den beiden Großveranstaltungen zuvor, der juristischen Aufarbeitung, sondern stellte die konkrete Arbeit zweier zivilgesellschaftlicher Dokumentationsprojekte aus der Region vor: die Opferliste des Bosnienkrieges, welche vom Sarajewoer Forschungs- und Dokumentationszentrum erarbeitet wurde, und die Dokumentation der Opfer des Kosovokonfliktes, welche vom Belgrader Menschenrechtsfond begonnen werden sollte. Die eigenen Forschungserfahrungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens und die zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsleistungen erhielten somit nun den Vorrang vor der Präsentation von Beispielen aus der südafrikanischen und peruanischen Wahrheitskommission. Der juristischen Aufarbeitung widmete sich dieses Mal kein einziger Teil der Veranstaltung, es waren jedoch zahlreiche Jurist*innen als Teilnehmer*innen zugegen.145 Mirsad Tokača tritt in seinen Grußworten kämpferisch auf. Zu Beginn des Jahres 2008 war er noch fest entschlossen, den REKOM Prozess gegen nicht weiter benannte Widerstände fortzusetzen: Wir denken nicht daran, mit diesem dritten Forum aufzuhören. Wir werden weiter gehen. Wir werden arbeiten. Wir werden mit denen arbeiten, die das hier etwas angeht: vor allem mit Opfern, mit Vereinen, aber wir werden auch mit anderen Schichten der Gesellschaft arbeiten, mit Leuten, die dabei helfen können, dass der Teil an bürgerlicher Verantwortung, den wir tragen, in einem Moment einer vollkommen anderen Atmosphäre, einer demokratischen, einer Atmosphäre der hoch entwickelten Standards der Menschenrechte auf die staatlichen Institutionen übertragen wird, sodass auf der Ebene der Staaten begonnen wird sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Ich denke, dass es uns wichtig ist, dass wir das tun, ungeachtet aller Hindernisse, denen wir begegnen, ungeachtet aller Behinderungen, und auch vieler Gefahren.146 145 REKOM: List ucesnika. 3. Regionalni Forum. Beograd 11.–12.02.2008. URL: http://www. recom.link/wp-content/uploads/2008/02/Lista-ucesnika.pdf (am 23.09.2016). 146 REKOM: Treći regionalni forum o mehanizmima za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji. Transkript. Beograd 11.–12.02.2008, 8.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

240

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Thematisch kreiste die dritte Großveranstaltung der REKOM Initiative um die Begriffe »Opfer«, »Region« und »Fakten«. Der Wahrheitsbegriff ist aus den Überschriften der Panel und Diskussionsgruppen verschwunden und taucht nur noch einmal bei der von Mirsad Tokača moderierten Arbeitsgruppe auf: »Ein positives Klima für die Wahrheitsfindung und zur Verhinderung von erneuten Kriegsverbrechen schaffen«.147 Bei diesem Austausch über die öffentliche und gesellschaftliche Atmosphäre für die Aufarbeitung von Verbrechen wird den Medien eine wichtige Rolle attestiert, viele Journalist*innen sind auch als Teilnehmer*innen zugegen. In Tokačas Arbeitsgruppe betonte der Moderator erneut, wieviel er durch die regionale Zusammenarbeit gelernt habe und dass diese auch weiter ihren Wert haben werde, auch wenn die Regierungen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens dabei nicht mitmachen werden, was er für wahrscheinlich hielt.148 Im Transkript der Veranstaltung vom zweiten Tag ist keine Wortmeldung Tokačas mehr zu finden. Parallel zur erwähnten Arbeitsgruppe von Tokača leitete Vesna Teršelić wieder den Austausch über die »Bedürfnisse und Erwartungen der Opfer«, welcher mit rund achtzig Teilnehmenden enormen Zuspruch fand.149 Erneut hob man in dieser »Arbeitsgruppe« hervor, wie wichtig es sei nicht nur Vertreter*innen ziviler Opfergruppen, Angehörige von Vermissten, von ethnischen Minderheiten oder Lagerinsassen einzubeziehen, sondern dass auch Veteranen wichtige Gestalter des Aufarbeitungsprozesses seien.150 Nataša Kandić moderierte die Arbeitsgruppe über den regionalen Ansatz der Zusammenarbeit, in welcher mit Jurist*innen, Vertreter*innen von NGOs und von politischen Parteien über Wahrheitskommissionen diskutiert wurde. Auch anhand dieses Programmpunktes wird deutlich, dass man sich entgegen der Selbsthistorisierung der Initiative bereits früher als im Jahr 2009 konkret mit dem Modell der Wahrheitskommission als Ziel auseinandersetzte. Eine wichtige Neuerung bedeutete die Anhörung von Opfererzählungen in Form einer Wahrheitskommissionssitzung am zweiten Vormittag. Kroa­ tische, serbische und bosniakische Überlebende aus Bosnien und Herzegowina, Serb*innen und Albaner*innen aus dem Kosovo, kroatische und serbische Opfer aus Kroatien und ein Montenegriner, der bosniakische Flüchtlinge in Montenegro vor der Auslieferung an die bosnischen Serb*innen gerettet hatte, zeugten von ihren Kriegserlebnissen auf einem Podium in Belgrad.151 ­Sudbin Musić gehörte zu diesen Zeitzeugen und wie eine solche Erzählung 147 »III Radionica: Stvaranje pozitivne klime za utvrđivanje istine i sprečavanje ponavljanja ratnih zločina«. Ebd., 2. 148 Ebd., 104. 149 Ebd., 30. 150 Ebd., 52 f. 151 Javno Slušanje Žrtava. DVD 1: Miško Deverdžić, Mirko Kovačić, Marija Večerina, Obren Vitor, Bekim Gashi, K-41; DVD 2 (defekt): Đukan Pjevač, Sudbin Musić, Zlata Jurela,

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

241

abläuft, habe ich im dritten Kapitel vorgestellt. Mehrere Medien berichteten über diese »dramatischen Zeugenberichte der Opfer«.152 Alle Aussagen wurden aufgenom­men und sind zum Großteil auf der REKOM Webseite nachhörbar.153 Kandić betont, dass diese Dokumentation wichtiger Bestandteil des Prozesses sei: Jeder Name, der heute ausgesprochen wird, wird aufgezeichnet – auch wenn er weder vor einem Gericht noch vor einer staatlichen Körperschaft geäußert wurde. Einfach: das, was jemand als Teil seines Lebens ausspricht, kann derart niemand mehr auslöschen.154

Das Ziel, den Stimmen der Opfer einen öffentlichen Raum zu geben, der außerhalb von Gerichten Gewicht hat, wurde im Februar 2008 in Belgrad nun erprobt. Allerdings herrschte nach mehreren Stunden Anhören der Gewaltgeschichten eine derartige Betroffenheit, dass sich die Organisator*innen entschieden, dann doch keine Plenardebatte mehr zu führen. Kandić erklärte, wie schwierig es sei, noch irgendetwas zu sagen, »[…] wenn man all diese Geschichten stundenlang darüber hört, was sich 1991, 1992, 1995, 1999 abgespielt hat. Schwierig ist es dann mit Vorschlägen und Ideen zu kommen.«155 Und so stellten am Ende der dritten regionalen Großveranstaltung der R ­ EKOM Initiative nur noch Nataša Kandić und Vesna Teršelić die Zusammenfassungen der von ihnen moderierten Arbeitsgruppen vor. Mirsad Tokača scheint nicht mehr anwesend gewesen zu sein, denn er berichtet nicht aus seiner Gruppe und wird auch nicht in den Abschlussworten der Organisator*innen des Forums erwähnt. Ausschließlich den Opfern widmete sich die zweite Veranstaltung des Jahres 2008. Ein Großteil der Teilnehmenden waren Veteranen oder Angehörige von gefallenen und vermissten Soldaten, auch zahlreiche Vertreter*innen von zivilen Opfergruppen nahmen teil. Sie fand am Europatag, dem 9. Mai, in Podgorica statt. Nach Montenegro waren dieses Mal auch Vertreter*innen einer slowenischen, mazedonischen sowie einer Romaorganisation gekommen, zahlreiche Anwesende nahmen als individuelle Gewaltopfer teil. Die 66  Teilnehmenden sprachen der Initiative große Unterstützung aus. Viele Teilnehmer*innen hatten weitreichende Erfahrungen als Vertreter*innen

152

153 154 155

Slobodan Pejović, Jusuf Trbić, Đojo Krstić, Smail Duraković, im Archiv d. Vf., vgl. Anhang 1 »Opfererzählungen während der REKOM Treffen«. Cerovina, Jelena: Dramatična svedočenja žrtava. In: Politika vom 13.02.2008; Roknić, Aleksandar: Mapa ratnih zločina velika kao bivša SFRJ. In: Danas vom 13.02.2008; Bojović, Želimir: Sve žrtve zločina isto osećaju. In: Radio Slobodna Evropa vom 13.02.2008. REKOM: Glas žrtava. URL : http://recom.link/sr/category/glas-zrtava-sr/page/11/ (am 17.04.2019). REKOM: Treći regionalni forum. Transkript, 107 f. Ebd., 106.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

242

Die Entwicklung der REKOM Initiative

ihrer Opferorganisationen gesammelt und waren gekommen, um voneinan­ der zu lernen, aber auch, um miteinander gestärkt aufzutreten. Olgica Božanić zum Beispiel vom »Verein für die Familien entführter und verschwundener Personen aus Kosovo und Metochien, Serbien« (Udruženje porodica kidnapovanih i nestalih lica na Kosovu i Metohiji, Srbija) hatte konkrete Vorschläge mitgebracht, bei welcher sie sich auf ihre Erfahrungen mit dem »Rat für regionale Zusammenarbeit bei der Suche nach Vermissten« bezog: […] genauso, wie wir uns mit Hilfe und Unterstützung des ICMP im Rat für regionale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zusammengefunden haben, welcher alle Vereine, außer den albanischen, die sich noch nicht geäußert haben, versammelt –. Wir haben ein Dokument mit Hinweisen und Verhaltensregeln unterschrieben und uns damit verpflichtet bei der Arbeit dieses Exekutivrates und am Koordinationsgremium teilzunehmen. Der Exekutivrat ist das höher gestellte Organ und setzt sich aus je zwei Vertreter*innen aus jedem Volk der Region zusammen. Und das Koordinationsgremium umfasst fünf plus fünf plus fünf. Bis jetzt haben wir ziemlich viel davon gemeinsam bewerkstelligt, mit der Unterstützung des ICMP und ihren Moderatoren und Vortragenden. Alleine haben wir es geschafft, dass wir drei regionale Konferenzen organisieren, wir haben Regierungsvertreter und von NGOs eingeladen, es gibt wirklich ausreichend Erfahrung und ich wollte nur gesagt haben, dass dies eine gute Art und Weise ist, wie wir uns für die zukünftige Arbeit organisieren können, dass wir uns für etwas verpflichten mit einem Dokument, sodass wir auch das machen, was wir heute besprochen und dem mit Kopfnicken zugestimmt haben, dass wir das unterstützen.156

REKOM war also nicht die erste und einzige Initiative auf dem Gebiet des ehe-

maligen Jugoslawiens, bei der Opfergruppen aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiteten. Auf diese bosnisch-kroatische-serbische Kooperation bei der Suche nach Vermissten unter der Führung der International Commission for Missing Persons (ICMP) hatten auch schon andere Teilnehmende zuvor auf dem Belgrader Forum im Februar verwiesen. Wieder andere nahmen gerade schlechte Erfahrungen mit ähnlichen Kooperationen zum Anlass, REKOM als »Lessons Learnt« voranzutreiben. So betonte Mirsad Tokača hier: […] genau wegen der Fehler, die vorher gemacht wurden: in Bosnien und Serbien wurden beim Gründen verschiedener Körperschaften die Menschen, Bürger, Vereine nicht gefragt, nach nichts. Wir wollen das nicht so machen und wir denken, dass es falsch ist, es so zu tun. Wir wollen hören, was die Menschen denken, eure Vorschläge hören und dass wir alle dabei mitmachen.157

156 REKOM: Regionalne konsultacije sa udruženjima žrtava, žrtvama i veteranima o načinima utvrđivanja i kazivanja činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji. Transkript. Podgorica, Crna Gora 09.05.2008, 66 f. 157 Ebd., 30.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

243

Dobrinka Trifković von dem »Verein der Familien gefangener und gefallener Kämpfer und Zivilisten der Republika Srpska  – Gemeindeorganisation Bijeljina, BiH« (Udruženje porodica zarobljenih i poginulih boraca i civila Republike Srpske – Opštinska organizacija Bijeljina, BiH) ist aufgrund ihrer Beteiligung am Versuch des Internationalen Roten Kreuzes, von 1996 bis 1998 verschiedene Opfergruppen zur Zusammenarbeit in der ostbosnischen Stadt zu bewegen, skeptisch. […] sehr schön haben wir erzählt und uns geeinigt und alle haben wir gedacht, dass alles in Ordnung sein wird. Aber nachdem wir aus den Treffen gegangen waren, hat jeder seins gemacht. Ich begrüße diese Versammlung hier und diese Organisation, die geschaffen werden muss. Aber als erstes schlage ich vor, dass wir uns in unseren Vereinen und Organisationen umschauen und sehen, wie unsere Umgebung darauf reagieren wird.158

Štefica Krstić vom »Bund der Opfer des Heimatkrieges in Kroatien« (Udruga žrtve domovinskog rata, Hrvatska) äußerte aufgrund ihrer Erfahrungen mit Behörden Bedenken gegenüber dem Format einer Kommission. Denn bei solch einer staatlichen Institution denke sie zuerst an Manipulation.159 Die Befürchtung, politisch instrumentalisiert zu werden, teilten viele Opfervertreter*innen. Narcis Mišanović von der »Kämpfervereinigung Bosnien und Herzegowinas« (Jedinstvena organizacija boraca BiH) aus Sarajewo meinte, dass gegen diese Gefahr derart vorgebeugt werden kann: In dieser Kommission müssen die Opfer, die Familien der Opfer, das Hauptwort führen. Ich sehe keine Mutter oder Schwester oder Ehefrau, die für was auch immer welches Geld die Wahrheit verkaufen würde, um zu erfahren, wo sich wer befindet. Jeder andere, der das machen würde, würde zu Manipulationen beitragen und dass man ihn bezahlt, um die Arbeit der Kommission zu behindern. Nur Opfer mit ihren reinen Herzen sollten dort arbeiten und das kann nicht falsch sein. Natürlich muss dabei auch irgendeine Anzahl Mitglieder von außen dabei sein, Experten und so weiter. Hauptsache, dass in dieser Kommission die Opfer das Wort haben, und ihre Familien.160

Der bosnische Veteran fordert danach auch ein klares Arbeitsprogramm, Richtlinien und eine klare Zielsetzung, »damit wir uns nicht verrennen«.161 Seiner Vorstellung nach müsste die Kommission die volle Unterstützung des Staates auf allen administrativen Ebenen haben, sodass schnell und qualita­tiv

158 Ebd. 51. 159 Ebd., 37–39. 160 Ebd., 36. 161 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

244

Die Entwicklung der REKOM Initiative

hochwertig gearbeitet werden kann. Das klingt, als sollte die Wahrheitskommission nicht nur die Vergangenheit aufarbeiten, sondern auch die gegenwärtigen Probleme der korrupten, langsamen und durch die ethnische Dreifachbespielung aufgeblähten bosnischen Staatsorgane lösen. Aber es ging ja bei diesem Austausch auch um die Bedürfnisse der Anwesenden. Die lähmende Bürokratie, Korruption und die politische Instrumentalisierung von Opfervertreter*innen gehören zu ihren aktuellen Problemen, die sich nicht nur auf die Vergangenheitspolitik beziehen und somit hier thematisiert werden. Viele der albanischen Teilnehmer*innen aus dem Kosovo sprechen in Podogorica als Individuen zunächst Mitgefühl allen Geschädigten aus, um dann ihre Unterstützung für die regionale Zusammenarbeit sowie ihre Dankbarkeit insbesondere an Nataša Kandić stellvertretend für die Arbeit des Menschenrechtsfonds im Kosovo für die rechtliche Begleitung ihrer Fälle vor den Gerichten zu verlautbaren. So auch Enver Duriqi, dessen Familienangehörige zusammen mit denen der Bogujevci Familie in Podujeva ermordet wurden. Einige legen bei der Opferzusammenkunft bei REKOM auch Zeugnis ihrer Gewalterfahrungen ab, wie etwa Osman Jashari, der über die Massaker in drei kosovarischen Dörfern 1999 berichtete.162 Zdravka Karlica von der »Gemeindeorganisation der Familien gefangener und gefallener Kämpfer und verschwundener Zivilisten Prijedor, BiH« (Opštinska organizacija porodica zarobljenih i poginulih boraca i nestalih civila Prijedor, BiH) drängte dazu, keine Zeit zu verlieren: Ich unterstütze diese Kommission. Ich denke, das haben wir schon längst gebraucht, viele Zeitzeugen sind leider nicht mehr unter den Lebenden. Andere sind weggezogen. Es freut mich, dass wir aus allen Landen hier sind. Das hätte ich wirklich niemals gedacht, dass wir uns heute an einem Ort zusammenfinden würden. Ich schlage vor, dass wir so schnell wie möglich mit der Arbeit dieser Kommission beginnen und dass wir heute unsere Vorschläge geben, auf welche Art und Weise wir das organisieren. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen zu ihrer Wahrheit über ihre Gefallenen kommen. Das sind alles erschütternde Geschichten und ich denke, dass jedes Mal, wenn wir uns treffen, wir erst einmal eine Beruhigungstablette nehmen sollten. Ich bin wirklich erschüttert von dem, was den Menschen passiert ist.163

Die Vertreterin einer serbischen Opferorganisation aus Prijedor sagte 2015 im Haager Prozess des Generals der bosnischen Serben, Ratko Mladić, für seine Verteidigung aus, da sie viele Informationen ihres Mannes Zoran Karlica besaß, der auf der Seite der bosnischen Serben in der Gemeinde Prijedor ge-

162 Die Dörfer waren Slovinje / Sllovi, Mali Ribare / R ibar i Vogël und Mali Alaš / Hallaqi Vogël. Ebd., 58. 163 Ebd., 36.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

245

kämpft hatte und gefallen war.164 Dabei berichtete sie, dass sie nichts von Verbrechen an Muslim*innen und anderen Nicht-Serb*innen in der Gemeinde Prijedor wusste, bis zu einem Treffen mit anderen Opferorganisationen, bei welchem sie davon erfuhr, was für sie ein Schock gewesen sei.165 Das könnte das Treffen von Opfern aus verschiedenen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens im Mai 2008 bei REKOM gewesen sein. Karlica ist ein Beispiel für eine Vertreterin einer bosnisch-serbischen Opferorganisation, welche sowohl die Angehörigen von gefallenen und in Lagern internierten Kämpfer als auch vermisste zivile Opfer vertritt. Sie setzt sich als Opfervertreterin vor Gericht für die Verteidigung der Täter ein, leugnet die Verbrechen an Nicht-Serb*innen (bewusst oder unbewusst) und sucht dennoch den Dialog mit anderen Opfern. Ausgehend vom juristischen Kriterium der Schuld, das für die Beurteilung dessen, ob jemand ein Täter oder ein Opfer war, herangezogen wird, lässt sich ein solches Opferverständnis kaum rekonstruieren. Opfervertreter*innen sind somit häufig Angehörige von Kämpfer*innen, die gefallen sind oder vermisst werden, aber auch ehemalige Soldat*innen selbst, die durch den Krieg geschädigt sind, oder auch Soldat*innen, die in Lagern gequält wurden. Veteranen machen eine wichtige Interessengruppe in der Vergangenheitsaufarbeitung aus. Zu berücksichtigen ist hier, dass das Kämpfen gegen organsierte und gekennzeichnete gegnerische Kampfverbände Teil der traditionellen Kriegsführung ist. Kampfhandlungen, das inkludiert das Töten von kenntlich gemachten Mitgliedern gegnerischer Truppen, sind keine Verbrechen, sondern Teil des Krieges. Dennoch werden die Kriegsausführenden häufig nach dem Konflikt pauschal als Täter*innen stigmatisiert. Dabei wird vernachlässigt, dass Veteranten Kriegshandlungen begangen haben, aber nicht zwangsläufig auch Kriegsverbrechen. Deswegen beanspruchen Veteranen und deren Angehörige genauso den Opferstatus wie zivile Kriegsgeschädigte, Angehörige von vermissten Zivilist*innen oder auch Zivilist*innen, die in Lagern gefoltert wurden.166 Zusammenfassend lässt sich für die erste Zusammenkunft von Veteranen, zivilen Opfern und ihren Familienangehörigen im Mai 2008 im Rahmen von REKOM in Podgorica festhalten, dass mit REKOM die Hoffnungen verbunden wurden, anhand eines regionalen Zusammenschlusses auf bisherige gute wie schlechte Erfahrungen in einem veränderten, größeren Kontext als zuvor aufzubauen. Zu diesen Erfahrungen gehören nicht nur staatliche Auf164 Nach dem Krieg wurde ein Platz in Prijedor nach Zoran Karlica benannt. Sense Tribunal: Kada su i zašto muslimani napustili Prijedor? URL : http://www.sense-agency.com/ tribunal_(mksj)/kada-su-i-zasto-muslimani-napustili-prijedor.25.html?news_id=16354 (am 08.03.2017). 165 Ebd. 166 Ich danke Cindy Wittke für die Beratung zu diesem Absatz.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

246

Die Entwicklung der REKOM Initiative

arbeitungsprojekte, sondern auch die Beteiligung an vom Internationalen Roten Kreuz oder dem ICMP organisierten Kooperationen, aus denen die Opfergruppenrepräsentant*innen konkrete Vorschläge für die Gestaltung der Zusammenarbeit mitbrachten. Der weitere Austausch mit Opfern und anderen Interessierten konzentrierte sich im Jahr 2008 auf dem nationalen Niveau (sieben von elf Treffen). Allerdings gab es 2008 keinerlei Veranstaltungen in Bosnien und Herzegowina, was auf Schwierigkeiten der Initiative in diesem Land verweist. 2007 hatten die landesweiten Zusammenkünfte der REKOM Initiative in Kroatien, Serbien und Bosnien stattgefunden. 2008 wurden auch Treffen in Montenegro und dem Kosovo abgehalten. Im Juni 2008 in Mitrovica wurde das Projekt der regionalen Wahrheitskommission zum ersten Mal im damals erst seit kurzem unabhängigen Kosovo vorgestellt.167 An einem Sommernachmittag fanden sich rund vierzig Vertreter*innen serbischer und albanischer Organisationen aus dem Kosovo mit anderen Menschenrechts- und Opfervertreter*innen aus dem ehemaligen Jugoslawien zusammen. In Mitrovica diskutierte man insbesondere die gerichtliche Aufarbeitung. Viele überwiegend männliche Opfervertreter aus dem Kosovo betonten, wie wichtig es neun Jahre nach dem Konflikt sei, zunächst die Täter vor Gericht zu bringen und die Suche nach Vermissten voranzutreiben. Der zeitliche Abstand zum Konflikt ist im Falle Kosovos noch sehr kurz, was die Diskussionsatmosphäre beeinflusste. Wenn dabei eine regionale Kommission helfen könne, sei das umso besser, sie habe aber keine Priorität.168 Es wurde ein weiteres Treffen allein für kosovarische Organisationen und Interessierte im Herbst vereinbart, um den Austausch fortzusetzen. Auch auf den folgenden regionalen und nationalen Versammlungen im Kosovo problematisierten die Teilnehmenden wiederholt, dass ein regionaler, außerjuristischer Aufarbeitungsansatz für den jüngsten postjugoslawischen Staat verfrüht sei. Und nicht nur der Zeitpunkt für einen derartigen Ansatz war für Kosovo unpassend, auch die Herangehensweise an den Austausch war suboptimal. Nora Ahmetaj von der kosovarischen NGO »Centre for Research, Documentation and Publication« (CRDP) kritisierte im Rückblick den von ihr mitorganisierten Konsultationsprozess im Kosovo: The idea was very bottom-up and looking back, five years now, how it was, I think the way of setting up a Truth Commission to the delegates and members of families of vic167 Die ehemalige serbische Provinz Kosovo erklärte sich am 17.02.2008 von Serbien unabhängig, was von Serbien nicht anerkannt wird. Etwas mehr als die Hälfte der Länder der VN haben die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt. 168 REKOM: Regionalne konsultacije sa žrtvama, mladima, novinarima i organizacijama za ljudska prava o Regionalnoj komisiji za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji. Transkript. Mitrovica 26.06.2008.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

247

tims at that time was doing harm to ourselves. It was the wrong approach. We should have done it differently. We should have not provided the participants with very low level of education, with lots of emotions, undealt emotions, with kind of papers about what the truth commissions are. Papers that hardly a PhD student would understand. […] The material was totally wrong. And that scared a lot, many people.169

Eine technokratische, abstrakte Sprache über Mechanismen der Erinnerungskultur schreckte viele Betroffene, die häufig einen niedrigen Bildungsgrad hatten, ab. Di Lellio und McCurn kamen in ihrer Untersuchung über REKOM im Kosovo zu dem Schluss, dass zu viel gelehrt und zu wenig zugehört wurde, also die lokale Bevölkerung als Objekte und weniger als Subjekte der Aufarbeitung betrachtet wurden. Yet, despite honest efforts to include locally owned initiatives, there is a fundamental aspect of the process on which local input is actively discouraged: the professional ›toolkit‹ and its subordination to the goal of stability. This is evident in the focus that donors place on training, whether through workshops, conferences, or study tours, where local actors must listen more than be heard.170

Noch problematischer jedoch war, dass auch im Kosovo sofort eine Politisierung des Austausches einsetzte, wie es Ahmetaj als spätere nationale Koordinatorin der REKOM Konsultationen dort erlebte: […] supporting RECOM was as supporting Milošević. In their somehow mindset, you know. Either you are RECOM, means you are with Belgrade. Because that was how it was spread the word: We don’t need a regional commission. We don’t need another Yugoslavia.171

Der in Norwegen, den USA und der Schweiz in Menschenrechtsfragen geschulten Aktivistin Ahmetaj wurde sehr schnell bewusst, dass ihre Aufgabe als REKOM Koordinatorin für Kosovo »a hell of work« werden würde und letztlich beurteilte sie ihre Rolle als »a really heavy burden. Heavy, heavy, heavy.«172 Ahmetaj beschreibt diesen Kampf jedoch als einen persönlichen Reifungsprozess, der Teil eines größeren Projektes sei: 169 170 171 172

Interview mit Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG . Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 137. Interview mit Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG . Ahmetaj nahm an verschiedenen Schulungen teil. 2000: Training der Harvard Kennedy School, Carr Center for Human Rights Policy, 2008: Tufts University – Fletcher Summer Institute for the Advanced Study of Non-violent Conflict, 2010: Advance Learning Course for Professionals on Dealing with the Past in Switzerland. Ihren Master in »Peace and Conflict Transformation Studies« hat sie 2005 an der Universität Tromsø in Norwegen bestanden. Im Kosovo war sie u. a. für UNDP, »Human Rights Watch« und das ICTY tätig. http://crdp-ks.org/en/about-us/ (12.06.2017). Interview mit Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

248

Die Entwicklung der REKOM Initiative

RECOM proved to be a perfect test for Kosovo society. Where do we stand in certain matters. […] We wanted through RECOM to find out the truth based on forensics, based on the documentation we gathered, and we aimed to gather. It was so difficult to explain, and for people to get this as a fact. And then, it shows also the sense of inferiority. The society is still not ready to compete with any state in the region, being civil society or whatsoever. If Kosovo academics were not able to go in Banja Luka or Sarajevo or Belgrade to debate about human rights, that was really, really something – [?]. Something that showed that it’s not about RECOM, it’s not only about human rights, it’s more deep. Much deeper.173

So lassen sich die Konsultationen der REKOM Initiative im Kosovo als Lackmustest für die kosovarische Zivilgesellschaft begreifen, indem als problematisch zutage trat, was auch anderswo Vergangenheitsaufarbeitung beeinflusst: der zeitliche Abstand zum Konflikt, die juristische Aufarbeitung, die Politisierung von Aufarbeitungsaktivismus und das Erbe von vergangenem Unrecht wie auch das gegenwärtige Ausbleiben von dessen Anerkennung. In Serbien ein Treffen von Opfergruppenvertreter*innen aus Serbien durchzuführen, erwies sich als eine andere Art von Herausforderung. Nur sechzehn Teilnehmende (plus Organisator*innen) kamen zu dieser Zusammenkunft nach Belgrad, den Großteil machten serbische Opferorganisationen aus dem Kosovo aus. Einige Vertreter*innen serbischer Flüchtlinge aus Kroatien, die nun in Serbien lebten, waren ebenfalls zugegen. Die Mutter eines serbischen Radio- und Fernsehmitarbeiters, der bei der NATO Bombardierung 1999 in Belgrad getötet wurde und Dragan Medić vom »Verein der Familien verhafteter, gefangener und verschwundener Personen der Bundesrepublik Jugos­ lawien 1991 und 1992« (Udruženje roditelja i porodica uhapšenih, zarobljenih i nestalih lica SRJ 1991. i 1992. godine) gehörten zu den wenigen Vertreter*innen serbischer Opfer aus dem engeren Serbien. Medićs Sohn war Pilot bei der JVA gewesen und ist seit dem Krieg verschwunden.174 Medić engagiert sich deswegen in einer serbischen Organisation für die Angehörigen von Vermissten. Serbische Veteranenorganisationen waren nicht vertreten. Lea David hat beschrieben, wie unübersichtlich die Zahl und Arbeit dieser Vereinigungen in Serbien ist, wie abhängig deren Finanzierung von Verbindungen zu Parteien ist und wie der Staat gezielt die Fragmentierung der Veteranenzusammenschlüsse vorantreibt: Being fragmented, the veterans lacked any significant political power which silenced them and kept them away from the public discourse. This was possible due to the fact that 1) there was no strong organisation that could unify them, 2) many came back 173 Interview mit Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 174 Tanjug: Beograd: Porodice traže hitne ekshumacije i identifikacije žrtava. URL : http:// www.novosti.rs/vesti/naslovna/dosije/aktuelno.292.html:357088-Beograd-Porodice-​ traze-hitne-ekshumacije-i-identifikacije-zrtava (am 09.03.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

249

from the battlefield utterly damaged psychologically and physically, 3) a significant portion of them were Serbian refugees lacking social rights, and 4) the vast majority were extremely poor, uneducated and unemployed. Thus, since they were largely disconnected from one another as well as lacking the ability to create one unified narrative to gather around, they were an easy target for political manipulation.175

Vermutlich hätte eine Beteiligung serbischer Veteranen an einer Veranstaltung des Menschenrechtsfonds ihre Marginalisierung eher verstärkt als verringert. Zumal Menschenrechtsorganisationen in Serbien als »Feinde der Nation« betrachtet werden, da sie sich öffentlich für die Anerkennung serbischer Verantwortung für Kriegsverbrechen einsetzen. Die Versammlungen mit Opfergruppen im Kosovo und in Serbien 2008 veranschaulichen somit wie unter einem Brennglas die gesellschaftliche Atmosphäre für die Auseinandersetzung mit den Jugoslawienkriegen dort. Während Opfergruppen im Kosovo wenig Interesse an einer regionalen Aufarbeitungsinitiative zeigten, weil die Anerkennung von Unrecht – durch Gerichte, aber auch durch den serbischen Staat – im Mittelpunkt ihrer Bedürfnisse stand, nahmen die Hauptbetroffenen der Kriege in Serbien, die Veteranen, überhaupt nicht an der Diskussion teil.

5.2.6 Menschenrechtsaktivist*innen

Die am stärksten den REKOM Prozess prägenden Akteure waren Menschenrechtsaktivist*innen, wie etwa aus dem Belgrader Menschenrechtsfond mit seiner Dependance in Prishtina, den Youth Initiatives for Human Rights in Serbien, Kroatien und zeitweilig auch Bosnien und Herzegowina oder vom »Zentrum für Bürgerbildung« (Centar za građansko obrazovanje) aus Montenegro. Ein Blick auf das Treffen von rund zwanzig Vertreter*innen serbischer Menschenrechtsorganisationen Anfang Oktober 2008 im Erholungsgebiet der »Fruška Gora« in der Vojvodina (Serbien) erlaubt Einsichten in das Selbstverständnis dieser Akteure bei REKOM . Die Redebeiträge von Nataša Kandić auf diesem Treffen sind besonders aufschlussreich, denn Kandićs Äußerungen unterscheiden sich hier von ihren zahlreichen anderen Wortmeldungen in anderen Konsultationstranskripten. In kleiner, entspannter Runde unter ihresgleichen reflektiert die Leiterin auf diesem Treffen offen und kritisch den bis dahin stattgefundenen Entwicklungsprozess der Initiative ohne diplomatische Verschönerungen. Dieses Mal hat der Menschenrechtsfond das Treffen zusammen mit der holländischen Organisation »Impunity Watch« 175 David, Lea: Dealing with the Contested Past in Serbia. Decontextualisation of the War Veterans Memories. In: Nations and Nationalism 21/1 (2015), 102–119, hier 108.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

250

Die Entwicklung der REKOM Initiative

organisiert, welche in verschiedenen Post-Konflikt-Ländern der Welt zivilgesellschaftliche Organisationen und Politiker*innen bei der rechtlichen Aufarbeitung von Verbrechen berät. Deutlich wird hier Nataša Kandićs Verständnis von Opferorganisationen: […] die in der Regel sehr hartnäckig in ihren Forderungen nach Anerkennung nur ihrer eigenen Opfer sind, und die wirklich andere Opfer nicht sehen. Diese Vereine sind in der Lage andere Opfer in Frage zu stellen. Sie sind den Regierungen sehr nah und jener Sicht auf die Vergangenheit, die sich gar nicht mit den Fakten vereinbaren lässt. Das heißt, gleich zu Beginn haben wir begriffen, dass es da Probleme gibt, die aber in Wirklichkeit Herausforderungen sind. Und wenn wir diese Herausforderungen meistern, wenn es uns gelingt die Opferorganisationen um uns zu versammeln, dann werden wir sehr große Hindernisse gemeistert haben. Und dann besteht eine sehr reale, eine sehr starke Chance, dass wir mit dieser Kraft, die wir im Rahmen der Zivilgesellschaft erzeugen, auf gleichberechtigte Beine gegenüber den Regierungen gelangen, um die Schaffung solch einer regionalen Kommission einzufordern.176

Des Weiteren hält es Kandić für wichtig, nicht nur die üblichen Leiter*innen von Opferorganisationen einzubeziehen, sondern: […] dass wir einen Raum schaffen, in dem Opfer individuell fühlen, dass sie wesentlich, dass sie wichtig sind und dass ihnen andere mit starker Aufmerksamkeit […] zuhören. Und dass wir uns dafür einsetzen, dass sie direkt mit Opfern aus anderen ethnischen Gemeinschaften kommunizieren.177

Die als politisch instrumentalisiert, selbstbezogen, unmündig und ethnisch gespalten beschriebenen Opferorganisationen sind in Kandićs Verständnis also eine wesentliche Kraft, die hinter einer regionalen Wahrheitskommission stehen muss bevor man sich an die Regierungen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens wenden kann. Dass Kandić die Opfervertreter*innen mit solch einer monolithischen Wahrnehmung und bevormundenden Haltung selbst für ihre Sache vereinnahmt, zeichnet sich in derartigen Äußerungen ab. Eine Vertreterin einer bosnischen Menschenrechtsorganisation, die später aus REKOM austritt, sagte mir in einem Interview: »Nataša ist das beste Beispiel dafür, wie man mit der allerbesten Absicht trotzdem Schaden anrichten kann.« Dass Opfer schwerlich als separate, homogene Gruppe betrachtet werden können, wird im Laufe der Diskussion auch von einer Vertreterin des serbischen Helsinki Komitees kritisiert. Nataša Kandić reagiert nun doch wieder diplomatisch darauf, indem sie einräumt, dass sie selbstverständlich nicht alle Opfer gleich 176 REKOM: Nacionalne konsultacije sa organizacijama za ljudska prava o inicijativi za osnivanje Regionalne komisije za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji. Transkript. Fruška Gora 10.10.2008, 9. 177 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

251

setzen möchte und die Unterschiede gerade dadurch deutlich werden würden, wenn die Wahrheitskommission die Fakten beleuchtete.178 Desweitern erläutert Kandić, wie sie sich den Konsultationsprozess vorstellt, nämlich, dass viele Organisationen den Austausch veranstalten und dabei in allen Ländern »fachlich kompetente Aktivisten« ausbilden: Das sind also Menschenrechtsaktivisten, die Verteidiger der Menschenrechte, die auf alle Fragen antworten können, diejenigen, die Werbung machen, sich einsetzen und vor allem die sehen, was die Ergebnisse dessen im Laufe der Entwicklung […] sind.179

Das wirkt, als wären die Menschenrechtsaktivist*innen die auserwählten Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und anderen Aktivist*innen traue sie weniger zu. Kandić stellt sich euphorisch eine Aufarbeitungsbewegung wie in Argentinien vor, die sehr sichtbar und erfolgreich war.180 In entspannter Atmosphäre unter Gleichgesinnten werden dann strategische Fragen besprochen, etwa wann eine Unterschriftensammelaktion und eine Öffentlichkeitskampagne veranstaltet werden sollen oder wie sehr ausgearbeitet der Vorschlag für eine Wahrheitskommission sein sollte, wenn man an die Regierungen herantritt. Srđan Popović, dessen Bruder bei den Übergriffen auf Serb*innen durch Albaner*innen 2004 im Kosovo ermordet wurde, hört sich alles bis zum Ende an, um dann die Euphorie mit Skepsis zu bremsen: REKOM wird wirklich ein schwieriges Unterfangen werden. Das heißt, es wird wirk-

lich schwierig werden, schwierig in dieser Region so etwas aufzubauen, weil die politische Situation noch sehr sensibel ist und ihr wisst auch, dass es noch genügend Gerichtsprozesse gibt. Deswegen denke ich, dass [die Initiative] gleich zu Beginn schon einige Schocks erleben kann.181

Schwierig wurde es gleich beim nächsten nationalen Treffen im kroatischen Vukovar. Die Stadt im Nordosten Kroatiens, unweit der Grenze zu Serbien, war gleich zu Beginn des Krieges heftig umkämpft gewesen und wurde 1991 nach mehreren Monaten starken Beschusses von der JVA weitgehend zerstört. Im Oktober 2008 diskutierten rund dreißig Vertreter*innen kroatischer Opferorganisationen dort über eine regionale Wahrheitskommission. Ein Transkript für diesen Austausch liegt nicht vor, wohl aber eine kurze Zusammenfassung der Diskussion.182 In dieser werden sowohl Bedenken als auch Zustimmung der Vereine von Vermissten und Veteranen in Kroatien geäußert. Einerseits mahnten auch hier wieder die Veteranen an, als Opfer eine stärkere 178 179 180 181 182

Ebd., 38 f. Ebd., 11 f. Ebd., 66. Ebd., 80. REKOM: Nacionalne konzultacije s udrugama obitelji nestalih i branitelja o Inicijativi REKOM . Preporuke. Vukovar 24.10.2008.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

252

Stimme erhalten zu wollen. Andererseits artikulierten einige Veteranen auch Ängste, die sie von einer Zusammenarbeit abhielten, etwa ob nicht die Informationen, die sie im Rahmen der Initiative mit anderen teilten, außerhalb Kroatiens gegen sie verwendet werden könnten. Hier wiederholt sich, was auf anderen Treffen mit Opfern bereits deutlich geworden ist: einerseits ist ihnen an Raum für ihre Stimme gelegen, andererseits herrscht Angst vor Instrumentalisierung und möglicherweise auch vor strafrechtlichen Konsequenzen, wenn Veteranen über das Kriegsgeschehen erzählten. Einfacher war es bei dem darauffolgenden Treffen von zivilgesellschaft­ lichen Organisationen in Montenegro. Hier versammelten sich wieder Gleichgesinnte: viele Frauenorganisationen, Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, Intellektuelle und Politiker*innen waren vertreten. Organisiert wurde das Treffen von der »Aktion für Menschenrechte« (Akcija za ljuska prava) aus Podgorica. Insgesamt wurde REKOM Unterstützung zugesprochen, allerdings äußerte man Bedenken bezüglich der Bereitschaft von Politiker*innen, solch eine Institution letztlich voranzutreiben.183 Im Jahr 2008 sind also wichtige Justierungen an der Kooperation erfolgt: man widmete den Hauptbetroffenen – den Opfern – mehr Aufmerksamkeit und der Austausch über die eigenen Erfahrungen rückte insgesamt ins Zen­ trum. Dennoch blieben die Menschenrechtsorganisationen die Hauptakteure, zumindest in der den Prozess sehr prägenden Sicht von Nataša Kandić. Opfervertreter*innen wurden zwar strategisch als wichtige Beteiligte einbezogen, als gleichberechtigte Kooperationspartner*innen galten sie allerdings nicht. 5.2.7 Gerechtigkeit

Das Jahr 2008 kann als Selbstfindungsphase von REKOM bezeichnet werden, in der die Hauptprobleme der Initiative klar zu Tage traten: der Umgang mit den Opfervereinigungen und der Einfluss von Politik. Etwas zugespitzter lässt sich auch formulieren: die größten Herausforderungen waren Schmerz und Macht. Eine andere Lesart von Gerechtigkeit kann daraus erfolgen: Der immer wieder artikulierte Ruf nach Gerechtigkeit kann als Aufforderung begriffen werden, Schmerzen und Hegemonien zu überwinden. Gerecht wäre es damit, wenn die Folgen von Unrecht, Gewalt, Unterdrückung und Benachteiligung anerkannt und überwunden werden könnten.

183 REKOM: Nacionalne konsultacije sa predstavnicima civilnog društva Crne Gore o inicijativi za osnivanje Regionalne komisije za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinimai drugim teškim povredama ljudskih prava u bivšoj Jugoslaviji (REKOM). Transkript. Podgorica, Crna Gora 25.10.2008.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

253

Veranschaulicht wurde das auf der letzten Zusammenkunft im Jahr 2008 im Kosovo, welche die Mehrheit serbischer Opferorganisationen aus Bosnien und Serbien boykottierte, da sie die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkannten. Das vierte Transitional Justice Forum im Oktober 2008 in Prishtina war dennoch mit 325 Teilnehmenden die größte Versammlung, die bis dahin von der Initiative veranstaltet wurde.184 Zum ersten Mal gab es am Abend vor dem Forum einen Empfang mit Häppchen, gefolgt von einem Abendprogramm mit Dokumentarfilmen über Wahrheitskommissionen. Das könnte darauf verweisen, dass hier der soziale Aspekt in der Initiative stärker berücksichtigt wurde, auch weil man sich mittlerweile kannte und einiges auch privat zu erzählen hatte. Derartige Programmpunkte zeugen zudem auch von guter finanzieller Ausstattung der Organisator*innen, insbesondere bei einem Empfang für rund dreihundert Teilnehmende. Wichtige Politiker*innen des Kosovo eröffneten das Forum: der kosovarische Präsident Fatmir Sejdiu, die kosovarische Justizministerin Nekibe ­Kelmendi, der stellvertretende Leiter der damals noch im Aufbau befindlichen EULEX Mission im Kosovo Roy Reeve sowie der Leiter der OSZE Mission im Kosovo Werner Almhofer sprachen Grußworte aus. Das erste Wort hatte jedoch nicht die kosovarische Leiterin der gastgebenden Organisation, Valdete Idrizi vom »Community Building Mitrovica«, sondern Nataša Kandić.185 Solange die hochrangigen Politiker*innen auf der Bühne waren, behielt Kandić also die Zügel in der Hand. Erst danach übergab sie die weitere Leitung des Forums offiziell an die eigentliche kosovarische Gastgeberin. Vor dem Hintergrund der Nichtanerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch Serbien zeugt eine solche protokollarische Feinheit von fehlender Sensibilität für Hegemonien auch unter Menschenrechtsaktivist*innen. Gleich zu Beginn dieses Forums zeigte sich aber auch, mit welchen Schwierigkeiten die kosovarische Moderatorin zu kämpfen hatte. Ein kosovarischer Teilnehmer widersetzte sich hartnäckig ihrer Aufforderung, beim Thema dieser Sitzung zu bleiben und nicht immer wieder Serb*innen als Kollektivtäter*innen anzugreifen. Nach mehrmaliger höflicher Ermahnung durch die Moderatorin, die nicht fruchtete, griff wieder Nataša Kandić ein und erwirkte eine Kaffeepause, um die Pattsituation aufzulösen.186 Eine Kodierung des Programms nach Schlagworten war hier schwierig, da sich die Veranstaltung gemäß ihrer Bezeichnung als »Forum« haupt184 REKOM: Četvrti regionalni forum za tranzicionu pravdu: Inicijativa REKOM . Preporuke. Prishtina, Kosovo 28.–29.10.2008. 185 REKOM: Četvrti Regionalni forum o uspostavljanju pravde u post-jugoslovenskim društvima. Regionalna komisija za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim povredama ljudskih prava u bivšoj Jugoslaviji. Prishtina, Kosovo 28.–29.10.2008. 186 Ebd., 21–23.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

254

Die Entwicklung der REKOM Initiative

sächlich als Austausch abgespielt hat. Klassische Paneldiskussionen wie auf einer Konferenz fanden nicht mehr statt, sondern nach den Grußworten der Politiker*innen wurde von den REKOM Treffen zuvor in Serbien, Kosovo, Montenegro und Kroatien berichtet. Obwohl in Bosnien und Herzegowina in diesem Jahr keinerlei Veranstaltungen organisiert worden waren, wurde einem Opfervertreter aus Srebrenica an dieser Stelle ebenfalls das Wort gegeben, um zumindest von seinen Erfahrungen auf den regionalen Treffen zu berichten. Warum es 2008 keine REKOM Veranstaltungen in Bosnien gab, wird nicht thematisiert. Mirsad Tokača war auf dem Forum zugegen, war jedoch im Programm nicht als Redner oder Moderator vorgesehen, meldete sich nicht zu Wort und musste eher abreisen. Später erklärte er, dass dies sein eigener Wunsch und ein Protest gegen die Vorgehensweise von Nataša Kandić war, die seiner Ansicht nach den Prozess dominierte und sich bei einer derartigen Veranstaltung im Kosovo protokollarisch hätte zurückhalten sollen.187 Im Verlaufe des Forums wird deutlich, dass es in Bosnien und Herzegowina eine öffentliche Diskussion darüber gegeben hatte, ob Opferorganisationen der REKOM Initiative beitreten sollten oder nicht. Wortführend war dabei der Beirat des »Staatlichen Instituts für Vermisste« in BiH.188 Einer dessen sechs Vertreter*innen hatte Folgendes auf das Forum nach Prishtina mitgebracht: Der Beirat für vermisste Personen unterstützt diese Koalition auf diese Weise nicht und niemand hat das Mandat, kein einziger Verein aus Bosnien und Herzegowina, das bestätige ich Euch hier öffentlich und in vollster Verantwortung, den Beitritt zu unterzeichnen. Als Bürger ist es absolut erlaubt. Wenn Sie mich fragen, als Bürger dieses Planeten und als Mensch, der auch ein Opfer ist und der hier teilnimmt, sage ich ja. Aber die Vereine, diese mächtige Welt, die hinter uns steht, hat in diesem Fall nein gesagt.189

187 Pešćanik: Dva pisma. Dokumente. URL: http://pescanik.net/dva-pisma/ (am 06.05.2017). 188 Seit 2004 gibt es ein Gesetz in Bosnien, das die Suche nach Vermissten regelt und den Hinterbliebenen Rechte auf Information und staatliche Unterstützung garantiert. 2005 wurde das »Staatliche Institut für Vermisste« geschaffen, seit 2007 hat es seine Arbeit aufgenommen. Die Internationale Kommission für Vermisste (ICMP) hat diese staatlichen Prozesse in Bosnien mitvorbereitet und begleitet die Umsetzung des Gesetzes und die Arbeit des Institutes, etwa durch die Ausbildung von Fachkräften. In ihrem Bericht vom 27.05.2015 bemängelt das ICMP, dass die Zusammenarbeit zwischen der bosnischen Staatsanwaltschaft und dem staatlichen Institut in Bosnien verbessert werden müsse, dass es an technischen Expert*innen fehle und es unzureichend staatlich gefördert werde, denn bereits seit 2008 wurde dessen Budget um die Hälfte reduziert. ICMP : Effort to Account for the Missing Must Continue. URL : http://www.ic-mp.org/news/effort-toaccount-for-the-missing-must-continue/ (am 28.06.2015). 189 REKOM: Četvrti Regionalni forum, 79.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

255

Edin Ramulić von der bosnischen Opfervertretung »Quelle« (Izvor) aus Prijedor entgegnete dieser Aussage: Ich muss sagen, dass es wirklich ein sehr großes Interesse der Vereine für die Familien von Vermissten in Bosnien und Herzegowina gibt und diese haben leider immer noch nicht die Informationen erhalten. Was der Herr vor mir gerade vorgestellt hat, [ …] ist eine Aussage, die in den bosnischen Medien veröffentlicht wurde […], das heißt, das ist von den Leuten aus dem Institut [für Vermisste] gekommen. […] Sie haben die Anweisungen gegeben, dass es hier so dargestellt wird, als gäbe es keine Unterstützung in Bosnien und Herzegowina. Es gibt Unterstützung in Bosnien. […] Das heißt, dagegen sind nur die Leute, die sich auf die eine oder andere Weise nicht genügend einbezogen gefühlt haben. Der Herr ist Mitglied des Beirates, welcher ebenfalls nicht die Unterstützung der Mehrheit der Vereine für die Familien von Vermissten hat […]. [I]n Bosnien und Herzegowina gibt es ein großes Interesse, dass es weitergeht, sodass wir solche Einstellungen nicht zu sehr berücksichtigen sollten.190

Eine wichtige staatliche Institution für Opferbelange aus Bosnien hatte sich somit öffentlich gegen REKOM geäußert und auch ihren Abgesandten nach Prishtina geschickt. Dass das bosnische Institut für Vermisste selbst mit Schwierigkeiten innerhalb Bosniens zu kämpfen hatte und es keine Vertre­ tung aller bosnischen Vermisstengruppen für Gesamtbosnien gibt, wird hier angedeutet. Auch ein Repräsentant einer serbischen Organisation für Vermisste aus dem Kosovo berichtet davon, wie »jemand von der Regierung Serbiens« seinem Verein geraten hätte, die Einladung nach Prishtina abzulehnen, weil sie damit offensichtlich die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen würden. Er kam, wie auch andere, dennoch: Aber hallo, Leute?! Wisst Ihr denn, an wen Ihr Euch wendet? Wir sind die Familien von Opfern, wir gehen dorthin, damit unsere Stimmen gehört werden. Wo andere Familien aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens sein werden und deshalb sind wir mit einer Zahl von Familien gekommen, um dabei zu sein. Wegen denjenigen in der Regierung, die unsere Tragödie missbrauchen, sind wir hier.191

Eine andere Teilnehmerin berichtet davon, wie der bereits erwähnte, regionale Austausch zwischen den Vermisstenorganisationen dazu genutzt wurde, zu beraten, wie man sich gegenüber REKOM verhält und dass beschlossen wurde, REKOM nicht beizutreten, aber dennoch Entsandte zu den Treffen zu schicken. Einige dieser Organisationen waren nun doch der Initiative beigetreten, wogegen die Teilnehmerin Unmut äußerte und spekulierte, dass sie das wohl

190 Ebd. 191 Simo Spasić, Verein der Familien von Gekidnappten und Getöteten in Kosovo und Methohien (Udruženje porodica kidnapovanih i ubijenih na Kosovu i Metohiji), ebd., 84.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

256

Die Entwicklung der REKOM Initiative

getan hätten, um auf diese Weise finanziell besser unterstützt zu werden.192 Diese vornehmlichen Anweisungen, die dadurch ausgelösten Verunsicherungen und Widerstände, führen vor Augen, dass Opferorganisationen Zusammenschlüsse von Menschen sind, die Hilfe benötigen. Wie schwierig es ist für sie abzuschätzen, wer tatsächlich helfen und wem man vertrauen kann (selbst unter seinesgleichen), klingt in derartigen Äußerungen an. Der anschließende Austausch mit einer Vertreterin der »Nationalen Kommission für Vermisste« (1983–1984) aus Argentinien mag Inspirationen geboten haben, wie mit diesen Herausforderungen umzugehen ist. Während das Forum zu Beginn des Jahres in Belgrad die Fakten­ermittlung prominent im Titel trug, wurde der Name der Veranstaltung in Prishtina dem gesellschaftlichen Diskurs über Vergangenheitsaufarbeitung im Land angepasst. Hier hieß es: »Viertes regionales Forum zur Herstellung von Gerechtigkeit in den postjugoslawischen Gesellschaften […]« (Četvrti Regionalni forum o uspostavljanju pravde u post-jugoslovenskim društvima: Regionalna komisija za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim povredama ljudskih prava u bivšoj Jugoslaviji). Nicht Wahrheits- oder Faktendokumentation, sondern Gerechtigkeit war das Schlagwort im gerade als unabhängig erklärten Kosovo. Und damit war vor allem die Anerkennung von Unrecht, von Unterdrückung und von Hegemonien gemeint. Ein ganzer Nachmittag stand der Diskussion mit Opfergruppen im Kosovo über die gesellschaftliche Lage für die Aufarbeitung und über ihre Bedürfnisse zur Verfügung. Dass die Täter*innen zur Verantwortung gezogen werden müssen und die juristische Aufarbeitung den Vorrang hat, wird dabei in den Stellungnahmen der serbischen wie albanischen Opfergruppenvertreter*innen aus dem Kosovo deutlich. Darüber hinaus ist die Suche nach Vermissten weiter ein Anliegen der meisten kosovarischen Opfervereine. Ob dabei eine regionale Wahrheitskommission helfen kann, wurde von sehr vielen albanischen Opfern bezweifelt. Bajram Qerkini aus Mitrovica zum Beispiel führt seinen Sohn als vermisst und sein Onkel wurde mit sechs Familienmitgliedern, darunter vier Kinder, verbrannt. Er meinte: Ich bitte Sie, die Frage der Familienangehörigen von Vermissten wurde hier sehr politisiert, sodass ihr uns in den Wahnsinn treibt. Wir haben Hinweise, dass ihr sie in der Erde vergraben habt. Ihr alle wisst, was uns stört und niemand von Euch hat etwas gesagt. Ihr alle, die Ihr hier seid. […] Nicht nur, dass sie uns die Familien weg­genommen haben, und wir wissen nicht, wo sie sich befinden, sondern auch die Beweise, die wir gefunden haben, werden in der Erde begraben. […] Warum wisst Ihr nichts? Warum wisst Ihr nichts? Warum könnt Ihr uns nicht helfen? Es hat euch eine Politik der persönlichen Interessen erfasst, mit der Ihr uns in den Wahnsinn treibt. 192 Ebd., 81 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

257

[…] Für uns ist es zu früh, dass wir das Verbrechen, das an uns verübt wurde, verzeihen. Zu früh ist es für eine Kommission, die uns dazu anleitet die Hände zur Vergebung zu reichen.193

Diese Aussage in ihrer Angriffshaltung und Verzweiflung illustriert erneut das Dilemma vieler Opfervertreter*innen, die zwar Hilfe benötigen, aber nicht wissen, wie sie sich artikulieren sollen und wem sie trauen können. Sie zeigt auch, wie Opfer von dieser Hilfsbedürftigkeit überfordert sind, wodurch sie alles und jeden angreifen. Gerade weil im zerfallenden Jugoslawien häufig die Leichenteile noch einmal umgebettet wurden und in diesem Fall aus dem Kosovo nach Serbien gebracht und dort vergraben wurden, könnte eine regionale Kommission hier nützlich sein. Beispielsweise wurden auf einem Militärgelände vor den Toren Belgrads (Batajnica) bis 2016 rund siebenhundert Leichenteile identifiziert und darunter Überreste von siebzig Kindern, vielen Frauen sowie zahlreiche Alltagsgegenstände gefunden. Außer diesem wurden bisher drei weitere Massengräber in Serbien lokalisiert, in denen vorrangig Leichen kosovo-albanischer Zivilist*innen gefunden wurden.194 Doch Bajram Qerkini ist gut über Wahrheitskommissionen informiert und wehrt den damit verbundenen Versöhnungsanspruch ab, sodass dieses pragmatische Argument nicht zum Tragen kommen kann. Die meisten Opfer strickten ihre Geschichten in ihre Diskussionsbeiträge ein, doch am zweiten Tag gab es wie bereits zuvor in Belgrad Raum für das Erzählen der Zeitzeug*innen allein ohne Unterbrechungen und Nachfragen.195 193 REKOM: Četvrti Regionalni forum, 68. 194 Komarčević, Dušan: U Batajnici grobnica bez obeležja, zločinci bez kazne. 30.03.2016. URL : http://www.slobodnaevropa.org/a/u-batajnici-grobnica-bez-obelezja-zlocini-bezkazne/27642707.html (am 30.03.2017). Der Belgrader Menschenrechtsfond hat ein Projekt durchgeführt, welches die Erinnerung an die getöteten Zivilisten aus dem Kosovo öffentlich machen will. Neben einer Liste der identifizierten Personen, einem Film und einer Petition für ein Denkmal in Batajnica sind auch Zeitzeugenerzählungen von Angehörigen im Internet zu hören: http://www.batajnicamemorialinitiative.org/sr/inicijativa (am 30.03.2017). Ich habe den Ort am 11.10.2016 mit »Memory Lab« besucht. Nichts verwies am Eingang des Militärgeländes in Batajnica mit rund eintausend Einwohnern auf das Massengrab. Eine kleine orthodoxe Kirche, die noch nicht fertig gebaut war, versperrte allerdings die Sicht auf das Feld. Das Grab wurde 2001 entdeckt, nachdem einer der Lastwarenfahrer, der die Leichen aus dem Kosovo nach Belgrad transportiert hatte, an die Öffentlichkeit gegangen war, weil er das dafür versprochene Apartment nicht erhalten hatte. Eine damalige Mitarbeiterin der Exhumierungen durch das ICMP berichtete bei unserem Besuch davon, wie serbische Soldaten die Ausgrabungen behindert hätten, etwa durch Schießübungen in der Nähe des Massengrabs. Feldnotizen d. Vf. 11.10.2016, Batajnica. 195 Javno Slušanje. Prishtina, Kosovo. Archiv d. Vf.. DVD 1:  Saranda Bogujevci, Marica Šeatović, Xhafer Veliu, Agron Shabani DVD 2: Semir Ibrahimović, Manda Patko, Milena Radević.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

258

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Das kosovarische Staatsfernsehen (RTK 1) und die populäre Tageszeitung »Koha Ditore« berichteten u. a. über das Forum, auch in den anderen postjugoslawischen Ländern fand diese Veranstaltung beträchtliche mediale Beachtung.196 Beim zweiten Opfererzählpanel in Form einer Wahrheitskommission wusste man nun bereits, was einen in etwa erwartete und so waren die Teilnehmer*innen trotz der erschütternden Gewaltgeschichten der Zeitzeug*innen in der Lage, am Ende dieser letzten großen Zusammenkunft 2008 noch konstruktiv weiter zu denken. Bei diesem Zeitzeugenpanel erzählte Saranda Bogujevci ihre Geschichte, welche ich im dritten Kapitel vor­ gestellt habe. Unter der Leitung des Juristen Bogdan Ivanišević, der REKOM als Berater vom International Center for Transitional Justice begleitete, wurde schließlich in Prishtina ein Koordinierungsrat einberufen, dessen Mitglieder nun über die Leiter*innen der drei Anfangs-NGOs hinausging. Die Mitglieder für diesen Rat wurden in Prishtina gewählt und sie wurden beauftragt das nächste Jahr zu planen. Auch eine Öffentlichkeitskampagne und Unterschriftenaktion wurden hier bereits thematisiert. Der Schlussappell der Leiterin des »Zentrums für Konfliktmanagement« im Kosovo, Shukrije Gashi, fasst die Stimmung im Kosovo am Ende des Jahres 2008 für REKOM gut zusammen: Es sieht so aus, dass die Wunden noch frisch sind, dass noch Angst herrscht und Druck von außen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, fehlende Anerkennung und die Leugnung bestehender Wirklichkeiten. Das sind Hindernisse, welche die Leute davon abhalten einen Schritt nach vorn zu machen. Deshalb appelliere ich daran, dass es gut wäre, den Gruppen, den Gesellschaften aus dem ehemaligen Jugoslawien etwas Zeit zu geben, sodass sich jeder innerhalb der Zivilgesellschaft und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen verständigt. Dass sich jeder gut mit allen Aspekten beschäftigt und erst daraufhin sich solch einer Initiative anschließt oder auch nicht. Ich bedanke mich.197

2008 stand der nationale Austausch innerhalb Serbiens, dem Kosovo, Montenegros und Kroatiens im Mittelpunkt der Treffen. Keine Veranstaltungen fanden in Bosnien und Herzegowina statt. Die nationalen Treffen wurden nun aber nicht mehr nur in den Hauptstädten, sondern in Serbien und Kroatien auch in kleineren Städten auf dem Land abgehalten. Vier Mal kamen die Aktivist*innen auch in regionaler Konstellation zusammen. In Bezug auf den Aktionsraum bestand Kontinuität in der Sprachwahl: er wurde konkret 196 Berichtet haben  »Beta«, »Danas«, »Politika«, »Koha Ditore«, »Zeri«, »Novi list«, »Slobodna Bosna«, »Republika«, »Tolerancija«, BIRN, RTK 1 (Info), RTK 1 (Dnevnik), »Radio Slobodna Evropa«, B92. REKOM: Četvrti Regionalni forum o uspostavljanju pravde u post-jugoslovenskim društvima. Press Clipping. Prishtina, Kosovo 27.–29.10.2008. 197 REKOM: Četvrti Regionalni forum, 92 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

259

wieder als postjugoslawisch benannt, auch wenn tatsächlich im Jahr 2008 nur in vier der sieben postjugoslawischen Länder Veranstaltungen abgehalten wurden. Die ersten öffentlichen Opfererzählpanels waren die wohl bedeutenste Neuerung des Jahres 2008 in der Kooperation. Die Zeitzeugenpodien in Belgrad und Prishtina bewirkten jeweils eine große Medienresonanz für die REKOM Initiative. Aber auch innerhalb der Initiative waren sie von Bedeutung. Die Teilnehmer*innen nahmen derart Anteil an den Lebensgeschichten ihrer Mitstreiter*innen. Sie erfuhren auch, welche Wirkung ein gemeinsames öffentliches Auftreten erzielen kann. Nicht mehr das Belehren durch und das Lernen von andere(n) Erfahrungen in der Welt, sondern die eigene Erfahrung im Rahmen einer Art Probewahrheitskommission vermittelte einen einprägsamen Eindruck, wie eine solche Institution in Zukunft einmal funktionieren könnte. Auch außerhalb der Erzählpanels wurde durch den Wechsel vom Konferenz- zum Arbeitsgruppenformat den eigenen Erfahrungen und dem Lernen voneinander mehr Raum gegeben, sodass die Bezeichnung »Forum« tatsächlich mit Leben gefüllt wurde. Am Ende des Jahres 2008 herrschte deswegen viel Euphorie und die Hoffnung, mit einer regionalen Kooperation für die Aufarbeitung der Kriege tatsächlich etwas gesellschaftlich bewirken zu können. Allerdings erfuhr REKOM zu dieser Zeit von Opferorganisationen aus Bosnien und Herzegowina stärkere Zurückhaltung, es fanden keine Treffen in Bosnien statt und viele Organisationen von Vermissten und Veteranen aus der gesamten Region bekundeten zwar Interesse, wollten oder konnten jedoch nicht formell der Initiative beitreten. In Kroatien, Kosovo und Bosnien wurde auf Opfervertretungen politisch Einfluss genommen, um einen regionalen Zusammenschluss zu erschweren. Indes brachten insbesondere die Vertreter*innen von Opferorganisationen die meisten Erfahrungen der Zusammenarbeit mit ähnlichen Gruppen mit. Zum Teil wollten diese Vertreter*innen deswegen auch bei REKOM an derartige Erfahrungen in einem größeren Rahmen anknüpfen, zum Teil wurden parallel bereits bestehende Konstellationen genutzt, um sich gemeinsam aber auch gegen REKOM zu wenden. Dass Opfervertreter*innen weder aus einem Land noch aus einer Organisation mit einer Stimme sprechen und deswegen nicht als eigenständige Gruppe wahrgenommen werden können, ist auf den verschiedenen Treffen deutlich geworden.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

260

Die Entwicklung der REKOM Initiative

5.2.8 Rückzug des Informations- und Dokumentationszentrums Sarajewo

In meinen bisherigen Darstellungen hatte ich bereits angedeutet, dass der bosnische Partner Mirsad Tokača im Laufe des Jahres 2008 immer zurückhaltender in den Programmen der Treffen auftrat und beim letzten regionalen Forum in Prishtina früher abreiste. Ende 2008 hatte das IDC (Istraživaćko ­Dokumentacioni Centar) unter Tokača nun bekannt gegeben, dass er »sich einem weiteren Engagement und der Vertretung der Initiative für eine Regionale Kommission enthalten wird«, was in einer Fußnote des REKOM Abschlussberichtes beinahe beiläufig erwähnt wird.198 In einer Broschüre über REKOM, welche ich beim Verleih des Europa-Preises der Schwarzkopf-Stiftung an Kandić, Teršelić und Tokača im Dezember 2009 in Berlin erhalten habe, wird erklärt, dass auf einem Strategietreffen im Dezember 2008 der Bruch erfolgte: »RDC [Research and Documentation Center] leaves the process over differences about how the consultative process should be implemented and the RECOM mandate.«199 Darauffolgende Broschüren thematisieren den Austritt nicht mehr. Zur gleichen Zeit sagte Tokača in einem Interview mit Jamie Rowen: Yes, I was involved, and then I withdraw. Why? Simply because three years of our very intensive work, there is no reaction from state […] Then I don’t want to travel, like a circus around the region, and to have every two, or one, or three months consultation with somebody, and stop my practical work. And then what will happen finally? Nothing. Why? Because there is no political atmosphere. The states are not ready, Serbia doesn’t recognize Kosovo, Bosnia doesn’t recognize Kosovo […]. So this is not time for commissions basically. And I have to reiterate. It is my moral act. I don’t want to spend money, my dollars, and then to say, ›Look, we failed‹.200 198 Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 118. Die Fußnote verweist auf eine Erklärung auf der Webseite des IDC vom Januar 2009, worauf der Menschenrechtsfond eine Erklärung einen Monat später veröffentlicht haben soll. Beide Weblinks funktionieren nicht mehr. Das Portal »Peščanik« (Sanduhr) hat jedoch beide Erklärungen in seiner Rubrik »Dokumente« gespeichert und damit wieder zugänglich gemacht. Vgl. Pešćanik: Dva pisma, 2009. Die Rubrik »Dokumente« beinhaltet vor allem Gesetzesvor­ lagen, Erklärungen, Gerichtsprotokolle, die mit Geschichtspolitik in Serbien und im ehemaligen Jugoslawien zusammenhängen. Die Überschrift »Dva pisma« (Zwei Briefe) könnte eine historische Referenz sein, mit dem die Redaktion des Portals polemisch auf den Brief Titos von 1972 verwies, der gemeinhin als »Pismo« (Brief) zitiert wird. Er rechnete mit Regimegegner*innen innerhalb der Parteistrukturen des damaligen Jugoslawien ab. Die derart gewählte Überschrift kann somit als Kommentar zu den Machtkämpfen verstanden werden, die sich innerhalb der REKOM Initiative abspielten. 199 korekom: Broschüre 2009. Zu dieser Zeit lautete die Abkürzung der Initiative noch korekom, was aber bald wieder verworfen wurde. 200 Mirsad Tokača, personal communication with Jamie Rowen, 6 November 2009, vgl. ­Rowen: Truth in the Shadow, 127.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

261

Im Interview mit mir erklärte er fünf Jahre später: Ich wollte einfach nur, dass unsere regionale Zusammenarbeit in Richtung Forschung geht. Und dass wir keine Energie auf irgendein REKOM verschwenden, was keine Chance hat. Und was nicht meine Arbeit ist. Wirklich, ich denke, wir haben zwei Jahre genug an REKOM gearbeitet, wir haben diese Idee den Staaten angeboten: bitte sehr, jetzt macht mal! Aber wir werden doch nicht ihre Arbeit machen! Ich bin dafür nicht legitimiert, das ist nicht meine Arbeit. Sie [die Politiker*innen] haben die politische Legitimität der Regierung, bitte sehr, wenn sie nur wollen! Was soll ich jetzt, dass ich den Premiers und den Regierungsvorsitzenden hinterherlaufe und dass ich sie bitte und ihnen klar mache, dass REKOM ihnen etwas bringt? Also! Wenn ihnen das nicht klar ist, wissen Sie, wenn ihnen das nicht klar ist, dass das notwendig ist, – und sie sagen, dass es nicht notwendig ist –, was kann ich dann tun?201

Bereits im Kapitel über die Anfänge der REKOM Initiative ist deutlich geworden, dass Mirsad Tokača vorrangig an einer regionalen Zusammenarbeit für die Dokumentation der Kriegsopfer interessiert war. Während der anderen, vorherigen Versuche von Wahrheitskommissionen in Bosnien und Herzegowina stand er dem Format einer Wahrheitskommission kritisch gegenüber. Dennoch gab er der Idee dann auf regionaler Ebene für einige Jahre eine Chance und glaubte, dass die von ihm angestrebte Kooperation durch die institutionelle Form einer regionalen Wahrheitskommission vorangebracht werden könne. Innerhalb dieser Jahre hat er jedoch erlebt, wie aufwendig die Zusammenarbeit im regionalen Kontext ist, wieviel Arbeitszeit und Energie er für die Koordination, Moderation, Reisen usw. im Rahmen von REKOM aufbringen musste. Und er hat diesen enormen Kraftaufwand ins Verhältnis gesetzt zu den Chancen, dass eine von den Regierungen gemeinsam legitimierte Aufarbeitungsinstitution jemals verwirklicht werden wird. Aufwand und zu erwartendes Ergebnis standen für ihn in keinem vernünftigen Verhältnis. Nicht zuletzt war Tokača derjenige, der die Dokumentation der Kriegsopfer in Bosnien und Herzegowina zu diesem Zeitpunkt am weitesten vorangebracht hatte, und er wollte bei seinem eigenen Großprojekt zu einem Resultat kommen. Das hatte für ihn Priorität. Ein weiterer Grund war die zentrale Führung durch den serbischen Menschenrechtsfond, die der bosnische Aktivist als nicht angemessen empfand, auch weil Nataša Kandić die komplizierte Lage wie auch Empfindlichkeiten in Bosnien und Herzegowina unzureichend berücksichtigte. In seiner Austrittserklärung Anfang 2009 formulierte er es derart: Das IDC denkt, dass es nicht gleichberechtigt in der Partnerschaft der REKOM Gründer einbezogen wurde. Das IDC befindet, dass dies erheblich die Glaubwür201 Interview mit Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

262

Die Entwicklung der REKOM Initiative

digkeit und die Leistungsfähigkeit jeglichen Wirkens in Richtung des Aufbaus einer starken und allumfassenden Koalition für REKOM, und damit auch in Richtung von REKOM selbst schmälert. Bedauerlicherweise und trotz der Wertschätzung, die das IDC gegenüber der Arbeit und den Erfolgen des FHP [dem Menschenrechtsfond] hat, meinen wir, dass die Kontrolle des REKOM Prozesses durch den FHP unangemessen und ungleichberechtigt ist.202

Nataša Kandić erwiderte in ihrer Erklärung, dass Tokača seit Mai 2008 sehr selten an den Treffen teilgenommen hätte und möglicherweise deswegen nicht bei allen Entscheidungsprozessen auf dem Laufenden war. Am Ende beider Erklärungen wird dann allerdings deutlich, worüber die Zusammenarbeit mit großer Wahrscheinlichkeit letztlich völlig zerbrochen ist: über der Frage, wie die neuen Fördermittel aufgeteilt und verwaltet werden sollten. Ende des Jahres 2008 hatte die Niederländische Botschaft in Belgrad knapp eine Million Euro für REKOM bewilligt.203 Tokača forderte eine gleichmäßige Aufteilung auf alle drei Partner und eine eigenständige Verwaltung der Mittel von den jeweiligen Beteiligten. Durch diese finanzielle Unabhängigkeit hätte er auch die kritisierte serbische Dominanz bei der Organisation des Konsultationsprozesses in Bosnien und Herzegowina reduzieren können. Kandić wehrte ab, da der Menschenrechtsfond Hauptantragsteller war und für die Verwendung der Mittel vertraglich verantwortlich.204 Daraufhin beschloss Tokača den Rückzug. Kurz danach stellte auch die Europäische Kommission eine Million Euro aus dem Budget des »European Instrument for Democracy and Human Rights« für REKOM bereit. Zusammen mit kleineren Summen von zahlreichen, weiteren Förderern erhielt die Entwicklung dieser regionalen Aufarbeitungsinitiative für zweieinhalb Jahre (Ende 2008 bis Mitte 2011) rund 2,5  Millionen Euro Fördermittel.205 Nichtsdestotrotz wäre es zu kurz gegriffen, den Bruch zwischen der bosnischen und serbischen Gründungsorganisation nur auf eine Geldverteilungsfrage zu reduzieren. Wie das Geld verteilt werden sollte, stand vielmehr paradigmatisch für die Machtverhältnisse in der Koalition. Zerbrochen ist die Zusammenarbeit zwischen dem IDC und dem Menschenrechtsfond somit nicht an den nun in Mengen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, sondern an den ungleichen Machtverhältnissen in der 202 Pešćanik: Dva pisma, 2009. 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Die Förderer waren das »Open Society Institute, Balkan Trust for Democracy, United States Institute for Peace, OSCE Mission to Serbia, Swiss Ministry for Foreign Affairs, Rockefeller Brothers Fund, Robert Bosch Stiftung, UK Embassy, US Embassy, Oak Foundation, Fund for an Open Society, Telekom Srbija«, vgl.: Humanitarian Law Center: Fostering Support for Regional Post Conflict Truth-seeking and Truth-telling in the Western Balkans. Financial Report: 15.12.2008–31.08.2011.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

263

Zusammenarbeit und den düsteren politischen Aussichten einer regionalen Wahrheitskommision. Ein Jahr nach Tokačas Rückzug, Anfang des Jahres 2010, haben die Schwedische, Norwegische und die Schweizer Botschaft gegen das IDC unter Tokača Anklage wegen Unregelmäßigkeiten bei der Fördergeldverwendung erhoben.206 Seitdem ist die Webseite des Zentrums nicht mehr online und die Organisation lahm gelegt. Dass hier ein Zusammenhang mit dem Rückzug aus REKOM besteht, liegt nahe, wie ein Interview mit Tokača 2012 in der bosnischen Wochenzeitschrift »BH DANI« andeutet. Auf die Frage danach, in welcher Phase sich das Verfahren gegen ihn befindet, antwortete Tokača: Mir ist es wirklich unangenehm, darüber zu reden. Nicht, weil ich Angst oder Schuld empfinde, sondern, weil ich nie irgendeine Vorladung erhalten habe oder irgendein Gespräch. Ich weiß sehr gut, was die Prozeduren sind. Das war überhaupt nicht das Ziel [der Anklage]. Das Ziel war mich zu diskreditieren und bloß zu stellen, denn ich bin auf die eine oder andere Art zwischen Hammer und Amboss geraten. Ich wollte einigen Projekten nicht zustimmen, die sich zu dieser Zeit abgespielt haben. Ich habe sie aufgegeben. Das hat einigen ausländischen Förderern nicht gepasst und passt ihnen bis heute nicht. Ich bin offensichtlich Opfer einer Konstruktion, einer Überprüfung, die komplett gefälscht ist. Die Steuerfahndung war im IDC . Die Leute haben die Dokumentation bekommen und jetzt sollen sie ihre Arbeit machen. Zwanzig Jahre kämpfe ich für die Einhaltung der Gesetze. Ich möchte mich davon nicht ausnehmen. Wenn ich eine Straftat begangen habe, wenn ich irgendetwas getan habe, was den Gesetzen dieses Landes widerspricht, dann stehe ich dafür ein. Niemals suche ich für mich selbst Privilegien oder irgendetwas anderes.207

Drei Jahre nach dem Rückzug des IDC , 2012, veröffentlichte REKOM im Newsletter der Initiative ein Interview mit Tokača, in welchem eine Unterstützung des Belgrader Menschenrechtsfonds angekündigt wird, damit das IDC seine Ergebnisse zu den Opferzahlen des Bosnienkrieges in Buchform veröffentlichen kann.208 Denn nachdem die Webseite des IDC ihre Funktion eingestellt hatte, waren die Daten nicht mehr öffentlich zugänglich. Das Interview titelte »Mit Fakten kämpfen wir gegen die Leugnungskultur« und um genau dies fortzusetzen, unterstützte der Menschenrechtsfond die Veröffentlichung der umfangreichen Projektergebnisse des Sarajewoer Dokumentationsund Forschungszentrums in einer Art Wiedergutmachungsgeste. Tokačas Dokumentationsarbeit wird als »Pionierprojekt« präsentiert, an welchem sich der Menschenrechtsfond und Documenta aus Zagreb bei ihren Recherchen zu 206 Jurišić, Duška: Problem Srebrenice nisu izbori. In: BH DANI 778 vom 11.05.2012. 207 Ebd. Ich danke Fatima Ajanović für die sorgfältige Überprüfung meiner Übersetzung dieses Interviewauszugs. 208 !Glas. Inicijative za REKOM 2012, 22–25.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

264

den Opferzahlen orientiert hatten. 2012 erschienen die vier Bände des »Bosnian Book of the Dead«, welche die Ergebnisse des »Human Losses«-Projektes, also die seit dem Bosnienkrieg gesammelten Daten über Tote und Vermisste, gedruckt der Öffentlichkeit zur Verfügung stellten.209 Auf die Frage nach den größten Problemen bei der Dokumentationsarbeit antwortete Tokača: Die zentrale Herausforderung ist, eine NGO langfristig aufrecht zu erhalten, wenn sie gegen den Strom schwimmt; wie eine Institution bewahren, die riesige Erfahrungen und Dokumentationsmaterial gesammelt hat. […] Die Anerkennung der Fakten ist ein viel komplizierterer Prozess als ihre Zusammenstellung.210

Das Interview verhehlt nicht, dass die von Tokača geführte Organisation der bosnische Gründungspartner der REKOM Initiative war und dieser Ende 2008 die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte. Doch es steht die Dokumentationsarbeit im Mittelpunkt des Gesprächs. Zum Ende beschwichtigt Mirsad Tokača dennoch: Ich wiederhole, da das mehrmals falsch aufgefasst und interpretiert wurde – ich habe die REKOM Idee nicht aufgegeben, sondern ich bin aus einem Prozess ausgetreten, den ich als zu erschöpfend empfunden habe. […] Nataša Kandić und ich haben uns bei vielen Dingen nicht verstanden und wir haben verbitterte Diskussionen geführt, aber wir wussten immer, worin wir uns zustimmten. Und das kann ein Vorbild sein für viele. Es gibt einige Punkte, bei denen wir wissen, dass wir vollkommen einer Meinung sind und bei denen wir auf regionaler Ebene weiter zusammenarbeiten. Und das ist wirklich der Beitrag, den REKOM leisten sollte.211

5.2.9 Die »Koalition für REKOM«

Mirsad Tokača hatte sich zu dem Zeitpunkt aus der Initiative zurückgezogen, als die Zusammenarbeit stärker formalisiert wurde und nachdem Fördermittel in Millionenhöhe eingeworben wurden. Denn eine Formalisierung als eine Art Verein setzte seit dem vierten Transitional Justice Forum im Oktober 2008 in Prishtina ein, wo Erklärungen verteilt wurden, mit denen Organisationen und Interessierte der »Koalition für REKOM« beitreten konnten.212 Die erste Versammlung der »Koalition für REKOM« fand dann Ende Mai 2009 auf der einzigen Großveranstaltung in jenem Jahr in Montenegro statt. Das 209 Tokača, Mirsad: Bosanska knjiga mrtvih. Ljudski gubici u Bosni I Hercegovini ­1991–1995 I–IV = The Bosnian books of the dead. Human losses in Bosnia and Herzegovina ­1991–1995 I–IV. Sarajevo 2012. 210 !Glas, 23. 211 Ebd., 24 f. 212 REKOM: Šta je Koalicija za REKOM? URL: http://recom.link/sr/o-rekom-sr/sta-je-koalicija​ -za-rekom/ (am 06.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

265

fünfte regionale Forum über Transitional Justice unter dem Titel »Mandat und Charakteristiken von REKOM« hatte erneut über dreihundert Teilnehmende zusammengebracht, dieses Mal in Bečići, einem Vorort von Budva, der für seinen kilometerlangen Sandstrand bekannt ist.213 Einige REKOM Aktivist*in­ nen, wie etwa Sudbin Musić, boykottierten das Forum wegen der Wahl des fünf Sterne Hotels an der Adria, welches sie für eine Konferenz über Vergangenheitsaufarbeitung als unangemessen empfanden. Die Veranstalter*innen begründeten ihre Wahl mit den Kapazitäten des Hotels (Bettenanzahl und Konferenzräume) und einem sehr günstigen Angebot für ein Großevent mit mehreren hundert Teilnehmenden.214 Hier wurde am Abend vor dem Forumsbeginn »die Satzung der Koalition vorgestellt und die Mitglieder des Koordinierungsrates gewählt«.215 Die Zusammenarbeit wurde also wie bei einem Verein mit Mitgliederversammlung, Vorstand und Satzung unter der Bezeichnung »Koalition« fortgesetzt, eine Anmeldung als Verein erfolgte jedoch nicht. Es handelte sich somit um ein deklaratives Regelwerk, welches die rapide wachsende regionale Kooperation besser strukturieren und transparenter gestalten sollte. Verbindlich war es jedoch nicht. Diese freiwillige Formalisierung der Zusammenarbeit könnte auch mit den Vorwürfen gegen Nataša Kandić hinsichtlich ihrer Dominanz des Prozesses zusammenhängen, die damit abgeschwächt werden konnte. Die Bezeichnung »Koalition für REKOM« suggeriert, zumindest in der deutschen Übersetzung, eine auf politische Wirkung ausgerichtete Vereinigung mit demokratischen Strukturen. Fortan führte man im Rahmen jedes Transitional Justice Forums eine Mitgliederversammlung durch. Die Rolle eines Vereinsvorstandes übernahm der sogenannte »Koordinierungsrat«, welcher sich unabhängig von den Mitgliederversammlungen zusammenfand. Ich erlebte die Mitgliederversammlungen wiederholt als beeindruckend, da die Teilnehmenden sich stundenlang nach häufig langen Anreisen und noch vor einer Großveranstaltung der Diskussion der Vorgänge in der Initiative widme­ ten, Positionspapiere vorbereitet und gelesen hatten, sich abstimmten sowie viel Kritik und Änderungsvorschläge anbrachten. Im Plenum herrschte dabei ein auf Lösungen orientierter Selbstverwaltungsenthusiasmus, durchbrochen von herber Kritik an den Abläufen in der Raucherpause oder Essensschlange. 213 REKOM: Peti Regionalni forum o tranzicionoj pravdi. Mandat i karakteristike REKOM . Budva 29.–30.05.2009. 214 REKOM: Odgovor REKOM-a organizacijama koje su istupile iz Koalicije. URL : http:// pescanik.net/odgovor-rekom-a-organizacijama-koje-su-istupile-iz-koalicije/ (am 06.05.2017). 215 Ein vollständiges Veranstaltungstranskript für das fünfte REKOM Forum gibt es nicht, wohl aber sogenannte »Empfehlungen«, aus denen dies hervorgeht, vlg. ­R EKOM: Peti regionalni forum za tranzicionu pravdu: Inicijativa REKOM . Predlozi. Budva ­29.–30.05.2009, 1.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

266

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Wenn man Vereine als Schulen der Demokratie bezeichnete, dann wäre dieses transnationale Vereinsnetzwerk die Universität multilateraler Koopera­ tion. Die wichtigsten Entscheidungen wurden dabei nicht im Plenum, sondern in kleinen Kreisen getroffen. Doch bei allem Enthusiasmus: die Satzung, der Koordinierungsrat und die Mitgliederversammlung der »Koalition für ­ EKOM« waren keine wirklich bindenden Mechanismen, denn eine EinR tragung als Verein erfolgte nicht und Kontrollstrukturen oder Sanktionsmöglichkeiten fehlten.216 Die neuen Gremien waren Zugeständnisse, Willensbekundungen und Beglaubigungen der gemeinsamen Arbeit. Letztlich kooperierte man jedoch auf Grundlage einer Charta mit nur einem Punkt: Vertrauen. Das zeigte sich auf dem fünften Transitional Justice Forum in Montenegro, bei welchem es vorrangig um die eigenen Erfahrungen und die Diskussion konkreter weiterer Schritte auf dem Weg zu einer regionalen Wahrheitskommission ging. Im Gegensatz zum vorangegangenen Forum im Kosovo überließ Nataša Kandić die Eröffnung 2009 in Montengro jedoch einer der beiden Gastgeberinnen, Daliborka Uljarević, vom »Zentrum für politische Bildung« (Centar za građansko obrazovanje). Auf welcher Grundlage hier Vertrauen geschenkt wurde, zeigte der Umgang mit den albanischen Teilnehmenden auf dem Forum. Denn der wohlgemeinte Willkommensgruß des montenegrinischen Parlamentspräsidenten Ranko Krivokapić zur Eröffnung wurde zum Zankapfel. Krivokapić hatte sich als einstiger Mitstreiter der Antikriegsbewegung vorgestellt und sah die REKOM Initiative in deren Tradition als eine Wiederbelebung des Kampfes für eine multi-ethnische Gesellschaft, welche die Einheit in der Vielfalt als wichtigen Wert zu schätzen wusste. Er beschrieb dabei REKOM als Versammlung von Akteuren aus den »südslawischen Ländern«, was von den albanischen Teilnehmenden als ignorant gegenüber den nichtslawischen Albaner*innen kritisiert wurde.217 Hinzu kam, dass man die Filme auf dem Treffen nur auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch zeigte und nur eine sehr schlechte Übersetzung der Diskussionen ins Albanische bereitgestellt hatte, wodurch sich viele albanische Teilnehmende aus den Diskussionen ausgeschlossen fühlten. Nachdem die Direktorin des »Kosovo Women’s Network«, Igo Rogova, diese Benachteiligung bemängelt hatte, warf Nataša Kandić Rogova vor, sie politisiere eine doch im Grunde rein logistische Frage.218 Der geographische Bezugsraum wurde in Montenegro weder im Titel der Veranstaltung noch in den Sitzungsbezeichnungen thematisiert. Der post­ 216 Koalicija za REKOM: STATUT. URL : http://recom.link/wp-content/uploads/2011/06/ Statut-Koalicije-za-REKOM-26.06.2011-SRB.pdf (am 06.05.2019). 217 »[…] ne bih ovaj put rekao u post-jugoslovenskim zemljama jer Jugoslavije više nema, znači u južnoslovenskim zemljama, […].« REKOM: Peti Regionalni forum, 5. 218 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 139.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

267

jugoslawische Raum scheint nun nicht mehr der Rede wert gewesen zu sein, sondern selbstverständlicher Aktionsradius. Auf die Eröffnung folgte, wie auch beim Forum zuvor, ein Bericht über den bisherigen REKOM Prozess aus den fünf Ländern der Konsultationen (Serbien, Kosovo, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro). Die Erfahrungen aus anderen Kommissionen der Welt wurden dieses Mal von einem Mitglied der »Marokkanischen Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission« (L’Instance équité et réconciliation, 2004–2005) und einem Berater der »Empfangs-, Wahrheits- und Versöhnungskommission in Osttimor« (Comissão de Acolhimento, Verdade e Reconciliacão de Timor-Leste, 2000–2004) beigesteuert. 5.2.10 Täter*innen

Die zweite Tageshälfte des Forums in Bečići verbrachten die Teilnehmer*innen aufgeteilt in vier Arbeitsgruppen. Eine davon war der Beteiligung von Täter*innen an Opferanhörungen gewidmet und erhielt großen Zulauf mit 75 Teilnehmenden. Kurz zuvor hatte es bereits ein gesondertes Treffen in Montenegro mit Veteranen gegeben, auf dem Radan Nikolić vom »Verein der Kämpfer der Kriege der neunziger Jahre, Montenegro« (Udruženje boraca ratova 1990-ih, Crna Gora)  Interesse an einer regionalen Zusammenarbeit signalisierte: Die Kämpfer und Kämpferorganisationen werden hier, da bin ich mir sicher, aus allen Republiken der SFRJ [Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien] das geringste Hindernis sein. Und ich muss Ihnen sagen, dass wir sehr schnell eine gemeinsame Sprache gefunden haben, so als ob der Krieg nicht stattgefunden hätte. Wir sind keine Krieger, wir sind Kämpfer. Wir haben also eine Kriegsverpflichtung erfüllt, bekriegt haben sich aber die Politiker. Danach kam es dazu, dass sich diese Politiker versöhnten.219

In Nikolićs Aussage klingt das Gefühl von Verrat an: man habe zwar gekämpft, allerdings in Verpflichtung gegenüber einer von anderen gemachten Politik. Somit trage man weniger Verantwortung. »Die Politiker« konnten sich, so Nikolić, nach dem Krieg wieder »versöhnen«, die Veteranen wollten das anscheinend auch. Im Nachgang zum regionalen Austausch zu den Anhörungen von Täter*innen sprachen sich nun in Bečići einige Teilnehmer*innen dafür aus, allen in der geplanten Institution das Wort zu ermöglichen, die ihre Geschichte erzählen wollten. Jusuf Trbić etwa, von der »Bosniakischen Kulturgesellschaft Wiedergeburt« (Bošnjačka kulturna zajednica Preporod), hielt fest: 219 Nacionalne konsultacije s civilnim društvom, Podgorica, Crna Gora, 18.maj 2009, 2.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

268

Ich bin der Meinung, dass wir allen zuhören sollten, die Zeugnis ablegen möchten. Denn wir sind nicht in der Lage, noch sind wir dazu berechtigt, zu beurteilen, ob jemand ein Täter ist oder nicht. Natürlich sollte man zuvor einen Mechanismus, vielleicht ist das nicht der richtige Ausdruck, sicherstellen, der die Zeitzeugen schützt.220

Miloš Antić vom »Zentrum für Kriegstrauma, Serbien« (Centar za ratnu traumu, Srbija) etwa kritisierte: Das, was die Veteranen am meisten stört – die immer noch mit der klaren Vorstellung leben, dass sie ihren Nationalstaat verteidigt haben, etwas ihnen eigenes –. Denen fällt es am schwersten, wenn man sie in einem Zug mit Tätern und Verbrechern nennt.221

Die Psychologieprofessorin Teufika Ibrahimefendić, die im Zentrum »Frauen lebt« (Vive Žene) in Tuzla insbesondere Vergewaltigungsopfer betreut, meinte: Was die Täter betrifft, so denke ich, dass auch sie leiden, sie haben genügend Traumata. Die Geschichten der Opfer können sie anspornen, dass auch sie erzählen. Und was ich für wichtig halte, ist, dass die Geschichten sich im Verlauf des Erzählens nicht widersprechen. Dass sie sich nicht beleidigt fühlen, sondern dass die Geschichten so sind, wie sie sind. Dass ein Raum fürs Erzählen geschaffen wird, ein Raum für alle Geschichten.222

Wie im Kapitel drei bei der Aufdeckung des Verbrechens an der Familie Bogujevci erläutert, hatte Nataša Kandić selbst die Erfahrung gemacht, dass sich ein Täter an sie wandte, weil er, Goran Stoparić, seine Geschichte los werden wollte nachdem er die Zeugenaussagen der überlebenden Bogujevci Kinder gehört hatte. Deswegen mahnte Kandić in dieser Diskussion an, dass das Erzählen von potentiellen Täter*innen besondere Vorsicht und Sensibilität erfordere und diese Anhörungen besser nicht öffentlich erfolgen sollten. Auch um die Suche nach Vermissten voranzutreiben, wäre es von Bedeutung, dass die Beteiligten an den Verbrechen die Möglichkeit zum Reden bekämen, hielt Nada Dabić vom Verein »Hoffnung« (Esperanca)  aus Serbien fest. Da kein vollständiges Transkript des Austausches auf dem REKOM Forum 2009 vorliegt, sondern nur eine strategische Auswahl für den alle Konsultationen umfassenden Gesamtbericht zur Verfügung steht, lassen sich die Reaktionen von weiteren Vertreter*innen der Opferorganisationen nicht hinreichend rekonstruieren. Anscheinend wurde aber die Beteiligung von allen, die bereit sind im Rahmen einer Wahrheitskommission Zeugnis abzulegen, befürwortet. Zum wiederholten Mal organisierte man auch einen Austausch speziell für kroatische Veteranen im Oktober 2009, dieses Mal in Donja Stubica, nördlich 220 REKOM: Peti Regionalni forum. Predlozi, 14. 221 Ebd., 2. 222 Ebd., 14. 

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

269

von Zagreb.223 Auch an anderen lokalen Konsultationen nahmen immer wieder Veteranen teil. Im Jahr danach organisierte REKOM im November 2010 erneut ein regionales Treffen für Veteranen, dieses Mal in Mazedonien. Der Teilrepublik Mazedonien war zwar 1991 eine Abspaltung von Jugoslawien ohne Krieg gelungen, 2001 war es allerdings zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen zwischen der albanischen und mazedonischen Bevölkerung gekommen, die erst unter Einwirkung des Westens beigelegt werden konnten. Zirka zweihundert Menschen haben bei dem Konflikt 2001 in Mazedonien ihr Leben verloren, zirka 100.000 sind geflüchtet oder wurden vertrieben.224 Auf dem REKOM Treffen im Herbst 2010 diskutierten rund vierzig Veteranen aus der gesamten Region gemeinsam mit albanischen und mazedonischen Veteranen unter Leitung der NGO »Friedensaktion« (Mirovnja Akcija) aus Prilep den Gesetzentwurf für eine regionale Wahrheitskommission.225 Um die Betroffenen in Mazedonien einzubeziehen, wurde angemahnt den Untersuchungszeitraum der zukünftigen Kommission bis in das Jahr 2001 des mazedonischen Konfliktes auszuweiten, was daraufhin auch erfolgte. Bis dahin war der Untersuchungszeitraum nur bis 1999 (Kosovokrieg) vorgesehen gewesen. 5.2.11 Randgeschichten

Im Folgenden möchte ich auf das Gastland des großen REKOM Forums 2009 hinsichtlich der Kriegsvergangenheit und ihrer Aufarbeitung eingehen, da Montenegro zu den Randschauplätzen der Kriege gehörte, nichtsdestotrotz aber von den jugoslawischen Zerfallskriegen betroffen war. Auch einem randständigen Menschenrechtsverbrechen, welches auf bürokratischer Ebene in Slowenien begangen wurde, widme ich mich hier in Kürze. Die jugoslawische Teilrepublik Montenegro war zwar Anfang der neunziger Jahre nicht an einer Loslösung von Jugoslawien interessiert gewesen, aber dennoch in die Kriege durch die Beteiligung montenegrinischer Soldat*innen an den Kämpfen in den anderen Teilrepubliken verwickelt, durch Lager für kroatische Gefangene, durch Verbrechen an Flüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo auf montenegrinischem Boden sowie durch Mord und Vertreibung an der eigenen muslimischen Bevölkerung. Um dies zu thematisieren, zeigte REKOM den Film »Krieg für den Frieden« (Rat za mir) von Koča Pavlović und diskutierte anschließend mit dem Regisseur und zwei Journalisten aus 223 REKOM: Lokalne konzultacije s braniteljima i braniteljskim udrugama o Inicijativi za osnivanje REKOM , Donja Stubica, 28. listopada. 2009. Transkript. 224 Calic: Geschichte Jugoslawiens, 326 f. 225 REKOM: Regionalne konsultacije sa veteranima o nacrtu statuta REKOM . Skoplje 18.12.2010.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

270

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Kroatien und Montenegro darüber.226 »Krieg für den Frieden« war das Motto, unter welchem die montenegrinische Beteiligung am Beschuss Dubrovniks (Kroatien) und des Hinterlandes 1991–1992 durch die Jugoslawische Volksarmee geführt und gerechtfertigt wurde. Unter diesem Slogan wurde Anfang der neunziger Jahre in den Medien eine ernste Bedrohungslage kolportiert, in der man davon berichtete, wie ein Angriff auf Montenegro an der kroatischmontenegrinischen Grenze vorbereitet wurde und man deswegen den Frieden nur durch einen präventiven Angriff auf Dubrovnik bewahren konnte. Koča Pavlovićs Dokumentarfilm über den Beschuss der historischen Hafenstadt ab Oktober 1991 zeigt zeitgenössische Fernsehausschnitte und Interviews, die belegen, dass montenegrinische Offiziere in der Jugoslawischen Volksarmee sowie montenegrinische Reservisten eine wichtige Rolle für diesen Teil des Krieges des auseinanderbrechenden Jugoslawiens spielten. Die zweite gastgebende Organisation des REKOM Forums, die »Aktion für Menschenrechte« (Akcija za ljudska prava) aus Montenegro, hat insbesondere die juristische Aufarbeitung dieser Vorgänge dokumentiert. Die Analyse der Gerichtsprozesse ergibt hier 116 getötete Zivilist*innen.227 85 Soldat*innen der Jugoslawischen Volksarmee starben im Krieg in der Gegend um Dubrovnik.228 Vor dem ICTY wurden später mehrere Personen für Kriegsverbrechen in Dubrovnik angeklagt. Zwei Generäle der JVA wurden verurteilt, zwei wurden freigesprochen bzw. freigelassen.229 Auch vor montenegrinischen Gerichten fanden sechs Prozesse für Kriegsverbrechen statt, wobei nur ein montenegrinisches Mitglied der Reserveeinheit der JVA bis 2015 für schuldig befunden wurde.230 226 Ein Transkript dieser Diskussion fehlt. 227 Die »›European Stability Initiative‹ nennt 43 Tote, vermutlich bezieht sich die Zahl hier nur auf die Stadt Dubrovnik, vgl. European Stability Initiative: Montenegro  – Wildes, schönes Land. Menschen: Koca Pavlovic. URL : http://www.esiweb.org/index. php?lang=de&id=311&film_ID =1&slide_ID =3 (am 15.05.2017). Von 116 zivilen Opfern für Dubrovnik und Umgebung spricht der Bericht der NGO Aktion für Menschenrechte« in Montenegro, vgl. Akcija za Ljudska Prava: Izveštaj: Suđenja za ratne zločine u Crnoj Gori Mai 2013, 9 f. 228 Humanitarian Law Center: Human Losses Suffered by Serbia and Montenegro (SRJ). URL : http://www.recom.link/ljudski-gubici-u-srbiji-i-crnoj-gori/ (am 17.05.2017). 229 Pavle Strugar und Miodrag Jokić wurden verurteilt, Milan Zec freigesprochen und Vladimir Kovačević wegen Krankheit freigelassen. Akcija za Ljudska Prava: Izveštaj: Suđenja za ratne zločine u Crnoj Gori, Mai 2013, 9. 230 Die Prozesse untersuchten verschiedene Kriegsverbrechen, so die Internierung von kroatischen Gefangenen im Lager Morinj 1991; den Mord an der muslimischen Flüchtlingsfamilie Klapuh 1992; die Deportation von Flüchtlingen, die aus Bosnien und Herzegowina in Montenegro Schutz suchten, in serbische Lager 1992; Folter und Vertreibung der muslimischen Bevölkerung des Dorfes Bukovice 1992 und 1993; Mord an 19 Zug­ reisenden auf der Strecke Belgrad-Bar an der Station Štrpci in Bosnien und Herzegowina 1993, von denen zehn Muslime aus Montenegro stammten, sowie den Mord an Flüchtlingen aus dem Kosovo 1999. Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

271

Der Großteil der Angeklagten wurde von den montenegrinischen Gerichten freigesprochen.231 Im Falle der Vertreibung der muslimischen Bevölkerung aus dem montenegrinischen Bukovice hat die montenegrinische Regierung trotz der Freisprüche für alle Angeklagten ein Förderprogramm für den Wiederaufbau des Ortes aufgelegt und die deportierten bosnischen Flüchtlinge erhielten Entschädigungszahlungen.232 Obwohl also hier niemand schuldig befunden wurde, hat die Regierung Wiedergutmachungsaktionen unternommen. Diese Art von Vorgehen ist ein interessantes Beispiel dafür, wie trotz juristischer Aufarbeitung keine Schuldigen benannt werden, aber dennoch indirekt Verantwortung durch die Regierung übernommen wurde und eine Wiedergutmachungsleistung der Untaten erfolgen kann. Die meisten Verurteilungen in den montenegrinischen Prozessen für Kriegsverbrechen gab es im Fall des Lagers in Morinj, in welchem 1991 Kroat*innen gefangen gehalten und gefoltert wurden. Bei dem REKOM Forum in der Nähe von Budva wurde die erste Hälfte des zweiten Veranstaltungstages erneut dem Erzählen von Opfergeschichten wie bei einer richtigen Wahrheitskommission gewidmet. Der Aussage eines ehemaligen Gefangenen aus dem Lager in Morinj möchte ich im Folgenden Raum geben, um die Sicht eines Betroffenen von Kriegsverbrechen in Montenegro darzustellen. Mario Lučić hatte eine kurze Anreise, denn er war für REKOM aus der Umgebung von Dubrovnik nach Bečići gekommen. Der Kroate sagte zu dieser Zeit bereits als Zeuge beim Prozess für Verbrechen in Morinj aus. Dennoch begann er seine Erzählung im Format einer Wahrheitskommission damit, wie schwer es ihm fällt in Montenegro von seiner Geschichte zu zeugen.233 Lučić war 1991 zwanzig Jahre alt und hatte sich im Sommer als Reservist für die nationale Verteidigung seines Ortes Orašac (Kroatien) gemeldet, da befürchtet wurde, dass ein serbischer Angriff bevorstand. In dem nordöstlich von Dubrovnik an der Adria gelegenen Ort wurde in den achtziger Jahren ein riesiger Ferienapartment-Komplex »Die Gärten der Sonne« (Vrtovi sunca) gebaut. Lučić berichtete bei REKOM davon, wie sich im Spätsommer 1991 die mit 2.300 Betten ausgestattete Anlage immer mehr in ein Flüchtlingslager verwandelte. Als am 1. Oktober der Angriff der JVA auf Dubrovnik und Umgebung begann, wurde die Verpflegung knapp, eine Flucht auf die Inseln wurde unmöglich. Lučić erzählt davon, dass sein größtes 231 Gorjanc Prelević, Tea: U Crnoj Gori nema nijedne optužnice po osnuvu komandne odgovornosti. In: ZBORNIK : Tranziciona pravda i pomirenje u postjugoslovsenkim zemljama. glasovi institucija, verskih zajednica, aktivista, akademije, kulture i zrtava. Beograd 2015, 22–24, hier 22. 232 Akcija za Ljudska Prava: Izveštaj. 233 REKOM: Svedočenje: Mario Lučić. Transkript. Budva 30.05.2009. URL : http://www. recom.link/sr/mario-lucic-4/ (am 17.05.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

272

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Problem als »Wächter« seines Dorfes darin bestand herauszufinden, was mit den Flüchtlingen passieren sollte. Nachdem die JVA Orašac ohne Kämpfe eingenommen hatten, kamen auch serbische paramilitärische Einheiten und es begannen Plünderungen und Hausdurchsuchungen, insbesondere nach Angehörigen der örtlichen »nationalen Verteidigung«. Lučić berichtet, wie es ihm gelang, sich einige Zeit zu verstecken, bis er bei einem Versuch, seine Eltern in ihrem Haus zu besuchen, dort zusammen mit seinem Vater gefangen genommen wurde. Auf dem Forum in Budva erzählt Lučić achtzehn Jahre später, wie er ins nahe Montenegro gebracht wurde und an verschiedenen Orten vor seinem Vater geschlagen, verhört und gefoltert wurde und auch, wie er unzählige Eingeständnisse von Untaten unter Folter unterschrieb. Er berichtet auch von einem Frauenlager im montenegrinischen Kumbor, das sie passierten und meint: »Keine dieser Frauen möchte bis heute davon erzählen, was sie in Kumbor durchlebt hat, […]«.234 Lučić, der nach eigenen Angaben in guter psychologischer Betreuung sei, erzählt bei REKOM von den vielen Stationen der Misshandlung und Folter auf seinem Weg ins Lager Morinj.235 In einem Schiffscontainer wurden dort die Gefangenen gehalten: Es wird Essen für uns verteilt, zehn Portionen für achtzig von uns. Das heißt, wenn zehn das Essen aufessen, es gibt Bohnen mit Knochen –. Wasser, so wenig, ungefähr zwei, drei Löffel. Die werden jetzt nicht abgewaschen, sondern weitergegeben und die anderen essen damit und es muss gegessen werden. Weil, wenn man das nicht isst, dann unterschätzt man das Essen, und diejenigen, die es uns quasi geben, um uns zu retten. Und nach diesem Mahl kommt durch das Tor der Koch herein und wählt aus: ›Du, Du, Du geht raus‹ und dann folgt die zweite Portion, die Portion Schläge. Derselbe Koch hat als größter Friedensstifter Fernsehinterviews gegeben, dass er niemals irgendjemanden geschlagen hat, dass er nur Essen verteilt hat, dass er ein Geschäftsmann war. Demselben Koch hat die Regierung Montenegros erlaubt zu flüchten. Drei Monate lang hat er seine Restaurants in Montenegro verkauft, wir haben darauf hingewiesen, aber er ist entkommen und jetzt ist er in Belgrad, in Sicherheit. Das ist einer der größten Verbrecher im Lager Morinj. Und so sah jeder Tag aus. Sagen wir, eines Tages ist –. Am zwölften Tag habe ich das erste mal eine große Notdurft verrichtet [später berichtet er davon, wie den Gefangenen dabei eine Pistole in den Mund gesteckt wurde, wie sie danach mißhandelt wurden und sich deswegen niemand traute, dafür vor den Container zu gehen, d. Vf.]. Die kleine Notdurft haben wir in einen Eimer von zwanzig Litern gemacht, alle, all die achtzig, die wir in den Baracken waren. Das hat derart gestunken, Tage lang haben sie den nicht ausgeleert, […]. Sie haben uns mit Durst gequält, Wasser haben sie uns nicht gegeben, sondern Flaschen, bis zu zwei Flaschen täglich für uns achtzig. […] Und also, alles ist, alle haben wir gelebt in irgendeinem Glauben wie ›na, wir müssen das psychisch durchhalten!‹ 234 Ebd., 4. 235 Ebd., 5.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

273

Am schlimmsten war die Nacht zu überstehen, wenn die Halbbetrunkenen aus den Kämpfen zurückkommen, andere, die nicht Wächter sind, in unser Lager einfallen und ihre Niederlagen bei Dubrovnik rächen.236

Als Lučić weiter davon berichtet, wie ein sehr guter Freund von ihm misshandelt wurde, unterbricht ihn Nataša Kandić und fragt, ob ihm auch jemand geholfen habe. Und so erzählt er auch von einem Mladen Proročić aus Kotor, welcher den Gefangenen ein bis zwei Mal die Woche zu trinken gegeben hatte und sie beim Verrichten ihrer Notdurft nicht störte.237 Proročićs Hilfe wurde jedoch verraten und auch er wurde, so Lučić, in ein Gefängnis gebracht. Durch einen Gefangenenaustausch ist Lučić nach etwas mehr als einem Monat Mitte Dezember aus dem Lager entlassen worden. Kandić fragt, ob ihm der Gerichtsprozess Genugtuung verschafft habe. Lučić antwortet, dass es gar nicht so leicht sei sich an alles zu erinnern, weil er achtzehn Jahre versucht habe zu vergessen, weil er eine Familie gegründet und sich dem Leben zugewandt habe. Seine beiden Kinder und viele Sitzungen mit Psychologen hätten ihn ins Leben zurückgeholt. Aber nur jetzt das Gerichtsverfahren, allein der Fakt und die Staatsanwaltschaft Montenegros und Kroatiens und so weiter, erfüllt uns mit Vertrauen, dass sich Verbrechen verzeihen lassen, aber nicht vergessen werden dürfen. Und dass diejenigen, die das gemacht haben, rechtmäßig bestraft werden sollen – genauso [bestraft], wie die der 84 Gefangenen, die seit dem Austausch [der Freilassung] bis heute gestorben sind und drei, die im Lager ermordet wurden.238

Neben Lučić zeugten noch sechs weitere Opfer auf der einzigen regionalen Großveranstaltung der REKOM Initiative 2009 in Montenegro von ihren Erlebnissen in den Kriegen. Diese Praxis des Erzählens und Zuhörens von Gewalterfahrungen bildete einen Kontrast zur Urlaubsumgebung, in welcher sie ablief. Ich habe diese Gewalterzählung auch deswegen in die Beschreibung der REKOM Entwicklung aufgenommen, weil sie zum einen aus individueller Perspektive veranschaulicht, wie auch Montenegro vom Kriegserbe betroffen ist. Darüber hinaus steht das Erzählen dieser Gewalterfahrung exemplarisch dafür, dass auch ein montenegrinisches Fünf-Sterne-Hotel an der Adria Vergangenheitsaufarbeitung zu keinem Vergnügen macht. Zu den Geschichten der Anderen, die bei REKOM artikuliert wurden, gehörte auch das Schicksal der »Ausgelöschten« (izbrisani) aus Slowenien. Im September 2010 organisierte das »Friedensinstitut« (Mirovni inštitut) dazu die einzige, nationale Konsultation von REKOM in Slowenien. Nach Ljubljana kamen Teilnehmende von der »Zivilgesellschaftlichen Initiative der gelösch236 Ebd., 6. 237 Ebd., 7. 238 Ebd., 8.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

274

Die Entwicklung der REKOM Initiative

ten Aktivisten« (Civilna iniciativa izbrisanih aktivistov), dem »Verband der Gesellschaft der Kriegsinvaliden in Slowenien« (Zveza društev vojnih invalidov Slovenije)  und auch Akademiker*innen wie Journalist*innen.239 Das »Löschen« (izbris) bezeichnet ein bürokratisches Menschenrechtsverbrechen nach der Abspaltung Sloweniens von Jugoslawien. Die Unabhängigkeitserklärung Sloweniens im Sommer 1991 hatte nur eine kurze militärische Auseinandersetzung erfordert, doch auf bürokratischer Ebene zeitigte sie etwas später eine besondere Form einer Menschenrechtsverletzung.240 1992 verloren 25.671 Menschen ihren Status als Bürger*innen Sloweniens.241 Diese Personen werden als »Ausgelöschte« bezeichnet. Die Betroffenen waren Menschen, die den Status anderer Teilrepubliken Jugoslawiens hatten und in Slowenien lebten.242 Das betraf kurz nach der Unabhängigkeitserklärung rund zehn Prozent der Bevölkerung. Die meisten der zirka 200.000 Menschen ohne vorherigen slowenischen Republikstatus beantragten innerhalb der vorgegebenen sechs-Monats-Frist die neue Staatsbürgerschaft.243 Rund zehn Prozent davon gelang es jedoch nicht slowenische Staatsbürger*innen zu werden. Als Folge wurden sie aus dem Melderegister gelöscht und verloren damit ihren Staatsbürgerstatus und alle damit verbundenen Rechte.244 Das Slowenische Verfassungsgericht hat 1999 und 2003 einen Rechtsbruch in diesem Vorgehen festgestellt und die Wiederherstellung des Status angemahnt, allerdings passierte danach mehrere Jahre nichts.245 Der »Europäische Gerichtshof für Menschenrechte« urteilte im Jahr 2012, dass es sich um eine Menschenrechtsverletzung handelte, und in einer zweiten Runde 2014 wurde 239 REKOM: Konsultacije s slovenačkim civilnim društvom o Inicijativi za REKOM . Predlozi. Ljubljana 11.09.2010, 1. 240 Auf Sloweniens Unabhängigkeitserklärung am 25. Juni 1991 folgte ein zehn-Tage-Krieg mit insgesamt 52 getöteten Soldaten. Calic: Geschichte Jugoslawiens, 308. 241 Kogovšek, Neža: The Erased People Yesterday, Today and Tomorrow. Erosion of Stereotypes and the Irreversible Road to Redressing Injustice. In: Kogovšek, Neža et. al. (Hg.): The Scars of the Erasure. A Contribution to the Critical Understanding of the Erasure of People from the Register of Permanent Residents of the Republic of Slovenia. Ljubljana 2010, 9–18, hier 9. 242 Dedić, Jasminka / Jalušić, Vlasta / Zorn, Jelka: The Erased. Organised Innonence and the Politics of Exclusion. Ljubljana 2003. 243 Lipovec Čebron, Uršula / Zorn, Jelka: The Erasure and Cultural Anesthesia. A Report on Slovenia’s Statehood, Political Equality and Social Justice. In: Gregorčič, Marta / Jalušič, Vlasta / Kogovšek, Neža et. al. (Hg.): Once Upon an Erasure: From Citizens to Illegal Residents in the Republic of Slovenia. Ljubljana 2008, 7–14, hier 9. 244 Das genaue Vorgehen und das Schweigen in der slowenischen Öffentlichkeit über das Verbrechen beschreibt Mihajlović Trbovc, Jovana: Remembrance and Denial of the Erasure in Slovenian Media. In: Luthar, Oto / Pušnik, Maruša (Hg.): Mediatisation of Memory in the Western Balkans: Media as Mementos. Leiden 2019 (im Erscheinen). Ich danke Jovana Mihajlović Trbovc für ihre Hinweise zu diesem Thema. 245 Mirovni Institut: The Erased. Information and Documents. URL : http://www.mirovniinstitut.si/izbrisani/en/about-the-project/ (am 05.08.2015).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

275

eine Entschädigungssumme von 50.000 EUR für jeden der sechs gegen Slowenien Klagenden festgelegt.246 Seit 2014 können Entschädigungsanträge gestellt werden.247 Das Friedensinstitut in Ljubljana hat die Betroffenen über die Jahre hinweg unterstützt und auch ihre Geschichten dokumentiert. Durch die Konsultation im Rahmen von REKOM erhielt diese Menschenrechtsverletzung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens größere Resonanz. Rechtlich ist das Unrecht in diesem Fall bestätigt worden, dessen Konsequenzen für die Lebensgeschichten der Betroffenen waren jedoch regional weniger bekannt. Insofern kann das Erzählen dieser spezifischen Opfergeschichten aus Slowenien auf einer Wahrheitskommission ein regionales, öffentliches Bewusstsein für diese Art von Verbrechen fördern. Einer der damals »Ausgelöschten« bezeichnete sein Mitwirken in der regionalen Initiative als Möglichkeit, in den postjugoslawischen Raum zurückzukehren, aus welchem Slowenien seiner Auffassung nach mit dem EU-Beitritt 2004 »rausgeworfen wurde«.248 5.2.12 »bottom-up«

Das Jahr 2009 lässt sich als Hochzeit des Austausches bei REKOM bezeichnen. Denn so viele Treffen wie nie wieder ließen sich nun mit dem großzügigen finanziellen Rückenwind veranstalten. Allein im Jahr 2009 fanden insgesamt 57 Konsultationen in fünf postjugoslawischen Ländern statt: Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien, Kosovo und Montenegro. Hinzu kamen zusätzliche Strategietreffen und Transitional Justice Trainings, die nicht im Konsultationsbericht der Initiative aufgeführt sind, aber dennoch für die Planung und Vernetzung verwendet wurden, sodass von mehr als sechzig Zusammenkünften innerhalb eines Jahres gesprochen werden kann. Die rund sechzig Diskussionen in fünf Ländern in nur einem Jahr zu veranstalten, bedeutete bereits eine beträchtliche zivilgesellschaftliche Leistung. Hinzu kommt, dass das Gros dieser Treffen aufgezeichnet und Wort für Wort transkribiert wurde. 246 Mirovni Institut: Press Release on the Judgment of the Grand Chamber of the European Court of Human Rights. URL : http://www.mirovni-institut.si/izbrisani/en/press-​ release-on-the-judgment-of-the-grand-chamber-of-the-european-court-of-humanrights/ (am 02.08.2017). 247 »The act on restitution of damage for persons who were erased from the Register of Permanent Population (ZPŠOIRSP) came into force on 18.06.2014, and all beneficiaries are able to file in a claim for compensation from that date in all administrative units in Slovenia (deadline will be 3 years – that is, from 18.06.2014 to 18.06.2017).« Mirovni Institut: The Erased. 248 Anakiev, Dimitar: Nema pravde za rome i jugoslovene. (Rekom bez Roma i Jugoslovena). URL : http://www.zarekom.org/Press-Clipping/ NEMA-PRAVDE -ZA-ROME -I-JUGOS​ LOVENE -Rekom-bez-Roma-i-Jugoslovena_.hr.html (am 17.12.2014).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

276

Die Entwicklung der REKOM Initiative

2009 brachte eine grundlegende Veränderung beim Veranstaltungsformat: Die meisten Treffen (31) fanden nun erstmals auf lokaler Ebene statt, gezielt ging man auch in die Kleinstädte. Allein die kosovarische Hauptstadt Prishtina sticht in der Übersicht heraus, da man dort ganze sechs Treffen im Jahr 2009 auf die Beine stellte. Die größte Anzahl der Zusammenkünfte (17) hielt REKOM in Bosnien und Herzegowina ab, sauber aufgeteilt auf die drei großen Verwaltungseinheiten – mit jeweils acht Treffen in der Republika Srpska, acht in der Bosnisch-Kroatischen Föderation sowie einer Konsultation in Brčko. Bei diesem neuen Format der »lokalen Konsultation« ging es, wie Eugen Jakovčić von der NGO Documenta erklärte, einerseits um eine Präsentation der REKOM Initiative, andererseits aber auch darum, »noch bevor es zur Verwirklichung unseres Hauptzieles kommt, […] allein durch den Konsultationsprozess, […] die Dinge vor Ort [zu] verändern.«249 Hauptteilnehmende waren 2009 die Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen, Opfergruppen und Jugendorganisationen. Aber auch viele Intellektuelle, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und interessierte Bürger*innen haben als Individuen an den lokalen Treffen in kleinem Format bei REKOM teilgenommen. Der REKOM Abschlussbericht setzt im Juni 2009 eine Zäsur und fasst den Konsultationsprozess von Mai 2006 bis dahin zusammen. Die Zäsur soll laut REKOM belegen, dass der ergebnisoffene Aushandlungsprozess über Vergangenheitsaufarbeitung bis Juni 2009 beendet wurde und von nun an konkret auf die Einrichtung einer regionalen Wahrheitskommission hingearbeitet wurde. Doch meine Analyse der vier bisher stattgefundenen Transitional Justice Foren hat gezeigt, dass bereits anderthalb Jahre zuvor, Anfang 2008, beim dritten Transitional Justice Forum in Belgrad, recht klar über das institutionelle Ziel einer Wahrheitskommission diskutiert wurde. Zwar beriet man sich über die Abgrenzung zur oder Kooperation mit der juristischen Aufarbeitung und anderen zivilgesellschaftlichen Dokumentationsaktivitäten der Kriege. Alternative Wege der regionalen Zusammenarbeit ohne eine Wahrheitskommission wurden aber auf keiner der Zusammenkünfte thematisiert, sodass die Wahrheitskommission als eine Art Dogma funktionierte.250 Insofern macht diese Zäsur Mitte 2009 wenig Sinn. Der Austausch war von Beginn der Großzusammenkünfte an auf eine regionale Wahrheitskommission ausgerichtet, auch wenn die Details zunächst nicht ausdefiniert wurden. Im Folgenden wird deutlich, dass diese Zäsur in der Selbsthistorisierung der REKOM Initiative auf das Gegenteil verweist: nicht eine Kristallisierung des Ziels hat in 2009 stattgefunden, sondern die zahlreichen Diskussionen 249 REKOM: Lokalne konzultacije s lokalnom zajednicom o inicijativi za osnivanje REKOM . Transkript. Knin 04.08.2009, 7. 250 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 135.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

277

förderten die enormen Schwierigkeiten von Vergangenheitsaufarbeitung in der Region zutage. Mit dem Austritt des IDC aus REKOM Ende 2008 war für Bosnien und Herzegowina ein Führungsvakuum in der regionalen Kooperation entstanden. Das »Helsinki Komitee für Menschenrechte in der Republika Srpska« (Helsinški Odbor za ljudska prava u Republici Srpskoj – HO) in Bijelina unter Branko Todorović hat dann im März 2009 die Koordination übernommen.251 Todorović war bereits bei einer der vorherigen Wahrheitskommissionsversuche in Bosnien dabei gewesen, der Kommission unter der Leitung von Jakob Finci für Gesamtbosnien, welche in drei Anläufen vergeblich versucht hatte einen Gesetzentwurf im bosnischen Parlament voranzubringen.252 Todorović arbeitete zu Beginn des Krieges als Lehrer und wurde als Serbe Opfer von Serben, weil er sich weigerte in den Krieg zu ziehen. Letztlich gelang ihm aber die Flucht nach Deutschland, wo Branko Todorović bis kurz nach Kriegsende verweilte.253 1996 war er nach Bijelina zurückgekehrt und ist seitdem als Menschenrechtsaktivist tätig. Todorovićs Mitarbeiterin Aleksandra Letić war in die REKOM Aktivitäten seit März 2009 ebenfalls stark einbezogen und sie erklärte mir auf Deutsch im Interview, dass das HO nicht die Verantwortung für die Koordination im gesamten Bosnien allein tragen wollte und eine Dezentralisierung anstrebte.254 Dementsprechend bezog das HO vier weitere NGOs in die Koordination mit ein: das »Bürgerforum Tuzla« (Forum Građana Tuzla), die »Youth Initiative for Human Rights« in Sarajewo (YIHR), den Verein »Quelle« aus Prijedor (Udruženje Prijedorčanki »Izvor«) und das »Zentrum für Bürgerzusammenarbeit« (Centar za građansko suradnju) im herzegowinischen Livno. Zusammen haben diese fünf NGOs siebzehn Treffen auf lokaler Ebene in ganz Bosnien innerhalb weniger Monate des Jahres 2009 für REKOM organisiert. Mit großem Enthusiasmus wurden diese Treffen angegangen. Auf der Sitzung Anfang Mai 2009 in Prijedor erläuterte Branko Todorović, warum er sich für REKOM einsetzte: REKOM ist für uns notwendig, um zu zeigen, dass wir die Opfer nicht vergessen haben […]. Damit eine Spur bleibt, damit Zeugnisse bleiben und damit zumindest, sagen wir, in diesen Dokumenten, die doch ein Teil einer, sagen wir, nicht nur einer Geschichte, sondern Teil unserer Existenz werden.255

251 Helsinški odbor za ljudska prava u Republici Srpskoj: Helsinki Committee for Human Rights in Republika Srpska. URL : http://helcommrs.org/sr/index.php/o-nama/profil (am 04.05.2017). 252 Wesselingh / Vaulerin: Raw memory, 199. 253 Interview mit Branko Todorović, 17.11.2014, Bijelina, BKS . 254 Interview mit Aleksandra Letić, 17.11.2014, Bijelina, D. 255 REKOM: Lokalne konsultacije sa predstavnicima civilnog društva. Transkript. Prijedor, BiH 13.05.2009, 14.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

278

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Dabei betonte er wiederholt, wie wichtig es sei, dass alle gleichberechtigt den Prozess mitgestalteten: Er ist nicht so gedacht, dass etwas vorgefertigt ist und sich vor euch stellt und ihr das nur annehmen müsst. Nein. Es ist völlig anders gedacht: Ihr nehmt an der Gestaltung dessen teil. Ihr könnt durch diese Initiative tatsächlich die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Fragen, mit denen ihr euch beschäftigt, lenken, die ihr versucht zu lösen.256

Todorović spricht auch davon, dass er sich der Ermüdung vieler Opfervertreter*innen bewusst ist, denn sie haben an vielen Konferenzen, Workshops und Initiativen mitgewirkt und dennoch habe sich wenig an ihrer Lage verändert. Die Kluft zwischen den zahlreichen Aktivitäten der NGOs und ihrer geringen politischen Resonanz klingt hier an. Gleichwohl schließt er seine Rede idealistisch: Wie können wir schließlich etwas in der Region vollbringen, das zeigen wird, dass wir wirklich nicht vergessen haben, was diese universellen, humanistischen Werte sind. Wie etwa die Achtung anderer Menschen, wie der Reichtum der Unterschiede, wie die Berücksichtigung und Solidarität mit denen, die gelitten haben und denen, die gefallen sind. Sodass diese Kommission tatsächlich einer der Beiträge für die demokratische Konsolidierung der Gesellschaft sein wird, […].257

Seine Mitarbeiterin, Aleksandra Letić, erklärte mir ebenfalls, dass in den Konsultationen sehr viele Menschen in Bosnien die Idee mit großer Zustimmung aufgenommen haben und dass es sehr wichtig war, den Austausch über regionale Vergangenheitsaufarbeitung auf lokaler Ebene massiv voranzutreiben. Wenn es aber um konkrete Fragen bezüglich der Wahrheitskommission ging, die dabei aufgeworfen wurden, kam man zu keinen befriedigenden Antworten, so Letić.258 Zu wenig sei berücksichtigt worden, dass es in Bosnien und Herzegowina seit Kriegsende zahlreiche Aufarbeitungsaktivitäten gab, vorrangig auf zivilgesellschaftlicher Ebene.259 Aber auch auf staatlichem 256 257 258 259

Ebd., 14 f. Ebd., 15. Interview mit Aleksandra Letić, 17.11.2014, Bijelina, D. Ich besuchte beispielsweise in nur wenigen Tagen im März 2011 mehrere Veranstaltungen in Sarajewo, bei denen sich Opferorganisationen in Bosnien vernetzten und weiterbildeten. Dazu gehörte das Projekt »Wir wählen gemeinsam den Frieden« (Izaberimo mir zajedno), welches von USAID, Caritas und UNDP von Januar 2010 bis Januar 2012 umgesetzt wurde. Und auch ein Workshop organisiert von TRIAL (»Track Impunity Always«) im Hotel Hollywood in Ilidža, finanziert von der »Schweizer Gesellschaft für Völkerrecht«, brachte Opfer aus allen Teilen Bosniens zusammen, um den Bericht der »UN Working Group on Enforced and Involuntary Disappearances in BiH« zu diskutieren.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

279

Niveau wurde etwas später beispielsweise die »Transitional Justice Strategie« vorangebracht, woran Letić beteiligt war. Die meisten der an den REKOM Konsultationen Teilnehmenden waren dadurch bereits erfahren in der Transitional Justice und hatten recht praktische Fragen bezüglich der Umsetzung einer regionalen Wahrheitskommission, auf welche es aber noch keine Antworten gab. Und die dann auf das zu reduzieren und [zu] sagen, ja, ihr seid Opfer. Und ihr müsstet eigentlich froh sein, dass jemand solche Fragen aufwirft. Das war eigentlich schon am Anfang der riesengroße Fehler, der gemacht worden ist. Und diese Leute kennen die Prozesse, die kennen [die] Gesetze hier in Bosnien und Herzegowina. Die kennen das, was eigentlich hier vorangeht. Die kennen das, woran sie schon seit 1994/95 arbeiten und wofür sie sich mehr oder weniger stark machen. Und dann kommt irgendjemand und sagt, neeneenee, jetzt fangen wir von null an. Und das interessiert uns gar nicht.260

In Bosnien und Herzegowina machte sich in den lokalen Konsultationen das Gefühl breit, dass man nicht ernst genommen wurde. »Das Problem ist, dass die Menschen nicht das Objekt irgendjemandes Projektes sein möchten«, kritisierte Todorović.261 So wie er es in seinen Reden in den ersten lokalen REKOM Konsultationen 2009 dargestellt hatte, wollte er es auch umgesetzt sehen: ein Dialog auf Augenhöhe, ein Resonanzraum für die Bedürfnisse der Betroffenen sollten die Konsultationen sein, sodass jenes, was kritisiert und dokumentiert wurde, auch Widerhall findet in der weiteren Gestaltung des Prozesses. Deswegen hatte er auch gleich nach Übernahme der Verantwortung für die Koordination des REKOM Austauschs in Bosnien eine Dezentralisierung der Organisation durch die Beteiligung von fünf Organisationen bewirkt, was in Belgrad nicht gern gesehen wurde: Und dann wurde uns das verboten in diesem Koordinationsteam  – eigentlich von Nataša  –, dass wir die Prozesse nicht so führen dürften. Es müsste klar sein, wer die Entscheidung trifft und die anderen könnten nachträglich konsultiert werden. Was eigentlich nicht wirklich demokratisch ist. Und dann fing es eigentlich auch an, weil es ganz anders eigentlich von der Organisation in Bosnien und Herzegowina vorgestellt war. Die hatten ein ganz anderes Bild im Visier, wie REKOM in Bosnien funktionieren könnte, wie die Prozesse in Bosnien funktionieren könnten. Wie wir die Organisationen eingliedern, langsam, wie wir denen die Möglichkeit [geben] teilzunehmen, wirklich, in den Prozessen wirklich ein gewisses Gewicht zu bekommen. Was eigentlich nicht war.262

260 Interview mit Aleksandra Letić, 17.11.2014, Bijelina, D. 261 Interview mit Branko Todorović, 17.11.2014, Bijelina, BKS . 262 Interview mit Aleksandra Letić, 17.11.2014, Bijelina, D.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

280

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Allmählich gewannen die Teilnehmer*innen der Konsultationen in Bosnien und Herzegowina den Eindruck, dass der Austausch nur um des Austausches Willen durchgeführt wurde, die Ergebnisse dessen aber keine Rolle spielten und sie somit den Prozess nicht beeinflussen konnten.263 Im Kosovo, so Letić, stieß die Idee einer Dezentralisierung ebenfalls auf Anklang, jedoch befürchtete Nataša Kandić auch hier einen Kontrollverlust über den Konsultationsprozess. Letić musste im Laufe des Jahres einsehen: […] das hatte nichts mehr mit dem zu tun, was am Anfang so vorgestellt worden ist. Und wenn ich mir die Mühe mache, dass ich fünfzig Prozent mehr arbeite als es eigentlich vorgesehen ist, dann lass mich doch! Wenn es auf interne Art und Weise schon das Vertrauen der Leute und der Organisationen wenigstens fördert. Und dann hieß es, ne, ne, nee – das geht nicht.264

Auch Edin Ramulić vom Prijedorer Verein »Quelle«, der dem selbsternannten bosnischen Koordinationsteam angehörte, sagte mir: »Diese fünf Organisationen hatten keinerlei Einfluss, außer dass wir diese Konferenzen organisieren, aber auf nichts anderes hatten wir auch nur irgendeinen Einfluss.«265 Bereits im Herbst 2009 hatte sich eine andere Organisation aus dem Konsultationsprozess zurückgezogen. Das »Medienzentrum Rumor« (Medijski Projekat Buka) aus Banja Luka unter dem Publizisten Aleksandar Trifunović stieg aus, weil »der Ansatz für Bosnien und Herzegowina unseriös und arrogant war und er nichts bewirken konnte«.266 Bei den Auseinandersetzungen in Bosnien wurde das nun in großen Mengen vorhandene Geld von der Belgrader Führung als Druckmittel verwendet. Todorović erzählte im Gespräch mit mir, wie Nataša Kandić immer wieder darauf verwies, dass der Menschenrechtsfond das Geld verwalte und damit bestimmen könne, wie die Prozesse laufen und wer dem nicht zustimme, der würde eben keine Unterstützung mehr für die Konsultationen erhalten.267 Er bezeichnete dieses Vorgehen als »Mafia-Methode« und verwendete später diese Formulierung öffentlich gegen Kandić. Edin Ramulić hatte sich lange Zeit zurückgehalten, zu wichtig war ihm der Aushandlungsprozess bei REKOM . Ramulić ist wie viele Opferorganisationsvertreter*innen ein Experte auf dem Gebiet der gerichtlichen Aufarbeitung, da seine Organisation seit vielen Jahren die Prozesse vor dem ICTY und den bosnischen Gerichten für Opfer aus Prijedor und Umgebung begleitet. 263 Rowen: Searching for Truth, 78. 264 Interview mit Aleksandra Letić, 17.11.2014, Bijelina, D. 265 Interview mit Branko Todorović, 17.11.2014, Bijelina, BKS . 266 REKOM, Odgovor REKOM-a. 267 Todorović erzählte auch, dass Kandić ihn und seine Organisation bei seinen Förderern diskreditiert hätte, nachdem er sich aus REKOM zurückgezogen hatte. Interview mit Branko Todorović, 17.11.2014, Bijelina, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

281

Nachdem ihn dann aber Nataša Kandić öffentlich als Opfer bezeichnet hatte, änderte sich seine Zurückhaltung: Das heißt, dass sie tatsächlich glaubt, wenn du ein Opfer bist, dann bist du unzurechnungsfähig. Das heißt, dass ich nicht verantwortungsbewusst sprechen kann, egal was ich sage, so wie diese traumatisierten Opfer. Und ich meine, das hat mich getroffen. Und sie baut die ganze Zeit ihre Karriere darauf auf, dass sie sich um Opfer kümmert. Aber niemals erlaubt sie jemanden, der ein Opfer ist – ich selbst betrachte mich ja nicht als Opfer  –, das heißt, jemanden, der diesen Status hat, ermöglicht sie nicht selbst fähig auf diese Weise zu sein! Nein, nein! Du bist immer derjenige, dem man sagen muss, wie schwer es ist. Und wir werden dich – so ein bisschen – hätscheln, dir auf die Schulter klopfen. Wir sind die, die – sie hat immer [vermittelt]: Die in Bosnien, die können das nicht, die dort wissen das nicht.268

Die paternalistische, allein auf Resultate ausgerichtete Herangehensweise der serbischen REKOM Führung wurde somit von verschiedenen, erfahrenen Aufarbeitungsaktivist*innen in Bosnien und Herzegowina kritisiert. Immer wieder wird deutlich, dass Vertreter*innen von Opferorganisationen als handelnde Subjekte wahrgenommen werden möchten, die Expertise und Mitgestaltungswillen mitbringen. Opfer wollten als gleichwertige und gleichberechtigte Aktivist*innen den Austausch mit beeinflussen. Damit konnte oder wollte Nataša Kandić offenbar nicht umgehen. Ramulić griff im Jahr 2010 Kandić auch in den Medien an, nahm später aber wieder an den REKOM Treffen teil. Auch vom »Helsinki Komitee für Menschenrechte« in Serbien unter der Leitung von Sonja Biserko wurde Kritik laut. Biserko hatte Ende 2009 auf einer REKOM Konsultation mit NGOs in Serbien dafür plädiert, zunächst eine Wahrheitskommission auf nationaler Ebene zu schaffen. Im Frühjahr 2010 gab sie ihren Rückzug aus der Initiative bekannt.269 Im Interview mit mir erläuterte die Menschenrechtsaktivistin ihren Standpunkt: […] Vergangenheitsaufarbeitung kann nicht nur ein Akteur allein leiten, genauso wenig wie das nur der Staat oder die Gesellschaft kann. Das ist ein vielschichtiger Prozess, der eine gewisse Reife erfordert und ein Verständnis all dessen, was geschehen ist. […] Serbien hat diesen Krieg begonnen und es ist unabdinglich, bei der Aufarbeitung wirklich diesen Kontakt [Kontext] zu berücksichtigen, in welchem Jugoslawien auf diese brutale Weise zerfallen ist, das ist eine Ebene. Aber die zweite, und besonders für Serbien relevante, ist, dass innerhalb Serbiens allein, innerhalb der Gesellschaft ei­ nige Fragen erörtert werden und dass es dabei zu einem minimalen Konsens kommt. Ein minimaler Konsens darüber, was gewesen ist, um dann überhaupt in der Region, mit egal wem, darüber zu sprechen.270 268 Interview mit Edin Ramulić, 15.11.2012, Sarajewo, BKS . 269 REKOM: Odgovor REKOM-a. 270 Interview mit Sonja Biserko, 22.11.2012, Belgrad, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

282

Einerseits hält Biserko somit den regionalen Ansatz für verfrüht, andererseits erklärte sie darüber hinaus auch, dass die Fokussierung auf Opfer, wie sie ­ EKOM vornimmt, wiederum zu eng gefasst sei. Denn der historische KonR text und die Täter*innen sind ihrer Meinung nach für Vergangenheitsaufarbeitung genauso wichtig. Alle diese Unstimmigkeiten verhandelten die Mitstreiter*innen der ­R EKOM Initiative zirka ein halbes Jahr intern. Die Meinungsverschiedenheiten, Unzufriedenheiten und Spannungen sind ein sehr wichtiges Resultat der lokalen Konsultationen im Verlaufe des Jahres 2009. Sie zeigen, wie Opfer eine Stimme in der Gestaltung des Konsultationsprozesses beansprucht haben. Aus der Perspektive der serbischen Führung war die Stimme der Opfer aber eigentlich nur als Zeitzeuge vorgesehen. Die Opfer sollten durch ihr »Leidzeugen« nicht aus der Objektrolle ausbrechen, sondern weiterhin bedürftig bleiben. Was sollte man nun mit Opfern als Subjekte mit Expertise und eigenen Vorstellungen über die Gestaltung des Austausches tun? Nataša Kandić beobachtete die Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina nicht lange, sondern handelte schnell. Auf der Sitzung des regionalen Koordinierungsrates der REKOM Initiative Ende September 2009 gab sie bekannt, dass fortan für die weitere Koordination in Bosnien eine zusätzliche Organisation in Sarajewo zuständig sein wird, der »Bosnische Journalistenverband« (BH Novinari), hinzu kam das »Zentrum für rechtliche und Informationshilfe« (Centar informativno-pravne pomoći) in Zvornik.271 Dieses Eingreifen macht meines Erachtens die wirkliche Zäsur in den Entwicklungen bei REKOM im Jahr 2009 aus. Mit den fünf Mitgliedern des selbsternannten bosnischen Koordinierungsgremiums war das anscheinend nicht abgestimmt gewesen. Ganz im Gegenteil, es wurde als Gegenmaßnahme verstanden. Entsprechend kündigten Todorović mit dem Helsinki Komitee in der Republika Srpska und Ramulić mit dem Verein »Quelle« aus Prijedor ihr Engagement bei REKOM auf. Das Bürgerforum Tuzla unter Vehid Šehić blieb weiter dabei, jedoch informierte Šehić den Koordinierungsrat, dass er REKOM aufgrund eines neu bewilligten Projektes ab 2010 nicht weiter aktiv unterstützen kann.272 Laut Rowen zog sich die Youth Initiative for Human Rights (YIHR) aus Sarajewo ebenfalls im Juni 2010 aus dem REKOM Koordi­nierungsprozess zurück.273 Allerdings wirkten sowohl Vertreter*innen der YIHR BiH als auch Ramulić zu späteren Zeitpunkten wieder bei REKOM Aktivitäten mit. Diese internen Auseinandersetzungen brechen die beinahe romantische Vorstellung direkter Demokratie, die häufig mit sogenannten »bottom-up«Prozessen verbunden wird, so als ob zivilgesellschaftliche Akteure per se vor 271 REKOM: Odgovor REKOM-a. 272 Ebd. 273 Rowen: Searching for Truth, 78.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

283

Interessenkonflikten, Beeinflussungen und persönlichen Machtkämpfen gefeit wären. Derartige Unstimmigkeiten und Verwerfungen auszutragen und auszuhalten, um sodann Wege daraus zu finden, ist unter den prekären, auf Resultate fixierten Arbeitsbedingungen vieler zivilgesellschaftlicher Akteure in Post-Jugoslawien jedoch eine große Herausforderung. Politische Entscheidungsträger*innen unterliegen im Vergleich dazu einem klareren Prozedere, welches derartige Aushandlungs- und Abstimmungsprozesse regelt. Zivilgesellschaftliche Organisationen verfügen zwar auch über Satzungen und Projektleitfäden, ihre Umsetzung wird jedoch flexibler gestaltet und ist häufig sehr viel abhängiger von persönlichen denn von formellen Kriterien. Eine Lehre aus den »Konsultationen vor Ort« kann somit lauten: die Teilhabe und Mitbestimmung der Betroffenen bei der Gestaltung von Aufarbeitungsprozessen zu ermöglichen, kann dazu führen, dass sich für einige das Vorhaben als unrealisierbar oder die Vorgehensweise als untragbar erweisen und sie sich daraufhin zurückziehen. Das ist legitim, war aber im Konsultationsprozess nicht vorgesehen. 5.2.13 Gegengeschichten

Die lokalen Konsultationen im Jahr 2009 stehen jedoch nicht nur für eine basisdemokratische Aushandlung von Vorstellungen über Vergangenheitsaufarbeitung mit all ihren Schwierigkeiten. Sie waren auch eindrückliche Manifestationen einer alternativen Erinnerungskultur. Eine lokale REKOM Veranstaltung am 4. August 2009 in Knin, Kroatien, veranschaulicht dies. Vor dem folgenden Hintergrund kam diesem Austausch ein hoher Symbolwert zu. Knin war von 1991 bis 1995 die Hauptstadt der als von Kroatien unabhängig erklärten Republika Srpska Krajina. Zu dieser gehörten ab 1992 auch die serbisch besetzten Gebiete im Osten Kroatiens (Ostslawonien) und im Zentrum südlich von Zagreb. Von den insgesamt 580.000 Serb*innen (12,2 %), die bis 1991 in Kroatien lebten, bewohnte ein Großteil diese Landesteile und machte hier sogar die Mehrheit in der Bevölkerung aus.274 Die Serb*innen in Kroatien hatten zuerst die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens 1991 blockiert und dann ihren eigenen Staat ausgerufen, so wie die Serb*innen in Bosnien und Herzegowina auch. Sowohl in der bosnischen als auch in der kroatischen Republika Srpska wurde die nichtserbische Bevölkerung vertrieben, ihre Häuser geplündert und angezündet. Allein in den ersten Monaten, zwischen August und Dezember 1991, fielen rund 80.000  Kroat*innen und andere Nicht-Serb*innen aus den als serbisch und unabhängig erklärten Gebieten Kroatiens »ethnischen Säuberungen« zum Opfer. Die Ge274 Calic: Geschichte Jugoslawiens, 304.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

284

Die Entwicklung der REKOM Initiative

samtbilanz bis 1995 liegt bei rund 200.000 Vertriebenen.275 Der Ministerpräsident der Republika Srpska Krajina, Milan Babić, wurde 2004 vom ICTY für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 13 Jahren Haft verurteilt und erhängte sich 2006 in seiner Zelle.276 Der militärische Führer der Serben in Kroatien, Milan Martić, wurde 2007 vom ICTY für Folter, Verfolgung und Vertreibung von Kroat*innen und anderen Nicht-Serb*innen, für Angriffe auf Zivilist*innen, mutwillige Zerstörung von zivilen Gebäuden und für weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie für Verstoße gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges zu 35 Jahren verurteilt.277 Anfang August 1995 eroberten die kroatischen Truppen innerhalb von dreieinhalb Tagen unter dem Kommando von Ante Gotovina die Republika Srpska Krajina in der »Operation Sturm« (Oluja)  zurück. Ein Waffenstillstandsabkommen gewährleistete den serbischen Kämpfern den Abzug und nun floh auch die serbische Bevölkerung aus den wieder als kroatisch deklarierten Gebieten. Zwischen 150.000 und 200.000 Serb*innen verließen im Sommer die Krajina.278 Nach der Rückeroberung kam es wiederum zu Plünderungen serbischer Häuser, zur Zerstörung von Kulturgütern und zu Morden an Zurückgebliebenen, vorrangig an Alten. 2011 verurteilte das ICTY den Oberbefehlshaber der kroatischen Armee, Ante Gotovina, in erster Instanz zu 24 Jahren Haft für Verfolgung, Deportation und Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie für Plünderung und Zerstörung als Verletzung der Gesetze oder Gebräuche des Krieges in der »Operation Sturm«.279 Im November 2012 sprach jedoch die Berufungskammer den Ex-General von allen Anklagepunkten frei und entließ ihn aus der Haft. Wie bereits in Kapitel drei beschrieben, schickte die kroatische Regierung ein Flugzeug nach Den Haag und ich war zufällig dabei, als noch am Abend Ante Gotovina mit einer großen Willkommensfeier auf dem Zagreber Ban Jelačić-Platz als Nationalheld bejubelt wurde.280 Anschlie­ßend empfing er zudem auch noch den Segen der katholischen Kirche. Wenige Tage nach dem Freispruch von Kriegsverbrechen wurde der Ex-General für »besondere Verdienste im Heimatkrieg« von der Stadt Split zum Ehrenbürger erklärt.281 275 Sundhaussen, Holm: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. Köln / Wien 2014, 324. 276 ICTY: Babić (IT-03-72). URL : http://www.icty.org/case/babic/4 (am 01.06.2017). 277 ICTY: Martić (IT-95-11). URL : http://www.icty.org/case/martic/4 (am 01.06.2017). 278 Friemann, Andrea: »Brennpunkt Krajina«. Ethnische Säuberungen im Kroatien der neunziger Jahre. In: Brunnbauer u. a.: Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung, 169–186. 279 ICTY: Gotovina u. a. (IT-06-90). URL: http://www.icty.org/case/gotovina/4 (am 01.06.2017). 280 Feldnotizen d. Vf. 16.11.2012, Zagreb. 281 Der Standard: Ex-General Gotovina wird Ehrenbürger von Split vom 24.11.2012. URL : http://der​standard.​at/1353207126074/Ex-General-Gotovina-wird-Ehrenbuerger-vonSplit (am 01.06.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

285

1995 waren dem kroatischen Sieg über die Serb*innen in der »Operation Sturm« NATO -Luftangriffe gegen serbische Stellungen in Bosnien und Herzegowina gefolgt, woraufhin schließlich im Oktober 1995 der Waffenstillstand beschlossen wurde. Die »Operation Sturm« war somit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Friedensabkommen vom 14. Dezember 1995, welches die Jugoslawienkriege formal beendete. Dem Ort Knin kommt demnach eine gehobene symbolische Bedeutung für die kroatische Rückeroberung der Krajina, für das Ende der Kriege und insbesondere für das kroatische, kollektive Sieges- und Unabhängigkeitsbewusstsein zu. Ein Treffen, auf welchem mit der lokalen Bevölkerung in Knin über antinationalistische, transnationale Vergangenheitsaufarbeitung diskutiert wurde, stand an diesem Ort unter besonderen Vorzeichen. Zusätzlich verstärkt wurde die Problematik durch die Terminwahl. REKOM organisierte die Konsultation am Tag vor der jährlich am 5. August in heroischer Manier zelebrierten Feier zum »Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit« (Dan pobjede i domovinske zahvalnosti). Seit Kriegsende hatte Knin mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Stadt und Region hatten einen massiven Bevölkerungsaustausch erlebt, denn die mehrheitlich serbische Bevölkerung war vertrieben worden und Rückkehrer*innen wenig willkommen. Dafür hatten sich die aus Bosnien geflüchteten Kroat*innen und kroatischen Veteranen in Knin angesiedelt. Diese vom Krieg gezeichnete Bevölkerung lebt nun im strukturschwachen Knin, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und man durch den Bau der Autobahn ZagrebSplit, welche die Kleinstadt umgeht, auch verkehrsmäßig in die Randlage geraten ist.282 Erinnerungskulturelle, symbolische Großgebärden der politischen Prominenz erhalten an solch einem Ort umso größere Resonanz, da sie die Bevölkerung für kurze Zeit ihre desolate Lage vergessen lassen. Und umso schwieriger war es für die kroatischen Partnerorganisationen der REKOM Initiative (Documenta sowie eine Frauenorganisation aus Drniš, einer Kleinstadt unweit von Knin) dort eine Veranstaltung über antinationalistische Vergangenheitsaufarbeitung zu organisieren. Zwar hatte die Fachhochschule in Knin den Raum zur Verfügung gestellt und auch die Bürgermeisterin ihre Anwesenheit angekündigt. Da die politische Repräsentantin aber auf einer Pressekonferenz anlässlich der bevorstehenden, großen kroatischen Siegesfeier sprechen musste, warteten die Teilnehmer*innen der REKOM Konsultation vergeblich auf sie.283 Unter den rund dreißig Anwesenden war nur zirka ein Fünftel aus Knin. Dies ist von Bedeutung, weil die 282 Vezić, Goran / Dikić, Mirjana: Knin: Im Krieg umkämpft – im Frieden vergessen? URL : http://www.dw.com/de/knin-im-krieg-umk%C3%A4mpft-im-frieden-vergessen/​a-454​ 7010 (am 29.05.2017). 283 REKOM: Lokalne konzultacije s lokalnom zajednicom o inicijativi za osnivanje REKOM 4. kolovoza 2009, Knin, 6.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

286

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Übersicht über »lokale« Konsultationen in bestimmten Orten suggeriert, hier würde mit der lokalen Bevölkerung über REKOM diskutiert. Obgleich bei anderen Treffen meistens die Mehrzahl der Teilnehmenden tatsächlich aus den Tagungsorten stammte, gilt diese Annahme nicht immer. Das bedeutet, dass der Bezeichnung eines Treffens als »lokaler Austausch« ebenfalls eine performative Funktion für REKOM innewohnt, die es zu berücksichtigen gilt. Auch die Zuschreibung von Teilnehmenden zu bestimmten sozialen Gruppen zielt auf eine bestimmte Wirkung ab. Beispielsweise wird in der Teilnehmerliste in Knin ein Mitglied des kroatischen Parlaments geführt. Schaut man ins Transkript, so machte Ratko Gajica gleichwohl bei seiner Vorstellung deutlich, dass er als Privatperson zum Zuhören gekommen war, weil ihm, wie er es ausdrückte, »leider dieses Thema in die eigene Biographie geraten ist.«284 Was das genau bedeutet, erfahren wir nicht, denn Gajica war nicht zum Erzählen, sondern zum Zuhören gekommen, wie er später mitteilte. Zwar wird im Transkript sein politischer Hintergrund als Mitglied der »Unabhängigen Serbisch-Demokratischen Partei« (Samostalna demokratska srpska stranka, SDSS) nicht angeführt, seine Tätigkeit als Abgeordneter im kroatischen Parlament aber doch. Gajicas Wunsch als Privatperson dabei zu sein wurde von den REKOM Organisator*innen somit ignoriert. Am Ende des Austausches wird Gajica zu einer Aussage aufgefordert, worauf er höflich entgegnet, dass er das lieber vermieden hätte, um dann REKOM zwar Unterstützung auszusprechen, aber gleichsam warnend, dass es ein sehr langer Prozess werden würde und alle Manipulationen und Instrumentalisierungen von Vergangenheitsaufarbei­tung abgewendet werden müssten.285 Dass er gerade selbst instrumentalisiert wurde, nämlich von REKOM in eigener Sache, um Unterstützung durch einen kroatischen Parlamentsangehörigen zu postulieren, thematisiert er dabei nicht. Deutlich wird anhand dieser Konsultation, welche Rolle die Wahl der Orte und auch die Darstellung von Teilnehmenden als Repräsentant*innen bestimmter sozialer Gruppen spielt. Ein möglichst in der Gesellschaft verankerter, sogenannter »bottom-up«-Austausch mit möglichst unterschiedlichen Vertreter*innen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen soll belegt werden. Im Falle von Knin ging es aber um mehr als nur eine Diskussion über REKOM mit unterschiedlichen Vertreter*innen der lokalen Bevölkerung. Die REKOM Konsultation in Knin am 4. August 2009 muss als Akt der Gegenerinnerung verstanden werden. Sie fand am Vortag der kroatischen Siegesfeiern statt und hatte eine antinationalistische, kritische Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit zum Thema. Dieses Ziel wurde unterstrichen,

284 Ebd., 4. 285 Ebd., 23.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

287

indem REKOM dort auch Opferanhörungen in Form einer Wahrheitskommission organisierte, was sonst nur auf den regionalen Zusammenkünften der Initiative stattfand. Alle drei Zeitzeug*innen waren Opfer sowohl der Republik Serbische Krajina als auch der Zeit nach ihrer Rückeroberung durch Kroatien. Diese drei Opfergeschichten am 4. August in Knin zu erzählen, bildete einen performativen Gegenerinnerungsakt zu der von tausenden besuchten Jubelfeier samt Militärparade am »Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit«. Sie hier in Kürze zu reflektieren, wird zeigen, wie drei individuelle Geschichten die Aufteilung von Opfern und Täter*innen anhand ethnischer Kriterien in Frage stellen können. Ein kroatischer Überlebender verschiedener serbischer Lager aus der Zeit der serbischen Besetzung Knins und Umgebung berichtete, deutlich trauma­ tisiert, von seinem Höllenweg.286 Radoslav Bobanovićs Geschichte ist auch deswegen besonders tragisch, weil er eigentlich gar nicht mehr in der Krajina lebte, sondern 1972 zunächst ins Ausland zum Studieren gegangen und später dann nach Rijeka gezogen war, wo er als Beamter im öffentlichen Dienst wirkte. Bei Kriegsbeginn, 1991, ist er jedoch in sein Heimatdorf bei Biograd gereist, um seine Mutter nach Rijeka zu holen und geriet auf dem Weg in serbische Gefangenschaft. Im Gefängnis in Benkovac kannte er seine Peiniger*innen sehr gut und er berichtet, wie genau das ihm seine Erfahrungen immer wieder unerklärlich erscheinen ließ. Auch in Knin wurde er im Gefängnis gefoltert, bis es zu einem Gefangenenaustausch zwischen Serb*innen und Kroat*innen im November 1991 kam. Bobanović hat diese schrecklichen Monate Ende des Jahres 1991 überlebt. Vierzehn Jahre nach dem Krieg übt er wieder eine verantwortungsvolle Rolle im Finanzamt aus, nun in Zadar, und engagiert sich im »Bund kroatischer Lagerinsassen der serbischen Konzentrationslager in Knin« (Hrvatska udruga logoraša srpskih koncentracijskih logora Knin). Man könnte meinen, Bobanić wäre ein prädestinierter Repräsentant eines Opfers, das den kroatischen Nationalismus aufgrund seiner Kriegsqualen besonders unterstützen wird. Doch im Gegenteil, Radoslav Bobanović kann damit nichts anfangen und fragt am Ende seiner Opfererzählung bei REKOM, warum das alles geschehen sei: […] aus Albernheit, aus Dummheit. Nicht wegen des Kroatentums, nicht wegen des Serbentums, wegen etwas anderem, das ich nicht kenne. Ich weiß es nicht. Es gibt hier doch so eine Krankheit. Aber wir müssen sagen, dass wir mit solch einer Seuche, mit der wir [19]91 aufgebrochen sind in diesen Besetzer-, Mörder-, Bürger-, Brudermordkrieg –. Ich als Mensch, ich weiß nicht, 52 Jahre alt bin ich, hoch ausgebildet und so weiter, ich kann das nicht verstehen.287

286 Ebd., 8–13. 287 REKOM: Lokalne konzultacije Knin, 8–13.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

288

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Danach hatte Jovan Berić das Wort. Er stammt aus einer ethnisch gemischten Familie aus der Krajina. Während der serbischen Besatzung weigerte er sich für die Serb*innen in den Krieg zu ziehen. Am Tag der Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens wurde das Haus seiner Familie niedergebrannt und ihm wurde gekündigt. Er ging mit seiner Familie zunächst nach Banja Luka (Bosnien und Herzegowina), dann nach Pančevo (Serbien), seine Eltern blieben in der Krajina zurück. Ende September 1995, also fast zwei Monate nach der Rückeroberung der Gebiete durch Kroatien, wurden Berićs Mutter, Vater, Onkel und weitere sechs Nachbar*innen ermordet. Die Häuser wurden geplündert. Dennoch kehrte er mit seiner Frau 2003 in die Krajina zurück und schlägt sich seither in der sehr verarmten Gegend durch. Berić hat wegen der Morde kurz nach Kriegsende Anzeige erstattet, der Prozess schleppte sich zum Zeitpunkt seiner Aussage bei REKOM 2009 bereits Jahre lang hin, Verantwortliche konnten vor kroatischen Gerichten damals nicht gefunden werden. Seine Erzählung bei REKOM beendet Jovan Berić damit, dass er keine kollektiven Schuldzuschreibungen an Kroat*innen richtet, sondern die einzelnen Täter*innen gefasst werden müssten, weswegen er REKOM unterstützt. Ein Jahr später, 2010, erzählte er nochmals von seinen Erfahrungen auf dem siebten regionalen Transitional Justice Forum in Zagreb. Berić hofft, durch die regionale Initiative Unterstützung bei der Aufklärung der Morde an seinen Eltern zu erhalten. Als letztes erzählt die Leiterin der Frauenorganisation aus Drniš, eine der Mitveranstalter*innen des Treffens, ihre Erlebnisse. Auch Milena Perčins Kriegsgeschichte passt nicht in das offizielle Geschichtsbild des kroatischen Sieges über die Serb*innen in Knin. Sie erzählt, wie sie als Kroatin zu Kriegsbeginn Oberschwester im Krankenhaus in Drniš war, wo sie in einem Atombunker über 400 Kranke und Verletzte zusammen mit fünf anderen Krankenschwestern pflegte.288 Von den über einhundert im Krankenhaus angestellten Mitarbeiter*innen waren bei Kriegsausbruch nur sechs dort geblieben. Nicht nur Personal, auch Strom, Wasser und Verpflegung blieben aus, bis am fünften Tag eine paramilitärische Einheit anrückte und die Evakuierung des Bunkers veranlasste. Perčin berichtet davon, wie die Soldaten zuvor den Bunker nach anderen Soldaten durchsuchten und wie sie forderten anzugeben, wer Kroat*in und wer Serb*in sei, was sie verweigerte. Milena Perčin ist auch danach als Kroatin weiter auf dem serbisch besetzten Gebiet geblieben, bis sie eines Morgens von der Polizei abgeholt wurde. Sie kam für 32 Tage in Einzelhaft, wurde als Spionin verdächtigt, verhört und misshandelt. Nach dem fünften Tag erhielt sie erstmals Essen und Trinken, so erzählt sie. Nach mehr als einem Monat wurde Milena Perčin einfach wieder vor die Tür der Polizeistation gesetzt und kehrte in ihr Haus zurück. Sie arbeitete dann in den Wein288 Ebd., 14–17.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

289

bergen und wenn es Medikamente gab, wurde Perčin wieder zur Sanitäterin und pflegte insbesondere die isolierten, alten Menschen dort in ihrer Gegend. Sie erzählt von einem Zustand der Rechtlosigkeit während der Besatzung, denn ihr Haus wurde angezündet, während sie darin war, paramilitärische Gruppen sind eingefallen und konnten tun und lassen, was sie wollten. Am »Tag der Befreiung« wurde auch die Kroatin vertrieben, allein, weil sie zu dem Zeitpunkt dort war, wo sich Serb*innen befanden. Sie machte sich mit dem serbischen Flüchtlingskonvoi auf nach Belgrad und fand Unterschlupf bei einer Bekannten. In Belgrad beantragte Milena Perčin einen neuen kroatischen Pass. Als sie mit diesem zwei Monate später nach Kroatien zurückkehren wollte, wurde sie an der Grenze schikaniert als wäre sie keine Kroatin und sollte dafür zusätzliche Beweise vorlegen. Nachdem es ihr gelungen war, erneut in ihr Haus zurückzukehren, stand einen Monat später ein Polizist vor Perčins Haustür, der sagte: ›Bitte verzeihen Sie, gnädige Frau, Ihnen ist der Aufenthaltstitel in Kroatien abgelaufen.‹ Ich denke: Was ist das jetzt?! Aufenthalt in Kroatien? Ich meine, da wundert man sich. Was ist das jetzt? [und sage:] ›Meinen Sie etwa den Aufenthalt in meinem Zuhause?‹ ›Ja.‹ ›Und was folgt jetzt?‹, frage ich. Sagt er: ›Jetzt folgt die Deportation.‹ Diese […] Ich meine –. [Und sage:] ›Haben Sie denn eine andere Adresse, an welche Sie mich deportieren können, außer derjenigen hier, an der ich gemeldet bin? In allen Dokumenten, die ich habe, steht diese Adresse geschrieben?!‹ ›Nein. Nein, ich weiß ja nichts! Ich bin damit beauftragt Sie zu deportieren.‹ Da bin ich explodiert und habe den Polizisten aus dem Haus gejagt. Und ich sagte ihm, dass er bloß nicht wieder auftauchen sollte, nicht er oder irgendjemand anderes von den Behörden. Damals begannen meine schlechten Erlebnisse mit, nennen wir es, meinem Volk, der staatlichen und behördlichen Macht.289

Diese Episode klingt wie absurdes Theater und mag durch die Erinnerung verfälscht sein. Als Teil von Milena Perčins Opfererzählung bei REKOM verweist sie jedoch auf die Absurdität nicht nur des Krieges, sondern auch der unmittelbaren Zeit danach und deswegen möchte ich sie derart stehen lassen. Bis 1998 lebte Perčin von einer geringen Sozialhilfe, dann wurde sie Rentnerin. Einer ihrer Söhne ist nach der Befreiung der Gebiete als kroatischer Soldat gefallen. Seine Leiche konnte erst 1997 identifiziert und beerdigt werden. Die Mutter berichtet, dass erst mit der Beerdigung ihres Sohnes ihre Kriegsgeschichte beendet war und ihre Aufarbeitung beginnen konnte. Zwischen 2002 und 2003 gründete sie die Organisation, die das REKOM Treffen 289 Ebd., 17.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

290

Die Entwicklung der REKOM Initiative

in Knin mitorganisiert hat. Diese NGO erfüllt ihr Leben wieder mit Sinn. Sie pflegt in diesem Rahmen über vierhundert alte Menschen auf dem Land, belebt traditionelle Handwerkskunst und beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der Kriege. Später hat Milena Perčin ihre Geschichte auch ausführlich bei dem großen von Documenta durchgeführten Oral History Projekt erzählt.290 Drei Opfergeschichten von Menschen aus der Krajina, die nicht in den selbstlobenden Ton der Siegesfeier am nächsten Tag einstimmten, gaben der REKOM Veranstaltung den Charakter eines Aktes der Gegenerinnerung und damit zusätzliche Brisanz. Keine der drei Zeitzeugengeschichten passte in die heroische und nationalistische Leiterzählung des kroatischen Verteidigungsund Befreiungskampfes. Dies musste auch das Misstrauen der »Vereinigung der Verteidiger der Festung Knin« (Udruga branitelja Tvrđava Knina) geweckt haben, denn der kroatische Veteranenverband nahm zwar nicht an der lokalen Konsultation teil, zeichnete aber die gesamte Veranstaltung auf.291 Unter diesen Umständen kann es bereits als Erfolg bezeichnet werden, dass die ­ EKOM Konsultation am 4. August 2009 in Knin überhaupt stattgefunden R hat. Das deutet auch Vesna Teršelić in ihren einführenden Worten an: »Mehr als je zuvor bin ich mir bewusst, wie herausfordernd es ist, gleichzeitig über die unterschiedlichen Seiten des Krieges zu sprechen.«292 Die Konsultation in Knin zeigt aber auch, wie schwierig es ist, einen derartigen Austauschprozess analytisch zu fassen. Einerseits hat ein REKOM Treffen an einem für die Erinnerungskultur und die kroatische Selbstver­gewisserung hoch symbolischen Ort an einem symbolischen Datum mit einer Gegenerinnerungsaktivität – den Opfererzählungen – stattgefunden. Später haben zwei der drei Zeitzeugen in weiteren Formaten ihre Opfergeschichte erneut erzählt, möglicherweise ermutigt durch die Erfahrung in Knin. Den Organisator*innen aus Zagreb ist die Schwierigkeit ihrer Aktivitäten in anderen Kontexten außerhalb der Hauptstadt bewusst geworden, was wiederholt als Lernerfahrung betont wurde. All diese Aspekte könnten als Argumente für den Erfolg dieses lokalen Austausches geführt werden. Andererseits ist jedoch die politische Repräsentantin des Ortes dem Treffen ferngeblieben und der Großteil der Teilnehmenden kam nicht aus Knin. Diese Entwicklungen könnten die Vermutung stützen, dass das eigentliche Ziel einer lokalen Konsultation  – R ­ EKOM der Bevölkerung vor Ort näher zu bringen  – eher nicht erfüllt wurde. Bei der Analyse von Aushandlungsprozessen kommt der aufmerksamen Deskription der Abläufe somit mehr Gewicht zu: was genau 290 Ihre Erzählung ist hier auf Kroatisch nachhörbar, allerdings nicht transkribiert: Documenta: Osobna sjećanja na ratove i druge oblike političkog nasilja od 1941. godine do danas. Milena Perčin. URL: http://www.osobnasjecanja.hr/video-arhiva/milena-percin/ (am 26.05.2017). 291 REKOM: Lokalne konzultacije Knin, 36. 292 Ebd., 3.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

291

ist in welcher Reihenfolge passiert und mit welchen Folgen. Die Frage nach Erfolg oder Misserfolg lässt sich jedoch bei einem Fokus auf Prozesse schwer beantworten. Übertragen auf das gesamte Jahr 2009 kann allein aufgrund der dichten Anzahl der Treffen, die auch an besonders problematischen Orten wie etwa Knin stattgefunden haben, festgehalten werden, dass diese Periode für die Entwicklung der REKOM Initiative von großer Bedeutung war. Der überwiegende Teil der über sechzig Treffen hatte sich auf »lokaler« Ebene abgespielt, was eine starke Verankerung des Austausches über eine regionale Wahrheitskommission in der Bevölkerung (»bottom-up«) suggeriert. Diese Veränderungen wurden begünstigt durch beachtliche finanzielle Unterstützung und können als Antwort auf die im Jahr zuvor deutlich gewordenen Herausforderungen verstanden werden. Indem in großer Dichte kleinere Treffen »vor Ort« insbesondere mit Opfern organisiert wurden, versuchte man der wichtigsten Zielgruppe näher zu kommen und den Einfluss von Politik zu schmälern. Denn man ging davon aus, dass es auf lokaler Ebene vielmehr um die Menschen ging, unabhängig ethnischer oder politischer Zugehörigkeiten. Insbesondere, aber nicht nur, in Bosnien und Herzegowina hatten die lokalen Konsultationen jedoch die enormen Schwierigkeiten von Vergangen­ heitsaufarbeitung zutage gefördert. Für den Leiter der den Austausch in Bosnien und Herzegowina koordinierenden Organisation, Branko Todorović, war ­R EKOM nach den Konsultationen im Jahr 2009 »für Bosnien und Herzegowina tot […]. Die Menschen haben nein gesagt und die Geschichte ist beendet.«293 Letztlich hat aber die serbische Führung zu den Dezentralisierungs- und Selbstverwaltungsvorstellungen in Bosnien, die auch mehr Zeit für den Austausch verlangten, nein gesagt. Dass eine basisdemokratische Aushandlung von Vorstellungen über die Zusammenarbeit also auch das bestehende Vorgehen in Frage stellen kann, ist ein wichtiges Ergebnis der Diskussionen. Auch Di Lellio und McCurn kamen zu diesem Ergebnis in ihrer Studie über REKOM im Kosovo: In Kosovo, what people mostly want is to find their missing and have their losses acknowledged. Answering their needs and aspirations might imply abandoning the received professional ›toolkit‹, and the idea that a regional truth commission could be established in the short or medium term.294

Da Projektförderung jedoch selten als offener Prozess unterstützt wird, war ein solches Ergebnis kaum akzeptabel. Es konnte zur Kenntnis genommen werden, aber alternative Wege waren im Grunde nicht vorgesehen.

293 Interview mit Branko Todorović, 17.11.2014, Bijelina, BKS . 294 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 132.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

292 5.2.14 Jugoslawisches Erbe?

Beim nächsten großen Treffen im März 2010, dem sechsten regionalen Forum für Transitional Justice in Novi Sad, hatte sich die Stimmung noch nicht beruhigt. Der Ablauf dieser sechsten REKOM Großzusammenkunft steht vor dem Hintergrund der internen Probleme in einem anderen Licht. Bei den Schwierigkeiten zeigte sich immer mehr, dass die Probleme in der regionalen Kooperation einem Pfad folgten, der bereits zu jugoslawischen Zeiten angelegt wurde. Auf dem sechsten Forum begrüßten nach dem Veranstalter Dinko Gruhonjić von der Unabhängigen Gemeinschaft der Vojvodina Journalisten (Nezavisno društvo novinara Vojvodine)  auch der stellvertretende Vorsitzende der Regierung der Vojvodina sowie der Chef der Delegation der Europäischen Kommission die REKOM Aktivist*innen, gefolgt von einem beinahe prophetischen Willkommensgruß Želimir Žilniks. Der für seine gesellschaftskritischen Filme aus Jugoslawien bekannte und in Novi Sad ansässige Regisseur sagte REKOM voraus, dass eine Arbeit bevorstünde, »die auf riesige Widerstände und Schwierigkeiten stoßen« werde, die gleichwohl unbedingt zu unterstützen sei, »weil ohne sie keine Normalität« eintreten könne.295 Žilnik erinnerte daran, dass auch Intellektuelle und Kunstschaffende einen Teil der Verantwortung für die Kriegspropaganda trugen und deswegen auch sie für die Aufarbeitung von gesellschaftlicher Bedeutung seien. Der Dokumentarfilmemacher betonte die Gemeinsamkeiten zwischen seinem Wirken und dem einer Wahrheitskommission, da auch ihm daran gelegen sei, die Stimmen der Beteiligten für ein Später aufzubewahren. So wie einige seiner Filme zu jugoslawischen Zeiten nicht gezeigt wurden, sei auch die Arbeit einer Wahrheitskommission zu bestimmten Zeiten gesellschaftlich unerwünscht. Wenn aber die Erzählungen dokumentiert würden, so werden diese letztlich unter veränderten Bedingungen ihren öffentlichen Raum erhalten und ihre Wirkung entfalten. Žilnik schließt seine Ermunterungsworte mit: Das heißt, es steht euch in keinster Weise eine leichte und einfache Arbeit bevor, […], aber seid euch gewiss, die Wahrheit ist auf eurer Seite. Und sie wird sich auf die eine oder andere Art und Weise in Stärke verwandeln.296

Darauf folgte eine Anhörung von Opfergeschichten im Stil einer Wahrheitskommission. Dieses Mal wurde das Panel aber kürzer gehalten und fokussiert: drei weibliche Opfer aus Bosnien und Herzegowina erzählten unter der Moderation von Nataša Kandić ihre Kriegsgeschichten. Die aus der Nähe von Sarajewo stammende bosnische Serbin Zorica Marković berichtete davon, wie sie bei der Beerdigung ihres Mannes, der Soldat war und im Krieg 295 REKOM: Šesti regionalni forum za tranzicionu pravdu. Transkript. Novi Sad 20.03.2010. 296 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

293

getötet wurde, bei einem Racheangriff der bosnischen Armee schwer verletzt wurde und das Massaker an den fünfzehn Anwesenden als eine von fünfen überlebte.297 Die aus der Nähe von Vitez stammende bosnische Kroatin Finka Bobaš erzählte in Novi Sad von den Verbrechen einer Mudschahedin-Einheit in einer kroatischen Siedlung Bosniens.298 Die Ärztin musste mehrere Monate in Gefangenschaft verbringen, ihr Sohn wurde verletzt, währenddessen wurde ihr Haus geplündert und dann niedergebrannt. Die dritte Geschichte war die der Bosniakin Semka Agić, welche in der Nähe von Tuzla lebt und von wo sie zu Kriegsbeginn in Bosnien, Anfang Mai 1992, in Richtung Bosanski Šamac aufgebrochen war, um ihren Sohn zu suchen. Agić fand eine verlassene und verwüstete Stadt vor, aus welcher die bosnische und kroatische Bevölkerung vertrieben worden war.299 Ihr neunzehnjähriger Sohn musste zwei Monate Zwangsarbeit leisten und wurde anschließend umgebracht. Die Mutter wurde gefangen genommen und vergewaltigt – danach verbrachte sie fast ein Jahr in Gefangenschaft, wo sie weiter und immer wieder missbraucht wurde. Agić meinte bei REKOM, dass insbesondere Vergewaltigungsopfern eine Wahrheitskommission nutzen würde, weil ihre Schicksale bei Gerichtsprozessen unzureichende Berücksichtigung fänden. Dass die Opferanhörung in Novi Sad ausschließlich bosnischen Frauen Raum gab, die auch die drei großen Volksgruppen repräsentierten, muss vor dem Hintergrund der erheblichen Schwierigkeiten der REKOM Initiative in Bosnien und Herzegowina interpretiert werden. Während Nataša Kandić insbesondere den männlichen, sie kritisierenden Opferorganisationsvertretern aus Bosnien ihre weitere Mitwirkung erschwerte, gab sie nun auf dem regionalen REKOM Treffen einer serbischen, kroatischen und bosnia­k ischen Opfervertreterin prominenten Raum für ihre Erzählungen. Da sich die Kritik aus Bosnien und Herzegowina auf mangelnde Sensibilität der R ­ EKOM Führung für die Opferinteressen in dem komplizierten Nachkriegsland ausrichtete, ist die Zusammensetzung dieses Panels als erster Programmpunkt des Forums symbolisch aufgeladen. Dieser protokollarische Vorgang kann bedeuten: REKOM berücksichtigt sehr genau die drei Volksgruppen und damit die Komplexität des Opferseins in Bosnien und Herzegowina. Und alle, die ihre Leidensgeschichte erzählen wollen, haben ihren Platz bei REKOM – ihre Stimme wird gehört. Auf eine Pause nach der stets emotional fordernden Opferanhörung folgte erneut der Programmpunkt »Erfahrungen anderer«, und dieses Mal stellte 297 REKOM: Zorica Marković. Video zapis i transkript javnog svedočenja. URL : http:// recom.link/sr/zorica-markovic/ (am 02.08.2017). 298 REKOM: Finka Bobaš. Video Zapis i transkript svedočencja. URL : http://recom.link/sr/ finka-bobas/ (am 02.08.2017). 299 REKOM: Semka Agić. Video zapis i transkript javnog svedočenja. URL : http://recom. link/sr/semka-agic/ (am 02.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

294

Die Entwicklung der REKOM Initiative

jeweils ein Vertreter der Wahrheitskommissionen aus Peru und aus Chile seine Arbeit vor. Im Jahr 2010 lagen nun bereits vier Jahre des Austauschs und der Kooperation hinter den Mitwirkenden bei REKOM. Deswegen konnte man nun einen Film zeigen, der die bisherige Entwicklung der Initiative zusammenfasste. Meistens warben die Filme mit Bildern des Dialogs und angenehmer Musikuntermalung ähnlich Marketing-Kurzfilmen für REKOM.300 In welcher Sprache die REKOM Werbefilme entstanden und mit welchen Untertiteln, stiftete jedoch Unmut, beispielsweise wenn mal wieder die albanische Variante außen vor blieb. Die regionalen Treffen fanden hingegen stets mit Simultanübersetzung auf BKS , Englisch und Albanisch statt. Wie schon die prominent platzierten Grußworte des Regiesseurs Želimir Žilnik zu Beginn des Forums protokollarisch belegten, ist die Sicht von Kunstschaffenden auf Vergangenheitsaufarbeitung zu einem wichtigen Bestandteil der regionalen REKOM Treffen geworden. In Novi Sad enthielt das Programm deswegen auch eine Sitzung unter dem Titel »Zeitzeugenschaft in der Sprache der Künstler« (Svjedočenje umjetničkim jezikom). Dahinter verbarg sich ein Workshop mit fünf Künstler*innen und Intellektuellen aus der Region, die sich mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigten.301 Die meiste Zeit verbrachten die Teilnehmer*innen in Novi Sad aber in drei Arbeitsgruppen, welche sich mit den Zielen, dem Mandat der zukünftigen Wahrheitskommission und der Zusammensetzung der Kommission beschäftigten. Der Plan einer regionalen Medienkampagne in Verbindung mit einer Unterschriften­ sammelaktion wurde im März 2010 ebenfalls vorgestellt. Das sechste regionale REKOM Forum endete mit einem Dokumentarfilm über ein bürokratisches Menschenrechtsverbrechen in Slowenien (die »Ausgelöschten«), gefolgt von einem gemeinsamen Mittagessen. Opferanhörungen, Kunstprojekte, und dabei insbesondere Film, sowie Arbeitsgruppen zur konkreten Beschaffenheit der Wahrheitskommission, waren die drei Hauptformate auf der ersten regionalen Zusammenkunft der REKOM Aktivist*innen im Jahr 2010 in Novi Sad. Die Auseinandersetzungen mit den bosnischen Partner*innen fanden dabei hinter verschlossenen Türen statt. Doch die Gemüter kochten hoch und die Schlichtungsversuche zwischen mehreren bosnischen Organisationen und der Belgrader Führung scheiterten. Kurz nach dem Forum in Novi Sad gingen mehrere Teilnehmende des Konsultationsprozesses mit derben Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Die Medien griffen die Konflikte wohlwollend auf, denn schlechte Nachrichten sind bekanntlich die besten Nachrichten. So erhielt REKOM sehr schnell 300 Mehrere Kurzfilme über den REKOM-Austausch wurden unter der Leitung des einstigen Regisseurs und Dissidenten Lazar Stojanović erstellt. 301 Diese waren Milica Tomić, Jasmina Husanović, Jelena Petrović, Damir Arsenijević, Branimir Stojanović.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

295

große öffentliche Aufmerksamkeit noch bevor die geplante Öffentlichkeitskampagne begonnen hatte, insbesondere in den bosnischen Medien, allerdings auf negative Art und Weise. Branko Todorović verbreitete, dass REKOM gescheitert sei; und als Nataša Kandić anlässlich eines Vortrags in Banja Luka war, gab sie vielen interessierten Reporter*innen eine Gegendarstellung. Dem ersten öffentlichen Fernsehsender der Republika Srpska, RTRS (Radio Televizija Republike Srpske), war diese Nachricht sogar ein Sendeplatz in den abendlichen Tagesthemen wert.302 Edin Ramulić gab in der bosnischen Zeitung »Befreiung« (Oslobođenje) ein Interview und griff darin Nataša Kandić offen an. Im Gespräch mit mir verglich Ramulić die Zusammenarbeit bei REKOM mit der Situation in Jugoslawien: Das war ungefähr das Verhältnis, welches zum Zerfall Jugoslawiens führte: dass immer jemand in irgendwelchen Zentren, in Belgrad oder in Zagreb, meinte, dass er in unserem Namen, für uns in Bosnien und Herzegowina, entscheiden könne. […] Und das hat mich gestört, dass jemand in Belgrad meinte, dass er besser weiß, was für Bosnien und Herzegowina notwendig ist. Dass er von dort aus irgendwelche Lösungen bestimmen kann. Und dass er uns davor nicht mal fragt, ob es gut ist oder nicht.303

Im Mai 2010 sah sich REKOM gezwungen, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, die alle Anschuldigungen und Angriffe diskutierte und das Scheitern der Initiative in Bosnien und Herzegowina dementierte: »Der Konsultationsprozess in BiH läuft weiter.«304 Auch der Austritt des bosnischen Gründungs­ partners ein Jahr zuvor wird dabei thematisiert, allerdings im Kontext von Unstimmigkeiten über die Verteilung der Fördermittel zwischen den Organisationen. In einer Fußnote erwähnt die REKOM Führung, dass gegen Tokača von seinen Förderern Anzeige erhoben wurde. In dieser Art der Darstellung ähnelt das »Memo des Koordinationsrates der Koalition für REKOM« einer Abrechnung mit allen internen Feinden. Das Schreiben endet mit einem Verweis auf den ursprünglichen Plan eine nationale Konsultation mit Opfer­ vereinigungen in Tuzla abzuhalten, bei welcher zehn lokale serbische Opfervereinigungen ihre Teilnahme aufgrund von ›Instruktionen‹ von Vertreter*innen der Republika Srpska abgesagt hätten.305 Diese Information verweist darauf, dass Opfervertretungen in Bosnien und Herzegowina politisch ins­ trumentalisiert werden. Im Kontext des »Abrechnungsschreibens« suggeriert diese Information jedoch letztlich, dass die Kritik von solchen »unfreien« Vereinen an REKOM weniger ernst genommen werden dürfe. 302 REKOM: Odgovor REKOM-a. 303 Interview mit Edin Ramulić, 15.11.2012, Sarajewo, BKS . 304 REKOM: Odgovor REKOM-a. 305 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

296

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Enttäuschung über den Verlauf des Konsultationsprozesses (zu wenig Zeit und zu viel Ergebniszwang), über die Machtverhältnisse in der Kooperation (Dominanz des Belgrader Menschenrechtsfonds, Unterbindung von Dezentralisierungs- und Selbstverwaltungsbestrebungen) und insbesondere über die Nichtberücksichtigung der Expertise von Opferorganisationsvertreter*innen führten in Bosnien und Herzegowina dazu, dass sich viele der Organisationen, die sich mit der Aufarbeitung der Kriege professionell beschäftigten, von REKOM distanzierten. Die Koordination für Bosnien und Herzegowina führten deswegen nun Dženana Karup-Druško und Borka Rudić vom bosnischen Journalistenverband (BH Novinari) weiter. Später kamen der Rechtsprofessor Zdravko Grebo und der Regisseur Dino Mustafić dazu. Deren Arbeit war nicht direkt an Vergangenheitsaufarbeitung gebunden, sondern dieses Thema war eines unter anderen gesellschaftlich bedeutenden Aspekten, mit denen sich die Intellektuellen beschäftigten. Kandić hatte somit die Spannungen entschärft, indem sie Aktivist*innen in Bosnien und Herzegowina in REKOM involvierte, die vor allem die Idee regionaler Aufarbeitungszusammenarbeit unterstützten. Für die in Kunst, Kultur und Wissenschaft Tätigen erweiterte sich durch REKOM ihr Handlungsspielraum. Sie waren aber im Gegensatz zu Vertreter*innen von Opferorganisationen viel weniger direkt durch ein Voranschreiten oder Scheitern von Aufarbeitungsvorgängen professionell wie privat betroffen. Sie hatten auch eine andere Expertise in Opferbelangen. Ein Drängen auf konkrete Maßnahmen oder gar eigene Vorstellungen von den Vorgängen war von derartigen Akteuren weniger zu erwarten, sodass Nataša Kandić weiter die Entwicklung bei REKOM auf ihre Weise fortsetzen konnte. Für die Leiterin war vor allem wichtig, dass es weiter ging, in Bosnien wie auch in den anderen postjugoslawischen Gesellschaften. Auch im Kosovo zeigten die Konsultationen, wie schwierig es war über Vergangenheitsaufarbeitung mit den Betroffenen zu diskutieren. Dennoch lief hier der Austausch anders ab. Die Aktivistin Valdete Idrizi aus Mitrovica hatte als erste die Treffen 2008 im Kosovo organisiert, obwohl sie wusste, dass es schwierig werden würde, »aber es war notwendig«.306 Seit ihrem Studium war sie zivilgesellschaftlich aktiv und in Mitrovica eine respektierte Persönlichkeit. Sie organisierte enthusiastisch und freiwillig mehrere Treffen, welche sie als bedeutend für die Beteiligten einschätzte, da sehr schmerzhafte Erfahrungen offen thematisiert wurden, was für viele Teilnehmende das erste Mal war. Später jedoch zog sie sich zurück, denn Idrizi wollte mehr Konsultationen organisieren und sie wollte, dass auch Opponent*innen der REKOM Idee wieder dazu eingeladen werden. Denn sie musste die Erfahrung machen, dass Teilnehmende, die die Idee einer regionalen Wahrheitskommission ablehn306 Interview mit Valdete Idrizi, 16.10.2014, Prishtina, ENG .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

297

ten, in den Folgeveranstaltungen nicht erwünscht waren.307 Wie in Bosnien forderte sie mehr Teilhabe- und Selbstentscheidungsmöglichkeiten, was aber nicht zugelassen wurde. Den Konflikt zwischen Kandić und Tokača erlebte sie als entmutigend: »For us, this was disappointing and discouraging, because we considered that there is no luxury to allow all the, let’s say, egos –. […] But later on, it even became a political problem.«308 Die nächste Koordinatorin im Kosovo, Nora Ahmetaj, von der NGO Centre for Research, Documentation and Publication (CRDP) erklärte mir ihre Rolle als Vermittlerin zwischen den Opferorganisationen auf der einen Seite und den Transitional Justice Expert*innen auf der anderen, die meistens keine Ahnung von der Lage ersterer haben, wie sie meinte. Gerade weil die Situation im Kosovo so sensibel in Bezug auf Vergangenheitsaufarbeitung war, denn der Abstand zum Konflikt etwa war hier am kürzesten und die Wunden somit am frischesten, achtete Ahmetaj darauf, dass bestimmte Vorgänge im Koordinationsrat hinter verschlossenen Türen blieben: We were very careful not to go in the media with all our –, if I may say ahhm –, clashes. And very often – hmmm, I don’t know to find proper word – misunderstandings, or very often diversity of ideas that we had inside RECOM. But we wanted to deliver one message. In particular we were extremely careful, extremely careful not to go in the media, in public in Kosovo.309

Im Gegensatz zu anderen im Koordinierungsrat hat Ahmetaj sich durch die Meinungsverschiedenheiten nicht persönlich angegriffen gefühlt, oder sie wurde auch nicht persönlich angegriffen. Die kosovarische Menschenrechtsaktivistin hat die Auseinandersetzungen als notwendigen Teil des Prozesses verstanden: We were very careful because we knew that the idea was bigger. We knew that the motives are better. And we knew that this is for benefits of future generations. And that we want to get the truth.310

Ahmetaj sah den größeren Kontext und betrachtete die Kooperation in ­R EKOM als Experiment, bei welchem niemand sicher sein konnte, ob es gelingt, auch wenn es alle hofften: »I have to admit it is a regional initiative, huge enterprise, huge! We also learnt throughout the process. It was not that we were experts on this. We all learnt.«311 Die neue Koordinatorin für Bosnien und Herzegowina, Dženana Karup-Druško, sah das genauso: 307 Ebd. 308 Ebd. 309 Interview mit Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 310 Ebd. 311 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

298

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Denn ich gehöre zu denjenigen, die denken, dass mit einem Gespräch sich alles lösen lässt, solange die Menschen bereit sind an einem Tisch zu sitzen, sich in die Augen zu sehen und zu sagen, was los ist. Und in Anbetracht dessen, dass unser Prozess gezeigt hat, dass es viele solcher Leute gibt, hat mir das jetzt irgendwie Hoffnung für uns gegeben. Dass wir etwas bewirken können, dass wir etwas verändern können.312

Die Journalistin räumte dabei ein, dass die politischen Aussichten für REKOM düster seien, aber das zwischen den teilnehmenden Menschen aus der gesamten Region sich wichtige Bindungen entwickelt hätten und sie jetzt überall Freunde und Kontakte habe, auf welche sie täglich bei ihrer journalistischen Arbeit zurückgreife. Karup-Druško nennt das »eine Gruppe von Enthusiasten, […] die auf der Ebene der Region […] keine Probleme haben werden öffentlich und offen zu sprechen, […]«.313 Dass es dabei auch zu Reibereien, Konflikten und Auseinandersetzungen komme, sei verständlich und gehöre zu einem Austausch dazu. Die beiden Politikwissenschaftlerinnen Irvine und McMahon dagegen betrachteten Meinungsverschiedenheiten nicht als notwendigen Teil eines Aushandlungsprozesses, sondern als Störung der Versöhnungsarbeit: »The RECOM process aims for ›opening public dialogue on facing the past.‹ Never­ theless, from the outset, fierce disagreement erupted about these aims as well as the means of achieving them.«314 Hingegen scheint mir genau das Austragen und Aushalten von Differenzen durch Gespräche der wichtigste Teil eines Lernprozesses nach gewaltsamen Konflikten zu sein. Die Transformation von physischer zu verbaler Auseinandersetzung (von körperlicher zu symbolischer Gewalt) ist ein grundlegender Vorgang in Post-Konflikt-Gesellschaften. Auseinandersetzungen als Fehler, Makel oder Scheitern zu betrachten, verkennt meines Erachtens, dass Demokratie und Freiheit nicht einfach so irgendwann eingerichtet sind, sondern immer wieder mit Leben gefüllt, also neu ausgehandelt werden müssen. Irvines und McMahons Einschätzung kann als Konsequenz der Perspektive erklärt werden: wenn der Fokus nur auf das Ziel (Versöhnung / Frieden / Sicherheit) ausgerichtet ist, dann werden Auseinandersetzungen auf dem Weg dorthin als Hindernis wahrgenommen. Steht aber der Prozess im Zentrum der Betrachtung, so kann dem Lernen aus Dissonanzen mehr Wert beigemessen werden. Nora Ahmetaj und Dženana Karup-Druško haben das Ringen um eine Stimme auch innerhalb der REKOM Initiative als Notwendigkeit bewertet. »It was a must-process«, sagt Ahmetaj rückblickend. Dabei sei auch die Last der Schmerzen zu berücksichtigen, die alle Beteiligten bei REKOM – wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise – beeinflussten: 312 Interview mit Dženana Karup-Druško, 09.11.2012, Sarajewo, BKS . 313 Ebd. 314 Irvine / McMahon: From International to Grassroots Organizing, 224 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

299

You have to admit that lots of tensions, lots of emotions were put there. Lots of burdens, lots of –, you know, we all brought a luggage of our conflict with us. We grew up with the conflict. So it’s not easy to deal with these issues.315

Wenn sie so etwas wie REKOM noch einmal versuchen sollte, würde Ahmetaj es wahrscheinlich zwar anders machen, doch sie bereue nichts: »It was the best school ever I would get. The best school I would even imagine.«316 Einige im Kosovo meinen, dass ohne Nora Ahmetaj REKOM im Kosovo gar keine Chance gehabt hätte. Sie sei direkt zu den Leuten aufs Land gefahren und hätte versucht das Ziel der Initiative mit ihren eigenen Worten zu erklären, und vor allem hätte sie mehr zugehört – Nora Ahmetaj hätte sozusagen die sehr technisch angelegten Konsultationen »vermenschlicht«.317 So erwies sich der Austausch bei REKOM nicht nur als etwas, das »die Dinge vor Ort« verändern konnte, sondern auch die Aktivist*innen selbst, indem der Austausch zu einem ganz persönlichen Lernprozess wurde. Auch Rowen hielt fest, dass trotz ausbleibender institutioneller Resultate REKOM dennoch gesellschaftliche Auswirkungen in Bosnien zeitigte: Durch REKOM wurden sowohl die Befürworter*innen als auch die Gegner*innen einer regionalen Wahrheitskommission bekannter, sowohl in der bosnischen Gesellschaft als auch bei internationalen Organisationen. Transitional Justice wurde durch die spektakuläre Berichtserstattung in allen bosnischen Medien über die Konflikte innerhalb der REKOM Initiative popularisiert. Und auch andere Organisationen erkannten, dass Transitional Justice als Ressource verwendet werden konnte, um Fördermittel einzuwerben, obwohl die Projektresultate eher schwer greifbar blieben.318 Trotz der internen Auseinandersetzungen über die Gestaltung des Austausches wurden im Jahr 2010 erneut 50 Treffen organisiert. Davon fanden je 17 auf nationaler und regionaler Ebene und 16 auf lokaler Ebene statt.319 Zwei dieser regionalen Treffen waren die großen Transitional Justice Foren. Neu waren Zusammenkünft mit Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften und mit Lehrer*innen. Aus der Länderperspektive betrachtet gab es die meisten Konsultationen trotz des Rückzugs mehrerer bosnischer Organisation wieder in Bosnien und Herzegowina (13), gefolgt von Kroatien (11), Serbien (9) und dem Kosovo (8). Auch fanden 2010 vier Treffen in Montengro statt. Zum ersten Mal organisierte REKOM im Jahr 2010 auch drei Konsultationen in Mazedonien und zwei in Slowenien. Vereinzelte Teilnehmer*innen aus 315 Interview mit Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG . 316 Ebd. 317 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice, 137. 318 Rowen: Searching for Truth, 88. 319 Tabelle »Pregled konsultativnog procesa Inicijative REKOM«, 2011. Die darin dokumentierten 134 Konsultationen sind nicht alle im Abschlussbericht des Konsultationsprozesses zu finden.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

300

Slowenien und Mazedonien hatte es aber bei den anderen Zusammenkünften zuvor bereits gegeben. Somit hatten 2010 nun Treffen der REKOM Initiative in allen ehemaligen jugoslawischen Republiken und Regionen stattgefunden. Und nicht nur im Raum waren Kontinuitäten aus Jugoslawien zu verzeichnen. Einige der führenden Aktivist*innen bei REKOM wie Vesna Teršelić waren zuvor in der Antikriegsbewegung Jugoslawiens aktiv und Intellektuelle wie Žilnik oder Politiker*innen wie Krivokapić bezogen sich in ihren Äußerungen während der Konsultationen auf die Antikriegsbewegung. Damals konnten sie die Kriege nicht verhindern. Nun wollten sie zumindest ihre Dokumentation und die Anerkennung der Verbrechen sicherstellen. Nela Pamuković etwa wirkte seit 1987 in der kroatischen Antikriegsbewegung und hatte eine Frauenorganisation für Vergewaltigungsopfer während der Kriege gegründet. Bei REKOM war sie im Koordinierungsrat aktiv. Die Feministin verstand REKOM als »wichtige Initiative, die diese Energie erneuert hat, sodass wir uns in Kroatien wieder mit der Verantwortung des Staates für das, was im Krieg passierte, beschäftigen«.320 Doch das gemeinsame Erbe erwies sich als ambivalent. Denn die Schwierigkeiten bei REKOM verwiesen auch auf Probleme, die man bereits in einem gemeinsamen Staat nicht bewältigt hatte. Dazu gehörten die Dominanz des serbischen Partners, das paternalistische Verhalten gegenüber kosovarischen Belangen, die unzureichende Berücksichtigung bosnischer Spezifitäten sowie die Unterbindung von Eigeninitiativen, die zum Kontrollverlust der Leitung führen konnten. Die REKOM Zusammenarbeit knüpfte also an verbindendende Werte aus jugoslawischen Zeiten wie Toleranz gegenüber Anderen und Solidarität (Brüderlichkeit und Einheit) an. Doch auch das Trennende aus Jugoslawien setzte sich fort. 5.2.15 Verständigung, nicht Versöhnung

Dennoch greift es zu kurz, die Entwicklung bei REKOM ausschließlich auf der Folie der Reaktivierung der jugoslawischen Idee nachzuzeichnen. Die regionale Kooperation ist zwar durch eine jugoslawische Pfadabhängigkeit gekennzeichnet, sie erprobte jedoch auch neue, transnationale Kompromisse. Das lässt sich beispielsweise am Umgang mit dem Begriff »Versöhnung« bei REKOM veranschaulichen. Der Versöhnungsbegriff ist im Transitional Justice Diskurs prominent, wurde bei REKOM aber problematisiert. Ein Blick auf das siebte Transitional Justice Forum der Initiative im Oktober 2010 in Zagreb kann dies veranschaulichen. Das Forum war die erste REKOM Veranstaltung, welche ich teilnehmend beobachtete. REKOM hatte zu diesem Zeitpunkt viel Geld in seinen Öffentlichkeitsauftritt investiert. Das war u. a. 320 Interview mit Nela Pamuković, 16.11.2012 Zagreb, BKS .

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

301

Abb. 3: Während der Feldforschung gesammelte REKOM Werbematerialien d. Vf., 2010–2014.

an den Materialien des Forums zu erkennen. Zum ersten Mal verwendete das Tagungsprogramm eine Übersetzung des Namens »Initiative für REKOM« und des Slogans »um die Fakten über alle Opfer der Kriege von 1991 bis 2001 herauszufinden« in sechs Sprachen (Serbisch, Kroatisch, Albanisch, Mazedonisch, Slowenisch, Englisch).321 Eine Art Briefkopf auf dem Tagungsprogramm führte acht REKOM Büros in der Region des ehemaligen Jugoslawiens mit Adressen und Kontaktdaten auf (Belgrad, Ljubljana, Podgorica, Prilep, Prishtina, Sarajewo, Zagreb, Zvornik). Neben REKOM Konferenzmappen und kleinen Notizbüchern zeugten auch Roll-Ups und extra mit dem Augen-Logo bedruckte Abstimmungszettel für die am Abend vor dem Forum stattfin-

321 REKOM: Sedmi regionalni forum za tranzicijsku pravdu. Program. Zagreb 16.–17.10.2010.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

302

dende interne Mitgliederversammlung davon, dass dem regionalen Ansatz nun auch explizit im Öffentlichkeitsauftritt Beachtung geschenkt wurde. Die interne Mitgliederversammlung der Initiative fand am Abend vor dem öffentlichen Forum im 17. Stock des Zagreber Fünf-Sterne-Hotels »Westin« statt. Der zu drei Seiten verglaste Konferenzraum bot eine weite Aussicht über Zagreb, die kroatische und europäische Flagge schmückten den Teil des Podiums, auf welchem Mikrofone für sieben Sprechende ohne Namensschilder vorgesehen waren.322 Man war unter sich und eine Übersetzung fand nur aus dem BKS ins Albanische statt, nicht wie an den folgenden Tagen auch ins Englische. Zirka eine Stunde nach festgesetztem Beginn der Versammlung am Freitagabend füllte sich der Raum, vornehmlich mit Teilnehmenden über fünfzig Jahren, so mein Eindruck, während die jüngeren vor dem Raum an mehreren Tischen die Konferenzmaterialien nach Sprachen zusammenstellten und Teilnehmerlisten vorbereiteten. Die Feststellung der Beschlussfähigkeit, der Aktivitäten- und Finanzbericht folgten wie bei einer gewöhnlichen Vereinsversammlung. Wie in einem Verein wurde auch eine Art Vorstand gewählt, der hier Koordinierungsrat hieß. Über alles wurde mit den extra dafür gedruckten bunten Karten (unterschiedliche Farben für Mitglieder als Einzelperson und Vertreter*innen einer Organisation) mit großer Begeisterung abgestimmt. Bei allen Punkten hatte irgendjemand etwas zu kritisieren, nicht zu lösende Probleme wurden in Arbeitsgruppen verschoben. Es herrschte Freude am Mitbestimmen und Zuversicht an diesem späten Freitagabend vor dem Forum in Zagreb. In Anbetracht der massiven Zerwürfnisse in der ersten Hälfte des Jahres 2010 wirkte die von konstruktiver Kritik, gemeinsamem Aufbruchswillen und Teilhabe geprägte Zusammenarbeit wie geläutert. Das siebte regionale Transitional Justice Forum wurde am Tag darauf im Kristallsaal des Zagreber Luxushotels von der Gastgeberin Vesna Teršelić von Documenta eröffnet. Die Stimmung ist feierlich und offiziell, die Teilnehmenden tragen Kostüm und Anzug, unzählige Parfümschleier liegen in der Luft und die rund dreihundert Plätze im Saal füllen sich. Medienvertreter*innen mit fünf Fernsehkameras warten auf die Eröffnung des REKOM Forums durch den kroatischen Staatspräsidenten Ivo Josipović. Auch sein Vorgänger, Stipe Mešić, sowie mehrere kroatische Parlamentsangehörige sind anwesend. Doch vor Josipović sprechen erst einmal Vesna Teršelić, Nataša Kandić und der bosnische Staatsanwalt Ibro Bulić. Der kroatische Staatspräsident erhält Beifall noch bevor er spricht. Seine Rede beginnt mit der Begrüßung der Opfer und ihrer Familien. Josipović sagt, zu viel politisches Gewicht wird bei der Vergangenheitsaufarbeitung den Täter*innen beigemessen, jedoch müsse die Betrachtung der Täter*innen (er sagt »Gewinner«) mit der Befriedigung der Bedürfnisse der Opfer verbunden werden. Die Stimme der Übersetzerin ins 322 Feldnotizen d. Vf., 15.10.2010, Zagreb.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

303

Englische schwankt bewegt und als der kroatische Präsident mit dem Appell endet, Vergangenheitsaufarbeitung als moralische und menschliche Pflicht zu verstehen, um zu modernen europäischen Gesellschaften zu werden, bricht ein tosender Applaus aus, der nicht enden will. Auch ich bin bewegt und verstehe, welche Bedeutung die politische Anerkennung für die REKOM Beteiligten hat. Der damalige Bürgermeister von Vukovar, Žejlko Sabo, war trotz Erkrankung und Fiebers angereist und hielt seine Rede, zu wichtig sei das, was hier passiere, um krank im Bett zu liegen.323 Danach erlebte ich zum ersten Mal, wie sechs Opfer aus Kroatien drei Stunden lang ihre Leidensgeschichten im Stil einer Wahrheitskommission erzählten, moderiert von Vesna Teršelić. Dazu gehörte Vesna Levar, deren Mann in der kroatischen Armee in Gospić gekämpft, dann die Armee verlassen und für das ICTY in Den Haag ausgesagt hatte.324 Der Zeugenschutz empfahl ihm deswegen nicht nach Kroatien zurückzukehren, was er ignorierte. Im Jahr 2000 wurde der geschützte Zeuge durch eine Bombe in seinem Haus getötet, sein zehnjähriger Sohn überlebte.325 Seiner Witwe ist es bisher nicht gelungen den Mord aufzuklären und Verantwortliche dafür zu finden. Levar appelliert an den kroatischen Staatspräsidenten ihre Suche nach Gerechtigkeit zu unterstützten.326 Marija Lovrić verlor im November 1991 ihren Mann, ihr Haus in Osijek und ihren Job.327 Sie blieb mit zwei Söhnen zurück und erzählt bei REKOM von ihrem Überlebenskampf ohne Einkommen, Haus und Mann. Der gilt als vermisst. Sie hatte auch bei einem Prozess vor dem Zagreber Kreisgericht ausgesagt, bei welchem sie erfuhr, dass ihr Mann getötet und in den Fluss Drava geworfen wurde. Ihre Geschichte veranschaulicht, wie die Angehörigen von Opfern ebenfalls lange Zeit nach dem Krieg Opfer bleiben, insbesondere, wenn ihre Angehörigen nicht gefunden werden. Jovan Berić, der auf der lokalen Konsultation in Knin im Jahr zuvor seine Geschichte von der Vertreibung seiner gemischten Familie aus der serbisch besetzten Krajina und der Ermordung seiner Eltern nach der Rückeroberung des Gebietes durch Kroat*innen erzählt hatte, ist auch auf dem Panel dabei.328 Dieses Mal kritisiert Berić auch die hohen Kosten für Gerichtsprozesse und die lange Dauer der Verfahren, die ein Warten auf Gerechtigkeit quälend machten. Zudem hätten ihm viele davon abgeraten, seine Geschichte hier nun 323 Ebd. 324 In der Kleinstadt Gospić, welche an der Front zwischen der serbisch besetzten Krajina und dem kroatisch gebliebenen Gebiet lag, verübte die kroatische Armee im Oktober 1991 ein Massaker an vorrangig serbischen Zivilist*innen. 325 REKOM: Vesna Levar. URL : http://recom.link/vesna-levar-3/ (am 04.08.2017). 326 Feldnotizen d. Vf., 16.10.2010 Zagreb. 327 REKOM: Marija Lovrić. URL : http://recom.link/marija-lovric/ (am 04.08.2017). 328 REKOM: Jovan Berić. URL : http://recom.link/jova-beric-4/ (am 04.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

304

öffentlich auf dem regionalen Forum in Zagreb zu erzählen, doch die Anwesenheit des kroatischen Staatspräsidenten gebe ihm Hoffnung. Ivan Pšenica verteidigte mit seinem Sohn Vukovar und musste mit ansehen, wie dieser vor seinen Augen brutal ermordet wurde. Nach dieser Schilderung flüchtet sich der Zeitzeuge in eine politische Rede, die daran appelliert, dass die Wegbereiter des Krieges – er sagt die Serbische Akademie der Wissenschaften und die Serbisch-Orthodoxe Kirche – zur Rechenschaft gezogen werden müssten.329 Liljana Alvir, die den Protest der Opfergruppen auf dem ersten REKOM Forum in Zagreb 2007 mitorganisiert hatte, erzählt nun dreieinhalb Jahre später unter Tränen von ihren Erlebnissen während der fast dreimonatigen Belagerung Vukovars, dem Verschwinden ihres Bruders, ihrer Deportation nach Serbien und der Angst vor einer angekündigten Exekution, die dann doch nicht stattfand.330 Dragan Pjevač, als kroatischer Serbe nun in Belgrad lebend, erzählt von seiner Mutter, die er in der Krajina zurückgelassen hatte und die erst nach Kriegsende ermordet wurde. Der Anwalt spricht von der Erniedrigung, die ihm durch die gerichtliche Aufarbeitung als Opfer widerfahren ist, und betont ebenfalls, wie wichtig es für ihn sei, dass sowohl Josipović als auch der ehemalige Präsident Stipe Mešić REKOM Unterstützung zugesprochen hatten.331 Nicht zu vernachlässigen ist hier, dass die Beitragenden für dieses Panel strategisch ausgewählt wurden, dass also die Performanz dieser Zeitzeugenerzählungen zu diesem Zeitpunkt mit diesem hochrangigen, politischen Publikum ebenfalls als strategischer Beitrag auf dem Weg zu einer »richtigen«, staatlich legitimierten Wahrheitskommission verstanden werden muss. Obwohl sich die Auswahl der Erzählenden hier auf Kroatien beschränkte, wird deutlich, wie ambivalent sich der Opferbegriff außerhalb von Gerichten gestaltet. Es erzählten als Opfer ein ehemaliger Soldat (Ivan Pšenica, »Verteidiger Vukovars«), die Angehörige eines Soldaten (Vesna Levar), die Ehefrau eines Vermissten (Marija Lovrić), die Überlebende einer Belagerung und Deportation (Liljana Alvir) und ein Geflüchteter, dessen Eltern erst nach dem Krieg ermordet wurden (Dragan Pjevač). Alle Panellisten fühlten sich als Opfer, nicht nur aufgrund ihrer Kriegserlebnisse, sondern vor allem wegen der Fortsetzung ihres Leidens im Frieden danach. Und in einigen Fällen hat die gerichtliche Aufarbeitung dieses Leiden nicht behoben, sondern sogar verlängert. Denn die meisten von ihnen (Levar, Lovrić, Berić, Pjevar) haben Erfahrungen mit Gerichten, welche für alle unzulängliche Ergebnisse lieferten. Verbunden mit dieser Frustration in Bezug auf die juristische Aufarbeitung 329 Feldnotizen d. Vf., 16.10.2010 Zagreb. 330 Ebd. 331 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

305

hofften sie auf Unterstützung der alternativen Aufarbeitungsinitiative durch die Politiker*innen. Am Nachmittag arbeitete man in Gruppen jeweils zur Zusammensetzung der Kommission, über ihre Ziele und die konkreten Befugnisse, zur Beziehung zwischen der Wahrheitskommission und Gerichten sowie im Hinblick auf die bevorstehende politische Lobbyarbeit. Ich nahm an der Arbeitsgruppe zu den Zielen der Kommission teil. Es wurde ein Textentwurf für die Gesetzesgrundlage der regionalen Wahrheitskommission diskutiert, der von einer dafür einberufenen Arbeitsgruppe von Jurist*innen und Historiker*innen zusammengestellt worden war. Einig war man sich, dass man den Versöhnungsbegriff besser nicht im Gesetzentwurf verwenden sollte. Denn den Begriff der Versöhnung hatte man von Beginn der Konsultationen an kritisch diskutiert. In den Konsultationen zuvor etwa hatte man kritisiert, dass ein opferzentrierter Prozess, wie ihn REKOM verfolge, deswegen nicht auf Versöhnung aus sein sollte, weil Versöhnung mit dem Schuldbekenntnis der Täter*innen beginne und dieses war schwer zu erhalten. Andere brachten an, dass Versöhnung ein persönlicher Vorgang sei, der nicht erzwungen werden und auch schwer auf ganze Gruppen übertragen werden konnte. Auch die mit dem Versöhnungsbegriff verbundene Vergebungsassoziation rief Unbehagen hervor. Zudem wurde kritisiert, dass zu wenig Zeit seit den Konflikten vergangen sei und deshalb die Schmerzen über das Erlittene einen Versöhnungsprozess verhinderten. Nicht zuletzt führe die Abstinenz von Daten über das Kriegsgeschehen auch zu einem Kommunikationspatt, denn wenn es keine von allen Seiten anerkannte Version der Vergangenheit gebe, bestehe auch wenig Aussicht auf eine wiedergutmachende Verständigung darüber. Stimmen, die die Verwendung des Versöhnungsbegriffes für REKOM befürworteten, benutzten ihn vorrangig als langfristiges Ziel der Aufarbeitung. Angesichts zahlreicher Herausforderungen und insbesondere mit Blick auf die allseitige Opferidentifizierung in der Region des ehemaligen Jugoslawiens wurde unter Versöhnung vor allem ein Horizont verstanden, an welchem sich die Wiederherstellung von Beziehungen zwischen den einstigen Konfliktparteien auf der Ebene eines Miteinanders abzeichnen könne. Dieser Horizont aber war in weiter Ferne. Deswegen enthielt der Gesetzentwurf für die regionale Wahrheitskommission das Wort »Versöhnung« nicht. Gleichwohl wurde Versöhnung letztlich aber doch mittels einer anderen Formulierung im Gesetzentwurf bewahrt, denn man einigte sich darauf, dass die Kommission das Ziel verfolge, »das den Opfern zugefügte Unrecht anzuerkennen, mit dem Ziel, eine Kultur der Solidarität und des Mitgefühls zu fördern«.332 Im Grunde handelt es sich bei diesem Ziel um eine Paraphrase von Versöhnung. Die Kooperation für

332 Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces, 365.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

306

Die Entwicklung der REKOM Initiative

REKOM veranschaulicht, dass man Versöhnung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens auch durch den Verzicht auf diesen Begriff fördern kann.333 An einem weiteren Begriff entbrannten sich lange Diskussionen in der Arbeitsgruppe in Zagreb. Es ging um die Frage der genaueren Definition der Kriegsverbrechen und speziell um die Verwendung des Begriffes »Genozid«. Eine Vertreterin der »Bewegung der Mütter der Enklave Srebrenica und Žepa« (Pokret majki enklava Srebrenice i Žepe) stellt gleich zu Beginn ihrer Wortmeldung klar, dass sie zwar nicht als Organisation Teil von REKOM sein könne, aber als Opfer persönlich den Prozess beobachten und auch mitgestalten wolle. Sie beharrt auf der Verwendung des »Völkermord«-Begriffes im ersten Teil des Gesetzes, welcher die wesentlichen Arbeitsbegriffe der Kommission definierte. Vorgesehen war, dass durch die Anhörungen der Opfer Informationen über Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen während der Jugoslawienkriege gesammelt werden sollten. Eine konkretere Benennung dieser Verbrechen war nicht angedacht. Amir Kulagljić, ebenfalls aus Srebrenica, erinnert daran, dass diese Diskussion schon mehrfach stattgefunden hatte und dennoch Genozid nicht im Entwurf für das Gesetz auftauchte. Kulagljić sähe ein, dass der Verzicht auf den Begriff die politische Befürwortung solch eines Gesetzes insbesondere in Serbien erleichtern würde, kritisiert allerdings, dass dadurch die Bedürfnisse der Opfer vernachlässigt würden.334 Er wird immer lauter und emotionaler und alle lassen ihn reden. Der Überlebende aus Srebrenica kann nicht nachvollziehen, wie REKOM damit wirbt sich für die Opfer einzusetzen (die Marginalisierten), wenn dann letztlich doch die politische Machbarkeit (die Mächtigen) die Wortwahl dozierten und droht mit Austritt aus der Initiative. Eine Juristin aus Montenegro unterstützt die Forderung, Genozid im Gesetzentwurf zu benennen. Ein Philosophieprofessor aus Serbien mahnt an, dass es zwar um einen Gesetzestext gehe, aber dieser viele ethische Fragen beträfe, sodass es wichtig wäre in der Arbeitsgruppe nicht nur Jurist*innen zu wissen. Auch der Vorsitzende des »Vereins der Eltern der getöteten Kinder des belagerten Sarajewos 1992–95« (Udruženje roditelja ubijene djece opkoljenog Sarajeva 1992–95) plädiert für die Verwendung des Begriffes für das ultimative Leiden. Ein Professor für Internationales Recht, ursprünglich aus Bosnien, aber seit dem Krieg in England lebend, erklärt, dass Genozid ein Unterbegriff von Kriegsverbrechen sei und somit auch ohne extra Benennung einbegriffen werde. Eine Vertreterin des Friedensinstituts aus Ljubljana fordert, auch büro­ kratische Menschenrechtsverletzungen separat zu benennen. Ähnlich spricht 333 Nießer, Jacqueline: »Nemoj mi samo o miru i ljubavi!«. Versöhnung als Tabu auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien? 2013. URL : http://www.kakanien.ac.at/beitr/re_ visions/JNiesser1.pdf (am 03.05.2019). 334 Feldnotizen d. Vf., 16.10.2010, Zagreb.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

307

sich ein Repräsentant einer kosovarischen NGO dafür aus, die Zerstörung von Dokumenten und Kulturgut in die auszudifferenzierende Liste der Verbrechen aufzunehmen. Alle Redebeiträge in der Arbeitsgruppe werden von ­ EKOM aufgenommen, gefilmt und transkribiert, nach dem Forum wird R sowohl das Transkript, als auch der Gesetzentwurf mit Kommentaren versehen in der Gruppe, für die ich meine E-Mail-Adresse hinterlassen hatte, zirkuliert. Erklärt wird das Prozedere jedoch von den beiden Moderatorinnen der Arbeitsgruppe nicht. Ich verlasse den Raum beeindruckt von dem Engagement und dem Wissen, mit dem hier diskutiert wird, aber auch mit Bedenken, was wohl davon Niederschlag in den weiteren Schritten finden wird. Am zweiten Tag werden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Plenum vorgestellt. Auch ein neuer Dokumentarfilm über REKOM sowie die geplante Öffentlichkeitskampagne samt Unterschriftensammlung werden präsentiert. Dabei werden Kritik am Ablauf und Zweifel an der tatsächlichen Berücksichtigung der Kommentare für die weitere Arbeit geäußert. Auch später im Plenum bei den Berichten über die Arbeitsgruppe wiederholt Amir Kulagljić gebetsmühlenartig seine Forderung, den Genozidbegriff zu verwenden. Ein Teilnehmer aus Belgrad reagiert auf Kulagljićs Forderung zunächst mit der Anerkennung, dass es einen Völkermord in Srebrenica gegeben hat und dass in Bosnien insgesamt ein Völkermord begangen wurde, plädiert daraufhin jedoch dafür, »pragmatisch zu bleiben«, sodass die Wahrheitskommission wirklich auf den Weg gebracht werden könne. Die Geduld für lange Auseinandersetzungen und die Empathie für das Sprechbedürfnis vieler imponiert mir auch deswegen, weil ich selbst völlig erschöpft bin. Beispielsweise ergreift ein Vertreter einer bosnischen Opferorganisation nach Beendigung der Diskussion einfach erneut das Mikrofon, was geduldet wird. Insbesondere Teilnehmende kosovarischer, bosnischer und kroatischer Opferorganisationen warnen in der Schlussrunde vor einer Politisierung der REKOM Zusammenarbeit und mahnen zur Menschlichkeit. Eine bosnische Teilnehmerin fordert mehr Zeit. Vesna Teršelić betont in ihren Schlussworten auf dem siebten Transitional Justice Forum im Oktober 2010 in Zagreb, wie wichtig es sei, die Meinungsverschiedenheiten zu artikulieren, wenn dabei das gemeinsame Ziel im Auge behalten würde. Und selbst nach den offiziellen Schlussworten der Gastgeberin ergreift ein Teilnehmer aus Dubrovnik spontan das Wort: »Wir brauchen mehr Unterstützung. Lasst uns mit Enthusiasmus weitermachen!«. Doch positive Entwicklungen bei REKOM konnten immer auch gleich wieder ins Negative umschlagen. Das zeigte das mediale Echo auf das siebte Transitional Justice Forum im Oktober 2010 in Zagreb. Denn die Unterstützung des kroatischen Präsidenten Josipovićs erzielte eine mediale Aufmerksamkeit, die im Herbst 2010 in eine öffentliche Abrechnung mit REKOM in Kroatien mündete. Das politische Wochenmagazin »Globus« titelte »Das private Haager Gericht der Vesna Teršelić« und beschrieb, wie REKOM den kroatischen © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

308

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Staat unterlaufe, da die Kommission Aufgaben übernehmen würde, die bereits die kroatischen Gerichte, die Veteranenorganisationen und das Dokumentationszentrum des kroatischen Heimatkrieges erledigten.335 Der REKOM Koordinierungsrat schickte eine Gegen- und Richtigstellung der Ziele an die Redaktion.336 Darauffolgende Artikel in anderen kroatischen Zeitungen sahen in REKOM eine »Verschwörung gegen das kroatische Volk«337 und die Initiative als »Schuldausgleich im Projekt der Jugosphäre«, welches vertuschen wolle, wer der Aggressor in den Jugoslawienkriegen gewesen sei.338 Ante Nazor, der Direktor des Kroatischen Erinnerungs- und Dokumentationszentrums und im Jahr 2007 noch Teilnehmer bei REKOM auf dem zweiten Forum, wird von der »Abendzeitung« (Večernji list) als Befürworter einer nationalen Wahrheitskommission zitiert.339 Der kroatische »Verband der Vereine der Familien Gefangener« (Savez udruga obitelji zatočenih) polemisierte ebenfalls öffentlich gegen REKOM .340 Diese Art von Medienhetze und Politisierung beschleunigte und verbreitete sich in Kroatien im darauffolgenden Jahr mit der von REKOM gestarteten Öffentlichkeitskampagne. Wider innere und äußere Anfeindungen war REKOM Ende des Jahres 2010 nach vier Jahren des Austausches zu einer regionalen Initiative gewachsen, die nun in allen postjugoslawischen Ländern Treffen zum Umgang mit dem Erbe der Jugoslawienkriege organisiert hatte. Eine Formalisierung der Zusammenarbeit hatte durch die deklarative Vereinssatzung, das Wirken des Koordinierungsrates ähnlich eines Vorstandes und die Arbeitsgruppe für den Entwurf eines Gesetzes für die Wahrheitskommission stattgefunden. Die Öffentlichkeitsarbeit machte einen professionellen und gut finanzierten Eindruck. Das siebte regionale Großtreffen erhielt prominente Unterstützung eines der Staatspräsidenten im postjugoslawischen Raum. Trotz aller Widerstände war REKOM offensichtlich auf gutem Wege. REKOM bezeichnet in seiner Selbsthistorisierung das folgende Jahr 2011 als Übergang vom sogenannten Konsultations- zum Implementierungsprozess der regionalen Wahrheitskommission. 2011 fanden somit noch einige Treffen zwischen den REKOM Partner*innen statt, gleichzeitig hat aber eine andere Art von Zusammenarbeit begonnen, die der Öffnung der Initiative und der 335 Jindra, Jelena: Privatni Haški sud Vesne Teršelič. In: Globus vom 05.11.2010. 336 REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike i podrške Inicijative za osnivanje REKOM August 2011, 13. 337 Hitrec, Hrvoje: Pokažite vrata Rekomu i Documenti. In: Hrvatsko slovo vom 24.12.2010. 338 Jurčević, Josip: Vukovar 91 još nije službeno rušenje hrvatske države! In: Večernji list vom 22.01.2011. Dujmović, Tihomir: Cilj je REKOM-a – ne utvrditi konkretnog agresora. In: Večernji list vom 09.07.2011, zitiert nach REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike, 13. 339 Despot, Zvonimir: Manipulacije zbog kojih je objektivnost REKOM-a upitna. In: Večernji list vom 18.12.2010. 340 REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike, 13.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung 

309

Popularisierung der Idee einer Wahrheitskommission dienen sollte. In Bezug auf ersteres gab es gleich im Januar noch ein Treffen mit Rechtsexpert*innen in Belgrad, bei dem der konkrete Entwurf des Gesetzes diskutiert wurde. Auch eine regionale Zusammenkunft mit Vertreter*innen von Minderheiten in Skopje und mit NGOs in Bosnien und Herzegowina fand im Januar statt. Im kosovarischen Gračanica und in Ljubljana kamen ebenfalls noch einmal zivilgesellschaftliche Initiativen im Rahmen von REKOM im Februar 2011 zusammen. Den offiziellen Abschluss des Konsultationsprozesses bildete eine Art Mitgliedervollversammlung am 26. März 2011 in Belgrad. Auf dieser stimmten rund einhundert REKOM Mitglieder über die von der Arbeitsgruppe mehrmals abgeänderte und nun finalisierte Version des Gesetzentwurfs ab.341 Die Prozeduren, unter denen hier abgestimmt wurde, lösten erneute Diskussionen aus: Die Teilnehmer*innen hätten den überarbeiteten Gesetzestext erst am Tag zuvor erhalten, die Übersetzungen konnten nicht mehr in alle Arbeitssprachen erfolgen und eine Diskussion der Änderungen war auch nicht vorgesehen. Dženana Karup-Druško und auch die Organisation »Prijedor 92« mit Sudbin Musić hatten konkrete Änderungsvorschläge schriftlich eingereicht, sodass die Arbeitsgruppe ihre Erläuterungen schriftlich formuliert hatte, die verteilt wurden.342 Ein separates Dokument mit weiteren Erklärungen war vorbereitet worden, in dem auch Gesetzestexte von dreizehn anderen Wahrheitskommissionen zitiert wurden.343 Laut dem neuen REKOM Newsletter hatte der Änderungsvorschlag der beiden bosnischen Aktivist*innen eine Abstimmungsblockade verhindert, denn nur so konnte dem Wunsch vieler Opfervertretungen nachgekommen werden, eine Aufschlüsselung der Verbrechen und somit den Genozidbegriff im Gesetz zu verankern.344 Ein Kompromiss, der anscheinend im krassen Gegensatz zum Rat aller Rechts­ 341 Feldnotizen d. Vf., 26.03.2011, Sava Centar, Belgrad. 97 Organisationen und 22 Individuen hatten Stimmrecht. 342 REKOM: Amandmani na Nacrta Statuta REKOM . Stavovi Radne grupe za izradu Nacrta statuta REKOM . Belgrad 26.03.2011, Arbeitspapier erhalten auf der Versammlung am 26.03.2011 in Belgrad. 343 Die 13 zitierten Wahrheitskommissionen waren in Ghana, Guatemala, Osttimor, Süd­ afrika, Kanada, Kenia, Liberia, Marokko, Mauritius, Paraguay, Peru, Sierra Leone und auf den Salomonen, vgl. Koalicija za REKOM: Obrazloženja. Uz prijedlog statuta regionalne komisije za utvrdijvanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području nekadašnje SFRJ 26.03.2011. URL : http://recom.link/sr/​ predlog-statuta-rekom-a/ (am 09.08.2017), 3. 344 In Art. 1 steht: »›war crime‹ implies the meaning of the term ›war crime‹ as defined in international humanitarian law, genocide, and crimes against humanity and includes but is not limited to the following crimes: a. genocide; b. persecution; c. murder; d. enslavement; e. unlawful confinement; f. torture; g. forced disappearance; h. deportation and forcible transfer of civilians; i. rape and other gross forms of sexual abuse; REKOM: The Statute Proposal. Of the Regional Commission for Establishing the Facts about War

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Die Entwicklung der REKOM Initiative

310

expert*innen stand, die davon abrieten Kriminaldelikte in einer Wahrheitskommission juristisch zu präzisieren.345 Letztlich siegte auf der Versammlung der Wunsch voranzukommen, und es wurde unter den gegebenen Bedingungen mit erneutem Enthusiasmus abgestimmt. Zum Ende wurde die bevorstehende Öffentlichkeitskampagne erläutert und auch hier kam Kritik auf: die neue Webseite war noch immer nicht in alle Sprachen der Region übersetzt worden. Lazar Stojanović räumte ein, dass es dafür nicht ausreichend Ressourcen gäbe.346 Auf der Versammlung im Belgrader Sava-Center wurde auch eine Befragung in der Region über den Bekanntheitsgrad von REKOM in der Bevölkerung vorgestellt. Rund zwanzig Prozent der Bevölkerung hatten bis dahin schon einmal von REKOM gehört und das zum überwiegenden Teil durch das Fernsehen.347 Bei allen gemeinsamen Aktivitäten setzte immer wieder eine Politisierung ein, die dann aber doch nicht zur völligen Spaltung oder zur Blockade führte, sondern welche auf eine menschliche, nicht aber zwingend demokratische Art und Weise überwunden wurde. Die Auseinandersetzungen bei REKOM und die Fortsetzung des Austausches haben gezeigt, dass ein Prozess der Verständigung möglich ist. Sich über Trennendes und Gemeinsames zu verstän­digen kann einen gemeinsamen Weg bereiten und im Idealfall auch zu neuen Lösungen führen. Hier zeigte sich, dass Vergangenheitsaufarbeitung als Prozess der Verständigung weitaus realistischer ist als ein Projekt mit dem Ziel der Versöhnung.

5.3 Gesetzesvorlage Mit dem wie auch immer legitimierten Beschluss auf der Vollversammlung der Initiative über eine Gesetzesvorlage für eine regionale Wahrheitskommission war der zivilgesellschaftliche Austausch als Wegbereiter für REKOM abgeschlossen. Mit der Vorlage sollte nun ein Team von REKOM Lobbyist*innen an die Regierungen der postjugoslawischen Staaten herantreten. Das Gesetz war die konkrete Verhandlungsgrundlage, auf welches sich ein multilaterales Abkommen für eine transnational agierende Wahrheitskommission stützen sollte. Crimes and other Gross Violations of Human Rights committed on the Territory of the Former Yugoslavia, 26.03.2011. URL : http://recom.link/proposed-recom-statute-2/ (am 09.05.2019), 5. Auch im Art. 16 wird diese Liste nochmals angeführt, 12.  345 Initiative for RECOM: Current Events Update. March 2011, 1. 346 Feldnotizen d. Vf., Mitgliederversammlung, 26.03.2011, Sava-Centear Belgrad. 347 REKOM: Istraživanje stavova o Inicijativi REKOM . URL : http://recom.link/sr/istrazi​ vanje-stavova-o-inicijativi-rekom/ (am 09.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Gesetzesvorlage 

311

Der Entwurf sieht vor, dass die regionale Wahrheitskommission für drei Jahre eingesetzt wird, mit einer Verlängerungsoption um sechs Monate.348 Als Sitz ist Sarajewo geplant und als Untersuchungszeitraum der 1. Januar 1991 bis 31. Dezember 2001.349 Allerdings wird im Art. 15 hinsichtlich des Untersuchungszeitraums auch von den »politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die zum Ausbruch der Kriege und anderen Formen bewaffneter Konflikte geführt haben« sowie von den »Folgen der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die sich im Zeitraum nach 2001 entwickelten« gesprochen.350 Die Frage, ob auch die Vorgeschichte und Folgen der Kriege mit in das Mandat der Wahrheitskommission aufgenommen werden sollten, war jahrelang auf den Konsultationen kontrovers diskutiert worden. Ein Jurist erklärte mir auf Nachfrage später, dass REKOM sich trotz der zu erwartenden politischen Widerstände entschieden hatte, diese Möglichkeit mit im Gesetz aufzuführen, da dieses ja ohnehin als Verhandlungsgrundlage verstanden werden muss und somit Änderungen zu erwarten seien.351 Als Ziele der Kommission wurden folgende Punkte genannt: (a) To establish the facts about war crimes and other gross violations of human rights committed on the territory of the former SFRJ in the period from January 1, 1991 until December 31, 2001, the political and societal circumstances that led to the commission of these acts, and the consequences of the crimes and human rights violations; (b) To acknowledge injustices inflicted upon victims in order to help create a culture of compassion and solidarity with victims; (c) To contribute to the fulfilment of victims’ rights; (d) To help political elites and society in Parties to the Agreement to accept the facts about war crimes and other gross violations of human rights; (e) To help clarify the fate of the missing persons; and, (f) To help prevent the recurrence of war crimes and other gross violations of human rights.352 348 Koalicija za REKOM: Statut regionalne komisije za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području nekadašnje SFRJ. 26.03.2011. URL : http://recom.link/sr/predlog-statuta-rekom-a/ (am 09.08.2017), 7. 349 Ebd., 6. 350 Ebd., 12. 351 Feldnotizen d. Vf., 26.03.2011, Belgrad. 352 Humanitarian Law Center: The Consultation Process on the Establishment of the Facts about War Crimes and other Gross Violations of Human Rights Committed on the Territory of the Former Yugoslavia. Belgrade 2011, § 13, 468. URL http://recom.link/wpcontent/uploads/2011/07/Konsultativni-proces-publikacija-ff-ENG .pdf (am 05.05.2019). Ich verwende hier die englische Version des Gesetzes, im Gegensatz zu meiner vorherigen Praxis der Übersetzung der BKS -Variante ins Deutsche, weil ich davon ausgehe, dass dies die juristisch geprüfte englische Übersetzung der BKS -Version ist, wohingegen die bisher durch mich praktizierte Übersetzung aus dem BKS ins Deutsche juristisch nicht geprüft wäre.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

312

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Das Hauptziel (a) wird hier zunächst zweifach definiert: erstens geht es darum, Tatsachen festzustellen, allerdings nur solche, die mit Kriegs- und schweren Menschenrechtsverbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens in dem zehnjährigen Zeitraum von 1991 bis 2001 zu tun hatten. Der zweite Teil der Formulierung weitet dann jedoch das Untersuchungsfeld ins Unbestimmbare aus: sowohl über die Bedingungen für, als auch über die Folgen der Verbrechen sollen Fakten zusammengetragen werden. Nichtsdestotrotz bleibt der Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung Fakten über Verbrechen zu etablieren, was eine juristisch definierte Kategorie ist. Die weiteren Ziele bauen auf das Hauptziel auf, denn es geht um den anschließenden, notwendigen Prozess der politischen Anerkennung von Unrecht, welcher aufgrund der Weigerung der politischen Eliten sich mit den Verbrechen auseinanderzusetzen, die im Namen der von ihnen geführten Staaten erfolgt sind, von großer Bedeutung ist. Ein extra Unterpunkt (e) widmet sich den Vermissten, da es aber in allen postjugoslawischen Ländern Institutionen für die Vermisstensuche gibt, soll die Wahrheitskommission dabei nur unterstützen. Die Ziele enden (f)  mit dem Wunsch für die Zukunft, dass nie wieder Krieg und Menschenrechtsverbrechen verübt werden. Daraus werden folgende Aufgaben für die regionale Wahrheitskommission abgeleitet: (a) Collecting information on war crimes and other gross violations of human rights, providing  a detailed account of the crimes and other violations, and describing patterns of abuses and their consequences; (b) Collecting information pertaining to the fate of missing persons and cooperating with competent bodies of the Parties to the Agreement conducting the search for the missing; (c) Compiling registers of human losses related to wars or other forms of armed conflict, to include: i. Civilians whose loss of life or disappearance was caused by the war or other form of armed conflict; ii. Combatants whose loss of life or disappearance was caused by the war or other form of armed conflict; (c) (sic!) Collecting information on places of confinement connected to the war or other form of armed conflict, individuals who were unlawfully confined, tortured or subjected to inhumane treatment, and compiling a comprehensive list of the places and victims, with the application of identity protection measures where necessary; (d)  (sic!) Researching the political and societal circumstances that decisively contributed to the outbreak of wars or other forms of armed conflict as well as to the commission of war crimes and other gross violations of human rights; (e) (sic!) Holding public hearings of victims and other persons about war crimes and gross violations of human rights; (f)  (sic!) Recommending measures to help prevent the recurrence of human rights abuses and to ensure reparations to the victims; and, (g) (sic!) Compiling, publishing, and presenting its Final Report in a manner that will

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Öffentlichkeitskampagne 

313

facilitate broad access to the Report by the citizens of the states on the territory of the former SFRJ.353

Die ersten fünf Aufgabenstellungen sind so weit wie möglich angelegt, setzen aber auch wieder bei Kriegsverbrechen an und beziehen sich dann auf eine regionale Übersicht aller im Krieg Getöteten (Zivilisten wie Kämpfende), auf die Suche nach Vermissten, die Dokumentation von Lagern und decken schließlich auch wieder eine Untersuchung des Kriegskontextes ab. Diese Aufgaben sollen erfüllt werden durch Zeitzeugenanhörungen, in den folgenden Paragraphen führt man auch Archivrecherchen, Felderkundungen, öffentliche Zeitzeugenpanels und thematische Sitzungen für die Untersuchung der institutionellen Verantwortung für Verbrechen an.354 Zwanzig Kommissar*innen sollen in der Kommission arbeiten, wovon fünf aus Bosnien und Herzegowina, jeweils drei aus Kroatien, Serbien und Kosovo sowie jeweils zwei aus Montenegro, Nordmazedonien und Slowenien kämen.355 Die Gesetzesvorlage ist das zentrale, konkrete Resultat des mehrjährigen Austausches auf dem Weg zu einer regionalen Wahrheitskommission. Zahlreiche Stimmen, die die einzelnen Paragraphen kommentieren, sind im Abschlussbericht dokumentiert. Gleichwohl muss die Gesetzesvorlage aber auch als Kompromiss verstanden werden, der nicht einfach nur die Wünsche und Schlussfolgerungen aus dem zivilgesellschaftlichen Konsultationsprozess zusammenfasst oder gar spiegelt. Denn die Vorlage ist ein Arbeitsdokument, welches Politiker*innen und Jurist*innen zum Handeln bewegen soll. Sie hat also sowohl performatives Gewicht als auch eine den REKOM Austausch dokumentierende Funktion.

5.4 Öffentlichkeitskampagne Im April 2011 startete eine Öffentlichkeitskampagne gleichzeitig in allen postjugoslawischen Ländern. Presseartikel, extra für das Fernsehen produzierte kurze Werbespots, Radiosendungen, eine Facebook-Seite, Twitternachrichten, die neue Webseite, Talk-Shows und öffentliche Paneldiskussionen über das Vorhaben einer regionalen Wahrheitskommission wurden in großer Anzahl im Mai und Juni 2011 erstellt und organisiert. Kay Schaffer und ­Sidonie Smith bezeichnen derartige Kampagnen als »[…] material practices

353 Ebd., § 14. Die Nummerierung in der BKS -Version ist fehlerfrei (a–h). 354 Ebd., §§ 17–22, 471–474. 355 Ebd., § 23, 475.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

314

Die Entwicklung der REKOM Initiative

of human rights […], in which rights-talk and activism takes place« und bei welchen Aktivitäten im Internet einen wichtigen Platz einnehmen.356 Geleitet wurde die Kampagne vom ehemaligen jugoslawischen Dissidenten Lazar Stojanović. Der Intellektuelle, Regisseur und Autor war zu jugoslawischen Zeiten aufgrund regimekritischer Filme und Texte im Gefängnis und immer wieder im Exil. In den neunziger Jahren wirkte er als Antikriegs­ aktivist, bis er schließlich ganz in die USA auswanderte.357 Mit seinem Enga­ gement für REKOM kehrte der Kulturdissident nach Serbien zurück. Die Wahl seiner Person für die regionale Aufarbeitungsinitiative nach den Jugos­ lawienkriegen könnte als Anknüpfungsversuch an antinationalistische, humanistische und freiheitliche Artikulationen in der Kultur der Region verstanden werden. Doch keiner dieser Aspekte wurde öffentlich thematisiert, auch REKOM selbst stellte sich nicht explizit in das Licht dieses Erbes. Stattdessen fokussierten die Medien ausschließlich auf den Aspekt, dass Lazar Stojanović der Ex-Mann von Nataša Kandić war und welches Honorar er für die Leitung der PR-Kampagne erhielt (2.760 EUR pro Monat).358 Die Wahl seiner Person wurde in erster Linie negativ ausgelegt, in dem Sinne, dass auch bei REKOM – wie in der Politik – Vetternwirtschaft und Geld die Hauptrolle spielten.359 Seit Ende April sammelte REKOM in den Straßen Unterschriften für die regionale Wahrheitskommission. In Bosnien und Herzegowina veröffentlichten sodann verschiedene Opferorganisationen aus der Republika Srpska Aufrufe, diese Aktion zu boykottieren.360 Die populäre bosnische Tageszeitung »Tagesstimme« (Dnevni Avaz) setzte ihre negative Berichterstattung aus dem Jahr 2010 mit Engagement 2011 fort und schrieb über »Veruntreuung« und »Geldverschwendung« in der REKOM Initiative.361 In Montenegro ging der Vorsitzende der »Vereinigung von Kämpfern der Kriege der neunziger Jahre« (Udruženja boraca ratova od 1990. godine) mit dem Vorwurf an die Medien, REKOM manipuliere die Öffentlichkeit, sodass

356 Schaffer, Kay / Smith, Sidonie: Human Rights and Narrated Lives. The Ethics of Recognition. New York 2004, 9. 357 Radović, Sanja: Lazar Stojanović Collection. URL : http://courage.btk.mta.hu/courage/ individual/n13637 (am 10.08.2017). 358 Humanitarian Law Center: Financial Report: 15.12.2008–31.08.2011. 359 Kandić zaposlila bivšeg muža u REKOM-u. In: Press vom 28.07.2010. 360 Der »Verband der Lagerinsassen der RS« (Saveza logoraša u Republici Srpskoj), die »Orga­nisation der Familienangehörigen von gefangenen und gefallenen Kämpfern und verschwundenen Zivilisten der RS« (Organizacija porodica zarobljenih i poginulih boraca i nestalih civila Republike Srpske) sowie ein Vertreter der »Arbeitsgruppe der RS für Vermisstensuche« (Operativni tim u RS za traženje nestalih lica) sprachen sich gegen REKOM aus. REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike, 8–10. 361 Ebd., 11.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Öffentlichkeitskampagne 

315

sich auch hier die nationale Koordinatorin im Land gezwungen sah eine Gegendarstellung zu veröffentlichen.362 Gute Auflage mit Polemik gegen REKOM machten Tabloid-Blätter in der Republika Srpska und in Serbien mit Schlagzeilen wie »Die schmeißen das Geld zum Fenster raus während die Leute hungern!« (Kurir), »Nataša Kandić schlimmer als Stalin!« (Press) oder »Nataša Kandić führt eine Diktatur« (Glas Srpske).363 Aber auch eine auf höherem intellektuellen Niveau ausgetragene Auseinandersetzung über REKOM fand in einem Teil der serbischen Öffentlichkeit, insbesondere unter Jurist*innen statt. Ein Dozent an der Juristischen Fakultät in Novi Sad, Branislav Ristivojević, argumentierte detailliert und scheinbar juristisch abgesichert auf dem Internetportal »Neues Serbisches Politisches Denken« (Nove Srpske Političke Misli) (NSPM) gegen REKOM . Er bezeichnete die vorgeschlagene Wahrheitskommission u. a. als Pseudo-­ Gericht, welches nicht mit der serbischen Verfassung vereinbar wäre.364 ­Bogdan Ivanišević, der damals für das International Center for Transitional Justice wirkte und die Arbeitsgruppe für den Gesetzentwurf beraten hatte und Marijana Toma, Historikerin, die für den Menschenrechtsfond tätig war, sowie mit REKOM verbundene Jurist*innen setzten sich ausführlich mit Ristivojevićs Argumenten auseinander.365 Die Initiative bezeichnete diese Art der Medienberichterstattung als »nationalistische Internationale gegen REKOM« und verwies auf die Willkürlichkeit der Angriffe, die wahlweise als antikroatisch, antiserbisch, antibosniakisch usw. funktionierten.366 Der Großteil der mannigfaltigen Werbung und Berichterstattung für und über das Vorhaben einer regionalen Wahrheitskommission fiel jedoch kons­ truktiver aus. Die Werbespots wurden von fast allen öffentlichen ersten Fernsehsendern drei Mal täglich ausgestrahlt, in Serbien sogar für acht Wochen, ohne dass REKOM dafür zahlen musste (RTS).367 Für die 15 Sekunden lange Fernsehwerbung war der in Jugoslawien sehr populäre Filmemacher und Kritiker Slobodan Šijan verantwortlich. Der Experimentalfilmer erstellte seine Kurzbotschaft mit Hilfe eines Skelettes, eines kleinen Mädchens und 362 Reagovanje Koalicije REKOM povodom optužbi Radana Nikolica. In: Dan vom 21.05.2011, zitiert nach REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike, 13. 363 Baca pare dok ljudi gladuju! In: Kurir vom 12.05.2011; Nataša Kandić gora od Staljina! In: Press vom 27.08.2010; Nataša Kandić sprovodi diktaturu. In: Glas Srpske vom 02.07.2011. Zitiert nach REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike, 14. 364 Nacrt statuta REKOM-a iz ugla Ustava RS i njenih krivičnopravnih propisa. In: Nove Srpske Političke Misli (NSPM) vom 21.05.2011. URL : http://www.nspm.rs/istina-ipomirenje-na-ex-yu-prostorima/nacrt-2 (am 30.05.2011). Der Link funktioniert nicht mehr, Kopie der Beiträge im Archiv d. Vf. 365 REKOM – Igor Mekina: Analiza javne kritike, 2. 366 Ebd., 8. 367 REKOM: Medijska kampanja Inicijative REKOM . URL : http://recom.link/sr/medijskakampanja-inicijative-rekom/ (am 10.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

316

Die Entwicklung der REKOM Initiative

einer Schreibmaschine, welche wohl Vergangenheit, Zukunft und Geschichte symbolisieren sollten. Das ergab jedoch eine ästhetisch provozierende Kombination und wurde von REKOM Gegner*innen nicht zu Unrecht als »Horror-Werbung« abgetan.368 Šijan erläuterte mir später, dass er zusammen mit Lazar Stojanović auf einen Schockeffekt der TV-Werbung setzte, wohl wissend, sie würde mehr Abwehr als Zustimmung befördern, aber mit der Aussicht, dass REKOM so zumindest in Erinnerung bliebe.369 Rund sechshundert Texte wurden zwischen dem 27. März und dem 3. August 2011 in der gesamten Region veröffentlicht, am wenigsten davon in Kroatien.370 Die Unterschriftenaktion wurde für REKOM durch die »Youth Initiative for Human Rights« in Serbien und Kroatien koordiniert, in allen anderen Ländern wurden ebenfalls Jugendorganisationen dafür eingesetzt.371 Rund 1.300 Freiwillige sammelten an rund zweihundert Ständen auf öffentlichen Plätzen in der Region, aber auch durch Haus-zu-Haus-Kampagnen Unterschriften für REKOM und erhielten ein Tagegeld dafür.372 Vom 26. April bis 30. Juni 2011 wurden 542.660 Unterschriften für ­R EKOM zusammengetragen, davon in Serbien 254.539, in Bosnien und Herzegowina 122.473, im Kosovo 100.559, in Montenegro 30.057, in Mazedonien 10.022 und in Slowenien 5.342.373 Enorm geringe Unterstützung erfuhren die jugendlichen Aktivist*innen in Kroatien mit nur 19.668 Unterschriften, denn die Kampagne fand dort zum wohl schlecht möglichsten Zeitpunkt für Vergangenheitsaufarbeitung statt. Im April 2011 hatte das ICTY die beiden Generäle Ante Gotovina und Mladen Markač zu hohen Strafen wegen Kriegsverbrechen bei der Rückeroberung der Krajina im Sommer 1995 verurteilt, was als große Ungerechtigkeit gegenüber dem kroatischen Freiheitskampf empfunden wurde.374 Vergangenheitsaufarbeitung insgesamt, zudem noch durch eine nichtkroatische Institution, stand somit im Frühjahr 2011 in sehr schlechtem 368 REKOM: TV spotovi – Kampanja »REKOM – daj potpis!«. Slobodan Šijan. URL : http:// recom.link/sr/tv-spot-igra-srb/ (am 10.08.2017). 369 Gespräch mit Slobodan Šijan, 29.10.2017, Regensburg, BKS . 370 Eine Aufschlüsselung nach allen Medienformen samt Veröffentlichungszeitraum und Häufigkeit befindet sich in dem Bericht: REKOM: Medijska kampanja. 2011, 1. 371 Die weiteren Organisationen waren das »Institut der Akademien für fortschrittliche Ideen« (Zavod Akademija naprednih idej) (Slowenien), PRONI und das »Jugendressourcen Zentrum« (Omladinski resursni centar) (BiH), das »Zentrum für Monitoring« (Centar za monitoring, CEMI) (Montenegro), Integra (Kosovo) und das »Jugendbildungszentrum« (Mladinski obrazovni forum, MOF) (Mazedonien). 372 REKOM: Kampanja prikupljanja potpisa za osnivanje REKOM . Izveštaj Inicijative mladih za ljudska prava u Hrvatskoj i Srbiji. URL : http://recom.link/sr/kampanja-prikupljanjapotpisa-izvestaj-april-jun-2011/ (am 10.08.2017). 373 REKOM: Kampanja prikupljanja potpisa. 374 ICTY: Gotovina u. a. (IT-06-90). URL: http://www.icty.org/case/gotovina/4 (am 01.06.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Öffentlichkeitskampagne 

317

Lichte in Kroatien. Das bekamen die jungen Aktivist*innen sogar am eigenen Leibe zu spüren. In Dubrovnik hat ein wütender Mann den Stand mit REKOM Werbematerialien angegriffen, in Split wurde ein Freiwilliger der Youth Initiative mit Urin begossen, im Zentrum der kroatischen Hauptstadt wurden die Jugendlichen beschimpft und von Vorbeigehenden beleidigt.375 Außerhalb Kroatiens ist ein Angriff auf einen REKOM Stand nur noch in Doboj in der Republika Srpska dokumentiert. Rowen berichtet von Beleidigungen der jungen Unterschriftensammelnden im Mai 2011 in Sarajewo. Während ihrer Beobachtungen erzählten diese der Forscherin, dass die Aktivist*innen als Vertreter*innen der »Teufelsarmee« beschimpft wurden, ihren eigenen Beobachtungen zufolge wurden die Unterschriftenstände aber viel mehr ignoriert als angegriffen.376 Die von mir im Juni 2011 beobachteten Stände in Sarajewo wurden mit Interesse insbesondere von der älteren Bevölkerung angenommen. Irritierend war für mich, dass ein zirka zehnjähriger Junge ebenfalls unterschrieb und die Aktivist*innen den Stand abbauten, obwohl noch Interessierte Gesprächsbedarf hatten.377 Sehr erfolgreich waren die jungen Aktivist*innen im Kosovo und in der Republika Srpska trotz der Boykott-Aufrufe verschiedener Opferorganisationen. In beiden Fällen hatte man auf die »von Haus-zu-Haus-Methode« gesetzt, was insbesondere in ländlichen Regionen sehr gut ankam. Als Ende Mai 2011 der seit langem gesuchte Kriegsverbrecher Ratko Mladić in Serbien gefasst und an das ICTY überführt wurde, war Vergangenheitsaufarbeitung wieder in aller Munde und REKOM konnte ebenfalls für sich werben. Dennoch wurde das Ziel von einer Million Unterschriften für REKOM innerhalb der zwei Monate nicht erreicht, was von verschiedenen Gegner*innen wieder als Niederlage dargestellt wurde. Nach der großen Unterschriftenkampagne ist es weiterhin möglich für REKOM zu unterzeichnen, entweder in Papierform bei Veranstaltungen, die REKOM unterstützen, wie Podiumsdiskussionen, Konzerte und Theateraufführungen oder auf der Webseite. Im März 2017 zählte die Unterschriftenliste rund 580.000 Befürworter*innen einer regionalen Wahrheitskommission.378 Zum Abschluss der Öffentlichkeitskampagne kamen alle Beteiligten erneut zu einem Transitional Justice Forum zusammen, im Juni 2011 in Sarajewo. Dieses Mal wurde die Zusammenkunft als »international« anstelle von »regional« bezeichnet und sollte den größeren Kontext der Aufarbeitung der Jugoslawienkriege thematisieren, da die Konsultationen für REKOM nun ja offiziell 375 376 377 378

REKOM: Kampanja prikupljanja, 2 f.

Rowen: Searching for Truth, 80. Feldnotizen d. Vf., Unterschriftenaktion, 26.06.2011, Sarajewo. REKOM: Peticija za REKOM . URL : http://www.recom.link/sign-the-petition-6/ (am 01.05.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

318

Die Entwicklung der REKOM Initiative

beendet gewesen waren.379 Doch das Forum wurde maßgeblich als Treffpunkt der REKOM Aktivist*innen genutzt und auch eine Mitgliederversammlung am Abend zuvor fand statt. Auf dieser herrschte Enthusiasmus über die erfolgte PR-Kampagne, welche ein verändertes Format der Zusammenarbeit und gemeinsames öffentliches Gesichtzeigen für REKOM bedeutet hatte.380 Deutlich wurden aber auch Differenzen im Koordinierungsrat, insbesondere gegen Nataša Kandić richtete sich die Kritik. Eine Dezentralisierung der Koordination wurde daraufhin von Vesna Teršelić angekündigt und Kandić gab ihren Rückzug aus dem Rat bekannt. Dies wurde in den Medien als Zeichen des Zerfalls der Initiative interpretiert. Erst sah sich Kandić also massiven Angriffen ausgesetzt, ihre defensive Reaktion darauf wurde ihr aber ebenso angelastet. Im Juli 2011 veröffentlichte Kandić eine Pressemitteilung über den Menschenrechtsfond, in der sie unmissverständlich und sichtlich angegriffen klarstellt, dass sie der Dreh- und Angelpunkt des REKOM Prozesses war und bleibt: The Humanitarian Law Center and I have initiated the RECOM process, […]. We believe that we will realize our goal of establishing RECOM. We will continue to work with dedication so that countries in the region are able to establish RECOM. […] Until then, the HLC and I shall remain at the centre of activities aimed at establishing RECOM. It is a well known fact that I am a human rights activist who likes to see results. […] I do not propose to respond further to the unfounded and malicious statements made about alleged financial impropriety and the defrauding of donors, […].381

Besprochen wurde in Sarajewo auch, dass im Sommer die Berichte für die dreijährige Förderung des Konsultationsprozesses durch die Europäische Kommission einzureichen waren und keine größeren Fördersummen für die weitere Zusammenarbeit in Aussicht stünden.382 Klar wurde, dass es weiter geht mit REKOM, dass aber die zahlreichen Treffen der zivilgesellschaftlichen Akteure über fünf Jahre lang in der Region nun bereits zu einer Geschichte gehörten, die ihr Ende nahm und auf welche viele trotz aller Schwierigkeiten mit Stolz zurückblickten. Die öffentlichen Werbeaktionen wurden ab der zweiten Jahreshälfte 2011 diverser. Parallel zu diesen liefen hinter verschlossenen Türen Beratungspro379 REKOM: VIII Međunarodni forum za tranzicionu pravdu u post-jugoslovenskim zemljama. 27.06.2011 in Sarajewo. URL : http://recom.link/sr/osmi-regionalni-forum-zatranzicionu-pravdu/ (am 11.08.2017). 380 Feldnotizen d. Vf., 26.06.2011, REKOM Mitgliederversammlung Sarajewo. 381 Humanitarian Law Center: Scurrilous rumors will not halt the RECOM initiative 03.07.2011. URL: http://recom.link/scurrilous-rumors-will-not-halt-the-recom-initiative/ (am 08.08.2017). 382 Ebd.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Politische (De)Mobilisierung 

319

zesse mit den politischen Verantwortlichen ab. Da es nun keine regelmäßigen Zusammenkünfte mehr gab, kam dem seit Februar 2011 ungefähr einmal im Monat erscheinenden Magazin »!Die Stimme« (!Glas) eine wichtige Rolle für die Mitgliederkommunikation bei REKOM zu.383 »!Die Stimme« erschien bis Anfang 2015 auf BKS , Albanisch, Mazedonisch, Slowenisch und Englisch in gedruckter Form und online und informierte über die laufenden öffentlichen Aktivitäten, die politische Lobbyarbeit und druckte auch Auszüge aus den Opfererzähl­panels während des Konsultationsprozesses ab. Im Herbst 2011 unterzeichneten rund 150 Intellektuelle und Künstler*innen aus der Region des ehemaligen Jugoslawiens ein Unterstützungsschreiben an die Regierungen ihrer Länder.384 25 davon waren aus Kroatien, darunter die Schriftsteller*innen Slavenka Drakulić, Miljenko Jergović, Slobodan Szajder und der Theaterregisseur Oliver Frljić. Auf dem Webportal »hrsvijet.net« fragte man sogleich, ob das tatsächlich kroatische Intellektuelle und Künstler*innen wären, wenn sie eine derartige »kontroverse jugo-nostalgische« Initiative in ihrer »feindlichen Offensive« unterstützten und schlug vor: »Entweder ihr liebt Kroatien, oder ihr geht!«.385 Die Angriffe in den Medien setzten sich also nach der Öffentlichkeitskampagne fort, wenn auch weniger häufig.

5.5

Politische (De)Mobilisierung

Seit Oktober 2011 bewirbt ein »Team von öffentlichen Befürwortern« (tim javnih zagovaraća) REKOM bei politischen Entscheidungsträger*innen.386 Als erstes traf sich der damalige Premier Montenegros, Filip Vujanović, im Dezember 2011 mit der Lobbygruppe und stimmte zu, ein Schreiben an alle 383 Koalicija za REKOM: !Glas Inicijative REKOM . URL : http://recom.link/sr/category/glasinicijative-rekom-sr/ (am 11.08.2017). 384 REKOM: Pismo podrške intelektualaca i umetnika osnivanju REKOM-a. URL: http://recom. link/sr/pismo-podrske-intelektualaca-i-umetnika-osnivanju-rekom-a-2/ (am 10.08.2017). 385 Jurčević, Petra: REK(TUM)OM : Kontroverzni Jugonostalgičari, ili hrvatski intelktualci? URL : www.hrsvijet.net (am 11.08.2017). 386 Das Team bestand aus Zdravko Grebo, Rechtsprofessor aus Sarajewo, Dino Mustafić, Theaterregisseur und der Journalistin Dženana Karup-Druško für BiH, Žarko Puhov­ ski, emeritierter Professor an der Philosophischen Fakultät in Zagreb für Kroatien, Biljana Vankovska, Professorin an der Philosophischen Fakultät in Skopje für Mazedonien, dem Journalisten Igor Mekina aus Slowenien, dem Journalisten Duško Vuković aus Montenegro, dem Journalisten Dinko Gruhonjić und Nataša Kandić für Serbien, vgl. Koalicija za REKOM: Izvještaj o progresu javnog zagovaranja Inicijative REKOM listopad 2011  – svibanj 2012. URL : http://recom.link/sr/izvestaj-o-progresu-javnogzagovaranja-inicijative-rekom/ (am 09.08.2017), 1.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

320

Die Entwicklung der REKOM Initiative

anderen postjugoslawischen Regierungen mit der Bitte um Unterstützung der REKOM Initiative zu richten, was er im Januar 2012 tat.387 Ende Februar 2012 kam die »Koalition für REKOM« in einer Art Vereins­ versammlung in Belgrad zusammen. Im Mai empfing der kroatische Präsident Ivo Josipović die REKOM Werbegruppe und sicherte zu, einen Verantwortlichen aus der Regierung in eine REKOM Verhandlungsrunde zu bestellen, welche mit anderen REKOM Entsandten den Gesetzentwurf diskutieren sollte.388 Im Sommer 2012 sah sich die Lobby-Gruppe erneut heftigen Vorwürfen seitens Branko Todorović in der Tageszeitung »Press« ausgesetzt, woraufhin REKOM eine Pressemitteilung veröffentlichte, welche sich gegen die persönlichen Verleumdungen zur Wehr setzte.389 Laut dieser Mitteilung hatte Todorovićs Mitarbeiterin Aleksandra Letić bei einem Treffen mit Verantwortlichen der EU gewarnt, REKOM zu verwirklichen käme einem weiteren Angriff auf Bosnien und Herzegowina gleich. Die öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den Menschenrechtsaktivist*innen aus Bijelina und REKOM währten nun schon das dritte Jahr und die Belgrader Zentrale fürchtete bei diesem Angriff einen Gesichtsverlust vor Vertreter*innen der Europäischen Union. Ebenfalls im Sommer 2012 führte man eine Facebook-Kampagne unter dem Titel »REKOM für die Zukunft« (REKOM za budućnost) durch, bei der beispielsweise Facebook-Unterstützer*innen einen REKOM Sticker auf ihr Profilfoto laden konnten.390 Eine Postkartenaktion folgte im September, diese war an die Regierungen gerichtet mit der Aufforderung, sie sollten REKOM unterstützen. Auf Ständen in den Hauptstädten der Region konnten interessierte Bürgerinnen und Bürger ihren Namen und Unterschrift auf die Postkarten setzen.391 Im September trafen sich rund sechzig REKOM Mitglieder in Belgrad, bei welchem zum ersten Mal auch die Aktivist*innen von ihren Kriegserfahrungen erzählten, die nicht als Opfervertreter*innen tätig waren. In Kroatien, im Kosovo, in Slowenien, Bosnien und Herzegowina, Mon­ tenegro und Serbien warben die REKOM Lobbyist*innen 2012 bei den politischen Entscheidungsträger*innen für die Umsetzung einer regionalen Wahrheitskommission. Auch die Verantwortliche in Mazedonien, Biljana Vankovska, konsultierte wiederholt verschiedene Politiker*innen und im Herbst 2012 traf sie sich schließlich auch mit dem mazedonischen Präsidenten Gjorge Ivanov, welcher damit nach dem montenegrinischen und kroatischen 387 Ebd., S. 2 388 Ebd. 389 Koalicija za REKOM: Public Advocates Refute Allegations of Impropriety and Pledge Their Commitment to RECOM . Press Release. 390 REKOM: Proces REKOM . Izvještaj, rujan 2012-listopad 2013. 391 Feldnotizen d. Vf., Postkartenaktion, September 2012, Sarajewo.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Politische (De)Mobilisierung 

321

Präsidenten das dritte Staatsoberhaupt der Region war, das die REKOM Lobbygruppe empfing.392 Um den REKOM Prozess in Bosnien und Herzegowina besser zu steuern, wurden Ende 2012 zwei neue NGOs gegründet, der Verein »Transitional Justice, Verantwortung und Erinnerung in BiH« (Tranzicijska pravda, odgovornost i sjećanje u BiH (TPOS BiH) mit Sitz in Sarajewo und das »Zentrum für Demokratie und Transitional Justice« (Centar za Demokratiju i Tranzicionu pravdu) in Banja Luka.393 Die Hauptarbeit dieser beiden Organisationen bestand jedoch in dem im dritten Kapitel beschriebenen Dokumentationsprojekt über die Lager des Bosnienkrieges.394 In der ersten Jahreshälfte 2013 ernannten die Regierungen jeweils eine*n Beauftragte*n, welche*r in der regionalen Gruppe den Gesetzentwurf mitdiskutieren sollte. Der damalige serbische Präsident Tomislav Nikolić gab die Benennung seines REKOM Beauftragten, den Richter Siniša Važić am Belgrader Berufungsgericht, am 1. Juli 2013 bekannt – dem Tag, an welchem Kroatien der Europäischen Union beitrat.395 REKOM zu unterstützen wird folglich klar mit der europäischen Beitrittsperspektive verknüpft. Auch die Präsident*innen des Kosovos, Mazedoniens und zwei der drei Mitglieder des bosnischen Regierungstrios ernannten REKOM Beauftragte. Kroatien und Montenegro hatten dies bereits zuvor getan. Das serbische Mitglied des bosnischen Präsidiums und der slowenische Präsident folgten den anderen postjugoslawischen Regierungen nicht. Dennoch nahm die Gruppe von REKOM Beauftragten der Regierungen ihre Arbeit auf und traf sich je im September und im Oktober 2013 sowie zwei Mal im Jahr 2014, wobei der mazedonische Gesandte nur seine volle Unterstützung aussprach, ohne jemals selbst zu den Treffen zu reisen.396 Noch im Mai 2013 kamen wieder hunderte von REKOM Aktivist*innen auf einem großen internationalen Transitional Justice Forum in den Jahorina-Bergen um Sarajewo zusammen, dieses Mal unter dem Schlagwort »Versöhnung«, und auch mit prominenter, politischer Unterstützung aus Bosnien und Herzegowina. Der dem dreiköpfigen Präsidium angehörende Željko Komšić eröffnete dieses neunte Forum der Initiative, was REKOM erneute 392 Ebd. 393 TPOS BiH, vgl. URL: http://www.tranzicijska-pravda.org/Centar za Demokratiju i Tranzicionu pravdu: http://cdtp.org/ (vom 12.08.2017). 394 »Mapiranje logora / mjesta zatočenja u BiH, 1992–1995«, vgl. URL : http://cdtp.org/ projekti/clone-projekat-mapiranje-logoramjesta-zatocenja-u-bih-1992-1995-2-2/ (vom 12.08.2017). 395 REKOM: Serbian President Appoints Judge Siniša Važić His Personal Envoy to RECOM . URL : http://recom.link/serbian-president-appoints-judge-sinisa-vazic-his-personalenvoy-to-recom/ (am 06.09.2017). 396 REKOM , »!Glas«, Februar 2015, 19. 

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

322

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Medienaufmerksamkeit bescherte.397 Im politischen Lobby-Prozess griff man also wieder auf den Versöhnungsbegriff zurück, sicherlich nicht zuletzt aufgrund dessen Beliebtheit bei auswärtigen Förderern. Auf der traditionell zuvor abgehaltenen Mitgliederversammlung wurde diskutiert, ob eine Liste von Punkten erstellt werden sollte, welche in den sich anbahnenden politischen Verhandlungen in der Gruppe der Regierungsbeauftragten unveränderlich bleiben müssten, da eine politische Verzerrung der REKOM Ziele befürchtet wurde. Eine Einigung diesbezüglich konnte auf der internen Versammlung allerdings nicht erzielt werden.398 Die öffentlichkeitswirksamen Aktionen erhielten im Jahr 2013 eine neue Dimension: nicht mehr nur auf Podiumsdiskussionen und Kulturveranstaltungen, sondern nun auch bei Halbmarathons in der Region wurde REKOM beworben. Mit T-Shirts für die Läufer*innen, Plakaten und REKOM Armbändern bestückt warb man im Sommer 2013 in Sarajewo, Zagreb, Podgorica und Ljubljana nun also auch joggend für REKOM .399 Was sich hinter der Abkürzung REKOM verbarg, war mittlerweile nicht mehr erkennbar. Während REKOM zu Beginn der Öffentlichkeitskampagne noch in schwarz-weiß mit Fotos von Opfern und viel Text arbeitete, wurden die zahlreichen und immer wieder neu designten Werbematerialien mit den Jahren immer bunter, künstlerisch ausgefallender und ließen sich sehr schwer mit einem Projekt der Gewaltverarbeitung in Verbindung bringen. Die einzigen gleich bleibenden Elemente waren die Abkürzung REKOM, das Logo des Auges und die Farbe Lila. Im Frühjahr 2014 warb REKOM auch auf den Marathons in Belgrad, Prishtina und Skopje mit diesem Material um Unterstützung.400 Anfang 2014 zog sich die REKOM Lobbyistin für Mazedonien, die Politikprofessorin Biljana Vankovska, zurück. Sie war zwar von allen wichtigen Politiker*innen in Mazedonien, sowohl slawischer wie albanischer Herkunft, empfangen worden, und REKOM hatte bei der Postkartenaktion hier sogar die größte Unterstützung erfahren.401 Doch bestand ein eklatanter Widerspruch zwischen der deklarativen Befürwortung von Vergangenheitsaufarbeitung und den tatsächlichen Ereignissen in Mazedonien, wie etwa der Willkommensfeier nach der Entlassung von Johan Tarčulovski, des einzigen durch 397 Koalicija za REKOM: IX Međunarodni forum za tranzicionu pravdu. URL : http:// recom.link/sr/ix-medunarodni-forum-za-tranzicionu-pravdu-pomirenje-u-post-jugos​ lovenskim-zemljma-4/ (am 11.08.2017). 398 Feldnotizen d. Vf., 18.05.2013, Jahorina. 399 Koalicija za REKOM: Trčim za REKOM . URL : http://recom.link/sr/trcim-za-rekom/ (am 11.08.2017). 400 REKOM: Report on the RECOM Process. January-June 2014, 2. 401 Vankovska, Biljana: Macedonia Refuses to Face Its Troubled Past. In: BalkanInsight vom 07.05.2013. URL : https://balkaninsight.com/2013/05/07/macedonia-refuses-to-face -its-troubled-past/ (am 11.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Politische (De)Mobilisierung 

323

das ICTY für den Konflikt in Mazedonien verurteilten Kriegs­verbrechers, im April 2013. Vankovska hatte die Heroisierung von Tarčulovski öffentlich verurteilt und wurde dafür von slawisch-mazedonischer Seite als Verräterin angegriffen und von albanischer Seite für die Rechtfertigung von Gewalt gegen nicht-Albaner*innen vereinnahmt.402 Die Politikprofessorin blickte deswegen trotz der positiven Resonanz auf ihr Werben für REKOM bei den mazedonischen Politiker*innen ernüchtert auf die Chancen regionaler Vergangenheitsaufarbeitung: For years to come, everybody will continue to shed tears only over their own graves, and there will be no empathy other than in statements of a declaratory nature. One can only hope that the number of graves will not increase.403

So waren die Befürworter*innen der REKOM Initiative auch in Mazedonien mit ein paar Jahren Verspätung ähnlichen Angriffen ausgesetzt wie in den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, und als Verräter*innen der nationalen Sache, Jugonostalgiker*innen und als von feindlichen Kräften gekauft diffamiert worden. Vankovska erklärte bei ihrem Rückzug Anfang 2014, wie schwierig diese »Sandwich-Rolle« war – sie hatte versucht zwischen der Bevölkerung und Politiker*innen zu vermitteln, unter sensationsheischender Aufmerksamkeit der Medien und eitler Beobachtung einiger REKOM Aktivist*innen, welche die Initiative für ihre persönliche Profilierung verwendeten und das große Ganze nicht im Blick hätten.404 Mit ihrem Rückzug sprach sie der Initiative dennoch weiter Notwendigkeit zu und ihre Unterstützung aus, verwies jedoch auf die enormen Schwierigkeiten, die sowohl von außen als auch von innen deren Entwicklung hemmten. Der Politikwissenschaftler Židas Daskalovski übernahm im Frühjahr 2014 die Rolle des REKOM Lobbyisten in Mazedonien. In der Gruppe der Regierungsbeauftragten wurden Änderungen am Gesetzentwurf vorgeschlagen. Wie zu erwarten war, wurde die Untersuchung der politischen und sozialen Gegebenheiten, die zu Kriegsverbrechen geführt hatten, aus dem Mandat der Kommission gestrichen.405 Hinzugefügt wurde, dass die von der Kommission erarbeiteten Fakten im Bildungswesen genutzt werden sollen. Eine wichtige Änderung bezog sich auf die Finanzierung der 402 Dies.: Reconciliation and Agitation in Macedonia: Success or Failure of the RECOM Initiative? URL : http://blog.transnational.org/2014/01/reconciliation-and-agitation-inmacedonia-success-or-failure-of-the-recom-initiative/ (am 12.08.2017). 403 Ebd. 404 Ebd. 405 Koalicija za REKOM: Izmene Statuta. Regionalne komisije za utvrdijvanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području bivše SFRJ 28.10.2014. URL : http://recom.link/sr/izmene-statuta-rekom-28-oktobar-2014-2/ (am 09.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

324

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Kommission: der ursprüngliche Vorschlag sah eine Finanzierung durch die Vertragspartner*innen, also die postjugoslawischen Staaten, vor. Nun wurde das Spektrum erweitert um nichtstaatliche Fördermöglichkeiten, internationale Organisationen eingeschlossen. Diese Änderungen wurden auf der Mitgliederversammlung der Initiative, die vor dem zehnten internationalen Transitional Justice Forum im November 2014 in Belgrad stattfand, diskutiert und befürwortet.406 Erneut erhielt hier die Rolle von Kunst für Vergangenheitsaufarbeitung eine gehobene Aufmerksamkeit. Das zehnte Forum war die letzte große Zusammenkunft, die derart ausführlich durch Transkripte und Videoaufnahmen dokumentiert ist.407 Sowohl die Betonung der Kunst als auch die ausführliche Dokumentation könnten darauf verweisen, dass man nun alternative Wege und Formen in Betracht zog, um Erinnerungskultur zu fördern, da die politische Verwirklichung der regionalen Wahrheitskommission immer weniger absehbar wurde. In den Jahren 2015 und 2016 gab es vereinzelte öffentliche Aktivitäten in verschiedenen Ländern des postjugoslawischen Raumes, jedoch war auf politischer Ebene Ruhe um REKOM eingekehrt. Rowen resümiert: »The Coalition offered voice to the many participants in its forums and consultations, but it could not make political opportunities where there were none«.408 Im November 2012 hatte die »Koalition für REKOM« 1.895 Mitglieder gezählt, von denen rund ein Viertel Organisationen und drei Viertel Einzelpersonen waren.409 Im Juni 2019 versammelt REKOM 2.050 Organisationen und Individuen als Mitglieder.410 Anlässlich der regelmäßigen Fortschrittsberichte zur Vorbereitung des Beitritt Serbiens zur EU wiederholte das Europäische Parlament mehrmals bereits seine Unterstützung für REKOM .411 2017 erhielt das Projekt einer regionalen Wahrheitskommission eine neue Dynamik, indem es in den »Berlin Prozess« aufgenommen wurde. Der »Berlin Prozess« ist eine 2014 in Berlin gestartete und von dreizehn Ländern wie der Europäischen Kommission geförderte Initiative, die den Beitritt der sogenannten Westbalkan-Staaten in die EU sowie insbesondere ihre regionale 406 REKOM: Sedma Skupština Koalicije za REKOM . Transkript. Beograd 14.11.2014. URL : http://recom.link/sr/x-medunarodni-forum-za-tranzicionu-pravdu-u-post-jugoslovens kim-zemljama-3/ (am 12.05.2019). 407 URL : http://www.recom.link/sr/x-medunarodni-forum-za-tranzicionu-pravdu-u-postjugoslovenskim-zemljama-3/ (am 04.06.2019). 408 Rowen: Searching for Truth, 82. 409 REKOM-Koordination: Clanovi REKOMa 13.11.2012. 410 https://www.recom.link/sr/o-rekom-sr/sta-je-koalicija-za-rekom/ (vom 01.06.2019) 411 European Parliament resolution of 14 June 2017 on the 2016 Commission Report on Serbia (2016/2311(INI)), http://recom.link/wp-content/uploads/2017/06/EP-Report-onSerbia-for-2016.pdf (vom 03.06.2019). European Parliament resolution of 29 November 2018 on the 2017 Commission Report on Serbia (2018/2146(INI)), http://www.europarl. europa.eu/doceo/document/TA-8-2018-0478_EN.pdf?redirect (vom 03.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Politische (De)Mobilisierung 

325

50 Mitglieder 3%

52 Mitglieder 3% 161 Mitglieder 8%

371 Mitglieder 20%

181 Mitglieder 9%

402 Mitglieder 21%

BiH KOS SRB HR MNG MK SI

678 Mitglieder 36%

Abb. 4: REKOM Mitgliederzahlen am 13.11.2012, Diagramm erstellt durch d. Vf.

Zusammenarbeit voranbringen soll.412 Dass im Zuge dieses Prozesses ein regionales Jugendwerk nach dem Vorbild des »deutsch-französischen Jugendwerkes« gegründet wurde (das »Regional Youth Cooperation Office of the Western Balkans« – RYCO), nahm REKOM als Anlaß zur Hoffnung, auch für den Bereich von regionaler Vergangenheitsaufarbeitung hier Unterstützung zu erhalten.413 Auf dem im Jahr 2017 in Triest stattgefundenen Gipfel wurde REKOM im Rahmen des »Civil Society Forums« vorgestellt.414 Begleitend organisierte die Initiative 2017 auch eine weitere regionale Unterschriftenkampagne und sammelte zusätzliche 52.919 Unterschriften.415 412 Die Länder sind von den Westbalkanstaaten Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Albanien und Nordmazedonien sowie von den EU-Staaten Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien, Italien, Slowenien und Kroatien. URL : https:// berlinprocess.info/ (am 04.06.2019). 413 RYCO : The Regional Youth Cooperation Office of the Western Balkans. URL : https:// rycowesternbalkans.org/ (am 28.08.2017). 414 REKOM: Trieste Western Balkans Summit: Declaration with Recommendations Stemming from the Civil Society Forum, including the RECOM Initiative. URL: http://recom. link/trieste-western-balkans-summit-declaration-recommendations-stemming-civilsociety-forum-including-recom-initiative/ (am 12.08.2017). 415 Koalicija za REKOM: Tokom kampanje prikupljeno 52.919 potpisa podrške osnivanju REKOM-a u okviru Berlinskog procesa. URL : http://recom.link/sr/tokom-kampanjeprikupljeno-52-919-potpisa-podrske-osnivanju-rekom-u-okviru-berlinskog-procesa/ (am 14.08.2017).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

326

Die Entwicklung der REKOM Initiative

Mit wiederbelebter Hoffnung fanden sich im Januar 2018 alle noch einmal dort zusammen, wo im Mai 2006 das erste große REKOM Treffen stattgefunden hatte: in Sarajewo. Enthusiasmus bestimmte das elfte Forum for Transitional Justice in Post-Yugoslav Countries, welches erneut auch für eine Mitgliederversammlung der »Koalition für REKOM« genutzt wurde. Dass die Versammlung mit einer Schweigeminute für alle seit dem letzten Treffen 2014 verstorbenen Mitaktivist*innen begann, verweist auf den langen Weg von mehr als einem Jahrzehnt, den man bereits gemeinsam gegangen war.416 Vom Eindruck, dass das politische »Window of Opportunity« für REKOM mit fortschreitender Zeit schrumpfte, konnte ich mich trotz oder gerade wegen der wiederbelebten Euphorie nicht befreien. Doch die REKOM Aktivist*innen verfolgten weiter ihre Vision und gaben sich nicht geschlagen, was die mehrstündige Mitgliederversammlung am 27. Januar 2018 vor dem Forum bewies. Rund siebzig Teilnehmende diskutierten in Sarajewo eine Neustrukturierung der Zusammenarbeit anhand einiger Satzungsänderungen. Der Vorschlag dafür war bereits auf der letzten Versammlung im November 2014 in Belgrad vorgestellt worden und sollte nun verabschiedet werden.417 Der »Koordinierungsrat« (Koordinacijsko vijeće)  wurde dabei umbenannt in »Regionaler Beirat« (Regionalni savjet) und dessen Zahl von 17 Mitgliedern erheblich reduziert. Seit 2011 hatte Bosnien und Herzegowina dafür vier Personen gestellt; Serbien, Kroatien und Kosovo je drei; Montenegro zwei und Slowenien wie Mazedonien je ein Mitglied. Nun wollte man das Exekutivgremium funktionsfähiger machen. Alle Länder sollten nur noch eine*n Verantwortliche*n in den Rat schicken, mit Ausnahme von Bosnien und Herzegowina, welches drei Personen entsenden sollte.418 Nataša Kandić wollte die Änderungen auf der Versammlung zwar eigentlich nicht diskutieren, sondern nur darüber abstimmen lassen. Der Sitzungsführer Branislav Radulović bestand jedoch darauf, dass die wichtigsten Punkte, an denen Änderungen vorgenommen wurden, auch besprochen werden können. Mit ihren langjährigen Erfahrungen in der Vereinsarbeit machten sich die Anwesenden dann mehrere Stunden ans Werk und hatten zahlreiche Vorschläge. Der wichtigste davon war, dass der Regionale Beirat noch pragmatischer zusammengesetzt werden könnte, indem auch Bosnien und Herzegowina nur ein Mitglied entsandte. Derart wären alle postjugoslawischen Länder mit einer Stimme vertreten. Der Vorschlag erhielt eine große Mehrheit, eine Gegenstimme und zwei Enthaltun416 Feldnotizen d. Vf., 27.01.2018, Sarajewo. 417 Izvještaj Radne grupe za razmatranje modela daljnjeg upravljanja Koalicijom za R ­ EKOM, imenovane na Skupštini Koalicije za REKOM 2013. http://recom.link/wp-content/ uploads/2014/11/Izvje%C5%A1taj-Radne-grupe-za-razmatranje-modela-daljnjegupravljanja-Koalicijom-za-REKOM .pdf (am 04.06.2019). 418 Statut Koalicije za REKOM , § 22, 27.01.2018.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Politische (De)Mobilisierung 

327

gen. Zwischendurch merkte zwar ein Mitdiskutant an, dass die »Koalition für REKOM« kein Verein sei und die Satzung rechtlich nicht bindend, dennoch wurde die Versammlung und die damit neu geregelte Zusammenarbeit überaus ernst genommen. Vor dem Hintergrund der vergangenen Zerwürfnisse während der Kooperation ist eine weitere Änderung von Bedeutung: Projekte, die im Rahmen von REKOM entstanden sind, müssen nun selbstverantwortlich arbeiten und eigenständig abgerechnet werden.419 Es schien, als ob aus den eigenen Erfahrungen gelernt worden war: jedes postjugoslawische Land war nun gleichberechtigt mit je einer Stimme im Regionalen Beirat vertreten und die im Kontext der Kooperation entstehenden Projekte und Projektmittel sollten fortan selbst verwaltet, also nicht mehr aus Belgrad kontrolliert werden. Gleichwohl erfuhr ein weiteres Gremium im freiwilligen Strukturhaushalt der Initiative wesentliche Veränderungen: das sogenannte REKOM Sekretaritat war zuvor eine Art Netzwerk von Büros der NGOs, in denen die Ratsmitglieder arbeiteten. Nun vereinfachte man auch hier: es gibt nur noch ein Sekretariat mit einer Koordinatorin der »Koalition für REKOM«.420 In der Arbeitsgruppe zuvor hatte man beide Veränderungen als Alternativen verhandelt, nun wurden sowohl ein veränderter Rat als auch ein vereinfachtes Sekretariat miteinander kombiniert. Nataša Kandić blieb dadurch die zentrale Schaltstelle. Das elfte Transitional Justice Forum im Januar 2018 in Sarajewo endete in einer Hochstimmung, geprägt von Gemeinschaftssinn, Zuversicht und Vertrauen. Der immer wieder als Moderator effizient eingreifende Branislav Radulović resümierte: »Wir sind eine Familie. Es gibt Momente, wo wir uns nicht verstehen. Aber das macht eine gute Familie aus, dass auch Meinungsverschiedenheiten möglich sind.«421 Die Hoffnung der Zivilgesellschaften wurde jedoch auf dem Londoner Treffen des »Berlin Prozesses« im Juli 2018 enttäuscht. Zwar hatten Kosovo, Serbien, Montenegro und Mazedonien Interesse bekundet, die Vereinbarung für eine regionale Wahrheitskommission zu unterstützen. Jedoch folgten auf die Bekundungen in London keine Taten, REKOM wurde von der Agenda gestrichen und wieder auf seine zivilgesellschaftlichen Ursprünge zurückgeworfen.422 Im Rahmen der Vorbereitungen auf das nächste Treffen des »Berlin Prozesses« im Juli 2019 in Poznań bestand jedoch wieder Grund zur Zuversicht: Der Generaldirektor der »Generaldirektion Nachbarschaftspolitik und Erweite419 Statut Koalicije za REKOM , § 30 (3), 27.01.2018. 420 Ebd., § 26. 421 Feldnotizen d. Vf., 29.01.2018, Sarajewo. 422 Unger, Thomas / Stappers, Marlies: How the Balkans Summit Failed on Truth and Justice, Balkan Transitional Justice, 16.06.2018. URL : https://balkaninsight.com/2018/07/16/ how-the-balkans-summit-failed-on-truth-and-justice-07-13-2018/ (am 03.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

328

Die Entwicklung der REKOM Initiative

rungsverhandlungen der Europäischen Kommission«, Christian ­Danielsson, sicherte REKOM in seiner Rede auf dem Außenministertreffen der am »Berlin Prozess« teilnehmenden Staaten im April 2019 in Warschau Unterstützung zu: […] One area that would benefit from a renewed commitment in the region is building a strong historical record resilient to revisionism. As we can see from examples all over Europe – and further afield – failure to do this may give rise to hate speech and nationalist ideologies. Over the last ten years, there has been a significant amount of discussion about an approach to dealing with the past with the active involvement of governments and civil society through victim associations, such as the initiative for Recom. We stand ready to support such actions – actions that come from the region and for the region. We have asked an ex-Director General of the Commission, Pierre Mirel to reach out to you to see how you can best build consensus on a way forward. In conclusion, the EU agenda is an agenda for peace and for building a common future. But good neighbourly relations cannot be imposed from the outside; they require  a political commitment from leaders and ownership from the concerned countries. And we stand ready to continue to support you all.423

Die EU unterstützt also Vergangenheitsaufarbeitung als Teil der Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen im Zuge des Beitrittsprozesses. Doch Danielsson hält fest, dass der Wille dazu von den politischen Führungskräften der Beitrittsländer kommen und in der Gesellschaft verankert sein muss. Er gibt an, dass diese politische und gesellschaftliche Bereitschaft nicht erzwungen, nur gefördert werden kann. Dass in den Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawiens ein zivilgesellschaftlicher Wille für Vergangenheitsaufarbeitung im Dienste der Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen besteht, hat REKOM bereits gezeigt. Die EU eruiert nun die politische Bereitschaft, indem sie den ehemaligen Generaldirektor der Kommission, Pierre Mirel, als Vermittler eingesetzt hat. Auf seinem Treffen im Mai 2019 mit Vertreter*innen der Republika Srpska stieß Mirel auf klare Ablehnung des REKOM Projektes.424 Und so lautet das Ergebnis nach dem Poznańer Treffen des »Berlin Prozesses« im Juli 2019: The legacy of the past creates particularly an acute sense of unfairness to victims still looking for justice and deep divisions between neighbours and communities. Action is needed at all levels across the region to reduce these impediments and to develop a process of confidence building and reconciliation to fully unleash its potential. In 423 Speech by EC DG Christian Danielsson, Berlin Process Foreign Ministers’ Meeting, Warsaw, 11–12 April 2019. 424 RECOM : Common Priority: Facts About Victims, 27.05.2019. URL : https://www.recom. link/zajednicki-prioritet-cinjenice-o-zrtvama/ (am 03.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Politische (De)Mobilisierung 

329

this context, the promotion of culture and inter-cultural dialogue are key drivers for mutual understanding and for socio-economic development, thus directly nurturing peaceful relations in the Western Balkans. Participants underlined their commitment to reconciliation, including through the RECOM initiative.425

425 Western Balkans Summit Poznań. Chair’s Conclusions. URL : https://www.premier.gov. pl/mobile/en/news/news/western-balkans-summit-poznan-chairs-conclusions.html (am 08.07.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

6.

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Warum setzen sich seit 2006 zahlreiche Aktivist*innen für eine transnationale Wahrheitskommission auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens ein? Ist ihr Vorhaben nicht utopisch? Denn Wahrheitskommissionen sind erstens problematische Unterfangen und je mehr davon in der Welt eingerichtet werden, umso stärker werden diese Aufarbeitungsinstitutionen in Frage gestellt.1 Zweitens hat es eine transnationale Variante davon noch nie gegeben. Bis auf die bilaterale »Kommission für Wahrheit und Freundschaft« (2005–2008) zwischen Indonesien und Osttimor spielten sich derartige Vorhaben immer in einem nationalen Rahmen ab.2 Nun aber wollen die Aktivist*innen, dass die Regierungen aller sieben postjugoslawischen Staaten durch ein multilaterales Abkommen eine »Regionale Kommission zur Feststellung der Fakten über Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens (1991–2001)« einrichten. Serbien wie auch Bosnien und Herzegowina erkennen Kosovo zwar nicht als Staat an, doch das hat sie 2016 auch nicht daran gehindert, ein regionales Büro für den Jugendaustausch (RYCO) gemeinsam zu gründen.3 Dennoch bleiben Bedenken, und zwar auch deswegen, weil drittens bereits eine Aufarbeitungsinstitution existierte, die denselben Raum und eine ähnliche Zeitspanne abdeckte: der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag.4 Normalerweise werden Wahrheitskommissionen gerade dann eingesetzt, wenn eine juristische Aufarbeitung nicht möglich ist. In diesem Fall ist die Wahrheitskommission jedoch komplementär zum ICTY gedacht. Viertens waren zuvor schon mehrere Versuche nationaler Wahrheitskommissionen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens in ethnopolitischen Grabenkämpfen untergegangen. Nicht nur mit der Koštunica-Kommission in der Bundesrepublik Jugoslawien (2001–2003), sondern insbesondere in Bosnien und Herzegowina hatte man weitreichende Erfahrungen mit drei Wahrheitskommissionsprojekten gemacht, wovon jedoch nur die Srebrenica-Kommission (2003–2004) verwirklicht wurde. Fünftens agieren Menschenrechtsakti1 Bakiner: Truth Commissions, 4. 2 Krüger: Wahrheitskommissionen, 215. 3 Das Regional Youth Cooperation Office wurde von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Mazedonien und Serbien gegründet. URL: https://www.rycowb.org/ (vom 22.05.2019). 4 Vor dem ICTY wurde Kriegsverbrechen verhandelt, die ab 1991 verübt wurden, allerdings nicht nur bis 2001.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

332

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

vist*innen in den Ländern des postjugoslawischen Raumes zumeist in einer Parallelwelt, ignoriert bis angefeindet sowohl von der Bevölkerung als auch von der Politik. Nun aber versammeln sich seit 2006 mehrere hundert, später tausende, Menschenrechtsaktivist*innen und Vertreter*innen verschiedener NGOs zusammen mit Intellektuellen, Künstler*innen und Journalist*innen aus allen postjugoslawischen Staaten, um den Weg zu einer transnationalen Wahrheitskommission zu bahnen, zu welchem letztlich auch gehört, Politiker*innen von der Idee zu überzeugen. Möglicherweise dokumentiert dieses Buch also eine Utopie. Vielmehr aber widmet es sich einer Alternative. Alternativ zur juristischen Aufarbeitung, in Konfrontation zu den nationalistischen Geschichtsdiskursen in den einzelnen postjugoslawischen Ländern und mit der Vision, dass der Einzelne im Zusammenschluss mit anderen das Gemeinwohl beeinflussen kann, hat REKOM eine Verständigung über das Leid der Jugoslawienkriege bewirkt, auch wenn es eine staatlich legitimierte transnationale Kommission unter dem Namen REKOM möglicherweise nie geben wird. Vielleicht hatten die Aktivist*innen noch am jugoslawischen Beispiel gelernt, dass es sich lohnt, die Dinge anders anzugehen. Denn Titos Jugoslawien beschritt einen Sonderweg zwischen Ost und West, indem es als kommunistisches Land 1948 mit Stalin brach, sich fortan in der »Bewegung der Blockfreien Staaten« positionierte, einen spezifischen Selbstverwaltungssozialismus mit marktwirtschaftlichen Elementen propagierte und der multikulturellen Bevölkerung die Idee der Toleranz (Brüderlichkeit und Einheit – »bratstvo i jedinstvo«) injizierte. Nach dem Tode Titos endete dieser Sonderweg in Schützengräben. Meine These lautete deshalb, dass die Zusammenarbeit für eine regionale Wahrheitskommission nicht nur der Aufarbeitung der Vergangenheit dient, sondern auch auf einen zukünftigen Verständigungsraum ausgerichtet ist. Dieser Verständigungsraum entsteht durch transnationale Praktiken und knüpft an Titos Jugoslawien als Erfahrungsraum an, er dient jedoch dazu, die Möglichkeiten eines Miteinanders jenseits eines gemeinsamen Staates und Territoriums zu erörtern. Um dieser Annahme Schritt für Schritt nachzugehen, habe ich zunächst beschrieben, was das nominelle Ziel der Kooperation – eine Wahrheitskommission  – an historischen und normativen Konnotationen mit sich bringt. Verankert ist das Aufarbeitungsmodell in der Transitional Justice, welches insbesondere institutionelle Lösungen für die Stabilisierung von Gesellschaften nach Konflikten unter Berücksichtigung von Vergangenheitsaufarbeitung versammelt. Transitional Justice wird getragen vom Menschenrechtsdiskurs, bei welchem die Freiheit des Individuums im Mittelpunkt steht. Denkt man Vergangenheitsaufarbeitung und Menschenrechtsaktivismus zusammen, dann folgt man zumeist der Annahme, dass in Anbetracht vergangener Ge© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

333

walt die Notwendigkeit, sich für zukünftigen Frieden einzusetzen, wächst: »All that can be said about human rights is that they are necessary to protect individuals from violence and abuse, and if it is asked why, the only possible answer is historical.«5 Wahrheitskommissionen als spezifisches Modell der Vergangenheitsaufarbeitung werden seit rund vierzig Jahren in unterschiedlichen Kontexten in der Welt nach Konflikten eingesetzt. Sie sind keine wissenschaftlichen Institutionen, die Geschichte schreiben, sondern vielmehr dafür da, marginalisierte Geschichten zu dokumentieren. Ursprünglich wurden diese Erfahrungen dokumentiert, um Verbrechen aufzudecken, die trotz der Unmöglichkeit, diese juristisch zu ahnden, ans Licht kommen sollten. Wahrheitskommissionen stehen deswegen paradigmatisch für das Streben nach Wandel in der vorherrschenden Erinnerungskultur. Die Geschichten werden dabei jedoch nicht dazu verwendet, um Politik zu legitimieren. Sondern die Geschichten in Wahrheitskommissionen dienen dazu, eine vergangene Politik als illegitim zu verurteilen, also bestimmte hegemoniale Praktiken zu delegitimieren. Deswegen kann eine Wahrheitskommission als Arbeit an einer »Gegengeschichte« verstanden werden, welche »die Wahrheit der Anderen« beleuchtet. Im darauffolgenden Kapitel drei untersuchte ich die Frage, was in einer Wahrheitskommission artikuliert wird und welche Wirkung diese Artikulation für die Erzählenden hat. Da REKOM während des Austausches über die Aufarbeitung der Jugoslawienkriege auch Sitzungen mit Zeitzeug*innen abgehalten hat, wie sie in einer Wahrheitskommission ablaufen können, stellte ich zwei solcher Erzählungen aus dem Jahr 2008 ins Zentrum meiner Betrachtungen: Die Gewalterfahrungen eines Überlebenden der »ethnischen Säuberungen« 1992 in der Gemeinde Prijedor im Nordwesten Bosnien und Herzegowinas sowie jene einer Überlebenden des Massakers an ihrer Familie während des Kosovokrieges 1999. Das Transkript ihrer Aussagen bildete ich in der deutschen Übersetzung komplett ab. Ich analysierte, was und wie erzählt wurde, sowie was verschwiegen blieb und gab Kontextinformationen. Derart ergründete ich den Kern von Wahrheitskommissionen – die Opfererzählungen. Ihre Analyse zeigte, dass die Erzählungen trotz des gleichen Formats unterschiedlich ausfallen können: Die Kosovo-Albanerin rekonstruierte kurz und bündig das Massaker an ihrer Familie, um danach vor allem von ihren Aufarbeitungserfahrungen zu berichten. Der Bosniake schilderte detailliert mehrere Kriegsereignisse in seinem Heimatort Čarakovo in der Gemeinde Prijedor innerhalb mehrerer Monate im Jahr 1992. Seinem Leben nach dem Krieg widmete er in seiner Aussage nur einen sehr kurzen Teil, der in politische Äußerungen mündete. Besonderes Augenmerk in der Analyse legte ich auf Widersprüche und Störungen in der Erzählung. Während bei dem Einen 5 Ignatieff: Human Rights as Ideology, 80.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

334

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Störungen in der Narration auftraten, hat das Trauma bei der Anderen die Realisierung des Erzählens an sich, also die Performanz, beeinträchtigt. Ihr Verlust der Fassung trat jedoch nicht bei der faktischen Rekonstruktion des Massakers ein, worin sie durch mehrmalige Aussagen vor Gerichten zuvor geübt war, sondern vielmehr bei dem Versuch zu beschreiben, was es bedeutet, dass sie all das mit- und überlebt hat. Dabei wurde deutlich, dass es in einer Wahrheitskommission zunächst um das Zustandekommen des Erzählens an sich geht. Das Format schafft einen Raum, in welchem Geschädigte ihr Leid artikulieren können. Da der wichtigste Aspekt der Aufarbeitungsgeschichte der Kosovo-Albanerin in den Gerichtsprozessen lag, konnte ich durch ihre Geschichte auch auf den Unterschied zwischen dem Erzählen in einer Wahrheitskommission und im Zeugenstand von Gerichten eingehen. Im Gegensatz zu einer Wahrheitskommission wird im Gericht den Erfahrungen der Opfer nur dann Bedeutung beigemessen, wenn sie der Beweisführung dienen. Das Opfer ist Lieferant bestimmter benötigter Informationen, die gezielt abgefragt werden. Es findet eine gesetzlich geregelte, kontrollierte und nach klaren Vorgaben dokumentierte Erhebung von prozessrelevanten Informationen statt. Was die Zeugin währenddessen gefühlt hat und was, wie in diesem Fall, die Ermordung der Mutter vor ihren Kindesaugen für sie bedeutete, ist im Gericht nachrangig. Der Vergleich des Zeugens vor einer Kommission und vor Gericht veranschaulichte, dass eine Wahrheitskommission einen anderen Raum für das Erzählen von Gewalterfahrungen ermöglichen kann. Dieser erstreckt sich jenseits der Beweisaufnahme für das Richten über eine*n mutmaßliche*n Täter*in und ist durch die Artikulation vielfältiger Erfahrungen gekennzeichnet. Dabei geht es also nicht nur um Faktenwiedergabe oder eine belegbare Geschichte, sondern auch um subjektive Wahrnehmungen, Beurteilungen und Gefühle. Da das Aussagen bei einer Wahrheitskommission seine eigene Dynamik entwickelt und entwickeln darf, wird dieser Freiraum bisweilen auch nicht nur für die Rekonstruktionen der eigenen Erfahrungen, sondern auch für die Wiedergabe von allerlei Schlüssen daraus verwendet. Politische Überzeugungen und Forderungen, Bezüge zur Weltgeschichte, Zitate aus Philosophie und Literatur, Erläuterungen zur ortsüblichen Kultur, aber auch Tränen, Reflektionen zum Sprechen über den eigenen Schmerz vor einem großen Publikum und über die Rolle von Gerichten bei der Aufarbeitung waren Bestandteile der Aussagen auf den Probesitzungen einer Wahrheitskommission bei REKOM . Die Wahrheit solcher Erzählungen liegt folglich in den Wahrnehmungen der Erzählenden.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

6.1

335

Leugnung verlängert Leiden

Um zu verstehen, welche Bedeutung die Erzählung bei REKOM für die beiden Opfer hatte, habe ich im dritten Kapitel auch ihre Aufarbeitungsgeschichten untersucht – also, wie Gewaltopfer nach ihrer Kriegserfahrung Sinn schöpfen und welche Handlungen sie daraus ableiten. Jörn Rüsens Konzept der »Geschichtskultur«, das die »kulturellen Praktiken der Orientierung des menschlichen Leidens und Handelns in der Zeit« untersucht, eignete sich für diesen anthropologischen Zugang.6 Bei den nach Rüsen aus den anthropologischen Vorgängen des Denkens, Wollens, Fühlens, Wertens und Glaubens abgeleiteten Dimensionen von Geschichtskultur, habe ich mich auf die ästhetische (Fühlen) und moralische (Werten) Dimension konzentriert, weil diese in Wahrheitskommissionen besondere Geltung erhalten. Deutlich wird, dass es bei Vergangenheitsaufarbeitung auf individueller Ebene nicht nur um Denken und Verstehen geht, auch wenn die kognitive Dimension äußerst wichtig ist. Stattdessen geht es häufig um eine Verarbeitung von Schmerzen. Dem Erzählen wird für die Verarbeitung des Schmerzes eine therapeutische Wirkung zugeschrieben.7 Wenn wir mit Le Breton davon ausgehen, dass Schmerz die Freiheit und Souveränität des Einzelnen blockiert und ein Mitfühlen mit anderen verhindert, dann wird verständlich, warum die Berücksichtigung dieses Gefühls bei der Erörterung von Vergangenheitsaufarbeitung auch für die kollektive Erinnerung von Belang ist.8 Die Überwindung dieser Blockade ist dann nämlich Voraussetzung für ein Miteinander in einer Post-Konflikt-Gesellschaft. Schmerzen zu überwinden, beeinflusst die Entscheidungsfähigkeit von Individuen und damit auch ihre Politikfähigkeit. Deswegen habe ich Vergangenheitsaufarbeitung nicht nur als kognitiven Vorgang begriffen, sondern auch dem emotionalen Aspekt Aufmerksamkeit geschenkt. Beide Aspekte sind aufeinander bezogen: Insbesondere schmerzhafte Gefühle bewirken bei Erinnerungen an Gewalterfahrungen häufig Erschütterungen der Narration. Schmerz beeinträchtigt aber nicht nur Erinnerung, sondern bedingt manchmal auch Erinnerungen, oder anders formuliert: manche Erinnerungen treten nur in Form von Schmerzen auf; sie sind körperlich wahrnehmbar, aber kognitiv unzugänglich.9 Das verweist darauf, dass die Rekonstruktion von Einzelerfahrungen mehr betrifft als die Gestalt einer Geschichte: individuelle Erfahrungen werden auch rekonstruiert über Töne, Farben, Gerüche oder Temperaturen. Um derartige Wahrnehmungen zu verarbeiten, müssen auch 6 7 8 9

Rüsen: Historik, 221. Phelps: The Ethics of Storytelling, 169. Le Breton, David: Schmerz. Eine Kulturgeschichte. Zürich 2003. Borgards, Roland (Hg.): Schmerz und Erinnerung. München 2005, 11.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

336

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

sie letztlich artikuliert werden – multi-sensorische Erfahrungen werden also in eine Form gebracht. Nach Rüsen gehört dieser Vorgang zur ästhetischen Dimension von Geschichtskultur. Mit diesen Grundannahmen komme ich zu dem Schluss, dass das Zeugnisablegen vor einer zivilgesellschaftlichen Variante einer Wahrheitskommission beiden Personen eine Möglichkeit der Artikulation ihrer Leidenserfahrungen bot. Doch die beiden jungen, gebildeten, mehrsprachigen Persönlichkeiten mit internationalen Lebenserfahrungen haben auch andere Wege gefunden, ihrer Geschichte Gestalt zu verleihen. Die Auseinandersetzungen in der Familie, in einer Psychotherapie, mittels zivilgesellschaftlichen Engagements für andere Opfer, durch künstlerische Aktivitäten und nicht zuletzt durch Aussagen vor Gerichten haben den Umgang mit der Gewaltvergangenheit in diesen Fällen neben der Wahrheitskommissionserzählung geprägt. Beide Personen sind spezifische Ausnahmen, zu denen sie maßgeblich auch durch ihre Kriegserfahrungen geworden sind. An ihnen zeigt sich, dass für die individuelle Aufarbeitung nicht zwangsläufig eine Wahrheitskommission notwendig ist und dass insbesondere künstlerische Formate emotionale Erfahrungen besser artikulieren können, wie die Kunstinstallation und das Theaterstück exemplifizierten. Der künstlerische Umgang mit dem Erlebten bot bessere Bedingungen als juristische und außerjuristische Aufarbeitungsmechanismen, um die Schmerzen und andere Gefühle zu artikulieren. Denn während eine Wahrheitskommission per Titel die dort erzählten Geschichten als »wahr« validiert, bietet die Kunst den Raum, um die Frage nach der Wirklichkeit als Kern der Erinnerungsarbeit zu reflektieren. Für die gesellschaftliche Anerkennung des Leidens jedoch spielen staatlich legitimierte Institutionen die entscheidende Rolle. Denn das Erstellen einer narrativen Struktur aus einer zunächst schwer artikulierbaren Schmerzerfahrung ist nur der Anfang von Vergangenheitsaufarbeitung. Danach wirken hauptsächlich Prozesse der Anerkennung: Einerseits die eigene Akzeptanz des Erlebten, der damit verbundenen Gefühle und der Folgen; andererseits die Anerkennung des Veräußerten durch Andere. Dieser Aspekt der Geschichtskultur betrifft den anthropologischen Vorgang des Wertens und somit ihre moralische Dimension. Für die Anerkennung durch Andere spielen Staaten und ihre Institutionen eine grundlegende Rolle. Am wirkmächtigsten war für die Kosovo-Albanerin die Verurteilung der Täter vor Gericht als schuldig und damit die institutionell sanktionierte Anerkennung ihres Opferstatus. Im Fall des bosniakischen Opfers hat sein Erzählen im Theater die menschliche Akzeptanz seines Leidens befördert. Das Theater bot ihm eine Ersatzwirklichkeit, in der das öffentliche Gedenken an die Opfer des Krieges ohne Leugnung und Politisierung möglich war, während die politische Anerkennung der Verbrechen an der nicht-serbischen Bevölkerung in der Republika Srpska weiterhin aussteht. © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

337

Nach der Artikulation der Gewalterfahrungen bei REKOM und der Diskussion verschiedener Vorgänge ihrer Anerkennung erörterte ich abschließend den Bezug zur Opferrolle, welche eng mit den anthropologischen Vorgängen des Fühlens und Wertens verbunden ist. In einem Fall hat anscheinend eine Transformation vom Opfer zu einer Überlebenden stattgefunden, indem die Kosovo-Albanerin zur verantwortungstragenden Autorin ihrer Aufarbeitungsgeschichte geworden ist. Im anderen Fall hat sich die Opferwahrnehmung stark verändert und eine Distanzierung von der Opferrolle ist erfolgt. Dennoch lebt der Bosniake wieder in der Republika Srpska und ist weiterhin mit der Leugnung serbischer Verbrechen konfrontiert, weswegen er seine Opferidentität aufrechterhält. Durch die beiden Einzelgeschichten veranschaulichte ich, dass die Leugnung des Unrechts das Leiden der Opfer verlängert und ihre Opferrolle zementiert. Während sich also für die Verarbeitung schmerzhafter Erfahrungen künstlerische Formate eignen, bedarf es für den wichtigen Schritt der Anerkennung des Leidens politischer, juristischer und gesellschaftlicher Mechanismen. Gerade wenn die erfolgte Gewalt im Zuge einer Staatswerdung erfolgt ist, hat die staatliche Akzeptanz des dadurch bewirkten Leidens eine transformative Wirkung. Wenn, wie im Falle des Bosniaken, kein Gericht das von ihm erfahrene Unrecht anerkennt, dann kann eine staatlich legitimierte Wahrheitskommission von großer Bedeutung für die Akzeptanz des Geschehenen und schließlich für das Umwandeln der Opferrolle sein. In meiner Betrachtung zweier individueller Aufarbeitungsgeschichten von Gewalterfahrungen habe ich somit einen Dreischritt als Grundprozess von Vergangenheitsaufarbeitung erörtert: Artikulieren, Anerkennen, Transformieren. Anhand der individuellen Aufarbeitungsgeschichten ist deutlich geworden, dass für den Schritt der Anerkennung Staaten und die von ihnen legitimierten Institutionen eine wichtige Rolle spielen. Die staatliche Anerkennung des Unrechts und des Leidens der Opfer hat eine direkte Auswirkung auf die Opferrollen. Der Dreischritt des Artikulierens, Anerkennens und Transformierens kann, so mein Vorschlag, auch auf die kollektive Ebene von Vergangenheitsaufarbeitung übertragen werden.

6.2

Vergangenheitsaufarbeitung ist keine Erfolgsgeschichte

Wie bereits erwähnt, war REKOM nicht das erste Vorhaben einer Wahrheitskommission auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, da es lokale und nationale Varianten schon zuvor gab. REKOM ist aber der erste Versuch einer Wahrheitskommission für das ehemalige Jugoslawien. Das vierte Kapitel widmete sich deswegen derlei Erfahrungen mit Wahrheitsprojekten, sowohl auf © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

338

staatlicher Ebene als auch im nicht staatlichen Sektor. Die umfangreichste Expertise mit offiziellen Wahrheitskommissionsprojekten besteht in Bosnien und Herzegowina mit drei Versuchen. Zwar konnte die Srebrenica-Kommission 2003 bis 2004 auch ihre Arbeit verrichten, sie wird aber bisweilen gar nicht zu Wahrheitskommissionen gezählt, weil sie sich nicht mit Gewaltmustern beschäftigt hat, die sich flächendeckend auf das ganze Land erstreckten, sondern »nur« mit Verbrechen an einem Ort, den Massakern im Juli 1995 in Srebrenica. Zum anderen hat die Untersuchungskommission zwar wichtige Dokumentationsarbeit geleistet, ihre Ergebnisse haben letztlich jedoch die Leugnung der Verantwortung serbischer Eliten im Land für die Verbrechen in Srebrenica verstärkt. Die Erfahrungen in Bosnien und Herzegowina mit Wahrheitskommissionsprojekten zeigten, wie schwierig nicht nur die Einrichtung derartiger Institutionen ist, sondern dass sowohl ihre Arbeit als auch ihre Wirkung nicht zwangsläufig die gesetzten Erwartungen erfüllen müssen. Dragović-Soso gibt deswegen zu Bedenken: Far from being a technical exercise, establishing a truth commission raises questions about legitimate authority in defining the past, the purpose of the reckoning and the thorny dilemmas of practical viability and sources of support. In this context, international actors are often not ›external‹ but integral to the process, seeking to create preferences and determine outcomes in line with their own interests and ideas.10

Die Wahrheitskommissionsinitiativen von Vojislav Koštunica (2001–2003) und Hașhim Thaçi (seit 2017) waren gedacht als heimische Gegengewichte in Serbien und im Kosovo zu unliebsamen Gerichten. In Kroatien konzentriert man sich noch auf die Erforschung der Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs. Die Übersicht zu den staatlichen Aufarbeitungsbemühungen veranschaulichte, dass Vergangenheitsaufarbeitung hier zumeist nicht als Bereitschaft, sich einer unbequemen Vergangenheit zu stellen, verstanden wurde, sondern als ein strategisches Zugeständnis im Zuge des Beitritts zur Europäischen Union. Zwang fördert Widerstand, ließe sich hier schlussfolgern, oder wie Jelena Subotić festhielt: Wenn Transitional Justice Projekte von zynischen politischen Akteuren instrumentalisiert werden, sind sie ineffizient und führen im schlimmsten Fall zu neuen Konflikten.11 Keiner der nationalen Versuche von Wahrheitskommissionen war an den Gewalterfahrungen der betroffenen Zivilist*innen interessiert. Diesen Geschichten widmen sich ausschließlich zivilgesellschaftliche Organisationen, meistens in Oral History Projekten. Sie werden unterstützt von auswärtigen Förderern. Somit konnten die Aktivist*innen bei REKOM an umfangreiche Erfahrungen, positiver wie negativer Art, anknüpfen. 10 Dragovic-Soso: History of a Failure, 310. 11 Subotić: Out of Eastern Europe, 416.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

339

Das fünfte und umfangreichste Kapitel rekonstruierte die Entwicklung der Zusammenarbeit unter dem Kürzel REKOM . Es diskutierte die Themen, Akteure und Dynamiken in der Kooperation. Damit näherte ich mich den »Anderen«, die im Rahmen einer transnationalen Wahrheitskommission ihren Wahrnehmungen eine Stimme geben wollen. Hierbei operierte ich mit einem kritischen Raumverständnis, um insbesondere dem Gebrauch des Begriffes »Region« für die transnationale, postjugoslawische Zusammenarbeit nachzugehen. Da eine Auseinandersetzung mit der Verantwortung für Verbrechen auf der staatlichen Ebene häufig erst durch Impulse von außen angestoßen wird, legte ich zunächst mein Augenmerk auf den Beginn der Zusammenarbeit bei REKOM . Dabei stellte sich heraus, dass die Ursprungsidee der Aktivist*innen gar nicht in einer das gesamte Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens umfassenden Wahrheitskommission bestand, sondern in einem zunächst auf Serbien, Bosnien und Herzegowina und Kroatien beschränkten regionalen Netzwerk von Dokumentationszentren über die Kriegsverluste. Die Menschenrechtsaktivistin Nataša Kandić hatte die Idee in Serbien nach dem Sturz Miloševićs bereits 2001 mit verschiedenen Akteuren diskutiert. Doch erst nachdem das 2001 in New York neu entstandene Internationale Zentrum für Transitional Justice (ICTJ) seine Beratungstätigkeit im postjugoslawischen Raum aufgenommen hatte, entwickelte sich die Idee des regionalen Kriegsdokumentationszentrums weiter in Richtung einer regionalen Wahrheitskommission. Zunächst aber beriet das ICTJ die von Präsident Koštunica einberufene »Wahrheits- und Versöhnungskommission« für Rest­ jugoslawien. Und die neu gegründeten Aufarbeitungsorganisationen Docu­ menta aus Zagreb sowie das Sarajewoer Forschungs- und Dokumentationszentrum unterzeichneten mit dem Belgrader Menschenrechtsfond 2004 noch eine Kooperationsvereinbarung für eine regionale Dokumentationszusammenarbeit. Erst nachdem sich die Koštunica-Kommission spätestens 2003 als Bluff erwiesen und sich das ICTJ von der staatlichen Version einer Wahrheitskommission zurückgezogen hatte, unterstützte es fortan die zivilgesellschaftliche Alternative tatkräftig. 2006 schien es dann an der Zeit gewesen zu sein, aus den problematischen, nationalen Erfahrungen zu lernen und in einem erweiterten, transnationalen Kontext das Projekt Wahrheitskommission noch einmal, nur anders, anzugehen. So entstand unter konzeptionellem Rückgriff auf die Transitional Justice ein Avantgarde-Aufarbeitungsprojekt, welches den besonderen Umständen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens Rechnung tragen sollte. Um es besser zu machen als vorher, stellte man den Austausch aller Interessierten in den Mittelpunkt. Dieser Austausch stand im Zentrum meiner Untersuchung der REKOM Initiative, deren Schlüsse ich im Folgenden zusammenfasse. REKOM ist durch die Transitional Justice und den damit verbundenen Menschenrechtsdiskurs geprägt. Allerdings habe ich Transitional Justice da© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

340

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

bei als Ressource der Initiative, also als Teil des Untersuchungsgegenstands, und nicht als analytisches Konzept verstanden. Als Ressource funktionierte Transitional Justice, weil dadurch große Summen an Fördermitteln von internationalen und supra-nationalen Organisationen eingeworben werden konnten. Vor allem lieferte die damit verbundene, populäre Institution einer Wahrheitskommission ein Modell für die Zusammenarbeit, welches konkrete Prozeduren, Strukturen und nicht zuletzt eine bestimmte Begrifflichkeit vorgab, auf welche sich die postjugoslawische Kooperation stützten konnte. Jedoch trat man aufgrund der weitreichenden Erfahrungen mit vorherigen, problematischen Wahrheitskommissionsversuchen skeptisch an die Begriffe heran. Meine Analyse der Konsultationen hat gezeigt, dass man sich sowohl bezüglich der Leittermini des Aufarbeitungsprojektes als auch in Bezug auf dessen räumlichen Zuschnitt zunächst nicht festgelegt hatte, sondern dabei Aushandlungsspielraum bestand. Ich habe untersucht, wie man sich bei REKOM mit den vom Transitional Justice Konzept vorgegebenen Begriffen »Wahrheit« und »Versöhnung« auseinandergesetzt hat und wie man eruierte, welcher transnationale Raum genau einbezogen werden sollte. »Wahrheit« wurde bei REKOM anfangs in starker Bezugnahme auf die juristische Aufarbeitung verwendet und war somit als Begriff gedacht, der mittels eines formal abgesicherten und institutionell legitimierten Verfahrens Informationen über die Kriege bereitstellt. Durch die Kriegsverbrecherprozesse vor dem ICTY und den nationalen Kammern für die Ahndung von Kriegsverbrechen liegen derartige Fakten bereits vor. Allerdings gehört die Leugnung dieser Fakten mittlerweile beinahe zum Leitmotiv der Erinnerungskultur in den Ländern Post-Jugoslawiens. Im Grunde wollte man mit dem Wahrheitsbegriff bei REKOM die staatliche Anerkennung der bereits durch die Gerichte etablierten Fakten einfordern. In der ersten Diskussion mit Vertreter*innen von Opferorganisationen in Kroatien 2007 stellte sich jedoch heraus, dass deren Wahrheit im Erzählen ihrer persönlichen Wahrnehmungen und vor allem im Zeugen von ihren Gewalterfahrungen liegt. In den Konsultationen und Konfrontationen präzisierten sich fortan die Ziele der REKOM Initiative: es ging sowohl um Fakten und deren Anerkennung als auch um die Erfahrungen der Leidtragenden der Jugoslawienkriege. Da sich REKOM komplementär zum ICTY entwickelt hat, ist im Namen der gewünschten Kommission die Faktenfindungsaufgabe konkret auf Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen während der Jugoslawienkriege beschränkt. Der nominelle Dreh- und Angelpunkt bei REKOM ist mit »Fakten über Verbrechen« also eine juristische Kategorie, obwohl es sich bei einer Wahrheitskommission um eine außergerichtliche Institution handelt. REKOM will mit dem im Zuge der juristischen Aufarbeitung produzierten Material aus dem Archiv des ICTY und den nationalen Kriegsverbrecherkammern arbeiten, es durch die Erzählungen von Opfergeschichten komplementieren und kontextualisieren. © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

341

Dass REKOM die juristisch definierte Kategorie »Verbrechen« als zentrale Bezugsgröße verwendet, hat in der Öffentlichkeit Verwirrung gestiftet und zu Angriffen geführt. Zum Beispiel wurde REKOM eine Unterwanderung der gerichtlichen Aufarbeitung sowie staatlicher Institutionen vorgeworfen. Der Bezug zum ICTY und die Verankerung im Konzept der Transitional Justice haben diese Verengung des Untersuchungsgegenstandes auf »Fakten über Verbrechen« bewirkt. Transitional Justice funktioniert hier als Transmissionsriemen zwischen dem Menschenrechtsdiskurs und Vergangenheitsaufarbeitung. Die mit der Transitional Justice verbundene stark politikwissenschaftliche (transition) und juristische (justice) Perspektive vernachlässigt meiner Ansicht nach jedoch, dass es sich bei Vergangenheitsaufarbeitung vorrangig um einen kulturellen Prozess handelt. Mit kulturellem Prozess meine ich, dass es hierbei um einen Orientierungsprozess in Zeit und Raum geht, der die Verarbeitung verschiedener Brüche umfasst, die weit über juristisch zu ahndende Verbrechen hinausreichen. Cowan und andere hielten fest, dass Initiativen, die sich auf den Menschenrechtsdiskurs beriefen, ein rechtlich geprägtes Repertoire bedienen müssen, um überhaupt Gehör zu finden: In this paradigm, law is conceived as  a worldview or structuring discourse which shapes how the world is apprehended. ›Facts‹ are not simply lying around waiting to be discovered; they are socially constructed through rules of evidence, legal conventions, and the rhetoric of legal actors. Certain things can be said; others cannot be said and thus simply disappear from view. In many societies, legal reasoning becomes one of the most important ways in which people try to make sense of their world.12

Der Menschenrechtsdiskurs diktiert somit eine technokratische Sprache, auch wenn das Anliegen vieler Initiativen, die sich darauf berufen, eigentlich ein kulturelles ist. Denn es geht bei der Aufarbeitung maßgeblich darum, Sinn zu schöpfen aus Vergangenem und eine adäquate Form zu finden, die es strukturiert und schließlich ermöglicht, das Vergangene als Geschichte abzuschließen. Insofern leitet die Gleichsetzung von Vergangenheitsaufarbeitung und Transitional Justice fehl. Vergangenheitsaufarbeitung sollte nicht nur als eine vorübergehende (transitionelle), sondern ständige Aufgabe verstanden werden. Vergangenheitsaufarbeitung als gesellschaftliche Aufgabe gestaltet sich aber in Übergangsphasen nach Konflikten als besonders problematisch. Denn das oberste Gebot nach Konflikten ist Stabilität, es soll Ruhe einkehren. Die ursprüngliche Idee der Transitional Justice lag auch weniger bei der Vergangenheitsaufarbeitung, sondern im Kompromiss.13 Um Gesellschaften nach 12 Cowan, Jane K. / Dembour, Marie-Bénédicte / Wilson, Richard A.: Introduction. In: ­Cowan, Jane K. / Dembour, Marie-Bénédicte / Wilson, Richard (Hg.): Culture and Rights. Anthropological Perspectives. Cambridge, New York 2001, 1–26, hier 12. 13 Rowen: Searching for Truth, 43–45.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

342

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Umbrüchen zu stabilisieren und gleichzeitig dem seit den neunziger Jahren unabweisbaren Aufarbeitungsimperativ gerecht zu werden, suchte man nach neuen Wegen und nannte die Lösung »Übergangsgerechtigkeit« (Transitional Justice). »Übergangsgerechtigkeit« lässt sich auch mit Kompromiss paraphrasieren. Demnach kann die Institution einer Wahrheitskommission als ein Vermittlungsversuch verstanden werden zwischen den Eliten, die zumeist an Stabilität interessiert sind, und den Marginalisierten, die häufig auf Wandel hinwirken, um Teilhabe zu erreichen. Kompromisse stellen niemanden ganz zufrieden, denn jeder muss dafür ein Stück von seinem Ziel abweichen. Sie sind aber der Kern eines demokratisch verfassten Miteinanders. Die Politikwissenschaftlerin Jasna Dragović-Soso gab beim letzten Treffen der Unterstützer*innen der REKOM Initiative im Januar 2018 zu Bedenken, dass es bei dem Projekt nicht nur um die Feststellung der Fakten (utvrđivanje), sondern doch viel mehr um ihre Bestätigung (potvrđivanje)  gehe. Meine Untersuchung hat gezeigt, dass sich REKOM beidem widmet: sowohl der Feststellung neuer Fakten, als auch der Anerkennung der durch die Gerichte geschaffenen Fakten. Ursprünglich wollte man vor allem die Opferzahlen der Kriege für alle Parteien durch eine gemeinsame Methodik dokumentieren, also Fakten feststellen. Seit der dafür unterzeichneten Kooperationsverein­ barung im Jahre 2004 haben sich die Leugnungstendenzen aber derart verhärtet, dass die Nichtakzeptanz der gerichtlichen Tatsachen mittlerweile politischer Mainstream geworden ist. So äußerte die serbische Premierministerin Ende 2018 etwa in einem Interview mit der Deutschen Welle, Srebrenica sei »ein schreckliches Verbrechen« gewesen, aber kein Genozid.14 Mehrere Urteile des ICTY dokumentieren aber die Verbrechen in Srebrenica als Genozid (z. B. Krstić, Popović, Beara, Nikolić, Mladić, Karadžić).15 Deswegen geht es nunmehr darum, die Anerkennung, also Bestätigung bereits bestehender Fakten einzufordern. Die Dokumentationsarbeit der Opferzahlen treiben die verschiedenen NGO s mit Unterstützung auswärtiger Förderer bereits voran. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum in Sarajewo hat für den Bosnienkrieg rund 95.000 Tote sowie Vermisste für den Bosnienkrieg festgehalten.16 Für den Krieg im Kosovo hat der Menschenrechtsfond die Anzahl der Toten 14 Sebastian, Tim: Brnabić: »Verbrechen von Srebrenica war kein Genozid«. URL : https:// www.dw.com/de/brnabi%C4%87-verbrechen-von-srebrenica-war-kein-genozid/a-463​ 14368 (am 11.04.2019). Zur Darstellung der zahlreichen Prozesse vor dem ICTY für die Ahndung der Verbrechen in Srebrenica in der serbischen Presse vgl. Ristić: Imaginary Trials, 204–214. 15 Ristić: Imaginary Trials, 169. 16 Diese Zahl bezieht sich auf rund 85.000 Tote und rund 10.000 Vermisste. Häufig wird von rund 100.000 Opfern gesprochen, da das Dokumentationszentrum noch Zahlen von rund 5.000 Fällen dokumentiert hat, bei denen jedoch die Umstände des Todes nicht hinreichend geklärt werden können, vgl. Tokača: Bosanska knjiga mrtvih, 107–108.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

343

und Vermissten erforscht und kommt zu einer Zahl von 13.548 im Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2000.17 Für die den Kosovokrieg beendende NATO -Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien 1999 hat der Menschenrechtsfond 754 Todesopfer namentlich festgehalten, auch wenn in den serbischen Medien Opferzahlen in Höhe von 2.500 gängig sind.18 In den Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zwischen 1992 und 1995 sind laut der bisherigen Forschung des Fonds 2.028 Menschen aus Serbien und Montenegro gefallen.19 Der kroatische Partner Documenta arbeitet seit langem an einer Opferliste für Kroatien, hat jedoch noch keine Daten veröffentlicht.20 Die Schätzungen erstrecken sich auf 21.000 bis 23.000 Kriegstote und -vermisste aus Kroatien.21 Es geht REKOM jedoch um mehr als die Zusammenführung der Todeszahlen aller Konflikte des zerbrechenden Jugoslawiens, welche rund 130.000 ergibt.22 Denn die politische und gesellschaftliche Anerkennung dieser Zahlen sowie der Verbrechen im Namen der Mehrheitsgesellschaft ist mittlerweile das dringendste Anliegen geworden. Den in Aufarbeitungsprojekten ansonsten vielfach gebrauchten Begriff der »Versöhnung« diskutierte man bei REKOM von Beginn an mit Skepsis. Insbesondere die Vertreter*innen von Opferorganisationen lehnten ihn ab.23 17 Fond za humanitarno pravo: Kosovska kniga pamćenja 1998–2000. Beograd 2011. URL : http://www.kosovskaknjigapamcenja.org/?page_id=48. 18 Von den 754 Toten sind 454 Zivilist*innen und 300 Kombattanten. Bei den Zivilist*innen umfassen die Todeszahl der Albaner*innen 219 und die der serbischen Zivilist*innen 207. Fond za humanitarno pravo: Ljudski gubici Srbije i Crne Gore tokom NATO bombardovanja. URL : http://www.hlc-rdc.org/?cat=266 (am 13.06.2019). Elisa Satjukow erläuterte, dass die rund drei Mal so hohe Opferzahl, die in serbischen Medien kolportiert wird, häufig die serbischen Opfer aus dem Kosovokrieg insgesamt (siehe Fußnote zuvor) einbezieht. Satjukow, Elisa: Vergeben, aber nicht vergessen. Serbisches Gedenken an die NATO - Bombardierung 1999. In: Thyroff, Julia / Marti, Philipp (Hg.): Jugoslawienkriege und Geschichtskultur. Vergangenes Unrecht, Umgangsweisen und Herausforderungen, Zürich 2019 (im Erscheinen). 19 Fond za humanitarno pravo: U oružanim sukobima u SFRJ stradalo 2.028 gradjana Srbije. URL : http://www.hlc-rdc.org/?p=13115 (am 13.06.2019). 20 Documenta: Documenting Human Losses in Croatia during the War 1991–1995. URL : http://www.documenta.hr/en/dokumentiranje-ljudskih-gubitaka.html (am 21.05.2019). 21 Fond za humanitarno pravo: Stradali građani Hrvatske, srpske nacionalnosti, u oružanim sukobima u Hrvatskoj. URL : http://www.hlc-rdc.org/?p=21169 (am 13.06.2019). 22 Rund 12.000 Menschen werden noch vermisst und ingesamt rund vier Millionen Menschen waren geflüchtet. Ristić, Marija / Prusina, Jovana / Milekić, Sven: Report: After the ICTY. Accountability, Truth and Justice in the Former Yugoslavia. 2018. URL : http://birn. eu.com/wp-content/uploads/2018/12/After-the-ICTY-Report-2018.pdf (am 15.06.2019), 14. 23 Kostovicova und Sokolić hielten dies sogar in einer Politikempfehlung fest: »Experience from Kosovo, as well as further afield, has shown that the label of reconciliation is distrusted and rejected by publics, thereby hampering the work of organisations trying to improve interethnic relations.« Kostovicova, Denisa; Sokolić, Ivor: Reconcilia­tion

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

344

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Einerseits, weil Versöhnung inflationär von zahlreichen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen und wenig Kenntnissen über die Jugoslawienkriege verwendet wird – eine Art Feigenblatt, mit der man sagen wollte: vertragt euch wieder und blickt nach vorn! Dadurch stand Versöhnung stellvertretend für die Ignoranz gegenüber der zerstörerischen Gewalt und ihren Nachwirkungen im Leben der Betroffenen. Andererseits vermittelte der Begriff einen Vergebungsimperativ, den viele Opfer abwehrten, so lange ihr Leid geleugnet und die Verantwortlichen dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Nicht zuletzt ist der Versöhnungsbegriff auch aufgrund seiner geschichtspolitischen Instrumentalisierung durch nationalistische Politiker*innen in den postjugoslawischen Ländern verdächtig. Beispielsweise verfolgte der erste kroatische Präsident nach der Unabhängigkeit, Franjo Tuđman, eine revisionistische Geschichtspolitik unter dem Motto einer »nationalen Versöhnung«.24 Der inflationäre, internationale Gebrauch des Versöhnungsbegriffes unter Missachtung der historischen wie gegenwärtigen Gegebenheiten, der dem Konzept innewohnende Aufruf zur Vergebung und seine politische Manipulation auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens machten »Versöhnung« somit höchst problematisch für die Aufarbeitung der Jugoslawienkriege. Dementsprechend hat man sich im zivilgesellschaftlichen Austausch bei REKOM vom Versöhnungsbegriff distanziert.25 In der Präambel des Gesetzentwurfs für die Kommission wird das eigentliche Ziel festgehalten: »das Vertrauen zwischen den Individuen, Völkern und Staaten in der Region wieder herzustellen und Demokratie, Rechtstaatlichkeit sowie eine Kultur des Respektes für die Menschenrechte zu stärken«.26 Meines Erachtens liegt das Ziel der REKOM Initiative deswegen in einem durch Vertrauen geprägten Miteinander auf dem Gebiet des ehemaligen Jugos­lawiens, welches sich nicht mehr durch einen gemeinsamen Staat oder ein Territorium, sondern durch gemeinsame Werte auszeichnet. Ein transnationaler Verständigungsraum sollte vermessen werden, der sich aus dem Gebiet und der Geschichte Jugoslawiens generiert, durch eine kritische Auseinandersetzung damit aber etwas Neues schafft. Dieser neue transnationale Verständigungsraum orientiert sich an universellen Werten wie Menschlichas Activity. Opportunities for Action. Policy Brief. London June 2018. URL : https:// artreconciliation.org/wp-content/uploads/sites/181/2018/07/Reconciliation-as-​ActivityOpportunities-for-Action.pdf (am 03.07.2019). 24 Radonić: Krieg um die Erinnerung, 165. 25 In der politischen Lobbyarbeit nach den Konsultationen wurde Versöhnung jedoch wieder verwendet. 26 REKOM: The Statute Proposal of the Regional Commission for Establishing the Facts about War Crimes and other Gross Violations of Human Rights Committed on the Territory of the Former Yugoslavia, 26.03.2011. URL : http://recom.link/proposed-recomstatute-2/ (am 09.08.2017), 3.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

345

keit und Toleranz, welche durch Demokratie und Rechtstaatlichkeit garantiert werden sollen.27 Bakiner sieht in einer solchen Werteorientierung eine Chance: Truth commissions can experiment with a post-national imagination not only with their investigation topics but with their fundamental value orientations, too. They already negotiate the boundaries of national belonging through their commitment to the cosmopolitan human rights norm, but the cosmopolitan element is often at the service of a national reconstruction project. […] I am not suggesting that truth commissions should try to forge regional or globalized conceptions of belonging, which is a much bigger task than what truth-finding panels can achieve. They can, nonetheless, leave the door open for alternative imaginations by highlighting the subnational, regional, international, and transnational implications of their findings, conclusions, and recommendations.28

Meine Untersuchung der REKOM Kooperation veranschaulichte somit, wie sich zivilgesellschaftliche Akteure die von der Transitional Justice propagier­ ten Ideen einer »Wahrheit- und Versöhnungskommission« für ihre Bedürfnisse angeeignet haben. So entstand das Projekt einer »Wahrheits- und Versöhnungskommission«, das bewusst im Titel auf die Begriffe »Wahrheit« und »Versöhnung« verzichtete. Diese Abwandlungen erfolgten, weil REKOM den Erfahrungen und dem Gestaltungswillen der Betroffenen Beachtung geschenkt hat. Doch der »bottom-up«-Ansatz führte nicht nur zu neuen Ideen und Kompromissen, sondern auch zu Zerwürfnissen. Das mag an den mannigfaltigen und zum Teil disparaten Erwartungen der Akteure gelegen haben. In den Konsultationen behielten die Menschenrechtsaktivist*innen das Ruder fest in der Hand. In den ersten beiden Jahren der Zusammenarbeit bemühte man sich zunächst, verstärkt Jugendliche sowie Künstler*innen und Intellektuelle einzubeziehen. Die besondere Beteiligung von Jugendlichen mag mit Fördervorgaben zusammenhängen, da europäische Fördermittel immer auch mit dem Anspruch vergeben werden, Wirkung auf die nächste Generation zu erzielen. REKOM richtete sich aber auch an Jugendliche, da diese aufgrund der ethno-nationalistischen Fragmentierung des Bildungssystems zu wenig oder nur sehr selektives Wissen über die Kriege haben und sie die gesellschaftlichen Akteure der Zukunft sind. In Bezug auf Künstler*innen und Intellektuelle meinte Nataša Kandić im Interview mit mir, dass sich zu wenig Intellektuelle gegen den in allen Gesellschaften starken Nationalismus engagierten. Zudem seien Künstler*innen spezifische Expert*innen für die 27 Sabrina Ramet nennt derartige Werte »civic values«, vlg. Ramet, Sabrina P.: The Power of Values. (A Conclusion). In: Dulić, Dragana / Listhaug, Ola / Ramet, Sabrina P. (Hg.): Civic and Uncivic Values. Serbia in the post-Milošević Era. Budapest, New York 2011, 401–408, hier 403. 28 Bakiner, Truth Commissions, 237.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

346

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Kehrseite der Wahrheit – sie vermögen es, Lügen aufzuspüren, was für Vergangenheitsaufarbeitung bedeutend sei. Der Leiter der PR-Kampagne, Lazar Stojanović, und prominente Teilnehmer*innen wie der Filmregisseur Želimir Žilnik mahnten in den Konsultationen an, Künstler*innen und Intellektuelle trügen eine besondere Verantwortung für die Kriege, da sie diese damals trotz ihrer Antikriegshaltung nicht verhindern konnten. Deswegen unterstützten zahlreiche Künstler*innen und Intellektuelle REKOM . Neben dieser moralischen Motivation zählte für REKOM hierbei aber auch ein pragmatischer Grund: Von Kulturschaffenden war Unterstützung zu erwarten, denn in der Kulturszene, wie zum Beispiel im Theater oder in der Musik, waren die jugoslawischen Verbindungen weniger erschüttert, sodass die Initiative hier sehr leicht Anknüpfungspunkte für das Vorhaben fand.29 Auch unter den führenden REKOM Aktivist*innen bestand eine Kontinuität von ihrer Beteiligung in der Antikriegsbewegung während des Zusammenbruchs Jugoslawiens hin zu ihrem Kriegsaufarbeitungsaktivismus in den darauffolgenden Jahren.30 Die leitende REKOM Aktivistin in Kroatien, Vesna Teršelić, war beispielsweise  zuvor führend in der Antikriegskampagne gewesen. Damit kann ­ EKOM auch als ein Projekt der Ohmachtsbewältigung betrachtet werden: R Da die Antikriegsaktivist*innen die Kriege nicht verhindern konnten, setzen sie sich danach zumindest für ihre Aufarbeitung ein. Niemand trägt hier eine persönliche Schuld an den Verbrechen, doch viele fühlen eine Verantwortung dafür, dass sie möglich wurden. So gesehen bedeutete das Engagement bei ­R EKOM einen gemeinsamen Weg aus der Ohnmacht. Es kann also als wichtiges Ziel des REKOM Projektes verstanden werden, möglichst viele an antinationalistischen und humanistischen Werten Interessierte für ein gemeinsames Handeln zu mobilisieren. Historiker*innen, die an wissenschaftlichen Institutionen (und nicht in NGOs) professionell mit der Vergangenheit beschäftigt waren, spielten bei REKOM keine besondere Rolle. Das mag mit dem die Initiative maßgeblich prägenden Konzept der Transitional Justice zusammenhängen. Darin werden Aspekte wie Geschichtsschreibung den juristischen und politischen Neuordnungsprozessen in Post-Konflikt-Gesellschaften nachgeordnet.31 Möglicherweise betrachteten die REKOM Aktivist*innen professionelle Historiker*innen aber auch als Personen, die den nationalistischen Geschichtsvorstellungen 29 Ristić, Irena: Rapprochement as a Paradigm Shift. Does the Wheel Come Full Circle in Former Yugoslavia? In: Südosteuropa 3 (2011), 286–300. 30 Das hat auch Bojan Bilić, ohne Bezug zu REKOM , beobachtet: »Anti-war activisms, in turn, served as platforms for generating social and material capital which enabled the establishment of present-day organisations devoted to human rights protection across the ex-Yugoslav space.« Bilić: We were gasping for air, 19. 31 Bevernage, Berber: Transitional Justice and Historiography. Challenges, Dilemmas and Possibilities. In: Macquaire Law Journal 13 (2014), 7–24.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

347

zu nahe stünden, um als Unterstützende in Frage zu kommen. Vertreter*innen anderer Wahrheitskommissionen auf der Welt waren auf allen großen Zusammenkünften anwesend, sodass hier stets ein globaler Bezug hergestellt wurde, auch wenn man dabei die Spezifik der postjugoslawischen Variante betonte. Das International Center for Transitional Justice stand der Initiative fortwährend beratend bei und ist der wichtigste internationale Akteur bei REKOM . Erst ab 2008 standen die ausgiebigen Erfahrungen in den AufarbeitungsNGOs selbst im Mittelpunkt, an die REKOM auch personell anknüpfte. Und auch erst dann erhielten Vertreter*innen von Opfergruppen eine stärkere Stimme als Akteure in den Zusammenkünften. Das erste regionale Treffen allein für Opferrepräsentant*innen fand im Mai 2008 in Podgorica statt. Auch Opfergeschichten erhielten nun durch die öffentlichen Zeitzeugenanhörungen einen prominenten Platz. Jedoch verstanden sich Opferorganisationsvertreter*innen keineswegs als passive Rezipient*innen des REKOM Prozesses. Opfer haben »agency«, das hatten Di Lellio und McCurn bereits bei ihrer Untersuchung der Rezeption der REKOM Initiative im Kosovo und Helms in ihrer Studie von Nachkriegsaktivismus von Frauen in Bosnien und Herzegowina betont.32 Und so wollten Opfervertreter*innen mit ihrer jahrelangen Expertise im Kampf um Anerkennung ihres Leidens auch diese regionale Kooperation aktiv mitgestalten. Gleichzeitig unterlagen sie auch politischen Abhängigkeiten und traten mit einigem Misstrauen und Angriffshaltungen in den Prozess ein, denn sie brauchten einerseits Hilfe und hatten andererseits mit Instrumentalisierungen schlechte Erfahrungen gemacht. Dadurch waren Opfervertreter*innen schwierige Gesprächs- und Aushandlungspartner*innen. Hinzu kommt, dass Opfer keine homogene Gruppe darstellten, sondern auch untereinander konkurrierten und selten mit einer Stimme sprachen. Das lässt sich auch für andere Gruppenzuschreibungen, mit denen REKOM operierte, festhalten, etwa die der Menschenrechtsaktivist*innen. Insbesondere Veteranenvereine betonten ihr Interesse an REKOM, fürchteten aber ihren Gesichtsverlust in ihren nationalen Öffentlichkeiten, wenn sie sich an einer postjugoslawischen Initiative beteiligten. Nicht zuletzt aufgrund dieser Atomisierung der Aufarbeitungsszene zählt REKOM auch dreiviertel der rund 2.000 Mitglieder als Individuen. Wenn die Vereine nicht hinter einer Beteiligung ihrer Vertreter*innen an REKOM standen, etwa weil sie staatliche Fördermittel erhielten, dann nahm man als Einzelperson an den Treffen teil. Anfangs setzten viele Opfervertreter*innen ihre Hoffnung darin, ihre politi­ sche Instrumentalisierung im Rahmen des regionalen Zusammenschlusses 32 Di Lellio / McCurn: Engineering Grassroots Transitional Justice sowie Helms, Elissa: Innocence and Victimhood. Gender, Nation, and Women’s Activism in Postwar BosniaHerzegovina. Madison, Wisconsin 2013.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

348

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

zu überwinden und auf vielfältige, gute wie schlechte Erfahrungen in einem veränderten, größeren Kontext als zuvor anzuknüpfen. Auch für die anderen zivilgesellschaftlichen Akteure auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens versprach REKOM die Möglichkeit, den Kontext zu erweitern, voneinander zu lernen, miteinander eine Haltung zu artikulieren und sich gegenseitig zu stützen. Denn insbesondere diese Art zivilgesellschaftlicher Akteure wirken in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens eher am Rande der Gesellschaften, häufig angefeindet von den beiden gesellschaftlichen Sphären, zwischen denen sie zu vermitteln suchen: den »einfachen Menschen« und der Politik. Im Laufe des Konsultationsprozesses machte sich allerdings Enttäuschung breit. Insbesondere die Machtverhältnisse in der Kooperation und der unzureichende Gestaltungsspielraum von Akteuren außerhalb des Belgrader Menschenrechtsfonds führten vor allem in Bosnien und Herzegowina dazu, dass sich viele der Organisationen, die sich mit der Aufarbeitung der Kriege professionell beschäftigten, von REKOM distanzierten. Nataša Kandić setzte den Prozess in Bosnien und Herzegowina daraufhin mit Akteuren fort, die vor allem die Idee unterstützten: Journalist*innen, Künstler*innen und Intellektuelle. Für die in Kunst, Kultur und Wissenschaft Tätigen erweiterte sich durch REKOM ihr Handlungsspielraum, sie waren aber weder auf konkrete Ergebnisse angewiesen, noch hatten sie den Anspruch, das Management zu gestalten. Die Akteure allerdings, die konkrete Ergebnisse zeitnah benötigten, wie etwa das Auffinden ihrer vermissten Familienangehörigen, die Anerkennung von kriegsbedingten Gesundheitsschäden oder auch Reparationszahlungen, wendeten sich von REKOM ab. Letztlich ist die Verwirklichung dieser Ziele aber von der staatlichen Legitimation des Unterfangens abhängig und diese war lange Zeit nicht in Sicht. Die umfangreichen Fördermittel von rund 2,5 Millionen Euro im Zeitraum zwischen Ende 2008 bis Mitte 2011 ermöglichten einerseits sehr viele Treffen sowie eine aufwendige Dokumentations- und Übersetzungsarbeit und viele kreative Öffentlichkeitsaktionen. Andererseits wurde das Geld aber vom Belgrader Menschenrechtsfond verwaltet und derart die zentrale Führung des regionalen Prozesses durch die serbische NGO untermauert. In den Konflikten wurde das Geld auch als Druckmittel eingesetzt. Mit vielen disparaten Erwartungen und belastenden Gefühlen traten viele Interessierte in den Austausch bei REKOM , sodass die gemeinsame Idee immer wieder aufgrund der dringenden individuellen Nöte aus dem Blick geraten ist. Der Moderationsaufwand zwischen den persönlichen, konkreten Bedürfnissen vieler Interessierter und dem Ziel, eine alle Aufarbeitungsaktivist*innen versammelnde, transnationale Bewegung im postjugoslawischen Raum zu gründen, war enorm. Wie gut dieser gemeistert werden konnte, war stets abhängig von Einzelpersonen, wie der unterschiedliche Umgang mit Problemen in Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo zeigte. Während © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

349

aus anderen Wahrheitskommissionen in der Welt anhand der kritischen Lektüre ihrer Gesetze oder Abschlussberichte und unter Beratung des ICTJ relativ einfach Handlungsempfehlungen erarbeitet werden konnten, gestaltete sich die selbstkritische Betrachtung des von REKOM durchlaufenen Prozesses weitaus mühsamer. Einerseits, weil insbesondere die Belgrader Führung dann eigene Fehler eingestehen müsste. Andererseits ist die Exposition von Schwierigkeiten durch das Ziel erschwert, für eine ohnehin unpopuläre regionale Aufarbeitungskooperation öffentlich und bei Politiker*innen zu werben. Und nicht zuletzt ist Selbstkritik in der Projektförderlogik nicht vorgesehen, denn das Geld muss gut und sinnvoll eingesetzt worden sein, was zivilgesellschaftliche Aktivist*innen als »Effizienzterror« beschrieben.33 Einzugestehen, dass Fehler begangen wurden und der Austausch nicht das Ergebnis erzielte, was man erhoffte, würde die Chancen auf notwendige weitere Projektförderung schmälern. Doch obwohl Schmerz, Macht und Geld die Zusammenarbeit bei REKOM herausforderten, bei vielen Aktivitäten immer wieder eine Politisierung einsetzte und einige Akteure sich persönlich diskreditiert fühlten, wurden diese Hürden auf eine menschliche, wenn auch nicht immer völlig demokratische Art und Weise überwunden. Meine Beschreibung der Mitgliederversammlungen der Initiative veranschaulichte, dass trotz zahlreicher Kritik und Schwierigkeiten eine vertrauensvolle und konstruktive Atmosphäre erhalten blieb, bei welcher die Ausdauer der Diskussionteilnehmenden bemerkenswert war. Menschenrechtsaktivist*innen, Jugendliche, Künstler*innen und Intellektuelle wurden als Akteure historischer Aufklärungsarbeit durch REKOM gefördert. Die am meisten durch die Kriege Geschädigten – Opfer – und die in der Forschung über Vergangenes Geschulten  – Historiker*innen  – wurden in den ersten beiden Jahren von den Organisator*innen jedoch nicht als Hauptakteure der »Wahrheitsfindung« verstanden. Einzelne Opfergruppenvertreter*innen haben sich aber im Laufe des Konsultationsprozesses in der Kooperation behauptet. Andere haben von REKOM profitiert, indem sie Kontakte geknüpft, Neues gelernt oder auch ihre nicht erfüllten Erwartungen anschließend in eigener Initiative in einem spezifischeren Rahmen verwirklicht haben. Genannt seien hier beispielsweise Frauenorganisationen, die zunächst am REKOM Austausch teilnahmen, sich aber bald zurückzogen, weil die 33 »Interviewees […] criticise the funding practice of most international organisations, which requires NGOs to focus on short-term projects and is characterised by a pragmatism that is not compatible with the needs of peacebuilding. Many activists feel alienated from the substance of their engagement when they are forced to fit their ideas into project proposal schemes. Additionally, it is reported that many donors exercise a »terror of efficiency« (CSO -SER-19) that aims to measure success and does not allow for experimental work (making mistakes and changing course where necessary).« Fischer / PetrovićZiemer: Dealing with the Past, 68.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

350

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Initiative keine besondere Geschlechterdimension anstrebte, sondern einen sehr breiten Opferbegriff verfolgte. Für die Zusammenarbeit beim »Frauengericht« haben die Aktivistinnen auf ihre Erfahrungen bei REKOM zurückgegriffen.34 Auch Veteranen verfolgten ihre regionale Kooperation außerhalb von REKOM weiter. Der bosnische Veteran Narcis Mišanović etwa, der zu Beginn an den Konsultationen teilnahm, wurde in einer regionalen Veteraneninitiative der führende Friedensaktivist aus Bosnien und Herzegowina.35 Letztlich werden die Kooperation bei der Kriegsverlustdokumentation, das gemeinsame öffentliche Einstehen gegen die Leugnung der Verbrechen, die persönlichen Kontakte und die Lernmomente wichtige Resultate der REKOM Initiative bleiben. Zudem wurde der zivilgesellschaftliche Austausch (die Konsultationsphase)  innerhalb von fünf Jahren (2006–2011) zum überwiegenden Teil gefilmt und die Redebeiträge transkribiert. In den dort gesammelten Materialien wurden Empfehlungen, Ideen und Kritik hinsichtlich der Instrumente, Begriffe und Probleme der Aufarbeitung der Jugoslawienkriege formuliert. Die derart entstandenen rund sechstausend Seiten Transkripte und der rund fünfhundert Seiten umfassende Abschlussbericht samt Empfehlungen bleiben wertvolle Dokumente für die weitere Forschung, etwa zu zivilgesellschaftlichem Engagement oder den Einstellungen und Erfahrungen von Menschenrechtsaktivist*innen, Opfergruppen und Intellektuellen nach dem Zerfall Jugoslawiens.36 REKOM hat zwar noch keine Wahrheitskommission verwirklicht, einen Raum für Verständigung hat die Initiative jedoch zweifelsohne geschaffen. Damit hat die transnationale Zusammenarbeit etwas bewirkt, worauf die staatliche Institution einer Wahrheitskommission aufbauen könnte. Die Zusammenarbeit bei REKOM versammelte über rund zehn Jahre hinweg circa 6.700 Teilnehmende auf rund 130 Treffen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Das bedeutet eine beträchtliche Mobilisierung von Menschen für ein ziemlich unpopuläres Thema. Dennoch haben die Konsultationen gezeigt, dass auch zivilgesellschaftliche Akteure nicht der bessere Teil der Gesellschaft sind, sondern lediglich der gesellschaftlich aktive. Die unausgewogene Machtverteilung zugunsten des Belgrader Menschenrechtsfonds unter der damaligen Leitung von Nataša Kandić erwies sich als Hypothek für die Kooperation. Zu fragen bliebe aber, ob die Zusammenarbeit ohne diese zentrale Führung überhaupt und so lange stattgefunden hätte. Die Entwicklung der Zusammenarbeit bei REKOM veranschaulichte auch, wie aufwendig die Umsetzung eines transnationalen Aufarbeitungsprojek34 Interview mit Nela Pamuković, Zagreb, 16.11.2012. BKS . 35 Gruhonjić / Dikić: Ex-jugoslawische Veteranen im Frieden vereint. 36 Das REKOM Archiv wird voraussichtlich ab August 2019 wieder online zur Verfügung stehen. URL: https://www.recom.link/. REKOM Koordination: E-Mail an d. Vf. 07.07.2019.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

351

tes auf zivilgesellschaftlicher Ebene ist. Denn der transnationale Anspruch erforderte eine gewaltige Dokumentations- und Übersetzungsarbeit und erhebliche Koordinationsressourcen, insbesondere bei den bisweilen parallel stattfindenden Veranstaltungen in bis zu sieben verschiedenen Ländern. Da NGOs einer kurzfristigen Projektförderung unterliegen, die zumeist auf wenige Jahre und konkrete Projektergebnisse ausgerichtet ist, macht allein das Stattfinden des rund zehn Jahre andauernden Verständigungsprozesses zu einem wichtigen Resultat. Der regionale und basisdemokratische Anspruch konnte dabei gleichwohl nicht ganz verwirklicht werden, was auf fehlende Erfahrungen und Ressourcen, möglicherweise auch auf personelle Defizite, zurückgeführt werden kann. Kritik äußerten die Beteiligten bei REKOM beispielsweise an der mangelhaften Transparenz der Entscheidungsfindung und an einer unzureichenden Abstimmung der Prozeduren mit allen Partner*innen. Nicht zuletzt erlebten auch die einer derart hehren Idee verpflichteten Aktivist*innen Zerwürfnisse aufgrund persönlicher Differenzen sowie ethno-nationalistischer Politisierungen und Opferkonkurrenzen. Jedoch bedeutet Verständigung eben nicht Versöhnung, sondern zuvorderst Dialog, welcher sowohl die Artikulation von Gemeinsamkeiten als auch von Unterschieden beinhalten kann. Cowan u. a. hielten diesbezüglich fest: »[…] competing claims and contestation over meaning are not a sign of cultural or community failure, but, rather, part of the human condition.«37 Da, wie die kosovarische Menschenrechtsaktivistin Nora Ahmetaj es ausdrückte, alle Beteiligten mit einer Kriegslast in die Konsultationen gingen, spielten Emotionen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Schmerzen riefen mitunter Angriffe, Verteidigungshaltungen und Misstrauen hervor, und das nicht nur bei Vertreter*innen von Opferorganisationen. Mit diesen Schmerzen und Beeinträchtigungen umzugehen, stellt jedoch einen wichtigen Lerneffekt von Vergangenheitsaufarbeitung dar. Nicht zuletzt verhindert auch das Versöhnungsdogma vieler Aufarbeitungsprojekte eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten eines Dialogs und dessen Konsequenzen. Zu fragen bliebe, ob ein regionales Kooperationsprojekt zur Aufarbeitung der Kriege überhaupt Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen sein sollte, oder nicht eher staatliche Institutionen mit größeren Ressourcen und längerfristigen Planungsmöglichkeiten dafür geeigneter wären. Kurzum, warum sollten Nicht-Regierungs-Organisationen das verwirklichen können, was Regierungsorganisationen nicht einmal versuchten?

37 Cowan / Dembour / Wilson, Introduction, 21.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

352

6.3

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

»Wir brauchen kein weiteres Jugoslawien!«

Meine Studie der Zusammenarbeit bei REKOM hat gezeigt, wie zivilgesellschaftliche Akteure auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens die Aufarbeitung der Kriege dazu genutzt haben, um einen neuen Kommunikationsraum auszuloten, der an das Gemeinsame aus Jugoslawien anknüpft. Doch anfangs war gar nicht der gesamte postjugoslawische Raum mitbedacht worden. Meine Analyse hat ergeben, dass REKOM zu Beginn der Konsultationen 2006 noch den räumlich weiter gefassten Begriff des »Westlichen Balkans« verwendete, welcher von der Europäischen Union geprägt wurde für die Länder mit Beitrittsperspektive und der sich nicht nur auf das ehemalige Jugoslawien beschränkt. Auf der Großzusammenkunft 2007 in Kroatien verzichtete REKOM vorsichtshalber auf eine räumliche Zuordnung des Vorhabens, da die kroatische Öffentlichkeit zu empfindlich auf Termini reagierte, die an jugoslawische Bezüge erinnerten. Stattdessen verwendete man bei einem Panel die subnationale Lesart von »regional« – nämlich auf die unterschiedlichen Regionen innerhalb Kroatiens bezogen. Seit 2008 trat sprachliche Kontinuität ein: REKOM benutzte fortan die räumliche Kategorie »ehemaliges Jugoslawien« (bivša / nekadašnja Jugoslavija) oder verkürzt »die Region« (regija). Der Aktivitätsraum bei REKOM weitete sich mit jedem weiteren Jahr kontinuierlich aus. Begonnen hatte die Initiative 2006 mit Treffen in Bosnien und Serbien, 2007 kamen Veranstaltungen in Kroatien dazu. 2008 fanden auch Treffen im Kosovo und Montenegro statt; und seit 2010 schließlich deckten die Konsultationen auch Slowenien und Mazedonien ab. Von Beginn aber waren Teilnehmende aus allen postjugoslawischen Ländern vertreten, wobei Slowen*innen und Mazedonier*innen bis 2010 nur eine marginale Rolle bei REKOM Treffen spielten. Es dauerte somit vier Jahre, bis sich der regionale zivilgesellschaftliche Austausch tatsächlich auch auf den gesamten ehemaligen jugoslawischen Raum ausgeweitet hatte. Das mag pragmatische Gründe gehabt haben, da die Organisation des Konsultationsprozesses bereits in den drei Ländern der Ausgangskooperation schwierig verlief. Es kann auch thematisch begründet sein, da der Fokus auf die Dokumentation von Kriegsverbrechen diejenigen Länder, welche die größte Kriegslast tragen, ins Zentrum rückte. Im mazedonischen Fall war sicherlich auch der ursprünglich angedachte Zeitraum (1991 bis 1999) zunächst ein Ausschlusskriterium, da der Konflikt dort erst 2001 auftrat. Interessanterweise hat sich nach der Einigung auf »das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens« als Bezugsraum der Austausch auf die nationale Ebene verlagert und transnationale Treffen wurden seltener. Vergangenheitsaufarbeitung wurde ab 2008 verstärkt im nationalen Rahmen diskutiert, konkret in Serbien, dem gerade unabhängig erklärten Kosovo, in Montenegro und © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

353

Kroatien. Keinerlei Veranstaltungen fanden in diesem Jahr in Bosnien und Herzegowina statt, da sich das Forschungs- und Dokumentationszentrum aus Sarajewo zunehmend von REKOM distanzierte. Ein Grund für die nationale Schwerpunktsetzung mag gewesen sein, dass in den ersten Zusammenkünften 2006 und 2007 mehrfach von verschiedenen Diskutant*innen angemahnt worden war, dass es wichtig sei, einen minimalen Konsens innerhalb der ein­ zelnen Länder zu erzielen, bevor überhaupt über transnationale Kriegsaufarbeitung gesprochen werden könne. 2009 ging REKOM in die Gemeinden und Kleinstädte, der Austausch erfolgte mehrheitlich auf der lokalen Ebene in Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien, Kosovo und Montenegro. Rund sechzig Treffen fanden 2009 statt, was einen beträchtlichen Organisationsaufwand und Mobilisierungsschub bedeutete. Anhand der REKOM Konsultation in Knin am 4. August 2009 habe ich veranschaulicht, wie symbolträchtig eine solche kleine Versammlung funktionieren kann, nämlich als Akt der Gegenerinnerung. Die Konsultation fand in Knin am Tag vor den kroatischen Siegesfeiern statt und hatte eine antinationalistische, kritische Auseinandersetzung mit den Kriegshandlungen in Kroatien zum Thema. Ihre Beschreibung und Analyse verdeutlichte auch, dass eindeutige Opfer-Täter-Zuschreibungen entlang ethnischer Kategorien schwer aufrecht zu erhalten sind, wenn der Blick auf die Einzelgeschichten gerichtet wird. Für die Initiative brachte dieser Schritt ins Lokale wichtige Veränderungen mit sich. Im Verlaufe des Jahres 2009 hat, entgegen der eigenen Beschreibung in den REKOM Berichten, nicht eine Kristallisierung des Ziels stattgefunden, sondern in den zahlreichen Diskussionen vor Ort ist deutlich geworden, wie unrealistisch das Vorhaben einer regionalen Wahrheitskommission auf die Beteiligten wirkte. In Bosnien und Herzegowina fanden 2009 wieder Treffen statt, allerdings kam es über die Selbstverwaltungsambitionen der neuen bosnischen Partner zu einem Zerwürfnis mit der Belgrader Führung. Der eigene Gestaltungswille in Bosnien und Herzegowina verbunden mit der Abwehr jeglicher Bevormundung und Beeinflussung »von außen« sind wichtige Resultate der Konsultationen. Mit diesen Meinungsverschiedenheiten, Unzufriedenheiten und Spannungen umzugehen, war eine Herausforderung für den weiteren Prozess. Sie als Scheitern zu bezeichnen, widerspricht jedoch dem Vorhaben, unterschiedliche Vorstellungen auszuloten und Differenzen dann auch auszuhalten. Dass die Dezentralisierungs- und Selbstverwaltungswünsche aus Bosnien und Herzegowina nicht aufgegriffen, sondern abgewendet wurden, hatte nachhaltige Auswirkungen auf die Unterstützung der REKOM Initiative in diesem Land. Nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch im Frühjahr 2010 auf dem regionalen Zusammentreffen in Novi Sad gingen die Vertreter*innen der fünf bosnischen NGOs, die die Koordination 2009 übernommen hatten, an © 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

354

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

die Öffentlichkeit und bescherten REKOM einige negative Schlagzeilen. Auch in anderen Ländern hatte REKOM zu kämpfen. Erinnert sei an die sehr niedrige Anzahl an Unterschriften bei der Öffentlichkeitskampagne in Kroatien 2011 und die Resignation der REKOM Beauftragten in Mazedonien 2014. In Slowenien zeigte die Politik keinerlei Interesse daran, eine regionale Aufarbeitungsinitiative zu unterstützen. Opfergruppenvertreter*innen der sogenannten »Ausgelöschten« aus Slowenien verstanden REKOM jedoch als Möglichkeit, wieder an das gemeinsame jugoslawische Erbe anzuknüpfen. Im Kosovo stießen die Organisator*innen der REKOM Konsultationen auf erhebliche Widerstände, allerdings vermieden sie es diese in die Öffentlichkeit zu tragen. Die meisten Akteure im Kosovo betonten damals, wie wichtig es zirka eine Dekade nach dem Konflikt (1999) sei, zunächst die Täter*innen vor Gericht zu bringen und die Suche nach Vermissten voranzutreiben. Es ging den Opfergruppenvertreter*innen im Kosovo um vielschichtige Formen von Anerkennung: als eigenständiger Staat, als Opfer von langjährigen Repressionen, als Kriegsopfer. Diese Forderung richtete sich vorrangig an Serbien. Insofern stellte Vergangenheitsaufarbeitung außerhalb von Gerichten, und erst recht die Konfrontation mit der Vergangenheit in einem regionalen Rahmen, ein verfrühtes Unterfangen im Kosovo dar. Dennoch wirkte REKOM auch hier weiter. Zur gleichen Zeit der REKOM Konsultationen hatte der britische Journalist Tim Judah für zunehmende Verbindungen im kulturellen und ökonomischen Bereich auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens den Begriff »Yugosphere« vorgeschlagen.38 Jedoch wurde der Vorschlag von Wissenschaftler*innen kaum oder wenn, dann sehr kritisch rezipiert.39 Die Soziologin und Historikerin Irena Ristić nahm beispielsweise keinerlei Bezug zur »Yugosphere«, als sie eine neuartige »jugoslawische« Vernetzung aus der Bevölkerung heraus beschrieb, welche sich aus dem Bewusstsein einer gemeinsamen Sprache, eines Raumes und einer gemeinsamen Geschichte speise und sich in aktuellen wirtschaftlichen wie kulturellen Kooperationen manifestiere.40 Zu sehr assoziiere der Begriff Nostalgie für Tito und für eine besondere Form des Kommunismus, meinte die Schriftstellerin Dubravka Ugrešić. Und in einem Kommentar zu einem Interview mit ihr wird die »hegemoniale Identität des Jugoslawischen« von einem Albaner als für immer gescheitert erklärt.41 Ver38 Judah, Tim: Yugoslavia is Dead: Long Live the Yugosphere. In: LSSE Papers on Southeastern Europe (2009). 39 Holdstock, Nick: The Yugosphere  – A Useful Concept? 31.10.2011. URL : http://www. citsee.eu/blog/yugosphere-useful-concept (am 13.06.2019). 40 Ristić, Rapprochement as a Paradigm Shift. 41 »We Albanians never embraced this hegemonic identity of Yugoslav. It was imperialistic and the collapse of the state showed it was a fallacy. I find it amusing how apologists of this failed idea still keep brandishing the line that most in Yugoland wanted to be

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

355

schiedene Gründe  – die Assoziation mit Nostalgie und einem überwundenen, undemokratischen Gesellschaftssystem, die mit dem Begriff verbundene Marginalisierung des Albanischen und nicht zuletzt das blutige Ende Jugoslawiens, erfordern es also, die »Yugosphere« als vergangen anzuerkennen und für gegenwärtige Verbindungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens alternative Bezeichnungen zu gebrauchen. Die Anthropologin Tanja Petrović plädiert für den Begriff »postjugoslawisch«, da das jugoslawische Erbe einerseits fortwirkt, sich aber jenseits des einstigen Staates entfaltet. Die Leitgedanken dieses Erbes seien Antifaschismus, Widerstand, Kosmopolitentum und Solidarität.42 Wenn man ein historisches Erbe als Region betrachtet, dann verliert der räumliche Aspekt an Bedeutung, hat Maria Todorova festgehalten.43 Auch die Historikerin Ljubica Spaskovska argumentiert in die gleiche Richtung, wenn sie von einer »jugoslawischen Erfahrung« spricht, die aus den gelebten Erfahrungen, Vorstellungen und Narrativen erwächst, und welche eine Art verdichteter Zeit bedeutet, an der sich ein derart entstehender Raum ausrichtet.44 Die Aktivist*innen bei REKOM mussten einsehen, dass Titos Jugoslawien als gemeinsamer kultureller Raum zur Geschichte gehört. Nichtsdestotrotz sind kulturelle Verbindungen weiter vorhanden. Tanja Petrović verweist auf das Dilemma, welches entsteht, wenn man Jugoslawien einerseits als Geschichte begreifen möchte, anderseits aber die verbindenden Erfahrungen wiederbeleben will: To feed present desires and accelerate collective affects in post-Yugoslav times, Yugos­lavia needs to be emptied of any past desires, visions, and affects. But is such Yugoslavia, emptied of life, capable of making an intervention in the present or in the future?45

Meine Untersuchung der Zusammenarbeit bei REKOM veranschaulicht, dass der Begriff der »Region« dafür verwendet wird, um das Gemeinsame auch jenseits eines gemeinsamen Staates zu benennen. Damit greift die Initiative

42 43 44 45

›Yugoslav’s‹. If that was true, Yugoslavia would still be  a reality. Instead it is history, where it belongs.« Kommentar von »Prespari« zum Interview mit Ugresic, Dubravka: To Be Yugoslav Now Requires a Footnote, http://www.balkaninsight.com/en/article/to-beyugoslav-now-requires-a-footnote (am 19.03.2015). Petrović, Tanja: Yuropa. Jugoslovensko nasleđe i politike budućnosti u postjugoslovenskim društvima. Beograd 2012, 18. Todorova, Maria Nikolaeva: Imagining the Balkans. Oxford, New York 2009, 196–198. Spaskovska, Ljubica: The Yugoslav Chronotope. Histories, Memories and the Future of Yugoslav Studies. In: Bieber, Florian / Galijaš, Armina / Archer, Rory (Hg.): Debating the End of Yugoslavia. Farnham 2014, 241–253, hier 244. Petrović, Tanja: Towards an Affective History of Yugoslavia. In: Filozofia i Drustvo XXVII /3 (2016), 504–520, hier 517.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

356

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

eine mittlerweile übliche Sprachpraxis auf, wie dieser Auszug aus einem Gespräch mit dem Autor Predrag Lućić zeigt: L: Übrigens, wie heißt heute das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens? J: Region, logisch. L: Mhm, und in Jugoslawien wusste man, was eine Region ist: Istrien, Kvarner, Sandschak, Dalmatien… Heute, sind wir alle zusammen kein Staat; wir sind – die Region!46

»Region« anstelle von »Jugoslawien« zu verwenden lässt etwas im Vagen und birgt somit weniger Irritationspotential als die konkrete Referenz zum problematischen, nicht nur durch die Kriege diskreditierten jugoslawischen Konzept. Die »Region« kann wahlweise sub- oder supra-national verstanden werden und sie kann sowohl bedeuten, dass etwas historisch gewachsen oder durch ein spezifisches landschaftliches Gebiet gekennzeichnet ist. Die »Region« kann auch als Äquivalent für Südosteuropa verwendet werden, wie es etwa der »Regional Cooperation Council« handhabt.47 Wissenschaftler*innen wiederum diskutieren den »Balkan« (im Englischen im Plural »the Balkans«) unter der Bezeichnung »Region«.48 Letztlich hält »die Region« offen, wie viele Länder, Völker, Gebiete, Kulturen darin verbunden sind und ist damit ein enorm flexibler Begriff. Wichtig für das Verständnis von Regionen ist die Untersuchung der Verbindungen und des menschlichen Handelns, wie es Diana Mishkova erläutert: A vessel-like concept of a historical region marked by objective criteria, a cluster of structural and cultural traits or even legacies recedes before a fuzzier, processual and open-ended one. This means shifting the focus of discussion to the social, political, and intellectual mechanisms effecting the materialization of space and borders and, most prominently, to human agency.49

Die Aktivitäten bei REKOM verweisen auf einen transnationalen Erwartungs­ horizont. Dieser Erwartungshorizont knüpft an den Erfahrungsraum der zivilgesellschaftlichen Akteure an, welcher sowohl das ehemalige Jugoslawien und dessen Zerfall als auch die Wirklichkeiten in den sieben auf dem Gebiet entstandenen Staaten umschließt.50 Die Initiative richtet sich gegen den 46 Ein Journalist (J) im Gespräch mit dem Autor und Regisseur Predrag Lućić (L). Lućić, Predrag: Jugoslavija je bila naša EU – sanjali su je najbolji, a srušili najgori. URL : http:// www.6yka.com/novost/117800/predrag-lucic-jugoslavija-je-bila-nasa-eu-sanjali-su-jenajbolji-a-srusili-najgori (am 07.09.2017). 47 Regional Cooperation Council. URL : http://www.rcc.int/ (am 07.09.2017). 48 Mishkova, Diana: Beyond Balkanism. The Scholarly Politics of Region Making. Abingdon u. a. 2018. 49 Ebd., 239. 50 Zu den Begriffen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont vgl. Koselleck: Vergangene Zukunft, 354 f.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

357

Natio­nalismus in allen postjugoslawischen Ländern. Konkret wenden sich die REKOM Aktivist*innen gegen eine auf ethnische Täter- und Opferzuschreibungen reduzierte Sicht auf die Kriege, gegen die alleinige Betonung der Opfer der Mehrheitsgesellschaften und gegen die Leugnung der Verbrechen durch die staatlichen Verantwortlichen. Kostovicova erkennt darin ein gemein­ sames Regionsbewußtsein: that allows participants to recognize their common history of conflict, common contemporary and regionwide challenges (foremost among them the marginalization of victims of all ethnicities) and their common future destiny.51

In diesem Zusammenhang wird das Vorhaben einer Wahrheitskommission, marginalisierten Stimmen öffentliche Teilhabe zu ermöglichen, bei REKOM auch von anderen als Opfervertreter*innen genutzt. Frauen, Jugendliche, Künstler*innen und schließlich all diejenigen, die trotz der Kriege eine fortbestehende jugoslawische Verbundenheit empfinden, erhofften sich durch eine Beteiligung an REKOM als Menschenrechtsaktivist*innen gesellschaftliche Mitgestaltungsmöglichkeiten. Ich begreife die REKOM Initiative als Gegengewicht zu nationalen Machtdiskursen und damit als ein transnationales, antihegemoniales Projekt.52 Ausgehandelt wurde dieses Projekt auf dem Gebiet der Erinnerungskultur, sodass REKOM als eine Initiative für ein regionales Gegengedächtnis (»counter memory«) wirkt.53 Dieses Gegengedächtnis thematisiert, was die offiziellen, machtgestützten, nationalen Geschichtsnarrative ausblenden: die individuellen Geschichten der Leidtragenden jenseits ethnischer Kategorien. Schaffer und Smith hielten fest, dass das Erzählen von Individualgeschichten dazu dienen soll, die Diskrepanz zwischen den Werten der Menschen in einer Gesellschaft und der gesellschaftlichen Praxis aufzudecken, welche nur einen Teil aller Menschen repräsentiere.54 Durch Erzählen soll somit Teilhabe und eine pluralistische Gesellschaft gefördert werden. Obwohl REKOM mit einer regionalen Wahrheitskommission ein anti­ nationalistisches Gegengedächtnis der Jugoslawienkriege avisierte, hat die Praxis der Konsultationen verdeutlicht, dass das Gelingen eines transnationalen Projektes gleichwohl wesentlich von nationalen Bedingungen abhängt. Denn während der Konsultationen wurde sehr bald angemahnt, zunächst die gesellschaftliche Lage für die außerjuristische Aufarbeitung in ihrem jeweiligen nationalen Kontext zu erörtern, was man seit 2008 auch umsetzte. Die Diskussionen im eigenen Land und auch vor der eigenen Haustür haben sodann in Bosnien und Herzegowina zu vielfachen Veränderungen, ja Verwerfungen in der Kooperation geführt. Die gehobene Relevanz der nationalen 51 52 53 54

Kostovicova: Seeking Justice in a Divided Region, 172. Bayly u. a..: AHR Conversation, 1451. Assmann / Conrad: Introduction, 3. Schaffer / Smith: Human Rights and Narrated Lives, 3.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

358

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

Ebene auch für eine transnationale Zusammenarbeit ist ein wichtiges, empi­ risches Resultat des Konsultationsprozesses. Wie Patricia Clavin festhielt, geht es bei transnationalen Prozessen auch nicht um die Überwindung des nationalen Paradigmas, sondern um dessen Erweiterung, Kontextualisierung und Verbindung mit anderen Perspektiven.55 Die transnationale Aufarbeitungszusammenarbeit bei REKOM zielt somit nicht auf eine Überwindung der nationalen Wirklichkeiten, sondern auf ihre Verbindung. Aktiv über den gesamten Kooperationszeitraum hinweg blieben bei ­R EKOM diejenigen, die an der Idee festhielten. Die Ursprungsidee bestand in der Abstimmung der Dokumentation der Kriegsopfer, sodass nicht mehr die einzelnen Opferzahlen gegeneinander aufgerechnet, sondern zusammengerechnet werden als gemeinsames Erbe. Dadurch wirkt REKOM als eine antinationalistische Aufarbeitungsoffensive, die den Krieg als gemeinsame Vergangenheit, das Zerbrechen Jugoslawiens als gemeinsamen Verlust und somit auch die Aufarbeitung der Kriege als gemeinsames Anliegen versteht. Mit dieser Priorität der Idee über ihre Umsetzung steht REKOM ganz in der Tradition der Menschenrechtsbewegungen, bei denen es, so der Ideenhistoriker Samuel Moyn, auch nicht so sehr darauf ankam, dass real etwas umgesetzt wird, sondern dass Aktivist*innen in ihrem Engagement daraus Sinn schöpfen können.56 Eine wichtige Lehre aus der Entwicklung der REKOM Initiative ist auch, dass eine regionale Aufarbeitung der Kriege die Anerkennung des Verlustes Jugoslawiens voraussetzt. Letztlich ging es bei REKOM somit nicht nur darum, mit den Jugoslawienkriegen umzugehen und eine transnationale Zukunftsvision zu fördern, sondern auch darum zu akzeptieren, dass Jugoslawien Geschichte ist. Die Verwendung des Begriffes »Region« für eine transnationale Zusammenarbeit, das Eingeständnis, dass es einer anderen Machtkonstellation als der aus Jugoslawien bekannten bedarf sowie die Akzeptanz dessen, dass jeder das Recht hat, auch nicht mitzuwirken, gehören zu den konkreteren Lektionen aus der Zusammenarbeit für REKOM . Eine politische Verwirklichung der »Regionalen Kommission zur Feststellung der Fakten über Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens (1991–2001)« durch eine Zusammenarbeit der Regierungen würde das seit den Kriegen andauernde Gefühl der Ohnmacht vieler Aktivist*innen mildern. Vielmehr noch würde eine derartige Institution aber alldenjenigen Anerkennung ermöglichen, denen, wie bei dem bosniakischen Fallbeispiel, eine Anerkennung als Leidtragende der Kriege vor Gerichten verwehrt blieb. Das betrifft enorm viele Menschen

55 Clavin: Defining Transnationalism. 56 Moyn, Samuel: The Last Utopia. Human Rights in History. Cambridge, Mass. 2012.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Schluss: Die Wahrheit der Anderen

359

in Post-Jugoslawien, beispielsweise Vertriebene, Angehörige von Vermissten, Vergewaltigungsopfer, Lagerinsass*innen und auch Kombattanten. Zu guter Letzt haben sowohl die Dynamiken der transnationalen Zusammenarbeit bei REKOM als auch die beiden individuellen Gewaltgeschichten veranschaulicht, dass Vergangenheitsaufarbeitung als andauernder Prozess verstanden werden kann. Denn den Opfern hat sich die Gewalterfahrung tief in ihren Lebenslauf eingeschrieben. Mit der Zeit und vielen Möglichkeiten ihre Geschichte zu erzählen, gewinnen die Überlebenden an Distanz, doch der Stempel des Krieges prägt ihre Geschichten weiter. Gleiches gilt für die kollektive Ebene: sowohl die jugoslawischen Erfahrungen als auch die Kriegserfahrungen wirken hier nach. Deswegen lohnt es sich, Vergangenheitsaufarbeitung nicht mit Transitional Justice gleichzusetzen, auch wenn es sich bei REKOM um ein Projekt einer Wahrheitskommission handelt. Ich habe Vergangenheitsaufarbeitung also nicht als etwas Transitives betrachtet, das nur am Übergang von Konflikten zu Frieden eine gesellschaftliche Herausforderung bedeutet. Sondern ich habe Vergangenheitsaufarbeitung als Geschichtskultur untersucht: als unausweichliche, andauernde und gestaltbare Orientierung in Zeit und Raum, als Sinnsuche in Folge von Erschütterungen und auch als Möglichkeit, es in Zukunft anders zu machen. Dazu gehört nicht nur die Möglichkeit, es besser zu machen, sondern auch die Möglichkeit Fehler zu begehen. Ja, gerade das Bewusstsein der Fehlbarkeit prägt eine solche Geschichtskultur, nur die Annahme auch der Möglichkeit des Fehlermachens schafft ausreichend Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anhang

1.

Opfererzählungen während der REKOM Treffen

Name Agić, Semka Antić, Sunčica Berić, Jovan Bobaš, Finka Bodiroga, Nada Bogujevci, Fatos Bogujevci, Saranda Deverdžić, Miško Duraković, Smail Filipović, Ljubiša Gashi, Bekim

URL (Video)

https://www.recom.link/mne/semka-agic-4/ (BKS) https://www.recom.link/mne/suncica-antic-3/ (BKS) https://www.recom.link/mne/jova-beric-4/ (BKS) https://www.recom.link/mne/finka-bobas-4/ (BKS) https://www.recom.link/mne/nada-bodiroga-4/ (BKS) https://www.recom.link/mne/saranda-bogujevci-4/ (Albanisch mit BKS -Untertiteln) https://www.recom.link/mne/saranda-bogujevci-4/ (Albanisch mit BKS -Untertiteln) https://www.recom.link/mne/misko-deverdzic-6/ (BKS) https://www.recom.link/mne/smail-durakovic-6/ (BKS) https://www.recom.link/mne/ljubisa-filipovic/ (BKS) https://www.recom.link/mne/treci-regionalni-forumbekim-gashi-svedocenje-i-deo-8/ (Albanisch mit BKS Unter ­titeln) Hotić, Kada https://www.recom.link/mne/kada-hotic/ (BKS) Ibrahimović, Semir https://www.recom.link/mne/samir-ibrahimovic-4/ (BKS) Jurela, Zlata https://www.recom.link/mne/treci-regionalni-forumzlata-jurela-i-deo-6/ (BKS) Kovačić, Mirko https://www.recom.link/mne/mirko-kovacic-6/ (BKS) Krasniqi, Sheremet https://www.recom.link/mne/sheremet-kraniqi-2/ (Albanisch mit BKS -Untertiteln) Krstić, Đorđe https://www.recom.link/mne/jusuf-trbic-dorde-krstic-6/ (BKS) Kulaglić, Amir https://www.recom.link/mne/amir-kulaglic/ (BKS) Levar, Vesna https://www.recom.link/mne/vesna-levar-3/ (BKS) Lovrić, Marija https://www.recom.link/mne/marija-lovric-4/ (BKS) Lučić, Mario https://www.recom.link/mne/mario-lucic-4/ (BKS) Lupić, Mevludin https://www.recom.link/mne/mevludin-lupic/ (BKS) Marković, Zorica https://www.recom.link/mne/zorica-markovic-4/ (BKS) Musić, Sudbin https://www.recom.link/mne/treci-regionalni-forumsudbin-music-i-deo-6/ (BKS) Patko, Manda https://www.recom.link/mne/manda-patko-4/ (BKS) Pejčinović, Desanka https://www.recom.link/mne/desanka-pejcinovic/ (BKS) Pejović, Slobodan (Ohne Videoaufnahme, nur Transkript) http://recom.link/wp-content/uploads/2008/02/ Svedo%C4%8Denje-Slobodan-Pejovi%C4%87.pdf (BKS) Pjevač, Đukan https://www.recom.link/mne/dukan-pjevac-6/ (BKS) Radević, Milena https://www.recom.link/mne/milena-radevic-3/ (BKS) Šašo, Nikola https://www.recom.link/mne/nikola-saso/ (BKS)

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Anhang

362 Šeatović, Marica Shabani, Agron Subašić, Munira Trbić, Jusuf

https://www.recom.link/mne/marica-seatovic-8/ (BKS) https://www.recom.link/mne/agron-shabani-5/ (Albanisch mit BKS -Untertiteln) https://www.recom.link/mne/munira-subasic/ (BKS) https://www.recom.link/mne/jusuf-trbic-dorde-krstic-6/ (BKS) https://www.recom.link/mne/xhafer-veliu-4/ (Albanisch mit BKS -Untertiteln) https://www.recom.link/mne/treci-regionalni-forumobren-vitor-i-deo-6/ (BKS)

Veliu, Xhafer Vitor, Obren

2.

REKOM Treffen Mai 2006 bis März 2011

Jahr

2006

2007

2008

2009

2010

2011

Anzahl

2

8

12

57

50

5

Zusammensetzung der Teilnehmenden anhand Herkunft

regional 2

regional 4 national 4

national 9 regional 3

lokal 31 national 17 national 3 national 23 regional 17 regional 2 regional 3 lokal 16

Orte der Treffen nach Ländern

BiH 1 SRB 1

SRB 3 HR 3 BiH 2

SRB 5 KOS 3 MNG 2 HR 2

BiH 17 SRB 16 HR 11 KOS 9 MNG 4

insgesamt: 134

 

 

 

 

 

 

 

insgesamt national: 56

BiH 13 HR 11 SRB 9 KOS 8 MNG 4 MK 3 SI 2

SRB 1 BiH 1 KOS 1 MK 1 SI 1

  insgesamt lokal: 47

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

insgesamt regional: 31

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen REKOM

Transkripte der Konsultationen REKOM: I. Regionalni forum za tranzicionu pravdu. Transkript, 2006. REKOM: Regionalne konsultacije umetnika o nasleđu prošlosti: Transkript, Beograd,

16.12.2006.

REKOM: Međunarodna konferencija utvrđivanje istine o ratnim zločinima i suko-

bima: Drugi regionalni forum o tranzicijskoj pravdi: Transkript, Zagreb, 08./ 09.02.2007. Istraživaćko Dokumentacioni Centar: Nacionalne konsultacije sa mladima o mehanizmima za utvrđivanje i kazivanje istine: Transkript, Sarajevo, Bosna i Hercegovina, 27.06.2007. REKOM: Nacionalne konsultacije mladih o mehanizmima za utvrđivanje i kazivanje istine: Transkript, Beograd, 08.07.2007. REKOM: Nacionalne konzultacije s organizacijama mladih o suočavanju s prošlošću: Transkript, Zagreb, 20.07.2007. REKOM: Regionalne konsultacije sa organizacijama mladih o instrumentima i inicijativama za utvrđivanje i kazivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji: Transkript, Beograd, 21.10.2007. REKOM: Regionalne konsultacije sa organizacijama za ljudska prava o instrumentima i inicijativama za utvrđivanje i kazivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji: Transkript, Beograd, 29.10.2007. REKOM: Treći regionalni forum o mehanizmima za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji: Transkript, Beograd, 11./12.02.2008. REKOM: Regionalne konsultacije sa udruženjima žrtava, žrtvama i veteranima o načinima utvrđivanja i kazivanja činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji: Transkript, Podgorica, Crna Gora, 09.05.2008. REKOM: Regionalne konsultacije sa žrtvama, mladima, novinarima i organizacijama za ljudska prava o Regionalnoj komisiji za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji: Transkript, Mitrovica, 26.06.2008. REKOM: Nacionalne konsultacije sa organizacijama za ljudska prava o inicijativi za osnivanje Regionalne komisije za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima u bivšoj Jugoslaviji: Transkript, Fruška Gora, 10.10.2008. REKOM: Nacionalne konzultacije s udrugama obitelji nestalih i branitelja o Inicijativi, Vukovar, 24.10.2008. REKOM: Nacionalne konsultacije sa predstavnicima civilnog društva Crne Gore o

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Quellen- und Literaturverzeichnis

364

inicijativi za osnivanje Regionalne komisije za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinimai drugim teškim povredama ljudskih prava u bivšoj Jugoslaviji (­R EKOM): Transkript, Podgorica, Crna Gora, 25.10.2008. REKOM: Četvrti Regionalni forum o uspostavljanju pravde u post-jugoslovenskim društvima: Regionalna komisija za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim povredama ljudskih prava u bivšoj Jugoslaviji. Transkript, Prishtina, Kosovo, 28./29.10.2008. REKOM: Lokalne konsultacije sa predstavnicima civilnog društva: Transkript, Prijedor, BiH, 13.05.2009. REKOM: Peti Regionalni forum o tranzicionoj pravdi: Mandat i karakteristike ­ EKOM. Transkript, Budva, 29./30.05.2009. R REKOM: Lokalne konzultacije s lokalnom zajednicom o inicijativi za osnivanje ­ EKOM. Transkript, Knin, 04.08.2009. R REKOM: Šesti regionalni forum za tranzicionu pravdu. Transkript, Novi Sad, 20.03.2010. Koalicija za REKOM: Konsultacije sa lokalnom zajednicom o Inicijativi za osnivanje REKOM, Žepče, BiH. Transkript, 28.04.2010. Koalicija za REKOM: Sedma Skupština Koalicije za REKOM. Transkript, Beograd, 14.11.2014.

Berichte Coalition for RECOM: Report about The Consultative Process on Instruments of Truth-Seeking About War Crimes and Other Serious Violations of Human Rights in Post-Yugoslav Countries May 2006–June 2009, Belgrade, August 2009. Fond za humanitarno pravo: Konzultativni proces o utvrđivanju činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršen jima ljudskih prava počinjenim na području nekadašnje SFRJ, Beograd, 2011. Koalicija za REKOM: Kampanja prikupljanja potpisa za osnivanje REKOM, Izveštaj, 2011. Koalicija za REKOM: Izvještaj o progresu javnog zagovaranja Inicijative REKOM listopad 2011–svibanj 2012. Koalicija za REKOM: Proces REKOM: Izvještaj, rujan 2012–listopad 2013. Koalicija za REKOM: Izvještaj Radne grupe za razmatranje modela daljnjeg upravljanja Koalicijom za REKOM, imenovane na Skupštini Koalicije za REKOM 2013. Koalicija za REKOM: Report on the RECOM Process: January–June 2014.

Sonstiges REKOM: Utvrđivanje Istine o Ratnim Zlocinima i Sukobima: Dnevni Red, Zagreb,

08./09.02.2007.

REKOM: Konzultacije sa organizacijama mladih o suočavanju s prošlošću: Preporuke,

Osijek, 08.10.2007.

REKOM: List učesnika: 3. Regionalni Forum, Beograd, 11./12.02.2008. REKOM: Preporuke, Vukovar, 24.10.2008.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Quellen 

365

REKOM: Četvrti Regionalni forum o uspostavljanju pravde u post-jugoslovenskim

društvima: Press Clipping, Prishtina, Kosovo, 27.–29.10.2008.

REKOM: Četvrti regionalni forum za tranzicionu pravdu: Inicijativa REKOM: Prepo-

ruke, Prishtina, Kosovo, 28./29.10.2008.

REKOM: Izvještaj s radionica na 5. Regionalnim TJ Forum, Budva, 29./30.05.2009. REKOM: Peti regionalni forum za tranzicionu pravdu: Inicijativa REKOM: Predlozi,

Budva, 29./30.05.2009. korekom, REKOM Broschüre, 2009. REKOM: Odgovor REKOM-a organizacijama koje su istupile iz Koalicije, 01.06.2010, http://pescanik.net/odgovor-rekom-a-organizacijama-koje-su-istupile-iz-koalicije/ (06.05.2017). REKOM: Operativni plan konsultacija o inicijativi i modelu REKOM u periodu maj– 31. decembar 2010. E-Mail an d. Vf., 05.08.2010. REKOM: Konsultacije s slovenačkim civilnim društvom o Inicijativi za REKOM: Predlozi, Ljubljana, 11.09.2010. REKOM: Koalicija za REKOM dobila podršku Evropske komisije i Evropskog parlamenta, 30.09.2010. REKOM: Sedmi regionalni forum za tranzicijsku pravdu: program, Zagreb, 16./ 17.10.2010. REKOM: Konsultacije sa braniteljima i braniteljskim udrugama o osnivanju ­R EKOM-a, Saopštenje, 29.11.2010. REKOM: Regionalne konsultacije sa veteranima o nacrtu statuta REKOM, Skoplje, 18.12.2010. Initiative for RECOM: Current Events Update: March 2011. Koalicija za REKOM: !Glas Inicijative REKOM, 2011–2015. Koalicija za REKOM: Istraživanje stavova o Inicijativi REKOM, 24.03.2011. Koalicija za REKOM: Obrazloženja: Uz prijedlog statuta regionalne komisije za utvrdijvanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području nekadašnje SFRJ, 26.03.2011. Koalicija za REKOM: Statut regionalne komisije za utvrđivanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području nekadašnje SFRJ, 26.03.2011. Koalicija za REKOM: Amandmani na Nacrta Statuta REKOM: Stavovi Radne grupe za izradu Nacrta statuta REKOM, Belgrad, 26.03.2011. Coalition for RECOM: The Statute Proposal of the Regional Commission for Establishing the Facts about War Crimes and other Gross Violations of Human Rights on the Territory of the Former Yugoslavia, 26.03.2011. TV spotovi – Kampanja »REKOM – daj potpis!« 2011. Koalicija za REKOM: VIII Međunarodni forum za tranzicionu pravdu u post-jugoslovenskim zemljama, 27.06.2011. Koalicija za REKOM: Medijska kampanja Inicijative REKOM, 2011. Humanitarian Law Center: Scurrilous rumors will not halt the RECOM initiative, vom 03.07.2011. Koalicija za REKOM: Pismo podrške intelektualaca i umetnika osnivanju REKOM-a, 2011.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Quellen- und Literaturverzeichnis

366

Koalicija za REKOM / Mekina, Igor: Analiza javne kritike i podrške Inicijative za osnivanje REKOM, August 2011. Koalicija za REKOM: Pitanja & Odgovori. 2011. Koalicija za REKOM: Public Advocates Refute Allegations of Impropriety and Pledge Their Commitment to RECOM, Press Release, 21.06.2012. Humanitarian Law Center: Fostering Support for Regional Post Conflict Truthseek­ing and Truth-telling in the Western Balkans: Financial Report: 15.12.2008– 31.08.2011. Koalicija za REKOM: Pregled konsultativnog procesa Inicijative REKOM, Tabelle, 2011. REKOM Koordination, Clanovi REKOMa. E-Mail mit xls-Anhang an d. Vf., 13.11.2012. Koalicija za REKOM: IX Međunarodni forum za tranzicionu pravdu, 17./18.05.2013. REKOM: Serbian President Appoints Judge Siniša Važić His Personal Envoy to RECOM, 01.07.2013. Koalicija za REKOM: Trčim za REKOM, 2014. Koalicija za REKOM: Izmene Statuta: Regionalne komisije za utvrdijvanje činjenica o ratnim zločinima i drugim teškim kršenjima ljudskih prava na području bivše SFRJ. Na osnovu predloga Izaslanika predsednika / Predsedništva BiH za REKOM, 28.10.2014. Koalicija za REKOM: X Međunarodni forum za tranzicionu pravdu u post-jugoslovenskim zemljama, 16.–18.11.2014. Koalicija za REKOM: Tokom kampanje prikupljeno 52.919 potpisa podrške osnivanju REKOM-a u okviru Berlinskog procesa, 14.06.2017. REKOM: Istorijat Procesa REKOM, 2017. REKOM: Public Debate Review, 2017. REKOM: Peticija za REKOM, 2017. REKOM: Trieste Western Balkans Summit: Declaration with Recommendations Stemming from the Civil Society Forum, including the RECOM Initiative, 13.07.2017. RECOM: Common Priority: Facts About Victims, 27.05.2019. REKOM Koordination: E-Mail an d. Vf. 07.07.2019, Re: Arhiv REKOMa.

Graue Literatur anderer Organisationen Ahmetaj, Nora: Suočavanje s proslošču na Kosovu: Discussion Paper for the TJ Forum in Belgrade, 01.11.2014. Akcija za Ljudska Prava: Izveštaj: Suđenja za ratne zločine u Crnoj Gori, Mai 2013. »BOGUJEVCI // VIZUELNA ISTORIJA . Omaž svim porodicama i Žrtvama rata. ­ OGUJEVCI // VISUAL HISTORY. A Homage to all the Families and Victims of B War«, hg. Kulturni Centar Beograda, Beograd 2013, Ausstellungskatalog erhalten von Saranda Bogujevci am 07.10.2014 in Prishtina. Bundesgesetzblatt 1954 II. Djordjević, Djordje: Summary Report regarding Local, Regional and International Documentation of War Crimes and Human Rights Violations in the former Yugoslavia, April 2002.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Quellen 

367

European Parliament resolution of 29 November 2018 on the 2017 Commission Report on Serbia (2018/2146(INI)). European Parliament resolution of 14 June 2017 on the 2016 Commission Report on Serbia (2016/2311(INI)). Flyer / Poster zur Premiere von »Dark Ages« im April 2015 in München. Fond za humanitarno pravo: Podujevo 1999: van svake sumnje. Edicija: Dokumenta, Beograd, 2006. Fond za humanitarno pravo: Podujevo II, Transkript. Fond za humanitarno pravo: Škorpioni: od zločina do pravde. Edicija: Dokumenta, Beograd, 2007. Forum Ziviler Friedensdienst e. V.: Fokus.Westbalkan: Nachrichten des Forum Ziviler Friedensdienst, Mai 2014. Gorjanc Prelević, Tea: U Crnoj Gori nema nijedne optužnice po osnuvu komandne odgovornosti, ZBORNIK : Tranziciona pravda i pomirenje u postjugoslovsenkim zemljama. Glasovi institucija, verskih zajednica, aktivista, akademije, kulture i zrtava, Beograd 2015, 22–24. ICTY: Babić (IT-03-72), URL: http://www.icty.org/case/babic/4 (am 01.06.2017). ICTY: Gotovina u. a. (IT-06-90), URL : http://www.icty.org/case/gotovina/4 (am 01.06.2017). ICTY: Martić (IT-95-11), URL: http://www.icty.org/case/martic/4 (am 01.06.2017). ICTY: S. / F. Bogujevci. Transkript der Aussage Saranda und Fatos Bogujevicis im Fall Djordjevic, 09.03.2009, URL: http://www.icty.org/x/cases/djordjevic/trans/en/​ 090309IT.htm (am 20.10.2015). ICTY Case Information Sheet: Djordjevic, URL http://www.icty.org/x/cases/djord​ jevic/cis/en/cis_djordjevic_en.pdf (am 26.09.2015). ICTY Case Information Sheet: Prijedor (IT-94-1), URL: http://www.icty.org/x/cases/ tadic/cis/en/cis_tadic_en.pdf (am 05.01.2016). ICTY Case Information Sheet: Prijedor (IT-97-24), URL: http://www.icty.org/x/cases/ stakic/cis/en/cis_stakic.pdf (am 05.01.2016). ICTY Case Information Sheet: Radovan Karadžić (IT-95-5/18), URL: http://www.icty. org/x/cases/karadzic/cis/en/cis_karadzic_en.pdf (am 08.09.2017). International Center for Transitional Justice: ICTJ Annual Report 2001/2002. International Center for Transitional Justice: ICTJ Annual Report 2004/2005. International Center for Transitional Justice: ICTJ Annual Report 2011: A Decade of Hope. Pressemappe »Dark Ages«, URL: http://international-institute.de/wp-content/up​ loads/20150116_Pressemappe_The-Dark-Ages.pdf (am 05.01.2016). Svedočenja Gorana Stoparića, 11.05.2009, Transkript, URL: http://www.hlc-rdc.org/ images/stories/pdf/sudjenje_za_ratne_zlocine/srbija/Podujevo2/24-11_05_2009_.​ pdf (am 22.10.2015). UNDP BiH: Facing the Past and Access to Justice from a Public Perspective: Special Report, 2011.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Quellen- und Literaturverzeichnis

368 Soziale Medien

Facebook-Wallpost, Sudba Bubi Musić, 07.07.2015, Screenshot 1 d. Vf., BKS. – Kommentar zum Facebook-Wallpost, Sudba Bubi Musić, 07.07.2015, Screenshot 2 d. Vf., BKS , – Kommentar zum Facebook-Wallpost, Sudba Bubi Musić, 07.07.2015, BKS , Screenshot 4, d. Vf. BKS.

Vorträge Bonora, Caterina: The Role of Nongovernmental Actors in the Conceptualization of Justice in Transitional Settings: REKOM and the Women’s Court for the Balkans, Vortrag bei »6th Annual Conference of the Historical Dialogues, Justice, and Memory Network«, Amsterdam, 02.12.2016. Camus, Albert: The Human Crisis, Vortrag an der Columbia University, New York, im März 1946. Danielsson, Christian: Speech at Berlin Process Foreign Ministers’ Meeting, Warsaw, 11./12.04.2019. Karup-Druško, Dženana: Postignuca u BiH i prioriteti, Handreichung zum Vortrag auf X. Forum za tranzicionu pravdu, Beograd, 15./16.11.2014. Hesse, Christoph: Walter Benjamin und die Frankfurter Schule. Vortragsmanuskript, Tiflis, 07.05.2007. Schomburg, Wolfgang: The Role of Courts in Establishing the Truth: Conference Address, Sarajevo, 05.05.2006. Vučkovac, Zoran: »The Political Life of Exported Steel: Politics of Denial and Culture of Remembering in Postwar Prijedor« am 28.06.2019 auf dem Kongress der Memory Studies Association in Madrid.

Interviews Nora Ahmetaj, 15.10.2014, Prishtina, ENG. Sonja Biserko, 22.11.2012, Belgrad, BKS. Saranda Bogujevci, 15.10.2014, Prishtina, ENG. Valdete Idrizi, 16.10.2014, Prishtina, ENG Nataša Kandić, 21.11.2012, Belgrad, BKS. Nataša Kandić, 21.06.2017, Belgrad, BKS. Dženana Karup-Druško, 09.11.2012, Sarajewo, BKS. Aleksandra Letić, 17.11.2014, Bijelina, D. Sudbin Musić, 19.11.2012, Prijedor, BKS. Sudbin Musić, 15.04.2015, München, D. Nela Pamukovic, 16.11.2012 Zagreb, BKS. Žarko Puhovski, 17.11.2012, Zagreb, BKS. Edin Ramulić, 15.11.2012, Sarajewo, BKS.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Quellen 

369

Vesna Teršelić, 19.05.2011, Zagreb, ENG. Branko Todorović, 17.11.2014, Bijelina, BKS. Mirsad Tokača, 10.06.2014, Sarajewo, BKS.

Teilnehmende Beobachtung, Feldnotizen Mitgliederversammlung der Koalition für REKOM, 15.10.2010, Zagreb. 7. Transitional Justice Forum der Koalition für REKOM, 16.–17.10.2010, Hotel Westin, Zagreb. Konferenz »Izaberimo mir zajedno«, 15.03.2011, Hotel Hollywood, Sarajewo. Mitgliederversammlung der Koalition für REKOM, 26.03.2011, Sava Center, Belgrad. Unterschriftenaktion, 26.06.2011, Sarajewo. 8. Transitional Justice Forum der Koalition für REKOM, 26.06.2011, Hotel Holiday, Sarajewo. Memory Lab, 20.10.2011, Besichtigung des »Weißen Hauses« (Bijela Kuća) in Omarska, Gemeinde Prijedor. Memory Lab, Besichtigung Trnopolje, 20.10.2011, Gemeinde Prijedor. Memory Lab, Besichtigung der Fabrik Keraterm, 20.11.2011, Gemeinde Prijedor. REKOM Postkartenaktion, September 2012, Sarajewo. Öffentlicher Empfang Ante Gotovinas und Mladen Markačs, 16.11.2012, Zagreb. 9. Transitional Justice Forum der Koalition für REKOM, 18.05.2013, Hotel Termag, Jahorina. Memory Lab, Workshop am 06.10.2014 in Prishtina unter der Leitung von Saranda Bogujevci, anschließend Kennenlerngespräch. Memory Lab, 06.–07.10.2014, Besichtigung Prekaz. Mitgliederversammlung der Koalition für REKOM, 14.11.2014, Belgrad. 10. Transitional Justice Forum der Koalition für REKOM, 15.–16.11.2014, Hotel Crown Plaza, Belgrad. »Dark Ages« – Aufführung im Marstall, 18.04.2015 und 06.12.2015, München. Gespräch Sudbin Musić und Andere, Theatercafé Marstall, München, 18.04.2015. Memory Lab, Besichtigung des Massengrabes Batajnica, 11.10.2016, Batajnica. Paneldiskussion über die »Deklaration einer gemeinsamen Sprache«, 18.06.2017, »Zentrum für kulturelle De-kontaminierung« (Centar za kulturnu Dekontaminaciju), Belgrad. Mitgliederversammlung der Koalition für REKOM, 27.01.2018, Sarajewo. 11. Transitional Justice Forum in Post-Yugoslav Countries, 28.–29.01.2018, Hotel Holiday, Sarajewo.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

370

Quellen- und Literaturverzeichnis

Literatur Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main 1977. Armakolas, Ioannis / Vossou, Eleni: Transitional Justice in Practice. The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia and Beyond. In: UNISCI Discussion Papers 18 (2008), 20–75. Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München 2013. Dies. / Conrad, Sebastian: Introduction. In: Assmann, Aleida / Conrad, Sebastian (Hg.): Memory in a Global Age. Discourses, Practices and Trajectories. Basingstoke 2010, 1–15. Dies. / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart 1999. Austin, John Langshaw / Savigny, Eike von: Zur Theorie der Sprechakte. How to Do Things with Words. Stuttgart 1998. Bakiner, Onur: Truth Commissions. Memory, Power, and Legitimacy. Philadelphia, Pennsylvania 2016. Banjeglav, Tamara: Sarajevo. Exhibiting Memories of  a Besieged City. In: Südosteuropa 67/1 (2019), 1–23. Dies.: Dealing with the Past in Post-war Croatia: Perceptions, Problems, and Perspectives. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 33–50. Bašić, Natalija: Die Akteursperspektive. Soldaten und »ethnische Säuberungen« in Kroatien und Bosnien-Herzegowina (1991–1995). In: Brunnbauer, Ulf / Esch, Michael G. / Sundhaussen, Holm (Hg.): Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. »Ethnische Säuberungen« im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts. Berlin 2006, 143–168. Dies.: Krieg als Abenteuer: Feindbilder und Gewalt aus der Perspektive ex-jugoslawischer Soldaten 1991–1995. Gießen 2004. Bayly, Chris. A. / Beckert, Sven / Connelly, Matthew / Hofmeyr, Isabel / Kozol, Wendy /  Seed, Patricia: AHR Conversation. On Transnational History. In: The American Historical Review 111/5 (December 2006), 1441–1464. Beattie, Andrew H.: Post-Communist Truth Commissions. Between Transitional Justice and the Politics of History. In: Stan, Lavinia / Nedelsky, Nadya (Hg.): PostCommunist Transitional Justice. Lessons from Twenty-Five Years of Experience. New York 2015, 213–232. Ders.: An Evolutionary Process. Contributions of the Bundestag’s Inquiries into East Germany to an Understanding of the Role of Truth Commissions. In: International Journal of Transitional Justice 3/2 (2009), 229–249. Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. In: Tiedemann, Rolf / Schweppenhäuser, Hermann (Hg.): Walter Benjamin. Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main 1980. Band I 2, 691–704. Bevernage, Berber: Transitional Justice and Historiography. Challenges, Dilemmas and Possibilities. In: Macquaire Law Journal 13 (2014), 7–24.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Literatur 

371

Bickford, Louis: Unofficial Truth Projects. In: Human Rights Quarterly 29/4 (2007), 994–1035. Bilić, Bojan: We Were Gasping for Air. (Post-)Yugoslav Anti-War Activism and Its Legacy. Baden-Baden 2012. Bojicic-Dzelilovic, Vesna / Kostovicova, Denisa: Introduction: Civil Societies and Multiple Transitions. Meanings, Actors and Effects. In: Bojicic-Dzelilovic, Vesna u. a. (Hg.): Civil Society and Transitions in the Western Balkans. Basingstoke, New York 2013, 1–25. Bonora, Caterina: Opening Up or Closing the Historical Dialogue. The Role of Civil Society in Promoting a Debate About the Past. In: Dialogues on Historical Justice and Memory Network Working Paper Series 4 (September 2014). Borgards, Roland (Hg.): Schmerz und Erinnerung. München 2005. Braun, Christian: Der schwierige Umgang mit der Geschichte. Transitional Justice in Kroatien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 63/17 (2013), 35–41. Ders.: Vom schwierigen Umgang mit Massengewalt. Transitional Justice in den gespaltenen Gesellschaften Srebrenicas und Vukovars. Wiesbaden 2016. Brenner, Manuela: Practices of the (Non-)Construction of a Memorial at Omarska. In: Südosteuropa 59/3 (2011), 349–372. Brunnbauer, Ulf: Der Balkan als translokaler Raum. Verflechtung, Bewegung und Geschichte. In: Südosteuropa Mitteilungen 51/3 (2011), 78–94. Buckley-Zistel, Susanne u. a. (Hg.): Transitional Justice Theories. Abingdon, Oxon u. a. 2014. Dies.: Narrative Truths. On the Construction of the Past in Truth Commissions. In: Buckley-Zistel, Susanne u. a. (Hg.): Transitional Justice Theories. Abingdon, Oxon u. a. 2014, 144–162. Calhoun, Lawrence G. / Tedeschi, Richard G.: Trauma & Transformation. Growing in the Aftermath of Suffering. Thousand Oaks, Calif. 1995. Calic, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München 2010. Caruth, Cathy: Unclaimed Experience. Trauma, Narrative, and History. Baltimore 1996. Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice. New York: 2016. Clark, Janine N.: International Trials and Reconciliation. Assessing the Impact of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. New York 2014. Claverie, Elisabeth: La Guerre comme mémoire, le cas de la Yougoslavie. In: Arel, Dominique / Mink, Georges (Hg.): Le passé au présent. Gisements mémoriels et actions historicisantes en Europe centrale et orientale. Paris 2010, 105–129. Clavin, Patricia: Defining Transnationalism. In: Contemporary European History 14 (2005), 421–439. Cowan, Jane K. / Dembour, Marie-Bénédicte / Wilson, Richard A.: Introduction. In: Cowan, Jane K. / Dembour, Marie-Bénédicte / Wilson, Richard (Hg.): Culture and Rights. Anthropological Perspectives. Cambridge, New York 2001, 1–26. Crocker, David A.: Truth Commissions, Transitional Justice, and Civil Society. In: Rotberg, Robert I. / Thompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000, 99–121. Dancy, Geoff / Kim, Hunjoon / Wiebelhaus-Brahm, Eric: The Turn to Truth. Trends in Truth Commission Experimentation. In: Journal of Human Rights 9/1 (2010), 45–64.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

372

Quellen- und Literaturverzeichnis

David, Lea: Lost in Transaction in Serbia and Croatia. Memory Content as a Trade Currency. In: Gabowitsch, Mischa (Hg.): Replicating Atonement. Foreign Models in the Commemoration of Atrocities. Palgrave Macmillan Memory Studies. Cham 2017, 73–97. Dies.: Dealing with the Contested Past in Serbia. Decontextualisation of the War Veterans’ Memories. In: Nations and Nationalism 21/1 (2015), 102–119. Dedić, Jasminka / Jalušić, Vlasta / Zorn, Jelka: The Erased. Organised Innonence and the Politics of Exclusion. Ljubljana 2003. Delpla, Isabelle / Bessone, Magali (Hg.): Peines de guerre. La justice pénale internationale et l’ex-Yougoslavie. Paris 2010. Demantowsky, Marko: Geschichtskultur und Erinnerungskultur – zwei Konzeptionen des einen Gegenstandes. Historischer Hintergrund und exemplarischer Vergleich. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 33/1/2 (2005), 11–20. Derrida, Jacques: On Cosmopolitanism and Forgiveness. London, New York 2001. Di Lellio, Anna / McCurn, Caitlin: Engineering Grassroots Transitional Justice in the Balkans: The Case of Kosovo. In: East European Politics and Societies 27/1 (2013), 129–148. Dragović-Soso, Jasna: History of a Failure: Attempts to Create a National Truth and Reconciliation Commission in Bosnia and Herzegovina, 1997–2006. In: International Journal of Transitional Justice 10/2 (2016). Dies. / Gordy, Eric: Coming to Terms with the Past. Transitional Justice and Reconciliation in the Post-Yugoslav Lands. In: Đokić, Dejan / Ker-Lindsay, James (Hg.): New Perspectives on Yugoslavia. Key Issues and Controversies. Milton Park, Abingdon u. a., 193–212. Driessen, Henk / Jansen, Willy: The Hard Work of Small Talk in Ethnographic Fieldwork. In: Journal of Anthropological Research 69 (2013), 249–263. Duijzings, Ger: Commemorating Srebrenica. Histories of Violence and the Politics of Memory in Eastern Bosnia. In: Bougarel, Xavier / Helms, Elissa / Duijzings, Gerlachlus (Hg.): The New Bosnian Mosaic. Identities, Memories and Moral Claims in a Post-war Society. Aldershot, England, Burlington 2007, 141–166. Engel, Ulf / Middell, Matthias / Troebst, Stefan (Hg.): Erinnerungskulturen in transnationaler Perspektive. Memory Cultures in Transnational Perspective. Leipzig 2012. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart 2005. Fagan, Adam: Europe’s Balkan Dilemma. Paths to Civil Society or State-building? London 2010. Fischer, Martina / Petrović-Ziemer, Ljubinka: Dealing with the Past in the Western Balkans. Initiatives for Peacebuilding and Transitional Justice in Bosnia-Herzgeovina, Serbia and Croatia. Berlin 2013. Dies.: Friedens- und Versöhnungsprozesse im Westlichen Balkan. Von den Schwierigkeiten des Umgangs mit gewaltsamer Vergangenheit. Berlin 2008. Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 2007. Reinbek bei Hamburg 2011. Freeman, Mark: Truth Commissions and Procedural Fairness. New York 2006.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Literatur 

373

Friemann, Andrea: »Brennpunkt Krajina«. Ethnische Säuberungen im Kroatien der neunziger Jahre. In: Brunnbauer, Ulf / Esch, Michael G. / Sundhaussen, Holm (Hg.): Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. »Ethnische Säuberungen« im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts. Berlin 2006, 169–186. Frölich, Margrit / Jureit, Ulrike / Schneider, Christian / Brockhaus, Gudrun (Hg.): Das Unbehagen an der Erinnerung. Wandlungsprozesse im Gedenken an den Holocaust. Frankfurt a. M. 2012. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M. 1987 (1983). Geiger, Vladimir: Ljudski gubici Hrvatske u Drugom svjetskom ratu koje su prouzročili »okupatori i njihovi pomagači«. Brojidbeni pokazatelji (procjene, izračuni, popisi). In: Časopis za suvremenu povijest. Hrvatski institut za povijest, Zagreb 43/3 (2011), 699–749. Ders.: Žrtvoslovi ljudskih gubitaka Hrvata u Drugom svjetskom ratu i poraću, koje su prouzročili NOV, Partizanski odredi Jugoslavije, Jugoslavenska armija i KPJ. Zagreb 25./26.04.2016. Gillis, John R.: Commemorations. The Politics of National Identity. Princeton, N. J. 1994. Gordy, Eric: Guilt, Responsibility and Denial. The Past at Stake in Post-Milosević Serbia. Philadelphia 2013. Götze, Catherine: Rudimentäre Zivilgesellschaften. Das Rote Kreuz auf dem Balkan. Münster 2005. Gow, James / Kerr, Rachel / Pajić, Zoran (Hg.): Prosecuting War Crimes. Lessons and Legacies of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia. New York 2014. Gratz, Dennis: Elitozid in Bosnien und Herzegowina 1992–1995. Baden Baden 2007. Gutman, Yifat / Brown, Adam D. / Sodaro, Amy (Hg.): Memory and the Future: Transnational Politics, Ethics and Society. Basingstoke 2010. Hagan, John / Haugh, Todd: Ethnic Cleansing as Euphemism, Metaphor, Criminology, and Law. In: Sadat, Leila Nadya (Hg.): Forging a Convention for Crimes against Humanity. Cambridge u. a. 2011, 177–201. Hammerstein, Katrin / Mählert, Ulrich / Trappe, Julie / Wolfrum, Egdar (Hg.): Aufarbeitung der Diktatur, Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit. Göttingen 2009. Hasberg, Wolfgang: Erinnerungskultur  – Geschichtskultur, Kulturelles Gedächtnis – Geschichtsbewusstsein. 10 Aphorismen zu begrifflichen Problemfeldern. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 3 (2004), 198–207. Hayner, Priscilla B.: Unspeakable Truths. Transitional Justice and the Challenge of Truth Commissions. 2. edition, New York, N. Y. 2011. Dies.: Unspeakable Truths. Facing the Challenges of Truth Commissions. London 2002. Helms, Elissa: Innocence and Victimhood. Gender, Nation, and Women’s Activism in Postwar Bosnia-Herzegovina. Madison, Wisconsin 2013. Höpken, Wolfgang: Zerklüftete Gedächtnisse. Erinnerungskulturen in Südosteuropa. In: Eberhard, Winfried (Hg.): Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume; Bei-

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

374

Quellen- und Literaturverzeichnis

träge einer internationalen Konferenz, Leipzig, 6. bis 9. Juni 2007. [Leipzig] 2009, 311–319. Ders.: Innere Befriedung durch Aufarbeitung von Diktatur und Bürgerkriegen? Probleme und Perspektiven im ehemaligen Jugoslawien. In: Kenkmann, Alfons / Zimmer, Hasko (Hg.): Nach Kriegen und Diktaturen. Umgang mit Vergangenheit als internationales Problem: Bilanzen und Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Essen 2006, 153–191. Holenstein, René: Dieses Schicksal unterschreibe ich nicht. Gespräche im Balkan. Zürich 2007. Humphrey, Michael: The Politics of Atrocity and Reconciliation. From Terror to Trauma. London, New York 2002. Ignatieff, Michael: Human Rights as Ideology. In: Ignatieff, Michael / Gutmann, Amy (Hg.): Human Rights as Politics and Idolatry. Princeton, N. J. 2001. Irvine, Jill A. / McMahon, Patrice C.: From International Courts to Grassroots Organizing. Obstacles to Transitional Justice in the Balkans. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 217–237. Janković, Vesna / Mokrović, Nikola (Hg.): Neispričana povijest. Antiratna kampanija 1991–2011. Zagreb 2011. Jansen, Stef: If Reconciliation Is the Answer, Are We Asking the Right Questions? In: Studies in Social Justice Vol. 7/2 (2013), 229–243. Ders.: Remembering with a Difference. Clashing Memories of Bosnian Conflict in Every Day Life. In: Bougarel, Xavier / Helms, Elissa / Duijzings, Gerlachlus (Hg.): The New Bosnian Mosaic. Identities, Memories and Moral Claims in a Post-war Society. Aldershot, England, Burlington 2007, 193–208. Jeffery, Anthea: The Truth about the Truth Commission. Braamfontein, Johannesburg 1999. Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewusstsein – Theorie. In: Bergmann, Klaus / Fröhlich, Klaus / Kuhn, Annette / Rüsen, Jörn / Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. 5. überarbeitete Auflage, Hannover 1997, 42–44. Joas, Hans: Kriege und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Weilerswist 2000. Jones, Briony: Exploring the Politics of Reconciliation through Education Reform: The Case of Brčko District, Bosnia and Herzegovina. In: International Journal of Transitional Justice 6/1 (2012), 126–148. Jouhanneau, Cécile: »Si vous avez un problème que vous ne voulez pas régler, créez une Commission.« Les commissions d’enquête locales dans la Bosnie-Herzégovine d’après-guerre. In: Mouvements 53/1 (2008), 166–174. Dies.: Les mésaventures des projets de Commission Vérité et Réconciliation pour la Bosnie-Herzégovine (1997–2006). Une étude de la circulation des modèles internationaux de résolution des conflits mémoriels. In: Arel, Dominique / Mink, Georges (Hg.): Le passé au présent. Gisements mémoriels et actions historicisantes en ­Europe centrale et orientale. Paris 2010, 143–156. Kantsteiner, Wulf: Finding Meaning in Memory. A Methodological Critique of Collective Memory Studies. In: History and Theory 41 (2002), 179–197.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Literatur 

375

Kanzleiter, Boris / Stojaković, Krunoslav: 1968 in Jugoslawien. Studentenproteste und kulturelle Avantgarde zwischen 1960 und 1975: Gespräche und Dokumente. Bonn 2008. Kastner, Fatima: Transitional Justice in der Weltgesellschaft. Hamburg 2015. Knigge, Volkhardt: Zur Zukunft der Erinnerung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 25–26 (2010), 10–16. Kocka, Jürgen: Wege zur politischen Identität Europas. Europäische Öffentlichkeit und europäische Zivilgesellschaft. Berlin 2003. Kogovšek, Neža: The Erased People Yesterday, Today and Tomorrow. Erosion of Stereotypes and the Irreversible Road to Redressing Injustice. In: Kogovšek, Neža u. a. (Hg.): The Scars of the Erasure. A Contribution to the Critical Understanding of the Erasure of People from the Register of Permanent Residents of the Republic of Slovenia. Ljubljana 2010, 9–18. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main 2015. Kostovicova, Denisa: Seeking Justice in a Divided Region. Text Analysis of Regional Civil Society Deliberations in the Balkans. In: International Journal of Transitional Justice 11/1 (2017), 154–175. Kovačević, Ljupka / Perković, Marija / Zajović, Staša: Ženski sudovi. Feministički pristup pravdi. Novi Sad 2011. Kreiswirth, Martin: Merely Telling Stories? Narrative and Knowledge in the Human Sciences. In: Poetics Today 21/2 (2000), 293–318. Kritz, Neil J. (Hg.): Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with former Regimes. Washington DC 1995. Krüger, Anne K.: From Truth to Reconciliation. The Global Diffusion of Truth Commissions. In: Schwelling, Birgit (Hg.): Reconciliation, Civil Society, and the Politics of Memory. Transnational Initiatives in the 20th and 21st Century. Bielefeld 2012, 339–367. Dies.: Wahrheitskommissionen. Die globale Verbreitung eines kulturellen Modells. Frankfurt 2014. Kuljić, Todor: Umkämpfte Vergangenheiten. Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum. Berlin 2010. Kurze, Arnaud: Democratizing Justice in the Post-Conflict Balkans: The Dilemma of Domestic Human Rights Activists. In: CEU Political Science Journal 7/3 (2012), 243–268. Ders. / Vukusić, Iva: Afraid to Cry Wolf. Human Rights Activists’ Struggle of Transnational Accountability Efforts in the Balkans. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 201–237. Kutnjak Ivković, Sanja / Hagan, John: Reclaiming Justice. The International Tribunal for the Former Yugoslavia and Local Courts. Oxford, New York 2011. Lai, Daniela / Bonora, Catarina: The Transformative Potential of Post-war Justice Initiatives in Bosnia-Herzegovina. In: Evans, Matthew (Hg.): Transitional and Trans­ formative Justice. Critical and International Perspectives. London 2019. Langenohl, Andreas: Memory in Post-Authoritarian Societies. In: Erll, Astrid / Nünning, Ansgar (Hg.): A Companion to Cultural Memory Studies. Berlin, New York 2010, 163–172.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

376

Quellen- und Literaturverzeichnis

Lasić, Mile: Kultura sjećanja. (pledoaje za izgradnju kulture sjećanja i u regiji jugoistoka Europe). Sarajevo 2011. Le Breton, David: Schmerz. Eine Kulturgeschichte. Zürich 2003. Leydesdorff, Selma: How Shall We Remember Srebrenica? Will the Language of Law Structure Our Memory? In: Gutman, Yifat / Brown, Adam D. / Sodaro, Amy (Hg.): Memory and the Future: Transnational Politics, Ethics and Society. Basingstoke 2010, 121–137. Lipovec Čebron, Uršula / Zorn, Jelka: The Erasure and Cultural Anesthesia. A Report on Slovenia’s Statehood, Political Equality and Social Justice. In: Gregorčić, Marta / Jalušić, Vlasta / Kogovšek, Neža u. a. (Hg.): Once Upon an Erasure: From Citizens to Illegal Residents in the Republic of Slovenia. Ljubljana 2008, 7–14. Maier, Charles S.: Doing History, Doing Justice. The Narrative of the Historian and of the Truth Commission. In: Rotberg, Robert I. / Thompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000, 261–278. Marcus, George E.: Ethnography in / of the World System. The Emergence of MultiSited Ethnography. In: Annual Review of Anthropology 24 (1995), 95–117. Marx, Christoph: Einleitung: Bilder nach dem Sturm. In: Marx, Christoph (Hg.): Bilder nach dem Sturm. Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Berlin 2007, 1–14. Mihajlović Trbovc, Jovana: Remembrance and Denial of the Erasure in Slovenian Media. In: Luthar, Oto / Pušnik, Maruša (Hg.): Mediatisation of Memory in the Western Balkans: Media as Mementos. Leiden 2019 (im Erscheinen). Dies.: Memory after Ethnic Cleansing. Victims’ and Perpetrators’ Narratives in Prijedor. In: Journal of Ethnic Studies 72 (2014), 25–41. Mijić, Ana: Verletzte Identitäten. Der Kampf um den Opferstatus im bosnisch-herzegowinischen Nachkrieg. Frankfurt am Main 2014. Milloy, John: Doing Public History in Canada’s Truth and Reconciliation Commission. In: The Public Historian 35/4 (2013), 10–19. Mishkova, Diana: Beyond Balkanism. The Scholarly Politics of Region Making. Abingdon, Oxon, New York 2018. Dies.: On the Space-Time Constitution of Southeastern Europe. In: Rutar, Sabine (Hg.): Beyond the Balkans. Towards an Inclusive History of Southeastern Europe. Münster 2013, 47–66. Moll, Nicolas: Fragmented Memories in a Fragmented Country. Memory Competition and Political Identity-building in today’s Bosnia and Herzegovina. In: Nationalities Papers: The Journal of Nationalism and Ethnicity (2013), 910–935. Moyn, Samuel: The Last Utopia. Human Rights in History. Cambridge, Mass. 2012. Nettelfield, Lara J.: Courting Democracy in Bosnia and Herzegovina. The Hague ­Tribunal’s Impact in a Postwar State. New York 2010. Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane: Public and Applied History in Germany. Just another Brick in the Wall of the Academic Ivory Tower? In: The Public Historian, 40/4 (2018), 11–27. Nießer, Jacqueline: Which Commemorative Models Help? A Case Study from PostYugoslavia. In: Gabowitsch, Mischa (Hg.): Replicating Atonement. Palgrave Macmillan Memory Studies. Cham 2017, 131–161.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Literatur 

377

Dies. / Tomann, Juliane (Hg.): Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit. Paderborn, München u. a. 2014. Niethammer, Lutz: Wahrheitskommissionen im Vergleich. In: Marx, Christoph (Hg.): Bilder nach dem Sturm. Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Berlin 2007, 15–35. Obradović-Wochnik, Jelena: The ›Silent Dilemma‹ of Transitional Justice: Silencing and Coming to Terms with the Past in Serbia. In: International Journal of Tran­ sitional Justice 7/2 (2013), 328–347. Offe, Claus: Nach dem »Ende der Utopie«: die Zivilgesellschaft als Fortschrittsidee? Metamorphosen des utopischen Denkens. In: Rüsen, Jörn / Fehr, Michael / Ramsbrock, Annelie (Hg.): Die Unruhe der Kultur. Potentiale des Utopischen. Weilers­ wist 2004, 27–38. Olsen, Tricia D. / Payne, Leigh A. / Reiter, Andrew G.: The Justice Balance. When Transitional Justice Improves Human Rights and Democracy. In: Human Rights Quarterly 32/4 (2010), 980–1007. O’Reilly, Maria: Gendered Agency in War and Peace. Gender Justice and Women’s Activism in Post-Conflict Bosnia-Herzegovina. London 2018. Orentlicher, Diane: Some Kind of Justice. The ICTY’s Impact in Bosnia and Serbia. New York, NY 2018. Ostojić, Mladen: Between Justice and Stability: The Politics of War Crimes Prosecutions in post-Milošević Serbia. Farnham u. a. 2014. Ders.: Facing the Past while Disregarding the Present? Human Rights NGOs and Truth-Telling in Post-Milošević Serbia. In: Bojicic-Dzelilovic, Vesna / Ker-Lindsay, James / Kostovicova, Denisa (Hg.): Civil Society and Transitions in the Western Balkans. Basingstoke, New York 2013, 230–247. Palmberger, Monika: Practices of Border Crossing in Post-War Bosnia and Herzegovina. The Case of Mostar. In: Identities: Global Studies in Culture and Power 20/5 (2013), 544–560. Pavlaković, Vjeran: Better the Grave than  a Slave. Croatia and the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia. In: Ramet, Sabrina P. / Clewing, Konrad / Lukić, Renéo (Hg.): Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations. München 2008, 447–478. Ders.: Croatia’s (New) Commemorative Culture and Politics of the Past. In: Puljar D’Alessio, Sanja / Fanuko, Nenad (Hg.): Avanture kulture. Kulturalni studiji u lokal­ nom kontekstu. Zagreb 2013, 139–151. Ders. / Pauković, Davor (Hg.): Framing the Nation and Collective Identities. Political rituals and and Cultural Memory of the Twentieth-Century Traumas in Croatia. Abingdon, Oxon u. a. 2019. Perry, Valery: A Survey of Reconciliation Processes in Bosnia and Herzegovina. The Gap between People and Politics. In: Quinn, Joanna R. (Hg.): Reconciliation(s). Transitional Justice in Postconflict Societies. Montréal, Ithaca [N. Y.] 2009, 207–231. Petrović, Tanja: Towards an Affective History of Yugoslavia. In: Filozofia i Drustvo XXVII /3 (2016), 504–520. Dies.: Yuropa. Jugoslovensko nasleđe i politike budućnosti u postjugoslovenskim društvima. Beograd 2012.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

378

Quellen- und Literaturverzeichnis

Petrović, Vladimir: Gaining the Trust through Facing the Past? Prosecuting War Crimes Committed in the former Yugoslavia in National and International Legal Context. In: CAS Working Paper Series (2008), 4–65. Phelps, Teresa Godwin: The Ethics of Storytelling. A Nation’s Role in Victim / Survivor Storytelling. In: Ethical Perspectives 18/2 (June 2011), 169–195. Dies.: Shattered Voices. Language, Violence, and the Work of Truth Commissions. Philadelphia 2004. Picard, Michèle / Zinbo, Asta: Sur le rapport du gouvernement de la Republika Srpska. In: Cultures et Conflits 65 (printemps 2007), 103–118. Radonić, Ljiljana: Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards. Frankfurt am Main 2010. Ramet, Sabrina P.: The Power of Values. (A Conclusion). In: Dulić, Dragana / Listhaug, Ola / Ramet, Sabrina P. (Hg.): Civic and Uncivic Values. Serbia in the post-Milošević era. Budapest, New York 2011, 401–408. Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS -Diktatur von 1945 bis heute. München 2001. Reuter, Jens / Clewing, Konrad: Der Kosovo-Konflikt. Ursachen, Verlauf, Perspektiven. Klagenfurt 2000. Rigney, Ann / Cesari, Chiara de: Introduction. In: Rigney, Ann / Cesari, Chiara de (Hg.): Transnational Memory. Circulation, Articulation, Scales. Berlin 2014, 1–25. Ristić, Irena: Rapprochement as a Paradigm Shift. Does the Wheel Come Full Circle in Former Yugoslavia? In: Südosteuropa 3 (2011), 286–300. Ristić, Katarina: Imaginary Trials. War Crime Trials and Memory in former Yugoslavia. Leipzig 2014. Rotberg, Robert I. / Thompson, Dennis F. (Hg.): Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions. Princeton, N. J. 2000. Rothberg, Michael: Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization. Stanford 2009. Rowen, Jamie: Truth in the Shadow of Justice. In: Simić, Olivera / Volčič, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013, 123–140. Dies.: Searching for Truth in the Transitional Justice Movement. Cambridge u. a. 2017. Rüsen, Jörn: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln u. a. 2013. Sabrow, Martin: Das Unbehagen an der Aufarbeitung. Zur Engführung von Wissenschaft, Moral und Politik in der Zeitgeschichte. In: Schaarschmidt, Thomas (Hg.): Historisches Erinnern und Gedenken im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert. Frankfurt am Main, New York 2008, 11–20. Sanders, Mark: Ambiguities of Witnessing. Law and Literature in the Time of a Truth Commission. Stanford, Calif. 2007. Satjukow, Elisa: Vergeben, aber nicht vergessen. Serbisches Gedenken an die NATO Bombardierung 1999. In: Thyroff, Julia / Marti, Philipp (Hg.): Jugoslawienkriege und Geschichtskultur. Vergangenes Unrecht, Umgangsweisen und Herausforderungen, Zürich 2019 (im Erscheinen). Schaffer, Kay / Smith, Sidonie: Human Rights and Narrated Lives. The Ethics of Recognition. New York 2004.

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Literatur 

379

Schimmel, Constanze: Transitional Justice im Kontext. Zur Genese eines Forschungsgebietes im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung. Berlin 2016. Schirmer, Dominique: Empirische Methoden der Sozialforschung. Grundlagen und Techniken. Stuttgart 2009. Schlicher, Monika: Geschichte eines Scheiterns. Strafverfolgung und Versöhnung in Osttimor. In: Der Überblick. Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit (1/2007), 39. Schwelling, Birgit: Transnational Civil Society’s Contribution to Reconciliation. An Introduction. In: Schwelling, Birgit (Hg.): Reconciliation, Civil Society, and the Politics of Memory. Transnational Initiatives in the 20th and 21st Century. Bielefeld 2012, 7–21. Simić, Olivera / Volčić, Zala (Hg.): Transitional Justice and Civil Society in the Balkans. New York 2013. Sokolić, Ivor: Heroes at the Margins. Veterans, Elites and the Narrative of War. In: Pavlaković / Pauković: Framing the Nation. 143–159. Spaskovska, Ljubica: The Yugoslav Chronotope. Histories, Memories and the Future of Yugoslav Studies. In: Bieber, Florian / Galijaš, Armina / Archer, Rory (Hg.): Debat­ ing the End of Yugoslavia. Farnham 2014, 241–253. Strauss, Anselm L. / Corbin, Juliet M.: Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996. Subašić, Haris / Ćurak, Nerzuk: History, the ICTY’s Record and the Bosnian Serb Culture of Denial. In: Gow, James / Kerr, Rachel / Pajić, Zoran (Hg.): Prosecuting War Crimes. Lessons and Legacies of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. New York 2014, 133–150. Subotić, Jelena: Hijacked Justice. Dealing with the Past in the Balkans. Ithaca 2009. Dies.: Out of Eastern Europe. Legacies of Violence and the Challenge of Multiple Transitions. In: East European Politics and Societies: and Cultures 29/2 (2015), 409–419. Sundhaussen, Holm: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. Köln, Wien 2014. Štiks, Igor / Horvat, Srećko: Introduction. Radical Politics in the Desert of Transition. In: Horvat, Srećko / Štiks, Igor (Hg.): Welcome to the Desert of Post-socialism. Ra­ dical Politics after Yugoslavia. Brooklyn, NY 2015, 1–17. Todorova, Maria Nikolaeva: Imagining the Balkans. Oxford, New York 2009. Tokača, Mirsad: Bosanska knjiga mrtvih. Ljudski gubici u Bosni i Hercegovini ­1991–1995 I = The Bosnian Books of the Dead. Human Losses in Bosnia and Herzegovina 1991–1995 I. Sarajevo 2012. Tomann, Juliane: Geschichtskultur im Strukturwandel. Öffentliche Geschichte in Katowice nach 1989. Berlin, Boston 2017. Toquet, Heleen / Vermeersch, Peter: Changing Frames of Reconciliation. The Politics of Peace-Building in the Former Yugoslavia. In: East European Politics and Societies 30/1 (2016), 55–73. Trevisani, Silvia: The Women’s Court: A Feminist Approach to Justice in the Post-­ Yugoslav Space. In: Women’s Studies International Forum (2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

380

Quellen- und Literaturverzeichnis

van der Wolf, Willem-Jan / Tofan, Claudia: The Truth and Reconciliation Commission in East Timor. The Hague, Nijmegen 2011. van Meurs, Wim: Rezension von Akkaya, Gülcan: Nichtregierungsorganisationen als Akteure der Zivilgesellschaft. Eine Fallstudie über die Nachkriegsgesellschaft im Kosovo, Luzern 2012. In: Südosteuropa 61/3 (2013), 457–460. van Meurs: Zivilgesellschaft – für, gegen oder ohne den Staat? In: Sterbling, Anton (Hg.): Zivilgesellschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa. 46. Internationale Hochschulwoche der Südosteuropa-Gesellschaft in Tutzing, 08.–12.10.2007. München 2009, 31–44. Verdoolaege, Annelies: Reconciliation Discourse. The Case of the Truth and Reconci­ liation Commission. Amsterdam, Philadelphia 2008. Vertovec, Steven: Transnationalism. London, New York 2009. Vidulić, Svjetlan Lacko / Previšić, Boris (Hg.): Traumata der Transition. Erfahrung und Reflexion des jugoslawischen Zerfalls. Tübingen u. a. 2015. Visoka, Gëzim: Arrested Truth: Transitional Justice and the Politics of Remembrance in Kosovo. In: Journal of Human Rights Practice 8/1 (2016), 62–80. Weine, Stevan M.: When History is a Nightmare. Lives and Memories of Ethnic Cleans­ing in Bosnia-Herzegovina. New Brunswick, N. J. 1999. Welzer, Harald / Moller, Sabine / Tschuggnall, Karoline: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main 2002. Wesselingh, Isabelle / Vaulerin, Arnaud: Raw memory. Prijedor, an »ethnic cleansing laboratory«. London 2005. Wiebelhaus-Brahm, Eric: Truth Commissions and Transitional Societies. The Impact on Human Rights and Democracy. London, New York 2010. Wimmer, Andreas: Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen. Wiesbaden 2005. Zachary, Irwin T.: The Uprising and NATO’s Intervention, 1998–1999. In: Listhaug, Ola / Simkus, Albert A. / Ramet, Sabrina P. (Hg.): Civic and Uncivic Values in Kosovo. History, Politics, and Value Transformation. Budapest 2015, 93–118.

Internet Agencija za statistiku Bosne i Herzegowine: Preliminarni rezultati, URL: http://www. bhas.ba/obavjestenja/Preliminarni_rezultati_bos.pdf (am 15.01.2016). Ahmetaj, Nora: The President Must Be Careful When Establishing  a Truth and Reconciliation Commission. 28.02.2017. URL: https://kosovotwopointzero.com/ en/president-must-careful-establishing-truth-reconciliation-commission/ (am 09.05.2019). Dies.: The Truth About Many Disappeared Persons is Still a Long Way Off. 30.08.2017. URL: https://kosovotwopointzero.com/en/truth-many-disappeared-persons-stilllong-way-off/ (am 09.05.2019). Ahmetašević, Nidžara: Ženska strana pravde, URL: http://www.zenskisud.org/pdf/ Nidzara_Ahmetasevic_bhs.pdf (am 27.07.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Internet 

381

Dies.: Bosnia’s Unending War. The New Yorker vom 04.11.2015. URL: http://www.new​ yorker.com/news/news-desk/bosnias-unending-war (am 10.12.2015). Anima Kotor: Regionalni susret svjedokinja na Ženskom sudu u Banji Koviljači, URL: http://www.animakotor.org/index.php/novosti/498-regionalni-susret-svjedo​k injana-zenskom-sudu-u-banji-koviljaci (am 28.07.2016). APA: Ex-General Gotovina wird Ehrenbürger von Split. Der Standard vom 24.11.2012. URL : http://derstandard.at/​1353207126074/Ex-General-Gotovina-wird-​E hren​ buerger-von-Split (am 01.06.2017). Ball, Patrick / Tabeau, Ewa / Verwimp, Philip: The Bosnian Book of Dead: Assessment of the Database, URL: http://www.hicn.org/wordpress/wp-content/uploads/2012/07/ rdn5.pdf (am 17.06.2007). Bajtarević, Mirsad: Abandoned by the State: Bosnia’s Wartime Torture Victims. 06.05.2019. URL: https://balkaninsight.com/2019/05/06/abandoned-by-the-statebosnias-wartime-torture-victims/ (am 10.05.2019). Barbarić, Diana: Predstavljena knjiga prve predsjednice udruge Bedem ljubavi. Slobodna Dalmacija vom 14.10.2013. URL: http://www.slobodnadalmacija.hr/ scena/kultura/clanak/id/215024/predstavljena-knjiga-prve-predsjednice-udrugebedem-ljubavi (am 22.08.2016) Batajnica Memorial Initiative: URL: http://www.batajnicamemorialinitiative.org/sr/ inicijativa (am 30.03.2017). Becker, Tobias: Geschichten aus dem Balkankrieg. SPIEGEL vom 13.04.2015. URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/residenztheater-the-dark-ages-von-milorau-im-marstall-a-1028171.html (am 01.01.2016). Bojović, Želimir: Sve žrtve zločina isto osećaju, Radio Slobodna Evropa vom 13.02.2008. URL: http://www.slobodnaevropa.org/a/977628.html (am 24.09.2016). Brenner, Manuela: Wem gehören die Nationalhelden des Zweiten Weltkrieges? vom 07.07.2015, URL: http://erinnerung.hypotheses.org/387 (am 07.01.2016). Buckley-Zistel, Susanne: Transitional Justice, Handreichung. Plattform Zivile Konfliktbearbeitung 2007. URL: www.konfliktbearbeitung.net/downloads/file889.pdf (am 04.9.2017). Centar za Demokratiju i Tranzicionu Pravdu: Saobštenje, URL: http://cdtp.org/ saopstenje-17-4-2015/ (am 07.01.2016). Centar za Nenasilnu Akciju: Film »Traces«, URL: http://nenasilje.org/en/onlinecinema/film-tragovi-2004/ (am 02.05.2017). Documenta: Documenting Human Losses in Croatia during the War 1991–1995, URL: http://www.documenta.hr/en/dokumentiranje-ljudskih-gubitaka.html (am 21.07.2016). Documenta: Osobna sjećanja na ratove i druge oblike političkog nasilja od 1941. godine do danas: Milena Perčin. URL: http://www.osobnasjecanja.hr/video-arhiva/ milena-percin/ (am 26.05.2017). Documenta: Osobna sjećanja na ratove i druge oblike političkog nasilja od 1941. godine do danas, URL: http://www.osobnasjecanja.hr/ (am 22.07.2016). Documenta: Project Partners, URL: http://www.croatianmemories.org/en/projectpartners/ (am 22.07.2016). Documenta: Snimanje osobnih sjećanja na rat metodom usmene povijesti, URL:​

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

382

Quellen- und Literaturverzeichnis

http://www.documenta.hr/hr/snimanje-osobnih-sje%C4%87anja-na-rat-metodomusmene-povijesti.html (am 22.07.2016). Džidić, Denis: ICMP Seeks to Help Families of Missing, URL: http://www.balkaninsight. com/en/article/icmp-seeks-to-help-families-of-missing-persons (am 23.10.2015). European Stability Initiative: Kosovo, URL: http://www.esiweb.org/index.php?lang​ =de&id=44 (am 20.10.2015). Dass.: Montenegro  – Wildes, schönes Land. URL: http://www.esiweb.org/index. php?lang=de&id=311&film_ID =1&slide_ID =3 (am 15.05.2017). Fond za Humanitarno Pravo: Arhiva Fonda za humanitarno pravo, URL: http://www. hlc-rdc.org/?page_id=17468&lang=en (am 16.03.2016). Dass.: O nama – Fond za humanitarno pravo / Humanitarian Law Center / Fondi për të Drejtën Humanitare, URL: http://www.hlc-rdc.org/?page_id=14390 (am 18.03.2014). Gruhonjić, Dinko / Dikić, Mirjana: Ex-jugoslawische Veteranen im Frieden vereint. Deutsche Welle vom 23.12.2010. URL: http://www.dw.com/de/ex-jugoslawischeveteranen-im-frieden-vereint/a-14​730006 (am 08.03.2017). Haxhiaj, Serbeze: Can Kosovo’s Wartime Truth Commission Achieve Reconciliation? 27.06.2018. URL: https://balkaninsight.com/2018/06/27/can-kosovo-s-wartimetruth-​commission-achieve-reconciliation-06-25-2018/ (am 09.05.2019). Helsinški odbor za ljudska prava u Republici Srpskoj / Helsinki Committee for Human Rights in Republika Srpska, URL: http://helcommrs.org/sr/index.php/o-nama/​ profil (am 04.05.2017). HKV: U Hvaru predstavljen zbornik »Hrvatski mučenici i žrtve iz vremena komuni​ stičke vladavine«, URL: http://www.hkv.hr/vijesti/jugo-ostavtina/16556-bogovickomisija-posjeduje-popis-na-kojem-je-260-000-osoba.html (am 20.07.2016). Holdstock, Nick: The Yugosphere – A Useful Concept? 31.10.2011. URL: http://www. citsee.eu/blog/yugosphere-useful-concept (am 09.09.2017). Hrvatski memorijalno-dokumentacijski centar Domovinskoga rata, URL: http://centar​ domovinskograta.hr/?page_id=1080 (am 22.08.2016). Humanitarian Law Center: Human Losses Suffered by Serbia and Montenegro (SRJ), URL: http://www.recom.link/ljudski-gubici-u-srbiji-i-crnoj-gori/ (am 17.05.2017). International Commission for Missing Persons (ICMP): Srebrenica: No Room for Revisionism. URL: https://www.icmp.int/press-releases/srebrenica-no-room-for-revi​ sionism/ (am 11.04.2019). ICMP : Authorities Will Sustain Search for the Missing, URL: http://www.icmp.int/​ ?story=authorities-will-sustain-search-for-the-missing (am 05.01.2016). ICMP : EU Supports ICMP Program in Kosovo, URL: http://www.icmp.int/news/eusupports-icmp-program-in-kosovo/ (am 23.10.2015). ICMP : Effort to Account for the Missing Must Continue, URL: http://www.ic-mp.org/ news/effort-to-account-for-the-missing-must-continue/ (am 28.06.2015). Ilić, Dejan: The Yugoslav Truth and Reconciliation Commission. 23.04.2004. URL: http://www.eurozine.com/articles/2004-04-23-ilic-en.html (am 08.06.2016). Institute for Integrated Transitions: URL: http://www.ifit-transitions.org/ (am 27.03.2019). Integra: About ›People and Memories Talk‹, URL: http://peopleandmemories.org/en/# (am 25.07.2016). International Center for Transitional Justice: URL: http://ictj.org (am 05.12.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Internet 

383

International Institute of Political Murder: The Dark Ages, URL: http://internationalinstitute.de/wp-content/uploads/20150116_Pressemappe_The-Dark-Ages.pdf (am 01.01.2016). Jukić, Elvira M.: Disputes Delay Publication of Bosnia Census, URL: http://www. balkaninsight.com/en/article/political-disputes-delay-publication-of-bosnia-s-​ census-results (am 05.01.2016). Jurčević, Petra: REK(TUM)OM: Kontroverzni Jugonostalgičari, ili hrvatski intelektualci? URL: www.hrsvijet.net (am 11.08.2017). Komarčević, Dušan: U Batajnici grobnica bez obeležja, zločinci bez kazne. Slobodna Evropa vom 30.03.2016. URL : http://www.slobodnaevropa.org/a/u-batajnicigrobnica-bez-obelezja-zlocini-bez-kazne/27642707.html (am 30.03.2017) Kosovo Agency of Statistics, URL: http://ask.rks-gov.net/eng/ (am 21.01.2016). Kosovo Oral History Initiative, URL: http://oralhistorykosovo.org/about-us/ (am 25.07.2016). Kosovo Oral History Initiative: Below the Radar, URL: http://oralhistorykosovo.org/ below-the-radar-memories-of-the-second-world-war/ (am 25.07.2016). Kosovo Specialist Chambers and Specialist Prosecutor’s Office, URL: https://www. scp-ks.org/en (am 09.05.2019). Kostovicova, Denisa / Sokolić, Ivor / Pashkalis, Tom / Milić, Nela: Text Illuminations: From the Method to the Artefact. URL: https://blogs.lse.ac.uk/government/2018/​ 11/28/text-illuminations-from-the-method-to-the-artefact/ (am 03.07.2019). Kostovicova, Denisa; Sokolić, Ivor: Reconciliation as Activity. Opportunities for Action. Policy Brief. London June 2018. URL: https://artreconciliation.org/wpcontent/uploads/sites/181/2018/07/Reconciliation-as-Activity-Opportunities-forAction.pdf (am 03.07.2019). Kovačević, Danijel: Bosnian Serb MPs Annul Report Acknowledging Srebrenica. 14.08.2018. URL: https://balkaninsight.com/2018/08/14/bosnian-serb-mps-annulreport-ack​nowledging-srebrenica-08-14-2018/ (am 22.03.2019). Krüger, Anne K.: Transitional Justice. In: Docupedia Zeitgeschichte, 25.01.2013. URL: https://docupedia.de/zg/Transitional_Justice (am 08.04.2019). Leadership Development Programme, URL: http://balkanfund.org/programme-areas/ experiencing-europe/leadership-development-programme/ (am 05.06.2015). Lućić, Predrag: Jugoslavija je bila naša EU  – sanjali su je najbolji,  a srušili najgori, URL: http://www.6yka.com/novost/117800/predrag-lucic-jugoslavija-je-bila-nasaeu-sanjali-su-je-najbolji-a-srusili-najgori (am 07.09.2017). Maksimović, Dragan: NSRS: Povući izvještaj Komisije o Srebrenici. URL: https://​ www.dw.com/bs/nsrs-povu%C4%87i-izvje%C5%A1taj-komisije-o-srebrenici/​a-​ 45081221 (am 10.04.2019). Max Planck Foundation for International Peace and the Rule of Law: Transitional Justice and Reconciliation in Bosnia and Herzegovina. URL: http://www.mpfpr.de/ projects/country-based-projects/bosnia-and-herzegovina/ (am 09.05.2019). Memory Lab: URL: http://www.memorylab-europe.eu/ (am 05.06.2015). Milekić, Sven: »Mračno doba« rata u BiH pretočeno u dramu. BIRN vom 03.11.2015. URL: http://www.balkaninsight.com/rs/article/mra%C4%8Dno-doba-rata-u-bihpreto%C4%8Deno-u-dramu-11-02-2015 (am 04.11.2015)

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

384

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ders.: Croatia: Living the Past, Not Confronting It. 11.07.2016. URL: http://erinnerung. hypotheses.org/827#more-827 (am 26.7.2016). Minor, Elizabeth: ORG in Conversation: Mirsad Tokača and Truth Seeking, Truth Telling and Truth Keeping in Bosnia. URL: http://www.oxfordresearchgroup.org. uk/publications/other_media/org_conversation_truth_seeking_truth_telling_​ and_truth_keeping_bosnia (am 13.03.2014). Mirovna Akcija: URL: http://mirovnaakcija.org/za-nas/ (am 25.07.2016). Mirovna Akcija: Dealing With the Past of War of 2001 in Republic of Macedonia. URL : http://mirovnaakcija.org/dealing-with-the-past-in-macedonia-in-200809/ (am 25.07.2016). Mirovni Institut: The Erased. URL: http://www.mirovni-institut.si/izbrisani/en/ about-the-project/ (am 05.08.2015). Mirovni Institut: Press Release on the Judgment of the Grand Chamber of the European Court of Human Rights. URL: http://www.mirovni-institut.si/izbrisani/en/ press-release-on-the-judgment-of-the-grand-chamber-of-the-european-court-of-​ human-rights/ (am 02.08.2017). Nießer, Jacqueline: Nemoj mi samo o miru i ljubavi! Versöhnung als Tabu auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien? 2013. URL: http://www.kakanien.ac.at/beitr/​ re_visions/JNiesser1.pdf (am 12.03.2014). Odsjek za filozofiju Filozofskog fakulteta Sveučilišta u Zagrebu: Prof. dr. sc. Žarko Puhovski, red. prof., URL: http://www.ffzg.unizg.hr/filoz/nastavnici/zarko-puhovski/ (am 24.04.2014). Oral History in Bosnia and Herzegowina. URL: http://www.bosnianmemories.org/ (am 22.07.2016). Pavelić, Boris: Croats Celebrate Acquittal of Gotovina and Markac, 16.11.2012. URL: http://www.balkaninsight.com/en/article/croatians-celebrate-acquittal-ofgotovina-and-​markac (am 17.12.2015). Pavićević, Borka: Bogujevci / v izuelna istorija, 20.12.2013, URL: http://www.danas. rs/danasrs/kolumnisti/bogujevcivizuelna_istorija.887.html?news_id=273258 (am 06.09.2017). Pešćanik: Dva pisma. URL: http://pescanik.net/dva-pisma/ (am 06.05.2017). Radio-televizija Srbije: Nataša Kandić osuđena za klevetu Nikolića. 05.02.2009. URL: http://www.rts.rs/page/stories/sr/story/135/Hronika/42799/Nata%C5%A1a+Kan di%C4%87+osu%C4%91ena+za+klevetu+Nikoli%C4%87a.html (am 05.03.2014). Radović, Sanja: Lazar Stojanović Collection. URL: http://courage.btk.mta.hu/courage/ individual/n13637 (am 10.8.2017). Regional Cooperation Council. URL: http://www.rcc.int/ (am 07.9.2017). Regional Youth Cooperation Office of the Western Balkans, URL: https://ryco​ westernbalkans.org/ (am 28.08.2017). Right Livelihood Award: Right Livelihood Award Laureates. URL: http://www.right​ livelihood.org/kruhonja.html (am 23.04.2014). Ristić, Marija / Prusina, Jovana / Milekić, Sven: Report: After the ICTY. Accountability, Truth and Justice in the Former Yugoslavia. URL: http://birn.eu.com/wp-content/ uploads/2018/12/After-the-ICTY-Report-2018.pdf (am 15.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Internet 

385

Ristić, Marija: Serbia PM Shows up at Kosovo Massacre Exhibition, 19.12.2013. URL: http://www.balkaninsight.com/en/article/kosovo-art-show-opens-in-belgradeamid-​protests (am 18.09.2015) Dies.: Serbia Welcomes Freed Yugoslav Army War Criminal, 12.03.2015. URL: http:// www.balkan ​i nsight.com/en/article/yugoslav-army-war-criminal-arrives-toserbia-12-03-2015 (am 21.01.2016). Dies.: The Hague to Host New Kosovo War Court, 15.01.2016. URL: http://www.​ balkaninsight.com/​en/article/kosovo-court-to-be-established-in-the-hague- ​01-​ 15-2016 (am 21.01.2016). Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa, Die Stiftung. URL: http://schwarzkopf-stiftung. de/about/die-stiftung/ (am 12.04.2017). Sebastian, Tim: Brnabić: »Verbrechen von Srebrenica war kein Genozid«. Deutsche Welle vom 15.11.2018. URL: https://www.dw.com/de/brnabi%C4%87-verbrechenvon-srebrenica-war-kein-genozid/a-46314368 (am 11.04.2019). Sense Tribunal: Kada su i zašto muslimani napustili Prijedor? URL: http://www.senseagency.com/tribunal_(mksj)/kada-su-i-zasto-muslimani-napustili-prijedor.25. html?​news_id=16354 (am 08.03.2017). Simonović, Marko: Odakle su deca porodice Bogujevci? Peščanik vom 01.01.2014. URL: http://pescanik.net/odakle-su-deca-porodice-bogujevci/ (am 16.10.2015). Subotić, Jelena: The need to confront the past. URL: http://www.recom.link/the-needto-confront-the-past/ (am 03.06.2015). Šimić, Goran: Transitional Justice Strategy for Bosnia and Herzegovina. URL: http:// www.transconflict.com/2013/05/transitional-justice-strategy-for-bosnia-and-herze​ govina-an-overview-235/ (am 09.05.2019). Tanjug: Beograd: Porodice traže hitne ekshumacije i identifikacije žrtava. URL: http://www.novosti.rs/vesti/naslovna/dosije/aktuelno.292.html:357088-BeogradPorodice-traze-hitne-ekshumacije-i-identifikacije-zrtava (am 09.03.2017). Tanjug: Vučić: Podržaćemo osnivanje REKOM-a. BLICOnline vom 06.07.2015. URL: http://www.blic.rs/vesti/politika/vucic-podrzacemo-osnivanje-rekom-a/cr​l m​2ty (am 08.01.2016). TED* Prishtina: Saranda Bogujevci: Why I choose to relive my family’s massacre, 11.10.2014. URL: https://www.youtube.com/watch?v=nTj78ZYm978 (am 26.09.2015). Traynor, Ian: In Cold Blood. The Guardian vom 10.07.2003. URL: http://www. theguardian.com/world/2003/jul/10/warcrimes.balkans (am 26.09.2015). Ugrešić, Dubravka: To Be Yugoslav Now Requires a Footnote, 12.11.2012. URL: http:// www.balkan​insight.com/en/article/to-be-yugoslav-now-requires-a-footnote (am 19.03.2015). UN News Centre: UN officials recall ›horror‹ of Srebrenica as Security Council fails to adopt measure condemning massacre. URL: http://www.un.org/apps/news/story. asp?NewsID =51359 (am 09.01.2016). Unger, Thomas / Stappers, Marlies: How the Balkans Summit Failed on Truth and Justice, 16.06.2018. https://balkaninsight.com/2018/07/16/how-the-balkans-summitfailed-on-truth-and-justice-07-13-2018/ (am 03.06.2019).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

386

Quellen- und Literaturverzeichnis

United States Institute for Peace: Truth Commission Digital Collection. URL: https:// www.usip.org/publications/2011/03/truth-commission-digital-collection (am 04.09.2017). Vankovska, Biljana: Reconciliation and Agitation in Macedonia: Success or Failure of the RECOM initiative? URL: http://blog.transnational.org/2014/01/reconcilia​ tion-and-agitation-in-macedonia-success-or-failure-of-the-recom-initiative/ (am 12.08.2017). Vezić, Goran / Dikić, Mirjana: Knin: Im Krieg umkämpft  – im Frieden vergessen? Deutsche Welle vom 06.08.2009. URL: http://www.dw.com/de/knin-im-kriegumk%C3%A4mpft-im-frieden-vergessen/​a-4547010 (am 29.05.2017). Vukojević, Vice: Biskup Bogović preuzeo na sebe veliku obvezu. URL: http://www. dnevno.hr/kolumnisti/biskup-bogovic-preuzeo-na-sebe-veliku-obvezu-78218 (am 18.07.2016). Western Balkans Summit Poznań: Chair’s conclusions. URL: https://www.premier.gov. pl/mobile/en/news/news/western-balkans-summit-poznan-chairs-conclusions. html (am 08.07.2019). Žene u crnom: Izveštaji, bilteni-2017. URL: http://www.zenskisud.org/2017.html (am 12.04.2019). Žene u crnom: Ženski sud  – feministička pravda. Sudsko vijeće. Preliminarne odluke i preporuke. URL: http://www.zenskisud.org/pdf/2015/Zenski_sud_Prelimi​ narne_odluke_o_preporuke.pdf (am 27.07.2016). Ženska Memorija: Bedem ljubavi. URL: http://www.women-war-memory.org/index. php/hr/povijest/raskol-zenske-scene/74-bedem-ljubavi (am 22.08.2016).

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Personenregister Agić, Semka  293 Ahmetaj, Nora  246–248, 297–299, 351 Alić, Fikret  114 Almhofer, Werner  253 Alvir, Liljana  228, 233, 304 Antić, Miloš  268 Arsenijević, Damir  294 Ashdown, Paddy   172 Ashton, Catherine  150 Babić, Milan  284 Berić, Jovan  288, 303 f. Bickford, Louis  19, 56, 59 Biserko, Sonja  181, 281 f. Bobanović, Radoslav  287 Bobaš, Finka  293 Bodiroga, Nada  139 Bogujevci Llugaliu, Nefise  119 Bogujevci, Fatos  102–105, 109, 119, 148 f., 154 f. Bogujevci, Genc  104 f., 119 Bogujevci, Jehona  105, 119, 148 f. Bogujevci, Lirije  105, 119 f. Bogujevci, Nora  104, 109, 119 Bogujevci, Safet  115 Bogujevci, Sala  109, 115, 119 Bogujevci, Saranda  80, 102–115, 117–122, 124 f., 128, 138 f., 148–159, 164–167, 257 f. Bogujevci, Shefkate  103, 119 Bogujevci, Shehide  119 Bogujevci, Shpend  109, 119 Bogujevci, Shpetim  104, 109, 119 Boraine, Alex  19, 59, 61, 177–179, 206 Borojević, Dragan  124 Božanić, Olgica  242 Bulić, Ibro  302 Čavić, Dragan  173 Čermak, Ivan  136

Curić, Tamara  224 Cvjetan, Saša  107 f., 120–124 Dabić, Nada  268 Dačić, Ivica  150–154 Danielsson, Christian  328 Daskalovski, Židas  323 Del Ponte, Carla  221 Demirović, Dejan  149 Deverdžić, Miško  240 Dimitrijević, Vojin  178 Đinđić, Zoran  108, 121, 123, 179, 181 Dodik, Milorad  173 f. Đorđević, Vlastimir  154 Drakulić, Slavenka   319 Dronjić, Ranko   91, 98 Đukić, Željko  124 Duraković, Smail  241 Duratović, Mirsad  128 Duriqi, Albin  119 Duriqi, Arber  119 Duriqi, Dafina  119 Duriqi, Enver  103 f., 109, 119, 244 Duriqi, Fitnete  119 Duriqi, Isma  119 Duriqi, Mimoze  119 Finci, Jakob  170 f., 277 Freeman, Mark  57, 59, 206, 211 f., 215, 222, 227 Frljić, Oliver  319 Gajica, Ratko  286 Galić, Stanislav  143 Gashi, Bekim  240 Gashi, Selman  103 Gashi, Shukrije  258 Gotovina, Ante  135 f., 284, 316 Graovac, Igor  227 Grebo, Zdravko  296, 319

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Personenregister

388 Gruhonjić, Dinko  292, 319 Hayner, Priscilla B.   19, 55–60, 63, 65 f., 69, 116, 173, 206 Hopovac, Ismet  92 Husanović, Jasmina   294 Ibrahimefendić, Teufika  268 Ibrahimović, Semir  110, 257 Idrizi, Valdete  253, 296 Ivanišević, Bogdan  258, 315 Ivanov, Gjorge  320 Izetbegović, Alija  100 Jakovčić, Eugen  276 Jashari, Adem  149 Jashari, Osman  244 Jergović, Miljenko   319 Jokić, Miodrag  270 Josipović, Ivo  135, 302, 304, 307, 320 Jujuć, Dragica  98 Jujuć, Emir  98 Jujuć, Erna  98 Jurčević, Marinko  221 f. Jurela, Zlata  240 Kandić, Nataša  15, 26, 82, 102, 108 f., 112, 115, 122–124, 161–163, 166, 219, 199–203, 205–207, 210–212, 214–217, 223 f., 227, 235, 240 f., 243 f., 249–254, 260–262, 264–268, 273, 280 f., 292– 297, 302, 314 f., 318 f., 326 f., 339, 345, 348, 350 Karadžić, Radovan  145 Karlica, Zdravka  244 f. Karlica, Zoran  244 Karup-Druško, Dženana  296–298, 309, 319 Kelmendi, Nekibe  253 Komšić, Željko  321 Kosor, Jadranka  226 Koštunica, Vojislav  58, 177–181, 185, 192, 217, 221, 338 f. Kovačević, Vladimir  270

Kovačić, Mirko  240 Kritz, Neil  19, 34, 170Krivokapić, Ranko  266, 300 Krstić, Đorđe  241 Krstić, Štefica  243 Kulagljić, Amir  306 f. Kumar, Korin  189 Lazarević, Vladimir  153 Letić, Aleksandra  277–280, 320 Levar, Vesna  303 f. Llugialiu, Fezdrije  104, 119 Lovrić, Marija  303 f. Lučić, Mario  271–273 Lućić, Predrag  356 Maliqi, Agon  237 Marić, Čedomir  231 f. Markač, Mladen  136, 316 Marković, Zorica  292 f. Martić, Milan  284 Mazalica, Duško  224 Medić, Dragan (»Skorpion«)  122, 124 Medić, Dragan (Kriegsopfervertreter)  248 Medić, Slobodan  122–124 Mekina, Igor  319 Meron, Theodor  136 Mesić, Stjepan (Stipe)  226, 302, 304 Milošević, Dragomir  143 Milošević, Slobodan  100, 108, 121 f., 145, 150, 162, 177, 199 f., 217, 247, 339 Mirel, Pierre  328 Mišanović, Narcis  243, 350 Mitrović, Sanja  143 f. Mladić, Ratko  174, 244, 317, 342 Musić, Ado  96 Musić, Halida  98 Musić, Husin  98 Musić, Sudbin  80–101, 111–114, 117, 125–135, 137–148, 152, 159–167, 240, 265, 309

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Personenregister

Musić, Sudbina  98 Mustafić, Dino  224, 296, 319 Nazor, Ante  228, 308 Nikolić, Radan  267 Nikolić, Tomislav  200, 321 Pamuković, Nela  300 Pandža, Ivan  232 f. Papić, Žarana  189 Parvenić, Kemal  128 Pašović, Haris  223, 225 Patel, Paresh  149 Patko, Manda  257 Pavić, Ljerka  229–231 Pavićević, Borka  153 f. Pavlović, Koča  269 f. Pejović, Slobodan  241 Perčin, Milena  288–290 Perović, Latinka  178 Petrović, Jelena   294 Pjevač, Dragan  304 Pjevač, Đukan   240 Popović, Srđan  251 Proročić, Mladen  273 Pšenica, Ivan  304 Puhovski, Žarko  15, 202 f., 206, 212, 214 f., 229 f., 232–234, 319 Qerkini, Bajram  256 f. Radević, Milena  257 Radulović, Branislav  326 f. Ramulić, Edin  81, 128, 255, 280, 282, 295 Rau, Milo  141, 146 Reeve, Roy  253 Reiger, Caitlin  222 Ristivojević, Branislav  315 Rogova, Igo  266 Rosandić, Julijana  232 f. Rudić, Borka  296 Sabo, Žejlko  303 Schomburg, Wolfgang  222

389 Šeatović, Marica  257 Šehić, Vehid  282 Sejdiu, Fatmir  253 Seksan, Vedrana  142 f., 146 Šešelj, Vojislav  162 Shabani, Agron  102, 257 Šijan, Slobodan  315 f. Slapšak, Svetlana   26 Šolaja, Miodrag  124 Spasić, Simo  255 Špicer, Dan  237 Stakić, Milomir  129 Stojanović, Branimir  294 Stojanović, Lazar  223, 294, 310, 314, 316, 346 Stojanović, Svetozar  179 Stoparić, Goran  122–124, 268 Strugar, Pavle  270 Svilanović, Goran  177 Szajder, Slobodan  319 Tadić, Boris  201 Tarčulovski, Johan  322 f. Teršelić, Vesna  190, 204 f., 215 f., 230– 233, 235, 240 f., 260, 290, 300, 302 f., 307, 318, 346 Thaçi, Hashim  150, 184 f., 192, 338 Todorović, Branko  277–282, 291, 295, 320 Todorović, Dragoljub  120, 123 Tokača, Mirsad  171, 202, 205 f., 208–210, 212 f., 215 f., 236, 239–242, 254, 260–264, 295, 297 Toma, Marijana  315 Tomić, Milica  294 Trbić, Jusuf  241, 267 Trifković, Dobrinka  243 Trifunović, Aleksandar  280 Tuđman, Franjo  100, 344 Tutu, Desmond  60 Uljarević, Daliborka  266 Van Zyl, Paul  59, 206

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0

Personenregister

390 Vankovska, Biljana  319 f., 322 f. Važić, Siniša  321 Večerina, Marija   240 Veliu, Xhafer  257 Vitor, Obren  240 Vučić, Aleksandar  161 f. Vujanović, Filip  319

Vuković, Duško  319 Walmsley, James  148 Zec, Milan  270 Žilnik, Želimir  292, 294, 300, 346 Zvizdić, Nuna  232

© 2020 Vandenhoeck & Ruprecht | Brill Deutschland GmbH https://doi.org/10.13109/9783666310904 | CC BY-NC-ND 4.0