Die logische Form von Kopula-Sätzen 9783050082271, 9783050038643

Diese Untersuchung handelt von sein – dem, laut Grimm'schem Worterbuch, "allgemeinsten und farblosesten aller

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German Pages 250 [252] Year 2003

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Die logische Form von Kopula-Sätzen
 9783050082271, 9783050038643

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Claudia Maienborn Die logische Form von Kopula-Sätzen

studia grammatica Herausgegeben von Manfred Bierwisch unter Mitwirkung von Hubert Haider, Stuttgart Paul Kiparsky, Stanford Angelika Kratzer, Amherst Jürgen Kunze, Berlin David Pesetsky, Cambridge (Massachusetts) Dieter Wunderlich, Düsseldorf

studia grammatica 56

Claudia Maienborn

Die logische Form von Kopula-Sätzen

Akademie Verlag

ISBN 3-05-003864-0 ISSN 0081-6469 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2003 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into another languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: Primus Solvere, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

9

1

Einleitung

11

2

Grammatische Standortbestimmung: Kopula-PrädikativKonstruktionen

19

2.1

Die klassische Kopula-Analyse

19

2.2

Anmerkungen zur Syntax von Kopula-Konstruktionen

22

2.3

Kopula-Prädikativ-Konstruktionen im davidsonschen Paradigma...

25

2.3.1 Die Kopula als Quelle für das Situationsargument

26

2.3.2 Das Prädikativ als Quelle für das Situationsargument: die Stadien/Individuen-Distinktion

29

3

4

Ontologische Standortbestimmung: Situationen im davidsonschen Paradigma

42

3.1

Ereignisse als ontologische Grundkategorie

43

3.2

Subtypen von Situationen: die Vendler-Klassifikation

49

3.3

Zwei Arten von Zustandsausdrücken

54

3.3.1 Lakoffs Stativitätstests und was sie (nicht) zeigen

57

3.3.2 Prozess- vs. Zustandsausdrücke: weitere Diagnostiken

59

3.3.3 Zwei Arten von Zustandsausdrücken: weitere Diagnostiken.

61

Evidenzen gegen den Situationsbezug von Kopula-Sätzen

64

4.1

Komplemente von Perzeptionsverben

64

4.1.1 Infinitiv-Komplemente

64

Inhalt

4.2

4.3

4.4

4.1.2 Prädikative XPs

69

4.1.3 Fazit

74

Kombination mit lokalen Modifikatoren

75

4.2.1 Typen lokaler Modifikatoren

76

4.2.2 Rahmensetzende Modifikatoren

82

4.2.3 Situationsbezogene Modifikatoren

84

4.2.4 Fazit

85

Kombination mit Manner-Angaben

88

4.3.1 Manner-Adverbien & Co

88

4.3.2, Bedeutungsanpassungen bei Manner-Angaben

90

4.3.3 Situationsdiagnostik ein bisschen

100

4.3.4 Fazit

103

Wertung der Befunde

105

Semantik der Kopula 5.1 5.2

5.3

5.4

5.5

III

Anaphorische Bezugnahme auf zugrunde liegende Referenten in Kopula-Sätzen

III

Kim'sehe Zustände

116

5.2.1 Exemplifikationen von Eigenschaften

116

5.2.2 K-Zustände, Situationen und Fakten

117

5.2.3 K-Zustände als abstrakte Objekte

120

Die logische Form der Kopula sein

123

5.3.1 Logische Form und DRT

123

5.3.2 Kopula und K-Zustände

125

5.3.3 Konsequenzen

132

Die logische Form von ier und eitor

135

5.4.1 Daten und Beobachtungen

136

5.4.2 Erklärungsansätze

140

5.4.3 Situationsbezug von ser und estar

151

5.4.4 Ein pragmatischer Erklärungsansatz

157

Fazit

174

Inhalt

6

7

Pragmatik der Kopula

178

6.1

Temporaritätseffekt

178

6.1.1 Rekapitulation

178

6.1.2 Q-Prinzip und I-Prinzip im OT-Rahmen

179

6.1.3 OT-Rekonstruktion des Temporaritätseffekts

186

Agentivitätseffekt

193

6.2.1 Rekapitulation

193

6.2.2 Rothstein (1999): Semantische Unterbestimmtheit der Kopula

196

6.2.3 Optimale Uminteφretation

205

Fazit

216

6.2

6.3

7

Die Kopula und die Arbeitsteilung zwischen Grammatik und Pragmatik — eine Bilanz 219

Literaturverzeichnis

225

Personenindex

240

Sachindex

243

Vorwort

Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Juni 2002 von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Auf dem Weg dorthin habe ich von sehr vielen Menschen wertvolle Unterstützung erfahren. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Meine Beschäftigung mit der Frage des Situationsbezugs von Kopula-Konstruktionen war eingebunden in Ewald Langs Kopula-Projekt am ZAS und hat dabei insbesondere profitiert von der stets stimulierenden Auseinandersetzung mit den parallel entwickelten Vorschlägen von Hannes Dölling und Gerhard Jäger. Eine wichtige Plattform für die Diskussion der hier behandelten Fragen und Analysen bot femer der von Hannes Dölling, Martin Schäfer und Tanja Zybatow seit dem Jahr 2000 regelmäßig organisierte Leipziger Ereignissemantik-Arbeitskreis (Regine E., Markus E., Stefan E., Willi G., Ingrid K., Chris P., Irene R.; die Nachnamen entschlüsseln sich spätestens bei der Lektüre von Kapitel 3). Und schließlich verdanke ich viele Anregungen und Hinweise (auch diesmal wieder) den Gesprächen rriit meinen Berliner Kollegen Manfred Bierwisch, Reinhard Blutner, Werner Frey, Brigitte Handwerker, Ekkehard König, Renate Musan, Sue Olsen, Ben Shaer und Ilse Zimmermann sowie den Gutachtern Veronika Ehrich, Manfred Krifka und Ewald Lang. Bei aller Einbindung in den wissenschaftlichen Diskurs bleibt die Abfassung einer Monographie ein zuweilen zähes Geschäft. Ganz wesentlichen Anteil an der in der Rückschau so reibungslosen Bewältigung hatten zum einen Sabine Krämer, die findig und schnell alle Literaturbesorgungen für mich eriedigt hat, und zum anderen meine Eltern, die mir zum richtigen Zeitpunkt eine Rückzugsmöglichkeit zum ungestörten Arbeiten in nordhessischer Abgeschiedenheit boten, in der sich Unterbrechungen allenfalls durch den regelmäßigen nächtlichen Besuch einer Waschbärenfamilie ergaben. Habilitieren kann idyllisch sein — immer noch.

Berlin, im November 2002

Claudia Maienborn

1 Einleitung

there is a lot of language we can make systematic sense of if we suppose events exist Davidson (1967: 137)

Diese Untersuchung handelt von sein — dem, laut Grimm'schem Wörterbuch, "allgemeinsten und farblosesten aller verbalbegriffe". Sie geht der Frage nach, ob die Kopula sein im Deutschen und ihre Pendants in anderen Sprachen tatsächlich die allgemeinsten Verben sind und uns somit Aufschluss darüber geben können, was es im Kem heißt, ein Verb zu sein. Und sie will ergründen, was es mit der Farblosigkeit der Kopula auf sich hat, inwiefern es etwa berechtigt ist, sein & Co. als (nahezu) semantisch leer zu betrachten, und was daraus folgt für die grammatische Kombinatorik von KopulaKonstruktionen und ihre semantische Inteφretation. Anlass für die vorliegende Studie sind aktuelle Entwicklungen in der Semantik (mit deutlichen Auswirkungen auf die Syntax), die getreu dem obigen Motto den Nutzen von Ereignissen für die Linguistik ausloten. Seit Donald Davidsons (1967) epochemachendem Aufsatz »The logical form of action sentences« werden Ereignisse als Erklärungsgrundlage für immer neue sprachliche Phänomene herangezogen — und dies meist mit Erfolg. Ursprünglich als zusätzliches Argument lediglich für eine Gruppe von Verben (nämlich Handlungsverben) eingeführt, werden Ereignisse, bzw. allgemeiner Situationen (d.h. Ereignisse, Prozesse oder Zustände), bald bei allen Verben angenommen und inzwischen über die Verben hinaus für sämtliche lexikalische Hauptkategorien beansprucht; s. z.B. Higginbotham (2000), Parsons (2000). Einen Einschnitt markiert dabei Angelika Kratzers (1995) Vorschlag, über die An- bzw. Abwesenheit eines Situationsarguments ein unter dem Schlag wort Stadien/Individuen-Distinktion diskutiertes Bündel sprachlicher Phänomene zu erklären. Prädikate, die temporäre bzw. akzidentelle Eigenschaften bezeichnen (= Stadienprädikate), sind demnach mit einem davidsonschen Situationsargument ausgestattet, Prädikate, die permanente bzw. essenzielle Eigenschaften bezeichnen (= Individuenprädikate), nicht. Neuere StadienЛndividuen-Ansätze sehen auch für

12

1 Einleitung

Individuenprädikate Situationsargumente vor und führen die zu erklärenden Phänomene u.a. auf Unterschiede im Umgang mit diesen Situationsargumenten zurück; s. z.B. Chierchia (1995), Higginbotham & Ramchand (1997), McNally (1998), Jäger (1999). Kurz: Davidsons eingangs zitiertes Diktum vom beträchtlichen linguistischen Nutzen einer ontologischen Kategorie der Ereignisse bildet gleichsam das Motto für einen Haupttrend innerhalb der aktuellen Forschung zur Semantik und ihrer Schnittstelle zur Syntax. Die Grundannahme des davidsonschen Paradigmas, dass Situationen — ähnlich wie Objekte — "Dinge" sind, die die Welt bevölkern, dass sie u.a. wahrnehmbar sind und sich zeitlich und räumlich einordnen lassen, hat sich in der Tat als äußerst fruchtbar erwiesen für eine Vielzahl von linguistischen Analysen z.B. in den Bereichen Referenz, Anaphorik, Quantifikation und Modifikation. Für eine Untersuchung zur Semantik von Kopula-Sätzen ist diese Entwicklung aus dem folgenden Grund von Interesse: Wenn es sich so verhält, dass Situationsargumente zentraler Bestandteil und Erkennungszeichen der den lexikalischen Hauptkategorien zugeordneten Prädikate sind, wenn es mit anderen Worten in der Natur von Prädikationen liegt, auf Situationen Bezug zu nehmen, dann ist zu erwarten, dass sich dies bei der Kopula als dem einfachsten und grundlegendsten sprachlichen Mittel zur Herstellung einer selbständigen Prädikation entsprechend niederschlägt. Eine Kopula-Analyse muss dem gegenwärtigen Situationsboom — erkennbar z.B. an der folgenden Feststellung von Raposo & Uriagereka (1995) — Rechnung tragen und bietet sich zugleich als Übeφrüfungsinstanz an. »it is unclear what it means for a predicate not to have a Davidsonian argument.« Raposo & Uriagereka (1995: 182) Die vorliegende Arbeit will klären, wie die Kopula unter den Prämissen des davidsonschen Paradigmas zu behandeln ist, und sie will damit einen Beitrag leisten zum genaueren Verständnis der sprachlichen Bezugnahme auf Situationen. In Umkehrung der von Raposo & Uriagereka (1995) angemahnten Legitimation des Verzichts auf Situationsargumente wird es dabei zunächst darum gehen, ihre Anwesenheit in der logischen Form zu rechtfertigen, mit den Worten von Raposo & Uriagereka (1995) also zu klären, "was es für ein Prädikat bedeutet, ein davidsonsches Argument zu haben". Aus der Auseinandersetzung mit bestehenden Vorschlägen ergeben sich zwei Ausgangsfragen: 1.

Liefern Kopula-Konstruktionen Evidenz für den gegenwärtig beanspruchten Zusammenhang von Prädikation und Situation?

Eine Antwort auf diese Frage beinhaltet eine Stellungnahme dazu, wodurch ein entsprechendes Situationsargument bei Kopula-Konstruktionen eingeführt wird: Ist es die Kopula — und ist es möglicherweise genau das, was sie zum allgemeinsten Verb

1 Einleitung

Π

macht? Oder ist es ihr prädikatives Argument — und die Kopula auch deshalb so farblos! 2.

Verbirgt sich hinter dem Stadien/Individuen-Unterschied eine grundlegende semantische Distinktion, die grammatisch (strukturell und/oder lexikalisch) reflektiert wird?

Wenn auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder klar ist, worauf der Stadien/Individuen-Unterschied genau beruht, noch wie er tatsächlich grammatisch umzusetzen ist, so besteht doch weitgehend Konsens, dass es sich hierbei um ein grammatisch signifikantes semantisches Phänomen handelt. Femald (2000) etwa formuliert diese Grundüberzeugung aktueller Stadien/Individuen-Ansätze so: »Many languages display grammatical effects due to the two kinds of predicates, suggesting that this distinction is fundamental to the way humans think about the universe.« Femald (2000: 4) In einer Sprache wie dem Deutschen mag der Unterschied zwischen einem Stadienprädikat wie müde und einem Individuenprädikat wie blond zwar nicht unmittelbar manifest sein (s. (1)), aber das Spanische etwa — so die gängige Argumentation — hat mit seinen beiden Kopulas estar für Stadienprädikate (s. (2a)) und ser für Individuenprädikate (s. (2b)) lexikalische Mittel, um den Stadien/bdividuen-Unterschied anzuzeigen. Und das unterschiedliche Verhalten von Stadien- und Individuenprädikaten bei der Kombination z.B. mit lokalen Modifikatoren wie in (3) wird als Indiz gewertet, dass auch Sprachen, die keine overte Markierung vorsehen, den StadienAndividuenUnterschied reflektieren und nach geeigneten strukturellen Erklärungen verlangen. (1) a. b.

Heidi ist müde, Heidi ist blond.

(2) a.

Heidi está cansada. Heidi ist müde.

b.

Heidi es rubia. Heidi ist blond.

(3) a. Heidi war in der Disco müde, b. ?? Heidi war in der Disco blond. So weit die beiden Ausgangsfragestellungen und eine erste Kostprobe von Daten, wie sie zu ihrer Beantwortung ins Feld geführt werden. Ich will schon an dieser Stelle vorweg nehmen, dass die Antwort auf beide Fragen negativ ausfallen wird. Ich werde zeigen, dass wenig dafür und sehr vieles dagegen

14

1 Einleitung

spricht, Kopula-Konstruktionen, gleich welcher Ausprägung, mit einem Situationsargument auszustatten, und ich werde argumentieren, dass die Stadien/fodividuenDistinktion eine aus sprachlichen wie außersprachlichen Quellen gespeiste semantische Fata Morgana ist — und so mitnichten "fundamental to the way humans think about the universe". Die Untersuchung von Kopula-Konstruktionen wird in dieser Arbeit zum Anlass genommen, den derzeitigen Umgang mit Situationsargumenten im davidsonschen Paradigma zu hinterfragen und die an die Kategorie der Situationen geknüpften ontologischen und sprachlichen Bedingungen einzufordern. Damit ist kein genereller Verzicht auf Situationsargumente verbunden, wohl aber ein Einspruch gegen ihre willkürliche Inanspruchnahme als "Allzweckmittel" und gegen die damit einhergehende Entleerung des davidsonschen Situationsbegriffs. Die Stärken des davidsonschen Paradigmas — so mein hier vorgetragenes Credo — kommen nur dann wirklich zur Entfaltung, wenn die gegenwärtig zu beobachtende Überstrapazierung von Situationsargumenten zurückgenommen wird. Dabei kann es nicht darum gehen, wieder auf den Stand von Davidson (1967) zurückzufallen und etwa nur den Handlungsverben Situationsargumente zuzugestehen. Für Ereignis- und Prozessausdrücke ist der mit der Annahme von Situationsargumenten verbundene linguistische Nutzen unstrittig. Die Frage, was alles den Situationsausdrücken zuzurechnen ist, betrifft daher primär die Kategorie der Zustände. Hier kann ein Vergleich des sprachlichen Verhaltens von Kopula-Konstruktionen mit Zustandsverben wie in (4) und zuweilen auch als "stativ" bezeichneten Verben wie in (5) Aufschluss über die Grenzen des davidsonschen Situationsbegriffs geben. (4) a. b. c.

Paula sitzt auf der Schaukel. Bardo wartet am Gartentor. Die Schuhe glänzen.

(5) a. b. c.

Emily ähnelt ihrer Mutter. Valentin mag Zuckerwatte. Die Äpfel kosten 4 DM.

Für die Analyse der Kopula ergibt sich aus diesen Überiegungen zur ontologischen Kategorie der Situationen und ihren sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten die neue Aufgabe, den bestehenden situationsbasierten Ansätzen eine angemessene Alternative entgegenzusetzen. Leitend sind dabei die beiden folgenden Fragen: 3.

Was ist die Alternative zum unterstellten Situationsbezug von KopulaKonstruktionen? Welche Rückschlüsse auf den ontologischen Typ eines Referenten eriaubt ihr sprachliches Verhalten?

4.

Wie veriäuft die Arbeitsteilung zwischen Grammatik und Pragmatik bei der Interpretation von Kopula-Konstruktionen?

1 Einleitung

15

Wenn sich die Annahme eines Situationsarguments nicht rechtfertigen lässt, dann ist zum einen zu klären, ob Kopula-Konstruktionen auf eine andere ontologische Kategorie verweisen und wo diese ggf. im ontologischen Spektrum angesiedelt ist. Einen viel versprechenden Ansatzpunkt bietet hierfür Jaegwon Kims (1969, 1976) Verständnis von Ereignissen als Eigenschaftsexemplifikationen, das als Alternative zu Davidsons Ereignisbegriff konzipiert war und als solche innerhalb des davidsonschen Paradigmas mit guten Gründen abgelehnt wird, das aber — verstanden als Ergänzung zu Davidson — für die Analyse etwa von Kopula-Konstruktionen an Attraktivität gewinnt. Zum anderen ist zu prüfen, ob sich für sprachliche Phänomene, die in bestehenden Ansätzen unter Berufung auf grammatische Unterscheidungen erklärt werden, nicht möglicherweise angemessenere pragmatische Erklärungen finden lassen. Zu den Kandidaten zählen die im Stadien/Individuen-Paradigma festgestellten Unterschiede im Zeit- und Raumbezug von Prädikaten, veranschaulicht etwa an dem Beispielpaar (3), ebenso wie die z.B. bei der englischen Progressivform auftretende agentive Deutung der Kopula; vgl. (6). (6) a. b.

John is silly. John is being silly.

Eine ähnliche agentive Deutung liegt auch etwa bei Kopula-Konstruktionen vom Typ (7) nahe. (7) Karin ging zu dem Senatsempfang, war ein bisschen charmant und eilte dann zum nächsten Termin. Vergleichbar zu (6b) wird hier der von Karin an den Tag gelegte Charme nicht als Wesenszug, sondern als zeitweilige Aktivität gedeutet. Generell lässt sich sagen, dass für die Kopula in der Literatur eine Fülle von lexikalischen Mehrdeutigkeiten veranschlagt wird, die angesichts der konstatierten Farblosigkeit bzw. semantischen Leere durchaus verblüfft. Neben der klassischen Distinktion einer prädikativen und einer äquativen Kopula, um die es in dieser Arbeit nur am Rande gehen wird, sind da u.a. die Unterscheidung einer Stadien- und einer Individuenkopula je nach Typ des prädikativen Arguments sowie die Annahme einer agentiven Kopula für Konstruktionen vom Typ (6b). Bei der Postulierung derartiger Ambiguitäten stellt sich die Frage, ob hier nicht Unterschiede ins Lexikon bzw. in die Grammatik veriagert werden, die ihrer Natur nach vielmehr pragmatischen Ursprungs sind bzw. sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren ergeben. Die semantische Leere der Kopula verleitet offenbar dazu, Inteφretationsunterschiede lexikalisch dingfest machen zu wollen. Eine eingehendere Untersuchung von Kopula-Konstruktionen kann hier zu genaueren Einblicken in die Arbeitsteilung von Grammatik und Pragmatik führen.

16

1 Einleitung

Ebendies ist das Anliegen der vorliegenden Arbeit. Sie lotet die Tragfähigkeit einer einheitlichen Kopula-Semantik für die hier illustrierten Fälle aus, in Verbindung mit einer primär diskurspragmatischen Erklärung für die Unterscheidung der spanischen Kopulas ser und estar sowie einer pragmatischen Rekonstruktion des an (3) illustrierten Stadien/Individuen-Unterschieds, den ich als Temporaritätseffekt bezeichnen werde, und des bei (6)/(7) auftretenden Agentivitätseffekts. Den Hintergrund für die Annahmen zur Arbeitsteilung von Grammatik und Pragmatik bildet die von Blutner (1998, 2000) vorgeschlagene optimalitätstheoretische Rekonstruktion konversationeller Implikaturen als zwei konkurrierende, an den jeweiligen Bedürfnissen von Sprecher und Hörer ausgerichtete Ökonomieprinzipien, die es auszubalancieren gilt. Diese gestatten es, bestimmte Inteφretationspräferenzen und -blockaden systematisch herzuleiten und können so zur Entlastung von Lexikon und Grammatik beitragen. Die so weit motivierte Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung bringt einige Einschränkungen im Gegenstandsbereich mit sich: Behandelt wird ausschließlich die Kopula sein im Deutschen bzw. ihre Pendants im Spanischen und Englischen. Eine Anwendung und Ausdehnung der Überlegungen auf die Kopulas werden und bleiben samt ihren Entsprechungen in anderen Sprachen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen werden. Bei der Analyse der Prädikative stehen Fragen des Situationsbezugs sowie des Stadien/Individuen-Unterschieds im Vordergrund. Ich werde keine darüber hinausgehenden Detailuntersuchungen zu einzelnen Prädikativklassen anstellen. Ausgeblendet wird dabei z.B. eine Problematisierung des in vielerlei Hinsicht klärungsbedürftigen Status von DP-Prädikativen (Handelt es sich überhaupt um DPs? Wie erfolgt die Kasusvergabe? Welchen semantischen Beschränkungen unterliegt die Prädikativbildung?). Ausgeklammert bleibt auch eine spezielle Diskussion von Kopula-Konstruktionen mit Partizip Π-Prädikativen, also dem so genannten Zustandspassiv. In der aktuellen Forschung besteht weitgehend Konsens, dass hier eine Adjektivierung des Partizips und damit eine reguläre Kopula-Konstruktion vorliegt; s. z.B. Kratzer (1994, 20СЮ), Rapp (1997, 1998), Wunderlich (1997b), Юе1п (1998). Die gegenwärtig diskutierten Annahmen zu Status, Ort und Voraussetzungen dieser Adjektivierung sind allerdings so kontrovers und ihre theoretischen Implikationen so weitreichend, dass eine angemessene Auseinandersetzung damit den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ich werde deshalb zwar gelegentlich Kopula-Konstruktionen mit Partizip Il-Prädikativen bei der Diskussion der Daten hinzuziehen, auf mögliche Besonderheiten gegenüber anderen Kopula-AP-Konstruktionen aber nicht näher eingehen. Abschließend einige Bemerkungen zu Terminologie, formalem Rahmen, Kennzeichnungspraxis und schließlich zum Aufbau dieser Arbeit: Die bei der Titelgebung sowie im weiteren Verlauf der Arbeit übernommene Redeweise von der "logischen Form" versteht sich als Reverenz an Davidson und meint den strukturellen Anteil an der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke; in Davidsons Worten: »we must uncover enough structure to make it possible to state, for an arbitrary sentence, how its meaning depends on that structure« Davidson (1967: 106)

1 Einleitung

17

Dies schließt neben der kompositional ermittelten semantischen Struktur pragmatisch erzielte Bedeutungsspezifizierungen (soweit strukturell determiniert) mit ein. Die formale Umsetzung der vorgeschlagenen Kopula-Analyse erfolgt im Rahmen der in Asher (1993) entwickelten kompositionalen Variante der Diskursrepräsentationstheorie (DRT; Kamp 1981, Kamp & Reyle 1993) und nutzt die von van der Sandt (1992) vorgeschlagene DRT-Behandlung von Präsuppositionen. Die zugrunde gelegte Kennzeichnungspraxis für die Bewertung sprachlicher Daten ist in (8) angegeben. (Ausgenommen bleiben hiervon aus der Literatur übernommene und anschließend kommentierte Grammatikalitätsurteile.): (8) Kennzeichnung der Bewertung sprachlicher Daten: a. '*': ungrammatisch Der betreffende Satz verletzt Wohlgeformtheitsbedingungen Sprachsystems (inklusive semantische Selektionsbeschränkungen).

des

b. '?': pragmatisch markiert Die/eine Interpretation des betreffenden Satzes ist auf zusätzliche Hintergrundannahmen angewiesen, die Menge der zulässigen Äußerungskontexte damit weiter eingeschränkt. c. '#': Uminteφretation Der betreffende Satz ist ungrammatisch, aber bei geeigneter nichtkompositionaler Anpassung inteφretierbar. d. '?#': pragmatisch markierte Unlinteφretation Der Aufbau der vorliegenden Untersuchung folgt den unter 1 . - 4 . entwickelten Fragestellungen. Die Kapitel 2 und 3 dienen der grammatischen und ontologischen Standortbestimmung. Kapitel 2 bietet einen auf die Frage des Situationsbezugs zugeschnittenen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Semantik und Syntax von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen und resümiert die hier relevanten empirischen Beobachtungen und theoretischen Rekonstruktionen des Stadien/Individuen-Unterschieds. Kapitel 3 rekapituliert die Grundannahmen des davidsonschen Paradigmas zur ontologischen Kategorie der Situationen sowie ihrer Unterscheidung in Ereignisse, Prozesse und Zustände und entwickelt auf dieser Grundlage einen Kriterienkatalog zur Feststellung der sprachlichen Bezugnahme auf Situationen. Kapitel 4 prüft anhand der ausgewiesenen sprachlichen Diagnostiken — dem Verhalten bzgl. Perzeptionsverben, der Kombination mit lokalen Modifikatoren und der Kombination mit verschiedenartigen Manner-Modifikatoren — die Legitimation von Situationsargumenten bei Kopula-Prädikativ-Konstruktionen und zieht zu Vergleichszwecken das entsprechende Verhalten der in (4) und (5) illustrierten Zustandsverben bzw. Stativen Verben heran. Eine Wertung der negativ ausfallenden Befunde zum Situationsbezug von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen erfolgt mit Blick auf die aktuelle Freizügigkeit im Umgang mit Situationsargumenten im davidsonschen Paradigma.

18

1 Einleitung

In den Kapiteln 5 und 6 wird die hier vertretene Alternative zum Situationsbezug von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen entwickelt. Gegenstand von Kapitel 5 ist die Semantik der Kopula. Dies beinhaltet die Юärung des ontologischen Status des Kopula-Referenten sowie dessen lexikalische Verankerung und grammatische Kombinatorik. Der zunächst am Beispiel der Kopula sein entwickelte Vorschlag wird auf die spanischen Kopulas ser und estar ausgedehnt. Damit wird zum einen der Anpassungsspielraum der vorgeschlagenen logischen Form der Kopula bei Sprachen mit weitergehenden Kopula-Differenzierungen ausgelotet. Zum anderen wird mit ser und estar die Rekonstruktion des StadienÄndividuen-Unterschieds unter den hier getroffenen Annahmen thematisiert. Kapitel 6 behandelt die Pragmatik der Kopula. Gegenstand ist die Rekonstruktion von zwei als pragmatisch identifizierten Inteφretationseffekten bei Kopula-Sätzen. Dies sind der für die Präferenz von temporären Eigenschaften in Konstellationen wie (3) verantwortliche Temporaritätseffekt und der für die Deutung eines Kopula-Satzes als Aktivität z.B. bei der englischen Progressivform zuständige Agentivitätseffekt. Die Untersuchung dieser beiden Effekte bietet genauere Einsichten in das Zusammenspiel von Grammatik und Pragmatik bei der Bestimmung von Bedeutungsverengungen und Bedeutungsverschiebungen. Kapitel 7 bilanziert die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit Blick auf den Status von Situationen im davidsonschen Paradigma, die Substanz der Stadien/Individuen-Unterscheidung und die Kopula als dem "allgemeinsten und farblosesten aller verbalbegriffe". Bis dahin sei das davidsonsche Motto probeweise abgewandelt in:

there is a lot of language we can make systematic sense of if we stop misusing events

2 Grammatische Standortbestimmung: Kopula-Prädikativ-Konstruktionen

Dieses Kapitel umreißt die semantische und syntaktische Ausgangslage der vorliegenden Arbeit. Nach einer Skizze der klassischen Kopula-Analyse und einem kurzen Überblick über aktuelle Annahmen zur Syntax der Kopula werden die innerhalb des davidsonschen Paradigmas entwickelten Vorschläge zur Behandlung von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen vorgestellt. Dazu gehört die Rekapitulation der mit der Stadien/Individuen-Unterscheidung in Verbindung gebrachten empirischen Beobachtungen und der gegenwärtig diskutierten Erklärungsversuche.

2.1 Die klassische Kopula-Analyse Gemäß der klassischen Sichtweise in Sprachphilosophie und Linguistik hat die Kopula keinen eigenen semantischen Gehalt; sie ist, in der Redeweise des Grimm'sehen Wörterbuchs, ein ganz und gai farbloser Ausdruck ohne Einfluss auf die Bedeutungskonstitution eines Satzes. Ein Satz wie (1) drückt aus, dass die von der AP bezeichnete Eigenschaft, klug zu sein, auf das Subjekt Luise zutrifft. Die in Logik- und Linguistiklehrbüchem verbreitete logische Form eines Kopula-Satzes ist demzufolge wie in (2) angegeben. Sie resultiert schlicht aus der Anwendung des AP-Prädikats auf den Subjektreferenten. (1)

Luise ist klug.

(2)

KLUG (luise)

Die Kopula ist hier (abgesehen von ihrer Funktion als Trägerin der Finitheitsmerkmale) überflüssig. Viele Sprachen kommen denn auch ohne sie aus; s. z.B. das türkische Pendant z u ( l ) i n (3). (3)

Luise zeki. Luise klug.

20

2 Grammatische

Standortbestimmung

Um einen reibungslosen kompositionalen Bedeutungsaufbau zu gewährleisten, schlägt Partee (1977 vor, die Identitätsfunktion von Eigenschaften als semantischen Beitrag der Kopula anzunehmen; s. (4). Damit ist sichergestellt, dass der Komplex bestehend aus Kopula plus Prädikativ denselben Bedeutungsgehalt hat wie das Prädikativ allein; s. die Anwendung in (5). (4)

sein:

λΡ [P] (mit Ρ vom Typ (e, t»

(5) a.

klug:

λχ [KLUG (χ)]

klug sein:

λΡ [Ρ] (λχ [KLUG (χ)]) Ξ λχ [KLUG (χ)]

b.

(Partee 1977)

Die von Dowty (1979) vorgeschlagene Variante in (6) sieht explizit vor, dass die Kopula ein einstelliges Prädikat sowie ein Individuenargument verlangt und deren Kombination regelt; s. die entsprechende Ableitung der logischen Form für die Kopula-Prädikativ-Konstniktion in (7). (6)

sein:

λΡλχ[Ρ(χ)]

(7) a.

klug:

λχ [KLUG (x)]

klug sein:

λΡ λχ [P(x)] (λχ [KLUG (χ)]) Ξ λχ [λχ [KLUG (χ)] (χ)] = λχ [KLUG (χ)]

b.

(Dowty 1979)

Partee (1977) und Dowty (1979) liefern damit die klassische formalsemantische Umsetzung der quer durch alle linguistischen Strömungen anzutreffenden Auffassung von der Kopula als pleonastischem Element, s. z.B. Dik (1983, 1989), Hengeveld (1986, 1990), Goossens (1992) im Rahmen der Funktionalen Grammatik, Larson & Segal (1995: 493) oder Heim & Kratzer (1998: 61). Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Der in (4) bzw. (6) angegebenen prädizierenden Funktion der Kopula wird in der Regel eine äquative Funktion der Kopula gegenübergestellt. Während die Kopula in einem Satz wie (8a) eine Prädikationsbeziehung herstellt, drückt sie in (8b) die Identität zweier DP-Referenten aus. (8) a. b.

Die Gewinnerin des Jackpots ist überglücklich, Die Gewinnerin des Jackpots ist Andrea Schopp.

2 Grammatische Standortbestimmung

21

Die Unterscheidung einer prädizierenden und einer äquativen Kopula geht auf Russell (1919) zurück. Eine Aufstellung relevanter Diagnostiken bietet Doron (1988).' Sprachen wie das Thailändische sehen für die beiden Kopula-Varianten verschiedene Lexeme vor; s. Kuno & Wongkhomthong (1981). In keltischen Sprachen gehen mit dieser Kopula-Unterscheidung Wortstellungsunterschiede einher; s. Zaring (1996), Camie (1997). (Die Menschheit ist also offenbar doch nicht gar so gebeutelt, wie von Russell beklagt.) »It is a disgrace to the human race that it has chosen to employ the same word "is" for these two entirely different ideas — a disgrace which a symbolic logic language of course remedies.« Russell (1919: 172) Die klassische Antwort auf die Frage nach der Abhilfe, also nach der Behandlung der beiden Kopula-Funktionen auf der Ebene der logischen Form, besteht in der Annahme eines gesonderten Lexikoneintrags für die äquative Kopula im Stile von (9); sein selegiert hier ein referenzielles DP-Komplement und drückt die Identität mit dem Subjektreferenten aus; s. die Anwendung in (10). (9)

äquative Kopula:

Xy λχ [χ = y]

(10)

Andrea Schopp sein:

λy λχ [χ = y] (as) Ξ λχ [χ = as]

Als Altemative zur Annahme, die Kopula sei ambig, schlägt Partee (1986, 1987) vor, die verschiedenen Funktionen aus der zugrunde liegenden logischen Form (6) mittels generell verfügbarer Typanpassungsoperatoren (Partee 1992) abzuleiten.^ Grundlage für die Ableitung der äquativen Funktion der Kopula ist der Operator IDENT, der Ausdrücke vom Typ e in Ausdrücke des Typs (e, t) überführt und damit ihr Auftreten in prädikativer Position ermöglicht; s. (11) sowie die korrespondierende Ableitung der logischen Form in (12). (11)

roENT:

λ y λ z [ z = y]

e-^(e,t)

Higgins (1979) unterscheidet insgesamt vier Funktionen der Kopula. Neben der prädizierenden und der äquativen Funktion nimmt er femer eine identifizierende sowie eine spezifizierende Funktion der Kopula an. Heggie (1988) zeigt jedoch, dass die beiden letzteren Spezialfälle der prädizierenden Kopula sind; s. auch Partee (1986), Dölling (1998). Dolling (1998) schlägt eine weitergehende Differenzierung des Partee'schen Vorgehens vor, indem er neben se'mantischer Typanpassung auch Operatoren vorsieht, die die sortale Zuordnung eines sprachlichen Ausdrucks anpassen bzw. verschieben.

22

2 Grammatische (12)

Standortbestimmung

Andrea Schopp sein: λΡ λχ [P(x)] (ГОЕЫТ (as)) Η λΡ λχ [Ρ(χ)] (ky λζ [ζ = у] (as)) = λ Ρ λχ [Ρ(χ)] (λζ [ζ = as]) s λχ [λζ [ζ = as] (χ)] s λχ [χ = as]

Die unterschiedlichen Funktionen der Kopula stellen sich unter dieser Perspektive nicht als lexikalische Ambiguität der Kopula dar, sondern als Reflex einer flexibleren Zuordnung semantischer Typen (beim Prädikativ). Partees (1986, 1987) Vorschlag kann damit Russells Annahmen zur prädikativen vs. äquativen Funktion der Kopula unter Beibehaltung der Standardanalyse (6) als einheitliche logische Form für die Kopula erfassen.^ Die Kopula — so die klassische Auffassung — ist semantisch leer: Die logische Form von Kopula plus Prädikativ ist identisch mit derjenigen des Prädikativs.

2.2 Anmerkungen zur Syntax von Kopula-Konstruktionen Syntaktische Überlegungen werden in der vorliegenden Arbeit nur insoweit einbezogen, als sie Fragen der Kompositionalität berühren. Ich gebe deshalb im Folgenden nur einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zur Syntax von Kopula-Konstruktionen und werde im Verlauf der Arbeit an passender Stelle auf weitere Aspekte der Syntax/Semantik-Schnittstelle eingehen. Im Rahmen der Syntax hat sich weitgehend Stowells (1978, 1981, 1983) Analyse von Prädikationsstrukturen als Small Clauses (SC) durchgesetzt, die gegenwärtig in zwei Varianten vertreten wird; s. die Darstellungen des Forschungsstands in Cardinaletti & Guasti (1995), Stowell (1995) Staudinger (1997) und Bowers (2000). Stowells ursprünglicher Vorschlag sieht vor, dass das Subjekt einer jeden prädikativen Phrase in der lokalen Spezifíziereφos¡tion basisgeneriert und von dort (bei Bedarf) in eine Kasusposition (SpecEP bzw. SpecAgrP) bewegt wird. Mit dem SC-Verständnis prädikativer XPs gibt es auf Seiten der Syntax eine konfigurationeile Entsprechung für die semantische Prädikationsbeziehung; s. (13).''

Vgl. auch Montagues (1973) Ableitung von prädikativer und äquativer Funktion der Kopula aus einer einheitlichen zugrunde liegenden Bedeutung. Williams (1980, 1983) bestreitet die Existenz einer solchen lokalen Prädikationsdomäne in der Syntax wie sie die Small Clause darstellt und nimmt stattdessen eine Koindizierung von Subjekt und Prädikat auf einer getrennten Ebene PS {Predication Structure) an.

2 Grammatische Standortbestimmung ( 13) a. b. c.

23

Karini ist [SC=AP ti klug] Kariiii ist [sc=pp t| im Garten] Karini ist [sc=DP ti ein Sonntagskind]

Bowers (1993, 2000) baut die Stowell'sche Analyse zu einer einheitlichen strukturellen Kennzeichnung von Prädikationsbezügen aus und führt dazu eine eigene funktionale Kategorie Pr(edication) als weitere Abspaltung von Infl ein. Pr selegiert ein beliebiges XP-Komplement. Das Subjekt erscheint hier in der Spezifiziereφosition von PrP. Small Clauses sind bei Bowers also einheitlich PrPs; s. (14).^ (14) a. b.



[sc=prp Karin Pr UP klug]]] [sc=PrP Karin [pr· Pr [pp im Garten]]] [sc=PrP Karin [pr· Pr [DP ein Sonntagskind]]]

Die Ansätze von Stowell und Bowers zielen auf Prädikationsstrukturen generell. Für eine syntaktische Analyse der Kopula bieten sich in diesem Rahmen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: (a) Die Kopula wird als phonetische Realisierung eines der involvierten funktionalen Köpfe betrachtet. Bei Ouhalla (1991) ist dies Bode (2000) argumentiert für Agr° und Eide & Âfarli (1999) optieren für Pr°. Mit dieser Herangehensweise korrespondiert weitgehend die Auffassung von der Kopula als pleonastischem Element. (b) Die Kopula ist ein Raising-Verb, das ein SC-Komplement selegiert; s. z.B. Heggie (1988), Hoekstra & Mulder (1990), Heycock (1992) und Moro (1997). In Bowers' Ansatz ergibt sich unter dieser Annahme als Ausgangsstruktur für einen Kopula-Satz (15a). Die entsprechende Oberflächenstruktur ist in (15b) angegeben,® (15) a. b.

[cp С [ip [vp [prp Luise Pr [AP klug]] sei-] I ]] [CP Luisei istj [ip tj [VP [РГР ti Pr [АР klug]] tj ] tj ]]

Pr deckt sich partiell mit anderen in der Literatur vorgeschlagenen funktionalen Köpfen wie "little ν" bei Hale & Keyser (1993) und Chomsky (1995) oder Kratzers (1996) Voice. Anders als diese dient Pr jedoch ausschließlich zur strukturellen Kennzeichnung von Prädikationen und ist damit unabhängig z.B. von Art und Anzahl verbaler Argumente; s. Bowers (20(Ю: 329). Zur Behandlung unakkusativer und unergativer Verben s. Bowers (20(Ю: 330). Gemäß Bowers (1993, 20(Ю) sind VPs ihrerseits in eine PrP eingebettet. Damit sollen Main Clause und Small Clause Prädikationen strukturell angeglichen werden. Davon sehe ich in (15) der Einfachheit halber ab.

24

2 Grammatische

Standortbestimmung

Auf Diesings (1992a, b) im Rahmen der Stadien/Individuen-Debatte entwickelten Vorschlag, die Raising-Kopula für Stadienprädikate zu reservieren und für Individuenprädikate zusätzlich eine Kontroll-Kopula anzunehmen, werde ich in Kapitel 2.3.2 eingehen. Für die oben angesprochene Unterscheidung einer prädizierenden und einer äquativen Kopula sind im Rahmen der Raising-Analyse in letzter Zeit syntaktische Lösungen vorgeschlagen worden, die analog zu Partees (1986, 1987) semantischem Ansatz die beiden Kopula-Funktionen aus einer zugrunde liegenden Struktur herleiten. Heggie (1988), Heycock (1992) und Moro (1997) wenden sich gegen die Annahme einer lexikalischen Ambiguität der Kopula, indem sie u.a. zeigen, dass im äquativen Fall die vermeintliche referenzielle Komplement-DP prädikative Eigenschaften aufweist. Als Alternative schlagen sie eine einheitliche Analyse der Kopula als RaisingVerb mit einem SC-Komplement vor. Während im kanonischen, prädikativen Fall das Subjekt aus der SC angehoben wird, ist es im äquativen Fall die prädikative DP. Der äquativen Verwendung der Kopula liegt demnach eine so genannte "reverse copular construction" zugrunde. Die gleichsam referenzielle Erscheinung der prädikativen DP wird auf die Bewegung in eine höhere Subjektposition — bei Moro (1997) SpecIP, bei Heycock (1992) SpecVP — zurückgeführt. Die syntaktischen Strukturen für die in (16) wiederholten Beispielsätze (8) ließen sich also auf der Grundlage der Kopula-Analyse in (15) wie in (17) wiedergeben.' (16) a. b.

Die Gewinnerin des Jackpots ist überglücklich, Die Gewinnerin des Jackpots ist Andrea Schopp.

(17) a.

[CP [DP Die Gewinnerin des Jackpotsjj istj [ip ti [vp [prp ti Pr UP überglücklich]] tj] tj]]

b.

[cp [DP Die Gewinnerin des Jackpots]i istj [ip ti [vp [prP [DP Andrea Schopp] Pr ti] tj] tj]]

Es gibt also sowohl semantische als auch syntaktische Strategien, das Auftreten der Kopula in äquativen Sätzen mit ihrer grundlegenden prädikativen Funktion zu vereinbaren. Ich belasse es hier bei der Benennung der Optionen und werde äquative Sätze im Folgenden nicht weiter thematisieren. Die SC-Analyse für Kopula-Konstruktionen zeichnet in all ihren Varianten aus, dass das Oberflächensubjekt der Kopula gemeinsam mit dem Prädikativ (und unter Ausschluss der Kopula) eine Konstituente — eben eine Small Clause — bildet. Will man diese syntaktischen Strukturannahmen mit der in Kapitel 2.1 geschilderten semantischen Standardanalyse der Kopula verbinden, wonach der kompositionale Ablauf zunächst die Kombination von Kopula und Prädikativ vorsieht, so sind Mittel vorzusehen, um die Kombination von Subjekt und Prädikativ geeignet zu verzögern. Dies '

Zu Einwänden gegen dieses Vorgehen und einem neuerlichen Votum für die Ambiguitätshypothese; s. Rothstein (1995), Zaring (1996), Camie (1997) und Heycock & Kroch (1998).

2 Grammatische Standortbestimmung

^

lässt sich technisch unterschiedlich realisieren, z.B. als kompositionalen Beitrag des funktionalen Kopfes Pr oder durch frei verfügbare Lambda-Abstraktion im Stile von Partees Typanpassungsoperatoren. Ich setze hier entsprechende technische Mittel voraus und lege für das Weitere, gleichsam abkürzend, eine ganz schlichte syntaktische Struktur zugrunde, bei der die Kopula als Verb analysiert wird, das ein prädikatives XP-Komplement (mit XP = AP, PP, DP) selegiert. Für das Subjekt nehme ich (entsprechend heutigem Usus) eine VP-inteme Basisposition an; vgl. die Variante (18) zu der SC-Version (17a). (18)

[cp [DP Die Gewinnerin des JackpotsJi istj [ip tj [vp tj [др überglücklich] tj] tj]]

Die Struktur in (18) trägt unmittelbar der semantischen Sicht Rechnung, dass es die Kopula ist, die die Prädikationsbeziehung zwischen XP und Subjekt vermittelt. Die Umsetzung dieser Sicht unter filigraneren syntaktischen Strukturannahmen à la (17) sei zurückgestellt zugunsten der Frage, worin genau die Leistung der Kopula bei der Herstellung dieser Prädikationsbeziehung besteht.

2.3 Kopula-Prädikatiy-Konstruktionen im davidsonschen Paradigma Mit Davidson (1967) halten Ereignisse, bzw. allgemeiner: Situationen, Einzug in die Semantik. Verben werden in der Folge als sprachliche Ausdrücke aufgefasst, die Situationen bezeichnen und funktionale Bezüge (rekonstruierbar z.B. mittels Θ-Rollen) zwischen einer Situation und den durch die Verbargumente ausgedrückten Partizipanten herstellen; s. Kapitel 3.1. Davidsons Ansatz findet bald auch bei der Analyse von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen Anwendung. Diese bezeichnen demzufolge Situationen, bzw. genauer: Zustände, in denen die vom Prädikativ ausgedrückte Eigenschaft auf den Subjektreferenten zutrifft. Mit diesem Vorgehen ist die Vorhersage verbunden, dass Kopula plus Prädikativ sich genauso verhalten wie andere Zustandsverben. Diesen Zusammenhang werden wir im weiteren Verlauf der Arbeit näher beleuchten. Dissens besteht innerhalb des davidsonschen Paradigmas hinsichtlich der Frage, wodurch ein entsprechendes Situationsargument bei Kopula-Prädikativ-Konstruktionen eingeführt wird. Ist es die Kopula, und leistet die Kopula entgegen der Standardanalyse damit doch einen genuinen semantischen Beitrag? Oder bringt bereits das Prädikativ ein Situationsargument mit sich, das von der Kopula (in Einklang mit der Standardanalyse) lediglich per Identitätsfunktion übernommen wird? Verhalten sich alle Prädikative in dieser Hinsicht gleich? Die mit Milsark (1974, 1977) und Carison (1977) einsetzende und von Kratzer (1995)® auf davidsonsches Terrain gelenkte Stadien/Individuen-Debatte hat hierzu eine Fülle von Antworten geliefert. Im Folgenden werde ich Das Manuskript zu Kratzer (1995) ist seit 1989 in Umlauf.

26

2 Grammatische

die unterschiedlichen Haltungen zum Situationsbezug

von

Standortbestimmung

Kopula-Prädikativ-Kon-

s t r u k t i o n e n in d e n für u n s r e l e v a n t e n A s p e k t e n darstellen.

2.3.1 Die Kopula als Quelle für das Situationsargument D i e A u f f a s s u n g , d a s s der S i t u a t i o n s b e z u g v o n K o p u l a - P r ä d i k a t i v - K o n s t r u k t i o n e n

auf

d e n B e i t r a g der K o p u l a z u r ü c k g e h t , w i r d z . B . v o n B i e r w i s c h ( 1 9 8 8 ) , K a m p & R e y l e ( 1 9 9 3 ) u n d R o t h s t e i n ( 1 9 9 9 ) vertreten. S i e betrachten d i e K o p u l a sein

als s e m a n t i s c h

a u s g e d ü n n t e s V o l l v e r b , d a s z u s a m m e n m i t d e m Prädikativ e i n e S i t u a t i o n b e z e i c h n e t . ' D i e K o p u l a stellt d e m n a c h d i e v e r b a l e H ü l l e bereit, in d i e d a s P r ä d i k a t i v e i n g e s p e i s t wird. In der w e i t e r e n B e d e u t u n g s k o m p o s i t i o n v e r h a l t e n s i c h K o p u l a p l u s Prädikativ — s o d i e V o r h e r s a g e — g e n a u w i e a n d e r e V e r b e n , u n d d i e s d a n k d e s B e i t r a g s der K o p u l a . In der F o r m u l i e r u n g v o n R o t h s t e i n ( 1 9 9 9 ) :

» L i k e a n y v e r b , be i n t r o d u c e s a D a v i d s o n i a n e v e n t u a l i t y a r g u m e n t , b u t u n l i k e l e x i c a l v e r b s , it d o e s n o t e x p r e s s a n y p r o p e r t y o f that a r g u m e n t . « Rothstein (1999: 3 6 3 )

D a m i t b e s t e h t der z e n t r a l e B e i t r a g der K o p u l a in der E i n f ü h r u n g e i n e s S i t u a t i o n s a r g u m e n t s , f ü r d e s s e n i n h a l t l i c h e A u s g e s t a l t u n g d a s Prädikativ v e r a n t w o r t l i c h ist. K a m p & R e y l e ( 1 9 9 3 ) resümieren:

Rothstein (1999) verwendet eine etwas andere Terminologie. Sie bezeichnet die Denotate von APs als "mass eventualities" oder "M-states"; bei VPs ( i n d . Kopula plus AP) spricht sie von "count eventualities" bzw. "c-eventualities". Letztere setzt sie mit davidsonschen Situationen gleich. Hinter dieser terminologischen Wahl steht die Auffassung, dass der Unterschied zwischen A P und Kopula plus A P auf eine mass/comt-Oiiïeienz zurückzuführen sei. Die von APs bezeichneten nicht-atomaren, sprich Masse-Eventualitäten sind laut Rothstein u.a. räumlich lokalisierbar und haben eine zeitliche Ausdehnung; sie sind aber weder zählbar noch zeitlich lokalisierbar. Der Beitrag der Kopula besteht hier in der Abbildung nicht-atomarer Eventualitäten auf atomare Eventualitäten. (Rothstein (1999: 363): »the verb be denotes a function from the domain of restates to the domain of Davidsonian eventualities and has the effect of 'packaging' a non-atomic M-state into an atomic eventuality.«) Da Rothstein auch die Denotate von Prozess- und Zustandsverben zu den inhärent zählbaren Eventualitäten rechnet, muss (und will) sie Entitäten zulassen, die zugleich atomar und homogen sind. Dies hat weitreichende Folgen; s. Rothstein (1999: 386ff). Für unsere Fragestellung ist zunächst einmal nur relevant, dass Rothstein für sämtliche Verben ein davidsonsches Situationsargument vorsieht, und im Falle der Kopula-Konstruktionen dieses auf den Beitrag der Kopula zurückgeht. Mein Interesse gilt der damit verbundenen Vorhersage: »we predict that be + AP should behave like any other verb with respect to counting, temporal location and adverbial modification.« (Rothstein 1999: 373). Ich werde bei der Erklärung des Agentivitätseffekts in Kapitel 6.2 auf spezifische Aspekte von Rothsteins Kopula-Analyse genauer eingehen.

2 Grammatische Standortbestimmung

27

»So it is, one might say, the argument introducing rather than the predicative function of be which requires its presence in the copular construction.« Kamp & Reyle (1993: 268) Eine leicht adaptierte Version der von Bierwisch (1988: 46) vorgeschlagenen semantischen Repräsentation für die Kopula ist in (19) angegeben. Die Variable e rangiert hier und im Weiteren über Situationen. ( 19)

sein: λ Ρ λχ Xe [e INST [P(x)]] (mit Ρ vom Typ IntARß)

Wie sind die Paare aus (14) relativ zueinander geordnet? Hinsichtlich der Form sind ser und estar vergleichbar einfach; kein Grund also, eine Kopula der anderen vorzuziehen. Hinsichtlich des Gehalts gewinnt allerdings estar gegenüber ser, da es die strikteren Inteφretationsvorgaben macht und damit informativer ist. Verantwortlich hierfür ist der Constraint "Be strong!" in (15); s. Blutner (2000: 209). (15)

Constraint "Be strong!" Ausdrucks-Inteφretationspaare werden bevorzugt.

Daraus ergibt sich die Präferenz in (16). (16)

(Aestar, Ints)