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German Pages 81 Year 1990
HELMUT LECHELER
Die Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV und ihre Konsequenzen für die Beschäftigung im (nationalen) öffentlichen Dienst
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 5
Die Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV und ihre Konsequenzen für die Beschäftigung im (nationalen) öffentlichen Di~nst
Von
Prof. Dr. Helmut Lecheier
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Lecheler, Helmut:
Die Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV und ihre Konsequenzen für die Beschäftigung im (nationalen) öffentlichen Dienst I von Helmut Lecheler. - Berlin: Duncker und Humblot, 1990 (Schriften zum Europäischen Recht; Bd. 5) ISBN 3-428-06995-1 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedomsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Gennany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-06995-l
Inhaltsverzeichnis
Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
1.1 Der Ausgangspunkt
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2 Präzision des Ausnahmebereichs aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht . . . .
12
1.3 Das Urteil Lawrie-Blum- eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung
14
1.4 Die Auffassung des EuGH - Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
1.5 Die Auffassung der Generalanwälte in den betrachteten Verfahren
.....
18
1.6 Die Rechtsauffassung der Mitgliedstaaten in den Verfahren
21
1.7 Zwischenergebnis
23
..... .................. .... .............. ......
2 Die Auffassungen in der Literatur
26 ......................
26
2.2 Die wesentlichen Sachargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Der Meinungsstand in der deutschen Literatur
28
3 Die Grundsatzfrage nach den Schranken der Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
3.1 Die Aufgabe des Gerichtshofs nach Art. 164 EWGV
37
3.2 Insbesondere: Anwendung und Auslegung "dieses Vertrages" als gemeinschaftliche Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
3.3 Art. 24 Abs. 1 GG als nationale Verfassungsschranke der Integration
39
4 Die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des EuGH und der "systematischen Aktion" der Kommission filr den deutschen öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . .
44
4.1 Kollisionsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
4.2 Die Kompetenz zur Festlegung des Umfangs des nationalen öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
4.3 Kollisionsvermeidung durch vermehrten Einsatz von Angestellten?
46
4.4 Kollision durch Einwirkungen auf den Beamtenstatus selbst? . . . . . . . . . .
47
4.5 Die "neuralgischen Fälle"
51
........................................
6
Inhaltsverzeichnis
S Das Problem der Vergleichbarkeit der Qualifikation
53
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
55
Literaturverzeichnis
64
Anlage 1
68
Anlage 2
72
Anlage 3
74
Anlage 4
76
Problemstellung Art. 48 EWGV räumt in s~inen Absätzen 1 bis 3 den Arbeitnehmern Freizügigkeit auf dem Gebiet der Gemeinschaft ein. Von dieser Grundfreiheit macht der Abs. 4 eine wichtige Ausnahme: "Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung".
Die Interpretation dieses einfach erscheinenden Absatzes wirft große Probleme auf. In der Bundesrepublik Deutschland ist - wie in den meisten europäischen Ländern - der Zugang zum Regeldienstverhältnis in der öffentlichen Verwaltung den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten 1 • Das bedeutet eine empfindliche Einschränkung der in den Absätzen 1 bis 3 des Art. 48 EWGV normierten Freizügigkeit. Damit gerät die Interpretation der Ausnahmevorschrift des Art. 48 Abs. 4 EWGV in einen Interessengegensatz zwischen den Gemeinschaftsorganen, die für eine möglichst weitreichende Freizügigkeit zu sorgen haben, und den nationalen Organen, die für eine verfassungs-und gesetzmäßige Ausgestaltung des öffentlichen Dienstes verantwortlich sind. Die Frage nach dem Umfang der "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" sowie danach, wer zur definitiven Auslegung dieser Klausel befugt ist, könnte sich schon deswegen zu einer der bedeutsamsten Streitfragen im Gemeinschaftsrecht entwickeln, weil diese Frage die von den Mitgliedstaaten zurückbehaltenen Souveränitätsrechte berührt, und zwar mehr noch als die Frage nach dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalen Grundrechten. Wie dort, so hat der Gerichtshof auch bei der Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV in einer Reihe von Fällen einen strikt europarechtlichen Standpunkt vertreten (vgl. unten 1). Eine ungleich größere Breitenwirkung als diese Urteile löste jedoch die "systematische Aktion" der Kommission aus, mit der sie ausdrücklich ihre 1 § 7 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz: "In das Beamtenverhältnis darf nur berufen werden, wer 1. Deutscher im Sinne des Art. 116 des Grundgesetzes ist, " ... . Ebenso § 4 Abs. 4 Nr. 1 Beamtenrechtsrahmengesetz. Zur Rechtslage bei den Mitgliedstaaten vgl. den Zweiten Bericht der interdirektionalen Gruppe an die Kommission vom 20. Okt. 1989 unter dem Titel "Die Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung in der öff. Verwaltung" (Auszüge in An!. 2 und 3). Der Zugang zu Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung in den Mitgliedstaaten der EG war Gegenstand einer Arbeitstagung in Maastricht (Institut Europeen d'Administration Publique) v. 27. - 28. April1989 unter der Leitung von Jaques Ziller, Professeur Associe a l'IEAP.
8
Problemstellung
Absicht erklärte, den Staatsangehörigen der Europäischen Gemeinschaft die Freizügigkeit "auch für Stellen in der öffentlichen Verwaltung der Mitgliedstaaten, die nach Ansicht der Kommission nicht auf Grund von Art. 48 Abs. 4 EWGV von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausgenommen werden dürfen, zu gewährleisten" 2 • Nach Auffassung der Kommission fallen folgende "spezifische Dienste des Staates und der gleichzustellenden Körperschaften des öffentlichen Rechts" unter die Ausnahme des Art. 48 Abs. 4 EWGV: "die Streitkräfte, die Polizei und sonstige Ordnungskräfte; die Rechtspflege; die Steuerverwaltung und die Diplomatie. Außerdem gilt die Ausnahme für Stellen, die die Zuständigkeit der staatlichen Ministerien, der Regionalregierungen, der Gebietskörperschaften und sonstiger gleichgestellter Organe sowie der Zentralbanken fallen, sofern es sich um Personal handelt (Beamte und sonstige Bedienstete), das Tätigkeiten im Zusammenhang mit hoheitlichen Befugnissen des Staates oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts wie die Ausarbeitung von Rechtsakten, die Durchflihrung dieser Rechtsakte, die Überwachung ihrer Anwendung und die Beaufsichtigung der nachgeordneten Stellen ausübt".
Es wird klargestellt, daß "die Aktion, welche die Kommission durchzuführen gedenkt, sich daher nicht auf diese Beschäftigungsbereiche erstreckt". Die systematische Aktion der Kommission soll sich also auf Verwaltungsbereiche beziehen, die "im allgemeinen soweit von den spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung .... entfernt (sind), daß sie nur in außergewöhnlichen Fällen unter die Ausnahmen nach Art. 48 Abs. 4 EWGV fallen". Dabei soll sich die Aktion "vorrangig auf folgende Bereiche erstrecken: -
Einrichtungen, die mit der Verwaltung und Erbringung kommerzieller Dienstleistungen betraut sind (beispielsweise: öffentliches Verkehrswesen, Strom- und Gasversorgung, Luftverkehrsunternehmen und Reedereien, Post- und Fernmeldewesen, Rundfunk und Fernsehanstalten);
-
Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens;
-
den Unterricht an staatlichen Bildungseinrichtungen;
-
zivile Forschung in staatlichen Forschungsanstalten."
Die Kommission hat die Absicht geäußert, den Mitgliedstaaten die Ergebnisse ihrer Prüfung dieser ausgewählten Bereiche mitzuteilen und sie aufzufordern, den Zugang zur Beschäftigung in diesen Bereichen für Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten zu öffnen. In ihrer Mitteilung an die Kommission vom 20.10.1989 3 hat die zuständige Kommissarin, Frau Papandreou, der Kommission einen (zweiten) Bericht der interdirektionalen Gruppe vom gleichen Tag über die Gleichbehandlung beim 2 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften v. 18.3.1988, Nr. C 72/2 (vgl. unten Anhang Nr. 1). 3 Vgl. Anhang Nr. 2.
Problemstellung
9
Zugang zur Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung übergeben und gern. den Schlußfolgerungen dieses Berichts vorgeschlagen, "die Aktion der Kommission fortzuführen und die Verstoßverfahren in vier vorrangigen Bereichen zu verbinden, da die Mitgliedstaaten bisher keine Bereitschaft zum Einlenken gezeigt haben ..... Überdies sollen Verfahren gegen alle Mitgliedstaaten, gegen die Beschwerden in den vier Bereichen vorliegen, eingeleitet werden, um ein abgestimmtes, einheitliches und ausgewogenes Vorgehen gegenüber den Mitgliedstaaten zu gewährleisten". Gleichzeitig müßten Bemühungen gemacht werden, "um die Mitgliedstaaten zu informieren und zu überzeugen. Hierzu wird auf allen Ebenen mit den Verantwortlichen der nationalen öffentlichen Dienste und den Gewerkschaften Kontakt aufgenommen, um die Position der Kommission zu erläutern und ggf. zusätzliche Informationen zu sammeln, die zur Weiterentwicklung dieser Position nützlich sind". Im folgenden wird versucht, ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH die Frage nach der Auslegung des Art. 48 Abs. 4 EWGV noch einmal ganz grundsätzlich zu stellen, die bisher ergangenen Urteile des EuGH eingehend zu analysieren sowie die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf das nationale Recht in Deutschland darzulegen.
1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle 4 1.1 Der Ausgangspunkt
Am Beginn der Rechtsprechung zu Art. 48 Abs. 4 EWGV steht das Urteil Sotgiu 5 • Der Gerichtshof räumt in diesem Urteil zwar ein6 , daß nach Art. 48 Abs. 4 des Vertrages die Absätze 1 bis 3 dieser Bestimmung "auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" nicht anwendbar seien. Er fährt dann aber fort, deshalb sei "die Tragweite dieser Ausnahme" (von ihm!) zu bestimmen.
Dies geschieht dann wie folgt: "Wegen der grundlegenden Bedeutung, die im Rahmen des Vertrages die Grundsätze der Freizügigkeit und der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft haben, können die in Abs. 4 des Art. 48 zugelassenen Ausnahmen nicht weiter reichen, als der Zweck es erfordert, um dessentwillensie vorgesehen sind. Den Interessen, die diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, ist mit der Möglichkeit Genüge getan, den Zugang ausländischer Staatsangehöriger zu gewissen Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung zu beschränken. Diese Bestimmung kannjedoch keine unterschiedliche Behandlung in bezug auf Entlohnung oder sonstiger Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer rechtfertigen, wenn diese einmal in den Dienst der Verwaltung aufgenommen sind". Vier Aussagen sind als wesentlich festzuhalten: -
Einmal wird Art. 48 Abs. 4 EWGV - nicht besonders präzise - als "zugelassene Ausnahme" charakterisiert. Erst aus dem Kontext wird dann klar, daß der Gerichtshof sich in der Alternative " Rückverweisung auf das nationale Recht" - oder "Rechtsbegriff des Gemeinschaftsrechts" für letzteres entscheidet. Er begründet das letztlich mit der grundlegenden Bedeutung der Freizügigkeit. Diese Aussage hat im Urteil selbst eigentlich die Bedeutung einer als eher selbstverständlich angesehenen Prämisse.
4 Vgl. die Zusammenstellung von U. Ever/ing, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Freizügigkeit im öffentlichen Dienst, in: U. Battis (Hg.), Europäischer Binnenmarkt und nationaler öffentlicher Dienst, Bd. 10 der Schriften des WIÖD, Regensburg 1989, S. 23 I 32 ff; gut zusammengefaßt ist die neue Rechtsprechung auch von Generalanwalt Mancini im Rechtsstreit Kommission gegen Frankreich (RS. 307 I 84); Slg. 1986, S. 1729 . 5 v. 12.2.1974, RS 152/73, Slg. 1974, S. 153fT. 6 a .a.O., S. 162.
1.1 Der Ausgangspunkt
-
11
Klar wird aus dem Urteil vor allem, daß sich der Gerichtshofzum Richter über die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten macht, deren Wahrung die "Ausnahme" des Abs. 4 gewährleisten wollte. Er fühlt sich dazu berufen, zu entscheiden, bei welchen Tätigkeiten der Zugang der öffentlichen Verwaltung auf eigene Staatsangehörige beschränkt werden kann 7 • Im Urteil der Kommission der EGgegen das Königreich Belgien 8 formuliert der Gerichtshof später ausdrücklich einen ,,für den Bestand der Gemeinschaft wesentlichen Grundsatz"- den Grundsatz nämlich, "daß der Rückgriff auf Bestimmungen der innerstaatlichen Rechtsordnung, und zwar auch auf solche des Verfassungsrechts, mit dem Ziel, die Tragweite der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu begrenzen, im Ergebnis die Einheit und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen würde und daher nicht zugelassen werden kann".
Dieser Grundsatz gelte auch und gerade für die Freizügigkeit: Die Erstreckung des Vorbehalts des Art. 48 Abs. 4 EWGV auf alle Stellen, die dem Staat oder anderen öffentlichen Einrichtungen zuzuordnen sind, hätte nämlich "zur Folge, daß eine beträchtliche Zahl von Stellen der Anwendung der Grundsätze des Vertrages entzogen und je nach den Unterschieden in der jeweiligen Organisation des Staates und bestimmter Bereiche des Wirtschaftslebens Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten9 geschaffen würden". Was freilich zunächst als lebensnotwendiger Grundsatz des Gemeinschaftsrechts formuliert wird, klingt in den Entscheidungsgründen wesentlich zurückhaltender. Dort heißt es nämlich,, "die Abgrenzung des Begriffs "öffentliche Verwaltung" im Sinne von Art. 48 Abs. 4" könne "nicht völlig in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt werden" 10 • Der vom Fall her eigentliche Schwerpunkt des Urteils liegt aber auf dem zweiten Teil der Entscheidungsgründe:
7 Mit nahezu dem gleichen Wortlaut beschränkt der EuGH in dem Urteil J. Reyners gegen den belgischen Staat (v. 21.6.1974, RS 2f74, Slg. 1974, S. 631) die in Art. 55 Abs. 1 vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit zugelassenen Ausnahmen: Der Rechtsanwaltsberuf unterlag demnach "weiterhin dem Recht der einzelnen Mitgliedstaaten. Ein etwaiger Rückgriff auf die in Art. 55 Abs. 1 vorgesehenen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit ist daher für jeden Mitgliedstaat gesondert anhand der nationalen Bestimmungen über die Struktur und die Ausübung des betreffenden Berufes zu würdigen. Bei dieser Würdigung ist jedoch zu berücksichtigen, daß den anerkannten Ausnahmen vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit durch Art. 55 gemeinschaftsrechtliche Grenzen gesetzt sind, durch die verhindert werden soll, daß der Vertrag durch einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten seiner Wirksamkeit beraubt wird". 8 v. 17.12.1980, RS 149/79, Slg. 1980, S. 3881 ff. (LS. 3 und Rn. 18, S. 3903). 9 Unterschiede, die im Urteil im Falle J. Reyners gegen den belgiseben Staat für Art. 55 Abs. 1 (Rechtsanwaltsberuf) akzeptiert worden waren. 10 a. a. 0., S. 3903 (Herv.v. Verf.).
12
1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
-
Dort wird vor allem das Verbot der Diskriminierung von Ausländern bestätigt, die schon innerhalb des Staatsdienstes beschäftigt werden;
-
hierzu wird klargestellt, daß auf die Art des Rechtsverhältnisses zwischen den Arbeitnehmern und der Verwaltung nicht abgestellt werden dürfe. Unterstrichen wird diese Aussage später vor allem im KrankenpflegerUrteil im Rechtsstreit der Kommission gegen die Französische Republik 11 . Der EuGH wiederholt, daß die Tragweite des Art. 48 Abs. 4 EWGV nicht von der Art des Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und der ihn beschäftigenden Verwaltung bestimmt werden könne 12 , sowie, daß EGAusländer nach ihrer Einstellung einer Regelung unterliegen müssen, die "abgesehen von der Möglichkeit einer Beförderung auf Stellen in der öffentlichen Verwaltung i. S. des Vertrages Vergünstigungen und Garantien enthält, die in allen Punkten denen entsprechen, die sich aus dem den französischen Staatsangehörigen vorbehaltenen Beamtenverhältnis ergeben" 13 . Im Sotgiu-Urteil wurde dies entschieden für den Fall eines italienischen Staatsangehörigen, der als Facharbeiter bei der Deutschen Bundespost 14 eingestellt wurde. Gegenstand der Ausgangsklage war eine unterschiedliche Festlegung des Tagessatzes der Trennungsentschädigung, die für Arbeitnehmer, deren Wohnort bei ihrer Einstellung im Ausland lag, niedriger festgesetzt war, als bei anderen, außerhalb ihres Wohnortes arbeitenden Beschäftigten. Die Berücksichtigung des Sachverhaltes ist deswegen wichtig, weil gerade beim EuGH- in Anbetracht seiner aus der französischen Praxis übernommenen knappen Entscheidungsbegründung - sich die Tragweite der Urteile erst aus einer genauen Analyse der res iudicata, dem Streitgegenstand erschließen läßt. 1.2 Präzision des Ausnahmebereichs aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht
Im Verlauf der Rechtsprechung wird die Ausnahmevorschrift des Art. 48 Abs. 4 EWGV immer weiter präzisiert: Im Urteil der Kommission der EGgegen das Königreich Belgien 15 führt der Gerichtshof zu Art. 48 Abs. 4 EWGV aus: "Damit nimmt diese Bestimmung diejenigen Stellen vom Anwendungsbereich der ersten drei Absätze dieses Artikels aus, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind". 11 12 13
14 15
v. 3.6.1986, RS 307/84, Slg. 1986, S.1725ff. a. a. 0., S. 1738. a. a. 0., S. 1739. Nicht Bundesbahn, wie gelegentlich in der Literatur zitiert. v. 17.12.1980, RS 149/79, Slg. 1980, S.3881ff.
1.2 Präzision des Ausnahmebereichs aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht
13
Zur Begründung heißt es: "Die Beschäftigung auf derartigen Stellen setzt nämlich ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraus, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrundeliegen".
"Dagegen gilt der Vorbehalt des Art. 48 Abs. 4 nicht für Stellen, die zwar dem Staat oder anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zuzuordnen sind, jedoch keine Mitwirkung bei der Erfüllung von Aufgaben mit sich bringen, die zur öffentlichen Verwaltung im eigentlichen Sinne gehören".
Entschieden wurde dies auf den Antrag der Kommission, festzustellen, "daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 48 EWGV .... verstoßen hat, daß es den Besitz der belgiseben Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung für die Einstellung in nicht unter Art. 48 Abs. 4 EWGV fallende Stellen gemacht oder die Aufstellung dieser Voraussetzung zugelassen hat". Da es die Akten nach Auffassung des Gerichtshofs nicht erlaubten, "die wirkliche Natur der mit den streitigen Stellen verbundenen Aufgaben mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen und .... festzustellen, welche dieser Stellen nicht unter den Begriff der öffentlichen Verwaltung i. S. von Art. 48 Abs. 4 EWGV fallen" (Herv.v. Verf.), hat der Gerichtshof den Parteien aufgegeben, über den Streitgegenstand noch einmal zu berichten. Die endgültige Entscheidung erfolgte dann im Urteil des Gerichtshofs vom 28.5.1982 1(; . In diesem Urteil wurden dann eine ganze Reihe von Tätigkeiten von der Anwendung des Art. 48 Abs. 4 EWGV ausgeschlossen 11 • Einbezogen in den Ausnahmebereich wurden demgegenüber ausdrücklich folgende Tätigkeiten in Stadtverwaltungen: "Leiter der rechnerischen Kontrolle, Hauptkontrolleur, Arbeitskontrolleur, Inventarkontrolleur, Nachtwächter und Architekt". Erneut definiert wird die Ausnahmeklausel des Art. 48 Abs. 4 EWGV im Urteil Kommission gegen Französische Republik 18 • Sie umfaßt danach die jenigen "Stellen, die insoweit typisch für die spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung sind, als diese mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und mit der Verantwortung für die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates betraut"
sind. RS 149/79, Slg. 1982, S. 1845ff. Rangierarbeiter, Ladearbeiter, Lokomotivführer, Gleisbauarbeiter, Stellwerksarbeiter, Büroreinigungsarbeiter, Malergehilfen, Polstergehilfen, Arbeiter für Batterieinstandhaltung, Vorbereiter von Feldwicklungen, Vorbereiter von Ankern, Nachtwächter, Reinigungs-, Kantinen- und Werkstatthilfsarbeiter bei der Bahn sowie Schreiner, Gärtnereigehilfen, Kranken-, Säuglings- und Kinderschwestern, Aufseher, Elektriker, Klempner bei Stadtverwaltungen. 18 3.6.1986, RS 307/84, Slg. 1986, S. 1725ff. 16
17
14
1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
Entschieden wurde dies für die französische Bestimmung, wonach nur französische Staatsangehörige in Dauerplanstellen für Krankenpfleger und Krankenschwestern an öffentlichen Krankenhäusern eingewiesen werden können. Die von den Generalanwälten 19 aufgestellte Behauptung, die Voraussetzungen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und der Verantwortung für die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates müßten kumulativ (und nicht alternativ) gegeben sein, blieb allerdings bisher vom Gerichtshof ohne ausdrückliche Bestätigung. 1.3 Das Urteil Lawrie-Blum - eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung
Die dargestellten Grundsätze werden im Urteil Lawrie-Blum gegen das Land Baden-Württemberg20 im wesentlichen wiederholt. Eine Verschärfung der Anforderungen kann freilich darin gesehen werden, daß der Gerichtshof den Ausnahmebereich des Art. 48 Abs. 4 EWGV hier ausdrücklich als "sehr eng" bezeichnet21 • Zunächst bestätigt der Gerichtshof noch einmal ausdrücklich und ausführlich seine Rechtsprechung zum Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 48 Abs. 1 EWGV; er hält daran fest 22 , daß der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne dieser Vorschrift eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung hat und damit nicht je nach nationalem Recht unterschiedlich ausgelegt werden kann. Für Art. 48 Abs. 1 EWGV ist das auch sicher zutreffend. Der Gerichtshof folgert weiter (a. a. 0.), daß der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers "weit auszulegen" ist, weil er den Anwendungsbereich dieser Grundfreiheit festlegt. Dementsprechend könne nicht eingewendet werden, eine im öffentlich-rechtlichen Status ausgeübte Tätigkeit sei nicht wirtschaftlicher Natur. Für die Anwendung des Art. 48 EWGV sei vielmehr "nur erforderlich, daß die Tätigkeit den Charakter einer entgeltlichen Arbeitsleistung hat, unabhängig davon, in welchem Bereich sie erbracht wird" 23 • Nach einer Auflistung der früheren, hier oben dargestellten Urteile 24 kommt der Gerichtshof allerdings zu der Aussage, "diese sehr engen Voraus19 InEuGH, Urt. v. 3.7.1986, a.a.O., S. 2135und EuGH, Urt. v.16.6.1987, RS225/85, Slg. 1987, S. 2625, 2634. Das von U. Everling (Fn. 1, S. 34, Fn. 25) gegebene Zitat ist fehlerhaft. Er meint das hier zitierte Urteil, gibt aber ein anderes Italien-Urteil an, das mit der Sache nichts zu tun hat. 20 v. 3.7.1986, RS 66/85, Slg. 1986, S. 2121 ff. 21 a.a.O., S. 2147 (Rn. 28). 22 a.a.O., S. 2144 (Rn. 16). 23 a. a.O., S. 2145 (Rn. 20), (Herv.v. Verf.); unter Berufung auf das Urt. v. 12.12.1974, RS. 36/74, Slg. 1974, S. 1405.
1.3 Das Urteil Lawrie-Blum
15
setzungen" 25 seien im Falle des Studienreferendars nicht erfüllt, auch wenn er tatsächlich gewisse, zur Charakterisierung seines Rechtsverhältnisses vom Mitgliedstaat angeführte Entscheidungen mit Hoheitsgehalt treffe (so v.a. Entscheidungen über Versetzungen, über förmliche Ordnungsmaßnahmen, laufende Bewertung von Schülerleistungen). Ausdrücklich wurde in diesem Urteillediglich festgestellt, der Vorbereitungsdienst für das Lehramt könne nicht als Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung i. S. von Art. 48 Abs. 4 EWGV angesehen werden; während der Generalanwalt in seinen Schlußanträgen schon generell von Lehrern spricht 26). Für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Lehrerberuf schlechthin sprechen in der Tat auch zwei Argumente:
-
einmal, daß der Gerichtshof den Ausnahmebereich hier ausdrücklich als "sehr eng" charakterisiert;
-
zum anderen, weil er die im Einzelfall unbestrittene Teilhabe an der Ausübung hoheitlicher Gewalt nicht als entscheidungserheblich ansieht.
Entschieden wurde die Frage, ob EG-Ausländern beim italienischen nationalen Forschungsrat CNR gleiche Dienstbedingungen geboten worden waren wie italienischen Staatsangehörigen 27 • Der Gerichtshof sagt dabei, "selbst dann, wenn eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung i. S. dieser Vorschrift vorliegt", dürfen EG-ausländische Mitarbeiter, die zu dieser Beschäftigung zugelassen wurden, in bezugauf die Belohnung oder sonstigen Arbeitsbedingungen nicht diskriminiert werden. Der Schwerpunkt dieses Urteils liegt also nicht in der Definition des Ausnahmebereiches, sondern im Verbot der Diskriminierung auch innerhalb der öffentlichen Verwaltung, wobei ausdrücklich festgestellt wird, daß die Frage der Arbeitsplatzsicherheit ganz wesentlich zu diesen Dienstbedingungen hinzu zählt 28 •
Für den Fall der Beschäftigung eines Spaniers und einer britischen Staatsangehörigen als Fremdsprachenlektoren bei der Universität Venedig hat der Gerichtshof29 dann in der Tat entschieden, daß .,die Unterrichtstätigkeit" nicht eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringe, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind, und damit kein Verhältnis besonderer Verbuna.a.O., S. 2147. Herv.v. Verf. 26 a. a. 0., S. 2135, 2136, 2137. 27 In EuGH, Urt. v. 16.6.1987, RS. 225/85, Slg. 1987, S. 2625. 28 So jedenfalls der Generalanwalt a. a. 0., S. 2633. 29 Vorabentscheidung v. 30.5.1989, RS. 33/88, in: Veröffentlichung des Informationsdienstes des Gerichtshofes der Europ. Gemeinschaften Nr. 12/89, S. 17. 24
25
16
1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
denheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat voraussetzt, wie es dem Staatsangehörigkeitsband zugrundeliege. Die Einleitung "wie der Gerichtshof bereits entschieden hat" ist wohl aus diesen Vorüberlegungen im Falle Lawrie-Blum zu erklären und bei einer sachlichen Analyse des Urteilsinhaltes auch zutreffend 30 • 1.4 Die Auffassung des EuGH -
Resümee
Eine Analyse der Rechtsprechung zeigt also im ganzen gesehen folgendes Bild: -
Die entscheidende Frage, ob Art. 48 Abs. 4 EWGV einen Rückverweis auf die nationalen Rechtsordnungen bedeute oder eine Ausnahmebestimmung, die nach Gemeinschaftsrecht auszulegen sei, beantwortet der Gerichtshof der Sache nach in letzterem Sinne. Zur Begründung beruft er sich im Tenor seiner Entscheidungen auf einen "für den Bestand der Gemeinschaft wesentlichen Grundsatz"; in den Entscheidungsgründen wird dieser Grundsatz zwar aufrechterhalten, aber doch durch den Zusatz, daß die Definition der Begriffe "öffentliche Verwaltung" im Sinne von Art. 48 Abs. 4 EWGV "nicht völlig" in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt werden dürfe, möglicherweise etwas entschärft. Diese Aussage ist in der Tat richtig; denn ein solches völliges Ermessen der Mitgliedstaaten behauptet niemand. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Definieren die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts - oder definiert der EuGH, wobei dann erst noch zu fragen wäre, ob und inwieweit er dabei auf Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen hat. Der in seinen Entscheidungen immer wieder anklingenden Furcht davor, die Mitgliedstaaten könnten bewußt durch einen extensiven Gebrauch der Ausnahmeklausel das Freizügigkeitsrecht unterlaufen, könnte er schließlich auch dadurch Rechnung tragen, daß er eine gemeinschaftsrechtliche Bindung nationaler Rechtsausübung formulieren würde.
-
Art. 48 Abs. 4 EWGV hat für ihn den Zweck, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zum Schutz essentieller Interessen zu geben. Was dazu erforderlich ist, darüber habe allerdings er allein nach Maßgabe der Notwendigkeiten der europäischen Integration zu entscheiden.
-
In Anbetracht des Zwecks des Art. 48 Abs. 4 EWGV hält er es für ausreichend, wenn den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben ist, den
30 Entsprechend wendet der EuGH in seinem Urt. v. 28.11.1989, RS 379/ 87, im Falle Groener/Erziehungsminister und Stadt Dublin auf Vorlage des High Courts Dublin unproblematisch auf die Beschäftigung einer EG-Ausländerin (Niederländerin) als Kunstdozentin an einem irischen College Art. 48 Abs. 3 EWGV sowie Art. 3 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft an.
1.4 Die Auffassung des EuGH
17
Zugang ausländischer Staatsangehöriger zu gewissen Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung zu beschränken. Diese Tätigkeiten listet er teilweise in Stellenkatalogen auf, zum anderen umschreibt er sie allgemein durch die Kriterien "unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse" und "an der Wahrnehmung solcher Aufgaben, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind". Diese Kriterien wendet der Gerichtshof fortlaufend an. Eine allgemeine Definition für diese auch als gemeinschaftsrechtlich unbestimmte Rechtsbegriffe sehr schwer mit Inhalt zu füllenden Begriffe gibt es derzeit allerdings nicht. -
Klargestellt ist, • daß die Art (privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich) des Dienstverhältnisses keine Rolle spielt; • daß eine Diskriminierung von EG-Ausländem, die bereits in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt werden, ausgeschlossen ist.
Das wesentliche Ergebnis scheint mir hier also darin zu bestehen, daß die Rechtsprechung - auch wenn man ihren Ausgangspunkt akzeptiert - eher einen Anfangs- als einen Endpunkt der rechtlichen Analyse des Art. 48 Abs. 4 EWGV bedeutet. In kaum mehr als in einer Handvoll von Entscheidungen hat das Gericht seine Kriterien bisher auf Einzelfalle angewendet, mit denen man sich im Ergebnis auch ohne weiteres einverstanden erklären kann. Als eine allgemeine Richtlinie für die Inhaber staatlicher Personalgewalt sind diese Kriterien in der vorliegenden Form noch viel zu unbestimmt. Die Interpretationsschwierigkeiten übersteigen bei weitem diejenigen, die sich innerstaatlich bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 4 GG ergeben haben. Gerade die deutschen Erfahrungen mit dieser Verfassungsbestimmung können Anlaß geben, auf der "europäischen Ebene" konstruktiv mitzuarbeiten durch den Versuch, diese als "gemeinschaftsrechtlich" deklarierten Begriffe mit Inhalt zu füllen, denn daraufkommt es letztlich an, daß hier eine Lösung erreicht wird, die für die nationalen Regierungen tragbar ist. Diese Aufgabe darf aber nicht allein den Generalanwälten überlassen werden (zu deren Position vgl. unten 1.5). Eine derart konstruktive Mitarbeit kann übrigens durchaus mit dem jedenfalls salvatorischen Vorbehalt verbunden werden, daß der Gerichtshof hier mit seiner Deklaration der Ausnahmeklausel des Art. 48 Abs. 4 EWGV als Gemeinschaftsrecht die Verträge überinterpretiert hat. Daß dies auch von anderen so gesehen wird, das ergibt die im Anschluß (unten 1.6) kurz dargestellte Position, die die anderen Mitgliedstaaten der EG in den entsprechenden Verfahren eingenommen haben.
2 Lecheier
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1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
1.5 Die Auffassung der Generalanwälte in den betrachteten Verfahren Besser als aus den Urteilen läßt sich die Problematik der vom Gerichtshof eingenommenen Position aus den Schlußanträgen der Generalanwälte entnehmen. Zentrale Bedeutung kommt hier den Schlußanträgen des Generalanwalts Henri Mayras im Sotgiu-FalP1 zu. Im Kern seiner Ausführungen sagt er, daß Art. 48 Abs. 4 EWGV "zur Definition des Begriffes öffentliche Verwaltung nicht nur nicht auf einzelstaatliche Kriterien (verweist), es gibt auch ernsthafte Gründe, daran zu zweifeln, ob angesicbts des Geistes und der Ziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine derartige auf den Vorrang der Souveränität der Staaten gegründete Auslegung zulässig ist" 32 • Dem folgen später auch die Generalanwälte Mancini 33 und Carl Otto Lenz 34 • Dabei bat Generalanwalt Mayras ausdrücklich eingeräumt: "Ohne zu verkennen, daß jeder Mitgliedstaat im Grundsatz für die Organisation seiner Verwaltung oder seiner ausgegliederten Körperschaften allein zuständig bleibt, muß festgestellt werden, daß auf den Gebieten, auf denen den Gemeinschaftsorganen eigene Zuständigkeiten übertragen worden sind, der Vorrang, die unmittelbare Wirkung und die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung der von diesen Organen erlassenen Bestimmungen keine Auslegungsgesichtspunkte vertragen, die es jedem der Mitgliedstaaten erlaubten, die Tragweite dieser Gemeinschaftsnormen nach seinem Gutdünken zu gestalten, sie also auszudehnen oder einzuschränken" 35 • Seine Begründung ist einfach: -
Die Freizügigkeit gehört zweifellos zu dem Gebiet der Gemeinschaftszuständigkeit - unstrittig. Sie ist als eine der grundlegenden Freiheiten anzusehen- ebenso unstrittig. Daher ist die Ausnahme des Art. 48 Abs. 4 sowohl eng als auch in jedem der Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen; das schließe den Rückgriff auf einzelstaatliche Auslegungsgesichtspunkte aus 36 - dies ist genau der strittige Punkt, der aber in keiner Weise näher begründet wird, es sei denn, man halte den "Geist" der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für ein rechtliches Kriterium und I oder ordnet die "Ziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinscbaft" pauschal nationalen Interessen über- dann bedürfte es allerdings in weiten Bereichen keiner konkretisierenden Rechtsvorschriften mehr.
31 32 33 34 35 36
Slg. 1974, S.153/167 ff. (Schlußanträge). a.a.O., S. 169. Im Rechtsstreit Kommission gegen Frankreich, Slg. 1986, S. 1725/1729. Im Fall Lawrie-Blum, Slg. 1986, S. 2121/2132. a.a.O. a.a.O., S. 169 (Herv.v. Verf.).
1.5 Die Auffassung der Generalanwälte in den betrachteten Verfahren
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Dem Staat bleibt also die Befugnis, das Tätigkeitsgebiet seiner Verwaltung abzustecken, das er sich selbst oder ausgegliederten Körperschaften des öffentlichen Rechts vorbehält; er kann damit aber die tatsächliche Tragweite der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht beeinflussen, weil der Begriff der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung eine "autonome gemeinschaftsrechtliche Auslegung erhalten muß, unabhängig vp.n den einzelstaatlichen Auslegungskriterien, die wechseln können und von der Auffassung abhängen, die jeder einzelne Staat von seinen Aufgaben und der Struktur der mit ihrer Durchführung betrauten Organe hat". Damit ist die Grundsatzposition bezogen: autonome gemeinschaftsrechtliche Auslegung. Nicht ist damit freilich gesagt, wie diese Auslegung zu erfolgen habe- ein im Gemeinschaftsrecht oft und unstrittig schwieriger Prozeß! Hier bleibt der Generalanwalt auch vorsichtig:
Nach seiner Meinung müsse man sich nämlich "dem Begriff von mehreren Seiten ... nähern, und, wie ich glaube, vermeiden, sich ein für allemal für eine zu starre Auslegung zu entscheiden". Zu diesem Zweck stellt er auf den Wortlaut37 und auf die "ratio" des Vertrages ab. Abgelehnt wird von ihm- die Bundespost wollte den Ausnahmebereich der öffentlichen Verwaltung nur auf Beamte angewendet wissen- die Natur der Rechtsbeziehung zwischen dem Bediensteten und der ihn beschäftigenden Verwaltung als Kriterium. Von entscheidender Bedeutung ist aber, ob bei dieser gemeinschaftsrechtlichen Definition rechtliche Gesichtspunkte der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden können oder sogar müssen. Hier ist eine letzte Sicherheit nicht zu gewinnen. Generalanwalt Mayras hat im Sotgiu-FalP8 zunächst die Position eingenommen, die gemeinschaftsrechtliche Auslegung müsse unabhängig von den einzelstaatlichen Auslegungen erfolgen; später39 hat er davor gewarnt, sich allzu festzulegen; schließlich muß auch er einräumen40, daß auch eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung jedenfalls insoweit auf nationales Recht zurückgreifen muß, als die Sachgesichtspunkte herangezogen werden müssen, die Befugnisse betreffen, die mit dem konkreten Dienstposten innerhalb der Verwaltung verbunden sind. Im Fall Kommission gegen Belgien41 hat der gleiche Generalanwalt ausgeführt: "Die Bestimmung dieses Inhalts und die Tragweite des Vorbehalts kann nicht ausschließlich den Mitgliedstaaten überlassen und der Kontrolle durch die 37 Der nach seiner Auffassung allerdings "wenig Aufschluß gibt", a.a.O., S. 170, was mir nicht verständlich erscheint. 38 Slg. 1974, S. 170. 39 a.a.O., S. 171. 40 a.a.O., S. 172. 41 Slg. 1980, S. 3881/3914.
2*
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1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
Gemeinschaftsorgane und insbesondere durch den Gerichtshof entzogen werden. Überließe man den Mitgliedstaaten das Recht, den Bereich der öffentlichen Verwaltung in souveräner Weise (Herv.i. Original) abzugrenzen, so würde den Verpflichtungen, die sich für sie aus dem Grundsatz der Freizügigkeit (ergeben), eine sehr unterschiedliche Tragweite von einem Mitgliedstaat zum anderen beigemessen. Danach ist das nationale Recht zu berücksichtigen; es bekommt gemeinschaftsrechtlich lediglich "Kriterien" vorgegeben (Zulassung zu bestimmten Stellen, in bestimmten Tätigkeitsbereichen), die es zu berücksichtigen hat. Hier ist die Brücke zur funktionalen Betrachtungsweise des Gerichtshofs gebaut42 • Damit auferlegt der Generalanwalt freilich dem Gerichtshof das gleiche Problem, unter dem in Deutschland die Gerichte bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 4 GG bekanntlich seit langer Zeit leiden, das Problem nämlich, im Einzelfall verbindlich zu sagen, ob und inwieweit ein Dienstposten mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden ist (vgl. dazu unten 4.3). Dem Ziel einer gleichmäßigen Anwendung des Ausnahmebereichs (das auch erst noch zu begründen wäre!) dienen diese im einzelnen höchst unterschiedlich anwendbaren Kriterien auch kaum; nur im Einzelfall kommen sie zur Nachprüfung durch den Gerichtshof. Im Fall Lawrie-Blum führt Generalanwalt Lenz aus43 , daß der Hinweis des vorlegenden deutschen Gerichts auf den beim Abschluß des EWG-Vertrages in den Mitgliedstaaten bestehenden Rechtszustand nicht durchschlagen kann; er fahrt fort: "Wenn dieser Rechtszustand auch einen Ausgangspunkt für die Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe darstellen kann, so kann er jedenfalls nicht den alleinigen Maßstab für diese Auslegung abgeben". "Zusätzlich zu berücksichtigen" sei nämlich auch die "eingetretene Entwicklung des Gemeinschaftsrechts". Dies spricht für eine nationale Auslegungsbefugnis der Ausnahmeklausel, freilich unter Berücksichtigung der Gemeinschaftsrechtsentwicklung. In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen des Generalanwalts Mancini44, der Gerichtshofhabe lediglich sagen wollen, "daß bei der Ermittlung des Inhalts des Begriffs die Erfordernisse des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind". 42
Der Generalanwalt faßt seine Position (a. a. 0., S. 3916) folgendermaßen zusammen:
1. Für die Anwendung von Art. 48 Abs. 4 EWGV kommt es auf die administrative
Natur der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit an; es muß sich um Wahrnehmung "administrativer Aufgaben" handeln. 2. Positiv abgegrenzt umfaßt der Vorbehaltjedenfalls die Stellen, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der dauernden oder zeitweiligen nicht unter das allgemeine Recht fallenden Ausübung öffentlicher Gewalt aufweisen. 3. Negativ abgegrenzt genügt die bloße und sei es auch unmittelbare Teilnahme an der Tätigkeit eines Zweiges der Verwaltung nicht, um ein Beschäftigungsverhältnis vom gewöhnlichen Anwendungsbereich der Art. 48 - 51 auszunehmen. 43 Slg. 1986, S. 2133. 44 Im Rechtsstreit Kommission gegen Frankreich, Slg. 1986, S. 1730.
1.6 Die Rechtsauffassung der Mitgliedstaaten in den Verfahren
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Alle drei vertretbaren Positionen können sich also auf Belegstellen berufen:
-
die (gelegentlich schlagwortartig gebrauchte) "autonome gemeinschaftsrechtliche Auslegung" (ohne jede Einbeziehung nationalen Rechts);
-
eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung unter Berücksichtigung nationalen Rechts oder
-
die grundsätzlich nationale Auslegung, freilich unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten der Gemeinschaft und der Gemeinschaftsrechtsentwicklung.
Welche dieser drei Positionen die maßgebliche sein soll, das läßt sich aus der Analyse der Schlußanträge der Generalanwälte nicht letztlich entscheiden. Die Gegenüberstellung der Positionen deutet aber schon an, daß eine autonome gemeinschaftsrechtliche Auslegung ohne Einbeziehung nationalrechtlicher Gesichtspunkte schwerlich mit der ungeschriebenen, aber in den Bundesstaaten allgemein anerkannten Verfassungspflicht zur Rücksichtnahme auf legitime rechtliche Interessen der Mitgliedstaaten zu vereinbaren ist. 1.6 Die Rechtsauffassung der Mitgliedstaaten in den Verfahren
Ohne daß hier eine umfassende rechtsvergleichende Untersuchung angestellt werden könnte, so erscheint es doch sinnvoll, -
die in den vom Gerichtshof entschiedenen Fällen geäußerten wesentlichen Auffassungen festzuhalten;
-
sich darüber hinaus der grundsätzlichen Haltung Frankreichs zu erinnern.
Obgleich die italienische Regierung im Fall Sotgiu45 die Interessen des Klägers vertreten mußte, hat sie vertreten46 , die "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" stelle zwar einen Begriff des Gemeinschaftsrechts dar; es sei aber "nicht zu bestreiten, daß er seine Konturen und Grenzen weitgehend nur durch den Rückgriff auf die nationale Rechtssituation erfahren könne" 47 • Die belgisehe Regierung hat im Verfahren Kommission gegen Belgien48 die Meinung vertreten, die "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" sei "offenkundig ein eindeutiger und genauer Begriff, der wohl nicht auslegungsbedürftig sei. Halte man dennoch eine Auslegung für erforderlich, so müsse auf die Slg. 1974, S. 153. a.a.O., 8.158. 47 Im Anschluß daran wird dann freilich die gemeinschaftsrechtliche Auslegung gefordert und (aufS. 159) v.a. damit begründet, daß der EWG-Vertrag mit dem aus dem klassischenVölkerrechtentnommenen traditionellen Mißtrauen gegenüber den Fremden aufgehört habe und der Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bei einer nationalen Auslegung gänzlich in Frage gestellt werden könne. 48 Slg. 1980, S. 3881/3887. 45
46
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1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
Absicht des Gesetzgebers, d. h. auf den Willen der Mitgliedstaaten bei Ausarbeitung des EWG-Vertrages, abgestellt werden. Es bestehe kein Zweifel, daß die Zielsetzungen des Vertrages die Befugnis des einzelnen Mitgliedstaates zur Abgrenzung des öffentlichen Sektors unberührt ließen und daß keine gemeinschaftliche Auffassung über die Ziele, den Umfang und die Modalitäten der Tätigkeit der öffentlichen Verwaltungen bestehe. Folgerichtig müsse unter diesen Umständen angenommen werden, daß sich die Regierungen bei Ausarbeitung des Vertrages die Festlegung der Voraussetzungen für den Zugang zum öffentlichen Dienst hätten vorbehalten wollen". "Der Grundsatz der Nichtzulassung von Ausländern zum öffentlichen Dienst" sei schließlich in den Verfassungen mehrerer Mitgliedstaaten verankert; auch wenn das Gemeinschaftsrecht nach dem Verständnis des Gerichtshofs dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten vorgehe, so "trügen die Verfassungen der Mitgliedstaaten ( z. B. Art. 6 der belgiseben Verfassung) zur Bestimmung des Inhalts des Gemeinschaftsrechts in seinen wesentlichen Grundsätzen bei und könnten somit dort als Element der Auslegung der Normen des Gemeinschaftsrechts dienen, wo es um diese Grundsätze gehe". Anhand solcher Verfassungsbestimmungen "lasse sich aber feststellen, welche Absichten die Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung des Vertrages verfolgt hätten: Es sei offenkundig, daß die Staaten den Zwang zur Einstellung von Personal mit ausländischer Staatsangehörigkeit abgelehnt hätten und daß diese Ablehnung in dem in Art. 48 Abs. 4 EWGV enthaltenen Vorbehalt ihren Niederschlag gefunden habe". Die englische Regierung, die der belgiseben in diesem Verfahren beigesprungen war, verweist darauf49 , daß der Begriff der "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" in den einzelnen Mitgliedstaaten je nach deren Recht und Tradition unterschiedlich sei, obwohl allgemein anerkannt sei, daß die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung immer eine besondere Treue und Hingabe verlange, die man von Angehörigen des eigenen Staates besser erwarten zu können glaube, als von einem Ausländer. Die Regierung des Vereinigten Königreiches räumt zwar dann ein, daß die nationale Praxis des Art. 48 Abs. 4 EWGV einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sein müsse, sie weist aber das Kriterium der "Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt" als "im Vereinigten Königreich völlig unbekannt" zurück. Es folgt der bezeichnende und sicher richtige Hinweis: "Jeder Versuch der Anwendung dieses Begriffs auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung im Vereinigten Königreich würde nach Ansicht der Streithelferio zu chaotischen und willkürlichen Ergebnissen führen". Für Frankreich ist festzuhalten, daß noch das Gesetz Nr. 83 634 v. 13.7.1983 50 in§ 1 unter den wesentlichen Bedingungen für die Verbeamtung als erste die französische Staatsangehörigkeit nennt 51 • Darüber hinaus hat das 49 50
a.a.O., S. 3892f. Journal officiel, S. 2174.
1.7 Zwischenergebnis
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französische Parlament im Frühjahr 1987 den Vorschlag, die französische Gesetzgebung im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Interpretation zu ändern, zurückgewiesen. Der Conseil d'Etat hat eine "sehr große Reserve" ausgedrückt52. Der Conseil d'Etat hat überdies in seinem in Frankreich gegenwärtig heftig diskutierten Urteil Nicolo v. 20. Oktober 1989 53 erstmals- das ist in Deutschland kaum vorstellbar - ein französisches Gesetz unmittelbar am EWG-Vertrag gemessen. Während die verwaltungsrechtliche Prüfung eines Falles bisher in der Regel beim nationalen Gesetz zu Ende war (man sprach vom Ecran legislatif), hat dieses Urteil festgestellt, daß Bestimmungen in einem Gesetz vom 7.7.1977 "nicht unvereinbar sind mit den klaren Vorschriften des Art. 227 Abs. 1 des EWGV". Schon diese, im Ergebnis den nationalen Gesetzgeber schonende und überdies auf die berühmte Lehre von der Acte clair zurückgreifende Entscheidung hat in Frankreich größtes Aufsehen erregt. Auch der Rechtsausschuß des Europäischen Parlaments hat in einem am 12.1.1972 vorgelegten Bericht festgestellt, daß die Mitgliedstaaten rechtlich nicht verpflichtet seien, Ausländer zur Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung zuzulassen 54. 1.7 Zwischenergebnis Bei einer näheren Betrachtung dieser Sachlage erscheint mir die Konsequenz zwingend, daß die Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV keineswegs im Sinne der Kommissionsvorschläge abgeschlossen ist. Die rechtstheoretisch entscheidende Frage, ob die "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" ein Begriff des Gemeinschaftsrechts ist oder ob er einen Rückverweis auf die unterschiedlichen Begriffe in den nationalen Rechtsordnungen darstellt, wird bei einer praktischen Betrachtung eher zweitrangig, weil die Definition in jedem Fall die Rechtslage und die rechtlich legitimen Interessen der jeweils anderen Ebene berücksichtigen muß. Anders ausgedrückt heißt das, daß der Begriff als gemeinschaftsrechtlicher Begriffunter Berücksich51 In der französischen Literatur wird das von L. Dubouis-Rev. fr. Droit admin. 1987 p 949 (950) eine bemerkenswerte Mißachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs genannt. 52 2)Droit Communautaire et droit francais, Etude du Conceil d'Etat, N. E. D., 16.9.1982, Nos 4679 - 4680 - 4681, p. 279. 53 Req. 108243 Nicolo. Vgl. dazu R. Kovar, Le Conseil d'Etat et le droit communau taire de l'etat de guerre a Ia paix armee (Apropos de l'arret du 20 octobre 1989, Nicolo, Recueil Dalloz Sirey, 1990, 10, Heft Chronique, p 57); D. Simon, Actes legislatifs et adrninistratifs, 20 octobre 1989, p 788; die Schlußanträge des Generalanwalts P. Frydman finden sich in Rev. Droit admin. 1989, p 813ff. 54 In der Begründung zum Entwurf des deutschen Ratifikationsgesetzes zum EWGV (BTDs. 2/3660, S. 25) wird freilich ausgeflihrt: "Der Begriff "öffentliche Verwaltung" wird eng auszulegen sein. Auf keinen Fall ist hierunter auch die Beschäftigung in Wirtschaftsunternehmen der öffentlichen Hand zu verstehen."
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1 Die bisher vom EuGH entschiedenen Fälle
tigung nationalen Rechts definiert werden muß, als nationaler Begriff dagegen unter Berücksichtigung der Gemeinschaftsinteressen. Auf diese Weise läßt sich die Konkordanz herstellen, die für eine sachgerechte Entwicklung der Freizügigkeit notwendig ist. Nur ein solches Miteinander trägt auch den Grundsätzen Rechnung, nach denen Staatsorgane im Bundesstaat, der ja nach wie vor das Fernziel bleibt, miteinander umgehen. Das scheint mir das richtige europarechtliche Zwischenergebnis zu sein.
Demgegenüber hat der GerichtshofS5 aber in unserem Zusammenhang den Rückgriff auf Bestimmungen der innerstaatlichen Rechtsordnung, und zwar auch solcher des Verfassungsrechts, ausdrücklich zurückgewiesen, wenn sie mit dem Ziel erfolgen, die Tragweite der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu begrenzen. Den Beweis für eine solche Zielrichtung ist er freilich bisher schuldig geblieben- er dürfte ihm auch nicht leicht fallen. Statt dessen hat das Gericht dieses Verbot als einen "für den Bestand der Gemeinschaft wesentlichen Grundsatz" formuliert. Die Definition der "unmittelbaren oder mittelbaren Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse" sowie die "Wahrnehmung von Aufgaben, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind", muß also losgelöst vom nationalen Recht beurteilt werden. Auf die hierfür erforderliche Kette von Urteilen wird man gespannt sein können und vor allem geraume Zeit noch warten müssen 56 • Diese Extremposition des Gerichtshofs, Interpretation allein nach Maßgabe der Ziele der Verträge und nach ihrem "Geist", stellt die rechtsdogmatische Frage in den Mittelpunkt, ob es sich hier wirklich um einen Gemeinschaftsrechtsbegriff handelt oder nicht. Die Gründe hierfür sind keineswegs überzeugend (vgl. unten 2), und auch in Frankreich, wo die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Lehre entschieden abgelehnt wird (vgl. ebenfalls unten 2), ist neuerdings der Versuch gemacht worden 5' , der ökonomischen und sozialen Dynamik gegenüber formaler juristischer Argumentation zum Durchbruch zu Im Urt. v. 17.12.1980, Slg. 1980, S. 3882 (LS. 3) und S. 3903 (Rn. 19). Das wird offenbar auch von der Kommission so gesehen. Anders kann man den Hinweis von P. Schmidhuber, Die Politik der EG-Kommission zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer und zum Beschäftigungszugang in der öffentlichen Verwaltung der Mitgliedstaaten- Aktion der Kommission auf dem Gebiet der Anwendung von Art. 48 Abs. 4 EWGV, in: U. Battis (Hg.), Europäischer Binnenmarkt und nationaler öffentlicher Dienst, Regensburg 1989, S. 109 I 117, kaum verstehen, die Auseinandersetzung mit dem Argument der Abgrenzungsprobleme im Einzelfall könne "als abgeschlossen gelten"mit der sonderbaren Begründung, der EuGH habe "sich in voller Kenntnis dieser Abgrenzungsprobleme fUr das funktionale Kriterium entschieden"; letzteres ist sicherlich richtig; was bleibt - sind eben "nur" die kaum lösbaren Abgrenzungsproblernet 57 Vgl. die Studie von L. Dubouis (Fn. 51). 55
56
1.7 Zwischenergebnis
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verhelfen. Zu Recht ist dort auch darauf verwiesen worden, daß das Problem, um das es bei der Frage nach dem richtigenUmfangfür die Freizügigkeitsregeln geht, sehr weit das Niveau bloßer Interpretationstechniken überschreitet. Nur- dann kann bei dieser Dynamik die nationale Komponente nicht außer Betracht bleiben.
2 Die Auffassungen in der Literatur 2.1 Der Meinungsstand in der deutschen Literatur
Während in Frankreich die Literatur die Rechtsprechung des Gerichts fast ausnahmslos 58 ablehnt 59 , gibt es einen derartigen Widerstand in der deutschen Literatur nicht. Ausdrücklich ablehnend hat sich hier, neben wenigen anderen60 , lediglich P. Karpenstein61 geäußert. Danach fallen alle nationalen Dienstverhältnisse innerhalb der öffentlichen Verwaltung unter ausschließlich nationale Kompetenz.
In seiner Kommentierung62 hat er aber ausdrücklich den Begriff der öffentlichen Verwaltung als einen Begriff des Gemeinschaftsrechts angesehen; er hat darunter keine Verweisung auf die jeweiligen innerstaatlichen Begriffsbildungen verstanden. Allerdings vertritt er unter dem Hinweis des anderen Wortlautes gegenüber Art. 55 Abs. 1 EWGV eine eher weite Auslegung 63 • Auch G. Klinge 64 sieht in diesen Begriffen nationale Begriffe nur dann, wenn man eine lediglich partielle Integration in der EG sehe. Sie selbst vertritt im folgenden 65 die Notwendigkeitjedenfalls einer gemeinschaftseinheitlichen AusAusnahme ist, soweit ersichtlich, lediglich L. Dubois (Fn. 51). Vgl.J. Boulouis, ChroniquedejurisprudencedelaC. J. C. E,Act.jur. D. A. 1981.137, A. F. D. I. 1980, 345; J. Arrighi de Casanova, Act. jur. D. A. 1987.44; G. Druesne, Rev. Trim. dr. europ. 1981, 286; G. Lion Caen, Festschrift f. P. H. Teitgen, 1984, S. 271 j.m.w. Nachw. 60 U. Everling, Das Niederlassungsrecht im gemeinsamen Markt, 1963, S. 46: "Für die Arbeitnehmer, also die Bediensteten der öffentlichen Verwaltung, ist die Grenze klar gezogen: Alle in der öffentlichen Verwaltung Beschäftigten sind ausgeschlossen"; so dann auch der Kommentar von Wohlfarth/ Ever/ing/Giaesnerf Sprung, Anm. 2 zu Art. 48; so übrigens auch Sandri, in: Quadri-Monaco-Trabucchi, Bd. 1 (1965), S. 391; die Argumente, die flir diese Auslegung sprechen, hat U. H. Wittkopp, Wirtschaftliche Freizügigkeit und Nationalstaatsvorbehalte, BadenBaden 1977, im ersten Teil seiner Abhandlung (bis S. 204) noch einmal dargestellt. 61 Zur Tragweite des Art. 48 Abs. 4 EWGV, in: G. Lücke (Hg.), Rechtsvergleichung, Europarecht und Staatsintegration - Gedächtnisschrift f. L.-J. Constantinesco, 1983, s. 377/382. 62 In: GroebenfBöckhfThiesing/Eh/ermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, Bd.1, 3. Aufl., 1983, Rn. 49. 63 a.a.O., RN. 51. 64 Die Begriffe "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" und "Ausübung öffentlicher Gewalt" im Gemeinschaftsrecht, Düsseldorf 1980, S. 208. 65 a. a.O., S. 209f. 58 59
2.1 Der Meinungsstand in der deutschen Literatur
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legung, obwohl sie immerhin darauf hinweist 66 , daß der Wortlaut des Art. 48 Abs. 4 EWGV für eine Domäne der Mitgliedstaaten spricht. Häufig wird die Position des Gerichtshofs pauschal akzeptiert 67 . Gelegentlich wird die Rechtsprechung des EuGH als Ergebnis praktischer Vernunft angesehen 68 • Im Zeichen der europäischen Einigung, sei es, so wird etwa gesagt69 , wenig sinnvoll, sich grundsätzlich gegen eine erweiterte Zulassung von Angehörigen von EG-Mitgliedstaaten zu sperren, wenn die fachlichen und sprachlichen Voraussetzungen im einzelnen vorliegen. Während diese Übernahmen der Rechtsprechung des EuGH ganz allgemein gehalten sind, finden sich aber auch Aussagen, die betonen, daß in der bisherigen Rechtsprechung keineswegs die Lösung des Interpretationsproblems des Art. 48 Abs. 4 EWGV gesehen werden kann 70 • M. Schweitzer weist zusätzlich ausdrücklich und zu Recht auf die unlösbaren Schwierigkeiten hin, die eine praktische Umsetzung dieser Rechtsprechung in das nationale Dienstrecht zur Folge hat 71 • Er sagt dort, das erste vom EuGH angeführte Kriterium (die Ausübung hoheitlicher Befugnisse) mag "noch einigermaßen in den Griff zu bekommen sein"; beim zweiten Kennzeichen (Wahrnehmung solcher Aufgaben, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind) "steht man jedoch schnell vor dem begrifflichen ,Aus'". Diese Schwierigkeiten vergrößern sich noch, wenn man diejenigen Meinungen in der Literatur mit heranzieht, die jedenfalls eine Interpretation dieses Begriffs der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung unter Einbeziehung nationaler Kriterien verlangen 72 • Der Begriff der öffentlichen Verwaltung wird a.a.O., S. 9. So etwaS. Magiera, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Wege zu einem Europa der Bürger, DÖV 1987, S. 221 /226; E. Steindorff, Ausbildungsrechte im EG-Recht, NJW 1983, S. 1231; K. Hailbronner, Dieneuere Rechtsprechung zum EG-Freizügigkeitsrecht, ZAR 1988, S. 3/10; A. Meyer, Die europäische Integration und das deutsche Beamtenrecht, BayVBI. 1990, S. 97/98 (I. Sp.); S. Forch, Freizügigkeit für Studienreferendare, NVwZ 1987, S. 27 /31; M. Uechtritz, Freizügigkeit und Personalvertretungsrecht, BayVBI. 1988, S. 743/745. 68 So z. B. M. Metz, Die Absichten der EG im Bereich des öffentlichen Dienstrechts, BayBgm. 1989, Heft 6, S. 218/219 f.; ähnlich auch S. Forch, a.a.O., S. 31. 69 M. Metz, a.a.O. 70 So ausdrücklich G. Klinge, a.a.O., S.19, für den Sotgiu-Fall und A. Rande/zhofer, in: E. Grabitz, Kommentar zum EWG-Vertrag, München, Losebl., Stand: Nov. 1988, Rn. 59 ff. zu Art. 48 EWGV. 71 M. Schweitzer, Bringt der einheitliche EG-Binnenmarkt das "Aus" für das Berufsbeamtentum?, Die Deutsche Postgilde, 1989, Heft, 3, S. 13 I 15. 72 Hier sind v.a. zu nennen G . Klinge, a.a.O., S. 218ff.; A. Weber, Berufsausbildung und Berufszugang für Juristen im EG-Binnenmarkt, NVwZ 1990, S. 1 /7; I. Hochbaum, Die Aktion der EG-Kommission zur Liberalisierung des öffentlichen Dienstes, ZBR 1989, S. 40; H. GoerlichjP. Bräth, DÖV 1987, S.1038/1045; U . H. Wittkopp, a.a.O., S. 236. 66
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2 Die Auffassungen in der Literatur
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hier als "unbestimmter Gemeinschaftsrechtsbegriff'' 73 verstanden. Für die Auslegung dieses Begriffs werden die Ziele der Verträge und die Aufgabe der Integration betont, in diesem Rahmen allerdings nationalen Auslegungsgesichtspunkten ein Platz zuerkannt 74 , wobei diese freilich der gemeinschaftlichen Zielverwirklichung Rechnung zu tragen hätten. G. Klinge 75 versucht das Problem im Wege einer zweistufigen Auslegung 76 zu lösen: -
Zunächst müsse die Frage nach nationalem Recht entschieden werden; und nur soweit nach nationalem Recht ein Ausländer ausgeschlossen werden kann, müsse dann
-
auf der zweiten Stufe eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung unter Einbeziehung der Vertragsziele vorgenommen werden.
Umgekehrt sieht A. Weber 77 den Art. 33 Abs. 4 GG gemeinschaftskonform überlagert. Zwischenergebnis: Beim näheren Zusehen ist die Position der deutschen Literatur keineswegs einhellig. Soweit sie sich näher mit der Rechtsprechung befaßt, kann von einer pauschalen Übernahme dieser Rechtsprechung schon deswegen nicht die Rede sein, weil sehr deutlich die Auffassung geäußert wird, diese Rechtsprechung löse keineswegs die Anwendungsschwierigkeiten. Das wird im folgenden noch kurz ausgeführt, in dem auf einige wichtige Streitpunkte eingegangen wird. Von einer Absegnung der systematischen Aktion der Kommission durch den Gerichtshof und ihre Übernahme von der deutschen Literatur kann jedenfalls nicht gesprochen werden 78 •
2.2 Die wesentlichen Sachargumente Die schon nach dem unterschiedlichen Ergebnis der in der deutschen Literatur vertretenen Auffassungen auftretenden Schwierigkeiten werden eher noch größer, wenn man die wesentlichen Argumente betrachtet, mit denen - soweit überhaupt - argumentiert wird:
So I. Hochbaum, a.a.O., S. 40. So z.B. H. GoerlichfP. Bräth, a. a.O., S. 1045. 75 a.a.O., S. 218f. 76 Die aber für sich auch nicht eindeutig ist, vgl. unten zum Verhältnis Art. 48 Abs. 4 zu Art. 55 Abs. 1 EWGV. 77 NVwZ 1990, S. 7. 78 Die unangemessene Diskretion, mit der die Kommission überdies aus Steuergeldem finanzierte Erhebungen unter Verschluß hält und damit eine wissenschaftliche Diskussion erschwert, spricht weder für ihr gutes Gewissen noch für ihr demokratisches Verständnis der Meinungsbildung in kontroversen Fragen. 73
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2.2 Die wesentlichen Sachargumente
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2.2.1 Eine reine petitio principii ist es, wenn aus der grundlegenden Bedeutung der Freizügigkeit für das Vertragsgefüge gefolgert wird, daß deswegen die Ausnahmebestimmung des Art. 48 Abs. 4 EWGV "sowohl eng, wie auch in jedem der Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden" muß 79 • Die grundlegende Bedeutung der Freizügigkeit als einer der vier "Grundfreiheiten" des Vertrages steht außer Streit. Daraus folgt die Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane, ihre Effizienz nach Maßgabe des Vertrages mit allen gegebenen Mitteln zu fördern. Daraus läßt sich ein Recht des Gerichtshofs ableiten, die nationalen Praktiken bei der Ausnahmebestimmung des Art. 48 Abs. 4 kritisch daraufhin zu betrachten, ob Anzeichen für eine Absicht der Umgehung der Freizügigkeitsregeln vorliegt. Unbestritten ist auch, daß es für die Freizügigkeit de facto einen nützlichen Effekt hätte, wenn der Bereich der öffentlichen Verwaltungen eng und in allen Mitgliedstaaten gleich ausgelegt würde. Das Problem besteht nur darin, daß hierfür der Vertrag keine ausdrückliche Grundlage gibt und daß der bloße Hinweis auf Ziele und Dynamik des Vertragswerkes zwar politisch ein gewichtiges Argument sein mag, nicht aber juristisch. Der Standpunkt der engen und einheitlichen Auslegung ist allerdings Konsequenz der Auffassung, es handele sich bei der "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff und nicht um eine Rückverweisung auf nationales Recht in der Form der "NichtanwendungsKlausel". Immerhin findet sich in der deutschen Literatur der- auch kaum zu bestreitende - Hinweis, daß der Wortlaut der Vorschrift80 für einen Rückverweis, also eine den einzelnen Mitgliedstaaten vorbehaltene Materie spricht. Dieser zumindest erste Anschein des Textes des Vertrages müßte durch rechtliche Argumente entkräftet werden 8182 .
So grundlegend der Generalanwalt im Falle Sotgiu, Slg. 1974, S. 167 f 169. "Dieser Artikel findet keine Anwendung auf' .... (Herv.v. Verf.); französische Fassung: "les dispositions du present article ne sont pas applicables aux" .... Eine Ausnahme hätte auch anders formuliert werden müssen etwa: "Von dem Grundsatz des Abs. 1 bis 3 können für eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung Ausnahmen gemacht werden". 81 Charakteristisch für die Diskussion dieser Frage in Deutschland scheint mir, daß H. U. Everling, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Freizügigkeit im öffentlichen Dienst, in: U. Battis (Hg.), Europäischer Binnenmarkt und nationaler öffentlicher Dienst, Regensburg 1989, S. 35, Fn. 30, sich über meine Rechtsauffassung "nur verwundert", dieser Verwunderung allerdings kein rechtliches Argument folgen läßt. Dabei wären die Gründe für den Wechsel seiner Auffassung vom Kommentator zum Richter (vgl. oben) vielleicht nicht uninteressant. 82 Offen gelassen wurde übrigens nach meiner Erinnerung die Frage, "Gemeinschaftsrechtsbegriff oder Rückverweisung auf die nationale Rechtsverordnung" von Bundesverfassungsrichter P. Kirchhof in seinem Vortrag auf der Bad Kissinger Tagung des DBB im Januar 1990. 79
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2 Die Auffassungen in der Literatur
Das in diesem Zusammenhang immer wieder vorgetragene Argument 83 , die Nichtanwendung des Vertrages auf die nationalen Verwaltungen bringe die Gefahr der "Aushöhlung" der Freizügigkeit mit sich, ist nicht überzeugend. Es darf den Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres unterstellt werden, sie würden ihre nationalen Verwaltungen in der Absicht gestalten, die Freizügigkeit in der Gemeinschaft zu behindern oder zu unterdrücken. Soweit freie Entscheidungen der Mitgliedstaaten hier allerdings de facto zu einer gewissen Einschränkung, möglicherweise sogar zur Aushöhlung der Freizügigkeit führen, wäre dies aus dem insoweit begrenzten Charakter der Verträge hinzunehmen! 2.2.2 Von untergeordneter Bedeutung ist der Hinweis auf Art. 13 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13.12.195584; danach kannjeder Vertragsstaat "die Ausübung öffentlicher Aufgaben und jede mit der Sicherheit des Landes oder der Landesverteidigung in Zusammenhang stehende Tätigkeit den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten oder die Ausübung dieser Tätigkeiten durch Ausländer von besonderen Voraussetzungen abhängig machen". Nach dem Abschnitt I des dem Abkommen beigefügten Protokolls erfolgt dabei die Definition des Begriffs "Ausübung öffentlicher Aufgaben" "nach innerstaatlichen Grundsätzen". Aus der Tatsache, daß in dem dem klassischen Völkerrecht zugehörigen Abkommen die Interpretationsfrage ausdrücklich geklärt ist, kann nicht e contrario geschlossen werden, daß ein solcher Rückgriff auf innerstaatliche Grundsätze bei Art. 48 Abs. 4 EWGV nicht möglich sei, weil eine solche Bestimmung dort nicht getroffen worden sei. Das wäre nämlich nach keiner der vertretenen Auffassungen sinnvoll gewesen: -
Bei einem Ausklammem der Nationalverwaltungen aus dem EWGV ist die nationale Interpretation selbstverständlich.
-
Bei der Charakterisierung des Begriffs als eines solchen des Gemeinschaftsrechts ist die rein nationale Interpretation sicher ausgeschlossen. Ein solcher Begriff müßte dann in dem dem Gemeinschaftsrecht spezifischen schwierigen Prozeß der Rechtsbildung aus den Zielen der Wirtschaftsgemeinschaft und den allgemeinen Prinzipien in den Mitgliedstaaten mit Inhalt gefüllt werden. Denn auch die uns heute selbstverständlich gewordene Akzeptanz der Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung bedeutet nicht, daß diese im luftleeren Raum stünde; sie hat sich vielmehr gebildet als Ergebnis einer wertenden Rechtsvergleichung des Gerichtshofs im Blick auf die Ziele der Gemeinschaft85 •
So auch G. Klinge, a.a. O., S. 7, 20, 210. So wiederum der Generalanwalt im Falle Sotgiu, a. a. 0., s. 169. 85 Mit dieser Frage habe ich mich seit meiner im Jahre 1971 (Berlin) veröffentlichten Dissertation "der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze" befaßt; nähere Ausftihrungen will ich mir hier ersparen, zumal hier wenigstens über den Prozeß der Rechtsbildung im Gemeinschaftsrecht doch eine gewisse Übereinstimmung besteht. 83
84
2.2 Die wesentlichen Sachargurnente
31
Entsprechend hat sich Bundesverfassungsrichter Kirchhof86 mehrfach für eine behutsame Rechtsverschränkung und gegen "das grobe Institut der Rechtsverdrängung" ausgesprochen. 2.2.3 Umstritten ist vor allem, ob Art. 48 Abs. 4 EWGV organisatorisch I institutionell oder funktionell interpretiert werden soll (dazu im folgenden), bei
einer funktionellen Betrachtung dann die Frage, ob die vom Gerichtshof genannten Merkmale kumulativ oder alternativ angewendet werden müssen (dazu unten 2.2.4). Die für eine organisatorische bzw. institutionelle Auslegung des Begriffs sprechenden Argumente hat die französische Regierung in der Rechtssache Kommission I Frankreich 87 so zutreffend zusammengefaßt, daß sie nachfolgend wörtlich wiedergegeben werden soll: Wie schon in der Rechtssache 149 f79 geht die französische Regierung von einer "organisatorischen" oder "institutionellen" Auslegung des Begriffes "öffentliche Verwaltung" in Artikel 48 Absatz 4 aus, die jedwede Beschäftigung unabhängig von der Art der mit ihr verbundenen Tätigkeit von der Anwendung des Grundsatzes der Freizügigkeit ausschließt. Sie stützt diese Auffassung auf sechs Argumente: 1. den Wortlaut der Bestimmung, die nur von "öffentlicher Verwaltung" spreche,
also innerhalb dieser nicht zwischen verschiedenen Bereichen und verschiedenen Funktionen unterscheide;
2. eine Reihe von systematischen Gesichtspunkten, genauer: a) verschiedene Bestimmungen, insbesondere die Artikel36, 37,48 Absatz 3, 55, 122 und 223, beweisen, daß die Verfasser des EWG-Vertrages die besondere Rolle der Staaten anerkannt hätten, indem sie diesen den Schutz und die Förderung des Gemeinwohls vorbehalten hätten; b) Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag verwende nicht den in Artikel 55 enthaltenen BegritT "mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden", habe also eine weitere Bedeutung; c) während Artikel 48 Absatz 3 (aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit) "partielle" Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit zulasse, enthalte Artikel 48 Absatz 4 eine "umfassende" Ausnahme; 3. Ihre Urteile zum Gleichheitssatz, wonach verschiedene Situationen verschieden zu behandeln seien. Die Situation des französischen Staatsbürgers unterscheide sich begritTsnotwendig von derjenigen der anderen Gemeinschaftsbürger, soweit es um seinen Anspruch gehe, dem Gemeinwesen, dem er angehöre, als Beamter zu dienen; 4. die Erfordernisse des Funktionierens der Verwaltung, deren Zweck es sei, dem Gemeinwohl zu dienen. Ihre Beschäftigten hätten somit eine Aufgabe zu erf"üllen, die sich himmelweit von derjenigen der Arbeiter in der Privatwirtschaft unterscheide, da sie die Ausübung öffentlicher Gewalt umfasse und deshalb von demjenigen, der daran teilnehme, eine besondere Loyalität erfordere; 86 87
in seinem Vortrag (Fn. 80). RS. 307 I 84, Slg. 1986, S. 1725 I 1728 f.
32
2 Die Auffassungen in der Literatur
5. den Laufbahngrundsatz, nach dem alle Beamten die Möglichkeit haben müßten, in die höchsten Besoldungsgruppen aufzurücken. Da die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten von den entsprechenden Dienstposten auf jeden Fall ausgeschlossen wären, würde ihre Gleichstellung mit den französichen Staatsbürgern im Ergebnis zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes zu ihren Ungunsten führen; 6. das in Artikel 48 verankerte Recht auf Arbeit: Frankreich verletze diesen Grundsatz nicht dadurch, daß es den Gemeinschaftsbürgern keinen Zugang zu Dauerplanstellen gewähre, denn sie könnten die entsprechenden Posten nach den französischen Rechtsvorschriften auf vertraglicher Grundlage bekleiden. Abschließend erklärt sich die französische Regierung bereit, im Rahmen der Arbeiten des Rates einen eventuellen Vorschlag für eine Definition des Begriffes "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" auf der Gemeinschaftsebene zu prüfen. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftrechts sei diese Definition jedoch ihrer Überzeugung nach Sache der Mitgliedstaaten.
Alle diese Argumente gehen allerdings davon aus, daß es sich hier nicht um einen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt, sondern um einen unbestimmten Rechtsbegriff des nationalen Rechts, der gemeinschaftsrechtlich überprüft wird. Wird demgegenüber die "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" als ein Begriff des Gemeinschaftsrechts angesehen - wie dies der Gerichtshof, wenn auch mit nicht überzeugender Begründung, tut-, dann und nur dann ist die gleiche Interpretation in allen Mitgliedstaaten zwingend (vgl. oben 2.2.1). Eine derart gleiche Interpretation in allen Mitgliedstaaten ist nur auf dem Wege einer "funktionellen" Auslegung sinnvoll; eine organisatorische und institutionelle Interpretation würde bei der Annahme eines Gemeinschaftsrechtsbegriffs zu einem uniformen Zuschnitt der nationalen Verwaltungen in den Mitgliedstaaten führen. Die Argumente, die vor allem die französische Staatsregierung gegen die funktionale Interpretation des Gerichtshofs ins Feld geführt hat (unter der Prämisse, es handele sich bei Art. 48 Abs. 4 EWGV um einen Begriff des nationalen Rechts, sind vom Gerichtshof zu Unrecht als "erledigt" angesehen worden. Da sie in der Diskussion noch immer eine Rolle spielen, soll dies im folgenden kurz belegt werden: -
Häufig angesprochen wurde vor allem das Verhältnis zwischen Art. 48 Abs. 4 EWGV und Art. 55 Abs. 1 EWGV, der für die Niederlassungsfreiheit bestimmt: "Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, findet dieses Kapitel in dem betreffenden Mitgliedstaat keine Anwendung".
Der Unterschied im Wortlaut ist unübersehbar, so daß der Standpunkt der belgiseben Regierung 88 plausibel erscheint, im Gegensatz zum institutionell
2.2 Die wesentlichen Sachargumente
33
zu verstehenden Art. 48 Abs. 4 EWGV sei Art. 55 Abs. 1 EWGV funktional zu interpretieren. Im gleichen Verfahren erläutert diesen Unterschied die britische Regierung 89 auch einleuchtend damit, daß im Bereich der Niederlassungsfreiheit die Ausübung öffentlicher Gewalt sehr selten sei und daher eigens habe geregelt werden müssen. Daß Art. 55 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 4 EWGV "auf ähnlichen Überlegungen beruhen" 90 , kann eine rechtliche Gleichheit sicher nicht begründen. Das vermag auch eine "übereinstimmende Zweckrichtung" 91 nicht. Die damit begründete Übertragung der für Art. 55 Abs. 1 EWGV entwickelten Auslegungsgrundsätze auf Art. 48 Abs. 4 EWGV 92 ist nicht überzeugend. Wichtiger erscheint mir demgegenüber die Tatsache, daß Art. 48 Abs. 4 EWGV unmittelbar angewendet werden soll93 • Die Kommission hat ausdrücklich gesagt, sie habe "zu keiner Zeit die Auffassung vertreten oder akzeptiert, daß die Anwendung des Art. 48 EWGV und der Verordnung Nr. 1612/68 vom vorherigen Erlaß gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsmaßnahmen bzgl. des Begriffs "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" abhänge". Währenddessen hat der Gerichtshof für die Anwendung des Art. 55 EWGV die Durchführung entsprechender Harmonisierungsmaßnahmen94- verlangt 95 • Damit ist die Berufung auf den unterschiedlichen Wortlaut beider Vorschriften jedenfalls bisher nicht entkräftet96 • Auch eine Gleichheit der "Ausnahmen" der Abs. 397 und Abs. 4 des Art. 48 EWGV wird lediglich behauptet. -
Zum Stichwort der Erfordernisse des Funktionierens der Verwaltung hat auch die deutsche Bundesregierung in ihrem Bericht vom 25.1.1990 im Innenausschuß des Deutschen Bundestages über den Zugang von EG-Ausländem
Geäußert im Verfahren Kommission gegen Belgien, Slg. 1980, S. 3888. a.a.O., S. 3893. 90 So der Generalanwalt im Sotgiu-Fall, S. 171. 91 So. U. H. Wittkopp, a.a.O., S. 209. 92 SoU. H . Wittkopp, a.a.O., S. 210. 93 Im Fall Kommission gegen Belgien, Slg. 1980, S. 3887. 94 Vgl. etwa die auf Grund Art. 56 Abs. 2 erlassenen Richtlinien des Rates RL 64 j 221 v. 25.2.1964 und Rl 68/360. 95 EuGH, Slg. 1974, S. 631/655. 96 Die Auffassung des Generalanwalts Mancini im Rechtsstreit Kommission gegen Frankreich, RS. 307/84, Slg. 1986, S. 1730f.: Der unterschiedliche Wortlaut zwischen Art. 55 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 4 EWGV sei deswegen unerheblich, da beide Vorschriften für unterschiedliche Personengruppen gelten würden, ist mir als Begründung nicht nachvollziehbar. 97 Die Freizügigkeit gibt - " vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen" - den Arbeitnehmern folgende Rechte ..... 88 89
3 Lecheier
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2 Die Auffassungen in der Literatur
zum öffentlichen Dienst der Bundesrepublik und anderer EG-Mitgliedstaaten daran festgehalten, daß die Staatsangehörigkeit jedes einzelnen Punktionsträgers von entscheidender Bedeutung sei, wenn nationale öffentliche Aufgaben sachgerecht erfüllt werden sollten. Hier müßten den Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten in der öffentlichen Verwaltung Vorrang vor einer uneingeschränkten Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft eingeräumt werden. Das stellt die Grundsatzfrage, für die die Auslegung des Art. 48 Abs. 4 EWGV ein zwar wichtiger, aber dennoch nur einzelner Anwendungsfall darstellt (vgl. dazu unten 3.2). -
Ausgeräumt ist lediglich das fünfte Argument der französischen Regierung, der Hinweis auf den Laufbahngrundsatz, weil der Gerichtshofhier in der Tat inzwischen präzisiert hat98 , daß die Mitgliedstaaten ihren jeweiligen Staatsangehörigen den Zugang zu solchen Stellen vorbehalten dürfen, die "im Rahmen ein und derselben Laufbahn, ein und desselben Dienstes oder ein und derselben Laufbahngruppe" zu Stellen führen, welche den Anforderungen der Rechtsprechung für eine Ausnahme genügen.
2.2.4 Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH, nach der Art. 48 Abs. 4 EWGV gemeinschaftsrechtlich auszulegen ist, konzentriert sich das Interesse darauf, ob die erforderlichen Kriterien der "unmittelbaren oder mittelbaren Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse" und der Teilnahme "an der Wahrnehmung solcher Aufgaben, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind", kumulativ oder alternativ angewendet werden müssen. Beides wird behauptet. Bezweifelt wird schon, ob der Gerichtshof früher wirklich beide Kriterien kumulativ angewendet hat 99 • Die Analyse der Rechtsprechung hat aber keinen vernünftigen Anhaltspunkt für diesen Zweifel ergeben. In der Literatur ist dann aber vorgetragen worden 100 , daß der Gerichtshof später das Erfordernis einer kumulativen Prüfung aufgegeben und sich mit der lediglich alternativen Prüfung begnügt habe, ob ein Dienstposten mittelbar oder RS 12 149 (79, Slg. 1980, S. 3904. So jedenfalls der Generalanwalt Lenz in seinen Schlußanträgen im Rechtsstreit Kommission gegen Italien, RS. 225/85, Slg. 1987, S. 2634. 100 So A. Randelzhofer im Kommentar des EWGV von E. Grabitz (Hg.), Rn. 64 zu Art.44: Danach habe der EuGH in seinem Urteil vom 16.6.1987 (Rn. 225 / 85) das Erfordernis kumulativer Prüfung aufgegeben und sich mit der alternativen Prüfung begnügt; das haben ebenso gesehen J. SedemundjF. Montag, Europäisches Gemeinschaftsrecht, NJW 1988, S. 601 /607; die Autoren sehen hier eine neue "restriktive" Tendenz des Gerichtshofs bei seinen Eingriffen in die nationale Personalhoheit. Bestritten wurde eine solche Tendenz aber ausdrücklich von H. GoerlichfP. Bräth, Zur europäischen Freizügigkeit im öffentlichen Sektor, NVwZ 1989, S. 330f. 98 99
2.2 Die wesentlichen Sachargumente
35
unmittelbar an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse teilhabe oder an der Wahrnehmung solcher Aufgaben, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind. Diese Auffassung, der Gerichtshof habe damit seine Anforderungen gelockert, ist allerdings bei näherer Prüfung nicht haltbar: Das Urteil vom 16.6.1987 101 hat zunächst an den allgemeinen Grundsatz erinnert, daß Art. 48 Ab§. 4 EWGV als Ausnahme vom Grundprinzip der Freizügigkeit so auszulegen ist, "daß sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, unbedingt erforderlich ist" 102 • Es hat dann 103 auf die nähere Präzisierung zurückverwiesen, die der Gerichtshof in der Rechtssache 149/79 104 gegeben hat. Dort werden im Leitsatz 1 die beiden Kriterien kumulativ aufgeführt, ebenso in Leitsatz 3 und 4. In den Entscheidungsgründen wird dieser Sprachgebrauch in den Rn. 10 und 12 aufrechterhalten. Demgegenüber kann m. E. die Verwendung des Wortes "oder" im Urteil vom 16.6.1987 nicht ins Feld geführt werden, weil die Entscheidungsgründe in der Rn. 9 nach der Rückverweisung auf das Urteil vom 17.12.1980 eher beiläufig feststellen, daß die im Streit befindliche Stelle weder das eine noch das andere Kriterium erfüllt. Die Übernahme einer alternativen Formulierung in den Leitsatz 2 dieses Urteils - wo in der Tat alternativ formuliert wird - ist daher nicht sachgerecht. Für eine Restriktion der bisherigen Anforderungen des Gerichtshofs läßt sich also kein Hinweis finden 105 • 2.2.5 Im Ergebnis wird man also festzuhalten haben, daß- da der Charakter als Rückverweis auf die nationale Rechtsordnung auf das deutsche Schrifttum nicht gestützt werden kann - eine funktionelle Beurteilung der jeweiligen Dienstposten, und zwar unter kumulativer Verwendung der beiden vom Gerichtshof gegebenen Kriterien, erfolgen muß. Damit ist der Katalog der Kommission, wie er in der systematischen Aktion gegeben worden ist, nicht zu halten. Darüber hinaus räumt der Gerichtshof ausdrücklich ein 106 : "Es ist nicht zu verkennen, daß die Anwendung der vorstehend angeführten Unterscheidungskriterien in konkreten Fällen Beurteilungs- und Abgrenzungsprobleme aufwirft". RS 225/85, Slg. 1987, S. 2636ff. Rn. 7 dieses Urteils. 103 Rn. 9 des Urteils. 104 Urt. v. 17.12.1980, Slg. 1980, S. 3681. 105 Die insoweit abweichende Auffassung von I. Hochbaum, Die Aktion der EGKommission zur Liberalisierung des öffentlichen Dienstes, ZBR 1989, Heft 2, überzeugt mich nicht. 106 In seinem Urt. v. 17.12.1980 im Rechtsstreit Kommission gegen Belgien, RS. 149/79, Slg. 1980, S. 3901. 101
102
3•
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2 Die Auffassungen in der Literatur
Angesichts der Schwierigkeiten, die schon eine nationale Interpretation der "Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse" in Art. 33 Abs. 4 GG bereitet 107 , kann diese Aussage des Gerichtshofs nur unterstrichen werden. Hinzu kommt, daß dieser Begriff anderen Mitgliedstaaten (vor allem dem Vereinigten Königreich) überhaupt nicht bekannt ist und seine Anwendung dort zu Ergebnissen führen kann, die der Generalanwalt vor dem Gerichtshof als "chaotisch" bezeichnet hat. Der Rückgriff auf nationales Verfassungsrecht würde hier dem Gerichthof nur sehr eingeschränkt helfen - er würde ihn allerdings auch keineswegs unvertretbar eng binden.
107 Vgl. dazu ausf'ührlich H. Lecheler, Grenzen fUr den Abbau von Staatsleistungen. Eine Untersuchung zu Art. 87 Abs. 1 und 33 Abs. 4 GG, 1989.
3 Die Grundsatzfrage nach den Schranken der Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs Grundsätzlich ist zu fragen, wie weit die Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs reichen, insbesondere ob er im Rahmen seiner Kompetenz bleibt, einen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz aufzustellen, der es verbietet, auf Bestimmungen der innerstaatlichen Rechtsordnung einschließlich der Verfassungsordnung zurückzugreifen, wenn dieser Rückgriff die Tragweite der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts einschränkt. Diese Frage soll hier wenigstens kurz angesprochen werden; kurz deswegen, weil in der Praxis davon ausgegangen werden muß, daß der Gerichtshof dieses Recht an sich gezogen hat, ob es ihm nun zusteht oder nicht. 3.1 Die Aufgabe des Gericb1sbofs nach Art.l64 EWGV Nach Art. 164 EWGV sichert der Gerichtshof "die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages". Diese Bestimmung räumt dem Gerichtshof eine zentrale Stellung im Prozeß der europäischen Einigung ein. Das ist so unbestritten, daß auf Belegstellen verzichtet werden kann. 3.2 Insbesondere: Anwendung und Auslegung "dieses Vertrages" als gemeinscbaftsrecbtlicbe Grenze Ebensowenig freilich ist zu bestreiten, daß sich diese Rolle auf die Auslegung und Anwendung "dieses Vertrages" beschränkt. Der Gerichtshof ist nicht "der Rechtswahrer" schlechthin. Das Problem liegt nun darin, daß die Verträge einerseits eine eigenständige Gemeinschaftsrechtsordnung begründen, die von der nationalen Rechtsordnung zu unterscheiden und ihrerseits auf eine gewisse Vollständigkeit hin zu entwickeln ist 108 , daß sie andererseits aber vom Grundsatz der begrenzten Zuständigkeit beherrscht werden. Der Charakter der bloßen Teilintegration liegt beim Montan-Vertrag auf der Hand 109 • Die Integrationswirkung der Römischen Verträge freilich reicht zumindest in ihren Zielen weiter. Dennoch bleibt auch sie Teilintegration wie der Montan-Vertrag; nur sind die Grenzen 108 Vgl. dazu näher H. Lecheler, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, Berlin 1971, S. 148fT. 109 Vgl. in diesem Sinne auch Generalanwalt Lagrange, Slg. Bd. 3, S. 167; EGH, Slg. Bd. 6, S. 411 oder Bd. 7, S. 48.
38
3 Die Grundsatzfrage nach den Schranken der Kompetenz des EuGH
hier schwerer abzustecken als bei jenem; im Ringen um die Währungsunion etwa wird der Teilcharakter auch dieser Gemeinschaftsordnung deutlich 110 • Zwischen beide Pole ist das konkrete Handeln der Gemeinschaftsorgane eingespannt. Akzentuiert wird das Problem dadurch, daß die Gemeinschaftsordnung als eine dynamische, auf Wandel hin angelegte konzipiert ist. Sie soll nicht statisch verstanden werden. Eine solche "Wandelverfassung" 111 ist mit Mitteln der juristischen Interpretation nur sehr schwer in den Griff zu bekommen. Wie groß diese Probleme im Einzelfall auch sein mögen - eine Auffassung, nach der die Grenze zwischen dem nationalen und dem Gemeinschaftsrecht ohne jede Rücksicht auf die Souveränität der Nationalstaaten zu ziehen sei, ist damit nicht vereinbar 112 ; sie fördert letztlich auch das Integrationsziel nicht, sondern sie gefahrdet es eher, indem sie die alte Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen unter veränderten Konstellationen erneut aufwirft (unten 3.3). In der expansiven Rechtsprechung zu Art. 48 EWGV sieht Th. Oppermann 113 daher zu Recht die Grenze des Zulässigen bei der "Gratwanderung zwischen europapolitisch förderlicher Rechtsfortbildung und einer fragwürdigen Vorwegnahme von Rechtssetzung anstelle der eigentlich gesetzgebenden Instanzen" überschritten. Er kritisiert 114 die "kühn rechtsfortbildenden" Entscheidungen des Gerichtshofs, mit denen sich dieser über die "klassische Richterrolle" hinausbegeben habe. Zutreffend verweist Bundesverfassungsrichter P. Kirchhof in diesem Zusammenhang daraufl 15 , das "deutsche Europaverfassungsrecht" biete "gegenwärtig einen Rahmen, der nur für die wirtschaftliche Integration konzipiert ist, das Ziel 110 Vgl. zum Grundsatz der begrenzten Zuständigkeit grundsätzlich H.-P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im EWG-Vertrag als Strukturprinzip des Gemeinschaftsrechts, Diss. Erlangen, 1990; H. Lecheler, Der Europäische Gerichtshof ..... , S. 171 ff.; ders., Öffentliche Verwaltung in den Mitgliedsstaaten nach Maßgabe der "Dynamik der europäischen Integration"?- Liegt die Kompetenz-Kompetenz bereits in Brüssel?, Die Verwaltung 22 (1989), S. 137; J. H. Kaiser, Grenzen der EG-Zuständigkeit, Europarecht 1980, S. 97fT.; H. P.lpsen, Bitburger Gespräche, Jahrbuch (München 1987), S. 38: "Die Gemeinschaftsorgane handeln unter begrenzter Kompetenzzuteilung, die auch durch Art. 235 EWGV prinzipiell nicht in Frage gestellt wird" (Herv.i. Original). Dieses Prinzip "schließt eine Kompetenz-Kompetenz der Gemeinschaftsorgane aus" (a.a.O.). 111 So H. P. lpsen, a.a.O., S. 42. 112 In seinem grundlegenden Lehrbuch Europäisches Gemeinschaftsrecht (Tübingen 1972) hat H. P.Jpsen auch ausdrücklich gefordert, die Gemeinschaftsrechtssätze seien mit Rücksicht auf die Souveränität auszulegen (S. 269f.). 113 Von der EG-Freizügigkeit zur gemeinsamen europäischen Ausbildungspolitik?, Die "Gravier"-Doktrin des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Berlin / New York 1988, s. 17f. 114 a.a.O., S. 17fT., 19. 115 Gegenwartsfragen an das Grundgesetz, JZ 1989, S. 453 f 454 I. Sp.
3.3 Die Tragweite der Integrationsschranken von Art. 24 GG
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einer politischen Gemeinschaft aber noch nicht in rechtlich verbindlicher Form vorgezeichnet hat". Daran ist festzuhalten; darüber kann keine wie immer geartete europarechtliche "Dynamik" hinweghelfen. Die notwendige politische Einigung kann juristisch weder ersetzt noch erschlichen werden. Ein von den Richtern internationaler Gerichte deutlich unterschiedenes Bewußtsein der EuGH-Richter ist früh schon festgestellt worden 116 • Der EuGH habe wie ein klassisches internationales Gericht begonnen, später sich aber immer mehr der Haltung eines nationalen Gerichts angenähert, indem er mehr und mehr aus dem Vertrag "als Ganzem" argumentierte und Kompetenznormen von den in den Verträgen avisierten Zielen her interpretierte, bis hin zu den allgemeinsten Zielen, wie etwa demjenigen, den Markt zu schützen. Hier greift die Richterpsychologie der politischen und Vertragsentwicklung voraus. Auch aus der Besonderheit der im Vergleich zu internationalen Gerichten umfassenden Kompetenz des EuGH über bloße state-to-state-relationships hinaus kann der föderative Charakter der Gemeinschaft nicht bewiesen werden; auch wenn die Kompetenzen des Gerichtshofs sich erstrecken auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Staatsgewalten, die Beziehungen unter den Regionen und zwischen Zentral- bzw. und Regionalregierung und einzelnen Bürgern, so handelt es sich deswegen noch immer nicht um ein Bundesgericht 117 • Sicher liegt in der umfassenden Kompetenz des EuGH eine Besonderheit - ein Bundesgericht im nach wie vor "unvollendeten Bundesstaat" (W. Hallstein) ist der EuGH aber damit nicht geworden. 3.3 Art. 24 Abs. 1 GG als nationale Verfassungsschranke der Iotegration Art. 24 Abs. 1 GG ermöglicht es, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland derart zu öffnen, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik für ihren Hoheitsbereich zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb dieses Hoheitsbereiches Raum gelassen wird. In Erinnerung zu rufen ist, daß Art. 24 GG mit seiner Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf übernationale Zusammenschlüsse innerstaatlichen Verfassungsgrenzen unterliegt. Das ist im Prinzip unstreitig 118 • Diese Grenzen der "Übertragbarkeit" von Hoheitsrechten werden derzeit mit besonderer Intensität hinsichtlich der Rolle der deutschen Bundesländer im europä116 Vgl. R.-M. Chevallier, Methods and Reasoningof the European Court in its interpretation of Comrnunity Law, Comrnon market law review 1964I 5, S. 21fT. 117 In diese Richtung geht aber die Vermutung von A. W. Green, Political Integration by Jurisprudence- the work of the Court of justice of the European Comrnunities, in: European Political Integration, Leyden 1969. 118 Vgl. dazu H. Lecheler, Der nationale öffentliche Dienst und der Europäische Binnenmarkt, BayVBI.1989, S. 417; BVerfGE 73, 339/375 f.; Th. Schilling, Art. 24Abs. 1 GG, Art. 177 EWGV und die Einheit der Rechtsordnung, Der Staat 29 (1990), S. 161fT.
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3 Die Grundsatzfrage nach den Schranken der Kompetenz des EuGH
ischen Entscheidungsprozeß diskutiert 119 • Aber auch in anderen Sachzusammenhängen stellt sich das Problem in aller Dringlichkeit120 • Die erste, formale Grenze ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 GG: Er verlangt eine Übertragung der Hoheitsbefugnisse "durch Gesetz". Auch wenn für dieses die Funktions- und Machtverteilung des Grundgesetzes verändernde Gesetz die formalen Voraussetzungen für eine Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 1 GG nicht eingehalten werden müssen, so stellt das Grundgesetz doch damit eine formale Mindestgrenze auf, die überall dort überschritten ist, wo die ausdrücklich vertraglich eingeräumten Kompetenzen des Gemeinschaftsrechts im Wege extensiver Auslegung oder offener Rechtsfortbildung erweitert werden soll. Neben dieser formalen Grenze zieht Art. 24 Abs. 1 GG auch inhaltliche Grenzen: Die Vorschrift ermächtigt nämlich nicht dazu, auf diesem Wege die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch eine Veränderung ihres Grundgefüges oder der sie konstituierenden Strukturen aufzugeben 121 • Auch wenn es nicht einfach ist, herauszuarbeiten, was zu diesem "Grundgefüge", zu den die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland "konstituierenden Strukturen" gehört- so ändert das nichts an der (im übrigen unstreitigen) Geltungskraft des Art. 24 Abs. 1 GG. 119 Vgl. dazu R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer und H. J. Blanke, Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäische Integration, beide in: D. Heckmann/K. Messerschrnidt (Hg.), Gegenwartsfragen des öffentlichen Rechts, Berlin 1988, S. 15 fT. und S: 53fT.; W. Rudo/f, Die deutschen Bundesländer und die Europäischen Gemeinschaften nach der Einheitlichen Europäischen Akte, in: FS f. K. J. Partsch, hrsg. v. J. Jekewitz/Kh. Klein / J. D. Kühen u.a., Berlin 1989; W. Kössinger, Die Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrecht im Bundesstaat- Bund / LänderVerhältnis und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Berlin 1989; D. Dörr, Die EG und die deutschen Bundesländer, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 1988, S. 292; T. R. Busch, Bundesländer und GG im Spannungsfeld der europ. Integration, Pfaffenweiler 1990. 120 Vgl. z. B. G. Memminger, Bedeutung des Verfassungsstreites zur EG-Rundfunkrichtlinie, DÖV 1989, S. 846; J. Delbrück, Rundfunk und Wettbewerbsrecht, in: W. HofTmann-Riem (Hg.), Rundfunk im Wettbewerbsrecht, 1988, S. 245. Zur Grundrechtswidrigkeit der EG-Tabakregelung als beispielhaftem Fall vgl. R. Scholz, Europäisches Gemeinschaftsrecht und innerstaatliche Verfassungsrechtsschutz, in: K. H. Friauf/R. Scholz, Europarecht und Grundgesetz, Berlin 1990, S. 53/62fT.; H.-U. Ga//was, Bildungsföderalismus in der Europäischen Gemeinschaft unter rechtlichen Aspekten, Verantwortung und Leistung - Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Höherer Dienst, Heft 21, Mai 1990; I. Pernice, Kompetenzordnung und Handlungsbefugnisse der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umwelt- und Technikrechts, Die Verwaltung 22 (1989), S. 1fT.; ders., Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf das Umweltrecht Gemeinschafts(verfassungs-)rechtliche Grundlagen, NVwZ 1990, S. 201fT.; E. Grabitz/Chr.Zacker, Die neuen Umweltkompetenzen der EWG, NVwZ 1989, S. 297fT; U. Battis, Vereinheitlichung des Umweltrechts im Europäischen Binnenmarkt? Natur und Recht 1989, S. 265fT. 121 BVerfGE 73, 339/375 f.
3.3 Die Tragweite der Integrationsschranken von Art. 24 GG
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Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher zum Umfang dieser "konstituierenden Strukturen" nicht abschließend geäußert 122 • In der Literatur besteht weitgehende Übereinstimmung dahin, daß ihr Kreis jedenfalls weiter ist als in Art. 79 Abs. 3 GG bei der Festlegung derjenigen Prinzipien, die nach dem Willen des Verfassunggebers einer Verfassungsänderung vollständig entzogen werden sollen. Den Umfang und die Gestalt des nationalen öffentlichen Dienstes, die neben Art. 33 Abs. 4 und 5 GG auch von Art. 87 Abs. 1 GG bestimmt werden, wird man nicht von vornherein aus dem Kreis dieser Strukturen ausklammern können. Wenn nun nach Jahren der Stagnation mit einem Mal eine ganz erhebliche Bewegung in das europarechtliche Schrifttum gekommen ist, so rechtfertigt es auch eine europafreundliche Grundhaltung nicht, Erfordernisse des nationalen Verfassungsrechts ohne weiteres ad acta zu legen. Bereits der Hinweis auf nationale Verfassungsgrenzen kann heute leicht zu einer außerordentlich emotional geprägten Diskussion führen 123 • Friauf rügt zu Recht, daß statt rechtlicher Abwägungen vielfach eine Auseinandersetzung über die Scheinalternative "Sein oder Nichtsein der Europäischen Gemeinschaften" geführt wird, so daß es" vor diesem Hintergrund" angebracht erscheint, "daran zu erinnern, daß auch der gemeinschaftsrechtliche Bezug eines Problems nicht von der Notwendigkeit einer stringenten verfassungsrechtlichen Analyse befreit". Man mag zwar im Ansatz verstehen können, daß sich vor allem ein Teil der Buroparechtswissenschaft - im selbstbewußten Selbstverständnis einer neuen Rechtsdisziplin, die es weder mit klassischem Völkerrecht noch mit nationalen Normen zu tun hat- in methodischer und dogmatischer Hinsicht gelegentlich nicht gern an lästige, aber disziplinierende Vorgaben gebunden fühlt. Zu billigen ist eine derartige Betrachtungsweise aus verfassungsrechtlicher Sicht indessen nicht. Sie relativiert vorschnell die Geltungskraft der einzelstaatlichen Verfassung, ohne vorab die notwendige Vorfrage zu stellen (geschweige denn zu beantworten), ob, bzw. unter welchen Voraussetzungen, das nationale Verfassungsrecht solche Abstriche überhaupt hinnimmt. Das ist gerade bei Art. 24 Abs. 1 GG verhängnisvoll, weil die innerstaatliche Wirkung des Europäischen Gemeinschaftsrechts aus der Sicht des nationalen Verfassungsrechts auf dieser Bestimmung beruht. Zu Recht wird daher auch angenommen, daß die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Grenzziehung zwischen dem nationalen und dem Gemeinschaftsrecht unter dem EuGH und Vgl. dazu H. Lecheler, (Fn. 118), S. 417. Vgl. H. K. Friauf, Die Bindung deutscher Verfassungsorgane an das Grundgesetz bei Mitwirkung an europäischen Organakten, in: K. H. Friauf/R. Scholz, Europarecht und Grundgesetz, S. 11/21 f. unter Berufung auf ders., Die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung im Recht der westeuropäischen Gemeinschaften, AöR 85 (1960), S. 222/225 und H. H. Rupp, Nationaler Grundrechtsschutz in den Europäischen Gemeinschaften, in: Die Grundrechte in der Europäischen Gemeinschaft, 1978, S. 9/18. 122
123
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3 Die Grundsatzfrage nach den Schranken der
~ompetenz
des EuGH
den nationalen Gerichten verteilt ist 124 • Dementsprechend mehren sich auch in der deutschen Literatur Auffassungen, die einen Kompromiß zwischen der Gemeinschaftsordnung und den nationalen Rechtsordnungen verlangen 125 • Dem Deutschen Bundestag liegt ein Entwurfzur Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG vor, mit dem der Einfluß der deutschen Länder im Integrationsprozell ausdrücklich gestärkt werden soll: "Der Bund kann durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. In Angelegenheiten dieser Einrichtungen wirken die Länder bei der Willensbildung des Bundes mit. Das Nähere regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf; soweit die im Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten der Länder oder ihre wesentlichen Interessen berührt werden, ist die Möglichkeit einer wesentlichen Einflußnahme der Länder vorzusehen".
Jedenfalls die diesen Gesetzesantrag stützenden Länder 126 gehen davon aus, daß die Rechte der Länder im Prozeß der Europäischen Integration im Grundgesetz festgeschrieben werden sollen, um auf diese Weise die föderative Ordnung der Bundesrepublik - ohneZweifel ein Element der Grundstrukturen der deutschen Verfassung - im fortschreitenden Prozeß der Europäischen Einigung zu schützen. Nach dem Scheitern des Antrags des Freistaates Bayern vom 23.2.1988 127 , mit dem festgestellt werden sollte, daß die Auslegung des Art. 48 Abs. 4 EWGV gemeinsam mit den Mitgliedstaaten erfolgen soll und die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, diese Grundsätze gegenüber der EG-Komrnission "mit Entscheidenheil zu vertreten" 128 , ist dies ein neuer Vorstoß, verfassungsrechtliche Grundprinzipien auch im europäischen Einigungsprozell zu wahren. Der schon historische Konflikt zwischen dem EuGH und dem Bundesverfassungsgericht über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes und seine Lösung 129 können in der Sache modellhart 124 So etwa A. Bleckmann, Zur Funktion des Art. 24 GG, in: Staat und Völkerrechtsordnung, FS f. Kar! Doehring, hrsg. v. Hailbronner/Ress/ Stein, Berlin 1989, S. 63/69. 125 Vgl. H. Henrichs, Gemeinschaftsrecht und nationale Verfassungen- eine Konfliktstudie, EuGRZ 1989, S. 237/241 ff. m.zahlr.w. Nachw. 126 Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, vgl. BundesratsDs. 703/89 V. 7.12.1989. 127 BRDs. 80/88. 128 Auf seiner 598. Sitzung am 10.3.1989 ist der Bundesrat von diesen Bedenken zu Unrecht in wesentlichen Punkten wieder abgerückt (BRDs. 178/1/88 v. 10.3.1989). Der Bundesrat hat dabei die Ansicht der Kommission übernommen, daß die Ausnahmevorschrift des Art. 48 Abs. 4 EWGV nicht generell für die öffentliche Verwaltung gelte, sondern auf solche Tätigkeiten beschränkt sei, die im Zusammenhang mit hoheitlichen Befugnissen und spezifischen Diensten des Staates stünden. Immerhin wurde wenigstens der Passus in der Vorlage nicht beschlossen, daß die Ausnahmen des Art. 48 Abs. 4 EWGV auf "Kernfunktionen der öffentlichen Verwaltung beschränkt seien".
3.3 Die Tragweite der Integrationsschranken von Art. 24 GO
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herangezogen werden in den Streit um die Hoheit der Mitgliedstaaten über ihre nationalen Verwaltungen 1298. Sie werden dadurch, daß der Gerichtshof den Mitgliedstaaten konkrete Vorgaben macht, welche Dienstposten sie ihren eigenen Staatsangehörigen vorbehalten können, in ihrer Souveränität empfindlich eingeschränkt. Dazu ist den Gemeinschaftsorganen in den Verträgen aber ein Recht nicht eingeräumt worden. Ein Übergang der Kompetenz auf sie ließe sich allenfalls aus Art. 235 EWGV und damit nur unter der Voraussetzung rechtfertigen, daß ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich ist, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes das Ziel der Freizügigkeit zu verwirklichen130. Die Notwendigkeit der Einbeziehung der öffentlichen Verwaltungen in die Freizügigkeitsregelungen ist zwar gelegentlich behauptet, nicht aber wirklich nachgewiesen worden. Dies dürfte auch kaum möglich sein. Im Ergebnis spricht also viel dafür, daß der Gerichtshofbei seiner Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV hier die Grenzen sowohl des Gemeinschaftsrechts als auch des deutschen Verfassungsrechts überschritten hat 131 . Ungeachtet der juristischen Diskussion und der weiteren politischen Entwicklung wird sich die Praxis allerdings darauf einzustellen haben, daß der Gerichtshof seine Rechtsprechung ohne äußere zwingende Gründe nicht ändern wird. Um den Kollisionsfall zu verdeutlichen, wird im folgenden die Frage nach den Konsequenzen aus der Rechtsprechung des EuGH für das deutsche nationale Recht erörtert.
129 Vgl. dazu R. Streinz, Bundesverfassungsrechtliche Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht - die Überprüfung grundrechtsbeschränkender deutscher Begründungs-und Vollzugsakte von Europäischem Gemeinschaftsrecht durch das Bundesverfassungsgericht, Baden-Baden 1989; M. Herdegen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und die Bindung deutscher Verfassungsorgane an das Grundgesetz, EuGRZ 1989, S. 309fT.; K. H. Friauf, in: ders./R. Scholz, Europarecht und Grundgesetz, S. 11 f. 1298 Vgl. H. Henrichs, Gemeinschaftsrecht und nationale Verfassungen Eine Konfliktstudie, EuGrz 1989, S. 237fT. 130 Dabei entspricht allerdings auch die praktisch übliche, fast schon formelhafte Berufung auf Art. 235 EWGV seinem vertraglichen Charakter als einer Sonderbestimmung für Ausnahmefalle nicht. D.-W. Dorn, Art. 235 EWGV- Prinzipien der Auslegung, Kehl u.a., 1986, S. 3f.; R. Mögele, Grundzüge der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften, BayVBI. 1989, s. 577/583 fT. 131 So zutreffend Th. Oppermann (Fn. 113, S. 17f.).
4 Die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des EuGH und der "systematischen Aktion" der Kommission für den deutseben öffentlichen Dienst 4.1 Das Kollisionsgebiet
Kollisionen zwischen den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen und dem nationalem Recht ergeben sich eher aus der systematischen Aktion der Kommission als aus der Rechtsprechung des EuGH. Die Rechtsprechung des EuGH ist auch im deutschen Schrifttum zu Recht als nur bedingt geeignet für Verallgemeinerungen beurteilt worden 132 • Immer wieder steht die Bemühung des Gerichtshofs im Vordergrund, im Einzelfall eine gerechte Lösung zu finden. Diese Einschränkung des Aussagegehalts der Urteile ist wichtig, weil die Kommission konkrete Anhaltspunkte aus ihr gewinnen will, um die Freizügigkeit innerhalb der öffentlichen Verwaltung durchzusetzen. Die Kommission hat - wie dargelegt - mit Beschluß vom März 1988 133 die Mitgliedstaaten aufgefordert, für mehrere ausgewählte Gebiete der Leistungsverwaltung darzulegen, inwieweit die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten gewährleistet ist. Es handelt sich um -
die nicht-militärische Forschung
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das Gesundheitswesen
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den Unterricht an Schulen und Hochschulen
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das Transportwesen
-
die Daseinsvorsorge für Elektrizität, Gas und Wasser sowie
-
das Post- und Fernmeldewesen.
Für die Bundesrepublik Deutschland sind der Kommission inzwischen mehrere Gutachten vorgelegt worden, in denen ein vorläufiger Überblick über die angesprochenen Bereiche gegeben werden sollte 134 • Die Untersuchungen unterstreichen zu Recht die Schwierigkeit, auf die schon die Feststellung der erforderlichen Daten auf Grund der föderativen Struktur der Bundesrepublik stößt. Vgl. v.a. S. Forch, NVwZ 1987, S. 31. Amtsblatt 1988, Nr. C 72/2; I. Hochbaum, Die Aktion der EG-Kommission zur Liberalisierung des öffentlichen Dienstes, ZBR 1989, S. 33fT. 134 I.v. Münch, Rapport, Sur l'acces des etrangers aux emplois dans I' Administration publique en Republique federale d'AIIemagne, Novembre 1983; weitere Gutachten sind noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben. 132
133
4.2 Festlegung des Umfangs des nationalen öffentlichen Dienstes
45
Hinzu kommt das Problem, daß nach dem funktionalen Ansatz des EuGH für jede einzelne Stelle im öffentlichen Dienst untersucht werden müßte, inwieweit die vom EuGH aufgestellten Kriterien bei der Reservierung eines Dienstpostens für eigene Staatsangehörige beachtet werden. Da diese Angaben aus den veröffentlichten Quellen aber nicht gewonnen werden können, machen die Gutachter für die genannten Verwaltungsbereiche generelle Aussagen darüber, inwieweit hier Beamte, Angestellte oder Arbeiter beschäftigt werden; zutreffend geht man davon aus, daß der Zugang von EG-Ausländem nur beim Beamtenverhältnis auf Schwierigkeiten stößt. Bei einem solchen Vorgehen auf der Basis einer faktischen Bestandsaufnahme erscheinen diejenigen Verwaltungsbereiche, in denen entgegen der Bindung des Art. 33 Abs. 4 GG Angestellte auf Beamtendienstposten eingesetzt werden, als positiv im Sinne des Gemeinschaftsrechts - ein problematisches Ergebnis, das einem sachgerechten Ausgleich zwischen nationalen und Gemeinschaftsinteressen kaum förderlich ist. Gemeinschaftsrechtliche Schwierigkeiten infolge des verfassungskonformen Regeleinsatzes von Beamten werden vor allem gesehen -
im öffentlichen Gesundheitsdienst,
-
im Unterrichtswesen, in dem Lehrer zum weit überwiegenden Teil, in den meisten Bundesländern nahezu ausschließlich, im Beamtenstatus beschäftigt werden. Vor allem zur Unterrichtung ausländischer Schüler und zur Erteilung von Fremdsprachenunterricht werden ausländische Lehrer im Angestelltenverhältnis eingestellt
-
und im Postwesen, wo Staatsangehörige anderer EG-Staaten in nennenswertem Umfang lediglich im einfachen und technischen Dienst als Angestellte oder Arbeiter beschäftigt werden.
Insgesamt bieten die Gutachten - erklärtermaßen - ein sehr grobflächiges Raster, aus dem heraus weder vertragswidriges noch ein vertragsgemäßes Verhalten der Bundesrepublik Deutschland zu belegen ist.
Die Gutachten gehen offenbar auch davon aus, daß der Einsatz von EGAusländem als Angestellte in diesen Bereichen den Anforderungen der Freizügigkeit genügt; das setzt freilich voraus, daß Angestellten- und Beamtenverhältnis innerstaatlich gleich bewertet werden, so daß der ausschließliche Verweis auf den Angestelltenstatus eine Diskriminierung schon innerstaatlich nicht begründet. Das wäre aber innerstaatlich in dieser allgemeinen Form nicht haltbar 135 • 4.2 Die Kompetenz zur Festlegung des Umfangs des nationalen öffentlichen Dienstes Eindeutig ist, daß die Gemeinschaftsorgane sich weder dazu äußern können noch dies auch tun wollen, wie weit der Umfang der nationalen Verwaltung bei 135
Vgl. dazu unten 4.3.2.
46
4 Konsequenzen aus der Rechtsprechung des EuGH
den einzelnen Mitgliedstaaten gezogen wird. Diese Frage wird (vorerst?) dem nationalen Gesetzgeber nach Maßgabe seiner jeweiligen Verfassung überlassen. Nicht der Umfang der Verwaltung, sondern der Zugang zur Beschäftigung in ihr steht im Blickfeld der derzeitigen Gemeinschaftsaktivitäten. 4.3 Kollisionsvermeidung durch vermehrten Einsatz von Angestellten?
Nach der deutschen Verfassungsrechtslage ist die Ausübung hoheitsrechtlieber Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Beamten zu übertragen 136 . Die Beschäftigung von Angestellten kommt also grundsätzlich nur in Frage, soweit es sich nicht um die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse handelt oder soweit ihnen diese Befugnisse nicht als ständige Aufgabe anvertraut worden sind oder soweit Gründe für eine Ausnahme von der Regel des Art. 33 Abs. 4 GG gegeben sind (etwa fehlende Beamten-Bewerber mit der erforderlichen Qualifikation). 4.3.1 Soweit also nach deutschem Recht zulässigerweise Angestellte eingesetzt werden können, bestehen keine grundsätzlichen Schranken für den Zugang von EG-Ausländern. Der Bundesangestelltentarif(BAT) sowie die ManteltarifVerträge für die Arbeiter im öffentlichen Dienst enthalten das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit nicht 137 • 4.3.2 Problematisch ist aber - wie oben (4.1) schon kurz angesprochen-, ob EG-Ausländer grundsätzlich auch dort auf den Angestelltenstatus verwiesen werden können, wo nach deutschem Recht und nach entsprechender Verwaltungsübung Inländer verbeamtet werden. Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht könnte das damit gerechtfertigt werden, daß die rechtliche Gewährleistung der Freizügigkeit für Gemeinschaftsbürger und das Gebrauchmachen von dieser Freiheit im Einzelfall eine Ausnahme begründet, die eine Abweichung von dem Regelgebot des Art. 33 Abs. 4 GG rechtfertigt. Diese Interpretation würde faktisch durch die immer wieder geäußerte Vermutung unterlegt, daß es im ganzen nur ein relativ kleiner Kreis von EG-Ausländern sein werde, der in die deutsche öffentliche Verwaltung einzutreten sucht. Daß die Beschränkung der EG-Ausländer auf den Angestelltenstatus darüber hinaus keinen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot darstellt, wird in der Literatur jedenfalls angenommen 138 • Die Position des IJ