Die „Ich-Sphäre“ des Beters: Eine anthropologische Untersuchung zur Selbstreflexion des Beters am Beispiel von Ps 42/43 [1 ed.] 9783666571367, 9783525571361


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German Pages [277] Year 2019

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Die „Ich-Sphäre“ des Beters: Eine anthropologische Untersuchung zur Selbstreflexion des Beters am Beispiel von Ps 42/43 [1 ed.]
 9783666571367, 9783525571361

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Sarah Riegert

Die »Ich-Sphäre« des Beters Eine anthropologische Untersuchung zur Selbstreflexion des Beters am Beispiel von Ps 42/43

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ismo Dunderberg, Jan Christian Gertz, Hermut Löhr, Joachim Schaper

Band 275

Sarah Riegert

Die „Ich-Sphäre“ des Beters Eine anthropologische Untersuchung zur Selbstreflexion des Beters am Beispiel von Ps 42/43

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0939 ISBN 978-3-666-57136-7

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist eine geringfügig überarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit, die im Wintersemester 2017/18 als Dissertation von der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster angenommen wurde. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater und Mentor Prof. Dr. Reinhard Achenbach, der das Erstgutachten erstellt hat. Ohne seine wissenschaftliche Anleitung und seinen persönlichen Beistand wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Sein wissenschaftlicher Weitblick, seine menschliche Tiefe sowie seine Authentizität als Theologe waren und sind eine Inspiration für mich. In nicht geringerem Maße gilt mein Dank Prof. Dr. Christina Hoegen-Rohls. Ihre Unterstützung hat mich durch Zeiten hoher Arbeitsbelastung, zunächst auf meiner Stelle als Lehrkraft für besondere Aufgaben und dann als Studienfachberaterin und -koordinatorin getragen. Wesentliche Impulse zur Umsetzung meiner These und Strukturierung meiner Gedanken verdanke ich der kollegialen Unterstützung ihres interdisziplinären Oberseminars, welches durch rege Diskussionen meine Arbeit voranbrachte. Herrn Prof. Dr. Reinhard Müller gilt für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie seine hilfreichen Rückmeldungen in der alttestamentlichen Societät mein Dank. Ich rechne allen meinen Freunden an der Fakultät hoch an, dass sie mich von Anfang an herzlich aufgenommen haben und mir in Lehre und Forschung mit Rat und Tat zur Seite standen. Unter ihnen besonders Dr. Sabine Ihben-Bahl, die nicht nur ein Büro, sondern vielfach Freud und Leid der Qualifikationsphase mit mir teilte, sowie ihr Mann Dr. Patrick Bahl für alle Gespräche und Korrekturen. Auch auf die beherzte Unterstützung der Mitarbeiterinnen des Prüfungsbüros Kristina Budde und Sonja Flechtker durfte ich mich stets verlassen. Zutiefst dankbar bin ich für den Zusammenhalt meiner Familie, die mich durch diese Zeit hindurch getragen hat; allen voran meine Mutter Katharina Prohaska, ihr Mann Dirk Lepper und meine Geschwister. Münster in Westfalen Im März 2019

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Thematische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2 Ausgangspunkt – H. W. Wolff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Exkurs: ‫( נפש‬Person) und ‫ לב‬/ ‫( לבב‬Herz) bei H. W. Wolff . . . . . . . 17 1.3 Alttestamentliche Anthropologie(n) – Einblick in aktuelle Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.3.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.3.2 Der Mensch als Geschöpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.3.3 Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.3.4 Der ganze Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3.5 Leib- und Sozialsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.3.6 Person, Identität, Selbst – Begriffliche Überlegungen im Anschluss an C. Frevel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.4 Begriffe, These und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.4.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.4.2 Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre . . . . . . . . 43 1.4.3 Die hermeneutischen Ebenen der Ich-Sphäre und strukturelle Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.4.4 Weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2 Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung . . . . . . . . . . 58 2.1 Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2 Formbeobachtungen zu Ps 42/43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.3 Kontextuelle und redaktionskritische Einordnung innerhalb der Korachpsalmengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.3.1 Der Aufbau der beiden Korachpsalmengruppen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.3.2 Ps 42/43 innerhalb der Korachpsalmen . . . . . . . . . . . 89 2.3.3 Ps 42/43, Ps 84 und Ps 88 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.3.4 Ps 42,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3 Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 . . . . . . . . 98 3.1 Die Frage nach Selbstreflexion auf sprachlicher Ebene . . . . . . . 98 3.2 Vers für Vers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.2.1 Ps 42,2a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

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Inhalt

3.2.2 Ps 42,3a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.2.3 Ps 42,3b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.4 Ps 42,4a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3.2.5 Ps 42,4b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3.2.6 Ps 42,5a1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.2.7 Ps 42,5a2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.2.8 Ps 42,5b.c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.2.9 Ps 42,6a(.12a; 43,5a)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.2.10 Ps 42,6b(.12b; 43,5b)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.2.11 Ps 42,7a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.2.12 Ps 42,8a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3.2.13 Ps 42,9a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.2.14 Ps 42,10a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.2.15 Ps 42,11a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.2.16 Ps 42,12a.b(.6a.b; 43,5a.b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.2.17 Ps 43,1a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3.2.18 Ps 43,2a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.2.19 Ps 43,3a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3.2.20 Ps 43,4a.b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.2.21 Ps 43,5a.b (Ps 42,6a.b.12a.b)  . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.3 Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in den Einzelversen – Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.4 Weitere Beispiele für eine sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3.5 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4 Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 . . . . . . . . 164 4.1 Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion . . . 164 4.2 Wortebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.2.1 „Gott“ (‫ אלהים‬und ‫ )אל‬und „Angesicht“ (‫ )פני‬. . . . . . . . . 174 4.2.2 „Leben(skraft)“ (‫ )נפש‬und „Gott“ (‫ אלהים‬und ‫)אל‬ als Leitworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4.2.3 Fragepronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4.2.4 Klangmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.2.5 Wortfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.2.5.1 „Wasser“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.2.5.2 „Tempel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4.2.5.3 „Gerechtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.3 Satzebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 4.4 Räumliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4.5 Zeitliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4.6 Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen . . . . . . . . 205

Inhalt  

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4.6.1 Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4.6.2 Leben(skraft) (‫ )נפש‬. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4.6.3 Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4.6.4 Tempel – Angesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4.6.5 Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.7 Zwischenergebnis: Strukturanalyse von Ps 42/43 und hermeneutischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Exkurs: Ps 42/43 im Psalter als Heiligtum – Ein Reflexionsmedium und Kultsubstitut . . . . . . . . . . . . . . . 221 5 Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele 225 5.1 Beziehungs- und Stimmungsumschwünge unter Einbeziehung sprachlich expliziter Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.2 Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion in den Klagepsalmen des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.2.1 Die Ich-Sphäre in Psalm 77 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.2.2 Stimmungsumschwünge im Psalter – Ps 3 und Ps 31 . . . . 237 6 Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen   . . . . . . 249 7 Fazit: Die Ich-Sphäre – Ein Beitrag zur Forschungsdebatte . . . . . . . 254 8 Literatur   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Quellen und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Aufsätze / Zeitschriftenartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

1 Grundlegungen 1.1 Thematische Einführung Der moderne Mensch kennt viele Bezeichnungen für das, wovon er glaubt, dass es seine Existenz über das Körperliche hinaus konstituiert und mit denen er seinem Empfinden einer Innerlichkeit Ausdruck verleiht:1 Die Vorstellung einer Dichotomie von Leib-Seele als Gefühl von Innerlichkeit kann im Anschluss an C. Taylor auf Entwicklungen zurückgeführt werden, die von der platonischen Idee einer Seele als Lenkerin und vernunftorientiert handelnder Kraft inspiriert wurden.2 Eine solche Anthropologie unterscheidet sich auf doppelte Weise von der alttestamentlichen Sichtweise auf den Menschen. Zum einen bieten die literarisch vielschichtigen Texte des Alten Testaments keine einheitliche anthropologische Konzeption, sondern vielmehr eine Vielzahl von Anthropologien. Zum anderen sind die Texte von der geistigen Strömung ihrer Zeit geprägt, sodass gedankliche Voraussetzungen einer Dichotomie, wie sie durch die griechische Philosophie angestoßen wurden, nicht in diese Texte hineinprojiziert werden dürfen.3 Dass im Althebräischen keine äquivalenten Begriffe für Selbst oder Seele existieren, ist bereits ein erster Hinweis darauf, dass sich diese Texte einer anderen Ausdrucksweise bedienen, wenn sie von dem Menschen und seinem Inneren (im weitesten Sinne) sprechen. Es muss daher vor einer unreflektierten Begriffsübertragung gewarnt werden.4 Doch, dass das Alte Testament kein Selbst in dieser begrifflichen Kategorie expliziert, bedeutet nicht, dass es dieses nicht kennt oder nicht thematisiert. Es stellt sogar selbst in Ijob 7,15 die Frage nach der Konstitution des Menschen: „Was ist doch der Mensch, dass du ihn groß achten und dass du dich um ihn kümmern müsstest?“5 Besonders in den Psalmen des Einzelnen begegnet diese Frage als Frage des Beters nach dem eigenen Ich.6 Sie lassen erkennen, dass der Mensch zu sich selbst in ein Verhältnis tritt, also ein selbstreflexives Verhält 1 Vgl. C. Taylor, Quellen des Selbst, 207. 2 A. a. O. 214 ff. 3 Vgl. J. W.  Rogerson, Anthropology and the Old Testament, 46. Diese Unterscheidung von einem modernen Individualitäts- und Personenverständnis darf jedoch nicht mit einer Abqualifizierung der hebräischen Anthropologie im Sinne einer „primitive mentality“ einhergehen. Vgl. Ders., Anthropology and the Old Testament, 25. 4 Vgl. M. Rösel, Seele, 151–153. 5 K. Seybold, Studien, 277. 6 Vgl. a. a. O., 278. Das Ich kann im Anschluss an die Frevel’sche Definition einer Ich-Identität verstanden werden: Als ein stets veränderliches Ich kann es am besten in seiner selbstreflexiven Dynamik, in seiner soziokulturellen Eingebundenheit beschrieben werden. Die Ich-Identität beschreibt nicht nur eine dynamische Beziehung zu sich selbst, sondern darüber hinaus Authen-

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Grundlegungen  

nis zu sich expliziert und dadurch Selbstreflexion7 vollzieht. Damit ist ein Vorgang gemeint, der in der deutschen Sprache ausgedrückt werden kann durch Formulierungen wie sich zu sich selbst verhalten. Wie generiert sich also ein solches Selbstbewusstsein, das wir vielleicht am ehesten mit Begriffen wie Innerlichkeit oder intrinsisches Ich beschreiben würden in der Psalmenliteratur des Alten Testaments? Die Frage nach einem selbstreflexiven Verhältnis in den Psalmen muss in Hinblick auf den atl. Menschen im Anschluss an die Vorstellung einer aus Leib- und Sozialsphäre konstituierten, konnektiven „personalen Identität“8 gestellt werden. In dieser Studie wird darüber hinaus der Begriff der Ich-Sphäre eingeführt. Sprachlich wird diese zunächst dadurch konstituiert, dass der Psalmentext als Aussage eines betenden Menschen in der 1.Pers.Sg. formuliert ist, die das betende Ich auch in Gestalt des Personalpronomens (‫ אני‬/ ‫)אנכי‬, der pronominalen Suffixe (‫ יִ‬/ ‫ )נִ י‬und unter Verwendung der 1.Pers.Sg. in Verbformen, darstellt. Als solches spricht das betende Ich auch über seine personale Identität9, setzt sich also zu seiner Leib- und Sozialsphäre in Beziehung und expliziert eine Ich-Sphäre. Literarisch kann dieser Aspekt zum einen sprachlich greifbar werden in der (literarischen) Fremd- und Selbstbeschreibung, insbesondere an Stellen, in denen das betende Ich innerhalb der Satzstruktur besonders betont wird und dadurch implizit eine Selbstdistanzierung ausdrückt, oder ein selbstreflexives Verhältnis syntaktisch expliziert.10 Zum anderen können Veränderungen im Textverlauf auf einen selbstreflexiven Prozess hinweisen. Dabei gilt es die Besonderheiten der Textsorte des Gebets als solche entsprechend zu berücksichtigen und mit einzubeziehen. Es soll daher in dieser Arbeit der Fragestellung nachgegangen werden, wie sich Subjektivität in den Psalmen vormodern ausdrückt und inwiefern dabei ein reflexives Selbstverständnis des Beters im Sinne einer Ich-Sphäre erkennbar wird, welches das in der Forschung gängige Bild des atl. Menschen als ein mixtum compositum ergänzt.11 tizität, die durch eine Kette performativer Selbstvollzüge, die auch Biografie oder Leben genannt werden kann. Vgl. C. Frevel, Person – Identität – Selbst, 69 f.; Kap. 1.3.6. 7 Zur begrifflichen Klärung vgl. Kap. 1.3.6 und Kap. 1.3. 8 B. Janowski, Der ganze Mensch, 11. 9 Ebd. 10 Diese reflexiven Verhältnisse sind in jüngerer Zeit bereits vereinzelt exegetisch benannt worden. Vgl. zu Ps 22,18 f.: D.  Bester / B.  Janowski, Anthropologie, 29. 11 Vgl. u. a. M. Edwards, Pneuma and Realized Eschatology in the Book of Wisdom, 81–92. Dass auch griechisch-philosophisches Gedankengut im Menschenbild des Alten Testaments gefunden werden kann, ist v. a. für die Weisheitsliteratur schon vielfach erkannt worden. Die jüngeren Schriften des Alten Testaments stellen sich als Endphase eines literarischen Schaffensprozesses dar, der von der Auseinandersetzung mit seiner religiös-kulturellen Umgebung geprägt ist, die spätestens ab der hellenistischen Zeit, aber auch bereits davor durch kulturellen Kontakt, von griechisch-philosophischen Gedanken geprägt ist. Auch wenn diese Überlegung nicht Teil der Fragestellung ist, kann sie im Sinne einer weiteren Arbeit mit den hier gewonnenen Ergebnissen von Interesse sein.

Ausgangspunkt – H. W. Wolff

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1.2 Ausgangspunkt – H. W. Wolff Das Vorhaben, alttestamentliche Texte in Hinblick auf den Menschen zu befragen, blickt auf eine lange Forschungsgeschichte zurück, dessen Darstellung sich in dieser Arbeit auf einen Einblick in den derzeit relevanten Kenntnisstand beschränken soll. Aufgrund des verstärkten Interesses am Menschenbild in jüngerer Zeit, begegnet in vielen Wissenschaftsbereichen immer häufiger die Rede von einer anthropologischen Wende12. Dieses verstärkte Interesse kann mit M. Welker auf die Korrekturbedürftigkeit gegenwärtiger Anschauungen zurückgeführt werden: Das Bewusstsein, das moderne Konzept von Person korrigieren zu müssen, dessen lange Erfolgsgeschichte es nicht mehr gegen zunehmende Kritik abschirmen kann, greift in allen wissenschaftlichen Disziplinen um sich.13

Auch im Alten Testament schlägt sich diese Bestrebung in jüngsten Auseinandersetzungen um Anthropologie(n) des Alten Testaments14 nieder. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts ist von Menschenbildern des Alten Testaments überwiegend innerhalb einer „Theologie des Alten Testaments“ die Rede, oder sie finden Erwähnung in Überlegungen zur Kultur- und Religionsgeschichte.15 12 B. Janowski, Anthropologie des Alten Testaments, 13. 13 M. Welker, Gottebenbildlichkeit, 249. 14 Vgl. A. Kiesow, Auf der Suche nach dem Menschen, 29–41. 15 Für einen prägnanten Überblick über die anglophone Forschung vgl. P. F.  Esler / A. C.  Hagedorn, Social-Scientific Analysis of the Old Testament, 15–32; Zur deutschen Forschungsgeschichte vgl. J. v. Oorschot, Zur Grundlegung alttestamentlicher Anthropologie, 1–41: G. F. Oehler beginnt in seiner „Theologie des Alten Testaments“ die „Lehre vom Menschen“ mit Überlegungen zur Gottebenbildlichkeit in Gen 1,26 f. und zu den Bestandteilen des menschlichen Wesens: Leib, Seele, Geist. Er sieht eine zweifache Zusammensetzung des Menschen, der zum einen aus „irdischer Materie“, zum anderen aus dem „göttlichen Geist“ bestehe. Dabei spricht er von einer Seele des Menschen, die im Anschluss an Gen 1,26 f. und 2,7 „durch einen besonderen Akt göttlicher Einhauchung geschaffen“ werde. G. F.  Oehler, Theologie des Alten Testaments, 226. Hervorhebungen aus dem Original übernommen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass „das Alte Testament nicht eine Trichotomie des menschlichen Wesens in dem Sinn lehrt, als ob Leib, Seele und Geist ursprünglich drei koordinierte Bestandteile des Menschen wären“, sondern plädiert für eine „ganzheitliche“ Perspektive auf den Menschen, denn „vielmehr ist in den durch die Vereinigung des ‫ רוח‬mit der Materie entstandenen ‫ בשר‬und ‫נפש‬, (Leib und Seele) der ganze Mensch enthalten“. A. a. O., 236. Trotz der positiv zu wertenden teilweisen Abkehr von einem strikten dicho- bzw. trichotomischen Denken durch die Einbringung eines ganzheitlichen Denkansatzes, wird deutlich, dass G. F. Oehler von der Intention einer Integration der modernen Trichotomie-Vorstellung geleitet ist, wie nicht zuletzt auch die Übersetzung von ‫ בשר‬und ‫ נפש‬mit „Leib“ und „Seele“ verdeutlicht. In den frühen Nachkriegsjahren gab es weitere kleinere Beiträge unter anthropologischer Fragestellung, wie u. a. durch K. Galling, W. Eichrodt und W. Zimmerli. Ein weiter gefasster, aber immer noch theologisch geprägter Horizont, wird in den anthropologischen Ausführungen W. Eichrodts deutlich, die er thematisch unter verschiedene, theologisch orientierte Kategorien ordnet. W. Eichrodt, Theologie des Alten

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Grundlegungen  

Die erste eigenständige und umfassende Anthropologie liefert H. W. Wolff mit seiner „Anthropologie des Alten Testaments“16, die Entwicklungen anstößt, welche in der anthropologischen Forschung in der Theologie bis heute nachwirken. Seine Leistung ist v. a. in seiner prägnanten Darstellung einer atl. Anthropologie zu sehen. Diese entfaltet er durch eine dreifache Sprachlehre: eine anthropologische, biographische und soziologische.17 H. W. Wolff vertritt in seinem Werk den Anspruch einer umfassenden Darstellung, die darum bemüht ist, alle charakteristischen anthropologischen Texte zu berücksichtigen.18 Diese markiert in der alttestamentlichen Forschung eine Abwendung von der modernen Prämisse der Unterscheidung Außen-Innen bzw. Leib-Seele, indem nun anthropologische Untersuchungen vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit physischer und metaphysischer Aspekte des Menschen erfolgen.19 Infolgedessen wird unter Abkehr von einem Leib-Seele-Dualismus das atl. Menschenbild in jüngerer Zeit verstärkt untersucht.20 Daher werden auch inhaltlich stark vorgeprägte Begriffe wie Seele21, in Hinblick auf den atl. Kontext zunehmend kritisch betrachtet und immer häufiger vermieden. H. W. Wolffs Ziel, aus dem Alten Testament eine „Bestimmung des Menschen“22 abzuleiten, äußert sich u. a. in dem „Bemühen, die unter dem Testaments. Weitere Anregungen für eine anthropologische Fragestellung liefert A. Bertholet mit seinen Beiträgen zum Thema „Tod im alten Israel“. Vgl. A. Bertholet, Die israelitischen Vorstellungen vom Zustand nach dem Tode. Eine gesondert anthropologische Fragestellung ist zu dieser Zeit lediglich in Form biblischer Anthropologie Thema der Forschung, so z. B. bei J. G. F. Haussmann oder F. Delitzsch, die eine dichotomische Sicht auf den Menschen vertreten. Vgl. J. G. F.  Haussmann, Die biblische Lehre vom Menschen dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Aufgabe der Pädagogik; F. Delitzsch, System der Biblischen Psychologie. Auch die anthropologisch ausgerichteten Werke nach dem 2. Weltkrieg, sind nach wie vor unverkennbar von theologischen Fragestellungen geleitet. Vgl. u. a. W. Eichrodt, Das Menschenverständnis des Alten Testaments. Schließlich werden die Untersuchungen ausgeweitet, A. R. Johnson versucht in seinem Buch „Vitality“ die Grundzüge des atl. Menschenbilds nachzuzeichnen und nimmt damit bis heute Einfluss auf die anthropologische Theoriebildung. Dazu v. a. Kap. 1.3.4. Vgl. A. R.  Johnson, The Vitality of the Individual. G. Pidoux fragt anhand anthropologischer Grundbegriffe nach der Natur des Menschen und L. Köhler versucht das leibliche und geistige Bild des Hebräers und seines Lebenslaufes zu erkennen. Vgl. G. Pidoux, L’homme dans l’Ancien Testament; L. Köhler, Der hebräische Mensch. Es entstehen darüber hinaus wichtige Einzeluntersuchungen zu spezifischen Fragestellungen. Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 23. 16 Vgl. ebd. 17 1) Eine durch die Schöpfungsaussagen angeregte „anthropologische Sprachlehre sog. anthropologischer Grundbegriffe“; 2) Überlegungen zu einer „biographischen Anthropologie“, die sich besonders an den Klage- und Dankliedern des Psalters orientiert; 3) Die Einbeziehung der Bestimmung des Menschen in seiner Umwelt in der „soziologischen Anthropologie“, die an Rechtstexten und Prophetensprüchen orientiert ist. Vgl. a. a. O., 144. 18 Vgl. G. F.  Oehler, Theologie des Alten Testaments, 236. 19 B. Janowski, Grundlegung, 17. 20 Vgl. u. a. W. Schmidt, Anthropologische Begriffe im Alten Testament, 375–388. 21 H. W. Wolff verwendet diesen Begriff zwar noch, grenzt ihn aber vom modernen Seele-Begriff ab. 22 H. W.  Wolff, Anthropologie, 322.

Ausgangspunkt – H. W. Wolff

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Einfluss des griechischen Denkens der hellenistischen Zeit heimisch gewordene Dichotomie Leib-Seele bzw. Trichotomie Leib-Seele-Geist zu überwinden und durch eine sachgerechtere Deutung zu ersetzen.“23 Dabei stellt er zwei wesentliche Dinge fest: Zum einen, dass eine einheitliche Lehre vom Menschen nicht auszumachen sei, zum anderen, dass sich eine Entwicklung des Menschenbildes nicht nachzeichnen ließe. Diese Erkenntnis entspringt wahrscheinlich dem Bewusstsein der literarischen Vielschichtigkeit des Alten Testaments.24 Zudem solle, so H. W. Wolff, darauf verzichtet werden, sich bei der Exegese von aktuellen Fragestellungen leiten zu lassen, wie es in L. Köhlers Abhandlung der Fall ist.25 Vielmehr seien Texte in ihrem Kontext wahrzunehmen und philologische Untersuchungen anthropologischer Begriffe durchzuführen. „Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird.“26 Besonders dieser Einsatzpunkt ist in der Forschung nach H. W. Wolff jedoch immer wieder kritisiert worden, da harte Kriterien zur Feststellung, ob in einem „Text selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird“27 nicht definiert werden. Auch wenn nun die Frage nach dem Menschen im Vordergrund steht, plädiert H. W. Wolff für „ein theologisches Begreifen der anthropologischen Phänomene“28. Kritik ist ferner an seiner Beschränkung des ersten Abschnitts, der Sprachlehre, auf die Begriffe ‫( נפש‬Person), ‫( בשר‬Fleisch), ‫ לב‬/ ‫( לבב‬Herz), ‫( רוח‬Geist) laut geworden, die in der Forschung notwendigerweise um weitere Ausdrücke, wie z. B. „Mutterschoß“/„Eingeweide“ oder „Nieren“ erweitert wurden.29 Zudem muss J. W. Rogerson Recht gegeben werden, wenn er bemerkt, dass nicht immer klar sei, ob H. W. Wolff gerade die Bedeutung oder die Übersetzung beschreibt.30 Zur biographischen Anthropologie ist in jüngerer Zeit eine größere Bandbreite an Untersuchungen hinzugekommen, wie u.a die Arbeit von T. Staubli und S. Schroer, „Menschenbilder der Bibel“, zeigt.31 Im Zuge der Beobachtungen zum atl. Menschen als dritter Aspekt der Anthropologie, fehlt zudem weitestgehend eine Berücksichtigung der kultischen Eingebundenheit des Einzelnen.32 Trotz dieser Kritikpunkte, stellt die Arbeit von H. W. Wolff eine Wende in der Anthropologie des Alten Testaments dar, deren Würdigung auch neuere Arbeiten nicht außer Acht lassen können.



23 B. Janowski, Grundlegung, 15. Hervorhebungen aus dem Original übernommen. 24 Vgl. J. C.  Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament, 592–594. 25 L. Köhler, Der hebräische Mensch. 26 H. W.  Wolff, Anthropologie, 24. 27 Ebd. 28 A. a. O., 25. 29 Vgl. dazu J. Kegler, Beobachtungen zu Körpererfahrung in der hebräischen Bibel, 33 f. 30 Vgl. J. W.  Rogerson, Rez. Hans Walter Wolff, 162. 31 T.  Staubli / S.  Schroer (Hg.), Menschenbilder. 32 So u. a. E. Zenger, Rez. Hans Walter Wolff, 362.

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Grundlegungen  

Von Interesse für die Arbeit zu Ps 42/43 sind die Beobachtungen, die H. W. Wolff im Kontext der anthropologischen Sprachlehre, insbesondere zum Begriff ‫ נפש‬anstellt. Diese Ergebnisse sollen im Folgenden zusammenfassend skizziert werden. Vorab hält er zwei wesentliche Aspekte in Hinblick auf die Denkvoraussetzungen fest, vor deren Hintergrund die atl. Texte entstanden sind: 1. Zunächst hält H. W. Wolff fest, dass Begriffe wie „Herz“, „Seele“, „Fleisch“, „Geist“, aber auch „Ohr“ und „Mund“, „Hand“ und „Arm“ in der hebräischen Dichtung häufig untereinander austauschbar seien.33 Sie können sogar „fast wie Pronomina für den ganzen Menschen stehen“34, wodurch verschiedene Spielarten des Menschseins ausgedrückt werden. Austauschbarkeit darf also nicht missverstanden werden als Übereinstimmung, sondern, so K. Müller und A. Wagner: an der Stelle eines Organs kann ein anderes stehen […], aber das macht nur dann einen Sinn, wenn, wie das die Eigenart des Parallelismus membrorum ist, durch Ähnlichkeiten und Verwandtschaften oder auch Antinomien von Lexemen in den Gliedern des Parallelismus membrorum eine ‚Wirkung‘ erzeugt wird, die den Rezipienten dazu anregt, nach Ähnlichkeiten und Unterschieden mit Blick auf die eigentlich gemeinte Sache zu fragen. Bei vollständiger Synonymie wäre das gar nicht möglich.35

Die Parallelisierung der Begriffe führt laut H. W. Wolff außerdem zur „Stereo­ metrie des Gedankenausdrucks“36. Um einen Sachverhalt möglichst genau auszudrücken, werde keine klare Begriffstrennung vollzogen, die Begriffe überschneiden sich: „Verschiedene Körperteile umstellen mit ihrer wesentlichen Funktion den Menschen, wie er gemeint ist.“37 2. Gleichzeitig werde bei diesem stereometrischen Denken ein synthetisches Denken in dem Sinn vorausgesetzt, dass es die Körperteile mit ihren Funktionsweisen zusammenbringe.38 Genauer könnte man H. W. Wolff an dieser Stelle noch dahingehend ergänzen, „dass Stereometrie dann nicht die Körperauffassung des A. T. umschreibt, sondern die der Weisheit (und verwandter ‚Bereiche‘), die sich vorwiegend des Parallelismus membrorum

33 H. W.  Wolff, Anthropologie, 29. Diese Idee entwickelt v. a. A. Wagner weiter: Ders., Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen, 289–317. 34 H. W.  Wolff, Anthropologie, 29. 35 K.  Müller / A.  Wagner, Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, 229. Ein solches Missverständnis zeige sich u. a. bei R. Lauha, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Begriffe næpæš, leb und ruaḥ zur Beschreibung der Person in Hinblick auf Emotionen untereinander austauschbar seien. Vgl. ebd. Anm. und R. Lauha, Psychologischer Sprachgebrauch im Alten Testament. 36 H. W.  Wolff, Anthropologie, 30. Hervorhebung aus dem Original übernommen. H. W. Wolff bezieht sich dabei auf u. a. auf G. von Rad, Weisheit in Israel, 42 f. und Spr 3,22 sowie Ps 143,6. 37 H. W.  Wolff, Anthropologie, 30. 38 Vgl. ebd.

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als Ausdrucksmittel bedient.“39 Der relativ kleine Wortschatz, der im Hebräischen zur Beschreibung des Menschen zur Verfügung steht, mache es H. W. Wolff zufolge notwendig, die verschiedenen vielfältigen Nuancen der Begriffe verstärkt in den Blick zu nehmen.40 Durch eine solche Untersuchung sog. „anthropologische[r] Hauptbegriffe“41, die er auf vier begrenzt, will er einen neuen Zugang zum Menschenbild schaffen. Wenngleich diese Limitierung der Begriffsuntersuchung zu Recht kritisiert wird,42 haben die sprachlichen Analysen H. W. Wolffs nicht nur eine lexikalische Erweiterung der untersuchten Grundbegriffe zur Folge, sondern bilden durch die basalen Beobachtungen zur anthropologischen Tragweite der hebräischen Sprachstruktur (Stereometrie, synthetisches Denken) die Grundlage für neuere anthropologische Fragestellungen.

Exkurs: ‫( נפש‬Person) und ‫ לב‬/ ‫( לבב‬Herz) bei H. W. Wolff Die grundsätzliche Ergänzungsbedürftigkeit der Wolff ’schen sog. anthropologischen Grundbegriffe, über ‫( נפש‬Person), ‫( בשר‬Fleisch)43, ‫ לב‬/ ‫( לבב‬Herz), ‫( רוח‬Geist)44 hinaus, ist bereits deutlich geworden. Anhand des Begriffs ‫נפש‬, der für die weitere 39 K.  Müller / A.  Wagner, Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, 228. 40 Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 31. 41 Ebd. 42 B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 315. 43 ‫( בשר‬Fleisch) bei H. W. Wolff (vgl. Ders., Anthropologie, 53–63.): Zunächst hält H. W. Wolff fest, dass von ‫ בשר‬kein einziges Mal im AT als ‫ בשר‬Gottes gesprochen wird. Von 273 Belegen seien insgesamt 104 auf Tiere bezogen. Insgesamt findet nach H. W. Wolff ‫ בשר‬auf vierfache Weise Verwendung als: 1) Fleisch, 2) Körper, 3) Verwandtschaft, 4) Schwäche. 1. In seiner Bedeutung als „Fleisch“ kann H. W. Wolff zufolge ‫ בשר‬das Fleisch der geschlachteten Rinder und Schafe bedeuten (Jes 22,13), doch meistens werde ‫ בשר‬für das Fleisch noch lebender Tiere verwendet. Besonders häufig sei im Zusammenhang mit Ritualvorschriften von ‫ בשר‬die Rede. Es sei daher Teil des menschlichen Körpers, der v. a. das äußerlich Sichtbare bezeichne. Der lebendige Mensch besteht nach H. W. Wolffs Analyse von Ez 37,5 f. aus fünf verschiedenen Komponenten: „Jahwe spricht zu diesen Gebeinen, Ich schaffe Sehnen an euch und bringe Fleisch über euch und ziehe Haut über euch und gebe Atem in euch.“ 2.  ‫ בשר‬könne ferner den Körper schlechthin bezeichnen (vgl. Ijob 4,15). In diesem ganzheitlichen Sinne befinde sich ‫בשר‬, ähnlich wie ‫נפש‬, nahe an der Verwendung als Personalpronomen. Hebt nach H. W. Wolffs Verständnis ‫ נפש‬in diesem Sinne den Menschen als solchen hervor, betont ‫ בשר‬den Menschen in seiner Körperlichkeit. 3. ‫ בשר‬im Sinne eines die Menschen verbindenden Elements kommt in der Übersetzungsmöglichkeit „Verwandtschaft“ zum Ausdruck (sog. Verwandtschaftsformel Gen 6,17). 4. Darüber hinaus versteht H. W.  Wolff ‫ בשר‬insofern als „Schwäche“, als es das Leben des Menschen an sich als schwach und kontingent bezeichnet. ‫ בשר‬sei auf den göttlichen Atem angewiesen und verginge, sobald dieser entzogen würde (Ijob 34,14 f.). Ferner zeichne sich der Mensch als ‫ בשר‬nicht nur durch seine Hinfälligkeit, sondern auch durch seine Anfälligkeit für Sünde aus. 44 ‫( רוח‬Geist) bei H. W. Wolff (vgl. a. a. O., 64–74.): Bei dem Begriff ‫ רוח‬unterscheidet H. W. Wolff insgesamt sechs Deutungsvarianten: 1) Wind; 2) Atem; 3) Lebenskraft; 4) Geist(er); 5) Gemüt; 6) Willenskraft. Dabei hält er vorab fest, dass sich der Begriff ‫ רוח‬auf zweifache

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Grundlegungen  

Arbeit eine besondere Relevanz hat und des Begriffs ‫ לב‬/ ‫לבב‬, der von H. W. Wolff als „[d]as für die Sprachlehre alttestamentlicher Anthropologie wichtigste Wort“45 bezeichnet wird und den häufigsten anthropologischen Ausdruck im Alten Testament darstellt, kann die Begriffsuntersuchung H. W. Wolffs exemplarisch nachvollzogen werden. In der Bibel findet sich für den Begriff ‫ נפש‬häufig die Übersetzung „Seele“ (Kap. 1.3.2),46 obwohl „nur in ganz wenigen Texten die Übersetzung „Seele“ den Sinn von næpæš trifft.“47 Dennoch hat der Begriff ‫ נפש‬für das Verständnis des Seins des Menschen eine definitorische Funktion, wie H. W. Wolff anhand Gen 2,7 zeigt.48 An dieser Stelle könne nicht mit „Seele“ übersetzt werden, sodass es hieße: „So wurde der Mensch eine lebendige Seele.“ Vielmehr ist der Mensch hier ‫נפש‬. Welcher Aspekt des Menschseins damit genau angesprochen ist, bleibe aber zunächst offen. Daher vermutet H. W. Wolff, dass ein Schlüssel für die Erschließung der Bedeutungsfülle des synthetischen Denkens darin bestehen könnte, danach zu fragen, mit welchem Körperteil die ‫ נפש‬identifiziert werden könne.49 Insgesamt werden durch das

Weise von ‫ נפש‬und ‫ בשר‬unterscheide, da er zum einen in 113 Fällen die Naturkraft des Windes bezeichne, zum anderen öfter auf Gott als auf den Menschen oder Tiere bezogen werde, wohingegen ‫ נפש‬selten und ‫ בשר‬nie auf Gott bezogen werde. 1. Als eine Grundbedeutung von ‫רוח‬ könne der „Wind“ als Naturphänomen benannt werden. Dass ‫ רוח‬einen Windhauch bezeichnet, stelle eine Ausnahme dar (Ps 78,39; Jes 41,49). Vielmehr stehe der Gebrauch des Begriffs im Sinne eines Werkzeugs JHWHs im Vordergrund. 2. Eine weitere Bedeutungsvariante stellt der Atem (vgl. auch ‫ )נשמה‬dar und in Koh 12,7 ferner die Vorstellung eines zu Gott zurückkehrenden Elements. 3. Die Verwendung von ‫ רוח‬als „Lebenskraft“ sei häufig schwer zu trennen von der Lebenskraft JHWHs. Neben der physischen Kraft (1 Sam 10,6), bewirke ‫ רוח‬die Fähigkeit zur Prophetie (Num 24,2 f.). Die auf dem Menschen ruhende ‫ רוח‬kann auch die Stärke und die Furcht JHWHs mit sich bringen und lässt sich laut H. W. Wolff mit „Kraft“ oder „Vollmacht“ übersetzen. 4. Ist von ‫ רוח‬als Wesen die Rede, das nicht mit der ‫ רוח‬JHWHs identisch ist, aber ihm untersteht, könne mit „Geist(er)“ übersetzt werden. Dieser könne von JHWH in den Menschen geschickt werden, wo er durch Reden oder Lügen wirke oder einen Verfall in prophetische Ekstase (Num 11,26) hervorrufe. 5. Die Bedeutungsmöglichkeit des „Gemüts“ zeigt sich darin, dass durch Kurz- und Langwerden der ‫ רוח‬emotionale Zustände ausgedrückt werden. 6. Ferner kann ‫ רוח‬nach H. W. Wolff auch „Willenskraft“ bedeuten (Esr 1,5; Jer 51,11). In Ez 36,27 sei von der Bitte um eine neue ‫ רוח‬die Rede, die von JHWH kommt und der die Gabe eines neuen Herzens vorausgeht. Das neue Herz stelle dabei eine neue ethische Orientierung dar, wobei ‫ רוח‬den Willen ausdrückt, diese in die Tat umzusetzen. So verdeutlicht H. W. Wolff, dass ‫ רוח‬selten das ausdrückt, was mit dem modernen Geistbegriff gemeint ist. An einen solchen Geist ließe sich höchstens in Jes 29,24 oder Jes 19,3 denken. 45 A. a. O., 75. 46 Vgl. M. Rösel, Seele, 164. 47 Ebd. Hervorhebungen aus dem Original übernommen. Dabei jedoch keine im Sinne eines modernen Leib-Seele-Dualismus. 48 Vgl. ebd. 49 Vgl. Es gelte zu beachten, dass bisherige Versuche einer literarhistorischen Einordnung der Belegstellen ohne Ergebnis geblieben sind. So auch der Versuch bei D. Lys, Nèphèsh.

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stereometrisch-synthetische Denken ein Körperglied zusammen mit seinen speziellen Tätigkeiten und Fähigkeiten und diese wiederum […] als Kennzeichen des ganzen Menschen vorgestellt.50

Er unterscheidet dabei sieben verschiedene Bedeutungsdimensionen von ‫נפש‬: 1) Kehle; 2) Hals; 3) Begehren; 4) Seele; 5) Leben; 6) Person; 7) Pronomen. 1. Die ‫ נפש‬wird in Jes 5,14 weit aufgerissen, sodass sich die Übersetzung „Kehle“, „Schlund“, „Rachen“ ergebe.51 Es zeige sich hier in der Zuschreibung von Organ und Eigenschaft eine begierige „Bedürftigkeit“.52 Die næpæš als Organ der Bedürftigkeit werde zudem durch andere Belege gestützt, wie z. B. Jer 31,12.25.53 Dabei könne im Besonderen die Funktion der ‫נפש‬, als Atemzentrum gemeint sein.54 2. Die zweite Bedeutungsdimension von ‫ נפש‬bestehe in ihrer physischen Verwendung als „Hals“ (vgl. Ps 105,18).55 3. Eine dritte Bedeutung sieht H. W. Wolff in dem Aspekt des „Begehrens“.56 Dies werde besonders dann deutlich, wenn ‫ נפש‬etwas außerhalb der eigenen Person Liegendes meine.57 4. In einer vierten Kategorie wird ‫ נפש‬von H. W. Wolff insofern als „Seele“ verstanden, indem er sie als ein über das Begehren hinausgehendes Zentralorgan für emotionale Empfindungen bezeichnet. 5. Als „Leben“ selbst werde ‫ נפש‬u. a. in Spr 8,35 verstanden, wo sie synonym zu Leben verwendet wird. Auch in Verbindung mit Blut bedeute ‫ נפש‬Leben, wie in Lev 17,11 erkennbar ist: „die ‫ נפש‬des Fleisches, im Blut ist sie.“58 Besonders im Zusammenhang mit Rechtstexten weist H. W. Wolff auf die Verwendung von ‫ נפש‬als Leben hin, so bittet ein Mensch, wenn er um seine ‫ נפש‬bittet, um sein Leben.59 Dabei sei v. a. zu beachten, dass die ‫נפש‬, niemals ein von dem Körper 50 H. W.  Wolff, Anthropologie, 34. 51 Die Parallele spricht vom Maul. Vgl. a. a. O., 34 f. Auch durch den Befund Hab 2,5 und Ps 107,5 wird diese Bedeutung bestätigt. Ebenfalls von der unstillbaren Gier der Kehle ist in Koh 6,9 die Rede: „Besser das Schauen der Augen als das Schweifen der næpæš.“ 52 Vgl. a. a. O., 35. Ps 143,6; Jes 29,8; 32,6; Spr 10,3; 13,25. 53 Vgl. a. a. O., 36. 54 In diesem Sinne kehrt die ‫ נפש‬in 1 Kön 17,21 in das Kind zurück, nachdem kein Atem mehr in ihm war. David atmet in 2 Sam 16,14 auf. Vgl. Jer 2,24; 15,9; Ijob 11,20. Ferner spekuliert H. W. Wolff, „ob die Wurzel npš nicht ursprünglich bilitteral war […] und so pš als heftig zischendes Atmen lautmalend darstellte.“ Gestützt werden könne dieser Befund durch die akkadische Bedeutung von napašu, das „blasen“, „schnauben“, „aufatmen“ bedeuten kann wobei napištu v. a. Kehle bedeutet. Auch die arabische Bedeutung von nafsun und die ugaritische von npš bestätigt diese Tendenz, da es „Atem“, „Appetit“, „Begehren“, „Gemüt“ und „Lebewesen“ bedeuten kann. Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 37.f. 55 Vgl. a. a. O., 39. Jer 4,10: „Das Schwert sitzt uns am Halse.“ 56 Vgl. a. a. O., 41. 57 In diesem Sinne versteht er auch Dtn 6,5 als Aufforderung, auf JHWH alle Wünsche und Begehren zu richten. Vgl. a. a. O., 43. 58 Vgl. a. a. O., 45 f. Noch deutlicher werde die Bedeutung als Leben schlechthin in Lev 24,17 f. oder Ex 21,23 f. 59 Vgl. a. a. O., 46 f. So in Ex 4,19; 1 Sam 20,1, uvm. Wendungen wie „jemandes ‫ נפש‬suchen“ bedeuten „jemandem nach dem Leben zu trachten“.

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Grundlegungen  

trennbares Element darstelle, das ohne diesen fortbestehen könnte.60 6. Dass der Mensch nicht nur eine ‫ נפש‬hat, sondern eine ‫ נפש‬ist, weist nach H. W. Wolff auf eine weitere qualitative Bedeutungsvariante des Begriffs als Person hin. Diese zeige sich an den Stellen, an denen es um das Verhältnis von ‫ נפש‬zu Leben geht, wie in Spr 3,22: „Sie werden Leben (‫ )חיים‬sein für dich (‫ )נפש‬und Anmut deinem Halse“ (vgl. Lev 20,6; 22,4; 23,30; 17,10).61 Insgesamt bezeichne ‫ נפש‬also „die Einzelperson, das Individuum im Gegenüber zum Volksverband“62, wobei auch ein aus Individuen zusammengesetztes Kollektiv gemeint sein könne.63 In diesem Sinne sei auch Gen 2,7 zu verstehen: „Erst die vom Schöpfer bewirkte Atmung macht ihn zu einer lebendigen næpæš, d. h. dann, zu einem Lebewesen, einer lebendigen Person, einem lebendigen Individuum.“64 7. Neben den o.g. Verwendungsweisen, kann ‫ נפש‬auch die Funktion eines Personal- oder Reflexivpronomens einnehmen. H. W. Wolff mahnt jedoch zur Vorsicht, wenn es um die Projektion der kulturellen Prägung des modernen Menschen auf den alttestamentlichen Text geht: „Der moderne Mensch wird geneigt sein, den pronominalen Charakter auch schon dort zu sehen, wo für die Alten die nominale Füllung noch stark zu hören war.“65 Daher sei eine starke Schwankung der Übersetzung zugunsten einer pronominalen Interpretation festzustellen, die sich zwischen 123 und 223 Belegen bewegt.66 Dennoch müsse der Unterschied zum deutschen Personalpronomen berücksichtigt werden: Drückt es im Deutschen das Ich aus, so werde im Hebräischen das Ich mit seinem Personenzentrum hervorgehoben.67 Bei der Verwendung von ‫ נפש‬als Personalpronomen schwinge zudem immer noch die ganze Bedeutungsspanne von „Hals“ über „Leben“ bis „Person“ mit: „Am stärksten ist die Bedeutung von næpæš zum Personalpronomen da verallgemeinert, wo das Wort in synonymem Parallelis-

60 Vgl. a. a. O., 47: „Führt Jahwe die næpæš aus der Unterwelt herauf (Ps 30,4; 86,13), so ist an die Rückkehr des ganzen […] Menschen in das gesunde Leben gedacht.“ Eine Vorstellung darüber, was mit der ‫ נפש‬nach dem Tode geschieht, werde nicht deutlich. Vgl. a. a. O., 48. Doch ist es letztlich die Vollmacht Gottes, die über das Schicksal der ‫ נפש‬entscheidet, wie Ps 49,16 verdeutlicht: „Ja, Gott wird mein Leben lösen aus der Unterwelt Gewalt, ja er entreißt mich.“ 61 Vgl. a. a. O., 4749. 62 Ebd. 63 Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 49 f. Dies wird u. a. in Lev 18,29 deutlich. 64 A. a. O., 51. Dieser Interpretation von Gen 2,7 folgt auch B. Janowski, s. u. 65 Ebd. 66 So zeige der Parallelismus in Gen 12,13, dass ‫ נפש‬als eine Variante des Personalpronomens ich gebraucht wird: Sag doch, du seist meine Schwester, damit es mir deinetwegen gut gehe und durch dich meine ‫ נפש‬am Leben bleibt. Vgl. ebd. 67 Dies wird besonders deutlich, betrachtet man die Stellen, an denen zwischen Personalsuffix oder präformativ / afformativ gebildetem Verbsubjekt und ‫ נפש‬als Personalpronomen gewechselt wird, wie an dem von H. W. Wolff gewählten Beispiel Gen 19,19 gezeigt werden kann: „Du hast mir (‫ )עמדי‬große Gunst erwiesen, mich (‫ )נפשי‬am Leben zu erhalten; aber ich kann mich nicht ins Gebirge retten…; siehe, diese Stadt da ist nahe…, dahin möchte ich mich retten…, dass ich (‫ )נפשי‬am Leben bleibe.“ A. a. O., 53.

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mus zu Fleisch, Geist und Herz erscheint.“68 Aber sogar an den Stellen, an denen

‫ נפש‬als Personalpronomen verwendet werde, könne beobachtet werden, dass ‫נפש‬

eine bestimmte Prägung als Ort des Begehrens oder als Ort der Emotionen / Seele erhält.69 Doch es gelte zu beachten: „Subjekt spezifisch geistiger Tätigkeit wird næpæš nie.“70 Dennoch verortet er die næpæš im Gespräch des Menschen mit sich selbst und vor JHWH. Es bleibt an dieser Stelle offen, wie es sich in einem solchen Selbstgespräch vor Gott, in dem der Beter sich als ‫ נפש‬anspricht, mit den sog. anthropologischen Grundbegriffen verhält. Mit der Betrachtung letzterer kann die syntaktische Explikation eines selbstreflexiven Verhältnisses des Beters und dessen Bedeutung für das atl. Menschenbild nicht erfasst werden. Es gilt daher, dieses Desiderat in Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit zu beseitigen.71 Bei der Untersuchung des Begriffs ‫ לבב‬/ ‫ לב‬ändert H. W. Wolff seine Herangehensweise gegenüber den vorherigen Begriffsanalysen von ‫נפש‬, (Person), ‫בשר‬ (Fleisch), ‫( רוח‬Geist), insofern er hier nicht mehr nach Übersetzungsmöglichkeiten, sondern nach Aussageverbindungen gliedert.72 Es können nach Wolff sechs verschiedene Konnotationen von ‫ לבב‬/ ‫ לב‬unterschieden werden: 1) Herz; 2) Gefühl; 3) Wunsch; 4) Vernunft; 5) Willensentschluss; 6) Herz Gottes. 1. Die häufigste Übersetzungsvariante von ‫ לב‬/ ‫ לבב‬stellt der Begriff „Herz“ dar.73 Dabei beobachtet H. W. Wolff eine Differenz zwischen dem modernen, medizinischen Verständnis des Herzens und dem Verständnis im Alten Testament, denn der Stillstand des Herzens bringe nicht zwangsläufig den physischen Tod mit sich, wie in 1 Sam 25,37 sichtbar wird: „Es erstarb ihm sein ‫ לב‬in seinem Inneren, und er wurde zu Stein. Etwa zehn Tage danach schlug JHWH den Nabal, sodass er starb.“74 Eher, so H. W. Wolff, wird das Herz als eine zentrale Instanz verstanden, die unserem modernen Verständnis einiger Gehirnregionen entspricht. Dabei werde das Herz eindeutig nicht im Kopf, sondern als von den Rippen umschlossen im Leibesinneren lokalisiert.75 Es ist wahrscheinlich, dass durch die Nähe zu Ägypten 68 A. a. O., 54. 69 Vgl. ebd. 70 Ebd. 71 Vgl. B. Janowskis Kritik an R. A. Di Vito in: B. Janowski, Herz, 45. Es bleibt zu fragen, ob das Herz tatsächlich die „Binnenmotivation“ für Rationalität leistet, oder ob es nicht vielmehr dem Ausdruck dieser Tätigkeit dient. Denn, wie B. Janowski richtig erkennt, ist das Herz auch Ort, nicht Quelle der Emotionen. Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 51. 72 Vgl. a. a. O., 75. 73 Vgl. ebd.: Nur 5-mal ist es auf Tiere bezogen, wobei es davon 4-mal mit dem menschlichen Herzen verglichen wird. Darüber hinaus wird lediglich 26-mal vom „Herzen Gottes“, 11-mal vom „Herzen des Meeres“, 1-mal vom „Herzen des Himmels“ und 1-mal vom „Herzen des Baumes“ gesprochen. 74 Vgl. a. a. O., 76. 75 Vgl. a. a. O.,77: 1 Sam 25,37: beqirbô, Hos 13,8: Verschluss des Herzens = Rippen und 2 Kön 9,24: Zwischen den Schulterblättern. Herz stehe in diesem Zusammenhang auch für Brust, was H. W. Wolff z. B. daran zeigt, dass Aaron in Ex 28,29 f. die Rechtsspruch-Tasche auf dem

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Grundlegungen  

anatomische Kenntnisse zur physisch zentralen Funktion des Herzens vorhanden waren.76 Insgesamt sei nur äußerst selten von der anatomischen und physischen Funktion des Herzens die Rede, nämlich dann, wenn es um eine Funktionsstörung gehe.77 Bei Anstrengung werde das Herz durch Brot gestärkt, wie Gen 18,5 oder Ri 19,5.8 zeigen.78 Die Rede von dem „Herzen des Meeres“ werde vor dem Hintergrund verständlich, dass das Herz immer im Körperinneren verortet sei und dadurch auch das Innere des Meeres, bzw. die Hohe See bezeichnen könne.79 2. Im Gegensatz zum Äußeren sei das Herz „Ort unverkennbarer Gesinnung“80. Obwohl in allen Verwendungsweisen des Begriffs das Herz als physisches Organ vorausgesetzt werde, sei seine Hauptaktivität geistig-seelischer Natur. 2. Eine weitere Bedeutungsdimension umreißt H. W. Wolff in dem Bedeutungsspektrum des Begriffs ‫ לבב‬/ ‫ לב‬im Bereich „Gefühl“. Damit sei die Sensibilität und Emotionalität in Hinblick auf die irrationalen Aspekte des Menschen gemeint.81 Wie dabei physische Funktionsstörung und Beschreibung des Erregungszustandes zusammengedacht werden, verdeutlicht H. W. Wolff anhand Ps 25,17, den er wie folgt übersetzt: „Weite die Verengungen meines Herzens!“82. Er hält daher fest: „Das sich ereifernde Herz ist der Mensch, sofern er emotional reagiert, sich aufregt. […] Weiter ist das Herz Sitz bestimmter Gemütsstimmungen wie Freude und

Herzen trägt. Anders in der mesopotamischen Tradition. Vgl. J. G.  Westenholz, The Body and the Mind, 463–467. 76 Vgl. J. Assmann, Jenseits, 36–38. 77 Als einen weiteren Beitrag zur Anatomie im Sinne eines Herzanfalls wertet H. W. Wolff die Stelle Jer 4,19: Mein Inneres! Mein Inneres! Ich winde mich. Wände meines Herzens! Es tobt mir mein Herz. Ich kann nicht stillhalten. Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 75. Das Herz könne flattern und sein unregelmäßiges Schlagen den Menschen zu Tode ängstigen. Ps 38,11: Mein Herz flattert. Es verlässt mich die Kraft. Das Licht meiner Augen entschwindet mir. Vgl. a. a. O., 78. 78 Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 78. 79 Analog ist nach H. W. Wolff das „Herz des Himmels“ in Dtn 4,11 als unerreichbare Höhe zu verstehen. Im Anschluss daran hängt auch Absalom in 2 Sam 18,14 im Inneren der Baumkrone, wenn er „im Herzen der Eiche“ hängt. Diese Konnotation des Herzensbegriffs als „das unzugänglich Unerforschliche, […] das unergründlich Verborgene schlechthin“ werde an vielen Stellen, an denen der Herzensbegriff Verwendung findet, vorausgesetzt, so u. a. in 1 Sam 16,7: „Nicht auf sein Aussehen und seinen hohen Wuchs sollst du schauen. Der Mensch sieht, was vor Augen liegt, JHWH aber sieht auf das Herz.“ Vgl. a. a. O., 78 f. 80 A. a. O., 80. 81 Vgl. ebd. 82 A. a. O., 81. Dagegen setze Ps 119,32 den Gedanken einer körperlichen Heilung nicht mehr mit der Errettung aus der Not gleich, denn es heißt dort: Den Weg der Verheißung laufe ich, denn du weitest mein Herz. ‫ תרחיב לבי‬bedeute hier daher eher: „du befreist mich“. Das gelassene Herz diene der Gesundheit des gesamten Lebens, wie in Spr 14,30 betont werde: „Des Leibes Leben ist ein gelassenes Herz, aber Obereifer ist Knochenfraß.“ Dabei sei die Stimmung des Menschen, sein Temperament gemeint, wie in Spr 23,17 deutlich werde: „Nicht ereifre sich dein Herz über die Sünder, vielmehr bleibe in Jahwes Furcht alle Tage.“

Ausgangspunkt – H. W. Wolff

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Kummer.“83 So werde in letzterem Sinne von Gutsein (‫ )יטב‬und Schlechtsein (‫)רעע‬ des Herzens gesprochen.84 Das Herz sei daher auch Ort der Freude und sein Zustand wirke sich auf alle Lebensäußerungen aus, wie H. W. Wolff anhand Spr 15,13 verdeutlicht: „Ein fröhliches Herz macht das Antlitz heiter, doch Herzenskummer schlägt den Lebensmut (‫ )רוח‬nieder.“85 Neben Freude und Kummer benennt H. W. Wolff auch Mut und Angst als Gefühlsregungen im Herzen, wobei eine enge Verknüpfung mit der organischen Funktion nicht mehr mitgedacht werden muss.86 3. Häufig wird ‫ לב‬/ ‫ לבב‬auch dafür verwendet, menschliches „Verlangen und Begehren“ auszudrücken, wodurch sich bei H. W. Wolff eine weitere Bedeutungsdimension des Begriffs, den er mit dem Ausdruck „Wunsch“ bezeichnet, ergibt.87 Da in Ps 21,3 anstelle von ‫ נפש‬das „Herz“ neben den Lippen genannt werde, seien hier besonders intime, heimliche Wünsche gemeint: „Du hast ihm erfüllt seines Herzens Begehren, ihm nicht versagt, was seine Lippen erbaten.“88 Diese geheimen Wünsche des Herzens sieht Wolff kontrastiert mit dem Erkennen der Augen, wie es u. a. in Ijob 31,7.9 beschrieben sei.89 Nicht nur „fallen“ und damit mutlos werden könne das Herz (1 Sam 17,23), sondern auch im Gegenteil sich „erheben“ und damit „überheblich“ werden (‫רום‬: Dtn 8,14; Hos 13,6; Dan 5,20–22).90 Ebenso wie ‫ נפש‬und ‫רוח‬, könne ‫ לב‬/ ‫ לבב‬pronominale Funktionen übernehmen.91 Die Stereometrie dieser drei Begriffe komme besonders im Parallelismus zum Ausdruck, sodass beim Begehren des ‫ לב‬/ ‫ לבב‬stärker als durch die ‫נפש‬, die geheimen Wünsche mitgedacht seien und die ‫ רוח‬neben dem fröhlichen ‫ לבב‬/ ‫ לב‬stärker an die schwindende Lebensenergie erinnere. H. W. Wolff geht davon aus, dass in diesen ersten drei Bedeutungsvarianzen dennoch noch nicht das eigentliche Proprium des Begriffs erkennbar werde.92 4. Ein klarer Kontrast zu diesen Begriffen ergebe sich erst aus dem Bedeutungsfeld der Vernunft heraus, wenn mit ‫ לבב‬/ ‫ לב‬rationale

83 Ebd. 84 Vgl. a. a. O., 81. Beispiele bei H. W. Wolff: „guten Mutes sein“: Ri 18,20; 19,6.9; Dtn 28,47; Spr 15,15; „missmutig sein“: Dtn 15,10. 85 Vgl. a. a. O., 82. 86 Exemplarisch veranschaulicht dies H. W. Wolff anhand einiger prägnanter Belegstellen: „Überfällt den Menschen die Angst, so sagt der Hebräer, sein Herz gehe heraus (Gen 42,28), es verlasse ihn (Ps 40,13) und falle hin (1 Sam 17,32).“ Daran werde deutlich, wie hier ‫ לבב‬/ ‫ לב‬mit Mut identifiziert werde und demgegenüber die physische Bedeutung zurücktrete. Dies zeigt H. W. Wolff auch mit Ps 27,14, wo durch das Hoffen auf JHWH das Herz gestärkt und dadurch Mut gewonnen werde und mit Gen 45,27, wo durch das schwache, kraftlose Herz Josefs dessen Verzagtheit und Verlust des Mutes ausgedrückt werde. Vgl. H. W.  Wolff, Anthropologie, 83. 87 Vgl. ebd. 88 Ähnlich auch in Spr 6,25. 89 In diesem Sinne versteht er auch Num 15,39. Vgl. ebd. 90 Mit der Wendung ‫ ובגדל לבב‬wie in Jes 9,8, sei Übermut gemeint, überhebt sich das Herz mit dem Ausdruck ‫ זדון לבך‬in Jer 49,16, werde Vermessenheit ausgedrückt. Vgl. ebd. 91 Vgl. a. a. O., 84. 92 Vgl. ebd.

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Grundlegungen  

Funktionen angesprochen werden, die heute eher bestimmten Gehirnregionen zugeschrieben würden:93 „Wir werden sehen, dass so wie rûaḥ eher Lebenskraft (im Gegensatz zur Hinfälligkeit des Fleisches) als Geist bedeutet, leb(āb) häufig besser mit Geist wiedergegeben wird als mit Herz.“94 5. Ein anderer Aspekt von ‫ לב‬/ ‫ לבב‬werde deutlich, betrachtet man die Belegstellen, an denen es mit „Willensentschluss“ übersetzt werden kann. 6. Eine letzte Deutungsmöglichkeit stelle die nicht mehr anthropologische, sondern auf Gott bezogene Verwendung als „Herz Gottes“ dar. H. W. Wolff unterscheidet durch seine Begriffsanalyse nicht nur verschiedene Bedeutungsfelder, sondern verdeutlicht die für die aktuelle Forschungsdebatte höchst relevante Zuordnung von Körperorgan und Körperfunktion. Dadurch wird die enge Verbindung physischer und psychischer Aspekte bereits deutlich, an die insbesondere B. Janowski mit den systemischen Begriffen Leib- und Sozialsphäre anknüpft. Sie ist für die Fragestellung dieser Arbeit von grundlegender Bedeutung und wird im nachstehenden Kapitel detailliert betrachtet. Bei der Einordnung der pronominalen Verwendung von ‫ נפש‬und ‫לבב‬/‫ לב‬in dieses System ergeben sich jedoch bereits auf den ersten Blick Schwierigkeiten. So können Sie bei der pronominalen Verwendung für den Menschen darüber hinaus eine selbstreflexive Dimension ausdrücken, die, so wird in der folgenden Untersuchung gezeigt werden, über eine sog. Leib- und Sozialsphäre hinausgeht.95

1.3 Alttestamentliche Anthropologie(n) – Einblick in aktuelle Diskussionen 1.3.1 Vorbemerkung Erwähnenswert ist eine Vielzahl an Weiterentwicklungen des Ansatzes von H. W. Wolff, von denen besonders diejenigen von B. Janowski96, C. Frevel97, A. Wagner98,

93 Dass eine Überbetonung der Gefühlsebene beim hebräischen Menschen stattfindet, liege an der häufig undifferenzierten Übersetzung des ‫ לבב‬/ ‫לב‬-Begriffs. Vgl. ebd. 94 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 95 Es deutet sich in B. Janowskis literarhistorischer Einordnung von ‫לבב‬/‫ לב‬eine schrittweise Herausbildung einer selbstreflexiven anthropologischen Dimension in den atl. Texten an, jedoch bleiben die Ausführungen zu allgemein und entbehren der exakten Einordnung konkreter biblischer Belege. Vgl. B. Janowski, Herz, 47. 96 Vgl. u. a. B. Janowski, Konfliktgespräche; Ders., Grundlegung; Ders., næpæš, 131–174; Ders., Mensch. 97 Vgl. u. a. C. Frevel, Schöpfungsglaube und Menschenwürde im Hiobbuch, 467–497; Ders., Art. Gefühle / Emotionen, Trost, Zorn, 215–217; Ders., Person; Ders. / O.Wischmeyer (Hg.), Menschsein. 98 Vgl. u. a. A. Wagner, Beten und Bekennen.

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J. v. Oorschot99 und K. Seybold100 hervorgehoben werden sollen.101 Ein für die anthropologische Forschung am Alten Testament entscheidendes Werk legt B. Janowski 2003 unter dem Titel: „Konfliktgespräche mit Gott. Eine Untersuchung über die Anthropologie der Psalmen“102 vor. Er nimmt darin v. a. Bezug auf die Historische Anthropologie und kann dadurch den Menschen im Wandel der Zeit und in seiner historischen Bedingtheit wahrnehmen.103 Stärker als H. W. Wolff orientiert sich B. Janowski auch an außerbiblischen Belegen.104 Die Frage danach, ob es überhaupt anthropologische Grundkonstanten gebe, also eine Natur des Menschen, verfehle B. Janowski zufolge jedoch das Ziel: Es geht also nicht einfach um allgemeine Züge der menschlichen Natur […], sondern um die Besonderheit von Erfahrungen und Verhaltensweisen, die den Beter der Psalmen in elementaren Lebenskonflikten zeigen, die er klagend und bittend zu bestehen sucht.105

Eine philosophische Anthropologie, die nach dem Wesen des Menschen unabhängig von medizinischen, psychologischen, soziologischen und kulturellen Erfahrungen fragt, könne keine angemessene Antwort liefern.106 Auch eine theologische Anthropologie müsse dies berücksichtigen, denn [d]ie im Lauf der Geschichte bezeugten Selbstauffassungen und Selbstexplikationen des Menschen können demnach nicht unter eine Wesensformel subsumiert werden, sondern müssen dem geschichtlichen Wandel gerecht werden.107

99 Vgl. u. a. J. v. Ooorschot, „Er schuf sie als Mann und Frau“ – der Mensch als geschlechtliches Wesen; Ders., Die Prüfung des Menschen. 100 Vgl. u. a. K. Seybold, Studien; Ders., Psalmen. 101 Bei einer Berücksichtigung anglophoner Literatur gilt es zunächst zu prüfen, ob Anthropologie und anthropology auf den gleichen Sinngehalt rekurrieren. Das ist oftmals nicht der Fall. Vgl. J. W.  Rogerson, Anthropology, 9. 102 Zur Bedeutung dieses Werks vgl. u. a. J. v. Oorschot, Anthropologie, 14. B. Janowski bezieht sich in seinen Ausführungen neben H. W. Wolff besonders auf Ergebnisse der Arbeiten J. Assmann, Gerechtigkeit; J. Assmann, Jenseits und R. A. di Vito, Old Testament Anthropology and the Construction of Personal Identity. 103 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 2–6. 104 Vgl. a. a. O., 15. 105 A. a. O., 2 f. Diese Aspekte können v. a. mittels Betrachtungen der Historischen Anthro­ pologie verdeutlicht werden und durch Fragestellungen der Kulturwissenschaftlichen Anthro­ pologie, wie z. B. dem Verhältnis Individuum – Gemeinschaft erweitert werden. 106 Vgl. a. a. O., 6: „Die Aufgabenstellung der Historischen Anthropologie, die historische und kulturelle Variabilität der als konstant erscheinenden Verhaltensweisen des Menschen […] zu beschreiben, unterscheidet sich charakteristisch von dem Ansatz der traditionellen Philosophischen Anthropologie und ihrer Frage nach dem Wesen des Menschen und den Bedingungen seines Daseins.“ Hervorhebungen aus dem Original übernommen. 107 A. a. O., 4.

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Grundlegungen  

Es gelte nun, Ergebnisse der verschiedenen Humanwissenschaften und geschichtsphilosophische Anthropologiekritik zusammenzufassen und diese für gegenwärtige Fragestellungen nutzbar zu machen.108 Das Verdienst H. W. Wolffs sieht B. Janowski darin, dass dieser eine sachgerechte Deutung alttestamentlicher Texte durch die Analyse sprachlicher Kontexte vornehme, eine Leib-Seele-Dichotomie dabei vermeide und durch die Verknüpfung von Organbezeichnungen mit emotionalen und kognitiven Vorgängen den Menschen als psychosomatische Einheit betrachte.109 Die Bezugnahmen B. Janowskis auf H. W. Wolff werden daher auch über die Anknüpfungen an das Verständnis der einzelnen anthropologischen Begriffe hinaus deutlich. Unter Berücksichtigung des von H. W. Wolff proklamierten Dialogcharakters des Alten Testaments konstatiert B. Janowski ferner, dass „die anthropologischen Begriffe des Alten Testaments offen auf Gott hin“110 sind und betont die Interdependenz von Gottes- und Selbsterkenntnis. B. Janowski begrenzt seine Untersuchung, im Gegensatz zu H. W. Wolff, hauptsächlich auf die Klage- und Danklieder des Einzelnen im Psalter, die er im Anschluss an O. Fuchs als anthropologische Grundtexte definiert.111 O. Fuchs hält für den Psalter fest: Alle Anerkennung katastrophaler Realität, die nicht durch die Klage geht, ist lebenstötend und unverantwortlich. Eine Gottesbeziehung, in der keine Konfliktgespräche möglich sind, ist seicht und lebensfern: Klageabstinenz bedeutet Beziehungs- und Lebensverlust.112

Für weitergehende Beobachtungen, unter dem Paradigma des ganzen Menschen113, bezieht B. Janowski jedoch weitere Texte mit ein, insbesondere Gen 2,4b–7. Im Folgenden soll, v. a. anhand der von B. Janowski aufgezeigten Koordinaten der alttestamentlichen Anthropologie(n), ein zusammenfassender Überblick zum derzeitigen Forschungsstand gegeben werden. Hierbei konzentriert sich diese Untersuchung bewusst auf den Nahkontext der Hebräischen Bibel, womit nicht bestritten werden soll, dass die biblische Anthropologie natürlich nicht kulturell isoliert dasteht und auch eine vergleichende anthropologische Analyse gewinnbringend ist.114

108 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 6. 109 Vgl. a. a. O., 8 f. 110 Vgl. a. a. O., 12. 111 Am Aufbau des Klagepsalms wird Janowski zufolge die „anthropologische Tiefendimension der Klage“ deutlich: 1. Anklage Gottes 2. Ich-Klage des Beters 3. Feindklage. Es werde das Ineinander von Gottesbezug, Selbstbezug und Weltbezug deutlich. Vgl. a. a. O., 42. 112 O. Fuchs, Klage, 359; Vgl. Zitate a. a. O., 39 und J. v. Oorschot, Anthropologie, 14 f. 113 Vgl. B. Janowski, Mensch, 1–28. 114 Vgl. u. a. B. Becking, „Wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen“, 59–79; A. Berlejung, Menschenbilder und Körperkonzepte in altorientalischen Gesellschaften im 2. und 1. Jt. v. Chr.; M. Luginbühl, Menschenschöpfungsmythen; O.  Keel / S.  Schroer, Schöpfung; Dies., Eva – Mutter alles Lebendigen; G. Leick, Divinly Human and Human Divine; T. Oshima, Clay.

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1.3.2 Der Mensch als Geschöpf Der Aspekt der Einheit des Menschen ist B. Janowski zufolge in dem „Grund-Satz des Menschen als einem vitalen Selbst, wie er in Gen 2,7 formuliert ist“115 erkennbar,116 denn „[n]ach Gen 2,7 ist der Mensch nur in seinem Lebendig-Sein Mensch, d. h. in seinem Sein als næpæš ḥayyāh“117. Er zeigt im Anschluss an H. W. Wolff anhand von Gen 2,4b–7 den elementaren Zusammenhang zwischen Leib und Lebenskraft (næpæš) auf: Der Verbalsatz Gen 2,7 […] besteht aus zwei Teilsätzen […] – JHWH formte (jāṣar) den Menschen zunächst wie ein Tongebilde aus (feuchter) Erdkrume vom Ackerboden […] und blies (nāpaḥ) dann Lebensatem in seine Nase […] – und einer Folgeschilderung, die besagt, dass der erschaffene Mensch nicht ein vitales Selbst hat, sondern ein vitales Selbst ist: Da wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen / Lebewesen (næpæš ḥayyāh).118

Durch die doppelte Formung wird der Mensch zum lebendigen Wesen und, wenn er stirbt, wieder zu Staub (vgl. u. a. Ijob 34,14 f.), wenn der Lebensatem Gottes ihn wieder verlässt.119 Lange Zeit war die Auslegungsgeschichte von der griechisch-philosophisch beeinflussten Interpretation des Textes geleitet, bei der der Vorgang des Einblasens des Lebensatems Gottes als Beweis für die unsterbliche Seele120 gesehen wurde.121 ‫ נשמה‬ist im Gegensatz dazu „als Hauchbeseelung etwas anderes als das als Seele bezeichnete unkörperliche Wesen, das den Leib zum lebendigen Menschen komplettiert und dem Menschen Leben und Bewußtsein verleiht und als Geist den Tod überdauert.“122 Der Begriff ‫ נשמה‬bezeichnet daher vielmehr „das Lebensprinzip des Menschen, das sich Gott verdankt.“123 Der Mensch muss mit B. Janowski insgesamt als ‫ נפש‬bestimmt werden, durch die er U. Steinert, Aspekte des Menschseins im alten Mesopotamien; Dies., Person, Identität und Individualität im antiken Mesopotamien; J. G.  Westenholz, Body, 459–477. A. Zgoll, Der oikomorphe Mensch; Dies., Welt, Götter und Menschen. 115 B. Janowski, Grundlegung, 23. 116 Da bildete JHWH den Menschen aus Erde vom Erdboden und blies in seine Nase Lebensodem, so wurde der Mensch ein lebendes Wesen. Das Ergebnis dieses Schaffens ist, dass „der Mensch nicht ein vitales Selbst hat, sondern dieses vitale Selbst ist.“ Ebd. Hervorhebungen aus dem Original übernommen. 117 A. a. O., 24.  Vgl. u. a. auch C. Frevel, Menschsein, 26 f. 118 B. Janowski, næpæš, 135. Hervorhebungen durch Kursivierungen vereinheitlicht. Vgl. auch H. W.  Wolff, Anthropologie, 33.51. 119 Vgl. B. Janowski, Mensch, 8. Exkurs 1: Sterben als Rückkehr zum Staub, 9–11; Vgl. auch T. Oshima, Clay, 425. 120 Vgl. ebd. 121 Vgl. K. Schöpflin, Seele, 733. 122 H. Lamberty-Zielinski, Art. 670 ,‫נשמה‬. Vgl. auch B. T.  Arnold, Genesis, 57 f. 123 K. Schöpflin, Seele, 738.

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in seiner Handlungsverantwortung angesprochen ist.124 Im Rahmen der Überlegungen zum Menschen als lebendige ‫ נפש‬in Gen 2,4b–7 muss auch berücksichtigt werden, dass die Rede von dem Menschen als lebendige ‫ נפש‬auf den toten Menschen als ‫( נפש‬Num 19,6.11.13; Lev 21,11) übertragen werden kann.125 Es kann mit C. Frevel für Gen 2,4b–7 festgehalten werden, dass dem Alten Testament eine Vergänglichkeitsvorstellung vorangestellt ist, die durch den Bezug zu Gen 3,19: „Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück.“ verstärkt wird.126 Doch auch der priesterschriftliche Schöpfungsmythos verdeutlicht die Geschöpflichkeit als Grundkonstante des Menschseins. Hier stehe jedoch, C. Frevel zufolge, nicht die Art und Weise, sondern das Ziel des Schöpfungsaktes im Mittelpunkt. Die Gottesebenbildlichkeit werde dabei als funktionale127 Ähnlichkeitsbeschreibung dem eigentlichen Schöpfungsakt, der an dieser Stelle knappgehalten ist, vorangestellt, 124 Diese Vorstellung wird v. a. im Buch Leviticus entfaltet. Vgl. J. v. Oorschot, Translation, 122. Auffällig ist dabei, dass ‫ נפש‬in kultischen Zusammenhängen meist negativ konnotiert ist (vgl. a. a. O., 125). Von der Verunreinigung des Menschen als ‫ נפש‬ist allen voran im Buch Numeri die Rede. 125 Es kann u. a. mit D. Michel und J. v. Oorschot angenommen werden, dass die Trennung zwischen Leben und Tod anders als heute gedacht wurde und der Mensch auch nach seinem physischen Tod eine Zeit lang eine ‫ נפש‬blieb. Insbesondere für Num 19,14–16 wird eine Ablösung der ‫ נפש‬vom Körper diskutiert, die eine Verbindung zur griechischen Seelenvorstellung zu schlagen scheint. Vgl. J. v. Oorschot, Translation, 126; D. Michel, næpæš; O. Loretz, Die Befreiung der npš „Seele, Totenseele“ des Gerechten aus der Scheol nach Ps 49,16. In diese Richtung könnte auch der Ausdruck ‫ נפש מת‬in Num 6,6 weisen. Gehen H. W. Wolff und C. Westermann noch davon aus, dass ‫ נפש מת‬auch „Leichnam“ bedeuten kann, schlagen D. Michel und B. Janowski die sachgemäße Interpretation „‫ נפש‬eines Toten“ vor und tragen der Beobachtung Rechnung, dass es sich bei ‫ נפש‬um ein feminines Nomen handelt, bei ‫ מת‬hingegen um ein maskulines Partizip. Vgl. C. Westermann, Art. næpæš, 90 f.; H. W.  Wolff, Anthropologie, 50; D. Michel, næpæš, 81–84; B. Janowski, næpæš, 141. B. Janowski plädiert dafür „‫ נפש‬eines Toten“ mit „Person eines Toten“ zu übersetzen, gesteht aber zugleich ein, dass noch zu klären sei, welches Personenverständnis hier genau gemeint sei. Vgl. B. Janowski, næpæš, 142. C. Frevel führt diesen Gedanken weiter: „The ‫ נפש‬of the deceased then abides into the netherworls (‫ )שאול‬during the process of decomposition (Ps 16,10; 30,4; 49,16, etc.) but is, at the same time, not completely absent from the world of the living. […] Anthropologically, the discussed phrase ‫( נפש מת‬Nb 6,6; Lv 21,11), the ‫ נפש‬of the diceased, is relevant in two ways: there seems to be a tendency in the development of post-exilic anthropology where the holistic […] concept of the person as a psychosomatic unity is broken up by dichototomic or trichotomic concepts, which act, more or less, on the assumption of a seperate soul.“ C. Frevel, „Struggling with Vitality of Corpses, 224. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Betrachtet man Num 19,14–16 und Num 6,6, so scheint es einerseits plausibel, dass die Vorstellung einer unauflöslichen Ganzheitlichkeit des Menschen im Sinne von Gen 2,7 und 3,19, an dieser Stelle erste Tendenzen einer dichotomischen oder trichotomischen Weiterentwicklung zeigt. Andererseits relativert das Wissen um den Ursprung der Vorstellung der Verunreinigung durch die Berührung Toter diese Deutung und warnt vor einseitiger Interpretation: „Der Ursprung der Vorstellung einer Kontamination ist also nicht im Bereich des Toten an sich zu suchen, sondern im Kontext des Schutzes der Heiligtümer vor Einwirkungen lebensbedrohlicher Mächte.“ R. Achenbach, Verunreinigung, 348. 126 Vgl. C. Frevel, Menschsein, 15 f. 127 Vgl. a. a. O., 51.

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durch die er als Repräsentant Gottes geschaffen und dadurch mit Aufgaben betraut sei. Diese sind im Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 formuliert und verdeut­ lichen die Verantwortung des Menschen für seine Mitwelt.128 Die Grundkonstante des Menschen als Geschöpf findet sich noch an anderen Stellen im Alten Testament, durch welche die Schöpfungsmythen dahingehend eine Verstärkung, aber auch Differenzierung erfahren.129 Es zeigt sich, dass alle weiteren anthropologischen Überlegungen immer im Horizont der Geschöpflichkeit des Menschen und seiner gesamten Bestimmung als ‫ נפש חיה‬erfolgen müssen. Für die nachstehenden Überlegungen zur Ich-Sphäre des Beters in den Psalmen ergibt sich, dass diese immer innerhalb der Gottesbeziehung zu verorten sind. Eine hiervon unabhängige Selbstreflexion kann für das betende Ich nicht angenommen werden.

1.3.3 Sprache Ein Aspekt, den B. Janowski von H.-W. Wolff aufgreift, ist der der Stereometrie, welcher strukturell am parallelismus membrorum deutlich werde. Dieser fußt auf der Idee, dass „das Ganze immer aus der Vielheit seiner Teile besteht und durch In-Beziehung-Setzung seiner komplementären oder polaren Einzelelemente sprachlich dargestellt wird.“130 Wenngleich es für unser sprachliches Empfinden eher ungewöhnlich und irritierend sei, doch „[d]arauf, daß sich zwei Wörter nie ganz in ihrer Bedeutung decken, kommt es aber gerade an, weil das Ganze nie durch ein einziges Wort oder einen einzigen Gedanken zu erfassen ist, sondern immer nur durch mehrere“131. Vor diesem Hintergrund erkennt B. Janowski eine häufige Austauschbarkeit anthropologischer Grundbegriffe besonders in den Psalmen.132 Mit ihnen seien verschiedene Aspekte der Person des Beters angesprochen, der dabei jedoch immer in seiner Ganzheit erscheine. Dass der ganze Mensch unter verschiedenen Aspekten in den anthropologischen Begriffen angesprochen sei, werde auch daran erkennbar, dass die Begriffe durch Personalpronomina ersetzt werden können.133 Hierzu hat v. a. A. Wagner einen entscheidenden Beitrag geleistet mit seinem Aufsatz „Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen“134. Er hält in Hinblick auf anthropologische Untersuchungen eine Reduktion auf die vier sog. anthropologischen Grundbegriffe, wie sie noch bei H. W. Wolff durchgeführt wird, für nicht haltbar, da „ganz 128 Vgl. C. Frevel, Arbeit, 53. Der Aspekt des „Unterwerfens“ müsse ganz im Sinne eines „Bewahrens“ verstanden werden. 129 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 17 f. 130 B. Janowski, Konfliktgespräche, 13. 131 A. a. O., 15. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 132 Vgl. a. a. O., 16. 133 Vgl. a. a. O., 17. 134 Vgl. A. Wagner, Körperbegriffe, 289–317.

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verschiedene Körperbegriffe den Menschen stellvertreten können.“135 Besonders diese Beobachtung wird in der sprachlichen Analyse dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielen (Kap. 3). Im Anschluss an die Überlegungen A. Wagners zu Körperbegriffen als Stellvertreterausdrücke, wird im Weiteren auf diese unter dem Begriff „anthropologische Begriffe“ rekurriert. B. Janowski hält ferner fest, dass durch die Parallelisierung mehrerer Aspekte / Begriffe im parallelismus membrorum eine „produktive Unschärfe und Plastizität“136 und letztlich eine Multiperspektivität entstehe.137 Durch diese Stereometrisierung wird das biblische Menschenbild nicht objektivierbar. Es gehe, so knüpft B. Janowski an G. von Rad an, nicht um „die Schärfe des Begriffs“138, sondern um „die Schärfe in der Nachzeichnung der gemeinten Sache, und zwar möglichst ihrer ganzen Breite.“139 Gemeint ist damit eine „Stereometrie des Gedankenausdrucks“140 in dem Sinne einer „Überlagerung von Bildern und Motiven“141, die zu einer inhaltlichen Erläuterung führt sowie zu einer vielfältigen Betrachtungsweise. So ergibt sich als zweites semantisches Merkmal die semantische Weiträumigkeit. Als einen dritten Aspekt hält B. Janowski die metaphorische Sprache142 fest. Durch den Akt der Symbolisierung werde jedem Konkretum ein Abstraktum zugeordnet. Die anthropologischen Begriffe eröffnen Janowski zufolge also im dreifachen Sinne Deutungshorizonte: Zum einen könne ein Begriff dadurch, dass er stereometrisch ist, jeweils verschiedene Aspekte des Menschen bezeichnen. Zum anderen können verschiedene Aspekte auch innerhalb der semantischen Weiträumigkeit des Begriffes selbst – ohne, dass er mit einem anderen parallelisiert und stereometrisch erweitert würde – in den Vordergrund treten. Innerhalb dieser Konnotationen sei darüber hinaus noch eine metaphorische Verwendungsweise in Betracht zu ziehen.143 Es ergibt sich somit auf sprachlicher Ebene das Bild eines Menschen als offenes System, das aus einem komplexen Geflecht konstituiert wird und sich durch die stereometrisch gedachten Begriffsverwendungen im Alten Testament zu einer Einheit verbindet.144

135 A. Wagner, Körperbegriffe, 315. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 136 B. Janowski, Konfliktgespräche, 18. Hervorhebungen aus dem Original übernommen. 137 Vgl. ebd. 138 B. Janowski, Grundlegung, 26. 139 G. von Rad, Weisheit, 76. 140 B. Janowski, Grundlegung, 26; B. Landsberger, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt, 17 ff.; H. W.  Wolff, Anthropologie, 21 ff. 141 B. Janowski, Grundlegung, 26. 142 Vgl. a. a. O., 19. 143 Vgl. a. a. O., 35. 144 Vgl. A. Wagner, Menschenkonzept, 61.

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1.3.4 Der ganze Mensch145 Bereits das Verständnis des Menschen als Geschöpf und die Beobachtungen zur Eigenart der hebräischen Ausdrucksweise legen nahe, dass es sich, entgegen einer immer wieder in der Auslegungsgeschichte des Alten Testaments angenommenen Dicho- oder Trichotomie zwischen Leib-Seele bzw. zwischen Leib-Seele-Geist, hier um ein anderes Menschenbild handeln muss. So zeigt B. Janowski anhand von Ps 84,3, dass im Alten Testament andere Parameter von Bedeutung sind: „Vielleicht sollte man genauer von einer komplexen und differenzierten Ganzheit, d. h. vom menschlichen Körper als Kompositum seiner Glieder und Organe und deren spezifischen Funktionen sprechen.“146 Es wird auf sprachlicher Ebene ferner deutlich, dass für den atl. Menschen „der enge Zusammenhang zwischen Körperorgan und Lebensfunktion(en)“147 charakteristisch ist. So können Begriffe für Körperorgane wie das Herz emotionale und kognitive Vorgänge bezeichnen (Spr. 23,15 f u.ö.) und umgekehrt können soziale oder psychische Konflikte bestimmte Körperorgane wie die Nieren in Mitleidenschaft ziehen (Ps 73,21 f u. ö.)148.

Weiterführend ist auch die von B. Janowski aufgegriffene Idee R. A. di Vitos, der unter einem ganzheitlichen Aspekt eine personale Identität149 am Beispiel des Alten Testaments zu rekonstruieren versucht, indem er den Menschen durch „vier Identitätsmarker der Einbettung, der Dezentrierung, der Transparenz und der Dependenz“150 konstituiert sieht. B. Janowski versteht im Sinne di Vitos die verschiedenen Organe und Körperteile als „centers of activity“151, „die eigentlich der Person als ganzer zukommen“152. Die Einheit der Person trotz verschiedener „centers 145 In einem seiner jüngsten Beiträge stellt B. Janowski unter dem Titel „Der ganze Mensch“ wesentliche Charakteristika der alttestamentlichen Anthropologie zusammen. Dabei rekurriert diese Formel auf den bereits im Zshg. mit den „Konfliktgesprächen“ genannten Ansatz einer ganzheitlichen Sicht auf den Menschen. Vgl. zu dieser Begrifflichkeit: D. Rössler, Mensch; M. Grohmann, Diskontinuität und Kontinuität in atl. Identitätskonzepten, 37–39. J. Dietrich, Individualität, 77–96. 146 B. Janowski, Mensch, 11 f. 147 A. a. O., 12. 148 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 149 R. A. di Vito, Anthropology, 221. Der Begriff Identität wird in der weiteren Arbeit allein im Sinne von B. Janowskis „konstellativen Personenbegriff “ verwendet. Vgl. B. Janowski, Herz, 44. 150 B. Janowski, Grundlegung, 23. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Vgl. R. A. di Vito, Anthropology, 221: „The subject (1) is deeply embedded, or engaged, in ist social identity, (2) is comparatively decentered and undefined with respect to personal boundaries, (3) is relatively transparent, socialized, and embodied (in other words, is altogether lacking in an sense of inner depths), and (4) is authentic precisely in ist heteronomy, in its obedience in another and dependance upon another.“ 151 R. A. di Vito, Anthropology, 227. 152 B. Janowski, Grundlegung, 24. 

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Grundlegungen  

of activity“153 begründet Janowski wiederum mit der o.g. Austauschbarkeit anthropologischer Grundbegriffe, besonders in den Psalmen, die er so versteht, dass der Mensch trotz verschiedener Charakteristika immer in seiner Ganzheit erscheint:154 „The persons in the Psalms do not so much have a body, they rather are a body.“155 Diese sprachlichen Besonderheiten weisen bereits auf das Nebeneinander verschiedener anthropologischer Aspekte, das B. Janowski zufolge auch in der altorientalischen Kunst erkennbar ist, wenn z. B. in der altägyptischen Kunst der Mensch eher als Kompositum seiner Glieder dargestellt wird.156 Ergänzend hierzu bringt T. Krüger in jüngerer Zeit wieder die Unterscheidung zwischen innen und außen in Bezug auf den Herzensbegriff in die Diskussion ein,157 jedoch zeigt er zugleich, dass diese Unterscheidung keine Trennung bedeuten muss.158 Es deutet sich das Desiderat an, die Innerlichkeit159 des atl. Menschen angemessen methodisch und sprachlich zu erfassen und illustriert damit die Notwendigkeit der nachstehenden Untersuchung. Diese Zusammensetzung zu einer „komplexen und differenzierten Ganzheit, d. h. vom menschlichen Körper nicht als Organismus, sondern als Kompositum seiner Glieder und Organe“160, wurde von E. Brunner-Traut für das Menschenbild im Alten Ägypten mit dem Begriff der Aspektive bzw. mit dem Bild einer Gliederpuppe161 beschrieben und ist in diesem Kontext von J. Assmann um den Aspekt der Konnektivität162, der Frage nach dem verbindenden Element(en), erweitert worden. Das, was diese Vielheit zusammenhält, sieht J. Assmann für den Menschen im Alten Ägypten in dem „Herzen“.163 Im Anschluss an diese Beobachtungen 153 R. A. di Vito, Anthropology, 227. 154 Vgl. B. Janowski, Grundlegung, 24.  155 S. Gillmayr-Bucher, Body Images, 325. Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen. Dies ist sprachlich daran erkennbar, dass die Anzeige von Besitzverhältnissen meist als Relation mit ‫ ל‬beschrieben wird. 156 Vgl. B. Janowski, Grundlegung, 19. B. Janowski bezieht sich hier v. a. auf den Beitrag von E. Brunner-Traut, Frühformen des Erkennens am Beispiel Ägyptens, 71. 157 T. Krüger macht mit der Rehabilitierung dieser Unterscheidung implizit auf eine Leerstelle in der atl. Anthropologie aufmerksam und zeigt, dass das Bild vom Menschen als einheitliches Geschöpf, bestehend aus diversen „centers of activity“, ergänzungsbedürftig ist. Denn am Herzensbegriff werde deutlich, dass sich auch die Vorstellung einer „Gleichsetzung von innerem und eigentlichem Menschen“ findet. Vgl. T. Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 96. Hervorhebungen aus Original übernommen. 158 A. a. O., 95. 159 Weder die Verwendung der Begriffe innen und außen bei T. Krüger, noch Innerlichkeit beschreiben angemessen diese anthropologische Dimension in atl. Perspektive, weshalb es der Hilfskonzeption der Ich-Sphäre bedarf (Kap. 1.3.1). Zum Verständnis von Innerlichkeit im Alten Testament vgl. R. A.  Di Vito, Alttestamentliche Anthropologie und die Konstruktion personaler Identität, 233. 160 B. Janowski, Konstellative Anthropologie, 65. 161 E. Brunner-Traut, Frühformen, 72. 162 Vgl. J. Assmann, Jenseits, 34 ff. 163 Ebd.

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entwickelt B. Janowski seine Beschreibung des atl. Menschen in seiner Leib- und Sozialsphäre als konstellative Person, die im Folgenden näher zu betrachten ist.

1.3.5 Leib- und Sozialsphäre Spricht B. Janowski also von Ganzheitlichkeit, meint er damit auch das Eingebundensein des hebräischen Menschen in die Gott-Welt-Mensch-Ebenen.164 Grundlage dieser Beziehung sei der „konstellative Personenbegriff “165 J. Assmanns, der sich grundsätzlich auf die Gemeinschaftsbezogenheit des hebräischen Denkens stützt.166 Diesen führt B. Janowski im Anschluss an R. A. di Vito weiter, wenn er festhält, dass „[d]iese Ganzheit […] auf konzeptioneller Ebene auch die Rede von der komplexen und differenzierten Einheit der Person im Blick [hat], für die […] neben der Leibsphäre auch die Sozialsphäre konstitutiv ist.“167 Diese Eingebundenheit des Einzelnen in den sozialen Kontext, die Sozialsphäre, wird daher zusammengedacht mit der Leibsphäre, zu der B. Janowski sowohl körperliche Empfindungen als auch Emotionen zählt.168 Eine Annäherung an das atl. Menschenbild kann mit Hilfe des, an J. Assmann angelehnten, Schemas von B. ­Janowski erreicht werden:169 positiv Gesundheit Lebendigkeit Licht Sättigung Freude „alt u. lebenssatt“

Leibsphäre des Menschen

negativ Krankheit „Schreckensstarre“ Finsternis Hunger, Durst Trauer Vorzeitiger Tod

Sozialsphäre des Menschen positiv negativ Gerechtigkeit Rechtsnot Ehre Schande Kommunikation Schweigen Gemeinschaft Einsamkeit Freiheit Gefangenschaft Integrität Sünde 164 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 43. 165 Vgl. J. Assmann, Konstellative Anthropologie, 95–120. Zum konstellativen Personenbegriff bei Janowski auch Ders., Person und zusammenfassend in J. Schnocks, Psalmen, 95–97. 166 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 43. 167 B. Janowski, Grundlegung, 27. 168 Bei emotionalen Äußerungen ist mit einer Verschränkung von innerer Expression und äußerer Kommunikation zu rechen. Vgl. D.  Bester / B.  Janowski, Anthropologie, 12. 169 B. Janowski, Konfliktgespräche, 51. Vgl. auch Grafik in: Ders., Person, 66.

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Grundlegungen  

Die hier deutlich werdende Interdependenz von sozialer Lebensbeeinträchtigung, wie Rechtsnot, Schande, Schweigen, Einsamkeit, Gefangenschaft, Sünde und Krankheit, Schreckensstarre, Finsternis, Hunger, Durst, vorzeitiger Tod werden in der Forschung mehrheitlich als entscheidende Merkmale atl. Anthropologie angesehen. So schreibt C. Frevel: „Krankheit und Leid bedeuten Entfremdung, sowohl von sich selbst als auch von dem sozialen Umfeld und schließlich von Gott.“170 Dieser Zusammenhang ist B. Janowski zufolge besonders in Hinsicht auf die soziokulturellen Hintergründe der Texte bzw. der einzelnen anthropologischen Begriffe plausibel zu machen, da für diese festgehalten werden könne, dass die „Gemeinschaftsbezogenheit des hebräischen Denkens“171 den Einzelnen immer in Bezug auf seinen sozialen Kontext denkt.172 Besonders in den Klage- und Dankpsalmen werde eine „Innenseite der menschlichen Existenz“ immer gemeinsam mit ihrer „sozialen Außenseite“ thematisiert.173 B. Janowski schließt hieraus, dass „ein die moderne Fixierung auf das Subjekt konterkarierender vormoderner Personenbegriff zum Ausdruck“174 gebracht wird. Es muss ihm daher Recht gegeben werden, dass der Mensch des Alten Testaments sein Dasein nicht denken kann, ohne seine Bezogenheit auf Gott und Gesellschaft zu denken.175 Deshalb, so B. Janowski, droht auch der Zerfall der Person, wenn die Sozialsphäre durch die Gestalt des Feindes in den Individualpsalmen bedroht wird.176 Die dreifache Konstitution des Menschen ergibt sich aus seiner Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung, welche sich in dem Selbst-, Welt- und Gottesbezug spiegeln, wie es beispielhaft in Ps 13,2 f. zum Ausdruck kommt: „2a Bis wann, JHWH, vergisst du mich auf Dauer? b Bis wann verbirgst du dein Angesicht vor mir? 3aα Bis wann soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, β Kummer in meinem Herzen Tag für Tag? b Bis wann erhebt sich mein Feind über mich?

Schematisch dargestellt: Gottesbezug (‚du‘) ↕ Selbstbezug (‚ich‘) ↕ Weltbezug (‚er‘/‚sie‘)

Bis wann, JHWH, vergisst du mich… ↕ Bis wann soll ich Sorgen tragen… ↕ Bis wann erhebt sich mein Feind…“177

170 C. Frevel, Menschsein, 24; J. Assmann, Jenseits, 54 f. 171 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 43. 172 Vgl. J. Dietrich, Human, 24. 173 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche, 43. 174 B. Janowski, Konfliktgespräche, 43. 175 Vgl. B. Janowski, Grundlegung, 28. 176 Vgl. a. a. O., 29.  177 A. a. O., 28.

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Es wird eine Entsprechung zwischen den drei Klageformen Gott-Klage, IchKlage und Feind-Klage) deutlich. Bei der Drohung eines sozialen Ausschlusses aus der Gemeinschaft befinde sich der Mensch bereits in der Sphäre des Todes. Das Leben ist dadurch „ein konnektives, die Eingebundenheit des einzelnen in die Gemeinschaft bezeichnendes Phänomen.“178 Als Referenzpunkt und Horizont gibt B. Janowski für den Personenbegriff und die Gemeinschaft „die Welt, in der die Menschen leben“ an und beschreibt diese im Gegensatz zur Moderne als „übersichtlich und erfahrungsgebunden“179. Konnektivität, so B. Janowski, könne es aber nur geben, wenn in einer Gemeinschaft die folgenden Merkmale vorhanden sind: „das Prinzip des Füreinander-Handelns (aktive Solidarität), des Aufeinander-Hörens (kommunikative Solidarität) und des Aneinander-Denkens (intentionale Solidarität)“180. Diese Komponenten bilden schließlich den Rahmen eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs181, in den das Individuum eingebunden ist und der darin besteht, dass durch eine verknüpfende Gerechtigkeit182, durch eine soziale Konnektivität183 alles Ergehen auf vorherige Taten zurückgeführt wird. Dabei kommt ein sog. soziales Gedächtnis zum Tragen, das auch in altägyptische Quellen belegt ist.184 Das Prinzip der sozialen Konnektivität, das die Gerechtigkeitsvorstellung im Alten Testament prägt, drückt B. Janowski durch die Wendung „[d]ie Tat kehrt zum Täter zurück“ aus und wird in der Maxime des ägyptischen Königs der 13. Dynastie, Neferhotep, noch einmal betont: Der Lohn eines der handelt, besteht darin, daß für ihn gehandelt wird. Das hält Gott für ma’at (=Wahrheit, Gerechtigkeit).185

Besonders im Sprüchebuch werde diese organisch wirkende Abfolge von Tat und Befinden im Rahmen der sozialen Konnektivität deutlich.186 In diesem Zusammenhang ist, wie B. Janowski folgerichtig erkennt, bereits die Handlungskategorie der Vergeltung als ein Verhalten eingeführt, das der sozialen Konnektivität verpflichtet ist und so eine kontinuierliche Orientierung des Handelns im Sinne der 178 B. Janowski, Grundlegung, 30. 179 A. a. O., 33 f. 180 A. a. O., 30. 181 Vgl. B. Janowski, Die Tat kehrt zum Täter zurück, 167–191. 182 B. Janowski, Grundlegung, 30. 183 A. a. O., 31. 184 „Ein guter Charakter kehrt zurück an die Stelle von gestern, denn es ist befohlen: Handle für den, der handelt, um zu veranlassen, dass er tätig bleibt. Das heißt, ihm danken für das, was er getan hat.“ B 2, 105–108, zitiert nach J. Assmann, Gerechtigkeit, 62; B. Janowski, Grundlegung, 30. 185 W. Helck, Historisch-Biographische Texte der 2.  Zwischenzeit und neue Texte der 18.  Dy­ nastie, 29; Vgl., B. Janowski, Grundlegung, 31; Vgl. B 2, 105–108, zitiert nach J. Assmann, Gerechtigkeit, 65. 186 Vgl. Spr. 26,27 bei B. Janowski, Grundlegung, 31 f; C. Frevel, Menschsein, 20.

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Grundlegungen  

Gemeinschaft garantiert.187 Dies ist deshalb so wichtig, weil die Gemeinschaft, die auch nach dem Tod den Namen des Verstorbenen nennt, letztlich lebensnotwendig ist, wie die „Kleine Phänomenologie des sozialen Todes“188 in Ps 41,5–11 deutlich macht.189 Zusätzlich zu der Leib- und Sozialsphäre gilt es zudem die Tatsache zu berücksichtigen, dass der atl. Mensch in ein religiöses Symbolsystem eingebunden ist, das für die Lebensgestaltung eine sinnstiftende und ordnende Funktion erfüllt (wie es exemplarisch die Tempelsymbolik zeigt. Kap. 3.2.3, 4.2.1, 4.2.5).190 Diese grundsätzliche Verortung durch B. Janowski wird durch zahlreiche Einzeluntersuchungen ergänzt, u. a. in Hinblick auf eine differenzierte Wahrnehmung der Leibsphäre, z. B. zu Körperkonzeptionen im Alten Testament, die hier nicht im Detail betrachtet werden können.191 Eine erste Tendenz, das Phänomen der Konnektivität nicht nur auf eine Leib- und Sozialsphäre zu beziehen und den hebräischen Menschen dadurch differenzierter auch in Hinblick auf sein Innenleben wahrzunehmen, wird v. a. durch das Feld der Emotionsforschung sichtbar, welche v. a. in jüngerer Zeit einen Aufschwung erlebt.192 Mit dem Begriff Individualität193, verstanden als differentia specifica, bringt J. Dietrich einen Aspekt atl.

187 Vgl. B. Janowski, Grundlegung, 32. 188 A. a. O., 33. 189 Vgl. a. a. O., 32. 190 Vgl. D.  Bester / B.  Janowski, Anthropologie, 31. 191 Vgl. u. a. M. Häusl, Auf den Leib geschrieben, 134–163; G. Leick, Human, 339–406. Besonders erwähnenswert scheinen ferner die Untersuchungen von M. Douglas, welche, unter der Berücksichtigung der Korrelation von Kultur und Reinheitsvorschriften im Leviticusbuch, den symbolischen Wert des Körpers als Repräsentant gesellschaftlicher Konflikte herausstellt. Vgl. M. Douglas, Leviticus as Literature, 147–151. Den Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Individuum beschreibt sie folgendermaßen: „The social body constrains the way the physical body is perceived. The physical experience of the body, always modified by the social categories through which it is known, sustains a particular view of society.“ Vgl. Dies., Natural Symbols, 69. Auch hier wird noch einmal die Bedeutung des Ansatzes Janowskis deutlich, das Subjekt als konnektives Wesen in der Leib- und der Sozialsphäre zu verorten. Den Gedanken nach der Abhängigkeit von Kultur und dualistischen Körperkonzeptionen führt in jüngerer Zeit J. J. Pilch weiter in seinem Aufsatz „The Idea of Man and the Concepts of Body“, wenn er festhält: „Moreover, lack of body-mind dualism in Hindu thought indicates that such dichotomies are culturally specific.“ J. J.  Pilch, Body, 70. Besonders den Gedanken eines „embodiment“ beschreibt er im Anschluss an die Untersuchungen von S. Low als Hilfe, um Empfindungen als physische und emotionale Manifestation von Nervenleitung wahrzunehmen: „Bodily experiences, therefore, serve as metaphors of self / society relations in which the body acts as the mediating symbolic device.“ J. J.  Pilch, Body, 71. Für einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand des Themas „Körperkonzeptionen“ vgl. D. Bester, Körperbilder. 192 Vgl. u. a. S. Gillmayr-Bucher, Emotion und Kommunikation, 279–299. P. A.  Kruger, Gefühle und Gefühlsäußerungen, 243–264; T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 157–163; A. Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. 193 Der Begriff Individualität ist aufgrund seiner modernen Prägung höchst schwierig und missverständlich und wird daher im Folgenden vermieden. An seine Stelle tritt die Rede von der Ich-Identität bzw. vom Ich. Vgl. Kap. 1.3.6.

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Anthropologie zur Geltung, der in dem Konzept einer personalen Identität194 nach B. Janowski (noch) nicht verortet ist (Kap. 1.3.6).195 Das zu ergänzende Proprium besteht J. Dietrich zufolge in der Beobachtung, dass es Individualität durch Differenz immer schon gegeben habe und darüber hinaus sogar „die Tiefen der Innerlichkeit“ reflektiert würden, wenngleich diese i. d. R. negativ bewertet seien.196 Er macht damit auf eine Leerstelle in der anthropologischen Forschung aufmerksam, die nach einer konzeptionellen Erweiterung der personalen Identität197 B. Janowskis in Hinblick auf eine Reflexion von Innerlichkeit des atl. Menschen fragen lässt und dadurch die Relevanz der hier gestellten Forschungsfrage betont. Gemeint ist hier Innerlichkeit im Sinne J. Dietrichs als „Reflexivität über die eigenen inneren Tiefen“198.

1.3.6 Person, Identität, Selbst – Begriffliche Überlegungen im Anschluss an C. Frevel Bevor im Weiteren Überlegungen zu der Zielsetzung und Methodik der Fragestellung im Titel angestellt werden können, gilt es zunächst die Begrifflichkeiten zu klären, die im Folgenden verwendet werden. Es ist für die Rede von Identität199 in der Exegese unumgänglich, so stellt M. Öhler heraus, sich einem Modell bzw. einer Form des Modells Identität anzuschließen.200 Einen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der Verwendung anthropologischer Begrifflichkeiten im Alten Testament bietet der Aufsatz von C. Frevel mit dem Titel „Person – Identität – Selbst“. Er problematisiert darin die Tatsache, dass die meisten Begriffe, die zur Beschreibung anthropologischer Sachverhalte verwendet werden, „im Alten Testament objektsprachlich nicht vertreten sind.“201 Damit spricht er ein Problem anthropologischer Untersuchungen in atl. Texten im Kern an: „Die hermeneutisch-methodische Problematik, dass die Konzeptualisierung der alttestamentlichen Aussagen nicht unbeeinflusst von systematischen Konzepten der Neuzeit ist, ist dabei unhintergehbar und gehört zu den selbstverständlich vorausgesetzten Einsichten. Insbesondere für die metasprachlichen Konzepte Identität, Person 194 B. Janowski, Mensch, 11. 195 Vgl. J. Dietrich, Human, 23; Ders., Individualität, 78. 196 Vgl. J. Dietrich, Individualität, 92 f. 197 B. Janowski, Mensch, 11. 198 J. Dietrich, Individualität, 81. 199 Zum Überblick über verschiedene philosophische und psychologische Identitätssysteme vgl. K.  Gloy / M.  Klessmann, Identität, 25–32. 200 Zu dem Problemhorizont Identität, M. Öhler, „Identität“ – eine Problemanzeige, 13. 201 C. Frevel, Person, 65. C. Frevel verweist zudem auf die häufige Verbindung dieses Konzepts mit dem entwicklungspsychologischen Konzept von E. Erikson, vgl. Ders., Identität und Lebenszyklus.

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Grundlegungen  

und Selbst die alle nicht objektsprachlich im Alten Testament vertreten sind, bleibt dies festzuhalten.“202

Es gilt daher grundsätzlich unnötige Begriffsübertragungen zu unterlassen und die zur Beschreibung unbedingt notwendigen Begriffe klar zu definieren, um moderne Projektionen zu vermeiden. Im Rahmen der Überlegungen zum Begriff Identität bezieht sich C. Frevel überwiegend auf die Ich-Identität203. Sie beschreibt nicht nur eine dynamische Beziehung zu sich selbst, sondern darüber hinaus Authentizität, die durch eine Kette performativer Selbstvollzüge, die auch Biografie oder Leben genannt werden kann.204 Eine solche Definition knüpft an den Begriff Identität bei E. H. Erikson an, der besonders das Prozesshafte der Identitätskonstitution betont.205 In Hinsicht auf biblische Texte bietet sich C. Frevel zufolge der Identitätsbegriff für Untersuchungen einer narrativ konstruierten Ich-Identität an. Der Begriff Person finde sich in übertragener Form in den biblischen Texten (persona, πρόσωπον), doch bei näherer Betrachtung werde klar, dass weder das hebräische Äquivalent ‫פנים‬, noch ‫ נפש‬an das komplexe Verständnis des Personenbegriffs heranreichen.206 Für die weitere Arbeit erachtet C. Frevel daher ein Verständnis von Person für sinnvoll, das die Vernetztheit eines Menschen in seinem historischen und sozialen Umfeld in der Summe erfasst und ihn dadurch als Individuum wahrnimmt.207 Einen großen Einfluss auf das atl. Personenverständnis haben die Überlegungen B. Janowskis zum konstellativen Personenbegriff (vgl. Kap. 1.3.5), bei denen zwei Aspekte im Vordergrund stehen: „zum einen wird der menschliche Körper als eine konstellative, d. h. aus einzelnen Teilen und Organen zusammengesetzte Ganzheit verstanden; zum anderen bedeutet menschliches Leben die Eingebundenheit in soziale Zusammenhänge oder Rollen.“208 Darüber hinaus betont B. Janowski jedoch, es müsse berücksichtigt werden, dass personale

202 C. Frevel, Person, 67. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 203 Vgl. C. Frevel, Person, 69. Dieser Begriff wird i.d.R verbunden mit den Theorien H. E. Eriksons, der diese wie folgt beschreibt: „[I]ch habe darzustellen versucht, daß die in der Kindheit gesammelten Ich-Werte in die Ich-Identität münden. Das Gefühl der Ich-Identität ist also das angesammelte Vertrauen darauf, daß der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität (also das Ich im Sinne der Psychologie) aufrechtzuerhalten. Dieses Selbstgefühl, das am Ende jeder der Hauptkrisen erneut bestätigt sein muß, wächst sich schließlich zu der Überzeugung aus, daß man auf eine erreichbare Zukunft zuschreitet, daß man sich zu einer bestimmten Persönlichkeit innerhalb einer nunmehr verstandenen sozialen Wirklichkeit entwickelt.“ Ders., Identität, 107. 204 Vgl. C. Frevel, Person, 69 f. 205 Vgl. H. E.  Erikson, Identität, 106–114. 206 Zudem Unterscheiden sich Fragestellungen des antiken Personenbegriffs wesentlich von der atl. Personenvorstellung. Vgl. C. Frevel, Person, 70 f. 207 Vgl. C. Frevel, Person, 71. 208 B. Janowski, Herz, 45.

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Identität209 durch Binnenmotivationen konstituiert werde, duch welche die Relation zur Außenwelt gesteuert werde. Wesentlich sei hier die Aufgabe des Herzens (‫לבב‬/‫)לב‬.210 An dieser Stelle setzt die Forschungsfrage dieser Arbeit an, die nach einer weiteren konnektiven Eingebundenheit des Menschen fragt, die in einer rational-reflexiven Bezugnahme des Menschen zu seinen konstituierenden Konstellationen besteht.211 Es sollen daher weitere Überlegungen in diese Richtung zum Personenbegriff angestellt werden, von denen die grundsätzliche Gültigkeit des Modells B. Janowskis unberührt bleibt. Der Personenbegriff ist C. Frevel zufolge vor allem von den Aspekten Identität und Selbst geprägt.212 Bei der Bezeichnung Selbst gehe es um die kognitive und emotionale Erfassung des Ich. Er hält zusammenfassend fest: „Das Selbst ist mittels sozialer Interaktion und Reflexion in der Lage, durch Abgrenzung und Differenz Individualität wahrzunehmen und zu formen.“213 Dabei stelle der moderne Seele-Begriff eine Verschiebung und Erweiterung dieser Vorstellung dar. Durch den Begriff Selbst, könne die Rückbezüglichkeit des Menschen ausgedrückt werden, die zeigt, dass er sich in seiner Individualität wahrnimmt und diese formt. Die besondere Qualität des Begriffs wird, laut C. Frevel, bei dem Versuch einer Unterscheidung der Begriffe Selbst, Identität und Person deutlich. Der Begriff Selbst betone das reflexive Moment, ohne dabei von einem ganzheitlichen Menschenbild Abstand zu nehmen.214 Dennoch sei das Selbst untrennbar mit der Person verbunden, wobei ersteres den Fokus auf das „introspektive Moment“ lege und die Selbstzuschreibung, im Gegensatz zur Fremdzuschreibung, beim Personenbegriff betone.215 Das Selbst beschreibe das Ergebnis der reflexiven Prozesse, aus denen sich das Ich konstituiert. Im Anschluss an diese Definition kann Selbstreflexion, im Sinne von Sich-Selbst-Betrachten, als Reflexionsvorgang verstanden werden. Eine Definition für den singulären Ich-Begriff bleibt C. Frevel an dieser Stelle schuldig, der lediglich die o.g. Ich-Identität definiert. Damit ist jedoch bereits der Weg für das Ich-Verständnis vorgezeichnet: Das „Ich“ kann im Anschluss an den Selbstbegriff als ein ständig veränderlicher, 209 B. Janowski, Mensch, 11. 210 Vgl. ebd. 211 Diesen Aspekt hält B. Janowski per se für eine unmögliche Konstituente personaler Identität, zu der er festhält: „Diese Charakterisierung hebt zu Recht hervor, dass die personale Identität nicht durch eine alles steuernde Rationalität zustande kommt, sondern durch Konstellationen, die komplexe, auf Sozialität und Gegenseitigkeit ausgerichtete Beziehungen des Menschseins zum Ausdruck bringen.“ B. Janowski, Herz, 45. Dabei wird rationale Selbststeuerung als Alternative zum konstellativen Modell dargestellt, wohingegen die Fragestellung dieser Arbeit versuchen will, die Konstitution des Ich durch Selbstreflexion (verstanden als rationale Eigenleistung), als ergänzenden Aspekt zu diesem Modell beizutragen. 212 Vgl. C. Frevel, Person, 71. 213 A. a. O., 72. 214 Vgl. C. Frevel, Person, 72. 215 Vgl. ebd.

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Grundlegungen  

selbstreflexiver Prozess verstanden werden.216 Als ein stets veränderliches Ich217, kann es am besten in seiner selbstreflexiven Dynamik, in seiner sozio-kulturellen Eingebundenheit beschrieben werden.218 Dadurch verschmilzt das Ich-Verständnis mit der Frevelschen Ich-Identität, die sich durch ihre Performanz biographisch manifestierter, individueller Identität bildet und vollzieht. In Hinblick auf die eingangs gestellte Fragestellung kann daher angenommen werden, dass die Untersuchung einer literarischen Manifestation eines solchen Ichs, welches sich aus selbstreflexiven Prozessen konstituiert, das Konzept personaler Identität nach B. Janowski ergänzen kann. Dies wird im Weiteren mittels der Frage nach einer Ich-Sphäre zu ermitteln und entfalten sein. Hierfür werden, ausgehend von den bislang angestellten terminologischen Überlegungen, im nachstehenden Kapitel entsprechende Begrifflichkeiten für die weitere Untersuchung festgelegt.

1.4 Begriffe, These und Vorgehen 1.4.1 Begriffe Aus dem Forschungsstand lassen sich für die Fragestellung dieser Arbeit folgende wichtige Punkte festhalten, an die bei der Untersuchung von Ps 42/43 in Hinblick auf Selbstbeschreibung, im Sinne einer im Text explizit werdenden Selbstreflexion, angeknüpft wird: Begriffe, die den Menschen beschreiben, sind geprägt von den Phänomenen der Stereometrie, wie im parallelismus membrorum deutlich wird, einer semantischen Weiträumigkeit und einer metaphorischen Deutungsmöglichkeit. Durch diese Aspekte wird im Anschluss an B. Janowski eine doppelte Konnektivität des Menschen sichtbar: 1. In Blick auf die Leibsphäre ist der Mensch konnektiv im Sinne verschiedener Körperteile als „centers of activity“219, die jeweils den Menschen in seiner Einheit repräsentieren. 2. In Blick auf die Sozialsphäre ist der Mensch konnektiv im Sinne seiner sozialen Eingebundenheit in die Gesellschaft, die durch eine „verknüpfende Gerechtigkeit“220 gekennzeichnet ist.

216 So sieht auch K. Jaspers das Ich als ‚ständig wechselndes und sich verwandelndes Soseins eines Lebendigen‘, das sich nicht auf das Bewusstsein über das Ich beschränke oder durch dieses sogar hervorgebracht werde. Vgl. Ders., Von der Wahrheit, 254–379. 217 Vgl. zur Diskussion über die Konstitution des „Ich“ auch H. Hering, Ich, 2–6. 218 Den Aspekt des notwendigen Gegenübers von Gemeinschaft und Individuum beschreibt besonders ausführlich G. Haeffner, Philosophische Anthropologie, 87–100. 219 R. A. di Vito, Anthropology, 227. 220 B. Janowski, Grundlegung, 30.

Begriffe, These und Vorgehen

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Diese beiden Sphären stehen, aufgrund des Axioms der Geschöpflichkeit (Gen 2,7), immer in einem Verhältnis zur Gottesbeziehung. Anknüpfend an die beiden konstituierenden Sphären einer personalen Identität221 bei B. Janowski, wird ein Trend deutlich, den Menschen wesentlich durch seine leibliche und soziale Konnektivität (vor Gott) zu bestimmen.222 Die Konnektivität innerhalb der jeweiligen Sphäre wird mittels leiblicher und sozialer Qualitäten beschrieben. Es stellt sich dabei die Frage, ob die Idee einer konnektiven Konstituiertheit des Menschen nicht noch weitertragen kann: Wie vollzieht sich auf Textebene der Prozess der Selbstintegration des betenden Ichs innerhalb dieser qualitativ beschriebenen Sphären und in der Gottesbeziehung? Es soll in dieser Arbeit daher der Frage nach einer dritten Form von Konnektivität des althebräischen Menschen nachgegangen werden. Die Idee der „sozialen und leiblichen Konnektivität“223 vor Gott ist dahingehend um eine Reflexion dessen zu ergänzen, ob und wenn ja, wie sich der atl. Mensch innerhalb dieser relational-konnektiven Qualitäten konstituiert und darin seine Subjektivität zum Ausdruck bringt. Der Begriff Ich-Sphäre hilft, einen solchen Vorgang der literarischen Selbst­ integration einzufangen, indem er die selbstreflexiven Beziehungen, durch die sich der Einzelne konstituiert – und die in der (historischen) Fremd- und Selbstbeschreibung (diese kann, wie das „Ich“, nie ganz erfasst werden) greifbar werden – bezeichnet. Die Ich-Sphäre manifestiert sich literarisch in der selbstbeschreibenden Ich-Betonung, die implizit eine reflexive Bezugnahme auf das eigene Selbst224 des Beters zum Ausdruck bringt. Explizit wird diese Reflexivität in dem Vorgang der Selbstreflexion sichtbar (Kap 1.3.6). Wie diese auf literarischer Ebene in der Psalmenliteratur erkannt werden kann, gilt es in den nachstehenden Kapiteln zu klären (Kap. 1.4.2 und 1.4.3). Im Anschluss an die begrifflichen Überlegungen rückt hier nun wieder der Begriff des Ich bzw. der Ich-Identität in den Fokus.225 Der Ausdruck Ich bezeichnet in Abgrenzung davon in der weiteren Arbeit die Identifikation des betenden Ichs226 bzw. des Beters227, das als 221 B. Janowski, Mensch, 11. 222 Eine erste Tendenz, das Phänomen der Konnektivität zu erweitern, wird v. a. durch das Feld der Emotionsforschung sichtbar. Vgl. M. L.  Barré, Depression, 177–187; M. S.  Smith, Heart, 427–436; A. Wagner, Emotionen. 223 R. A. di Vito, Anthropology, 227. 224 Das Selbst bezeichnet hier das Ergebnis der reflexiven Prozesse, aus denen sich das Ich konstituiert. 225 Vgl. C. Frevel, Person, 73. 226 Vgl. D. Bester, Körperbilder, 96–98. 227 Es besteht auch die Möglichkeit das betende Ich hier mit einer weiblichen Beterin zu identifizieren. In dem Text selbst (Ps 42/43) findet sich kein Hinweis auf eine feste Geschlechtszuschreibung. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der Einfachheit halber die männliche Form von „Beter / in“ verwendet, wodurch eine genderorientierte Perspektive jedoch keinesfalls nivelliert werden, sondern vielmehr gesondert in einem eigenen Abschnitt ihren Raum finden soll. Vgl. Kap. 2.1.

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Grundlegungen  

Subjekt228 in den Texten zeitweise explizit in den Vordergrund tritt und schließlich in Blick auf die Ich-Sphäre befragt werden soll. Mit dieser Eingrenzung unterscheidet sich die Ich-Sphäre von dem weitreichenderen Begriff einer Ich-Identität im Sinne von Authentizität und Biographie.229 Zur Vermeidung eines fremden Begriffsrepertoires und irrtümlicher Assoziationen, wird sich die Arbeit des Weiteren auf die Ausdrücke Ich-Sphäre und Selbst beschränken. Die modernen und konzeptionell stark vorgeprägten Begriffe Identität und Ich-Identität werden lediglich zur Verortung der hier erarbeiteten Ergebnisse in dem Modell der personalen Identität230 B. Janowskis verwendet. Es erscheinen zudem die Begriffe Selbst bzw. Selbstreflexion für die Beschreibung des reflexiven Verhältnisses sinnvoll, durch das der Beter sich innerhalb von Leib- und Sozialsphäre konstituiert. Sie drücken das rückbezügliche Wechselverhältnis des Einzelnen aus.231 Selbstreflexion im Sinne von Sich-Selbst-Betrachten, die per definitionem ein übergreifendes Moment aller fiktiven und poetischen Texte darstellt,232 zeigt sich beispielhaft in der Selbst-Darstellung, wie sie v. a. in den Klageliedern des Einzelnen233 erfolgt, die sich hier als Untersuchungsgegenstand besonders zu eignen scheinen.234 Die Diskussion darüber, ob in den Klagepsalmen ein individuelles oder kollektives Ich seinen Ausdruck findet, ist für diese Untersuchung zweitrangig.235 Vielmehr kann festgehalten werden: Anyone could have have spoken these words, but the speaker becomes a particular supplicant when he takes on this language. The identity offered the speaker of this language is particular and based on certain historically embedded assumptions about self, God, and the other.236

Dass diese Texte aussichtsreich für die Frage nach der Reflexion von Selbstkonstitution sind, zeigt sich zudem darin, dass in ihnen eine massive Störung der leiblichen und sozialen Konnektivität sowie der Gottesbeziehung sichtbar wird. Ein 228 Der Subjektbegriff ist hier auf seine grammatikalische Dimension bezogen und eingegrenzt und nicht als philosophisch bestimmter Ausdruck verstanden. 229 Da das Ich nicht als feststehende Größe begriffen werden darf, bezeichnet der Terminus Ich-Sphäre die prozesshafte Konstitution des Ich. 230 B. Janowski, Mensch, 11. 231 Von einer weitergehenden philosophischen Definition, die dieses Selbst qualitativ bestimmt, wird hier bewusst Abstand genommen, um irrtümliche Projektionen zu vermeiden. 232 Vgl. M. Scheffel, Formen selbstreflexiven Erzählens, 10. M. Scheffels moderne Typologie ist leider nicht modifiziert für biblische Texte, sodass hier eine andere Methodik angewandt werden muss. Vgl. a. a. O., 56 ff. 233 Vgl. H. Gunkel, Einleitung, 172–265; J. Schnocks, Psalmen, 46–49. 234 Im Gegensatz dazu würde der Individualitätsbegriff an dieser Stelle zu weit führen und das überindividuelle Gebetsformular durch Fragen z. B. nach Authentizität, Biografie oder Leben überfrachten. 235 Vgl. E. S.  Gerstenberger, Psalms I, 9; H. Gunkel, Einleitung, 28. 236 A. C.  Cottrill, Language, 18.

Begriffe, These und Vorgehen

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solches Changieren zwischen Desintegration und Integration zeigt sich v. a. im „Klagelied des Einzelnen“, das nun konkret befragt werden soll: Wird eine IchSphäre im Sinne einer Selbstreflexion des Beters (innerhalb der Leib-/Sozialsphäre und Gottesbeziehung) auf explizit sprachlicher und inhaltlich-struktureller Ebene deutlich? Wenn ja, wie wird diese literarisch ausgedrückt?

1.4.2 Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre Im Anschluss an die begrifflichen Vorüberlegungen, soll an dieser Stelle erwägt werden, wie das Konzept der Ich-Sphäre als konnektiv-selbstreflexive Bezugnahme zur Leib- und Sozialsphäre und zur Gottesbeziehung literarisch in der Selbstbeschreibung, genauer, der Ich-Rede greifbar wird.237 Die literarische Selbstbeschreibung ist Ort der Selbstdarstellung und stellt eine Abstraktion (durch Reflexion) der Selbstbezüge (Leib- und Sozialsphäre, Gottesbeziehung) dar. Dadurch ist bei der Rede von dem Ich und seiner Betonung implizit immer Selbstreflexion vorausgesetzt.238 Um jedoch die konnektiv-reflexiven Bezüge des Ichs in althebräischen Texten zu erfassen, muss Selbstreflexion literarisch greifbar werden. Dahingehend sollen die sprachlichen Möglichkeiten für die Explikation von Selbstreflexion durch selbstreflexive Aussagen im Althebräischen untersucht werden.239 Wesentlich hierfür ist die Verwendung von Personalpronomen.240 Die Personalpronomen in der althebräischen Sprache kommen sowohl als pronomen seperatum (selbständiges Personalpronomen = sPP) als auch als pronomen suf-

237 Vgl. C. A.  Newsom, Self, 196–201. 238 Vgl. P. D.  Miller, Way, 229. 239 Es ist zu Unterscheiden zwischen dem Begriff der Selbstreflexion und grammatikalisch selbstreflexiven Verbindungen. Letztere verweisen nur unter bestimmten Bedingungen auf Selbstreflexion. 240 Darüber hinaus kann vermutet werden, dass die Ich-Sphäre als explizierte Selbstdistanzierung auch über spezifische verbale Wortbedeutungen zum Ausdruck kommen kann, wie E. Jones anhand des Begriffs zeigt. Vgl. E. Jones, Direct Reflexivity in Biblical Hebrew, 415–420. Problematisch an E. Jones Untersuchung ist m. E. zudem besonders die Festlegung der verschiedenen „stages of grammaticalization“, die v. a. von der Annahme geleitet zu sein scheinen, dass dort ein selbstreflexiver Sinn anzunehmen ist, wo eine wörltiche Übersetzung wenig Sinn macht. Damit besteht die Gefahr einer Ausmerzung schwer zu übersetzender Textstellen mittels Einsetzung eines Personalpronomens. Es können dennoch insgesamt zwei sich teils überschneidende sprachliche Ausdrucksweisen für Reflexivität voneinander abgegrenzt werden: „Hebrew speakers use two main strategies for encoding reflexivity: (1) the morphological strategy – by using special verb templates (patterns) and zero complement […]; (2) the syntactic strategy – by using a periphrastic construction comprised of transitive verb and a reflexive pronoun as direct object or indirect object suffixed with a (reflexive) possesive pronoun agreeing in person and number with the subject of the verb.“ R. Halevy, Reflexive, 341. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt auf letzterem Merkmal.

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Grundlegungen  

fixum (enklitisches Personalpronomen = ePP) vor.241 Das sPP zeigt meist das Subjekt und damit eine nominative Funktion an.242 Häufig werden sPP als Ersatz für ein voranstehendes oder implizites Nomen verwendet und beziehen sich i. d. R. auf Personen.243 Sie dienen v. a. der Vermeidung von Wiederholungen von Nomen, können aber auch in Appositionen eine leichte Betonung eines Nomens oder Pronomens anzeigen.244 Insgesamt können drei Verwendungskategorien des sPP unterschieden werden: Die Verwendung in einem finiten Verbalsatz, in einem Nominalsatz245 und als Apposition246. Für die Frage nach der besonderen Betonung des betenden Ichs in der 1.Pers. Sg. sind v. a. die Gebrauchsweisen von Bedeutung, in denen eine nachdrückliche Betonung der Ich-Perspektive des Beters deutlich wird. Dabei kommt bei Betrachtung des sPP dem finiten Verbalsatz eine außerordentliche Bedeutung zu.247 Zwar können sPP auch in Nominalsätzen und Appositionen emphatische Wirkungen 241 Vgl. J. P.  Lettinga, Grammatik des biblischen Hebräisch, 39. 242 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 291. 243 Vgl. a. a. O., 292. 244 Vgl. a. a. O., 293. 245 Es sind zwei Anordnungsmöglichkeiten zu unterscheiden: Subjekt – Prädikat und Prädikat – Subjekt. Dabei ist die Zuordnung von Subjekt und Prädikat an sich bereits problematisch. Vgl. A.A Diesel, „Ich bin Jahwe“, 38–50. Bei der Verwendung des sPP der 3.Pers. in verblosen Sätzen handelt es sich entweder um einen Pleonasmus oder um ein Verbindungswort. Identifizierende Sätze mit Pronomen in einer wortverbindenden Funktion folgen der Satzordnung Subjekt – Pronomen – Prädikat: Gen 36,8 ‫עשו הוא אדום׃‬ – „Esau ist Edom.“ Es ist auch möglich, solche Konstellationen als absolute Nominativkonstruktionen zu verstehen. Das erste Wort ‫עשו‬ markiert die Betonung und der Satz selbst folgt dem Aufbau Subjekt – Prädikat (‫)הוא אדום‬, sodass auch übersetzt werden könnte mit: Was Esau betrifft, er ist Edom. Dieser Satzbau hat eine „selective-exclusive“ Wirkung, da das Subjekt herausgestellt und mit anderen möglichen oder realen Alternativen kontrastiert wird. An einigen Stellen liegt dadurch die Betonung auf der Einzigartigkeit des Subjekts. Vgl. Dtn 4,35. In dieser Konstruktion kann auch das sPP der 1./2. Pers. als herausgestelltes Subjekt stehen. Vgl. Ps 44,5 ‫אתה־הוא מלכי‬. In den meisten Fällen ist diese Art der Selbstbetonung in der 1.Pers.Sg. auf die Gottesrede beschränkt. In den Nominalsätzen, die als klassifizierende Sätze bezeichnet werden können und in denen das sPP dem Subjekt und dem Prädikat folgt, kann zwar eine selektiv-exklusive Betonung des Subjekts erkannt werden, jedoch keine Herausstellung des Subjekts, wie es bei den identifizierenden Nominalsätzen der Fall ist: Gen 31,16 ‫ – לנו הוא ולבנינו … כל־העשר‬Jeder Mann ist Haupt seines Vaterhauses. Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 297–299. Insgesamt scheint die Betonung eines anthropologischen Ichs mit einer besonderen Herausstellung des Subjekts selten in Nominalsätzen ausgedrückt zu werden, wodurch diese für die weitere Analyse von sekundärer Bedeutung sind. 246 Wenn das sPP es als Zusatz zu einem ePP steht, erfüllt es eine emphatische Funktion. Vgl. a. a. O., 299: Ps  9,7 ‫אבד זכרם המה׃‬ – Das Andenken an sie ist vergangen. Weniger häufig drückt das unselbst. Personalpronomen gemeinsam mit einer Apposition (sPP) eine Akkusativfunktion aus (Sach 7,5 f.). Eine weitere Variante besteht in der Verwendung des sPP als casus pendens, mit demselben Bezug wie das ePP (Jes 45,12). Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 300. Es gibt darüber hinaus noch einige weitere, jedoch seltenere Verwendungsweisen des sPP, die für die Frage nach der Selbstbetonung weniger relevant sind und hier nicht näher beleuchtet werden sollen. Hierfür vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 300 f. 247 Vgl. R. Halevy, Reflexive, 340.

Begriffe, These und Vorgehen

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entfalten, jedoch keine genuine Herausstellung des Subjekts in der 1.Pers.Sg. Daher soll sich die Betrachtung zuerst auf den Gebrauch des sPP im finiten Verbalsatz beziehen. Eine finite Verbform ist im Althebräischen von Person, Numerus, und, wenn von Bedeutung, Genus, bestimmt. Wenn ein sPP in einem finiten Verbalsatz auftritt, ist dies zunächst erklärungsbedürftig, weil es überflüssig ist.248 Auch T. Muraoka nimmt an, dass „whenever a verb occurs with a pronoun referring to its subject, some extra nuance is intended.“249 Erklärungsversuche gehen entweder davon aus, dass es sich bei den sPP um einen Pleonasmus, handelt, oder um eine Emphase. Keine dieser Erklärungen vermag jedoch zu überzeugen, bleibe doch mit B. K. Waltke / M. O’Connor bei dem Pleonasmus zu fragen, ob es überhaupt überflüssige sprachliche Elemente geben könne und auch die Idee einer Emphase öffne das Tor zu Überinterpretationen und anhaltslosen Ausdifferenzierungen.250 Drei Funktionen halten sie daher für die Kombinationen finites Verb + sPP bzw. sPP + finites Verb fest: The first reason involves a syntactic hole in the language – this is neither a pleonastic nor an emphatic use. The other two involve logical contrast and psychological focus – both of them may loosely be termed emphatic.251

Der erste Fall, die Verwendung eines sPP, um eine syntaktische Leerstelle zu schließen, kann, im Anschluss an B. K. Waltke / M. O’Connor, am besten mit Hilfe eines fiktiven Beispiels erklärt werden. Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen, dass das zugehörige Subjekt nicht notwendigerweise benannt werden muss, könnte folgende (unmögliche) Konstruktion erwartet werden:252 ‫ויאמר וזקני גלעד‬

Und er und die Ältesten Gileads sagten

In diesem Fall muss jedoch, um die syntaktische Leerstelle zu füllen, ein sPP verwendet werde, sodass folgende (korrekte) Syntax entsteht:253 ‫ויאמר הוא וזקני גלעד‬

Und er und die Ältesten Gileads sagten

In diesem Fall ist das Pronomen weder pleonastisch noch emphatisch, sondern notwendig, um den Hauptreferenten anzuzeigen.254 248 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 293. 249 T. Muraoka, A Grammar of Biblical Hebrew, 505. 250 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 293. 251 A. a. O., 294. 252 Vgl. ebd. 253 Vgl. ebd. 254 Biblische Belege für diese Form sind u. a. zu finden in: Gen 7,1; Ri 11,38 und Ruth 1,6. Wenn ein weiteres grammatisches Element vor dem Subjekt steht, ist es notwendig, ein resümierendes sPP einzufügen. Bei einer Apposition hingegen, ist kein sPP notwendig. Vgl. B. K.  Waltke /  M. O’Connor, Introduction, 295. Diese Pronomenklasse findet sich auch bei T. Muraoka, Grammar, 506 f.

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Grundlegungen  

Die zweite Verwendungsweise des sPP hängt, nach B. K. Waltke / M. O’Connor, mit der logischen Struktur zusammen. Der Referent des Pronomens kann dabei in einem eindeutigen Gegensatz zu einer anderen Person oder zu einer Gruppe von Personen stehen.255 Diese grammatikalische Struktur findet sich auch bei T. Muraoka, der sie als „cases of disjunction or adversative juxtaposition, a weaker form of contrast“256 bezeichnet. Diese Form der Kontrastierung findet ihre Steigerung in dem „anthitetical contrast“, bei der ein Referent gegenüber einer oder mehreren anderen Personen deutlich betont wird.257 Kontrastierungen können daher mit einer außerordentlichen Betonung des Hauptreferenten verbunden sein, sodass diese Verwendungsweise des sPP mit finiter Verbform eine besondere Betonung oder Reflexivität des betenden Ichs erkennen lässt und für die weitere Untersuchung von Bedeutung ist. Ähnlich verhält es sich bei der dritten Gebrauchsart des sPP mit finiter Verbform, die mit B. K. Waltke / M. O’Connor unter dem Oberbegriff psychologischer Fokus subsumiert werden kann und überwiegend die sPP der 1. oder 2. Person betrifft. Hier lassen sich ebenfalls T. Muraokas Kategorisierungen einordnen, die im Wesentlichen den Beobachtungen von B. K. Waltke / M. O’Connor entsprechen.258 Drei Funktionen der Kombination „sPP + finites Verb“ können innerhalb des psychologischen Fokus voneinander differenziert werden: 1) Die „emphatic nuance“ des sPP, meist in der 1.Pers.Sg. (‫אני‬/‫ )אנכי‬findet häufig dann Verwendung, wenn jemand an eine Tatsache erinnert wird oder ein Versprechen äußert.259 2) Davon unterscheidet T. Muraoka den Gebrauch im Sinne eines „boasting style“.260 Ein Beispiel hierfür findet sich in Ps 2,6: 255 B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 295. Vgl. 2 Sam 24,17. Es besteht auch die Möglichkeit, beide Parteien der Antithese mit einem sPP zu benennen, wie in Gen 3,15: ‫הוא ישופך‬ ‫ראש ואתה תשופנו עקב׃‬ – „Er wird dir den Kopf zermalmen und du wirst ihm die Ferse zermalmen.“ 256 T. Muraoka, Grammar, 505. Bspw. Gen 3,15: ‫הוא ישופך ראש ואתה תשופנו עקב‬ – Er wird dir deinen Kopf zermalmen und du wirst ihm die Verse zermalmen. 257 Vgl. T. Muraoka, Grammar, 505. B. K. Waltke und M. O’Connor sehen dabei die Selbstbetonung kombiniert mit einer Antithese: 1 Kön 21,7…‫אני אתן לך את־כרם נבות…אתה עתה תעשה מלוכה‬ – Du übst doch jetzt die Königsherrschaft aus? …. Ich werde dir den Weinberg Nabots geben… Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 296. 258 Ein wesentlicher Unterschied besteht v. a. in der unterschiedlichen Strukturierung der Ergebnisse, die eine Zurückhaltung T. Muraokas nahelegt, Formen von syntaktischer Kontrastierung mittels sPP mit Selbstbetonung in Verbindung zu bringen. Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 296; T. Muraoka, Grammar, 505. 259 Im Zusammenhang mit Antworten auf Fragen und Versprechungen kann ebenfalls eine Selbstbetonung mittels sPP erfolgen, wie in 1 Sam 26,6: ‫…אני ארד עמך׃ מי־ירד אתי‬ – „Wer wird mit mir hinabgehen? … Ich werde mit dir hinabgehen. Als weiteres Beispiel nennen B. K. Waltke / M. O’Connor Gen 21,23 f. Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 296. In den Fällen der 2.Pers. zeigt das Pronomen eine starke Betonung an, mit welcher der Sprecher einem Befehl oder einer Forderung Ausdruck verleiht: Ri 10,13 ‫ואתם עזבתם אותי‬ – „Ihr aber habt mich verlassen“. Vgl. auch Gen 31,6 und 1 Sam 22,18. A. a. O., 296 f. 260 Vgl. T. Muraoka, Grammar, 506. B. K.  Waltke / M. O’Connor verstehen in diesem Zusammenhang Antithesen als einen Teil der Selbstbetonung. Vgl. Dies., Introduction, 296.

Begriffe, These und Vorgehen

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‫ואני נסכתי מלכי על־ציון הר־קדשי׃‬

Ich aber habe eingesetzt meinen König über meinen heiligen Berg Zion.

3) Ähnlich der „emphatic nuance“ kann vor allem das sPP der 1.Pers.Sg. ‫אני‬/‫אנכי‬ als Ausdruck von von „self-consciousness or assertiveness“ dienen, wie es in Gen 16,5 anschaulich wird: ‫אנכי נתתי שפחתי בחיקך‬

Ich habe dir meine Magd in den Schoß gegeben.

In den Verwendungsweisen des sPP der 1.Pers.Sg. ‫ אני‬/ ‫ אנכי‬im Sinne eines psychologischen Fokus zeigt sich eine Selbstwahrnehmung in Form einer Bezugnahme des betenden Ichs zu sich selbst.261 Diese Bedeutung ergibt sich auch aus dem Kontext, sodass die Selbstreflexivität des Ichs zwar literarisch implizit durch die Selbstbetonung erkennbar ist, jedoch keine ausdrückliche syntaktische Explikation erfährt. Dennoch ist die selbstreflexive Dimension der Verwendung des sPP im Sinne eines „boasting style“ und einer „self-consciousness or assertiveness“ nicht von der Hand zu weisen. Daher soll darüber hinaus ein Blick auf die semantische Tragweite des sPP der 1.Pers.Sg. geworfen werden. Es gibt zwei Formen des sPP der 1.Pers.Sg.: ‫ אנכי‬und ‫אני‬, die auf die akkadische Wurzel anāku zurückgehen. Sie weisen zwar semantisch keinen erkennbaren Bedeutungsunterschied auf, aber einen semiotischen, der auf eine performative Unterscheidung hinweisen könnte.262 Darauf weist auch die rückläufige Verwendung hin, denn ‫ אנכי‬ist seltener als ‫ אני‬zu finden. Das sPP der 1.Pers.Sg. ‫ אני‬/ ‫ אנכי‬kommt in seiner Langform 358 Mal, in seiner Kurzform 870 Mal im Alten Testament vor und es kann ein quantitativer Rückgang der Langform in späten Schriften des AT und in den hebräischen Qumranrollen erkannt werden.263 Zu der Verwendung von ‫ אנכי‬im QumranHebräisch hält D. Markl fest, dass das ‫ אנכי‬der Hodajot an zahlreichen Stellen ein Ich zum Ausdruck bringt, „mit dem sich jeder Beter der Gemeinschaft identifizieren kann und soll – ein typisches bzw. pädagogisches Ich.“264 Die Ich-Aussagen betonen, D. Markl zufolge, besonders die eigene menschliche Vergänglichkeit und die religiöse Erkenntnis. Als atl. Beispiele nennt er: ‫( ואני ידעתי‬ich aber weiß) in Ex 3,19; Ijob 19,25 (vgl. 1 QH 6,23.28; 7,25.35.38; 12,31; 19,10) und analog zu den Ich-Aussagen in den Hodajot ‫( מה־אנוש‬was ist der Mensch?) in Ijob 7,17; 15,14 und Ps 8,5, bzw. ‫( מה־אדם‬was ist der Mensch?) in Ps 144,3.265 An dieser Stelle können die syntaktischen Beobachtungen zur Verwendung des sPP mit finiter Verbform im Sinne eines „boasting style“ und einer „self-consciousness or assertive­

261 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 296. 262 Vgl. A.A Diesel, Jahwe, 37. 263 D. Markl, 237 ,‫אנכי‬. 264 A. a. O., 239. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 265 Vgl. a. a. O., 238.

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Grundlegungen  

ness“ sinnvoll durch semantische Aspekte des sPP ‫אני‬/‫ אנכי‬ergänzt werden.266 Es ergibt sich dadurch ein verschärfter Fokus auf diejenigen Stellen, in denen das sPP der 1.Pers.Sg. mit finiter Verbform im Zusammenhang mit menschlicher Vergänglichkeit und religiöser Erkenntnis vorkommt und dabei das betende Ich in besonderer Weise betont wird. Darin werden eine Selbst-Distanzierung und zugleich eine Selbst-Konnektivität des betenden Ichs deutlich, die in dieser Arbeit als Ich-Sphäre bezeichnet werden. Literarisch wird diese in einer syntaktisch selbstreflexiven Selbstbetonung expliziert. Besonders in den Psalmen ist diese Selbstbetonung erkennbar und soll hier für einige Stellen exemplarisch betrachtet werden. Das sPP ‫ אני‬in Ps 26,1 ist mit der Verbform der 1.Pers.Sg. kombiniert und bringt ein betendes Ich zum Ausdruck, welches in seiner Bedeutung über die reine Anzeige des Ich-Sprechers hinausgeht und eine Selbst-Distanzierung voraussetzt: ‫לדוד שפטני יהוה כי־אני בתמי הלכתי וביהוה בטחתי לא אמעד׃‬

Verschaffe mir Recht, JHWH; denn ich bin in meiner Rechtschaffenheit gewandelt. In JHWH habe ich vertraut, ich werde nicht wanken.267

In Ps 39,11 ist die Selbstbetonung des Beters mit einem „antithetical contrast“ kombiniert, der in dem Gegensatz Beter – Gott besteht: ‫הסר מעלי נגעך מתגרת ידך אני כליתי׃‬

Nimm von mir deine Plage! Vom Streit deiner Hand vergehe ich.

Noch deutlicher wird die reflektierte Selbstbetonung in einem antithetischen Kontrast zwischen den Übermütigen und dem Beter in Ps 119,69:268 ‫טפלו עלי שקר זדים אני בכל־לב אצר פקודיך׃‬

Lügen haben die Übermütigen gegen mich erdichtet. Ich bewahre deine Vorschriften von ganzem Herzen.

Dass der Mensch sich als erkennendes Wesen wahrnimmt, wird v. a. in den Versen deutlich, in denen die Selbstbetonung mit dem Thema der Selbsterkenntnis verbunden ist (Ps 51,5): ‫כי־פשעי אני אדע וחטאתי נגדי תמיד׃‬

Denn ich erkenne meine Vergehen, und ich weiß meine Sünde stets vor mir.

266 Eine besondere Betoung durch das sPP der 1.Pers.Sg. wird auch in E. S. Christiansons Untersuchung zu Kohelet deutlich, die ihm zufolge dem Zweck dient „to intensify the presence and significance of Quohelet’s experience. Vgl. E. S.  Christianson, A Time to Tell, 41. 267 E. Zenger merkt zu V. 1c an, dass „darum werde ich nicht wanken“ sinngemäßer sei, jedoch fehlt eine entsprechende Konjunktion. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Die Psalmen, 168. Vgl. H.-D. Neef, Arbeitsbuch, 227. 268 Ähnlich auch in Ps 119,70.78

Begriffe, These und Vorgehen

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Ähnliche Belege lassen sich für das sPP ‫ אנכי‬in den Psalmen anführen, jedoch fällt auf, dass von den 12 Belegstellen269, vier270 auf Gott referieren und nur zwei das sPP mit einer finiten Verbform kombinieren. Da in einer der beiden Stellen (Ps 75,4) ‫ אנכי‬auf Gott bezogen ist, bleibt nur eine verwertbare Stelle für eine Selbstbetonung des Beters (Ps 104,34): ‫יערב עליו שיחי אנכי אשמח ביהוה׃‬

Möge ihm gefallen meine Rede! Ich, ich freue mich in Adonai!

Es kann festgehalten werden, dass sich die Ich-Sphäre als selbstreflexive Ich-Rede in der Kombination finites Verb + sPP der 1.Pers.Sg. bzw. sPP der 1.Pers.Sg. + finites Verb manifestiert, wenn diese als Ausdruck von Selbstbetonung, Selbstbehauptung und Selbstbewusstsein gebraucht wird. Dabei wird die selbstreflexive Bezugnahme des betenden Ichs zwar syntaktisch nicht expliziert, ist aber in der Selbstbetonung durch den ‫אני‬/‫אנכי‬-Begriff semantisch vorausgesetzt und kann kontextuell erkannt werden. Auch das ePP kann eine selbstbetonende Verwendung finden, indem es als Reflexionshilfe syntaktisch eingebunden wird.271 Es verweist überwiegend auf den Genitiv oder Akkusativ.272 In den meisten Fällen sind die Formen identisch, nicht jedoch in der 1.Pers.Sg., bei der „ִ‫ “י‬das Subjekt und „‫ “נִ י‬das Objekt anzeigen.273 Maskuline Suffixe können für weibliche Bezugswörter verwendet werden, ebenso können singularische Suffixe auf pluralische Bezugspunkte verweisen und pluralische Suffixe auf kollektive Singular-Begriffe.274 Angefügt an Präpositionen oder Nomen erfüllt das ePP die „Funktion des Genitivs“275, angefügt an Verben,

269 Ps 22,7; 39,13; 46,11; 50,7; 75,4; 81,11; 91,15; 104,34; 109,22; 119,19.141.162; 141,10. 270 Ps 46,11; 50,7; 75,4; 81,10. 271 Nicht immer wird zwischen Verwendungsweisen der ePP als Selbstbetonung und als Ausdruck selbstreflexiver Verhältnisse unterschieden. Vgl. R. Halevy, Reflexive, 343 f. 272 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 291. 273 Vgl. M. Krause, Hebräisch, 133. Für weitere morphologische Überlegungen vgl. B. K. Waltke / M. O’Connor, Introduction, 302. 274 Vgl. ebd; T. Muraoka, Grammar, 516. 275 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 303 f.: Genitivsuffixe erfüllen denselben Zweck wie reguläre Genitive. Der adjektivische Gebrauch ist selten. Häufiger ist der genitivus subjectivus, der noch einmal unterschieden werden kann in Agens, Urheberschaft und Beziehung. Adverbiale Genitivsuffixe können das direkte (A) oder vermittelte Objekt (B) anzeigen: A: Gen 4,23 ‫איש הרגתי לפצעי‬ – „Ich habe einen Mann für meine Verletzung getötet.“ B: Ex 2,9 ‫ואני אתן את־שכרך‬ – „Ich werde (dir) deinen Lohn geben“ Nur selten wird ein Nomen mit Suffix und einem Präpositional- oder Relativsatz als Besitz markiert. Andere Präpositionalsuffixe übernehmen dieselbe Funktion wie Substantivobjekte von Präpositionen. Bei Nomen in einer Konstruktusverbindung ist die ganze Verbindung von einer Suffigierung des letzten Nomens betroffen. Wenn ein ePP im Zusammenhang mit einer Constructusverbindung steht, die nicht suffigiert werden kann, oder mit einer Apposition, oder mit einem spezifizierenden Akkusativ, so dient es der Anpassung an den gewünschten Modus.

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Grundlegungen  

‫ את‬oder ‫הנה‬, eine „Akkusativfunktion“276. Relativ selten wird (beim Genitiv­

gebrauch) ein Nomen mit Suffix und zugleich einer Präposition als Besitz angezeigt.277 In diesen Fällen zeigt sich eine Verstärkung der Besitzanzeige bzw., in Bezug auf die 1.Pers.Sg., eine reflexive Selbstbetonung (Ps 7,9b):278 ‫כצדקי וכתמי עלי׃‬

nach meiner Gerechtigkeit und nach meiner Lauterkeit auf mir

Eine konnektiv-reflexive Bezugnahme des betenden Ichs wird syntaktisch expliziert und dadurch die Ich-Sphäre literarisch greifbar. Die dritte Funktion des ePP besteht in dem selbstreflexiven Gebrauch. Sie ist für die Selbstbetonung des betenden Ichs von besonderer Bedeutung und soll hier näher betrachtet werden.279 Da es im Althebräischen keine genuin selbstreflexiven Personalpronomen, wie sich oder selbst gibt, erfüllt das ePP diese Funktion. Dabei werden meist Präpositionen (oder ‫ )את‬suffigiert.280 Auch hier ist für die Fragestellung der Arbeit wieder die 1.Pers.Sg. von besonderem Interesse. Die Belegstellen bei B. K. Waltke / M. O’Connor zeigen, dass bei einem selbstreflexiven Gebrauch sowohl das finite Verb als auch die entsprechend suffigierte Präposition auf denselben Referenten verweisen (Ri 3,16; Gen 8,9; Jes 3,9; Ex 5,7; 5,19), jedoch keine Beispiele für die 1.Pers.Sg. angeführt werden.281 Für eine solche Korrespondenz von finitem Verb und suffigierter Präposition in der 1.Pers.Sg. lassen sich auch in den Psalmen tatsächlich nur wenige Beispiele finden. Dort wird jedoch eine reflexive Ich-Betonung des Beters deutlich (Ps 32,5):282 … ‫…אודה עלי פשעי ליהוה‬

…Ich will bekennen meine Übertretungen vor JHWH…

Entgegen der Annahme, dass auch ‫ נפש‬als bloßer Ersatz für das reflexive Personalpronomen verwendet wird, geht T. Muraoka davon aus, dass ‫ נפש‬seine Bedeutung in jeweils verschiedenen Variationen beibehält.283 Ähnlich argumentiert auch 276 Vgl. a. a. O., 302: Akkusativsuffixe werden entweder als direkte oder dativische Objekte verwendet. In doppelten Akkusativverbindungen kann ein Objekt durch ein Suffix repräsentiert werden. Ein Neutrum oder unbestimmter Referent kann mit einem, meist femininen, Objektsuffix gekennzeichnet werden. 277 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 303. 278 Vgl. auch Ps 131,2b; 142,4a1; 143,4. 279 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 303. 280 Vgl. ebd; H.-D. Neef, Arbeitsbuch, 117. 281 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 305. 282 Die Kombination von ‫ ידה‬mit ‫ על‬im Hif ’il findet sich sonst nur noch in Spr 28,13 und kann mit „bekennen“ übersetzt werden. Vgl. Art. 2 ‫ידה‬, in: Gesenius, 440 f. In der Übersetzung wird die syntaktisch explizierte Selbstreflexion nicht übertragen. Vgl. G. Mayer, Art. ‫ידה‬, in: ThWAT III, 455–458, 457. 283 Vgl. T. Muraoka, Grammar, 511. So auch A. Wagner, Körperbegriffe, 291. H.-W.  Wolff Anthropologie, 53 f.

Begriffe, These und Vorgehen

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A. Wagner, der ‫ נפש‬zu den Stellvertreterausdrücken zählt und davon ausgeht, dass diese einer besonderen Ich-Betonung dienen.284 Auch weitere Körperbegriffe werden als Stellvertreterausdrücke verwendet und dienen dazu, ein selbstreflexives Verhältnis ausdrücken. Sie bringen zugleich eine semantische Valenz in die Selbstbetonung ein, die es jeweils kontextabhängig zu erschließen gilt. Für die Frage nach einer in den Texten erkennbaren Selbstreflexion sind daher auch Passagen mit Stellvertreterausdrücken zu betrachten, analog zu den zuvor geschilderten syntaktischen Verwendungen der Präpositionen. Zunächst werden die Fälle hinzugenommen, in denen ein finites Verb der 1.Pers.Sg. und ein entsprechend suffigierter Stellvertreterausdruck auf denselben Referenten verweisen (Ps 25,1).285 ‫יהוה נפשי אשא׃‬

JHWH, ich will meine Lebenskraft (‫ )נפשי‬erheben.

Da der Beter in den Psalmen auch abstrahiert, in der 3.Pers.Sg.mask. / fem. von sich selbst in Stellvertreterausdrücken spricht und sich selbst in Stellvertreterausdrücken in der 2.Pers.Sg.mask. / fem. anspricht und dadurch zum Objekt macht, müssen auch solche Stellen als selbstreflexive Ich-Betonung des betenden Ichs hinzugenommen werden. Bei der Sichtung von Belegstellen fällt jedoch auf, dass der syntaktische Bezug zu demselben Referenten (in diesem Fall der Beter als Subjekt und Objekt) ausschlaggebend dafür ist, ob es sich um einen genuin selbstreflexiven Ausdruck handelt oder nicht. So verweist ein Satzbau (z. B.: Akkusativobjekt + finites Verb + suffigierter Stellvertreterausdruck) nicht zwangsläufig auf den Beter als (selbstreflexives) Objekt, sondern auf einen anderen Referenten und durchbricht dadurch die selbstreflexive Syntax (Ps 57,2):286 ‫כי בך חסיה נפשי‬

Denn in dich vertraut meine Lebenskraft (‫)נפשי‬

Ebenso wird auch bei einem gänzlich fehlenden Objektbezug keine explizit selbstreflexive Dimension deutlich (Ps 57,7). ‫כפף נפשי‬

meine Lebenskraft (‫ )נפשי‬ist gebeugt

284 A. Wagner, Körperbegriffe, 291; E. Jones, Reflexivity, 411 f. 285 Siehe hierzu auch Ps 35,13, bei dem die pronominale Beutung stark in den Vordergrund tritt und ‫ נפשי‬auch mit „mich selbst“ übersetzt werden kann. Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 218; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 424. Zwar betont eine solche Übersetzung den selbstreflexiven Charakter des Satzes stärker, allerdings zu Lasten der Konnotation von ‫ נפש‬als Ort der Lebens- und Willenskraft. 286 Vgl. auch Ps 34,3 und Belegstellen mit anderen Objekten, wie Ps 31,10.

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Grundlegungen  

Doch auch durch Satzkonstruktionen mit Präpositionen ohne Suffix kann ein selbstreflexives Verhältnis ausgedrückt werden, wenn sie die Verbindung zwischen dem Subjekt und dem Objekt desselben Referenten herstellen (Ps 77,7): ‫עם־לבבי אשיחה‬

mit meinem Herzen sinne ich nach

Einen Sonderfall stellt die direkte Anrede des Beters an sich selbst dar, in der er implizit als Subjekt des Satzes auftritt und dadurch einen selbstreflexiven Bezug herstellt (Ps 62,6). ‫אך לאלהים דומי נפשי‬

Nur vor Gott, sei still, meine Lebenskraft (‫)נפשי‬

Als Ersatz für das reflexive Personalpronomen und Äquivalent zum englischen „self “ führt T. Muraoka darüber hinaus ‫„( עצם‬Knochen“/„Gebein“) ein, welches nach dem Nomen verwendet werde, um eine Betonung des Referenten vor­ zunehmen.287 Im Psalter ist der Begriff 20 ‫ עצם‬mal288 zu finden, und kann, ebenso wie andere Stellvertreterausdrücke an einigen Stellen mit „selbst“ übersetzt werden.289 Es kann festgehalten werden, dass in bestimmten Fällen durch selbstreflexive Satzkonstruktionen Selbstreflexion ausgedrückt werden kann.290 Mit Ich-Sphäre ist daher in sprachlicher Hinsicht die syntaktisch mit Hilfe der Personalpronomen, bzw. der Verbform der 1.Pers.Sg.com. explizierte Selbstdistanzierung gemeint. Zusammenfassend zeigt sich, dass sich die Ich-Sphäre in den folgenden Fällen literarisch manifestiert: 1. Kombination „finites Verb + sPP der 1.Pers.Sg.“ bzw. „sPP der 1.Pers.Sg. + finites Verb“ im Sinne von Selbstbetonung, Selbstbehauptung und Selbst­ bewusstsein. 2. Ein Nomen wird mit Suffix und zugleich einer Präposition als Besitz der 1. Pers. Sg. angezeigt.

287 Der Begriff kann dadurch als Stellvertreterausdruck auch zur Explizierung selbstreflexiver Verhältnisse verwendet werden. D. Bester zeigt dies anhand von Ps 22,15. Vgl. D. Bester, Körperbilder, 264. Die selbstreflexiv betonende Funktion des Nomens im Sinne von „selbst“ scheint insgesamt selten im Vordergrund zu stehen. Vielmehr drückt es häufig körperliches Unbehagen aus. Vgl. H. L. E.  Luering, Bone, 534. 288 Ps 6,3; 22,15; 31,11; 32,2; 34,21; 35,10; 38,4; 38,20; 40,6; 40,13; 42,11; 51,10; 69,5; 102,4.6; 105,24; 109,18; 139,15.17; 141,7. 289 Dies ist u. a. in Gen 7,13 der Fall, aber auch in ähnlicher Weise in Ex 24,10. Vgl. K.-M.  Beyse, 329 ,‫עצם‬. Wird ‫ עצם‬auf den Menschen bezogen, kann es zwar als Synonym für den ganzen Menschen stehen, jedoch kommt dem Begriff dabei gegenüber anderen Körperbegriffen keine Sonderstellung zu. Vgl. a. a. O., 331; A. Wagner, Körperbegriffe, 291. 290 Diese Kriterien deuten sich auch in anderen Studien bereits an, werden jedoch nicht klar benannt. Vgl. S. Niditch, The Responsive Self, 43 f.

Begriffe, These und Vorgehen

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3. Sowohl das finite Verb (1.Pers.Sg.) als auch die entsprechend suffigierte Präposition (1.Pers.Sg.) verweisen auf denselben Referenten. 4. Ein finites Verb der 1.Pers.Sg. und ein entsprechend suffigierter Stellvertreterausdruck verweisen auf denselben Referenten. 5. Satzkonstruktionen mit Präpositionen ohne Suffix, die eine syntaktische Verbindung zwischen dem Subjekt und dem Objekt desselben Referenten her­ stellen. 6. Direkte Anrede des Beters an sich selbst (als Objekt) dar, in der er implizit als Subjekt des Satzes auftritt und dadurch einen selbstreflexiven Bezug herstellt.

1.4.3 Die hermeneutischen Ebenen der Ich-Sphäre und strukturelle Vorüberlegungen In pragmatischer Hinsicht sind verschiedene Dimensionen der Ich-Sphäre voneinander zu unterscheiden. 1. Autor, 2. Beter / betendes Ich291, 3.  Nachbeter / historischer Rezipient, 4. Heutiger Leser. Eine Ich-Sphäre des Autors lässt sich nicht mehr rekonstruieren.292 Er bringt seine Erfahrungen teilweise in den literarischen Prozess ein und artikuliert seine konzeptionelle Ich-Sphäre in der Figur des Beters / betenden Ichs: „The speaker of this language, the I, may not be historically identifiable, but the I is approachable as a linguistically created subject position in the discourse of the laments.“293 Dadurch schafft das betende Ich eine überindividuelle Identifikations-Vorlage und konstruiert mit der Figur des Beters eine fiktionale Ich-Sphäre, die sich im Text als projektive Ich-Sphäre manifestiert und in die sich der Nachbeter / historische Rezipient integriert, indem er das Gebet gemeinsam mit dem betenden Ich vollzieht.294 Diese fiktionale Ich-Sphäre soll in der weiteren Arbeit anhand der literarisch durch Pronominalkonstruktionen und Verbformen der 1.Pers.Sg.com. konstituierten, projektiven Ich-Sphäre, erfasst werden. An dieser Stelle kommt die Konzeption personaler Identität nach B. Janowski zum Tragen, die zeigt, dass die fiktionale Ich-Sphäre als zusätzliche konnektive Beziehung innerhalb der Leib- und Sozialsphäre und der Gottesbeziehung verortet werden muss (Kap. 1.3.5). Eine weitere hermeneutische Ebene stellt der heutige Leser, der tatsächliche Rezipient dar, für den sich die fiktionale Ich-Sphäre als erklärungsbedürftig er 291 Beide Begriffe werden in dieser Arbeit synonym im Sinne eines betenden Ichs verwendet. Vgl. D. Bester, Körperbilder, 96–98. 292 J. H. le Roux, Augustine, 128. 293 A. C.  Cottrill, Language, 5. A. C. Cottrill wählt in ihrer Untersuchung einen „sociorhetorical approach“ und analysiert dabei besonders die Beschreibung des leidenden Körpers und der Feinde. Die sprachliche Expression des Ichs auf semantisch-syntaktischer Ebene und das Phänomen Selbstreflexion finden bei ihr jedoch kaum Berücksichtigung. 294 Vgl. C. A.  Newsom, Self, 201.

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Grundlegungen  

weist, da das Konzept einer atl. Ich-Sphäre nicht ohne Weiteres auf ein modernes Ich-Verständnis übertragen werden kann. Die platonische Unterscheidung eines Innen und Außen, eines Leibs und einer unsterblichen Seele, versteht sich allen voran nicht als konnektiv. Dennoch kann sich auch der heutige Leser, mit dem betenden Ich des Textes identifizieren und seine moderne Ich-Sphäre in das Gebet integrieren. Geht man nun davon aus, dass eine Identifikation des historischen Nachbeters gewünscht ist, der durch das Nachbeten eine kultische Partizipation vollzieht, kann angenommen werden, dass in dem Psalm als überindividuelle Identifikations-Vorlage Hinweise auf eine Veränderung des Beters / betenden Ichs enthalten sind, in der diese Partizipation deutlich wird. Teilhabe am Kult bedeutet Veränderung der Notlage bzw. der Perspektive auf die Notlage. Da individuelle Notlage und Gottesferne in den Klagepsalmen grundsätzlich zusammengedacht werden müssen, kann eine Veränderung dieser Notlage am besten anhand der in der Gottesbeziehung deutlich werdenden Dynamik im Textverlauf untersucht werden. Es gilt daher, die Struktur gezielt auf die Veränderung der Gottesbeziehung hin zu befragen. Eine solche Veränderung wird in den „Klageliedern des Einzelnen“ i. d. R. besonders anhand eines Stimmungsumschwungs deutlich, in der die Notlage als gewendet dargestellt wird.295 Er lässt nach weiteren Indizien für eine Entwicklung innerhalb der Gebetsvorlage fragen, durch die der Nach­beter /  historische Rezipient im Gebet eine prozessuale Beziehungsentwicklung mit vollziehen kann. Veränderungen innerhalb einer solchen Entwicklung verweisen auf einer Meta-Ebene auf einen selbstreflexiven Vorgang, der von dem Autor in Form eines betenden Ichs konstruiert wurde und sowohl dem Nachbeter / historischem Rezipienten als auch dem heutigen Leser eine Integration ihrer Ich-Sphäre in das Gebet ermöglichen.296 Es wird daher in der Arbeit nicht nur nach der sprachlichen Manifestation der Ich-Sphäre zu fragen sein, sondern auch nach den übergreifenden Entwicklungen im Text, in denen eine selbstreflexive Veränderung des betenden Ichs zum Ausdruck kommt (Kap. 4).

295 Darin spiegelt sich die Verarbeitung einer religiösen Erfahrung. Vgl. S. Gelander, The Religious Experience in the Book of Psalms, 83 f. 296 Der Stimmungsumschwung stellt sich somit nur indirekt als Erkenntnis dar, da Selbstreflexion zwar zu einer Hinwendung zu Gott führt, es aber erst der Gotteserfahrung bedarf, um tatsächlich von Veränderung ergriffen zu werden. Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 545.

Begriffe, These und Vorgehen

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1.4.4 Weiteres Vorgehen Beispielhaft wird in der folgenden Arbeit Ps 42/43 untersucht, der als „Klagelied eines Einzelnen“ in eine Situation der Desintegration hineinspricht.297 Er erweist sich für eine Untersuchung in Hinblick auf die Fragestellung als besonders geeignet, da er durch das formulierte Selbstgespräch eine reflexive Selbstbeschreibung zu vollziehen scheint, die auf eine Selbstreflexion und dadurch auf eine Ich-Konstitution im Sinne einer Ich-Sphäre schließen lässt. Diese ereignet sich auf zwei Ebenen, zum einen auf der Ebene der sprachlichen Reflexion in einzelnen Versen, zum anderen auf der Ebene der sich verändernden Inhaltsstruktur mit Blick auf die Gott-Mensch-Beziehung. Dabei handelt es sich, wie K. Seybold festhält, um individuelle Zeugnisse „deren allgemeine Bedeutung erst durch die nachträgliche Anerkennung und Zustimmung durch weitere Zeugen gewährleistet wird.“298 Die Rekonstruktion der wahrscheinlich ursprünglich zugrundeliegenden individuellen Erfahrung erweist sich jedoch in der vorliegenden Textgestalt eines universalen Gebetsformulars als nahezu unmöglich und bleibt zwangsläufig weitestgehend hypothetisch (Kap. 1.4.3).299 Daher müssen die Texte in ihrem jeweiligen literarischen Kontext als Gebetsformular (Kap. 4.1) und, soweit möglich, in ihrer historischen Situation wahrgenommen werden. Insgesamt lässt sich die große Anzahl der biblischen Belege kaum angemessen systematisieren, was auch in Hinblick auf das in der Fragestellung zugrunde gelegte Modell B. Janowskis personaler Identität ins Bewusstsein gerufen werden muss. Bei der Untersuchung der Fragestellung verfolgt die Arbeit daher das Ziel, die damaligen Sinn- und Aussagezusammenhänge von Ps 42/43 methodisch zu erfassen und systematisch an B. Janowskis Modell rückzubinden. Nach wie vor gelten als zuverlässige Methode hierfür historisch-kritische Arbeitsschritte, die durch eine synchrone Perspektive unter dem Paradigma des close reading300 sinnvoll ergänzt werden können, sodass für die weitere Methodik letztlich eine synchrone Perspektive unter Berücksichtigung einer diachronen Herangehensweise am tragfähigsten erscheint.301 297 Diese Desintegration bezieht sich sowohl auf die physische Konstitution als auch auf die Gottesbeziehung und das soziale Umfeld. Der Körper des betenden Ichs dient dabei als Repräsentant und Integrationsanzeiger, wie es auch in anderen altorientalischen Gesellschaften der Falls ist. Vgl. A. Berlejung, Menschenbilder, 376–391. Zur Klage als Reintegrationsvorgang vgl. auch O. Fuchs, Klage, 337 f. 298 K. Seybold, Studien, 278. 299 Den Gebeten der Einzelnen, wie A. E. Zernecke es tut, jeden individuellen Charakter abzusprechen scheint den Texten jedoch ebenfalls nicht gerecht zu werden, schildern sie doch häufig Notlagen sehr individuell, wie u. a. in Ps 42/43 erkennbar ist. Vgl. dies., Handerhebungsgebete, 347. 300 Vgl. P. Mommer, Altes Testament, 26; M. Weitz, Close Reading, 354–365. 301 Methoden aus dem Bereich der Linguistik werden in jüngerer Zeit immer häufiger z. T. alternierend zu der historisch-kritischen Methode durchgeführt und diese oftmals nur noch

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Grundlegungen  

Dabei ist in Hinblick auf die Psalmenexegese in jüngerer Zeit einer zunehmenden Betonung der Psalterexegese Rechnung zu tragen, die den Einzelpsalm als Teil der Gesamtkomposition Psalter und dadurch in seiner redaktionellen Endgestalt in den Blick nimmt.302 In dieser Abhandlung kann eine Untersuchung des Gesamtpsalters, aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit, nur in Ansätzen erfolgen und soll daher besonders in Hinblick auf die Stellung und Bezüge von Psalm 42/43 innerhalb der Korachpsalmengruppen durchgeführt werden. Die Perspektive auf Ps 42/43 als Teil einer Komposition verweist bereits darauf, dass der Text sowohl in seiner literarhistorischen Genese als auch in seiner endredaktionellen Gestalt wahrgenommen werden muss. Im Anschluss an diese Überlegungen ergeben sich folgende Arbeitsschritte: Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Klärung und der Einordnung der Textgrundlage von Ps 42/43 durch Untersuchungen zum Text, seiner Form und seinem Kontext unter der Überschrift: „Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung“ (Kap. 2). Der Doppelpsalm ist zunächst in Hinblick auf seine textlichen Eigenheiten zu analysieren und unter Einbeziehung grundlegender syntaktischer und semantischer Überlegungen zu übersetzen (Kap. 2.1). Daraufhin folgen Überlegungen zur Form von Ps 42/43 (Kap. 2.2) und zur kontextuellen Einordnung innerhalb der Korachpsalmengruppen (Kap. 2.3). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse erfolgt eine Analyse der Semantik und Syntax im Sinne eines close readings, bei welchem möglichst präzise Textbeobachtungen unter Berücksichtigung motivgeschichtlicher Einflüsse im Vordergrund stehen. Durch einen anthropologischen Fokus innerhalb der Einzelversanalyse soll dann jeweils „Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43“ (Kap. 3) analysiert und erfasst werden. Die anthropologisch fokussierte Textbeschreibung (Kap. 3.2) ist dem reflektierten und festgelegten Begriffsinstrumentarium verpflichtet (Kap. 3.1) und wird nach einer Zusammenfassung (3.3) um weitere Beispiele ergänzt (3.4). Der vierte Abschnitt: „Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43“ (Kap. 4) beschäftigt sich in einem ersten Schritt mit Strukturmerkmalen individueller Klagegebete (Kap. 4.1), die anhand der Strukturanalyse von Ps 42/43 auf ergänzend zu Rate gezogen, wenn Textpragmatik an ihre Grenzen stößt. Das führt zu einer Verengung der Untersuchungen auf den Endtext, losgelöst von Literar- und Gattungskritik, die unbedingt notwendig ist, um Texte als Erzeugnisse ihrer ursprünglichen Kontexts wahrzunehmen. Als ergänzende Perspektiven im Anschluss an historisch-kritische Untersuchungen können textpragmatische Ansätze zwar durchaus gewinnbringend sein, jedoch fehlt meist das methodische Handwerkszeug, um eine auf die literarischen Bedürfnisse atl. Texte zugeschnittene Untersuchung durchzuführen, sodass es häufig zu unglücklichen Pauschalübertragungen z. B. der Sprechakttheorie auf narrative Texte kommt. Zum Problemhorizont vgl. E. Rolf, Die Funktionen der Gebrauchstextsorten, Berlin 1993, 215–222. Die Methodik eines close reading im Anschluss an und unter Einbeziehung von historisch-kritischen Methodenschritten zeigt eine Möglichkeit der konstruktiven Zusammenarbeit diachroner und synchroner Herangehensweise auf. 302 Vgl. E.  Zenger / u. a. (Hg.), Einleitung, 351; K. Seybold, Studien, 2.

Begriffe, These und Vorgehen

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Wort- und Satzebene (Kap. 4.2 und 4.3) und in raumzeitlicher (Kap. 4.4 und 4.5) und intertextueller303 (Kap. 4.6) Perspektive erfasst werden. Die Untersuchung dieser Strukturaspekte, sind wesentlich durch übergreifende Motivgestaltung geprägt, weshalb der traditionsgeschichtliche Hintergrund innerhalb der jeweiligen thematischen Einzelabschnitte besondere Berücksichtigung findet und die Versanalyse (Kap. 3.2) dahingehend ergänzt. Eine Zusammenfassung mit hermeneutischem Ausblick bündelt die Ergebnisse und bindet die Strukturbeobachtungen an die Frage nach der Ich-Sphäre zurück (Kap. 4.7). Die sprachlichen und strukturellen Beobachtungen werden im Anschluss in dem Kapitel „Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele“ (Kap. 5) theoretisch-konzeptionell gebündelt (Kap. 5.1), anhand weiterer Beispiele überprüft (Kap. 5.2).304 Dabei wird die Rezeptionsebene des historischen Nachbeters, die bereits zuvor immer wieder punktuell in den Blick rückt, verstärkt thematisiert. Die Reflexion der Ergebnisse in genderbewusster Perspektive, die essentiell für eine umfassende Perspektive auf das Phänomen des Betens ist erfolgt in dem Kapitel „Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen“ (Kap. 6). Der Ertrag dieser Untersuchung wird in einem Fazit abschließend in Hinblick auf seinen Beitrag zur aktuellen Forschungsdebatte beleuchtet: „Fazit: Die Ich-Sphäre – Ein Beitrag zur Forschungsdebatte“ (Kap. 7).

303 Die intertextuellen Bezüge sind aus Kapazitätsgründen auf ausgewählte Stellen innerhalb der Korachpsalmensammlungen beschränkt. 304 Die Beschreibung des Vorgehens findet sich detailliert in Kap. 1.3.

2 Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung 2.1 Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen 1 Für den Chormeister. Ein Weisheitslied der Korachiter. 2a Wie die Hirschkuh, die über versiegenden Bächen lechzt, 2b so lechzt mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬nach dir, Gott. 3a Mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott. 3b Wann darf ich kommen und Gottes Angesicht sehen? 4a Meine Tränen sind mein Brot bei Tag und bei Nacht, 4b denn täglich sagen sie zu mir: Wo ist dein Gott? 5a Dieser [Dinge] will ich gedenken und mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬über mich ausgießen, 5b dass ich einherging zur herrlichen Hütte, zum Haus Gottes 5c mit lautem Jubel und Dank in feiernder Menge. 6a Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf? 6b Harre auf Gott, denn ich werde ihn wieder preisen, die Rettung meines Angesichts und meinen Gott. 7a Über mir löst sich mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬auf, 7b darum gedenke ich deiner vom Land des Jordan und vom Hermon her, vom Berg Mizar 8a Flut ruft zur Flut beim Tosen deiner Wasser, 8b alle deine Brandungen und deine Wellen gehen über mich hin. 9a Am Tag erweist JHWH seine Gnade, 9b und des Nachts ist ein Lied für ihn bei mir, ein Gebet zum Gott meines Lebens. 10a Ich spreche zu Gott, meinem Felsen: 10b Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind? 11a Wie Mord ist es in meinen Gebeinen, wenn meine Gegner mich verhöhnen, 11b da sie allezeit zu mir sagen: Wo ist dein Gott? 12a Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf? 12b Harre auf Gott, denn ich werde ihn wieder preisen für die Rettung meines Angesichts und meinen Gott. 43,1a Schaffe mir Recht, Gott, und streite meinen Streit, 43,1b vor nicht gütigem Volk, vor falschen und bösen Menschen errette mich. 2a Denn du bist der Gott meiner Zuflucht. Warum hast du mich verstoßen? 2b Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind? 3a Sende dein Licht und deine Wahrheit, sie sollen mich leiten, 3b mich bringen zu deinem heiligen Berg und zu deinen Wohnungen. 4a So will ich hineingehen zum Altar Gottes, zum Gott meiner jubelnden Freude. 4b Dann will ich dich mit der Leier preisen, Gott, mein Gott. 5a Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬und was braust du gegen mich auf. 5b Harre auf Gott, denn ich werde ihn wieder preisen, die Rettung meines Angesichts und meinen Gott.

Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen

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Ps 42/43 weist eine literarhistorische Genese auf, die nahelegt, dass es sich bei Ps 43 um eine frühe Fortschreibung im Rahmen der Verbindung der ersten Korachpsalmengruppe mit der David-Asaf-Komposition handelt. Bei der Anfügung der zweiten Korachpsalmengruppe (Ps 84–88) an den „elohistischen Psalter“ (Ps 42–83) ist Ps 42,9 redaktionell ergänzt und damit die vorliegende Textgestalt erreicht worden (ausführliche Begründung in Kap. 2.3). Ps 42,1 Der Beter wird als Sänger und Korachiter vorgestellt. „Korachiter“ bezeichnet eine Gruppe, die in der nachexilischen Zeit verschiedene Dienste am Tempel verrichtete.1 Die tatsächliche Verfasserschaft durch Korachiten ist umstritten. R. Achenbach vermutet, dass vor dem Hintergrund der Korachlegende eine nachträgliche Identifizierung von Zionspsalmen mit den Korachitern stattfand. Die dort (Num 16) präsenten Themen Bedrohung durch Tod und Errettung werden motivisch in Ps 46–49 und 85.88 aufgegriffen.2 Zur weiteren Diskussion zur Einordnung in die Korachpsalmen vgl. Kap. 2.3. Ps 42,2 Für das Wort ‫ כאיל‬ist dem textkrit. Apparat der BHS zu folgen und eine Haplografie anzunehmen, da auch die sich darauf beziehende Verbform‫ תערג‬feminin gehalten ist. Zudem ist ‫ איל‬in den Psalmen nur hier belegt, ‫ אילת‬in Ps 18,34; 22,1 und 29,9, sodass es auch hier heißen muss: ‫אילת‬.3 G. Strola vermutet dagegen, dass die weibliche Verbform auf eine archaisierende Form der 3.Pers.Sg.mask. zurückgehen könnte. Zudem könne die weibliche Form auch einfach eine poetische Ebene einbringen, wie sie der babylonischen und ugaritischen Literatur entspricht.4 Die Textbelege sprechen dennoch für eine Haplografie und B. Weber gibt zu Recht zu bedenken, ob der Vergleich mit der Hirschkuh auf eine ursprünglich weibliche Rednerin hinweist.5 Im Anschluss an H. Gunkel kann auch überlegt werden, ob die weibliche Form gewählt wurde, da die Annahme bestand, dass die Hirschkuh als das schwächere Tier stärker unter der Hitze leidet.6 Die Sehnsucht der ‫ נפש‬nach dem direkt personal adressierten Elohim (2.Pers.Sg.), wird mit dem seltenen Verb ‫ תערג‬beschrieben, das hier mit „lechzt“ übersetzt worden ist und welches sowohl für das Verlangen der Hirschkuh als auch für das der ‫ נפש‬verwendet wird.7 ‫ נפשי‬ist an dieser Stelle im atl. Sinne zu verstehen und darf nicht dazu verleiten, einen modernen Seelebegriff zu übertragen (Kap. 1.2).8 Eine nähere Analyse der Begriffe erfolgt innerhalb der Versanalyse (Kap. 3.2). Die von den hebr. Handschriften nach Kennicott, de Rossi und Ginsburg, der Peschitta und dem Targum 1 Vgl. W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 268. 2 Vgl. R: Achenbach, Vollendung, 122. 3 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 56; M. Dahood, Psalms I, 256; J. Schaper, „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“, 4. 4 Vgl. G. Strola, Il desiderio di Dio, 76 f. 5 Vgl. B. Weber., Psalmen I, 199. 6 Vgl. H. Gunkel, Psalmen, 181. 7 Zur näheren Diskussion der symbolischen Bedeutung von ‫ אילת‬und ‫ תערג‬vgl. Kap. 3.2.1. 8 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 18 f.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

bezeugte Lesart ‫ יהוה‬anstelle von ‫אלהים‬, ist aufgrund mangelnder qualitativer und quantitativer Bezeugung abzulehnen. Wahrscheinlicher scheint eine nachträgliche Stilisierung des Namens zu JHWH in den Textzeugen zu sein.9 B. Duhm unterbreitet ferner den Vorschlag, ‫( על‬auf / an) zu ‫( אל‬zu / nach) zu emendieren und argumentiert damit, dass in Joel 1,20 das seltene Verb mit ‫ אל‬verbunden stehe und daher auch hier die Verbindung ‫ תערג על‬im Sinne von „sich lang hinstrecken“ zu lesen sei.10 Da das Verb jedoch im gesamten AT nur an diesen beiden Stellen vorkommt, ist dieses Argument unzureichend. Auch F. Delitzsch lehnt diese Lesart ab, da er die Präposition als Differenzierungshilfe zwischen den verschiedenen Objekten der Sehnsucht versteht: Die Hirschkuh sehnt sich nach dem Wasser unter sich, die Seele nach dem Gott über sich.11 Zudem kann in Analogie zur Peschitta und zum Targum argumentiert werden, dass ‫ תערג‬im Sinne von dürstendem „schreien“/„klagen“ verstanden werden kann und ‫ אפיקי־מים‬als „versiegende Bäche“, wodurch die Hirschkuh „über“ den „versiegenden Bächen“ dürstend schreit, also „lechzt“.12 Die Präposition kann zwar „bei tiefer situierten Objekten auch an / bei (z. B. Gen 16,7)“13 heißen, doch aufgrund des hier gezeichneten Bildes der über den „versiegenden Bächenden“ stehenden Hirschkuh, ist eine Übersetzung von ‫ על‬mit „über“ sachgemäßer. Der Vorschlag einer Emendation von ‫( על‬auf / an) zu ‫( אל‬zu / nach), wie sie u. a. W. O. E. Oesterley vorschlägt, ist daher abzulehnen, da weder textkritische, noch ausreichende inhaltliche Argumente dafürsprechen.14 Ps 42,3a Das Verlangen der ‫ נפש‬wird mit ‫ צמא‬beschrieben, das weitaus häufiger vorkommt als ‫ ערג‬aus V. 2. Die Beschreibung von Gott als ‫ חי אל‬wird von vielen Exegeten in Angleichung an V. 9 zu ‫„( אל חיי‬Gott meines Lebens“) emendiert. Eine solche Emendation von, wie sie „á cause du rythme“ u. a. durch L. Jaquet vorgenommen wird, ist wegen mangelnder textkritischer Belege abzulehnen. Dieser lässt zudem außer Acht, dass Ps 42,9, an den er hier angleichen will, selbst metrisch aus dem Rahmen fällt und aller Wahrscheinlichkeit nach sekundär angefügt wurde (vgl. Kap. 2.2).15 ‫ אל‬kann zwar ohne Artikel stehen, das Adjektiv müsste jedoch durch einen Artikel bestimmt sein, damit als adjektivisches Attribut („der lebendige Gott“) übersetzt werden kann.16 Gegen eine solche Emendation sprechen 9 Vgl. J. Schaper, Studien, 4. 10 Vgl. B. Duhm, Psalmen, 177. 11 Vgl. F. Delitzsch, Psalmen, 345. 12 Dagegen übersetzen einige Exegeten „fließendes Wasser“, was in Anbetracht des „Lechzens“ der Hirschkuh aber keinen Sinn macht, da ihr Durst ja dann bereits gestillt wäre. Vgl. bspw. die Übersetzung mit „flowing streams“ bei W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 202. 13 E. Jenni, Lehrbuch der Hebräischen Sprache des Alten Testaments, 314. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 14 Vgl. W. O. E.  Oesterley, Psalms, 242. Dagegen T. Aoki, Angesicht, 56 f. 15 L. Jaquet, Psaumes, 8. 16 Vgl. für diese Variante: C. A.  Briggs, Psalms, 372; W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 202; B. Duhm, Psalmen, 177; H. Gunkel, Psalmen, 176.181; H. Herkenne, Psalmen,

Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen

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jedoch die mangelnden textkritischen Belege. Einige Textzeugen lassen ‫ לאל‬komplett aus, wodurch das grammatikalische Problem jedoch bestehen bleibt. In Anbetracht dessen ist eine Übersetzung mit „lebendiger Gott“ plausibel.17 Ps 42,3b Einige Exegeten schlagen vor, die Form ‫ ואראה‬in der 1.Pers.Sg.com. Impf.Nif ’al zu ‫ ואראה‬zu emendieren, da es sich um eine theologisch motivierte Veränderung der ursprünglichen Qal-Form handele. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Bedeutung des Teilverses im Qal: „und ich sehe das Angesicht Gottes“ sekundär verändert wurde. Die Bedeutung des Nif ’al: „und ich erscheine vor dem Angesicht Gottes“ ist dagegen abgemildert. Der Vergleich mit der Septuaginta, die ebenfalls die Wendung „sehen des Angesichts Gottes“ meidet, macht es wahrscheinlich, dass auch der MT hier die Punktierung von ‫ ראה‬ins Nif ’al verändert.18 Ein weiteres Argument gegen eine ursprüngliche Nif ’al-Variante besteht in dem Fehlen einer Präposition, die das Erscheinen „vor“ Gott ausdrückt. G. B. Caird vertritt die These, dass der damals gängige Terminus „das Angesicht einer Person sehen“ eine Wendung ist, die das Empfangenwerden in einer Audienz von einer wichtigen Person ausdrückt. Als weitere Belegstellen führt er Gen 43,3,5 und 2 Sam 14,24 an und hält fest: „It was therefore a natural term to use of access to the presence of God, and the psalmist, who so used it was apparently undeterred by the knowledge that, in quite other sense of the word see, it was held that nobody could see God and live (Exod. 33:20).“19 Auch F. Hartenstein ordnet Ps 42,3 in diesen Kontext ein: Wie es auch der Bezug des zweimaligen ‫ בוא‬in Ps 42,3 f. zu demselben Verb in Ps 42,3 zeigt, ist hier wieder die höfisch kultische Audienzsituation vorausgesetzt, denn der Beter sehnt sich danach, vor den Königsgott einzutreten und dort heilvoll sein Angesicht zu schauen.20

Aufgrund dieser Argumente, halten die meisten Exegeten daher die Qal-Form für ursprünglich.21 J. Schaper hält dagegen fest, dass es sich bei dem Nif ’al um geprägte Wallfahrtssprache handeln könne, wie sie auch an anderen Stellen zu 163; R. Kittel, Die Psalmen, 150; F. Nötscher, Psalmen, 98; G. Wanke, Die Zionstheologie der Korachiten, 37. 17 Vgl. M. Dahood, Psalms I, 256: „the living God“; H. Spieckermann, Lebenskunst und Gotteslob in Israel, 207; G. Strola, Il desiderio, 78: del DIO vivente“; C. Süssenbach, Der elohistische Psalter, 376. 18 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 8, Anm. 19 G. B.  Caird, The Language, 73. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 20 F. Hartenstein, Angesicht, 181, Anm. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 21 Vgl. B. Duhm, Psalmen, 177; G. Fohrer, Psalmen, 184; H. Gunkel, Psalmen, 181; R. Kittel, Psalmen, 150; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 472; F. Nötscher, Psalmen 97; W. O. E. Oesterley, Psalms, 242; H. Schmidt, Die Psalmen, 79; K. Seybold, Psalmen, 174; B. Weber, Psalmen I, 197; A. Weiser, Die Psalmen. Erster Teil, 233; F. Wutz, Psalmen, 106; F.-L. Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 268.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

finden sei und sieht einen Bezug zu der Verordnung der drei Wallfahrtsfeste – Fest der ungesäuerten Brote, Wochenfest und Laubhüttenfest – im Nif ’al in Dtn 16,16 (und entsprechend in Ex 34,23.).22 Obwohl mit E. Tov festgehalten werden kann, dass die Textzeugen nicht ausreichend sind, eine Lesart im Qal zu belegen, sprechen die grammatikalischen Schwierigkeiten und die wahrscheinlich theologisch motivierte Vokalisationsänderung dafür, dass hier (und in Jes 1,12) eine Emendation vorgenommen werden sollte.23 Überzeugend ist insbesondere C. McCarthys Argumentation, die für alle 11 Stellen, an denen diese Punktierung vorkommt, festhält: „Yet on the basis of the textual evidence for nonTorah passages (Isa 1:12; Ps 42:3; cf. Ps 84,8), it should be possible to propose the qal reading as original for the Torah passages also.“24 Die hier angenommene Lesart im Qal im Anschluss an McCarthy, wird in Kap. 3.2.4 noch einmal detailliert dargelegt. Ps 42,4b Die von einigen Exegeten vorgeschlagene Emendation von‫ באמר‬zu ‫ באמרם‬ist abzulehnen.25 Hierdurch wird die Aussage zwar noch konkreter, ändert jedoch nichts an der Übersetzung.26 Ps 42,5a An dieser Stelle ist die Präposition ‫ עלי‬mit „über mich“ übersetzt worden (Kap. 3.2.7): „Likewise‫ על‬originally meant the high, the height; it is still used in this sense in Ho 1.16; 11.7, and as an adverb above in 2Sm 23.1.“27 Mit „in mir“ übersetzen u. a. L. Jaquet, J. Schaper und B. Weber und tragen damit eine moderne Vorstellung von Innerlichkeit im Unterschied zu einem Außen in die Übersetzung hinein, die für atl. Texte so nicht angenommen werden kann (Kap. 1.3.4).28 Ps 42,5b Das Hapaxlegomenon ‫ סך‬kann auf verschiedene Weise erklärt werden: Eine Möglichkeit besteht darin, eine Verwechslung der Buchstaben ‫ ד‬und ‫ך‬ anzunehmen und ‫ בסד‬anstelle von ‫ בסך‬zu lesen, wobei ‫ סוד‬dann als vertraute „Gesellschaft“ / „Kreis“ verstanden wird.29 Die zweite Möglichkeit besteht darin ‫ סך‬zu lesen und, abgeleitet aus der Bedeutung „Dickicht“, mit „Gedränge“ / „Menge“ zu übersetzen.30 Beiden Varianten ist gemeinsam, dass sie sich auf eine Menschenmenge beziehen. Die dritte Möglichkeit besteht darin, ‫ סך‬zwar als ‫ סך‬zu lesen, jedoch nicht von der sehr viel selteneren Bedeutung „Dickicht“ auszugehen, son-

22 Vgl. J. Schaper, Studien, 52 f. A. Deissler, Psalmen, 174; F. Delitzsch, Psalmen, 342.345; H. Herkenne, Psalmen, 163. 23 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 58 f; L. Jaquet, Psaumes, 8; E. Tov, Der Text der Hebräischen Bibel, 228. 24 C. McCarthy (Hg.), Deuteronomy, 101; Dies., The Tiqqune Sopherim, 200. 25 Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 472; W. O. E. Oesterley, Psalms, 242. 26 Vgl. J. Schaper, Studien, 6. 27 T. Muraoka, Grammar, 309 28 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 3: „au dedans“; J. Schaper, Studien, 9 und B. Weber, Psalmen I, 197. 29 Vgl. B. Duhm, Psalmen, 178; R. Kittel, Psalmen, 151; A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 233. 30 Vgl. F. Delitzsch, Psalmen, 346.

Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen

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dern mit der zweiten Übersetzungsmöglichkeit „Hütte“ / „Schutz“ das Lexem als Tempelmetapher zu verstehen.31 Diese Variante wird von der Septuaginta untermauert: ἐν τόπῳ σκηνῆς (am Ort der Hütte). Dabei wird ‫ סך‬von dem Verb ‫סכך‬ („beschirmen“/„schützen“) abgeleitet, was auch in der Peschitta angedeutet wird mit: ‫„( ܒܣܬܪܟ‬in / unter deinem Schutz“) und auch Hieronymus gibt mit umbraculum („schattiger Ort“/„Schutz“) diese Variante wieder. Für die zweite und letzte Lesart spricht, dass sie ohne eine Veränderung des Konsonantentextes auskommt.32 Es wurde hier, im Anschluss an T. Kronholm und L. Köhler / W. Baumgartner „Hütte“ übersetzt.33 Dadurch ist sowohl die Konnotation „Schutz“ als auch, durch die Tempelmetaphorik, die enge Verwandtschaft zu den mit der Wurzel verbundenen sakralen Bedeutungen („Keruben“, „Herbst-/Laubhüttenfest“) aufgefangen.34 G. Strola führt ferner die Parallelisierung mit ‫ בית אלהים‬als Grund für eine Interpretation in Richtung „Santuario“ an.35 Ein weiteres diskutables Lexem ist ‫ אדדם‬in der 1.Pers.Sg.com.PK.Hitpa’el + ePP 3.Pers.Pl.mask. In der Forschung wird diese Form von ‫ דדה‬überwiegend als Hitpa’elform mit enklitischem Mem verstanden.36 P. C. Craigie versteht die Hitpael-Form im Sinne von „move slowly“ und übersetzt das Suffix mit „with them“, sodass sich insgesamt die Übersetzung „to walk with them“ ergibt.37 Ähnlich übersetzt auch B. Weber mit „feierlich dahinschreiten mit ihnen“38 und auch H. Schmidt versteht im Anschluss an die Stelle Jes 38,15 das Verb als eine Art „Schreiten im Takt bei einer Prozession“39. Der Beter könnte in diesem Zusammenhang auch als Führer einer Prozessionsgruppe verstanden werden: „I shall lead them to“40 oder „wenn ich […], sie leiten werde“41. Diese Bedeutung liegt jedoch höchstens vom mittelhebräischen („e. Kind führen“), nicht aber vom arabischen („hopsen“ / „trippeln“) Sprachgebrauch her nahe. Es könnte daher hier mit „mit ihnen dahinschreiten“ übersetzt werden, da damit auch die Konnotation aus Jes 38,15 abgedeckt wäre. Doch kann hinterfragt werden, inwiefern Jes 38,15 zur Klärung beitragen kann, da hier ein textkritisches Problem bei der Punktation vorhanden ist. Aufgrund der mangelnden Belegstellen und der Schwierigkeit einer Übersetzung dieser Hitpa’elform mit enklitischem Mem, kann überlegt

31 Vgl. Art. ‫סך‬, in: HAHAT, 884 f.; T. Kronholm, 839 ,‫ ;סכך‬sowie u. a. C. A.  Briggs, Psalms, 372; H. Gunkel, Psalmen, 176.181 und H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 472. 32 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 59. 33 T. Kronholm, 841 ,‫ ;סכך‬L.  Köhler / W.  Baumgartner, 711 ,‫סך‬. 34 Vgl. T. Kronholm, 856–838 ,‫סכך‬. 35 Vgl. G. Strola, Il desiderio, 181. 36 Vgl. u. a. HALAT I, 205; F. Nötscher, Psalmen, 97. 37 Vgl. P. C.  Craigie, Psalms, 324. 38 B. Weber, Psalmen I, 197. 39 H. Schmidt, Psalmen, 79. 40 D. J. A.  Clines, Dictionary, 416. 41 M. P.  Maier, Israel und die Völker, 655, Anm. 8.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

werden, ob das Lexem nicht doch einer Emendation bedarf. Eine Möglichkeit bestünde dann darin, hier kein Verb anzunehmen, sondern eine Vertauschung des zweiten Daleth mit Resch anzunehmen und ‫„( אדרם‬gewaltig, vornehm, herrlich“) zu lesen.42 Diese Variante wird bestärkt durch die Übersetzung der Septuaginta mit θαυμαστῆς („herrlich“), der Vulgata mit admirabilis und der Peschitta ‫ܥܫܝܢܐ‬ („stark“). So ergibt sich für ‫ בסך אדדם‬die Übersetzung „herrliche Hütte“.43 ‫ אדרם‬wird auch von einigen Exegeten als Menschengruppe verstanden und mit „Kreis der Edlen“ übersetzt, was in diesem Fall jedoch semantisch weit abseits der belegbaren Bedeutungen des Begriffs scheint.44 Ps 42,5c Die Verslänge ist auffallend, weshalb L. Jaquet den Teilvers streicht. Da es keine Belege für eine Lesart ohne V. 5c gibt, ist jedoch Zurückhaltung geboten.45 42,6a Einige Exegeten schlagen eine Änderung von ‫ ותהמי‬zu ‫ ומה־תהמי‬vor und begründen dies v. a. durch die Septuaginta, Vulgata, Peschitta, einige masoretische Handschriften und durch den Refrain in 42,12 und Ps 43,5, der diese Variante enthält.46 Eine umgekehrte Emendation nimmt C. A. Briggs vor, der Ps 42,12 und Ps 43,5 an Ps 42,6a angleicht.47 Dagegen erkennt F. Delitzsch die Form in Ps 42,6a als künstlerische Freiheit des Dichters an und nimmt keine Veränderung vor.48 Auch T. Aoki stimmt F. Delitzsch zu und führt als weiteres Argument die kleineren Abweichungen innerhalb der Kehrverse in Ps 49, Ps 62 und Ps 80 an.49 Ferner legen die masoretischen Handschriften eine Emendation nicht nahe und auch der Codex Aleppo kennt die Variante ‫ ומה־תהמי‬nicht. Es wird daher keine Emendation vorgenommen. Ps 42,6b Da die LXX ohne den Begriff ‫ עוד‬auskommt und dieser dem nachstehenden ‫ אודנו‬ähnelt, nimmt L. Jaquet eine Dittographie an und übersetzt: Er übersetzt mit „je le louerai, sans: ῾ôd encore“50, doch reichen diese Beobachtungen und nicht aus, um das Wort ohne Weiteres aus dem Text zu eleminieren.51 Problematisch ist zudem der Schluss des Verses 6b, da die Zugehörigkeit des Buchstaben ‫„( ו‬und“) und des Begriffs ‫„( אלהי‬Gott“) zu diesem oder zum nächsten Vers nicht eindeutig ist: ‫„( פניו׃ אלהי‬sein Angesicht. Mein Gott“). Der Codex Aleppo und der Codex Leningradensis setzen nach ‫ פניו‬in V. 6 das sof pasuq (Satzende). Der Folgevers Ps 42,7 beginnt dementsprechend mit einer Gottesanrede ‫„( אלהי‬mein 42 Vgl. F. Wutz, Psalmen, 106 f; ähnlich H. Gunkel, Psalmen 181. 43 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 60. 44 Vgl. u. a. B. Duhm, Psalmen, 178; R. Kittel, Psalmen, 150; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 268. 45 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 8. 46 Vgl. H. Schmidt, Psalmen, 79; G. Wanke, Zionstheologie, 8; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 268. 47 Vgl. C. A.  Briggs, Psalms, 373. 48 Vgl. F. Delitzsch, Psalmen, 350. 49 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 61. 50 L. Jaquet, Psaumes, 8. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 51 Vgl. dagegen: „encore je lui rendrai-grâce“. M. G.  Girard, Psaumes, 338.

Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen

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Gott“). In Ps 42,12 und Ps 43,5 jedoch wird der Refrain mit ‫„( ואלהי‬und mein Gott“) abgeschlossen, was eine solche Lesart auch für Ps 42,6 nahelegt. Im Sinne dieser Einteilung verstehen auch die Septuaginta und Peschitta sowie der Codex Leningradensis ‫„( אלהי‬mein Gott“) als letztes Wort von V. 6. Die beiden Wörter ‫ פניו אלהי‬werden von einigen Forschern im Anschluss an Ps 42,12 und Ps 43,5 auch zu ‫ פני ואלהי‬emendiert. Das ‫„( ו‬und“) wird dann von einem Suffix zur Konjunktion.52 Diese Übersetzung löst zudem die inhaltliche Schwierigkeit auf, da ein ‫ ו‬als Suffix zu folgender Übersetzung führen würde: „Harre auf Gott, denn ich werde ihn wieder preisen, die Rettung seines Angesichts, mein Gott.“ Da die Septuaginta das ‫ ו‬nicht übersetzt, emendiert u. a. C. A. Briggs dahingehend, dass er das ‫ ו‬tilgt und mit „the presence of my God“53 übersetzt. Hierfür gibt es allerdings keine ausreichenden Belege. T. Aoki entscheidet dieses literarkritische Problem anhand inhaltlicher Argumente: Die Wendung ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) spielt auch in Ps 42,3 eine Rolle und könnte darauf hinweisen, dass hier eine ähnliche Verwendung vorliegt. Auch dadurch, dass von Gott im Refrain immer in der 3. Pers. Sg. die Rede ist, wird wahrscheinlich, dass die Variante ‫ אלהי פניו‬anzunehmen und ‫ אלהי‬als zu V. 6 gehörig gelesen werden muss, sodass V. 6 mit der Wendung „sein Angesicht, mein Gott“ endet.54 Auch wenn in Hinblick auf die Verseinteilung T. Aoki zuzustimmen ist, lässt er das o.g. inhaltliche Problem, das sich durch die Übersetzung von ‫„( פניו‬sein Angesicht“) ergibt, außer Acht. Es liegt daher nahe, hier in Richtung von V. 12 und Ps 43,5 zu emendieren: ‫„( אלהי‬mein Gott“) wird vom Anfang des V. 7 an das Ende von V. 6 verschoben und das Suffix ‫„( ו‬sein“) wird als Konjunktion ‫„( אלהי‬mein Gott“) vorangestellt: ‫פני ואלהי‬. Es ergibt sich: „(die Rettung) meines Angesichts und meinen Gott“ für alle Refrainstrophen.55 Eine Kürzung des Verses durch Streichung von ‫ ואלהי‬aufgrund der Metrik kann textkritisch nicht begründet werden.56 Ps 42,7a Die überwiegende Wortverteilung 5:5 (vgl. Kap. 2.2), legt auch hier eine Zweiteilung des Verses nahe, bei der ‫ על־כן אזכרך‬noch zum ersten Versteil hinzugezählt wird. Aus inhaltlichen Gründen und für eine übersichtlichere Abgrenzung in Kap. 3.2, wird die Begründung in dieser Arbeit dennoch zum ersten Versteil gezählt. Ps 42,7b Die im Apparat der BHS vorgeschlagene Variante ‫ הר‬anstelle von ‫מהר‬, stellt das Ergebnis einer Bemühung dar, hier eine Anrede zu lesen.

52 Vgl. u. a. F. Delitzsch, Psalmen, 347; B. Duhm, Psalmen, 178; H. Gunkel, Psalmen, 182; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 472; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 268. 53 C. A.  Briggs, Psalms, 366. 54 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 62 f. 55 Vgl. W. O. E.  Oesterley, Psalms, 242 f.: „the help of my countenance and my God“. Ähnlich auch die Übersetzung bei W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 203 f.: „my help and my God“. 56 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 8.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

Ps 42,9a.b Es gibt für V. 9 zahlreiche Veränderungsvorschläge, die von verschiedenen Emendationen bis hin zur teilweisen oder gänzlichen Streichung des Verses reichen. Grund hierfür ist v. a. die inhaltliche Disharmonie, die der Vers im Fluss von Ps 42/43 erzeugt.57 Die plötzliche Beschreibung Gottes als gnädiger und als nah erlebter Gott passt nicht zu den anderen Versen in 42,1–12, die überwiegend von Klage bestimmt sind. Insbesondere die unmittelbaren Nachbarverse, V. 8 und V. 10 bilden einen starken Kontrast. Dieses strukturelle Problem wird im Rahmen der Kap. 2.2. und 2.3.4 näher thematisiert. Die Begründungen für eine Emendation sind meist inhaltlicher und metrischer Art, aber auch das Verb ‫ צוה‬lässt, im Gegensatz zum üblichen Gebrauch, die Verbindung mit einer Präposition vermissen.58 Dazu ist auch die Gottesbezeichnung JHWH in Ps 42/43 singulär. B. Duhm streicht den ersten Teil des Verses sowie die, seiner Meinung nach, nachträgliche Ergänzung ‫„( ובלילה‬und des Nachts“) und erhält: ‫יומ יומ עמי תפלה‬ ‫„( לאל חיי‬Tag für Tag ist bei mir ein Gebet zum Gott meines Lebens“).59 H. Gunkel dagegen emendiert das Verb ‫„( צוה‬erweisen“) zu ‫„( צפה‬erspähen“) und erhält: ‫„( יומם אצפה ביהוה וחסדו בלילה אשירה עמי תפלה לאל חיי‬Tags spähe ich nach JHWH und nach seiner Gnade in der Nacht; ich singe bei mir ein Gebet zum Gott meines Lebens“).60 Solche Versuche, die inhaltliche Dissonanz durch Emendation zu lösen, sind aufgrund mangelnder Textbelege jedoch abzulehnen.61 Ps 42,11a In V. 11 bereitet direkt der erste Begriff textkritische Schwierigkeiten, denn die Übersetzung von ‫ ברצח‬ergibt wörtlich: „im Mord in meinen Gebeinen“. Einige masoretische Handschriften bezeugen daher Kaph anstelle von Beth, sodass sich ergibt: „wie Mord in meinen Gebeinen“. Die BHS und einige Exegeten schlagen eine Emendation zu ‫ כרקב‬vor, um durch die Bedeutung von ‫רקב‬ als „Knochenfraß“ / „Knochenfäule“ die Stelle verständlicher zu machen, wobei diese Variante von den alten Übersetzungen nicht gestützt wird. H. Gunkel folgt der Variante, die von BH3 vorgeschlagen wird: ‫ בחרצב‬und übersetzt dementsprechend: „bei der Qual meiner Gebeine“62. C. A. Briggs geht davon aus, dass ein Wort ergänzt werden muss, um den Übergang von ‫ ברצח‬zu ‫ בעצמותי‬herzustellen.63 Aufgrund der Übersetzung der Septuaginta, die mit καταθλάσαι („zerdrücken“ /  „zerbrechen“) übersetzt und der Übersetzung bei Hieronymus mit interficerent („vernichten“ / „töten“) ergänzt C. A. Briggs folgendermaßen: ‫רץ בעצמותי ברצח‬, da ‫רץ‬ wegen der Wiederholung ausgelassen worden sei und übersetzt: „while the slayer

57 Vgl. J. Schaper, Studien, 7. 58 Vgl. F. G.  López, 939 ,‫ צוה‬f. 59 Vgl. B. Duhm, Psalmen, 180. 60 Vgl. H. Gunkel, Psalmen, 182 f.; Im Anschluss an H. Gunkel auch W. O. E.  Oesterley, Psalms, 242. 61 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 231; G. Strola, Il desiderio, 265 f. 62 H. Gunkel, Psalmen, 178.183. 63 Vgl. C. A.  Briggs, Psalms, 373 f.

Arbeitsübersetzung mit Anmerkungen

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crushes in my bones“64. Jedoch lässt sich diese Stelle auch ohne Emendation verstehen, wie die Vorschläge einiger Exegeten zeigen. In der Arbeitsübersetzung wird die Wendung in Anlehnung an B. Duhm verstanden, der davon ausgeht, dass diese „den zerstörenden Schmerz im Inneren, das Toben der Seele“65 umschreibt. Emotionen werden körperlich erlebt und entsprechend artikuliert. V. 10 beschreibt also die Sozialsphäre des Beters, die physische Erschöpfung und Bedrohung (‫ )למה־קדר אלך בלחץ אויב‬und V. 11 die inneren Verletzungen (‫)בעצמותי ברצח‬.66 Es wird daher ohne Emendation übersetzt: „Wie Mord ist es in meinen Gebeinen“. Ps 42,12b Bei den beiden Begriffen ‫ פני ואלהי‬handelt es sich um das gleiche Problem wie in V. 6, sodass hier entsprechend der BHS ‫ פני ואלהי‬beibehalten wurde.67 Ps 43,1b In einigen masoretischen Handschriften ist für ‫„( מאיש‬vom Mann“/ „vom Menschen“) die Variante ‫„( ומאיש‬und vom Mann“/„und vom Menschen“) bezeugt. Obwohl die Variante textkritisch wenig relevant erscheint, kann die Konjunktion als Hinweis auf die syntaktische Struktur des Verses geben. T. Aoki hält dazu fest, dass ‫„( מאיש־מרמה ועולה‬vor falschen und bösen Menschen“) durch die Konjunktion ‫„( ו‬und“) der vorhergehenden Wendung ‫„( מגוי לא־חסיד‬vom nicht gütigen Volk“) beigeordnet“ ist.68 Ps 43,2a Diskutabel ist die Wortverbindung ‫„( אלהי מעוזי‬Gott meiner Zuflucht“), die in den alten Übersetzungen verschieden interpretiert wird: Die LXX übersetzt an dieser Stelle: ὅτι σὺ εἶ ὁ θεός κραταίωμά μου („denn du bist Gott, meine Stärke“); Hieronymus mit: tu enim deus fortitudo mea („du bist nämlich Gott, meine Stärke“). Diese Textzeugen lesen „Gott“ also nicht als st.cstr., wie im MT, sondern als st.abs.69 Die BH3, BHS und der Targum weisen noch auf eine dritte Möglichkeit hin: ‫„( אלהים עזי‬Gott, meine Stärke“), wodurch die Konsonanten bis auf das ‫ו‬, das als mater lectionis verstanden wird, erhalten bleiben. Überzeugend ist an dieser Stelle die Argumentation von C. A. Briggs, der mit dem MT ‫„( אלהי‬mein Gott“) als st. cstr. liest und dies mit der Verwendung von ‫„( אלהי‬mein Gott“) in 42,3; 42,9 und 43,4 begründet.70 Mit der Mehrheit der Exegeten ist diese Stelle ohne Emendation zu lesen und ‫„( אלהי‬mein Gott“) als st.cstr. zu verstehen.71 Ps 43,3a Für ‫ ינחוני‬wird von BH3 und BHS auf die Lesart ‫ ינחמוני‬hingewiesen, die auf das Verb ‫„( נחם‬trösten“) zurückgeht. Als Parallele hierfür könnte Ps 23,4 gel-

64 A. a. O., 374. 65 B. Duhm, Psalmen, 180. 66 Vgl. G. Strola, Il desiderio, 289. 67 Vgl. W. O. E.  Oesterley, Psalms, 242; T. Aoki, Angesicht, 64. 68 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 141. 69 Vgl. G. Strola, Il desiderio, 238. 70 Vgl. C. A.  Briggs, Psalms, 366.347. 71 E. S.  Gerstenberger, Psalms I, 181. Anders W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 204: „the God in whom I tage refuge“ und L. Jaquet, Psaumes, 4: „Toi mon refuge, ô Dieu“.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

ten, wobei das Verb dort mit anderen Subjekten verwendet wird, sodass sich kein zwingender Grund für eine Emendation ergibt.72 Ps 43,4a Einige Forscher schlagen hier eine Emendation von ‫„( שמחת‬Freude“) vor, indem sie ein Suffix der 1.Pers.Sg.com. ergänzen, so u. a. B. Duhm. Er be­ gründet dies damit, dass die Constructus-Verbindung mit ‫„( גילי‬mein Jubel“) einen ungewöhnlich langen Halbvers ergeben würde. Die textkritischen Belege durch eine einzige masoretische Handschrift reichen jedoch nicht für eine Emendation aus.73 Die von einigen Exegeten vorgeschlagene Emendation von ‫„( גילי‬mein Jubel“) zu einem Verb, das dem folgenden Halbvers vorangestellt ist, um das Pro­blem der Verslänge zu lösen, findet sich nicht in den Textzeugen. Für das Verständnis des Verses ohne eine Änderung gibt es verschiedene Übersetzungsvorschläge, wobei es am sinnvollsten erscheint, mit der Mehrheit derjenigen Exegeten, die hier keine Emendation vornehmen, einen zweifachen st.cstr. zu übersetzen: „Gott der Freude meines Jubels“74 bzw. „Gott meiner jubelnden Freude“75. Die Wiedergabe der Peschitta und der Septuaginta übersetzen ‫„( גילי‬mein Jubel“) mit „Jugend“, was auf ein Verständnis des Begriffs in Anlehnung an Dan 1,10, ein Missverständnis oder eine andere Vorlage als der MT bietet, zurückgeführt werden kann.

2.2 Formbeobachtungen zu Ps 42/43 Folgt man H. Gunkels Formbeschreibung, kann Ps 42/43 als klassisches „Klagelied des einzelnen“76 bezeichnet werden, das alle hierfür charakteristischen Elemente aufweist:77 1) die Anrufung des Namens JHWHS, wobei diese in Ps 42 erst etwas später erfolgt, 2) die Wiederholung der Anrufung bei neuen Ansätzen (42,2.7.10; 43,1–3), 3) die Klage (u. a. 42,5), 4) die Bitte (u. a. 43,1.3) und 5) das Vertrauen auf Gott (42,6.7.12; 43,5).78 Darüber hinaus begegnet neben dieser Gattungsbezeichnung in der Forschungsliteratur auch die Bezeichnung Wallfahrtspsalm für Ps 42/43, die in dem Thema der Sehnsucht nach dem Zion gründet und durch Parallelen zu Ps 84 noch deutlicher in den Vordergrund tritt (Kap. 2.3.3).79 Die 72 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 142; G. Strola, Il desiderio, 238. 73 Vgl. B. Duhm, Psalmen, 181. 74 Vgl. u. a. T. Aoki, Angesicht; J. Schaper, Studien, 9; B. Weber, Psalmen I, 198. 75 Vgl. „to God my exceeding joy“. A.A Anderson, Psalms, 336; W.  Brueggemann /  W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 204. 76 Vgl. H. Gunkel, Einleitung, 172. 77 Vgl. a. a. O., 240 f. 78 Simpler ist eine Differenzierung zwischen Ps 42, der im Aufbau einen Klagepsalm darstellt und Ps 43, der als Bittpsalm bezeichnet werden kann.Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. 79 Vgl. u. a. J. Schaper, Studien, 24.

Formbeobachtungen zu Ps 42/43

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Eröffnung des Doppelpsalms mit einer Widmung an die Korachiter (Kap. 2.3.1), die man als nachträgliche Identifizierung verstehen kann, betont ebenfalls die Wallfahrtsthematik.80 Da die Präsenz des Themas Zion mit der Gattungsbezeichnung Klage nicht eingefangen wird, legt sich eine alternative Klassifizierung als Wallfahrtspsalm zwar nahe, doch vernachlässigt diese wiederum die klagenden Elemente. M. Millard kommt in seiner formgeschichtlichen Studie zu dem Ergebnis, dass beide Korachpsalmengruppen zusammen mit den Psalmen 120–134, dem „Ägyptischen Hallel“81 sowie dem Gebet und Lied der Hanna zu der Gruppe der Wallfahrtspsalmen gehören.82 E. Zenger hat zudem gezeigt, dass der Beter aus Ps 42/43 auch mit dem klagenden Volk aus Ps 44 identifiziert werden kann, das sich nach 538 v. Chr. nach dem Tempel sehnt und plausibilisiert damit eine Einordnung als Wallfahrtspsalm.83 Am treffendsten ist daher eine kombinierte Beschreibung von Ps 42/43 als Wallfahrtspsalm, der sich aus aus einer Klage- und Bittpsalm-Komposition eines Einzelnen konstituiert. Ps 42/43 kann nach der Überschrift in drei Strophen eingeteilt werden: Ps 42,2– 6.7–12 und Ps 43. Auffälligstes Strukturmerkmal ist der Kehrvers in Ps 42,6.12; Ps 43,584: 80 Vgl. R. Achenbach, Vollendung, 122. 81 Vgl. M. Millard, Die Komposition des Psalters, 30.  82 Vgl. J. Schaper, Studien, 26; M. Millard, Komposition, 64–89. M. Millard fasst konstituierende Charakteristika für Wallfahrtspsalmengruppen zusammen, die jedoch umstritten sind. Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 186, Anm. 37. Als Indizien für diese Zuordnung nennt M. Millard die Anfangspsalmen der beiden Korachpsalmengruppen, die jeweils aus einem Wallfahrtspsalm bestehen, sowie der inhaltliche Verlauf von der Klage zum Lob, der beide Gruppen kennzeichne und den es im Folgenden zu untersuchen gilt (Kap. 2.3.1 und 2.3.2). Vgl. M. Millard, Komposition, 74. 83 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265 f.; J. Schaper, Studien, 25. Eine solche Identifizierung mit dem Kollektiv schließt jedoch keineswegs aus, dass Ps 42/43 ursprünglich schwerpunktmäßig als Klagelied des Einzelnen verfasst und verwendet wurde. Vgl. J. Schaper, Studien, 25. 84 Das Argument, der Refrain in Ps 43,5 passe nicht zu dem restlichen Vokabular in Ps 43, bei dem der ‫נפש‬-Begriff keine Rolle spiele, noch zu dem Lobpreis aus 43,4, muss angesichts ähnlicher Wendungen in Ps 43, die eindeutig an Ps 42 anknüpfen (Ps 42,10 = Ps 43,2), als unzureichend angesehen werden. Für sprachliche Ähnlichkeiten vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. Dagegen vgl. T. Aoki, Angesicht, 25. Zudem könne T. Aoki zufolge zwar formal von einem Refrain gesprochen werden, jedoch sei die Dreizahl unüblich. Er schließt sich der Definition von W. Bühlmann / K. Scherer an und versteht unter einem Refrain „die ein oder mehrmalige Wiederholung einer Wendung am Ende einer Sinneinheit oder Strophe“. In diesem Sinne könne also formal von einem Kehrvers gesprochen werden. Solche Kehrverse können auch in Ps 46; 49; 56; 57; 59; 67; 71; 80; 107 und 144 gefunden werden. Zit. aus: T. Aoki, Angesicht, 22. Dabei stellt T. Aoki fest, dass allein Ps 42/43 und Ps 80 einen dreifachen Refrain aufweisen, wodurch Ps 42/43 der einzige Psalm sei, der im zweiten Buch des Psalters durch einen dreifachen Refrain gestaltet ist. Vgl. a. a. O., 22 f. Zwar kann hierin ein Indiz für eine sekundäre Erweiterung des Psalms gesehen werden, jedoch fehlen weitere Belege, um eine eindeutige Entscheidung treffen zu können.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

Der dreimal wiederholte Refrain […] bindet Ps 42 und 43 zusammen, zumal sich die Gebetsdynamik erst recht entfaltet, wenn sie auf Ps 435 hin gestaltet begriffen wird, wobei Ps 435 als Wiederholung von Ps 434 die Klimax bedeutet85.

H. Gunkel versteht den Kehrreim als klassisches Merkmal eines Vertrauens­ bekenntnisses oder Gelübdes, mit dem ein Klagelied des Einzelnen i. d. R. beschlossen wird.86 Diese Deutung des Kehrreims wird jedoch in der Forschung durchaus verschieden beurteilt: Im Gegensatz zu der positiven Deutung H. Gunkels, der ihn als Ausdruck der Gewissheit der Erhörung des Beters versteht,87 oder E. Zengers, der darin ein hoffendes Warten sieht,88 will T. Aoki in ihm „eine noch bleibende innere Unruhe des Beters“89 wahrnehmen. Für letztere Interpretation spricht die Beobachtung, dass der Selbstapell an die sich auflösenden ‫ נפש‬eine Steigerung der Spannung und Veränderung innerhalb des Psalms evoziert (vgl. Kap. 4). Erst das wiederholte Fragen ermöglicht die Schilderung des Seelenzustands, der die Gründe für die Niedergeschlagenheit der ‫ נפש‬preisgibt und daraus den Zuspruch erwachsen lässt. So steht auch am Ende des Reflexionsprozesses in Ps 43,5 das Selbstgespräch, das darin mündet, dass sich der Beter Gott zuwendet, indem er sich selbst zum Vertrauen auf Gott auffordert und „in dem nun aber nicht mehr der wehmütige Anfang, sondern der tapfere Schluß vorklingt“ (Kap. 3.2.21).90 Die drei, durch den Refrain gegliederten Strophen, sind überwiegend durch Bikola strukturiert, lediglich Ps 42,5.9 bilden eine Ausnahme.91 Der Doppelpsalm ist hauptsächlich durch das Qinah-Metrum (3+2)92 geprägt. Betrachtet man die Stellen, an denen das Qinah-Metrum (3+2) durchbrochen wird, rücken die drei Refrainstrophen (3+2’ 3+4)93 und der bereits textkritisch auffällig gewordene V. 9 in den Blick (Kap. 2.1).94 Es kündigt sich damit formal eine Heterogenität der zweiten Strophe und eine unterschiedliche Verslänge an. Die erste besteht aus 85 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. 86 Vgl. H. Gunkel, Psalmen, 179. 87 Vgl. ebd. 88 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269. 89 T. Aoki, Angesicht, 103. 90 H. Gunkel, Psalmen, 180. H.-J. Kraus dagegen versteht Ps 42,6 als Selbstberuhigung, bei welcher der Beter aus der Gewissheit des Wiedersehens mit JHWH (Ps 42,5) heraus, sich, erstaunt über die eigenen Zweifel, selbst anspricht. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 475. 91 Vgl. J. P.  Fokkelman, The Psalms in Form, 54. 92 Erschwert wird die Diskussion um die Metrik durch die Problematik, „daß fundamentale Daten der hebräischen Metrik nicht mehr zweifelsfrei erhoben werden können.“ J. Schaper, Studien, 18. Denn um diese zu erheben, ist die Silbenzahl von Bedeutung, die schwierig zu ermitteln ist. Vgl. T. Dockner, „Sicut cerva…“, 31; Kap. 4.2.4. 93 Vgl. J. Schaper, Studien, 21. H. H. Rowley vermutet daher, dass die Refrainstrophen ursprünglich identisch gewesen seien und die Silbenerweiterung der Abgrenzung von der restlichen Strophe diene. Vgl. ders., The Structure of Psalm XLII–XLIII, 48. 94 Vgl. G. Wanke, Zionstheologie, 5.9.

Formbeobachtungen zu Ps 42/43

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9 (ohne Refrain), die hauptsächlich in 5-er Wortgruppen95 angeordnet sind, die zweite aus 9 oder 1096 und die dritte aus 8 Verszeilen.97 Die erste Strophe (Ps 42,2–6) schildert bildhaft die Not des Beters (Ps 42,2a–3a), die diesen zur Frage nach dem lebensspendenden Gott und damit in eine dreifache Klage führt: Gott-Klage (Ps 42,3b), Ich-Klage (Ps 42,4a), Feind-Klage (Ps 42,4b). Diese umfassende Schilderung der Desintegration des Betenden, ist gefolgt von einer vertrauensvollen Selbstaufforderung (Ps 42,5a), die ihre Kraft aus der Erinnerung an seine frühere Teilhabe an der Kultgemeinschaft schöpft, von der er in der Gegenwart offensichtlich ausgeschlossen ist (Ps 42,5b). Dass diese Erinnerung eine besondere Betonung innehat, verdeutlicht zudem die Durchbrechung der Bikola-Struktur (s. o.). Sie bildet die Grundlage für den Versuch, neue Hoffnung zu schöpfen, wie es die Selbstaufforderung (Ps 42,6) zeigt. Die zweite Strophe (Ps 42,7–12) führt die Wassermetaphorik aus der ersten Strophe fort und verschärft den Kontrast zwischen der Sehnsucht nach Leben und der Todesbedrohung. Die Selbstaufforderung (Ps 42,6) lässt den Beter an Gott denken, von dem er weiterhin räumlich entfernt ist und führt zu einer erneuten Notschilderung (Ps 42,7a) und Gott-Klage (Ps 42,7b). Ps 42,8 unterbricht nun diesen Erinnerungs-Selbstaufforderungs-Vorgang (Ps 42,5–7) und schildert die Not als Bedrohung des Beters durch die Urfluten Gottes. Im Gegensatz dazu beschreibt die Vertrauensaussage in Ps 42,9 die Nähe Gottes zum Beter. Zwar kann Ps 42,9, ebenso wie Ps 42,8, als Anspielung auf Gen 1 (Gen 1,18) verstanden werden, jedoch bleibt unklar, wie das positiv gezeichnete gütige Gottesbild in Ps 42,9 mit der schrecklichen Erfahrung des Verschlungenwerdens durch die Urfluten des Schöpfergottes in Ps 42,8 (vgl. Gen 2,1) in Einklang gebracht werden kann (Kap. 2.1). Auch die direkt an Gott gerichteten Klagen (Gott-Klage; Ich-Klage; FeindKlage) in Ps 42,10 f. stehen konträr zu Ps 42,9. Ps 42,8 dagegen liefert die passende Vorlage für die Klage in V. 10 liefert. Die Felsmetaphorik in Ps 42,10a knüpft an die Wassermetaphorik in V. 8 an, indem sie verdeutlicht, dass allein Gott in der Lage ist, den Beter vor den tödlichen Urfluten zu erretten. Es zeichnet sich in Ps 42,8.10 ein zusammenhängendes Gottesbild ab, das durch Ps 42,9 unterbrochen und 95 Es kann in Hinblick auf die Wortverteilung eine abgeschwächte Ebenmäßigkeit des Psalms erkannt werden: „er besteht aus Strophen von je zwei (oder drei) Fünfern, mit denen einzelne Vierer (dazwischen ein Sechser 43,1) wechseln; je vier (oder fünf) dieser Strophen sind zu einem System vereinigt, das ein anders gebauter Kehrreim (Fünfer nebst Siebener) beschließt.“ H. Gunkel, Psalmen, 180. 96 V. 9 wurde hier, aufgrund der Wortanzahl, in ein Bikolon eingeteilt, woraus sich insgesamt 9 Verszeilen für die zweite Strophe ergeben (vgl. Kap. 2.1). 97 K. Seyold geht daher von ursprünglich weniger Verszeilen aus. Durch die Wieder­ holungen in Ps 42,4b + 4 2,11b, und Ps 42,10b + 43,2b kann eine Einteilung in 3x8 Verszeilen erreicht werden. Versteht man zudem die Explikationen in Ps 42,2b.7a; 43,1b als Erweiterungen und Ps 42,8b sekundär angefügtes Zitat aus Jon 2,4b, erhält man 3x7 Verszeilen. Da es hierfür jedoch keine handfesten textkritischen Belge gibt, bleiben diese Überlegungen spekulativ. Vgl. K. Seybold, Poetik, 174.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

daher wahrscheinlich redaktionell ergänzt wird (Kap. 2.3.4). Diese Beobachtung wird durch den Personenwechsel in Ps 42,9.10,98 sowie durch die im gesamten Psalm singuläre Verwendung von ‫ יהוה‬anstelle von ‫ אלהים‬oder ‫ אל‬gestützt. C. Süssenbach geht davon aus, dass für die Asafspsalmen „die pointierte Setzung des JHWH-Namens auf die Redaktoren zurückgeht, die den Kompositionsbogen von Ps 73–83 geschaffen haben“99. Auch für Ps 42,9 könnte daher überlegt werden, ob im Rahmen einer Redaktion die Einfügung des Verses mit Tetragramm das elohistische Gottesbild vertieft wurde.100 Literarhistorisch ist eine Einfügung von Ps 42,9 bei der kompositorischen Zusammenstellung des „elohistischen Psalters“ mit der zweiten Korachpsalmengruppe denkbar.101 Diese Annahme stützt auch die Tag-Nacht-Metaphorik in Ps 42,9, die sowohl an den asafitischen Ps 50,1b als auch an Ps 88,2 aus der zweiten Korachpsalmengruppe erinnert, der die erste Korachpsalmengruppe mit dem zweiten Davidpsalter verbindet. Dadurch findet ein Motiv Eingang, das die Situation des Beters in einen größeren kosmologischen Zusammenhang stellt (Kap. 3.2.13). Diese redaktionskritische These zu Ps 42,9 soll im weiteren Verlauf der Arbeit überprüft werden (Kap. 2.3.4).102 Mit der direkten Hinwendung an Gott in Ps 42,10 f. kommt es im Verlauf der zweiten Strophe zu einer Veränderung der Perspektive, die sich jedoch als sinnvolle Prozessfolge darstellt (Kap. 4.2.1): Der Beter erkennt in Ps 42,2–7 die gestörte Gottesbeziehung und richtet die Frage nach Gott zugleich an sich selbst (Ps 42,4.11). Seine Situation ist einerseits geprägt von der Sehnsucht nach dem Tempel (Ps 42,2–5.7), andererseits von der Bedrohung der Feinde (Ps 42,11), die in Ps 42,10 (und Ps 43,2) als ‫ אויב‬spezifiziert werden. In V. 11 wiederholt sich die Frage nach Gott aus V. 4 und ergänzt die ‫ צרר‬als Fragende. Es besteht ein logischer Zusammenhang zwischen den Themen Tempel und Feinde: Eine Isolation von dem Tempelkult muss im Alten Orient spätestens seit der Tempelzerstörung immer auch mit sozialer Isolation und Anfeindungen zusammengedacht werden. Darüber hinaus ist im Rahmen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs die Schilderung einer individuell leidvollen Situation, wie sie hier beschrieben wird, nicht zu trennen von der Frage nach der Ursache dieser. Die Sehnsucht nach dem Tempel ist Ausdruck der Sehnsucht nach Wiederherstellung der Gottes 98 Der Wechsel von der Rede von Gott in der 3. Person in Ps 42,9 hin zur direkten Ansprache in Ps 42,10 wird mit einer Redeeinleitungswendung übergeleitet und damit harmonisch verbunden, sodass die meisten Exegeten hier keine Spannung feststellen. Vgl. H. Gunkel, Psalmen, 179; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 473. Der Personenwechsel allein stellt keinen ausreichenden Grund dar Ps 42,9 als Aporie zu betrachten. Bedenkenswert scheint hier vielmehr das inhaltliche Argument. Dabei scheint Ps 42,9 eine inhaltliche Spannung zu evozieren, da er den Klagemodus in Ps 42 unterbricht. 99 C. Süssenbach, Psalter, 325. 100 Vgl. ebd. 101 Vgl. a. a. O., 382. 102 Auch zu anderen Stellen in der David-Asaf-Komposition stellt die „Tag-Nacht“-Metaphorik Verbindungen her. Davidpsalm: Ps 55,11; Asafpsalmen: Ps 74,13; 77,3.7; 78,14.

Formbeobachtungen zu Ps 42/43

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beziehung. Weshalb diese nicht intakt, Gott also fern ist, reflektiert der Beter durch die zweifelnden Feinde. Der äußere Zweifel (Feind-Klage V. 11) reflektiert das Innere des Beters (Ich-Klage V. 10b) und hilft ihm diese Zweifel vor Gott (Gott-Klage V. 10a.b) zu benennen. Eine Interdependenz zwischen Notlage und Gottesferne zeichnet sich ab.103 So versteht auch E. Zenger die Frage als Frage der Seele des Beters.104 Die dreifache Klage aus V. 10 f. mündet in die erneute Selbstaufforderung in V. 12 und trägt damit zur dramaturgischen Steigerung bei, denn offenbar hat die erste Selbstaufforderung noch nicht die gewünschte Wirkung erreicht bzw. das erneute Vertrauen bewirkt. Die dritte Strophe Ps 43,1–5 wird durch das Motiv des Richterseins Gottes eingeleitet und die an Gott gerichteten Bitten in V. 1 und V. 3b stellen einen deutlichen formalen Umschwung zur Bitte dar, die das dreifache Klagen in V. 2 (V. 2a Gott-Klage; V. 2b Ich-Klage / Feindklage) rahmt. Das Gelübde in V. 4 und die erneute Selbstaufforderung in V. 5 beschließen den Psalm positiv mit einem doppeldeutigen Sinngehalt (Kap. 3.2.21). Dass es sich aufgrund der Bitte in Ps 43,1.3 bei Ps 43 um einen Bittpsalm handelt, bei Ps 42 dagegen um den Aufbau eines Klagepsalms, ist eine These, die u. a. von E. Zenger vertreten wird.105 Hierfür spricht auch der Beginn in Ps 43,1, der an 26,1 erinnert.106 Im Übergang von Ps 42 zu Ps 43,1 kann dabei eine verbindende Gestaltung erkannt werden: „431 knüpft mit ähnlicher Technik an den vorangehenden Refrain 4212 an wie 427 an 426 (427 nimmt aus 426 „meine Seele ist betrübt“ auf; 431 nimmt aus 4212 das Stichwort „Gott“ auf).“107 Durch das Richtermotiv, das von einigen Exegeten als später ergänztes Kennzeichen des elohistischen Psalters angesehen wird,108 wird Ps 43 mit den Asaf-Psalmen verknüpft und als Hinweis auf eine redaktionell Fortschreibung von Ps 42 interpretiert werden, der das Bild des Richterseins Gottes ergänzt.109 Die 103 In der Anfechtung durch die Feinde in Ps 42,4 bzw. Ps 42,11 erkennt T. Aoki einen Bruch, da in 42,2–5.7 hauptsächlich die Gottesferne thematisiert werde und die Feindthematik ein zusätzliches Thema einbringe. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 19. Die Verwebung zwischen den verschiedenen anthropologischen Konstituenten Gottesbeziehung, Sozialsphäre und Leibsphäre ist jedoch ein Charakteristikum von Klageliedern des Einzelnen und per se kein Indiz für Inkohärenz. 104 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269. Auch H.-J. Kraus versteht das Thema Feinde als Teil der Notlage, die der Beter im gesamten Doppelpsalm beschreibt. Vgl. H.J. Kraus, Psalmen 1–59, 473. 105 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. 106 Anders H. Gunkel, Einleitung, 212. 107 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 108 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270; T. Aoki, Angesicht, 43; Zu Gott als Richter in den Asafpsalmen vgl. K.-J. Illman, Thema und Tradition in den Asafpsalmen, 30 f. 109 Vgl. E. Zenger, Einleitung, 436.449; C. Süssenbach, Psalter, 362 f. Offen bleibt jedoch die Frage, weshalb dieses Motiv in der Nachahmung der ersten Korachpsalmengruppe durch die zweite Korachpsalmengruppe keine Aufnahme gefunden haben soll. Eine mögliche Erklärung wäre die Profilierung gegenüber der asafitischen Gerichtsterminologie und ein Desinteresse an dieser Thematik seitens der Redaktion der zweiten Korachpsalmengruppe.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

Bezeichnung JHWHs als Richter ist dementsprechend auch sonst nur in „nachexilischen, lehrhaften Dichtungen“110 zu finden. Diese Fortschreibung müsste demnach spätestens mit der Zusammenfügung der Korachpsalmen mit der David-Asafkomposition im 5. Jh. v. Chr. erfolgt sein (Kap. 2.3.1).111 Da dieses Motiv jedoch relativ breit belegt ist, sollten konkrete Verbindungen aufgezeigt werden, um eine Abhängigkeit zu belegen. Hierfür bietet Ps 43,1 gleich mehrere Anhaltspunkte: Zum einen findet sich das Lexem ‫ שפט‬im asafitischen Ps 50,6 und am Anfang des zweiten Davidpsalters in Ps 51,6.112 Zum anderen stellt auch ‫ ריב‬aus Ps 43,1 eine Beziehung innerhalb des „elohistischen Psalters“ her. Der Ausdruck kommt im gesamten Psalter nur 11-mal113 vor, davon zweimal in Ps 43,1, einmal im zweiten Davidpsalter in Ps 55,10 und zweimal im asafitischen Ps 74,22. Insgesamt sind damit nahezu die Hälfte der Belge für ‫ ריב‬im „elohistischen Psalter“ zu finden. Besonders auffällig ist zudem die Wendung ‫גוי לא־חסיד‬, mit der sich der Beter als Gütiger von dem „nicht gütigen Volk“ abgrenzt. Worin sich diese Gruppen unterscheiden, beschreibt Dtn 33,8, dem zufolge ein ‫ חסיד‬derjenige ist, der durch „Tummim“ und „Urim“ Zugang zum Willen Gottes hat und in Massa und Meriba erprobt wurde.114 Es handelt sich offenbar um eine positive Interpretation der Erzählung aus Ex 17,1–7 bzw. Num 20,1–13 in Hinblick auf die Leviten.115 Ähnlich beschreibt auch der Asafpsalm Ps 81,8 die Prüfung bei Meriba als eine Erprobung des Volkes durch JHWH.116 Eine Anspielung von Ps 43,1 auf die Exodusperikope legen zudem sowohl die Stichwortverbindung ‫( ריב‬Ex 17,2 (2x).7 bzw. 20,3.13) als auch die Wassermetaphorik nahe.117 Ferner greift Ps 50,5 nicht nur das Lemma ‫ שפט‬auf, sondern definiert auch ‫ חסיד‬als jene, die durch Opfergabe

110 O. Kaiser, Der eine Gott, 245. 111 Vgl. E. Zenger, Einleitung, 449. 112 Die Wurzel findet sich 32-mal im Psalter: Ps 2,10; 7,9.12; 9,5.9.20; 10,18; 26,1; 35,24; 37,33; 43,1; 50,6; 51,6; 58,2.12; 67,5; 72,4; 75,3.8; 82,1.2.3.8; 94,2; 96,13 (2x); 98,9 (2x); 109,7.31; 141,6; 148,11. Somit findet sich innerhalb des elohistischen Psalters 11-mal ‫שפט‬: Ps 43,1; 58,2.12; 67,5; 72,4; 75,3.8; 82,1.2.3.8. 113 Ps 18,44; 31,21; 35,1.23; 43,1 (2x); 55,10; 74,22 (2x); 103,9; 119,154. 114 Vgl. M. Rose, 5. Mose, 579. 115 Die Leviten kommen weder in Ex 17 noch in Num 20 vor. Vgl. J. R.  Lundbom, Deuteronomy, 926. Das Motiv der Erprobung, das laut R. Albertz zur Zeit Nehemias durch MalR eingeführt wurde, reflektiert diese positiv. Vgl. Ex 20,20; Dtn 4,34; 8,2.16;13,4 u. ö. R. Albertz, Exodus, 24.289.Anm. Dagegen wird das Motiv der Erprobung in Dtn 6,16; 9,22 und 32,51 f. negativ interpretiert. 116 Vgl. J. R.  Lundbom, Deuteronomy, 926. 117 R. Albertz ordnet gerade den ätiologischen Schluss in Ex 17,7 der Redaktionsschicht REx zu und damit in den Kontext zerbrechender Zionstheologie ein, der nach der Anwesenheit Gottes in der Mitte des Volkes fragen lässt: „Ist JHWH in unserer Mitte, oder nicht?“ Vgl. R. Albertz, Exodus, 289. Damit verweist der Begriff ‫ חסיד‬auf eine weitere Stelle, die sogar semantisch über das Wortfeld „Wasser“ mit Ps 42/43 verbunden zu sein scheint.

Formbeobachtungen zu Ps 42/43

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den Bund geschnitten haben und referiert dadurch auf Ex 24,1–8 und Dtn 5,3.118 Mit R. Müller kann zudem angenommen werden, dass nach dem Untergang des Königtums eine Übertragung der „Königsfreude auf JHWHs Gesetze, die Bewahrung der Frommen und das Gericht über die Frevler“119, so wie sie in Ps 43 erkennbar ist, stattgefunden hat. Die Überleitung von der ersten Korachpsalmensammlung zum zweiten Davidpsalter ergänzt damit die Forderung nach Gerechtigkeit aus Ps 43,1 entscheidend um die Wiederherstellung der Rechtsordnung durch Gott: Gott ist nicht gekommen, um sein Volk zu bestrafen, sondern um in Gerechtigkeit sein Richteramt auszuführen […] und somit eine gestörte Ordnung einer (Rechts) gemeinschaft wiederherzustellen120.

Es erhärtet sich der Verdacht, dass die Gerechtigkeitsthematik im Zuge der Zusammenstellung mit den Asafpsalmen Einzug fand bzw. zur Fortschreibung von Ps 42 führte.121 Dabei wird die Gerechtigkeitsvorstellung von Gott als Chaosbeherrscher aus Ps 42 entscheidend um die Vorstellung von Gott direktem Gegenübersein zum Beter als göttlicher König, der Gerechtigkeit schafft, ergänzt.122 Ps 43,2 greift die Verspottung (Ps 42,4) und Feinbedrohung (Ps 42,10) wieder auf, allerdings ohne die spöttische Frage, die in Ps 42,4.11 im Anschluss an die Schilderung der Notsituation des Beters gestellt wird (‫)איה אלהיך‬.123 In Ps 43,3 wendet dieser sich erneut durch Imperative an Gott und bereitet damit eine positive Wende vor, die durch die Einbindung von Tempelsprache und Lobpreis in Ps 43,3 f. ihren Höhepunkt erreicht. Hieraus erklärt sich auch das Fehlen der spöttischen Frage. „Wo ist dein Gott?“ ist die zweifelnde Frage, die den Beter zur ersten (Ps 42,5–7) und zweiten (Ps 42,12) Selbstreflexion antreibt (vgl. Kap. 3.2). Die letzte Selbstreflexion in Ps 43,5 scheint hingegen das Ergebnis des In-sich-Kehrens und mündet in die Hinwendung zu Gott (Ps 43,3.4) und stellt insofern eine Entwicklung im Verlauf des Doppelpsalms dar. Der Umschwung vom Klagetonus 118 Vgl. H. Ringgren, 86 ,‫ ;חסיד‬A. Klein, Geschichte und Gebet, 173. Entgegen A. Klein versteht C. Süssenbach Ps 50,5 nicht als Bezug auf den vergangenen Bundesschluss, sondern als „aktuellen Verpflichtungsakt“. C. Süssenbach, Psalter, 80. Zur Diskussion um das Bundeserneuerungsfest vgl. u. a. C. Radebach-Huonker, Opferterminologie im Psalter, 166 f. 119 R. Müller, Wettergott, 102. 120 C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 167. 121 R. Müller hat gezeigt, dass es sich bei JHWH als Chaosherrscher (Ps 42) um ein uraltes Motiv handelt. In Ps 43 präsentiert sich in Rückblick auf die frühe Geschichte Israels Gottes unmittelbare Herrschaft ohne königliche Vermittlung. Vgl. R. Müller, Origins, 227; Ders., Königtum, 248. 122 Vgl. R. Müller, Wettergott, 244. ‫ שפט‬bezeichnet in vorstaatlicher Zeit die Ausübung eines Leitungsamtes und ist (noch) nicht forensisch konnotiert. Vgl. 417 ,‫שפט‬. In 1 Sam 8,5 f.20 erbittet Israel einen König, der es leiten und vor ihm herziehen soll, hier werden dagegen göttliche Attribute Mittler der Gerechtigkeit Gottes. Vgl. R. Müller, Königtum, 248. 123 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 43.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

hin zur Bitte kann neben der Gerichtsterminologie als weiteres Indiz für eine inhaltliche Erweiterung des Ps 42 durch die Bitte in Ps 43 angesehen werden, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich dabei auch um ein bewusstes Stilmittel handeln könnte. Auch das Argument des fehlenden ‫נפש‬- und Wassermotivs in Ps 43 kann nur durch eine Streichung von Ps 43,5 geltend gemacht werden, da dieser den ‫נפש‬-Begriff in Ps 43 einbringt.124 Dieser sollte aber ohne triftige textkritische Begründung nicht gestrichen werden.125 Des Weiteren könnte auch der inhaltlich begründete Wechsel zur Bitte der Grund sein, weshalb ‫ נפש‬in Ps 43,1–4 keine Verwendung findet, wie eine Übersicht über den Aufbau zeigt: 42,2–4 Sehnsucht der ‫ נפש‬nach Gott und Gottesferne; „Wo ist dein Gott?“ (4b) 42,5–7 Selbstreflexion des Beters durch seine ‫ ;נפש‬Gottesferne = Tempelferne 42,8–9 Gott als furchterregender und zugleich gnädiger Schöpfergott 42,10–11 Sehnsucht nach Gott und Gottesferne; Anklage an Gott: Weshalb Gottesferne; Weshalb Bedrängung durch die Feinde? „Wo ist dein Gott?“ (11b) 42,12 ‫נפש‬: Selbstreflexion des Beters 43,1 f. Direkte Aufforderung an Gott und Anklage an Gott: Weshalb Gottesferne; Weshalb Bedrängung durch die Feinde? 43,3 f. Gott als Gott der Freude, als persönlicher Gott 43,5 ‫נפש‬: Selbstreflexion des Beters Der drei- bzw. vierteiliger126Aufbau lässt Ps 42,12 Zentrum und Spiegelpunkt des Psalms erkennen:

124 Liest man Ps 43,5 als Teil von Ps 43,1–5, so werden sowohl durch die Wahl der Verben als auch durch den ‫נפש‬-Begriff das Seelen- und Wassermotiv dort aufgegriffen. Vgl. T. Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 18. 125 Die meisten Exegeten ziehen eine Streichung von Ps 43,5 daher nicht einmal in Erwägung. Vgl. u. a. H. Gunkel, Psalmen, 183; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 473; A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 234; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. T. Aokis Meinung nach hätte im Zusammenhang mit der Ankündigung des Lobpreises in Ps 43,4b der Begriff ‫ נפש‬durchaus Verwendung finden können. Dabei lässt er jedoch außer Acht, dass bei den anderen Stellen, in denen ‫ נפש‬in Ps 42/43 verwendet wird, der Begriff nie im Zusammenhang mit Lobpreis steht, sondern Ort der (negativ konnotierten) Selbstreflexion ist. Eine Verwendung des Begriffs in Ps 43,4b würde daher den Fokus, den Ps 42 auf die ‫ נפש‬als Mittel zur Selbstreflexion des Beters legt, verzerren. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 42 f.; Kap. 4.2.2. 126 Abhängig davon, ob die Einführung noch als eigener Teil mitgezählt wird variiert die Einteilung zwischen einer Drei- und einer Vierteilung.

Formbeobachtungen zu Ps 42/43

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0. Widmung (42,1) 1. Einführung (42,2–4) 2. Selbstreflexion (42,5–7) – Gottesbeschreibung (42,8–9) – Sehnsucht nach Gott u. Gottesferne (42,10–11) 3. Selbstreflexion (42,12) – Sehnsucht nach Gott und Gottesferne (43,1–3) – Gottesbeschreibung (43,4) 4. Selbstreflexion (43,5) Daraus wird ersichtlich, dass in den zwei Teilen nach der Selbstreflexion jeweils nicht der Begriff ‫ נפש‬verwendet wird, weder in Ps 42, noch in Ps 43. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Ps 42/43 eine literarhistorische Vergangenheit aufweist, bei der davon auszugehen ist, dass Ps 43 eine Erweiterung − in welchem genauen Umfang bleibt offen − von Ps 42 darstellt. Unter Berücksichtigung der zahlreichen Stichwortverbindungen127 sowie des inhaltlichen und metrischen Aufbaus, müsste dann von einer sehr frühen Verbindung beider Gattungen auszugehen sein. Dies zeigt nicht nur die formale Gestaltung,128 sondern auch die ähnliche Ausdrucksweise (vgl. 42,10; 43,3).129 Es ist wahrscheinlich, dass ähnliche Formulierungen in so unmittelbarer Nähe zueinander als Resultat einer bewussten Verfasserschaft zu verstehen sind und nicht als zufällige Ähnlichkeiten. Weitere Argumente für eine synchrone Lesart bestehen in den inhaltlichen Übereinstimmungen, in der gleichen Situation des Beters, in seiner Sehnsucht nach und der Erinnerung an den Tempel sowie in der Bedrohung durch die Feinde, sodass sich Ps 43 als logischer Anschluss darstellt.130 Strukturierendes motivisches Merkmal beider Psalmen ist die fast durchgängige Wassermetaphorik. Darüber hinaus führt H. Herkenne an, dass für die Zusammengehörigkeit eine psychologische Dynamik spreche.131 Die Forschungsmehrheit plädiert daher zurzeit für eine Zusammengehörigkeit der beiden Psalmen.132 Diese wird auch auf Kom­ 127 Zum einen sind bereits die Stichwortverbindungen zu Ps 50 auffällig, zum anderen rezipiert Ps 84,3 rezipiert den „lebendigen Gott“ aus 42,3a sowie 84,8 „Gott schauen“ aus 42,3b aufnimmt. Des Weiteren finden sich in 84,2.4 „Wohnung und Altar Gottes“ aus 43,3 f. Es wird also deutlich, dass bereits Ps 84 beide Psalmen, Ps 42/43 kennt. 128 Der Kehrvers wird von den meisten Exegeten als verbindendes Gestaltungsmerkmal verstanden und damit als Argument für eine Zusammengehörigkeit der Psalmen geltend gemacht. Vgl. B. Duhm, Psalmen, 176; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 473. Dagegen wendet T. Aoki ein, sei die Frage im Refrain („Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf?“), widersprüchlich zu den Versen, die zahlreiche Gründe für diesen Seelenzustand benennen (Ps 42,2–5.8.10 f.). Besonders nach dem Lobpreis in Ps 43,4a sei das Auftauchen des Refrains in Ps 43,5 unvermittelt. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 19. 129 Vgl. u. a. H. Gunkel, Psalmen, 179; Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265–271, 265. 130 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 5.  131 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 18; H. Herkenne, Psalmen, 162. 132 Vgl. W. Brueggemann, „On ‚Being Human‘ in the Psalms“, 520.

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positionsebene gestützt: Es handelt sich bei der Anordnung innerhalb der ersten Korachpsalmengruppe um eine konzentrische Formierung mit Ps 46 in der Mitte, bei der aller Wahrscheinlichkeit nach eine Siebenzahl angestrebt wurde.133 Dabei ist relativ unumstritten, dass es sich bei den Korachpsalmen um eine ehemals eigenständige Psalmensammlung handelt (vgl. Kap. 2.3).134 Berücksichtigt man die Spannungen und Aporien innerhalb des Doppelpsalms und dessen korachitische Zuschreibung, kann vor dem Hintergrund von Num 16 und 20 auf Endtextebene eine Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit der Priesterschaft der Korachiten angenommen werden. Die Erweiterung von Ps 42 um Ps 43 im Kontext der Zusammenstellung mit der David-Asaf-Komposition (ca. 5. Jh.) rehabilitiert damit den korachitischen Anspruch auf priesterliche Kultteilnahme.135 Die Klage des Einzelnen wird dadurch zur Klage der, laut Ps 43 zu Unrecht, ausgeschlossen Korachiter, die ihren Platz am Tempel wieder einnehmen wollen (vgl. Kap. 2.3). Die Formbeobachtungen legen daher zwei mögliche Lesarten nahe: 1) Ps 42 beschreibt als Einzeltext den Ausschluss des Einzelnen aus der Kultgemeinschaft und bleibt in Hinblick auf die Korachiter weitestgehend deutungsoffen. Er nimmt das Thema der Todesbedrohung auf und beschreibt eine verzweifelt klagende Hinwendung an Gott. Die eigene Überschrift von Ps 43: Ψαλμὸς τῷ Δαυιδ in der Septuaginta sützt eine solche Lesart.136 Ob der Verfasser der Septuaginta sich auf eine andere Vorlage bezieht, oder die Überschrift seine eigene Schöpfung darstellt, lässt sich abschließend nicht klären.137 Trotz der Nähe 133 Zu den Psalmen, die der Überschrift nach den Korachitern zugeschrieben werden, zählen: Ps 42/43 (Ps 43 trägt keine eigene Überschrift); Ps 44–49; Ps 84; Ps 85; Ps 87; Ps 88. Dabei sind die Ps 42–49 als geschlossene Komposition erkennbar. 84.85 und 87.88 gehören zu den späteren Psalmen, was u. a. daran deutlich wird, dass diese parallel zu 42–49 aufgebaut sind. Dies wird u. a. daran deutlich, dass auf Ps 42/43 an zweiter Stelle mit Ps 44 ein Volksklagelied folgt, ähnlich der Abfolge von Ps 85 auf Ps 84. Das vorletzte Gebet ist mit Ps 84 und Ps 87 jeweils ein Zionslied. T. Aoki erkennt richtig, dass man wahrscheinlich von vornherein eine Siebenzahl herstellen wollte, mit Ps 46 in der Mitte. Dabei erscheint jedoch die Möglichkeit Ps 43 als sekundär zu verstehen, eher als ein Argument für die Einheit von Ps 42/43. Vgl. J. v. Oorschot, Korachpsalmen, 417–430. Anders T. Aoki, Angesicht, 24 f. 134 Vgl. u. a. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 199.266.273. 135 Angesichts der intertextuellen Anspielungen ist eine zweifache Lesart von Ps 43,1 möglich: 1) Analog zur positiven Interpretation der Geschehnisse von Massa und Meriba in Dtn 33,8 und Ps 81,8 versteht der Beter auch seine eigene Auflehnung (die Auflehnung der Rotte Korachs in Num 16) positiv als Erprobung Gottes und legitimiert daraus die Rechtmäßigkeit der Kultteilhabe. Offen bliebe bei dieser Lesart jedoch, wer mit ‫ גוי לא־חסיד‬gemeint ist. Daher ist folgendes Verständnis wahrscheinlicher: 2) Mit ‫ גוי לא־חסיד‬ist das Volk Israel gemeint, das in Num 20 mit Gott hadert und von dem sich dich Korachiter abgrenzen. Ps 43,1 interpretiert die Erzählung aus Num 16 damit neu als Geschichte der Ungerechtigkeit gegen die Korachiter und begründet damit ihre (Wieder-)Einsetzung in den Tempeldienst. 136 Vgl. M. Millard, Komposition, 11; T. Aoki, Angesicht, 37. 137 Dabei ist auffällig, dass im masoretischen Text noch 34 weitere Psalmen keine eigene Überschrift aufweisen, dagegen in der Septuaginta nur noch Ps 10 und Ps 115 ohne Überschrift stehen und dadurch als Fortsetzung der voranstehenden Psalmen gelesen werden. Alle anderen

Formbeobachtungen zu Ps 42/43

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der beiden Psalmen zueinander, fassen auch die Vulgata Mehrzahl der Handschriften Ps 43 als von Ps 42 abgetrennten Psalm auf.138 Das Argument der Textzeugen bleibt insgesamt uneindeutig, wobei der Hinweis auf die Codices Aleppo und Leningradensis, die einen deutlichen Abstand zwischen den beiden Psalmen erkennen lassen, ernst genommen werden muss. Da sie jedoch keine eigene Überschrift bieten, könnte vermutet werden, dass Ps 43 in einem sehr frühen redaktionellen Stadium, mit einem Absatz, hinzugefügt worden ist, oder sekundär eine

überschriftlosen Psalmen erhalten eine Zuschreibung zu oder Widmung für David, der in der Septuaginta in Ps 151 als der von Gott auserwählten Leierspieler und Beter dargestellt wird. Es besteht daher weitestgehender Forschungskonsens, dass die LXX eine pro-davidische Redaktion durch die Hinzufügung entsprechender Überschriften vorgenommen hat. Hierdurch erklärt sich die auf David bezogene Überschrift, die der Erwartung einer Zuschreibung zu den Söhnen Korachs, analog zu Ps 42, widerspricht. Fraglich bleibt jedoch, ob diese redaktionelle Tätigkeit der LXX-Übersetzer als hinreichendes Argument für eine Trennung der beiden Psalmen angesehen werden kann. Vgl. E. Zenger, Einleitung, 437. Da auch in der Korachpsalmengruppe Ps 84–88 (mit Ps 86 im Zentrum) ein Psalm mit davidischer Zuschreibung steht, kann die Überschrift in Ps 43 als stimmig parallel dazu konzipiert angesehen werden. T. Aoki hält fest, dass ein pro-davidischer Eingriff der Septuaginta-Übersetzung v. a. in 43,4 deutlich werde, wenn ἡ κιθάρα („die Leier“) aus 1 Sam 16,14–23 eingebracht wird. Hierdurch werde noch einmal ein Unterschied zu Ps 42 deutlich, der von dieser Davidisierung verschont bleibe. Die Sichtung der Belegstellen zu ἡ κιθάρα zeigen jedoch, dass sie keinesfalls als eindeutige Davidisierung verstanden werden können (vgl. Ijob 30,9.31). Zudem gibt die LXX den hebräischen Begriff ‫ כנור‬in Ps 43,3 mit ἡ κιθάρα, in 1 Sam 16,16 dagegen mit ἡ κινύρα wieder. Die Folgerung T. Aokis, „dass Ps 43 für den LXX-Übersetzer weder ein Teil des Ps 42 noch ein Nachtrag sei, sondern ein eigenständiger Psalm“, erweist sich dadurch als haltlos. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 39. 138 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. Die Vulgata bietet zwei Varianten: Im Psalterium iuxta Hebraeos des Hieronymus hat Ps 43, gemäß der hebräischen Vorlage, keine Überschrift, im Psalterium Gallicum trägt er eine eigene Überschrift. In der kritischen Ausgabe der Leidener Peschitta finden sich keinerlei Überschriften. Dagegen sind Überschriften im Codex Ambrosianus (6./7. Jhd n. Chr.) und im ostsyrischen Psalter Brit Mus Add 17110 (ca. 600 n. Chr.) zu finden, wobei sich diese stark von denen der Septuaginta und Vulgata unterscheiden. Im Manuskript 12t4 lautet die Übersetzung: „im Hebräischen ist dieser Psalm überschriftslos“. Die Syro-Hexapla dagegen verwendet die Überschrift: „für / von David, ein Lied“. Die masoretischen Handschriften enthalten zwei Variantensammlungen, die Ps 42 und 43 als einen Psalm auffassen: Kennicott und und De Rossi. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 40; H. Van Rooy, The Hebrew Psalm Headings in the Syriac manuscript 12t4, 228.235. Vgl. zu Kennicott: 2; 4; 36; 39; 73; 82; 89; 156; 158; 172; 175; 178; 188; 210; 216; 224; 227; 245; 318; 326; 355; 356; 360; 373; 377;379; 403; 405; 409; 431; 499; 579; 587; 590; 591; 607; 625; 639. Vgl. M. Millard, Komposition, 11, Anm. 35. Vgl. zu De Rossi: 31; 380; 480; 670; 782; 846; 865; 879; 954. Vgl. M. Millard, Komposition 11, Anm, 35. T. Aoki warnt zu Recht davor, sich von der Menge der Belegstellen für diese Variante blenden zu lassen, da es sich bei diesen Handschriften um sehr junge Zeugen handelt, sodass die Aussagekraft dieser Schriften nicht ohne Grund umstritten ist. Vgl. M. H.  Goshen-Gottstein, Syriac Manuscripts in the Harvard College Library, 274 f. und E. Würthwein, Old Testament, 49 f.125 f. Die Codices Aleppo und Leningradensis bezeugen Ps 42 und Ps 43 als getrennte Psalmen. Auch wenn sich hier ebenfalls keine eigene Überschrift für Ps 43 finden lässt, lassen die Codices einen deutlichen Abstand zwischen den beiden Psalmen erkennen.

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Zweiteilung vorgenommen wurde.139 Die getrennte Lesart des Doppelpsalms wird durch den zeitweisen Ausschluss der Korachiten aus der Priesterschaft verständlich (Num 16), die dazu geführt haben könnte, dass das Singen von Ps 43 und dadurch die Einforderung einer Zugehörigkeit zum rechtmäßigen Priestertum durch die Korachiter nicht immer konsensfähig gewesen ist 2) Liest man dagegen Ps 42/43 synchron zusammen, erhält man eine Deutung des Ausschlusses der Korachiter aus der Kultgemeinschaft als unrechtmäßigen Vorgang, der nach dem Gerechtigkeit schaffenden Eingreifen Gottes verlangt. Das Fehlen einer Überschrift vor Ps 43 im masoretischen Text, kann als Indiz für diese Lesart der beiden Psalmen gewertet werden.140 Eine Erweiterung von Ps 42 um Ps 43 im Kontext der kompositorischen Zusammenstellung der David-Asaf-Komposition mit der ersten Korachpsalmengruppe erhärtet sich hierdurch. Diese Erweiterung stellt zum einen eine Verbindung zu der Gerechtigkeitsmotivik der Asaf-Psalmen (Ps 50.73–83) her, zum anderen rehabilitiert sie die priesterliche Legitimation der Korachiten, die zu dieser Zeit (wieder) für die Ausübung eines Amtes am Tempel eingesetzt sind.141 Zum dritten verbindet sie die Vorstellung von JHWH als Wettergott mit Motiven eines göttlichen Königs.142 Die Einfügung von Ps 42,9 geht wahrscheinlich auf eine spätere jahwistische Redaktion der Korachpsalmen zurück, die den Psalm an die Gottesnamentheologie der Asafpsalmen angleicht und im Rahmen der Erweiterung des „elohistischen Psalters“ um die zweite Korachpsalmengruppe anzusetzen ist.143 Diese These stützt die Funktionsbeschreibung der ersten Korachpsalmengruppe durch J. v. Oorschot, der diese als „gestaltenden Vermittler vorexilischer Tempeltheologie“144 versteht. Die Einordnung E. Zengers von Ps 42/43 139 Vgl. L. C.  Jonker, Revisiting the Psalm Headings, 111 f; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. Ein Grundpsalm, der Ps 42 (ohne V. 9) enthält, könnte demnach bis ins 7. Jh. v. Chr. zurückreichen, bleibt jedoch spekulativ. 140 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 265. Ähnlich auch H. Gunkel, Psalmen, 183. Insgesamt haben 34 Psalmen keine Überschrift, vermehrt in den letzten beiden Büchern des Psalters. Es kann der Versuch unternommen werden, anhand verschiedener überschriftloser Psalmen, der Frage nach der Abgrenzung nachzugehen. Bei fast allen Psalmenpaaren können in ähnlicher Weise Gründe für und gegen eine Zusammengehörigkeit sprechen. Es wird deutlich, dass die Analyse der Zusammengehörigkeit anderer überschriftloser Psalmen kaum herangezogen werden kann, um eine Argumentation in Hinblick auf die Trennung von Ps 42/43 zu stützen, da es sich dort in den meisten Fällen um umstrittene Einzelfälle handelt. Für detaillierte Abwägungen zu den Psalmenüberschriften vgl. auch C. Rösel, Redaktion, 3851. 141 Zwar könnte hier das Amt als Tempelsänger gemeint sein, da es sich bei den Korachpsalmen um „Wallfahrtspsalmen“ handelt, wäre aber auch eine Tätigkeit am Tempeleinlass denkbar. 142 Vgl. R. Müller, Wettergott, 245. 143 Zwar könnte die redaktionelle Ergänzung von Ps 42,9 auch im Rahmen der Erweiterung der David-Asaf-Komposition um die erste Korachpsalmengruppe vorgenommen worden sein (zeitgleich mit der Erweiterung um Ps 42), doch spricht die Verbindungen zu Ps 88,2 f. für eine spätere Redaktion. 144 Vgl. J.v. Oorschot, Korachpsalmen, 416.

Kontextuelle und redaktionskritische Einordnung 

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in die Zeit des zweiten Tempels scheint damit plausibel und wird von ihm zudem damit begründet, dass Ps 42,7 f. von Jona 2,4 f. voraussetzt und Joel 1,19 f. und 2,4 f. die Verse 42,2 f.4.10 aufnehmen.145 Besonders interessant ist an dieser Stelle, dass Zenger „die literarisch-theologische Technik des Gesprächs Ich-Seele“146 als „eher nachexilisch“147 bezeichnet. Steht hier vielleicht im Hintergrund, dass eine Selbstreflexion dem Beter erst zur späteren Zeit zugetraut wird? Für die Frage nach der Ich-Sphäre des Beters würde dies bedeuten, dass sie literarisch erst später expliziert wird. Diese Vermutung wird anhand redaktionskritischer Überlegungen zu den beiden Korachpsalmengruppen im Folgenden zu überprüfen sein. Diese Frage soll im Weiteren als sekundäre Fragestellung mitlaufen (Kap. 5.2.2 und 5.3).

2.3 Kontextuelle und redaktionskritische Einordnung innerhalb der Korachpsalmengruppen 2.3.1 Der Aufbau der beiden Korachpsalmengruppen im Vergleich In der Forschung ist unumstritten, dass der Psalter das Ergebnis eines vielstufigen Entwicklungsprozesses darstellt, dessen Spuren immer noch mehr oder weniger sichtbar sind. Die beiden Korachpsalmengruppen werden dabei zunehmend als Teil einer Korachpsalmenkomposition betrachtet. Informationen zur Herkunft der Korachiter lassen sich nur wenige finden. Lediglich eine überschaubare Anzahl an Stellen erwähnt den Namen Korach: Die Genealogie Esaus bzw. Edoms in 36,5.14.16.18148, die in 1 Chr 1,35 ff. übernommen wird, die Genealogie Kalebs in 1 Chr 2,43149 und die Liste benjaminitischer Anhänger Davids in 1 Chr 12,7 sowie als Anführername eines Aufstands gegen Mose während der Wüstenwanderung Israels in Num 16 f.150 Nur in nachexilischen Texten findet ein sog. levitisches Korachgeschlecht Erwähnung, so in der Levitengenealogie in Ex 6,21.24, bei der es sich um den vermutlich ältesten Beleg levitischer Korachiten handelt, aber auch Num 26,58 und 1 Chr 6,7 und letztlich die Psalmenüberschriften 42–49; 84 f. und 87 f. belegen ein solches Geschlecht.151 Es ist daher allgemein eine Herkunft der Korachiter aus dem Priestergeschlecht sowie eine Verbindung mit den Themen Leben und Tod anzunehmen, die sowohl in den Korachpsalmen als auch in der Erzählung über die Rotte Korach im Numeribuch zentral sind.152

145 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 266. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Oholibama ist hier Mutter von Korach und Jëusch und Jalam sind seine Brüder. 149 Korach ist Sohn Hebrons. 150 Vgl. J. v. Oorschot, Korachpsalmen, 417. 151 Vgl. ebd. 152 Vgl. R. Achenbach, Vollendung, 122.

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In Hinblick auf den Entstehungskontext der Korachpsalmengruppen sind v. a. drei Positionen zu nennen. M. J. Buss datiert die Korachpsalmen in die Zeit des ersten Tempels: „The Songs of Zion attributed to the sons of Korah are appropiate for a group who serve as keepers of the sacred enclosure.“153 In die Zeit nach der Tempelzerstörung ordnet er allein Ps 85 und 87 ein.154 Dagegen geht G. Wanke davon aus, dass die eigentliche Blütezeit der Korachiten erst im 4. Jh. v. Chr. anzusetzen ist und in den entsprechenden Psalmen eine Zionstheologie zum Ausdruck kommt, die in der Zeit des zweiten Tempels zu verorten ist.155 J. v. Oorschot versteht die Korachiten ebenfalls nicht nur als Ordner und Sammler von Psalmen, sondern als gestaltende Vermittler vorexilischer Zionstheologie. Ihr Interesse sieht er in der Synthese von persönlicher Frömmigkeit und Tempelkult, ausgestaltet durch weisheitliche und selbstreflexive Momente.156 Er erkennt zu Recht, dass der Versuch M. D. Goulders,157 die Korachiten im Norden, in Dan im 9./8. Jhd. anzusiedeln und ihre Psalmen im Kontext des Herbstfestes zu verorten nur wenig überzeugen kann, da die erste Korachpsalmengruppe thematisch eine Verarbeitung der Exilserfahrung darstellt.158 Analog dazu muss die Datierung von M. J. Buss in die Zeit des ersten Tempels ebenfalls nach hinten korrigiert werden. Dafür sprechen v. a. die Belege in den Chroniken, in denen die Korachiten neben den Asaphiten als Tempelsänger genannt sind (2 Chr 20,24.29) und diese dann im Laufe der Zeit aus ihrer führenden Rolle als Tempelsänger verdrängten (1 Chr 6,16–32).159 Auch C. Süssenbach versteht Ps 44 als Ausdruck des unmittelbaren Erlebens der Zerstörung Jerusalems und des Exils und ordnet dementsprechend auch Ps 42/43 in frühnachexilische Zeit ein,160 wobei davon auszugehen ist, dass einige Psalmentexte noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Exils ent 153 M. J.  Buss, Psalms of Asaph and Korah, 384. Gegenüber den Asafpsalmen sei zudem das dichterische Niveau der Korachpsalmen niedriger. 154 Vgl. a. a. O., 386. 155 Es befinden sich nach G. Wanke in der Sammlung sowohl fremde Psalmen, die außerhalb des Kreises der Korachiten entstanden sind als auch Psalmen aus ihrem eigenen Kreis. Die Arbeit der Korachiten spiegle sich am deutlichsten in den Psalmen 42/43; 46; 48; 84; 87. Vgl. G. Wanke, Zionstheologie. 156 Vgl. J. v. Oorschot, Korachpsalmen, 416–430. 157 Vgl. M. D.  Goulder, The Psalms of the Sons of Korah. 158 Da die zweite Korachpsalmengruppe eine Nachahmung der ersten darstellt, ist daher als frühstmöglicher Entstehungszeitraum das Exil anzunehmen. C. Süssenbach, Psalter, 373. Zudem sind die Korachiten als Tempelpersonal mit aller Wahrscheinlichkeit erst in nachexilischer Zeit anzusiedeln. Vgl. J. v. Oorschot, Korachpsalmen, 417. 159 Vgl. ebd. 160 Auch C. Süssenbach verortet die Korachiten aufgrund von 1/2 Chronik am Zweiten Tempel und versteht im Anschluss an H. Gese ihren Aufstieg als Tempelsänger als ein Resultat des Ausschlusses aus dem Priestertum, wie er in Num 16 beschrieben ist. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 375; H. Gese, Zur Geschichte der Kultsänger am zweiten Tempel, 231–234. M. Millard argumentiert ebenfalls, dass Ps 44 eine exilische Erfahrung spiegele, Ps 42,7 mit seinen Orts­ angaben jedoch auf das Quellgebiet des Jordans verweise. Vgl. M. Millard, Komposition, 75.

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standen sind (bspw. Ps 44) und daher in das späte 6., oder frühe 5 Jh. v. Chr. datiert werden können.161 Eine plausible Genese der ersten Korachpsalmengruppe kann im Anschluss an C. Süssenbach rekonstruiert werden, die davon ausgeht, dass der exilische Ps 44 als Ausdruck des unmittelbaren Erlebens der Zerstörung Jerusalems und der (früh)nachexilische Ps 42/43 mit den vorexilischen Psalmen 45–48 verbunden und dann um den stark weisheitlich geprägten Ps 49 ergänzt wurden.162 Dies bestätigt auch J. v. Oorschots These, dass der ausgestaltete Ps 42/43 persönliche Frömmigkeit und offiziellen Tempelkult miteinander verbinden will.163 In diese Vorstellung fügen sich die Formbeobachtungen, die eine nachträgliche Erweiterung und Bearbeitung von Ps 42 durch die Einfügung von Ps 42,9164 und eine (frühe) Erweiterung um Ps 43165 nahelegen.166 Die Fortschreibung durch Ps 43 könnte im Rahmen des Vorbaus der ersten Korachpsalmensammlung an die David-Asaf-Komposition ins ca. 5. Jh. datiert werden, die Einfügung von Ps 42,9 in die Hochphase der Korachiter ins 4. Jh., die den Anbau der zweiten Korachpsalmensammlung an den „elohistischen Psalter“ mit sich bringt. Diese These gilt es im Weiteren zu prüfen. Die Korachpsalmengruppen liegen als eine durchgängige Abfolge vor, sondern sind in zwei Gruppen aufgeteilt: Ps 42–49 und Ps 84–5.87–88.167 Zwar ist für diese Arbeit die erste Korachpsalmengruppe von besonderer Relevanz, jedoch sind übergreifende inhaltliche, begriffliche und motivische Vernetzungen der beiden Korachpsalmengruppen ein Grund dafür, auch das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander in den Blick zu nehmen.168 Die Frage nach der Zugehörigkeit zu 161 Diese Psalmen sind, C. Süssenbach zufolge, dann mit den vorexilischen Psalmen 45–48 verbunden worden, die dann um Ps 49 ergänzt wurden. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 373. 162 Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 375–379. Eine Diachronie sieht auch M. Millard darin begründet, dass Ps 44 eine exilische Erfahrung spiegele, Ps 42,7 mit seinen Ortsangaben jedoch auf das Quellgebiet des Jordans verweise. Vgl. M. Millard, Komposition, 75. 163 G. Barbiero geht auch bei Ps 42/43 davon aus, dass es sich um „das Gebet eines im Exil lebenden Menschen“ handelt. G. Barbiero, Psalmenbuch, 686. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Grundform des Psalms (bspw. Ps 42 ohne V. 9) in diese Zeit zurückreicht, jedoch muss wenigstens für die Endkomposition von Ps 42/43 ein deutlich späterer Zeitpunkt angenommen werden (ca. 4. Jh.). Das zeigen sowohl die Parallelen zwischen Ps 43 und den Asafpsalmen als auch zwischen Ps 42,9 und Ps 50 und 88 (Kap. 2.2; 2.3.3; 2.3.4). 164 Die Einfügung von Ps 42,9 ist im Rahmen einer redaktionellen Tätigkeit bei der Verbindung der beiden Korachpsalmengruppen denkbar (Kap. 2.3.4). 165 Die Erweiterung um Ps 43 ist noch vor der Einfügung von Ps 42,9 anzusetzen und geht auf die Verbindung der David-Asaf-Komposition mit der zweiten Korachpsalmengruppe zurück (Kap. 2.2). 166 Das Phänomen der identitätsstiftenden Fortschreibung kann für viele biblische Texte angenommen werden. Vgl. K. Schmid, Von Jakob zu Israel, 34 f. 167 Zwischen ihnen wird von einigen Exegeten die Trennlinie des elohistischen Psalters vermutet. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 346. 168 Eine Analyse der gemeinsamen Themen und Motive in Hinblick auf Ps 42/43 erfolgt in Kap. 4.6.

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einem sog. „elohistischen Psalter“169 kann hier, aufgrund des begrenzten Rahmens, zwar nicht ausführlich erläutert werden, doch ist es grundsätzlich plausibel und mit den bisherigen Formbeobachtungen (Kap. 2.2) kongruent, eine kompositionelle Vorstufe, bestehend aus einer Korach-David-Asaf-Komposition anzunehmen, die (noch) ohne die zweite Korachpsalmengruppe auskommt. Die Korachpsalmensammlungen können nach M. Millard ihrer Gattung entsprechend in folgendem Parallelisierungsmodell dargestellt werden:170 Ps  42 f. Ps 44 Ps 45 Ps 46–48 Ps 49

Ps 84 Ps 85 Ps 87 Ps 88

(Wallfahrt) (Volksklage) (König, Zion vgl. Ps 86 als Davidpsalm) (Zion, Ps 47: Gott als König) (weisheitliche Klage)

Ähnlich ordnet E. Zenger die Psalmen nach theologischer Intention:171 Komposition

Korachpsalmen 42–49

Korachpsalmen 84–85.87–88

Klage Antwort (Gottes) Klage

42/43 (Ich) – 44 (Wir) 45–48 49 (Ich)

84 (Ich) – 85 (Wir) 87 88 (Ich)

169 Es gibt zahlreiche Hinweise auf Vorstufen des Psalters. Dazu zählen besonders die Doppelüberlieferungen Ps 14/53, Ps 40/70 und Ps 57+60/108 und der Gebrauch von Elohim anstelle von JHWH in Ps 42–83 sowie der letzte Vers von Ps 72: „Zu Ende sind die Gebete Davids, des Sohnes Isais.“ M. Millard, Komposition, 11. Dieser scheint sich nicht auf Ps 72 zu beziehen, da er ein Salomopsalm ist und sich eher auf die Sammlung von Davidpsalmen bezieht, die er abschließt. Da dennoch weitere Davidpsalmen folgen, kann hier zu Recht ein literarkritischer Bruch angenommen werden: „Zwischen Ps 72 und 86 verläuft nun die Grenze des elohistischen Psalters.“ A. a. O. 170. Solange die Frage nach der theologischen Intention einer Konzeption eines solchen elohistischen Psalters nicht beantwortet werden könne, sei die literarkritische Hypothese dennoch nicht haltbar, so M. Millard. „Die Besonderheit des Sprachgebrauches von Ps 42–83 ist zunächst einmal als semantisches Phänomen zu sehen, das seine Bedeutungsvariation mit sich trägt. ‫ אלהים‬wird beispielsweise als Distanzbegriff gebraucht.“ M. Millard, Komposition, 171. Bezüglich konkreter redaktioneller Eingriffe in den Psalmen in Hinblick auf die Gottesbezeichnung verhält sich M. Millard bewusst zurückhaltend, da diese in den insgesamt 45 Fällen erklärt werden müssten. Mit dem Wegfall der Annahme einer elohistischen Redaktion gestaltet sich die Diskussion um einen elohistischen Psalter deutlich schwieriger, sodass in jüngerer Zeit bpw. E. Zenger, der zuvor entschieden für eine elohisitsche Redaktion eintrat, zurückhaltender von einer „Elohistic tendency“ spricht. Vgl. Ders., Elohistic Psalter, 51; J. Schaper, Studien, 42. Eine plausible Lösung bietet C. Süssenbachs Vorschlag, die von spezifischen Gottesnamentheologien in den unterschiedlichen Kompositionsteilen des „elohistischen Psalters“ ausgeht und für einzelne Kompositionsteile, wie u. a. die Asafpsalmen und Ps 46–48 eine jahwistische Redaktion annimmt, die nicht im Gegensatz zur Verwendung des Gottesnamens ‫ אלהים‬verstanden werden darf. C. Süssenbach, Psalter, 56.325.361. 170 Vgl. M. Millard, Komposition, 63. 171 Vgl. E. Zenger, Einleitung, 437.

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Nicht nur der thematisch ähnliche Aufbau ist in der Forschung weitestgehend unumstritten – wobei Ps 45 keine Entsprechung in Ps 86 hat. Dass die Gottesbezeichnungen und die gegenseitige Bezogenheit im Sinne einer Nachgestaltung verstanden werden können, kann mittlerweile ebenfalls als Forschungskonsens gelten, sodass es sich bei Ps 84–85.87–88 aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Anhang zum elohistischen Psalter handelt.172 Auch die analoge Nachgestaltung der zweiten Korachspalmengruppe kann gegenüber der ersten Korachpsalmengruppe in spätere Zeit eingeordnet werden.173 Sie führt die Gottesnamentheologie nicht fort, die für den sog. „elohistischen Psalter“ angenommen wird.174 Inhaltlich kann die zweite Korachpsalmengruppe darüber hinaus mit C. Süssenbach als von „einer insgesamt hoffnungsvolleren, eschatologisch geprägten Grundstimmung“175 geprägt beschrieben werden. Für eine Nachahmung spricht auch, dass, so M. Millard, immer wieder Verbindungen der beiden Kompositionen durch Stichworte erkennbar sind, an entscheidenden Stellen jedoch fehlen: So verwendet Ps 42,2 andere Ausdrücke für das Sehnen als Ps 84,3.176 Insgesamt erscheint es daher plausibel, dass die zweite Korachpsalmengruppe mit ihrer weisheitlichen Prägung von vornherein eine Nachahmung der ersten beabsichtigt ist.177 Demgegenüber gibt es auch Argumente, die für eine ursprüngliche Gesamtkomposition beider Sammlungen sprechen. J. Schaper sieht in diesem Zusammenhang besonders zwei Aspekte als ausschlaggebend an: Zum einen könne die Verwendung der vielfältigen Gottesbezeichnungen178 in Ps 84 als verbindendes Element zwischen den beiden Kompositionen verstanden werden, zum anderen werde durch die enge gegenseitige Bezogenheit der Psalmen 42 und 88 eine gemeinsam angelegte Gestalt der Gruppen erkennbar.179 Zentrales gemeinsames Motiv ist die Zionstheologie, wobei die Nennung der Gottesstadt lediglich in Ps 46.48 und 87 erfolgt, die M. Millard als Pluralpsalmen zum formgeschichtlichen Kern zählt.180 Die

172 Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 379. 173 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 186–189; C. Süssenbach, Psalter, 376. 174 „Vieles spricht dafür, daß die Teilgruppe 84–88* die ihr vorgegebene Komposition nachgeahmt hat. Daß beide Gruppen trotz ihrer Verwandtschaft nicht von der gleichen Hand und zur gleichen Zeit zusammengestellt wurden, ist daraus zu erschließen, daß die Psalmen 84–88 nicht wie Ps 42–83 elohistisch imprägniert sind, d. h. nicht mehr die in Ps 42–83 erkennbare Gottesnamentheologie zeigen, die gezielt mir der Differenz zwischen dem Gattungsbegriff Elohim Gott und dem Eigennamen JHWH arbeitet.“ E. Zenger, Der Psalter, 23. Hervorhebung durch Kursivierung vereinheitlicht. Vgl. dazu auch C. Süssenbach, Psalter, 379. 175 Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 379. 176 Vgl. M. Millard, Komposition, 75. 177 Vgl ebd.; C. Süssenbach, Psalter, 379; J. v. Oorschot, Korachpsalmen, 418. 178 JHWH in 84,2.11; Elohim in 84,7.9; JHWH Elohim in 84,11 und JHWH Elohim Zebaoth in 84,1.3.8.12. 179 Vgl. J. Schaper, Studien, 27.29. 180 Vgl. M. Millard, Komposition, 74.

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Zionstheologie ist damit nicht nur in der kompositorischen Endgestalt der Korachpsalmen zentral, sondern gehört bereits zum Kernbestand.181 Die Singularpsalmen erfüllen eine rahmende Funktion (Ein- und Ausleitung) und bilden einen Einschub.182 Die Pluralpsalmen stellen M. Millard zufolge inhaltlich bei beiden Korachpsalmengruppen einen Übergang von der Klage zum Lob dar.183 Da der Wechsel zwischen Singular und Plural häufiger in den Psalmen zu finden ist, ist die Aussagekraft dieser Beobachtung in Hinblick auf literarkritische Entscheidungen fraglich.184 Die Parallelstruktur werde, so M. Millard, besonders durch die Verwendung von Orakelmotiven an den Übergangsstellen deutlich.185 In Ps 46,11 beginnt mit dem Orakel der Zionsteil, in Ps 85,9 endet mit dem Orakel die Klage. Daher sei es ungewöhnlich, dass mit dem eingeschobenen Davidlied Ps 86186 eine Klage folge und auch Ps 45 erscheine als ein ungewöhnlicher Einschub, da er thematisch eher zu dem Zionsteil nach dem Orakel in Ps 85,9 passe.187 Dabei setzt M. Millard jedoch die Abfolge Klage – Orakel – Lob voraus, die als grundsätzlich problematisch angesehen werden kann.188 E. Zenger beschreibt dagegen die erkennbare Anordnung treffender als Wechsel zwischen Klage – Antwort (Gottes) – Klage.189 Sichtbar wird diese Anordnung darin, dass die Psalmen 181 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 266; C. Körting bezeichnet dagegen Ps 48 sogar als „Kerntext der Zionstheologie“. C. Körting, Zion in den Psalmen, 165. Vgl. Kap. 4.6. 182 Vgl. Dagegen J. Schaper, Studien, 26: Überlegungen zu einer ursprünglichen Selbständigkeit der Pluralpsalmen in den Sammlungen stoßen schnell an ihre Grenzen und verlieren die theologische Intention der Gesamtkomposition aus den Augen. 183 Vgl. M. Millard, Komposition, 74. 184 Dennoch ist es möglich, dass gerade in Ps 44 redaktionell singularische Einfügungen vorgenommen wurden, um den Bezug zu Ps 42/43 zu intensivieren. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 365. Anm. 185 Dabei lenkt er die Aufmerksamkeit auf die unterschiedliche Positionierung dieser Elemente innerhalb der Psalmen. Vgl. M. Millard, Komposition, 74. 186 E. Zenger verdeutlicht die Sonderstellung von Ps 86 durch die Zuordnung zu einer „armentheologischen Schicht“ und zeigt, dass er v. a. im Zusammenhang mit den beiden Davidsammlungen Ps 3–41 und Ps 51–71 verstanden werden will und zählt den Psalm daher zu Recht nicht zur zweiten Korachpsalmengruppen, in die er jedoch zumindest endkompositionell eingeschoben ist. Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 192 f. (Modell s. o.) 187 Bereits die Überschrift ‫„ תפלה לדוד‬Gebet Davids“ weist darauf hin, dass die Korachpsalmen in ihrer Abfolge durchbrochen werden. Ps 86 stellt eine Variation von Ps 85 dar und leitet durch Ps 86,9 zum nachstehenden Psalm über. Zwar verbindet das Motiv der Völkererschaffung Ps 86 und Ps 87, doch ist in letzterem nicht mehr davon die Rede, dass alle Völker JHWH anbeten (Ps 87,3–6), wodurch die Ankündigung in Ps 86 keine stringente Fortsetzung in Ps 87 findet. Auch Ps 45 unterbricht den Übergang von der Klage in Ps 44 zum Hymnus in Ps 46. Er berichtet von einer königlichen Hochzeit und verbindet dabei Motive menschlichen und göttlichen Königtums. Zur allegorischen Deutung des Ps 45 vgl. a. a. O., 69 f. 188 Vgl. dazu E. Zenger, Korachpsalmen, 186. Anm. 37. 189 Das vermeintliche Fehlen eines Danklieds in beiden Korachpsalmensammlungen, die sonst fast alle Gattungen umfassen, führt M. Millard auf die noch nicht gewendete Situation des Leids zurück, die er besonders in der ersten Korachpsalmengruppe für präsent hält, da dort die

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45–48 als Antwort auf die klagenden Psalmen 42–44 formuliert sind, wie zahlreiche Stichwortverbindungen zeigen.190 Dennoch erkennt M. Millard richtig, dass es sich bei Ps 45 und Ps 86 um nachträgliche Erweiterungen handelt. Ps 45 erfüllt eine thematisch verbindende Funktion, und kann mit E. Zenger zum einen als Kontrastbild zu Ps 44 verstanden werden, zum anderen als Vorbereitung auf den Lobpreis am Ende in Ps 46–48.191 Am plausibelsten ist daher, dass es sich bei Ps 45 um die Einfügung eines vorexilischen Lieds handelt, das ursprünglich dem Kontext einer königlichen Hochzeit entstammt und das in nachexilischer Zeit auf den JHWH-König und seine Zionsbraut umgedeutet worden ist.192 Auch Ps 86 ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein nachträglicher Einschub, der bei der Erweiterung des elohistischen Psalters zum messianschen Psalter Ps 2–89 eingefügt wurde.193 Eine weitere Ungereimtheit innerhalb der ersten Korachpsalmenabfolge ergibt sich durch Ps 49, den F.-L. Hossfeld sogar als dunklen Psalm bezeichnet und der nicht zu der hoffnungsvollen Perspektive des voranstehenden Bekenntnisses in Ps 48,15 zu passen scheint.194 Er stellt, ebenso wie Ps 88195, eine weisheitlich geprägte, sekundäre Erweiterung dar. Beide Psalmengruppen schließen dadurch Volksklage Ps 44 und die Antwort durch die Zions-/Hymnenpsalmen Ps 46–48 formgeschichtlich im Zentrum stehe. Vgl. M. Millard, Komposition, 75. 190 U. a. durch die Aufnahme von Ps 42,3.10; 43,3 in Ps 44,42 f., durch die Verwendung des seltenen Begriffs ‫ לחץ‬in Ps 42,10; 43,2 und Ps 44,25 und durch die Steigerung der Notsituation der ‫ נפש‬in Ps 42/43 zur Todesmetaphorik in Ps 44,24. Die Stichwortverbindungen können an dieser Stelle nicht im Einzelnen berücksichtigt werden. Hierfür vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 184. M. Millard sieht hier den formgeschichtlich ältesten Kern und auch B. Janowski stützt mit seinen Überlegungen zur Zionstheologie in Ps 46 und Ps 48 die Annahme, dass es sich hier um ältere Psalmen handle, da eine räumliche Symbolik des Zentrums vorherrschend ist. Vgl. M. Millard, Komposition, 75; B. Janowski, Wohnung des Höchsten, 60 f. 191 Dabei setzt er voraus, dass die „Tochter“ in Ps 45 die „Tochter Zion“ ist. Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 185. 192 Vgl. R. S.  Salo, Die judäische Königsideologie im Kontext der Nachbarkulturen, 164; C. Süssenbach, Psalter, 365 f. 193 Vgl. a. a. O., 379 f. Das legt auch die Spannung zu Ps 72,20 nahe. Vgl. M. Saur, Die Königspsalmen, 308 f. 194 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 299; C. Süssenbach, Psalter, 370. 195 Der letzte Psalm der zweiten Korachpsalmengruppe, Ps 88, besteht wiederum aus einer Klage. Wie am Anfang und in den Einschüben in der Mitte, finden sich auch am Ende der Psalmengruppen Psalmen im Singular. Der Überschrift nach handelt es sich bei Ps 88 jedoch nicht nur um einen Korachpsalm, sondern auch – wie ebenfalls Ps 89 – um einen Psalm eines sog. Esrachiden. Daher scheint es nicht unwahrscheinlich, dass auch Ps 88 nicht nur als Teil der zweiten, sondern auch als Teil des dritten Psalmenbuches gelesen werden kann. Verfolgt man den Gedanken einer auf das dritte Psalmenbuch angelegten Edition weiter, kann vor diesem Hintergrund auch verständlich werden, dass sich im eingeschobenen Davidpsalm, Ps 86, in der Mitte Weisheits- und Dankliedelemente finden. Weisheitliche Elemente finden sich auch in Ps 84. Lediglich Ps 85 und Ps 87 bleiben als Psalmen vor der Edition bestehen. Vgl. M. Millard, Komposition, 73. Ps 49 knüpft an das Völkerthema aus Ps 48 an, der wiederum mit der Todesthematik in 48,15 zur Klage über die Vergänglichkeit in Ps 49 überleitet. Das Thema Tod / Sterben verbindet letztlich auch Ps 49 mit Ps 88. Vgl. a. a. O., 74.

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mit einem stark weisheitlich geprägten, klagenden Psalm ab. Zahlreiche Gründe sprechen ferner dafür, auch die verbindenden Verse Ps 48,10–12 nicht zum ursprünglichen Textbestand zu zählen.196 Über den ähnlichen Aufbau der beiden Korachpsalmengruppen hinaus, sind noch weitere Gemeinsamkeiten der zweiten mit der ersten Korachpsalmengruppe, die hier zumindest zusammenfassend thematisiert werden sollen, erkennbar. Die beiden Anfangspsalmen der zweiten Komposition Ps 84 und 85 sind analog zu Ps 42–44 konzipiert (Kap. 2.3.3). So verweisen die Psalmen 85 und 44 mit ‫רצה‬ (Ps 85,2; 44,4) auf die Hinwendung Gottes, hoffen auf seine ‫( חסד‬Ps 85,11; 44,27) und damit das Ende seines Zorns.197 Erfährt man in Ps 42 f. nur wenig über die konkrete Situation (42,10; 43,2: Feinde; 43,1: untreues Volk, Lügner), wird Ps 44,10 mit dem Bericht einer militärischen Niederlage etwas konkreter.198 Da Ps 85 die Sündenvergebung vor dem Hintergrund der Rückkehr aus dem Exil geschichtlich reflektiert (85,2 f.) und zu der negativen Gegenwartssituation in Kontrast stellt, nimmt M. Millard eine frühnachexilische Datierung von Ps 85 an. Folgt in Ps 85 auf die Bitte ein Heilsorakel (85,9 ff.), das die Wendung der misslichen Lage ankündigt, steht in Ps 44 nach der Bitte der Hinweis, dass Lob und Dank das tägliche Verhalten gegenüber Gott ist. Damit geben beide Psalmen bereits den Ausblick auf den weiteren hymnischen Verlauf der Komposition der Korachpsalmengruppen.199 Der Zionshymnus in Ps 87 ist als Antwort auf die Klage in Ps 84 f. zu verstehen, analog zu Ps 45–48, welche die Antwort auf Ps 42–44 darstellen. Die analoge Gestaltung von Ps 84 zu Ps 45–48 wird durch Stichwortverbindungen deutlich.200 Zudem sind kontrastreiche Bezüge zwischen Ps 84 und Ps 88 erkennbar, indem Ps 88 die Erwartungen aus Ps 84 f., an die Ps 88 sprachlich anknüpft, mit der erlebten Realität konfrontiert.201 Zudem sind Gemeinsamkeiten zwischen Ps 88, Ps 42/43 und Ps 49 erkennbar. Trotz des ähnlichen Aufbaus und der zahlreichen intertextuellen Bezüge innerhalb der beiden Sammlungen, warnt E. Zenger vor einseitigen Redaktionszuschreibungen. Zudem spreche die ebenfalls auffällige Strukturanalogie zu den älteren Asafpsalmen dafür, dass auch diese bei der Redaktion eine Rolle gespielt haben.202 196 Eine Liste der Gründe bzw. Stichwortverbindungen findet sich bei E. Zenger, Korachpsalmen, 191 f. 197 Vgl. ebd. 198 Die Verse 12 und 13 berichten dann noch detaillierter von dem Verkauf Israels und der Zerstreuung unter den Heiden, wodurch deutlich wird, dass hier auf die Exilszeit zurückgeblickt wird, weshalb diese den frühestmöglichen Verfassungszeitraum für den Psalm darstellt. Vgl. M. Millard, Komposition, 66–68. Zur Möglichkeit diese militärischen Auseinandersetzungen literarkritisch zu deuten vgl. W. Beyerlin, Innerbiblische Aktualisierungsversuche, 446–460. 199 Vgl. M. Millard, Komposition, 67 f. 200 Diese können hier aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden. Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 188. 201 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 189. 202 Hierfür sprechen auch einzelne Stichwortverbindungen. Vgl. ebd.

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Im Folgenden soll nun Ps 42/43 zunächst innerhalb der ersten Korachpsalmengruppe und dann in Hinblick auf seine Funktion für die gesamte Korachpsalmenkomposition näher betrachtet werden. Schließlich wird auch der auffällige Ps 42,9 noch einmal unter redaktionskritischer Perspektive in den Blick genommen.

2.3.2 Ps 42/43 innerhalb der Korachpsalmen Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass die Klagepsalmen 42–44 als thematische Steigerung zu verstehen sind. So erkennt u. a. E. Zenger, dass die drei Klagen Ps 42,3.10; 43,3 in Ps 44,24 f. terminologisch durch ‫תסתיר‬, ‫פניך‬, ‫ זנח‬und ‫שכח‬ aufgegriffen werden.203 Weitere Ähnlichkeiten bestehen in der doppelten Frage mit ‫למה‬, die sich sowohl in Ps 44,24 f. als auch in Ps 42,10 f. und Ps 43,2 findet. Die Bedrohung durch die Feinde wird allein in Ps 44,25 und in Ps 42,10 und Ps 43,2 durch den Ausdruck ‫ לחץ‬beschreiben.204 Sind es in Ps 42/43 noch die internen Auseinandersetzungen zwischen ‫ לא־חסיד‬und ‫( חסיד‬Ps 43,1), wahrscheinlich innerhalb des Priestertums (Kap. 2.2), geht es in Ps 44 um die Feindbedrohung von außen (Ps 44,10 f.), vor der allein der Gott Jakobs retten kann (Ps 44,5–9). Die Situation der Gottesferne und Todesbedrohung der ‫נפש‬, die in Ps 42/43 Thema ist, ist in Ps 44,26 in Anbetracht der äußeren Feinde dramatisch gesteigert, indem die ‫ נפש‬sich dort in Staub auflöst. Vor dem Hintergrund dieser Krise des Königtums mündet die doppelte Klage Ps 42–44 in die Hoffnung auf Gott als „auf dem Zion offenbarwerdender Völkerkönig (Ps 45–48)“205. Die Verkündigung der Königsherrschaft Gottes auf dem Zion in Ps 45–48, die durch die Stichworte ‫מלך‬ („König“) in Ps 44,5 und ‫„( אדון‬Herr“) in Ps 44,24 vorbereitet wird, findet in der direkten Gottesrede in Ps 45 f. ihre Verstärkung (Ps 45,12).206 Ps 45 kann auf die schöne Tochter Zion hin gedeutet werden und bildet einen Kontrast zu dem von anderen Völkern bedrängten und klagenden Volk in Ps 44.207 Durch den letzten Vers in Ps 45,18 (‫ )על־כן עמים יהודך לעלם ועד׃‬wird der Lobpreis durch die Völker angekündigt und dadurch zu Ps 46–48 übergeleitet. Es wird deutlich, dass Ps 45 eine Brückenfunktion bei der Überleitung von der doppelten Klage (Ps 42–44) zu dem Hymnus (Ps 46–48) einnimmt. Ps 45–48 formuliert eine Antwort auf die Situation der Bedrängung, indem sich die Klage über die äußere Feindbedrängung mit der Rede vom Zionsgott als König208 auflöst, die in der abrahamitischen Zi

203 Vgl. a. a. O., 184. 204 In Ps 56,2; 106,42 findet sich die Verbform von ‫לחץ‬. 205 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 266. 206 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 183. 207 Vgl. R. S.  Salo, Königspsalmen, 204. 208 Vgl. dazu R. Müller, Wettergott, 181–200; S. W.  Flynn, JHWH is King, 35–72.

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onstheologie in Ps 47 als Höhepunkt und Achse ihren Mittelpunkt hat.209 Ps 49 unterbricht die Thematik aus Ps 45–48 mit einer weisheitlichen Vergänglichkeitsklage, nimmt aber durch den universalen Aufruf in Ps 49,2 die Völkerperspektive der Ps 44–48 auf und ist durch den Schluss in Ps 48,15 über den Begriff ‫ מות‬mit diesem verknüpft (Ps 45,15).210 Nicht nur zu den voranstehenden Psalmen steht Ps 49 in Bezug, auch zu Ps 42–44 stellt er eine Verbindung her, indem er die Sehnsucht der ‫ נפש‬erneut thematisiert. Ps 49 greift innerhalb der Vergänglichkeitsklage in Ps 49,16 zudem die Hoffnung aus Ps 42/43 und die gesteigerte Notsituation in Ps 44,26 auf, indem dort die Erlösung der ‫ נפש‬aus der Scheol durch Gott beschrieben wird.211 Trotz der negativen Weisheitsklage in Ps 49 wird damit eine hoffnungsvolle Perspektive in Ausblick gestellt.212 Eine weitere Verbindung von Ps 49 zu Ps 42/43 besteht in der Aufnahme der ‫„( כנור‬Leier“) aus Ps 43,4 in Ps 49,5 und in der Stichwortverbindung ‫ פדה‬zwischen Ps 49,9.15 und Ps 44,27b. Anhand der vielfältigen Rezeption von Ps 42–48 lässt sich ablesen, dass Ps 49 als abschließende Antwort auf die doppelte Klage in Ps 42–44 verstanden werden will und damit eine Interpretationsanleitung für die voranstehenden Psalmen liefert: Während das Bemühen um Selbsterlösung scheitern muss (V. 8), kann der Beter darauf vertrauen, dass Gott ihn in Erfüllung der Bitte von 44,27 (‫ )ופדנו למען חסדך‬aus den Fängen der Scheol rettet (‫אלהים יפדה נפשי‬, V 16). Wie dieser Überschritt vom Tod zum Leben geschieht und die ‫ נפש‬der JHWH-Treuen erlöst wird, haben Ps 42–48 gezeigt: durch das Pilgern an den Ort, an dem der lebendige und lebendig machende Gott wohnt und im Miteinander des neu gesammelten Gottesvolkes angebetet wird.213

Es wird ein Verweissystem sichtbar, durch welches die Klage des Einzelnen (Ps 42/43), ausgebaut zu einer Volksperspektive (Ps 44) und vor dem Hintergrund der Wirksamkeit Gottes als König des Zion (Ps 45–48), in einer Weisheitsklage reflektiert wird (Ps 49). Ps 42/43 ist sowohl im Horizont einer universalen Pers 209 Neben diesem planvollen Gesamtaufbau, in den Ps 42/43 verwoben ist, können im Anschluss an E. Zenger einige redaktionskritische Beobachtungen zu Ps 48 festgehalten werden: Zum einen sprechen in Hinblick auf Ps 48,10–12 mehrere Anzeichen für eine redaktionelle Bearbeitung, von denen nur einige exemplarisch genannt werden sollen, wie der Personenwechsel von der dritten in die zweite Person und das dort eingeschobene, vom restlichen Psalm divergierende Tempelbild sowie die Rede von der ‫ חסד‬Gottes (in V. 2–4.13–15 königliche Macht JHWHs, dagegen in V. 10 ‫)חסד‬. Zudem erkennt E. Zenger, dass sich Ps 48,10–12 an Themen und Wendungen aus den Ps 44.46 orientiert: Ps 44,6.9 (Thema: „Macht des Namens“), 44,27 (‫)חסד‬ und Ps 46,10 (‫)עד־קצה הארץ‬. Es zeigt sich in Ps 48,10–12 dadurch eine Erweiterung, die ein Interesse an der Verwebung der Motive aus Ps 44.46 erkennen lässt. Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 190–196. 210 Vgl. ebd. Ps 49 übernimmt die Überschrift von Ps 47,1 und wendet sich, wie Ps 47,2 an ‫כל־העמים‬. Vgl. M. P.  Maier, Gottesberg, 663. 211 Vgl. J. Schnocks, Psalmen, 24 f; Ders., Konzeptionen der Übergänge vom Leben zum Tod und vom Tod zum Leben, 328. 212 Vgl. a. a. O., 26 f. 213 M. P.  Maier, Gottesberg, 664.

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pektive (Ps 44) als auch vor dem Hintergrund der Vorstellung Gottes als König auf dem Zion zu lesen (Ps 45–48), der den Einzelnen aus Ps 42/43 in Anbetracht der Verborgenheit Gottes in eine weisheitliche Krise führt (Ps 49). Thematisch ist erkennbar, dass die in Ps 42/43 und 49 formulierten anopologischen Grundfragen der Anfeindungen und Gottesferne in ein Gespräch mit den großen Themen der israelitischen Zions-und Tempeltheologie gebracht werden, wie sie in dem Triptychon Ps 46–48 zum Ausdruck kommen.214

Die Stellung von Ps 42/43 verdeutlicht dessen Funktion als Einleitung für die Verarbeitung der Krise des Priestertums und Königtums und führt in das Thema Zion ein, das in eine weisheitliche Perspektive gestellt wird. Die Komposition geht durch die sich anschließenden Asafpsalmen in eine größere Kosmologie über und bettet das Schicksal des Einzelnen darin ein. Dadurch wird die Thematik universalisiert in einen neuen Gebetszyklus in die zweite Korachpsalmengruppe überführt (Ps 84). Der Konflikt um die Legitimität der Korachiten, der hinter der literarhistorischen Vergangenheit von Ps 42/43 vermutet werden kann, ist durch die Voranstellung des Doppelpsalms als Auftakt der Korachpsalmengruppen und mit ihrer Aufnahme als rahmende Kompositionen beigelegt und die Integration der Korachiten gelungen (Kap. 2.2).215 Das intertextuelle Verweissystem wird vervollständigt, berücksichtigt man die redaktionelle Bearbeitung von Ps 42/43 durch die Hinzufügung von Ps 42,9 im Zuge der Einfügung von Ps 88,216 sodass sich ein zu repetitierender Lesezyklus nahelegt.217 Dieser Spannungsbogen soll im Folgenden näher betrachtet werden.

2.3.3 Ps 42/43, Ps 84 und Ps 88 Nach der Einleitung der Psalmengruppen durch Ps 42 f. und Ps 84 erfolgt ein Numeruswechsel vom Singular zum Plural, wodurch sich bei beiden Sammlungen zum einen der Schritt vom Individuellen ins Kollektive abzeichnet, zum anderen stellt bspw. die ‫ נפש‬in Ps 84/42 f, die sich nach der ‫( בית‬Ps 84,5; 42,5) des

214 B. Janowski, Auf dem Weg zur Buchreligion, 232. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 215 Die rechtmäßige Integration der Korachiter ist bei der Anfügung der zweiten Korach­ psalmengruppe, die zeitnah um den ersten Davidpsalter ergänzt wurde, vorausgesetzt. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 384. 216 E. Zenger verweist zudem in diesem Zshg. auf den kolometrischen Überschuss in Ps 43,4, den er durch die Wendung ‫ אל־אל שמחת גילי‬erzeugt sieht. Vgl. dazu ders., Korachpsalmen, 192; Kap. 2.1. 217 Vgl. L. S.  Christensen, Homo, 61.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

‫( אל־חי‬Ps 84,4; 42,3.9) sehnt, ein verbindendes Element dar.218 Weiterhin haben die

beiden Anfangspsalmen die Eigenschaft als Individualgebet und die Themen Gottessehnsucht und Wallfahrt gemeinsam.219 Analog zu Ps 42/43 lässt Ps 84 eine auf das Zionsheiligtum ausgerichtete Bewegung erkennen, „die sowohl eine emotionale (Sehnsucht: V.2–5) wie eine reale Bewegung (Wallfahrt: V.6–8) ist.“220 Zudem finden sich verstärkt weisheitlich geprägte Redewendungen, die in Verbindung mit der Wallfahrtsthematik stehen, wie in Ps 84,6 deutlich wird:221 „Glücklich ist der Mensch, dessen Stärke in dir liegt: Wege sind in seinem Herzen.“222 Es liegt daher nahe, dass Ps 84,6.13 von Ps 49,7.13 inspiriert sind und eine wahrscheinlich nachträglich vorgenommene Verknüpfung darstellen.223 Es wird bei der Zusammenschau der Parallelen und Berücksichtigung der in Ps 84,6.13 mit ‫ אדם‬redaktionell vorgenommen Universalisierung deutlich, dass die akute Notsituation des Beters aus Ps 42/43 zu Beginn der zweiten Korachpsalmengruppe in eine für den Menschen an sich hoffnungsvolle Perspektive eingebunden wird. Diese ist explizit mit dem Tempel verbunden, wie ein Blick auf die entsprechenden Belegstellen zeigt (Ps 42,5b.c; 43,3 f; Refrain in Ps 42,6.12; 43,5). An diese Wallfahrtsthematik knüpft Ps 84,7 f. bildlich mit der Talwanderung an, die durch ein von dem Zionsgott fruchtbar gemachtes Tal verläuft, das im Kontrast zur Situation der Dürre in Ps 42,2 f. und den Urfluten in Ps 42,8 steht (Ps 84,7 f.):224 7 Wenn sie durch das Baka-Tal wandern, macht er (JHWH) es zur Quelle, ja, als Segen umhüllt der Frühregen. 8 Sie wandern von Kraft zu Kraft, er möge erscheinen vor Gott in Zion. Sie wandern von Kraft zu Kraft, er möge erscheinen vor Gott in Zion.225 218 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 187. 219 Vgl. u. a. J. Schaper, Studien, 29. 220 B. Janowski, Buchreligion, 230 f. Hervorhebungen aus dem Original übernommen. 221 Durch den Vergleich des Wohnens im Tempel mit dem Nisten eines Vogels in 84,4 f. wird deutlich, dass das Wohnen im Tempel eine gewisse Selbstverständlichkeit hat, sodass mit M. Millard angenommen werden kann, dass der Psalm in die Zeit des Zweiten Tempels datiert werden muss. Er hält ferner für die Eröffnungspsalmen der beiden Korachpsalmengruppen fest: „Die Eröffnungspsalmen bleiben insgesamt recht unkonkret. Es gibt nur wenige Hinweise auf die Situation, die vorausgesetzt ist. Insgesamt bestimmt der Ton der Klage die Einführung.“ M. Millard, Komposition, 66. Wobei Ps 84 genauer als „Bittpsalm“ zu bezeichnen wäre (s. u.). 222 Vgl. ebd. Das Suffix „seinem Herzen“ bezieht sich auf den „Menschen“ und muss daher im Singular übersetzt werden. 223 Die literarkritische Brisanz von Ps 84 wird laut E. Zenger v. a. durch die plötzliche Universalisierung der Seligpreisungen in V. 6.13 durch ‫אדם‬, durch die ungewöhnliche Abfolge von V.5.6 sowie durch die Fortsetzung des bereits in V. 12 erreichten Abschlusses mit V. 13. Für weitere literarkritische Argumente zu Ps 84 vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 192. 224 Vgl. M. Millard, Komposition, 65. 225 Übersetzung aus M. Millard, Komposition, 64. Millard merkt selbst an, dass es sich hierbei um eine unsichere Textpassage handelt. Die Übersetzung „er möge erscheinen“ ist angelehnt an den Sprachgebrauch in Ex 23,17. Überaus interessant ist in diesem Zshg. auch die Beobachtung Millards, dass es sich in Ex 34,23 und Dtn 16,16 um ähnliche Formulierungen

Kontextuelle und redaktionskritische Einordnung 

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In der Zusammenschau von Ps 42/43 und Ps 84 werden die Betrachtungen der ersten Korachpsalmengruppe (Kap. 2.3.2) dahingehend bestärkt, dass mit ihnen „die Existenz des Menschen […] auf dem Hintergrund der traditionellen Tempeltheologie beschrieben und neu bestimmt“226 wird. Das Neue ist dabei in der weisheitlichen Ausgestaltung der Tempeltheologie zu sehen, die nun, im Rückblick auf die Katastrophe 587 v. Chr. um anthropologische Aspekte erweitert wird.227 Dies zeigt auch die enge Verknüpfung mit Ps 88, der als letzter Psalm der zweiten Korachpsalmengruppe mit Ps 42/43 den gesamtkompositorischen Rahmen bildet und in Ps 88,5 eine auffällige Parallele zu Ps 42,2 aufweist, mit welcher der anthropologische Ausbau der Tempeltheologie verstärkt wird (Ps 88,5): 5 Ich bin denen gleich geachtet, die in die Grube fahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat.

Beide Verse bestehen aus einem Vergleich, ‫ כאיל‬bzw. ‫כגבר‬. Dabei sieht J. Schaper in der Verwendung des gleichen Konsonantenbestandes durch das Wort ‫ איל‬ein bewusstes Wortspiel mit den Begriffen „Hirschkuh“ und „Kraft“.228 Durch diese Wechselbeziehung steigert sich die Kraftlosigkeit der „lechzenden Hirschkuh“ bzw. „Lebenskraft“ und das „Lechzen über versiegenden Bächen“ wird umgekehrt für die in die Grube Gefallenen bzw. für den kraftlosen Mann assoziiert. Eine weitere Parallele findet sich in Ps 88,2 f., der durch die Tag-Nacht-Motivik stark an Ps 42,9 erinnert: 2 JHWH, Gott meiner Rettung, bei Tage schreie ich, des Nachts stehe ich vor dir. 3 Mein Gebet gelange zu dir, neige dein Ohr meinem Schreien.

Die Erweiterung um Ps 42,9, die den Gegensatz Kosmos / Chaos229 ausgestaltet, verknüpft die Korachpsalmengruppen, die durch den Gebetsbegriff eine Art Gebrauchsanweisung erhalten (Kap. 2.3.4 und 3.2.13). Zusätzlich zu der Verbindung von Ps 42/43 mit Ps 84 und Ps 88, kann ein weiterer Konnex zwischen Ps 88 und Ps 84 erkannt werden, der sich mit E. Zenger zusammenfassend wie folgt beschreiben lässt: Die Psalmen 84 und 88 präsentieren sich selbst als Bittgebete (vgl. das Stichwort ‫תפלה‬ (Gebet) in Ps 84,9; 88,3.14) einer Seele (‫נפש‬: 84,3; 88,4.15), die sich danach sehnt und danach schreit (84,3c; 88,2b.10b.14a), das rettende Angesicht JHWHs zu schauen (84,8b; 88,3a.15b), ihn als Sonne (84,12) zu erfahren, die am Morgen das Licht bringt und der Finsternis ein Ende setzt (88,14 im Kontext von 88,2.7.13.19). Die beiden l

handelt, wobei dort die Präposition ‫ אל‬fehlt, die Ex 23,17 und Ps 84,8 gemeinsam ist. Daher legt sich die Vermutung nahe, dass es sich um einen durch das Wallfahrtsthema veränderten Sprachstil handelt. 226 B. Janowski, Buchreligion, 233. 227 Vgl. ebd. 228 Ein ähnliches Wortspiel findet sich auch in Ps 22,1.20. Vgl. J. Schaper, Studien, 30. 229 Vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit und Epiphanie des Heils, 174.183.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

Psalmen bilden dadurch einen kontrastiven Zusammenhang, daß Ps 84 eine Seele zeigt, die von Kraft zu Kraft wandert (84,8), während Ps 88 eine Seele zeigt, die von sich sagt, daß sie wie ein Mann geworden ist, in dem keine Kraft mehr ist (88,5). Beide Psalmen sind einerseits von der Dialektik Tod-Leben bestimmt: Ps 84 ist eine Sehnsuchtsklage nach dem lebendigen El, d. h. nach dem lebendigmachenden Gott; Ps 88 ist ein Schrei aus dem als Totenreich empfundenen Leben.230

Die Sehnsucht nach dem rettenden „Angesicht Gottes“, die in Ps 42,3b als bestimmendes Thema eingeführt wird, stellt den verbindenden Bogen zur Ein- und Ausleitung der zweiten Korachpsalmengruppe dar und bildet den Rahmen der beiden Gruppen. Durch den Rückverweis von Ps 88 an den Anfang der Korachpsalmen, wird deutlich, dass diese nicht als einmalige und einzelne Gebete, sondern als zu repetitierendes Kompendium zu verstehen sind, die einer inhaltlichen Dramaturgie folgen. Diese ist besonders von der Verschmelzung der Themen Sehnsucht und Wallfahrt, wie sie in der „Angesicht Gottes“-Terminologie zum Ausdruck kommt geprägt sowie von der weisheitlichen Ausgestaltung, die vor dem Hintergrund traditioneller Tempeltheologie erfolgt und die dadurch eine Transformation erfährt. Das „Angesicht Gottes“ verdeutlicht dabei zum einen das anthropologische Primat der personellen Beziehung zu Gott, zum anderen die Gebundenheit an den Tempel (Kap. 3.2.3, 4.2.1, 4.2.5.2, 4.6.4). Es handelt sich um eine Verlagerung der kultisch-rituellen Vollzüge in den mentalen Bereich: Was ehemals auf die Gottesbegegnung im Rahmen kultisch-ritueller Vollzüge gemünzt war, das ereignet sich nach den Psalmen, die vom Angesicht JHWHs sprechen, im Kontext mentaler Vorgänge, die nicht weniger konkret sind als materielle Kulthandlungen. Die Begegnung mit dem Tempelgott erscheint danach als mentale Szenerie, die sogar, wie Ps 42/43 und 84 zeigen, fern vom Tempel stattfinden konnte.231

Dies unterstreicht auch die Stellung der Individualpsalmen Ps 42/43; 49; 84; 88 an zentralen, rahmenden Stellen und die weisheitliche Färbung von Ps 49 und Ps 88, die zeigen, dass Ps 42/43 in der vorliegenden Kompositionseinbindung ein Teil einer „meditativen Lebenslehre“232 darstellt.233

230 E. Zenger, Der Psalter, 23. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Vgl. auch J. Schaper, Studien, 32. 231 B. Janowski, Buchreligion, 242 f. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 232 E. Zenger, Korachpsalmen, 192. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 233 Vgl. L. S.  Christensen, Homo, 61. Zur Stellung von Ps 42/43 innerhalb des gesamten Psalters vgl. Kap. 4.8.

Kontextuelle und redaktionskritische Einordnung 

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2.3.4 Ps 42,9 Es ist in den Formbeobachtungen zu Ps 42/43 deutlich geworden, dass Ps 42,9 eine Spannung im Textverlauf erzeugt (Kap. 2.2).234 Dabei spielt die Einbettung des Psalms zwischen den Nachbarversen V. 8.10 eine ausschlaggebende Rolle, da diese die Bedrohung des Beters und seine Gottverlassenheit ausdrücken, die zu der vertrauensvollen Aussage in V. 9 im Kontrast zu stehen scheinen, weshalb einige Forscher vorschlagen, V. 9 als sekundären Zusatz zu betrachten. Die textkritischen Beobachtungen haben gezeigt, dass die verschiedenen Vorschläge, diese Spannung durch Emendationen einzelner Versabschnitte zu lösen, aufgrund mangelnder textkritischer Anhaltspunkte abzulehnen sind (Kap. 2.1). Ein Lösungsvorschlag, der ohne Emendationen auskommt, stammt von T. Dockner, der davon ausgeht, dass es sich bei dieser Spannung um einen bewussten Stilwechsel handelt.235 Er sieht einen ständigen Wechsel zwischen Vertrauensaussage und Klage in Ps 42/43: Ps 42,6 (Vertrauen) → Ps 42,7 (Klage) Ps 42,8 (Klage) → Ps 42,9–10a (Vertrauen) → Ps 42,10b–11 (Klage) Ps 43, 2a (Vertrauen) → b–c (Klage)236

Dabei fällt jedoch auf, dass dieser Wechsel nicht zwischen Ps 42,12 und Ps 43,1 durchgehalten wird und auch die von T. Dockner ausgemachten Wechsel zwischen Ps 42,6 und Ps 42,7 sowie zwischen Ps 42,10a und Ps 42,10b und innerhalb des Ps 43,2 sind nicht eindeutig. Im ersten Fall kann der Refrain in V. 6 als Strophenabschluss und V. 7 als neuer Einsatz verstanden werden,237 im zweiten Fall stellt sich eine sinnvolle Abfolge dar, indem V. 10a durch die Redeeinleitung „Ich spreche zu Gott, meinem Fels“ die positive Gotteserfahrung mit der Notlage in der Gegenwart kontrastiert, die in der Klage in V. 10b ausgesprochen wird. Im dritten Fall ergibt ebenfalls die Kontextbetrachtung ein relativierendes Bild, denn Ps 43,2a stellt die Begründung für Ps 43,2b.c dar. Entgegen T. Dockner ist die Einbettung von Ps 42,9 zwischen Ps 42,8.10 daher nicht als Ausdruck eines durchgängig gestalteten Wechsels, sondern als inkohärent zu bewerten. Vielleicht versucht Ps 42,9 vielmehr eine Harmonisierung zwischen dem Erinnerungs-Selbstaufforderungs-Vorgang (V. 5–7) mit der Notschilderung (V. 8) und dem Perspektivwechsel mit den direkt an Gott gerichteten Klagen (V. 10 f: Gott-Klage; Ich-Klage; Feind-Klage) herzustellen, die in die erneute Selbstaufforderung in V. 12 mündet. Durch V. 9 erscheinen die folgenden, an Gott gerichteten Klagen als das angekündigte Gebet (‫ )תפלה‬und unterstreicht damit eine redaktionelle Einfügung des

234 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 20; A. Deissler, Psalmen, 175. 235 Vgl. T. Dockner, „Sicut cerva…“, 27. 236 Ebd. 237 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 235.

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Ps 42/43 – Text, Form und kontextuelle Einordnung  

Verses. Formal ergäbe sich durch eine Streichung von V. 9, abzüglich des Einleitungsverses, eine sinnvolle 3-Teilung des Psalms 42/43 (42,1: Überschrift; 42,2–6: 1. Strophe; 42,7–11 [=42,7.8; 42,10.11.12]: 2. Strophe; 43,1–5: 3. Strophe). Ein weiterer Grund für die Annahme einer redaktionellen Einfügung des Verses besteht in der Verwendung des Gottesnamen ‫„( יהוה‬JHWH“), der nur an dieser Stelle in Ps 42/43 vorkommt.238 Es besteht zwar die Möglichkeit, die Verwendung des Gottesnamens als bewusstes Stilmittel zu verstehen und nicht als redaktionelle Bearbeitung, doch dass es sich um Letztere handelt, wird durch die Beobachtung gestützt, dass die Gottesbezeichnung ‫„( אלהים‬Elohim“) in Ps 42–83 mit 245239 Mal überwiegt, wohingegen der Gottesname ‫„( יהוה‬JHWH“) nur 45240 Mal Verwendung findet.241 Zudem kann neben der Parallelisierung von Ps 42,9 und Ps 50 (Kap. 2.2) mit Ps 88,2 f. eine weitere Stelle angeführt werden, die eine nachträgliche Erweiterung im Rahmen der Anfügung der zweiten Korachpsalmengruppe an den „elohistischen Psalter“ plausibilisiert (Kap. 2.3.3). Es liegt daher nahe, dass im Zuge der Einfügung des Schlusspsalms der Korachpsalmengruppen (Ps 88) – sowie der Voranstellung von Ps 50 – eine Anknüpfung an den einleitenden Psalm der Korachpsalmen (Ps 42/43) hergestellt werden sollte und Ps 42,9 eine redaktionelle Erweiterung im Rahmen dieser Verbindung darstellt.242 Dafür sprechen nicht nur die strukturellen Überlegungen zu Ps 42/43 und der Gottesname ‫„( יהוה‬JHWH“), sondern ferner die Anspielung auf die Tag-Nacht-Metaphorik und die Stichwortverbindung zu Ps 88 mit ‫תפלה‬ („Gebet“), welches den hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis der Gesamtkomposition als Gebetszyklus liefert. Das Fehlen des hymnischen Schlusses am Ende der zweiten Korachpsalmengruppe erklärt sich dadurch, dass der Gedanke eines repetitiven Gebetsprozesses im Hintergrund steht, der in einem sich wiederholenden Wechsel von Klage und Lob besteht. Besonders die Notsituation des Einzelnen ist dabei repräsentativ für die Dissonanz zwischen Gottesnähe und -ferne und scheint dadurch Auslöser eines immer von neuem beginnenden Gebetskreislaufs zu sein.

238 Vgl. a. a. O., 236. 239 Ps 42,2–7.11–12; 43,1–2.4–5; 44,2.5.9.21–22; 45,3.7–8; 46,2.5–6.8.11–12; 47,2.6–10; 48, 2.4.9–11.15; 49,8.16; 50,1–3.6–7.14.16.23; 51,3.12.16.19; 52,9–10; 53,2–3.5–7; 54,3–6; 55,2.15.17. 20.24; 56,2.5.8.10–14; 57,2–4.6.8.12; 58,7.12; 59,2.6.10–11.14.18; 60,3.8.12.14; 61,2.6.8; 62,2.6 .8–9.12; 63,2.12; 64,2.8.10; 65,2.6.10; 66,1.3.5.8.10.16.19–20; 67,2.4.6–8; 68,2–11.16–19.22.25. 27.29.32–33.35–36; 69,2.4.6–7.14.30–31.33.36; 70,2.5–6; 71,4.11–12.17–19, 22; 72,1.18; 73,1.26. 28; 74,1.10.22; 75,2.8; 76,2.10; 77,2.4.17; 78,10.31.35.56.59; 79,1; 80,4.5.8.15.20; 82,1.6.8 240 Ps 42,9; 46,8–9.12; 47,3.6; 48,2.9; 50,1; 54,8; 55,23; 58,7; 59,4.6.9; 68,17.27; 69,7.14.17.34; 70,2.6; 71,1.5.16; 72,18; 73,28; 74,18; 75,9; 78,4.21; 79,5; 80,5.20; 81,11.16; 83,17.19; 83,2.13. 241 Zur Zählung vgl. C. Rösel, Redaktion 22. Aus diesem Tatbestand leitet eine Vielzahl an Wissenschaftlern die These von einem „elohistischen Psalter“, bzw. einer „elohistischen Redaktion“ ab. Vgl. E. Zenger, Einleitung, 449. 242 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 192; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 266.

Kontextuelle und redaktionskritische Einordnung 

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Es bestätigt sich die literarhistorische Einordnung von Ps 42,9 in den Kontext der Zusammenstellung der David-Asaf-Komposition mit der zweiten Korachpsalmengruppe (Kap. 2.2 und 2.3.1).243 Ps 42/43 generiert durch die Kontextverbindungen des Endtextes einen erweiterten Sinn, den es in die folgenden Überlegungen mit einzubeziehen gilt.

243 Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 382.

3 Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

3.1 Die Frage nach Selbstreflexion auf sprachlicher Ebene Nachdem die Textbasis geklärt und die literarische Einordnung des Psalmes innerhalb der Korachpsalmen vorgenommen wurde, können die Eingangs formulierten Fragen an den Text herangetragen werden, der sich für einer Untersuchung der Ich-Sphäre vornehmlich eignet: „Es handelt sich um ein Klage- und Bittgebet, wobei der Beter auffallender Weise nicht nur in einen Dialog mit seinem Gott, sondern auch mit sich selbst, seiner Seele, tritt (Refrain als Selbstgespräch).“1 Wie wird dieses Selbstgespräch in Ps 42/43 sprachlich gestaltet? Wird eine Ich-Sphäre im Sinne einer Selbstreflexion des Beters (innerhalb der Leibs-/ Sozialsphäre und Gottesbeziehung) auf sprachlich-syntaktischer Ebene deutlich?2 Dabei soll versweise untersucht werden, ob Selbstreflexion sprachlich mit Hilfe syntaktisch-reflexiver Satzstrukturen und Personalpronomen, bzw. der Verbform der 1.Pers.Sg.com. in Ps 42/43 expliziert wird (Kap. 1.4.2).3 Bei dieser Analyse gilt es zudem zwischen der Ebene der Textbeobachtung und der hermeneutischen Ebene der Textrezeption zu unterscheiden und die verschiedenen Dimensionen der Ich-Sphäre voneinander zu trennen:4 1. Autor, 2. Beter / betendes Ich, 3. Nachbeter / historischer Rezipient, 4. Heutiger Leser. Der Autor artikuliert seine konzeptionelle Ich-Sphäre in der Figur des Beters und schafft dadurch eine überindividuelle Identifikations-Vorlage (für den historischen Rezipienten und den heutigen Leser). Er konstruiert mit der Figur des Beters eine fiktionale Ich-Sphäre, die sich im Text als projektive Ich-Sphäre manifestiert und in die sich der Nachbeter / historische Rezipient integriert, indem er das Gebet gemeinsam mit dem betenden Ich vollzieht. Diese fiktionale Ich-Sphäre soll in diesem Kapitel anhand der literarisch durch Pronominalkonstruktionen und Verbformen der 1.Pers. Sg.com. konstituierten, projektiven Ich-Sphäre, erfasst werden.

1 B. Weber, Psalmen I, 199. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 2 Die Selbstreflexion dient der Selbstintegration innerhalb der Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung (Kap. 1.3). 3 Vgl. E. Jones, Reflexivity, 412. 4 Ausführlich in Kap. 1.3.3.

Vers für Vers

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3.2 Vers für Vers 3.2.1 Ps 42,2a.b Wie die Hirschkuh, die über versiegenden Bächen lechzt, so lechzt mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬nach dir, Gott.

O. Keel, 1997b, Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina / Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit. Katalog Band I: Von Tell Abu Faraǧ bis ˓Atlit. With Three Contributions by Baruch Brandl (OBO.SA 13), Freiburg Schweiz /  Göttingen. © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz.

Das Bild der Hirschkuh symbolisiert als weibliches Bild, G. Strola zufolge, das Leben schlechthin: Die Niederkunft und die Geburt (Jer, 14,5; Ps 29,9; Ijob 39,1).5 In der weiblichen Form untermalt die Figur der Hirschkuh vor allem im Buch der Sprüche (Spr 5,19) und im Hohelied (Hld 2,7; 3,5) die Liebe zwischen Mann und Frau. In anderen Kontexten steht die Figur aber auch für Stärke und Schnelligkeit (2 Sam 22,34; Hab 3,19; Ps 18,34) und im Negativen für einen Zustand der Entkräftung (Ps 42,2).6 Wie die Abbildung zeigt, handelt es sich bei der Hirschkuh um ein gängiges Bild, das auf mehreren Stempelsiegeln des 8. und 7. Jh. v. Chr. zu finden ist. R. Müller hält zu diesem Motiv fest: „Offenbar galten die Hinden als numinose Wirkgröße: Sie sind dem Menschen entzogen, bilden aber, da sie besonders fruchtbar sind, die erhoffte Fruchtbarkeit von Herden und Feldern ab.“7 Die Sehnsucht der Hirschkuh nach Wasser sowie der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) nach Gott, der direkt in der 2.Pers.Sg. personal adressiert wird, werden in Ps 42,2 mit dem seltenen Verb ‫„( ערג‬lechzen“) in einem Relativsatz beschrieben. Das Verb, das sonst nur noch in Joel 1,20 verwendet wird, kann auch mit „klagen“, „schreien“ übersetzt werden.8 Auch die Interpretationen einiger Übersetzungen verdeutlichen die sehnsuchtsvolle, teils lautlich hörbare Konnotation des Verbs.9 Dennoch spricht die einzige Parallele in Joel 1,20, bei der ebenfalls die Rede von Wassermangel ist 5 Vgl. G. Strola, Il desiderio, 84 f. 6 Vgl. a. a. O., 85. 7 R. Müller, Wettergott, 119. 8 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269. 9 Die Septuaginta wählt die Übersetzung ἐπιποθεῖ („verlangen“), der Targum ‫„( רגג‬sich sehnen“), die Peschitta mit ‫„( ܓܥܐ‬brüllen“, „schreien“, „flehen“) und die Vulgata desiderare.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

(wörtl. :‫אפיקי מים‬, in Ps 42,2 mit Linea Maqqeph) für eine physische Konnotation des Verbs als „lechzen“ und für eine Übersetzung von ‫ אפיקי־מים‬mit „versiegende Bäche“10 (Joel 1,20): 20 Auch die Tiere des Feldes lechzen11 nach dir, denn ausgetrocknet sind die versiegenden Bäche, und Feuer hat die Weideplätze in der Steppe gefressen.

J. Schaper fasst die Argumente für eine körperliche Konnotation treffend zusammen, indem er festhält: Im Blick auf Ps 42,2 läßt sich sagen, daß hier, eben auf Grund des metonymischen Gebrauchs des Verbes, als nach etwas verlangen, sich sehnen nach übersetzt werden sollte, da das Objekt des Verlangens, nämlich das von den Bächen geführte Wasser (in Parallele zu dem von der Seele ersehnten Gott!), eine solche Übersetzung als geratener erscheinen lässt.12

Gerade vor dem Hintergrund des ersehnten Objekts „Wasser“ scheint „nach etwas verlangen, sich sehnen nach“ am treffendsten mit „lechzen“ ausgedrückt werden zu können. Von einigen Exegeten wird die Präposition ‫„( על‬auf “/„über“), die für das „Lechzen“ der Hirschkuh „über versiegenden Bächen“ verwendet wird, als syntaktisch problematisch empfunden.13 Einige Forscher machen mit dem Vorschlag einer Emendation zu ‫„( אל‬zu“) auf die eigentümliche Verwendung der Präposition ‫„( על‬auf “/„über“) aufmerksam. Der Vorschlag von F. Delitzsch, die Präposition als Differenzierungshilfe zwischen den verschiedenen Objekten der Sehnsucht und ihrer Richtung zu verstehen, erscheint zunächst nachvollziehbar, einschränkend muss jedoch eingewendet werden, dass eine entsprechende Präposition für ein „nach oben“ in Hinblick auf die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) im zweiten Versteil fehlt.14 Das Lechzen der Hirschkuh ist auf das Wasser gerichtet, das „unter“ ihr fließt (s. o.), wohingegen das Lechzen nach Gott, in der alttestamentlichen Vorstellung einer vertikal konstruierten Welt, ein nach „oben“ gerichtetes Verlangen beschreibt.15 So wie das Lechzen der Hirschkuh beobachtend von 10 Der Kontext in Joel 1,20 legt eindeutig nahe, dass die Bäche vertrocknet sind und kein Wasser mehr führen. Wären die Bäche mit Wasser gefüllt, ergäbe zudem das „Lechzen“ keinen Sinn. Anders E. K.  Holt, Fontes, 74. 11 Anders hier J. Schaper, der an dieser Stelle mit „schreien“ übersetzt. Vgl. ders., Studien, 50. 12 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Ähnlich auch L. Jaquet, Psaumes, 3.8. 13 Es wurde bereits in den Anmerkungen (Kap. 2.1) festgehalten, dass eine Problemlösung durch eine Emendation zu ‫„( אל‬zu“) abzulehnen ist, da es hierfür an textkritischen Argumenten mangelt. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 56 f. Anders J. Schaper, Studien, 49 f. 14 Die Hirschkuh sehnt sich nach dem Wasser „unter“ sich, die ‫ נפש‬nach dem Gott „über“ sich. Vgl. F. Delitzsch, Psalmen, 345. 15 Der Merismus „Himmel und Erde“ sowie die mehrgliedrigen Formeln zeigen, dass das Alte Testament die grundlegende vertikale Aufteilung der Welt in Himmel, Erde und Meer bzw. Unterwelt teilt.

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außen in der 3.Pers.Sg.fem. beschrieben wird, wird auch das eigene Sehnen als das Sehnen der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) in der 3.Pers.Sg.fem. beschrieben. Die syntaktische Struktur regt den Nachbeter an, mit dem Beter das Bild der lechzenden Hirschkuh zu betrachten und den Blick schweifen zu lassen von den versiegenden Bächen unter der Hirschkuh zu Gott hin, der im weiteren Psalmenverlauf im Tempel lokalisiert wird. Ein noch tieferes Verständnis des Bildes ergibt sich bei einer näheren Betrachtung der Syntax. Obwohl von den meisten Exegeten übersetzt wird: „Wie eine Hirschkuh nach den Wasserbächen lechzt […]“16, muss hier vielmehr ein Relativsatz übersetzt werden. Denn ein Vergleich im Hebräischen wird i. d. R. nicht nur mit ‫„( כ‬dass“/„wenn“/„weil“), sondern mit ‫ אשר‬+ ‫ כ‬eingeleitet, oder mit einem Infinitiv verbunden.17 Es handelt sich um einen parabolischen Parallelismus, bei dem die Bildhälfte (Hirschkuh) über das parallel verwendete Verb ‫„( ערג‬lechzen“) auf die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) als Sachhälfte übertragen wird.18 In V. 3, der ebenfalls noch Teil der Parallelisierung ist, wird dann das lebensspendende Wasser auf das „Angesicht Gottes“ und dadurch auf den Tempel als Wasserquelle übertragen.19 In Anbetracht dieser Parallelisierung muss gefragt werden, welche der vielfältigen Bedeutungsmöglichkeiten von ‫ נפש‬in Verbindung mit ‫„( ערג‬lechzen“) gemeint sein kann. Offenbar wird das Verlangen der Hirschkuh nach Wasser auf die organische Lebensfunktion der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) bezogen: Sie ist der Ort, an dem existentielle Bedürfnisse, in diesem Fall Durst, empfunden werden. Das „Lechzen“ der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) des Beters ist jedoch kein triebgeleitetes nach Nahrung, sondern wird in diesem Fall auf die Gottesbeziehung übertragen.20 Gott wird damit zur lebenserhaltenden Quelle der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) (Kap. 4.2.5.1 und 4.2.5.2). Der Ort, an dem sich das „Lechzen“ nach Wasser und Gott vollzieht, kann daher, entsprechend der von H. W. Wolff erarbeiteten Bedeutungsmöglichkeiten für ‫„( נפש‬Leben(skraft)“), nur die „Kehle“ sein. Sie ist sowohl der Ort des Trinkens als auch der Ort des Rufens oder Schreiens nach Wasser (der Hirschkuh / des Beters) und dadurch auch Zentrum des Fühlens, der Vitalität und des Lebens an sich.21 Jedoch tritt bei dem deutschen „Kehle“-Begriff die psychische Bedeutung hinter der somatischen zurück. Umgekehrt ist dies bei einer Übersetzung mit Seele der Fall,22 die zu einer einseitigen Betonung des psychischen As 16 U. a. bei: P. C.  Craigie, Psalms, 323; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 470; Seybold, Psalmen, 173. Zit. aus T. Aoki, Angesicht, 65. 17 Vgl. ebd.; E. Jenni, Lehrbuch, 284. 18 Vgl. E. K.  Holt, Fontes, 75. 19 Vgl. B. Janowski, Der Ort des Lebens, 221–226. Zur Wendung „Angesicht Gottes“ vgl. Kap. 3.2.3. 20 Vgl. H. Irsigler, Interdependenz, 379–382. 21 Vgl. C. Frevel, Menschsein, 29 f; A. Nunn, Köperkonzeption, 121. 22 Vgl. u. a. Die Lutherbibel revidiert 2017. Mit Apokryphen, Stuttgart 2016; Elberfelder Bibel (revidierte Fassung), Wuppertal, 1985; Zürcher Bibel, Zürich 302007.

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pekts zu Lasten der physischen Konnotation führt und zudem in Hinblick auf das moderne Verständnis einer unsterblichen Seele irreführend sein kann, wie bereits H. W. Wolff warnt (Kap. 1.2). Die Deutungsvielfalt von ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) kann durch den Begriff „Leben(skraft)“ nur punktuell ins Deutsche übertragen werden und daher nicht das gesamte Bedeutungsspektrum erfassen.23 Der Begriff ist daher im Anschluss an B. Janowski einheitlich mit „Leben(skraft)“ übersetzt worden, da hierdurch sowohl die psychische als auch die physische Konstitution des Menschen mitberücksichtigt wird, sodass ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) polyphon für die psycho-somatische Konnotation offen bleibt.24 Die Parallelführung von Ps 42,3a mit Ps 42,3b veranschaulicht zudem, dass ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) als ein Stellvertreterausdruck für den Beter gebraucht wird und dadurch den Beter als Ganzes repräsentiert.25 Das Ersehnte wird dabei, analog zu der die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) prägenden psychosomatischen Doppelfunktion, ebenfalls in einer doppelten Qualität des körperlich-existentiellen Wassers und der Gottessehnsucht beschrieben. Doch welche symbolische Tragkraft hat die Parallelisierung des Wassermotivs mit Gott? Verschiedene Gottesprädikationen können asoziiert werden, von denen hier nur diejenigen Aspekte, die im Rahmen von Ps 42/43 als relevant erscheinen, genannt werden sollen. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass es sich z. T. um überlappende Bilder handelt: 1) „Gott als Ort der Ruhe / Stärke“ – Ps 43,226; 2) „Gott als Quelle“: Gott als durststillende Quelle (psychosomatisch) – Ps 42,2b.3a27, Gott als Wasser / Quelle des Lebens28 – Ps 42,3; 3) „Gott als allmächtiger Schöpfergott“ (Bedrohung durch Wasser) – Ps 42,6a.829. B. Ego hält hierzu fest, dass es sich bei 23 Vgl. J. Dietrich, Human, 26. 24 Vgl. auch das Äquivalent in der englischen Übersetzung: „life force“. B. J.  Segal, Psalm, 195. 25 Vgl. A. Wagner, Körperbegriffe, 291. 26 Ps 43,2 beschreibt Gott als Zuflucht des Beters. Diese Eigenschaft wird mittels an die ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) gebundene Wassermetaphorik in Ps 23,2 f beschrieben, wenn Gott den Beter zum stillen Wasser führt und seine ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) erquickt (‫)נפשי ישובב‬. 27 Ps 63,2: „Gott, mein Gott bist du; nach dir suche ich. Es dürstet nach dir meine Kehle, nach dir schmachtet mein Fleisch in einem dürren und erschöpften Land ohne Wasser.“ Oder auch Ps 143,6: „Ich breite meine Hände aus zu dir, meine Kehle dürstet nach dir wie lechzendes Land. Sela.“ 28 Bei der Bezeichnung Gottes als Quelle des Lebens ist an einigen Stellen „schon nicht mehr von der konkreten Quelle die Rede, sondern vom Leben schlechthin. Doch weist der Ausdruck Quelle noch auf das Konkrete zurück.“ O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, 168. Vgl. Ps 36, 10; Jer 2,13;17,13. In Ps 1,3 und Jes 1,29 f. wird mittels Garten- und Baummetaphorik die Abkehr von Gott als Abgeschnittenheit vom lebensspendenden Wasser beschrieben. Vgl. K. Weber, Eden, 57 f. 29 Vgl. Ps 124,5: „Dann wären über uns gegangen die tobenden Wasser.“; Klgl 3,54: „Wasser flutete über mein Haupt, ich sagte: Ich bin vom Leben abgeschnitten!“ Jon 2,6: „Das Wasser stand mir bis zum Hals, die Flut umspülte mich, Schilf hatte sich um meinen Kopf gewickelt.“ Ijob 12,15 „Wenn er die Wasser zurückhält, herrscht Dürre, und wenn er sie loslässt, verheeren sie das Land“; Ps 74,13 „Du hast in deiner Kraft das Meer aufgestört, die Häupter der Ungeheuer über dem Wasser zerschmettert.“; Ps 69,2 „Hilf mir, Gott, das Wasser steht mir bis zum Hals.“; Ps 69,3:

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dem Bild der lebensspendenden Wasser, die von der Gottheit ausgehen, um ein Motiv handle, dass im gesamten Alten Orient zu finden sei:30 „Um der fruchtbarkeitsfördernden Kraft des Wassers teilhaftig zu werden, bedarf der Mensch der Verbindung zur wasserspendenden Gottheit, die im Kultus konstituiert wird.“31 Auch in der Jerusalemer Tempeltheologie ist die Tempelquelle ein wichtiger Bestandteil.32 Eine der am häufigsten herangezogenen Belegstellen für die Tempelquelle, ist der ebenfalls zu der ersten Korachpsalmengruppe gehörende Ps 46,5, aber auch Ps 36,9; 65,10; 87,7 und 23,2 sowie Ez 47,1–12 (u. a.) greifen eine solche Vorstellung auf. Dass das Motiv eines wasserspendenden Gottes an den Tempel gebunden ist, wird in Ps 42/43 durch die Tempelmetaphorik deutlich (Kap. 4.2.1; 4.2.5.2; 4.6.4). In Ps 46 gewinnt neben der Erwähnung eines Stroms, dessen Kanäle die Gottesstadt erfreuen (Ps 46,5),33 auch die Vorstellung einer Chaosmacht34 Wasser an Bedeutung, „[d]a die Wasser in ihrer Ungeformtheit als Element des Akosmischen, des Gestalt- und Strukturlosen und des Todes bezeichnet werden können“35. Es deutet sich durch diese ambivalente Wassersymbolik bereits das Spannungsverhältnis zwischen der positiven Wassermetaphorik in Ps 42,2 f. und der negativen in Ps 42,8 an. Die Wasser der Gottesstadt symbolisieren einen Ort des Schutzes, der im Gegensatz zu den Chaoswassern steht.36 Ps 84,6–8 aus der zweiten Korachpsalmengruppe zeigt, dass ein Pilger bereits auf dem Weg zum Tempel an dem Wassersegen teilhaben kann.37 Die Landschaft, die hier in Ps 42,2 im Hintergrund steht, ist im Gegensatz dazu wüstenähnlich (Kap 4.4).

„Ich bin versunken in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist. In Wassertiefen bin ich geraten, und die Flut reisst mich fort.“ Ps 69,15: „Rette mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke, dass ich gerettet werde vor denen, die mich hassen, und aus den Wassertiefen,“ Ps 93,4: „Mächtiger als das Donnern gewaltiger Wasser, mächtiger als die Brandungen des Meeres ist JHWH mächtig in der Höhe.“ Ps 77,17: „Die Wasser sahen dich, Gott, die Wasser sahen dich und erbebten, die Urfluten erzitterten.“ Ps 69,16 „dass die Wasserflut mich nicht fortreiße und die Tiefe mich nicht verschlinge, noch der Brunnen seinen Mund über mir schließe.“ 30 Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 361; Siehe auch Zusammenhang von Fruchtbarkeit und Wettergott bei R. Müller, Wettergott, 142 f. 31 A. a. O., 362. 32 So auch J. Schreiner, Sion-Jerusalem Jahwes Königssitz, 222; G. Fohrer, Zion-Jerusalem im Alten Testament, 291–318; G. Wanke, Zionstheologie, 67; F. Stolz, Strukturen und Figuren, 217; H.-J. Kraus, Theologie, 97 f. 33 Ps 46,5a: ‫„( נהר פלגיו ישמחו עיר־אלהים‬Eines Stromes Kanäle erfreuen die Gottesstadt“). G. Wanke deutet diese Ströme als Teil des Paradiesmotivs. Vgl. Ders., Zionstheologie, 67 f. 34 Zur altorientalischen Parallele vgl. R. Müller, Wettergott, 43–63. 35 B. Ego, Gottesstadt, 365. Die Verbindung von Ps 42/43 und Ps 46 mittels Wassermetaphorik wird im Rahmen der Strukturanalyse in Kap. 4.6 näher erläutert. 36 Vgl. a. a. O., 368; G. Wanke, Zionstheologie, 68 f. 37 Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 369.

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Anthropologische Fokussierung Die metaphorische Abstraktion der eigenen Bedürftigkeit durch den parabolischen Parallelismus setzt Selbstreflexion beim Beter voraus, drückt sie jedoch nicht sprachlich explizit aus. Der Beter betrachtet sich selbst, indem er (in der 3.Pers.Sg.fem.) „sein(e) Leben(skraft)“ (‫ נפש‬+ Suff.1.Pers.Sg.) als Ort der eigenen Bedürftigkeit und Angewiesenheit auf Gott beschreibt.38 Diese existentielle Erkenntnis wird durch den Parallelismus abstrahiert und durch die enge Verknüpfung mit V. 3 über die Parallelstruktur auf die Gottespräsenz im Tempel als lebensspendendes Moment bezogen. Es wird deutlich, dass der Mensch für den Erhalt seiner ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) auf die Gottesnähe, genauer auf das „Sehen des Angesichts Gottes“ (V. 3b) im Tempel, angewiesen ist.39 Er ist in seiner psychosomatischen Gesamtheit, wie sie durch den ‫נפש‬-Begriff deutlich wird, völlig von Gott her bestimmt. Vor diesem Hintergrund kann Ps 42,2 als ein Bild für die Sehnsucht nach dem lebensspendenden Gott gesehen werden und als eine Vorschau auf die in Ps 43 artikulierte Hinführung des Beters zum Tempel. In Hinsicht auf die Ich-Sphäre kann festgehalten werden, dass sie sprachlich zwar nicht durch selbstreflexive Pronominalstrukturen expliziert wird, aber dennoch metaphorisch zur Sprache kommt, wenn der Beter über den psychosomatisch konnotierten ‫נפש‬ Begriff seine Selbstdistanzierung innerhalb der Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung ausdrückt.

3.2.2 Ps 42,3a Mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott.

Das Verlangen der ‫ נפש‬wird durch ‫„( צמא‬dürsten“) mit einem Verb beschrieben, das weitaus häufiger vorkommt als das in V. 2 gebrauchte ‫„( ערג‬lechzen“). Mit ‫צמא‬ („dürsten“) dürstet u. a. das Volk in Ex 17,3 nach Wasser. Sowohl der somatische Bedeutungsaspekt von ‫ נפש‬als „Kehle“ als auch die Aspekte „Leben“ oder „Seele“, die inhaltlich den Ort des Verlangens nach Gott wiedergeben, müssen hier mitgedacht werden.40 In Ps 63,2 findet sich dieselbe Wendung als Ausdruck für das 38 Vgl. Die ist Ort und Ausdruck der Gottesbeziehung, der sozialen Beziehungen (Ps 42,4.11; 43,2) und der Selbstwahrnehmung (Ps 42,5–7). Vgl. D.  Bester / B.  Janowski, Anthropologie, 28 f. 39 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 202–204. 40 Angesichts der Wassermetaphorik und des verwendeten Verbs liegt eine organische Konnotation vor, die durch das Bezugsobjekt „Gott“ um eine psychosomatische Dimension erweitert wird. Zwar schließt „Kehle“ im atl. Sinne, wie bereits im Rahmen von V. 2 deutlich wurde, die Deutungsdimension von „Leben“ und „Seele“ (als Sitz der Gefühle) mit ein, die Übersetzung ins Deutsche als solche bleibt jedoch missverständlich, da „Kehle“ im Deutschen ausschließlich somatisch konnotiert ist. Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 18. Ausnahmen stellen

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Dürsten nach Gott, „Mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬dürstet nach dir“: ‫צמאה לך נפשי‬.41 Die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“), die durch das Suffix in der 1.Pers.Sg.com. näher als ‫נפשי‬ („mein(e) Leben(skraft)“) spezifiziert ist, wird mit dem Verb über die Präposition ‫„( ל‬nach“) mit ‫„( אל‬Gott“) verbunden. Der Beter spricht zudem – wie in V. 2 – von sich (‫ )נפשי‬in der 3.Pers.Sg.fem. und setzt sich dadurch implizit zu sich selbst und zu Gott in Bezug. In Ps 63 wird mit ‫ צמא‬ebenfalls die Angewiesenheit des Beters auf Gott expliziert und der Leib des Beters als Ödland, beschrieben, in dem er sich nach Ps 63,1 befindet.42 In ähnlicher Weise beschreibt Ps 42,7 geographisch die Entfernung des Beters von dem wasser- bzw. lebensspendenden Gott. Es wird deutlich, dass die Gottesbeziehung zum einzig relevanten, alles entscheidenden und dadurch existenzbestimmenden Moment wird. Dieses Verständnis konkretisiert sich in Ps 63,4 in der ‫„( חסד‬Gnade“) JHWHs, die wichtiger ist als Leben. Diese wird auch in Ps 42/43 durch die redaktionelle Einfügung von Ps 42,9 zum Hoffnungsschimmer in der Klage. Wenngleich ‫„( חסד‬Gnade“) hier im Gegensatz zu Ps 63,4 nicht explizit wertvoller als das Leben selbst beschrieben wird, so wird die absolute Lebensbestimmtheit von Gott her dennoch durch den parabolischen Parallelismus in Ps 42,2 f. mehr als deutlich. Diese Ausgestaltung der „Gottesrelation zur alles bestimmenden Größe, die sowohl den Lebensbegriff modifiziert und differenziert als auch den (physischen) Tod – sei es der vorzeitige Tod oder die allgemeine Sterblichkeit – prinzipiell relativiert“43, kann mit M. Leuenberger als Charakteristikum nachexilischer Zeit verstanden werden. Gott erhält zudem das Attribut ‫„( אל חי‬lebendiger Gott“), was in Anbetracht des verwendeten Verbs an die ‫„( מים חיים‬lebendigen Wasser“) erinnert (Jer 2,13; 17,13) und auch vor dem Hintergrund verwandter Wendungen, wie der ‫מקור חיים‬ („Quelle des Lebens“) aus Ps 36,10, einen bildlichen Anschluss an den voranstehenden V. 2 bildet.44 Über die semantischen Beobachtungen hinaus, liefert auch der Tempusgebrauch einen entscheidenden Hinweis für das Verständnis von Ps 42,3a. Der Wechsel von PK / Nachzeitigkeit (V. 2) zu AK / Vorzeitigkeit (V. 3a) verdeutlicht den Perspektivwechsel, der sich von dem zeitlich abgeschlossen betrachteten Bild der Hirschkuh (PK) hin zur aktuellen Situation des Beters (AK) vollzieht und in V. 3a endgültig zum Beter und seinem aus der Vergangenheit fortwährenden

die Einbindung der „Kehle“ in somatische Gefühlsbeschreibungen dar: „Eine trockene Kehle vor Aufregung haben“. 41 Die Präposition ‫„( ל‬für“/„nach“/u. a.), die auch hier – ebenso wie in Ps 42,3a – als Bindeglied verwendet wird, ist mit einem stellvertretenden Personalpronomen verbunden anstelle der direkten Gottesbezeichnung ‫„( אל‬Gott“). 42 Ps 63,2 kann übersetzt werden mit: „Mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, dürstet nach dir“. 43 M. Leuenberger, Bewegung, 123. 44 Vgl. M. Dahood, Psalms I, 256; E. K.  Holt, Fontes, 75.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

Verlangen gelangt.45 Die Explikation, die V. 2 in V. 3a innerhalb der Metaphorik erfährt, betrifft somit v. a. die zeitliche Veränderung des Dürstens und die Qualifizierung Gottes als ‫„( לאל חי‬nach dem lebendigen Gott“). Anthropologische Fokussierung Anthropologisch zeigt sich eine existentielle Abhängigkeit des betenden Ichs, welches ohne Gott als Lebensspender und -erhalter psychosomatisch, also in allen Dimensionen seiner Existenz46, dem Verderben bzw. in der Metaphorik des Verses gesprochen, dem Verdursten in physischer und psychischer Hinsicht, ausgeliefert ist. Die Absolutheit dieser Abhängigkeit wird durch die Prädikation Gottes als ‫אל‬ ‫„( חי‬lebendiger Gott“) deutlich. Durch die abstrahierende Rede des Beters über seine eigene Situation und seine Beziehung zu Gott, reflektiert er diese implizit, wenn er in der 3.Pers.Sg.fem. von sich bzw. von einem Teil von sich und dessen Bedürfnissen spricht und verweist dadurch auf die Ich-Sphäre, die jedoch sprachlich nicht explizit syntaktisch zum Ausdruck gebracht wird.

3.2.3 Ps 42,3b Wann darf ich kommen und Gottes Angesicht sehen?

V. 3b wechselt zurück in die Nachzeitigkeit47 und besteht aus zwei Teilen, die durch ein ‫„( ו‬und“) miteinander verbunden sind: „Wann darf ich kommen“ und „und Gottes Angesicht sehen?“ Das Fragepronomen bezieht sich daher auf beide Satzteile. Eine ähnliche parallele Struktur weist Ps 42,6 auf, bei dem das Fragewort ebenfalls auf beide Satzteile bezogen gelesen werden muss (Kap. 3.2.9; 3.2.10).48 Textkritisch schwierig und inhaltlich brisant ist in diesem Vers die Nif ’al-Form von ‫„( ראה‬sehen“) des MT49, da diese mit dem Akkusativ ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) verbunden ist und wörtlich ergeben würde: „ich erscheine Gottes Angesicht“. Besonders die Argumentation von C. McCarthy, die alle Nif ’al-Formen von ‫ראה‬ („sehen“) in atl. Texten kritisch analysiert, kann überzeugen.50 Es ist, aufgrund der 45 Vgl. Die möglichen Zeitaspekte der Präformativkonjugation, in: M. Krause, Unterrichtsgrammatik, 120. 46 Die psychosomatische Existenz des Menschen ist zwangsläufig auch durch die Einbettung in sein soziales Umfeld geprägt, das, so zeigt spätestens V. 4b ebenfalls durch die gestörte Gottesbeziehung bedroht ist. 47 Vgl. R. Bartelmus, Einführung in das biblische Hebräisch, 70. 48 Eine Sonderform der Ellipse. Vgl. dazu T. Aoki, Angesicht, 67. Eine weitere Belegstelle für die Beziehung eines Fragewortes auf zwei Verben findet sich ferner in Ps 41,6. Vgl. ebd. 49 Dagegen belegen wenige Handschriften, die syrische Übersetzung und der Targum die Qal-Form. 50 Vgl. C. McCarthy, The Tiqqune Sopherim, 198–202: Sie führt in „The Tiqqune Sopherim“ gute Argumente an, die für eine Lesart im Qal sprechen und die wie folgt zusammengefasst

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von ihr aufgeführten Argumente, die hier nicht in ihrer Gänze besprochen werden können, durchaus denkbar, dass es sich bei allen elf Stellen mit Nif ’al-Punktierung um theologische Korrekturen von ursprünglichen Qal-Formen handelt, die mit „das Angesicht Gottes sehen“ übersetzt werden müssen.51 Für die Gesamtinterpretation des Verses bedeutet diese Erkenntnis, dass hier nicht das Erscheinen des Beters vor Gott im Sinne eines „Sich-Zeigens“ im Vordergrund steht, sondern die Hoffnung des Beters vielmehr darauf beruht, dass der Blick zum Angesicht Gottes seine Rettung herbeiführt. In diesem Sinne sind die Stellen Ps 42,6b.12b und Ps 43,5b, an denen von der Rettung des Angesichts des Beters die Rede ist (‫ישועות‬ ‫)פני ואלה‬52, als Entsprechung zum und als Antwort auf das ‫„( ראה פני אלהים‬Sehen des Angesichts Gottes“) zu verstehen. Durch dieses Wortspiel wird der Kausalzusammenhang zwischen dem „Sehen des Angesichts Gottes“ und der „Rettung des Angesichts des Beters“ hergestellt. Diese Relation wird spätestens durch die Erinnerung an die Prozession zum Tempel in Ps 42,5b auch explizit ins Spiel gebracht und lokalisiert.53 In jüngerer Zeit hat F. Hartenstein mit seinem Werk „Das Angesicht JHWHs“54 den entscheidenden Beitrag zu dem Verständnis dieser Wendung verfasst, in welchem er die bis dahin in der Diskussion einflussreiche Forschungsmeinung insbesondere F. Nötschers55 aufgreift und modifiziert. Er hält werden können: Neben dem Argument der aus Respekt vorgenommenen Abmilderung der ursprünglichen Qal-Form durch eine Nif ’al-Punktierung, erkennt sie auch, „that the present construction with the niph’al form and the particle ‫ את‬is awkward.“ Sie bezieht sich dabei besonders auf die Stellen, bei denen der Infinitiv im Nif ’al punktiert ist (Ex 34,24; Dtn 31,11; Jes 1,12), aber bei denen, im Gegensatz zu normalen Nif ’al Infinitivkonstrukten, das Personalpronomen „er“ fehlt und bemerkt in Bezug darauf: „it is absent only in those forms which are specifically concerned with coming to the sanctuary to appear before the LORD. The simplest explanation for this is that these three forms were originally qal forms which required no he for the infinitive construct. Examination of the contexts of the other pentateuchal passages shows that they too are concerned with the statutory pilgrimage to the Temple, and that the awkwardness of the expression is removed once the qal punctuation is restored.“ Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Dass auch die LXX und Vulgata meist die Nif ’al-Punktierung bezeugen, führt C. McCarthy darauf zurück, dass die Emendation bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgte. In Hinblick auf Ps 42,3 hält sie fest: „there is a minimal amount of textual evidence for the original qal punctuation, which, when taken in conjunction with the observations made above concerning the awkwardness of construction and the obvious theological motivation behind the change of punctuation, makes it possible to adopt the qal for these two readings.“ 51 Diese Korrekturen sind jedoch in einem frühen Stadium der Textentstehung anzusiedeln. C. McCarthy, The Tiqqune Sopherim, 202: „The original qal of Is 1:12 and Ps 42:3 may be adopted on the basis of direct textual evidence, whereas the original qal of the pentateuchal passages may be adopted on the basis of indirect textual evidence of Is 1:12 and Ps 42:3, and some very slight direct textual evidence for an original qal.“ 52 Zur textkritischen Problematik vgl. Kap. 2.1. 53 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 119. Zur Wendung „Angesicht Gottes“ vgl. Kap. 4.2.1. 54 F. Hartenstein, Angesicht. 55 F. Nötscher erkennt Parallelen zu den altorientalischen Nachbarkulturen, insbesondere zu Quellen der ägyptischen Kultur und des Zweistromlandes, in denen eine solche Wendung in der Kultsprache darauf hinweist, dass ein Beter vor dem Gottesbild (in einer Kultstätte) sein

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zunächst fest, dass die Wendung im Bereich der Jerusalemer Kult- und Tempeltheologie auf einen zweifachen Kontext verweise, den sozialen Kontext des Königtums, näherhin zum einen auf die Sphäre des Hofzeremoniells und die Audienzsituation, also die täglich normierten Abläufe vor dem königlichen Thron, und zum anderen auf die Handlungsrolle des zur Rettung kämpferisch einschreitenden Gottes56.

In Hinblick auf eine Beschreibung des göttlichen Körpers als Symbol hält F. Hartenstein den Begriff des Soziomorphismus für das „Angesicht Gottes“ als Teil des Körpers JHWHs für treffender.57 Dadurch wird der Anthropomorphismus58 um den Aspekt der sozialen Interaktion der Gottheit bzw. des Symbols „zu anderen Handlungsträgern auf der menschen- und götterweltlichen Ebene“59 erweitert. Diese sozialen Interaktionen stellen die Grundlage für ein Verständnis der Welt der Götter dar.60 Viel diskutiert und nach wie vor umstritten ist die Frage nach der Existenz eines materialen Kultbildes im JHWH-Tempel, auf welches der Terminus ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) anspielen soll.61 F. Hartenstein kritisiert in der Diskussion, dass „[d]ie wichtige Frage danach, ob überhaupt mit einer entsprechenden Zugänglichkeit der Kultbilder in den Tempelcellae für die breitere Öffentlichkeit zu rechnen ist“62 von F. Nötscher, der davon ausgeht, dass der

Gebetsanliegen mitteilt. Vgl. Nötscher, Angesicht, 62–72. Von besonderer Bedeutung ist die Armanakorrespondenz aus dem 14. Jahrhundert sowie die akkadische Wendung panū(m) („Vorderseite“, Pl. „Gesicht“). Vgl. dazu Art. panū(m), in: AHw II, 818–822; Art. amāru, in: CAD 1/II, 21 f. 56 F. Hartenstein, Angesicht, 22; Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen. Wann die „Königtum-Gottes-Vorstellung“ aus dem Mesopotamischen Umfeld (, insbesondere das Bild des kämpferischen und das Chaos besiegenden Ba’al) vom JHWH Glauben rezipiert wurde, lässt sich nicht mehr genau datieren, jedoch hält B. Janowski hierfür das 7./8. Jahrhundert für wahrscheinlich. Vgl. Ders., „Ein großer König über die ganze Erde“, 103. Anders J. Jeremias, Königtum, 149–165. Die Verschmelzung des Ba’al und El Mythos, welche die Voraussetzung des auf dem Zion thronende Schöpfergott JHWH-Glauben darstellt, datiert F. Hartenstein in die Eisenzeit. Vgl. ders. Zur Bedeutung der Schöpfung in den Geschichtspsalmen, 338. 57 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 22.47.„In einem solchen Konzept ist nun […] die anthropomorphe Gestalt einer Gottheit allein kein ausreichend deutliches Unterscheidungsmerkmal von anderen göttlichen Handlungsträgern.“ A. a. O., 17. Vgl. T. Krüger, „Kosmo-theologie“, 107. 58 Vgl. M.  Dietrich / O.  Loretz, „Jahwe und seine Aschera“. 59 F. Hartenstein, Angesicht, 22. Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen. 60 Vgl. ebd. 61 H. Niehr geht davon aus, dass im Tempel eine menschenähnliche Kultstatue stand, auf die sich das „Sehen des Angesichtes Gottes“ konkret bezieht. Vgl. H. Niehr, In Search of JHWH’S Cult Statue, 73–95. Ähnlich geht auch O. Loretz von einem Kultbild im JHWH-Tempel aus, das möglicherweise auf dem Thronwagen JHWHs gestanden haben soll. Vgl. O. Loretz, Ugarit und die Bibel, 210–215. Mit F. Hartenstein können dahingehende Vermutungen jedoch als äußerst unsicher bezeichnet werden. Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 28.  62 A. a. O., 4.

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Beter im alten Orient jederzeit Zugang zum Kultbild hatte, nicht gestellt werde.63 Entgegen F. Nötscher, legt er seinen Überlegungen die Annahme zugrunde, dass „nicht jeder Kultteilnehmer Zutritt vor das Bild hatte.“64 Dabei könne allerdings die Unterscheidung zwischen dem alltäglichen Kult und dem jährlichen Festkult nicht außer Acht gelassen werden, denn die Ausübung des täglichen Tempelkults sei in der Regel beschränkt auf ein ausgewähltes Kultpersonal.65 Im Rahmen des jährlichen Festkultes jedoch, seien die Götterbilder auch außerhalb des Tempels für die Öffentlichkeit (begrenzt) zugänglich gewesen und das Handeln der Götter selbst dadurch im Ritual sichtbar geworden.66 Dadurch, so F. Hartenstein, „erzeugte das öffentliche Ereignis des Festes in seinem synästhetischen und symbolischen Ganzen eine kollektive Vergewisserung der heilvollen Gottesgegenwart – das Festgeschehen hatte epiphanen Charakter.“67 Dieser Zusammenhang zwischen kollektiver Kultausübung und rettender bzw. richtender Gottespräsenz wird auch in der Zusammenschau von Ps 42,3.5 mit den Bitten in Ps 43,1.5 deutlich. Die beiden Kultformen, alltäglicher Kult und jährlicher Festkult, können, unabhängig davon, ob sie unter Einbeziehung oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden, mit F. Hartenstein als Vorgänge bezeichnet werden, die sich nicht auf den Bereich des Sichtbaren beschränkten.68 Sie sind vermittelnde Rituale zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Götter und bilden gemeinsam mit allen religiösen Erfahrungen, in ihren unterschiedlichsten Darstellungsformen eine „mentale Ikonographie“69, sodass „nicht das ‚Bild‘ als solches die Anwesenheit verbürgte, 63 Vgl. a. a. O., 5; F. Nötscher geht davon aus, dass es sich aufgrund der bilderlosen JHWH-Verehrung im AT um eine „übertragene“ und „vergeistigte“ Bildvorstellung handelt. Vgl. F. Nötscher, Angesicht, 72: „Das A. T. redet vom Verkehr des Menschen mit Jahwe in anschaulichen bildlichen Ausdrücken und ist sich dessen bewußt, daß sie bildlich sind“. Die Wendung sei daher als Bezeichnung für eine konkrete Vorstellung zu verstehen, da es Abstraktionen im Alten Orient zu vermeiden gegolten habe. JHWH sei im Tempel (und im König) gegenwärtig und da im Alten Orient üblicherweise Götterbilder die Präsenz von Gottheiten symbolisieren, ohne die kein Kult stattfinden kann, lege die Vermutung nahe, dass auch für JHWH-Kult ein solches Abbild gegeben haben müsse. Er kommt daher zu dem Ergebnis, dass von dieser Vorstellung beeinflusst im AT eine ähnliche Verwendungsweise vorliegen müsse, ohne dass jedoch, wie im babylonischen Kult, ein Gottesbild material vorhanden sei. Infolgedessen seien die Anwesenheit im Tempel und „Gottes Angesicht sehen“ nicht voneinander zu unterscheiden, sondern bezeichnen denselben Vorgang. Vgl. a. a. O., 53.89. 64 F. Hartenstein, Angesicht, 47 f. Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen. 65 Vgl. a. a. O., 48–50. 66 Wahrscheinlich gab es nach Rang und Stellung der anwesenden Gemeinschaft Abstufungen für die Sichtbarkeit der Kultbilder. Vgl. a. a. O., 49. 67 A. a. O., 50. 68 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 50. 69 F. Hartenstein, nimmt dadurch in der Debatte um ein materiales Vorhandensein eines Kultbildes eine vermittelnde Position ein, indem er Kultbilder als „Resonanzraum für die Imagination der Gottespräsenz“ versteht. A. a. O., 37. Dazu hält er fest: „Der symbolische Körper der Gottheiten bzw. ihrer Gestalt und Erscheinung stellt nach dem bisher Gesagten ein Konzept dar, das stets eng mit verschiedenen visuellen Repräsentationen verbunden war, aber letztlich

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

sondern dessen Position im umfassenderen Rahmen des symbolischen Systems“70. Die Konsequenz, die diese Überlegung für das in Ps 42,3b formulierte Ziel des Doppelpsalms: ‫„( ראה פני אלהים‬Sehen des Angesichts Gottes“) hat, wird besonders vor dem Hintergrund folgender zusammenfassender Formulierung F. Hartensteins deutlich: Die entsprechende königliche Gestalt JHWHs hing nicht an einem anthropomorphen Kultbild. Sie war vielmehr eine logische Konsequenz der rituellen und symbolischen Elemente der Jerusalemer Tempeltradition insgesamt. […] Wer sich an dieser Stätte (oder auch fern davon) mit einem Bittgebet an JHWH wandte, konnte darauf hoffen, vor dessen Angesicht zugelassen zu werden und ihm konkret-anschaulich zu begegnen, eben weil es eine personale Begegnung nicht ohne das Implikat des Körperlichen geben konnte.71

Es ergeben sich im Anschluss an diese Überlegungen hermeneutische Konsequenzen für ein Verständnis von Ps 42,3b im Sinne einer hier deutlich werdenden Doppeldeutigkeit. Mit der Wendung ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) wird sowohl auf die Realisierung einer körperlichen Kultteilnahme des Beters und des Nachbeters als auch auf eine Begegnung mit dem ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) durch die Gebetsrezitation angespielt, die eine physische Anwesenheit am Tempel nicht (mehr) impliziert.72 Der Vorstellungsrahmen des Kultes kann mit F. Hartenstein besser als mentale Ikonographie bezeichnet werden: Auch der biblische Monotheismus, der die Endgestalt des Alten Testaments prägt, kennt für den personalen Gott JHWH eine Reihe alter anthropomorpher Symbole, die seine Körperlichkeit anzeigen sowie deren gleichzeitige Transzendierung und Relativierung. Das zeigen die literarischen und poetischen Bilder der Gestalt Gottes – von seinen Körperteilen, seiner Kleidung und ihren Funktionen – die alttestamentliche Texte entwerfen […] Es handelt sich um Anthropomorphismen, die der Ablehnung der Bilder nicht unterliegen […] So sind die Stimme, der (rechte Arm), die Hand, die Füße oder das leuchtende bzw. im Zorn abgewandte Angesicht soziale Metaphern für Gott73

an keine von ihnen mit Notwendigkeit gebunden war. […] Man muß sich darüber im Klaren sein, daß […] die imaginierten Göttergestalten niemals individuelle Züge im Sinne der späteren hellenistischen Tradition zeigten, sondern vielmehr rollen- und statusspezifische Merkmale trugen. Nicht ohne Bezug auf visuelle Symbole, aber doch viel umfassender als diese, könnte man dann im Blick auf die imaginierten Götterbilder, wie es Mettinger getan hat, von einer mentalen Ikonographie sprechen.“ F. Hartenstein, Angesicht, 39 f. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.; Vgl. auch T. N. D.  Mettinger, No Graven Image?, 20.81 f. 70 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 50. Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen. 71 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 72 Dies berührt die Frage nach der Herkunft des sog. Stimmungsumschwungs. Vgl. Kap. 4.1. 73 F. Hartenstein, Hermeneutik des Bilderverbots, 67 f. Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen.

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Diese Begegnung mit dem „Angesicht Gottes“ ist daher auch anikonisch, ohne zentrales Kultbild vorstellbar.74 In den Psalmen kann „gerade das Sehen und Schauen Gottes als vorrangiges Zentrum religiöser Erfahrung, die so auch als ästhetische Erfahrung zu bestimmen ist“75 verstanden werden. Eine solche Betonung des Gebetscharakters wird durch die Einfügung von Ps 42,9 vorgenommen, der eine tempeltheologische Erweiterung vornimmt, bei der eine körperliche Präsenz des Beters am Tempel nicht mehr zwangsläufig notwendig zu sein scheint, sondern auf eine mentale Begegnung mit Gottes Angesicht im Bittgebet abzielt. Für die ältere Grundform des Psalms (ohne V. 9) ist jedoch noch die Ausrichtung auf eine leibliche Teilhabe am Kult vor Ort plausibilisierbar (Kap. 2.3.2). Die Bedeutung der Wendung ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) und ihr Zusammenhang mit der Tempelmetaphorik innerhalb der Gesamtstruktur des Psalms soll in der Strukturanalyse im zweiten Teil der Arbeit näher untersucht werden.76 Anthropologische Fokussierung Die Wendung ‫„( ראה פני אלהים‬Angesicht Gottes sehen“) verweist auf eine Tempelsymbolik, die eine Begegnung des Beters mit Gott im Sinne einer kultischen Vergegenwärtigung seines „Angesichts“ miteinschließt.77 Das „Angesicht Gottes sehen“ stellt „eine besonders intensive Form des Gotteskontakts, bei dem umfassende Segens- und Gnadenwirkungen im Blick sind“78 dar, sodass die Sehnsucht nach dem Tempel in Ps 42/43 als Sehnsucht nach Gott verstanden werden kann.79 Mit F. Hartenstein kann ferner festgehalten werden, dass es sich bei der Wendung ‫„( ראה פני אלהים‬Angesicht Gottes sehen“) um eine königliche Audienzvorstellung

74 Es ist anzunehmen, dass die Jerusalemer Tempeltheologie in Hinblick auf die Präsenzvorstellung Gottes einen Wandel durchlaufen hat. Mit R. Achenbach ist daher davon auszugehen, dass: „the concept of divine presence underwent a metamorphosis from connecting it to sacred symbols to a mode of spiritualization that made the reproduction of the former symbols such as the throne or the ark superfluous.“ R. Achenbach, Throne, 43. Vgl. auch F. Hartenstein, Angesicht, 121–123. F. Hartenstein macht zudem plausibel, dass die Jerusalemer Kulttradition von vornherein ohne ein solches Kultbild auskam (sondern stattdessen das Kultsymbol des Kerubenthrons im Zentrum stand) und erst in exilischer Zeit eine theologische Ausgestaltung als identitätsbildender Abgrenzungsvorgang zu den Nachbarkulturen einsetzte. Vgl. a. a. O., 124 f. 75 F. Hartenstein, Hermeneutik des Bilderverbots, 160. 76 In diesem Zusammenhang gilt es zudem, den symbolischen Gehalt des Vorstellungshintergrundes des Hofzeremoniells und der Audienzsituation, sowie des damit verbundenen rettenden und richtenden Gottes in Hinsicht auf die Metaphorik in Ps 42/43 in den Blick zu nehmen. Vgl. Kap. 4.2.1 und 4.2.5.2. 77 Dabei scheint in der Diskussion um diese Bedeutung die textkritische Entscheidung für oder gegen eine Nif ’al Punktierung von ‫ ראה‬nicht ins Gewicht zu fallen. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 119 f. Vgl. auch Kap. 2.1. Die Verbindung der Wassermetaphorik mit der Tempelsymbolik wird in einem eigenen Kapitel thematisiert (Kap. 4.2.5.1) 78 F. Hartenstein, Angesicht, 87.90. 79 Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 349.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

handelt, die in Zusammenhang mit der Tempelmetaphorik steht.80 Im Anschluss an diese Überlegung kann auch in Ps 42/43 die Beziehung zwischen Beter und Gott mit der zwischen einem audienzsuchenden Untergebenen und seinem König verglichen werden.81 Dabei wird impliziert, dass der Herrschende dem Bittsteller helfen kann, indem er für Recht bzw. Gerechtigkeit sorgt (Kap. 4.2.5.3).82 Diese Dimension wird besonders deutlich bei einem Blick auf die Stelle Gen 33,10, die ebenfalls diese Wendung enthält:83 10 Jakob aber sagte: Nicht doch; wenn ich überhaupt Gunst gefunden habe in deinen Augen, dann nimm mein Geschenk aus meiner Hand! Denn ich habe ja doch dein Angesicht gesehen, wie man das Angesicht Gottes sieht, und du hast Gefallen an mir gehabt.

„Das Angesicht Gottes sehen“ wird hier mit dem Sehen des Angesichts eines Menschen, in diesem Falle Esaus, parallelisiert.84 Jakob erkennt Esau als Höhergestellten an. Auch das in Gen 33,3 geschilderte siebenmalige Niederwerfen Jakobs weist auf eine höfische Tradition hin.85 Es erscheint daher plausibel, dass auch Ps 42,3b eine solche Vorstellung einer Audienz des Beters vor Gott zu Grunde legt, bei welcher der Beter im Tempel von Gott angehört wird.86 F. Hartenstein bemerkt darüber hinaus, dass es sich auch bei ‫„( בוא‬kommen“) in Ps 42,3b um eine Terminologie handle, die auf eine Audienzvorstellung hinweise und die auch in Ps 5,8 f. durch das Herantreten an den Gottesthron zum Ausdruck komme.87 8 Ich aber darf dank der Fülle deiner Gnade eingehen in dein Haus; ich bete an zu deinem heiligen Tempel hin, in der Furcht vor dir. 9 JHWH, leite mich in deiner Gerechtigkeit um meiner Feinde willen, ebne vor mir deinen Weg.

Eine ähnliche Bedeutung von ‫„( בוא‬kommen“) kann auch für ‫ואבואה אל־מזבח אלהים‬ („So werde ich hineingehen zum Altar Gottes“) in Ps 43,4 angenommen werden. Zudem wird hier der enge Zusammenhang zwischen Audienzvorstellung und erwarteter Gerechtigkeit deutlich, die JHWH herbeiführen soll. Die mit dem Vorstellungshintergrund des „Angesichts Gottes“ verbundene Terminologie muss 80 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 68–87. 81 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 122. 82 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 322–324. 83 Dass auch andere Textstellen diese Wendung in Qal-Form enthalten, ist bereits von C. McCarthy glaubhaft gemacht worden. Vgl. Kap. 2.1. 84 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 122. 85 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 83 f. Eine ähnliche Tradition findet sich in den Armana-Briefen als Geste der Unterwerfung der Fürsten gegenüber dem Pharao. 86 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 122. 87 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 80; T. Aoki, Angesicht, 123. Ob es im Tempel ein Kultbild zur JHWH-Verehrung gegeben hat oder nicht, ist umstritten. Vgl. zu dieser Debatte u. a. S. Petry, Die Entgrenzung JHWHs, 68–71.

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in Hinblick auf Ps 42/43 auf weitere Ausdrücke ausgeweitet werden. Dies zeigt sich auch in der Verbindung von Audienzvorstellung und Tempelterminologie in Ps 42,5b durch ‫„( בסך אדדם‬herrliche Hütte“) und ‫„( בית אלהים‬Haus Gottes“). Leitet man ‫„( סך‬Hütte“) von dem Verb ‫„( סכך‬beschirmen“/„schützen“) ab, kann der Begriff als Metapher für den Tempel oder den Thronbereich Gottes im Sinne eines schützenden Ortes verstanden werden (Kap. 2.1). Eine solche königliche Konnotation von ‫„( סך‬Hütte“) legt auch Ps 27,5 nahe, wenn „im Schutz deines Angesichts“ und „in einer Hütte“ synonym verwendet werden.88 Der Aspekt des Schutzsuchens wird in Ps 42/43 auch durch den Ausdruck ‫„( אל סלעי‬Gott, mein Felsen“) in Ps 42,10 und ‫„( אלהי מעוזי‬Gott meiner Zuflucht“) in Ps 43,2a verstärkt.89 Ein weiterer Hinweis auf den Hintergrund einer königlichen Audienzvorstellung kann in dem Ausdruck ‫„( בית אלהים‬Haus Gottes“) vermutet werden: „‫ בית אלהים‬bezeichnet den Heiligtumsbezirk als ganzen, aber auch den Palast des Königsgottes, wie die Parallelisierung von ‫„( בית‬Haus“) und ‫„( היכל‬Palast“) in Ps 5,8 zeigt.“90 Die in Ps 42/43 anklingende Thron- bzw. Königsmetaphorik zeichnet Gott, wenn auch nicht explizit, als König und den Tempel als seine königliche Residenz (Kap. 4.2.5.2). Dadurch wird das Gottesbild mit der Vorstellung eines die Rechtsordnung erhaltenden und Recht schaffenden Herrschers gebunden, der im Rahmen einer Audienz für den Bittsteller wirksam werden kann.91 Für die Wendung ‫„( ראה פני אלהים‬Angesicht Gottes sehen“) in Ps 42,3b ergibt sich in Zusammenschau mit Ps 42,5b.10 und Ps 43,2a das Bild eines in der königlichen Residenz Gottes Schutz und Gerechtigkeit suchenden Bittstellers.92 Aufbauend auf V. 3a stellt sich in V. 3b die Erfüllung des existentiellen Verlangens des Beters in Aussicht. Diese ist genauer als eine Hinwendung zum ‫פני‬ ‫„( אלהים‬Angesicht Gottes“) charakterisiert, die auf eine Tempelsymbolik gründet, die auch das Bild eines Gottes, der (kämpferisch) für Recht sorgt, beheimatet.93 Der Beter drückt durch die Frage nach dem ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) seine Hoffnung aus, durch rituelle Interaktion (mit anderen und mit Gott, s. o.) an der Wirkmächtigkeit Gottes im Tempel Anteil zu nehmen und dadurch wieder in einen Zustand der Gerechtigkeit und der sozialen Integration versetzt zu werden: „À savoir aussi: que c’est notamment au Temple de sa résidence, dans l’exercice de son Culte, qu’on trouve la société de Dieu“94. Anthropologisch zeigt sich in der Zusammenschau mit der psychosomatischen Dimension der Gottessehnsucht, 88 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 143. 89 Vgl. ebd. 90 T. Aoki, Angesicht, 123. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 91 Die Vorstellung JHWHs als König findet sich an vielen Stellen im AT, wie in Jes 6 oder den JHWH-König-Psalmen 93–99. 92 Zur atl. Gerechtigkeitsvorstellung vgl. Kap. 1.3.5; C. Frevel, Menschsein, 20. 93 Vgl. R. Müller, Wettergott, 248. Zur Verbindung des göttlichen Königtums mit den Themen Recht und Gerechtigkeit vgl. R. Müller, Wettergott, 99.207. 94 L. Jaquet, Psaumes, 13.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

wie sie in V. 2a.b deutlich wird, die konstitutive Funktion der Gottesbeziehung für das physische, psychische und soziale Wohlergehen des Beters.95 Die metaphorische Beschreibung dieser Relationen mittels ‫נפש‬-Begriff setzt voraus, dass der Beter seine Situation abstrahiert. Dabei kommt ein Raum-Zeit-Gefüge zum Tragen, bei dem der Beter seine gegenwärtige räumlich dargestellte Trennung der zukünftigen Gemeinschaft mit Gott gegenüberstellt. Die Ich-Sphäre, die hier zwar nicht sprachlich pronominal expliziert wird, jedoch implizit als metaphorische Abstraktion der Selbstbezüge Gott, Leib- und Sozialsphäre zum Ausdruck kommt, konstituiert sich in der Gegenwart durch die Vorstellung einer Wiederherstellung der Gottesbeziehung und Selbstbezüge und überbrückt damit die raumzeitlich dargestellte Distanz (Kap. 4.4 und 4.5).

3.2.4 Ps 42,4a Meine Tränen wurden mir zu Brot bei Tag und bei Nacht,

Da ein Verb im Hebräischen nicht zwingend notwendig ist, um den Besitz einer Sache oder die Existenz / Identität einer Person anzuzeigen und dafür i. d. R. ein Nominalsatz verwendet wird, ist die Einleitung ‫„( היתה־לי‬es wurden mir“) an dieser Stelle auffällig.96 Sie kann dazu dienen, „eine stärker gefüllte und dynamischere Aussage über das Wesen einer Person oder Sache, das sich in deren Wirkung und Handlungen, Schicksal und Verhaltensweise gegenüber anderen äußert“97, auszudrücken. T. Aoki schließt daraus, dass das Verb ‫ היה‬einer besonderen Betonung der Aussage ‫„( דמעתי לחם‬meine Tränen zu Brot“) diene.98 Durch die Linea Maqqeph, welche die Betonung des ersten Wortes auf das ‫ לי‬verschiebt sieht er das Ich des Beters besonders betont:99 „Nicht irgendjemand, sondern mir, d. h. dem Beter, ist das beschriebene Leid wiederfahren.“100 Dennoch kann festgehalten werden, dass dieser Sachverhalt i. d. R. im Hebräischen auch durch ein Personalsuffix ausgedrückt werden kann, sodass ein Verb hierfür nicht unbedingt notwendig wäre.101 Dadurch wird der Blick auf weitere Eigenschaften und mögliche Funktionen dieser Verbindung gelenkt. Es findet ein Wechsel von der PK / Nachzeitigkeit zur 95 Dabei sind physische, psychische und soziale Aspekte nicht klar voneinander trennbar und stehen zudem in einem Verhältnis der Interdependenz, welches jedoch von der absoluten Abhängigkeit von Gott transzendiert wird. Vgl. H. Irsigler, Interdependenz, 362 f. 96 Ein ähnlicher Ausdruck findet sich in Ps 80,6 (‫)האכלת לחם דמעה‬, in dem Gott das Volk mit „Tränenbrot“ speist und in Ps 102,10 (‫)ושקוי בבכי מסכתי‬, wenn der Beter seinen Trank mit Tränen mischt sowie in Jer 8,14. Vgl. T. Collins, Psychology, 18–38.185–197. 97 S. Amsler, ‫היה‬, 478. 98 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 67. 99 Vgl. a. a. O., 68. 100 Ebd. 101 Vgl. u. a. R. Bartelmus, Einführung, 45. l

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AK / Vorzeitigkeit statt, der einen Hinweis darauf geben könnte, dass der Zustand aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein fortdauert. Es ergibt sich eine von einem Nominalsatz („Meine Tränen sind mein Brot bei Tag und bei Nacht“) verschiedene Bedeutung: „Meine Tränen wurden mir zu Brot bei Tag und bei Nacht (und sind es noch)“. Es handelt sich also um eine Rückschau des Beters, bei der die Traurigkeit bis in die Gegenwart bestehen bleibt. Die Ursache für das Leid des Beters scheint in der zuvor geschilderten Gottessehnsucht zu bestehen, wie sie E. Zenger treffend beschreibt: „Er hat Lebenshunger, aber sein Gott, der ihm diesen Hunger stillen könnte, ist nur in den Tränen der Sehnsucht nach ihm und des Schmerzes über seine Abwesenheit da.“102 Zum anderen sind die Tränen auch Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts der in V. 4b formulierten Frage seines Umfelds „Wo ist dein Gott?“.103 Das Motiv der Sättigung ist auf der einen Seite eng verbunden mit der Tempelsehnsucht (vgl. Ps 42,2 f.; Ps 17,15), auf der anderen Seite drückt das Brot aus Tränen den Zorn Gottes gegen sein Volk aus (vgl. Ps 80,6).104 Darin deutet sich eine negative Verkehrung der Sehnsucht des betenden Ichs an: „Structurally considered, what the I obtains to keep him alive is the opposite of the freshwater he longs for: salty water for sweet, dry bread for liquid water, man-, even self-made, provision instead of divine feeding.“105 Ferner verweist der Ausdruck „bei Tag und bei Nacht“106 auf eine kosmologische Dimension, die als korrelierender Gegensatz von Licht / Finsternis und Kosmos / Chaos verstanden werden kann.107 Dass JHWH auch im positiven Sinne als Bereiter der Nacht und damit Bewahrer des Tagesablaufes verstanden werden kann, wird in diesem Zusammenhang häufig übersehen.108 Bemerkenswert dabei ist, dass der Tag, der i. d. R. positiv mit dem Rettungshandeln JHWHs und mit einer Lebenssteigerung in Verbindung gebracht wird, durch die anhaltende Traurigkeit des Beters ebenfalls in die Sphäre des Chaos und der Lebensminderung transferiert wird.109 Die Wendung erinnert zudem an den nachgetragenen Ps 42,9, 102 L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269. Ähnlich J. Schaper, Studien, 53. H. Gunkel vermutet dagegen eine Krankheit des Beters, die er u. a. in Ps 42,11 beschrieben sieht. Vgl. H. Gunkel, Psalmen, 179. Einen sicheren Beleg hierfür liefert der Psalm jedoch nicht. 103 Essstörungen sind auch Ausdruck von Depression. Vgl. P. A.  Kruger, Gefühle, 254. 104 E. K.  Holt, Fontes, 74 f. 105 Vgl. a. a. O., 74. 106 Die Wendung ‫„( יומם ולילה‬bei Tag und bei Nacht“) findet sich insgesamt 19 Mal im AT, wobei der Begriff ‫ יומם‬allein sogar 53 Mal Verwendung findet. T. Aoki bemerkt zu diesen Verhältnissen, dass ‫ יומם‬insgesamt zu ca. einem Drittel in dieser Wendung vorkommt und diese daher als durchaus gängig bezeichnet werden kann. Obwohl ‫ לילה‬ein Nomen ist, wird es adverbiell gebraucht und kann damit in Hinblick auf die Wortart als mit ‫ יומם‬gleichartig angesehen werden. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 68; T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 523–530. 107 Vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit, 174.183; U. Rechberger, Von der Klage zum Lob, 302–306. 108 Vgl. R. Müller, Wettergott, 229. 109 Vgl. B. Janowski, Das Licht des Lebens, 93.

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der die zuvor geschilderte Notlage konterkariert, indem er sie kosmologisch deutet und ins Positive wendet (Kap. 3.2.13).110 Anthropologische Fokussierung Der Beter reflektiert seine eigene Situation in V. 4a implizit bildlich durch den Blick in die eigene Vergangenheit, die bis in die Gegenwart fortwirkt. Dabei nutzt er die Abstraktion der zuvor eingeführten Wassermetaphorik und verkehrt diese durch die „Tränen“. Die Wassermetaphorik beschreibt somit im Anschluss an die anthropologische Grundkonstante „Gott“ die Auswirkungen, die diese Beziehungsstörung konkret für den Beter hat, der sich in seiner Geschöpflichkeit als Teil der kosmischen Ordnung versteht.111 Ohne Gott ist keine Freude möglich und jeder Tag und jede Nacht ist geprägt von Trauer und Zweifel (vgl. V. 4b). V. 4a verbildlicht die Einbindung der Ich-Sphäre (wenngleich die Selbstreflexion implizit-bildlich erfolgt), in die Grundkonstituenten der Leibs- und Sozialsphäre, die hier durch Trauer und Einsamkeit symbolisch zum Ausdruck kommen, in Abhängigkeit von Gott.

3.2.5 Ps 42,4b denn täglich sagen sie zu mir: Wo ist dein Gott?

Im zweiten Teil von Ps 42,4 wird die Ursache der Traurigkeit näher durch die tägliche Anfrage aus dem Umfeld des Beters begründet: ‫„( באמר אלי כל־היום‬denn täglich sagen sie zu mir“). Zwar erinnert ‫ באמר‬an ‫ באמרם‬in Ps 42,11, doch ist dort die Konstruktion um ein Personalsuffix erweitert und damit die Aussage auf ‫צוררי‬ („meine Gegner“) bezogen.112 Es kann daher vermutet werden, dass in Ps 42,4b (noch) absichtlich offengelassen wird, wer genau spricht.113 Die Intention in dieser Auslassung könnte darin liegen, dass der Fokus weiterhin hauptsächlich auf den Beter gerichtet sein soll, welcher dadurch, dass er diese Frage an sich selbst richtet, seine Außenwelt reflektiert. E. Zenger versteht sie sogar als Frage des Beters selbst bzw. seiner sehnsuchtsvollen Lebenskraft (‫)נפש‬.114

110 Die Aufnahme der Notlage und Wendung dieser steht im Zusammenhang mit dem Stichwort „Gebet“, das zudem eine Verbindung zu der zweiten Korachpsalmengruppe herstellt und eine hermeneutische Gesamtperspektive eröffnet, in der das Gebet eine heilswendende Funktion einnehmen kann (Kap. 4.8). Diese Perspektive ist nur schwer mit der Notlage in Ps 42,4a in Einklang zu bringen und stützt den sekundären Charakter von Ps 42,9 (Kap. 2.3.4). 111 C. Frevel, Menschsein, 12 f. 112 Vgl. A.A Anderson, Psalms, 330. 113 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 68; P. D. Miller, Way, 204. 114 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269.

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Die Frage ‫„( איה אלהיך‬Wo ist dein Gott?“) stellt einen Nominalsatz dar, der als Zitat eingeführt wird. Neben Ps 42,11 spielt die Frage nach Gott immer dann eine Rolle, wenn von Heiden oder Gegnern der Glaube des Einzelnen oder des Volkes in Frage gestellt wird. Das Umfeld des Beters scheint geprägt von feindlich gesinnten Andersgläubigen.115 „Wo ist dein / euer Gott?“ fragt nach der Wirklichkeit der Existenz des Gottes, der in der Welt seine Macht demonstriert und dadurch sichtbar wird.116 Anthropologische Fokussierung Die zweifelnde Frage der Außenwelt erhält dadurch, dass der Beter sie unbeantwortet lässt eine gewisse Berechtigung und steigert die zuvor geschilderte Notsituation.117 Er setzt sich zu seiner Außenwelt und zu seinem eigenen Zweifeln in Bezug, indem er – mit der Frage seines Umfelds konfrontiert – über seine eigene Position zu diesem Sachverhalt nachdenken und ihn reflektieren muss. Diese Reflexion bleibt zunächst abstrakt bildlich, steht aber in einer Beziehung zu der Interdependenz von Leib- und Sozialsphäre. Diese wird dadurch besonders deutlich, dass das körperliche Verlangen des Beters mit Anfeindungen von außen in Verbindung gebracht wird (Kap. 1.3.5). Die implizit erkennbare Ich-Sphäre, die in der Leerstelle der unbeantworteten Frage ihren Ausdruck findet, konstituiert sich als selbstreflexiver Akt innerhalb der Leib- und Sozialsphäre. Die räumlich dargestellte Trennung von Gott geht einher mit körperlicher (V. 4a) und sozialer (V. 4b) Desintegration118, die der Beter täglich spürt und deren Überwindung er im Gebet anstrebt.

3.2.6 Ps 42,5a1 Dieser [Dinge] will ich gedenken

Vers 5a besteht aus zwei Verbalsätzen, von denen der erste aus einem Demonstrativpronomen und einem Verb im Modus der Selbstaufforderung (Kohortativ)119 besteht: ‫„( אלה אזכרה‬Dieser [Dinge] will ich gedenken“). Die Einleitung in V. 5a1 stellt durch den Wechsel in den Kohortativ wechselt einen deutlichen Neueinsatz dar und benennt den sich vollziehenden Denkvorgang als solchen mit dem Verb ‫„( זכר‬gedenken“). T. Aoki bemerkt zu Recht die ungewöhnliche Stellung von 115 Vgl. A. Deissler, Psalmen, 176; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270; J. Schaper, Studien, 53. 116 Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 475. 117 Vgl. B. Janowski, næpæš, 160 f. 118 Diese Desintegration wird über den Körper veranschaulicht. Vgl. A. Berlejung, Menschenbilder, 376–391. 119 Vgl. M. Krause, Unterrichtsgrammatik, 129.

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Ps 42,5a1, bei dem es sich um einen invertierten Verbalsatz handelt. Durch die Voranstellung des ‫„( אלה‬dieser“) findet eine besondere Betonung dessen statt, was von dem Beter bedacht wird. Unklar ist jedoch der Bezug des Demonstrativpronomens: Bezieht es sich auf den Vers davor, also auf die tägliche Trauer des Beters und die zweifelnde Frage in Ps 42,4,120 oder auf die geschilderte Erinnerung im Anschluss und so auf den Ausblick auf die Rückkehr zum Hause Gottes in Ps 42,5b?121 Für eine Bezugnahme auf Ps 42,4 spräche, dass sich die anderen Belege für das Demonstrativpronomen, Ps 15,5; 20,8 (2x); 50,21; 73,12; 107,43; 126,2, mit Ausnahme von Ps 20,8, immer auf den vorausgehenden Sachverhalt beziehen.122 Für eine Bezugnahme auf die Wallfahrt in Ps 42,5b können hingegen der Textzusammenhang und die Anbindung durch das ‫ כי‬geltend gemacht werden.123 Dennoch bleibt eine Unschärfe in Hinblick auf die Bezugnahme des Pronomens, denn auch Ps 42,4 stellt einen sinnvollen Zusammenhang her, sodass der Eindruck einer bewusst konzipierten Doppeldeutigkeit entsteht. Eine weitere Konkretisierung wird durch die Betrachtung des Verbs ‫ זכר‬deutlich. Meist geht es bei der Verwendung des Begriffs um das Gedenken des Menschen an Gott: „Gott steht also vielfach im Zielpunkt des innerlichen Geschehens […], denn wo Menschen Subjekt des Gedenkens sind (100-mal), geht dieses 69-mal auf Gott, auf dessen Heilshandeln für sein Volk u. ä. [zurück]“124. Es wird eine Interdependenz zwischen dem selbstreflexiven Geschehen und der Gottesbeziehung deutlich. Die Vergegenwärtigung Gottes durch ‫„( זכר‬gedenken“) ist zudem geprägt von einer heilsgeschichtlichen Erinnerung an Gottes Taten (v. a. im Deuteronomium an die Herausführung aus Ägypten: Dtn 5,15; 15,15; 16,3.12; 24,18.22; 1 Chr 16,12, aber auch in Ezechiel: 16,22.43.60 f.63; 20,43; 23,19.27; 36,31 und Jes 63,11–14), die in den Psalmen zum Gebot ausformuliert wird (Ps 105,5; 77,12 f.).125 Auffallend ist die Verwendung von ‫ זכר‬in Num 15,39 f. (2x), bei der dazu aufgefordert wird, der Gebote (‫ )מצוה‬zu gedenken, die sich auf das Halten der Opfergebote aus Num 15,1–30 und auf das Sabbatgebot aus Num 15,31–36 beziehen, denn diese Belege sind der Erzählung über den Aufstand der Korachiter in Num 16 f. unmittelbar vorangestellt. Dadurch wird eine Verbindung zu den zentralen Themen der Korachpsalmengruppen und im Besonderen zu Ps 42/43 deutlich: „Die Torot von Num 15 […] postulieren die Einheit von Jahweglaube, Toratreue und Zugehörigkeit zum Zentralheiligtum sowie die umfassende Gültigkeit der Tora für Fremdlinge

120 Diese Deutung führt v. a. T. Aoki an. Vgl. Ders., Angesicht, 70. 121 Für letztere Deutung vgl. A.A Anderson, Psalms, 330; W. O. E.  Oesterley, Psalms, 242 f. 122 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 70. 123 Vgl. J. Schaper, Studien, 54; L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269. 124 H. Eising, ‫זכר‬, 575. Zur LXX-Übersetzung von in Ps 42,5.7 vgl. S. Olofsson, Deer, 96 f. 125 Vgl. H. Eising, ‫זכר‬, 575 f; Art.  ‫זכר‬, in: Gesenius, 300–302, 301; W. O. E.  Oesterley, Psalms 243. l

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und Einheimische in Israel.“126 Vielleicht kann hierin ein weiterer Grund für die korachitische Zuschreibung des Doppelpsalms erkannt werden: Der korachitische Beter ist derjenige, der, wie u. a. in Ex 20,24 und Num 15,39 f. geboten, Gott in der Vergegenwärtigung begegnet und nimmt dadurch eine Vorbildfunktion für die Kultausübung ein. Ex 20,24b zeigt, dass es sich bei ‫„( זכר‬gedenken“) um eine kultische127 Vergegenwärtigung handeln kann:128 24b Denn an dem Ort, an dem ich an meinen Namen gedenken lasse (‫)אזכיר‬, komme ich zu dir und segne dich.

Das Gedenken in Ps 42,5a1 ist also keineswegs nur ein Wissen um das Vergangene, sondern der Beter hat es hier mit Inhalten zu tun, die sein Leben unmittelbar betreffen.129 Es geht bei der Vergegenwärtigung „diese[r] [Dinge]“ daher nicht allein um eine „Erinnerung an die Fortdauer der Erwählung durch Gott“130, sondern auch um eine kultische Vergegenwärtigung des Heils.131 Einerseits schwingt daher ein verstärkter Gegenwartsbezug mit,132 zum andererseits ist auch eine „kollektive Memoria“133 in kultischer Dimension miteingeschlossen. Der Beter integriert sich in seine erlebte Gotteserfahrung als kultisches Ereignis in die Heilsgeschichte des Volkes Israel.134 Anthropologische Fokussierung Die Anfeindungen von außen verstärken die Erinnerungen des Beters,135 der sich in dem ersten Verbalsatz von V. 5a als Subjekt durch den Kohortativ von ‫„( זכר‬gedenken“/„erinnern“) zum Nachdenken über seine Situation und besonders seine Gotteserfahrungen auffordert und dadurch den Eindruck eines explizit selbstreflexiven Vorgangs vermittelt. Er setzt sich zum eigenen Denken und dadurch denkend zu sich selbst in Bezug. Die Explikation dieser Selbstreflexion entsteht in syntaktischer und semantischer Hinsicht durch die Form des Kohortativs eines 126 R. Achenbach, Vollendung, 524. 127 Der Kultbegriff ist hier weit zu fassen. Vgl. Kap. 4.1. 128 Vgl. H. Eising, ‫זכר‬, 591. 129 Vgl. P. D.  Miller, Way, 195. 130 H. Eising, ‫זכר‬, 591. 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. P. A. De Boer, Gedenken und Gedächtnis, 63. 133 T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 562. Ferner fungiert das erinnernde Gebet in diesem Zusammenhang als Kompensationsleistung in der räumlichen Trennung vom Tempel: „Über das Gedächtnis der Matriarchin, des Propheten oder des Königs wird der Segen wie durch einen Katalysator mobilisiert […]. Wo diese räumliche Nähe fehlt, um die Kräfte des Gedenkens zu mobilisieren, wird sie durch das erinnernde Gebet kompensiert.“ Ebd. Zur Verlagerung der rituellen Vollzüge in den mentalen Bereich vgl. Kap. 2.3.3. 134 Ähnliche Beobachtungen stellt auch J. Jeremias zu Ps 68 an, wenngleich hier der Einzug Jahwes in den Tempel im Vordergrund steht und der Ausdruck ‫ זכר‬nicht fällt, findet eine „kultsymbolische[n] Vergegenwärtigung“ statt. Ders., Königtum, 78. 135 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 14. l

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kognitiven Verbs, das auf einen komplexen Denkinhalt bezogen ist, der mit ‫אלה‬ („dieser [Dinge]“) beschrieben wird. Versteht man ‫„( אלה‬dieser [Dinge]“) als einen Verweis auf den Beter selbst, so ist der beschriebene Vorgang als selbstreflexiv zu verstehen. Berücksichtigt man jedoch die strukturellen Komponenten für die Konstitution der Ich-Sphäre als syntaktische Selbstreflexion (Kap. 1.4.2) zeigt sich, dass das Objekt, „dieser“ nur indirekt durch den Kontext auf den Beter zurückverweist, sodass zwar ein Prozess des Nachdenkens über die eigene Situation im weiteren Sinne zum Ausdruck kommt, eine explizite Rückbezüglichkeit zum Beter in seiner Gesamtheit, repräsentiert durch ein Personalpronomen oder einen Stellvertreterausdruck aber ausbleibt. Dennoch beschreibt das kognitive Verb ‫ זכר‬einen Denkvorgang, der die Ich-Sphäre deskriptiv-erzählend zum Ausdruck bringt. Durch die Beschreibung des Vorgangs der kultischen Vergegenwärtigung, formuliert der Beter erzählend den Kern der Ich-Sphäre. Dieser besteht darin, dass er sich zur eigenen Gotteserfahrung, die er als kultische Gemeinschaftserfahrung versteht, in Beziehung setzt und dadurch in die Konstituenten seiner personalen Identität136 (Leib-, Sozialsphäre, Gottesbeziehung) integriert.137 Über den Begriff ‫ זכר‬wird somit eine Heilsaktualisierung (Ex 20,24b; Num 15,39 f.) als kultische Selbstintegration expliziert.138 Das betende Ich nimmt damit eine „Neubestimmung seiner Situation coram Deo“139 vor, um die Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu überwinden. Die pronominal-syntaktische Manifestation der Ich-Sphäre (Kap. 1.4.2) muss an dieser Stelle daher um deskriptiv-erzählende Reflexionsprozesse (mit ‫ זכר‬in der 1.Pers.Sg.) ergänzt werden.140

3.2.7 Ps 42,5a2 und mein(e) Leben(skraft) über mich ausgießen

Der zweite Verbalsatz in V. 5a2 beinhaltet ebenfalls eine Verbform im Kohortativ und ist durch das ‫„( ו‬und“) parataktisch mit dem ersten Verbalsatz und dadurch auch mit dem durch das Demonstrativpronomen ‫„( אלה‬diese“) hergestellten Kontext verbunden. Die Verbindung des Verbs ‫ שפך‬mit der in der 1.Pers.Sg. suffigierten Präposition ‫„( על‬auf “/„über“) und ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) ist im AT in dieser Reihenfolge einzigartig und meint in seiner Grundbedeutung „gießen, schüt-

136 Vgl. B. Janowski, Herz, 45; Kap. 1.3.6. 137 Diese Integrationsleistung ereignet sich letztlich im Gebetsprozess (Ps 42,9). Vgl. T. Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 542.545 f. 138 Vgl. H. Gunkel, Einleitung, 17. 139 B. Janowski, næpæš, 162. 140 Bei dieser deskriptiv-erzählenden Form von Selbstreflexion, scheint die Verwendung sog. reflexiver Stämme im Nif ’al oder Hitpa’el unerheblich zu sein. Vgl. R. Halevy, Reflexive, 341 f.

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ten“141. Es setzt die enge Zuordnung des in Ps 42,2 f. dürstenden Körperorgans „Kehle“/„Hals“ zu der vital-emotionalen Bedeutung fort.142 Mit J. v. Oorschot kann „das Ausschütten der ‫ נפש‬über sich selbst als Akt der Erinnerung, der Vergegenwärtigung vor und für sich selbst (Ps 42,5)“143 beschrieben werden. Dadurch wird die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) zum Mittel des Ausdrucks von Selbstdistanz. Sie steht hier für den Beter selbst unter den Aspekten „Kehle“ und „Lebenskraft“ und dadurch für die Sinndimension des Lebens, der Intentionalität und des Verlangens:144 „Wenn der Beter seine ‫ נפש‬über sich ausschüttet, dann geht er erinnernd um und macht sich selbst zum Gegenstand der Reflexion“145. Vertraut der Mensch seine Gedanken Gott an, so gießt er seine ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) vor ihm aus (vgl. 1 Sam 1,15).146 Zu ihm hin soll die Reflexion führen und vor ihm muss sie erfolgen, wie in Klgl 2,19 deutlich wird: Steh auf, wimmere in der Nacht, zu Beginn der Nachtwachen, schütte dein Herz aus wie Wasser vor dem Angesicht des Herrn. Zu ihm erhebe deine Hände um das Leben deiner Jüngsten willen, die vor Hunger verschmachten an allen Straßenenden.

In Ps 42,5a2 wird im Anschluss daran sichtbar, dass die Reflexion im Gegensatz zu Klgl 2,19 sich nicht an Gott richtet, sondern im Beter verbleibt. Zudem fällt auf, betrachtet man die Parallelstellen an denen ‫„( שפך‬ausgießen“) + ‫„( על‬auf / über“) vorkommen, dass zu ihnen auch jene zählen, in denen von der Ausgießung des „Geistes“ (‫ )רוח‬Gottes die Rede ist: So in Ez 39,29, wo von dem „Ausgießen des Geistes“ über das Haus Israel berichtet wird oder in Joel 3,1 f.147 Vor diesem Hin 141 KAHAL, Art. ‫שפך‬, 635. Das Verb findet sich mit ‫ נפש‬verbunden noch in 1 Sam 1,15, jedoch ohne die suffigierte Präposition. 142 ‫ נפש‬ist an dieser Stelle in mehrfacher Hinsicht nach den klassischen Bedeutungsmöglichkeiten von H. W. Wolff konnotiert, sodass hier das gesamte Deutungsspektrum als mit gemeint scheint: 1) Kehle; 2) Hals; 3) Begehren; 4) Seele; 5) Leben; 6) Person; 7) Pronomen. Eine ähnliche Verwendung, ebenfalls mit ‫ נפשי‬findet sich in Ijob 30,16 mit vorangestellter suffigierter Präposition und dem Verb ‫ שפך‬in der 3.Pers.Sg.fem.PK.Hit’pael. Ijob 30,16: ‫ועתה עלי תשתפך נפשי יאחזוני‬ ‫„– ימי־עני׃‬Und nun schütte ich aus mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬über mir, Tage des Elends packen mich.“ Das Zerfließen der Kehle drückt hier die leiblich erlebte, innere Notlage aus. Lokalisiert man die Kehle als Ort „im“ Menschen, kann hier ‫ עלי‬nicht anders übersetzt werden als mit „in mir“. Übersetzungen mit „über mir“ oder „auf mir“ ergeben hier keinen Sinn. 143 J. v. Oorschot, Translation, 129. 144 Vgl. A. Wagner, Körperbegriffe, 316. 145 J. v. Oorschot, Translation, 120. 146 Vgl. ebd. 147 Ein Blick auf die anderen Belegstellen, an denen sich ‫ שפך‬gemeinsam mit ‫ על‬findet zeigt, dass diese Kombination häufig im Rahmen von Opferthematik (z. B. Blut auf dem Sockel des Altars ausgießen), wie u. a. in Dtn 12,16 par. 12,24 (vgl. auch Dtn 15,23) verwendet wird („Nur das Blut sollst du nicht verzehren; du sollst es auf die Erde schütten wie Wasser.“). Auch in anderen Zusammenhängen ist von Blut ausgießen die Rede, so z. B. in 1 Kön 2,31 („Und der König sprach zu ihm: Verfahre, wie er es gesagt hat: Stoße ihn nieder und begrabe ihn. Und so nimmst du das unschuldige Blut, das Joab vergossen hat, von mir und vom Haus meines Vaters.“) Häufig wird mit dem Verb auch ausgedrückt, dass jemandem Zorn / Unmut entgegengebracht wird, so l

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tergrund betrachtet, erscheint das trostlose Ausgießen der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) im Beter selbst in Ps 42,5a, als Kontrast zur „Geistausgießung Gottes“. Dass die bildliche Sprache von dem „Ausgießen der Leben(skraft) in dem Beter“ eine trostlose Selbstreflexion ausdrückt, die eigentlich vor Gott stattfinden soll und nur dadurch Heil bringen kann, tritt durch die oben bereits geschilderte Kontexteinbettung von Ps 42,5a2 zutage.148 Die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) tränkt sich nicht aus dem in Ps 42,2 ersehnten Gott („Wasser des Lebens“ s. o.), der in Ps 42,3 in die Ferne gerückt ist, sondern wird nun selbst ausgeschüttet, löst sich auf unter den Erinnerungen (Pa 42,5b) und den Tränen (Ps 42,4). Durch den zweiten Verbalsatz in V. 5a wird der voranstehende Denkvorgang sprachlich als selbstreflexives Geschehen expliziert und durch die Aufnahme der Wassermetaphorik die Polyphonie verstärkt und mittels Kontexteinbindung negativ bewertet. Anthropologische Fokussierung Der zweite Verbalsatz von Ps 42,5a expliziert den im ersten Verbalsatz eingeleiteten Denkvorgang und drückt über die pronominale Satzstruktur Selbstreflexion aus: Die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) wird über den Beter selbst (‫ )עלי‬ausgegossen. Der kognitive Vorgang, der bereits durch den ersten Verbalsatz eingeleitet wurde, wird näher expliziert, indem plastisch die Vergegenwärtigung erlebter Gedanken / Erinnerungen und Gefühle beschrieben wird, zu denen sich der Beter durch den Kohortativ („ausgießen“) denkend in Bezug setzt: Die Selbstaufforderung zum Denken geht einher mit der Selbstaufforderung zum Innewerden der eigenen Gedanken und Gefühle und das Subjekt selbst wird zum Denkgegenstand. Dabei können die in Kap. 1.4.2 entwickelten Kriterien identifiziert werden: Zum einen verweisen der Kohortativ und ein entsprechend suffigierter Stellvertreterausdruck auf denselben Referenten (Punkt 4). Zum anderen wird das Nomen (‫ )נפש‬mit Suffix und zugleich einer Präposition (‫ )על‬als Besitz der 1.Pers.Sg. angezeigt (Punkt 2). Der mit ‫„( אזכרה‬ich will gedenken“) im ersten Verbalsatz erzählend beschriebene Reflexionsvorgang (V. 5a1), wird dadurch pronominal-syntaktisch expliziert (V. 5a2). Es zeigt sich insgesamt eine doppelte sprachliche Manifestation der IchSphäre sowohl in narrativer als auch in syntaktisch-pronominaler Dimension.

3.2.8 Ps 42,5b.c dass ich einherging zur herrlichen Hütte, zum Haus Gottes mit lautem Jubel und Dank in feiernder Menge. z. B. in Hi 12,21 (ähnlich auch in Ps 69,25; Ps 79,6; Ps 107,40; Jes 42,25; zahlreiche Stellen in Ez: 7,8; 9,8; 14,19 u.ö.). Des Öfteren wird auch ausgedrückt, dass keine Rampe gegen die Freunde aufgeschüttet / ausgegossen wird, so u. a. in 2 Kön 19,32 (par. Jes 37,33; ähnlich auch Jer 6,6). 148 Vgl. D. Bester, Körperbilder, 166–168.

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Es ist umstritten, welchen Tempusaspekt das ‫„( כי‬wenn“/„dass“) erfüllt: Weist es in die Zukunft oder in die Vergangenheit? Die Konjunktion kann als zukunftsweisend verstanden werden, geht man davon aus, dass der daran angeschlossene Versteil eine Fiktion beschreibt, in der die Sehnsucht gestillt sein wird und von der aus auf die vergangene Notlage zurück geblickt wird.149 Überwiegend wird V. 5b jedoch als Schilderung einer Erinnerung verstanden, in welcher der Beter auf eine Zeit zurückblickt, in der er noch in der Nähe Gottes war und zum Tempel gepilgert ist.150 Dieses Verständnis erscheint vor dem Hintergrund des in V. 5a eingeleiteten Prozesses des Nachdenkens als das sinnvollere. Die Präposition ‫„( ב‬mit“/„bei“/ „in“/„zu“) gibt als Ziel ‫„( סך אדרם‬herrliche Hütte“) an, welches mit dem Lexem ‫„( עבר‬einhergehen“) verbunden wird. Die darauffolgende Ortsangabe, die durch die Präposition ‫ עד‬angeschlossen wird, definiert die Richtungsangabe näher: der eigentliche Zielort ist ‫„( בית אלהים‬Haus Gottes“), der Tempel. T. Aoki bemerkt dabei die zu V. 2 f. ähnliche Satzstruktur: V. 2: ‫( אליך‬nach dir) wird näher bestimmt durch ‫( אלהים‬Gott) und V. 3: ‫( לאלהים‬nach Gott) wird näher bestimmt durch ‫„( לאל חי‬dem lebendigen Gott“).151 Die nähere Definition des Ziels als ‫„( בית אלהים‬Haus Gottes“) stützt die in den textkritischen Überlegungen vorgenommene Emendation von ‫ בסך אדדם‬zu ‫„( בסך אדרם‬zur herrlichen Hütte“). Die weiteren Belegstellen für den Begriff ‫ סך‬bzw. ‫ סחה‬zeigen eine Verwendung im alltäglichen Sinn als Schutzbau vor Wettereinflüssen (Jon 4,5; Jes 1,8),152 sowie als schattenspendendes Dach der Könige und Fürsten im Alten Orient.153 In einer ähnlichen Weise wird ‫ סחה‬in 1 Kön 20,12 in einem höfischen Kontext verwendet. König Benhadad wird ein Bau zugeschrieben, der als ‫„( סכות‬Hütten“) bezeichnet wird und die Funktion eines Audienzraumes erfüllt. Wahrscheinlich liegen dieser Vorstellung Bauten zugrunde, die im Alten Orient in verschiedenen Feldlagern als eine Art „mobile Paläste“ aufgebaut wurden.154 Besonders vor dem Hintergrund weiterer Parallelstellen, wie Ps 27 und Ps 31 wird hier ein Zusammenhang zwischen der als „Hütte“ bezeichneten Jerusalemer Wohnstatt JHWHs und der Thronsphäre deutlich, in die auch der Terminus „Angesicht Gottes“ aus V. 3b einzuordnen ist.155 Aber auch 149 Vgl. u. a. G. Fohrer, Psalmen, 189 f.; A. Deissler, Psalmen, 175; K. Seybold, Psalmen, 176; B. Weber, Psalmen I, 197. 200. 150 Vgl. u. a. C. A.  Briggs, Psalms, 368; P. C.  Craigie, Psalms, 326; F. Delitzsch, Psalmen, 346; H. Gunkel, Psalmen, 179; H. Herkenne, Psalmen, 163; R. Kittel, Psalmen, 151; H.J. Kraus, Psalmen 1–59, 475; W. O. E.  Oesterley, Psalms, 243; H. Schmidt, Psalmen, 81; F.L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269, J. Schaper, Studien, 54 f.; A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 235. Dagegen A. Deissler, Psalmen, 175. 151 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 71. 152 Ausgenommen sind die auf die Laubhütten des Sukkotfestes verweisenden Belegstellen, die anders abzuleiten sind. Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 143. 153 Dieses Schutzdach kann in Form eines Sonnenschirms oder Baldachins vorgestellt werden und ist Teil der Herrschaftssymbolik. Vgl. a. a. O., 144; R. Müller, Wettergott. 154 Vgl. ebd. 155 Vgl. a. a. O., 145.

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der Textzusammenhang selbst stützt dieses Bild, indem V. 4 f. die Frage nach dem „Angesicht Gottes“ aus V. 3b durch eine melancholische Retrospektive erläutert und beschreibt, wie das „Sehen des Angesichts Gottes“ sich einmal als Wallfahrt zum Tempel vollzogen hat.156 Dass es sich bei der geschilderten Prozession zweifelsohne um eine Wallfahrt handelt, stützt auch der Terminus ‫„( חגג‬feiern“), den J. Schaper zusammen mit ‫„( המון‬Menge“) sogar mit „eine Menge von Wallfahrern“ übersetzt.157 Da das Verb jedoch in den meisten Parallelstellen den feiernden Charakter deutlich herausstellt (vgl. u. a. Ex 5,1; 12,14; 23,14; Lev 23,39.41; Num 29,12; Dtn 16,15; 1 Sam 30,16; Ps 107,27; Nah 2,1; Sach 14,16.18.19), scheint eine wörtliche Übersetzung der Wendung ‫ המון חוגג‬mit „feiernde Menge“ angemessener.158 Anthropologische Fokussierung Der Beter reflektiert die Erinnerungen an eine lebendige Gottesbeziehung durch Kultausübung. Anstelle der Lebensquelle Gott, nach der „das Leben / die Lebenskraft“ (‫ )נפש‬des Beters aus V. 2 lechzt, gießt er diese in einem selbstreflexiven Prozess über sich aus und versucht seine Sehnsucht im Gedenken an die vergangene Gotteserfahrung im Kult zu kompensieren: „il confesse simplement, par son désir, que cette Présence de Dieu aus fidèle s’actualise de façon privilégée dans le Sanctuaire, où se déploie le Culte saint“159. Diese Erinnerungen sind ihm in Anbetracht seiner gegenwärtigen Situation zu Tränen geworden (vgl. Ps 42,4). Da Ps 42,3 bereits deutlich macht, dass das Leben allein von ‫„( חי לאל‬dem lebendigen Gott“) abhängt, muss der Erinnerungsvorgang (V. 5b) umso schmerzlicher sein. Dennoch stellt die sprachliche Expression der Ich-Sphäre, über die sich der Einzelne (innerhalb Leibs- und Sozialsphäre und Gottesbeziehung) konstituiert, einen Versuch der Auflösung der Desintegration dar, die allein in einer körperlichen und / oder geistigen Wiederkehr zum Tempel und zur Kultgemeinschaft zu sehen ist, über die sich der Beter körperlich, sozial und spirituell wieder integrieren kann. So formuliert R. Achenbach treffend: „In der Erinnerung der naefaesch an die Situation der Dankbarkeit gewinnt sie ihre Stabilität wieder: naefaesch erfährt sich selbst als lebendig in der Gemeinschaft der Dankbaren vor dem Angesicht Gottes!“160 Dass diese Anstrengung ihm zunächst noch deutlicher seine Desintegration vor Augen führt und ein neues Ringen mit sich selbst einleitet, zeigt jedoch der Folgevers Ps 42,6a.

156 Zu Recht geht W. O. E. Oesterley davon aus, dass hier die Vorstellung eines Zeltheiligtums im Hintergrund steht. Vgl. ders., Psalms, 243. Eine nähere Beschreibung der Bedeutung der Tempelmetaphorik und des „Angesichts Gottes“ im Textzusammenhang erfolgt in der Strukturanalyse im zweiten Teil der Arbeit. Vgl. Kap. 4.2.5.2. 157 Vgl. J. Schaper, Studien, 54. 158 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen. 1–50, 269. 159 L. Jaquet, Psaumes, 15. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 160 R. Achenbach, Lebensworte, 92.

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3.2.9 Ps 42,6a(.12a; 43,5a)  Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf?

Zunächst soll hier der erste Refrainteil Ps 42,6a.12a; 43,5a, untersucht werden, der aus zwei durch ein ‫„( ו‬und“) verbundenen Fragesätzen besteht. Der zweite Fragesatz wird ohne eigenes Fragepronomen an den ersten angeschlossen, wohingegen in Ps 42,12a und Ps 43,5a ‫„( מה‬was“) ein zweites Mal nach dem ‫„( ו‬und“) wiederholt wird.161 Es handelt sich in Ps 43,5a um ein „bewusstes Stilmittel der Steigerung, insbesondere auch gegenüber dem ersten Refrain“162. Die Fragesätze richten sich an den Beter selbst, der seine in der 1.Pers.Sg. suffigierte ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) in der 2.Pers.Sg. adressiert.163 Wenn in Ps 42,6a die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) und dadurch der Beter selbst (beide Verben 2.Pers.Sg.fem.) zum Subjekt wird, findet ein Wechsel der Sprechrichtung statt.164 Der Beter tritt nun in ein Gespräch mit sich selbst. In Ps 42,6a erscheint ferner die Deutung des ersten Fragesatzes problematisch, da die Verbform ‫ תשתוחחי‬nicht eindeutig bestimmbar ist und auf drei verschiedene Wurzeln zurückgeführt werden kann: 1. ‫„( שחח‬gebeugt sein“); 2. Die Nebenform ‫„( שיח‬sich auflösen“)165; ‫„( שוח‬sinken“).166 Da alle diese Wurzeln eine 161 W. O. E. Oesterley schlägt aufgrund dieser Unregelmäßigkeit die Streichung des zusätzlichen ‫ מה‬in Ps 42,12; 43,5 vor, führt dafür aber keine weiteren Argumente an. Vgl. ders., Psalms, 242. 162 T. Aoki, Angesicht, 71. 163 Vgl. A. Wagner, Körperbegriffe, 316. 164 Vgl. ebd. 165 Die Wurzel ‫„( שיח‬sich auflösen“) wird in einigen Wörterbüchern schlicht mit dem Verweis auf die Wurzel ‫„( שוח‬sinken“) als Nebenform aufgeführt, die im Sinne von „schmelzen“/„sinken“ verstanden, semantisch kaum voneinander abzugrenzen sind. Vgl. D. J. A.  Clines, Dictionary VIII, 303.335. 166 Ad 1) ‫„( שחח‬gebeugt sein“) findet sich an folgenden Stellen: Hi 9,13; 38,40; Ps 10,10; 35,14; 38,7; 107,39; Spr. 14,19; Klgl 12,4; Jes 2,9.11.17; 5,15; 25,12; 26,5; 29,4; 60,14; Hab 3,6; Spr 12,25:Im Qal bedeutet das Verb u. a. „gebeugt sein“, wobei diese Körperhaltung meist mit Trauerprozessen verbunden ist, wie besonders in Ps 35,14 und Ps 38,7 deutlich wird. Aber auch das „gebeugt sein“ im Angesicht des Zorns Gottes kann damit gemeint sein (Hi 9,13) oder das Ducken eines Löwen in seiner Höhle (Ijob 38,40). In Ps 10,10 bezeichnet das Verb das Zugrundegehen eines Opfers, in Hab 3,6 das Zugrundegehen von Bergen. Ähnlich verhält es sich mit dem Bedeutungsspektrum im Nif ’al: Die Verbform wird dann v. a. im Sinne von „niedergebeugt werden“ verstanden, wie in Jes 2,9 und Jes 5,15 (vgl. auch Jes 2,11.17; Spr 14,19) in Bezug auf das Gericht oder in Bezug auf die Stimme in Jes 29,4. Im Hif ’il wird das Verb für das „Niederwerfen“ von Mauern durch Gott (25,12) und für die „niedergeworfene“ Bevölkerung verwendet (26,5). Im Anschluss an diese Deutungsmöglichkeiten versteht G. A. Long die Funktion dieser Form im Hith’polel, die nur in dem Ps 42/43 Verwendung findet als „to signify a despairing emotion“. W. V.  VanGemeren, Dictionary, 77.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

entsprechende Form bilden können, gehen die Meinungen über die Wahl der Wurzel auseinander. Bereits in den alten Übersetzungen finden sich verschiedene Deutungen: Die LXX übersetzt mit περίλυπος („sehr traurig [sein]“), die Vulgata mit tristis („traurig [sein]“), Hieronymus mit incurvo (beugen), die Peschitta mit ‫„( ܡܬܛܪܦܬ‬sich quälen“).167 Die für den Vers zur Auswahl stehenden Lexeme ähneln sich daher semantisch. Am überzeugendsten erscheint letztlich jedoch eine Ableitung von ‫שיח‬, da ‫ נפש‬als Subjekt von ‫ שיח‬auch in Ps 44,26 und Klgl 3,20 vorkommt (Ps 44,26):168 Denn unser(e) Leben(skraft) (‫ )נפשנו‬löst sich in den Staub auf, unser Leib liegt am Boden.

Ps 44,26 beschreibt den Vorgang des Sterbens als Rückkehr des Menschen zum Staub, aus dem er gemacht ist. Dieser Prozess wird in Anspielung an Gen 2,7, bildlich dargestellt:169

Ad 2) Für ‫ שיח‬findet sich im Wörterbuch neben der Bedeutung im Qal „sich auflösen“, für das Hith’polel der Übersetzungsvorschlag „to be in despair“ oder „gebeugt sein“. Vgl. Art. ‫שיח‬, in: Gesenius, 1347. Das Verb findet außer in Ps 42/43 nur noch zwei Mal Erwähnung im AT, in Ps 44,26 und und in Klgl 3,20. Ad 3) ‫„( שוח‬sinken“) hat im aramäischen Äquivalent šûaḥ / šûḥā die Bedeutung „auflösen“ oder „Grube“. In Spr 2,18 „sinkt“/„beugt sich“ das Haus zum Tode. Jedoch ist der Kontext hier umstritten. Vgl. R. B.  Scott, Proverbs, 287 f. Das Derivat ‫ שוחה‬wird insgesamt 6 Mal im AT verwendet: In Jer 18,20.22; Ps 35,8; Spr 22,14; 23,27 kann es mit „Grube“ übersetzt werden; in Jer 2,6 mit „Schlucht“. Nur an einer Stelle bezeichnet das Wort die zerklüftete Landschaft der Sinai-Wüste (Jer 2,6). An anderen Stellen wird der Begriff verwendet um teuflische Verschwörungen gegen Gerechte auszudrücken, so in Ps 35,8; Jer 18,20.22 sowie die tödlichen Konsequenzen sexueller Begierde in Spr 22,14; 24,27. Ein weiteres Derivat stellt der Ausdruck ‫ שיחה‬dar, der in Jer 18,22 parallel zu ‫ שוחה‬gebraucht wird. In Ps 57,7 wird mit ‫ שיחה‬beschrieben, wie Feinde eine Grube graben, um den Gerechten eine Falle zu stellen und doch selbst hineinfallen. Vgl. W. V.  VanGemeren, Dictionary, 61. 167 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 85. 168 Vgl. Art. ‫שיח‬, in: Gesenius, 1347. In Ps 44,26 steht das Verb im Qal, in der 3.Pers.Sg.fem., ebenfalls mit ‫ נפש‬als Subjekt, allerdings mit einem Suffix der 1.Pers.Pl.com. und mit einer Zielangabe, die an das Verb mit der Präposition ‫„( ל‬für“/„mit“/„zu“) angebunden ist. Schwierig ist auch hier die Übersetzung. Die LXX übersetzt hier mit ἐταπεινώθη (im Passiv „gedemütigt sein“ / „erniedrigt sein“). Das arabische Äquivalent wird „fließen“, „zerschmelzen“. Mit einem erneuten Blick auf Ps 44,26 scheint diese Übersetzung auch hier sinnvoll: „Denn unser(e) Lebens(kraft) löst sich in den Staub auf, unser Leib klebt an der Erde.“ Der Mensch wird wieder zu dem, aus dem er nach Gen 2,7 gemacht ist: ‫„( עפר‬Staub“). Er ist völlig ohne die ‫נשמת חיים‬, durch die allein der Mensch zu einer ‫ נפש חיה‬wird. Es kann an dieser Stelle überlegt werden, ob Ps 42/43 in seinem Refrain auf das Bild der Beschaffenheit des Menschen aus Staub und als ‫ נפש חיה‬anspielt. Für eine daran angelehnte Übersetzung auch in Ps 42/43 spricht zum einen die explizierte Nennung Gottes in 42,3a als ‫אל חי‬, sowie die durch eine solche Übersetzung aufrecht erhaltene Wassermetaphorik. Es scheint sich um ein gemeinsames Motiv von Ps 42/43 und dem darauffolgenden Ps 44 zu handeln. 169 Vgl. dazu auch die altorientalischen Parallelen bei T. Oshima, Clay, 407–431.

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Da machte Gott, JHWH, den Menschen aus Staub vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.

Um den zu Gen 2,7 gegensätzlichen Vorgang der Zersetzung auszudrücken, kann ‫ שיח‬sinnvoll mit „auflösen“, übersetzt werden.170 Das „Auflösen“ der ‫ נפש‬wie es in Ps 44,26, aber auch in Ps 42,6a.12a; 43,5a beschrieben ist, bringt durch die Anspielung auf die Schöpfung des Menschen als ‫„( נפש חיה‬lebendiges Wesen“) Todesnähe zum Ausdruck. Ist die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) dem ‫„( עפר‬Staub“) nahe, ist sie antithetisch zum Schöpfungsakt, in dem sie aus Staub geformt wurde, dem Tode nahe. Es findet, so haben bereits die kompositionellen Überlegungen gezeigt, eine bewusste Steigerung der Klage aus Ps 42/43 in Ps 44 statt (Kap.2.3.2). In Klgl 3,20 ist, ebenso wie in Ps 44,26, von einer Bewegung der ‫ נפש‬als lösliche Substanz die Rede. Die drastische Steigerung zu einer Auflösung der ‫ נפש‬in den Staub wird hier, im Gegensatz zu Ps 44,26, nicht vollzogen (Klgl 3,20): Ich denke und Sie [bezogen auf ‫ ]נפשי‬denkt, und mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬löst sich auf über mir!171

Die Betrachtung der Parallelstellen zeigt eine Verwendung von ‫שיח‬, durch die das Leben (‫ )נפש‬als lösliche, „zerfließende“ Substanz beschrieben wird.172 Eine solche Konnotation ist auch für den stark durch Wassermetaphorik geprägten Kontext von Ps 42/43 anzunehmen. Für ‫ תשתוחחי‬in V. 6a.12a; Ps 43,5a und ‫ תשתוחח‬in V. 7 ist daher die Wurzel ‫ שיח‬anzunehmen, die sich von ‫„( שוח‬sinken“) ableitet.173 Sie steht in der seltenen Form Hitpol’el, für das eine Bedeutung im Hit’pael174 angenommen und daher ebenfalls mit „auflösen“ übersetzt werden kann. Der zweite Fragesatz ist parataktisch angeschlossen an den ersten, wodurch dieser sich ebenfalls auf das Fragepronomen des ersten Fragesatzes sowie auf die ‫ נפש‬als Adressatin in der 2.Pers.Sg.fem. bezieht. ‫ המה‬wird meist im Sinne von „tönen“/„lärmen“ verwendet (u. a. 1 Kön 1,41; Ps 39,7). In Ps 55,18 wird es dem Klagen beigeordnet und in Ps 59,7.15 bezeichnet es das animalische Heulen von Hunden. Insgesamt wird deutlich, dass das Verb das Ertönen eines inbrünstigen Geräusches beschreibt. In In Ps 42,6a wird der erste Frageteil durch den zweiten Frageteil näher expliziert, wie es ähnlich auch in dem voranstehenden Ps 42,5a.b. sichtbar ist. Das beschriebene „Auflösen“ des Lebens / der Lebenskraft (‫ )נפש‬ist 170 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 8: „se dissoudre“. 171 K. Koenen leitet ‫ תשיח‬von ‫ שיח‬mit der Bedeutung „nachsinnen / sich beschäftigen / klagen“ ab und zieht als Beleg hierfür v. a. die Übersetzung der LXX mit καταδολεσχέω („meditieren“) und des zweiten Symmachus mit προσλαλέω („zu jmd. sprechen“) an. In der hebräischen Etymologie gibt es jedoch keine Belege für eine solche Verwendung von ‫שיח‬, sodass diese Ableitung fragwürdig bleiben muss. Vgl. K. Koenen, Klagelieder, 193. 172 So auch Art. ‫שיח‬, in: HAHAT, 1347. 173 Vgl. Art. ‫שיח‬, in: HAHAT, 1347. 174 Vgl. B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 425.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

somit kein leiser Vorgang, sondern wird von einem „Aufbrausen“ der eigenen ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) begleitet, durch welches sich der Beter in seiner ganzen Zerrissenheit darstellt. Um das Tönen der Auflehnung der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) in Entsprechung zur Wassermetaphorik zu beschreiben, bietet sich eine Übersetzung von ‫ המה‬mit „aufbrausen“ an. Schwierig ist jedoch die Übersetzung der Präposition ‫„( על‬auf “/„über“), die von einigen Exegeten mit „in“ übersetzt wird,175 obwohl diese Konnotation für ‫ על‬nicht unbedingt naheliegt.176 Die Stelle Jon 2,8, an der ebenfalls von einem Schwachwerden der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) die Rede ist, scheint eine solche Annahme zu stützen, stellt man sich das „Aufbrausen“ innen im Beter vor. Häufig begegnet ‫ על‬auch in übertragener oppositioneller Bedeutung und wird dann mit „gegen“ übersetzt.177 Da jedoch keine weiteren vergleichbaren Belegstellen existieren, bleibt die Übersetzung schwierig. Gerade in Anbetracht des Zusammenhangs des inneren Zwiegesprächs kann besser mit: „und was braust du gegen mich mich auf?“ übersetzt werden. Beachtenswert ist bei ‫ המה‬zudem die Verwendung innerhalb der Korachpsalmen: In Ps 46,4 bezeichnet es das Toben des Meeres und in Ps 46,7 das Toben der Völker. Zudem stellt das „Aufbrausen“ (‫)המה‬ zwar nicht wörtlich, doch in konnotativer Hinsicht eine Anknüpfung an Ps 42,8 dar und erinnert dadurch an die Urflut (vgl. u. a. Gen 1,2; 7,11). Diese inhalt­lichen Textbezüge verstärken das Bild von Gott als Lebensquelle (vgl. auch V.2.4), ohne die die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) „aufbraust“ und nur wieder still werden kann bei Gott (Ps 62,2.6, u. a.)178. Anthropologische Fokussierung Das „Auflösen“ der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) im ersten Fragesatz aus Ps 42,6a knüpft metaphorisch an das Bild des „Ausgießens“ „dieser [Dinge]“ aus Ps 42,5 an. Die Vergegenwärtigung der Gotteserfahrung führt den Beter in die Auseinander­ setzung mit sich selbst, seiner ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) als Zentrum seiner Sehnsucht. Sie zergeht und löst sich wie flüssige Erinnerungen und Tränen auf (Ps 42,4.5b). Durch diese Beschreibung setzt der Beter den selbstreflexiven Vorgang im ersten Verbalsatz in Ps 42,6a fort und überführt ihn in ein Zwiegespräch. In diesem wird durch die direkte Anrede mit einem Verb179 an die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) mit Suffix in der 1.Pers.Sg.com. ein reflexives Verhältnis expliziert.180 Der Vers 175 Vgl. W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 203 und W. O. E.  Oesterley, Psalms, 241: „within me“; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 471: „in mir“. 176 Vgl. T. Muraoka, Grammar, 460 f; B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 216–218. 177 Vgl. M. Krause, Unterrichtsgrammatik, 83; Vgl. Art. ‫ על‬in: Gesenius, 962–966, 965; B. K.  Waltke / M. O’Connor, Introduction, 218; M. G.  Girard, Psaumes, 338: „contre moi“. 178 Für weitere Stellen, die Gott im Rahmen einer Wassermetaphorik beschreiben vgl. Kap. 3.2.1. 179 ‫ שיח‬in der 2.Pers.Sg.fem.PK.Hitpol’el. 180 Der Beter spricht durch seine ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) sich selbst direkt an. So auch in Ps 103,1: „Preise den Herrn, mein(e) Leben(skraft) (‫“]…[ )נפש‬.

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drückt im Sinne der o.g. Kriterien (Kap. 1.4.2) eine Selbstreflexion des Beters aus (Punkt 6). Eine ähnliche Ausdrucksweise findet sich im zweiten Fragesatz, in welchem der Beter sich über ein Verb181 als Objekt anspricht und als implizites Subjekt auftritt (Punkt 6). Darüber hinaus wird durch das Hinzukommen der Präposition ‫על‬ („auf “ / „über“) mit Suffix in der 1.Pers.Sg.com. der Beter, der zuvor implizit als Subjekt vorausgesetzt werden konnte, auch explizit als Bezugspunkt des eigenen Verhaltens, bzw. seiner ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) sichtbar. Das Nomen (‫ )נפש‬wird mit einem Suffix (aus dem ersten Verbalsatz) und zugleich mit der Präposition (‫)על‬ als Besitz der 1.Pers.Sg.com. angezeigt (Punkt 2). Es fällt darüber hinaus für beide Verbalsätze auf, dass das finite Verb der 2.Pers. Sg.fem. und der entsprechend suffigierte Stellvertreterausdruck (‫ )נפש‬auf denselben Referenten verweisen (Punkt 4).182

3.2.10 Ps 42,6b(.12b; 43,5b)  Harre auf Gott, denn ich werde ihn wieder preisen, die Rettung meines Angesichts und meinen Gott.

Die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) wird, anknüpfend an Ps 42,6a, durch ‫( יחל‬Hif ’il „warten“/ „harren“) im Imperativ angesprochen. Da die Anrede in der zweiten Person verbleibt, ist auch hier die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) Adressatin.183 Der Beter begründet seine Hoffnung auf eine Wiederkehr zu Gott mit der Erinnerung an den einstigen Lobpreis, der bereits in V. 5b memoriert und durch ‫ עוד‬angedeutet wird.184 Die Prädikation Gottes als „Rettung“ spielt multidimensional auf die Rettung vor den chaotischen Mächten aus Ps 42,8 und deren Entsprechung in den irdischen Feinden des Beters (u. a. Ps 42,4) an (vgl. Ps 18).185 Dass diese Rettung auch die Erhaltung bzw. Herstellung einer Rechtsordnung einschließt, expliziert allen voran Ps 43. 181 ‫ המה‬in der 2.Pers.Sg.fem.PK.Qal. 182 Bei der direkten Selbstanrede verweist eine finite Verbform der 2.Pers.Sg. gemeinsam mit einem suffigierten Stellvertreterausdruck (‫ )נפש‬auf denselben Referenten und stellt dadurch eine Abwandlung von Punkt 4 dar. Dieser muss dann in diesem Sonderfall lauten: 4. Ein finites Verb der 2.Pers.Sg. und ein entsprechend suffigierter Stellvertreterausdruck verweisen auf denselben Referenten. 183 T. Aoki, der ‫ אלה פניו‬übersetzt, versucht im Anschluss an Hieronymus und Aquila zwar kausal zu übersetzen, gesteht aber ein, dass auch hierfür wahrscheinlich eine Präposition fehle. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 72. Durch die Emendation (s. o.) wurden die syntaktischen und inhaltlichen Schwierigkeiten aufgelöst und der Teilvers mit „die Rettung meines Angesichts und meinen Gott“ übersetzt. 184 Vgl. W. O. E.  Oesterley, Psalms, 243; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 269. 185 Vgl. R. Müller, Wettergott, 42.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

Anthropologische Fokussierung Die Aufforderung an die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) auf Gott zu harren, erwächst aus der Meditation der vergangenen Gotteserfahrungen des Beters. Seine Selbstaufforderung an seine ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) setzt den Beter implizit als Objekt voraus und drückt durch den Selbstappell Selbstreflexion aus (Punkt 6):186 Der vor Jahwe entstehende Dialog zwischen dem hellhörig gewordenen Menschen und seinem vegetativen Selbst kann im Klagelied auch die Form des Selbstzuspruches annehmen (Ps 42,6.12;43,5) […] So erkennt der Mensch des Alten Testaments sich nicht nur vor Jahwe als næpæš seiner Bedürftigkeit, sondern er führt auch sein Selbst zum Hoffen und Loben weiter.187

Für die Ich-Sphäre kann daher festgehalten werden, dass diese auch hier syntaktisch-pronominal ausformuliert wird. Den Kontext stellt der durch die erzählende Beschreibung eingeleitete Denkvorgang (Ps 42,5a1) dar, der in ein Zwiegespräch überführt wird. Die Vergegenwärtigung der Gotteserfahrung (Ps 42,5b) führt den Beter in einen inneren Konflikt, in eine Reflexion der Widersprüchlichkeit seiner gegenwärtigen Situation.188 Durch die sprachliche Ausformulierung dieser Selbstreflexion wird die Ich-Sphäre als Reflexion der gestörten Selbstbezüge sichtbar. Der Beter reflektiert über seine Leib-Sphäre (‫ )נפש‬seine gestörte Gottesbeziehung und Sozialsphäre (Kultgemeinschaft / Feinde). Die Ich-Sphäre stellt sich als konnektive Relation zu den Konstituenten personaler Identität189 dar.

3.2.11 Ps 42,7a.b Über mir löst sich mein(e) Leben(skraft) auf, darum gedenke ich deiner vom Land des Jordan und vom Hermon her, vom Berg Mizar.

Der Vers legt die Betonung, im Gegensatz zum ersten Fragesatz in V. 6a, auf den Beter, indem er mit der suffigierten Präposition ‫„( עלי‬über mir“)190 beginnt. Das Verb ‫„( שיח‬auflösen“) aus V. 6a wird wieder aufgegriffen und ist auch an dieser Stelle auf die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) bezogen.191 Weil die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) des 186 Vgl. Kap. 1.3.2. 187 H. W.  Wolff, Anthropologie, 55. 188 Die Erinnerung ist daher, entgegen einer einseitigen Deutung, wie sie u. a. A. A. Anderson vornimmt, zugleich die Ursache der Verzweiflung des Beters und auch seine Hoffnung. Vgl. Ders., Psalms, 332. 189 Vgl. B. Janowski, Herz, 44. 190 Zu der Verwendung der Präposition vgl. R. A. Di Vito, Anthropologie, 227; Kap. 2.1. 191 J. Schaper geht davon aus, dass ‫ שיח‬in seiner Grundbedeutung „zerfließen“ bedeutet, übersetzt aber an dieser Stelle mit „sich auflösen“. Vgl. Ders., Studien, 57.

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Beters sich gegen ihn auflehnt (V. 6.7a) und „sich auflöst“ (‫)שיח‬, denkt er mit aller Macht aus der Ferne an seinen Gott.192 Die geographische Angabe, die auf den Aufenthaltsort des Beters verweist, lässt sich nicht mehr genau lokalisieren (vgl. auch Ps 84,7).193 A. Weiser vermutet den Ort „dort, wo an den Südhängen der Hermon-Berge der junge Jordan in brausenden Sturzbächen zu Tal rauscht (42,7 f.), in der Gegend des späteren Caesarea Philippi, muß er – wahrscheinlich in der Verbannung – weilen.“194 Tatsächlich kann, in Zusammenschau mit Ps 42,8, davon ausgegangen werden, dass es sich hier um das Bergland im Norden handelt, in dem sich die Jordanquellen befinden.195 Der Berg „Mizar“, der wörtlich übersetzt „kleiner Berg“ bedeutet, steht dem Tempelberg und Gott als ‫„( סלע‬Fels“) aus Ps 42,10a gegenüber, sodass die Entfernung des Beters von dem Heilsort bildlich dargestellt wird. Interpretationen, wie die M. Goulders, die das Ziel des Beters in Dan im Nordreich vermuten, entbehren jeden Anhaltspunkt im Text.196 Ausgesprochen wird vielmehr die Ferne zum Tempel in Jerusalem, wie das herkömmliche Verständnis der Präposition ‫ מן‬nahelegt.197 Anthropologische Fokussierung Stellt der Beter in seiner Zerrissenheit in V. 6a noch die Frage an sich und fordert sich zum Gottvertrauen auf, formuliert er in V. 7 diesen Zustand nicht mehr als Frage, sondern realisiert ihn durch einen Aussagesatz. Die Frage in V. 6a hatte noch offengelassen, ob das „Auflösen“ (‫ )שיח‬und „Aufbrausen“ (‫ )המה‬der ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) seine Berechtigung hat. Dagegen wird in V. 7 deutlich, dass die Infragestellung der eigenen unerfüllten Bedürftigkeit der Gewissheit der Gottesferne weicht. Die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) löst sich auf, ist dem Tode nahe, begehrt aber nicht mehr auf, wie noch in Ps 42,6, sondern sucht den Trost in dem Gedenken an Gott aus der Ferne. Die Vergegenwärtigung der lebendigen Gottesbeziehung ist durch Ps 42,5 und über die dritte Strophe eng mit dem Tempel verbunden.198 Über das aktive Erinnern und Vergegenwärtigen integriert sich der Beter bildlich in eine an das Tempelbild gebundene Heilsvorstellung, in der seine Notsituation umfassend aufgehoben ist, und geht dadurch gegen seine Notsituation an.199 Dieser Prozess kann als selbstreflexiv bezeichnet werden, da sich der Beter zu seinen Erinnerungen und Hoffnungen aktiv verhält, indem er sich trostsuchend mit ihnen auseinandersetzt. Die Selbstaufforderung zum Ausharren



192 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270. 193 Vgl. u. a. Th. Dockner, „Sicut cerva…“, 156. 194 A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 234. 195 Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 375; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 476. 196 Vgl. M. Goulder, The Psalms of the Sons of Korah, 31 f. Anders B. Duhm, Psalmen, 178. 197 Vgl. J. Schaper, Studien, 57. 198 Vgl. M. Gilbert, prophètes, 268. 199 P. A. De Boer, Gedenken, 63.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

auf Gott und der Versuch der Selbstermutigung des Beters wenden sich in V. 7 aus dem Selbstgespräch zur Selbstbeobachtung. Für die Ich-Sphäre kann daher festgehalten werden, dass in V. 7a Kriterien sprachlicher Selbstreflexion erfüllt werden. Zum einen wird das Nomen (‫ )נפש‬mit Suffix und zugleich der Präposition (‫ )על‬als Besitz der 1.Pers.Sg.com angezeigt (Punkt 2). Zum anderen verweisen sowohl das finite Verb als auch die entsprechend suffigierte Präposition (1.Pers.Sg.com.) auf den Beter (Punkt 3). Obwohl das finite Verb nicht in der 1.Pers.Sg. steht, zeigt es zudem mit dem suffigierten Nomen (‫ )נפש‬denselben Referenten an (Punkt 4). Durch die Beschreibung des eigenen Zustandes als ein „Auflösen (‫ )שיח‬des(r) Lebens(kraft) (‫“)נפש‬, reagiert der Beter selbstreflexiv auf seine Emotionen.200 Er beschreibt über den ‫נפש‬-Begriff sein körperlich erlebtes Leiden und antwortet darauf mit dem Gedenken an Gott (vgl. Ps 42,5a1). Der Reflexionsprozess ist gerahmt durch die Vergegenwärtigung der Gottesbeziehung mit ‫זכר‬, die deskriptiv-erzählend die Ich-Sphäre zum Ausdruck bringt. Zwar greifen hier die pronominal-syntaktischen Kriterien (Kap. 1.4.2) nicht mehr, doch kann beobachtet werden, dass ‫ זכר‬den Reflexionsvorgang erzählend benennt. Der Beter beschreibt reflexiv die Vergegenwärtigung Gottes, die geprägt ist von der kultischen Heilsaktualisierung (durch den Kult begegnet der Beter Gott und die geschichtliche Heilszusage wird aktualisiert, vgl. Kap. 3.2.6).201 Die Teilhabe an der Kultgemeinschaft, die für den Beter nur aus der Ferne möglich ist (V. 7b), vollzieht die Integration in die Leib- und Sozialsphäre und ermöglicht Gottesnähe. Sie ist der Zielpunkt, der die soziale Isolation und das körperliche Leiden beseitigt. Analog zu Ps 42,5 drückt das Verb ‫ זכר‬auch in V.7b eine umfassende Selbstintegration aus.202 Die Ich-Sphäre wird dadurch als ein Vorgang kultischer Vergegenwärtigung eigener Heilsgeschichte deutlich, die konstitutiv für personale Identität203 ist.

3.2.12 Ps 42,8a.b Flut ruft zur Flut beim Tosen deiner Wasser, alle deine Brandungen und deine Wellen gehen über mich hin.

In Hinblick auf die syntaktische Struktur des Verses sind zunächst die beiden identischen Nomina, die durch die Präposition ‫ אל‬mit Maqqeph-Verbindungen miteinander verbunden sind, auffällig. Das erste Nomen ist aller Wahrscheinlich 200 Vgl. R. A. Di Vito, Anthropologie, 227. 201 Vgl. P. A. De Boer, Gedenken, 36.42. 202 Dabei ist der atl. Mensch als konnektives Wesen in seiner Leibsphäre zugleich mit angesprochen. Vgl. Kap. 1.3.5. 203 B. Janowski, Herz, 45; Kap. 1.3.6.

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keit nach als Subjekt, das zweite Nomen als Objekt zu verstehen. Sie sind durch das Partizip204 von ‫„( קרא‬rufen“) verbunden, sodass sich ein partizipialer Nominalsatz ergibt, der durch die Präposition ‫„( ל‬beim“) mit ‫„( קול‬Tosen“) und dem zugehörigen Nomen ‫„( צנור‬Wasser“) eine adverbielle Bestimmung erhält.205 Mit den Fluten sind hier die lebensbedrohlichen Urfluten gemeint, die einerseits an Gen 1,2 erinnern und die Situation des Beters als eine von dem Schöpfergott verantwortete Notlage verbildlichen, andererseits intertextuelle Beziehungen innerhalb der Korachpsalmen herstellen (Kap. 4.6.3).206 Zudem deutet sich mit dem Begriff ‫ תהום‬die mit dem Tempel und dem Chaoskampf verbundene Symbolik eines Urozeans an (Kap. 4.2.5.1 und 4.2.5.2).207 Durch den Antagonismus von Gott als lebensspendendes Wasser auf der einen und Gott als Herrscher über die tosenden Urfluten auf der anderen Seite, stellt sich ein ambivalentes Gottesbild dar.208 Die erneute Aufnahme und negative Kontextualisierung von ‫ קול‬aus Ps 42,5 betont diese Ambivalenz und setzt Ps 42,8 zugleich in ein Verhältnis zur vorausgehenden Erinnerung des Beters. Gott tritt als Verursacher der Notlage und zugleich als einzige Rettungsmöglichkeit in Erscheinung.209 Dadurch wird die Entfernung vom Tempel als Ort der Chaosbändigung, der als Zielpunkt (vgl. Ps 42,3b) vor Augen steht besonders betont.210 Anthropologische Fokussierung Das Erleben der Gottesferne spiegelt und steigert sich in der Gefühlswelt des Beters als Erleben des schrecklichen Schöpfergottes.211 Der Text nutzt hierfür das ambivalente Potential der Wassermetaphorik und erweitert somit die existentielle Angewiesenheit des Beters auf Gott um den Aspekt der damit einhergehenden Verantwortlichkeit Gottes für den Beter. Diese ergibt sich aus der existentiellen

204 Part.Sg.mask.Qal. 205 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 73 f; D. Faivre, Vivre et Morir, 15 f. 206 Die Deutung der ‫ תהום‬in diesem Kontext als „Urflut“ ist weitestgehend unumstritten. Vgl. J. Schaper, Studien, 59. 207 Vgl. E. K.  Holt, Fontes, 76. Auch in den altorientalischen Parallelen ist der Ursprung der Chaosmotivik in der Königsideologie zu sehen. Vgl. M. Bauks, Chaos, 460; T. Podella, Der „Chaoskampfmythos“, 283–329, 301. Chaos und Schöpfung stehen z. T. nebeneinander und sind nicht kausal in die Abfolge von der Chaosbändigung zur Schöpfung gebracht. So kann bspw. an Ps 74.89 erkannt werden, dass vielmehr der Kampf gegen die Chaosmächte ein Resultat der Schöpfungstätigkeit darstellt. Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 428; L. Vosberg, Studien zum Reden vom Schöpfer, 47. 208 Vgl. P. Reymond, L’eau, 240 f. 209 Die königszeitliche Vorstellung von JHWH, der als Gott des Lebens vor dem Tod errettet und lediglich passiv Leid zulässt, wird durch die direkte Anklage an Gott als aktiv Handelnder in Ps 42,8 transformiert. Vgl. M. Leuenberger, Bestattungskultur, 328 f. 210 Altorientalische Quellen zeigen, dass der Tempel auch als Ort der ersten Chaosbändigung verstanden wurde. Vgl. B. Janowski, Tempel und Schöpfung, 221. 211 Vgl. S. Gelander, Experience, 80.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

Abhängigkeit des Beters als Geschöpf von Gott (Ps 42,2 f.).212 Ps 42,8 als Antwort auf Ps 42,7 kann nur bedeuten: Die Erinnerungen, die der Beter zuvor in Ps 42,6a auf seine ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) ausgegossen hatte und die zu ihrer Auflösung führen (Ps 42,7), lassen Gott nun als abgewandten Herrscher erscheinen, der sich mit lebensbedrohlichen, tosenden Fluten gegen ihn wendet.213 Über die Explikation der Ich-Sphäre, die Vergegenwärtigung erlebter Gotteserfahrungen, wird sich der Beter seiner Notlage vollumfänglich als psychosomatische Existenzbedrohung bewusst und erkennt: „In Beziehungsverlust und sozialer Isolation greift der Tod im Leben Raum.“214

3.2.13 Ps 42,9a.b Am Tag erweist JHWH seine Gnade, und des Nachts ist ein Lied für ihn bei mir, ein Gebet zum Gott meines Lebens.

Im Gegensatz zu Ps 42,8, der noch von der Bedrohung des Menschen durch die tobenden Urfluten Gottes zeugt, beschreibt V. 9 die Gnade Gottes am Tage und das Singen des Beters in der Nacht und variiert die Gottesbeschreibung durch die Verwendung, der in diesem Psalm singulären, Gottesbezeichnung „JHWH“. T. Aoki bemerkt ferner die einzigartige Verwendung des Verbs ‫ יצוה‬mit ‫ חסד‬als Objekt.215 Die Vorstellung der ‫„( חסד‬Gnade“) ist mit R. Müller als Teil des Motivkreises des göttlichen Königtums zu verstehen, mit der sich JHWH der Gemeinde zuwendet und die ihre Entsprechung im Gunsterweis der königlichen Audienz hat.216 Die Gnade Gottes wird wie ein Bote zu dem Beter geschickt (vgl. Ps 91,11) und erinnert an die Forderung des Beters aus Ps 43,3a, nach der Sendung von ‫„( אורך ואמתך‬dein Licht und deine Wahrheit“), sodass nun vor dem Hintergrund von V. 9a der Eindruck entsteht, Gottes Gnade sei bereits gegenwärtig und der Beter müsste nicht erst von „Licht und Wahrheit“ zu Gott geführt werden. Die Gnade Gottes zeigt sich, ebenso wie seine Gerechtigkeit (Ps 43,1 f.) in der Bewahrung des Frommen vor den Feinden.217 Um den Widerspruch zu der gegenwärtigen Situation des Beters aufzulösen, könnte das Verb ‫( יצוה‬wörtl.: „er befiehlt“) in der PK futurisch gedeutet werden,218 doch bereitet dann der zweite Versteil Probleme:

212 Vgl. H. Irsigler, Interdependenz, 362 f. 213 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 536. 214 C. Frevel, Menschsein, 23 f. Das Verharren in diesen Todesgedanken spiegelt die depressive Gefühlswelt des Beters. Vgl. P. A.  Kruger, Gefühle, 255 f. 215 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 233. 216 Vgl. R. Müller, Wettergott, 205. 217 Vgl. R. Müller, Wettergott, 202. 218 So u. a. J. Schaper, Studien, 10. 

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Die beiden Halbverse zeigen ihre enge Verbundenheit in der Kontrastierung der Zeit- und Personenangabe (tags – nachts und Gott – Beter). Bei V. 9b handelt es sich um eine Umstandsbeschreibung: In der Nacht ist sein (=JHWHs) Lied beim Beter.219

V. 9a ist dementsprechend wahrscheinlich als regelmäßige Handlung zu verstehen und im Präsens zu übersetzen.220 Bei einem Blick in die Parallelstellen für den Begriff ‫ שירה‬zeigt sich, dass „sein Lied“ im Sinne von „ein Lied für ihn“ zu verstehen ist.221 So ist im Kontrast zum Tag, nachts die Gnade nicht selbstverständlich bei dem Beter, sondern erfordert seine aktive Zuwendung zu Gott durch Lied und Gebet. Weiterhin kann überlegt werden, ob „Tag“ und „Nacht“ metaphorisch für Zeiten der Freude und Zeiten des Leids stehen, doch bleiben solche Spekulationen hypothetisch. Dennoch ist davon auszugehen, dass in dem Gebrauch des Gegensatzes von Licht und Finsternis bildlich die Opponenten Kosmos und Chaos anklingen.222 Es ist zudem möglich, dass es sich hier um einen Gegensatz handelt, der ähnlich des Motivs der „Hilfe JHWHs am Morgen“, einen Zusammenhang herstellt zwischen der Not und Errettung des Beters und der Jerusalemer Kulttradition (u. a. Ps 46,5–7; Jes 17,12–14; 29,7 f.).223 Das Partizip von ‫( קדר‬Qal: „dunkel sein“/„traurig sein“) bezeichnet auch in Ps 42,10 die Bedrängnis durch die Feinde.224 Dass auch abseits der tempeltheologischen Dimension besonders nachts eine Zeit des Zweifelns und der leidvollen Suche nach Trost bei Gott ist, wird in zahlreichen Psalmen deutlich (Ps 6,7; 77,7 und 139,11). Auch Hld 3,1 beschreibt die Nacht als Zeit des Innehaltens und der Suche nach Gott:225 Auf meinem Lager des Nachts suchte ich, den meine Lebenskraft (‫ )נפשי‬liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht.

Mit der Aufnahme der Begriffe „Tag“ und „Nacht“ findet eine Anknüpfung an die geschilderte Sehnsucht des Beters (Ps 42,4a) statt und stellt sie in den Kontext einer hoffnungsvollen, den Kosmos stets erneut wiederherstellenden Wendung.226

219 T. Aoki, Angesicht, 233. 220 Eine präsentische Deutung wird von den meisten Exegeten vorgenommen, z. T. jedoch auch im Anschluss an vorgenommene Konjekturen. Vgl. P. C.  Craigie, Psalms, 327; H. Gunkel, Psalmen, 177; H. Herkenne, Psalmen, 165; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 471. 221 Gerichtet ist das Lied (‫ )שיר‬an Gott: Ps 28,7; 33,3; 40,4; 69,31 u. a. 222 Vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit, 174.183. 223 Vgl. A. a. O., 186 f; O.  Keel / C.  Uehlinger, Gottessymbole, 282–284. 224 Die Dunkelheit ist Zeit der Feindbedrohung. Vgl. B. Janowski, Licht, 88. 225 Ob es historisch tatsächlich eine Zeit gab, in der Tempelgebete durchgeführt wurden, bliebt jedoch spekulativ. Vgl. P. D.  Miller, They Cried to the Lord, 48. 226 Der Tag-Nacht-Zyklus veranschaulicht das stets neue Schöpferwirken JHWHs, der mit dem Tagesanbruch auch die Rechtsordnung (wieder)herstellt und die nächtlichen Bedrohungen vertreibt (vgl. Ps 104,19–23; Ijob 38,12–15). Vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit, 183 f.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

Anthropologische Fokussierung Im Gegensatz zu der akuten Notlage des Beters kündet V. 9 davon, dass die Gnade JHWHs täglich bei ihm ist und selbst nachts eine Hinwendung zu ihm im Gebet möglich. Dies verdeutlicht auch der Begriff ‫תפלה‬, der auf den sich gegenwärtig in der Nacht vollziehenden Gebetsprozess verweist.227 V. 9 stellt eine proleptische Lösungsbeschreibung dar, die auf die Wiederherstellung des Kosmos und damit der Rechtsordnung durch JHWH rekurriert. Die im Gebet an Gott gerichtete Klage wird zudem vor dem Hintergrund der Bedeutung des Gemeinschaftsaspekts in den Korachpsalmen (vgl. Ps 42,5b; 48,9a.10.11a) als Ausweg aus der Situation deutlich: Die Reflektion dient der Gemeinschaft der Frommen als Vergewisserung persön­ licher und gemeindlicher Identität in einer Zeit größer werdender Distanz zur Tradition. […] Aus der kultisch vermittelten Gleichzeitigkeit des ursprünglichen Zionsliedes (V. 9aβγ) wird das Spannungsfeld von Tradition und eigener Erfahrung. So findet sich nun nicht allein der einzelne wie in Ps 42/43, sondern auch die Gemeinde vor und erwägt vergleichend Jahwes ḥæsed im Tempel (Pi dmh). […] Derart bekennend vergewissert sich die betende Gemeinschaft zugleich ihrer eigenen Identität als Gemeinde Jahwes.228

Das Gebet präsentiert sich als anthropologischer Schlüssel zum Menschsein in der Gottesbeziehung.229 Ohne Gebet bleibt die Gnade Gottes durch den Menschen unbeantwortet und dieser nachts, in der Dunkelheit und im Chaos, allein. Hier findet sich das positive Gegenstück zur Formulierung der Ich-Sphäre in Ps 42,5–7. Der Beter kann durch das Gebet die gestörten Relationen zu Gott, seiner Leib- und Sozialsphäre wiederherstellen. Durch die Explikation der Ich-Sphäre im Gebet wird eine Selbstintegration des Beters hergestellt, welche die leibliche Präsenz am Tempel ersetzen kann.

3.2.14 Ps 42,10a.b Ich spreche zu Gott, meinem Felsen: Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind?

Nach der Redeeinleitung, die sich durch die Präposition ‫ ל‬an ‫„( אל‬Gott“) richtet, schließt sich das syntaktisch nicht eindeutig zuzuordnende ‫„( סלעי‬mein Fels“) an. 227 Vgl. auch zum Begriffswandel im Targum: M. Bernstein, A Jewish Reading of Psalms, 497–500. 228 J. v. Oorschot, Korachpsalmen, 427 f. 229 Vgl. H. Irsigler, Interdependenz, 380–382.

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Entweder wird es als nomen rectum einer mit ‫„( אל‬Gott“) gebildeten Constructus-Verbindung verstanden oder als Vokativ der sich anschließenden direkten Rede.230 Der Vergleich mit der direkten Rede in Ps 42,4b („Wo ist dein Gott?“),231 deutet jedoch darauf hin, dass es sich hier um eine direkte Rede handelt, die mit einem Fragewort beginnt und eine Lesart von ‫„( סלעי‬mein Fels“) als nomen rectum nahelegt.232 Zudem entspricht es dem Stil von Ps 42,3, dass die Gottesbezeichnung näher durch eine attributive Zuordnung bestimmt wird.233 Die Bezeichnung Gottes als Fels (‫)סלע‬234 verweist vor dem Hintergrund der gebräuchlichen Lokalisierung von Gottheiten auf Bergen,235 auf die Vorstellung eines auf dem Zion wohnenden Gottes, wenngleich der „Zion“ nicht explizit genannt wird:236 „Die innere Nähe Jhwhs zu höher gelegenen Orten spiegelt sich auch in der Erwählung des Berges Zion (ab 2 Kön 19,31; Jes 4,5…), des Tempelberges in Jerusalem.“237 Auch Ps 43,2 verweist durch eine Variante dieses Verses auf die zionstheologische Bedeutung der Felsmetaphorik. Die Wendung ‫„( אלהי מעוזי‬Gott meiner Zuflucht“) gehört ebenfalls in das Bedeutungsfeld „Berg“ und „Fels“ im Alten Testament. ‫מעוז‬ kann auch mit „Bergfeste“/„Schutz“ übersetzt werden.238 Zusammen mit der stark tempelmetaphorischen Prägung der dritten Strophe des Doppelpsalms, sorgt die Wendung ‫„( אלהי מעוזי‬Gott meiner Zuflucht“) für die Verbindung des Felsens aus Ps 42,10 mit der rettenden Funktion Gottes auf dem Berg, der kein anderer als der Zion in Jerusalem sein kann.239 Dies stützt auch Ps 42,7, in dem der Beter seine physisch-räumliche und zugleich psychische Entfernung von dem mit Heil verbundenen Berg (Zion) durch die Nennung seines Aufenthaltsortes, eines für ihn mit Unheil verbundenen Berges, ausdrückt: ‫( מהר מצער‬vom Berg Mizar) (Kap. 4.5). Der ersehnte Berg der Zuflucht, der Gott als Fels repräsentiert (Ps 42,10; 43,2), steht dadurch dem Berg Mizar, der als „falscher“ Berg die gegenwärtige Notlage

230 Ein nomen rectum lesen hier u. a.: C. A.  Briggs, Psalms 370; F. Delitzsch, Psalmen 349; B. Duhm, Psalmen, 180; H. Gunkel, Psalmen, 183; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 471. Dagegen u. a.: M. Dahood, Psalms I, 255; K. Seybold, Psalmen, 173. 231 ‫„( למה שכחתנ‬warum hast du mich vergessen?“) erinnert an die Frage aus Ps 42,4b. 232 Der Begriff ‫ סלע‬begegnet ausschließlich in den Psalmen und steht dabei immer mit Suff. 1.Pers.Sg. Vgl. D. Eichhorn, Fels, Burg und Zuflucht, 92. 233 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 75. 234 In Dtn 32 begegnet der Begriff siebenmal und wird im Deuteronomium als Leitmotiv eingeführt. Vgl. G. Fischer, „Der Fels“, 23. 235 Die Verortung der Gottheit auf Bergen ist auch in Mesopotamien gebräuchlich. Vgl. F. Stolz, Figuren, 10. G. Fischer warnt jedoch zu Recht vor einer Verengung des Gottesbildes zu einem ‚Berggott‘. Die starken Schöpfungsbezüge und die Herkunft des JHWH-Namens sprechen gegen einen ‚Berggott JHWH‘. Vgl. G. Fischer, „Der Fels“, 25.  236 Vgl. D. Eichhorn, Fels, 95. 237 G. Fischer, „Der Fels“, 24. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 238 Vgl. G. Fischer, „Der Fels“, 25. 239 Die Vorstellung eines Felsen, der vor bedrohlichem Wasser Schutz bietet, findet sich auch in Ps 49,3 f.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

symbolisiert, gegenüber. D. Eichhorn fasst die Funktion der Fels- und Schutzmetaphorik in Ps 42,10; 43,2 treffend zusammen: Diese Klage wird unerhört gesteigert dadurch, daß der Beter gerade bei seinen Aussagen des Vergessen- und Verworfenseins durch Jahwe an Jahwe in seiner genau entgegensetzten Funktion appelliert […] Das Festhalten an dieser Funktion Jahwes, das die Aktualisierung dieser Funktion sachgemäß in seiner Offenbarung Jahwes an den Beter (43,3; 42,9) erhofft, auch wo er Jahwe in dieser Situation nicht erfährt, führt zur Bedrängnis durch die Feinde, die seine Zerschlagenheit schmähen, ja sie dadurch vergrößern, daß sie ihn durch die Frage (die er sich bohrend selbst stellen mußte – 42,4): wo ist nun dein Gott? (42,11) dabei behaften, daß er ein Widerspruch in sich selbst ist.240

An die vertrauensvolle Redeeinteilung schließt sich die Frage an: ‫„( למה שכחתני‬Warum hast du mich vergessen?). Der Beter nimmt durch diesen Vorwurf Gott in die Verantwortung: Wenn Jhwh eine Person oder eine Gruppe vergisst oder sein Angesicht vor ihr verbirgt, so ist dies nach alttestamentlicher Vorstellung vielmehr als eine aktive, gegen die betroffene Person oder Gruppe gerichtete Handlung zu verstehen, die diese in größte Not und Gefahr bringt.241

Letztere werden durch die zweite Frage expliziert: ‫„( למה־קדר אלך בלחץ אויב‬Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind?“). Sie wird durch ein zweites ‫„( למה‬warum“) an die erste Frage angeschlossen, wodurch das Fragen des Beters gegenüber Ps 42,4b integriert wird. Durch das doppelte ‫„( למה‬warum“) entsteht eine Parallelführung der beiden Fragen, sodass „nach Ps 42,10 die Tatsache, dass Gott einen Menschen vergisst, zur Bedrohung dieses Menschen durch einen Feind“242 führt.243 Es werden dabei ein Partizip und ein finites Verb verwendet, wobei das Partizip von ‫( קדר‬Qal „dunkel sein“/„traurig sein“)244 eine adverbielle Bestimmung des Verbs ‫„( הלך‬gehen“) darstellt. ‫„( לחץ‬drängen“/„bedrücken“) ist in Verbindung mit der Präposition ‫ ב‬substantiviert und bedeutet wörtlich: „in der Bedrängnis“. H. Gunkel bezieht ‫„( למה־קדר אלך‬trauernd umhergehen“) auf die schwarze Kleidung der Kranken und schließt darauf, dass es sich um eine Situation schwerer Krankheit handelt, in der sich der Beter befindet. In diesem Sinne versteht er dann auch die Aussage zu den Gebeinen in Ps 42,11 als Verweis auf 240 D. Eichhorn, Fels, 94. 241 J. Wöhrle, Klagepsalmen, 228. 242 J. Wöhrle, Klagepsalmen, 230. 243 Eine nähere Bestimmung des feindlichen Umfelds erweist sich als schwierig. Denkbar ist jedoch, dass der Konflikt um die Legitimation der Korachiter am Tempel hier ursprünglich im Hintergrund stand. Spätestens mit Ps 43,1 verlagert sich die Feindschaft auf nationale Ebene. Vgl. J. D.  Pleins, The Social Visions, 428 f. 244 J. Schaper nimmt hier eine Emendation vor und übersetzt ‫ קדד‬mit „gebückt“/„gebeugt“. Ders., Studien, 62.

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körperliche Schmerzen.245 Konkrete Anhaltspunkte gibt es für eine Krankheit des Beters jedoch nicht.246 Verstehen die meisten Exegeten das Fragen des Beters als ein an Gott gerichtetes, vertritt H. Schmidt die Meinung, dass sich die zweite Frage an den Beter selbst richte.247 Als Argument dafür, dass sich die zweite Frage nicht mehr an Gott, sondern wieder an den Beter richtet, könnten die demgegenüber kurzen Fragen in Ps 42,4.11 angeführt werden, sowie Ps 42,3b, in dem der Beter ebenfalls die Frage an sich selbst richten könnte. Das Zweifeln des Beters könnte dann mit T. Aoki als gesteigerte und grundsätzliche „Warum“-Frage verstanden werden, die sich zuerst an Gott, dann an den Beter selbst richtet.248 Ein Adressatenwechsel kann dennoch im Text nicht eindeutig erkannt werden und die Parallelführung der Fragen legt nahe, dass es sich um den gleichen Adressaten handelt. Dennoch richtet der Beter durch das laute Aussprechen dieser unbeantwortet bleibenden Fragen, zugleich die Fragen auch an sich selbst. Sie drücken die Ambivalenz des Beters aus, der die Anerkennung Gottes als „Fels“ und seine jetzige Notlage, in der Gott ihn gerade nicht aus den Fluten errettet (Ps 42,8), nicht in Einklang zu bringen vermag.249 Anthropologische Fokussierung Bei der Betrachtung der Fragen wird eine psychologische Entwicklung des Beters deutlich. Die zweifelnde Frage der Anderen aus Ps 42,4, die der Beter vorher nicht selbst zu stellen gewagt hatte, wird zur begründeten Frage in Ps 42,10. Er richtet sie in direkter Rede an Gott, den er für seine Notlage verantwortlich sieht und steigert seine Anklage:250 The root ‫( שכח‬to forget) denotes the process whereby persons or things become so distant to the mind that they are no longer recognisable or held in memory (cf. Deut. 4:9; Isa. 65:5; Job 28:4). To forget can also be a conscious turning away from someone.251

Daran wird die inhaltliche Anknüpfung an V. 8 deutlich, der Gott als abgewandten Herrscher erscheinen lässt, der sich mit lebensbedrohlichen, tosenden Fluten gegen ihn wendet. Die Explikation der Ich-Sphäre des Beters aus Ps 42,5–7 führt den Beter zur Schilderung des ambivalenten Gottesverhältnisses in Ps 42,8.10. Es tritt deutlich zu Tage, dass das in Ps 42,9 gezeichnete Bild der Gnade Gottes nicht 245 Vgl. J. Wöhrle, Klagepsalmen, 228. 246 Wird das Partizip ‫( קדר‬Qal „dunkel sein“/„traurig sein“) als metaphorischer Verweis auf die Kleidung verstanden, könnte diese auch allgemeiner auf Trauer- oder Bußkleidung hinweisen. Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen. 1–50, 270. 247 Vgl. H. Schmidt, Psalmen, 79. 248 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 75. 249 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270. 250 Vgl. S. Olofsson, Deer, 41. 251 A. Basson, Metaphors, 183. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

hineinpassen will in die Notsituation des Beters und sein vorwurfsvolles Fragen vor dem Hintergrund des eingefügten Ps 42,9 noch drastischer in seiner Ambivalenz erscheint, zugleich aber durch ihn der Lösungsweg, die Selbst-Integration des Beters durch das Gebet, klar vorgegeben wird.

3.2.15 Ps 42,11a.b Wie Mord ist es in meinen Gebeinen, wenn meine Gegner mich verhöhnen, da sie allezeit zu mir sagen: Wo ist dein Gott?

Die ersten beiden Begriffe des Verses werden in der Forschung verschieden übersetzt,252 da nicht nur die Bedeutung der Begriffe, sondern auch die Präpositionen Schwierigkeiten bereiten. Eine wörtliche Übersetzung mit „bei Mord in meinen Gebeinen“ ergibt keinen Sinn, ebenso wenig wie die von T. Aoki vorgeschlagene Lösung, die Präposition temporal zu verstehen und zu übersetzen „Bei der Zermalmung meiner Gebeine verspotten mich meine Bedränger“.253 Sinnvoll scheint dagegen der Vorschlag E. Jennis, der diese unter den „modalen Verbindungsweisen von ‫ ב‬mit einem auf ein (positives oder negatives) inneres Erleben / Empfinden referierenden Verbalabstraktum“254 subsummiert. Ähnlich schlagen auch andere Exegeten vor, die Präposition hier im Sinne einer Bezeichnung der Art und Weise zu übersetzen, sodass sich ergibt: „Wie Mord ist es in meinen Gebeinen“.255 V. 11b ist fast identisch mit Ps 42,4b. Lediglich das Suffix in der 3.Pers.Pl.mask., das an ‫„( אמר‬sagen“) angehängt ist und wodurch die zweifelnde Frage konkret „den Gegnern“ zugeschrieben wird, unterscheidet V. 11b von Ps 42,4b. Die Frage wird dann durch das Verb ‫„( חרף‬verhöhnen“) zeitlich vorzeitig (AK) eingeordnet und zeigt an, dass der Zustand aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart andauert.256 K. Seybold versteht die Wendung ‫ ברצח בעצמותי‬gemeinsam mit der lokalen Angabe in Ps 42,7 als einen Hinweis auf die Situation des Beters, bei dem es sich um einen auf dem Weg zum Tempel im Jordantal Verunglückten handle.257 Der Text selbst gibt jedoch keinen näheren Hinweis auf einen solchen Unfall, weshalb die Wen 252 „Beim Zerbrechen meiner Gebeine“ übersetzt J. Schaper, Studien, 10; „Wie Stechen in meinen Gliedern“ übersetzt F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 267. 253 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 77.91. 254 E. Jenni, Die hebräischen Präpositionen, 342. 255 Ähnlich u. a., F. Delitzsch, Psalmen, 349; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 267. 256 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 76. 257 Vgl. K. Seybold, Studien, 281. A. E. Zernecke kritisiert grundsätzlich das Bestreben Rückschlüsse auf konkrete Situationen des Beters zu ziehen, da es sich hierbei immer um Texte exemplarischen Charakters handle. Dabei lässt sie jedoch außer Acht, dass Texte immer bestimmte, den Schreibprozess auslösende Erfahrungen voraussetzen, die zunächst individuell

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dung mit E. Zenger eher als eine körperlich spürbare Auswirkung des Spottes der Feinde zu verstehen ist.258 Zu beachten gilt ferner, dass hier Gott nicht mehr eindeutig als Adressat erkennbar ist, sodass überlegt werden kann, ob die doppelte Frage aus Ps 42,10 nun in V. 11 in ein Selbstgespräch des Beters überführt wird. Da jedoch kein eindeutiger Perspektivwechsel vollzogen wird, ist die Ausführung in V. 11 aller Wahrscheinlichkeit nach im Anschluss an Ps 42,10 als an Gott gerichtet zu verstehen. Anthropologische Fokussierung Gerade weil die Anfeindungen von außen das eigene Zweifeln widerspiegeln, wie in Ps 42,10 deutlich wurde, ist die Frage der Gegner „wie Mord in den Gebeinen“ des Beters. Der selbstreflexive Prozess beschränkt sich nicht allein auf die Innengerichtetheit des Beters (Ps 42,5–9), sondern wird direkt vor Gott gebracht. Die Fragen drücken dabei die verschiedenen Dimensionen der Desintegration des Beters aus: Ps 42,8.10 thematisieren die problematische Gottesbeziehung, die über die soziale Außenseite in Ps 42,10b.11 gespiegelt wird. Die körperlich erlebte Dimension der Notlage (V. 11a) veranschaulicht, dass die verschiedenen Identitätsmarker der personalen Identität259, Leibsphäre, Sozialsphäre und Gottesbeziehung einander durchdringen und bedingen. Der Beter begegnet dieser Desintegration mit der Benennung und Explikation seiner Ich-Sphäre im anschließenden Refrain.

3.2.16 Ps 42,12a.b(.6a.b; 43,5a.b)260 Anthropologische Fokussierung Durch den Reflexionsprozess des Beters wird der circulus diaboli deutlich, in dem er sich befindet: Gottesferne / Notlage des Beters (u. a. V. 3) → Zweifelnde Frage von außen (V. 4) → Selbstreflexion des Beters (V. 5 f.) → Gottesferne / Notlage des Beters (u. a. V. 7 f.) → Zweifelnde Frage des Beters (V. 10) = Zweifelnde Frage von außen (V. 11) → Selbstreflexion des Beters (V. 12). Die Refrainstrophen zeigen, dass die Gottesferne und die damit einhergehende Desintegration eine immer erneute Formulierung der Ich-Sphäre vorantreiben.

erlebt werden. Vgl. dies., Handerhebungsgebete, 347. Dennoch reichen die Hinweise in diesem Psalm wohl kaum, um eine solch konkrete Situation, wie sie K. Seybold rekonstruiert, mit Sicherheit behaupten zu können. 258 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270. 259 Im Sinne B. Janowskis, vgl. Kap. 1.3.5 und 1.3. 260 Vgl. Beobachtungen zu Kap. 3.2.10.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

3.2.17 Ps 43,1a.b Schaffe mir Recht, Gott, und streite meinen Streit, vor nicht gütigem Volk, vor falschen und bösen Menschen errette mich.

Ps 43,1 beginnt mit dem Imperativ ‫„( שפטני‬schaffe mir Recht“) und mit dem Vokativ ‫„( אלהים‬Gott“).261 Es findet durch die Verwendung des an Gott gerichteten Imperativs eine Wende statt. Das Lexem ‫( שפט‬hier: „Recht verschaffen“) bietet dabei verschiedene Verständnismöglichkeiten, wobei besonders drei Konnotationen für Ps 42/43 von Relevanz sind. Erstens bezeichnet ‫ שפט‬in vorstaatlicher Zeit die Tätigkeit einer Leitungsposition und ist an diesen Stellen nicht forensisch konnotiert.262 Verschiedene Belege weisen darauf hin, dass „die mit dem Verb šāpaṭ ausgesagte Regierungstätigkeit monarchisch konzipiert sein kann“263. Zweitens kann ‫„ שפט‬entscheiden im Übergang zu richten“264 bezeichnen, was besonders deutlich wird, beachtet man die präpositionale Einbindung des Verbs in Rechtskontexte.265 In der Anrede des Beschuldigers und des Beschuldigten zielt ‫ שפט‬weniger auf die Verurteilung des Kontrahenten als vielmehr auf die richterliche Schlichtung des Konflikts.266 Da das Lexem nicht die richterlichen Entscheidungen zwischen „Freispruch“ und „Verurteilung“ konnotiert, werden diese Sachverhalte i. d. R. durch ergänzende Verben ausgedrückt.267 Das Bedeutungsfeld der durch Personen geforderten Schlichtung ist eng verbunden mit dem Gebrauch von ‫ שפט‬als Richten im Sinne von Gerechtigkeit und Recht.268 Eine solche forensische Kon 261 Dieser erinnert an Ps 26,1 und legt dadurch eine Klassifizierung von Ps 43 als Bittpsalm nahe. Vgl. W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 206. E. S.  Gerstenberger, Psalms I, 181. 262 Vgl. H. Niehr, 417 ,‫שפט‬. Siehe auch Ri 10,2.3; 12,7–15 oder in Zusammenhang mit Herrschaftsausübung Gen 19,9. 263 H. Niehr, 417 ,‫שפט‬. Dies stützen u.a 1 Sam 8,5 f.20 und 1 Kön 3,9 (par. 2 Chr 1,10 f.). 264 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 265 So z. B. in Gen 16,5; 31,53; Ex 18,16; Num 53,24; Dtn 1,16; Ri 11,27; 1 Sam 24,13.16; Jes 2,4; 5,3; Ez 34,17.20.22; Mi 4,3. Vgl. ebd. 266 Vgl. A. Basson, Metaphors, 150 f; H. Niehr, 417 ,‫שפט‬. 267 Vgl. H. Niehr, 418 ,‫שפט‬: „Dies geschieht durch die Nennung von ṣdq hiph und ršc hiph in Parallele zu und als Konsequenz aus šāpaṭ (Dtn 25,1; 1 Kön 8,32; Ps 37,33; 82,3; vgl. Ps 109,7). Weitere Konsequenzen sind die Vergeltung gemäß dem eigenen Wandel (‫ → דרך‬dæræḵ), der über den Schuldigen gemacht wird (1 Kön 8,32; vgl. Ez 16,38) bzw. demgemäß das Richten vonstattengeht (Ez 7,3.8; 18,30; 24,14; 33,20; 36,19). Ebenso kann die Rechtsprechung nach der persönlichen Rechtschaffenheit (ṣæḏæq) des Beters vollzogen werden (Ps 35,24).“ 268 Vgl. H. Niehr, 418 ,‫שפט‬. Dadurch wird ein Bezug zu der Königsideologie eines gerechten Königs hergestellt, der dem Recht entsprechend regiert und danach richtet (Jes 9,6; 11,4; 16,5; Ps 72,2–4; Spr 31,9). Es ist jedoch auffällig, dass, bis auf wenige Ausnahmen, das Gerichtshandeln des Königs i. d. R. nicht mit ‫ שפט‬beschrieben wird, sondern dieses Lexem eher bezogen auf das Handeln von Offizieren (Ex 18,22.26), Beamten (Jes 1,23), Richtern (Dtn 1,16; 16,18) und

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notation tritt bei der dritten Bedeutungsmöglichkeit von ‫ שפט‬zu Gunsten einer Bitte um Errettung aus verschiedenen Notlagen in den Hintergrund (Ps 7,9; 26,1; 35,24).269 ‫ שפט‬kann in diesem Kontext von der Bedeutung „streiten“ abgegrenzt werden, die sich lediglich für ‫ שפט‬im Nif ’al andeutet.270 In dieser Weise wird es von dem Kreis der personae miserae gebraucht, zu denen auch der klagende und bittende Psalmenbeter gehört.271 Eine solche Verwendungsweise ist hier wahrscheinlich und beschreibt nicht schwerpunktmäßig Vergeltungshandlungen Gottes gegen die Feinde des Beters, sondern das Handeln für die persona misera.272 Vor dem Hintergrund, dass Richten und Retten in der Gerechtigkeit Gottes miteinander verbunden sind – in diesem Fall durch die Verben ‫„( שפט‬Recht verschaffen“) und ‫„( פלט‬retten“) – kann diese „zum Inbegriff für Gottes Heilshandeln (an Israel wie an Einzelnen) werden (Ri 5,11; 1 Sam 12,7; Ps 11,7; 103,6; Jes 54,24; Mi 6,5)“273. Es geht um das Gerechtigkeit schaffende Handeln Gottes in einer ungerechten Gesellschaft.274 Dass die Imperative als Hinweise auf eine Situation des Beters als Tempelasylsuchender oder Angeklagter verweisen, erscheint unter Berücksichtigung dieser Überlegungen eher unwahrscheinlich, weil Ps 42 dafür keinen Anhalt bietet.275 Die darauffolgende Wendung ‫„( וריבה ריבי‬und streite meinen Streit“) wird durch ‫ וריבה‬parataktisch an den ersten Imperativ angeschlossen, sodass dieser durch das He paragogicum des zweiten Imperativs gesteigert wird. Die Wendung stellt eine Figura etymologica und dadurch eine Bekräftigung der verwendeten Wortbedeutung dar.276 Einige Forscher sehen sie als Bestandteil des ersten Satzteils an und übersetzen folgendermaßen: „Schaffe mir Recht Gott, und streite meinen Streit gegen das nicht gütige Volk“.277 Die Verwendungsweise der Präposition ‫„( מן‬gegen“/„von“/„mit“) gemeinsam mit dem Verb ‫„( ריב‬streiten“) ist ungewöhnlich und legt dagegen nahe, dass ‫ריב‬, wenn es gegen Gegner gerichtet ist, i. d. R. mit anderen Präpositionen konstruiert wird.278 Dagegen wird das Verb ‫„( פלט‬retten“) häufig gemeinsam mit der Präposition ‫„( מן‬gegen“/„von“/„mit“) Propheten (Ez 20,4) verwendet wird, sodass sich diese Bedeutung für Ps 43,1 nicht nahelegt. Nur an wenigen Stellen drückt ‫ שפט‬eine Handlung im Sinne von „strafen“ aus. In 1 Sam 3,13; Ez 11,10 f. und anderen Stellen kann mit „das Gericht vollziehen an“ übersetzt werden. 269 Vgl. a. a. O., 419. 270 Dort wird dann meist auch die forensische Dimension hervorgehoben: 1 Sam 12,7; Jes 43,26; 59,4; 66,16; Jer 2,35; 25,31; Ez 17,20; 20,35 f.; 38,22; Joël 4,2; Spr 29,9. Vgl. ebd. 271 Auch der Kranke ruft Gott an, damit er ihm gegen böse Zauberer, die ihn mit der Krankheit strafen, hilft. Vgl. J. Hehn, Hymnen und Gebete, 286.353. 272 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 167. 273 J. Kügler, Gerechtigkeit, 211. 274 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 167. 275 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270. 276 Sie kommt in dieser Form auch in Ps 74,22 und Ps 119,154 vor. Der Asafpsalm Ps 74 ist insgesamt stark von dem Motiv des Gerichtshandelns Gottes geprägt. 277 So verstehen den Vers u. a. F. Delitzsch, Psalmen, 342; D. B.  Duhm, Psalmen, 181, H. Gunkel, Psalmen, 177; J. Schaper, Studien, 10; H. Schmidt, Psalmen, 79. 278 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 146.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

gebraucht. Es empfiehlt sich daher, die Wendung ‫„( מגוי לא־חסיד‬vor nicht gütigem Volk“) zum zweiten Versteil zu zählen. Diese Lesart wird auch durch den Text der Septuaginta unterstützt.279 Ps 43,1 erscheint zudem im Vergleich zu den anderen Versen besonders lang, was als eine Steigerung des Gefühls der Bedrängnis des Beters aus Ps 42,11 verstanden werden kann. Der Beter geht von der Klage über seine Situation zur Aufforderung an Gott über. T. Aoki beobachtet ferner einen Moduswechsel innerhalb des Verses vom Imperativ zur PK ‫„( תפלטני‬errette mich“). Mit D. Michel kann überlegt werden, ob hierdurch der Aspekt des Begehrens besonders betont werden soll.280 Betrachtet man den Kontext, der sich durch die Einbeziehung der anderen von Anfeindung berichtenden Stellen in Ps 42/43 ergibt (Ps 42,4b.10 f.; 43,1b.2b), wird ersichtlich, dass es bei der Bitte des Beters um eine Rettung aus diesem feindlichen Umfeld geht, das besonders seinen Glauben anfechtet. Die mit den Verben ‫„( שפט‬Recht verschaffen“) und ‫„( פלט‬retten“) ausgedrückte Bitte um Gerechtigkeit muss folglich vor dem Hintergrund des sozialen Themas von Ps 42/43 verstanden werden, das im Wesentlichen in der Ausgeschlossenheit und der Anfeindungen des Beters und seines Glaubens besteht.281 Dass das Verhältnis zwischen Beter und Gemeinschaftstreue in Ps 42/43 gestört ist, zeigt der zweite Versteil in Ps 43,1, wenn von dem ‫„( גוי לא־חסיד‬nicht gütiges Volk“)282 und von den ‫„( איש־מרמה ועולה‬falschen und bösen Menschen“) die Rede ist, die den Beter umgeben: ‫( איש־מרמה‬Mann des Betrugs) ist hier, wie in Ps 5,7 und Ps 55,24, als derjenige zu ver-

stehen, der dem Beter durch betrügerische Worte oder List eine Falle stellt. Dieser

‫( איש‬Mann) wird ferner charakterisiert durch ‫( עולה‬Verkehrtheit), wodurch nicht nur

eine unspezifische Bosheit angedeutet wird, sondern ein schwerer Verstoß gegen die Rechtsordnung.283

Die Gesellschaft, in der sich der Beter befindet, erscheint vor dem Hintergrund der Parallele Ps 55,10b–12, die ebenfalls die Begriffe ‫ ריב‬und ‫ מרמה‬gebraucht, von Betrug und Unterdrückung geprägt zu sein.284 Der Beter will durch seine Bitte ein Handeln Gottes evozieren, das nicht als ein modern verstandenes Richten und Strafen oder als ein Racheakt an seinen Feinden missverstanden werden darf,285

279 Vgl. ebd. 280 Vgl. a. a. O., 147; D. Michel, Tempora, 168. 281 Es zeichnet sich hier bereits andeutungsweise eine Annäherung zwischen göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit ab, die durch die Lichtsymbolik in Ps 43,3 verstärkt wird. Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 328. 282 Vgl. die intertextuellen Bezüge zu Dtn 33,8 in Kap. 2.2. 283 T. Aoki, Angesicht, 168. Die Begriffe ‫ עולה‬und ‫ מרמה‬finden sich auch.in der prophetischen Sozialkritik wieder. 284 Vgl. a. a. O., 169. 285 Vgl. A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 236.

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sondern vielmehr eine Wiederherstellung der Gerechtigkeit darstellt. Betrachtet man den Folgevers Ps 43,2, wird dies noch deutlicher: Die Begründung der Bitte zeigt, daß sie nicht als die trotzige Geltendmachung einer Rechtsforderung Gott gegenüber zu betrachten ist, sondern aus dem heißen Glaubensinteresse des Beters entspringt, die Gerechtigkeit Gottes möge an ihm offenbar werden und die letzten Zweifel von ihm nehmen.286

Gott als Richter wird also in erster Linie als eine „soziale Instanz“287 angesprochen, die den Beter durch helfendes, rettendes Eingreifen wieder in der Gemeinschaft rehabilitiert und dadurch Gerechtigkeit schafft: Gemeinschaft und Gerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille: Mit dem Begriff ‚Gerechtigkeit‘ ist der Aspekt der Gemeinschaft in ihrer religiösen, politisch-sozialen und anthropologischen Dimension mitgesetzt, so daß unter Gerechtigkeit gemeinschaftsgemäßes Handeln oder Gemeinschaftstreue zu verstehen ist.288

Das Motiv des gerechten Richters ist dabei auf eine zweifache Wurzel zurückzuführen, die sowohl in der Königsideologie als auch in der Funktion Gottes als Rechtschaffender zu suchen ist.289 Gottes Richten ist als ein fortwährender Akt vorgestellt (vgl. Ps 42,9). Anthropologische Fokussierung Durch die Satzanalyse wird deutlich, dass der Beter von dem Tonus der Klage zur Aufforderung an Gott wechselt, indem er ihn konkret darum bittet, die Rechts­ordnung wiederherzustellen. Es könnte sich sowohl um ein Gefühl der Rechtschaffenheit handeln, welches im Beter aufkeimt und zu der Aufforderung führt als auch um die endgültig gewonnene Einsicht, dass allein die Hinwendung zu Gott Aussicht auf Veränderung und Rettung hat. Vor dem Hintergrund der Gottesprädikationen (vgl. u. a. Ps 42,3a.10a; 43,2a) scheint letztere jedoch wahrscheinlicher. Diese Veränderung, die dadurch bei dem Beter sichtbar wird, beschreibt W. O. Oesterley folgendermaßen: „Another abrupt change of thought then finds utterance; in his conviction that God is on his side, the psalmist experiences a sense of uprightness, so that he can boldly appeal to God to uphold him against his enemies“290. Die Gottesbeziehung steht unmittelbar in Zusammenhang mit der sozialen Integration des Beters. Diese wird nicht nur formal durch die Länge des Verses, die figura etymologica und den Moduswechsel unterstrichen,



286 Ebd. 287 B. Janowski, II. Israel, 22. 288 A. a. O., 21. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 289 Vgl. O. Kaiser, Der eine Gott, 245 f. 290 W. O. E.  Oesterley, Psalms, 243.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

sondern auch durch die Gerechtigkeitsmetaphorik.291 Es entsteht dadurch weniger ein bittender, als vielmehr ein beinahe zorniger Eindruck der Gemütsverfassung des Beters, der die Frage nach dem „Warum“ aus Ps 42 in Ps 43 steigert. Anthropologisch zeigt sich darin die Abhängigkeit des Beters von Gott in ihrer ganzen Ambivalenz: Gott ist Verursacher der Notlage (u. a. V. 8) und einziger Ausweg aus ihr (Ps 43,1.3).292

3.2.18 Ps 43,2a.b Denn du bist der Gott meiner Zuflucht. Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind?

Der mit ‫„( כי‬denn“) begonnene Nominalsatz liefert mit der Beschreibung Gottes als ‫„( מעוז‬Zuflucht“) die Begründung für die in Ps 43,1 geäußerte Aufforderung und zugleich für die in Ps 43,2b angeschlossenen „Warum“-Fragen, die durch diese Vertrauensäußerung noch drastischer erscheinen.293 Ein persönliches Gottesverhältnis (vgl. Suffix der 1.Pers.Sg.com.: ‫ )מעוזי‬bildet die Voraussetzung dafür, dass Gott von dem Beter fragend in die Verantwortung genommen werden kann. Der zweite Fragesatz nennt Gott nicht explizit als Adressaten, ist aber, durch die Parallelführung der Fragesätze, ebenfalls eindeutig als an Gott gerichtet zu verstehen (vgl. 2x ‫)למה‬.294 Die beiden Fragesätze sind analog zu Ps 42,10b gestaltet und nehmen diesen abgewandelt auf, wodurch aus ‫„( למה שכחתני‬Warum hast du mich vergessen?“) ‫„( למה זנחתני‬Warum hast du mich verstoßen?) wird. Inhaltlich findet in zweifacher Weise eine Steigerung des Vorwurfs an Gott gegenüber Ps 42,10 statt: Zum einen wechselt der Beter von der symbolischen Beschreibung Gottes als „Fels“ zur Konkretion seiner Erwartungshaltung, indem er Gott als „Zuflucht“ 291 Vgl. u. a. W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 206; E. S. Gerstenberger, Psalms I, 181. Eine Analyse des Stimmungsumschwungs, der mit Ps 43,1 eingeleitet wird findet in Kap. 4.1 statt. 292 Diese Gerechtigkeitsvorstellung unterscheidet sich von der asafitischen Vorstellung, die eine kollektive Perspektive erkennen lässt. Vgl. H. Spieckermann, Gotteslob, 428. Im Hintergrund steht jedoch bei beiden Sichtweisen die alttestamentliche Vorstellung einer sich zu Lebzeiten manifestierenden Gerechtigkeit, wodurch „Krankheit und Leid […] zu quasi moralischen Größen, zum Spiegel menschlichen Fehlverhaltens und göttlicher Strafe“ werden. C. Frevel, Menschsein, 20. 293 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 198. 294 Paradoxerweise versteht T Aoki, der für eine Innengerichtetheit der zweiten Frage in V. 10 plädiert, in Ps 42,2 nicht für einen Adressatenwechsel. Vgl. a. a. O., 75.199. Geht man jedoch davon aus, dass Ps 42 und Ps 43 eine gemeinsame literarische Genese durchlaufen haben, müsste man demnach in Ps 42,2 davon ausgehen, dass der Beter seine zweite Frage ebenfalls an sich selbst richtet. Da dies an dieser Stelle jedoch wenig Sinn macht, ist im Umkehrschluss ein Argument dafür gewonnen, dass sich auch in Ps 42,10 beide Fragen an einen Adressaten, an Gott, richten. So auch H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 477; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 270.

Vers für Vers

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beschreibt. Zum anderen steigert er den Vorwurf des Vergessens zum Vorwurf des Verstoßens (‫)זנח‬.295 Dadurch impliziert der Beter, dass Gott die Notsituation des Beters wahrnimmt, ihm aber nicht zur Hilfe kommt. Die Ambivalenz des Beters zwischen seinem Gottvertrauen und der erfahrenen Notsituation tritt dadurch noch deutlicher zutage als in Ps 42,10. Anthropologische Fokussierung Inhaltlich wird nun die Begründung geliefert, woher die Erwartungshaltung des Beters aus Ps 43,1 rührt: Gott ist der einzige Ort der Zuflucht für den Beter. Nur von ihm kann Hilfe erwartet werden, weshalb er von dem Beter in die Verantwortung genommen wird, etwas gegen dessen Notlage zu tun. Dass Gott dennoch tatenlos bleibt, treibt ihn zum wiederholten Fragen nach dem „Warum“. Es wird deutlich, dass die gesamte Existenz des Beters, in sozialer, körperlicher und spiritueller Hinsicht von der Gottesbeziehung abhängt und es bei der Explikation der Ich-Sphäre in Ps 42,5–7.12 um die Wiederherstellung dieser konnektiven Selbstbezüge geht.

3.2.19 Ps 43,3a.b Sende dein Licht und deine Wahrheit, sie sollen mich leiten, mich bringen zu deinem heiligen Berg und zu deinen Wohnungen.

Der zu Beginn stehende Imperativ von ‫„( שלח‬senden“) ist, entsprechend Ps 43,1 f., an Gott adressiert, auf den sich auch die Suffixe des darauffolgenden Begriffspaars ‫„( אורך ואמתך‬dein Licht und deine Wahrheit“) beziehen. Der sich anschließende kurze Satz: ‫„( המה ינחוני‬sie sollen mich leiten“) wird entweder als Indikativ in der PK oder als Jussiv verstanden, in jedem Fall aber mit modaler Bedeutung, und kann übersetzt werden mit „sollen“ oder „mögen“.296 Da es sich um die Formulierung einer Hoffnung handelt, erscheint der Vorschlag, hier einen in die Zukunft weisenden Sachverhalt zu sehen, der auch bei einer modalen Übersetzung mit „sollen“ anklingt plausibel: „sie sollen mich leiten“.297 Aufgrund der bisher beobachteten syntaktischen Struktur des Doppelpsalms, bei der vorangegangene Sachverhalte im weiteren Versverlauf meist weiter expliziert werden (vgl. u. a. Ps 42,3a; Ps 43,1) 295 Vgl. A. Basson, Metaphors, 180 f. 296 Vgl. Auflistung der verschiedenen Positionen in den Anmerkungen bei T. Aoki, Angesicht, 148. 297 T. Aoki übersetzt daher „Sie werden mich leiten“, ebd. Der hier gewählten modalen Übersetzung folgen hingegen u.a „sie mögen mich leiten“ H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 471; J. Schaper, Studien, 10; A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 234. Anders M. Dahood, Psalms I, 261: „let them lead me“ oder kausal F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 267: „damit sie mich leiten“.

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und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine im AT singuläre Wendung handelt, ist T. Aoki in seiner Überlegung zuzustimmen, dass „eine nähere Beschreibung der Funktion von Licht und Treue zu erwarten [ist], die in den beiden folgenden Sätzen gegeben wird.“298 Sie besteht in einer wegweisenden Funktion für den Beter. ‫„( ינחוני המה‬sie sollen mich leiten“) und ‫„( יביאוני‬mich bringen“) werden hier im Anschluss beigeordnet übersetzt mit „sie sollen mich leiten, mich bringen“. Das Ende des Verses fasst schließlich das Ziel ins Auge, zu dem „Licht und Wahrheit“ Gottes den Beter führen werden. Da das Begriffspaar ‫„( אורך ואמתך‬Licht und Wahrheit“) in dieser Kombination im AT einzigartig ist, verdienen diese Begriffe besondere Aufmerksamkeit. Durch den Ausdruck ‫אור‬ („Licht“) wird ein positiver Kontrast zu Ps 42,(9.)10; 43,1 f. ‫„( קדר‬dunkel werden“/ „trauern“) geschaffen und eine positive Wende deutlich.299 Zu dem Bedeutungsspektrum von ‫„( אור‬Licht“/„Leuchten“) hält F. Hartenstein fest: Nicht jede Rede vom Licht im Bezug auf die Gottheit ist solar konnotiert (vgl. dazu den Schreckensglanz der mesopotamischen Gottheiten), aber umgekehrt bietet gerade das kosmische Phänomen des Sonnenlichts ein wesentliches Analogon für entsprechende Aussagen über das Gotteshandeln.300

Eine solche Analogie der Lichtmetaphorik zum Gotteshandeln kann auch für Ps 42/43 erkannt werden, berücksichtigt man insbesondere das Motiv des ‫פני‬ ‫„( אלהים‬Angesicht Gottes“), welches den Auftakt des Doppelpsalms bestimmt (Ps 42,3).301 Dieser Zusammenhang zwischen ‫„( אור‬Licht“/„Leuchten“) und ‫פני‬ ‫„( אלהים‬Angesicht Gottes“) ist in Psalmen häufiger zu finden.302 In diesem Kontext rückt auch die im Refrain wiederholt gebrauchte Wurzel ‫„( ישע‬retten“) in den Blick, die häufig gemeinsam mit ‫„( אור‬Licht“/„Leuchten“) und ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) auftritt und die zeigt,303 dass „ein enger Zusammenhang zwischen JHWHpānīm, deren Licht bzw. Leuchten und Gottes Rettungshandeln zugunsten der Seinen“304 besteht. Wahrscheinlich ist eine Übertragung der Sonnen- und Gerechtigkeitsmotivik aus der Vorstellungswelt des ägyptischen Sonnenkönigs.305 Auch B. Janowski erkennt dies als Hauptmerkmale der Solarisierung JHWHs: „Zwei Aspekte sind besonders hervorzuheben: (a) der mit dem solaren Kreislauf verbundene Aspekt der Universalität […] und (b) der mit seinem Licht verbun 298 T. Aoki, Angesicht, 149. Dieser übersetzt „deine Treue“, sinngemäßer dürfte aber „deine Wahrheit“ sein, vgl. Gesenius, Art. ‫אמת‬, 87 f. 299 Vgl. A. Basson, Metaphors, 130. 300 F. Hartenstein, Angesicht, 201. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 301 Vgl. B. Kern, Lebensgottmotiv, 318 f. 302 Ps 4,7; 44,4; 89,16; 90,8; verbal: Ps 31,17; 67,2; 80,4.8.20; 119,35. A. a. O., 179; B. Kern, Lebensgottmotiv, 318 f. 303 Die Wurzel ‫„( ישע‬retten“) kommt in der Hälfte der Verse mit ‫„( אור‬Licht“/„Leuchten“) und ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) vor. Vgl. F. Hartenstein, 179. 304 A. a. O., 180 f.; Vgl. auch A. Basson, Metaphors, 130. 305 Vgl. R. Müller, Wettergott, 248.207. l

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H. Keel-Leu / B. Teissier, 2004, Die vorderasiatischen Rollsiegel der Sammlungen „Bibel+Orient“ der Universität Freiburg Schweiz. The Ancient Near Eastern Cylinder Seals of the Collections „Bible+Orient“ of the University of Fribourg (OBO 200), Freiburg Schweiz / Göttingen. © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz.

dene Aspekt der Gerechtigkeit“306. In Ps 42/43 erscheinen Licht und Wahrheit wie Bedienstete Gottes, die dieser sendet (‫)שלח‬, um den Beter, analog zu den Einführungsszenen im Alten Orient, zum Heiligtum zu bringen (‫ בוא‬Hif ’il), damit dieser dann hineingehen kann (‫ בוא‬Qal) zum Altar (Ps 43,4).307 Diese Einführungsszenen sind Thema zahlreicher ikonographischer Darstellungen, wie das hier abgebildete Exempel veranschaulicht.308 Es wird durch diese Analogie deutlich, dass es zu einer Unterordnung des Lichts in dem Dienst JHWHs kommt.309 Vor dem Hintergrund der Bedeutung von ‫„( אור‬Licht“/„Leuchten“) im Sinne einer „Dimension soteriologischer Lichtmetaphorik“310 und von ‫„( אמת‬Wahrheit“) als Thema der Gerechtigkeit und des Rechts, wird deutlich, dass eine Verbindung der Tempelsehnsucht mit dem Bild von Gott als Richter stattfindet. In den Psalmen, so F. Hartenstein, könne sich das mit ‫„( אור‬Licht“/„Leuchten“) verbundene Rettungshandeln Gottes auch außerhalb des Tempels abspielen, wobei unklar bleibe, worin dieses genau bestehe.311 Jedoch wird deutlich, dass, wenn Ps 43,2 von Feindbedrängung spricht, die Rettungsvision durch Ps 43,3.4 direkt mit dem Tempel verbunden wird. Zwar kann Gott „Licht“ und „Wahrheit“ vom Tempel aussenden, um jedoch gänzlich aus seiner Notlage befreit zu werden, so 306 Vgl. B. Janowski, Sonnengott, 219. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 307 Vgl. M. Görg, Altar, 291–306. Zudem wird in solchen mesopotamischen Einführungsszenen häufig die Herrschaft der jeweiligen Gottheit, z. B. Marduks, über das Meer dargestellt, wodurch auch das Wassermotiv aus Ps 42/43 hier eine Parallele findet. Vgl. J. Jeremias, Königtum, 38 f.; T. Staubli, Konstellationen, 94 f. Vgl. auch sog. Tempel-Eingangsliturgie und ihre ägyptischen Parallelen (Ps 15; Jes 33,14–16) bei M. Weinfeld, Temple Visitors, 5–15. (Hebrew) 308 Vgl. E. S.  Gerstenberger, Psalms I, 181. 309 So auch im Tempelweihspruch in 1 Kön 8,53. Vgl. M. Leuenberger, Bewegung, 44. 310 T. Aoki, Angesicht, 203. 311 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 182.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

scheint es, muss der Beter an den Ort des Tempels gebracht werden. Ähnlich legen es Ps 42,4.5 und die Stichwortverbindung von Ps 42,3a und Ps 43,3 f. nahe (‫בוא‬ „kommen“). Der Zusammenhang zwischen dem Leuchten des Angesichts Gottes und einer erwarteten Rettung im Sinne einer göttlich vollzogenen Gerechtigkeit wird auch im Folgepsalm Ps 44,4 deutlich.312 Anthropologische Fokussierung Die Hoffnung des Beters auf kann nur von Gott als gerechter und richtender Gott vollzogen werden. Die Gefühlslage ist in Ps 43,3 gewandelt, der Beter wendet sich nun in seiner Bitte voller Zukunftshoffnung an Gott und fordert diesen auf, ihn zum Tempel zu führen, mit dem er die Gewissheit seiner Rettung verbindet, sodass sich zeigt: [D]as menschliche Subjekt gleichsam aus seiner materiellen raumzeitlichen Begrenzung heraus und wird sich seiner selbst gewahr: Im Angesicht Gottes erkennt der Mensch sich als Mensch, der sich mit Leib und Seele dem, der die Quelle des Lebens ist, verdankt! […] Diese Selbsterkenntnis vermittelt sich uns in der Begegnung mit Gott selbst. […] Und unsere naefaesch wird erquickt im Gebet, im Hören auf Gott, im Lobgesang! Das Geheimnis des Glaubens erwacht da, wo wir zu ihm Du sagen, wo wir mit dem Beter bitten.313

Durch Ps 44 wird der Tempel und die von ihm ausgehende Kraft in die kollektive Rettungsperspektive eingeordnet. Der Beter verbindet, so wird an dieser Stelle erneut (vgl. Ps 42,5b) deutlich, mit dem Ort des Tempels auch die Wiederherstellung des Kollektivs. Es zeigt sich die positive Wendung der zuvor geschilderten Desintegration, die, bedingt durch die zerrüttete Gottesbeziehung, sozial (Ps 42,4b.10b; 43,1.2b) und daher auch leiblich (Ps 42,10a) erfahrbar ist. Die Ich-Sphäre, so kann hieraus geschlossen werden, findet ihre vollständige Wiederherstellung (als intakte Relation zu Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung) in der Gottesbegegnung am Tempel.314 Dass damit auch eine mentale Begegnung gemeint sein kann, ist in Anbetracht der kultischen Vergegenwärtigung mit ‫ זכר‬in Ps 42,5.7 durchaus möglich. Gerade unter Hinzunahme von Ps 42,9 ist auf Endtextebene eine mentale Begegnung mit Gott im Gebet (‫ )תפלה‬angesprochen.

312 Durch die Aufnahme des Themas in Ps 44 wird die Notsituation des Einzelnen in die des Kollektivs eingebunden und mit der Situation des Exils kontextualisiert. Vgl. a. a. O., 186. 313 R. Achenbach, Lebensworte, 93 f. 314 Vgl. M. Gilbert, prophètes, 268.

Vers für Vers

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3.2.20 Ps 43,4a.b So will ich hineingehen zum Altar Gottes, zum Gott meiner jubelnden Freude. Dann will ich dich mit der Leier preisen, Gott, mein Gott.

Mit dem Verb ‫„( בוא‬kommen“) wird nun die Antwort auf die in Ps 42,3b gestellte Frage formuliert und mit der Selbstaufforderung des Beters im Kohortativ ‫ואבואה‬ („So will ich hineingehen“) beantwortet. Die Wendung ‫„( שמחת גילי‬meine jubelnde Freude“) beschreibt Gott im Unterschied zu Ps 42,3 aus einer intakten Gottesbeziehung heraus.315 Diese wird auch semantisch durch den Begriff ‫„( מזבח‬Altar“) deutlich, der als „Wahrzeichen der Nähe Gottes“316 die Erfüllung der Sehnsucht des Beters symbolisiert, sodass vermutet werden kann: „Vielleicht kann das Hinzutreten zum Altar in diesem glaubenden Bewußtsein dann von jenem Ergriffensein immer neu geprägt werden, das der Psalmist Freude nennt.“317 Anthropologische Fokussierung Die Gottesbeziehung und die Bedeutung des Hineingehens in das Heiligtum wird näher charakterisiert: Gott ist für den Beter nicht „nur“ existenzstiftend, sondern ein Leben mit ihm bedeutet Freude und drückt sich im musikalischen Lobpreis aus, der eine besondere Intensität des Dialogs zwischen Gott und Mensch zum verkörpert.318 Es ist die Hoffnung auf ein Leben mit Gott, von dem allein Leben und Freude abhängt, und welches den Beter in der Zeit seiner Not weiter zur Hinwendung zu seinem Schöpfer treibt. Die Perspektive des Beters stellt sich nun deutlich verändert dar, sodass es scheint, als hätte der Beter, geleitet von „Licht und Wahrheit“ (Ps 43,3), den Tempel (durch das Gebet, vgl. Ps 42,9) nun erreicht.319 Der Zion als Ort repräsentiert dabei das ersehnte Leben (Ps 42,2 f.) auf zweifache Weise, indem er zum einen individuell als Rettung und Schutz vor Feinden des betenden Ichs durch die Begegnung mit dem „Angesicht Gottes“ fungiert und zum anderen sein Schicksal überindividuell in den Kontext der Herrschaft JHWHs über den Kosmos stellt und damit in den Schutz vor den Chaosmächten (Ps 46,5; 48,2).320



315 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 186. 316 M. Görg, Der Altar, 306; vgl. S. Olofsson, Deer, 55. 317 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 318 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 141; M. Leuenberger, Bewegung, 123 f. 319 Zur transformierenden Kraft der Klage vgl. a. a. O., 184. 320 Vgl. U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 308.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

3.2.21 Ps 43,5a.b (Ps 42,6a.b.12a.b)  Anthropologische Fokussierung Die Hoffnung des Beters stellt zunächst einen von seinem Ist-Zustand weit entfernten Sachverhalt dar (vgl. u. a. Ps 42,2 f). Daran erinnert die innere Zerrissenheit des Beters im Refrain, der hierdurch zwar seine eigenen Gedanken wahrnimmt und reflektiert (V. 5a), sich und seine Gedanken jedoch letztlich Gott zuwendet. Dies geschieht jedoch am Ende von Ps 42/43 in der zuvor geschilderten Gewissheit, dass Gott allein der lebendige Gott, der Fels, die Zuflucht und das Leben selbst ist, der in Ps 43,4 nun wieder in der Nähe des Beters lokalisiert ist. Die sprachliche Explikation der Ich-Sphäre im letzten Refrain erfüllt, vor dem Hintergrund dieses neuen Bildes, den Zweck, die mentale Entwicklung des Beters, weg von sich selbst, hin zu Gott, noch einmal zu bestätigen. Der Refrain kann im Anschluss an die gewendete Situation insofern als abschließende Ermutigung verstanden werden „in dem nun nicht mehr der wehmütige Anfang, sondern der tapfere Schluß vorklingt.“321 Nur aus dem vergegenwärtigten Glauben heraus „gewinnen wir Mut, in das geistliche Zwiegespräch zwischen unserem Bewusstsein und unserer Existenz einzutreten“322 (Kap. 3.2.19). Die Hoffnungsperspektive am Ende ermöglicht es dem (Nach-)Beter des Psalms zum nächsten Psalm in der Komposition überzugehen. Zugleich kann der Refrain, im Sinne des Kontextes der anderen Refrainstrophen in Ps 42,6.12, als Verweis auf den Anfang verstanden werden und ermöglicht ein zyklisches Wiederholen des Psalms.323 In Anbetracht des durchgängig präsenten Ziels des Tempels kann der Refrain zusammenfassend wie folgt charakterisiert werden: „C’est un invitation à la confiance et à l’espérance, malgré tout: oui, Dieu interviendra, et le psalmiste reverra son Temple, il participera encore aux Liturgies du Culte!“324

3.3 Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in den Einzelversen – Zusammenfassung Im Rahmen der anthropologischen Fokussierungen wird deutlich, dass in einigen Versen die Ich-Sphäre als Selbstdistanzierung durch Selbstreflexion auf sprachlicher Ebene greifbar wird. Diese wird ausgelöst durch die existentielle Gottessehnsucht und die Gottesferne des Beters (Ps 42,3b), die er als leidvolle Situation 321 H. Gunkel, Psalmen, 180; Ähnlich auch W.  Brueggemann / W. H.  Bellinger, Jr., Psalms, 204. E. K.  Holt, Fontes, 73; A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 237. 322 Vgl. R. Achenbach, Lebensworte, 94. 323 Vgl. L. Jaquet, Psaumes, 15. 324 L. Jaquet, Psaumes, 15. Dagegen sieht S. Gelander im gesamten Ps 43 keine positive Wende. Vgl. Ders., Psalms, 82.

Die sprachliche Manifestation 

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schildert (Ps 42,4). Der Beter sieht sich dadurch mit der Frage „Wo ist dein Gott?“ (Ps 42,4b.10b) konfrontiert. Von ihr ausgelöst erfolgt in Ps 42,5–7 eine selbstreflexive Auseinandersetzung des Beters, die im ersten Verbalsatz in Ps 42,5a1 durch einen Kohortativ von ‫„( זכר‬gedenken“) eingeleitet wird, der an einen indirekt reflexiven Denkinhalt („diese [Dinge]“) gebunden ist. Das kognitive Verb ‫ זכר‬drückt einen Denkvorgang aus, der die Ich-Sphäre deskriptiv-erzählend als mentale Vergegenwärtigung von Erfahrungen der Gottesgegenwart als kultisches Ereignis zum Ausdruck bringt (Ps 42,5b). Zusätzlich zu der syntaktisch-pronominalen Selbstreflexion (Kap. 1.4.2), muss die Variante einer erzählend explizierten Ich-Sphäre daher ergänzt werden. Durch den Vorgang der Vergegenwärtigung formuliert der Beter erzählend den Kern der Ich-Sphäre als konnektive Relation zu seinen Konstituenten Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung. Auch Ps 42,7b rahmt das reflexive Zentrum des Doppelpsalms durch ‫„( זכר‬gedenken“). Bleibt die Selbstreflexion des Beters in dem ersten Verbalsatz in V. 5a noch auf syntaktischer Ebene indirekt, wird sie in dem zweiten Verbalsatz von V. 5a2: „und mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬über mich ausgießen“ sprachlich expliziert, wobei gleich mehrere der zu Anfang festgelegten, syntaktisch-pronominalen Aspekte für Selbstreflexion als kennzeichnend festgehalten werden können (Punkte 2–4). In dem ersten und zweiten Verbalsatz von Ps 42,6a: „Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬und was braust du gegen mich auf?“ wird dieser Reflexionsvorgang als Zwiegespräch fortgesetzt und drückt syntaktisch eine Selbstreflexion des Beters aus, die eine direkte Anrede des Beters an sich selbst (als Objekt) darstellt, in der er implizit als Subjekt des Satzes auftritt und dadurch einen selbstreflexiven Bezug herstellt (Punkt 6). Bei beiden Verbalsätzen verweisen auch das finite Verb der 2.Pers.Sg. und der entsprechend suffigierte Stellvertreterausdruck (‫ )נפש‬auf denselben Referenten (Punkt 4). Es wird für diesen letzten Aspekt eine Besonderheit deutlich, die darin besteht, dass bei der direkten Selbstanrede auch eine finite Verbform der 2.Pers.Sg. gemeinsam mit einem suffigierten Stellvertreterausdruck (‫ )נפש‬auf denselben Referenten verweisen kann und dadurch eine Abwandlung von Punkt 4 darstellt.325 Zudem wird in dem zweiten Verbalsatz in Ps 42,6a durch die Ergänzung der Präposition ‫„( על‬in / auf / über“) mit Suffix in der 1.Pers.Sg.com. der Beter auch als Subjekt des Satzes deutlich, sodass das Nomen (‫ )נפש‬mit Suffix (aus dem ersten Verbalsatz) und zugleich die Präposition (‫ )על‬als Besitz der 1.Pers.Sg. angezeigt werden (Punkt 2). Auch mit der Selbstaufforderung „Harre auf Gott!“ in Ps 42,6b an die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) als Objekt, wird der Beter implizit als Subjekt vorausgesetzt und Selbstreflexion sichtbar (Punkt 6). Des Weiteren weist der Versteil aus Ps 42,7a „Über mir löst sich mein(e) Leben(skraft) auf “ eine pronominal-reflexive Satzstruktur auf, indem das Nomen (‫ )נפש‬mit Suffix und zugleich die Präposition (‫ )על‬als Besitz der 1.Pers.Sg. angezeigt werden (Punkt 2). 325 Dieser muss dann in diesem Sonderfall lauten: 4. Ein finites Verb der 2.Pers.Sg. und ein entsprechend suffigierter Stellvertreterausdruck verweisen auf denselben Referenten.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

Die pronominalen syntaktischen Strukturen können wie folgt vereinfacht dargestellt werden: Ps 42,5a2

‫ ואשפכה עלי נפשי‬Subjekt (Verb 1.Pers.Sg.) = Objekte („Stellvertreterausdruck“ mit Suff.1.Pers.Sg und ‫ על‬mit Suff.1.Pers.Sg.) = betendes Ich

Ps 42,6a1/ 12a1;43,5a1

‫ מה־תשתוחחי נפשי‬Subjekt (impliziter Beter) = Objekt („Stellvertreterausdruck“

Ps 42,6a2/ 12a2;43,5a2

‫ ותהמי עלי‬Subjekt (impliziter Beter und ‫ על‬mit Suff.1.Pers.Sg.) = Objekt

Ps 42,6b Ps 42,7a

mit Suff.1.Pers.Sg.) = betendes Ich

(„Stellvertreterausdruck“ mit Suff.1.Pers.Sg.) = betendes Ich

‫ הוחילי לאלהים‬Subjekt (impliziter Beter) = Objekt („Stellvertreterausdruck“

mit Suff.1.Pers.Sg.) = betendes Ich

‫ עלי נפשי תשתוחח‬Subjekt (‫ על‬mit Suff.1.Pers.Sg.) = Objekt („Stellvertreteraus-

druck“ mit Suff.1.Pers.Sg.) = betendes Ich

In den Belegen zeigt sich, dass bei einer syntaktischen Explikation der Ich-Sphäre meist Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Vermittlung selbstreflexiver Verhältnisse dienen. Konzeptionell kann für die Ich-Sphäre festgehalten werden, dass sie v. a. über die Leibsphäre anschaulich wird, die wiederum in wechselseitiger Relation zur Sozialsphäre dargestellt ist (vgl. Ps 42,5b.c). Darüber hinaus haben die anthropologischen Fokussierungen innerhalb der Einzelversanalyse gezeigt, dass die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre auch narrativ anschaulich werden kann (Kap. 3.2.6). Für die weitere Arbeit ergibt sich nun auf sprachlicher Ebene die Aufgabe einer Prüfung dieser Kriterien.

3.4 Weitere Beispiele für eine sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre Ausgehend von den bisherigen Ergebnissen und beobachteten Signalwörtern (u. a. Stellvertreterausdrücken, Präpositionen, Verben und Suffixe), die in Ps 42/43 im Zusammenhang mit sprachlich explizit werdender Selbstreflexion beobachtet werden können, sollen einige weitere Überlegungen zu sprachlicher Selbstreflexion in der Gebetsliteratur des AT angestellt werden, wobei die Textbasis auch um Gebete außerhalb der Psalmen erweitert werden soll. Bei einer deskriptiv-erzählenden Explikation der Ich-Sphäre kommt dem Verb ‫„( זכר‬gedenken“) eine herausragende Bedeutung zu, da es den Prozess der Selbstreflexion nicht nur beschreibend zum Ausdruck bringt, sondern inhaltlich mit der kultischen Vergegenwärtigung Gottes die Integration des Einzelnen in seine personale Identität326 (Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung) expliziert. Im Folgenden werden daher 326 Vgl. B. Janowski, Herz, 45; Kap. 1.3.6.

Weitere Beispiele für eine sprachliche Manifestation 

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exemplarisch die Verse mit ‫„( זכר‬gedenken“) im Kohortativ der 1.Pers.Sg.com. auf den möglichen Ausdruck von Selbstreflexion hin untersucht. ‫„( זכר‬gedenken“) im Kohortativ findet sich nur an sehr wenigen Stellen327 (Ps 77,4): Ich denke an Gott und seufze, ich sinne nach, und meine Willenskraft (‫)רוחי‬328 will verzagen. Sela.

In V. 4a ist das Verb ‫„( זכר‬gedenken“) zum einen durch den Denkinhalt ‫אלהים‬ („Gott“) näher konkretisiert, zum anderen durch die Parallelisierung mit dem zweiten Versteil. ‫„( זכר‬gedenken“) ist parataktisch mit ‫„( שיח‬nachdenken“/„nachsinnen“) verbunden, dessen Denkinhalt nicht näher konkretisiert wird. ‫„( זכר‬gedenken“) und ‫„( שיח‬nachdenken“/„nachsinnen“) werden mit den parataktisch beigeordneten Verben ‫„( המה‬seufzen“) und ‫„( עטף‬verzagen“) parallel geführt, wobei letzteres auf die ‫„( רוח‬Willenskraft“) des Beters bezogen ist. Damit ist die Beschreibung des Denkvorgangs entscheidend um die Beziehung zum Beter erweitert: Es ist mehr gemeint als ein simples „Denken an Gott“, vielmehr geht es um eine kultische Vergegenwärtigung Gottes in einem meditativen Prozess (Kap. 3.2.6; 3.2.11). Dieser Vergegenwärtigungsvorgang beschreibt erzählend die Bezugnahme des betenden Ichs zu seiner Gottesbeziehung und expliziert dadurch die Ich-Sphäre. Eine weitere Stelle mit ‫„( זכר‬gedenken“) im Kohortativ findet sich in Ps 77,7 (Kap. 5.2.1): Ich denke an mein Saitenspiel des Nachts, mit meinem Herzen sinne ich nach, und es forscht mein Geist (‫)רוחי‬329.

Der Beter setzt sich mit einem kognitiven Verb im Kohortativ zu einem komplexen Denkinhalt in Bezug: zu seinem „Saitenspiel“, das offenbar für eine vergangene, fröhliche Zeit steht, und welches mit einem Suffix der 1.Pers.Sg.com. versehen ist.330 Der Kontext legt auch hier nahe, dass mit ‫ זכר‬eine kultische Vergegenwärtigung (Jes 38,20; Hab 3,19) von Gotteserfahrungen expliziert wird (vgl. Ps 77,12). Diese Explikation der Ich-Sphäre dient der Selbstintegration des betenden Ichs in die Konstituenten seiner „personalen Identität“. Syntaktisch-pronominal wird die Selbstreflexion zudem durch das Verb ‫„( שיח‬nachdenken“/„nachsinnen“) ausgedrückt, das ebenfalls im Kohortativ über die Präposition ‫„( עם‬mit“) auf ‫„( לבבי‬mein Herz“) als Ort des Nachdenkens bezogen ist. Dadurch wird deutlich, dass der Beter mit sich selbst in ein Gespräch tritt, genauer mit seinem „Herzen“ als ihn stellvertretende Beratungsinstanz. Es handelt sich dabei um eine Satzkonstruktion mit Präposition ohne Suffix, die eine syntaktische Verbindung zwischen dem Subjekt 327 Ps 42,5; 77,4.7.12. 328 ‫ רוח‬kann nach H. W. Wolff auch „Willenskraft“ bedeuten. Vgl. Anm. Kap. 1.2. 329 Von ‫ רוח‬ist als unsichtbares, selbständiges Wesen die Rede, das nicht ‫ רוח‬JHWHs ist, weshalb sich die Übersetzung des Begriffs mit „Geist(er)“ anbietet. Vgl. Anm. Kap. 1.2. 330 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 141 f.218.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

und dem Objekt desselben Referenten herstellt (Punkt 5). Der Reflexionsvorgang wird durch das Verb ‫„( חפש‬suchen“/„erforschen“, 3.Pers.Sg.fem.PK.Pi’el) verstärkt, das verbunden ist mit dem in der 1. Pers.Sg.com. suffigierten Subjekt ‫„( רוח‬Geist“). Auch hier findet eine deskriptiv-erzählende Explikation der Ich-Sphäre statt. Zusätzlich zu den beiden Stellen Ps 77,4.7, beinhaltet Ps 77 einen dritten Vers mit ‫זכר‬ („gedenken“) in der 1.Pers.Sg.com. (kein Kohortativ!) (Ps 77,12): Ich will gedenken der Werke Gottes, wie ich gedenken will deiner früheren Wunder.

Der Beter fordert sich selbst zum Nachdenken auf, Gegenstand der Reflexion sind die „Werke Gottes“. Die Ich-Sphäre wird auch hier expliziert, indem der Beter den Vorgang der Vergegenwärtigung der Gottesbeziehung beschreibt und dadurch eine Bezugnahme des betenden Ichs zu seiner Sozialsphäre, die wesentlich von seiner Eingebundenheit in die Kultgemeinschaft geprägt ist, herstellt. Weitere Parallelstellen können ausgehend von Ps 42,5a2 gefunden werden, betrachtet man ähnliche Verwendungsweisen des Verbs ‫„( שפך‬ausgießen“331) zusammen mit ‫„( נפשי‬mein(e) Leben(skraft)“) und der Präposition ‫„( על‬auf / über“) mit Suffix der 1.Pers.Sg.com. Analog befindet sich auch im Buch Ijob der Beter in einem Gespräch mit Gott (Ijob 30,16).332 Und nun schütte ich aus mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬über mir, Tage des Elends packen mich.

H. Strauß hält zu V. 16a (‫ )ועתה עלי תשתפך נפשי‬fest, dass ‫„( נפשי‬mein(e) Leben(skraft)“) „zugleich für das Ich des Klagenden und für dessen Leben […] quasi als eigenes Objekt […]“333 steht. Dies wird durch das rückbezügliche Verhältnis, das durch ‫„( נפשי‬mein(e) Leben(skraft)“) in Verbindung mit der suffigierten Präposition ‫על‬ („auf / über“) entsteht, deutlich. Es können an dieser Stelle mehrere syntaktische Aspekte für Selbstreflexivität festgehalten werden (Punkte 2–4). Im weiteren Sinne ähnliche Charakteristika weist die Stelle Ijob 10,1 auf, die ebenfalls als an Gott gerichtete Klage verstanden werden kann:334 Es ekelt mich (‫ )נפשי‬vor meinem Leben (‫)בחיי‬. Ich will meinen Kummer von mir lassen, will reden in der Bitterkeit meines Lebens (‫)נפש‬.

In V. 1a (‫ )נקטה נפשי בחיי‬wird ein emotionales Verb im Kohortativ verwendet ‫קוט‬ („sich vor etw. ekeln“335; 3.Pers.Sg.fem.AK.Nif ’al), dessen Subjekt die ‫( נפש‬mit Suf

331 Vgl. Art. ‫שפך‬, in: Gesenius, 1403 f. 332 Vgl. H. Gross, Ijob, 107. 333 H. Strauß, Hiob, 204. 334 Vgl. H. Gross, Ijob, 42. 335 Art. ‫ קוט‬in: HAHAT, 1156.

Weitere Beispiele für eine sprachliche Manifestation 

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fix der 1.Pers.Sg.com.) des Beters ist. Der Beter verbleibt zwar in der Rede von sich selbst in der dritten Person, doch setzt er diese mittels der Präposition ‫ ב‬zu sich selbst, seinem Leben (‫ ;חי‬mit Präp. ‫ ב‬und Suffix der 1.Pers.Sg.com.) als Objekt des Satzes in Beziehung. ‫„( חי‬Leben“) kann dabei wie ‫( נפש‬hier: „Leben“) als Stellvertreterausdruck für den Beter verstanden werden, da es ihn in seiner Gesamtheit repräsentiert, was durch die nähere Ausführung in Ijob 10,1b und dessen erneute Aufnahme des Begriffs ‫( נפש‬hier: „Leben“) deutlich wird. Es wird in Ijob 10,1a ein selbstreflexives Verhältnis expliziert, das in mehreren Punkten den Kriterien für syntaktisch-pronominale Selbstreflexion entspricht (Punkte 4 und 5). Auch Ijob 10,1b weist eine selbstreflexive Satzstruktur auf. In V. 1b1 (‫ )אעזבה עלי שיחי‬findet sich ein Verb im Kohortativ („ich will lassen“) sowie die in der 1.Pers.Sg. suffigierte Präposition ‫„( על‬auf / über“) und ein Bezugsobjekt, das ebenfalls durch ein Suffix der 1.Pers.Sg.com. als Kummer des Beters (‫ )שיחי‬beschrieben wird. Das Subjekt setzt sich dadurch in der 1.Pers.Sg. zu sich selbst (1.Pers.Sg. suffigierte Präposition ‫)על‬, genauer definiert als der eigene Kummer (‫)שיחי‬, in Bezug. Selbstreflexion drückt sich an dieser Stelle dezidiert durch die Bezugnahme des Beters als Subjekt im Kohortativ zu sich selbst als Dativobjekt in der suffigierten Präposition ‫על‬ („auf / über“) aus.336 Die Kriterien für syntaktisch-pronominal explizierte Selbstreflexion treffen daher zu (Punkte 3 und 4.337 V. 1b2 (‫ )אדברה במר נפשי׃‬drückt ebenfalls ein reflexives Verhältnis des Beters aus, da das finite Verb der 1.Pers.Sg.com. und der entsprechend suffigierte Stellvertreterausdruck (‫ )נפש‬auf denselben Referenten anzeigen (Punkt 4). Die Überlegungen zu Ps 42,6a verweisen auf weitere Stellen, an denen Selbstreflexion thematisiert wird. Obwohl sich gezeigt hat, dass aus syntaktischer Perspektive Stellvertreterausdrücke nicht unbedingt für Selbstreflexion erforderlich sind, kann die Verwendung solcher Begriffe ein Hinweis auf Textstellen sein, die eine direkte Relation des Beters als Subjekt eines Satzes zu sich selbst als Objekt explizieren. Auch an anderer Stelle werden sie mit Suffixen der 1.Pers.Sg.com. durch die ebenfalls suffigierte Präposition ‫„( על‬auf “/„über“) zu dem Beter in Verbindung gesetzt und dadurch Selbstreflexion syntaktisch sichtbar (Punkt 2). Dabei soll zunächst die Verbindung von ‫ עלי‬+ ‫ נפשי‬bedacht werden, die den Blick auf Ps 131,2; Klgl 3,20 und Jona 2,8 lenkt (Ps 131,2): 336 Von Bedeutung scheint jedoch auch die Erweiterung dieser Beziehung um das Akkusativobjekt ‫„( שיחי‬mein Kummer“), das als ein Teil des Beters beschreiben wird. Existiert ein weiteres Bezugsobjekt, muss dieses offenbar ebenfalls, wie es auch hier der Fall ist („mein Kummer“), durch ein Suffix in der 1.Pers.Sg.com. auf das Subjekt verweisen, um Selbstreflexion zu explizieren. Bezieht sich ein Objekt innerhalb desselben syntaktischen Zusammenhangs nicht mehr auf das gleiche Subjekt, so wird die selbstreflexive Struktur aufgesprengt (z. B.: „Ich will seinen Kummer von mir lassen“). 337 Dennoch kommt hier nicht Punkt 4 zum Tragen (Ein finites Verb der 1.Pers.Sg. und entsprechend suffigierter Stellvertreterausdruck verweisen auf denselben Referenten), da es sich bei „mein Kummer“ (‫ )שיחי‬um keinen Körperbegriff als Stellvertreterausdruck handelt.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

Fürwahr, ich habe mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬besänftigt und beruhigt; wie ein entwöhntes338 Kind bei seiner Mutter, ist meine Lebenskraft (‫ )נפשי‬still auf mir.

Der Beter tritt in V. 2a als Subjekt durch zwei Verben in der 1.Pers.Sg. in Erscheinung,339 die er auf sich selbst als ‫„( נפשי‬mein(e) Leben(skraft)“) bezieht (Punkt 4).340 Die Deutung als Reflexion eines Denkvorgangs ist zwar möglich, durch den Vergleich in V. 2b liegt jedoch eher eine Reflexion der eigenen Gefühle nahe. Es handelt sich um einen Vergleich mit einer partizipialen Struktur, deren Übersetzung umstritten ist und zunächst näher betrachtet werden soll.341 Die Relation zwischen dem „entwöhnten Kind“, der Mutter und der Lebenskraft wird durch die Präposition ‫„( על‬auf “/„über“) mit Suffix ausgedrückt.342 Meist wird für das vergleichende Partizip ‫ כגמל‬an dieser Stelle die Bedeutung „entwöhntes Kind“ angenommen und es liegt nahe, dass der Vergleich beabsichtigt, den Unterschied zwischen Säugling und entwöhntem Kind herauszustellen.343 Dieser Unterschied wird in der Forschung verschieden gedeutet. W. Beyerlin versteht ihn als Verzicht der ‫נפש‬, die, nach einem Reifeprozess, trotz ihres existentiellen Verlangens nun still und ruhig warten könne.344 Dagegen plädiert E. Zenger für eine Deutung des Vergleichs im Sinne eines verstummenden Kindergeschreis und dadurch eines regelrechten Stillwerdens: Denkbar und sogar wahrscheinlicher ist aber, dass der Psalm nicht das Abstillen des Säuglings, sondern das Stillen selbst evozieren will, durch das die Mutter das vor Hunger schreiende Kind durch die Gabe der Muttermilch buchstäblich zur Stille bringt und ihm durch das Stillen die Erfahrung von geschenktem Leben sowie von Geborgenheit und Vertrauen gibt.345

338 Vgl. auch F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen 101–150, 791.794. 339 ‫( שוה‬Pi’el „besänftigen“) in der 1.Pers.Sg.com.Perf.Pi’el und‫„( דמם‬beruhigen“) in der 1.Pers. Sg.com.Perf.Po’el. 340 Po’el gibt primär das Ziel oder eine Richtung an. Vgl. R. Meyer, Spuren, 121. 341 Vgl. u. a.: „Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, so ist gestillt in mir meine Seele“; H.J. Kraus, Psalmen 60–150, 1052; „Wie ein entwöhntes Kind an der Mutter ruht, so ist entwöhnt meine Seele in mir.“ A. Weiser, Psalmen. Zweiter Teil, 536. Das Verb ‫( גמל‬Qal: „fertig sein“/ „entwöhnt sein“; als Part.abs.Sg.mask.Qal: „entwöhntes Kind“) wird bezogen auf die Mutter ohne Artikel verwendet, bezogen auf ‫„( נפשי‬mein(e) Leben(skraft)“) mit Artikel. Vgl. ‫גמל‬, 222. 342 Schwierig ist bei der Konstruktion ‫ כגמל עלי אמו‬das Suffix der 1.Pers.Sg.com., da es nicht den notwendigen Bezug zur Mutter (‫)אם‬, sondern zur ‫ נפש‬herstellt. Damit weist die Präposition bereits auf den Vergleich voraus. 343 Vgl. ‫גמל‬, 222; H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 1052; A. Weiser, Psalmen. Zweiter Teil, 536; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen 101–150, 792 f. 344 Vgl. W. Beyerlin, Hybris, 33. 345 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen 101–150, 794. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. l

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Weitere Beispiele für eine sprachliche Manifestation 

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Die Interpretation E. Zengers gewinnt durch die Berücksichtigung des Kontextes an Plausibilität, da V. 1 f. nahelegt, dass es sich bei dem Stillwerden der ‫ נפש‬um eine Voraussetzung für die neue Gotteserfahrung handelt (vgl. V. 3 als Ausblick).346 Um den Aspekt des „Stillwerdens“ in der Übersetzung zu berücksichtigen, erscheint eine verbale Übersetzung des Partizips des letzten Versteils am sinnvollsten: „ist mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬still auf mir.“347 Das Partizip des Verbs ‫ גמל‬stellt als Bindeglied die reflexive Relation des Beters her, der zugleich das Subjekt (‫ )נפשי‬und Objekt (‫ )עלי‬der Satzkonstruktion darstellt (Punkt 2). Auch das zweite Beispiel, das eine Verbindung von ‫ עלי‬+ ‫ נפשי‬aufweist, bringt syntaktisch explizit Selbstreflexion zum Ausdruck (Klgl 3,20): Ich gedenke und sie [bezogen auf ‫ ]נפשי‬gedenkt, und mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬löst sich auf über mir!

Neben der semantisch mit ‫ זכר‬ausgedrückten Selbstreflexion wird diese semantisch in V. 20b (‫ )ותשיח עלי נפשי‬erkennbar, in dem der Beter sich durch seine ‫נפש‬ (mit Suff.1.Pers.Sg.), die durch das Verb ‫( שיח‬hier: „auflösen“348; 3.Pers.Sg.fem. PK.Hif ’il) zum Subjekt wird, zu der suffigierten Präposition (‫ )עלי‬in Bezug setzt (Punkt 2). Der Beter befindet sich nach V. 20a (‫ )זכור תזכור‬in einem Prozess der kognitiven Reflexion, der begleitet wird von der emotional-reflexiven Reaktion in V. 20b (‫ )ותשיח עלי נפשי‬mit der er sich von „außen“ betrachtet.349 Syntaktisch explizite Selbstreflexion wird auch in dem letzten Exempel, in dem Gebet Jonas, sichtbar (Jona 2,8): Da meine Lebenskraft (‫ )נפשי‬bei mir verzagte, gedachte ich an den JHWH; und mein Gebet kam zu dir, in deinen heiligen Tempel.

Der Beter Jona spricht in dem ersten Versteil in Verbindung mit der suffigierten Präposition (‫ )עלי‬von dem Verzagen der eigenen Lebenskraft (‫)נפשי‬, die A. Deissler ganz konkret physisch als schwindenden Atem versteht und übersetzt mit „Als mir der Atem schwand“350. H. W. Wolff macht dagegen auf den Kontext aufmerksam und damit auf das im Anschluss an den ersten Versteil verwendete Verb ‫זכר‬, das zum einen auf den schon zuvor betrachteten Ps 77,4 verweist (s. o.), zum anderen nahelegt, dass bereits mit dem Verb ‫ עטף‬mehr ausgedrückt wird als die nach 346 Vgl. ebd. Anders versteht E. S. Gerstenberger den Vergleich als Sinnbild für das Gefühl der Geborgenheit des Beters bei Gott, der als „Mutter“ dargestellt werde. Zugleich wendet er jedoch selbst ein, dass die Bezeichnung Gottes als Mutter in der Gebetssprache sehr selten sei. Vgl. Ders., Psalms II, 361. 347 Der Vorschlag E. Zengers hier ‫ עלי‬mit „in mir“ zu übersetzen, trägt wiederum einen modernen Innen-Außen-Antagonismus ein, der abzulehnen ist. Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen 101–150, 794. 348 Vgl. Kap. 3.2.9. 349 Vgl. H. J.  Boecker, Klagelieder, 65. 350 A. Deissler, Zwölf Propheten, 160.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

lassende physische Konstitution des Beters.351 So legt es auch die vorgeschlagene Bedeutung für ‫ עטף‬im Hitpa’el gemäß HAHAT nahe: „verzagen, verschmachten“352. Das Verb ‫( בהתעטף‬Hitpa’el) definiert den Beter als Subjekt (‫)נפשי‬, die Präposition legt ihn als Objekt fest (‫)עלי‬, wodurch Selbstreflexion syntaktisch expliziert wird (Punkt 2). Der Beter drückt in der prekären Notsituation die Wahrnehmung seiner eigenen Ängste aus. Eingeleitet wird die syntaktische Selbstreflexion durch eine erzählende Beschreibung der Selbstreflexion, die aufgrund von ‫( זכר‬und ‫ תפלה‬in V. 8b) das Gebet als kultische Vergegenwärtigung der Gottespräsenz erscheinen lässt. Die Betrachtung der exemplarischen Belegstellen, die mit Hilfe der Reflexionsmarker ‫ עלי‬+ ‫ נפשי‬ausfindig gemacht wurden, hat bestätigt, dass diese ein hilfreiches Indiz für dezidiert sprachliche Explikation von Selbstreflexion sind. Es lässt sich weiterhin vermuten, dass auch andere Stellvertreterausdrücke, suffigiert in der 1.Pers.Sg.com. in Verbindung mit der analog suffigierten Präposition ‫על‬, einen solchen Hinweischarakter haben könnten. Daher soll ein weiterer Blick auf Verse geworfen werden, in denen die beispielhaft gewählten Stellvertreterausdrücke (mit Suff.1.Pers.Sg.com.) ‫„( לבי‬mein Herz“) und ‫„( רוחי‬mein Geist“) gemeinsam mit ‫ עלי‬vorkommen.353 ‫ עלי‬+ ‫ לבי‬finden sich syntaktisch aufeinander bezogen in mehreren Versen, von denen jedoch nur Neh 5,7a und Hos 11,8b syntaktisch Selbstreflexion explizieren und dabei den Kontext des Individualgebets verlassen (Neh 5,7a1):354 Und mein Herz beriet sich mit mir

Neh 5,7 ist Teil des Ich-Berichts von Esra-Nehemia, in dem Nehemia monologartig soziale Spannungen thematisiert (Neh 5,1–19). Das kognitive Verb ‫ מלך‬heißt im Nif ’al „sich beraten“ und steht in der 3.Pers.Sg.mask.PK.355 Selbstreflexion wird im Sinne der Beschreibung eines reflexiven Denkvorgangs deutlich: Der Beter, sein Herz (‫ )לבי‬als Teil von ihm, wird durch die suffigierte Präposition in einem relationalen Verhältnis zu ihm selbst beschreiben (‫ )עלי‬und dadurch Punkt 2 entsprechend sprachlich explizit erkennbar (Hos 11,8b). Mein Herz kehrt sich gegen mich um, all mein Mitleid ist erregt. 351 „Der Gefährdete fühlte sich gänzlich schwach und verzagt; in ihm selbst war nichts mehr, woran er sich aufrichten, wodurch er sich retten konnte.“ H. W.  Wolff, Dodekapropheton, 112. 352 Art. ‫טףע‬2, in: HAHAT, 951 f., 951. 353 Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass diese Begriffe keineswegs die einzigen relevanten Begriffe für eine solche Untersuchung darstellen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass das Begriffsspektrum der von H. W. Wolff definierten anthropologischen Begriffe erweitert werden müsste, was jedoch für die hier durchgeführte exemplarische Untersuchung aus Kapazitätsgründen nicht möglich ist. Vgl. Kap. 1.2 und 1.3.3. 354 Jer 8,18: ‫מבליגיתי עלי יגון עלי לבי דוי׃‬ – „Erheiterung anstelle meines Kummers! Mein Herz ist krank in mir.“ Da hier ein Nominalsatz vorhanden ist, kann eine nähere Analyse eines Verbs nicht erfolgen. Reflexivität wird dennoch implizit vorausgesetzt, indem das betende Ich sich zu seinem Körper in Bezug setzt. 355 Vgl. K.-D. Schunck, Nehemia, 143; Anders J. Blenkinsopp, Ezra-Nehemia, 255. l

Zwischenergebnis

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‫ הפך‬bedeutet im Nif ’al „sich selbst drehen“/„sich umkehren“ und steht in der 3.Pers.Sg.mask.AK. Die Präposition ‫ עלי‬kann mit „gegen mich“, aber auch mit „zu mir“ übersetzt werden.356 Über den Stellvertreterausdruck ‫„( לבי‬mein Herz“) wird

das betende Ich als Subjekt selbst benannt, das durch die in der 1.Pers.Sg.com. suffigierte Präposition ‫„( על‬auf “/„über“) erneut genannt und reflexiv gebunden wird (Punkt 2). Die Begriffe ‫ עלי‬+ ‫ רוחי‬sind lediglich in Ps 142,4a und Ps 143,4a zu finden und sprechen in Verbindung mit der suffigierten Präposition ‫„( עלי‬auf / über mich“) von dem Verzagen der ‫„( רוחי‬mein Geist“) im Beter und explizieren ebenfalls syntaktisch ein selbstreflexives Verhältnis (Punkt 2). Neben den ersten Versteilen der Psalmen 142,4: „Wenn mein Geist (‫ )רוחי‬sich in mir ängstigt“ und 143,4: „Und mein Geist (‫ )רוחי‬ängstigt sich in mir“ expliziert auch Ps 143,4b „in meinem Inneren entsetzt sich mein Herz“ ein rückbezügliches Verhältnis des Beters, wenn dieser mittels ‫„( לב‬Herz“) als Subjekt des Satzes in der 1 Pers.Sg. in Erscheinung tritt und über ‫( תוך‬mit Präp. ‫ ב‬und Suff.1.Pers.Sg.; „in meinem Inneren“357) den Bezug zu sich selbst herstellt (Punkt 5). Ausgehend von Ps 42/43 lassen sich damit leicht weitere Beispiele für die IchSphäre als deskriptiv-erzählende und syntaktisch-pronominale Explikation von Selbstreflexion in atl. Gebetstexten ausfindig machen und sich die These einer sprachlich manifestierten Ich-Sphäre erhärten.

3.5 Zwischenergebnis Im Anschluss an diese sprachliche Analyse der Ich-Sphäre sollen die zu Beginn des Kapitels gestellten Fragen für eine prägnante Zusammenfassung und Auswertung der bisherigen Beobachtungen genutzt werden: Wie wird das Selbstgespräch in Ps 42/43 sprachlich gestaltet? Wird eine Ich-Sphäre im Sinne einer Selbstreflexion des Beters innerhalb der Leibs-/Sozialsphäre und Gottesbeziehung auf sprachlich-syntaktischer Ebene deutlich? Mehrere Beispiele haben gezeigt, dass Selbstreflexion auf verschiedene Weise durch syntaktisch-selbstreflexive Verhältnisse in der Gebetsliteratur des AT, aber auch außerhalb davon (Hos 11,8; Neh 5,7) sprachlich expliziert werden können, indem das betende Ich eine syntaktische Subjekt-Objekt-Beziehung, gemäß der in Kap. 1.4.2 erstellten Kriterien (Punkte 1–6), herstellt. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Anerkennung der jeweils den Beter vertretenden Begriffe als dessen vollwertige Repräsentanten.358 Gerade die Funk 356 Wie die anderen Verwendungsweisen von ‫ הפך‬mit ‫ על‬als Richtungsangabe zeigen: Ijob 30,15: 3.Pers.Sg.mask.Perf.Hof ’al: „Schrecken hat sich gegen mich gewandt […]“; Jes 60,5: 3.Pers. Sg.mask.Impf.Nif ’al „[…] denn die Schätze des Meeres wenden sich dir zu […]“; Dan 10,8: „[…] und meine Gesichtsfarbe veränderte sich an mir bis zur Entstellung, und ich behielt keine Kraft.“ 357 Vgl. Art. ‫תוך‬, in: HAHAT, 1428. 358 Vgl. A. Wagner, Körperbegriffe, 291.

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Die sprachliche Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

tion von Stellvertreterausdrücken, die den Menschen in seiner Gesamtheit und zugleich Aspekthaftigkeit repräsentieren, gilt es dabei entsprechend zu berücksichtigen.359 So wird in Ps 42,6a (zweiter Fragesatz) durch ‫ נפש‬die Qualität des Subjekts als Sitz des körperlichen Durstes, der Gottessehnsucht (vgl. Ps 42,2a.b) und zugleich des Selbstgesprächs/-konflikts veranschaulicht. Das betende Ich tritt durch diese Reflexion in ein Verhältnis zu seinen verschiedenen Konstituenten. So stellt sich das Aufbrausen der ‫ נפש‬vor der doppeldeutigen Einführung als Ort des Trinkens und Sehnens durch die Metapher in Ps 42,2 f als Störung der Leibsphäre des Beters dar, die zugleich Folge der gestörten Sozialsphäre (oder umgekehrt! Vgl. Ps 42,4b.5b) und der Gottesbeziehung darstellt. Da es sich bei diesem Vorgang um eine emotional-reflexive Relation handelt, ist es möglich, diese als Meta-Emotion360 zu bezeichnen. Auch in anderen Beispielen wird Selbstreflexion im Sinne einer Meta-Emotion deutlich. So rückt u. a. in Ps 143,4 der Beter durch die Parallelisierung von „Geist“361 und „Herz“362 mit seinem fühlenden Zentrum in den Blick. Es kann bei den Ergebnissen darüber hinaus festgestellt werden, dass andere Belegstellen, die nicht als Meta-Emotion bezeichnet werden können, 359 Dies darf jedoch nicht im Sinne einer Trivialisierung oder Gleichmachung verstanden werden, sondern die Semantik der einzelnen Begriffe kann dazu dienen, den Beter in Hinblick auf bestimmte Aspekte hervorzuheben. Vgl. ebd. 360 Das hier beobachtbare Textphänomen der schriftlichen / mündlichen Auseinandersetzung den eigenen Gefühlen, kann treffend mit einem Begriff der Meta-Emotion aus der Psychologie eingefangen werden. Dort werden Meta-Emotionen u. a. wie folgt definiert: „Im metakognitiven Modell ‚Emotionen über Emotionen‘; somit Emotionen, die zur Regulation anderer Emotionen dienen, oder als Bewältigungsverhalten dienen können. Das Konzept der Metaemotion ist eng mit dem → Ex-consequentia-Schlussfolgern verwandt.“ A.  Wells / P.  Fischer (Hg.), Meta­ kognitive Therapie. Meta-Kognition: „Im metakognitiven Modell ‚Kognition über Kognition‘; somit kognitive Prozesse, die andere kognitive Prozesse regulieren und kontrollieren. Metakognition ist an der Beendigung, der Fortführung und der Modifikation von Denkvorgängen beteiligt […]“. Ebd. Der Begriff Meta-Emotion ist insbesondere in der Medienpsychologie von Bedeutung und verdeutlicht, „dass Emotionen zum Gegenstand kognitiv-affektiver Bewertungen werden können, wobei die Valenz der Meta-Bewertung von der ursprünglichen Valenz der Emotion abweichen kann.“ R.  Mangold / A.  Bartsch, Emotionen, 97. Das Konzept ist analog zu dem Konzept der Meta-Kognition: „So wie Menschen Gedanken über Gedanken haben können, können sie auch Gefühle über Gefühle haben. […] Meta-Emotionen bewerten die primäre Emotion und beeinflussen, wie diese Emotion erlebt und ausgedrückt wird.“ A. Bartsch, Meta-Emotionen, 277. Diese Theorie der Meta-Emotionen bezieht sich im Rahmen der Medienpsychologie ursprünglich auf die Reaktion des Rezipienten / der Rezipientin auf einen Text / Film. In Bezug auf die hier durchgeführte Textanalyse muss jedoch auf der Textebene und dadurch auf der Ebene des Beters / des betenden Ichs angesetzt werden. Bereits der Psalm selbst ist eine selbstreflexive Reaktion und stellt im Fall von V. 7a eine Meta-Emotion dar. Der Nachbeter wäre konsequenter Weise derjenige, der mit einer eigenen Meta-Emotion auf die schriftliche Meta-Emotion des Beters reagiert. 361 Bedeutungsmöglichkeiten H. W. Wolff: 1) Wind; 2) Atem; 3) Lebenskraft; 4) Geist(er); 5) Gemüt; 6) Willenskraft; vgl. Kap. 1.2. 362 Als Bedeutungsmöglichkeiten hält H. W. Wolff fest: 1) Herz; 2) Gefühl; 3) Wunsch; 4) Vernunft; 5) Willensentschluss; 6) Herz Gottes. Vgl. Ders., Anthropologie, 75.

Zwischenergebnis

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eine kognitiv-reflexive Relation des Beters zum Ausdruck bringen und daher als Meta-Kognition bezeichnet werden können.363 Ferner zeigt sich die Ich-Sphäre als deskriptiv-erzählende und syntaktisch-pronominale Explikation von Selbstreflexion häufig in atl. Gebetstexten und z. T. stehen beide Formen sogar in unmittelbarer Nähe zueinander. In der Anhäufung selbstreflexiver Prozesse in Ps 42,5–7 und auch unter Einbeziehung des Kontexts der weiteren Beispiele für sprachliche Selbstreflexion ist zu erkennen, dass den Reflexionsprozessen eine negative Konnotation zu eigen ist (vgl. Ps 134,3). Sie lassen den Beter seine Desintegration (der Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung) vollumfänglich erkennen (vgl. z. B. Ps 42,5–8; 77,7 f.). Erst nachdem die Klage sich an Gott richtet, scheint eine positive Wendung herbeigeführt werden zu können, wie das Gebet Jonas in Jona 2,8 exemplarisch zeigt.364 V. 8a stellt den Reflexionsprozess dar, der den Beter zu Gott führt. V. 8b spricht bereits als Ergebnis von der Wendung der Notsituation Jonas. Es bleibt dennoch für die Psalmenbelege insgesamt festzuhalten, was bereits J. Dietrichs Überlegungen in Bezug auf den Herzensbegriff nahelegen, nämlich, dass die Thematisierung der Innerlichkeit des Einzelnen an sich keine positive Konnotation erhält.365 Eine strukturelle Wendung der Ich-Sphäre von der Thematisierung der gestörten Selbstbeziehungen hin zur erneuten Integration in die Leib, Sozialsphäre und Gottesbeziehung, gilt es für den Verlauf von Ps 42/43 detailliert im nachstehenden Kapitel zu untersuchen. Dass es sich bei der Thematisierung der Ich-Sphäre im Gebet um einen Selbstintegrationsvorgang handelt, der zu einer (erneuten) Begegnung mit „Gottes Angesicht“ führt, konnte bereits in der Analyse der Einzelverse von Ps 42/43 beobachtet werden (vgl. Ps 42,9).366

363 Alle bisherigen Beispiele für syntaktisch-pronominale Reflexivität lassen sich dementsprechend einordnen. Meta-Emotion: Ps 42,6.12; 43,5; 110,1; 131,2; 142,4; 143,4; Klgl 3,20; Ijob 10,1; 30,16; Jona 2,8; Hos 11,8; Meta-Kognition: Ps 77,4(b).7; Neh 5,7. Die erzählend-deskriptive Reflexion scheint sich dagegen eher auf die Beschreibung des kognitiven Vorgangs zu beziehen (vgl. Ps 42,5). 364 Eine Ausnahme von der negativ konnotierten Innenschau des Menschen bildet Neh 5,7a, bei dem das Selbstgespräch offenbar zu einem (positiven) Ergebnis führt und zur Entscheidungsfindung konstruktiv beiträgt: ‫וימלך לבי עלי ואריבה את־החרים ואת־הסגנים ואמרה להם משא איש־באחיו אתם נשאים‬ – „Und mein Herz beriet sich mit mir, und ich zog die Edlen und die Vorsteher zur Rechenschaft und ich sprach zu ihnen: Wucher treibt ihr einer mit dem anderen!“ Jedoch handelt es sich bei diesem Versteil nicht um Gebetsliteratur, und Nehemia als Prophet kann nicht als Prototyp eines Beters verstanden werden, wodurch dieses Beispiel gesondert betrachtet werden muss. 365 Vgl. J. Dietrich, Individualität, 82–87. 366 Vgl. dazu u. a. Kap. 3.2.3 und 3.2.13.

4 Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43

4.1 Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion Es ist in der sprachlichen Analyse deutlich geworden, dass der Psalm ein Gebetslied auf einer textlichen Metaebene darstellt, bei welcher der Beter eine Präsenz (fiktionale Ich-Sphäre) aufbaut, die sich selbst, seine Leib- und Sozialsphäre vor Gott u. a. mit zentralen anthropologischen Begriffen pronominal-syntaktisch sprachlich reflektiert (projektive Ich-Sphäre vgl. Kap 1.4.3). Es gilt in diesem Schritt, den Text in Hinblick auf seine Struktur und Funktion als Gebetslied zu untersuchen. Für Ps 42/43 als Wallfahrtspsalm und als Klagelied des Einzelnen (Kap. 2.2) können mit M. Leuenberger v. a. zwei Aspekte als grundlegend angesehen werden, die den strukturellen Aufbau von Klagepsalmen wesentlich mitbestimmen: 1. Das Beklagen der Notsituation in ihrer leiblichen, sozialen und kultischen Dimension vor Gott verdeutlicht nicht nur die Desintegration des Beters in allen ihn konstituierenden Bezügen, sondern bildet zugleich die Ausgangssituation für den sog. Stimmungsumschwung: Not lehrt beten: Man schüttet seine Klage vor Jhwh aus (Ps 102,1) und vollzieht so seine Existenz unhintergehbar im Gegenüber zu Jhwh, denn zu schweigen hieße nachgerade, tot zu sein (Ps 6,6 u. a.). Näherhin lassen sich die drei Dimensionen der Ich-, der Feind- und der Gottklage (Selbst-, Welt- und Gottesbezug) unterscheiden, die – je nach Notlage – in der einen oder anderen Kombination auftreten.1

Unter Berücksichtigung der inhaltlichen Beobachtungen im Rahmen der Vers für Vers-Analyse von Ps 42/43 können diese drei Dimensionen der Klage auch in Hinblick auf Ps 42/43 erkannt und zugeordnet werden (Kap. 2.1). Sein Selbst-, Welt- und Gottesbezug ist gestört und es ergibt sich zusätzlich zur strophischen Gliederung des Doppelpsalms durch die Gebetsmodi eine weitere Struktur, die, unterbrochen von dem Refrain (und Ps 43,2), einen fünfteiligen Aufbau erkennen lässt: Der erste Abschnitt (Ps 42,2–4) schildert bildhaft die Not des Beters (V. 2a– 3a), mit einer dreifachen Klage: Gott-Klage (V. 3b), Ich-Klage (V. 4a), FeindKlage (V. 4b). Dieser umfassenden Schilderung der Desintegration des Betenden schließt sich der heterogene zweite Abschnitt (Ps 42,5–8[.9]) an, der bereits 1 M. Leuenberger, Gebet / Beten (AT). Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion

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formal aus der Reihe fällt (Kap. 2.2): Die sich aus Erinnerung speisenden Selbstaufforderungen (V. 5 f.) führen den Beter in eine erneute Notschilderung (V. 7a), die als Gott-Klage (V. 7b) spezifiziert wird und als Todesbedrohung dramatisiert wird (V. 8). Den dritten Abschnitt (Ps 42,10–12) markieren die direkt an Gott adressierten Klagen (Gott-Klage; Ich-Klage; Feind-Klage in V. 10 f.), die zur erneuten Selbstaufforderung führen (V. 12). Ein vierter Abschnitt (Ps 43,1–3) zeichnet sich durch die bittende Hinwendung in Ps 43,1.3 aus, in dessen Mitte die dreifache Klage (V. 2: Gott-Klage; Ich-Klage; Feind-Klage) steht. Der fünfte Abschnitt (Ps 43,4 f.) besteht aus dem Gelübde mit anschließender Selbstaufforderung. Es überrascht an dieser Stelle nicht, dass die Erinnerungs-Selbstaufforderungsverse mit dem selbstreflexiven Zentrum (Ps 42,5–7) zusammenfallen, das durch Notschilderungen in V. 7a.8 zum klagenden Zentrum des Psalms wird. Es kann zudem beobachtet werden, dass in Ps 42,4.10 f., also kurz vor und nach der sprachlichen Explikation der Selbstreflexion, eine negative „Verdichtung“ durch die Trias Gott-Klage, Ich-Klage, Feind-Klage stattfindet, d. h. alle den Menschen konstituierenden Qualitäten treten in unmittelbarer Nähe zueinander auf und werden in einem Vers zusammengeführt. Körperlich spürt das betende Ich seinen Ausschluss aus der Gemeinschaft und wird sich darin seiner Gottesferne bewusst, die zugleich als Ursache der Notlage vorausgesetzt wird. Diese maximale Desintegration des Beters offenbart sich in der trostsuchenden Hinwendung zu sich selbst, die jedoch keine Integration bewirkt. Durchgehender Gegenstand von Klage und Bitte des Beters ist die aus der Abwendung Gottes resultierende Verborgenheit vor dem Beter, die dieser erst durch Fragen (Ps 42,3b.4.10 f; Ps 43,2) und dann verstärkt durch Bitten (Ps 43,1.3) zum Ausdruck bringt. Das Bitten drückt die Desintegration des Beters in seinem Selbst-, Welt- und Gottesbezug analog zur Klage aus. Ps 43,1 thematisiert v. a. den Weltbezug, Ps 42,3 besonders den Selbst- und Gottesbezug. Dadurch stellt die Bitte, ebenso wie die Klage, aus einer anderen Perspektive die Verlassenheit durch Gott dar:2 Kann hier noch darüber diskutiert werden, ob eine vertrauensvolle Hinwendung zu Gott stattfindet, oder es sich bei der Bitte um eine andere Form der Klage handelt, wird spätestens mit Ps 43,4 durch das Lob / die Vertrauensäußerung ein Bild der Heilsgewissheit gezeichnet. Infolgedessen kann mit J. Wöhrle für Ps 42/43 festgehalten werden: „Eben deshalb wird in dieser Bitte zuerst um die erneute Zuwendung Gottes gebeten, aus der auch die Überwindung des individuellen Leids und der Bedrängnis durch die Feinde hervorgehen wird.“3 Es scheint also, dass verschiedene Voraussetzungen für die Herbeiführung einer Heilswende zuvor erfüllt sein müssen, was auch D. Erbele-Küster nahelegt,

2 Diesen Perspektivwechsel erkennt J. Wöhrle auch für den Wechsel von der Klage zur Bitte in Ps 13. Vgl. Ders., Klagepsalmen, 231. 3 J. Wöhrle, Klagepsalmen, 231.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

wenn sie als auslösende Momente für diese (Erhörungsgewissheit4) verschiedene Erkenntnisse und daher insgesamt einen Erkenntnisprozess beschreibt: Erkenntnis des Feindschicksals; Gotteserkenntnis und Erlangung der Sprachfähigkeit.5 Es kann deshalb weiter gefragt werden, ob dieser Strukturverlauf des Psalms einem prozesshaften Aufbau folgt, durch den eine Veränderung der Haltung des Beters zum Ausdruck kommt. Ein solcher Veränderungsprozess kann ein Verhalten des Beters zu sich selbst auf struktureller Ebene ausdrücken und daher als selbstreflexiv bezeichnet werden. Die deutliche thematische Wende, die eine erneute Integration des Beters in Ausblick stellt, kündigt sich spätestens in den Bitten in Ps 43,1.3 an und vollzieht sich in Ps 43,4. Dieser Umschwung verdeutlicht eine eindeutige Veränderung der Perspektive des Beters, und lenkt den Blick auf das zweite, für Klagepsalmen charakteristische Strukturmerkmal: 2. Der sich vor Gott ereignende, sog. Stimmungsumschwung, von der Klage hin zur Bitte / Vertrauensbekundung, bezeichnet den häufig abrupt wirkenden Wechsel in den Psalmen von der Klage zur Bitte / zum Lob. In der vorangegangenen Analyse ist auch für den Doppelpsalm 42/43 deutlich geworden, dass sich mit dem Beginn von Ps 43 eine Wende von der Klage zur Bitte / zum Lob andeutet (Kap. 2.2 und 3.2.17). Dass dieser Wechsel eindeutig in der Struktur erkannt werden kann, ist in der Forschung weitgehender Konsens.6 Wie der Stimmungsumschwung als Phänomen in den Psalmen jedoch zu bewerten ist, ist durchaus umstritten, weshalb es vorab einiger Bemerkungen bedarf.7 So geht B. Janowski davon aus, dass, 4 Diese vollziehe sich als ein Ineinander von Erhörungsgewissheit und Erwartung. Vgl. D. Erbele-Küster, Lesen als Akt des Betens, 164. 5 Vgl. D. Erbele-Küster, Rezeptionsästhetik, 162 f. 6 Die an Gott gerichteten Imperativformen markieren den Beginn eines Bittgebets. T. Aoki sieht in der gehäuften Verwendung des Imperativs sogar einen Beweis für die ursprüngliche Trennung von Ps 42/43. Vgl. Ders., Angesicht, 44 f. Vgl. u. a. Ps 13,6; Ps 22,23; Ps 54,8; Ps 57,8; Ps 59,17–18. 7 Folgende Erklärungsmodelle können dabei voneinander unterschieden werden: 1. Eine Möglichkeit den Stimmungsumschwung zu erklären besteht darin, ihn als Heilsorakel zu verstehen: U. a. von F. Küchler und J. Begrich wird ein liturgisches Modell eines priesterlichen Heilsorakels angenommen. Vgl. F. Küchler, Das priesterliche Orakel, 285–301; J. Begrich, Das priesterliche Heilsorakel, 217–231. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Beter, nachdem er im Tempel seine Klage vorgebracht hat, die Erhörung seines Gebets von einem Priester zugesagt wird. Diese Zusage erwidert der Beter mit Vertrauensbekenntnis oder Lobgelübde. Anspielungen auf das priesterliche Heilsorakel wurden v. a. in Ps 35,3 und Klgl 3,57 vermutet, die Redeform wurde in Analogie zu den Heilsorakeln bei Deuterojesaja rekonstruiert (z. B. Jes 41,8–13; Jes 43,1–7). Vgl. u. a. den forschungsgeschichtlichen Abriss bei U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 55–132. Da sich das „priesterliche Heilsorakel“ jedoch mittlerweile als prophetische Gattung erwiesen hat, lässt eine liturgische Gattung eines „priesterlichen Heilsorakels“ nicht belegen. Anders O. Loretz, Psalmstudien, 159 f. Er geht weiterhin davon aus, dass der Beter den göttlichen Zuspruch durch die Mitteilung eines Priesters oder durch Kulthandlung erhält. Er hält fest: „Dem Stimmungsumschwung liegt folglich kein plötzlicher Wandel der Gemütsverfassung des Klagenden zugrunde, sondern ein für den Klagenden günstiges Ende des Prozeßverfahrens.“ A. a. O., 160. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Eine vermittelnde

Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion

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entgegen der Annahme eines priesterlichen Heilsorakels, ein Prozessgeschehen die Ursache für den Wechsel von der Klage zur Bitte / zum Lob darstellt. Er versteht die Wende zur Bitte / zum Lob als „antizipiertes Faktum“, das er wie folgt beschreibt: In dem Augenblick, da die Gewißheit der Rettung durch Gott neu erlangt wird, bleibt es für den Sachverhalt belanglos, ob sie unter dem Aspekt einer zum Abschluß gekommenen Handlung im Perfekt (‚du hast mir geantwortet‘) formuliert wird oder ob im Präsens die aktuell sich ereignende Antwort Gottes (‚Jetzt weiß ich, daß du mir geantwortet hast‘) im Vordergrund steht.8

Eine ähnliche Position vertritt auch U. Rechberger, der zu dem Ergebnis kommt: „Wenn sich mit den genannten Gründen ein Stimmungsumschwung textextern nicht erklären lässt, ist folgerichtig nach text- also psalmimmanenten Gründen zu suchen.“9 Das Nebeneinander von Klage und Lob kann dadurch ohne das – in den Psalmen faktisch auch nicht nachweisbare – Heilsorakel eines vermittelnden Priesters erklärt werden.10 Problematisch scheinen bei diesem Ansatz jedoch zwei Aspekte: Zum einen können textimmanente Entwicklungen, deren Ergebnis nach dieser Theorie der Stimmungsumschwung darstellt, nicht für alle Psalmen, die dieses Strukturmerkmal aufweisen, nachgewiesen werden (vgl. Ps 13).11 Daher wäre Position nimmt an dieser Stelle R. Albertz ein, der zwar von einer kultischen Bindung der Heilszusage an einen Gottesmann ausgeht, diesen jedoch nicht zwangsläufig in der Priesterschaft verortet. Vgl. R. Albertz, Exilszeit, 139. 2. In einer weiteren These wird davon ausgegangen, dass die ältesten Klagelieder des Einzelnen, ebenso wie die Danklieder des Einzelnen zunächst als Gebetsformulare entstanden sind, die am selben Ort aufbewahrt und auch nebeneinander benutzt wurden und dadurch eine Zusammenfügung vorgenommen wurde, sodass Klage und Bitte / Vertrauen miteinander in neuen Gebetsformularen verbunden wurden. Diese Idee widerspricht keinesfalls einer ursprünglichen Nutzung der Gebetsformulare im kultischen Kontext, auch wenn dabei nicht im Sinne J. Begrichs von einem priesterlichen Heilsorakel ausgegangen werden kann. 3. Eine andere Erklärung vermutet eine im Rückblick auf die erfahrene Erhörung von Klage und Bitte niedergeschriebene Rettungserfahrung. Diese Erklärung scheint v. a. zu den Psalmen zu passen, in denen die Klage in ein Danklied übergeht (z. B. Ps 31). 4. In der jüngeren Forschung wird auf der sprachlich-pragmatischen Ebene angesetzt, wenn davon ausgegangen wird, dass es sich bei Klage und Bitte um ein Prozessgeschehen handelt, das eine Gewissheit der Erhörung hervorbringt, wodurch der Umschwung zur Bitte / zum Lob zugleich die Gewissheit selbst ist. B. Janowski zeigt exemplarisch anhand von Ps 22, dass sich der Stimmungsumschwung als Ergebnis eines Gebetsprozesses darstellt. Vgl. B. Janowski, Die Antwort Israels, 45–49; Ders., Konfliktgespräche, 75–84. B. Janowski legt hierbei die Grundannahme von C. Markschies zugrunde, dass es durch das „Vertrauensmotiv“ das Klagelied des Einzelnen als „zielgerichtetes Vertrauensparadigma“ bezeichnet werden kann. Vgl., C. Markschies, „Ich aber vertraue auf dich, Herr!“, 386–398. Anders R. Albertz, Exilszeit, 138. 8 B. Janowski, Konfliktgespräche, 80. 9 U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 132. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 10 Vgl. J. Wöhrle, Klagepsalmen, 226. 11 J. Wöhrle kommt in seiner Untersuchung zu Ps 13 zu dem Ergebnis, dass es sich um ein Nebeneinander von Klage / Bitte und Lob handle, das keinesfalls als prozesshafter Ablauf, sondern vielmehr als zwei Seiten des göttlichen Wesens zu verstehen sei: Gott als der Verborgene

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

in jedem Fall danach zu fragen, wie sich dieser Unterschied zwischen prozesshaft aufgebauten und unvermittelten „Stimmungsumschwüngen“ erklären lässt. Zum anderen scheint die Befreiung des Textes aus der literarhistorischen Fragestellung und dadurch der „Nichtbeachtung religions- bzw. literargeschichtlicher Zusammenhänge“12 problematisch, wie sie in jüngeren Untersuchungen deutlich wird.13 So muss mit R. Achenbach festgehalten werden, dass die rein textimmanente Begründung eines Stimmungsumschwungs zwar für den Psalter als literarischen Endtext, in Zeiten der Tempellosigkeit zutreffe, aber nicht für den Ursprung der Verbindung beider Gattungen angenommen werden könne.14 Auch, wenn die Klagepsalmen in ihrer Überlieferung größtenteils aus den rituellen und institutionellen Zusammenhängen entrissen und in Sammlungen zusammengeführt seien, werde eine redaktions- und überlieferungskritische Nachfrage nach den Ursprüngen der Texte nicht obsolet.15 Daher wendet er ein, dass der Umschwung16 von der Klage zur Bitte / zum Lob „im Horizont des Kultus am Zweiten Tempel aus der Situation der Dankfeier im Anschluss an erfahrene Hilfe und neuerliche

auf der einen Seite und Gott als vertrauenswürdiges, rettendes Gegenüber auf der anderen Seite. Er zeigt, dass sich der Stimmungsumschwung von der Klage zum Lob in Ps 13 nicht als Ergebnis eines vorangehenden Prozesses präsentiert. Vgl. Ders., Klagepsalmen, 235. 12 Dass sich bei der Berücksichtigung dieser Zusammenhänge überzeugende Argumente für eine kultische Verortung des Wechsels von der Klage zur Bitte / zum Lob ergeben, zeigt u. a. R. Albertz, der sich entschieden dagegen ausspricht, das Heilsorakel als Ausdruck einer Gewißheit der Erhörung zu verstehen. Vielmehr zeigt er durch den Verweis auf altorientalische Parallelen, dass eine heilvolle göttliche Antwort durchaus üblich war. Vgl. R. Albertz, Exilszeit, 138. 13 Auch O. Loretz kritisiert die alleinige „psychologisch orientierte Beschreibung des prozessualen Verlaufs“, bei welcher juridische Elemente nicht berücksichtigt werden. O. Loretz, Psalmstudien, 160. Dieses Desiderat wird auch bei C. de Vos sichtbar, die ihre Untersuchung völlig losgelöst von der Frage nach der Gattung und dadurch weitestgehend ohne die Berücksichtigung des soziokulturellen Kontexts durchführt: „Es gibt mehr oder weniger einleuchtende Vermutungen über einen oder mehrere Sitze im Leben, aber auch dies muss aufgrund mangelnder Information über die Hintergründe und den möglichen kultischen Rahmen der Praxis hypothetisch bleiben. Mit anderen Worten: Ein gemeinsamer Sitz im Leben kann für die Klage des Einzelnen als eine Gattung nicht bestimmt werden.“ Dies., Klage als Gotteslob, 4 f. Eine Beantwortung der Frage nach Gattung und Sitz im Leben lehnt sie, entgegen R. Achenbach, entschieden ab. Vgl. a. a. O., 5. Anm. Einen Ähnlichen Ansatz vertritt auch C. Welz, Vertrauen und Versuchung, 27 f. 14 Vgl. R. Achenbach, Zum Sitz im Leben, 586 oder auch E. Zenger, Einleitung, 358. Die mesopotamische Gebetspraxis stützt die kultische Verortung. Obwohl auch hier der Beter den innersten Raum des Tempels nicht betreten darf, so schreitet er doch im Gebet den realen Tempelraum ab. Vgl. A. Zgoll, Der betende Mensch, 134. Dieses räumlich-liturgische Abschreiten entspricht in den Psalmen der Jerusalemer Wallfahrt, die in den Psalmen entsprechend in verschiedene Phasen gegliedert ist. Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 546. 15 Vgl. R. Achenbach, Klagegebete, 581 f. 16 R. Achenbach nennt besonders folgende Beispiele: Jes 38,10–20; Ps 3,8; 6,8 f.; 13,5 f.; 22; 28; 31,19 f.; 36,12 f.; 57,7 f. Ebd.

Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion

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Zulassung zum Kultus“17 zu sehen sei und begründet dies besonders vor dem Hintergrund der Krankenpsalmen.18 Die Klage kann, so auch 1 Kön 8,37–40, in Richtung des Tempels gesprochen werden, doch das Danklied am Tempel kann nicht durch Rezitation aus der Ferne ersetzt werden.19 Durch die Änderungen der Priesterschaft des Zweiten Tempels ergaben sich jedoch im 5./4. Jh. v. Chr. striktere Trennungen bei der Kultausübung zwischen Priestern und Laien (Kap. 4.2.5.1 und 4.2.5.2), denen der Tempel immer unzugänglicher wurde, sodass die Kultpraxis die alleinige Aufgabe der Priester darstellte.20 Daher gibt es kaum Hinweise auf eine direkte Verbindung der Klagepsalmen mit der offiziellen Kultausübung.21 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass kultisch und unkultisch grundsätzlich keine alternierenden Möglichkeiten für den „Sitz im Leben“ von Psalmen darstellen.22 Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch im familiären, privaten Kreis rituelle Handlungen im Alten Israel praktiziert wurden und verschiedene Kultorte unterschieden werden müssen.23 Kult kann daher allgemein definiert werden als festgesetzte und geordnete Form des Umgangs mit dem Göttlichen. So umfaßt der Begriff Gottesdienst sowohl kultisch ritualisierte Opferdarbringungen als auch jede andere Versammlung einer Mehrzahl an Gläubigen, deren Ziel eine Verehrung von Göttlichem ist, aber auch individuelle Frömmigkeitsübungen […] außerhalb einer gottesdienstlichen Gemeinschaft.24

Diese Definition kann durch E. S. Gerstenberger ergänzt werden, der ebenfalls einen breiten Kultbegriff definiert: Kultisch ist alles, was der Verehrung eines übermenschlich gedachten Wesens oder einer überlegenen Macht dient. Zum Kult gehören eine Gruppe von Menschen, anerkannte, wirkungskräftige heilige Handlungen und Worte, oft auch besondere Orte, 17 R. Achenbach, Klagegebete, 581. Auch F. Hartenstein geht davon aus, dass der Laie i. d. R. keinen Zugang zum täglichen Tempelritual hatte. Vgl. Ders., Angesicht, 48. 18 „Erst im Zuge der Darbringung der Dankopfer anlässlich der Heilung konnte die Rezitation des Klageliedes in Verbindung mit dem Danklied Teil einer kultisch-rituellen Begehung werden – und genau dies ist in Lev 14 belegt. Bezeichnenderweise enthält das Priesterritual dort nun gerade die magischen Elemente, die man im Umfeld des Psalters vermisst […]. Dass auch für die kultisch rituelle Rehabilitierung des Büßers vergleichbare mesopotamische Rituale belegt sind, in denen neben der neuerlichen Rezitation des Sündenbekenntnisses und eines Klageliedes eine Bußlitanei – aḫulap – vorgesehen ist, sodann aber ein Danklied und Lobpreis, kann man schon bei Walter Schrank nachlesen.“ R. Achenbach, Klagegebete, 586. 19 Der Tempel wird durch diese exilische Redaktion in den Ort verwandelt, zu dem sich die Exulanten hinwenden können. Vgl. T. Römer, The So-Called Deuteronomistic History, 145–149. 20 Vgl. R. Achenbach, Klagegebete, 591; F. Hartenstein, Angesicht Gottes, 48. 21 Vgl. R. Achenbach, Klagegebete, 591. 22 Vgl. R. Albertz, Frömmigkeit, 27 ff. 23 R. Albertz beschreibt Kult daher als die Gesamtheit religiöser Handlungen, die nicht zur individuellen Frömmigkeit gehören. Vgl. a. a. O., 27. 24 B.-J. Diebner, Gottesdienst, 5. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Zeiten, Kleidungsstücke, Gerätschaften, Rangordnungen, Funktionäre, Rollenträger usw. und die kollektive Einstimmung auf das Überpersönliche.25

Die Begriffe Kultus und Ritual oder Ritus werden häufig synonym verwendet,26 können aber mit R. G. Kratz näher spezifiziert werden: Ritus bezeichnet „[k]ul­ti­ sche Handlungen, die nach einem vorgeschriebenen, gültigen Schema ablaufen“27, Ritual „die Anweisungen für den Ablauf “28. Der Zusammenhang zwischen Psalmen und rituellen Handlungen wird in der Untersuchung R. Achenbachs in Hinblick auf die Entwicklung der Psalmensammlungen im Wechselspiel mit den Veränderungen des Kultes am Zweiten Tempel deutlich: „Die gegenständliche Symbolik des magischen Rituals erfuhr durch die Rezitation im Klage- bzw. Lobpsalm ihre eigentümliche Transformation auf die Ebene einer musikalisch-sprachlichen Apperzeption.“29 Vor diesem Horizont erscheint es plausibel, dass in Zeiten der Tempelferne Einzelpsalmen, die u. a. von E. S. Gerstenberger auch ursprünglich in den Kontext des „Kults im kleinen Kreis (Haus- oder Familienkult)“30 eingeordnet werden, zunehmend einen Ersatz für den Tempelkult darstellen konnten. „Der Psalter ist also einerseits in persischer Zeit Ersatz für die Wallfahrt […] Er tritt an die Stelle des Gottesdienstes, weckt aber auch die Sehnsucht nach ihm.“31 Sowohl der wahrscheinlich tempelkultische Ursprung der Psalmen als Gattung in vorexilischer Zeit als auch die weitere Verwendung der Psalmen in nachexilischer Zeit legen nahe, dass diese als „Gebetsformulare“32 konzipiert sind, die zum Nach- und Mitbeten in den jeweils historisch verschiedenen Situationen des Kults (sowohl im familiären als auch im Hauskults) verfasst wurden.33 In Hinblick auf den Zusammenhang zwischen kultischem Sitz im Leben und Form der Psalmen, hält E. Zenger treffend fest:

25 E. S.  Gerstenberger, Ritualpraxis, 74. 26 Vgl. R. Albertz, Frömmigkeit, 27. 27 R. G.  Kratz, Ritus / Ritual, 353. 28 Ebd. 29 R. Achenbach, Klagegebete, 592. 30 Vgl. E. S.  Gerstenberger, Ritualpraxis 76. 31 M. Millard, Komposition, 209. 32 Klagepsalmen sind zum Gebrauch in konkreten Notsituationen verfasst. Zu der Diskussion zwischen der Forschungsmeinung, die im Anschluss an H. Gunkel, Psalmen als aus dem ‚innersten Herzen der Betenden selbst hervorgegangen‘ versteht und den Meinungen S. Mowinckels, B. Janowskis, uvm., die Psalmen als Gebetsformulare verstehen: Vgl. J. Wöhrle, Klagepsalmen, 232. Anm. Erwähnenswert ist an dieser Stelle der Einwand K. Seybolds, der in den Psalmen „Spuren der Ent-Eignung“ erkennt, die darauf hinweisen, dass es sich um ursprünglich persönliche Texte handelte. Vgl. K. Seybold, Psalmen, 347. Dies schließt jedoch m. E. eine recht frühe Verwendung und Gestaltung solcher persönlichen Texte als Formulare nich zwangsläufig aus. 33 Auf die vermutlich vielfältigen, den Gebetsprozess begleitenden Kulthandlungen kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Vgl. dazu E. S.  Gerstenberger, Ritualpraxis, 77 f.

Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion

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Auch wenn die meisten der im Psalter überlieferten Psalmen als nachkultische Psalmen entstanden sind, haben sie sich an der Gebetsdynamik und an der Formensprache der ursprünglich im Kult entstandenen Gattungen inspiriert (es gibt auch Gattungsmischungen), so dass die Psalmenexegese auf die Erkenntnisse der Gattungsforschung nicht verzichten darf; doch darf nicht vergessen werden, dass jeder Psalm seine spezifische Gestalt und seine individuelle Biographie hat, die herausgearbeitet werden muss.34

Es wird in Hinblick auf das Phänomen des sog. Stimmungsumschwungs deutlich, dass der Beter mit seinem Gebet eine rituelle Handlung vollzieht, dessen Ergebnis ein Umschwung ist, der wahrscheinlich seinen gattungsgeschichtlich ursprünglichen Ort am Tempel, in dem Tempelkult hat, sich hiervon jedoch im Laufe der Zeit löst.35 Berücksichtigt man die Aussagen F. Hartensteins zur Kultpraxis am Tempel, zeigt sich die Möglichkeit einer Synthese des Verständnisses des Stimmungsumschwungs als textimmanentes Prozessgeschehen bei B. Janowski und der Kritik der fehlenden Berücksichtigung des kultischen Ursprungs durch R. Achenbach: Schon wer vor dem Tempel am Altar sein Opfer zu JHWH hinübergehen ließ, der kommunizierte mit der anderen Welt. Wer sich an dieser Stätte (oder auch fern davon) mit einem Bittgebet an JHWH wandte, konnte darauf hoffen, vor dessen Angesicht zugelassen zu werden und ihm konkret-anschaulich zu begegnen, eben weil es eine personale Begegnung nicht ohne das Implikat des Körperlichen geben konnte.36

Die Konkretion der Bitte / des Lobs besteht in der Gewissheit, dass es sich bei dem Gebet um eine durchaus auch körperlich verstandene Kultausübung handelt, durch welche der Beter sich in den v. a. durch den Priester ausgeübten Tempelkult und in die Kultgemeinschaft integriert.37 Dieser Vorgang stellt ein rituelles Prozessgeschehen dar, das in Zeiten der Tempelferne als Kultsubstitut für den Tempelkult Verwendung findet.38 Das Gebet ist dadurch selbst eine Form der Kulthandlung. Bereits 1914 formulierte der katholische Theologe J. Döller: „Das Gebet, die einfachste und natürlichste Kulthandlung, das Reden mit Gott“39. Die Unterscheidung zwischen Kult und Gebet erscheint in Anbetracht dieser Überlegungen als künstlich. Bezogen auf die Funktion der Struktur von Ps 42/43 und für die Rezeption durch den historischen Nachbeter bedeutet dies, dass sie vor dem Hintergrund der 34 E. Zenger, Einleitung, 446. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 35 E. S. Gerstenberger geht sogar davon aus, dass das Fehlen von Ritualanweisungen auf die Ablösung des „alten“ Kultes durch Gebete und Lieder zurückgeführt werden könne. Vgl. Ders., Ritualpraxis, 78. 36 F. Hartenstein, Angesicht, 52. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 37 Zumindest zur Zeit des zweiten Tempels. Später ersetzt der Psalter den Kult vollständig. 38 E. Regev, Sacrifices or Righteousness, 365–386. (Hebrew). 39 J. Döller, Das Gebet im Alten Testament, 9.

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Partizipation am Tempelkult (auch in tempelloser Zeit) zu verstehen ist, durch die der Beter sich mit Hilfe des Psalms, auch außerhalb des Tempels oder einer tatsächlichen Wallfahrt, in die rituellen Geschehnisse am Tempel eingemeindet. Entsprechend ist die Alternative einer rein körperlichen oder rein geistigen Wallfahrt zum Tempel unsachgemäß, da das rituelle Gebet den ganzen Mensch ergreift.40 Es zeigt sich in Ps 42/43 besonders deutlich, was F. Lindström für die Klagelieder des Einzelnen festhält: Sie müssen im Kontext eines tempeltheologischen Modells verstanden werden, das als Ursache der Notlage des Einzelnen die Gottesferne und dadurch die Heilsferne thematisiert.41 Ihre Folge stellt die Feindbedrohung dar, die allein durch das Handeln Gottes als Richter beseitigt werden kann. Aus der Ferne betet der Beter den Psalm (Ps 42,7a.b) und integriert sich dadurch (erneut vgl. Ps 42,5b.c) in die Kultgemeinschaft (Ps 43,3 f.). Ohne den Vorstellungshintergrund dieser zionstheologisch ausgerichteten Funktion des Psalms, als rein textimmanenter Prozess, kann der Stimmungsumschwung daher nicht gedacht werden, sondern er hat seinen Ursprung und sein Ziel in der Teilhabe am Tempelkult und ist daher selbst eine religiöse Erfahrung, die den Umschwung letztlich bewirkt, wenngleich die Teilhabe zeitweise aus der Ferne geschieht.42 Diese Vermutungen werden wesentlich von den bisherigen Beobachtungen zu Ps 42/43 gestützt. Zum einen ist der Endtext des Doppelpsalms in das 5/4. Jh. v. Chr. eingeordnet worden (Kap. 2) und es kann vor dem Hintergrund der geschichtlichen Kultsituation vermutet werden, dass die Verarbeitung der vergangenen Exilserfahrung zwar für Ps 42 (ohne V. 9) eine bedeutende Rolle spielt, der Doppelpsalm dennoch insgesamt als Gebetsformular an dem Vorbild der Kultpraxis orientiert ist.43 Zum anderen schildert Ps 42/43 die Situation der Tempelferne des betenden Ichs und zeigt, dass ihm die Kultausübung am Tempel verwehrt ist (und auch bleibt, vgl. Ps 43: futurisch). Dennoch präsentiert sich der Stimmungsumschwung auf Textebene als eine Veränderung der Gebetshaltung des Beters, die einen Reflexionsprozess voraussetzt. Das von B. Janowski konstatierte Prozessgeschehen kann daher für das Verständnis eines solchen Gebetsritus hilfreich sein, denn es verdeutlicht, dass sich tatsächlich eine Veränderung in der Haltung des Beters voll 40 Dagegen spricht M. Lichtenstein, im Anschluss an M. Millard von einer „geistigen Wallfahrt im Sinne einer textlichen Fiktion“ und spricht damit den Korachpsalmen einen ursprünglichen Gebrauch als Wallfahrtstexte ab. M. Lichtenstein, Gottesstadt, 390; M. Millard, Komposition 71. 41 Vgl. F. Lindström, Suffering and Sin, 18. 42 Ebensowenig stellt sich der Stimmungsumschwung als reines Reflexionsergebnis dar. Zwar bereitet die Selbstreflexion die Gottesbegegnung vor, doch diese selbst muss sich erst ereignen. Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 545. So erkennt bspw. jüngst S. Gelander zwar das Gewicht der religiösen Erfahrung als Proprium des Gebets, lässt jedoch keinen Raum für die eigentliche Gotteserfahrung. Vgl. S. Gelander, Psalms, 83 f. 43 Für den Psalm wahrscheinlich ein Entstehungszeitraum im 5./4. Jh. v. Chr. anzunehmen, da die Tempelvision Ezechiels bereits im Hintergrund zu stehen scheint und das Jonabuch den Psalm voraussetzt. Vgl. Kap. 2.3.

Strukturmerkmale in Ps 42/43 – Zeichen für Selbstreflexion

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zieht. Gleichwohl ist dieser Umschwung, wie gezeigt werden konnte, ursprünglich nicht rein textimmanent bewirkt und dadurch auch nicht als antizipierte Vertrauensäußerung zu verstehen, sondern wird evoziert durch eine kultische Vergegenwärtigung im Gebetsritus (Kap. 3.2.6; 3.2.11).44 Der Stimmungsumschwung wird im Weiteren, im Anschluss an die Überlegungen J. Wöhrles, als Wechsel des Themas Klage über Gottesferne zu Vertrauensäußerung / Lob über Gottesnähe definiert. Bereits den Umschwung von der Klage zur Bitte in Ps 43,1 als Stimmungsumschwung zu bezeichnen, scheidet dadurch aus, da die Bitte beim Gegenstand der Klage bleibt und lediglich der Modus zur Bitte wechselt.45 Auch bei einem ersten Blick auf die Anordnung der Gebetsmodi in Ps 42/43 (Kap. 2.1) erscheint die Vermutung eines prozesshaften Strukturverlaufs in dem Psalm plausibel. Setzt ein Stimmungsumschwung einen Reflexionsprozess des Beters voraus, so kann vermutet werden, dass dieser, den Stimmungsumschwung vorbereitend, in der Textstruktur erkennbar werden kann. Ferner legen die bisher gewonnenen Beobachtungen zur explizit in der Satzstruktur erkennbaren Selbstreflexion mit ihrer punktuellen Konzentration nahe, dass sich Selbstreflexion konsequenter Weise auch in der Makrostruktur des Doppelpsalms widerspiegeln muss. Auch inhaltlich fordert die sprachliche Formulierung von Selbstreflexivität eine strukturelle Einbindung, da sich der selbstreflexive Vorgang sonst als redundant erweisen würde. Da sich die explizit formulierte Selbstreflexion jedoch nicht hauptsächlich im Rahmen des auffälligen Umschwungs beim Übergang zu Ps 43 findet, sondern sein Zentrum in Ps 42,5–7 hat, muss darüber nachgedacht werden, ob noch weitere Umschwünge in der Textstruktur beobachtet werden können, die den klassischen Wechsel von Klage zu Lob, um eine weitere, vielleicht noch deutlicher selbstreflexive Dimension ergänzen. Dafür spricht auch, dass die Gestaltung des Formulars als Gebetsprozess, als Ausdruck einer grundsätzlichen Bipolarität, verstanden werden kann, die durch die spannungsvolle Einbindung von Leben und Beten zwischen Erfahrungen der Gottesnähe und Gottverlassenheit entsteht.46 Die Artikulation dieses Prozesses fällt dementsprechend vielfältig aus. Vor allem die Stichwortverbindungen durch gleiche Lexeme innerhalb eines Psalms, die wechselnden Motive und Sprechakte, die Vielfalt der poetischen Stilmittel zur Herstellung psalminterner Bezüge und die gezielte Verwendung von Nominal- und Verbalsätzen mit ihren wechselnden Tempora und deren Aspektunterschieden gestalten den gesamten Psalm zu einem durchgängigen Prozess der Wende.47

44 Analog zu kultischen Ritualen, sind auch Gebete keine Vorwegnahme, sondern (als Text ein Medium) rituelle(r) Handlung. 45 Vgl. ähnliche Beobachtungen J. Wöhrles zu Ps 13. Ders., Klagepsalmen, 231 f. An dieser Stelle ereignet sich offenbar eine andere Strukturbeobachtung, die im Folgenden näher untersucht wird. 46 Vgl. U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 335. 47 U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 336.

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Diesen Beobachtungen soll im Folgenden auch methodisch Rechnung getragen werden, indem, basierend auf den bisherigen Ergebnissen, die Textstruktur von Ps 42/43 semantisch und syntaktisch vor dem Hintergrund relevanter motivgeschichtlicher Zusammenhänge untersucht wird.48 Ziel ist es, tiefere Einblicke in das Prozessgeschehen des Gebets und seine selbstreflexive Dimension zu gewinnen und dabei der Frage nachzugehen, ob eine Ich-Sphäre auch strukturell als Veränderung innerhalb der Gott-Mensch-Beziehung erkennbar ist.49

4.2 Wortebene 4.2.1 „Gott“ (‫ אלהים‬und ‫ )אל‬und „Angesicht“ (‫)פני‬ Die Substantive ‫ אלהים‬und ‫„( אל‬Gott“) kommen in Ps 42/43 insgesamt 20-mal vor und stellen damit die größte Wortgruppe dar.50 Die Wortverbindungen, in denen sich die Gottesbezeichnungen finden sind vielfältig und lassen auf eine besondere theologische Aussagekraft schließen, die in dem einmaligen Gebrauch von ‫„( יהוה‬JHWH“) in Ps 42,9 gipfelt (Kap. 2.3.4). Die Verteilung der Gottesnamen ist bis auf Ps 42,7.8 und Ps 43,3, die Gott durch ein Suff.2.Pers.Sg.mask. direkt ansprechen, flächendeckend. Ps 43,3a wendet sich darüber hinaus durch die Imperativform von ‫„( שלח‬sende“) direkt an Gott, sodass jeder Vers in Ps 42/43 einen Gottesbezug herstellt. Ferner fällt auf, dass die Wendung ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“) aus Ps 42,3b in Ps 42,6b.12b und in Ps 43,5b durch ‫„( ישועות פני‬Rettung meines Angesichts“) in einer abgewandelten Form auftritt.51 Die Zielvorstellung des Beters, das ‫„( אלהים פני‬Angesicht Gottes“) zu sehen (Ps 42,3b), wird in den Re-

48 Für die Strukturbeobachtungen werden in jüngerer Zeit immer häufiger textpragmatische Ansätze gewählt. Für Ps 42/43 wurde eine solche von T. Dockner durchgeführt. Dieser lässt jedoch, ebenso wie U. Rechberger, bei seiner textpragmatischen Analyse außer Acht, dass Textpragmatik auch auf textlinguistischer Ebene betrieben werden kann und Psalmen als Gebrauchstexte einer anderen Herangehensweise bedürfen. Vgl. E. Rolf, Die Funktionen der Gebrauchstextsorten, 215–222. Insbesondere vor dem Hintergrund der Annahme einer starken Prägung des Textgefüges und einzelner Begriffe in Ps 42/43 durch den historischen Kontext erscheint hier eine semantische und syntaktische Strukturanalyse unter Aufnahme des motivgeschichtlichen Hintergrundes dem Text am ehesten zu entsprechen. 49 In diese Überlegungen wird Ps 42,9 wird als redaktionelle Erweiterung unter besonderer Berücksichtigung mit einbezogen (Kap. 2.2 und 3.2.13). 50 Vgl. ergänzend zu dieser Untersuchung Kap. 4.2.2. 51 Vgl. T. R.  Wardlaw Jr., Elohim, 69. Sollte in den Refrainstrophen eine andere textkritische Entscheidung getroffen werden, verändert sich an dieser Stelle folglich die Interpretation. So übersetzt T. Aoki aufgrund seiner syntaktischen Interpretation im Refrain konsequent „die Rettung durch sein Angesicht“. Vgl. T. Aoki, Angesicht, 119–125. In dem Großteil der exegetischen Untersuchungen wird jedoch die hier vertretene Lesart „Rettung meines Angesichts“ vertreten.

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frainstrophen in futurischer Heilsperspektive als einzige Rettung des Beters aus seiner gegenwärtigen Situation in Ausblick gestellt. Die Verteilung und die Semantik der Begriffe ‫ יהוה‬,‫ אל‬,‫ אלהים‬und ‫ פנה‬weist ferner auf eine Dynamik innerhalb der Gottesbeziehung hin. In Hinblick auf die Einbindung der Gottesbezeichnungen auf Satzebene fällt auf, dass diese an den Stellen am positivsten erscheinen, in denen die Sehnsucht und die Klage am drastischsten, in fragender Form, erklingen, was v. a. in Ps 42,3 ‫„( אל חי‬lebendiger Gott“); Ps  42,10 f. ‫„( אל סלעי‬Gott, mein Fels“) und Ps 43,2 ‫„( מעוזי אלהי‬Gott meiner Zuflucht“) deutlich wird.52 Die Diskrepanz zwischen der in der Vergangenheit erlebten und in der Zukunft erhofften Gottesnähe auf der einen Seite und der in der Gegenwart erfahrenen Entfernung von Gott auf der anderen Seite, wird in diesen Versen besonders deutlich. Das Thema des Doppelpsalms ist damit durch die Begriffe ‫„( אל חי‬lebendiger Gott) und ‫„( פני אלהים‬Gottes Angesicht“) in Ps 42,3 vorgegeben.53 Betrachtet man die Stellen, an denen keine explizite Bezeichnung für Gott und keine direkte Ansprache an ihn vorkommen (V. 7 f.), so fällt auf, dass besonders V. 8 durch die Schilderung der Lebensbedrohung durch Gott, im deutlichen Gegensatz zu den o.g. positiven Gottesprädikationen in V. 3 f. und in Ps 43 steht.54 Der lebendige Gott, der als Lebensquelle mittels der Wassermetaphorik beschrieben wird (Ps 42,2 f.), wird zum bedrohlichen Herrscher über die Urfluten (Ps 42,8). Stellt die Klage in der ersten Strophe noch eine positive Hoffnung in Ausblick, wendet sich diese zum Gefühl der Lebensbedrohung durch Gott, die in der zweiten Strophe formuliert wird. Dieser Umschwung wird vorbereitet durch die Frage nach dem persönlichen Gott des Beters (mit Suff.2.Pers.Sg.: ‫ )אלהיך‬in V. 4b.11b, die bereits eine Distanz des Beters zu Gott expliziert. Dies geschieht in dreifacher Hinsicht: Erstens dramatisiert das Personalsuffix, das Gott als per 52 T. R.  Wardlaw Jr., Elohim, 69. Ps 42,4 gehört an dieser Stelle nicht zu den Stellen, da diese Klage in V. 10 f noch gesteigert wird und eine positive Gottesbezeichnung fehlt. 53 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 341. Das Verlangen des Beters in seiner gegenwärtigen Situation findet bereits in dem Eingangsvers Ps 42,2 durch den parabolischen Parallelismus seinen Ausdruck, der die existentielle Dimension der Gottesferne durch den Vergleich mit der Hirschkuh bildlich voranstellt. Dieser Vergleich wird in Hinblick auf die existentielle Bedeutsamkeit Gottes für den Beter in dem darauffolgenden V. 3a expliziert, indem Gott näher qualifiziert wird als ‫„( חי אל‬lebendiger Gott“). V. 3b legt als Fragesatz formuliert dar, dass die Stillung des Lebensdurstes durch den ‫„( חי אל‬lebendiger Gott“) dadurch erfolgt, dass der Beter ‫„( פני אלהים‬Gottes Angesicht“) sieht. Bereits in den ersten drei Versen die Ursache der Notlage in der Gegenwart und die einzig mögliche „Rettung“ benannt, wobei die o.g. Audienzvorstellung im Hintergrund steht. 54 Der Unterschied zwischen positiv und negativ bewerteter Gottesbeziehung stellt sich am kontrastreichsten zwischen Ps 42,8 und dem ebenfalls durch starke Wassermetaphorik geprägten Ps 42,3 dar, der das Dürsten des Beters nach dem ‫„( חי אל‬lebendiger Gott“) und die Sehnsucht nach dem „Angesicht Gottes“ beschreibt. Dadurch wird das in Ps 42,3 formulierte Ziel ‫בוא ראה פני‬ ‫„( אלהים‬kommen und Gottes Angesicht sehen“), das in Ps 42,6b.12b; Ps 43,5b durch das Wortspiel mit ‫„( ישועת פני‬Rettung meines Angesichts“) wiederaufgenommen wird, in Frage gestellt, bzw. negativ beantwortet.

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sönlichen Gott des Beters kennzeichnet, die Sehnsucht. Zweitens unterscheidet es den persönlichen Gott von dem Gott der Anderen und führt so zur Isolation des Individuums. Drittens wird dadurch, dass die Frage unbeantwortet bleibt, die Antwort „nirgends“ vorausgesetzt und so die Trennung zwischen Beter und Gott gesteigert.55 Indirekt wird die Frage der Anderen aus Ps 42,4 in Ps 42,5 von dem Beter selbst beantwortet, indem dort die Erinnerung an die Gottesnähe in der Kultgemeinschaft beschrieben wird. Die Erinnerung führt den Beter zur Selbstermutigung im Refrain in Ps 42,6, indem er an die eigene ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) appelliert auf Gott zu harren. Ps 42,5 ist zugleich der Beginn des selbstreflexiven Zentrums des Psalms (Ps 42,5–7). Es ergibt sich folgender Ablauf: Nachdem „Gott als existentieller Lebensgrund“ (Ps 42,2–3) das Gesamtthema des Psalms umreist, wird dargelegt, wie sich die Situation der Gottesferne für den Beter in der Gegenwart (Ps 42,4) darstellt.56 Die Hinwendung des Beters zur positiv erlebten Vergangenheit (Ps 42,5) zeigt einen ersten Perspektivwechsel in der Gottesbeziehung an.57 Anstatt sich direkt Gott zuzuwenden, wendet sich der Beter sich selbst, seinen Erinnerungen, zu, sodass der Wechsel, der sich hier vollzieht, als erster Beziehungsumschwung bezeichnet werden kann, der eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Gott und Beter anzeigt. In Ps 42,7 f. findet Gott keine namentliche Erwähnung und zeigt damit, dass die trostsuchende Erinnerung an die Gottesnähe das leidvolle Verlangen des(r) Lebens(kraft) (‫ )נפש‬nicht stillen kann. Ps 42,7 kann damit als Teil des Reflexionsvorgangs des Beters in Ps 42,5–7 verstanden werden und zugleich als die Einleitung für die folgenden Verse, denn „[…] der Gedanke an Gott wird ihm zur Quelle neuer Unruhe“58, sodass der Beter sich in seiner Situation in Todesnähe fühlt, bedroht durch die ‫[„( תהום‬Ur-]Flut“), die Brandungen und Wellen Gottes, die über ihn hinweggehen.59 Den Antagonismus zwischen Gottes Wasserfluten in Ps 42,8 und Gott als durststillende Quelle in Ps 42,2 f. versucht das betende Ich 55 Dass es sich bei den zweifelnd Fragenden um „Feinde“ handelt, legt Ps 42,10 nahe. Vgl. Kap. 3.2.14. In diesem Kontext muss auch die Bitte um das Eingreifen Gottes in Ps 43,1 f verstanden werden. 56 Die Beziehungsdynamik führt von der Schilderung der gegenwärtigen Gottesferne und von den Zweifeln (Ps 42,3b.4), die von außen an den Beter herangetragen, schließlich aber von ihm selbst formuliert werden, zu der Hinwendung in die Vergangenheit. In dieser erlebte der Beter die Gottesbeziehung positiv und wendet sich erinnernd an sich selbst (Ps 42,5–7). Die Verse Ps 42,5–7 werden durch das Thema der Erinnerung und Selbstreflexion zusammengehalten, sind jedoch eng verknüpft mit der Beschreibung der Notsituation in Ps 42,2–4, die den Beziehungsumschwung veranlasst. 57 Auch der Wechsel von AK (V. 4) zu PK (V. 5) macht diese Wende deutlich. 58 A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 236. 59 A. Weiser sieht in der Metaphorik in Ps 42,8 einen Bezug zum tatsächlichen Aufenthaltsort des Beters: „Unempfänglich für die gewaltige Schönheit der Landschaft, wo die Wasser des jungen Jordan mit wilder Gewalt von Fels zu Fels niederbrausen, steht er und stiert in sein eigenes Unglück, daß selbst das Rauschen der Flut ihm zum Bild der eigenen Not wird, in der er Gottes strafende Hand erblicken muß“ (zu diesem Bild vgl. Ps 18,17; 32,6; Jon 2,4). Ebd.

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in der trostsuchenden Erinnerung und in der Vergegenwärtigung der Gottesnähe in Ps 42,5–7 zu überwinden.60 Dies vermag den Durst seines(r) Lebens(kraft) (‫ )נפש‬jedoch nicht zu stillen, sodass die Situation der Bedrohung in der Gegenwart stärker wiegt als die trostsuchende Erinnerung (Kap. 3.2.12).61 Ps 42,8 formuliert dadurch das negative Ergebnis, zu welchem der Beter im Anschluss an den Beziehungsumschwung in seiner Selbstreflexion gelangt ist. Diese Spannung zwischen gegenwärtigem Verlangen und der Erfahrung des Beters wird durch den darauffolgenden Ps 42,9 vorübergehend aufgelöst und wirkt dadurch an dieser Stelle unpassend. Ps 42,9 zeichnet ein positives Gottesbild und eine Situation der Gottesnähe, indem er die Gottesbezeichnung aus Ps 42,3 in leicht abgewandelter Form wieder aufgreift, sodass der ‫„( חי אל‬lebendige Gott“) als ‫„( חיי אל‬Gott meines Lebens“) wieder Erwähnung findet und durch die Bezeichnung als ‫„( יהוה‬JHWH“) zugleich den terminologischen Höhepunkt darstellt. Diese inhaltlich unpassend erscheinende Durchbrechung der Klage und Verwendung einer in diesem Psalm singulären Gottesbezeichnung (JHWH), stützt die Ergebnisse der redaktionskritischen Untersuchung aus dem ersten Teil der Arbeit (Kap. 2.2 und 2.3.4). Das in Ps 42,4 begonnene klagende Fragen des Beters, wird in Ps 42,10 weitergeführt, indem der Beter sich nun wieder durch zwei Fragesätze, eingeleitet durch die Prädikation ‫„( אל סלעי‬Gott, mein Fels“), direkt an Gott wendet und drückt damit einen weiteren Beziehungsumschwung aus. Wie die Situation des „Vergessenseins“ von Gott konkret aussieht, lässt sich durch die zweite Frage erahnen, welche die Feindbedrängung thematisiert. Zumindest indirekt nimmt der Folgevers Ps 42,11 (vgl. Ps 42,4) diese Thematik auf, wenn er die leidvolle Situation des Beters in direkten Zusammenhang mit der Frage aus Ps 42,4 ‫„( איה אלהיך‬Wo ist dein Gott?“) bringt. Die Fragesteller erscheinen vor dem Hintergrund von Ps 42,10 nun als ‫„( אויב‬die Feinde“) des Beters. Da auch diese Frage unbeantwortet bleibt, erhält sie ihre Berechtigung, wenn nicht sogar ihre negative Bestätigung (vgl. Ps 42,4.10).62 Die Klage aus Ps 42,4 wird in Ps 42,8.10.11, im Anschluss an den Reflexionszyklus in Ps 42,5–7, maximal gesteigert. Dieser Spannungshöhepunkt der Anklage Gottes verdeutlicht die Dimensionen der erlebten Gottverlassenheit, die sich nicht nur körperlich (Ps 42,10), sondern auch sozial in der Anfechtung der Feinde (Ps 42,11) manifestiert. Die Situation wird dadurch entschärft, dass der Beter sich im Refrain in Ps 42,12 erst fragend (V. 12a), dann ermutigend (V. 12b), sich selbst, seiner ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) zuwendet. Die Worte ‫„( כי־עוד אודנו‬denn ich werde ihn wieder preisen“) begründen die Ermutigung, wodurch die Hoffnung zum Ausdruck kommt, wieder an dem Kult im Tempel teilnehmen und Gott nahe sein zu können. Im Gegensatz zum Versanschluss an den ersten Refrain, in dem der Beter in seiner Erinnerung Trost sucht (Ps 42,7), wendet sich der Beter 60 Symbolisiert durch den Tempel. Vgl. P. D.  Miller, Way, 195. 61 Vgl. B. Janowski, næpæš, 161. 62 Vgl. T. R. Wardlaw Jr., Elohim, 75.

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nun in seiner verzweifelten Situation bittend durch den Imperativ ‫„( שפטני‬schaffe mir Recht“) an Gott. Dieser ist nun erstmals in Ps 42/43 nicht nur Adressat zweifelnder Fragen, sondern wird als reale Rettungsmöglichkeit, als Richter und Rechtsvollzieher, wahrgenommen und zum Handeln aufgefordert und vollzieht dadurch einen dritten Beziehungsumschwung.63 Der Umschwung wird begleitet von positiven Gottesprädikationen und verstärkter Tempelmetaphorik, die durch Anknüpfung an Ps 42,3b und Ps 42,5b.10 das Bild eines Schutz und Gerechtigkeit bietenden Gottes auf dem Tempelberg zeichnet und, vor dem Hintergrund des Vorstellungshorizontes der „Angesicht Gottes“-Terminologie, Gott als königlichen Schutzbieter und richtenden Retter erscheinen lässt (Kap. 3.2.14 und 3.2.20). Dadurch tritt die Diskrepanz zwischen der Not des Beters und der Rettung durch Gottes Angesicht im Tempelbild plastisch vor Augen, jedoch diesmal aus der Perspektive der direkten Aufforderung an Gott, der wieder als Beziehungsgegenüber des Beters wahrgenommen wird.64 Die Veränderung, die sich mit Ps 43,1–3 vollzieht, kann deshalb besser als Beziehungsumschwung bezeichnet werden, da sich die Beziehung, genauer die Perspektive des Beters, dahingehend verändert, dass Beter und Gott erneut in eine Beziehung treten, in welcher der Beter Gott als aktiv handelndes Gegenüber anspricht. In Ps 43,4 rückt der Tempelbesuch, genauer die Ausübung des Tempelkults (Ps 42,5; 43,4) als Antwort auf Ps 42,3b, in lobender Heilsperspektive in den Blick (vgl. Stichwortbezug ‫ )בוא‬und präsentiert sich dadurch als Ergebnis der vorangehenden Beziehungsumschwünge.65 So umfassend der Beter zuvor seine Desintegration in der Gottesbeziehung leiblich und sozial beklagt hat, so umfassend bietet das Tempelbild die Integration.66 Der symbolische Bedeutungsgehalt des Tempels für den Doppelpsalm wird daher im Rahmen der Wortfeldanalyse noch genauer zu untersuchen sein (Kap. 4.2.5.2). Die Kohortative aus Ps 43,4 präsentieren das Ergebnis des vorangegangenen Reflexionsprozesses, der sich in den Beziehungsumschwüngen widerspiegelt. Sie zeigen, dass der Beter durch das Bild die Gottesferne überwinden kann, sodass der letzte Refrain in Ps 43,5 als eine Ermutigung in Gewissheit der Erhörung durch Gott verstanden werden kann. Offensichtlich

63 Dieser Umschwung wird strukturell durch eine weitere Beobachtung deutlich: Die Verben, die in der ersten Strophe verwendet werden, werden in der zweiten Strophe wieder aufgegriffen (‫אמר‬, ‫זכר‬, ‫)עבר‬, sodass dadurch eine Verzahnung der ersten beiden Strophen stattfindet. In der dritten Strophe finden sich diese Verbindungen nicht mehr, wodurch der „Umschwung“ von der Klage zur Bitte noch deutlicher wird. Der Wechsel von der Klage zur Bitte lässt keinen „Stimmungsumschwung“ im Sinne einer vertrauensvollen Hinwendung in Heilsgewissheit erkennen, sondern durch die weiterhin bestehende Frage in Ps 43,2 wird deutlich, dass der Gegenstand der Klage, die Verborgenheit Gottes, weiterhin Thema bleibt. Die Verborgenheit Gottes wird näher beschrieben als aktive Verstoßung des Beters. 64 Vgl. T. R. Wardlaw Jr., Elohim, 75. 65 Vgl. a. a. O., 75 f. 66 Vgl. B. Janowski, næpæš, 164 f.

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vollzieht sich in Ps 43,4(.5) ein Stimmungsumschwung, der den Gegenstand der Klage, die Gottesferne, überwindet.67

4.2.2 „Leben(skraft)“ (‫ )נפש‬und „Gott“ (‫ אלהים‬und ‫ )אל‬als Leitworte ‫„( נפשי‬mein(e) Leben(skraft)“) wird insgesamt 7-mal gebraucht und stellt damit nach ‫ אלהים‬und ‫„( אל‬Gott“) den zweithäufigsten Begriff dar. Im gesamten Ps 42/43 wird damit nicht nur der Bezug zu Gott, sondern auch zur eigenen ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) des Beters durchgehalten.68 Der Ausdruck ist überwiegend mit Verben verbunden, die in Verbindung mit Wasser stehen: Ps 42,2: ‫„( ערג‬lechzen“), Ps 42,3a: ‫„( צמא‬dürsten“), Ps 42,5a: ‫„( שפך‬ausgießen“), Ps 42,6a.7a.12a; Ps 43,5a: ‫„( שיח‬zerfließen“) und ‫„( המה‬aufbrausen“) und Ps 42,6b: ‫„( יחל‬harren“). In Ps 42,6b wird der Begriff ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) zwar nicht erwähnt, jedoch ist er durch den Imperativ angesprochen. Durch die Wassersymbolik ist das Sehnen auf das Engste mit dem Tempelbild verwoben (Kap. 4.2.5.1 und 4.2.5.2).69 ‫ נפש‬ist an dieser Stelle als wasserähnliche Kraft zu begreifen, die nach Ps 42,2 f. ihre Lebendigkeit aus dem lebendigen Gott (‫ )אל חי‬erhält und zugleich Stellvertreterausdruck für den Beter selbst (Kap. 1.2) ist, sodass Ps 42,5a einen selbstreflexiven Erinnerungsvorgang durch das Ausgießen der offenbar flüssigen ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) über den Beter mit ‫„( שפך‬ausgießen“) beschreibt.70 Mit dieser veränderten Wassermetaphorik gerät ein erster Beziehungsumschwung in den Blick. Ps 42,6a beginnt mit einer Frage an die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“), die mit ‫„( שיח‬zerfließen“) als wasserähnliche Substanz zum Bild für Todesnähe wird.71 ‫„( המה‬aufbrausen“) im zweiten Teil von Ps 42,6a steigert diese negative Konnotation noch, indem die wasserähnliche ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) des Beters sich gegen diesen selbst wendet. Schließlich endet der Refrain und somit auch der gesamte Doppelpsalm (Ps 43,5) mit der Aufforderung des Beters an seine ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) auf Gott zu harren (‫ )יחל‬und verlässt damit die Wassermetaphorik. Die Verbindung der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) mit der Wassermetaphorik zeigt eine negative Konnotation von ‫„( שיח‬zerfließen“) in Ps 42,6a und in Ps 42,7a, sodass der mit ‫„( שפך‬ausgießen“) in Ps 42,5a zum Ausdruck gebrachte, selbstreflexive Vorgang den Zusammenhang zwischen der 67 Vgl. S. Olofsson, Deer, 46. A. Weiser betitelt die gesamte dritte Strophe mit „Bitte und Hoffnung“. Vgl. Ders., Psalmen. Erster Teil, 236. 68 Es ist bereits im Rahmen der Grundlegungen (Kap. 1) festgehalten worden, dass unter ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) nicht allgemein „Leben“ an sich zu verstehen ist, sondern die Bedeutung, je nach Kontexteinbindung, stark variieren kann. Vgl. J. v. Oorschot, Translation, 118. 69 Vgl. B. Janowski, næpæš, 162–166. Obwohl die meisten Exegeten diese besondere Bedeutung der Wassermetaphorik in Hinblick auf die räumliche Dimension des Doppelpsalms erkennen, bleibt sie für die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) und ihre Verben häufig unbeachtet. Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 373–377. Diese Verben werden an anderer Stelle untersucht. Vgl. u. a. Kap. 4.2.5.1. 70 Vgl. J. v. Oorschot, Translation, 129 f. 71 Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 373–377.

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Selbstreflexion und der Todesnähe des Beters herstellt.72 Noch deutlicher wird dieser, versteht man ‫„( שיח‬zerfließen“) in Ps 42,7a als Ergebnis des Reflexionsprozesses, das in Ps 42,8 mündet. Dort wird die Wassermetaphorik von der ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) abgelöst und durch die Chaosfluten (‫ )תהום‬zu einer feindlichen Kraft, die sich der Einflusssphäre des Beters gänzlich entzieht. Bei den Leitbegriffen ‫ אלהים‬und ‫ נפש‬zeigt sich bei ihrer Zusammenschau zudem eine unterschiedliche Gewichtung in den einzelnen Strophen. In den ersten beiden Strophen kommen beide Begriffe noch fast in jedem Vers vor. Dabei wird besonders in drei aufeinander folgenden Versen Ps 42,5–7 der Begriff ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) verwendet, die sich bereits als selbstreflexives Zentrum des Doppelpsalms herauskristallisiert haben (Kap. 3). Das Fehlen von ‫ נפש‬in Ps 42,9–11 bestätigt, dass sich hier ein zweiter Beziehungsumschwung, weg von der Konzentration auf das eigene Ich hin zu Gott vollzieht. Die Verwendung von ‫„( אלהים‬Gott“) in Ps 42,7a.11b, kann als Rahmen der zweiten Strophe angesehen werden.73 In der zweiten und dritten Strophe wird ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) nur noch im Refrain verwendet.74 Parallel zur quantitativen Abnahme des ‫נפש‬-Begriffs nehmen die Gottesbezeichnungen in der dritten Strophe zu, wobei die direkte Ansprache an Gott in Ps 43,1.3 berücksichtigt werden muss, sodass ein dritter Beziehungsumschwung sichtbar wird.75 Für die Gesamtstruktur ergibt sich damit eine Verlagerung der Perspektive des Beters und seiner ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) hin zu Gott.76

4.2.3 Fragepronomen I. Fragezyklus 3b Wann darf ich kommen und Gottes Angesicht sehen? 4b denn täglich sagen sie zu mir: Wo ist dein Gott? 6a Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf? II. Fragezyklus 10a Ich spreche zu Gott, meinem Felsen. Warum hast du mich vergessen? 10b Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind? 11a Wie Mord ist es in meinen Gebeinen, wenn meine Gegner mich verhöhnen, 11b da sie allezeit zu mir sagen: Wo ist dein Gott? 12a Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf?

72 Ps 42,7 lässt sprachlich eine Umkehrung des Schöpfungsvorgangs denken. Vgl. C. Frevel, Menschsein, 23.29 f. 73 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 94. 74 Der zum selbstreflexiven Zentrum gehörende Ps 42,7 ausgenommen. 75 Vgl. S. Olofsson, Deer, 46. 76 Die Gottesbezeichnungen sind mit achtmaliger Erwähnung in der letzten Strophe am häufigsten vertreten, jedoch findet sich nur noch einmal ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) im Refrain.

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III. Fragezyklus 2a Denn du bist der Gott meiner Zuflucht. Warum hast du mich verstoßen? 2b Warum muss ich trauernd umhergehen, bedrängt vom Feind? 5a Was löst du dich auf, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, und was braust du gegen mich auf?

Auffällig ist zunächst die 9-malige Verwendung des Fragepronomens ‫„( מה‬was?“) in den Versen 3b; 6a; 10b (2x); 12a; 43,2a.b; 43,5a (2x). Dazu kommen die beiden Fragen mit dem Pronomen ‫„( איה‬wo?“) in Ps 42,4b.11.b. Bei der Verteilung des Fragepronomens ‫„( מה‬was?“) fällt auf, dass der mit Ps 42,3.6 begonnene Dreischritt der Begriffsverwendung durch Ps 42,10 unterbrochen wird.77 Die Doppelfrage in Ps 42,10b ist nach vorne mit der Frage aus Ps 42,4 verbunden, indem Ps 42,10 nahelegt, dass die Fragesteller ‫„( אויב‬Feinde“) sind. In dem Kontext von Ps 42,10 stellt die Wiederholung der Frage ‫„( איה אלהיך‬Wo ist dein Gott?“) in Ps 42,11 eine Steigerung dar. Es findet sich in der zweiten Strophe auch keine indirekte Antwort auf diese Frage, sondern stattdessen folgt direkt die Anschlussfrage des Refrains in Ps 42,12a. Ferner findet durch den Perspektivwechsel zwischen Ps 42,4 und Ps 42,10 eine weitere Veränderung statt, die zu einer Dramatisierung der Klage führt und den doppelten Beziehungsumschwung innerhalb der ersten beiden Strophen verdeutlicht. Die Frage der Feinde nach dem Gott des Beters in Ps 42,4b scheint die eigenen Zweifel des Beters zu repräsentieren, die er im Anschluss an die Selbstreflexion (Ps 42,5–7[.8]) in Ps 42,10a.b an Gott gerichtet zum Ausdruck bringt. Ps 42,9 unterbricht diesen Vorgang zwar, kann aber als eingeschobene Begründung für den zweiten Fragezyklus verstanden werden, da er betont, dass die Rettung von JHWH im Gebet (‫ )תפלה‬ausgeht. Die Frage wird zur Frage des Beters selbst und verbindet Ps 42,10 mit Ps 42,11b, der mit dem Fragepronomen ‫„( איה‬wo?“) eine Fragetrias einleitet, die aus Ps 42,11b und den beiden Verbal­sätzen in Ps 42,12a besteht. Innerhalb des Versabschnitts Ps 42,10b–12a finden sich damit 5 Fragesätze, die in einer solchen Dichte in den Psalmen einzigartig sind. Es findet eine besondere Betoung der Hinwendung zu statt, die Ps 42,10 f. von der Selbstreflexion (Ps 42,5–7(.8)) abhebt und so einen zweiten Beziehungsumschwung verdeutlicht. Die Klage wird im Vergleich zu dem Refrain der ersten Strophe, der das Fragepronomen ‫„( מה‬was?“) lediglich einmal verwendet, in dem zweiten und in dem dritten Refrain durch Verdopplung gesteigert. Dadurch hält die Intensität des Anliegens des Beters bis zum Stimmungsumschwung in der dritten Strophe an. In Ps 43,1 wird die Frage ‫„( איה אלהיך‬Wo ist dein Gott?“) aus Ps 42,4b und Ps 42,11b hingegen nicht mehr wiederholt, wodurch der Umschwung von der Klage zur Bitte noch deutlicher wird. Dafür wird die Doppelfrage aus Ps 42,10b in Ps 43,2 in abgewandelter Form aufgegriffen. Dabei zeigt sich bereits in der Einleitung der Fragesätze in Ps 43,2 eine Veränderung der Gottesprädikation, indem aus 77 Es bestätigt sich wiederum die Vermutung, dass zwischen V. 6 und V. 10 ein Einschub stattgefunden hat, sodass Ps 42 ursprünglich nur aus 11 Versen bestand. Vgl. Kap. 2.3.4.

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‫„( אל סלעי‬Gott, mein Fels“) ‫„( אלהי מעוזי‬Gott meiner Zuflucht“) wird. Diese Prädi-

kation kann als eine Erweiterung der Tempelmetaphorik aus Ps 42,10 verstanden werden. Eine weitere Veränderung stellt das Verb des ersten Fragesatzes in Ps 43,2 dar, der ‫„( זנח‬verstoßen“) anstelle von ‫„( שכח‬vergessen“) verwendet: Der Beter wirft Gott bewusste Ablehnung vor und rückt wieder in die Nähe Gottes, indem er ihn in der Beziehung als verantwortlich Handelnden wahrnimmt und fordert und vollzieht damit einen dritten Beziehungsumschwung. Dies wird durch die direkte Ansprache an Gott in Ps 43,2 unterstrichen.78 Die dritte Strophe, die überwiegend durch bittende Zuwendung geprägt ist (vgl. Ps 43,1.3 f.), lässt eine verstärkte Hinwendung zu Gott in der Klage erkennen, sodass der Spannungshöhepunkt der Klage in der zweiten Strophe in Ps 42,10.11.12a zu sehen ist. Es wird deutlich, dass der Reflexionszyklus in Ps 42,5–7(.8), durch den sich ein erster Beziehungsumschwung ereignet, durch fehlende Fragepronomen gekennzeichnet ist. Der Beter richtet sich in Ps 42,6a nicht fragend an Gott (anders Ps 42,12; 43,5), sondern an seine eigene ‫„( נפש‬Leben(skraft)“). Im Anschluss an diese Reflexion wird die Explikation der Gottesferne aus Ps 42,4 durch das fragende Zentrum des Doppelpsalms in Ps 42,10.11.12a, maximal gesteigert. Dadurch wird ein erneuter Perspektivwechsel, ein zweiter Beziehungsumschwung sichtbar, der von der Selbstzentrierung des Beters zur klagenden Hinwendung an Gott führt, bevor sich in der dritten Strophe in Ps 43,1.3 ein dritter Beziehungsumschwung vollzieht. Dieser zeigt sich u. a. durch die nun imperativisch gestaltete Frage des ersten Fragesatzes in Ps 43,1. Die erste, zweite und dritte Strophe sind über die Frage ‫„( מה‬was?“) im Refrain miteinander verbunden, die in Ps 42,7 die Selbstreflexion noch weiter vorantreibt. Das Motiv des klagenden Fragens unterstützt die Beobachtung eines dreifachen, strophenübergreifenden Umschwungs. Der bittende und lobende Abschluss des Doppelpsalms ohne Fragepronomen in Ps 43,3 f. gestaltet einen harmonisch wirkenden Stimmungsumschwung (Ps 43,4), der nicht mehr durch klagend-bittende Fragen unterbrochen wird. In dieser Gestaltung tritt der Prozesscharakter des Psalms zutage. Die Einschaltung der Bitte trägt zur Harmonisierung des Übergangs von der Klage zum Lob bei. Es kann daher für die Funktion der Fragepronomen festgehalten werden, dass diese nicht allein der inhaltlichen Dramatisierung der Klage dienen, sondern durch bewussten strukturellen Einsatz den Prozesscharakter der Beziehungsumschwünge als vorbereitende Stationen des Stimmungsumschwungs verdeutlichen.

78 Dagegen verbleibt Ps 42,10 in der Rede von Gott in der 3. Pers. Sg.

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4.2.4 Klangmuster Ein augenfälliges Stilmittel in Ps 42/43 stellen wort- und satzverbindende Alliterationen dar, die es an dieser Stelle mit Blick auf ihre strukturelle Wirkung zu untersuchen gilt.79 Wortverbindenden Alliterationen: Ps 42,8b: ‫עלי עברו‬ Ps 42,9a: ‫יומם יצוה‬ Ps 42,11a: ‫ברצח בעצמותי‬ Satzverbindenden Alliterationen: Ps 42,7a.b: (a) ‫( עלי = על־כן‬b) Ps 42,11a.b: (a) ‫( ברצח = באמרם‬b) Die Belege offenbaren ein durch Alliterationen verstärktes fragendes und klagendes Zentrum des Doppelpsalms in Ps 42,7.8(.10).11. Dabei stellt Ps 42,9 einen Sonderfall dar, weil er als redaktionelle Ergänzung den klagenden Charakter der Strophe aufsprengt. Bei den satzverbindenden Alliterationen wird der inhaltliche Zusammenhang auch klanglich zum Ausdruck gebracht, indem in Ps 42,7 die enge Verbindung zwischen dem „Zerfließen der Leben(skraft)“ und dem Vorgang des aktiven Denkens an Gott betont. Auch in Ps 42,11 verstärkt die Alliteration die inhaltliche Bezugnahme: Die körperlich empfundene Not des Beters hat ihre Ursache in der Anzweiflung und Verstoßung durch das soziale Umfeld des Beters. Bei der Ermittlung von Homoioteleuta wird davon ausgegangen, dass „gleiche Formen auch gleich ausgesprochen werden“80. In dem Doppelpsalm sorgen v. a. die zahlreichen Personalsuffixe für gleich auslautende Begriffe. Ein Homoioteleuton ist jedoch von besonderer Relevanz, da hierdurch der Antagonismus zwischen „Freunden“ (wörtl. „Jubel und Dank“) und „Feinden“ (wörtl. „falschen und bösen Menschen“) des Beters zur Geltung kommt und dadurch die Diskrepanz, zwischen Erinnerung und aktueller Situation verstärkt: Ps 42,5b: ‫רנה ותודה‬ Ps 43,1b: ‫מרמה ועולה‬ Ps 43,1b ist auch die einzige Stelle, an der eine Figura etymologica vorkommt, sodass das Homoioteleuton zwar die Gegenwart des Beters negativ mit der Ver 79 Assonanzen können hingegen nicht mehr ermittelt werden, da diese v. a. durch Vokale erzeugt werden. Vgl. dazu: T. Dockner, „Sicut cerva…“, 208. 80 Ebd.

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gangenheit kontrastiert, zugleich diese aber mit der – durch die Figura etymologica – betonten Aufforderung an Gott, Gerechtigkeit zu schaffen verbindet. Mittels der klanglichen Stilmittel wird ein Bezugssystem geschaffen, das die negative Gegenwart des Beters in Ps 43,1b vor den Hintergrund der positiven Erinnerung in Ps 42,5b stellt und mit einer vertrauensvollen, nachdrücklichen Aufforderung an Gott verbindet. Die inhaltlich-strukturelle Dreiteilung wird an dieser Stelle ergänzt um eine Beziehung zwischen erster und letzter Strophe, die verdeutlicht, dass – durch den Reflexionsprozess Ps 42,5–7 und dessen Ergebnislosigkeit – ein Perspektivwechsel des Beters stattgefunden hat (Ps 43,1a), der in einem spannungsvollen Verhältnis zu Vergangenheit (Ps 42,5b) und Zukunft (Ps 43,1b) steht. Einen ähnlichen Kontrast stellt auch die Wiederholung des Lexems ‫ המה‬her, welches im Refrain als konjugiertes Verb vorkommt: ‫„( ותהמי עלי‬und was braust du gegen mich auf?“) und in Ps 43,3 als Demonstrativpronomen auf „Licht und Wahrheit“ Gottes bezogen ist: ‫„( המה ינחוני‬sie sollen mich leiten“). Bei Betrachtung dieser Kontrastierung zeigt sich zum einen die negative Konnotation der Leben(skraft) (‫)נפש‬, indem sie in ein feindliches Verhältnis zum Beter tritt, sowie zum anderen ihre begrenzte Leistungsfähigkeit. Zwar wird in ihr das Verlangen nach Gott empfunden und reflektiert, um den richtigen Weg zu gehen, der zu Gott führt, ist der Beter jedoch auf Gott, seine Boten „Licht und Wahrheit“, angewiesen. Die Rettung kommt allein durch Gottes Handeln.81 Als eine weitere klangliche Auffälligkeit findet sich zudem eine Palindromie in Ps 26a.7a. Dort findet sich die Wortfolge jeweils vertauscht:82 Ps 42,6a: ‫מה־תשתוחחי נפשי‬ Ps 42,7a: ‫נפשי תשתוחח‬ Ps 42,7a nimmt den Reflexionsvorgang aus Ps 42,6 auf, führt ihn fort und bestätigt Ps 42,5–7 als selbstreflexives Zentrum des Psalms. Zugleich hat die Untersuchung des Textes auf Alliterationen ergeben, dass diese das klagende Zentrum des Doppelpsalms in Ps 42,7–8.(10.)11 klanglich zusammenhalten. Es zeigt sich hier, analog zu den Strukturbeobachtungen in Kap. 4.2.1, eine doppelte Einbindung von Ps 42,7, indem der Erinnerungsvorgang aus Ps 42,5 f. aufgenommen und fortgeführt wird, der Vers zugleich aber die Einleitung zur Steigerung der Explikation der Gottesferne in der zweiten Strophe darstellt. Zudem wird der dritte Beziehungsumschwung des Beters, der sich in Ps 43,1 vollzieht, durch das Homoioteleuton zur ersten Strophe in ein spannungsvolles Verhältnis gesetzt.

81 Vgl. S. Olofsson, Deer, 57 f. 82 Vgl. T. Dockner, „Sicut cerva…“, 208.

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4.2.5 Wortfelder 4.2.5.1 „Wasser“ Insgesamt können drei große Wortfelder ausgemacht werden, von denen das erste unter dem Stichwort „Wasser“ zusammengefasst werden soll. Es wird durch den parabolischen Parallelismus in Ps 42,2 f. direkt zu Beginn des Doppelpsalms eingeführt und im Verlauf des Psalms immer wieder aufgegriffen. Bei der Betrachtung dieses voranstehenden Parallelismus wird die enge Verbindung zwischen der Wassermetaphorik und den Tempelverweisen, genauer dem „Angesicht Gottes“ (Ps 42,3b) deutlich (Kap. 3.2.3).83 Es ist literarhistorisch kaum zu eruieren, wie die Symbole „Wasser“ und „Tempel“ zueinanderstehen, doch handelt es sich sowohl bei dem „Gottesstrom“ als auch bei dem „Angesicht Gottes“ um Symbole Jerusalemer Tempeltheologie, die durch einen Akt der Symbolisierung84 auf Abstrakta verweisen. So hält B. Janowski folgenden Symbolisierungsvorgang für den Jerusalemer Tempel fest:85

83 Vgl. u. a. B. Ego, Gottesstadt, 361 f. Die Elemente der Tempelsymbolik in Ps 42/43, die nicht über das Wortfeld „Wasser“ erfasst werden können, werden in dem folgenden Kapitel 5.2.4.2 näher betrachtet. 84 Bereits O. Keel erkennt, dass das antike Weltbild eine „symbolische Qualität“ besitzt, bereits die empirische Wirklichkeit ein Moment des Symbolischen enthält, also über sich hinausweist. Dieses Weltbild kann als osmotisches System verstanden werden, da es durchlässig ist in Bezug auf das Über- und Unterirdische. So ist keine Trennung zwischen Konkretem und Abstraktem vorhanden, sondern beides wird miteinander verbunden gedacht. Z. B.: Baum (Konkretum) → Prozess der Symbolisierung → Leben (Abstraktum), vgl. dazu: B. Janowski, Grundlegung, 35 und O. Keel, Bildsymbolik, 47. Janowski greift Geertz’ Religionsverständnis im Sinne eines „kulturellen Systems“ auf. B. Janowski, Grundlegung, 34. Dabei ist Kultur als eine historisch überlieferte Symbolsammlung zu verstehen, welche die Aufgabe habe, das ethische Bewusstsein eines Volkes mit seiner Weltauffassung zu verknüpfen. Vgl. C. Geertz, Religion, 44–95. Als Beispiel für diese Verknüpfung der Weltauffassung bzw. der Ordnungsvorstellungen mit dem Lebensstil (Ethos) nennt Janowski die Jerusalemer Tempeltheologie in den Psalmen und verdeutlicht daran, „dass eine Religion aus einer bestimmten Anzahl sichtbarer (Bilder) und hörbarer Zeichen (Texte) besteht“. Besonders verdeutlicht dieses Beispiel jedoch, dass es „nicht das alttestamentliche Weltbild, sondern nur einen Ausschnitt, nämlich das Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit (8./7. Jh. v. Chr.) wiedergibt.“ B. Janowski, Grundlegung, 37. Es liegt daher auf der Hand, dass verstärkt die literarhistorischen Kontexte berücksichtigt werden müssen, will man ein umfassendes Bild einer Sozialsphäre oder Wahrnehmung der Welt bei der Analyse anthropologischer Begrifflichkeiten erreichen. Ferner kommt es immer wieder zu neuen Spannungen zwischen Weltauffassung bzw. der Ordnungsvorstellungen und den tatsächlichen Lebensumständen, sodass die Erfahrung der Überwindung dieser Spannung oder Unordnung, spiegelt zugleich die Erfahrung, dass „die empirische Welt als Manifestation und Symbol über ihre vordergründige Wirklichkeit hinaus[weist]“ und dadurch einen Beweis für die göttliche Schöpfermacht darstellt. O. Keel, Bildsymbolik, 47. 85 Vgl. B. Janowski, Kultsymbolik, 234.

186 Konkreta Abstrakta

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43  Gottesthron

Gottesstrom

Angesicht JHWHs

|

|

|

Stabilität

Fruchtbarkeit

Gerechtigkeit

← Symbolisierung

Dieser symbolische Bedeutungsgehalt wird im Folgenden umrissen und in Hinblick auf Ps 42/43 erfasst. Dabei ergibt sich aufgrund der zahlreichen Überarbeitungen der Texte die grundsätzliche Schwierigkeit, dass von dem Weltbild und folglich auch von dem Tempelbild im Alten Israel nicht die Rede sein kann, sondern sachgemäßer von einer „die alttestamentliche Überlieferung weithin prägende[n] Jerusalemer Tempeltheologie“86 gesprochen werden muss. In dieser kann „Wasser“ als vom Tempel ausgehender Segen sowohl paradiesähnliche Fruchtbarkeit symbolisieren als auch im Sinne der „Chaoswasser“ die Schutzfunktion des Jerusalemer Tempels kontrastieren.87 Für Ps 42,2 f. ist dabei besonders das Bild der lebensspendenden Ströme, die vom Tempel ausgehen von Bedeutung. Sie gehen auf altorientalische Vorstellungen zurück, die „Wasser“ als Symbol des Lebens am / im Tempel verorten.88 Altorientalische Parallelen, wie die Darstellungen des Wassergottes Enki / Ea, greifen zudem die Verbindung von Wasserquellen, Chaoswassern und Bergen auf.89 Da es auf dem Heiligen Berg als aufragenden Felsen jedoch keine Quelle geben kann, wurde diese durch die Vorstellung eines „Ehernen Meeres“ ersetzt.90 Diese geht zurück auf die Beschreibung in 1 Kön 7,23–26, die ein großes, von zwölf Rinderfiguren91 getragenes Bronzebecken in Form 86 F. Hartenstein, Weltbild, 22. Zur relativen Chronologie der Entwicklung eines altisraelitischen Weltbilds vgl. a. a. O., 23–25. Als exemplarische Entwicklungsschritte hält F. Hartenstein für das 8./7. Jh. v. Chr. Jes 6 und Ps 93 die Zusammenlegung des Gottesthrons mit der Weltmitte fest, bei der der Gottesthron hoch über dem Tempel aufragend vorgestellt wird. Vgl. a. a. O., 25–29. Im 6. Jh. v. Chr. wird diese Vorstellung transformiert und der Thron Gottes in den Himmel verlagert, wie in 1 Kön 8 deutlich wird. Vgl. a. a. O., 29–31. In nachexilischer Zeit hält im Zusammenhang mit der Transzendierung des Gottesbildes das Bilderverbot Eingang, insbes. in Deuterojesaja (Jes 40,18 f.) und im Deuteronomium (Dtn 4,11–13). Vgl. a. a. O., 32–37. Zum Bilderverbot vgl. auch M. Köckert, Die Entstehung des Bilderverbots, 272–290. 87 Das Bild des Chaoskampfes wird besonders in Ps 46,2–6 deutlich und greift den Mythos des Kampfes zwischen Baal und Jam aus dem nordsyrischen Raum auf. Vgl. detailliert dazu: O. Kaiser, Die mythische Bedeutung des Meeres. Auch in Ps 93,1–5 stellt sich Gott als Chaosüberwinder im Zusammenhang mit Wassermetaphorik dar. Vgl. dazu: F. Hartenstein, Weltbild, 27. 88 Vgl. u.a die „Höllenfahrt der Ištar“ und der Gilgameschepos bei: A. Jeremias, Das AT, 83. 89 Vgl. E. K.  Holt, Fontes, 77. 90 Vgl. Psalm 64,5; B. Ego, Gottesstadt, 382 f.; O.  Keel / E. A.  Knauf / Th. Staubli (Hg.), Salomons Tempel, 17; Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg 62001 (=GGG), 192. 91 Wahrscheinlich wurde in späterer Zeit im Zusammenhang mit dem aufkommenden Bilderverbot unter Ahas (736–729 v. Chr.) das Wasserbecken von den Rinderfiguren heruntergehoben und auf den Steinboden gestellt (2 Kön 16,17). Vgl. W. Zwickel, Tempel, 133.

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einer Lotusblüte beschreiben.92 Aufgrund der enormen Größe und des Gewichts ist eine kultische Verwendung eher unwahrscheinlich.93 Vielmehr kommt dem Becken eine symbolische Bedeutung zu,94 welche die Rinder als Symbol der Fruchtbarkeit und des Kampfes95 sowie die Lotosblüte, die sich morgens öffnet und abends schließt, als Symbol der Schöpfung mit einschließt. B. Ego hält ferner fest: „Wenn dieses Becken zudem explizit mit dem Begriff ‫ ים‬bezeichnet wird, so ist anzunehmen, daß die dort enthaltenen Wasser das Urmeer repräsentieren, das gebändigt und von Gott in kosmische, lebensbringende Wasser verwandelt wurde“96. Im Zusammenhang mit der Eroberung Jerusalems wurde das „Eherne Meer“ 587 v. Chr. zerstört und das wertvolle Material nach Babylon deportiert (2 Kön 25,13; Jer 52,17).97 Die (nach)exilische98 Tempelbeschreibung in Ez 40–4899 92 Vgl. W. Zwickel, Tempel, 125 f. 93 Der Wassertransport von der Gihonquelle zum Tempel war so anstrengend, dass es schwer vorstellbar ist, dass das Becken v. a. im Sommer ganz gefüllt war. Lediglich durch starken Regen im Winter könnte es randvoll geworden sein. Geht man jedoch mit W. Zwickel von einem 3 m hohen Behältnis aus, so wird die Frage nach der tatsächlich angesammelten Wassermenge irrelevant, da ein Mensch in der Regel nicht über den Beckenrand schauen konnte. 2 Chr 4,6 beschreibt, dass sich die Priester im Meer gewaschen haben, jedoch ist dies auch vor dem Hintergrund der Höhe des Beckens eher unwahrscheinlich. Der Tempelbaubericht aus der Chronik (ca. 4. Jh. v. Chr.), wollte dieser Tempelinstallation offenbar nachträglich einen Sinn zuschreiben. Vgl. W. Zwickel, Tempel, 128. 94 Auch an weiteren Heiligtümern im Alten Orient wurden ähnliche Kultbecken entdeckt. Als bekanntes Beispiel nennt W. Zwickel u. a. das Becken des Assur-Tempels in Assur. Vgl. W. Zwickel, Tempel, 128 f. 95 W. Zwickel sieht das kämpferische Motiv eher im Hintergrund, da die Stiere aller Wahrscheinlichkeit nach liegend abgebildet waren. Vgl. a. a. O., 133. 96 A. a. O., 383. Die Vorstellung eines Urmeeres, das in einem derartigen Kultbecken symbolisiert wird, knüpft an den kosmischen Süßwasserozean aus der mesopotamischen Vorstellungswelt an. Diesem Weltbild entsprechend befindet er sich sowohl über dem Himmel als auch unter der Erde und versorgt die Erde mit Quellwasser und Regen und auch das Schöpfungsereignis ist mit diesem Bild verbunden. Eine ähnliche Vorstellung findet sich im AT, wenn in Gen 2,6 von einer unterirdischen Flut die Rede ist. Ebenso kann Gen 1,6 f. im Sinne einer Trennung des Salz- und Süßwassers und damit als eine Bändigung der Chaosfluten verstanden werden. Vgl. W. Zwickel, Tempel, 132. 97 Vgl. W. Zwickel, Tempel, 133. 98 Zur Entstehungsgeschichte des Textes vgl. K.-F. Pohlmann, Hesekiel, 531–539. 99 Ausgearbeitet wurde diese Tempelvision wahrscheinlich erst von der zweiten Generation der Ezechielschüler in einer Zeit, in der der Wiederaufbau des Tempels in greifbare Nähe rückte, was um 525–515 v. Chr. der Fall war. Die Ursachen für die umfassende Neukonzeption „liegen in der Jerusalemer Heiligtumskonzeption vom Tempel als Thronsitz JHWHs in seiner Herrlichkeit (Ez 43,7; vgl. Jes 6,1 ff.) sowie der grundlegenden Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem (Ez 42,20).“ R. Albertz, Exilszeit, 276. Dabei liegt der Gedanke zu Grunde, dass „JHWH den alten jerusalemer Tempel infolge der schlimmen Verunreinigung verlassen und dem Untergang preisgegeben hatte (8–11), nicht zuletzt, weil es die Priester früher mit der Unterscheidung nicht so genau genommen hatten (22,26), folgerten die Ezechielschüler, daß die Normen für die Heiligkeit des neuen Tempels in Zukunft gewaltig gesteigert und weit besser eingehalten werden müßten, damit dieser JHWHs Ansprüchen gerecht werde.“ Ebd.

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zeichnet weitgehend ein fiktives Idealbild, das sich am zerstörten Tempelmodell orientiert, sich jedoch zugleich auch davon abgrenzt.100 Dieser Vision zufolge wird das „Eherne Meer“ ersetzt durch die Vorstellung einer Tempelquelle. Diese „wird unter dem Altar des künftigen Tempels [als] eine mächtige Quelle entspringen, die das zum Toten Meer führende Kidrontal in einen Fluss verwandelt und die judäische Wüste in ein Paradies (Ezechiel 47,1–12).“101 Es findet bei Ezechiel dadurch eine Transformation dieser Vorstellung statt, die mit W. Zwickel wie folgt beschrieben werden kann: Die Tempelquelle wird zu einem Ort, der Leben in Fülle und völliger Sicherheit ermöglicht. Die alte Symbolik aus vorexilischer Zeit wird hier von Ezechiel aufgegriffen, aber neu ausgestaltet. Gerade in der Exilszeit […] war dieses Bild der Tempelquelle besonders treffend: Hier wird nicht mehr statisch wie beim ehernen Meer die Fürsorge Gottes ausgedrückt, sondern dynamisch die trostlose Landschaft zwischen Jerusalem und dem Toten Meer verwandelt.102

Das Motiv einer solchen vom Heiligtum ausströmenden Quelle findet sich darüber hinaus in Ps 46,5.6, in dessen Kontext die Wasser des Gottesstroms ein Gegenbild zu den Chaoswassern bilden.103 In diesem Welt- und Tempelbild, erhalten auch die Landschaftsbeschreibungen in Ps 42/43 ihren Sinnhorizont. Eine Konzentration der mit „Wasser“ in Verbindung stehenden Begrifflichkeiten ist besonders in Ps 42,2 f.8 auffällig. Bereits in der Untersuchung der textdynamischen Wirkung der Begriffe „Gott und Angesicht“ (5.1.1) ist der starke Kontrast zwischen Ps 42,2 f. und Ps 42,8 deutlich geworden. Das Bild, das Ps 42,2 f. zeichnet ist angelehnt an die Vorstellung Gottes als lebensspendende „Quelle“104, sodass für die erste Strophe eine heilvolle Bedeutung der Wassermetaphorik festgehalten werden kann, die am Tempel verortet wird (Ps 42,3b). Die Entfernung von dieser lebensspendenden Quelle wird dem Beter in Ps 42,4 zu Tränen als Symbol der Trauer und Verzweiflung in Anbetracht der Vergangenheit und der gegenwärtigen Situation,105 wodurch die Wassersprache vor dem Hintergrund des grundsätzlich positiven Vergleichs von „Wasser“ und „Gott“ in Ps 42,2 f. eine 100 So hält H. F. Fuhs in seinem Kommentar fest, dass dem kundigen Leser der damaligen Zeit, sofort die Unterschiede zum salomonischen Tempel aufgefallen sein müssen, sodass sich hier eine Kritik am vorexilischen Tempelkult andeute. Er geht, ebenso wie R. Albertz davon aus, dass der Text nicht mehr von Ezechiel selbst stammt. Vgl H. F.  Fuhs, Ezechiel II, 227; R. Albertz, Exilszeit, 276. 101 O.  Keel / u. a., Tempel, 17; Vgl. auch W. Zwickel, Tempel, 135. 102 W. Zwickel, Tempel, 2011, 135 f. Eine ähnliche Vorstellung von einer vom Thron ausgehenden Bewässerung des Landes bei gleichzeitiger Eindämmung der Chaoswasser findet T. Krüger auf einem Abdruck eines akkadischen Rollsiegels aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr. Vgl. T. Krüger, „Kosmo-theologie“, 105. 103 Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 368; M. Lichtenstein, Gottesstadt, 177–231. 104 Vgl. u. a. Ps 36,10; Jer 2,13; 17,13. 105 Vgl. dazu die Versanalyse zu Ps 42,4.

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negative Konnotation erhält. Der Refrain verwendet sodann die Ausrücke ‫תשתוחחי‬ („du löst dich auf “) und ‫„( ותהמי עלי‬du braust gegen mich auf “) bezogen auf die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) und es wird eine Diskrepanz zwischen der gottbezogenen, positiven Wassermetaphorik und der auf den Beter bezogenen, negativen Wassermetaphorik deutlich.106 Gerade das verbindende Element „Wasser“ stellt dabei den Zusammenhang zwischen diesen Polen her. Anstelle des ersehnten lebensspendenden Wassers, das Gott symbolisiert, löst sich die eigene „Leben(skraft)“ auf und braust gegen den Beter auf, sodass nicht nur der Zugang zum lebensspendenden Wasser fehlt, sondern eine Gefahr von dem Beter selbst ausgeht, indem im inneren Zwiespalt feindliche Wasser gegen ihn aufbrausen.107 Was in dem Beter wie Wasser zerfließt und braust, ist die selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Erinnerung. Dieser Kausalzusammenhang klingt in Ps 42,5 an und wird zu Beginn der zweiten Strophe in Ps 42,7 durch das ‫„( על־כן‬darum“) sichtbar hergestellt und durch den Beter reflektiert. Die Beziehung zwischen Gott und Beter wird durch die Verlagerung der Wassermetaphorik in das „Innere“ des Beters (Ps 42,5–7) verändert und verdeutlicht einen ersten Beziehungsumschwung. Die Selbstreflexion führt dem Beter seine Situation vor Augen, die ihm in Ps 42,8 als Lebensbedrohung durch die Urfluten, Wasser und Brandungen Gottes erscheint. Die Bedeutung des Wassers als Lebensquelle aus Ps 42,2 f. wird in Ps 42,8 in das Gegenteil verkehrt. In Ps 42,8 erscheint Gott dem Beter nicht mehr als lebensspendendes Wasser, sondern sein Fernbleiben in der Notsituation des Beters stellt sich vor allem vor dem Hintergrund der damals erlebten Gottesnähe als grausam und todbringend dar. Eindeutig steht hier die Vorstellung von Gott als Herr über die Chaosgewalten im Hintergrund.108 Die Veränderung in Ps 42,8 macht nur in dem Kontext des selbstreflexiven Erinnerungsvorgangs Sinn, der durch Ps 42,5. (6.)7109 hergestellt wird.110 Ps 42,7 gehört dabei bereits zur zweiten Strophe und kann thematisch durch die Erwähnung des „Jordans“ als Einleitung zu Ps 42,8 verstanden werden. Die Erwähnung des Jordans in Ps 42,7b könnte dabei eine Anspielung auf die Überquerung des Jordans aus Jos 3 sein.111 Zugleich ist Ps 42,7 jedoch durch das Verb ‫„( שיח‬zerfließen“) eng mit Ps 42,6. und dadurch mit der ersten Strophe verbunden. In der Selbstreflexion versucht der Beter die Erlebnisse der Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu vereinen und gelangt in Ps 42,8 an den Punkt der absoluten Infragestellung und Umkehrung seiner Gottesbeziehung 106 Zur Wortbedeutung vgl. Kap. 3.2.9. Vgl. zu den Verbformen u. a. T. Aoki, Angesicht, 99. 107 E. K.  Holt, Fontes, 73. 108 Zum Mythos vom Kampf des Wettergottes gegen das Meer vgl. R. Müller, Wettergott, 59–63. 109 Der Refrain in Ps 42,6 bereitet die vertiefte Selbstreflexion bereits vor, jedoch erst durch Ps 42,7 wird er explizit. 110 Diese Verbindung ist u. a. durch das Stichwort ‫ קול‬zu erkennen (Ps 42,5b.c.8). Vgl. Kap. 3.2.12. 111 Vgl. dazu auch Ps 114. T. Aoki, Angesicht, 99.

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und des bisher positiv Erfahrenen. Diese Infragestellung drückt sich zunächst mit dem gewaltigen Bild der tosenden Urfluten aus, wird dann aber in den Anschlussversen (Ps 42,9 wird dabei nicht berücksichtigt) konkret artikuliert und durch die Fragen in Ps 42,10 f.(12) direkt an Gott gerichtet, worin der zweite Beziehungsumschwung deutlich wird. Die Wassermetaphorik wendet sich dadurch gänzlich in der zweiten Strophe in das Unheilvolle und stützt damit den Befund, der durch die Beziehungsumschwünge explizierten Gottesferne in der zweiten Strophe. Das Wortfeld „Wasser“ dient ferner der Beschreibung der Beziehungsdynamik, die an den Tempel als Heilsort geknüpft ist und dadurch ein horizontales Weltbild zeichnet, das von dem Tempel als – die Chaosmächte ordnendes – Heils-Zentrum ausgeht.112 Dieses steht in den ersten beiden Strophen im Hintergrund und wird in der dritten Strophe expliziert. Dort finden überwiegend Begriffe aus dem Wortfeld „Tempel“ (und „Gerechtigkeit“) Verwendung und verweisen damit auf einen dritten Perspektivwechsel im Sinne eines Beziehungsumschwungs. Die Verschiebung der Wortfelder zeigt den inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem Bild Gottes als lebensspendenem Wasser und dem Tempel auf, an dem seine Heiligkeit erfahren werden kann: In strophe I it is that of freshwater in the countryside, while in the second strophe it is chaos water. In the third strophe, however, the water disappears and seems to be substituted by the divine light and truth […]. In terms of spatiality the imagery moves from the outer world in the countryside to the inner world of the Temple.113

In Ps 43,4 f. wendet sich die Sprache des Doppelpsalms dem Tempel als Ort der Erfüllung der Sehnsucht des Beters zu, die in den ersten zwei Strophen in ihrer Beziehungsdimension durch die Wassermetaphorik dargestellt wird und beschreibt einen Stimmungsumschwung. Die Wasserterminologie zeichnet durch ihre Verbindung mit dem Tempelbild die Beziehungsentwicklung zwischen Beter und Gott plastisch und räumlich nach als Weg aus der Ferne zum Tempel, was ähnlich auch in ägyptischen Parallelen, die Wasser als Wegmetapher nutzen, sichtbar wird.114 112 Dabei sind Aspekte eines vertikalen Weltbildes jedoch nicht auszuschließen. B. Ego versteht das horizontale Weltbild als Spezifikum vorexilischer Tempeltheologie, was in Hinblick auf Ps 46 und 48 sicher plausibel gemacht werden kann, jedoch haben die Überlegungen zu Ps 42/43 gezeigt, dass dieser wahrscheinlich in die Zeit des Zweiten Tempels einzuordnen ist. Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 377. Zur Tempeltheologie des Zentrums vgl. B. Janowski, Wohnung, 60 f. 113 E. K.  Holt, Fontes, 73. 114 Es gibt viele ägyptische Begriffe, die in die Bedeutungsgruppe „Wasser“ einzuordnen sind, von denen besonders mw, mḥj, ḥn.tj und d.t zu nennen sind. Interessant ist dabei v. a. die Verwendung von mw, das mit „Wasser“ übersetzt werden kann, im Sinne von „sich auf jemandes Wasser begeben“, was in etwa der Wendung „jemandes Weg folgen“ entspricht. Darin wird deutlich, dass diese Bedeutung eine Parallele hat in den alttestamentlichen Weglexemen, wenn diese dazu gebraucht werden einen „Lebenswandel“ auszudrücken. Vgl. M. P.  Zehnder, Wegmetaphorik, 252.

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4.2.5.2 „Tempel“ Das zweite Wortfeld beinhaltet weitere Motive, die der Tempelsymbolik zugeordnet werden können.115 Zunächst sind jedoch einige Vorüberlegungen zu dem Bedeutungsfeld „Tempel“ anzubringen, um den symbolischen Bedeutungsgehalt zu umreißen und eine Einordnung der Begriffe in dieses Wortfeld zu vereinfachen. Es ist im voranstehenden Kapitel bereits deutlich geworden, dass das Jerusalemer Tempelbild in verschiedenen Epochen der Geschichte einem vielfältigen Wandel unterlag,116 weshalb an dieser Stelle eine historisch-rekonstruierende Perspektive nur skizzenhaft erfasst werden kann.117 Ein Tempel, so die Minimaldefinition von B. Janowski, „ist der Wohnsitz der Gottheit, der durch die Umgrenzung als Temenos von der profanen Außenwelt abgeschirmt wird.“118 Die Präsenz Gottes im Tempel geht einher mit der Vorstellung eines Tempelbergs.119 Es verweisen daher auch die Wendungen aus Ps 42,10 ‫„( אומרה לאל סלעי‬Ich spreche zu Gott, meinem Fels“) und antagonistisch aus Ps 42,7b ‫„( מהר מצער‬vom Berg Mizar) auf die Gottespräsenz auf dem Tempelberg (Kap. 3.2.14). Die Jerusalemer Tempeltheologie baut auf ein religiöses Symbolsystem auf, das, analog zu den altorientalischen Tempeln, kosmologische Bezüge herstellt.120 Die tatsächliche Existenz eines JHWH-Kultbilds im Jerusalemer Tempel bleibt umstritten: Schließlich hat auch das kolossale aus Olivenholz?/dem Holz der Aleppokiefer gefertigte und mit Gold überzogene Kerubenpaar (I Kön 6,23–28) eine eminente Bedeutung für die Tempeltheologie: Als Symbol der Gegenwart JHWHs auf dem Zion trug es der kosmischen Dimensionierung des Tempels Rechnung und qualifizierte die über ihm thronende Gottheit als souveränen Königsgott.121

115 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 98. 116 Für die Verehrung anderer Gottheiten neben JHWH im Jerusalemer Tempel fehlen jegliche Anhaltspunkte. Vgl. O.  Keel / C.  Uehlinger, Gottessymbole, 195. 117 Zu der Problemstellung der historischen Rekonstruktion vgl. B. Janowski, Wohnung, 27–29. 118 B. Janowski, Wohnung, 27. 119 Das Motiv des „Urhügels“ findet sich auch in den meisten ägyptischen Heiligtümern, die einen solchen in der Mitte ihrer Vorhöfe behaupten. Dabei spielt der auf den Weltanfang bezogene Gedanke eine Rolle, dass dieser „Urhügel“ aus den Chaosfluten aufgetaucht sei. Auch in Mesopotamien findet sich diese Verquickung von Berg, Heiligtum und Weltanfang. Vgl. O. Keel, Bildsymbolik, 100. 120 Sichtbar wird das u. a. an der zuvor dargestellten Wassersymbolik, die für Ps 42/43 besonders relevant ist und bereits das Bild des salomonischen Tempels prägt. „Orientiert man sich am – literarisch überarbeiteten – Tempelbaubericht I Kön 6–7 und bewegt sich von Osten her auf das Tempelgebäude zu, so symbolisiert zunächst das Eherne Meer I Kön 7,23–26 als riesiges, von zwölf Rinder- bzw. Stierfiguren getragenes und in Form einer Lotusblüte stilisiertes Bronze­ becken die gebändigten Wasser des Urmeeres (kosmischer Süßwasserozean).“ B. Janowski, Wohnung, 30. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 121 B. Janowski, Wohnung, 31. Vgl. auch O.  Keel / C.  Uehlinger, Gottessymbole, 190.

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R. Achenbach hält zusätzlich zu dem leeren Cherubenthron ein weiteres Symbol im Tempel fest: „the ark, the ancient Yahwistic palladium for divination especially in times of war.“122 Nach der Zerstörung des salomonischen Tempels gewinnt zunehmend die deuteronomische Vorstellung der Gegenwart Gottes in seinem Namen an Bedeutung: for those who prayed at the ruins of the holy place, the consciousness of the God who now causes the remembrance of his name (Exod 20:24b!) determined a belief in the cultic presence of the name recalled at the site of the ancient place of worship (cf. 1Kgs 8:29).123

Es beginnt ein Transformationsprozess der Vorstellung der Gottespräsenz im Tempel, an deren Ende diese spiritualisiert und nicht mehr an Symbole gebunden ist, sodass eine Reproduktion der Symbolik überflüssig wird.124 Damit erscheint die Frage nach der Begegnung mit dem Angesicht Gottes in Ps 42,3b in einem neuen Licht (Kap. 3.2.3). Der literarhistorischen Einordnung des Psalms in das 5./4. Jh. v. Chr. folgend, kann dieser als Vermittler angesehen werden zwischen einer althergebrachten Präsenzvorstellung einerseits und der exilisch-nachexilischen Vorstellung, die die Präsenz JHWHs nicht mehr an Symbole der Repräsentanz im Tempel knüpft, andererseits.125 Im Wesentlichen greifen, zusätzlich zu den Anspielungen auf den Tempelberg in Ps 42,7b.10, die Verse Ps 42,3b.5b; 43,3.4 das Thema „Tempel“ auf. Die Überwindung der Distanz zwischen Beter und Tempel wird durch dynamische Verben aus dem Bereich „kommen“ und „gehen“ ausgedrückt. Es sollen daher auch diejenigen Verben, die auf die räumliche Annäherung an dieses Ziel hinweisen, für das Wortfeld „Tempel“ mitberücksichtigt werden. Die erste Strophe bereitet in mehrfacher Hinsicht den Tempel als das Ziel des Doppelpsalms (Ps 42,3b und 43,4) vor (Kap. 3.2.3 und 4.2.1). Betrachtet man diese beiden Verse der ersten und der dritten Strophe wird deutlich, dass Ps 42,3b und Ps 43,3b das Lexem ‫„( בוא‬kommen“) jeweils unterschiedlich zu Beter, Tempel und Gott in Bezug setzen. Während der Beter in Ps 42,3b selbst in der 1.Pers.Sg.com, mit dem Verb ‫„( בוא‬kommen“)126 danach fragt, wann er wieder zum Tempel kommen darf, sind es in Ps 43,3b ‫אור ואמת‬ („Licht und Wahrheit“) Gottes, die den Beter, ebenfalls mit dem Verb ‫„( בוא‬kommen“)127 beschrieben, zum Tempel leiten (Kap. 3.2.3). Durch den Numeruswechsel sowie den Wechsel des Stamms von Qal (Ps 42,3b) zu Hif ’il (Ps 43,3b), wird die Veränderung vorbereitet, die in Ps 43,4 zum Ausdruck kommt, in dem der Beter

122 Vgl. R. Achenbach, Throne, 35. 123 A. a. O., 38. 124 Vgl. a. a. O., 43. 125 Vgl. ebd. 126 ‫ בוא‬in der 1.Pers.Sg.com.PK.Qal. 127 ‫ בוא‬in der 3.Pers.Pl.mask.PK.Hif ’il mit Suff.1.Pers.Sg.com.

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dann ebenfalls mit ‫„( בוא‬kommen“) sein Hineingehen in den Tempel formuliert. Mit dieser Stichwortverbindung zwischen Ps 42,3b und Ps 43,3.4 wird der Weg des Beters als ein von Gott geführter Weg definiert, bei dem ‫„( אור ואמת‬Licht und Wahrheit“) Gottes eine leitende Funktion erfüllen. In Ps 43,3a.b ist dadurch die Vorstellung eines im Heiligtum verorteten „Angesicht Gottes“ über die Lichtmetaphorik mit den Aspekten der Universalität und Gerechtigkeit verbunden.128 Eine weitere Verbindung der ersten mit der dritten Strophe wird durch die explizierte Erinnerung der Tempelwallfahrt in Ps 42,5b hergestellt, wodurch diese Motivik den ersten und letzten Teil des Doppelpsalms rahmt.129 Mit V. 5 wird die Perspektive der zukunftsgerichteten Haltung und Tempelsehnsucht (V. 3b) auf die vergangene Tempelwallfahrt gerichtet und ein erster Beziehungsumschwung sichtbar. Die Wendung ‫„( בסך אדדם‬zur herrlichen Hütte“) wird durch ‫„( עד־בית אלהים‬zum Haus Gottes“) näher bestimmt und stellt sich durch die Parallelen in Ps 27 und Ps 31, als „architektonisch umgrenzte[r] Bereich, in dem das Angesicht JHWHs gesehen werden kann“130 dar. Sie bietet dem Beter Schutz vor Witterung und Feinden.131 Zudem wird mit ‫„( אעבר‬ich ging einher“) die Erinnerung des Beters an die Tempelwallfahrt ausgedrückt. In Ps 42,8b sind es dagegen die Wellen und Fluten, die mit demselben Lexem über den Beter hergehen: ‫עברו‬ („sie gehen hin“) und den Kontrast zwischen dem ersehnten Wasser und dem Gefühl der Todesnähe als Ergebnis der Selbstreflexion, verdeutlichen (Kap. 4.2.5.1). Dabei ist besonders der Subjektwechsel bedenkenswert: War der Beter in Ps 42,5b selbst noch der aktiv zum Tempel Gehende, wird er nun zum passiv Übergangenen und es findet eine vollständige Umkehrung des Ersehnten statt. Das Wortspiel mit ‫„( עבר‬einher / hinüber gehen“) kann daher als bewusstes stilistisches Mittel zur Steigerung des Antagonismus verstanden werden. Zwischen der Tempelmetaphorik in Ps 42,5b und der Wassermetaphorik in Ps 42,8 besteht eine weitere sprachliche Verbindung, die durch den Begriff ‫„( המון‬Menge“) hergestellt wird.132 Hierdurch wird noch einmal der Antagonismus zwischen Vergangenheit und Gegenwart betont, der sich von der ersten zur zweiten Strophe steigert, wenn die ‫„( המון חוגג‬feiernden Menge“), die den Beter umgibt, in der Fremde am Jordan den bedrohlichen Wassermengen gegenübergestellt wird. Diese Steigerung kann als Vorbereitung eines zweiten Perspektivwechsels des Beters, der mit Ps 42,10 f. erfolgt, angesehen werden. Betrachtet man insgesamt die Verteilung der mit dem Thema „Tempel“ verwandten Begriffe, wird deutlich, dass dieses Thema die erste und die dritte Strophe 128 Vgl. B. Janowski, Sonnengott, 219; K. Liess, Gottesnähe, 176. 129 Vgl. T. Dockner, „Sicut cerva…“, 163. 130 F. Hartenstein, Angesicht, 145. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 131 Vgl. ebd. 132 Er kann z. B. in Ps 65,8 auch mit „Tosen“ übersetzt werden. Vgl. die Übersetzung der Zürcher Bibel: „der das Brausen der Meere stillt, das Brausen ihrer Wellen und das Tosen der Völker.“

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miteinander verbindet. Das Verb ‫„( עבר‬einhergehen“) in Ps 42,5.8 weist zudem auf eine bewusste Gestaltung und Aufnahme der Tempelmetaphorik hin. Bis auf diese Wortverbindung und den Bezug auf den Tempelberg (Ps 42,7b.10a) bleibt die zweite Strophe (Ps 42,7 f.10–12) jedoch ohne erkennbare Tempelmetaphorik, sodass die Entfernung von Gott auch in einer reduzierten Tempelsprache zum Ausdruck kommt. In der dritten Strophe hat der Beter das Gefühl des Übergangenseins im Sinne der Todesbedrohung aus Ps 42,8 überwunden und will nach einem weiteren Beziehungsumschwung den Weg zum Tempel gehen, geführt von „Licht und Wahrheit“ Gottes. Das Tempelbild am Psalmende (Ps 43,4) symbo­ lisiert umfassend die Integration des betenden Ichs in seine Leib- und Sozialsphäre und verbildlicht damit den Stimmungsumschwung.

4.2.5.3 „Gerechtigkeit“ Das dritte Wortfeld kann unter dem Oberbegriff Gerechtigkeit subsumiert werden und beinhaltet sowohl die Beschreibung der Notsituation des Beters als auch seine Aufforderung an Gott, in diese Situation einzugreifen.133 Der Gerechtigkeitsbegriff im atl. Sinne integriert die Aspekte des Richtens und Rettens gleichermaßen und findet in der Idee der „rettenden Gerechtigkeit“134 ihren Ausdruck. Wesentlich ist dabei der Gedanke einer gegenseitigen Abhängigkeit von Gerechtigkeit und Gemeinschaft: Gemeinschaft und Gerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille: Mit dem Begriff Gerechtigkeit ist der Aspekt der Gemeinschaft in ihrer religiösen, politischen und anthropologischen Dimension mitgesetzt, so daß unter Gerechtigkeit gemeinschaftsgemäßes Handeln oder Gemeinschaftstreue zu verstehen ist.135

In Ps 42/43 wird dieser Zusammenhang durch die gestörte Beziehung des Einzelnen zu seinem Umfeld deutlich (Ps 42,4b.10b.11a.b; 43,1a.b.2b).136 Die Steigerung der Ungerechtigkeit im Psalmenverlauf wird in der Quantität und Verteilung der Verse ersichtlich, die von Ungerechtigkeit und Feindbedrängung sprechen: Ps 42,4b.6b.10a.b.11a.b.12b; 43,1a.b.2a.b.3a.5b. In der ersten Strophe wird zunächst indirekt auf das feindliche Umfeld des Beters angespielt (Ps 42,4b) und erst die Verbindung von Ps 42,4b und Ps 42,10b in der zweiten Strophe offenbart, dass sich der Beter von „Feinden“ umgeben sieht. Dass Gott derjenige ist, von dem die „Rettung“ und dadurch auch die Befreiung aus seiner Notlage erwartet wird, verdeutlicht der Refrain. Wie sich diese Rettung vollziehen soll, wird durch das Wortspiel mit „Angesicht Gottes“ und in dem futurischen Tempelszenario in 133 Zu dem Zusammenhang zwischen dem Begriff „Angesicht Gottes“ und dem Bild als Richter vgl. Kap. 4.2.1. 134 J.  Assmann / u. a., Richten, 232; B. Janowski, Richter, 21. 135 Ebd. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 136 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 95.

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der dritten Strophe ausgeführt.137 Das Thema „Gerechtigkeit“ wird jedoch nicht nur über die „Angesicht Gottes“-Terminologie mit Gott verbunden, sondern auch durch die an Gott gerichteten Fragen und Aufforderungen. Diese werden in der zweiten Strophe gesteigert, indem die Notlage in Ps 42,10a weiter konkretisiert wird.138 Der Beter drückt durch seine „Warum“-Frage aus, dass er sich von Gott vergessen fühlt und beschreibt in diesem Zusammenhang im zweiten Versteil seine Trauer und das Umgebensein von Feinden (Ps 42,10b). Sie verhöhnen ihn, indem sie ihn und seinen Glauben verspotten (Ps 42,11). Es entsteht dadurch der Eindruck eines kausalen Zusammenhangs zwischen der als ungerecht erlebten Situation des Beters und der Abwesenheit Gottes. Die Beschreibungen der Feindbedrängung fehlen in der Introspektive von Ps 42,5–9 und kennzeichnen damit einen ersten Beziehungsumschwung, der durch }die Wiederaufnahme der direkten Anklage der Ungerechtigkeit von einem zweiten Beziehungsumschwung in Ps 42,10 f. gefolgt ist. Auch die zweite Strophe schließt mit dem Refrain und dadurch mit dem Hinweis darauf, dass die „Rettung“ von Gott zu erwarten ist. In der dritten Strophe wird Gott direkt dazu aufgefordert, einzugreifen. Zwar bleibt die Situation der Not und damit der Ungerechtigkeit bestehen (Ps 43,2a.b), aber nun ist sie eingebettet durch die direkt an Gott gerichtete, konkrete Handlungsaufforderungen in Ps 43,1a.b.3a. Die Wendung ‫„( שפטני‬Schaffe mir Recht!“), darf dabei nicht im Sinne einer Selbstgerechtigkeit missverstanden werden, sondern beinhaltet das „Moment der Rechtshilfe“139. Der Beter erkennt Gott als einzige Möglichkeit der Rettung an, sodass in Ps 43,1–3 ein dritter Beziehungsumschwung erkennbar ist. Letztlich wendet sich der Beter erst in der dritten Strophe hoffend an Gott und beherzigt den Selbstapell des Refrains. Dies geschieht insbesondere durch die Hinwendung zum Tempel, wobei er sich vertrauensvoll auf die göttliche Führung verlässt. Diese ist durch das Begriffspaar „Licht und Wahrheit“ näher definiert, die für die Gerechtigkeitsthematik in Ps 42/43 eine besondere Bedeutung einnehmen (Kap. 3.2.19).140 In der soteriologischen Bedeutung von ‫„( אור‬Licht“) und in dem Rechtsterminus ‫„( אמת‬Wahrheit“) manifestiert sich eine Verbindung der Tempelsehnsucht mit dem Bild von Gott als Richter.141 Durch den Zusammenhang zwischen dem Leuchten des „Angesichts Gottes“ und einer 137 Offenbar besteht die Rettung des Beters in der Hinführung zum „Angesicht Gottes“, das eng verbunden ist mit der Lichtmetaphorik und dem Bild eines Recht schaffenden Gottes. Die Gerechtigkeitsvorstellung und die „Angesicht Gottes“-Terminologie sind über den Vorstellungshintergrund eines Königs als Mittler einer göttlichen Gerechtigkeit verbunden. Vgl. B. Janowski, Richter, 23; Ders., Licht, 98–100. 138 Auch Ps 42,8 könnte in diesem Zusammenhang als Schilderung der Bedrohung auf die Feinbedrohung übertragen werden, jedoch sprechen die Personalsuffixe der 2.Pers.Sg.mask. gegen einen solchen Bezug. Sicher aber verstärkt Ps 42,8 insgesamt das Szenario der Bedrohung des Beters durch das Thema der Todesbedrohung. 139 J.  Assmann / u. a., Richten, 237. 140 Vgl. B. Janowski, Licht, 98–100. 141 Vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit, 184 f.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

erwarteten Rettung im Sinne einer göttlich vollzogenen Gerechtigkeit wird das Hineingehen in den Tempel in Ps 43,4 zur Realisierung der Gerechtigkeit.142 Das Vertrauen auf die Gerechtigkeit Gottes wird mit dem geführten Weg zum Tempel parallelisiert und stellt sich dadurch räumlich als Machtbereich JHWHs dar (Kap. 4.4).143 Dabei verweist besonders das Verb ‫„ ינחוני‬sie sollen mich leiten“ auf die „Bitte um Belehrung über den Weg Gottes (Ps 25,4 f.; 27,11a; 86,11; 143,8) und um die Führung auf dem rechten Pfad (Ps 5,9; 27,11b)“144. Dieser besteht sowohl in der theoretischen Einsicht als auch in der praktischen Umsetzung:145 „Die Führung Gottes ist sowohl auf räumlich-geographischem als auch auf moralischem Gebiet wirksam.“146

4.3 Satzebene V.

Verb

Anrede

Subjekt

Objekt

Personalsuffix

2a

PK

Gott

Hirschkuh

2b

PK

Leben(skraft)

nach dir, Gott

meine (Beter) dir (Gott)

3a

AK

Leben(skraft)

nach Gott, dem lebendigen Gott

meine (Beter)

3b

PK PK

ich (Beter) ich (Beter)

Gottes Angesicht

4a

AK

Tränen

Brot

meine (Beter) mir (Beter)

4b

Inf.

sie (=Feinde) Gott

zu mir (Beter)

mir (Beter) dein (Beter)

5a

PK PK

ich (Beter) ich (Beter)

Diese [Dinge] bei mir (Beter)

mir (Beter) meine (Beter)

5b

PK

ich (Beter)

6a

PK PK

Leben(skraft)

du (Leben(skraft)) du (Leben(skraft))

in mir (Beter)

meine (Beter) mich (Beter)

6b

Imp. PK

Gott

du (Leben(skraft)) ich (Beter)

Gott

ihn (Gott) sein (Gott) mein (Beter)

142 Vgl. F. Hartenstein, Angesicht, 186. 143 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 350; C. De Vos, Felsen, 7. 144 M. P.  Zehnder, Wegmetaphorik, 89. 145 Vgl. ebd. 146 Ebd. Besonders in der späteren Psalterredaktion findet sich dieser Zusammenhang in transformierter Gestalt, wenn derjenige, der Tag und Nacht die Tora rezitiert nach Ps 1,2 f. gleich einem Baum am Wasser ist. Vgl. Exkurs: Psalter als Heiligtum.

197

Satzebene V.

Verb

7a 7b

Anrede

Subjekt

Objekt

Personalsuffix

PK

Leben(skraft) ich (Beter)

in mir (Beter)

meine (Beter) mir (Beter)

PK

ich (Beter)

deiner (Gott)

dich (Gott)

Flut

Flut

dein (Gott)

Brandungen Wellen

über mich

dein (Gott) dein (Gott) mich (Beter)

8a 8b

AK

9











10a

PK AK

Gott

ich (Beter) du (Gott)

zu Gott mich (Beter)

mein (Beter) mich (Beter)

10b

PK

ich (Beter)

vom Feind

11a

Inf. AK

meine Gegner

mich

mein (Beter) mein (Beter) mich (Beter)

11b

Inf.

sie (=Gegner) dein Gott

zu mir

mir (Beter) dein (Beter)

12a

PK PK

Leben(skraft)

du (=Leben(skraft)) du (=Leben(skraft)) in mir (Beter)

meine (Beter) mich (Beter)

12b

Imp. PK

Gott

Leben(skraft) ich (Beter)

Gott

ihn (Gott) sein (Gott) mein (Beter)

43,1a

Imp. Imp.

Gott

du (Gott)

mir (Beter) meinen Streit (Beter)

mich (Beter) mich (Beter)

43,1b

PK

du (Gott)

mich (Beter)

mich (Beter)

43,2a

AK

du (Gott)

mich (Beter)

mich (Beter) mich (Beter)

43,2b

PK

ich (Beter)

vom Feind

43,3a

Imp. PK

Gott sie (Licht und Wahrheit)

mich (Beter)

43,3b

PK

43,4a

PK

ich (Beter)

mich (Beter)

mein (Beter)

43,4b

PK

ich (Beter)

dich (Gott)

dich (Gott)

43,5a

PK PK

Leben(skraft)

du (=Leben(skraft)) in mir (Beter) du (=Leben(skraft))

meine (Beter) mich (Beter)

43,5b

Imp. PK

Gott

Leben(skraft) ich (Beter)

ihn (Gott) sein (Gott) mein (Beter)

Gott

sie (Licht und Wahrheit)

mich (Beter)

dein (Gott)

Gott

198

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

In Hinblick auf die Satzstruktur können weitere Beobachtungen für den Ausdruck von Selbstreflexion auf Strukturebene ergänzt werden.147 Zum einen wird ersichtlich, dass das Subjekt in Ps 42,2–4 des Doppelpsalms der Beter selbst (sein(e) Leben(skraft) ist, dessen Bezugsobjekt Gott darstellt. In Ps 42,5–7 wird der Beter selbst zum Objekt, sodass in der Satzstruktur der Umschwung in der Beziehung zwischen Beter und Gott durch diesen Objektwechsel deutlich wird (erster Beziehungsumschwung).148 In Ps 42,8 findet ein erneuter Wechsel statt, indem Gott durch die Wasserkräfte als Subjekt dem Beter als Objekt gegenübertritt. Durch diesen Subjektwechsel, der auch die Klage in Ps 42,10 f.(12) dominiert, wird deutlich, dass die aktive Selbstreflexion des Beters in eine Ohnmacht gegenüber der Notsituation mündet, in der er sich selbst als Objekt der Handlungen Gottes sieht. Da Ps 42,8 jedoch Gott nicht direkt anklagt (vgl. Ps 42,10a), kann er als Übergangsvers bezeichnet werden. In Ps 42,10–12 ist Gott wieder das Gegenüber des Gesprächs, sodass durch die Subjekte / Objekte ein erneuter Beziehungsumschwung sichtbar wird. Ein weiterer Umschwung ist darin erkennbar, dass die den Doppelpsalm dominierenden Verben in der PKForm (Imperfekt) in der dritten Strophe vermehrt durch Imperativformen abgelöst werden, durch die formal der Beziehungsumschwung deutlich wird, der in der der auffordernden Hinwendung des Beters zu Gott besteht. Ps 43,3 und Ps 43,4 unterscheiden sich besonders durch die Imperativform, mit der Ps 43,4 jedoch eng zusammenhängt. Ps 43,3 übernimmt eine ähnliche Brückenfunktion wie Ps 42,8. Er fasst zum einen das Ergebnis der Bitte prägnant in einer Aufforderung zusammen, zum anderen leitet er den Stimmungsumschwung, der sich in Ps 43,4 vollzieht, ein. Die letzten Verse des Doppelpsalms zeigen den Beter als Handelnden und stellen ihn dadurch im Anschluss an die leidende Selbstreflexion im Gesamtverlauf als „lobendes Ich“149 am Ende des Doppelpsalms als positiv verändert dar.

4.4 Räumliche Dimension Es wird ein räumliches Szenario150 kreiert, in welchem der ordnenden Kraft des Tempels die Chaosmächte der Peripherie, in der sich der Beter befindet, gegenübergestellt werden.151 Dieses spannungsvolle Verhältnis wird bei einer Zusammenstellung der räumlichen Bezüge in dem Doppelpsalm deutlich, bei denen der präpositionale Gebrauch eine besondere Rolle spielt. Es fällt die häufige Verwendung der Präposition ‫„( על‬auf “/„über“/„in“) auf, die in V. 2 das Seh

147 Eine detaillierte Analyse der Tempusaspekte erfolgt in Kap. 4.4. 148 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 97. 149 Der Begriff ist bezogen auf die Qualität des im Text sichtbar werdenden betenden Ichs. 150 Hierzu vgl. auch Kap. 6. 151 Vgl. B. Janowski, Wohnung, 48 f.

Räumliche Dimension

199

nen der Hirschkuh „über versiegenden Bächen“ (‫ )על־אפיקי־מים‬bezeichnet und in Ps 42,5a.6a.7a.8.12 suffigiert als ‫„( עלי‬in mir“/„über mich“) mit dem Beter in Verbindung steht. Bis auf die satzverbindende Funktion von ‫„( על־כן‬deshalb“), bezeichnet ‫„( על‬auf “/„über“/„in“) in Ps 42/43 eine Richtung bzw. einen Ort und findet sich v. a. in den selbstreflexiv-klagenden Abschnitten: Ps 42,5.6(.12; 43,5).7 f.152 Es wird eine gegen den Beter gerichtete Fließrichtung deutlich, die seiner Sehnsucht nach Gott diametral entgegensteht. Dabei geht von dem Beter selbst eine negative Dynamik aus, die sogleich zum negativen Höhepunkt seiner Wahrnehmung der Gottesbeziehung in Ps 42,8 führt.153 Auch die mit den hier genannten Versen verwandten Stellen zeigen, dass das Ziel der Hinwendung Gott sein soll (Kap. 3.2.7). Der Beter strebt daher, wenn er sich zu sich selbst wendet, entgegen seiner geschöpflichen Bestimmung, nach „unten“ zum Staub hin, aus dem es geformt ist (Vgl. u. a. Ps 22,30; 44,26; 119,25). Dies wird auch dadurch deutlich, dass die Sehnsucht nach Gott und nach dem mit Leben und Schutz verbundenen Ort der Gottespräsenz mit anderen Präpositionen ausgedrückt wird (vgl u. a.: Ps 42,2: ‫ ;אליך אלהים‬Ps 42,3: ‫ ;לאלהים לאל חי‬Ps 42,5: ‫)עד־בית אלהים‬. Die Bewegung zu Gott hin, wie sie hier in Ps 42/43 gezeichnet wird, ist eng geknüpft an die Vorstellung einer kosmischen Ordnung154, die hier horizontal beschrieben wird als Bewegung zum Tempel im Gegensatz zur Bedrohung in der Peripherie. Letztere ist geprägt von einer selbstreflexiven Ausrichtung des Beters. Es kann erkannt werden: Das räumliche Streben zu Gott wird positiv bewertet. Jede andere Richtung, die der Mensch anstrebt, muss automatisch nach „unten“/ „innen“ zu sich selbst und weg von der zentralen Lebensquelle Gott in die Peripherie führen. Bereits J. Dietrich beschreibt dieses Phänomen der negativen Innenausrichtung des atl. Menschen in Hinblick auf das menschliche Herz.155 Eine anthropozentrische Anthropologie ist auch im Sinne von Ps 42/43 eine negative. Die Dissonanz zwischen Peripherie des Beters und Gottes Präsenz im Tempelzentrum prägt den gesamten Psalm und verdeutlicht die verschiedenen Phasen der selbstreflexiven Beziehungsentwicklung.

152 Vgl. T. Aoki, Angesicht, 74. 153 Vgl. S. Gelander, Psalms, 80. 154 Nur in der kosmischen Dimension, die den Menschen als Geschöpf in seiner Beziehung zu Gott als Schöpfer denkt, kann das Leben des Subjekts erhalten werden: Dies zeigt sich in Ps 42/43 anhand zahlreicher Bezüge und Anspielungen: Sei es das häufige Vorkommen der ‫נפש‬ („Leben“), die sich in V. 3 nach‫„( לאל חי‬nach dem lebendigen Gott“) sehnt, durch den in Gen 2,7 der Mensch zur ‫„( לנפש חיה‬lebendigen Wesen“) wird, oder sei es die Erwähnung der Urfluten in Ps 42, 8. 155 Vgl. J. Dietrich, Individualität, 82–87.

200

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Ps 42, 2–3

Beter: In dürrem Land, entfernt von Gott. Gott: „Angesicht Gottes“ = Tempel (Kap. 4.2.1)

Ps 42,4

Beter: „bei Tag und bei Nacht“ = dauerhafte Entfernung von dem Tempel, im Raum des Chaos Gott: „Wo ist dein Gott?“ = Gottes Anwesenheit und Existenz sind fraglich Räumliche Veränderung

Ps 42,5–7

Beter: Vergegenwärtigung der Gottesnähe aus der Ferne, im „Land des Jordan und vom Hermon her, vom Berg Mizar“ (V. 7b) Gott: verblasst zur entfernten Erinnerung. Refrain (V.6): Beter: Entfernt von Gott Gott: Wird erwartet als Retter

Ps 42,8

Beter: Von plötzlichen Fluten bedroht Gott: Gott richtet sich als feindliches Wasser gegen den Beter156

Ps 42,10–11

Gott: „Fels“ = Tempelberg Wo ist dein Gott?“ = Gottes Anwesenheit und Existenz sind fraglich Beter: In feindlichem Raum

Räumliche Veränderung

Ps 42,12(.5; 43,5) Beter: Entfernt von Gott Gott: Wird erwartet als Retter Räumliche Veränderung Ps 43,1

Gott: Am Ort der Gerechtigkeit Beter: Bedroht vom „Feind“

Ps 43,2

Gott: Am Ort der Zuflucht, jedoch fern von dem Beter. Beter: Bedroht vom „Feind“

Ps 43,3

Beter: will geleitet werden an den Ort Gottes Gott: Der Ort der Gottespräsenz scheint in erreichbarer Nähe. Räumliche Zusammenführung

Ps 43,4

Beter und Gott an einem Ort: Der Beter scheint unmittelbar vor dem Tempel zu stehen, er wird ‫„( אל־מזְבח‬zum Altar“) und ‫„( אל־אל‬zu Gott“) gehen.

Ps 43,5

Beter: Entfernt von Gott (jetzt erinnernd) Gott: Wird erwartet als Retter

In Ps 42,2–4 wendet sich der Beter aus der wüstenähnlichen Ferne, in der er sich dauerhaft aufhält, zu Gott hin, den er im wasserspendenden Tempel lokalisiert. Die grundsätzliche räumliche Distanz zwischen Beter und Gott stellt sich bildlich als existentielle Entfernung des Menschen von seiner körperlichen und sozialen Lebensgrundlage dar. Die Präsenz Gottes wird dabei durch die Wassermetaphorik und den Terminus „Angesicht Gottes“ in dem mit fruchtbaren Wassern verbunde 156 Hier ist kein expliziter Sprecher- oder Adressatenbezug erkennbar. Vgl. T. Dockner, „Sicut cerva…“, 229 f.

Räumliche Dimension

201

nen Tempel verortet.157 Tempel und Zion werden in diesem ersten Abschnitt zwar sprachlich nicht explizit als Orte benannt, werden aber besonders vor dem Hintergrund der intertextuellen Bezüge als intendierter Ort deutlich (vgl. u. a. Ps 46,3–5) (Kap. 4.6). Den entsprechenden inhaltlichen Bezug innerhalb der beiden Korachpsalmengruppen stellt besonders die Belegstelle Ps 87,7 her, die alle Quellen in Zion verortet.158 Darin wird – wie in den zuvor angestellten Überlegungen (vgl. Kap. 5.2.4.2) – deutlich, dass die Dissonanz zwischen Ich und Kosmos, die durch die Wassermetaphorik ihren Ausdruck findet, zusammengedacht werden muss mit den Tempelverweisen. Der lebensfeindliche Aufenthaltsort in der Dürre spiegelt sich in der Situation der Entrechtung, die besonders in den Feindaussagen sichtbar wird (Ps 42,4.11; 43,2).159 Die Qualität der Dissonanz zwischen Beter und Gott ist in Ps 42,2–4 in der sehnsuchtsvollen Hinwendung des Beters aus der wüstenähnlichen Landschaft zu Gott als Lebensquelle zu sehen. In Ps 42,5–7(.8160) verändert sich die Landschaft, die nun als Bergland mit reißenden Wasserfluten beschrieben wird und damit an Chaos denken lässt.161 Gott gerät dabei aus dem Blickfeld des Beters, der nun in der Fremde bei sich selbst Trost sucht (V. 5–7) (erster Beziehungsumschwung). Die Dissonanz zwischen Beter und Gott drückt sich durch Gott als gegnerische Chaosmacht (V. 8) aus und zum anderen in der physisch-räumlichen und zugleich psychischen Entfernung des Beters von dem Heilsort durch die Nennung seines Aufenthaltsortes, wahrscheinlich im Norden des Landes (Kap. 3.2.11). Dieser steht dem Gottesberg gegenüber, der in Ps 42,10 als „Felsen“ bezeichnet wird und die Heilsfunktion Gottes auf dem Tempelberg ausdrückt. Es scheint als verwandle sich die verzehrende Wüstenlandschaft, in welcher sich der Beter befindet, durch die Selbstreflexion in Ps 42,5–7 in einen Ort lebensbedrohlicher Fluten. Dabei steht geographisch sicher das dürre Bergland Syro-Palästinas vor Augen, das sich durch starke Regenfälle innerhalb von Minuten in reißende Flüsse verwandeln kann. Gott tritt als entfremdete Kraft dem Beter gegenüber, indem er die Chaosmächte in der Fremde als Schöpfergott zwar beherrscht, sie jedoch nicht ordnet und nicht in fruchtbare Wasser verwandelt, die vom Tempel ausströmen. Der erste Beziehungsumschwung führt dazu, dass die Distanz zwischen Beter und Gott in Ps 42,5–7(.8) sowohl geographisch durch die Ortsbeschreibungen als auch geistig durch die Abwendung des Beters von Gott (und Hinwendung zu sich selbst) eine andere Beziehungsqualität aufweist. Das betende Ich strebt mit ‫( זכר‬V. 5.7) eine Syntheseleistung zur Überwindung der räumlichen Distanz an.162 Gott tritt zwar daraufhin in Ps 42,8 wieder in 157 Vgl. P. Reymond, L’eau, 241 f. 158 Vgl. F. Landy, Fantasies, 454. 159 Vgl. B. Ego, Gottesstadt, 374. 160 Ps 42,8 stellt einen Übergangsvers dar, der sowohl Ergebnis des Reflexionsprozesses ist als auch der Vorspann zur Gott-Klage. 161 Vgl. S. Olofsson, Deer, 51. 162 Vgl. B. Janowski, næpæš, 161.

202

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

den Blick, jedoch nicht als durststillendes Wasser, sondern als lebensbedrohliche Chaosflut. In Ps 42,10 f.(12) rückt der Ort der Gottespräsenz durch die Hinwendung des Beters zu Gott auch räumlich wieder in den Blick, sodass darin ein zweiter Beziehungsumschwung anschaulich wird. Zum einen dadurch, dass Gott erneut Adressat der Klage ist und dadurch wieder in hörbarer Nähe zu sein scheint, zum anderen durch die Bezeichnung „Felsen“ in Ps 42,10. Dieser wird mit einer Schutzfunktion zusammengedacht (V. 11), die im Kontrast zur gegenwärtigen Notlage des Beters steht. Zwar erscheint durch diese Kontrastierung die Dissonanz in der Gottesbeziehung intensiviert, doch tritt, wenn auch durch eine Negativfolie, Gott als Heilsbringer geographisch durch die Bezeichnung des Tempelbergs als Schutzort und geistig durch die erneute Ansprache an Gott wieder in die Nähe des Beters.163 In Ps 43,1–3 fasst der Beter konkret die Überwindung der Distanz zum Tempel ins Auge, für die er nun Gott in die Verantwortung nimmt (dritter Beziehungsumschwung). Der Machtbereich Gottes ist zugleich Raum des Lebens und der Gerechtigkeit (Ps 43,1).164 In Ps 43,4 rückt die Begegnung mit Gott in unmittelbare Nähe, sodass die Klage am Ort des Tempels dem Lob weicht. In seiner Überwindung der Distanz zu Gott im Stimmungsumschwung ist der Beter zwar auf Leitung angewiesen, jedoch erhält er diese erst nach bittender Hinwendung. Die Trennung zwischen Beter und Gott wird in räumlichen Kategorien ausgedrückt und überwunden, indem die negative Wassermetaphorik, die an die Selbstreflexion des Beters gebunden ist, zunehmend durch explizite Tempelverweise in Ps 43 abgelöst wird, die den Psalm in 42,5b und 43,4a.b rahmen.165 Es vollzieht sich damit ein Übergang aus dem Raum des Todes in den Lebensraum der Gottesgegenwart.166 Die bittende Hinwendung des Beters zu Gott in der dritten Strophe kann sowohl als gedankliche Ausrichtung verstanden werden als auch als Hoffnung auf die körperliche Rückkehr zum Tempel und in die Kultgemeinschaft.167 Der Beter partizipiert an der Wirkmächtigkeit des Tempels in der Situation der Gottesferne durch das Beten des Psalms, der durch seine inhaltliche Struktur die räumliche Trennung vergegenwärtigt und dadurch letztlich hoffnungsvoll überwindet.168 Es zeigt sich, dass in Ps 43,4 durch die Vertrauensäußerung eine räumliche Zusammenführung von Gott und Beter stattfindet. Darin ist eine Wendung durch den zuvor vollzogenen Gebetsprozess erkennbar, sodass mit B. Janowski gesagt werden kann: Die „Sehnsucht erfüllt sich 163 Vgl. a. a. O., 162. 164 Vgl. C. De Vos, Felsen, 7. 165 Vgl. T. Dockner, „Sicut cerva…“, 156 f. 166 Vgl. dazu auch Ps 16. K. Liess, Gottesnähe, 185; B. Janowski, Konfliktgespräche, 326. 167 Weiterführend zur späteren körperlichen Gebetsausrichtung zum Tempel vgl. D.  Hensh­ke, Directing Prayer, 5–27. (Hebrew) 168 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 350.

Zeitliche Dimension

203

im Gebet, im Zutritt zum Tempel und vor allem in der Gottesschau, die eine eigene Sättigung von Leib und Seele ist“169. Die Annäherung an die Gottesschau erinnert damit an das Voranschreiten in der Wallfahrt.170 Die Struktur von Ps 42/43 verweist auch räumlich explizit auf Strukturebene auf das Ziel der Selbstintegration des Beters durch das Tempelmotiv. Kennzeichen dieser Integration ist die Überwindung der Bipolarität Gottesnähe = Tempel / Gottesferne = Peripherie, die alle anthropologischen Qualitäten durchdringt. Der Beter integriert sich stufenweise körperlich (Leben / Wasser statt Tod), sozial (Kultgemeinschaft und Gerechtigkeit statt Feindschaft) und spirituell (Tempelkult statt Gottesferne) innerhalb des Klage- bzw. Bittpsalms. Es zeigt sich also, dass Ps 42/43 eine strukturimmanente Reflexivität besitzt, die eine selbstintegrative Gesamt-Funktion für den Beter erfüllt.

4.5 Zeitliche Dimension Vers

Verb

Tempuswechsel / Mikroebene171

2a.b

PK PK

Das Bild der Hirschkuh gleicht einem Blick in die Vergangenheit.

3a

AK

Der Wechsel (PK / AK) verdeutlicht das aus der Vergangenheit fortwährende Verlangen.172

3b

PK PK

Die Frage verweist hoffnungsvoll auf die Zukunft.

4a.b

AK Inf.

Der Zeitwechsel zeigt, dass sich die Hoffnung (V. 3b) von der Gegenwart (V. 4) unterscheidet.

5a.b

PK PK PK

Durch die Kohortative in V. 5a, fordert sich der Beter zum Gedenken auf, das darauf in V. 5b narrativ geschildert wird.

6a

PK PK

Der Refrain verbleibt in der PK, wodurch der Zustand des Beters einen iterativen Charakter erhält.

6b

Imp. PK

Der Imperativ verdeutlicht, dass sich Gegenwart und Vergangenheit nicht in Einklang bringen lassen.

7a.b

PK PK

Für die PK-Formen in V. 7 kann, analog zu V. 6a, eine iterative Konnotation angenommen werden.

8a.b

AK

Der Wechsel zurück in die AK verdeutlicht wiederum die Rückkehr aus der Erinnerung in die Gegenwart.

169 B. Janowski, Konfliktgespräche, 326. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 170 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 546. 171 Zu der Deutung der Tempusformen vgl. H.-D. Neef, Arbeitsbuch. 172 Die möglichen Zeitaspekte der Präformativkonjugation in: M. Krause, Unterrichtsgrammatik, 120.

204

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Vers

Verb

Tempuswechsel / Mikroebene171

9

PK

Die temporale Deutung stellt sich, aufgrund des Kontextes schwierig dar.

10a

PK AK

Der Wechsel von der PK zur AK verdeutlicht den Kontrast zwischen dem Erfahrungswert Gott = Fels und der Gegenwart der Gottesferne.

10b

PK

In der PK verbindet der Beter fragend Vergangenheit und Zukunft.

11a

Inf. AK

Beschreibung der gegenwärtigen Situation durch AK und durch Infinitiv.

11b

Inf.

12a.b

s. o.

Vgl. 6a.b

43,1a

Imp. Imp.

43,1b

PK

Die Imperative in Verbindung mit der PK-Form verdeutlichen, dass sich die Gegenwart und die Vergangenheit nur durch Gottes erneutes Heilswirken in Einklang bringen lassen.

43,2a

AK

Vgl. Ps 42,10. Gott = Zuflucht (Nominalsatz / Gegenwart)

43,2b

PK

Im Kontrast zu V. 2a wird die Verwerfung des Beters zu Gott nun in die bis in die Gegenwart andauernde Vergangenheit gelegt.

43,3a

Imp. PK

Es tritt durch die Kombination des Imperativs mit den PK-Konjugationen eine Gegenwartsperspektive in den Blick.

43,3b

PK

43,4a.b

PK PK

Der Kohortativ synthetisiert Gegenwart und Zukunftserwartung: Der Beter steht unmittelbar vor dem Eintritt ins Heiligtum.

43,5a.b

s. o.

Evtl. erinnernde Funktion des Refrains

Es wird eine zeitliche Entwicklung innerhalb des Doppelpsalms deutlich, die in einer positiven Auflösung der Spannungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart mündet. Die bisher herausgearbeiteten Beziehungsumschwünge und der Stimmungsumschwung spiegeln sich auch in der zeitlichen Gestaltung des Psalms wider. Der erste Abschnitt in Ps 42,2–4 ist geprägt von der Gegenwartsbeschreibung. Zwischen der andauernden Notsituation und der Zukunftshoffnung wird eine Diskrepanz augenfällig, die analog zur räumlichen Situation geschildert wird (Kap. 4.4). Die Gegenwartsbeschreibung schlägt dann in die selbstreflexive Auseinandersetzung mit der Erinnerung in Ps 42,5–7 um, die in der PK-Form formuliert ist und einen Versuch des Beters darstellt, die heilvolle Vergangenheit und die leidvolle Gegenwart in Einklang zu bringen. Zugleich klingt durch den Imperativ in V. 6b an, dass sich diese Diskrepanz nicht aus eigener Kraft harmonisieren lässt.173 Ps 42,8 ist durch den Tempusgebrauch als Brückenvers zu bezeichnen, der sowohl das Ergebnis der Selbstreflexion schildert als auch den er 173 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 341 f.

Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen 

205

neuten Beziehungsumschwung einleitet. Will man V. 9 mit der Situation des Beters in Einklang bringen, muss diese Einfügung als eine Prolepse und damit futurisch verstanden werden.174 Ps 42,10–12 bringen die Differenz zwischen Gegenwart (Ps 42,2–4) und Vergangenheit (Ps 42,5–7) klagend vor Gott (zweiter Beziehungsumschwung).175 V. 12b fasst durch den Imperativ das Ergebnis der Klage zusammen: Vergangenheit und Gegenwart bleiben im Widerspruch. Erst in Ps 43,1–3 wird Gott jedoch als reale Lösung für die Gegenwart in den Blick genommen (dritter Beziehungsumschwung). In Ps 43,1a.b findet mit dem doppelten Imperativ eine deutliche Gegenwartsausrichtung des Beters statt. Er blickt in Ps 43,2 aus der Gegenwart (V. 2a) in die Vergangenheit (V. 2b), die bis in die jetzige Situation andauert. Dabei ist der Imperativ auch in V. 3 bestimmendes Gestaltungsmoment und rückt die Zukunftsperspektive in den Blick. Im Anschluss zeichnet sich in Ps 43,4 f. eine Heilsperspektive für die Gegenwart ab (Stimmungsumschwung). Die Gegenwarts- bzw. unmittelbare Zukunftsperspektive löst die Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf, verweist aber durch den Refrain am Schluss auf diese Spannung.176 Der Refrain kann im Anschluss an die gewendete Situation als abschließende Ermutigung und erinnernde Repetition des Beters verstanden werden (Kap. 3.2.21).

4.6 Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen 4.6.1 Vergleiche Bereits in der Einordnung von Ps 42/43 innerhalb der beiden Korachpsalmengruppen (s. o.) ist deutlich geworden, dass zahlreiche Bezüge zwischen den einzelnen Texten bestehen, die auf eine planvolle Komposition und dadurch auf eine Sinnstruktur verweisen. Sie müssen daher auch in eine Strukturanalyse von Ps 42/43 mit einbezogen werden. Die bereits beobachteten Gemeinsamkeiten können durch einige weitere Bezüge ergänzt und thematisch geordnet werden.177 Die folgenden Beobachtungen stellen eine Auswahl an thematischen Bezügen dar, die für das Verständnis von Ps 42/43 von besonderer Relevanz sind. Der erste Psalm der zweiten Korachpsalmengruppe liefert in Ps 84,4 einen eindrücklichen Vergleich, der metaphorisch die Sehnsucht nach dem Heiligtum reflektiert, sodass die beiden Vergleiche aus Ps 42,2 und Ps 84,4 in einem ähnlichen Kontext (vgl. Ps 42,3 f.) stehen. Im Gegensatz zu der Feindklage, in der



174 Vgl. S. Olofsson, Deer, 52. 175 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 341; S. Olofsson, Deer, 50 f. 176 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 350. 177 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 179.

206

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

häufig Vergleiche mit wilden Tieren vorkommen, vergleicht sich der Beter in der Ich-Klage eher nicht mit aggressiven Tieren (Ps 84,4).178 Auch der Sperling hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest, wohin sie ihre Jungen gelegt hat – deine Altäre, JHWH der Heerscharen, mein König und mein Gott.

Während Ps 42,2 die Lebensnotwendigkeit des Tempels für den Beter in den Vordergrund stellt, betont Ps 84,4 seine Schutzfunktion. Durch die Stichworte ‫בית‬ („Haus“), ‫„( את־מזבחותיך‬deine Altäre“) und ‫„( מלכי‬mein König“) wird deutlich, dass auch hier eine Verbindung königlicher Elemente mit Tempelsymbolik stattfindet (Kap. 3.2.3). In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass der Terminus ‫אל חיי‬ („Gott meines Lebens“) nur in unmittelbarer Nähe dieser Verse, in Ps 42,3 und in Ps 84,3 (sonst nur noch in Hos 2,1; Jos 3,10) vorkommt.179 In dem letzten Psalm der Korachpsalmengruppen in Ps 88,5 findet sich ein weiterer Vergleich, jedoch außerhalb des Tempelbilds, der klanglich durch den Begriff ‫„( איל‬Kraft“180) an ‫„( איל‬Hirschkuh“) aus Ps 42,2 anzuspielen scheint. Dadurch könnte Ps 88,5 auf die Situation der Verborgenheit des lebensspendenden Gottes aus Ps 42,2 f. anknüpfen (Ps 88,5): Ich bin denen gleich geachtet, die in die Grube fahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat.

Vor diesem Hintergrund wird die Schwäche der Hirschkuh mit der Schwäche des Beters verbunden und der Beter aus Ps 42/43 mit dem Mann aus Ps 88 identifiziert. Ps 88 greift den Klagetonus aus Ps 42/43 wieder auf und verweist durch die Stichwortverbindung an den Anfang der Korachpsalmengruppen zurück. Es ergibt sich dadurch ein Verweis auf ein erneutes repetitieren der Korachpsalmengruppen. In Anbetracht des positiven Gegengewichts, das Ps 84 darstellt, legt sich die Frage nach einer prozesshaften Gestaltung der Korachpsalmen nahe (Kap. 2.3 und 4.8).

178 P. v. Gemünden, Tiersymbolik, 535. 179 Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 177. 180 I. Kottsieper zeigt, dass die Lexikonartikel zu ‫ איל‬ergänzungsbedürftig sind, sodass hier auch andere Übersetzungsmöglichkeiten in Erwägung gezogen werden müssen (bspw. „Hilfe“). Vgl. Ders., „Was du ererbt von deinen Vätern…“, 51–58.

Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen 

207

4.6.2 Leben(skraft) (‫)נפש‬ Die Leben(skraft) (‫ )נפש‬stellt neben den verschiedenen Gottesbezeichnungen den häufigsten Begriff in Ps 42/43 dar (42,2b; 3a; 5a; 6a; 7a; 12a; 43,5a) und bildet dadurch eine Concatenatio zwischen Ps 42/43 und anderen Versen in den Korachpsalmen. Es fällt zunächst ein Vers aus dem Folgepsalm Ps 44,26 ins Auge:181 Denn unser(e) Lebens(kraft) (‫ )נפשנו‬löst sich in den Staub auf, unser Leib liegt am Boden.

Die Leben(skraft) (‫ )נפש‬des einzelnen Beters aus Ps 42/43 wird in Ps 44,26 f. in die Gemeinschaft integriert und die individuelle Not mit der Not des Volkes synchronisiert. Dass eine Betonung und Bestärkung der Klage aus Ps 42/43 vorgenommen wird, zeigen die Ich-Einschübe (Ps 44,5.7.16).182 Für Ps 42/43 kann daher festgehalten werden, dass die Verortung des Einzelnen in der Gemeinschaft kaum zu überschätzen ist. Die Reflexion der eigenen Leben(skraft) (‫)נפש‬ ist unmittelbar verbunden mit der Gemeinschaftserfahrung (Ps 42,5).183 Auch die Concatenatio stützt damit die bisherigen sprachlich-strukturellen Beobachtungen zur Ich-Sphäre: Die selbstreflexive Auseinandersetzung des Beters erfolgt konnektiv über seine Leiblichkeit und seine soziale Konstituiertheit, die wiederum untereinander von Konnektivität geprägt sind. Die Auflösung des(r )Lebens(kraft) (‫ )נפש‬als Repräsentantin der Desintegration des Beters innerhalb seiner Leib- und Sozialsphäre signalisiert sowohl in Ps 42/43 als auch in Ps 44(,27) den emotional-physischen Tiefpunkt des Beters, dessen Erreichen den Beter wieder weg von sich selbst, hin zu Gott blicken lässt.184 In Ps 84,3 findet sich die Lebenskraft (‫ )נפש‬in ähnlicher Weise als Ort der Sehnsuchtsempfindung nach Gott und wird durch die Parallelstruktur des Verses durch die Begriffe ‫„( לב‬Herz“) und ‫„( בשר‬Leib“) expliziert: Sie sehnt sich, ja sie schmachtet, mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬nach den Vorhöfen des JHWH, mein Herz und mein Leib, sie rufen zum lebendigen Gott.

Über den Begriff Leben(skraft) (‫ )נפש‬und das damit verbundene Sehnsuchtsmotiv wird die Eröffnung der zweiten Korachpsalmengruppe inhaltlich an die Eröffnung der ersten Korachpsalmengruppe angeschlossen (Ps 42,2 f.). In Ps 84 steht die positive Beschreibung des Tempels als geschützter Wohnort des Men 181 Für den Bezug zu Ps 44,26 f. vgl. auch Kap. 3.2.9. 182 Vgl. M. P.  Maier, Gottesberg, 656. 183 Dies ist nicht zuletzt in der Verschränkung von sozialen Beziehungen und Selbstwahrnehmungen in der ‫ נפש‬als Ort und Ausdrucksmedium begründet. Vgl. D.  Bester / B.  Janowski, Anthropologie, 28. 184 Vgl. J. v. Oorschot, Translation, 127.

208

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

schen im Vordergrund.185 Die existentielle Erkenntnis, dass die gedankliche und körperliche Ausrichtung gen Zion erfolgen muss, um am Leben zu partizipieren wird zudem durch die Beschreibung Gottes als ‫ אל־חי‬wieder aufgegriffen, sodass die Korachpsalmen ebenso wie Ps 42/43 die physische und geistige Bewegung zu Gott nachzeichnen: „Der Mensch vermag sein Leben coram Deo nur zu verstehen, wenn sich ihm die Welt von Gottes Tempel her erschließt.“186 Antagonistisch zu dieser Gottesnähe drückt Ps 88,4 mit dem Begriff ‫( נפש‬Leben(skraft)“) die absolute Entfernung von Gott als Todesnähe aus und erinnert an die Todesbedrohung aus Ps 42,8 (Ps 88,4): Denn mit Leiden ist gesättigt mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬ und mein Leben ist dem Totenreich nahe.

In Ps 88,15 wird die Verbindung zwischen „Angesicht Gottes“ und Leben(skraft) (‫ )נפש‬hergestellt, wie sie auch in Ps 42,2 f. zu finden ist. Im Vergleich zur Frage nach dem „Wann“ des Wiedersehens des Angesichts Gottes in Ps 42,2 f., erscheint der Vorwurf in Ps 88,15 direkt und in gesteigerter Form. Die Verborgenheit Gottes, die in Ps 42/43 bereits thematisch bestimmend ist, wird in Ps 88 als Vorwurf explizit an JHWH gerichtet (Ps 88,15): Warum, JHWH, verstößt du mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, verbirgst du dein Angesicht vor mir?

Ps 88,15 verweist durch die Frage nach dem Angesicht Gottes, welches einziger Lebensspender der ‫ נפש‬ist, zurück auf den Beginn der ersten Korachpsalmengruppe (Ps 42,3b.).187 Die Concatenatio, die über den Begriff Leben(skraft) (‫ )נפש‬innerhalb der beiden Korachpsalmengruppen hergestellt wird, zeigt, dass die direkte physische und geistige Hinwendung des betenden Ichs an den über den Zion herrschenden Gott der einzige Weg zum Leben ist.188 Die selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Zerfall des(r) Lebens(kraft) (‫ )נפש‬treibt den Beter weiter voran. So wird die Frage aus Ps 43,3b in veränderter Form auch am Ende der zweiten Korachpsalmensammlung in Ps 88,15 wiederaufgenommen. Es zeichnet sich eine bewusste Gestaltung des Stimmungsumschwungs als Ergebnis eines Prozesses ab, der makrostrukturell über Ps 42/43 hinausgeht. Der Rückfall in die Klage in Ps 88 bildet den Anschluss an den Reflexionskreislauf des Beters, der in Ps 43,4 f. sein (vorläufiges) Ziel findet.

185 Vgl. O. Dyma, Wallfahrt, 291.299. 186 H. Spieckermann, Gotteslob, 206. 187 Zudem verweist die Wendung ‫ אלהי ישועתי‬aus Ps 88,2 auf den Refrain in Ps 42,6.12; 43,5. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 378. 188 Vgl. J. v. Oorschot, Translation, 27.

Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen 

209

4.6.3 Wasser Eine wichtige Beziehung zwischen Ps 42/43 und Ps 46 stellt das Wortfeld „Wasser“ her (Ps 46,3–5): 3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, 4 Mögen seine Wasser tosen und schäumen, die Berge erbeben durch sein Aufbäumen! Sela. 5 Eines Stromes Arme erfreuen die Gottesstadt, die heiligste der Wohnungen des Höchsten.

In V. 3–5 werden gleich mehrfach Aspekte der Wassermetaphorik deutlich.189 Zum einen stellen die Wasserkräfte Chaosmächte dar, die die Welt bedrohen. Zum anderen stehen sie den geordneten Wassern der Gottesstadt gegenüber, wodurch die Metapher positiv gewendet wird.190 Diese positive Konnotation kommt auch in Ps 48,8 zum Ausdruck, da durch die Wassermotivik ein Rückblick auf das helfende Handeln Gottes in Anbetracht von Feinbedrohung beschrieben wird: Durch den Sturm vom Osten zerbrichst du die Tarsisschiffe

Es kann daher, analog zu Ps 42/43, in der ersten Korachpsalmengruppe eine Wandlung von der Todesverfallenheit (Ps 42,8) zum Leben (Ps 43,3 f.; Ps 48,8) erkannt werden. Die Makrostruktur (Ps 42/43–48191) entspricht damit der Mikrostruktur (Ps 42/43), wohingegen Ps 49 wiederum in einem deutlichen Gegensatz steht und den Antagonismus Leben-Tod in einer weisheitlichen Belehrung erneut thematisiert.192 Ps 49 erklärt dadurch sowohl den textinternen Wandel in Ps 42/43 als auch in Ps 42/43–48, wenn er aufzeigt, dass allein der Weg zu Gott zum Leben führt (Ps 42,5–7; 49,8).193 An die Tempelwasser, die das Bachtal fruchtbar machen, scheint auch in Ps 84,7 gedacht zu sein, wenn von „den Menschen, die Kraft finden in dir, die Pilgerwege in ihrem Herzen haben.“ (V. 6) die Rede ist (Ps 84,7): Ziehen sie durch das Bachtal, machen sie es zum Quellgrund, und in Segen hüllt es der Frühregen.

189 Vgl. M. Lichtenstein, Gottesstadt, 234, Anm. 190 Vgl. M. P.  Maier, Gottesberg, 656. 191 Ps 45 eröffnet als Einschub eine Perspektive für die Aufnahme von Heiden in das erwählte Volk. Vgl. a. a. O., 659. 192 Vgl. a. a. O., 663. 193 Vgl. a. a. O., 664.

210

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Hier scheint eine explizite Verlagerung des tatsächlichen Wallfahrtsweges zu dem Tempel als Ort des Tempelwassers stattzufinden. Gerade Ps 84,7 scheint daher bereits vor dem Hintergrund der Möglichkeit einer geistigen Wallfahrt zu stehen, bei der derjenige im Haus Gottes wohnt (V. 5), der durch Wege des Herzens dorthin gelangt. Der vorletzte Psalm der zweiten Korachpsalmengruppe schließt mit der Zielangabe (Ps 87,7): Und man singt beim Reigentanz: Alle meine Quellen sind in dir.

Dagegen führt der letzte Psalm der Korachpsalmen wieder zurück in die Fremde, fernab von Tempel und Licht schließt dadurch den Kreis zu Ps 42/43, wie die Stichwortverbindung ‫ משבר‬zwischen Ps 42,8 und 88,8 und der letzte Vers der Komposition erkennen lassen (Ps 88,8): Auf mir liegt schwer dein Zorn, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergebeugt. Sela.

4.6.4 Tempel – Angesicht Die Tempelterminologie stellt ein übergeordnetes Motiv der beiden Korachpsalmengruppen dar, das eine richtungsweisende Funktion innerhalb der Wallfahrtsgebete übernimmt (Kap. 4.6.3). Die Psalmen 46; 48; 84 und 87 greifen die Zionstheologie explizit auf. Als Ort der Gottespräsenz werden in den Korachpsalmen der Tempelberg und die Gottesstadt194 genannt. Zudem gehört in den Bereich der Tempelsymbolik eine Vielzahl von Elementen, die hier exemplarisch in synchroner Abfolge der Korachpsalmen behandelt werden (Kap. 4.2.5.1 und 4.2.5.2). Für Ps 44,4 kann in Hinblick auf die Rolle des Tempels festgehalten werden, dass solare Elemente den horizontalen mit dem vertikalen Kosmos verbinden und seinen Angelpunkt im Tempel lokalisieren. Das „Licht des Angesichts“ wird als ein Charakteristikum Gottes beschrieben, das helfend von diesem ausgeht (Ps 44,4): Denn sie haben das Land nicht eingenommen durch ihr Schwert, und ihr Arm half ihnen nicht, sondern deine Rechte, dein Arm und das Licht deines Angesichts; denn du hattest Wohlgefallen an ihnen.

Folglich ist, antithetisch dazu, das verborgene Angesicht Ursprung jeglicher Not (Ps 44,25):

194 Die Nennung der Gottesstadt erfolgt lediglich in Ps 46; 48 und 87.

Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen 

211

Warum verbirgst du dein Angesicht, vergisst unsere Not und unsere Bedrängnis?

Die Frage nach dem „Angesicht Gottes“ aus Ps 42/43 wird in Ps 44 perspektivisch von dem Individuum auf die Gemeinschaft ausgeweitet und ist Ausdruck des Verlusts von Tempel, Königtum und Exilserfahrung.195 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Selbstreflexion in Ps 42,5–7.12(; 43,5) in besonderer Weise als eine Reflexion der Sozialsphäre des Beters da, die von diesen kollektiven Erinnerungen geprägt ist und die, aufgrund der konnektiven Abhängigkeit, mit dem Zerfall des(r) Lebens(kraft) (‫ )נפש‬einhergeht. Es ist die doppelte Reflexion der Leib- und Sozialsphäre durch die Artikulation einer Ich-Sphäre, die den Beter in seiner existentiellen Krise wieder zu Gott finden lässt.196 Diese Begegnung mit Gottes Angesicht stellt sich, analog zu der kollektiven Leiderfahrung, als Gemeinschaftserlebnis dar (Ps 44,9): Wir rühmen uns Gottes den ganzen Tag, und deinen Namen preisen wir immerdar. Sela.

Mit einem Hochzeitslied antwortet Ps 45 auf die Klage des Gottesvolkes aus Ps  42/43 f.197 Ein Einzelner stimmt den Lobgesang auf einen König an, dessen Name nicht erwähnt wird: Er beschreibt ihn als idealen Herrscher, der alle positiven Eigenschaften in sich vereint (Schönheit, Stärke und Pracht, Gerechtigkeit, Demut und Wahrheit, Vv. 3–5), der unter dem besonderen Schutz Gottes steht (Vv. 3.7–8) und dessen Regentschaft weder zeitlich noch räumlich begrenzt ist (Vv. 7.17.18). Nach der Klage von 44,25, dass Gott sein Angesicht verborgen habe, erscheint er als dessen aufgedecktes Angesicht, als Erfüller aller Bitten der vorhergehenden Psalmen.198

Selbst die Bedrohung durch den Feind wendet der König (vgl. ‫ איב‬in Ps 42,10; 43,2; 44,17), indem er die Völker unterwirft (vgl. Ps 45,6),199 die durch den Lobpreis in Ps 45,18 in die Heilsperspektive mit einbezogen werden. Ps 45 lässt sich innerhalb der Korachpsalmen zum einen als Antwort auf die Klagepsalmen 42/43 f. verstehen, zum anderen erscheint hier die Wallfahrt zum Tempel in transformierter Gestalt als Hochzeitsprozession, die den Weg zur Aufnahme ins Gottesvolk und darüber zu Gott auch einzelnen Heiden ermöglicht.200 195 Vgl. A. Berlin, Psalms, 71–74; C. Süssenbach, Psalter, 365. 196 Zunächst findet diese Hinwendung klagend (Ps 42,8–12), dann bittend (Ps 43,1–3) und schließlich lobend (Ps 43,4) statt. 197 Dass dieser sowohl als Hochzeitslieds eines judäischen Königs zu verstehen ist als auch für die Deutung der Hochzeitsthematik in Hinsicht auf die Tochter Zion offen ist, hat R. S. Salo jüngst in ihrer Untersuchung gezeigt. Vgl. Dies, Königspsalmen, 150. 198 M. P.  Maier, Gottesberg, 657. 199 Vgl. a. a. O., 658. 200 Vgl. a. a. O., 658 f.

212

Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Die Psalmen 46–48 lenken den Blick wieder auf Gott (Ps 46,2) und den Tempel, der als Ort der Freude (Ps 46,5: ‫שמח‬, Ps 43,4: ‫ )שמחה‬den gemeinsamen Zielpunkt der Korachpsalmen markiert.201 Mit B. Janowski kann festgehalten werden, dass die in Ps 46 entworfene Theologie Jerusalems eine „Symbolik des Zentrums“202 erkennen lässt, die JHWH im Stadtinneren, die Chaosmächte hingegen in der Peripherie verortet (Ps 46,6–8):203 6 Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken, Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht. 7 Nationen toben, Königreiche wanken, er lässt seine Stimme erschallen, und die Erde erbebt. 8 JHWH der Heerscharen ist mit uns, eine Burg ist uns der Gott Jakobs. Sela.

Eine ähnliche Vorstellung findet sich in Ps 42/43, wenn von der räumlichen Entfernung des Beters (Ps 42,3b) und seiner Bedrohung durch Chaosmächte (Ps 42,8) im Gegensatz zum Wohnort Gottes (Ps 43,4) die Rede ist. In Ps 46 findet eine hymnische Ausgestaltung dieser räumlichen Spannung statt, die den Sehnsuchtsort des Beters wiederholt in den Blick rückt und auf der größeren Textebene der Korachpsalmen das Erreichen des Tempels beschreibt. In Anbetracht dessen ist es plausibel, dass im Anschluss die Völker dazu aufgefordert werden, „das Frieden stiftende Wirken ihres Gottes wahrzunehmen und seine Herrschaft anzuerkennen (Ps 46,9–11), ihm als König zu huldigen (Ps 47,2.7–8) und ihre Erfahrungen an künftige Generationen weiterzugeben (Ps 48,13–15).“204 Ps 48 beschreibt den Zion als das von Beginn an ersehnte Ziel (Ps 48,2) und verbindet ihn namentlich mit der Gottesstadt (‫ הר־ציון‬in Ps 48,3).205 Der Ort der Gottespräsenz wird in universaler Perspektive als ‫( עיר אלהינו‬vgl. Ps 48,2.8) bezeichnet und innerhalb der Tempelsprache findet auch das Thema der Gerechtigkeit Eingang (‫ צדק‬in 48,11), das mit R. Müller analog zu Deuterojesaja (42,6.12; 45,8.13.19; 51,5) als Heilstat an Israel verstanden werden kann.206 Die Gerechtigkeitsthematik aus Ps 43,1 f. steht in einem spannungsvollen Verhältnis zur Heilstat an Israel.207 Daran anschließend verdeutlicht Ps 49 die Voraussetzungen und Auswirkungen der Gerechtigkeit Gottes in weisheitlicher Perspektive und schildert als Kon 201 Vgl. a. a. O., 660. 202 B. Janowski, Wohnung, 48 f. 203 Zu dem Mitte-Motiv in Ps 46 vgl. M. Lichtenstein, Gottesstadt, 260 f; A. Basson, Metaphors, 200. 204 B. Janowski, Wohnung, 659. 205 K. Seybold sieht hier einen nachträglichen Zusatz, da der Psalm ursprünglich auf die Stadt Dan bezogen sei. Vgl. K. Seybold, Psalmen, 195 f. 206 Vgl. R. Müller, Wettergott, 192. 207 Vgl. M. Lichtenstein, Gottesstadt, 397–399.

Intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen 

213

sequenz für das Verhalten des Toren den Tod. „Haus“ und „Wohnung“ sind dann nicht mehr das Haus Gottes, sondern Gräber für den Menschen (vgl. 49,12), sodass sich der Gegensatz (Weg zum / r) Haus / Herrlichkeit Gottes = Leben versus eigene Herrlichkeit = Tod ergibt.208 Dementsprechend steht das Preisen des Angesichts Gottes der negativ zu bewertenden Verherrlichung der eigenen Person gegenüber (Ps 49,19): Wenn sein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשו‬in seinem Leben [sich selbst] preist: Sie preisen dich, weil du es dir gut gehen lässt.209

Ps 49 nimmt dadurch eine weisheitliche Deutung von Ps 42/43 vor und liefert die Erklärung für die ergebnislose Selbstreflexion in Ps 42,5–7.12(; Ps 43,5). Die Eröffnung der zweiten Korachpsalmengruppe nimmt die Tempeltheologie wieder auf: „So zeigt Ps 84 wie kaum ein anderer Text des Psalters eine weitgehende Verschränkung von Aussagen über Zion und Heiligtum, Heiligtum und Gott, Gott und Zion.“210 Wie in Ps 42/43 steht auch hier die Sehnsucht des betenden Ichs (repräsentiert durch die ‫ )נפש‬nach dem Heiligtum, nach dem ‫אל חי‬ im Mittelpunkt: Dabei hat der Tempel die entscheidende Vermittlungsfunktion. Er ist der Raum, in dem die Beziehung Gottes zum Menschen gelebt werden kann, mehr noch: in der der Mensch im wahren Sinne allein lebensfähig ist.211

Der Akzent liegt auf der Beschreibung des Tempels als Lebensraum des Beters.212 Auf die Funktion Gottes als alleiniger Retter verweist auch die einleitende Anrede in Ps 88,2: ‫יהוה אלהי‬, wodurch auf den Refrain in Ps 42,6.12; 43,5 anspielt. Auch der letzte Psalm der Korachpsalmengruppen nimmt ‫„( ידה‬preisen“/„loben“) in Ps 88,11 wieder auf und kontrastiert analog, dass Gott als Gott des Lebens der Situation der Todesnähe des Beters gegenübersteht, die vom Gegenteil zeugt.213 Dadurch wird auch an dieser Stelle die enge Verknüpfung des Angesichts Gottes mit der vom Tempel ausgehenden Gerechtigkeit deutlich (vgl. Ps 88,12: ‫)אמונה‬. Im Gegensatz zu dem „Licht“ (‫ )אור‬des Angesichts Gottes, das in Ps 43,3 eine konkret leitende Funktion übernimmt, steht die Rede von dem „verborgenen Angesicht“ (vgl. Ps 88,15: ‫ )תסתיר פניך ממני‬und der „Finsternis“, die besonders den letzten Psalm der Korachpsalmengruppen prägt (vgl. Ps 88,7.19: ‫ ;מחשך‬13: ‫)חשך‬. Das Thema der Verborgenheit des Angesichts Gottes, die damit verbundene Todesnähe und zul

208 Vgl. J. Schnocks, Psalmen, 23 f. 209 Zu dieser Übersetzung vgl. auch B. Weber, Psalmen I, 224. H.-J. Kraus nimmt hier eine Emendation vor und übersetzt: „es geht ihr gut“. Vgl. Ders., Psalmen 1–59, 518. 210 C. Körting, Zion in den Psalmen, 96. In Ps 87 wird dann die Perspektive auf „Die mich kennen“ (Ps 87,4) erweitert. 211 H. Spieckermann, Gotteslob, 206. 212 Vgl. a. a. O., 207. 213 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 485.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

gleich die Sehnsucht nach dem Angesicht Gottes und nach dem Leben verweisen zurück auf Ps 42/43. Dieser, so zeigen die Beobachtungen zur Tempeltheologie in den Korachpsalmen, bringt eine Bewegung in Richtung einer Gottesbegegnung zum Ausdruck, die sich über beide Korachpsalmengruppen erstreckt und sich wie folgt zusammenfassen lässt: Thema ist der Beter, der die Wallfahrt im Herzen hat, der weiß, worauf sein Leben gegründet ist und auf welches Ziel es ausgerichtet sein muss, wenn Gottvertrauen die Kraft des Lebens sein soll. Der Beter, der die Wallfahrt im Herzen hat (V. 6), jubelt mit Herz und Leib dem lebendigen Gott zu, dem er sein Leben verdankt (V. 3).214

In Hinblick auf die Frage nach der Ich-Sphäre kann daher festgehalten werden: Von der Gottesbegegnung sind die Lebenskraft (‫ )נפש‬des Beters und seine soziale Integration unbedingt abhängig. Die Reflexion dieser Abhängigkeit der eigenen Leib- und Sozialsphäre führt über die erinnernde Vergegenwärtigung Gottes in die hoffende Rezitation, durch die sich der (Nach-) Beter emotional und physisch in Richtung der Gottesbegegnung begibt.

4.6.5 Gebet Das Stichwort ‫„( תפלתי‬mein Gebet“) kommt, bis auf Ps 42,9, ausschließlich in der zweiten Korachpsalmengruppe vor und ist daher wahrscheinlich redaktionell im Rahmen der Zusammenfügung beider Sammlungen mit eingebracht worden. Ps 42,9 knüpft an das Bild aus Ps 88,2 f. an, wodurch auf einen zyklischen Gebetsprozess verwiesen wird, der auch hier durch den Kontext einer Tag-Nacht-Metaphorik geprägt ist (Ps 88,2b: ‫)יום־צעקתי בלילה נגדך׃‬. Damit offenbart sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Gebet und Abwehr des Chaos: Der Beter weiß: Gott schenkt solche Gebete in der Nacht, Gebete in dem Dunkel, das seit der Schöpfung seine unklare Nähe zur chaotischen Finsternis nicht verloren hat. Zugleich ist sie kein Raum, den Gott tatenlos an andere Mächte preisgäbe. Seine dagegen gerichteten Waffen sind freilich eigener Art: geschenkte Gebete in der Nacht.215

Das Ende der zweiten Korachpsalmengruppe verweist zudem durch das Stichwort ‫„( תפלתי‬mein Gebet“) nicht nur auf den Beginn der ersten Korachpsalmengruppe zurück, sondern auch auf den Beginn der zweiten Korachpsalmengruppe in Ps 84,9.216 Der Begriff ‫„( תפלתי‬mein Gebet“) kommt nur mit Suffix der 1. Pers.

214 H. Spieckermann, Gotteslob, 210. 215 A. a. O., 196. 216 Es liegt dadurch nahe, Ps 42,9 als Einschreibung im Rahmen der Zusammenstellung der ersten mit der zweiten Korachpsalmengruppe anzunehmen (Kap. 2.3.4).

Zwischenergebnis

215

Sg.com. vor, wodurch das Gebetsmotiv hier als persönlicher Frömmigkeitsritus217 gestaltet ist. Vor diesem Hintergrund bietet sich gerade Ps 42 mit der großen IchKlage in Ps 42,4–7 und dem darin enthaltenen selbstreflexiven Zentrum als Psalm für eine solche Einschreibung an. Durch die intertextuellen Bezüge wird zum einen ein gemeinsamer Vorstellungshintergrund mit einer Tempelzentriertheit im Unterschied zur Peripherie der Chaosmächte deutlich, in der ein horizontales Weltbild besonders betont wird. Durch die Vorstellung der JHWH-Präsenz auf dem Tempelberg wird mittels Tempelmetaphorik dort das Leben und die Gerechtigkeit verortet. Zum anderen scheint eine individuelle Frömmigkeit bei der Zusammenfügung der Korachpsalmengruppe ein besonderes Interesse darzustellen, die dazu führt, die Psalmen als zyklischen Leseprozess eines persönlichen Gebets zu gestalten, das Ausdruck einer psychosomatischen Bewegung zur Gottesbegegnung ist. Zu dieser führt innerhalb dieses Gebetsprozesses die Formulierung der Ich-Sphäre als ganzheitlicher Vorgang der Selbstreflexion der Leib- und Sozialsphäre. Sie lässt den Beter Gott als den Lebensgrund erkennen und richtet ihn auf den Lebensraum Tempel aus.

4.7 Zwischenergebnis: Strukturanalyse von Ps 42/43 und hermeneutischer Ausblick Die Analyse von Ps 42/43 zeigt auf Strukturebene, dass an verschiedenen Stellen Perspektivwechsel erfolgen, die eine Wende in der Beziehung zwischen Beter und Gott ausdrücken, die als Beziehungsumschwünge bezeichnet werden können. Diese Beziehungsveränderungen lassen, trotz der königlich anklingenden „Angesicht Gottes“-Motivik, die den Beter als niedriger Gestellten darstellen, an ein freundschaftliches Beziehungsgeschehen denken (Kap. 4.2.1).218 Dieses erweitert die verschiedenen Klagemodi um die Dimension der Hin- bzw. Abwendung des Beters zu / von Gott. Die Beziehungsumschwünge sind sowohl durch die spannungsvolle Einbindung von Motiven zum Ausdruck der Gottesnähe- bzw. der Gottesdistanz gestaltet als auch durch sprachlich-formale Aspekte. Durch die Strukturbeobachtungen sind fünf Textphasen, gegliedert durch drei Beziehungsumschwünge, und einen Stimmungsumschwung identifiziert worden. Der Stimmungsumschwung in Ps 43,4 hebt sich aufgrund der Themenänderung ab: Der Gegenstand der Klage weicht dem Lob. Es handelt sich bei den Beziehungsund Stimmungsumschwüngen um Ausdrucksformen eines Prozessgeschehens, im Sinne einer Bewegung zu Gott hin. Dadurch werden fünf verschiedene Phasen 217 Zum Begriff „Ritual“/„Ritus“ vgl. Kap. 4.1. 218 J. Dietrich zeigt anhand von Ps 25,14, dass sich das Anvertrauen Gottes nicht allein auf herausragende historische Gestalten wie Moses beschränkt, sondern jede gottesfürchtige Person in ein vertrauensvolles Verhältnis mit Gott treten kann. Vgl. J. Dietrich, Friendship, 170 f.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

in der Haltung und Gemütsverfassung des Beters erkennbar: 1. In Ps 42,2–4 wird die Ausgangssituation im Klagetonus beschrieben, wobei eine Spannung zwischen den Gottesprädikationen entsteht, die Gott als Lebensquelle beschreiben, und dem existentiellen „Lechzen“ des Beters.219 Gott wird vier Mal erwähnt und zugleich durch zweifache Nennung der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) eng mit dem Beter verbunden. Die mit ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) verbundenen Verben verdeutlichen das existentielle Verlangen des Beters, bzw. seiner ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) nach Gott, zu dem sich der Beter hier hinwendet. Diese Ausrichtung des Beters wird durch das „Angesicht Gottes“ und die Wassermetaphorik tempeltheologisch gedeutet: „Versiegende Bäche“, „dürsten“, „lechzen“ und „Tränen“ verweisen dabei auf sein feindliches Umfeld (Ps 42,4b). 2. Ps 42,5–7(.8) beschreibt die auf Gerechtigkeit hoffende Hinwendung des Beters zu sich selbst, genauer eine kultische Vergegenwärtigung der lebendigen Gottesbeziehung durch dreifache Nennung der ‫„( נפש‬Leben(skraft)“), sodass ein Beziehungsumschwung stattfindet. Darüber hinaus veranschaulicht die klangliche Zusammenfügung in Ps 42,5–7, dass dieser Abschnitt als selbstreflexives Zentrum des Psalms eine Sinneinheit bildet (Kap. 4.2.4). Sie drücken das mentale Ringen des betenden Ichs mit der Gottesferne aus, die durch eine negative, an die ‫נפש‬ („Leben(skraft)“) gebundene Wassermetaphorik zum Ausdruck kommt. Sie wird in V. 8 als Konsequenz der Reflexion zur Bedrohung durch die Urfluten gesteigert und ist insofern nicht zu dem an Gott gerichteten Klagezyklus V. 10 f. zu zählen, da der Beter in der Innenperspektive verbleibt.220. Anstelle des ersehnten lebensspendenden Wassers, das Gott symbolisiert, löst sich die eigene „Leben(skraft)“ auf und braust gegen den Beter auf. Die negative Konnotation der Wassermetaphorik („ausgießen“, „Menge“, „zerfließen“, „aufbrausen“, „zerfließen“, „Jordan“) wird mit der positiven Erinnerung an den Tempel kontrastiert („einhergehen / hinübergehen“, „herrliche Hütte“, „Haus Gottes“, „Menge“, „preisen“) und mündet in den völligen Antagonismus in Ps 42,8 („Flut“, „Tosen“, „Wasser“, „Brandungen“, „Wellen“, „einhergehen / hinübergehen“). Die Explikation der Ich-Sphäre in Ps 42,5–7 ist damit als Versuch einer Überwindung der raumzeitlichen Dissonanz zwischen erlebter Gottesnähe und Gottesferne zu verstehen.221 3. Ps 42,10–12 nimmt den Klagetonus aus Ps 42,4 im Fragemodus wieder auf und steigert ihn. Der Klagehöhepunkt (V. 8–11) wird auch durch die Analyse der Fragepronomen bestätigt, die in Ps 42,(7.)8.10.11.(12a) gehäuft vorkommen (Kap. 4.2.3). Alliterationen halten das klagende Zentrum des Doppelpsalms in Ps 42,7–8.(10.)11 klanglich zusammen, sodass auch hier die negative Konnotation 219 Insbesondere durch den parabolischen Parallelismus in Ps 42,2 und die chiastische Struktur von Ps 42,2 f werden die ‫„( נפש‬Leben(skraft)“) und Gott zueinander in Beziehung gesetzt. 220 Dies wird unter anderem an der fehlenden expliziten Nennung Gottes und einer fehlenden direkten Ansprache an Gott deutlich. 221 Vgl. B. Janowski, næpæš, 161.

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der sprachlich expliziten Selbstreflexion und zugleich ihre Funktion als Auslöser der Hinwendung zu Gott deutlich wird. Diese manifestiert sich in der Begriffsverteilung von ‫„( נפש‬Leben(skraft)“), ‫ אלהים‬und ‫„( אל‬Gott“). ‫„( נפש‬mein(e) Leben(skraft)“) wird im Gegensatz zu den Versen davor nur noch einmal im Refrain (V. 12b) erwähnt, dagegen wird „Gott“ viermal (V. 10a.11b.12b/2x) erwähnt. Zudem gerät die Wassermetaphorik aus dem Blick (mit Ausnahme des Refrains in V. 12). Erst jetzt wird durch die Verbindung von Ps 42,4b mit Ps 42,10b wird deutlich, dass sich der Beter von „Feinden“ umgeben sieht. Diese Situation der Ungerechtigkeit klagt der Beter nun wieder bei Gott an und vollzieht dadurch einen erneuten Beziehungsumschwung. 4. In Ps 43,1–3 fehlt der überwiegend negativ konnotierte Begriff ‫„( נפש‬mein(e) Leben(skraft)“). Deutlich tritt zutage, dass Ps 42,2–4 seine Entsprechung in Ps 43,1–5 hat, da sich hier der Beter ganz zum ‫„( פני אלהים‬Angesicht Gottes“), zum Tempel, hinwendet. Die Tempelverweise: „Gott meiner Zuflucht“, ‫„( אור ואמת‬Licht und Wahrheit“), ‫„( בוא‬leiten“, „bringen“), ‫„( הר־קדש‬heiliger Berg“), ‫„( משכנותיך‬deine Wohnungen) lösen das Wortfeld „Wasser“ ab und es wird eine, wenn auch noch von dem Thema der Klage bestimmte, Hinwendung des Beters zu Gott deutlich, der damit in Ps 43,1a.b.3a in die Verantwortung genommen wird. Verbindendes Motiv ist die Wegmetaphorik (Kap. 4.5): 43,3a: ‫„( ינחוני‬sie sollen mich leiten“)222; 43,3b: ‫„( יביאוני‬mich bringen“)223. Mittels dieses Wechsels zu einer positiv bittenden Perspektive vollzieht sich ein dritter Beziehungsumschwung, der durch ein Homoioteleuton224 zur ersten Strophe in ein spannungsvolles Verhältnis gesetzt wird. Infolgedessen kann die vorherige klagende Hinwendung zu Gott als Voraussetzung für die Entwicklung einer Heilsperspektive aufgefasst werden. 5. Ps 43,4(.5) beinhaltet erstmals eine Heilsperspektive. Die Frage aus Ps 42,3b findet ihre Antwort in dem eindrücklichen Bild von dem Hineingehen in den Tempel als Ziel des Gesamtpsalms und dadurch als Stillung des Durstes. Ps 43,4 f. knüpft zudem sprachlich an die Bitte in Ps 43,3 an, indem durch „Altar Gottes“ und „preisen“ [x2, V.4 f.] die Hoffnung konkretisiert wird. In Ps 43,4 wird der Beter durch das Hineingehen „zum Altar“ der Präsenz Gottes teilhaftig und dadurch in einen Zustand der Gerechtigkeit versetzt (Stimmungsumschwung). In diesem veränderten Kontext erscheint der letzte Refrain als abschließende Selbstermutigung und Ergebnis der Selbstreflexion. Die Analyse der Bezüge innerhalb der Korachpsalmen (Kap. 4.6) legt zudem offen, dass das Tempelbild die Aspekte der Gottesgegenwart, der Kultgemeinschaft und der Gerechtigkeit zugleich symbolisiert und alle anthropologischen veranschaulicht werden. Die Gottesbegegnung auf dem Zion stellt nicht nur psalmintern, sondern auch makrostrukturell innerhalb der beiden Korachpsalmengruppen 222 3.Pers.Pl.mask.PK.Hif ’il +ePP 1.Pers.Sg.com. 223 3.Pers.Pl.mask.PK.Hif ’il +ePP 1.Pers.Sg.com. 224 Ps 42,5b: ‫„( רנה ותודה‬Jubel und Dank“); Ps 43,1b:‫„( מרמה ועולה‬falsch und böse“).

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

den Zielpunkt dar (vgl. die Klage über das verborgene Angesicht in Ps 88,15). Die einzelnen Textphasen des Psalms sind durch starke Metaphorik miteinander spannungsvoll verbunden und aufeinander bezogen und stellen eine aufeinander aufbauende und voneinander abhängige Entwicklung dar. Die Umschwünge, die diese Phasen einleiten, sind formal auf Satzebene erkennbar (Kap. 4.3). In den Untersuchungen zur räumlichen und zeitlichen Dimension ist der Tempel ferner als Symbol der raumzeitlichen Synthese deutlich geworden (vgl. Kap 4.4 und 4.5). In ihm werden die Spannungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Gottesferne und Gottesnähe, positiv aufgelöst. Vor dem Hintergrund der von F. Hartenstein postulierten Möglichkeit einer konkret-anschaulichen Begegnung des Beters mit dem „Angesicht Gottes“ im Gebetsritual, sowie der Korachpsalmen als Wallfahrtspsalmen kann vermutet werden, dass sich in den Beziehungsumschwüngen und dem Stimmungsumschwung eine psychosomatische Begegnung mit Gott manifestiert. In Folge dessen kann Ps 43,4 als Zielpunkt des emotionalen und realen Bewegungsvorgangs in Richtung des Tempels und dadurch als Heilserfahrung des Beters verstanden werden.225 Die Beziehungsumschwünge sind dann als kultisch-rituelle Ich-Integration durch Selbstreflexion zu deuten, die den Beter zum Stimmungsumschwung, zur Hinwendung zu Gott, genauer zur Begegnung mit dem „Angesicht Gottes“ führen. Es handelt sich dann nicht mehr um ein Nebeneinander von Klageformen, Bitte und Lob, sondern um einen planvollen Wechsel dieser Gebetsmodi, die die Beziehungsveränderung zwischen Beter und Gott ausdrücken. Ein hermeneutischer Schlüssel für diese Entwicklung wird durch den Text selbst, geliefert, indem dieser an zentraler Stelle in Ps 42,9 das Stichwort ‫„( תפלה‬Gebet“) einbringt. Es kann hier erkannt werden, was auch U. Rechberger als Ergebnis seiner „Studien zum Stimmungsumschwung in den Psalmen“ festhält: Indem durch das Psalmgebet jedoch der Text in die Erfahrungswelt tritt, wird im Gebetsverlauf aus einem Phänomen des Psalmtextes eine Erfahrung des Psalmbeters. So sind immer beide Ebenen im Blick zu behalten, die textinterne Seite des Psalmgedichtes und die Rezeption, Integration und Interaktion auch die textexterne Seite der Erfahrung.226

Eben zu dieser Doppelperspektive gehört es auch, und dahingehend muss U. Rechberger ergänzt werden, die Erfahrungswelt, auf die sich das Psalmgedicht ursprünglich bezieht – soweit diese rekonstruiert werden kann – mit einzubeziehen. Diese Notwendigkeit wird besonders in Hinblick auf die im Text dargestellten motivlichen Zusammenhänge zwischen Wasser, Gerechtigkeit und Tempel deutlich, die auf ein historisch bedingtes Symbolsystem verweisen, in das sich der Beter 225 Zu diesem doppelten Aspekt der emotionalen und realen Wallfahrt in den Korachpsalmen vgl. B. Janowski, Buchreligion, 228. 226 U. Rechenberger, Stimmungsumschwung, 343.

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durch das (Nach-)Beten des Psalms rituell in den Tempelkult integriert. Dementsprechend muss auch das Verständnis von Individualpsalmen als Gebetsformulare bzw. „Gebetsparadigmen“227, „als Sprachraum, in den hinein sich der jeweilige Beter integriert“228 erweitert werden um den tatsächlich durch den Psalm angesprochenen, physischen Raum des Tempelkults, dessen Spiegel und späteres Substitut der Text darstellt. Nur durch diese Außenbeziehung des Textes wird auch das Ergebnis des Reflexionsprozesses, der Stimmungsumschwung, erklärbar, sodass dieser keinesfalls als rein textimmanent begründet verstanden werden kann. Der gesamte Ablauf ist eingebunden in ein bestimmtes Raum-Zeit-Gefüge, das die Synthese von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewirkt, in die der Beter eingebunden ist. Daran wird noch einmal deutlich, dass ein „Vertrauensvorschuß“229 für die Erklärung des Stimmungsumschwungs nicht in Frage kommt, da der Beter hier gerade in seiner räumlich-zeitlichen Problematik thematisiert wird (insbes. in Ps 42,5–7), sodass eine einfache „Vorwegnahme“ auch psychologisch nicht erklärbar ist. Es gibt auf Textebene kein Unterscheidungsmerkmal, durch welches zwischen einer „Vorwegnahme“ und einer tatsächlich gewonnenen Gewissheit unterschieden werden könnte. Das liegt höchst wahrscheinlich daran, dass bei dieser psychologischen Erklärung des Stimmungsumschwungs, wie bereits mehrfach problematisiert wurde, eine Nichtbeachtung des kultischen Ursprungs, aber auch der weiteren Verwendung der Psalmen als Gebetsformulare im Hintergrund steht, oder wie A. E. Zernecke es formuliert: „Da es ein überindividuelles Gebetsformular ist, das hier die Gewißheit der Rettung antizipiert, kann die vorwegnehmende Realisierung der Rettung auch nicht als (individuelles) Sicherwerden interpretiert werden.“230 Man kann daher in der Zusammenschau dieser Überlegungen mit den Ergebnissen der Arbeit festhalten: „Lob und Lobversprechen, die von der geschehenen Rettung ausgehen, können das Vertrauen das Beters in die rettende Macht der Gottheit stärken […]. Dann fordert die Struktur den Beter auf, aus der Fixierung der Notlage heraus zur Hoffnung und Gewißheit auf das Eingreifen der Gottheit zu kommen.“231 Es wird deutlich, dass der Stimmungsumschwung im individuellen Nachbeten eine psychologische Wirkung entfalten kann, jedoch nicht umgekehrt das Ergebnis einer individuellen, psychologischen Entwicklung formuliert. Es ist ein „universales“ Gebetsformular, durch dessen Nachbeten sich die Haltung des Beters verändern kann. Die Selbstreflexion, die in den Beziehungsumschwüngen und letztlich im Stimmungsumschwung formuliert ist, stellt daher kein Zeugnis der Individualität dar, sondern vielmehr eine Ritualvorlage, in die das Individuum sich hineinintegriert. Dabei ermöglicht

227 Ausführlich erläutert a. a. O., 332–340. 228 A. a. O., 344. 229 Vgl. Kap. 4.1 Anm; C. Markschies, Vertrauensäußerungen, 1991, 386 ff. 230 A. E.  Zernecke, Handerhebungsgebete, 328. 231 Ebd.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

die reflexive Struktur eine prozessuale Veränderung der Gottesbeziehung und dadurch der Notlage und der Haltung des Beters. Diese Verankerung der Psalmen in den kultischen Vorstellungshorizont liefert auch die Erklärung dafür, dass es Klagepsalmen gibt, in denen sich der Stimmungsumschwung nicht als Ergebnis eines im Text explizierten Prozesses vollzieht.232 Sie verweisen implizit auf einen selbstreflexiven Vorgang im Beter, der sich durch das Gebetsritual eines (überindividuellen) Gebetsformulars vollzieht. An diese Partizipation an dem Kult, der als Tempelkult vorgestellt wird, ist der Stimmungsumschwung unbedingt geknüpft und ohne ihn verbliebe der Reflexionsprozess ergebnislos. Die Selbstintegration des Beters wird somit strukturell anhand des Stimmungsumschwungs deutlich, der durch Beziehungsumschwünge vorbereitet wird. Auch weniger prozesshaft aufgebaute Psalmen, wie Ps 13, bei denen „Stimmungsumschwünge“ unvermittelt auftreten, dienen als Reflexionsmedien der kultischen Selbstintegration, explizieren diese u. U. aber weniger deutlich als dies in Ps 42/43 der Fall ist. Auch sie sind als rituelle Prozesse verstehbar und dadurch, wenn auch nicht unbedingt in räumlicher Nähe vollzogen, eng mit ihrem kultischen Ursprungsort „Tempel“ verknüpft. Der Stimmungsumschwung ist daher nicht als „Vertrauensvorschuss“ zu verstehen, sondern als eine Formulareigenschaft, über die sich beim (Nach-)Beten eine Veränderung der Gebetshaltung durch rituelle Selbstintegration im Kult vollziehen kann. Die Selbstreflexion des Beters kann in den verschiedenen Wechseln von Klage, Lob und Bitte zum Ausdruck kommen und darüber hinaus, wie in Ps 42/43, durch die prozesshafte Abfolge von Beziehungsumschwüngen und Stimmungsumschwung expliziert werden. Unabhängig von einer nachvollziehbaren Prozessstruktur kann für den Wechsel von Klage und Lob festgehalten werden: So umfassend, wie die Notsituation in allen Dimensionen beklagt wird (Verlust des Gott, Welt,- Selbstbezugs), so umfassend führt das Gebetsritual zur Integration. Der Strukturverlauf lässt insgesamt eine strukturelle Explikation der IchSphäre erkennen, bei der planvoll eingesetzte „Beziehungs-“ und „Stimmungsumschwünge“ der Vermittlung selbstreflexiver Verhältnisse dienen. Konzeptionell kann für die Ich-Sphäre festgehalten werden, dass sie zum einen reflexiv-syntaktisch und narrativ-beschreibend konkret anschaulich wird (Kap. 3.5), zum anderen reflexiv-strukturell in der Veränderung Gottesbeziehung. Der selbstreflexive Prozess zielt in beiden Explikationsformen auf die Wiederherstellung personaler Identität und soll im Weiteren näher betrachtet werden (Kap. 5.1).

232 J. Wöhrle kommt in seiner Untersuchung zu Ps 13 zu dem Ergebnis, dass es sich um ein Nebeneinander von Klage / Bitte und Lob handle, das keinesfalls als prozesshafter Ablauf, sondern vielmehr als zwei Seiten des göttlichen Wesens zu verstehen sei: Gott als der Verborgene auf der einen Seite und Gott als vertrauenswürdiges, rettendes Gegenüber auf der anderen Seite. J. Wöhrle zeigt, dass sich der Stimmungsumschwung von der Klage zum Lob in Ps 13 nicht als Ergebnis eines vorangehenden Prozesses präsentiert. Vgl. ders., Klagepsalmen, 235.

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Exkurs: Ps 42/43 im Psalter als Heiligtum – Ein Reflexionsmedium und Kultsubstitut Im Rahmen der Struktur-Analyse von Ps 42/43 ist deutlich geworden, dass über die sprachliche Selbstreflexion hinaus einige Beobachtungen auf eine Strukturierung verweisen, die sich als selbstreflexiver Gebetsprozess darstellen lässt. Bezieht man dabei einige Überlegungen zur Funktion des Psalters als Komposition mit ein, erschließt sich der Verstehenshorizont, in dem Ps 42/43 endredaktionell gelesen werden will. Bereits die Einbettung innerhalb der Korachpsalmengruppen verdeutlicht durch einen ständigen Wechsel von der Klage zum Lob und durch intertextuelle Referenzen, dass sich Ps 42/43 als Teil eines Gebetszyklus und dadurch als ein Prozess darstellt, dessen hermeneutischer Schlüssel innerhalb der Korachpsalmen die redaktionelle Verknüpfung von Ps 42,9 und Ps 88,2 f. bildet (Kap. 2.3.3). Das Stichwort ‫„( תפלה‬Gebet“/„Lied“) kann als Gebrauchsbeschreibung für die beiden Psalmengruppen verstanden werden, die durch die weisheitlich geprägten Rahmenpsalmen Ps 42/43; 49; 84 und 88 verstärkt wird. Die hermeneutische Funktion ist mit Blick auf eine Gesamtpsalter-Perspektive vor dem Hintergrund zu bestimmen, dass der Psalter „originär einen nicht-liturgischen und kultunabhängigen Sitz im Leben“233 hat und selbst stark tempeltheologisch geprägte Psalmen in diesem Kontext verstanden werden wollen. Dabei ist davon auszugehen, dass einzelne Psalmen durchaus ursprünglich, vor der Gesamtkomposition Psalter, kultisch gebraucht wurden bzw. eine klare Trennung zwischen individuellem und kultischem Gebrauch noch nicht stark ausgeprägt gewesen ist.234 Der „Sitz im Leben“ des Psalters könnte demnach „im Milieu jener Weisheitsschule [vermutet werden], die mit ihrer Verbindung von Tora-Weisheit, Eschatologie und Armenfrömmigkeit den Psalter als ein Volksbuch ausgestaltete und verbreitete, das als konservative Summe der Tradition gelernt und gelebt werden konnte.“235 Diese Überlegung bezieht sich allein auf die Endkomposition des Psalters und kann nur begrenzt auf einzelne Psalmen übertragen werden, die in Hinblick auf ein Zusammenspiel von Form und Funktion jeweils gesondert betrachtet werden müssen. Die Frage nach einem ursprünglichen Sitz im Leben kann daher besser durch die Verortung der einzelnen Psalmen innerhalb der Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte ersetzt werden.236 Dadurch können sowohl die 233 E. Zenger, Psalter, 115; Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Vgl. auch F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 6. 234 Dies vermutet u. a. J. Schaper, Studien, 84. Für eine kultunabhängige Verwendung spricht u. a. die weisheitliche Ausrichtung des Psalters, wie sie in den rahmenden Psalmen 1 und 146 zum Ausdruck kommt. Auch die beiden Korachpsalmengruppen werden jeweils von einem Weisheitspsalm abgeschlossen und das dritte, vierte und fünfte Psalmenbuch beginnt mit Weisheitspsalmen. Vgl. E. Zenger, Heiligtum, 123. 235 A. a. O.,124. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 236 O. Dyma, Wallfahrt, 250.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Ermittlung des Entstehungskontexts als auch, eng damit verwandt, Erwägungen zur Funktion des Psalms thematisiert werden. Beobachtungen zur Struktur des Psalms sind für eine solche Verlagerung der Blickrichtung von wesentlicher Bedeutung. Nur im Anschluss an solche Einzelbeobachtungen lassen sich vorsichtige Vermutungen über einen möglichen ursprünglichen Gebrauch eines Psalms, ggf. einer Sammlung machen. Es kann mit Blick auf Ps 42/43 darüber nachgedacht werden, ob dieser einst in einer literarischen Vorform im kultischen Kontext Verwendung fand, wobei solche Überlegungen ohne objektive Anhaltspunkte und dadurch spekulativ bleiben. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass der Kult des Ersten Tempels Ursprung der Psalmendichtung ist, jedoch ein Großteil der Psalmen erst in tempelloser Zeit bzw. zur Zeit des Zweiten Tempels entstanden ist – so wie es auch für Ps 42/43 naheliegt – und dadurch eine weisheitliche (und prophetische) Imprägnierung erfahren hat.237 E. Zenger zufolge liefert bereits der fehlende liturgische Bezug in den einleitenden ersten beiden Psalmen des Psalters Hinweise auf ein funktionales, textpragma­tisches Verständnis der Gesamtkomposition und kann dadurch Aufschluss über die intendierte Funktion von Ps 42/43 als Teil des Gesamtpsalters geben.238 Dass die beiden Anfangspsalmen des Psalters auf gesamtkompositorischer Ebene als Einleitung und damit quasi als eine Leseanleitung des Psalters verstanden werden können, kann als Forschungskonsens gelten.239 Dabei wird in Ps 1 das Bild des Zionkönigs bewusst durch die Baummetapher (Ps 1,3; Ez 31) und die Anspielung auf das Königsgesetz (Dtn 17,14–20) vorangestellt.240 Es wird eine „messianische und theologische Doppelperspektive“241 sichtbar: Der Zionkönig aus den ersten beiden Kapiteln ist zugleich David bzw. die königliche Gemeinde. Die Baummetapher verweist im weiteren Sinne auf Textstellen, welche die vom Tempel ausströmende Lebenskraft thematisieren. So beschreibt E. Zenger die Bezüge folgendermaßen: In Ps 92,14–16 werden die Gerechten mit immergrünen und Frucht tragenden Bäumen verglichen, deren Lebenskraft daher rührt, daß sie gepflanzt sind im Hause JHWHs. Die Vision von dem mächtigen Gottesstrom, der im Jerusalemer Tempel entspringt […] gipfelt in Ez 47,12 darin, daß an diesem Strom Bäume wachsen […] Diese Metaphorik steht auch im Hintergrund von Sir 24,23–29, wo die Tora der Gottesstrom ist, der vom Jerusalemer Heiligtum ausgeht und das Land bewässert.242

237 Diese ist auch in den Korachpsalmen sichtbar. Vgl. E. Zenger, Korachpsalmen, 192. 238 Die kultische Verortung, die für Ps 2,1–9 nahegelegt werden könnte sieht E. Zenger unabhängig von der letztlichen Funktion des Psalms innerhalb der Gesamtkomposition. Vgl. E. Zenger, Heiligtum, 115. 239 Vgl. M. Gilbert, prophètes, 276 f. 240 Vgl. B. Janowski, Wie ein Baum, 130. 241 E. Zenger, Heiligtum, 116. 242 A. a. O., 117. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

Zwischenergebnis

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Das Bild des Tempels ist eng mit der Vorstellung des lebenspendenden Wassers verbunden. Diese Vorstellung findet sich in der Einleitung zum Psalter in Ps 1,1–3 in transformierter, impliziter Gestalt: Derjenige, der die Tora Gottes rezitiert (Ps 1,2), die durch das gezeichnete Königsbild als Psalter Davids verstanden werden kann,243 wird mit einem am Gottesstrom wachsenden Baum verglichen (Ps 1,3).244 Explizit wird der Tempel als Ort in Ps 2,3 benannt. E. Zenger betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Seligpreisung in Ps 2,12d245, die zusammen mit Ps 1,1–2 den Rahmen der Einleitung bildet und eine Leseanleitung des Psalters ergibt. Durch die Psalmenrezitation geschehe die Aneignung der Tora JHWHs, die den konkreten Vollzug von ‫„( ביהוה חסה‬Schutz suchen“) darstelle. Diese Psalmenrezitation sei nicht an den Tempel, sondern an den Text gebunden, wodurch die Psalmen selbst zu einem Ort der Zuflucht werden.246 Es werde hier eine Tempeltheologie sichtbar, die eine Entwicklung der Vorstellung des Wohnsitzes JHWHs im Tempel darstellt. Sie werde abgelöst durch eine Zionstheologie, die den Tempel als Wohnort Gottes transzendiert und zu einem Symbol der Gottespräsenz und Zuflucht formt, die dem Beter durch Psalmenrezitation zu Teil werden.247 Eine solche Funktion der Psalmen als durch Rezitation geschaffener Ort der Gottespräsenz und -begegnung, legt zudem der Schlussteil Ps 146–150 nahe. Besonders Ps 150 fordert den ganzen Kosmos zum Lobpreis JHWHs auf, sodass das, „[w]as nach der Tempeltheologie im Tempel geschieht, nämlich daß dort stellvertretend für den ganzen Kosmos das Gotteslob erklingt […] im Psalter selbst vollzogen“248 wird. Immer wenn also Psalmen rezitiert werden, vollzieht sich ein Lobpreis, sodass in Ps 150,6 alles, was Atem hat, also zur Lautäußerung in der Lage ist, hierzu aufgerufen wird.249 Viele Tempelbezüge modulieren den Verweis auf den Tempel im Sinne des Tempel- und Opferkults, indem sie ihn abstrahiert als „Erscheinungs- bzw. Wirkungsort JHWHs sowie als Versammlungsort Israels und sogar der Völker, die ihm dort als dem Weltkönig und Garanten der universalen Gerechtigkeit huldigen“250 beschreiben. E. Zenger fasst die textpragmatische Funktion des Psalters im Anschluss an diese Überlegungen folgendermaßen zusammen:

243 Vgl. Jos 1,6. 244 Vgl. E. Zenger, Heiligtum, 117. 245 :‫„( אשרי כל־חוסי בו‬glücklich alle, die Schutz suchen bei ihm“). 246 Vgl. E. Zenger, Heiligtum, 118. 247 Auch die gänzliche Verlegung des Thronsitzes Gottes vom Jerusalemer Tempel in den Himmel kann O. Loretz zufolge als Kennzeichen einer späten nachexilischen Schriftgelehrsamkeit angesehen werden. Vgl. O. Loretz, Psalmstudien, 116. 248 E. Zenger, Heiligtum, 119. 249 Einen weiteren Hinweis auf den Gebrauch der Gesamtkomposition gibt die Davidisierung der Psalmen, die den Psalter zu einem „Lese-Buch [macht], das eine Deutung der David-Vita mit Hilfe der ihm zugeschriebenen Psalmen gibt“. A. a. O., 121. 250 Ebd.

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Die strukturelle Manifestation der Ich-Sphäre in Ps 42/43 

Nach Meinung der den ganzen Psalter redaktionell prägenden weisheitlichen Theologie ist der Psalter selbst das Heiligtum, in dem Gott gesucht und gelobt werden soll und von dem Gottes Segen und Rettung ausgehen können. Allerdings geht es dabei nicht um die Substituierung des Tempels oder des Tempelkultes, sondern um die Begegnung mit dem auch und vor allem am Jerusalemer Tempel und von ihm aus Wirkenden JHWH, dem König Israels und König der ganzen Welt.251

Durch die Einbindung der Tempelmetaphorik in die rahmenden Teile der Gesamtkomposition Psalter konstituiert sich eine Funktionsweise und ein textpragmatischer Sinn. Der kosmische Herrscher bietet Schutz, Zuflucht und Erquickung als verinnerlichte Erinnerung an die Tora, die durch die Rezitation vergegenwärtigt wird. Hierdurch integriert sich der Rezitierende in das Bild des Tempelkults, das Gottesnähe zum kosmischen Herrscher und zur Glaubensgemeinschaft symbolisiert. R. Kratz beschreibt diese Selbstintegration als Partizipation: Wie die gottesdienstliche Liturgie an der himmlischen Liturgie partizipiert, so läßt der Psalter […] seinen Benutzer im privaten, dem Tempel- und Synagogengottesdienst angeglichenen Gebet sowie in der von diesem Gebet vermittelten Glaubensund Lebenshaltung an dem partizipieren, was Gott gemäß Tora und Propheten für die Seinen schon jetzt und in Zukunft vorgesehen hat.252

Auch wenn die Tempeltheologie der Gesamtkomposition Psalter eine spätere Entwicklung darstellt, kann darin eine anthropologische Funktionsbeschreibung des Gebets erkannt werden, die zu einem hermeneutischen Verständnis der Psalmenliteratur führt und mit den bisherigen Beobachtungen zu Ps 42/43 korreliert und diese verstärkt: Es handelt sich bei dem Psalter um ein Medium der reflexiven Selbstintegration. Dieser wird durch die besondere Rolle des Tempels und der damit verbundenen Wassermetaphorik im Psalter deutlich. Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch ein Verständnis für eine reflexiv-funktionale Struktur von Ps 42/43 als Teil der Endkomposition. Seine literarhistorische Genese spiegelt eine tempeltheologische Entwicklung (Kap. 2.2) wider, sodass er in seiner Endgestalt nicht (mehr) an den konkreten tempeltheologischen Inhalt, sondern an den Sehnsuchtsort Gott im Allgemeinen gebunden ist. Seine wesentlichen Qualitäten (Heilsbringer, Richter, etc.) werden zwar besonders stark durch Tempelverweise ausgedrückt, jedoch wird der Tempel als Wohnsitz Gottes in Jerusalem, oder als Heiligtum im Himmel im Gesamtpsalter, besonders vor dem Hintergrund von Ps 1–2 durch das Rezitieren der Tora Davids substituiert, durch die der Beter die Gegenwart Gottes erfährt.

251 E. Zenger, Heiligtum, 126. 252 R. G.  Kratz, Die Tora Davids, 311. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

5 Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

5.1 Beziehungs- und Stimmungsumschwünge unter Einbeziehung sprachlich expliziter Selbstreflexion Im Anschluss an die Untersuchung von Ps 42/43 kann für die Begriffe Beziehungsumschwung und Stimmungsumschwung folgender Bedeutungsgehalt erfasst werden: Ein Beziehungsumschwung beschreibt eine Veränderung der Perspektive innerhalb der beschriebenen Gottesbeziehung in Hinblick auf die Nähe bzw. Distanz des Beters zu Gott, oder anders ausgedrückt, die Veränderung des Beziehungshandelns des Beters. Ein Stimmungsumschwung beschreibt den Themenwechsel von der in der Klage thematisierten Gottesferne zu der erlebten Gottesnähe, die in der Vertrauensäußerung / im Lob ihren Ausdruck findet. Dieser ist nicht als Ergebnis eines psychologischen textimmanenten Individualgeschehens zu verstehen, sondern auf Textebene als Aspekt einer Formularstruktur, die durch das Nachbeten eine, dann wiederum durchaus individuell psychologisch verstehbare, Identifikation mit dem Beter und dadurch Integration des Nachbeters ermöglicht. Diese Strukturelemente, Beziehungsumschwung und Stimmungsumschwung, können, wenn sie prozesshaft gestaltet sind, Selbstreflexion im Sinne einer sich verändernden Gebetshaltung und im Idealfall des sich mit ihm identifizierenden Nachbeters ausdrücken. Es zeigt sich dabei ein Ineinander von Textebene und Rezeptionsvorgang1. Die prozesshafte Gestaltung des Ps 42/43 durch Beziehungs- und Stimmungsumschwünge sowie die sprachlichen Beobachtungen zur Selbstreflexivität tragen auf verschiedene Weise zu der Konstituierung einer Ich-Sphäre im Sinne eines dynamischen Vorgangs bei. Sprachlich explizit erkennbar, setzt sich der Beter zu sich selbst, seinem Fühlen und Denken und dadurch seiner Leib- und Sozialsphäre, sowie seiner Gottesbeziehung (die Abwesenheit des göttlichen Heils ist letztlich das Grundthema der Klage) in Bezug. Die auf syntaktischer Ebene explizit zur Sprache gebrachte Selbstreflexion findet durch die Einbindung in Beziehungsumschwünge und schließlich in dem Stimmungsumschwung explizit-strukturell 1 Hermeneutisch finden an dieser Stelle verschiedene Ebenen zusammen. Die Beobachtungen auf Textebene stehen in einem Wechselverhältnis zu der Funktion des Psalms bei der Rezeption bzw. Rezitation durch den (Nach-)Beter. Der Fokus der Rezeption liegt im Folgenden, entsprechend der Datierung des Psalms, auf der Rezeption des Psalms durch (Nach-)Beter in zur Zeit des Zweiten Tempels.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

ihr Ziel bei Gott. Dass diese jedoch ein immer wieder erneut erforderlicher ritueller Akt bleibt, zeigt die Wiederholung der selbstreflexiven Anfrage des Beters im Refrain von Ps 42/43. Nicht nur Klagepsalmen dienen der Selbstreflexion, sondern auch in anderen Psalmen wird Selbstreflexion sprachlich explizit (vgl. u. a. Ps 131,2). Auf struktureller Ebene kann die Selbstreflexion des Beters so einge­bunden werden, dass sie eine Veränderung des Beziehungsgeschehens zwischen Beter und Gott ausdrückt. Eine solche Veränderung setzt jeder Stimmungsumschwung voraus, wenngleich nicht in jedem Gebetsformular Beziehungsumschwünge oder explizite Selbstreflexion zu finden sind. Implizit verweist daher jeder Stimmungsumschwung auf Selbstreflexion. Im Anschluss an diese Überlegungen zum Aufbau und zur Funktion von Ps 42/43, kann für unvermittelte Stimmungsumschwünge in anderen Psalmen vermutet werden, dass dort der Wechsel von Klage und Lob noch stärker an den ursprünglichen, rituellen Abläufen im Tempel orientiert ist, aus denen die Gebete dann in tempellosen Zeiten entrissen und in der Zeit des Zweiten Tempels neu kontextualisiert wurden.2 Diese plötzlich wirkenden Umschwünge werden plausibel, stellt man sich hierzu rituelle Abläufe vor, denen entsprechend der Wechsel erfolgt. Nicht ohne Grund erschien lange Zeit der Gedanke eines sog. priesterlichen Heilsorakels3 plausibel. Die prozesshafte Gestaltung des Wechsels von Klage und Lob in den ursprünglich durch den Tempelkult geprägten Gebetsformularen kann dementsprechend in einer Zeit vermutet werden, in der dieser rituelle Zusammenhang für den Betenden an Plausibilität verloren hatte, aber selbstverständlich die Grundstruktur des Psalms vorgab.4 Hier ist an die Exilserfahrung und an die sich anschließende Professionalisierung des Tempelkults in der Zeit des Zweiten Tempels zu denken.5 Bereits F. Stolz stellt 1983 in einer Studie über „Psalmen im nachkultischen Raum“6 Überlegungen zu einer Loslösung kultischer Elemente von ihrem Sitz im Leben an. Dabei verweist er besonders auf diejenigen Psalmen, die verschiedenste Formmerkmale in unterschiedlicher Reihenfolge zusammenbringen. F. Stolz hält fest: „Die kultischen Elementarvorgänge können nicht miteinander gemischt werden, die Situation des Klagenden und der Kultvorgang, der ihm gilt, ist grundsätzlich anders geartet als die Situation des Geretteten.“7 In diesem Zusammenhang gerät die Situation des Nachkultischen in den Blick, in der verarbeitet werden muss, dass 2 Auch andere Kontexte, wie Hauskulte sind durchaus denkbar. 3 Zu der Begriffsgeschichte O. Loretz, Psalmstudien, 135–147. Diese Forschungsmeinung tritt heute zugunsten alternierender Deutungsmodelle, wie u. a. eines „antizipierten Faktums“ in den Hintergrund. B. Janowski, Konfliktgespräche, 83. 4 Dabei vorausgesetzt ist eine ursprünglich kultische Verortung der Gattung Klagelied und der Gattungsverschmelzung mit dem Danklied. S. o. 5 Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass die Rückkehr der Exulanten zunächst nur teilweise erfolgte. Vgl. M. Millard, Komposition, 192. 6 F. Stolz, Psalmen. 7 K. Schaefer, Psalms, 189. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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durch die Tempelzerstörung eine Grunderfahrung der Gottesferne geschaffen ist, „in der seine kultisch erlebbare Nähe die fragwürdige Ausnahme bildet.“8 Die Idee einer späteren Ausgestaltung des Stimmungsumschwungs zu dem Ergebnis eines Reflexionsprozesses (bestehend aus mehrfachen, aufeinander aufbauenden Beziehungsumschwüngen), gilt es in den nachstehenden Kapiteln anhand weiterer Beispiele zu überprüfen (Kap. 4.2.2). Für Ps 42/43 liegt im Anschluss an diese Überlegungen nahe, dass er als rituelles Reflexionsmedium eine Selbstintegration des Beters in den Kult in einer Zeit ermöglicht, in der er selbst keinen Zugang zum Tempel hat. Dieses Gebetsritual kann sich zwar aus der Ferne vollziehen, bedarf aber des realen kultischen Symbolbezugs und der Selbstintegration des Beters in dieses Bild (Kap. 4.2.1; 4.2.5.2). In Ps 42/43 wird dieser sogar explizit durch Tempelverweise und den Gebrauchshinweis durch die Glosse in Ps 42,9 zur Sprache gebracht. Die sprachliche und strukturelle Ausgestaltung von Psalmen als Reflexionsmedien verdeutlichen eine neue Dimension der Konstitution der atl. Ich-Identität9. Sie findet ihren literarisch-strukturellen Niederschlag in Psalmendichtungen zur Zeit des Zweiten Tempels. Anhand weiterer Beispiele soll die für Ps 42/43 erwiesene Ich-Sphäre, sowie die sich hier aufdrängende, literarhistorische Einordnung im Folgenden erhärtet werden.

5.2 Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion in den Klagepsalmen des Einzelnen 5.2.1 Die Ich-Sphäre in Psalm 77 In diesem Kapitel sollen nun auch weitere Psalmen exemplarisch in Hinblick auf eine selbstreflexive Struktur10 und auf sprachlich erkennbare Selbstreflexivität untersucht werden. Dabei können sprachliche und strukturelle Eigenheiten der Psalmen an dieser Stelle entsprechend der Kapazitäten dieser Arbeit lediglich in Ansätzen skizziert werden. Den Beobachtungen auf Textebene schließt sich direkt die Deutung des Psalms in Bezug auf die Ich-Sphäre an, mit der darüber hinaus eine rezeptionsorientierte11 Perspektive eingebracht wird.

8 J. v. Oorschot, Nachkultische Psalmen, 72. 9 Im o.g. Sinne, vgl. Kap. 1.3. 10 Im Sinne einer prozesshaften Entwicklung des betenden Ichs, die eine reflexive Auseinandersetzung mit sich selbst erkennen lässt. Vgl. Kap. 4.1. 11 Hermeneutisch finden an dieser Stelle verschiedene Ebenen zusammen. Die Beobachtungen auf Textebene stehen in einem Wechselverhältnis zu der Funktion des Psalms bei der Rezeption bzw. Rezitation. Der Fokus der Rezeption liegt im Folgenden, entsprechend der Datierung des Psalms, auf der Rezeption des Psalms durch Nachbeter in früh-nachexilischer Zeit.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

Ps 77 stellt ein weiteres Beispiel für die sprachliche und strukturelle Ausgestaltung von Selbstreflexion dar und weist wie Ps 42 einen Prozesscharakter auf.12 Die Textgestalt ist größtenteils gut überliefert, sodass sich diskussionswürdige Stellen v. a. in V. 3 und in V. 6 f. finden.13 Mit R. Müller kann von einem „fortgeschrittene[n] Stadium frühjüdischer Theologiegeschichte“14 gesprochen werden, bei dem insbesondere die Verse 14–21 ein Textstück mit eigenem literargeschichtlichen Charakter darstellen. Strukturell fällt für V. 1–13 zunächst eine Gliederung in jeweils drei Verse auf: 2–4, 5–7, 8–10, 11–13, die durch die parallelisierten Verben ‫„( זכר‬denken“) und ‫שיח‬ („nachsinnen“) in V. 4a.b.7a und 12a.13b strukturiert werden.15 Diese kognitiven Verben verdeutlichen den selbstreflexiven Charakter des Psalms und lassen durch ihr refrainartiges Auftreten das Psalmgebet als Meditation erscheinen.16 Zunächst soll der Psalm unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen Explikation der IchSphäre betrachtet werden. Diese ist innerhalb der Ich-Klage in Ps 77,3–7 erkennbar, in welcher der Beter17 sprachlich explizit Bezug auf sich selbst nimmt (V. 7). Dies geschieht erzählend-deskriptiv bereits in V.4b ‫„( שיח‬nachsinnen“)18 und in V. 7a durch die Verwendung des Verbs ‫„( זכר‬denken“) mit dem Objekt ‫„( נגינה‬Saitenspiel“)19, das die kultische Gotteserfahrung „an verstrichene[n] Freuden-Tage“20 vergegenwärtigt.21 Gerade vor dem Hintergrund von V. 6 ist diese Erinnerung zum einen in ihrer historischen Dimension als „ein Rückgriff auf die weit zurückliegende Vergangenheit der Geschichte Israels“22 zu verstehen, zum anderen ist die kultische Dimension von ‫ זכר‬deutlich geworden (Ps 42,5.7), die auch der Begriff ‫ נגינה‬unterstreicht (Kap. 3.4). Über die narrative Explikation hinaus, findet die Ich-Sphäre des Beters ihren pronominal-syntaktischen Ausdruck, indem ‫לבבי‬ („mein Herz“) als Stellvertreterausdruck über die Präposition ‫„( עם‬mit / an / bei“)23 12 Vgl. K. Seybold, Psalmen, 299. 13 Vgl. B. Weber, Psalm 77, 44. 14 Vgl. R. Müller, Wettergott, 43. 15 Vgl. B. Weber, Psalm 77. 16 Vgl. K. Schaefer, Psalms, 189. 17 Der Beter wird von M. D. Goulder als König verstanden: „The fact that the speaker has a song of his own (my song, v. 7), and that this song is concerned with the national deliverance (thy people, The sons of Jacob and Joseph), suggests that once more he is a national figure, in fact the king; and this is the course of the psalm.“ M. D.  Goulder, Asaph, 97. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. Anders H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 694. 18 Das Verb wird hier in der 1.Pers.Sg. im Kohortativ absolut gebraucht. Dagegen ist ‫ זכר‬in V. 4a auf Gott bezogen. 19 Vgl. D. J. A.  Clines, Dictionary, 631 bezeichnet ‫ נגינה‬als „musikalischen terminus tech­nicus“. 20 B. Weber, Psalm 77, 74. 21 Vgl. P. A. De Boer, Gedenken, 23.63. 22 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 436. Auch die Nacht verweist auf einen Zustand der erinnernden Vergegenwärtigung. Ob hieraus ein Verweis auf das exilierte Gottesvolk abgeleitet werden kann, bleibt aber fraglich. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 59–150, 695. 23 Vgl. R. Bartelmus, Einführung, 88.

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auf das Verb „nachsinnen“ (‫ )אשיחה‬in der 1.Pers.Sg. bezogen wird, wobei jedoch eine textkritisch schwierige Entscheidung im Hintergrund steht.24 Zudem ist auffällig, dass es sich, je nach Interpretation, um eine umstrittene Ausdrucksweise von Selbstreflexion handelt. So beurteilt B. Weber: „Ein innersubjektiver Dialog […] ist angesichts von 6ab […] und 8–10 (mit 7c als Einleitung) unwahrscheinlich, zumal ein solcher auch für 7b (Präposition ‫עם‬, nicht ‫ )ב‬nicht anzunehmen ist.“25 Dennoch können auch weitere, übertragene Verwendungsweisen der Präposition ‫ עם‬in Betracht kommen, wie u. a. „In, an, auf, in Bezug auf, zugunsten von“26. Ein Blick auf Belegstellen, in denen ‫„( עם‬mit / an / bei“) auf ‫לב‬/‫„( לבב‬Herz“) bezogen verwendet wird, legt nahe, ‫לב‬/‫„( לבב‬Herz“) im Sinne einer beratenden Instanz zu verstehen, mit der der Beter in eine Selbstberatung tritt.27 Meist wird die Wendung in diesem Kontext übersetzt mit „wichtig sein“/„am Herzen liegen“, doch sie kann auch auf „innere Vorgänge“ verweisen, wie 1 Kön 10,20; Dtn 8,5 und Koh 1,16 zeigen. Wird für ‫ עם־לבבי אשיחה‬kein „innerer Vorgang“ angenommen, könnte zudem auch ohne anthropologischen Begriff nur mit ‫„( אשיחה‬ich sinne nach“) formuliert werden. Der Zusatz ‫ עם־לבבי‬scheint eine inhaltliche Ergänzung darzustellen, die im Wesentlichen darin besteht, dass der Beter sich selbst zum Objekt macht. Von den 19 Stellen im Psalter, in denen ‫„( שיח‬nachsinnen“) verwendet wird – sechsmal davon in der Form ‫„( אשיחה‬ich sinne nach“)28 – verweisen alle auf das Nachsinnen über die Taten Gottes, das Wort Gottes (Ps 77,4.13; 105,2; 119,15; 119,23.78.148; 143,5; 145,5) oder müssen mit „klagen“ oder „reden“ übersetzt werden (Ps 55,3.18; 64,2; 69,13; 102,1; 104,34; 119,27.48; 142,3). Es geht aus den Belegen hervor, dass das „Nachsinnen“ entweder über die Taten Gottes geschieht oder in der Klage vor ihn gebracht werden soll, in jedem Fall aber auf Gott gerichtet hin erfolgt. Dass in Ps 77,7 ebenfalls eine solche Verwendungsweise des Verbs als selbstreflexive Auseinandersetzung des Beters gemeint sein muss, legen auch die anderen in V. 7 weitgehend synonym verwendeten Verben ‫„( זכר‬denken“) und ‫„( הגה‬meditieren“) nahe. Es wird darin deutlich, dass die syntaktische Verbindung des Verbs ‫„( שיח‬nach 24 S. u. Anmerkungen zur Übersetzung. 25 B. Weber, Psalm 77, 75. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 26 H. D.  Preuss, 486 ,‫את‬. ’im und belī, mit und ohne, bilden ein Gegensatzpaar in Bezug auf Assoziation. Vgl. auch E. Jenni, Philologische und linguistische Probleme, 175; Ders., Preposition: Biblical Hebrew, 208–211. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 27 Vgl. Dtn 8,5; 15,9; Jos 14,7; 1 Kön 8,17.18(2x); 10,2; 2 Kön 10,15; 1 Chr 22,7; 28,2; 2 Chr 1,11; 6,7; 9,1; 16,9. 28 Vgl. Ps 55,18; 77,4.7.13; 119,15; 145,15. Außerhalb des Psalters kommt das Verb nur noch in Ijob 7,11 vor. Dort muss es jedoch kontextbedingt mit „klagen“ übersetzt werden. Anhand der Belegstellen kann bereits vermutet werden, dass das Reflektieren des Einzelnen ein besonderes Interesse späterer Psalmenliteratur ist. Vgl. Datierung bei F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II: Die Ursprünge von Ps 55 sind aufgrund seiner Berührungspunkte mit der Exilsprophetie Ezechiels in exilischer, vielleicht auch bereits vorexilischer Zeit anzunehmen (347). Ps 77 ist in exilischer Zeit anzusetzen (434). Noch später sind Ps 119 und Ps 145 anzusetzen. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 997.1128.

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sinnen“) über die Präposition ‫( עם‬hier: „mit“) mit ‫„( לבב‬Herz“) Selbstreflexion zum Ausdruck bringt. Dabei erfüllt ‫„( לבב‬Herz“) als qualitativ bestimmter „Stellvertreterausdruck“ die Funktion, das betende Ich in Hinblick auf seine zentral kognitiven Vorgänge zu repräsentieren und eine Meta-Kognition auszudrücken (Kap. 3.5). Es können verschiedene Kriterien einer sprachlichen Manifestation der Ich-Sphäre festgehalten werden (Kap. 1.4.2): Zum einen verweisen das finite Verb (‫ )שיח‬der 1.Pers.Sg.com. und der suffigierte Stellvertreterausdruck (‫ )לבב‬auf den Beter als Referenten (Punkt 4). Zum anderen handelt es sich um eine Satzkonstruktion mit Präposition ohne Suffix (‫)עם‬, die eine syntaktische Verbindung zwischen dem Subjekt und dem Objekt desselben Referenten herstellt (Punkt 5). Zusätzlich zu dieser sprachlich explizierten Selbstreflexion erweist sich auch die Struktur als Ausdruck eines prozessualen Beziehungsgeschehens, dessen Verlauf an dieser Stelle skizziert werden soll. Gebetsmodi

Übersetzung 1 Für den Chormeister. Nach Jedutun. Von Asaf. Ein Psalm.

Ich-Klage (Exposition: Rede von Gott in der 3.Person) Gegenwarts­ perspektive29

2a Meine Stimme ruft30 zu Gott (Elohim)31, ich will schreien. 2b Meine Stimme ruft zu Gott (Elohim), dass er mich höre. 3a Am Tag meiner Not suche ich den Herrn, 3b meine Hand ist ausgestreckt32 des Nachts und ermüdet nicht, 3c mein(e) Leben(skraft) (‫ )נפשי‬weigert sich, sich trösten zulassen.33 4a Ich denke an JHWH34 und seufze, 4b ich sinne nach, und meine Willenskraft35 (‫ )רוחי‬will verzagen. Sela

29 Eig. Vergangenheit, kann aber, um universalen Charakter der Suche nach Gott auszudrücken, ins Präsens gesetzt werden. Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 436. Zudem hält die Notlage noch an, was ebenfalls für den Präsensgebrauch spricht. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 694. 30 ‫ קולי‬erfüllt hier und in V. 2b nicht nur die Funktion eines Subjekts, sondern ist darüber hinaus im Sinne von ‫„( קרא‬rufen“) als Verbalhandlung zu verstehen. Vgl. B. Weber, Psalm 77, 41. 31 U. a. H. Gunkel, Psalmen, 332 f.; H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 693 und B. Weber, Psalm 77, 121 gehen davon aus, dass ‫ אלהים‬am Versbeginn wahrscheinlich auf eine „elohistische Redaktion“ zurückzuführen und durch ‫ יהוה‬zu ersetzen sei. Wahrscheinlich sei hier eine stilistische Glättung mit Blick auf ‫ כאלהים‬am Versende in 14b vorgenommen worden. Aufgrund der eher schwierigen Beweislage in Hinblick auf eine „elohistische Redaktion“ und mangelnde textkritische Belege ist jedoch zur Vorsicht geraten und eine Emendation zu vermeiden. Zur Problematik des elohistischen Psalters vgl. u. a. M. Millard, Komposition, 187 f.; Kap. 2.3. 32 Für eine Emendation von ‫„( נגרה‬sie ist ausgegossen“) zu ‫„( נגדה‬sie ist ausgestreckt“) sprechen G und die Belegstellen in Ps 88,2 und 143,6. Vgl. B. Weber, Psalm 77, 50. Für eine Beibehaltung von ‫„( נגר‬ausgießen“) argumentiert u. a. H. Gunkel mit dem Verweis auf Thr 3,49; Ps 142,3. Vgl. Ders., Psalmen, 335. 33 Die Kolometrie bleibt hier umstritten (Bikolon / Trikolon). Vgl. B. Weber, Psalm 77, 49. 34 Die elohistische Redaktion liest JHWH statt Elohim. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 693. Ähnlich wieder B. Weber, Psalm 77, 57. 35 Vgl. Anm. Kap. 1.2 und. 3.4

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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Beziehungsumschwung Ich-Klage (mit sprachlich expliziter Selbstreflexion) Synthese von Gegenwarts- und Vergangenheits­ perspektive

5a Du hältst meine Augen wach, 5b ich bin voller Unruhe und kann nicht reden. 6a Ich denke nach über die Tage von einst, 6b die längst vergangenen Jahre. 7a Ich denke an mein Saitenspiel36 des Nachts, 7b mit meinem Herzen (‫ )עם־לבבי‬sinne ich nach, 7c und es forscht37 mein Geist (‫)רוחי‬.38

Gott-Klage /  Fragezyklus Gegenwarts­ perspektive (V. 8) Vergangenheits­ perspektive (V. 9 f.) Schlussfolgerung (V. 11)

8a Wird der Herr auf ewig verstoßen 8b und nie mehr gnädig sein? 9a Hat seine Güte für immer ein Ende, 9b ist sein Wort verstummt für alle Zeit? 10a Hat Gott seine Gnade vergessen, 10b oder hat er im Zorn sein Erbarmen verschlossen? Sela

Beziehungsumschwung

Beziehungsumschwung Vertrauens­ äußerung / Lob Vergangenheits­ perspektive

11a Und ich sprach: Das ist mein Schmerz, 11b dass sich das Handeln des Höchsten geändert hat.39 12a Ich will gedenken der Werke Jahs40, 12b fürwahr gedenken will ich deiner früheren Wunder. 13a Ich will bedenken all dein Tun, 13b und über deine Taten will ich nachsinnen.

36 Aus semantischen und syntaktischen Gründen wird von einigen Exegeten für ‫„( נגינתי‬mein Saitenspiel“) die Verbform ‫ והגיתי‬von ‫„( הגה‬meditieren“) angenommen. Dafür sprechen u. a. Parallelstellen wie Ps 143,5 und 63,7. Vgl. auch H. Gunkel, Psalmen, 336. Dagegen stützen Ps 4,1 und Ps 69,13 die Lesart „mein Saitenspiel“. 37 ‫ רוח‬wird durch ‫„( ויחפש‬und es forscht“) mask. angesprochen. 38 Die Einteilung von V. 7 als Trikolon ist beizubehalten. Vgl. B. Weber, Psalm 77, 75. Nach G, S und MT wörtlich: „Ich will denken an mein Saitenspiel, in der Nacht mit meinem Herzen“. Vgl. F. L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 437; H.-J. Kraus, Psalmen 60–150, 693. ‫ אזכרה‬wird am Anfang belassen und nicht zu V. 6b gezogen (so auch M), da das Muster des Psalms mit der Schlussvers-Eröffnung durch ein ‫זכר‬-Morphem bzw. dessen Antonym sowie der Tempusgebrauch dem Stil von Ps 77,1–13 entsprechen. Eine ausführliche Diskussion der textkritischen Problematik findet sich bei B. Weber, Psalm 77, 73–76. 39 H. Gunkel übersetzt hier einen Fragesatz („Ist verwandelt des Höchsten Rechte?“), da der Beter analog zu Jes 40,28; Mal 3,6 und Ps 102,28 einen solchen Gedanken weit von sich weise. Vgl. Ders., Psalmen, 334. 40 Die Kurzform könnte aus Gründen der Silbenentsprechung gewählt sein, die sich analog zu der Länge der Personalsuffixe in 12b.13a verhält und klanglich dem Auslaut von 13b entspricht. Vgl. B. Weber, Psalm 77, 116.

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Lob Synthese von Gegenwarts- und Vergangenheits­ perspektive Hymnischer Geschichtsrückblick

14a Gott (Elohim), dein Weg ist heilig. 14b Wer ist ein Gott, so groß wie unser Gott (Elohim)? 15a Du allein bist der Gott (El), der Wunder tut, 15b du hast deine Macht unter den Völkern kundgetan. 16a Mit deinem Arm hast du dein Volk erlöst, 16b die Söhne Jakobs und Josefs. Sela 17a Die Wasser sahen dich, Gott (Elohim), 17b die Wasser sahen dich und erbebten, 17c die Urfluten erzitterten. 18a [Die] Wolken gossen Wasser, 18b es donnerte das Gewölk, 18c und deine Pfeile blitzten hin und her. 19a Rollend41 erdröhnte dein Donner, 19b Blitze erhellten den Erdkreis, 19c es erzitterte und bebte die Erde. 20a Durch das Meer [ging] dein Weg42 20b und dein Pfad durch gewaltige Wasser, 20c doch deine Spuren waren nicht zu erkennen. 21a Wie Schafe führtest du dein Volk 21b durch Moses und Aarons Hand.

Die erste Strophe besteht aus Ps 77,2–4 und beschreibt die Notsituation des Beters, die in der 1.Pers.Sg.com. formuliert ist und sich an Gott in der 3.Pers.Sg. richtet. In V. 2 wird durch die Gegenüberstellung von ‫„( ואצעקה‬ich will schreien“)43 und ‫„( והאזין‬dass er mich höre“)44 sowie durch das zweifache auf Gott verweisende ‫אל‬ („zu“) die Sehnsucht des Beters nach der Gottesgegenwart deutlich. Durch das „Sela“ in V. 4 kommt die Strophe zu ihrem Abschluss“.45 Die erste Strophe wird von dem Bestreben des Beters bestimmt, den Dialog mit Gott erneut herzustellen.46 Auffällig scheint der Wechsel der Stellvertreterbegriffe in V. 2 f., die das Subjekt repräsentieren – „Meine Stimme“ (2a), „Meine Stimme“ (2b), „meine Hand“ (3b), „mein(e) Leben(skraft) (‫( )נפשי‬3c) – zu der direkten Bezeichnung des Subjekts durch Verben in der 1.Pers.Sg in V. 4a.b. Ein wirklicher Perspektivwechsel findet l

41 Die Bedeutung leitet sich von der Wurzel ‫ גלל‬ab und bezeichnet eine rollende Bewegung, die sowohl eine Deutung in Hinblick auf ein Unwetter als auch auf ein Kriegsgeschehen mit rollenden Kriegswagen zulässt, sodass hier eine Polyphonie entsteht. Vgl. B. Weber, Psalm 77, 151 f. 42 Aufgrund des Fehlens einer dritten Hebung in V. 20a und der verkürzten Silbenzahl (5– 10–10), werden hier häufig Ergänzungen hinsichtlich eines anredenden ‫ אלהים‬bzw. ‫ יהוה‬vorgenommen. So B. Duhm, Psalmen, 298; H. Gunkel, Psalmen 337; H.-J. Kraus, Psalmen 60–150,693. 43 Koh.1.Pers.Sg.com.PK.Qal. 44 3.Pers.Sg.mask.AK.Hif ’il. 45 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 434. 46 B. Weber beschreibt die erste Strophe als „bestimmt vom Versuch des Psalmisten, den Gebetsdialog (neu) herzustellen.“ B. Weber, Psalm 77, 62.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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dennoch (noch) nicht statt, denn auch V. 2a.3a enthalten bereits Verben der 1.Pers. Sg. Das Objekt der Sehnsucht des Beters bleibt durchgängig Gott. Zur zweiten Strophe hin vollzieht sich ein erster Beziehungsumschwung, indem die Perspektive des Beters verändert als zunehmend innengerichtet dargestellt wird. Der Neueinsatz wird durch die Anrede in der 2.Pers.Sg. deutlich. Es wird die Szenerie einer nächtlichen Schlaflosigkeit beschrieben (V. 5a.7a), welche die Kulisse für die Beschäftigung des Beters mit sich selbst bildet. Besonders in Ps 77,7 wird die Ich-Sphäre sowohl narrativ (‫ )זכר‬als auch pronominal-syntaktisch expliziert. Dadurch verlagert sich in der zweiten Strophe (V. 5–7) die Beziehungsausrichtung des Beters, der sich nun nicht mehr primär an Gott richtet, sondern sich selbst ins Gespräch nimmt.47 Dieser Prozess baut auf der ersten Strophe auf und kann mit B. Weber folgendermaßen beschrieben werden:48 Die durchwachte Nacht beharrlichen Klagens und Betens (3) wird derjenigen des Aus-dem-Schlaf-gerissen-Werdens (durch Angst-Träume?) vorausgegangen sein. Die Situation wurde für den Psalmisten offenbar derart bedrängend, dass sie ihn sogar bis in die nächtlichen Stunden hinein verfolgt(e). Die Zunahme der Not korrespondiert reziprok mit der Abnahme der Äusserungsfähigkeit des Beters: Das anfänglich ‚laute Schreien‘ (2) wurde zum ‚Stöhnen‘ (4) und verstummt nun ganz (5). Wenn die äusseren Formen der Klagen ausbleiben, intensivieren sich die inneren Fragen und Zweifel, die in den folgenden Versen in Worte gefasst werden.49

In der dritten Strophe in Ps 77,8–10, die wiederum mit einem „Sela“ schließt, vollzieht sich ein erneuter Beziehungsumschwung, der durch eine Kette von Fragen in Form einer Gott-Klage deutlich wird.50 Die zweite Strophe ist durch ‫ מקדם‬eng mit der dritten Strophe verbunden. Gott wird nicht direkt in der 2.Pers., sondern in der 3.Pers. angesprochen, wodurch die Fragen auch als monologartig formuliertes Reflexionsergebnis und daher als eine Verstärkung der Innenwendung des Beters verstanden werden können.51 B. Weber versteht die dritte Strophe anders und geht davon aus, dass das Ich in den Hintergrund trete, um einer überindividuellen Notsituation Raum zu geben.52 Wird angenommen, dass hier eine Volksklage53 im Hintergrund steht, erhält der Psalm eine Polyphonie, welche die individuelle Notlage (vgl. besonders zweite Strophe) in die Gemeinschaft einbindet. Unabhängig 47 F.-L. Hossfeld beschreibt diese Beobachtung folgendermaßen: „Die zweite Strophe 5–7 verlagert das Ringen um den Kontakt mit Gott von außen (1. Strophe) ins mentale Innere.“ F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 434. 48 So versteht auch H. Gunkel V. 5–7 als Einleitung für V. 8–10. Vgl. Ders., Psalmen, 334. 49 B. Weber, Psalm 77, 69. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 50 Strukturell werden die drei Bikola durch Doppelfragen und Synonymie zusammengehalten. Vgl. B. Weber, Psalm 77, 78. 51 Die Fragen aus V.9 f. werden durch den Hymnus beantwortet. Es ist durchaus denkbar, dass sie als Kommentierung zu Ex 34,6 zu verstehen sind. Vgl. M. E.  Tate, Psalms 51–100, 272 f. 52 Vgl. B. Weber, Psalm 77, 91. 53 Vgl. H. Gunkel, Psalmen 334, H. Herkenne, Psalmen, 258.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

jedoch davon, wie die Qualität dieses Beziehungsumschwungs zu bewerten ist, ist hier in jedem Fall eine Veränderung im Anschluss an die zweite Strophe formuliert. Sie legt nahe, dass das Ich, auch wenn es nicht als Redner explizit genannt wird, zunächst noch stärker zweifelt und fragt und so eine Veränderung in der Gottesbeziehung ausdrückt. Die Perspektive des Beters schweift von der anthropozentrischen Fokussierung zur theologischen Dimension.54 Die vierte Strophe besteht aus Ps 77,11–13 und erfüllt eine Art Brückenfunktion.55 V. 11 fasst die vorherige Gott-Klage, auf die der Beter nun in der Vergangenheit zurückblickt zusammen,56 bildet zugleich aber auch die Einleitung für die Vertrauensäußerung in Ps 77,12 f.57 Darin spricht der Beter Gott wiederum direkt in der 2.Pers. an und wendet sich ihm vertrauensvoll zu. Dieser Perspektivwechsel innerhalb der Gottesbeziehung zeigt an, dass sich ein Beziehungsumschwung vollzieht.58 Dadurch, dass dieser in der Vergangenheitsform auf die Werke JHWHs zurückblickt, darf die vierte Strophe nicht als ein Stimmungsumschwung missverstanden werden, denn dieser würde einen Wechsel des Klagethemas erfordern und damit eine Überwindung der Abwesenheit Gottes.59 Die in Ps 77,12 f. wiederum eingebrachte rückblickende Perspektive auf die Heilstaten Gottes liefern die Vorlage für die fünfte Strophe, bestehend aus Ps 77,14–16, die das ehemals selbständige Loblied Ps 77,17–20 rahmen.60 In ihr vollzieht sich der Stimmungsumschwung, indem das Thema der Klage endgültig der historisch begründeten Gewissheit weicht. Formal wird dieser Umschwung unterstrichen „durch die Du-Hymnik, die sich von den Ich-Aussagen in 11–13 wie von den kosmischen Sie-Aussagen in 17 ff. abhebt.“61 Der Tonus wechselt über die Erinnerung zur Begegnung mit den Heilstaten Gottes (V. 13) von der Klage zum Lob. Analog zu den Beobachtungen in Ps 42/43 kann also auch hier beobachtet werden, dass erst die Hinwendung zu Gott die Wende herbeiführt. Dabei fällt auf, dass die Erinnerungsvorgänge in V. 12 f. und V. 14–16 parallel verlaufen und der Beziehungsumschwung die Erinnerung des Einzelnen (V. 12 f.) in die kollektive Erinnerung (V. 14–16) integriert. In dieser Gemeinschaftsperspektive wendet sich die Klage des Einzelnen zum Lob. Die fünfte Strophe (V. 14–16) bildet mit V. 21 den Rahmen des eigenständigen

54 Vgl. auch B. Weber, Psalm 77, 92. 55 Vgl. a. a. O., 116. 56 „Gemäss der Konjugation (wyyqtl qtl) ist der Aspekt als perfektiv und das Tempus vom Sprecherstandpunkt aus als ‚vergangen‘ anzusehen.“ B. Weber, Psalm 77, 96. 57 Die Diskussion, ob V. 11 zum Vorangehenden oder Nachstehenden zu zählen ist, erübrigt sich dadurch. So kommt auch H.-J. Kraus zu dem Ergebnis, dass es sich hier um einen Übergang handle. Vgl. Ders., Psalmen 60–150, 695. Anders dagegen K. Schäfer, der hier einen Eintritt in einen neuen Gedankengang sieht. Vgl. K. Schaefer, Psalms, 188. 58 Vgl. K. Seybold, Psalmen 301 f. 59 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 434. 60 Vgl. R. Müller, Wettergott, 47–51.63; B. Weber, Wasser, 266–269. 61 Vgl. B. Weber, Psalm 77, 120. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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Lobliedes in V. 17–2062 in der sechsten Strophe (V. 17–21), dessen Schlussvers mit V. 21 inhaltlich an V. 16 anknüpft.63 Der in Ps 77,17–20 „eingeschobene Hymnus“64 behandelt „den Kosmos in seinen drei Bereichen Urflut / Unterwelt, Himmelsozean und Erdkreis. V. 20 bleibt beim Motiv des Wassers, wechselt aber von der Kosmologie in die Heilsgeschichte, näherhin zum Meerwunder des Exodus.“65 F. L. Hossfeld kommt in seinem Kommentar zu dem Ergebnis, dass der Klageteil in V. 8–11 und der zum Hymnus ausgestaltete Geschichtsrückblick in V. 17–21 unverbunden nebeneinanderstünden und der Nachbeter den Zusammenhang selbst herstellen müsse.66 Dabei lässt er jedoch außer Acht, dass gerade der Stimmungsumschwung zwischen der vierten und fünften Strophe eine Brücke von der gegenwärtigen Klage zu der Erinnerung an Gottes Heilstaten und ihre Wirkung für die Gegenwart (V. 14.15a) schlägt. K. Seybold erfasst diesen Zusammenhang treffend: 14 formuliert eine These und klingt wie eine abschließende Einsicht. Er könnte den Schlussvers gebildet haben. Heilig bzw. Heiligkeit (Heiligtum?) meint wohl: im Verborgenen, auf göttliche Weise, weithin unfaßbar. […] Die Qualität seines Tuns bezeichnet der Begriff Wunder, der zu Gott (El) wesensmäßig gehört (15a).67

In diesem Kontext erfüllt der Geschichtsrückblick die Funktion einer Eingliederung des Beters in die Schöpfung und in die Geschichte seines Volkes. In Ps 77 kommt Selbstreflexion somit sowohl sprachlich (V. 7) als auch strukturell explizit (Beziehungsumschwünge + Stimmungsumschwung) zum Ausdruck. Durch das rituelle Beten dieses Psalms reflektiert der Beter sich selbst sprachlich explizit und verändert seine Haltung gegenüber Gott in einem Gebetsprozess, was in inhaltlichen Strukturelementen sichtbar wird. Dabei spielt, zumindest in endredaktioneller Hinsicht, besonders das Welt- und Gottesbild eines die Chaosmächte bändigenden Gottes eine Rolle, der in den geschichtlichen Heilstaten erkannt werden kann. Die zahlreichen intertextuellen Bezüge, u. a. zum Schilfmeerlied in Ex 15, zum Moselied in Dtn 32 oder zu den Sinaiüberlieferungen in Ex 33.34 verweisen auf einen Abfassungszeitraum, der frühestens in exilischer

62 B. Weber teilt V. 20 f. in eine eigene, siebte Strophe ein. 63 Beide Verse (V. 16.21) stellen einen Geschichtsrückblick mit namentlichen Erwähnungen dar. Auch formal hebt sich die Trikola-Struktur in V. 17–19 von den Bikola ab. Vgl. F.-L. Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 434. Zudem werden in V. 17–21 keine Leitworte des Erinnerns mehr aufgenommen. Vgl. J. Gärtner, Die Geschichtspsalmen, 105. 64 Eine redaktionelle Einfügung ist nicht nur vor dem Hintergrund der hier veränderten Versstruktur anzunehmen, sondern wird auch durch inhaltliche Beobachtungen gestützt. Die hymnische Ausgestaltung des Psalters stellt einen Zielpunkt und dadurch ein besonderes Interesse der Gesamtkomposition dar. Eine spätere Anfügung in Ps 77 kann in diesem Kontext durchaus plausibel erscheinen. Vgl. M. Millard, Komposition, 205. 65 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 434. 66 Vgl. ebd. 67 K. Seybold, Psalmen, 301 f. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

Zeit anzusiedeln ist.68 Die Nennung von Jakob und Josef in V. 16b spricht eher noch für eine spätere, nachexilische Abfassung bzw. wesentliche redaktionelle Erweiterung.69 S. Kreuzer sieht hier ebenfalls die Situation der nachexilischen Gemeinde als für den Psalm prägend an, bei der es weniger um die aktuelle Notsituation des Beters als vielmehr um die Verborgenheit JHWHs gehe.70 Darin wird deutlich, dass Tempelverlust und Exilserfahrung als zu verarbeitende Ereignisse im Hintergrund stehen, was einerseits die sprachlich-strukturelle Ausgestaltung der selbstreflexiven Dimension des Gebets begründen könnte (Kap. 5.1), andererseits ist die hymnisch-kosmologische Erweiterung analog zu dem Tempelbild in Ps 42/43 gestaltet, wenn auch hier alle Elemente der Klage ins Positive gewandelt werden: Selbst-, Welt-, Gottbezug. In dem Bild von Gott als transzendentem Wundertäter,71 der vor den Völkern sichtbar wird (V. 15), kann sich der Einzelne, trotz gegenwärtiger Notlage, aufgehoben wissen, sodass eine (Wieder-) Herstellung des Selbstbezugs erfolgt. Dieser Gott ist auch Herrscher über die Chaosmächte (V. 17– 20), und kann dadurch dem Beter und dem gesamten Volk als ordnende Kraft zu Ordnung und Recht verhelfen. Schließlich liefert die Geschichte den Beweis, dass Gott mit seinem Volk und dem einzelnen Beter ist (V. 16.21), sodass er durch die Erinnerung als gegenwärtig erlebt werden kann. Es wird dadurch eine umfassende Selbstintegration des Beters in die Welt und in die Gemeinschaft ermöglicht, ohne dass zwar der Tempel selbst als Ort hervorgehoben wird, jedoch alle zu ihm gehörenden symbolischen Aspekte zum Tragen kommen (Ort der Gottespräsenz, der Ordnung, des Schutzes, des Heils). Das Gottesbild behält dadurch zwar seine kosmologische Heilsfunktion, wie sie sich im Tempelbild manifestiert, scheint sich zugleich jedoch vom Tempel zu lösen und zu verlagern.72 In Hinblick auf die kompositionelle Einbindung von Ps 77 fällt überdies auf, dass der Folgepsalm Ps 78 die individuelle Heilsperspektive auf eine Perspektive ausweitet, die das gesamte Volk miteinschließt und damit die unbedingte Eingebundenheit des Einzelnen und seiner Ich-Sphäre in das Kollektiv unterstreicht.73

68 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 434. 69 Vgl. M. Millard, Komposition, 192; R. G.  Kratz, Komposition, 331. 70 Er begründet die Datierung u. a. damit, dass ein „echter Klagepsalm“ keine positive Antwort auf V. 2 geben würde. Vgl. S. Kreuzer, Frühgeschichte, 233. 71 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 437. 72 Solch eine Entwicklung muss verstärkt in persischer Zeit vermutet werden, in der durch den Ausbau des Straßennetzes die lokale Gebundenheit an den Tempel abnahm. Vgl. M. Millard, Komposition, 195. 73 Darin kann eine analoge Abfolge zu Ps 42/43 und Ps 44 festgestellt werden. Vgl. J. Gärtner, Die Geschichtspsalmen, 104. Es wäre an dieser Stelle daher ebenfalls lohnenswert, die Teilkomposition, zu der Ps 77 gehört, in Hinblick auf eine selbstreflexive Struktur zu untersuchen.

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5.2.2 Stimmungsumschwünge im Psalter – Ps 3 und Ps 31 Die Untersuchung von Ps 42/43 und Ps 77 legt nahe, dass eine Ich-Sphäre v. a. dort expliziert wird, wo in Individualpsalmen ein Stimmungsumschwung erkennbar ist (Kap. 4.1).74 Eine erste Übersicht über die Belege von Stimmungsumschwüngen zeigt, dass zwar ein oder mehrere Wechsel von der Klage zum Lob festgestellt werden können, jedoch nicht für alle Psalmen gleichermaßen ein ausgestaltetes selbstreflexives, am Text sichtbares Prozessgeschehen konstatiert werden kann. In Ps 6; 13; 36; 54,7 f.; 57,7 f. und 59,17 f. ist der Stimmungsumschwung kaum durch vorherige, aufeinander aufbauende Beziehungsumschwünge ausgestaltet, wodurch dieser unvermittelt und ohne prozesshafte Vorbereitung auftritt. Dennoch sind auch in diesen Psalmen die Wechsel von der Klage zum Lob häufig mit dem Voranstehenden verbunden.75 Zudem findet in ihnen auch auf sprachlicher Ebene Selbstreflexion keinen expliziten Ausdruck. Ps 6 insgesamt stark appellativ, sodass er „weniger inhaltlich variiert ist als vielmehr durch seine Emotivität und Expressivität (und damit auch seine Lautgestalt) spricht.“76 Der Krankenpsalm ist wahrscheinlich nach der Zerstörung des ersten Tempels in die Teilkomposition Ps 3–7 eingebunden worden, könnte an sich aber auch früheren Ursprungs sein.77 Die literarhistorische Einordnung des Psalms hängt zuletzt auch von der Bewertung des Stimmungsumschwungs zwischen Ps 6,2–8 und 6,9–11 ab.78 Selbst, wenn der Kranke zur Zeit der Entstehung des Psalms den Tempel hätte erreichen können, wäre er als Kranker und dadurch Unreiner nicht in den Tempelbereich eingelassen worden, sondern erst wieder nach seiner Heilung. Der abrupt wirkende Umschwung von der Klage zur Bitte / zum Lob wird vor dem Hintergrund der Dankfeier im Anschluss an erfahrene Hilfe plausibel, sodass hier der Stimmungsumschwung, anders als dies bei der selbstreflexiven Ausgestaltung bspw. von Ps 3 der Fall ist (Kap. 5.1), durch den offiziellen Kult begründet sein könnte. Dies kann zum einen damit zu tun haben, dass Ps 6 nicht wie Ps 3 im größeren Stil im späten 6./frühen 5. Jh. v. Chr. ausgestaltet wurde und sich tatsächlich noch verstärkt an der Kultpraxis orientiert. Zum anderen kann die fehlende Ausgestaltung in dem 74 Als beliebte Beispiele für das Phänomen des Stimmungsumschwungs in Klageliedern des Einzelnen können besonders Ps 3,8; 6,8 f.; 13,5 f.; 22,23; 31,19 f.; 36,12; 54,8; 57,7 f. und 59,17 f. angesehen werden. Sie können an dieser Stelle nicht detailliert auf ihre strukturelle und sprachliche Selbstreflexion hin befragt werden, jedoch soll eine kurze Einordnung der Beispiele in Hinblick auf ihre selbstreflexive Ausgestaltung erfolgen, bevor Ps 3 und Ps 31 als weitere Beispiele für eine Explikation der Ich-Sphäre näher betrachtet werden. Weitere Stellen nennen B. Janowski, Konfliktgespräche, 67; R. Achenbach, Klagegebete, 586. 75 So in Ps 13,6, der sowohl durch das „waw-adversativum“ als auch durch die Stichwortaufnahme ‫ גיל‬an V. 5b anknüpft. Vgl. B. Weber, Stimmungsumschwung, 126 f. 76 B. Weber, Psalmen I, 66. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 77 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E, Zenger, Psalmen. 1–50, 68. 78 Vgl. O. Loretz, Psalmstudien, 76.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

Thema der Krankheit begründet liegen. Ihre Heilung als Ergebnis von Beziehungsumschwüngen in einem Prozess darzustellen, könnte auch häuslichen Kultabläufen außerhalb des Tempels widersprochen haben (Zusprüche durch Gottesmänner o.ä.).79 Die Überlegungen zum Stimmungsumschwung in Ps 6 legen eine Datierung in das frühe 6. Jh. v. Chr. nahe. Auffälligerweise wird auch Ps 13 eher in die Zeit des ersten Tempels eingeordnet.80 Er stellt ein klassisches81 Beispiel für die dreiteilige Struktur des Klagelieds des Einzelnen, bestehend aus Klage, Bitte und Vertrauensaussage dar.82 Zwar ist die Vertrauensaussage in Ps 13,6 durch ein waw-adversativum syntaktisch an die vorausgehende Bitte angeschlossen, jedoch stellt sie sich nicht als das Ergebnis einer Auseinandersetzung des Beters mit seinen Gedanken und Gefühlen dar.83 Das wird v. a. in der direkten Adressierung Gottes durch den Beter in Ps 13,2–5 deutlich, mit der er sich reflektierend zu den Ereignissen und seiner eigenen Situation (Gottesferne, Feindbedrohung, Schmerzen) in Beziehung setzt. Ps 36 ist ebenfalls dreiteilig aufgebaut: Ps 36,2–5 Verhalten des Sünders; Ps 36,6–10 Vertrauensaussage / Lob und Ps 36,11–13 Bitten. Der Wechsel zwischen der Schilderung des Verhaltens des Sünders (Ps 36,2–5) und der Vertrauensaussage (Ps 36,6–10) erfolgt unvorbereitet und „[s]eine Sprechrichtung (Anrede) und sein Inhalt stehen im Gegensatz zur objektivierten Darstellung der eingeschlossenen Welt des Sünders.“84 Der dritte Abschnitt (Ps 36,11–13) verbindet durch die Bitten das Schicksal des einzelnen Sünders mit der universalen Güte Gottes und zielt auf den Sieg über die Sünde am „heiligen Ort“.85 Hier steht die Vermittlung einer weisheitlichen Weltvorstellung im Vordergrund als die selbstreflexive Verarbeitung einer Notlage. Es könnte sich daher bei diesem Psalm um einen frühen Vermittler zwischen vorexilischer Tempeltheologie und weisheitlichem Gedankengut handeln, der zwar einen Stimmungsumschwung aufweist, doch offenbar (noch) nicht die Notwendigkeit einer prozessualen Ausgestaltung und damit Erklärung eines solchen spiegelt. Es kann vermutet werden, dass der 79 Vgl. R. Albertz, Exilszeit, 139; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 67 f. Jedoch müssen solche Begründungen zwangsläufig hypothetisch bleiben, sodass lediglich festgehalten werden kann, dass Klagelieder des Einzelnen offenbar teils mehr, teils gar nicht Stimmungsumschwünge durch Beziehungsumschwünge vorbereiten. 80 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 96 f. 81 Gemeint ist damit, dass Ps 13 ein Modellpsalm für ein individuelles Klagegebet darstellt, der dieser Gattung weitestgehend entspricht. Vgl. Theologie des Alten Testaments (Grundrisse zum Alten Testament 6), Göttingen 2015, 391. 82 Vgl. B. Weber, Psalmen I, 87. Es gibt kaum Hinweise auf eine Datierung, meist wird der Psalm jedoch vorexilisch eingestuft. Vgl. B. Weber, Stimmungsumschwung, 123. 83 Entgegen G. Barbiero ist Ps 13,3 nicht vor dem Hintergrund von Ps 4,5.9 im Sinne von „grübeln“ zu verstehen, sondern „Ps 13 setzt die altorientalische Tradition des Gerichtes am Morgen, das morgendliche Erscheinen der Sonne der Gerechtigkeit voraus.“ O. Loretz, Psalmstudien, 165; vgl. G. Barbiero, Psalmenbuch, 169. 84 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 227. 85 Welcher Ort damit genau gemeint ist, wird nicht näher beschrieben. Vgl. K. Seybold, Psalmen, 152.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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Umschwung noch vor dem Hintergrund der Erinnerung an den offiziellen Tempelkult plausibel ist. Zudem wird er u. a. aufgrund der breiten Rezeption von Ps 36,6 im Psalter in exilische Zeit eingeordnet.86 Der Aufbau von Ps 54 erinnert an Ps 13 und kann näher als „Bittgebet mit integrierter Klage“87 bezeichnet werden. Die Datierung ist auch hier aller Wahrscheinlichkeit nach eher vor dem 6. Jh. v. Chr. anzusiedeln, da durch das Thema des Tempelopfers die Perspektive vorexilischer Armenpsalmen zum Ausdruck kommt.88 Der Beter beklagt Gott und Feinde, setzt sich aber nicht denkend und fühlend explizit zu diesem Sachverhalt in Bezug und die Beziehung zwischen Gott und Beter erscheint gleichbleibend. Der Eindruck eines plötzlichen Stimmungsumschwungs wird ferner dadurch verstärkt, dass die Vertrauensäußerung als an ein nicht genanntes Publikum gerichtet verstanden werden kann.89 Die literarhistorische Einordnung lässt auch hier einen ursprünglich noch tempelnahen Verstehenskontext vermuten, durch dessen Präsenz der Stimmungsumschwung keiner weiteren Erklärung bedurfte. Die sprachlich-theologischen Unterschiede zwischen Ps 57,2–5.7 und Ps 57,8– 12 zeigen, dass Ps 57 ein aus verschiedenen Teilstücken zusammengesetzter Text ist.90 Die beiden identischen Refrainverse Ps 57,6.12 gliedern den Psalm in zwei beinahe gleich lange Teile: In eine Bitte und eine Schilderung der Notlage in Ps 57,2–6 und die Vertrauensaussagen in Ps 57,7–12.91 Beide Teile sind zwar durch den Refrain verbunden und Ps 57,7–12 offenbar als Antwort auf den bittenden ersten Teil zu verstehen, jedoch stellt sich der Text dabei nicht als Abfolge eines Reflexionsprozesses dar. Es zeigt sich keine Ausgestaltung des Umschwungs von dem ersten zum zweiten Teil, sondern er geschieht schematisch unvermittelt. E. Zenger geht davon aus, dass der Psalm, aufgrund „der komplexen, spannungsreichen Bildwelt des Psalms“92, in den Kontext des familiären Kults einzuordnen ist. Es handelt sich hierbei aller Wahrscheinlichkeit nach um einen späten Psalm (im Gegensatz zu Ps 6; 13; 36 und 54).93 Mit J. Jeremias kann zudem festgehalten werden, dass der Vertrauensüberschuss in Ps 57, im Gegensatz zu älteren Psalmen, wie z. B. Ps 13, in größerem Umfang ausgeführt ist.94 Die Einbindung in einen Familienkult könnte dann erklären, weshalb in späterer Zeit keine Ausgestaltung des Psalms und besonders des Stimmungsumschwungs vorgenommen wurde. 86 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 223. 87 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 344. 88 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 345 f. 89 Da der Beter nun Gott nicht mehr direkt, sondern in der 3.Pers. anspricht. Vgl. a. a. O., 444. 90 Vgl. a. a. O., 355. 91 Vgl. J. S.  Kselman, Double Entendre, 255. 92 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 356. 93 Vgl. J. Jeremias, Theologie, 393. 94 Vgl. a. a. O., 399.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

Ps 59 weist demgegenüber eine komplexere Struktur auf, indem er in zwei Teile gegliedert ist (Ps 59,2–10 und Ps 59,11–18), die jeweils den Ablauf Klage, Bitte, Vertrauensaussage beinhalten.95 Der Psalm wirkt durch intertextuelle Bezüge aufeinander aufbauend. So wird die Bitte um Errettung in Ps 59,2–6 durch das gemeinsame Motiv der Kriegsmetaphorik mit der Klage in Ps 59,7–8 zusammengehalten. Auch die Vertrauensaussage in Ps 59,10 kann auf die Bitte in Ps 59,2–4 bezogen verstanden werden.96 Die in Ps 59,11–14 erneut vollzogene Bitte ist im Kontrast zur Bitte des ersten Teils gestaltet (vs. Beteuerung der Unschuld in Ps 59,2–4), die Klage in Ps 59,15 f. steigert die Klage aus dem ersten Teil (Ps 59,7–8) und auch das Lob in Ps 59,17–18 ist durch das Nachtmotiv auf die voranstehende Klage bezogen.97 Es zeigt sich darin zwar andeutungsweise ein prozesshaft gestalteter Aufbau, doch steht hier nicht der Beter mit seiner Situation und dadurch als sich reflektierendes betendes Ich im Vordergrund, sondern verstärkt eine kollektive Perspektive, die eine Verurteilung der Feinde provoziert.98 Eine literarhistorische Einordnung erweist sich bei Ps 59 als besonders schwierig.99 Gegenüber diesen unvermittelt wirkenden Wechseln zeigen andere Psalmen bereits bei einem ersten Überblick eine Prozessstruktur: So stellt sich Ps 22, den B. Janowski im Rahmen seiner Überlegungen zum Stimmungsumschwung detailliert analysiert, eindeutig als Ergebnis eines Reflexionsprozesses dar.100 Die literarische Genese ist durchaus umstritten. Eine Möglichkeit besteht in der Annahme eines vorexilischen Grundpsalms (Ps 22,2–3.7–23), der durch eine erste Redaktion (Ps 22,4–6.24–27) um eine Gemeindeperspektive und durch eine zweite Redaktion (Ps 22,28–32) um weitere Vertrauensaussagen erweitert wurde.101 Durch diese Erweiterung wird die selbstreflexive Struktur noch verstärkt: Die Anrufung Gottes (Ps 22,2–3) gibt mit dem Thema der Abwesenheit der Heilsgegenwart Gottes das Grundthema des gesamten Psalms vor. Der Beter wechselt von der direkten Ansprache an Gott zu einem in der Kultgemeinschaft verortetem Ver 95 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 362. K. Seybold zufolge ist die Textstruktur durch Bestrebungen zerstört worden, die individuelle Klage in eine Volksklage umzuformulieren. Vgl. K. Seybold, Psalmen, 235. Da für diese These jedoch nicht ausreichend textkritische Belege vorhanden sind, ist in Hinblick auf redaktionelle Ausscheidungen und Emendationen Zurückhaltung geboten. Vgl. W. O. E.  Oesterley, Psalms, 294 f. 96 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen II, 364 f. 97 Vgl. B. Weber, Psalmen I, 264. 98 Zur Diskussion um das Verhältnis zwischen individuellem und kollektivem Charakter in Ps 59 vgl. A. Basson, Metaphors, 189 f. 99 Vgl. a. a. O., 190. 100 Vgl. dazu, B. Janowski, Konfliktgespräche, 75–84. 101 Vgl. M. Marttila, Reinterpretation, 101–105; G. Vanoni, Psalm 22, 153–192, 185; F.L. Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 144. Besonders das Vertrauensbekenntnis in V. 4–6, das meist derselben Redaktion wie Ps 22,24–27 zugeordnet wird, bietet Anlass zur Diskussion. Vgl. D. Bester, Körperbilder, 84 f. Der redaktionelle Charakter von V. 28–32 ist dagegen weitgehend Forschungskonsens.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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trauensbekenntnis (Ps 22,4–6) und nimmt die Gottesnähe erinnernd in den Blick. Mit diesem Wechsel stellt der Beter seiner Notlage Gott als Heilsbringer entgegen und vollzieht dadurch einen ersten Beziehungsumschwung. Er äußert sich in dem Wechsel zwischen vorwurfsvoller Anklage / Anrufung (Ps 22,2–3) zur vertrauensvollen Erinnerung (Ps 22,4–6) und zeigt den Wechsel der Haltung des betenden Ichs innerhalb der Gottesbeziehung.102 Gott wird jedoch weiterhin, entgegen der erlebten Gottesnähe in der Vergangenheit, von dem betenden Ich als unverfügbar und abwesend erlebt, wodurch die Gottesbeziehung zwischen Beter und Gott als gestört dargestellt wird. Der Beter bringt seine Klage vor dem Hintergrund der Erinnerung noch drastischer zum Ausdruck (Ps 22,7–9) und beschreibt sich selbst als würdeloses Wesen (Ps 22,7). Der Wechsel von der Erinnerung zur Klage stellt einen zweiten Beziehungsumschwung dar, der in der völligen Abwendung des Beters von seiner Geschöpflichkeit besteht und der Annahme einer völligen Verwerfung durch Gott (vgl. Zitat in Ps 22,9). Doch der Beter verharrt nicht in dieser Haltung, sondern wendet sich wieder zu Gott hin und erinnert ihn an das entgegengebrachte Vertrauen (Ps 22,10–11)103 und nimmt ihn nun bittend in die Verantwortung (Ps 22,12), wodurch ein dritter Beziehungsumschwung in Beter-Gott-Beziehung deutlich wird. Daraufhin wendet sich der Beter klagend sich selbst zu und reflektiert sprachlich explizit in seiner Ich-Klage seine Notlage und vollzieht einen vierten Beziehungsumschwung (Ps 22,13–19). Sprachliche Selbstreflexion wird dabei insbesondere in V. 15b deutlich, in dem der Beter als Subjekt (aus V. 15b: ‫ )לבי‬und zugleich Objekt (‫ )בתוך מעי‬in Relation gesetzt wird.104 Diese Selbstreflexion führt den Beter zu einem fünften Beziehungsumschwung, den entscheidenden Schlussbitten (Ps 22,20–22), die dann in den Stimmungsumschwung, das Lob Gottes durch Beter und durch die Gemeinde mündet (V. 23 ff.).105 Es zeigt sich dadurch insgesamt eine sprachlich und strukturell selbstreflexive Ausgestaltung von Ps 22, im Sinne der in dieser Untersuchung herausgestellten Kriterien für eine Explikation der Ich-Sphäre. Einen zumindest in Ansätzen ausgestalteten Stimmungsumschwung zeigen auch Ps 3 und Ps 31, deren selbstreflexive Struktur an dieser Stelle in Umrissen skizziert werden soll. Bei ihnen handelt es sich um weitere Beispiele sowohl für „Stimmungsumschwünge“ als auch für die Explikation der Ich-Sphäre in den Psalmen. Dabei wird auf sprachlicher Ebene Selbstreflexion nur indirekt deutlich, indem durch den Rückblick auf die Erhörung in Ps 3,5–7 eine Auseinandersetzung

102 Vgl. D. Bester, Körperbilder, 120. 103 Vgl. zur Metaphorik des „Mutterschoßes“ auch Ijob 10,18–19 und Ps 139,13–18 bei C. Frevel, Menschsein, 17–19; D. Mathewson, Death, 55. 104 Aber auch V. 18 f. veranschaulichen eine Selbstdistanzierung. Vgl. D.  Bester / B.  Janowski, Anthropologie, 29. Zur Metapher des „zerfließenden Herzens“ vgl. D. Bester, Körperbilder, 197–201. 105 Vgl. K. Seybold, Psalmen, 97.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

mit der Vergangenheit erkennen lässt, bei der eine selbstreflexive Bezugnahme des Beters im Hintergrund steht. Explizit wird die Ich-Sphäre hier jedoch v. a. durch die strukturell zutage tretende Selbstreflexion, die im Folgenden analysiert wird. Gebetsmodi

Übersetzung 1 Ein Psalm Davids, als er vor seinem Sohn Absalom floh.

Feind-Klage

2a JHWH, wie zahlreich sind meine Bedränger; 2b so viele stehen gegen mich auf. 3a Viele gibt es, die von mir sagen106: 3b „Er findet keine Hilfe bei Gott.“ Sela.

Gelübde

4a Du aber, JHWH, bist ein Schild für mich, 4b du bist meine Ehre und richtest mich auf.

(Rückblick auf Erhörung)107

5a Ich habe laut zu JHWH gerufen; 5b da erhörte er mich von seinem heiligen Berg. Sela 6a Ich lege mich nieder und schlafe ein, ich wache wieder auf, 6b denn der JHWH beschützt mich.108 7a Viele Tausende von Kriegern109 fürchte ich nicht, 7b wenn sie mich ringsum belagern,

Beziehungsumschwung

Beziehungsumschwung

Beziehungsumschwung Bitte

8a JHWH, erhebe dich, mein Gott, bring mir Hilfe. Stimmungsumschwung

Vertrauensäußerung/ Lob

8b Denn all meinen Feinden hast du den Kiefer zerschmettert, hast den Frevlern die Zähne gebrochen.110 9a Bei JHWH ist die Rettung. 9b Auf dein Volk komme dein Segen.111 Sela.

106 M. Dahood gibt ‫ אמרים לנפשי‬mit „who eye my life“ wieder. Mangels textkritischer Indizien ist diese Übersetzung abzulehnen. Vgl. B. Weber, Psalmen I, 56. 107 Rede von Gott in der 3. Person. 108 Die Verbformen erfordern hier eigentlich eine Übersetzung in der Vergangenheit. Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 57. 109 Wörtlich: „Volk“. Ähnliche Kompromisslösungen bei B. Weber, Psalmen I, 56: „[Kriegs-] Volk“; A. Weiser, Psalmen. Erster Teil, 79: „Kriegsvolk“. 110 Eine literarkritische Emendation von Ps 3,8 ist F.-L. Hossfeld zufolge trotz der auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich erscheinenden Zusammenstellung von Bitte und Erhörung in einem Vers nicht angezeigt, da die Bitte dramaturgisch und lexikalisch mit dem Psalm verbunden sei. Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 55. 111 V. 9b stellt einen Perspektivwechsel dar. Unter dem Volk wird nicht mehr das Kriegsvolk (V. 7) verstanden, sondern das Volk Israel. Dadurch wird das Gebet des Einzelnen in die Perspektive des gesamten Volkes gestellt, sodass V. 9b wahrscheinlich redaktionell ist. Vgl. ebd.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

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Analog zu den Beziehungsumschwüngen in Ps 42/43 können diese auch hier als vorangehende Prozesse des Stimmungsumschwungs ausgemacht werden: V. 2 f. beschreibt der Beter zunächst die Feindbedrohung, der sich ein Wechsel zum Gelübde in V. 4 anschließt.112 In der Wende von der Feindbeschreibung hin zur vertrauensvollen Anrede an Gott manifestiert sich ein erster Beziehungs­ umschwung:113 Indem der Beter seinen Blick von den Feinden weg auf JHWH wendet und sich von allem negativen Einreden der Vielen löst, ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Rettungsgewißheit (8b) erreicht. Über das Motiv des Blickwechsels hinaus investiert der Beter mit der Vergegenwärtigung von JHWHs Wesen und Handeln pragmatischsemantisch Vertrauen in JHWH und sein Eingreifen. […] Als Kontrapunkt zu den Feinden bekennt er JHWH als ein Schild um mich herum. 4b steigert das a-Kolon: JHWH ist ihm nicht allein Schutz, sondern aktiv meine Ehre und der mein Haupt erhebt (vgl. Ps 27,6). Mit diesen Epitheta weiß und proklamiert er JHWH als den Garanten seiner öffentlichen Reputation und seiner persönlichen Ermutigung.114

Ps 3,5–7 beinhaltet einen berichtartigen Rückblick in die Vergangenheit und wechselt die Perspektive zur distanzierteren Feindbeschreibung und lässt einen zweiten Beziehungsumschwung erkennen. Er wird besonders daran sichtbar, dass der Beter Verben in der 1. Pers. Sg. verwendet und von Gott in der dritten Person spricht und sich insofern von ihm als direkten Adressaten abkehrt: „Der Sprechrichtungswechsel […] und die gesamte Syntax von 5 verdeutlicht nicht nur die Regelmäßigkeit der Gebetsrufe, sondern verfolgt die pragmatische Intention, Gottes Verlässlichkeit zu betonen“115. Der Beter wendet sich zudem der Beschreibung der Vergangenheit, seiner Erfahrungen bzw. sich selbst zu. Ein weiterer Beziehungsumschwung vollzieht sich bei dem Wechsel zur Bitte in Ps 3,8a, welche Gott mittels Imperativ direkt anspricht. Dadurch wird die Beziehungsqualität auch gegenüber Ps 3,2–4 verändert: Gott wird nicht mehr nur angesprochen, sondern aufgefordert und in die Verantwortung genommen.116 Aus der vergangenen Erfahrung hat der Beter Mut geschöpft, sich nun direkt an Gott zu wenden. Durch die Aufnahme und positive Wendung der Bedrohung durch ‫„( צר‬Bedränger“) und ‫„( איב‬Feinde“) aus V. 2 in V. 8b, präsentiert sich dann im Anschluss Ps 3,8b.9 als Ergebnis eines doppelten Beziehungsumschwungs der Stimmungsumschwung, der eine Veränderung des Themas (Klage → Lob), anzeigt. Diese prozesshafte Vorbereitung des letzten Umschwungs erkennt auch F. L. Hossfeld: „Im Falle von 38 gehören Bitte 112 Vgl. B. Weber, Psalmen I, 57; F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 55; P. D.  Miller, Prayer, 73. 113 B. Weber, Rettung, 227. 114 U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 236. 115 U. Rechberger, Stimmungsumschwung, 236. 116 Vgl. W. O. E.  Oesterley, Psalms, 129; K. Seybold, Psalmen, 36.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

und Motivierung zusammen, weil nur durch die Bitte der Wechsel vom Bericht 5–7 zur Anrede JHWHS in 8 f herbeigeführt wird.“117 So „unmittelbar“, wie F.-L. Hossfeld dann dennoch diesen Umschwung in Ps 3,8b beurteilt, stellt er sich bei der Betrachtung des hier strukturell explizit durch Beziehungsumschwünge ausgestalteten Reflexionsprozesses nicht dar. Analog zu Ps 42/43 steht auch dieser Psalm, durch Ps 3,5 deutlich betont, im Horizont der Gottespräsenz auf dem Zion und ist in die Zeit des Zweiten Tempels einzuordnen.118 Ps 3 kann vor diesem Hintergrund als Ersatz für die physische Begegnung des Beters mit Gott im Tempelkult verstanden werden.119 In Ps 31,19 f. verhält es sich schwieriger, da die Durchdringung von Klage und Dank den Eindruck einer unklaren Struktur erwecken.120 Zudem findet sich in Ps 31 keine sprachlich explizite Selbstreflexion. Gleichwohl drückt V. 11c einen indirekten Rückbezug des Beters aus, der zwar nicht als Subjekt direkt in den Vordergrund tritt, aber durch „meine Kraft“ und „meine Schuld“ ein selbstreflexives Verhältnis ausdrückt. Diese Formulierung ist, betrachtet man die Entstehungsgeschichte von Ps 31, ein Teil der exilischen Ausgestaltung. Der Grundpsalm 31,10–19 wurde dabei durch die rahmenden Bitt- und Dankteile 31,2–9.20–25 erweitert.121 Ps 31 kann dadurch als weiterer Beleg dafür angeführt werden, dass die selbstreflexive Auseinandersetzung des Beters ein besonderes Interesse in der Zeit nach der Tempelzerstörung darstellt, was, so zeigen u. a. ansatzweise prozesshafte Ausgestaltungen in Ps 59, nicht pauschal auf alle frühen / späten Psalmen übertragen werden kann. Immer wieder durchzogen von Vertrauensäußerungen sind Beziehungsumschwünge in Ps 31 schwerer auszumachen. Durch die redaktionelle Rahmung präsentiert sich jedoch der Endteil als Ergebnis der ursprünglichen Klage in Ps 31,10–19. Insgesamt kann der Psalm von seinem Schluss her in V. 20–25 als Danklied bestimmt werden.122

117 F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 55. 118 Dabei kann eine ältere Grundschicht angenommen werden, die Bezüge zu königlichen Gebeten herstellt: Ps 3, 3.8.9a. Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 56. 119 Die Notwendigkeit der Rezitation des Psalters „bei Tag und bei Nacht“ findet zudem durch die makrostrukturelle Einordnung in die Ps 3–7 ihren Ausdruck. Vgl. G. Barbiero, Psalmenbuch, 68 f. 120 Vgl. F.-L.  Hossfeld / E.  Zenger, Psalmen. 1–50, 191. 121 Vgl. a. a. O., 192. Im Kern steht literarhistorisch aller Wahrscheinlichkeit nach das Klagegebet des Kranken in V. 10–19. Vgl. K. Seybold, Psalmen, 129. 122 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 249; B. Weber, Psalmen I, 155.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion  Gebetsmodi

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Übersetzung 1 Für den Chormeister. Ein Psalm Davids.

Bitte

2a Bei dir, JHWH, suche ich Zuflucht, 2b ich will nicht zuschanden werden auf ewig,123 2c in deiner Gerechtigkeit rette mich. 3a Neige zu mir dein Ohr, 3b eile, mich zu befreien, 3c sei mir ein Fels der Zuflucht, 3d eine feste Burg, mich zu retten. 4a Denn mein Fels und meine Burg bist du, 4b um deines Namens willen leite und führe mich. 5a Zieh mich aus dem Netz, 5b das sie mir heimlich legten, 5c denn du bist meine Zuflucht. Beziehungsumschwung

Vertrauensäußerung/ Lob

6a In deine Hand befehle ich meinen Geist (‫)רוחי‬, 6b du hast mich erlöst, JHWH, du treuer Gott. 7a Ich hasse, die sich an nichtige Götzen halten, 7b ich aber vertraue auf JHWH. 8a Ich will frohlocken und mich freuen an deiner Gnade, 8b dass du mein Elend gesehen, 8c auf die Nöte meines Lebens (‫ )נפשי‬geachtet hast. 9a Du hast mich nicht der Hand des Feindes ausgeliefert, 9b hast meine Füße auf weiten Raum gestellt. Beziehungsumschwung

Ich-Klage

10a Sei mir gnädig, JHWH, denn Bedrängnis [widerfährt]124 mir, 10b schwach geworden vor Gram ist mein Auge, mein(e) Leben(skraft) (‫)נפשי‬, mein Leib. 11a Denn im Kummer ist mein Leben dahingeschwunden, 11b meine Jahre vergehen mit Seufzen. 11c Meine Kraft ist zerfallen durch meine Schuld, 11d und schwach geworden sind meine Gebeine. 12a All meinen Feinden bin ich zum Spott geworden 12b und meinen Nachbarn noch mehr, ein Schrecken denen, die mir vertraut sind; 12c die mich auf der Strasse sehen, fliehen vor mir. 13a Vergessen bin ich, wie ein Toter aus dem Herzen, 13b ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäss. 14a Denn ich habe das Gerede der Menge gehört, 14b Grauen ringsum, 14c als sie sich gegen mich sich verschwörten, 14d sannen sie, mir das Leben zu nehmen.

123 B. Weber, Psalmen I, 153: „Lass mich doch nimmermehr zuschanden werden!“ 124 Vgl. B. Weber, Psalmen I, 153.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele Beziehungsumschwung

Bitte

15a Ich aber habe auf dich vertraut, JHWH, 15b ich sprach: Du bist mein Gott. 16a In deiner Hand ist meine Zeit[en], 16b rette mich aus der Hand meiner Feinde und meiner Verfolger. 17a Lass leuchten dein Angesicht über deinem Diener, 17b rette mich in deiner Gnade.

Gott-Klage

18a JHWH, ich will nicht zuschanden werden, 18b denn ich rufe zu dir.

Feind-Klage

18c Zuschanden werden sollen die Frevler, 18d heulend zur Unterwelt. 19a Verstummen sollen die Lügenlippen, 19b die frech reden gegen den Gerechten, 19c mit Hochmut und Spott.

Gelübde

20a Wie groß ist deine Güte, 20b die du denen bewahrt hast, die dich fürchten, 20c die du denen erweist, die bei dir Zuflucht suchen 20d vor den Menschensöhnen 21a Du beschirmst sie im Schutz deines Angesichts 21b vor den Verschwörungen der Menschen, 21c du birgst sie in einer Hütte 21d vor dem Streit der Zungen. 22a Gepriesen sei JHWH, 22b denn wunderbar hat er seine Gnade erwiesen 22c an mir in einer festen Stadt.

Rück- und Ausblick

23a Ich aber sprach, da ich weglief vor Angst: 23b Ich bin verstoßen aus deinen Augen. 23c Doch du hast mein lautes Flehen gehört, 23d als ich zu dir schrie. 24a Liebt JHWH, all ihr seine Frommen. 24b Die Getreuen behütet JHWH, 24c doch über die Massen vergilt er dem, der Hochmut übt. 25a Seid stark, damit euer Herz unverzagt ist, 25b ihr alle, die ihr harrt auf JHWH.

Stimmungsumschwung

In V. 2–9 herrscht das Thema der Nähe Gottes zum Beter vor.125 Dabei wird zwischen Bitte (V. 2–5) und Vertrauensäußerungen (V. 6–9) gewechselt und es bleibt insgesamt ein positiver Grundton erhalten. Zwischen V. 5.6 ereignet sich ein erster Beziehungsumschwung, durch den deutlich wird, dass der Beter von der hoffnungsvollen Bitte um Rettung aus seiner aktuellen Notlage (V.3b.5b) zur Vertrauensäußerung (V. 6b.9) übergeht und dadurch einer intakten Gottesbeziehung

125 Vgl. C. De Vos, Felsen, 6.

Weitere Beispiele expliziter Selbstreflexion 

247

Ausdruck verleiht, auf die er vertrauensvoll hofft.126 Er liefert dadurch die Begründung für die zuvor geäußerte Bitte und in der Beziehung zum Beter erscheint Gott als Retter aus der Feindbedrohung (V. 5). Dabei spielt der Tempel als Ort des Schutzes eine besondere Rolle (V. 3 f.20 f.).127 Durch die geschilderte, positive Wendung drängt sich der Verdacht auf, dass es sich vielmehr um einen Stimmungsumschwung als um einen Beziehungsumschwung handeln könnte, doch der weitere Verlauf des Psalms legt eine andere Deutung nahe: Die unheilvolle Situation des Beters scheint zwar gewendet, noch bevor die eigentliche Klage beginnt, doch vor dem Hintergrund der in V. 10–19 folgenden Klage erscheint die Bitt- und Dank-Episode als vorgeschalteter Rückblick.128 Der Wechsel zwischen V. 2–5 und V. 6–9 will daher als Beziehungsgeschehen verstanden werden, in welchem der Beter in seiner Notlage bittend, sich (durch einen Beziehungsumschwung strukturell sichtbar) sein Gottvertrauen ins Bewusstsein ruft.129 Dadurch kann ferner erkannt werden, dass es sich bei der anfänglichen Bitte nicht um einen Teil der Klage handelt, sondern diese eng verwoben ist mit dem folgenden Dank in V. 6–9. Mit dem Einstieg in den Klageteil (v. 10–14) vollzieht sich ein erneuter Beziehungsumschwung, durch den der Beter sich von seiner vertrauensvollen Hinwendung und dadurch von Gott entfernt, indem er sich auf die Ich-Klage konzentriert.130 Betrachtet man V. 2–9 jedoch als Erinnerung bzw. vorgeschalteten Rückblick, wird deutlich, dass gerade hierdurch die Ambivalenz, in welcher der Beter sich befindet zum Ausdruck kommt und dadurch den Auftakt für die Klage bildet. Der Beziehungsumschwung zwischen V. 2–9 und V. 10–14, der auf den ersten Blick als divergenter Stimmungsumschwung erscheint, spiegelt das Resultat des durch den Beter reflektierten Beziehungsgeschehen wider. Er wendet sich in seiner Gottesbeziehung zunächst bittend (V. 2–5), dann vertrauensvoll erinnernd (V. 6–9) an Gott und versucht diese Perspektive mit seiner Notlage zu harmonisieren. Diese Auseinandersetzung mit den enttäuschten Erwartungen des Beters an die Beziehung führt jedoch in den V. 10–14 zu einer anklagenden Haltung des Beters gegenüber Gott und dadurch zu einem Beziehungsumschwung. Der Klageteil in V. 10–19 kann wiederum in zwei Teile gegliedert werden: Die Ich-Klage in V. 10–14131 und die klagende Bitte in V. 15–19. Sie spiegeln eine erneute Veränderung innerhalb der Beter-Gott-Beziehung im Sinne eines Beziehungsumschwungs wider, in welcher der Beter nun Gott wieder in die Verantwortung nimmt und sich erwartungsvoll an ihn wendet.132 Mit V. 20–22 erfolgt der Stimmungsumschwung, der durch die 126 Vgl. G. Siegwalt, Dogmatique, 26. 127 Vgl. K. Seybold, Psalmen, 129 f. 128 Vgl. B. Weber, Psalmen I, 155. 129 Vgl. M. G.  Girard, Psaumes, 250. 130 Vgl. B. J.  Segal, Psalm, 143. 131 In der Ich-Klage begründet der Beter sein Ergehen in Form von Elendsschilderungen. Vgl. B. Weber, Psalmen I, 155. 132 Vgl. K. Seybold, Psalmen, 131 f.

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Sprachlich-strukturelle Synthese der Ich-Sphäre und weitere Beispiele

Schilderung von Vertrauensäußerungen / Lob die Rettung des Beters realisiert.133 In V. 23 blickt der Beter zurück auf die einstige Notlage und formuliert im Anschluss daran in den letzten beiden Versen (V. 24 f.) Aufforderungen, die sich im Plural an eine Gruppe richten. Diese Gruppe ist aller Wahrscheinlichkeit nach als Gemeinde zu verstehen.134 Gerade in dieser Gesamtperspektive integriert Ps 31, anknüpfend an den voranstehenden Ps 30 die Not des Einzelnen in die des Volkes.135 Die kompositionelle Einbindung des Psalms gestaltet den prozesshaften Charakter sogar noch weiter aus, indem Ps 32 von der Heilserfahrung berichtet, die in den Dank für die erwiesene Rettung in Ps 33 überführt wird.136 Bei der Betrachtung der Beispiele für „Stimmungsumschwünge“ wird deutlich, dass eine selbstreflexive Ausgestaltung v. a. bei Psalmen nach dem 6. Jh v. Chr. auftritt, sodass sie deutlich als eine Verarbeitung der Krise der Gottesferne erscheinen.137 Die Explikation einer Ich-Sphäre auf struktureller Ebene ermöglicht es dem Beter, das Gebetsritual auch losgelöst vom Kult als inneren Prozess zu verstehen und in diesem zur Begegnung mit Gott zu kommen.138 Es sind als Psalmen, bei denen eine solche Ausgestaltung nicht sichtbar wird, in diesen Beispielen Ps 6; 13; 36; 57 und 59 hervorgetreten. Diese Psalmen sind tendenziell früh, in die Zeit des ersten Tempels oder unmittelbar nach seiner Zerstörung zu datieren.

133 Vgl. dazu die Überlegungen zum Gebet als Kulthandlung in Kap. 4.1. 134 Vgl. B. Weber, Psalmen I, 155. 135 Vgl. a. a. O., 156. 136 Vgl. G. Barbiero, Psalmenbuch, 441. 137 Vgl. S. Burkes, God, Self and Death, 202. 138 Es deutet sich darin eine Individualisierungstendenz an, die in späten Schriften des AT bzw. apokrypher Literatur verstärkt beobachtet werden kann. Vgl. ebd.

6 Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen  

The psalms contain humanity’s cries of lament and woe. The psalmic language and its interpretation, however, are primarily masculine; and the images are often ones of war, politics, courts of law and temple rituals – all associated with male patriarchal spaces. Can women find their voice here?1

Die Frage nach der Stimme der Frauen in den Psalmen, die B. L. Tanner hier stellt, gewinnt insbesondere in Anbetracht der einleitenden Verse in Ps 42/43 an Bedeutung. Die Perspektive, die mit der dürstenden Hirschkuh in Ps 42,2 anklingt, lässt, durch den Vergleich des Beters mit einem weiblichen Tier, nach einer femininen Sichtweise fragen (Kap. 2.1). Es kann davon ausgegangen werden, dass für einen männlichen Beter der Vergleich mit einem männlichen Tier, mit einem Hirsch, näherliegt. Der männliche Kontext ergibt sich allein durch die Überschrift: ‫„( למנצח משכיל לבני־קרח׃‬Für den Chormeister. Ein Weisheitslied der Korachiter“), wobei der Ausdruck ‫ לבני־קרח‬das weibliche Geschlecht inkludieren könnte. Darüber hinaus finden sich keine zwingenden Hinweise auf eine geschlechterspezifische Zuschreibung in Ps 42/43 und selbst die genuin maskuline Psalmenzuschreibung „Für den Chormeister“2 bedeutet nicht zwangsläufig, dass hier allein männliche Erfahrungen literarisch genutzt worden sind. So zeigt auch das Lied der Hanna (1 Sam 1,1–2,11), dass Frauen durchaus am Tempel zu beten pflegten.3 Zwar finden sich in verschiedenen erzählenden Texten weibliche Notschilderungen, wie Schmerzen bei der Geburt (Gen 3,16) und Vergewaltigung (2 Sam 13,1–20),4 1 B. L.  Tanner, Unspoken, 295. 2 Es bleibt nach wie vor unklar, wie der terminus technicus ‫ למנצח‬genau zu verstehen ist. Er könnte sowohl auf eine Funktions- als auch auf eine Personenzuschreibung hindeuten. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 59. 3 Dennoch fehlen spezifische Frauenmotive, wie u. a. Schwangerschaft und Geburt, und die Erzählung bleibt in der atl. Literatur einzigartig, sodass die von Frauen vollzogene bittende und dankende Hinwendung an Gott in und nach einer Not „höchstens sporadisch und andeutungsweise“ aufgegriffen wird. E. S. Gerstenberger kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass die männliche Aufnahme und Transformation des Gebets von Frauen in biblische Literatur mit der Betonung des kriegerischen Hymnus einhergehe, da der Wert ihrer kultischen Handlungen besonders in der Partizipation an Kampf und Krieg gesehen werde. Vgl. E. S.  Gerstenberger, Spiritualität, 351 f. Die durch ihn vorgenommene Zuordnung von kultischen Rollen im offiziellen Gottesdienst von Männern und Frauen kann jedoch, aufgrund mangelnder Belege, dem kritischen Blick nicht standhalten. Dass Frauen mit der Totenklage in Verbindung gebracht werden, hängt eher mit der sozialen Rolle der Frau zusammen und kann nicht ohne Weiteres auf den offiziellen Gottesdienst übertragen werden. Vgl. E. S.  Gerstenberger, Spiritualität, 357. 4 Für weitere Beispiele vgl. a. a. O., 352 f.

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Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen     

doch bei einem Blick auf die Gebetsliteratur verhält es sich eindeutig schwieriger, explizite Frauenperspektiven bzw. Frauenmotive zu identifizieren. Dennoch sprechen einige Belege dafür, dass zumindest im häuslichen Kult auch Frauen eine gewisse kultische Verantwortung tragen konnten.5 Die Psalmen geben zudem konkrete Hinweise auf Stimmen der Frauen, wie die Aufforderung „zu jauchzen“ in Ps 48,12 an die Töchter Judas.6 Die Gebetssprache der Psalmen ist grundsätzlich offen für die Perspektiven beider Geschlechter, wie E. S. Gerstenberger anhand terminologischer Überlegungen zu ‫ אנוש‬,‫ אדם‬und ‫ איש‬zeigt.7 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bereits im Eingang der Arbeit thematisierte, historisch und sprachlich bedingte Diskrepanz zwischen einer modernen und einer biblischen Sicht-, und – ganz besonders – Ausdrucksweise auf den Menschen auch an dieser Stelle berücksichtigt werden will: Zum einen handelt es sich bei den Psalmen, wie bei biblischen Texten im Allgemeinen, bis auf wenige Ausnahmen, überwiegend um „Männerliteratur“8, bei der die Erfahrungs- und Gefühlswelt der Frauen durch Männer aufgenommen und vermittelt wird. Durch die patriarchalen Verhältnisse ist mit einem eher geringen Einfluss von Frauen auf die Textproduktion zu rechnen.9 Daher, so U. Bail, sind die Stimmen der Frauen (female voices) oft nur verborgen als Spuren vorhanden. Ob diese entdeckt werden, hängt von der lesenden Person und ihrem Interesse, biblische Texte auf female voices hin zu untersuchen, ab. Texte und Leser sind nie gender-neutral, und oft erzählen Texte eine andere Geschichte, je nachdem, ob sie als male voice oder als female voice gelesen werden.10

Das Anliegen besteht somit nicht in der Suche nach einer weiblichen Autorenschaft, sondern „die Leserin wird zum hermeneutischen Schlüssel“11. Zum anderen kann mit E. S. Gerstenberger beobachtet werden, dass das biblische Verständnis einer stark in die Gemeinschaft eingebundenen Einheit von Mann und Frau (in einem patriarchalen System) von der Zentralstellung des unabhängigen Individuums in der Moderne abgelöst worden ist.12 Es geht bei einer gendersensiblen Lesart von Ps 42/43 nicht darum, eine Interpretation über eine andere zu erheben, sondern vielmehr ist ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Psalmenlitera­ tur prinzipiell auch Hinweise auf eine weibliche Erfahrungswelt enthalten kann.13 5 Vgl. E. S.  Gerstenberger, Spiritualität, 358. 6 Vgl. U. Bail, Psalmen, 181. 7 Vgl. E. S.  Gerstenberger, Spiritualität, 355. 8 A. a. O., 349. 9 Vgl. I. Fischer, Gotteslehrerinnen, 14 f. 10 U. Bail, Psalmen, 181. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 11 D. Erbele-Küster, Rezeptionsästhetik, 42. 12 E. S.  Gerstenberger, Spiritualität, 350. 13 M. Grohmann versteht daher die Interpretationsvielfalt der Texte als Chance, warnt jedoch zugleich vor hermeneutischer Beliebigkeit. Vgl. M. Grohmann, Frauen, 30.

Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen     

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Vor diesem Hintergrund soll nun, den Implikationen des Vergleichs am Textanfang in Ps 42,2 f. folgend, gefragt werden, ob und inwiefern der Psalm die female voice eines betenden Ichs, einer Beterin, zum Ausdruck bringt. Zieht man die Möglichkeit in Betracht, dass Ps 42/43 auch eine weibliche Sichtweise eröffnet, so ergibt sich für Ps 42/43 die Perspektive einer ausgegrenzten, vom Leben abgeschnittenen Frau, die ihre Sehnsucht nach Gott zum Ausdruck bringt. Besonders das Motiv der Feinde kann dabei vor dem Hintergrund einer gegen Frauen gerichteten Gewalt verstanden werden, deren Aggressoren in der altorientalischen Gesellschaft i. d. R. Männer darstellten.14 Ein Hinweis auf eine intertextuelle15 Lesart, die eine Verbindung mit einer Frauenstimme, namentlich der Stimme der Hanna herstellt, ergibt sich durch das Verb ‫ שפך‬in Ps 42,5a, das auf 1 Sam 1,15 hinweist: ‫ואשפך את־נפשי לפני יהוה‬.16 Hanna schüttet ihre Sorgen vor JHWH im Gebet aus. Im Gegensatz zu der anderen Frau Elkanas, Peninna, ist sie nicht in der Lage, Kinder zu gebären, ist dadurch sozial isoliert (1 Sam 1,4) und sieht sich Anfeindungen durch Peninna ausgesetzt (1 Sam 1,6). Die bedrückende Notlage wird in den Tränen Hannas sichtbar (1 Sam 1,7). Nicht nur das Weinen Hannas passt in den Kontext von Ps 42/43 sondern auch der Verzicht auf Essen knüpft an Ps 42,4a an: „Meine Tränen sind mein Brot bei Tag und bei Nacht“. Ferner kann auch V. 4b inhaltlich passend zu dem feindlichen Verhalten Peninnas in 1 Sam 1,6 gelesen werden: „denn täglich sagen sie zu mir: Wo ist dein Gott?“. Trotz des abweichenden Numerus (‫ צרתה‬in 1 Sam 1,6 Sg.; ‫ באמר‬in Ps 42,4b Pl.) zeigt sich, dass Ps 42,1–5 die Situation der Hanna in 1 Sam 1 treffend zusammenfasst und eine female voice gehört werden kann. Auch der weitere Verlauf des Psalms scheint, wenngleich keine weiteren Stichwortverbindungen zu 1 Sam 1 gefunden werden können, aufgrund der genderoffenen Sprache, ebenfalls als Fortführung dieser weiblichen Stimme denkbar. Die Wendung der Situation der Hanna, die sie in ihrem Gebet in 1 Sam 2 artikuliert, kann daher auch als positive Antwort auf Ps 42/43 gelesen werden und greift das Motiv der „Feinde“ (‫איב‬: Ps 42,10; 43,2; 1 Sam 2,1) und Gott als „Felsen“ (Ps 42,10: ‫ ;סלע‬1 Sam 2,2: ‫ )צור‬auf. Ps 42/43 ist vor diesem Hintergrund lesbar als das Klagegebet einer verzweifelten Frau, deren Unfruchtbarkeit sie sozial ausschließt und isoliert.17 Weiterführend sind darüber hinaus Überlegungen in Hinblick auf den Umstand, dass Psalmen die Realität von Gewalt metaphorisch beschreiben können und dadurch einen integrativen, imaginären Raum eröffnen, in dem Erfahrunl

14 Sexuelle Gewalt stellt dabei die radikalste und schmerzhafteste Gewaltausübung dar. Vgl. U. Bail, Prayer, 243. 15 Aus Kapazitätsgründen kann hier keine ausführliche methodische Reflexion erfolgen. Sinnvoll scheint besonders der Ansatz einer „rezeptionsorientierten Intertextualität“. Vgl. M. Grohmann, Frauen, 25–29. 16 Vgl. B. Janowski, næpæš, 104; Kap. 3.2.7. 17 Vgl. T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 56.

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Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen     

gen lokalisiert werden können.18 Sie können die Erfahrung von Gewalt in räumlicher Dimension darstellen, sodass auch von einer „topography of (the experience of) violence“19 gesprochen werden kann. Die bisherigen Beobachtungen zur räumlichen Dimension von Ps 42/43 (Kap. 4.4) erhalten dadurch eine weitere Bedeutung. Das räumliche Szenario des Psalms stellt der ordnenden Kraft des Tempels die Bedrohung der Peripherie gegenüber, in der sich die Beterin befindet.20 Die wüstenähnliche Landschaft, die sich v. a. in Ps 42,2–4 beschrieben findet, ist sowohl von Einsamkeit und der Bedrohung des Verdurstens geprägt, als auch durch die Gefahr reißender Wasserfluten, wie die Ausführungen in Ps 42,5–7(.8) zeigen. Die Entfernung von dem Tempel bedeutet für die Beterin fernab von häuslichem und familiärem Schutz zu sein. Zusätzlich zu den topographisch dargestellten Gefahren, sieht sich die Beterin Anfeindungen durch Feinde ausgesetzt, die auch eine körperlich-gewalttätige Seite haben (Ps 42,10 f.). Die körperliche Konstitution der Beterin sowie ihre gesellschaftliche Stellung verstärken die Notsituation aus weiblicher Perspektive gegenüber der Situation eines männlichen Beters. Befand sich eine Frau im Alten Orient ohne ihren familiären Schutz in der Fremde, so drohten ihr als Witwe Hunger und Schuldsklaverei.21 Sogar eine (sexuelle) Misshandlung der Beterin könnte in Ps 42,10 f. andeutungsweise zum Ausdruck gebracht werden, ohne, dass der Psalm jedoch auf eine solche konkrete Situation festgelegt werden könnte. Für die Beterin führt der Aspekt der körperlichen Wehrlosigkeit und der Schutzbedürftigkeit (Ps 42,11), der durch die Bezeichnung Gottes als „Felsen“ in Ps 42,10 in Aussicht gestellt wird, zu einer noch dringlicheren, existentiellen Hoffnung. Die Kultgemeinschaft am Tempel ist für sie vor allem eine Sicherheitsgemeinschaft und der Tempel ein Ort körperlicher Unversehrtheit. In Ps 43,1–3 fasst die Beterin die Überwindung der Distanz zum Tempel ins Auge. In Ps 43,3 wird der Weg der Beterin zu Gott als ein geleiteter Weg beschrieben. Dass die Überwindung der räumlichen Entfernung nicht durch die Beterin allein möglich ist, wird vor dem Hintergrund der Gefahren, die Frauen als „Alleinreisende“ zu befürchten hatten, noch plausibler. Die Beterin partizipiert, ebenso wie der Beter, an der Wirkmächtigkeit des Tempels in der Situation der Gottesferne durch das Beten des Psalms, der durch seine inhaltliche Struktur die räumliche Trennung erinnernd und hoffnungsvoll überwindet. Doch es zeigt sich in einer weiblichen Perspektive noch brisanter die Abgeschnittenheit von der sicheren Zuflucht, noch bedrohlicher die Anfeindungen, die vor dem Hintergrund sexualisierter Gewalt gegen Frauen verstanden werden können, und noch radikaler die Trennung von dem Heilsort durch die Gefahren eines Weges, den

18 Vgl. U. Bail, Prayer, 248. 19 Ebd. 20 Vgl. B. Janowski, Wohnung, 48 f. 21 Vgl. S. Schroer, Sensenfrau, 50; T.  Staubli / S.  Schroer, Menschenbilder, 279–281.

Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen     

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eine Frau allein nicht in Sicherheit überwinden konnte. Die Vertrauensäußerung in Ps 43,4 stellt eine räumliche Zusammenführung der bedrohten Beterin mit dem Heilsort dar. Die Beterin integriert sich durch die prozessuale Überwindung der räumlich ausgedrückten Bipolarität körperlich (Leben / Wasser statt Tod), sozial (Kultgemeinschaft statt Feindschaft) und spirituell (Tempelkult statt Gottesferne) innerhalb des Klage- bzw. Bittpsalms. Durch diesen Reflexionsprozess stellt sie sich in ihrer erlebten Bedrängnis und Gewalt (?) selbst in einen positiv gezeichneten, sicheren Raum. Die Ich-Sphäre, die in Ps 42/43 erkannt werden kann, muss, so zeigen diese Überlegungen, auch als weibliche Sphäre gedacht werden. Die historische Berücksichtigung der Situation der Frau in der altorientalischen Gesellschaft zeigt, dass die selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Desintegration in Ps 42/43, angesichts dieser für Frauen prekären Verhältnisse, intensiviert wird. Auch die Stimme der Hanna kann in den räumlichen Beobachtungen gehört werden, die durch Kinderlosigkeit in eine wüstenartige Einsamkeit und Isolation geraten ist, abgeschnitten von der Lebensquelle Gott. Sie findet in ihrer klagenden Hinwendung zu Gott zugleich die Wendung ihrer Notsituation, wie Ps 43,1–4 und 1 Sam 2,1–10 zeigen. Durch seine metaphorische Sprache, die keine geschlechtsspezifische Zuweisung vornimmt, bleibt Ps 42/43 geschlechteroffen und bietet mittels einer „rezeptionsorientiert intertextuellen“22 Lesart für Beter / innen in verschiedenen Notsituationen eine Identifikationsmöglichkeit.23

22 Vgl. M. Grohmann, Frauen, 23–44. 23 Dies trifft auf die meisten Psalmen zu, da hier Körperbilder überwiegend nur dann geschlechtsspezifisch modifiziert werden, wenn es um Beschneidung oder Geburt geht. Vgl. C. M.  Maier, Körper, 189 f.

7 Fazit: Die Ich-Sphäre – Ein Beitrag zur Forschungsdebatte

Für eine Einordnung und Bewertung der hier gewonnenen Ergebnisse innerhalb der Forschung ist es am Ende dieser Arbeit zunächst hilfreich, die Erträge der einzelnen Analyseschritte noch einmal rückblickend zusammenzufassen. 1. Zur theoretischen Konzeption der Ich-Sphäre. Die zu Beginn der Untersuchung gestellte Frage, ob und inwiefern ein reflexives Selbstverständnis das in der Forschung gängige Bild des atl. Menschen ergänzt, konnte mittels methodischer Überlegungen (Kap. 1) näher als Frage nach literarisch manifestierter Selbstreflexion innerhalb des Konzepts personaler Identität von B. Janowski spezifiziert werden. Die in diesem Kontext entwickelte Arbeitshypothese der Ich-Sphäre trägt hierfür zweierlei aus: Zum einen ermöglicht sie eine sprachliche und strukturelle Erfassung eines reflektierten Selbstverständnisses des betenden Ichs. Dies geschieht literarisch in der selbstbeschreibenden Ich-Betonung, die explizit in dem Vorgang der „Selbstreflexion“1 sichtbar wird. Zum anderen veranschaulicht das Konzept der Ich-Sphäre durch seine konnektive Eigenschaft die reflexive Integrationsleistung des atl. Menschen innerhalb seiner Leib- und Sozialsphäre. Die Ich-Sphäre konstituiert sich, gemäß der erarbeiteten sprachlichen Kriterien in erster Linie durch syntaktisch-explizite Selbstreflexion, indem das betende Ich, das als Subjekt des Satzes in Erscheinung tritt, sich in der Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen oder Gedanken zum Objekt macht. Häufig geschieht dies mit Hilfe von Körperbegriffen als Stellvertreterausdrücke, die der Vermittlung selbstreflexiver Verhältnisse dienen und den Menschen in seiner Gesamtheit und zugleich Aspekthaftigkeit repräsentieren.2 Im Kontext der Überlegungen zu den hermeneutischen Ebenen der Ich-Sphäre rückte zudem die Bedeutung der Textstruktur, insbesondere des Stimmungsumschwungs als wesentliches Strukturmerkmal in den Blick, da er Selbstreflexion im Sinne einer veränderten Haltung des Beters voraussetzt. 2. Zu den formalen und kontextuellen Eigenheiten von Ps 42/43. Im Vorfeld der Untersuchung der Ich-Sphäre am Textbeispiel von Ps 42/43, sind in einem vorbereitenden Schritt Form und Kontext des Psalms untersucht worden (Kap. 2), wobei 1 Zur begrifflichen Klärung vgl. Kap. 1.3.6. 2 So wird in Ps 42,6a2 durch ‫ נפש‬die Qualität des Subjekts als Sitz des körperlichen Durstes, der Gottessehnsucht (vgl. Ps 42,2a.b) und zugleich des Selbstgesprächs/-konflikts veranschaulicht. Vgl. A. Wagner, Körperbegriffe, 291. Dabei handelt es sich meist um Begriffe, die sich im weiteren Sinne als „Körperbegriffe“ bezeichnen lassen.

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dessen Bedeutung als Prolog der Korachpsalmen und als thematische Einführung in die Krise des Priestertums und Königtums sowie in das Zionsmotiv aufgezeigt werden konnte. Literarhistorisch führte die Betrachtung der intertextuellen Bezüge sowie der kompositorischen Einbindung des Doppelpsalms zudem zu der These, dass die beiden Lesarten von Ps 42/43 als zusammengehöriger Doppelpsalm und als zwei getrennte Psalmen ein sich wandelndes Selbstverständnis der Korachiter und einen Konflikt um ihre Legitimität zum Ausdruck bringen.3 Die Textanalyse zur Einbindung der Kosmologie, der Stellung der Individualpsalmen Ps 42/43; 49; 84; 88 an zentralen, rahmenden Stellen und die weisheitliche Färbung von Ps 49 und Ps 88 legen des Weiteren ein Verständnis der Korachpsalmengruppen als ein zu repetitierendes Kompendium nahe. Es hat sich damit erwiesen, dass Ps 42/43 in der vorliegenden Kompositionseinbindung einen Teil einer „meditativen Lebenslehre“4 darstellt,5 die mit der tempeltheologischen Verlagerung der kultisch-rituellen Vollzüge in den mentalen Bereich zusammenzudenken ist.6 Hermeneutisch kündigte sich damit bereits die selbstintegrative Funktion des Gebetstextes als Kultsubstitut des Beters an, die im Weiteren anhand der entwickelten Arbeitshypothese der Ich-Sphäre auf sprachlicher Ebene analysiert wurde (Kap. 3). 3. Zur sprachlichen Manifestation der Ich-Sphäre. Die Untersuchung legte eine wiederholte syntaktisch-explizite Selbstreflexion offen (Ps 42,5a2; 42,6a1.12a1; 43,5a1; Ps 42,6a2.12a2; 43,5a2; Ps 42,6b.12b; 43,5b: Ps 42,7a), die in ähnlichen Formen auch in anderen Gebetstexten des AT zu finden ist (u. a. Ps 77,7).7 Die Ich-Sphäre drückt sich zum einen durch diese pronominal-syntaktische und zum anderen durch die deskriptiv-erzählende selbstreflexive8 Verarbeitung dieser zugleich leiblichen, sozialen und spirituellen Krise durch Selbstreflexion aus. So stellt sich das Aufbrausen der ‫ נפש‬vor der doppeldeutigen Einführung als Ort des Trinkens und Sehnens durch die Metapher in Ps 42,2 f als Störung der Leibsphäre des Beters dar, die zugleich eine Folge der gestörten Sozialsphäre (oder umgekehrt!, vgl. Ps 42,4b.5b) und Gottesbeziehung ist. Dabei kann zwischen einer emotional-reflexiven und kognitiv-reflexiven Relation des Beters unterschieden 3 Die rechtmäßige Integration der Korachiter ist bei der Anfügung der zweiten Korachpsalmengruppe, die zeitnah um den ersten Davidpsalter ergänzt wurde, vorausgesetzt. Vgl. C. Süssenbach, Psalter, 384. 4 E. Zenger, Korachpsalmen, 192. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht. 5 Zur Stellung von Ps 42/43 innerhalb des gesamten Psalters vgl. Kap. 4.8. 6 Vgl. B. Janowski, Buchreligion, 242 f. Hervorhebungen durch Kursivierung vereinheitlicht; E. Regev, Sacrifices or Righteousness, 365–386. (Hebrew) 7 Es bietet sich für weiterführende Untersuchungen die Hinzunahme weiterer Belegstellen für sprachlich explizierte Selbstreflexion an (u. a. unter Einbeziehung weiterer „anthropologischer Begriffe“ und Präpositionen), die hier aus Kapazitätsgründen nicht berücksichtigt werden konnten. Außerhalb der Psalmenliteratur, die als Teil eines Gebetsrituals in dieser Arbeit eine besondere Gewichtung erhielt, schließen sich m. E. besonders Fragen nach der anthropologischen Bedeutung von anderen Ritualen an. 8 Vgl. Die Beschreibung kultischer Vergegenwärtigung in Ps 42,5a1; 77,4b.

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werden.9 Dass die Notlage des Beters in dieser Reflexionsphase negativ konnotiert bleibt (Vgl. Ps 42,5–7; Ps 77,7) stellt ein besonders interessantes Ergebnis der sprachlichen Analyse dar, da sich infolgedessen der Verdacht aufdrängt, dass erst durch die Einbindung in die Psalmenstruktur, die in Richtung eines Stimmungsumschwungs führt, die positive Selbstintegration des Beters vollzogen werden kann und es daher zwingend einer ergänzenden strukturellen Untersuchung bedarf.10 4. Zur strukturellen Manifestation der Ich-Sphäre. Auf struktureller Ebene (Kap. 4.) konnte eine Manifestation der Ich-Sphäre durch Perspektivwechsel innerhalb der Gott-Beter-Relation erkannt werden, die eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Gottesbeziehung in Anbetracht der Notlage erkennen lassen und eine sich verändernde Beziehungsdimension im Sinne einer Hin- oder Abwendung zwischen Gott und Beter anzeigen (zusätzlich zu der Klagestruktur Ich-, Feind- und Gott-Klage). Durch das Beten des Psalms vollzieht sich so eine kultisch-rituelle Selbstintegration durch Selbstreflexion, die den Beter zum Stimmungsumschwung, zur Begegnung mit Gott führt, sodass sich das Thema der Klage wendet.11 In Ps 42/43 konnten mehrere Beziehungsumschwünge erkannt werden, die strukturell eine Vorbereitung des finalen Stimmungsumschwungs darstellen, der die umfassende anthropologische (Re-)Integration des Beters präsentiert. Während sich das Thema „Hoffnung auf Gottesnähe“ durch die Frage in Ps 42,3 und den Refrain (Ps 42,6.12; Ps 43,5) kontinuierlich durch den Psalm hindurch zieht, gipfelt die Klage über die Gottesferne nach dem ersten Beziehungsumschwung und Reflexionszyklus (Ps 42,5–7) in dem emotionalen Zustand der Todesbedrohung in Ps 42,8.12 Mit einem zweiten Beziehungsumschwung wechselt der Modus in die direkten anklagenden Fragen in Ps 42,10 f. und schließlich in der dritten Strophe durch einen dritten Beziehungsumschwung in Ps 43,1 zur hoffenden Bitte. An diese schließt sich als Ergebnis eine Heilsperspektive im Lob-Modus an (Ps 43,4), die formal durch einen Stimmungsumschwung sichtbar wird. Erst die Hinwendung zu Gott führt das Ich zu einem positiven Stimmungsumschwung, der in dem Wechsel des Themas von der Klage der Gottesferne zum Thema der Gottesnähe besteht. Es konnte daher die Annahme bestätigt werden, 9 Alle bisherigen Beispiele für eine syntaktisch-pronominale Reflexivität lassen sich dementsprechend einordnen. Meta-Emotion: Ps 42,6.12; 43,5; 110,1; 131,2; 142,4; 143,4; Klgl 3,20; Ijob 10,1; 30,16; Jona 2,8; Hos 11,8; Meta-Kognition: Ps 77,4(b).7; Neh 5,7. Die erzählend-deskriptive Reflexion scheint sich dagegen eher auf die Beschreibung des kognitiven Vorgangs zu beziehen (vgl. Ps 42,5). 10 Vgl. u.a das Gebet Jonas. Auch R. A. Di Vito geht davon aus, dass jeglicher Anspruch menschlicher Autonomie im Alten Testament negativ konnotiert ist. Vgl. Ders. Anthropologie, 236. 11 In Ps 42/43 führt sie den Beter zum Tempel, zum „Angesicht Gottes“. 12 Emotionen in den Psalmen helfen dem betenden Ich entsprechend aktiv zu werden. D. h. in diesem Fall eine klagende Hinwendung des Beters zu seinem Gott (V. 10 f.). Vgl. M. S.  Smith, Heart, 436.

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dass es sich bei dem dreifachen Beziehungsumschwung und dem Stimmungsumschwung um Ausdrucksformen eines reflexiven Prozessgeschehens handelt, das in eine Bewegung des Beters zu Gott hin mündet. Es zeigte sich, dass die sprachliche Explikation der Selbstreflexion (Ps 42,5–7; Ps 77,7) in diesem Kontext Reflexionsprozesse pronominal-syntaktisch ausgestalten kann. Dabei spielt die Verarbeitung der historisch-kulturellen Situation der Gottesferne und des Tempelverlusts eine tragende Rolle.13 Es ergibt sich prägnant zusammengefasst für die Ich-Sphäre eine Doppelstruktur: Sie wird durch den Aufbau des Psalms als – (ursprünglich) kultisches – selbstreflexives Beziehungsgeschehen (Beziehungsumschwung) explizit. Dabei kann sprachlich ausgedrückte Selbstreflexion Bestandteil dieses Prozesses sein. Sind Psalmen selbstreflexiv ausgestaltet, stellt sich der Stimmungsumschwung als Ergebnis des selbstintegrativen Gebets dar. Dadurch erhält der Beter über das prozesshafte Abschreiten der Beziehungsumschwünge im Gebet die Möglichkeit zur Selbstintegration, sodass auch strukturell der sprachliche Befund eines in der Situation des Fremdseins mit Gott und mit der Gemeinde am Ort des Tempels vergemeinschafteten Ichs bestätigt wurde. Die Integration des betenden Ichs in die Gemeinschaft ereignet sich mittels Formulierung eines Beziehungsprozesses in Gebetsform.14 5. Zur Synthese sprachlich-struktureller Aspekte der Ich-Sphäre. In der Zusammenschau der sprachlichen und strukturellen Charakteristika der Ich-Sphäre (Kap. 5.) ist deutlich geworden, dass Selbstreflexion als konnektiver Prozess dem Zweck einer selbstreflexive Integration des Beters dient, durch die das Konzept der „personalen Identität“ nach B. Janowski ergänzt werden kann.15 Durch diesen Vorgang wird Individualität durch Differenz (durch das Gefühl und die Wahrnehmung der Desintegration) ausgedrückt und zugleich werden „die Tiefen der Innerlichkeit“ reflektiert.16 Die Untersuchung weiterer Belegstellen bestätigte zudem, dass die Explikation der Selbstreflexion in Ps 42,5–7 und Ps 77,7, aber auch in Ijob 7,11 in Ps 77,8–10 zu einer Intensivierung der Klage in Ps 42,10–12, Ps 77,8–10 und Ijob 7,12–21 führt und dadurch Beziehungsumschwünge gestaltet. Erst durch die Einbindung der sprachlichen Reflexion in ein Prozessgeschehen vollzieht sich eine positive Wende, die in einer individuellen (und zugleich for 13 Es ist anzunehmen, dass die Jerusalemer Tempeltheologie in Hinblick auf die Präsenzvorstellung Gottes einen entsprechenden Wandel durchlaufen hat. Vgl. R. Achenbach, Throne, 43. Darauf verweisen sowohl die voranstehenden Überlegungen zu Ps 42/43 als auch Ps 77. Vgl. Kap. 4.1, 5.1 und 5.2.1. 14 Dieser hermeneutische Horizont, der auf eine Integration durch Repitition zielt, deutet sich in Ps 42,9 und seine intertextuelle Einbindung an. Vgl. Kap. 2.3.3; L. S.  Christensen, Homo, 61. 15 Die Tatsache bleibt damit unberührt, „daß es einen Individualismus im modernen Sinne im alten Israel nicht gegeben hat, und zwar zu keinem Zeitpunkt der Geschichte.“ R. Albertz, Frömmigkeit, 10.  16 Vgl. J. Dietrich, Individualität, 92 f.

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mularhaften!) kausalen Entwicklung sichtbar wird, die den Beter zu Gott führt und ihn dadurch innerlich neu ausrichtet. Darüber hinaus hat die Sichtung weiterer Psalmen ergeben, dass die Ich-Sphäre des Beters literarisch erst später zur Zeit des Zweiten Tempels umfassend sprachlich und strukturell expliziert wird.17 6. Zur weiblichen Ich-Sphäre. Die Überlegungen zu einer genderbewussten Perspektive (Kap. 6) verdeutlichten zudem, dass Ps 42/43 Indizien für eine weibliche Lesart enthält und daher die Formulierung der Ich-Sphäre durchaus auch aus der Perspektive einer Beterin heraus verstanden werden kann und damit hermeneutisch ein Identifikationsangebot sowohl für die historische Nachbeterin als auch für die heutige Leserin bietet. 7. Zum Erkenntnisgewinn innerhalb der Forschungsdebatte. Auf Grundlage dieser Ergebnisse kann nun noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückgeblickt werden, ob und inwiefern ein reflexives Selbstverständnis das in der Forschung gängige Bild des atl. Menschen als ein mixtum compositum ergänzen kann. Die Idee der dreifachen Einbindung des Menschen durch soziale und leibliche Konnektivität18 im Horizont der Gottesbeziehung erfasst diese Dimension des Beters nicht und ist in diesem Sinne zu ergänzen um eine vierte Relation, bei der sich der Mensch, durch reflexive Selbstintegration, innerhalb der relational-konnektiven Leib- und Sozialsphäre vor Gott konstituiert. Dieser Vorgang der Selbstintegration im Sinne einer Ich-Sphäre ist durch sprachliche und strukturelle Reflexivität besonders gut in den Klagepsalmen sichtbar geworden, in denen eine Situation der Desintegration (Störung der Selbst-, Welt-, Gottesbeziehung) die Ausgangslage darstellt. Durch das Gebet vollzieht der Beter eine rituelle Handlung, die ihm in der Tempelferne auch als Ersatzhandlung für den offiziellen Kult dient und die eine Wiederherstellung des Selbst-, Welt- und Gottbezugs ermöglicht. Der Klagepsalm erfüllt dadurch für den Beter die Funktion eines Reflexions- und Integrationsmediums in Notsituationen. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Konstituenten Leibsphäre, Sozialsphäre, Gottesbeziehung und Ich-Sphäre kann wie folgt beschrieben werden: Wie B. Janowski bereits gezeigt hat, ist der Mensch als konnektives Wesen geprägt von einer engen Interdependenz zwischen Leibsphäre, Sozialsphäre und Gottesbeziehung (Kap. 1.3.5). Diese können daher nicht voneinander getrennt betrachtet werden, sondern, je nach analysierter Textbasis, können diese Aspekte mehr oder weniger im Vordergrund stehen. In der vorliegenden Untersuchung konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass eine weitere Form von Konnektivität in den Psalmen zum Ausdruck kommt, die in einer Bezugnahme des atl. Menschen zu seinen Konstituenten (Leib-, Sozialsphäre und Gottesbeziehung) deutlich wird. Dabei dienen die syntaktisch-reflexiv und beschreibend explizierte Leib- und Sozialsphäre der 17 Zur literarhistorischen Dimension vgl. Kap. 2.2 und 5.2.2. 18 R. A. di Vito, Anthropology, 227.

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Veranschaulichung der Ich-Sphäre in ihren physisch-sozial-reflexiven Bezügen. Die Kommunikationsebene ist dabei immer auch zugleich vor und mit Gott in der lebendigen und dynamischen Gottesbeziehung, die sich strukturell in Beziehungs- und Stimmungsumschwüngen ausdrückt. Auslöser für diesen Reflexionsvorgang ist die Störung der konnektiven Konstitution des betenden Ichs in seiner Sozial- und Leibsphäre sowie in der Gottesbeziehung durch eine Notlage, die sich in der Beschreibung einer Desintegration dieser Bereiche ausdrückt. Der Beter changiert innerhalb der Ich-Sphäre zwischen Integration und Desintegration. Dieses Changieren drückt sich sprachlich-strukturell als Prozessgeschehen aus. Die folgende Zuordnung stellt einen Versuch dar, die inhaltlichen Beobachtungen schematisch einzufangen und zu den in der Forschung gängigen Konstituenten atl. Anthropologien in Beziehung zu setzen. Diese Zuordnung darf nicht im Sinne einer dogmatischen Festschreibung eines in sich geschlossenen Systems missverstanden werden, sondern muss entsprechend der literarhistorischen Bandbreite und Vielfalt atl. Texte offen und unabgeschlossen bleiben. Folgendes Modell veranschaulicht die Funktion der Ich-Sphäre innerhalb des Konzepts personaler Identität von B. Janowski:19 Gottesbeziehung ↕ Reflexion durch Beziehungs- und Stimmungsumschwünge ↕ Leibsphäre ↔ Pronominal- ↔ syntaktische Reflexion

Ich-Sphäre20



Erzählend- ↔ Sozialsphäre despkriptive Reflexion

Die Frage nach der Innerlichkeit des Menschen in den Texten des AT ist mit der Frage nach explizierter Selbstreflexion, wie sie im Rahmen der hier vorgelegten Arbeit sprachlich und strukturell in den Psalmen greifbar geworden ist, zwar noch nicht abschließend beantwortet, doch es hat sich gezeigt, dass das Konzept der Ich-Sphäre das Bild des atl. Menschen um den entscheidenden Aspekt der Selbstintegration innerhalb seiner anthropologischen Grundkonstituenten erweitert und damit eine notwendige Ergänzung gängiger Konzeptionen darstellt. 19 Eine weitere Ebene stellt die explizite Miteinbeziehung der „kollektiven Identität“ dar, die in dieser Arbeit sekundär durch Überlegungen zu den Korachitern und den intertextuellen Bezügen der Korachpsalmen berücksichtigt wurden (Kap. 2 und 4.6) sowie durch die Überlegungen zur sozialen Größe „Zion“ (Kap. 4.21 und 4.2.5.2). Vgl. B. Janowski, „Personaler Identität?“, 58; M. Häusl, Leib, 151. 20 Bezeichnet die Ich-Sphäre auf sprachlicher und struktureller Ebene.

8 Literatur   Die Verwendeten Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie, Berlin / New-York, 2. überarbeitete Auflage, herausgegeben von Siegfried M. Schwertner. Einzelne Artikel aus ThWAT, THAT, HALAT, HGANT, KAHAL, HAHAT und AHw werden nicht eigens im Literaturverzeichnis aufgeführt.

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Abkürzungen Alle biblischen Schriften werden gemäß den Loccumer Richtlinien zitiert. AK Afformativkonjugation BHS Biblia Hebraica Stuttgartensia G Septuaginta M Masoretischer Text PK Präformativkonjugation S Peschitta st.abs. / st.cstr. status absolutus / status constructus V Vulgata

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Aufsätze / Zeitschriftenartikel

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Aufsätze / Zeitschriftenartikel

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Sachregister Angesicht  34, 58, 61, 64 f, 93 f, 101, 104, 106–108, 110–113, 121, 123 f, 129, 138, 148, 150 f, 163,171, 174 f, 178, 180, 185 f, 188, 192–196, 200, 208, 210 f, 213–218, 246 Anthropologie  11, 13–15, 18, 24–26, 34, 37, 199, 259 Audienz  61, 108, 111–113, 123, 134 Bitte  18, 68, 73, 76, 88, 90, 109, 143–145, 150, 165–168, 171, 173, 181 f, 196, 198, 211, 217 f, 220, 237–247, 256 Chaos  75, 93, 103, 115, 133, 135 f, 151, 180, 186, 188–190, 198, 200–202, 209, 212, 214 f, 235 f Close reading  55 f Esau  81, 112 Fels  58, 71, 95, 113, 131, 136–139, 146, 152, 175, 177, 180, 182, 186, 191, 200–202, 204, 245, 251 f Gebet  12, 53–56, 58, 66, 69 f, 91–96, 98, 110 f, 117, 134–136, 140, 150 f, 154, 159–161, 163 f, 170–174, 181, 202 f, 210, 214 f, 218–221, 224–228, 230, 235 f, 239, 242 f, 245, 248, 250 f, 255, 257 f Gerechtigkeit  33, 35, 40, 50, 75, 80, 112 f, 134, 142–146, 148–150, 178, 184, 186, 190, 193–196, 200, 202 f, 211–213, 215–218, 223, 245 Gnade  58, 66, 105, 111 f, 134–136, 139, 231, 245 f Licht  33, 58, 93, 115, 134 f, 147–149, 151, 184, 192–195, 197, 210, 213, 217 Ich  11 f, 20, 29, 34 f, 38–44, 46–57, 71, 73, 81, 84, 95, 98, 104, 106, 114–117, 120, 122, 124, 130, 132, 134, 136,139, 141, 147, 150–156, 160–165, 172, 174, 176, 180, 194, 196–198, 201, 206–208, 211, ­213–216, 218, 220, 225, 227 f, 230, 233 f, 236 f, 241 f, 245, 247 f, 251, 253–259

Identität  12, 31, 37–42, 53, 55, 114, 120, 130, 132, 136, 141, 154 f, 220, 227, 254, 257, 259 Individualität  36 f, 39, 219, 257 Jakob  89, 112, 212, 232, 236 Jona  81,157, 159, 163 Klage  26, 34 f, 42 f, 54–56, 66, 68–71, 73, 75 f, 78, 84, 86, 88–90, 94–96, 98,105, 127, 130, 136, 139, 144 f, 156, 163–170, 172 f, 175, 177, 179, 181 f, 195, 198, 202 f, 205–208, 211, 215–218, 220 f, 225 f, 228, 230 f, 233–247, 251, 253, 256–258 König  35, 47, 61, 75, 80, 84, 87, 89–91, 108, 110, 112 f, 123, 134, 145, 148, 191, 206, 211 f, 222–224, 255 Körper  11, 16, 18 f, 22, 24, 27, 29–32, 36, 38, 40, 51, 67, 100, 102, 110 f, 117, 121, 124, 132, 139, 141, 147, 151, 154, 162, 165, 171 f, 177, 183, 200, 202 f, 208, 252–254 Korachiter  58 f, 59,78, 80 f, 83, 118, 249, 255 Kosmos  93, 115, 135 f, 151, 201, 210, 223, 235 Kult   15, 54,61, 71 f, 78, 80, 82 f, 94, 103, 108–111, 119 f, 124, 130, 132, 135 f, 150, 153–156, 160, 164, 168–173, 176–178, 187, 202 f, 216–224, 226–228, 237–240, 244, 248, 250, 252 f, 255–258 Kultbild  108–111, 191 Leben  18–20, 23–28, 31, 34–36, 38, 51 f, 58, 60, 66, 71, 81, 90, 94, 98, 100–106, 115 f, 119–122, 124–135, 150 f, 153, 156–159, 169 f, 173, 175–177, 179–184, 186–190, 196–203, 206–209, 211, ­213–217, 2­ 21–224, 226, 230, 232, 245, 251, 253, 255 Mose  81, 232, 235 Nacht  58, 66, 72, 93, 96, 114–116, 121, ­134–136, 155, 200, 214, 230 f, 233, 240, 251 Recht  19, 33 f, 48, 58, 75, 112 f, 129, 136, 142–145, 149, 178, 195, 236

276

Sachregister  

Rettung  58 f, 65, 93, 107 f, 115, 129, 133, 135, 143–145, 148–151, 167, 174 f, 178, 181, 184, 194–196, 219, 224, 240, 242 f, 246, 248 Schutz  63, 103, 113, 123, 137 f, 151, 178, 186, 193, 199, 202, 206, 211, 223 f, 236, 243, 246 f, 252 Seele  11, 13–16, 18 f, 21, 26 f, 31, 39, 54, 59 f, 67, 70, 73, 81, 93 f, 98, 100–102, 104, 150, 203 Selbst  11 f, 27, 34, 37–39, 41 f, 48, 130, 164 f, 236, 258 Schöpfung  28 f, 78, 127, 187, 214, 235 Stellvertreterausdruck  29 f, 51–53, 102, 120, 122, 129, 153 f, 157, 160–162, 179, 228, 230, 254 Tag  34, 58, 66, 72, 93, 96, 115 f, 135 f, 139, 156, 200, 211, 214, 228, 230 f, 251 Tempel  36, 59, 63, 69, 72, 75–78, 80–83, 91–94, 101, 103 f, 107–113, 115, 123 f, 131, 133, 135–137, 140, 143, 149–152, 159, 168–172, 177–179, 182, 185–188, ­190–196, 198–203, 206–224, 226 f, ­236–239, 244, 247–249, 252 f, 255, 257 f

Tempelberg  131, 137, 178, 191 f, 194, 200–202, 210 215 Tempelkult  72, 82 f, 109, 170–172, 178, 203, 219 f, 224, 226, 239, 244, 253 Tod  21, 27, 33–36, 59, 71, 78, 89 f, 94, 103, 105, 127, 131, 134, 165, 176, 179 f, 189, 193 f, 202 f, 208 f, 213, 253, 256 Tora  118, 221–224 Treue  90, 118, 144 f, 148, 194, 245 Wahrheit  35, 58, 134, 147–149, 151, 184, 192–195, 197, 211, 217, Wallfahrt  61 f, 68 f, 84, 92, 94, 118, 124, 164, 170, 172, 193, 203, 210 f, 214, 218 Weisheit  16, 58, 82–85, 87 f, 90–94, 209, 212 f, 221 f, 224, 238, 249, 255 Wasser  58, 60, 71, 74, 76 f, 99–105, 116, 121 f, 127 f, 132 f, 175 f, 179 f, 185–190, 193, 198, 200–203, 209 f, 216–218, 223 f, 232, 235, 252 f Zion  47, 59, 68 f, 82, 84–92, 136 f, 151, 172, 191, 201, 208, 210, 212 f, 217, 222 f, 244, 255 Zuflucht  58, 67, 113, 137, 146 f, 152, 175, 181 f, 200, 204, 217, 223 f, 245 f, 252