Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht [1 ed.] 9783428559596, 9783428159598

Einwilligung ist keine Befugnis zur Disposition über ein bestimmtes Rechtsgut, sondern ein Ausdruck der Selbstbestimmung

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German Pages 192 [193] Year 2020

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Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht [1 ed.]
 9783428559596, 9783428159598

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Schriften zum Strafrecht Band 353

Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht

Von

I-Ning Liao

Duncker & Humblot · Berlin

I-NING LIAO

Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht

Schriften zum Strafrecht Band 353

Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht

Von

I-Ning Liao

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15959-8 (Print) ISBN 978-3-428-55959-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Die Anfertigung der Arbeit wurde von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik, LL.M. (Cantab.), betreut, dem ich für die freundliche Betreuung zu großem Dank verpflichtet bin. Mit aufgeschlossenem Interesse hat er die Arbeit durch Anregungen und konstruktive Einwände bereichert. Ebenfalls möchte ich Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Walter Perron für die zügige Erstellung des Zweigutachtens danken. Einen besonderen Dank schulde ich Jana Hanke. Sie hat das Entstehen der Arbeit durch zahlreiche hilfreiche Hinweise wesentlich befördert. Ein ebenso großer Dank gebührt den Bemühungen von Herrn Dr. Norbert Axel Richter, der mein deutsches Manuskript lesbarer gemacht hat. Darüber hinaus bedanke ich mich bei dem Sekretariat des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht – Abteilung 1, Margot Nostadt, sowie bei meinen Studienkolleginnen Iryna Burd und Xueshuang Zhao und Studienkollegen Yuzhou Huang, Yi Jiang, Wen-Mao Peng und Matthias Schaum für ihre Unterstützung. Vor allem bedanke ich mich bei Dr. Peifeng Tang für die konstruktiven Hinweise in mehreren Diskussionen. Von Herzen dankbar bin ich zumal Herrn Professor Jung-Chien Huang und Herrn Professor Dr. Yang-Yi Chou (National Taiwan University) für ihren Zuspruch. Auch habe ich Zuspruch erhalten von meinen Freundinnen und Freunden in Taiwan, China sowie in Deutschland, bei denen ich mich ebenfalls herzlich bedanken möchte. Der Deutsche Akademische Austauschdienst e.V. (DAAD) hat die Entstehung der Dissertation durch ein großzügiges Doktorandenstipendium unterstützt. Ich widme das Buch meinen Eltern und meiner Schwester, die mich bei der Erstellung der Arbeit liebevoll unterstützt haben. Gundelfingen, im März 2020

I-Ning Liao

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 § 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Die Erforderlichkeit der Rekonstruierung der Einwilligungsbegründung: ein Systemdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Die herkömmlichen Rechtsgründe der Einwilligung: ein Überblick . . . . . . . . . . . 18 C. Die Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen . . . . . . . . . 21 I. Zwei idealtypische Positionen: Individualismus und Kollektivismus . . . . . . . 21 II. Frühere Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Die kollektivistischen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Frühe Mindermeinung: Ein Versuch auf der Grundlage des individualistischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Die Abwägungslehre: Spiegelung auch der kollektivistischen Züge . . . . . . . . 31 1. Einwilligung als eigenständiges Abwägungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Unlösbarer Wertkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Die verfassungsrechtliche Ableitung der Hochschätzung der individuellen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Einwilligung als ein verfassungsrechtlich begründetes eigenständiges „Rechtsgut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Der scheinbare individualistische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 V. Das Integrationsmodell der Einwilligung und der sogenannte liberale Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Die einzelnen Argumentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Selbstbestimmung als das einzige Rechtsgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 § 2 Die Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes . . . . . . . . . . . 49 A. Die Entstehung der Rechtsgutslehre im deutschen Strafrechtskontext . . . . . . . . . . 50 B. Die kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Die Isolierung des Rechtsguts von seinem „Träger“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

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Inhaltsverzeichnis II. Verlust des sozialen Kontextes im konkreten Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . 53 III. Die Zersplitterung des Strafrechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 IV. Funktion des Objekts statt Rechtsverhältnis zwischen Subjekten . . . . . . . . . . 57 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Die Interessentheorie bei Liszt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Ist ein systemkritischer Rechtsgutsbegriff möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Ergänzung mit der Gesellschaftsvertragstheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Das liberalistische Denken ausgehend von der Lockeschen Gesellschaftsvertragstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Die Verwirklichung der materiellen Freiheit kann nicht der höchste Maßstab des Rechtsgüterschutzes sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Der ontologische Fehler der Rechtsgutslehre und der unlösbare Konflikt zwischen den auf Empirismus beruhenden individuellen Freiheiten . . . . . . 73 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 D. Zwischenergebnis: Einwilligung ist keine Befugnis zur Disposition über ein bestimmtes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

§ 3 Die Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 A. Dogmatische Funktion und Struktur des Selbstbestimmungsgedankens . . . . . . . . 78 B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Der Rechtsbegriff Kants als Vorbild eines abstrakten Begriffs rechtlicher Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Dogmatische Ansätze zur Begründung der Einwilligung aus der abstrakten Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Die Problematik der Abstraktheit der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Abstraktheit und Formalität des allgemeinen Rechtsprinzips . . . . . . . . . . . 90 2. Inkonsistenz der Argumentation beim Ansatz der abstrakten Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 C. Einwilligung als konkrete Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Hegels Gedankengang als Vorbild des Ansatzes der konkreten Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Hegels Kritik an Kants Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Die begrifflich-konkrete Bestimmtheit des Rechts bei Hegel . . . . . . . . . . . 98 II. Die normative Bestimmung der Autonomie und ihre Verwirklichungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhaltsverzeichnis

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III. Konkrete Inhalte der Selbstbestimmung und die Abstufung der Anforderungen an die Einwilligungswirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Normative Abstufung nach verschiedenen betroffenen Rechtskreisen . . . . 103 2. Die herkömmliche Unterscheidung der Einwilligungsarten als Beweis für die Abstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Wille des Verletzten, Handlung des Eingreifenden und konkrete Situation als eine Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 4 Begründung der Einwilligungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 A. Externe und interne Begründungen der Einwilligungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 B. Externe Grenzbegründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Kollektivinteresse an Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen

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1. Entwicklung der Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Das Tabuargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Tötung als Tabu: Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Das moderne Verständnis des Tötungstabus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Legitimationsdefizit des Tabuarguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Die Gefahr des Missbrauchs und das Dammbruchargument . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Der Hintergrund des Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Die Gründe des Dammbrucharguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Legitimationsdefizit des Dammbrucharguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 IV. Absolute Schutzwürdigkeit des Rechtsguts Leben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Heiligkeit menschlichen Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Verfassungsrechtlicher Schutz des Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Die Einzigartigkeit menschlichen Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Vermeidung der Instrumentalisierung des Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 C. Interne Grenzbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Köhlers Ansatz: Selbstverfügungsverbot aufgrund der Selbstzweckformel als Rechtspflicht gegen sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Pflicht gegen sich selbst aus Gründen der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Keine zwingende Verbindung zwischen Selbstzweckhaftigkeit und physischer Existenz des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Der Weg zur Wirklichkeit des Freiheitsgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Begründung aus der gesellschaftlich realen Freiheit: Antwort auf die Frage nach dem Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Zweifel am Schutz vor sich selbst und Formen des Paternalismus . . . . . . . 147 2. Der negative Freiheitsbegriff und der Antipaternalismus . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Inhaltsverzeichnis 3. Der reale Freiheitsbegriff und die rechtliche Zulässigkeit des Paternalismus 151 4. Wohlfahrt und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5. Der Schutz des Einzelnen vor Übereilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Begründung aus dem positiven Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Grundlage des Arguments: Konkretes Risiko der mangelnden Vollzugsreife für die freie Selbstbestimmung und die Notwendigkeit der Intervention im Sinne eines weichen Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Gegenstand der paternalistischen Maßnahmen: Selbstentschiedene Lebensbeendigung durch einen Dritten – veränderte Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 d) Die Freiwilligkeitsbeurteilung mit Hilfe der Rationalität des Verhaltens und die teleologische Reduktion des § 216 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 D. Forschungsergebnis: Die Einheit der Einwilligungsgrundlage und der Begründung ihrer Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Einleitung Das Hauptziel dieser Arbeit besteht in zwei Punkten: erstens die Lücken der bestehenden Literatur in Bezug auf die Grundlage der strafrechtlichen Einwilligung zu schließen und die Einwilligung als ein allgemeines Rechtsinstitut auf der theoretischen Ebene zu erfassen und zu begründen; zweitens aus dieser Begründung die Anwendungsgrenze der Einwilligung, das heißt die Einschränkung der Wirksamkeit der Einwilligung, herzuleiten. Das Rechtsinstitut der Einwilligung im Strafrecht bezieht sich auf eine Zustimmung des Verletzten, mit der ein strafrechtlich verbotenes Verhalten zu einem erlaubten wird. Durch wirksame Einwilligung wird die Selbstbestimmung der freien Rechtsperson dargestellt. In der Frage nach der Grundlage der Einwilligung im Strafrecht spiegelt sich also eine tiefergehende Frage wider: Wie ist die persönliche Selbstbestimmung in einer modernen freiheitlichen Rechtsordnung zu verstehen? Nach einem im 19. Jahrhundert vorherrschenden Kollektivismus1 und der Krise bzw. der Vernichtung des Subjekts in der Zeit des Nationalsozialismus spiegelt sich in der heutigen deutschen Gesellschaft ein Verständnis von Autonomie wider, das eng mit der Idee der Selbstbestimmung verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist die Stärkung der Patientenautonomie nach dem Zweiten Weltkrieg, wodurch der Wille des Patienten große Bedeutung für das ärztliche Handeln gewonnen hat.2 Dieser Autonomiebegriff knüpft immer an ein bewusstes Selbstsein an, welches fähig ist, für sich selbst Entscheidung zu treffen. Das Selbst wird als das autonome Subjekt verstanden, das die äußere Welt sowie sich selbst erkennen kann und imstande ist, seine eigene Lebensführung in der Welt zu wählen.3 Die Änderung der Strafvorschriften für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seit dem Vierten Gesetz

1 Der Kollektivismus in Deutschland hat viele Wurzeln und man kann von dem Konzept in unterschiedlichen Kontexten sprechen. Siehe Art. Kollektivismus, Kollektiv im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4 (1989), 884 – 886, dem zufolge das Konzept Kollektivismus Begriffe wie Kommunismus und Marxismus zusammenzufassen oder zu ersetzen vermag. Ein anderes Verständnis von kollektivistischem Denken, das sich in diversen Versuchen manifestiert, die Welt als Ganzheit zu erfassen, wurzelt in der Romantik, die im 19. Jahrhundert „das von Kant ausgehöhlte Gebäude des rationalen Naturrechts endgültig zum Einsturz“ brachte (Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 38). Vgl. auch Larenz, Die Rechts- und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus und ihre Gegenwartsbedeutung, S. 130 f.; Oehler, Wurzel, Wandel und Wert der strafrechtlichen Legalordnung, S. 146 f., 150 f. 2 Vgl. Schöne-Seiffert, Einführung in die Medizinethik, S. 15 ff.; Kubiciel, JA 2011, 89. 3 Vgl. Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 50 ff.

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Einleitung

zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) zeigt diese Tendenz ebenfalls deutlich.4 Diese Hochschätzung der Selbstbestimmung spiegelt sich auch in der umfassenden Zulässigkeit der Einwilligung im Strafrecht. Liest man heute Kommentare oder Lehrbücher zu dieser Thematik, lässt sich nur noch selten eine ausführliche Erörterung der Legitimierungsgründe der Einwilligung finden. Zwar gibt es verschiedene Modelle,5 etwa die Rechtsschutzverzichtstheorie, das Abwägungsmodell oder die Tatbestandslösung; dass die Einwilligung – nach jetzt wohl noch h.M. – als Rechtfertigungsgrund in der strafrechtlichen Dogmatik umfassend anerkannt ist, erscheint jedoch als selbstverständlich und nicht mehr zu bestreiten. Auch im neueren Schrifttum finden sich kaum Diskussionen zur Frage der Begründung der Einwilligung, sondern zumeist nur zu konkreteren und feineren Einzelfragen wie der mutmaßlichen Einwilligung und hypothetischen Einwilligung im Medizinstrafrecht und der daraus folgenden Frage des Irrtums bei der Einwilligung. Allerdings kann man die Begründungsfrage niemals gänzlich beiseitelegen, wenn man auf einzelne Lösungen für konkrete Fälle eingehen will, vor allem solche Fälle, in denen es um die Schranken der Einwilligung, nämlich um die Unterscheidung zwischen veräußerlichen und unveräußerlichen Rechtsgütern geht, wie z. B. in § 216 StGB. In abweichenden Verständnissen des Einwilligungsbegriffs zeigen sich eigentlich unterschiedliche Vorstellungen des Verhältnisses zwischen dem Einzelnen und der Allgemeinheit sowie unterschiedliche Verständnisse von Autonomie. Fehlt es an einer systematischen Untersuchung der Stellungnahme, die sich in den dogmatischen Lösungen einzelner Fälle jeweils manifestiert bzw. dieser Lösung zugrunde liegt, führt dies gegebenenfalls entweder zu theoretischer Inkonsistenz oder zu einem Auslegungsansatz, der mit dem individualistisch begründeten modernen Strafrechtssystem nicht vereinbar ist. Methodisch wird in dieser Dissertation eine politisch-ideologische Analyse vollzogen, um die herkömmliche Argumentation für die Einwilligungsgrundlage und ihre Grenze zu untersuchen. Bei den Darlegungen der Grundlage der Einwilligung stehen sich zwei idealtypische Positionen gegenüber: die individualistische Position und die kollektivistische Position. Geht man von der ersten aus, sind viele Wirkungsgründe der Einwilligung und fast alle Begründungsmuster für ihre Schranken begründungsbedürftig. Nimmt man dagegen die letzte als Ausganspunkt, wird die Selbstbestimmungsfreiheit zu einem allgemeinen Belang von vielen reduziert, welcher nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses abwogen werden kann. In § 1 wird die Autorin die herkömmlichen Ansätze für die Gründe der Einwilligung analysieren und darauf hinzuweisen versuchen, welche weltanschaulichen Positionen hinter diesen Gründen stehen könnten. Dabei ist insbesondere die Frage zu beantworten, ob die hinter den Ansätzen stehenden Stellungnahmen wirklich von

4 Vgl. MK-StGB-Renzikowski, Vor §§ 174 ff., Rn. 6; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, Vor dem §§ 174 ff., Rn. 1; Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, S. 13. 5 Vorstellung dieser Modelle siehe unten § 1 A.II.

Einleitung

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der freien Selbstbestimmung des Einzelnen ausgehen oder eigentlich auf der kollektivistischen Überlegung beruhen. In § 2 wird die Erörterung noch näher auf den bestimmten Kontext der deutschen Strafrechtswissenschaft konzentriert, und zwar den Kontext des Rechtsgutsdenkens. Nach herrschender Meinung wird die Einwilligung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes als eine Dispositionsbefugnis verstanden, und zwar als die Befugnis des Einwilligenden, ein bestimmtes Rechtsgut oder den entsprechenden Rechtsschutz zu beliebigen Zwecken preiszugeben.6 Bei der Feststellung der Zulässigkeit der Einwilligung geht es vor diesem Hintergrund daher stets um die Disponibilität des betroffenen Rechtsguts. Dass, solange die Einwilligung als Dispositionsbefugnis eines bestimmten Rechtsguts ausgeprägt ist, die einzelne Person nur über ein bestimmtes Gut verfügen kann, das nicht über ihren inhärenten Dispositionsbereich hinausgeht, ist logisch selbstverständlich. Die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung setzt somit die Verfügbarkeit des Rechtsguts voraus. Als Beispiel des Mangels an solcher Voraussetzung werden oft die Fälle herausgestellt, in denen der Betroffene gar nicht Inhaber des Rechtsgutes ist, wie etwa §§ 153 ff., 169, 172, 306a, 339.7 Obwohl bei solchen Delikten auch ein individuell Betroffener vorhanden sein mag, sind sie wesentlich Delikte gegen Gemeinschaftswerte, über die der Einzelne keine Dispositionsbefugnis hat. Die frei verfügbaren bzw. zu disponierenden Rechtsgüter beschränken sich also auf Individualrechtsgüter, über die der Rechtsgutsinhaber exklusive Rechtsgutsinhaberschaft habe,8 und zwar als alleiniger Träger der Befugnis.9 Eine Ausnahme bilden Rechtsgüter, die zwar (strafrechtlich systematisch) Individualrechtsgüter sind, der Dispositionsbefugnis ihres Inhabers jedoch nicht unterliegen; typisches Beispiel ist das Rechtsgut Leben. Ob diese Abgrenzung der Einwilligung als Dispositionsbefugnis vertretbar ist, bedarf aber weiterer Untersuchung. In diesem Kapitel werden daher Entstehung und Grundlage der Rechtsgutslehre, vor allem der modernen liberalen Rechtsgutslehre, die theoretisch oft auf der Vertragstheorie beruht, untersucht, um zu klären, ob das Rechtsgutsdenken wirklich ein liberal und individualistisch begründetes Einwilligungsinstitut unterstützen kann. Neben dem Ansatz des Rechtsgüterschutzes gibt es andere Ansätze, denen zufolge die Einwilligung direkt als Selbstbestimmung bzw. Autonomie aufzufassen ist. Untersucht man den Autonomiebegriff im Zusammenhang seiner beiden Elemente, autós und nomos, gelangt man zu einer bestimmten Interpretation der Autonomie in Verbindung mit der Vorstellung des aus der europäischen Aufklärung, nämlich aus Kant, hervorgegangenen selbstständigen Subjekts: Autonomie ist Selbstgesetzgebung.10 Dahinter steht noch der vertiefende Grundgedanke der modernen politischen 6

Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S. 29. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 36. 8 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 36. 9 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 11 Rn. 553. 10 Vgl. Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 37 ff. 7

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Einleitung

Philosophie, dass die Selbstbestimmung (in ihrem kollektiven und rechtlichen Sinne) sowie der Grundsatz „volenti non fit iniuria“ eng mit der Legitimation des Staats verbunden ist.11 Durch dieses auf Freiheit beruhende intersubjektive Rechtsverhältnis wird weiter die Gemeinschaft bzw. der Rechtsstaat begründet. In einem Rechtsstaat wird das Zusammenleben freier Individuen ermöglicht.12 Vom Autonomieprinzip wird das allgemeine Rechtsgesetz abgeleitet, das im interpersonalen Rechtsverhältnis gilt. Dieser Autonomiebegriff bildet weiterhin die Grundlage der Menschenwürde und aller daraus resultierenden Menschenrechte. Genauer formuliert: In diesem Rechtsverhältnis ist die Freiheit das einzige Menschenrecht. Die Selbstbestimmung in diesem Sinne stellt also die Freiheitsidee und das Verständnis vom Recht in einem typischen klassischen Liberalismus dar. Kann die Grundlage der Einwilligung aber allein von dem abstrakten Autonomieprinzip abgeleitet werden? Der dritte Schwerpunkt dieser Arbeit (§ 3) besteht also darin zu untersuchen, ob sich die Autonomie als Kern des Einwilligungsinstituts auf eine abstrakte Selbstbestimmung unter formaler Gleichheit bezieht oder ob sie vielmehr als eine konkrete Selbstbestimmung mit Berücksichtigung der realen Bedingungen aufzufassen ist. Schließlich werden in § 4 dieser Arbeit die Grenze bzw. Schranken der Einwilligung behandelt. Die Grenze der Einwilligung ist eigentlich die Kehrseite ihrer Zulässigkeit. Erst durch die Grenze der Einwilligung kann ihr normativer Umfang feststellt werden. Die Schranken der Einwilligung bilden auch eines der Kernthemen der Einwilligung in der Dogmatik. In der Arbeit wird das leibliche Dasein des Menschen zum Eintrittspunkt. Vor allem ist das Leben als dasjenige Freiheitsdasein, das das Subjekt der Selbstbestimmung (mithin das entscheidende Subjekt) trägt, von besonderer Bedeutung. Hieran liegt es, dass der Fall der Verfügung über das Leben genau der Grenzfall der Einwilligungswirksamkeit ist. Die jeweilige Antwort auf die Frage, ob und unter welcher Voraussetzung eine einzelne Person entscheiden darf, ihr Leben zu beenden, in welchem Ausmaß also die Person über ihr Leben verfügen darf, spiegelt das unterschiedliche Verständnis des normativen Umfangs der Selbstbestimmung wider. Entsprechend den in §§ 1 – 3 erörterten zwei Ansätzen für die Grundlage der Einwilligung gibt es hinsichtlich ihrer Grenze ebenfalls zwei Begründungsansätze: den externen und den internen. Es wird in den Text überprüft, warum die interne Begründungsweise eher vertretbar ist und welcher Ansatz konkret anzunehmen ist, sodass die Einschränkung der Einwilligung mit der inneren Grenze der materiellen Freiheit vereinbar sein kann. Zudem wird – als Reaktion auf einen möglichen Paternalismus-Einwand – erläutert, warum wir nicht nur einen negativen, sondern einen positiven Freiheitsbegriff brauchen.

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Kant, AA VIII, 297 ff.; ders., AA VI, 318 ff.; vgl. auch Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 686 ff., 692 f.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 2. Aufl., S. 363; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 24 f. 12 Vgl. Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 237; Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 62, 72.

§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung A. Die Erforderlichkeit der Rekonstruierung der Einwilligungsbegründung: ein Systemdenken Vorab ist zu erklären, warum es nötig ist, die verschiedenen Begründungen der Einwilligung sowie ihrer Schranken systematisch zu erörtern und für sie einen einheitlichen Ausgangspunkt zu finden. Warum können wir es nicht dabei belassen, die Vor- und Nachteile der Argumente für die diversen Begründungen der Einwilligung und ihrer Grenzen in den empirischen Gesetzen zu analysieren und zu bewerten? Die Antwort auf diese Frage muss sich auf die Idee eines Systemdenkens im Strafrecht beziehen.13 Ein solches Systemdenken ist mit der Entwicklung der modernen Strafrechtstheorie, zumal der in Deutschland, durch die Behauptung ihres Zusammenhangs mit der „aufklärerischen Konzeption“ oder den „geistesgeschichtlichen Wurzeln in der Epoche der Aufklärung“14 untrennbar verbunden. Den klarsten Hinweis darauf kann man in Kants Hervorhebung des Systembegriffs finden.15 Dem Systemdenken zufolge soll die Auseinandersetzung mit konkreten strafrechtlichen Fragen weder allein in der Ableitung aus einzelnen abstrakten rechtlichen Prinzipien bestehen noch bei den dezentralen Regeln aus Lehrbüchern oder positiven Gesetzen (einschließlich der Verfassung), die auf einzelne Problematiken reagieren, verharren, sondern in eine Einheit integriert werden, die unter einer Idee oder einem Zweck steht. Man muss mithin den Zusammenhang bzw. die Idee in den jeweiligen Auseinandersetzungen erkennen und verdeutlichen. Kurz erklärt, ist das System einer Wissenschaft „ihre innere Struktur“16 oder ihre innere Einheit unter einer Idee. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir eine Idee beliebig auswählen und ihr die unterschiedlichen Materien einfach additiv zuordnen können. Im Gegenteil, unsere Arbeit besteht nur darin, den schon vorbestehenden Zusammenhang zwischen einzelnen Teilen zu erkennen und 13

Ausführlich vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 1 ff. Roxin, AT § 2 Rn. 8. 15 Nach Kant wird der Begriff des Systems als „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee“ (Kant, AA III, 538) definiert. Jede Wissenschaft ist „für sich ein System“, welches „als ein[ ] für sich bestehende[s] Gebäude […] und […] nicht […] als ein […] Theil eines andern Gebäudes, sondern als ein Ganzes für sich“ behandelt werden muss (Kant AA V, 381). In einem System sollen unsere Erkenntnisse „allein die wesentlichen Zwecke derselben unterstützen und befördern können“ (Kant, AA III, 538). 16 Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 246. 14

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

systematisch zu formulieren. Denn dieser Zusammenhang oder die Leitidee hinter den konkreten Inhalten der verschiedenen Argumentationen, ob wir ihn erkennen oder nicht, liegt jedenfalls schon vor. Für die moderne Rechtswissenschaft ist ein systematisches Denken zweifellos wichtig und dringend. „Die Aufgabe des wissenschaftlichen Systems ist es, die der Rechtsordnung als einem Sinnganzen innewohnenden Sinnzusammenhänge sichtbar zu machen und darzustellen.“17 Bei der Interpretation der leitenden Rechtsprinzipien und ihrer Konkretisierung wird immer vorausgesetzt, „daß die Regeln des Rechts und die verschiedenen Regelungskomplexe untereinander in der Tat in einem derartigen Sinnzusammenhang stehen, also mehr als nur eine auf der ,Willkür‘ des Gesetzgebers oder auf anderen, mehr oder minder zufälligen Faktoren beruhende Ansammlung von Einzelnormen sind“.18 Das Recht ist also als System zu sehen, nämlich „als eine Gesamtheit von als konsistent praktizierten Problemlösungen“.19 Die Aufgabe der Strafrechtwissenschaft besteht folglich darin, den Inhalt der Rechtsregeln, die die Merkmale der verbrecherischen Handlung festlegen und an sie Strafe oder sichernde Maßnahmen knüpfen, „in ihrem inneren Zusammenhang, also ,systematisch‘, zu entwickeln und zu deuten“.20 Nur die Einsicht in die inneren Zusammenhänge des Rechts kann die Rechtsanwendung über Zufall und Willkür hinausheben.21 Wenn die strafrechtlichen Normen nicht willkürlich sein sollen – und Strafrecht als ein besonders intensiv eingriffsintensives Recht darf den Rechtsgenossen nicht willkürlich erscheinen22 –, müssen sie miteinander verbunden und als System konsistenter Wertentscheidungen interpretiert werden.23 In der vorliegenden Straftheorie sowie in den Lehrbüchern existiert tatsächlich bereits ein Systemdenken. Nach herrschender Meinung zeigt sich jedes Verbrechen als eine gemeinsame Struktur bzw. ein geordnetes Ganzes,24 das aus bestimmten Merkmalen (Handlung, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld) besteht. Die Bedeutsamkeit des Systembegriffs besteht jedoch nicht lediglich darin, eine formale Struktur für den Deliktsaufbau vorzugeben. Die Anwendung des Systembegriffs soll darüber hinaus den widerspruchsfreien Zusammenhang25 der strafrechtlichen Interpretationen ermöglichen. Das heißt, nahezu alle die Delikts17

Canaris/Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316. Canaris/Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316. 19 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 277. Vgl. auch Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 2. 20 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 1. 21 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 1. 22 Pawlik, FS Wolter, S. 423; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 2. 23 Schroth, Hermeneutik, Norminterpretation und richterliche Normanwendung, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechttheorie der Gegenwart, S. 281; Jakobs, Strafrecht AT, S. 85. 24 Roxin, Strafrecht AT, § 7 Rn. 3. 25 Jakobs, Strafrecht AT, S. 85. 18

A. Erforderlichkeit der Rekonstruierung der Einwilligungsbegründung

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typen aufbauenden Komponenten werden „im System wie die Knoten eines Netzes mehrfach miteinander verbunden“.26 Das System ist in diesem Sinne „eine logische Ordnung der in der betreffenden Wissenschaft gewonnenen Einzelerkenntnisse“.27 Eine wichtige Aufgabe der Strafrechtwissenschaft besteht also darin, „die grundlegenden Kategorien und Begründungsfiguren des Faches in ein reflektiertes Verhältnis zu weiter ausgreifenden Konzeptionen der Weltdeutung und Lebensorientierung zu setzten“.28 In der Rechtsdogmatik sind die verschiedenen Interpretationen der Delikte „nicht nur durch das Erfordernis beschränkt, das Ergebnis systematisch einzupassen […], sondern auch die Begründung, mit der die Bedeutung festgelegt wird, darf nicht das System durcheinanderbringen, wenn man sie auf die Lösung anderer Interpretationsprobleme überträgt“.29 Andernfalls würde es in der Strafrechtsdogmatik zu einer „Atomisierung“ kommen.30 Denn ein Interpret, der praktisch verwendbare dogmatische Leistungen liefern will, muss „zu Abstrichen an Abstraktionshöhe, Reflexionsniveau und Theorieanspruch bereit sein, die einem ,reinen‘ Textwissenschaftler nicht abverlangt werden“.31 Ohne Hinzuziehung des Systemdenkens lässt sich dieses Niveau nicht erreichen und dieser Anspruch nicht einlösen. Bei der Strafdogmatik oder der Entwicklung der grundlegenden Straftheorie erscheint es heute wohl unstrittig, dass die (zumindest in Deutschland) zeitgemäße Strafrechtswissenschaft auf der Idee der Freiheit beruht. Die freien Rechtspersonen und die freiheitliche Rechtsordnung, in der sie zusammenleben, spiegeln insgesamt das Erscheinungsbild eines modernen freiheitlichen Staats wider. Dieses Bild ist konkret im Verfassungssystem, der Marktwirtschaft, der Sozialstruktur und der Rechtspraxis verankert. Als ein allgemeines strafrechtliches Prinzip enthüllt das Rechtsinstitut der Einwilligung, dass das gegenwärtiges Strafrechtssystem dem Einzelnen Selbstbestimmungsfreiheit einräumt, d. h. der einzelnen Person grundsätzlich erlaubt, sein Rechtsverhältnis zu anderen Personen nach seinem Willen frei zu gestalten, und damit die vorrangige Zuständigkeit des Verletzten veranlasst. Die Positionierung der Einwilligung steht im Einklang mit der Grundlage des heutigen Systems der strafrechtlichen Zurechnung. Beide verkörpern die Anforderung der freiheitsorientierten Idee. Dass die (normative) Selbstverantwortung als Grundlage der strafrechtlichen Zurechnungstheorie gilt,32 bildet die Kehrseite der sich im

26 27

S. 1. 28

Jakobs, Strafrecht AT, S, 86. Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems,

Pawlik, in: FS Wolter, S. 423. Pawlik, in: FS Wolter, S. 423. 30 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 11. 31 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 11. 32 Diese dem Menschen zugeordnete Selbstverantwortlichkeit ist jedoch nicht mit der Freiheit „im Sinne einer Ungebundenheit durch die Determinanten der naturwissenschaftlich zu erfassenden Welt“ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf eine normative Bestimmung bzw. 29

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

Einwilligungskonzept widerspiegelnden Selbstbestimmung.33 Der Wille der Person funktioniert sowohl im zurechenbaren bzw. rechtswidrigen Unrechtsverhalten als auch in der unrechtsausschließenden bzw. rechtfertigenden Einwilligung. Genauso wie bei der Begründung des Strafrechts selbst, das sowohl auf der Freiheitsidee beruht als auch seine Anwendungsgrenze von dieser Idee her bezieht, ist die Freiheit auch die Leitidee für die Grundlage und Grenze der Einwilligung. Wenn man der rechtlichen Zulässigkeit der Einwilligung sowie ihrer Einschränkung hingegen etwas zugrunde legt, was der Einwilligung äußerlich ist, bedeutet das nicht nur, dass die von der Einwilligung reflektierte individuelle Selbstbestimmung für das gesamte Zurechnungssystem lediglich von sekundärer Bedeutung ist; es könnte darüber hinaus auch die Grundlage der strafrechtlichen Zurechnung, die die Kehrseite der Selbstbestimmungsfreiheit darstellt, unterminieren. Die Konzeption des Verbrechensbegriff würde somit vom Gegenstand, nicht aber vom Subjekt ausgehen. Dieses Problem ist gerade in dem Ansatz angelegt, von dem die Vertreter der Rechtsgutslehre ausgehen. Erforderlich ist daher eine systematische Kritik an den herkömmlichen Grundlagen sowie an den Grenzbegründungen der Einwilligung. Im folgenden Text wird eine systematische Überprüfung der Grundlagen der Einwilligung und ihrer Schranken durchgeführt.

B. Die herkömmlichen Rechtsgründe der Einwilligung: ein Überblick Vor Beginn der Diskussion ist es notwendig, das traditionelle Analysemodell der Einwilligung kurz vorzustellen. Denn die herkömmlichen Erörterungen der Einwilligung gehen grundsätzlich von diesen traditionellen Kategorien aus, um die Einordnung und Funktion der Einwilligung im Strafrecht zu erforschen. Im Folgenden werden daher die Analysemodelle in ihren Umrissen dargestellt und wird ferner begründet, weshalb die Autorin diesen Ansätzen nicht zu folgen vermag. Geht es um die Legitimierungsgründe der Einwilligung, lassen sich zwei Ebenen unterscheiden: zum einen die Auslegung und Einordnung der Einwilligung; zum anderen die Gründe – genauer gesagt, die Begründung – dieser Auslegung und Einordnung. In Ergänzung der herkömmlichen Einstufung kann man diese beiden Ebenen wie folgt grob beschreiben:34 einen Rechtsbegriff, der die rechtliche Zuständigkeit beurteilt. Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 65 f. 33 Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als zwei Seiten derselben Medaille, vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 219 ff. 34 Vgl. Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 18 ff.; Otto, Einverständnis, Einwilligung und Selbstgefährdung, in: FS Geerds,

B. Die herkömmlichen Rechtsgründe der Einwilligung

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(1) Mangelndes Interesse am Rechts- oder Interessenschutz durch die Einwilligungserklärung:35 Die Einwilligung wird als Verzicht auf Rechtsschutz/Interesse verstanden; der Rechtsgrund der Einwilligung liegt hauptsächlich in einzelnen Gesetztexten, und zwar de lege lata. Die Zulässigkeit oder der Wirkungsbereich der Einwilligung kann auch durch einzelne strafrechtliche Vorschriften eingeschränkt werden. (2) Überwiegendes Interesse des Selbstbestimmungsrechts bzw. Abwägungsmodell:36 Die Einwilligung wird als ein von den durch einzelne Gesetze geschützten Rechtsgütern unabhängiger Wert oder ein unabhängiges Gut begriffen, das zur vom Art. 2 Abs. 1 GG garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit gehört. Dabei bezieht die Einwilligung ihren Rechtsgrund nicht nur aus der Billigung der einzelnen Strafvorschriften, sondern direkt aus der verfassungsrechtlichen Bewahrung der Grundrechte. Somit geht es bei der Einwilligung nicht mehr nur um eine Frage des besonderen Teils des Strafrechts, sondern um einen allgemeinen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund. Bemerkenswert ist aber, dass durch einzelne Gesetze die Einordnung der Einwilligung (in der Tatbestandsebene oder Rechtswidrigkeitsebene) entschieden und der Wirkungsbereich der Einwilligung noch ohne Weiteres begrenzt (z. B. §§ 216, 228 StGB) werden kann. Das Modell der Einwilligung als mangelndes Interesse des Staates oder Verzicht auf Rechtsschutz ist bis heute die h.M. geblieben. Über die Zulässigkeit der Einwilligung entscheiden auch bis heute hauptsächlich die einzelnen Gesetze. Die meisten Betrachtungen in den jeweiligen Gesetzestexten über die Zulässigkeit sowie die Beschränkung der Einwilligung stellen auf das Abwägungsmodell ab. Rönnau

S. 608 ff.; Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, S. 14 ff.; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT 6. Aufl., S. 116. 35 Vgl. dazu BGHSt 17/359 = NJW 1963, 165; Amelung, Einwilligung, S. 13 Fn. 15; in ders., Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 189 interpretiert er das Interesse des Einzelnen aber als die Zeichnung der feineren Konturen des Schutzobjektes innerhalb des Rahmens des gesetzlichen Werturteils. Die Einwilligung schließe deshalb eine Rechtsgutsverletzung aus, soweit das Gut wirklich nur um des privaten Interessensubjektes willen geschützt wird. Amelung/Eymann, Die Einwilligung des Verletzten im Strafrecht, JuS 2001, 938; Fischer, StGB, 65. Aufl., vor § 32 Rn. 3b; Kühl, AT, 8. Aufl. § 9 Rn. 23; Bichlmeier, JZ 1980, 54; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 33; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 11 Rn. 551; zum früheren Schrifttum vgl. Honig, die Einwilligung des Verletzten, S. 116 ff.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 244; Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrecht, S. 203 ff.; Metzger, Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 (1924), 207 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 95. 36 Vgl. Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe im Besonderen die Einwilligung des Verletzten, S. 59 ff., 74 ff.; ders., ZStW 77 (1965), 14 ff.; Dölling, GA 1984, S. 91; Geppert, Rechtfertigende „Einwilligung“ des verletzten Mitfahrers bei Fahrlässigkeitsstraftaten im Straßenverker? Ein Beitrag zur Struktur der Einwilligung, ZStW 83 (1971), 953; Jescheck/ Weigend, AT, 5. Aufl., S. 377; anders aber Weigend, Straflosigkeit bei Einwilligung, ZStW 98 (1986), S. 61, der die Handlung, in die der Verletzte eingewilligt hat, für keine Rechtsgutsbeeinträchtigung hält; LK/Hirsch, vor §§ 32 Rn. 105; Otto, Grundkurs, 7. Aufl., § 8 Rn. 127.

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

hat die beiden Typen daher gleich als Kollisionsmodelle bezeichnet.37 Beide Modelle erscheinen als eine Trennung des geschützten Gegenstands von der Komplexität des Verhältnisses des Betroffenen und führen schließlich zur Gegenüberstellung der Selbstbestimmungsfreiheit und des allgemeinen Interesses. Die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG liefert der Einwilligung zwar eine verfassungsrechtliche Unterstützung; die konkreten Kriterien erschöpfen sich aber in der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und des Bestimmtheitsgrundsatzes. Schließlich kann das Grundgesetz lediglich einen groben Rahmen bieten. (3) Schutz des Individualrechtsgüter einschließlich der Autonomie des Rechtsgutsinhabers, und zwar in dem Sinne, dass die Einwilligung immer als Tatbestandausschließungsgrund wirksam wird:38 Die Selbstbestimmungsfreiheit wird (bei bestimmten Delikten) als ein „essentieller Bestandteil“ des Rechtsgutsbegriffs gekennzeichnet. Damit wird der Schutz der durch erteilte Einwilligung zum Ausdruck kommenden Willensfreiheit und Willensbestätigung das Oberprinzip in der strafrechtlichen Dogmatik. Dabei darf der Einfluss der Entwicklung der Rechtsgutslehre, zumal der personalen Rechtsgutslehre und des sogenannten liberalen Rechtsgutsbegriffs, nicht außer Acht gelassen werden; ihr zufolge ist der Rechtsgüterschutz, der die Aufgabe des Strafrechts in einem modernen europäischen Verfassungsstaat sein sollte, an der Sicherung aller verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte zu orientieren.39 Schließlich greift der Gedankengang im Ursprung auf das Grundgesetz bzw. die liberale Interpretation des Grundgesetzes zurück. Die Auslegung der Einwilligung wird auch Teil der Auslegung der Grundrechte. Mit anderen Worten: Die Einwilligung sei nicht lediglich als ein „von dem durch einzelne Gesetze geschützten Rechtsgut unabhängiger und dem entgegenstellte[r] verfassungsrechtliche[r] Wert“ oder ein „eigenständiges Rechtsgut“ zu interpretieren, bewerten und abzuwägen; vielmehr sei die Einwilligung selbst „als Inhalt des rechtlich geschützten Rechtsguts im Rahmen der liberalen Verfassung“ zu begreifen. Die Zulässigkeit der Einwilli37 Rönnau, Willensmängel, S. 14 ff.; ähnliche Beschreibung wie Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele, Strafrecht AT, § 15 Rn. 124. 38 Vgl. Roxin AT, 4. Aufl., § 13 Rn. 12 ff.; ders., ZStW 85 (1973), 100 ff.; ders., Einwilligung, Persönlichkeitsautonomie und tatbestandliches Rechtsgut, in: FS Amelung, 2009, S. 271 ff.; Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 11 ff., 46; ders., Einwilligungsdoktrin und Teilnahmelehre, in: FS Geppert, S. 2 ff.; Kientzy, Der Mangel am Straftatbestand infolge Einwilligung des Rechtsgutsträgers; Maiwald, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, S. 89 ff., S. 106; ders., ZStW 91, S. 936; ders., JZ 1980, S. 258; Remesal, Die Einwilligung in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, in: FS Roxin zum 70. Geburtstag, S. 380 ff.; Schlehofer, Einwilligung und Einverständnis; auch in ders., „Pflichtwidrigkeit“ und „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ als Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen? in: FS Puppe, S. 962, weist Schlehofer darauf hin, dass man Tatbestand und Rechtswidrigkeit allenfalls rein formal unterscheiden darf; Schmidhäuser, Handeln mit Einwilligung des Betroffenen – strafrechtlich: eine scheinbare Rechtsgutsverletzung, in: FS Geerds, S. 594 ff.; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 28 ff. 39 Vgl. Roxin, AT, 4. Aufl., § 2 Rn. 7 f.

C. Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen

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gung sei das natürliche Ergebnis der Interpretation des Rechtsgutsbegriffs, die dem Verfassungswert in einem liberalen Rechtsstaat entspricht. Die Schranken der Einwilligung müssen dann nur aus dem Grundgesetz, und zwar aus der verfassungsrechtlichen Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit abgeleitet werden. Dieses sog. Integrationsmodell geht aber, obwohl es auf den ersten Blick eine Tendenz zur Annäherung an den Individualismus zeigt, ebenfalls von dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes aus. Der vorliegende Text wird zu zeigen versuchen, dass diese – von der herrschenden Meinung vertretenen – Argumentationen der Rechtsgutslehre stets auf eine Abwägungslösung hinauslaufen (siehe unten). Zusammenfassend bilden die oben genannten drei Klassifikationsmuster nur verschiedene Erscheinungsformen des Abwägungsmodells. Die zwei Erläuterungsmodelle „mangelndes Interesse am Rechts/Interessenschutz“ und „überwiegendes Interesse der Selbstbestimmungsfreiheit“ lassen sich bereits kaum voneinander abgrenzen. Die meisten Autoren nehmen die Abwägungslösung hin, während sie die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz bzw. Rechtsgut (zwischen den beiden Konzeptionen besteht eigentlich kaum ein Unterschied, wenn man die Unklarheit und Beliebigkeit des Rechtsgutsbegriffs in Betracht zieht) beschreiben. Nolls40 und Gepperts41 Kritik an die Rechtsschutzverzichtstheorie, dass sich mit diesem Gedanken nicht befriedigend erklären lasse, weshalb die Tötung auf Verlangen strafbar bleibe, gilt eigentlich auch für das Abwägungsmodell. Der Begriff des überwiegenden Interesses selbst erklärt nicht, weshalb ein bestimmtes Interesse das Selbstbestimmungsrecht überwiegt. Behauptet man, dass dabei ein größeres Interesse des Allgemeinen vorliege, vertritt man damit im Wesentlichen nichts anderes als den Gedanken, der im Mittelpunkt der Rechtsschutztheorie steht.

C. Die Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen I. Zwei idealtypische Positionen: Individualismus und Kollektivismus Das Wesen der Einwilligung ist die Selbstbestimmung des Einzelnen. Für die im Rechtsverhältnis stehende Rechtsperson ist sie durchaus ein wichtiger Faktor, der dieses Verhältnis ändern kann: Ein Spannungsverhältnis, in dem der Rechtskreis einer Person durch die Handlung des anderen verletzt werden könnte, wird durch die wirksame Einwilligung der ersten Person in ein Verhältnis der Kooperation geändert. Welche Bedeutung soll die Einwilligung dann für das Strafrecht haben? Als eine staatliche Institution ist das Strafrecht seinem Wesen nach öffentlich und in seiner 40 41

Noll, Einwilligung, S. 68 ff. Geppert, ZStW 83 (1971), 951.

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

Geltung allgemein. Wie man dem Verfahren der durch Einwilligung des Einzelnen ausgelösten Veränderung des Rechtsverhältnisses zwischen Personen Allgemeinheit gewähren und es in der Gestaltung der öffentlichen Normen einführen? Bei dieser Frage geht es offenbar um das Verständnis des Verhältnisses des Einzelnen zur Gemeinschaft. Die Verankerung der Einwilligung im Strafrecht stellt also den Status der Selbstbestimmung des Einzelnen in der öffentlichen Rechtsordnung dar. Spricht man vom Verhältnis zwischen Einzelnem und Allgemeinem, darf man die beiden gegensätzlichen Positionen der politischen Philosophie, die hier relevant werden, nicht außer Acht lassen: das kollektivistische und das individualistische Denken.42 Das Rechtssystem muss die zeitgenössische Position politischer Philosophie widerspiegeln. Im individualistischen Denken steht die einzelne Person im Vordergrund, während sie im kollektivistischen Denken lediglich einen sekundären Status gegenüber der Gemeinschaft hat. Im Hinblick auf die Straftheorie entwickeln sich aus dem kollektivistischen und dem individualistischen Denken jeweils unterschiedliche Verbrechensbegriffe. Der Verbrechensbegriff des Kollektivismus wird durch ein allgemeines Interesse begründet, nämlich durch das Bedürfnis nach Sicherheit. Die einzelne Person steht somit lediglich in einem instrumentellen Verhältnis zu einem solchen Strafrecht. Die Selbstbestimmung des Einzelnen ist unter dieser Voraussetzung kein Legitimierungsgrund des Strafrechts, sondern vielmehr nur einer der vielen Faktoren, die zum Zweck der Gewährleistung der sozialen Sicherheit in Betracht gezogen werden. Die Präventionstheorien entsprechen gerade dieser Tendenz.43 Wie oben erwähnt, spiegelt sich in der Verankerung des Einwilligungsinstituts im Strafrecht das Verhältnis zwischen Einzelnem und Allgemeinem. Ein kollektivistisches Verbrechensverständnis verkörpert sich auch in einem Misstrauen gegenüber der Zulässigkeit der Einwilligung.44 Zwar kann auch in einem Strafrecht, das sich nicht auf das Individuum als Legitimierungsgrund stützt, der Einsatz des Einwilligungsinstituts immer noch in Betracht gezogen werden; die Zulässigkeit der Einwilligung ist dann jedoch nur ein zufälliges Produkt einzelner Regeln im positiven Recht. Das heißt, ob eine Person über bestimmte Güter frei verfügen darf, hängt dann lediglich von zufälligen Bestimmungen des Gesetzgebers an. Im Gegensatz dazu steht ein echtes individualistisches Denken im Einklang mit einem Strafrecht, das seine Legitimität schließlich in der einzelnen Person findet, die selbst bestimmen und 42

Vor aller Erörterung des Einwilligungsbegriffs in verschiedenen Gedankenkontext ist eine Vorerklärung darüber nötig, dass sowohl Individualismus als auch Kollektivismus ziemlich weite Begriffe sind, die in unterschiedlichen Kontexten verschiedene konkrete Bedeutungen und Konnotationen annehmen können. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt aber nicht darin, die kollektiven und individualistischen Gedanken in verschiedenen Bereichen vorzustellen, sondern nur von diesen zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten aus die Grundlage und den Umfang der Einwilligung zu untersuchen und auf dieser Grundlage eine neue Interpretation vorzuschlagen. 43 Zur Kritik an den Präventionstheorien vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 61 ff. 44 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 113.

C. Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen

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somit selbstverantwortlich sein kann. Dementsprechend ist das konkretisierte Selbstverantwortungsprinzip, und zwar das Schuldprinzip, die innere Grundlage des Strafrechts. Aus der anderen Perspektive muss dem Selbstbestimmungsprinzip, das genauso wie das Selbstverantwortungsprinzip als Dimension des Autonomiebegriffs ausgeprägt ist, nach der inhärenten Logik des Strafrechtssystems ein genereller Status im allgemeinen Teil des Strafrechts zukommen. Das daraus hergeleitete Einwilligungsinstitut wird auch ins einheitliche Zurechnungs- bzw. Zuständigkeitsverteilungssystem im Strafrecht integriert. Im Folgenden werden zuerst die vorhandenen Grundlagen der Einwilligung behandelt und es wird versucht, ihre kollektivistische Tendenz aufzuzeigen. Um die Erörterung klar zu machen, wird hier eine grobe Klassifikation vorgenommen: Die Gedankengänge, die die Orientierung an den höchsten Interessen der Gemeinschaft als Kriterium annehmen, um die Zulässigkeit der Einwilligung und Erlaubnis ihrer Schranken zu bestimmen, werden als kollektivistische Gedankengänge gekennzeichnet; wird hingegen allein die Willensäußerung des Einzelnen und ihre Bedeutung dem Einzelnen gegenüber als Kriterium angenommen, um den Umfang und die Grenze der Wirksamkeit der Einwilligung zu begründen und zu interpretieren, lässt sich dies als ein Gedankengang des Individualismus kennzeichnen. Die folgende Erörterung über die Grundlage der Einwilligung entspricht im Großen und Ganzen der historischen Entwicklung der Einwilligungsgründe. Die systematische Interpretation der Einwilligung begann Ende des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung der deutschen Kodifizierung und Positivierung des Rechts.45 Nach dem Krieg wurde in den 1950er Jahren das Abwägungsmodell vorgelegt. Das Rechtsinstitut der Einwilligung wird vom sogenannten Einverständnis unterschieden und als Rechtfertigungsgrund positioniert. In den 1970er Jahren, mit der blühenden Entwicklung des liberalistischen und individualistischen Denkens im Rechtsbereich, entwickelte sich die liberale und persönliche Rechtsgutslehre. Zugleich wurde auch ein neues Verständnis der Begründung und rechtsdogmatischen Einordnung der Einwilligung erreicht. Auf den ersten Blick scheint das Verständnis der Einwilligungsgründe eine Widerspiegelung des Entwicklungsprozesses vom kollektivistischen zum liberal-individualistischen Ansatz zu reflektieren. Ob dies jedoch wirklich der Fall ist, erfordert eine weitere Überprüfung. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die Erörterung im folgenden Abschnitt.

45

24 ff.

Zur historischen Entwicklung vgl. Braun, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 15 ff.,

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

II. Frühere Lehren 1. Die kollektivistischen Ansätze Die Untersuchung der Erläuterung der Einwilligung führt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die meisten älteren Lehren von einem kollektivistischen Ansatz ausgehen. Obwohl das Konzept der Einwilligung sich schon im altrömischen Rechtssatz volenti non fit iniuria als Gewohnheitsrecht findet und im angelsächsischen Rechtskreis breite Anwendung findet, wurde es im kontinentalen Strafsystem niemals umfassend anerkannt.46 Schon in der Constitutio Criminalis Theresiana (1768) wurde festgesetzt, dass eine Schaden verursachende Tat trotz Verlangen des Verletzten strafbar bleibt.47 Diese Position der Verweigerung der allgemeinen Anwendbarkeit der Einwilligung wurde vom Josephinischen Strafgesetz (1787), dem bayerischen Strafgesetzbuch (1813), dem preußischen Strafgesetzbuch (1851) und dem österreichischen Strafgesetzbuch (1852) übernommen. Der Reichsgerichtshof hat im Urteil vom 15. Nov. 1880 die Haltung eingenommen, dass das Leben sowie die Gesundheit zu den unveräußerlichen Gütern gehörten, auf die daher nicht verzichtet werden könne.48 Vom späten 19. Jahrhundert bis zum frühen 20. Jahrhundert gab es eine Serie von Diskussionen über die Einwilligung, in denen sich das Streben nach einem allgemeingültigen Oberprinzip spiegelt, das der Anwendbarkeit der Einwilligung zugrunde liegen sowie die allgemeine Lösung für praktische Probleme der Einwilligung liefern kann. Der römische Rechtssatz „volenti non fit iniuria“ wurde – obwohl er erklärungsbedürftig erschien – fast immer als Ausgangspunkt oder als Titel der Aufsätze zitiert. Aber bei der Anwendbarkeit der Einwilligung spielten die einzelnen Strafvorschriften die entscheidende Rolle, d. h. die Einwilligung wirkt in denjenigen Fällen, wo das Gesetz49 das „invito laeso“ als Tatbestandsmerkmal fordert. Darin spiegelte sich freilich der Strömung des Positivismus in dieser Zeit. Binding hat in seinem Handbuch des Strafrechts deutlich darauf hingewiesen, dass die Kraft der Einwilligung, dem Angriff die Rechtswidrigkeit zu nehmen, nicht aus „dem Vorrate eigener Machtvollkommenheit (des Einzelnen)“50 schöpfe, sondern aus der Aus-

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Ob dieser auf Ulpian zurückgehende Grundsatz heute noch gelten sollte, ist nach wie vor umstritten. Vgl. Hauck, GA 2012, 207. Im älteren Schrifttum schon Hönig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 2. 47 CCT 1768/69, Art. 3 § 16: „Zumal die Uebelthaten auch an Unsinnigen, an Kindern, Schlaffenden, und Toden, ja sogar an denen, so ihren Schaden, und Untergang selbst verlangen, verübt werden.“ 48 RGSt 2, 442. 49 Vgl. ausführlich Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 294 f.; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 53 ff. 50 Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 708.

C. Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen

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gestaltung des positiven Rechts. Das römische Gewohnheitsrecht und die einzelnen Gesetzestexte waren die formalen Rechtsgründe der Einwilligung. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Einwilligung blieb die Hauptströmung ganz zurückhaltend.51 Feuerbach und Binding bestritten die allgemeine Wirkung der Einwilligung, die Strafbarkeit einer Tat unabhängig vom positiven Recht aufzuheben. Die Einwilligung sei mit anderen Worten nur da wirksam, wo das Gesetz sie erlaube. Als Folge daraus seien unter der Konzeption der Einwilligung „ganz heterogene Dinge“ verstanden worden.52 Davon werden die materialen Argumente aber nicht berührt. Um die materiale Begründung zu erörtern, muss man auf die jeweilige konkrete Auslegung eingehen. Ein häufig erwähnter Grund für die Erlaubnis der Einwilligung ist der, dass bei der Einwilligung der Gesetzgeber bzw. die Gemeinschaft kein Interesse mehr hat, das Recht des Einzelnen oder sein Gut zu schützen, wenn der Einwilligende selbst darauf verzichten will. Die Wirkung der Einwilligung wurde anerkannt, wenn und nur wenn der Gesetzgeber in den Fällen der Einwilligung dafürhalte, dass die Rechtsordnung kein Interesse daran habe, einem Menschen das zu erhalten und zu schützen, worauf er selbst keinen Wert legt.53 Honig vertritt daher die Auffassung,54 der dem Gut oder dem Interesse zuteilwerdende Rechtsschutz könne von nichts anderem als davon abhängig sein, ob das Gesetz seinen Rechtsschutz auch trotz der Einwilligung des unmittelbar Betroffenen gewährt oder nicht. Wenn die Rechtsordnung dabei noch ein Interesse habe, welches z. B. ein Interesse der Allgemeinheit sein könne, verliere die Einwilligung ihre Wirkung, die Strafbarkeit der betroffenen Handlung entfallen zu lassen. Die Handlung bleibe dann trotz Vorliegen einer Einwilligung strafbar. Feuerbach hält Selbstmord deshalb für „rechtswidrig“55, weil der Einzelne dadurch seine dem Staat verpflichteten Kräfte raube. Binding, ein wichtiger Gründer der Rechtsgutslehre, hält das Rechtsgut stets für ein „Rechtsgut der Gemeinsamtheit“.56 Der Schutz des Gutes sei ganz unabhängig vom dem Willen ihres Trägers. Die Tötung auf Verlangen sei als Tötung verboten und strafbar, weil das Angriffsobjekt der Tötung fremdes Leben sei, nicht „das Interesse der Hinz oder Kunz an ihrem Leben“.57 Auch bei Liszt, dessen Interessentheorie von Binding kritisiert wird, schließt die Einwilligung des Verletzten die Rechtswidrigkeit der Verletzung nur insoweit aus, als die 51 Als Überblick über die Einwilligungsdoktrin in dieser Zeit vgl. Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 4 ff. 52 Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 711. 53 Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 717. 54 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 21. 55 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl., S. 404. Allerdings wendet Feuerbach sich dagegen, eine solche rechtswidrige Handlung als Verbrechen anzusehen und mit Strafe zu bedrohen. 56 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, S. 358. 57 Vgl. Liszt, ZStW 8 (1888), S. 133 ff.; ders., ZStW 6 (1886), 663 ff.; Binding, Die Normen und ihre Übertretung, S. 360 f.

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes die Verfügungsgewalt über dieses eingeräumt habe.58 Im Berners Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes wird die Einwilligung als die Aufhebung des Rechtes bezeichnet. Verzichte man auf ein Recht, könne man aber zugleich die entsprechende Pflicht verletzen. Nach Berner hat der Wirkungsbereich der Einwilligung also „an den Rechten Anderer und an dem öffentlichen Interesse bestimmte Grenzen“; denn jus publicum privatorum voluntate mutari nequit.59 Der alte Satz volenti non fit iniuria „verneint […] nur die subjective Rechtverletzung, nicht aber schlechthin das Verbrechen“.60 Das Leben zum Beispiel sei ein unveräußerliches Recht,61 weil dem gesetzlichen Schutz des Lebens ein öffentliches Interesse zugrunde liege. Die mit der vom besonderen Willen des Verletzten erteilten Einwilligung durchgeführte Tötung bleibe eine Verletzung des allgemeinen Willens und sei deshalb strafbar.62 Die generelle Verweigerung des Instituts der Einwilligung kann man vor allem in den Ansichten der historischen Rechtsschule finden.63 Die meisten Lehren enthielten keine allgemeinen Bestimmungen über die Einwilligung. Vielmehr ist zu sagen, dass man nach damals h.M. auf eine einheitliche Abgrenzung des Wirkungskreises der Einwilligung verzichten sollte.64 Auch diejenigen, die die Verfügungsbefugnis des Einzelnen über das geschützte Interesse grundsätzlich anerkannten, waren damit einverstanden, dass das einzelne Gesetz darüber entscheiden kann, in welchen Fällen die Verfügungsbefugnis gewährt wird. Wenn die Einwilligung des Einzelnen überhaupt die Wirkung habe, das Unrecht einer Handlung des anderen entfallen zu lassen, so liege dies einfach daran, dass „das Gesetz die gegen die Einwilligungen begangene Handlung nicht strafen will“.65 Die Rechtsgründe sowie der Wirkungsbereich der Einwilligung hingen von der konkreten Formulierung des Gesetzestextes an. Es ging lediglich um Einzelprobleme im Strafrecht. Daher bedurfte es auch keiner allgemeinen Begründung für die Beschränkung der Einwilligung. Ihre Grenze musste einfach von den Gesetzen entschieden werden und damit für selbstverständlich gelten. Solche Auffassungen sind einerseits von der früheren objektiven Unrechtslehre beeinflusst, der zufolge die subjektive Zweckstrebung aus der Bewertung des Un-

58 Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 148 f. Liszt wendet sich damit gegen die von Zitelmann und Frank vorgetretene Rechtsgeschäftstheorie, die den Grund der Einwilligung aus Prinzipien des Zivilrechts herleiten wollte (S. 149 Fn. 10). 59 Berner, Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes, 18. Aufl., S. 96. 60 Schütze, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 105. 61 RGSt 2, 442; RG JW 1925 S 2250 Nr. 2. 62 Berner, Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes, 18. Aufl., S. 99. 63 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S 46 ff. 64 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 19 f. 65 Keßler, Die Einwilligung des Verletzten in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 28.

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rechts auszuschließen sei;66 andererseits greifen sie auf den Gedankengang zurück, dass das Strafrecht aufgrund seines öffentlichen Charakters von jedem Einfluss aus „dem Recht auf Privatgenugtuung“67 frei bleiben müsse. Der Rechtssatz volenti non fit iniuria gelte allenfalls im Bereich des Privatrechts. Die zurückhaltende Anwendung des Instituts der Einwilligung orientiert sich einerseits – im Gegensatz zum Zivilrecht68 – an der Öffentlichkeit des Strafrechts, andererseits auch an dem Gedanken eines kollektiven Verbrechensbegriffs, der auch in Fällen der Selbstverletzung gelte:69 Das Verbrechen sei eine Schädigung der Gemeinschaft bzw. des Staates. Es sei „ein äußeres Verhalten, welches deshalb von der Rechtsordnung mißbillig wird, weil es als gesellschaftsschädlich, als Interessen der im Staat organisierten Gesellschaft verletzend angesehen wird“.70 Es gebe „kein Recht außerhalb des Staats“.71 Infolgedessen dürfe der Einzelne weder sich selbst verletzen noch einem Dritten die Erlaubnis geben, ihn zu verletzen. Nicht das Individuum, sondern nur der Staat könne darüber entscheiden, welche Handlungen der Strafe unterworfen werden sollen. Niemand könne durch seine Einwilligung das Verbrechen und das Recht des Staats zu strafen aufheben.72 Hegler z. B. weist einerseits darauf hin, dass das Entfallen des gesellschaftsschädlichen Charakters sich aus der Bewahrung eines anderen stärkeren Interesses ergäbe; andererseits bezeichnet er die Einwilligung des Verletzten aber als ein Wegfallen des nur abgeleiteten staatlichen Interesses, d. h. „das Staatsinteresse zessiert, wo der zunächst betroffene Einzelne in die Verletzung gewilligt hat“.73 Nach diesem Gedankengang kann es nicht verwundern, dass der Wille sowie die daraus folgende Entscheidung des Einzelnen in der Unrechtslehre lediglich als ein objektives Element der Beziehung zwischen Verletzendem und Verletztem oder sogar als ein ganz vom Bewusstsein des Einwilligungsempfängers unabhängiges Element betrachtet und bewertet wird.74 66 Vgl. v. Blomberg, Das Bewußtsein des Täters vom Vorhandensein der Einwilligung, S. 5 ff. 67 Dabelow, Lehrbuch des deutschen gemeinen peinlichen Rechts, S. 54 f. 68 Vgl. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 203 f., Anm 4. Metzger, Strafrecht, 1931, S. 208. Aber Zitelmann, AcP 99 (1906), 56; Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, S. 141 ff. Kritik Honig, Einwilligung, S. 158 ff.; Lenckner, ZStW 72 (1960), 455; Metzger, Strafrecht, S. 276 f.; Noll, Einwilligung, S. 68 ff. 69 Kritik an diesem Verbrechensgedanken: Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 113 ff. 70 Hegler, Die Merkmale des Verbrechens, ZStW 36 (1915), 31. 71 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S 47. 72 Dabelow, Lehrbuch des deutschen gemeinen peinlichen Rechts, S. 55. 73 Hegler, ZStW 36 (1915), S. 41. 74 Vgl. die sogenannte Willensrichtungstheorie: KG JR 1954, 428; Blomberg, Das Bewußtsein des Täters vom Vorhandensein der Einwilligung, S. 5 ff., 22 ff.; Metzger, Strafrecht, S. 209; Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 204; Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl., 1931, S. 143. Es handelt sich um den frühen Streit über die Willensrichtungstheorie und Willenserklärungstheorie der Einwilligung, auf den hier aber nicht eingegangen wird. Vgl. Schrey, Der Gegenstand der Einwilligung des Verletzten.

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

Nach einem objektiven Prinzip ist die Einwilligung in Fällen wirksam, in denen „das verletzte Privatinteresse gemäß seiner Art keine überwiegende Bedeutung für das staatliche Gemeinwohl besitzt“.75 Das Individuum musste aber jedenfalls immer hinter dem Wert der Gemeinschaft zurückstehen und dem „Volksganzen“ dienen. Hatte man einmal das betroffene Interesse für eines der Öffentlichkeit gehalten, konnte die Intention des Einzelnen dabei keine Rolle mehr spielen. Das Leben des Einzelnen wurde deshalb als „ein Wesens- und Wert-Element des Volkslebens“ verstanden und gehörte zu den „wertvollsten Gliedern des Volksganzen“;76 und der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit bezog sich nicht nur auf den Schutz vor Eingriffen in den biologischen Leib und Körper, das subjektive Wohlbefinden oder die individuelle und formale Fähigkeit, sich selbst zu genügen und unversehrt zu leben, sondern zugleich auf die Seele und die bio-soziologische Lebensfunktion, die objektive Leitungsfähigkeit eines Menschen als soziales Wesen sowie seine sozialethische und materiale (werthafte) Tauglichkeit zur Erfüllung sozialer Pflichten und beruflicher Aufgaben – also auf die Leistungsfähigkeit im Dienste des sozialen Ganzen zur Schaffung allgemeiner Werte.77 Auf der anderen Seite dazu deutet sich an, dass das Leben des Einzelnen auch keinen Erhaltungswert mehr haben könnte, wenn es der Gemeinschaft keinen Vorteil mehr bringen kann.78 Unter einem solchen Gedanken würde der Schutzwert des Individuums nicht nur total objektiviert, sondern sogar vom Interesse der Allgemeinheit oder vom sogenannten Gemeinwohl verschlungen. Obwohl über einzelne Rechtsgüter das Individuum in gewissem Umfang Verfügung haben konnte, galt volenti non fit iniuria im Strafrecht nicht allgemein, weil das Strafrecht seinen Schutz schließlich nur „im Interesse der Allgemeinheit“ gewährt.79 2. Frühe Mindermeinung: Ein Versuch auf der Grundlage des individualistischen Ansatzes Abweichend vom kollektivistischen Ansatz und im Gegensatz zu ihm kann der Einwilligungsbegriff auch individualistisch verstanden werden. Mit dem kollektivistischen Ansatz verglichen gibt es in der Geschichte allerdings relativ wenige Ansichten, die die individualistische Position vertreten. Die stärkste dieser individualistischen Positionen zum Problem der Einwilligung entsteht überraschendweise aber im späten 19. und frühen 20 Jahrhundert in Gestalt der Ansichten von Keßler, Klee und Pfersdorf. Darin spiegeln sich zwar die Gedanken der Interessentheorie und des Psychologismus, die heute niemand mehr vertritt. Wenn man aber die Auffassung, dass über die Schutzwürdigkeit eines bestimmten Gegenstands nach der 75 76 77 78 79

Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Aufl. (1955), 135 f. Sauer, System des Strafrechts BT, S. 253. Sauer, System des Strafrechts BT, S. 278. Vgl. Binding/Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Leben, S. 27. H. Mayer, Strafrecht AT, 1968, S. 86.

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subjektiven Bewertung des einzelnen Berechtigten zu entscheiden sei, mit der heute entwickelten Rechtsgutslehre, nach der das geschützte Rechtsgut sich an der Verfügungsfreiheit des Rechtsgutsinhabers orientieren sollte, vergleicht, kann man Hinweise darauf finden, dass beide trotz unterschiedlicher Gründe bedeutende inhaltliche Übereinstimmungen aufweisen. Keßler nimmt – wenn auch im Namen des Gesetzgebers – einen ganz individualistischen Ansatz an. Zutreffend spricht er bereits vom Einklang des Willens beider Subjekte. Den Begriff der Einwilligung definiert er als „die Erklärung der Übereinstimmung meines Willens mit dem Willensacte eines Anderen“.80 Mit der von ihm vertretenen Interessentheorie befürwortet er, dass durch das Verbot der Tötung nur das Einzelinteresse geschützt werden soll; § 216 StGB, in dem der Gesetzgeber neben dem Leben des Individuums noch ein anderes Interesse habe schützen wollen, sei aufzuheben, weil die Auffassung, die reine Selbsterhaltung sei eine Pflicht gegenüber dem Allgemeinen, abzulehnen sei.81 Nach Pfersdorf82 ist das eigentliche Angriffsobjekt der strafbaren Handlung der die Beziehung zwischen Individuum und Gut herstellende Wille. Die verschiedenen Interessen, die bei Pfersdorf das strafrechtliche Schutzobjekt bilden, existieren „nur so lange, als der Wille ihrer Träger auf ihr Bestehen gerichtet ist“. Eine durch den Willen des Gutsträgers geschaffene Beziehung zwischen ihm und dem Gut sei herzustellen, in der das Gut ein Gegenstand des Interesses seines Trägers bleiben müsse.83 Liegt dabei eine Einwilligung vor, könne der Wille nicht mehr verletzt werden und könne es daher kein Delikt mehr geben. Bei Klee wird die strafrechtliche Verletzung begrifflich als „ethische Verletzung“ bzw. „Verletzung fremden Willens“ gefasst. Dem Verbrechensbegriff als solchem liegt also „eine Kollision zweier Willenssphären“ zugrunde. Der Wille ist erst das wahre Verbrechensobjekt. Stehen die beiden Willen einander nicht entgegen, sondern haben dieselbe Richtung, entsteht dabei keine strafrechtlich relevante Verletzung. Wer einen anderen mit seiner Einwilligung verletzt, verletzt ihn „nur physisch, nicht aber ethisch“; diese Handlung sei daher nicht strafbar. Das objektive Unrecht bezieht sich nach dieser Auffassung nicht auf die Schädigung bestimmter äußerlicher Gegenstände wie Leben, Gesundheit, Ehe, Freiheit oder Eigentum, sondern auf den „geistige[n] Schmerz, welchen der Verletzte empfindet“. Zu der Tötung auf Verlangen oder der Tötung eines Einwilligenden sagt Klee deutlich, die Strafe lasse sich in diesen Fällen „niemals rechtfertigen mit Rücksicht auf den allerdings physisch, 80

Keßler, Die Einwilligung des Verletzten in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 26. Keßler, Die Einwilligung des Verletzten in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 86. 82 Pfersdorf war grundsätzlich mit dem Gesichtspunkt Keßlers einverstanden. Allerdings hält er die Definition der Einwilligung bei Keßler für zu weit und bezeichnet die Einwilligung als eine sich einer verletzenden Handlung gegenüber darstellende Erklärung, dass der Erklärende keinen Gebrauch machen wolle von der rechtlichen Macht, aufgrund deren eine solche Handlung verboten werden könnte. Pfersdorf, Die Einwilligung des Verletzten, S. 16. 83 Pfersdorf, Die Einwilligung des Verletzten, S. 7 f. 81

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nicht aber ethisch strafrechtlich Verletzten“.84 Es gebe hier auch keine Pflicht des Individuums gegenüber der Gemeinschaft, denn das Verhältnis zwischen dem Staat und dem einzelnen Bürger sei als „ein negatives“ zu bezeichnen, und die Pflicht eines Bürgers dem Staat gegenüber sei nur, dem Staate nicht zu schaden.85 In den auf den subjektiven Interessen beruhenden Ansichten wird in der Tat das selbständige, selbstbestimmte Individuum hochgeschätzt. Darin, dass sich der gesetzlich geschützte Gegenstand immer an die subjektive Wahrnehmung des Einzelnen anlehnen muss, verbergen sich aber auch Gefahren: Damit würde nicht nur der gesetzlich geschützte Gegenstand von der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen auf seine reine Begierden und subjektive Gefühle reduziert, welche aber voller Ungewissheit sind; das Individuum wäre zudem auch damit belastet, in allen Lebenssituationen ungeachtet seiner eigenen Schwächen und äußerlich bedingten Einschränkungen alle Konsequenzen seiner Entscheidung allein zu tragen. Mit anderen Worten: Die unter dem Prinzip des Sozialstaats gedachte Aufgabe des Staates könnte im Namen der Autonomie an den Bürger selbst übertragen werden. Dies wird später in der Erörterung zu § 216 StGB noch ausführlich erläutert. 3. Fazit In der früheren Zeit erkannten die meisten Wissenschaftler die Rolle der Einwilligung des Verletzten nur begrenzt an. Ihre Anerkennung der Anwendbarkeit der Einwilligung basierte hauptsächlich auf der Entscheidung des Gesetzgebers, und zwar der einzelnen Vorschrift im positiven Recht. Ob durch die Einwilligung das Unrecht bestimmter Handlung ausgeschlossen werden kann, hängt völlig davon ab, ob der Gesetzgeber die fehlende Schutzwürdigkeit eines vom Verletzten dem Zugriff eines anderen preisgegebenen Rechtsguts einräumt. Wenn der Gesetzgeber entscheide, dass ein bestimmtes Rechtsgut trotz der erteilten Einwilligung rechtlich schutzwürdig sei, gebe es für den Einzelnen keinen Raum mehr, nach eigenem Willen über das Rechtsgut zu verfügen. Dies führt dazu, dass die Frage nach der Anwendbarkeit der Einwilligung nur noch ein Spezialproblem im besonderen Teil des Strafrechts ist. Ein solcher Ansatz hat eindeutig eine kollektivistische Färbung. Denn die Logik, der er folgt, ist diese: Nur in Abwesenheit allgemeiner Interessen dürfe der Einzelne über seine eigenen Rechtsbereiche verfügen.

84 85

Klee, GA 48 (1901), S. 179. Klee, GA 48 (1901), S. 189.

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III. Die Abwägungslehre: Spiegelung auch der kollektivistischen Züge 1. Einwilligung als eigenständiges Abwägungselement Mit dem Aufstieg der individuellen Autonomie nach dem Krieg begannen die Strafrechtswissenschaftler, die Einwilligung des Verletzten umfassend als einen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund geltend zu machen. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Einwilligung gilt grundsätzlich das Abwägungsmodell als Kriterium. Das heißt, es wird versucht, durch die Abwägung zwischen dem von der Einwilligung dargestellten Selbstbestimmungsrecht des Verletzten und dem vom Verletzten preisgegebenen Rechtsgut die Reichweite und die Grenzen der Einwilligung zu bestimmen. Diese Abwägungslösung wird bis heute noch von vielen Vertretern der herrschenden Meinung hingenommen.86 Damit hat die Einwilligung als Darstellung der Selbstbestimmungsfreiheit in einem Abwägungsprozess eine eigenständige Stelle gewonnen. Der Wirkungsgrund der Einwilligung besteht nicht mehr nur im mangelnden Interesse des Rechtsschutzes seitens des Gesetzgebers oder des Staates; die Einwilligung stellt vielmehr einen eigenständigen Wert dar, und zwar ausgehend von der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. d. Art 2 Abs. 1 GG. Im Folgenden wird allerdings versucht darauf hinzuweisen, dass sich in der Abwägungslehre quasi auch die kollektivistischen Züge spiegeln, weil sie die individuelle Selbstbestimmung im Zuge der Interessenbetrachtung gleichsam reduktionistisch mit anderen Interessen, insbesondere Allgemeinbelangen kommensurabel macht. Das rechtliche Anliegen der individuellen Selbstbestimmung und die damit verbundene Aufwertung der Einwilligung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts knüpfen an die Katastrophe in den 1940er Jahren an. In der nationalsozialistischen Zeit mussten die individuelle Freiheit sowie die Selbstbestimmung des Einzelnen immer Konzessionen gegenüber der Allgemeinheit – und eigentlich dem Willen des Führers – machen. Die die Strafbarkeit ausschließende Einwilligung des Verletzten hatte keinen Platz in einem solchen Staat. Als Reaktion auf diesen Extremismus wird nach dem Krieg die individuelle Selbstbestimmung in der eigenen Lebensführung und die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit in Deutschland und anderen abendländischen Gesellschaften schrittweise höher eingeschätzt.87 Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erlassen, in dem die Grundrechte jedes Menschen bzw. Staatsbürgers festgelegt werden, insbesondere der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Schutz der Menschenwürde 86 Dies liegt freilich an dem dreistufigen Deliktsaufbau. Das Rechtsinstitut der Einwilligung wird in der herkömmlichen Meinung immer auf der Rechtswidrigkeitsebene nach dem Prinzip der überwiegenden Interessen behandelt. Ein solcher Deliktsaufbau ist natürlich nicht unproblematisch. Für das Thema, das in dieser Dissertation zu behandeln ist, bleibt das aber noch irrelevant. 87 Für Beispiele dazu, etwa die Aufwertung der Patientenautonomie, vgl. Schöne-Seiffert, Einführung in die Medizinethik, S. 15 ff.

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und das Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG. Gleichzeitig wird die Einwilligung des Verletzten im Strafrecht, die als die Darstellung der grundrechtlich geschützten allgemeinen individuellen Selbstbestimmungsfreiheit88 angesehen wird, als ein selbständiges, schutzwürdiges Interesse in den in der Nachkriegszeit wieder aufblühenden Gedanken des Rechtsgüterschutzes integriert. Allerdings kam die Zulässigkeit der Einwilligung zumeist in Gestalt einzelner Gesetze zum Tragen. Die umfassende Anerkennung des Rechtsinstituts im kontinentalen Rechtssystem war damit noch nicht erreicht.89 In den 1950er und frühen 1960er Jahren wurde die Frage nach dem Legitimationsgrund der Einwilligung meist nur oberflächlich behandelt und erschöpfte sich in der Frage nach der Zulässigkeit gemäß den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften. In dieser Zeit wurde das Institut der Einwilligung nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip als Ausnahme charakterisiert. Maurach hat in seinem frühen Lehrbuch geschrieben: „Die Hinderungsgründe, die der Möglichkeit und dem vollen Wirksamwerden eines solchen (durch Einwilligung dargelegten) Verzichtes (auf Rechtsschutz) entgegenstehen, sind aber auf dem Gebiet des Strafrechts so zahlreich, daß die rechtfertigende Einwilligung des Verletzten […] praktisch zur Ausnahme geworden ist. […] Denn die Einwilligung ist nur in den praktisch seltenen Fällen beachtlich, in denen das bedrohte Rechtsgut […] privater Disposition unterworfen ist, und dies ist nur bei einer beschränkten Auswahl von Interessen der Fall.“90 Dieser Aussage zufolge erscheint die Eigenständigkeit der Einwilligung als Rechtsinstitut fragwürdig; die Auswirkung der Einwilligung auf die Strafbarkeit sei von der gesetzgeberischen Erwägung in ihrer jeweiligen Gesetzesgestalt abhängig. Geerds definiert Einwilligung als ein Verzicht – nicht auf „ein Recht“, weil „dem Einzelnen durch das Strafgesetz kein Recht garantiert wird“91, sondern – auf den gewährten Rechtsschutz.92 Dem Institut der Einwilligung liege „das mangelnde Interesse des Rechts“ zugrunde.93 Der Einwilligende sei kein berechtigter Inhaber, der über den strafrechtlich geschützten Gegenstand frei disponieren dürfe, denn das Rechtsgut müsse „durch die Anschauung der Allgemeinheit bestimmt“ werden.94 Der Einzelne dürfe also nur diejenige Gestaltungsbefugnis ausüben, die das Recht ihm eingeräumt habe.95 Es sei nicht der Einwilligende, sondern der Gesetzgeber, der die Kompetenz habe zu beurteilen, ob bei der Einwilligung „ein überwiegendes 88 Amelung, Einwilligung, S. 29; Noll, Einwilligung, S. 75. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 17 ff., 57; Rönnau, Willensmängel, S. 9. 89 Vgl. Noll, Einwilligung, S. 71. 90 Maurach, AT, 1958, S. 264. 91 Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, S. 43. 92 Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, S. 45. 93 Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, S. 12, 45. Ders., GA 1954, 263. Eigentlich schon Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 717; Metzger, GS 89 (1924), 276 f. 94 Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, S. 16. 95 Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, S. 45.

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Interesse“ vorliegt. Das heißt, das Interesse der Freiheit des Einzelnen an Selbstbestimmung wird dem im jeweiligen Gesetz geschützten Interesse der Gemeinschaft entgegenstellt, und es ist Sache des Gesetzgebers, jeweils zu beurteilen, ob die Anwendung des Instituts der Einwilligung zulässig ist. Bei Noll lässt sich dieses Abwägungsmodell für die Anwendbarkeit der Einwilligung noch deutlicher beobachten. Nach Nolls Ansicht ist die Einwilligung als Rechtfertigung nach subjektiver Wertung96 zu kennzeichnen, was aber nicht zu den Rechtfertigungsgründen der „überwiegenden Interessen“97 passt. Die Einwilligung stellt also das Spannungsverhältnis zwischen der vom Verletzten vertretenen subjektiven Wertung, die sich objektiv als der Wert der individuellen Freiheit darstellt, und der die Allgemeinheit verkörpernden Wertung des Gesetzes dar. Schließlich sei die Wirksamkeit der Einwilligung in einzelnen Fällen nach dem Zweck und Motiv des jeweils Einwilligenden zu entscheiden.98 Die Kraft der Einwilligung zur Ausschließung der Strafbarkeit einer bestimmten Tat hängt dabei immer von „Erfolgs-, Handlungs- und Gesinnungsunwert des verletzenden Handlung“99 ab und dürfe nur in Fällen wirken, in denen die Einwilligungsbefugnis durch – allgemeine Werte verkörpernde – Gesetze gegeben sei, auch wenn es sich um Individualrechtsgüter handele. Die Strafbarkeit von Tötung könne deshalb durch keinen Zweck entfallen; es sei lediglich eine Milderungsprivilegierung möglich.100 2. Unlösbarer Wertkonflikt Dieses Abwägungsmodell zur Anwendbarkeit der Einwilligung greift auf den sich nach dem Krieg schnell entwickelnden Gedanken des Rechtsgüterschutzes zurück und beruht auf der grundsätzlichen Annahme der Rechtsgutslehre, das Rechtsgut vertrete den vom Strafrecht zu schützenden Wert und unterscheide sich sowohl streng von dem Handlungsobjekt im konkreten Fall als auch von dem Rechtsgutsträger.101 Die Einwilligung des Verletzten stelle dagegen einen eigenständigen Wert dar, nämlich die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG. Die zwei unterschiedlichen Werte würden in einem Wertkonflikt einander entgegengestellt und vom Gesetzgeber oder dessen Interpreten abgewogen. In 96 Noll, Einwilligung, S. 59. Auch ders., ZStW 77 (1965), 15 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 377. 97 Noll, Einwilligung, S. 60. 98 Noll, Einwilligung, S. 61. 99 Noll, Einwilligung, S. 75. 100 Noll, Einwilligung, S. 61, 76 ff. 101 Im Prozess der Entwicklung der Rechtsgutslehre gab es zwar großen Streit, ob das Rechtsgut sich von dem Handlungsobjekt unterscheiden sollte; heutzutage ist aber allgemein anerkannt, dass das Rechtsgut selbst, das Handlungsobjekt und der Rechtsgutsträger voneinander zu trennen sind. Vgl. Schmidhäuser, Der Unrechtstatbestand, in: FS Engisch, S. 444; ders., Handeln mit Einwilligung des Betroffenen, in: FS Geerds, S. 597; Rönnau, Willensmängel, S. 30 ff.

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dieser Struktur spiegelt sich auch die von der h.M. vertretene Grundannahme der Dichotomie der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit im Deliktsaufbau. Dabei sind die zu stellenden Fragen immer die, ob eine Rechtsgutsverletzung vorliegt und ob die Rechtsgutsverletzung gerechtfertigt werden kann. Das heißt: Weder der Einwilligende noch der Eingreifende, weder das Verhältnis zwischen beiden Parteien noch das Verhältnis des Staates zu ihnen, sondern das Rechtsgut steht im Mittelpunkt. Obwohl es ein umfangreiches Schrifttum gibt, überschreitet die Fortentwicklung dieses Lösungsmodells diesen Rahmen im Wesentlichen nicht. Eine solche Lösung, nämlich mittels Interessenabwägung die Wirksamkeit der Einwilligung zu bestimmen, deutet jedoch an, dass sich die personale Selbstbestimmungsfreiheit auf ein eigenständiges Interesse außerhalb des Schutzobjekts der einzelnen Normen bezieht. Mit anderen Worten: Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und das Rechtsgut stellen zwei unterschiedliche Werte dar. Daher können die beiden Werte miteinander verglichen werden, um das „überwiegende Interesse“ rechtlich zu schützen. Zwischen der Selbstentscheidung des Verletzten und dem gesetzlich geschützten Rechtsgut besteht also immer ein Konflikt. Kurz zusammengefasst: Das Wesen des Abwägungsmodells stellt einen Interessenkonflikt bzw. eine Rechtsgüterkollision dar.102 Das Interesse der Selbstbestimmung des Einzelnen habe aber nicht immer überwiegende Priorität in der Abwägung, sondern allenfalls als ein eigenständiges „Rechtsgut“.103 In vielen Strafrechtslehrbüchern und Abhandlungen wurde die Einwilligung des Verletzten noch als ein minderwertiges Interesse gegenüber Gemeinschaftswerten verstanden. Das Leben und die körperliche Unversehrtheit sind deshalb durch Einwilligung des Verletzten nicht veräußerlich, denn sie sind „die Grundvoraussetzung für die Erfüllung der meisten Aufgaben des Menschen in der Gemeinschaft“.104 Mit dem Abwägungsmodell wird die Einwilligung zwar als der ungehinderte Gebrauch der persönlichen Freiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG als sozialer Wert eingeräumt; in den meisten Lehrbüchern und Abhandlungen wird die Begründung dieser Selbstbestimmungsfreiheit aber nicht weiter vertieft. In der Abwägung zwischen Einwilligung und gesetzlich geschützten Rechtsgütern wird die durch die Einwilligung dargestellte allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen schließlich dem Gemeinschaftsinteresse am Schutz der Rechtsgüter gegenüberstellt und dem überwiegenden Prinzip gefolgt105

102 Auf die Erörterung der Unterscheidung des Rechtsguts vom Interesse wird hier nicht eingegangen. Aufgrund der folgenden Kritik am Rechtsgutsbegriff ist die Autorin der Meinung, dass dieser Unterschied wenig relevant ist. Für eine grundsätzlichere Diskussion dieser Unterscheidung wäre zudem in dieser Untersuchung kein Raum. 103 Vgl. Dörr, Dogmatische Aspekte der Rechtfertigung bei Binnenkollision von Rechtsgütern, S. 33 ff. 104 Jescheck/Weigend, AT, S. 379. 105 Jescheck/Weigend, AT, S. 377.

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IV. Die verfassungsrechtliche Ableitung der Hochschätzung der individuellen Handlungsfreiheit 1. Einwilligung als ein verfassungsrechtlich begründetes eigenständiges „Rechtsgut“ Der Ansatz, dass das Individuum der Gemeinschaft zugehört und das Verbrechen lediglich das Verhältnis zwischen Bürger und Staat betrifft – ohne Bezug auf die besondere Beziehung zwischen selbstbestimmenden Subjekten –, ist bereits vielfach kritisiert worden. Im Laufe der Zeit hat sich zudem das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft allmählich gewandelt. Nach den großen Reformen im Strafrecht der 1960er und 1970er Jahre106 ist die Selbstbestimmung des Einzelnen deutlich der Kern der strafrechtlichen Auslegung geworden. Seit den 1970er Jahren nehmen immer mehr Lehrmeinungen direkten Bezug auf die Idee der individuellen Freiheit, um die Legitimität der allgemeinen Anwendbarkeit der Einwilligung im Strafrecht zu begründen. Die allgemeine Selbstbestimmungsfreiheit wird als Teil der verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte immer mehr aufgewertet. Mehr Möglichkeiten der selbstbestimmten Lebensführung werden von der Rechtsprechung eingeräumt und in den Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG eingeschlossen.107 Mit dieser Wandlung ergibt sich ein starker Einfluss des Individualismus auf die Strafrechtsdogmatik und das Rechtsinstitut der Einwilligung hat immer stärkere verfassungsrechtliche Unterstützung erhalten. Am gebräuchlichsten ist es, die Grundlage der Einwilligung aus den allgemeinen Persönlichkeitsrechten des Grundgesetzes abzuleiten. Die Zulässigkeit der Einwilligung wird weder lediglich durch das altrömische Gewohnheitsrecht noch lediglich aus konkreten Gesetzen, sondern aus den verfassungsrechtlichen Grundrechten hergeleitet und damit begründet. Die Einwilligung vertritt demnach mehr als einen normalen sozialen Wert; sie ist Ausdruck der Autonomie und repräsentiert das auf Verfassungsebene geschützte Selbstbestimmungsrecht. In diesem Verständnis gilt die Einwilligung nicht so sehr als ein übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund; vielmehr wird sie als ein eigenständiges, übergesetzliches Rechtsgut verstanden. Manche Autoren, wie Amelung108, bemühen sich darum, die Einwilligung direkt auf Verfassungsebene bzw. im System der Grundrechte zu verankern und zu kon106

Ausführlich zum StrÄG vgl. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 4 Rn. 24 ff. 107 Ein typisches Beispiel dafür ist etwa die Entkriminalisierung der homosexuellen Handlungen. Auch im Medizinrecht wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gestärkt. Vgl. Lahti, Ärztliche Eingriffe und das Selbstbestimmungsrecht des Individuums, in: FS Jung, 2007, S. 516 ff. 108 Nach herkömmlicher Einordnung ist Amelung ein Vertreter der Rechtsschutzverzichtstheorie, vgl. oben Fn. 1. Obwohl Amelung die Abwägungslehre ablehnt (Amelung, Einwilligung, S. 33, Fn 56), sieht er die Schranken der Einwilligung im öffentlichen Interesse (S. 34), wodurch das Selbstbestimmungsrecht dem Allgemeininteresse gegenübergestellt wird.

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kretisieren.109 Bei Amelung wird die spezielle grundrechtliche Sicherung der Einwilligungsfreiheit wie folgt abgeleitet: Im Allgemeinen sei die Einwilligungsfreiheit nur in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.110 In diesem Sinne ist die Einwilligung Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit.111 Sie ist für beliebige Zwecke offen, wird jedoch meist zur Verfolgung persönlicher Interessen des Einwilligenden genutzt.112 Wo die Einwilligung das einzige Mittel ist, ein Grundrechtsgut zu sichern, ist davon auszugehen, dass die Befugnis zur Abgabe einer solcher Erklärung in der speziellen Grundrechtsnorm gewährleistet ist, die dieses Rechtsgut schützt.113 In der entsprechenden speziellen Schutznorm ist die Einwilligung also mitgesichert. Somit wird die Einwilligung für ein Mittel gehalten, die Grundrechte zu verwirklichen und verfassungsrechtliche Werte zu verfolgen. Sternberg-Lieben114 findet die Legitimierungsgründe der Einwilligung ebenfalls im Grundgesetz bzw. in den verfassungsrechtlichen Grundrechten. Dabei erfolgt die Legitimation der Einwilligung sowohl in dem konkreten Grundrecht, in dessen Schutzbereich das zur Verletzung freigegebene Gut fällt, als auch von den ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen her, die der Verletzte mit der Erteilung der Einwilligung letztlich verfolgt.115 Bei Sternberg-Lieben wird das Rechtsinstitut der Einwilligung als eine „schutzgutsbezogene Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheit eines von den Strafvorschriften Geschützten“ gekennzeichnet,116 das zwar direkt an dem Rechtsverhältnis zwischen dem Staat als Inhaber der Strafgewalt und dem Täter wirksam wird, seine verfassungsverankerte Legitimation aber aus den Grundrechten des Einwilligenden erfährt. Der Wirkung der Einwilligung als Rechtfertigung der betroffenen Tat liegt also das verfassungsrechtliche Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung zugrunde. SternbergLieben betont die Verankerung der Einwilligung im Grundgesetz, zumal in den Grundrechten; anders als die frühen das Abwägungsmodell vertretenden Autoren erhöht er die Stellung der Einwilligung, indem er sie auf die Verfassungsebene 109 Einer der repräsentativsten unter den Strafrechtswissenschaftlern, die den Wirkungsgrund der Einwilligung in der Verfassung sehen, ist ferner Roxin. Aber angesichts der Bedeutung seiner Einordnung der Einwilligung – als Tatbestandsausschließungsgrund – wird seine Auffassung erst im nächsten Abschnitt erörtert. 110 Amelung, Einwilligung, S. 31. 111 Amelung, Einwilligung, S. 29. 112 Amelung, Einwilligung, S. 29. 113 Amelung, Einwilligung, S. 30. 114 Sternberg-Lieben hält die Einwilligung zwar für einen Rechtfertigungsgrund; aufgrund der Funktionseinheit von Tatbestand und Rechtswidrigkeit trägt er aber vor, dass diese Einstufung für die Feststellung der Schranken der Einwilligung keine Relevanz habe. SternbergLieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 59 ff., 66 ff. Bei der Definition der Einwilligung schließt sich Sternberg-Lieben wohl der Rechtsschutzverzichtstheorie an; er bezeichnet die Einwilligung als „Verzicht auf staatlichen Schutz für [ein grundrechtlich geschütztes] Gut“, ders., Die objektiven Schranken, S. 17 Fn 1. 115 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 57. 116 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 57 f.

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verschiebt, und lehnt das Abwägungsmodell deutlich ab: „Insoweit ist dann allerdings zu betonen, daß dieses Recht auf Selbstbestimmung über ein Gut keinen Wert darstellt, der dem Wert eines von Rechtsgutsinhaber abstrahierten Rechtsguts gegenüberzustellen und hiermit abzuwägen wäre; das Recht auf Selbstbestimmung über das Gut stellt vielmehr ausschließlich eine Funktion der Grundrechte dar, die individueller Beliebigkeit des Grundrechtsträgers in seiner diesbezüglichen Verfügung unterliegen.“117 Insgesamt wird das Rechtsinstitut der Einwilligung nach diesen Ansichten nicht mehr nur durch die Geltung des Gewohnheitsrechts „volenti non fit iniuria“ formell unterstützt, sondern wesentlich als Darstellung der individuellen Autonomie durch die Garantie der Art. 2 Abs. 1 GG untermauert; es wird immer stärker betont und hat eine eigenständige Stellung im Rechtssystem als ganzem bekommen. Nach den oben vorgestellten Ansätzen ist das Rechtsinstitut nicht mehr lediglich eine Reflexion der Gemeinschaftsinteressen, sondern Teil der verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte. 2. Der scheinbare individualistische Ansatz Allerdings verbleibt das Verhältnis der Einwilligung zu den strafrechtlichen Normen in einem Kollisionsmodell. Bei der Einwilligung handle es sich stets um „eine Kollision zwischen der bei der Aufstellung der Rechtsnormen generell getroffenen Wertentscheidung und einer nur ausnahmsweise abweichenden subjektiven Bewertung im Einzelfall“.118 Der Einwilligung wird ein instrumenteller Charakter zugeschrieben; die Preisgabe eines Gutes durch erteilte Einwilligung ist lediglich das Zwischenziel, das dazu dient, ein größeres Interesse zu verfolgen. Daher wird die Einwilligung als „ein Instrument der Interessenwahrnehmung oder -Verfolgung“ bezeichnet.119 Sieht man von den sich im Einzelnen unterschiedlich entwickelnden Lösungen ab, vertritt die leitende Strömung noch das Kollisionsmodell,120 bei dem die Trennung von Einwilligung und Einverständnis erhalten bleibt 117

Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 58. Allerdings nähert er sich später wieder dem Abwägungsmodell an, siehe unten. 118 Hirsch, LK-StGB, 11. Aufl., vor § 32 Rn. 104 ff. 119 Amelung, Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willensmängeln bei der Einwilligung des Verletzten, S. 41; Amelung/Eymann, JuS 2001 S. 939; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 15, Rn. 124; vgl. auch Geilen, Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht, S. 90; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 20 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 202. 120 Vgl. Fischer StGB Vor § 32 Rn. 3b; Kühl AT § 9 Rn. 22; Gropp, Strafrecht AT 4. Aufl., § 5 Rn. 29 ff.; Rengier AT § 23 Rn. 1; Stratenwerth/Kuhlen AT § 9 Rn. 7 ff., allerdings wird hier von der Einwilligung als „einem Verzicht auf das Rechtsgut (und nicht nur den Rechtsschutz)“ gesprochen (Rn. 6). Damit scheint es, dass die Existenz des Schutzobjektes schon vom Willen des Verletzten abhängig sei. Vgl. Stratenwerth, Prinzipien der Rechtfertigung, ZStW 68 (1956), 42; Wessels/Beulke/Satzger AT Rn. 541. Vgl. die Nachweise bei Kindhäuser, GA 2010, 493 ff.,

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und die Einwilligung nur auf der Rechtswidrigkeitsebene wirkt.121 Dabei wird die Anwendbarkeit der Einwilligung letztlich noch durch die einzelnen Strafvorschriften und das Prinzip des überwiegenden Interesses entschieden. Das der Selbstbestimmung folgende Interesse ist mit dem aufgeopferten Gut zu vergleichen und abzuwägen. Stützt man die Rechtsgründe der Einwilligung auf das Grundgesetz, handelt es sich daher nur um einen scheinbar individualistischen Ansatz, wenn man von vornherein von der Rechtsgutslehre ausgeht. Da die Verfassung in einem liberalen Rechtsstaat als oberste Norm gilt, ist es selbstverständlich, dass die positiven Gesetze nicht gegen sie verstoßen dürfen und der Spielraum des Gesetzgebers durch die Verfassung begrenzt werden muss. Hinsichtlich des Grundgesetzes selbst entstehen aber verschiedene Interpretationsmethoden, denen unterschiedliche Leitprinzipien zugrunde liegen. Ob eine gesetzliche Vorschrift verfassungswidrig ist, hängt oft von der angewandten Methode, dem vorpositiven Verständnis menschlicher Freiheit und der Auslegungsrichtung gegenüber dem Gesetz ab.122 Selbst „das Sittengesetz“ in Art. 2. Abs. 1 GG ist eine zu interpretierende Konzeption, ganz zu schweigen davon, dass es in konkreten Fällen nur sehr wenige positivrechtliche Vorschriften gibt, die ihrer Tragweite nach verfassungswidrig sein könnten. Das Grundgesetz kann, wie Kubiciel schon anmerkt,123 vielmehr nur die Grundrechte- und Wertekollisionen darstellen und einen Entscheidungsrahmen bereitstellen, nicht aber eine bestimmte Entscheidung vorschreiben. Die Aufgabe der Strafrechtswissenschaft liegt gerade darin, im groben Rahmen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nach dem eigenen Systemzweck und nach – aus rechtsphilosophischer Perspektive erbrachten – überpositiven Überlegungen die einzelne Strafvorschrift sowie das Rechtsinstitut der Einwilligung zu begründen. Mit dem Verweis auf die Werteordnung der Verfassung die strafrechtliche Einwilligung sowie ihre Schranken begründen zu wollen, ist folglich, so Kubiciel zutreffend, eine Scheinbegründung.124 Wird die Konzeption der Einwilligung allein aus den Grundrechten abgeleitet und orientiert sich ihre Auslegung einfach an der Rechtsprechung, wird ihre Zulässigkeit letztlich weiterhin nach dem Abwägungsmodell bestimmt. Mit dem Abwägungs497; Gropp, Die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff – ein Rechtfertigungsgrund, GA 2015, 6 ff. 121 Sondermeinung wie die tatbestandsausschließende Einwilligung bei Jakobs; die Einwilligung als extrasystematischer Rechtfertigungsgrund bei Hruschka, in: FS Dreher, S. 189 ff. (Kritik siehe Kindhäuser, Normtheoretische Überlegung zur Einwilligung im Strafrecht, GA 2010, S. 498 ff.); die Einwilligung als ein Unrechtsausschluss eigener Art bzw. ein Normaufhebungsgrund, der unter bestimmten Voraussetzungen die Geltung der Verbotsnorm aufheben kann, Kindhäuser, GA 2010, 490, 502 ff.; das „Basismodell“ bei Rönnau, der eine Mittelweg zwischen Kollisionsmodell und Integrationsmodell annimmt. Rönnau, Willensmängel, S. 85 ff.; ders., Die Einwilligung als Instrument der Freiheitsbetätigung, Jura 2002, 598. 122 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie: Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, S. 115 ff. 123 Kubiciel, JZ 17/2009, 603. 124 Kubiciel, JZ 17/2009, S. 603.

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modell wird aber nicht das Problem der Legalität des Normzwecks behandelt, sondern das der Verhältnismäßigkeit. Unter dem Rechtsstaatsprinzip ist die Zwecksetzung des Gesetzgebers grundsätzlich zu respektieren, insofern der Zweck nicht offensichtlich im Widerspruch zum Grundgesetz steht, was jedoch nur sehr selten eintritt. Ist das Abwägungsmodell einmal akzeptiert worden, werden die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen und das Allgemeininteresse immer getrennt und bleibt die äußerliche Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft ungelöst. Das Abwägungsdenken geht davon aus, dass die Einwilligung ein selbständiges, von dem durch das Verbot im Strafrecht gekennzeichneten Wert (oder: Rechtsgut) unabhängig anzusehendes Interesse ist125 und nach der Abwägung auch zur Bewahrung des Wertes beschränkt werden darf; die Lösung stützt sich deshalb schließlich auf eine Art Positivismus, dem zufolge die objektiven Schranken der Einwilligung allein vom Gesetzgeber entschieden werden sollten, sofern dieser den Rahmen der Verfassung nicht überschreitet. Ein solches übermäßiges Vertrauen auf den Gesetzgeber ist allerdings lediglich Ausdruck einer Faulheit des Denkens. Die Ableitung der objektiven Schranken der Einwilligung, die Sternberg-Lieben entwickelt, kann den Mangel an kritischem Potential der Verfassungslösung noch verdeutlichen. Er leitet die Schranken der Einwilligung grundsätzlich aus der Entscheidung des Gesetzgebers ab und bindet die Legitimation dieser Schranken auch an den Wortlaut des Grundgesetzes. Nach Sternberg-Liebens Erörterung ergibt sich die Beschränkung der Einwilligung entweder aus „einem Schutz von Drittinteressen, die der Gesetzgeber im Verhältnis zur Freiheit von Täter und Opfer als höherrangig einstuft“, oder aus „einer von ihm zugrunde gelegten Schwächesituation, die nach der gesetzlichen Vertypung einer freiverantwortlichen Disposition durch den Rechtsgutsinhaber im Wege steht“.126 Diese normativen Schranken müssen aber denen des Grundgesetzes unterliegen, und zwar der Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG – der Tatbestand des Verstoßes der guten Sitten des § 226a StGB a.F. (§ 228 n. F.) ermangelt also eines Legitimierungsgrundes wegen seiner Unbestimmtheit.127 Die in Art. 103 Abs. 2 GG gezogene Grenze ist lediglich ein formaler Rahmen, aus dem sich keine materialen Kriterien entwickeln lassen. Unter dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes führt dies schließlich dazu, dass die Legitimation der jeweiligen Strafvorschrift direkt in der Feststellung des von ihr geschützten Rechtsguts besteht. Dieses Rechtsgut kann entweder ein Drittinteresse sein – die Tabuisierung fremden Lebens in § 216 StGB128, ein ordnungsgemäßer Spielbetrieb in § 284129, die Vertragsfreiheit als Grundlage der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in § 302a a. F. 125 126 127 128 129

Amelung, Einwilligung, S. 26 ff.; Noll, Einwilligung, S. 45 ff. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, 584. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 121 ff. Vgl. Roxin, AT, § 13 Rn. 38 f. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 103 ff. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 166 f.

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(§ 291 n. F.) – oder es geht um den paternalistischen Schutz eines bestimmten Individualrechtsguts (wie der Leibesfrucht in § 218 StGB)130 oder der sexuellen Selbstbestimmung im Falle von Delikten des sexuellen Missbrauchs.131 Normen im Nebenstrafrecht, die herkömmlich als Schutz vor sich selbst angesehen werden, könnten nach Sternberg-Lieben entweder in die erste oder in die zweite Gruppe eingeordnet werden. Die Anführung der verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechte kann der Wertbeurteilung ebenfalls nur einen abstrakten Rahmen liefern. In diesem Sinne kann man sagen, dass sowohl die Basis der Selbstbestimmung als auch die des Rechtsguts aus Persönlichkeitsrechten abgeleitet werden kann. Aus dem Grundgesetz lässt sich eine Wertreihung zwischen ihnen nicht weiter herleiten. Schließlich bedient sich Sternberg-Lieben, obwohl er in demselben Artikel das Abwägungsmodell gerade abgelehnt hat,132 dieses Abwägungsmodells, um zu entscheiden, ob dem Interesse der Dispositionsfreiheit des Einzelnen oder dem Drittinteresse Priorität einzuräumen ist. Das Selbstbestimmungsrecht des Verletzten ist allenfalls einer der Faktoren, die bei der Abwägung berücksichtigt werden sollen.

V. Das Integrationsmodell der Einwilligung und der sogenannte liberale Rechtsgutsbegriff Neben den gesagten Auffassungen ist noch die in den Diskussionen der letzten Jahrzehnte häufig vertretene Auffassung bemerkenswert, dass jedes Rechtsgut eng an seinen Träger angeknüpft werden könne, der Wille des Rechtsgutsträgers also als „konstitutive[r] Bestandteil des Rechtsguts“ anzusehen sei. Vor allem um 1970 herum entstand ein umfangreiches Schrifttum über die Einwilligung,133 zumal über ihr Verhältnis zum Rechtsgutsgedanken; darin treten das tiefe Nachdenken über das Verhältnis der Einwilligung zum Einverständnis und eine Tendenz zum Individualismus besonders deutlich hervor. Die liberale Rechtsgutslehre setzt das durch die Einwilligung dargestellte Selbstbestimmungsrecht nicht mehr dem strafrechtlich geschützten Rechtsgut entgegen, sondern versucht, dieses Recht und das Rechtsgut in eine Einheit zu integrieren. Die Lehre vertritt die Auffassung, dass der Rechtsgüterschutz letztlich der Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit sei. Dementsprechend sollte nicht nur die Gültigkeit der Einwilligung im Strafrecht allgemein anerkannt werden, sondern sogar die Selbstbestimmung des Opfers im Wesentlichen als einziges Rechtsgut betrachtet werden und bereits auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit eine Rolle spielen. Diese Diskussionswelle eröffnet nicht nur eine neue Perspektive auf die 130 131 132 133

Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 163. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 163 f. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 66, 70 f. Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 16, Fn 20, 21.

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Einordnung und den Wirkungsbereich der Einwilligung, sondern stellt damit auch einen neuen Gedanken des Rechtsgutsbegriffs dar, nämlich die Aufwertung des Rechtsgutsträgers im Verhältnis zum geschützten Rechtsgut. Dass die Willensfreiheit und damit die Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsträgers zu den essentiellen Bestandteilen des Rechtsguts gehöre, entspricht sowohl der Veränderung des Strafgesetzes zu den personalen Delikten als auch der Entwicklung der Verbrechenstheorie bzw. der Rechtsgutslehre.134 1. Die einzelnen Argumentationen Der wichtigste und repräsentativste Verfechter dieser Auffassung ist heute u. a. Roxin, der aus ebendiesen Gründen seine Theorie des Strafrechts bzw. Rechtsgutslehre ableitet.135 Obwohl er den Wirkungsgrund der Einwilligung ebenfalls im Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG sieht,136 hält er, anders als die früheren Vertreter der Kollisionslösung, die die Einwilligung als Ausübung des dem geschützten Rechtsgut gegenübergestellten Selbstbestimmungsrechts ansehen, die Einwilligung und das Rechtsgut für eine ungetrennte Einheit. Die Rechtsgüter dienen nach Roxin nämlich der freien Entfaltung des Einzelnen. Nach seiner Formulierung: Da der Mensch sich nur kraft eines freien Willens fortbewege, Tatsachen als Geheimnisse behandele usw., könne beim Fehlen dieses Willens keine Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigt und auch kein Geheimnis verletzt sein (die Tatsache sei ja dann nicht geheim)!137 Das Rechtsgut bestehe also nicht nur aus seinem realen Substrat, sondern auch aus jener Dimension persönlicher Autonomie, die sich in ihm verkörpere; die Persönlichkeitsautonomie sei mit anderen Worten bei den Individualrechtsgütern bereits ein Bestandteil des geschützten Rechtsguts. Wer dem Rechtsgutträger wunschgemäß bei dem gesetzlich freigestellten Umgang mit seinen Rechtsgütern helfe, könne keinen Tatbestand verwirklichen.138 Bei der mit einer wirksamen Einwilligung des Verletzten durchgeführten Handlung liege deshalb entweder gar keine Rechtsgutsverletzung oder lediglich eine

134 Die systematische Einordnung, ob die Einwilligung des Verletzten schon tatbestandsausschließende Wirkung hat oder nur als ein Rechtfertigungsgrund angesehen werden muss, ist von der Frage nach dem Rechtsgutsbegriff sowie der damit verbundenen Verbrechenstheorie nicht zu trennen. Ersteres wird im Folgenden noch weiter erörtert. Die Problematik des Deliktsaufbaus bzw. die Unterscheidung der Tatbestandsmäßigkeit von der Rechtswidrigkeit liegt aber jenseits der Grenze dieser Arbeit. 135 Dazu vgl. oben Fn. 1. Für einen ähnlichen Gedankengang, in dem die Begründung sowie die Inhalte des Rechtsguts aus dem Grundgesetz abgeleitet werden, siehe Sax, JZ 1976, 9 ff. 136 Roxin, AT, 4. Aufl., § 13 Rn. 14. Vgl. dazu Armin Kaufmann, Rechtspflichtbegründung und Tatbestandseinschränkung, in: FS Klug, S. 281 f., der aber statt der Rechtsgutslehre die Tatbestandsausschließungswirkung der Einwilligung aus der Perspektive der Normentheorie ableitet. 137 Roxin, ZStW 85 (1973), 100. 138 Roxin, in: FS Amelung, S. 271, 284.

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„scheinbare Rechtsgutsverletzung“139 vor, weil die Handlung die freie Entfaltung des Verletzten nicht beeinträchtige, sondern im Gegenteil deren Ausdruck sei.140 Gehe man von diesem Gedankengang aus, sei die Zulässigkeit der Einwilligung nicht zu bestreiten, weil sie bereits in dem geschützten Rechtsgut inbegriffen sei. Außerdem habe damit die Einwilligung ihre Wirkung nicht erst auf der Rechtfertigungsebene, sondern schon auf der Tatbestandsebene, d. h. die Einwilligung sei als Tatbestandsausschließungsgrund zu interpretieren.141 Es fällt hier auf, dass Roxin außer der Rechtsgutsverletzung auch die Beeinträchtigung der konkreten menschlichen, physisch-biologischen Existenz voraussetzt, d. h. die Missachtung des fremden Willens allein (z. B. eigenmächtige Heilbehandlung) reicht für die Rechtsgutsverletzung nicht aus.142 Hinzu kommt, dass der strafrechtliche Eingriffsschutz erhalten bleibe, auch wenn keine freie Handlungsmöglichkeit vorliegt oder es ein Autonomiedefizit gibt. Denn die Autonomie „enthält in erster Linie das Recht des Menschen, in seiner Körperintegrität und in seinem Eigentum unbeeinträchtigt zu bleiben […]. Erst in zweiter Linie erwächst aus der Autonomie das Recht, über seinen Körper oder sein Eigentum nach eigenem Willen zu disponieren.“ Vor Eingriffen, die ohne oder ohne wirksame Einwilligung erfolgen, sollten gerade die Tatbestände schützen.143 Bevor Schmidhäuser die Konzeption der scheinbaren Rechtsgutsverletzung vortrug, hat er bereits im Jahr 1969 von dem „materialen Gehalt des Unrechtstatbestandes“ gesprochen und darauf hingewiesen, dass bei der Einwilligung schon gar keine Gutsverletzung mehr vorliege, weil es dabei keine Güterkollision gebe. Es gehe nicht um die Rechtfertigung, sondern um den Ausschluss der tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung.144 Dieses Ergebnis beruht auf Schmidhäusers Auffassung des Rechtsguts und seiner Verletzung. Für Schmidhäuser ist die Rechtsgutsverletzung „ein geistiges Phänomen“, das durch die Verletzung des vom Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruchs geprägt werde.145 Ungeachtet ihrer möglichen Anschaulichkeit oder Konkretheit müsse man die Rechtsgutsverletzung also zunächst als einen vergeistigten Sachverhalt betrachten. Liege eine Einwilligung des Rechtsgutsinhabers vor, ergebe sich kein Achtungsanspruch und infolgedessen sei keine Rechtsgutsverletzung möglich.146 139

Schmidhäuser, Handeln mit Einwilligung des Betroffenen, in: FS Geerds, S. 597; ders., Strafrecht AT, 2. Aufl., 5/106 ff. 140 Roxin, AT, 4. Aufl., § 13 Rn. 12. 141 Roxin, AT, 4. Aufl., § 13 Rn. 12 ff. 142 Roxin, in: FS Amelung, S. 285. 143 Roxin, in: FS Amelung, 282. 144 Schmidhäuser, Der Unrechtstatbestand, in: FS Engisch, S. 451 f. 145 Schmidhäuser, in: FS Engisch, S. 444 f. 146 Schmidhäuser, Handeln mit Einwilligung des Betroffenen, in: FS Geerds, S. 597 f. Er hält allerdings die Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung insoweit für vertretbar, als das Einverständnis tatbestandlich definiert sei, die Einwilligung hingegen nicht.

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Allerdings schränkt Schmidhäuser die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers in den hochpersönlichen Fällen z. B. der Körperverletzungsdelikte aufgrund der Achtung der Würde des Menschen wieder ein.147 Bei Delikten gegen das Leben schließt er sogar die Verfügbarkeit des einzelnen Rechtsgutsinhabers aus: „Wo die Gesellschaft ein Interesse daran hat, daß einzelne von anderen nicht zu Opfern gemacht werden, da kommt eine autonome Verfügung nicht Betracht.“148 Als Tatbestandsausschließungsgrund wirkt sich die Einwilligung für Schmidhäuser schließlich nur auf begrenzte Bereiche aus. Eine ähnliche Auffassung der Tatbestandsausschließungswirkung der Einwilligung findet man bei Nowakowski: „Wenn die Rechtswidrigkeit bei Einwilligung des Verletzten fehlt, ist Schutzobjekt in Wahrheit nicht die betreffende Lebenslage, der umschriebene Machtbereich an sich, sondern die Dispositionsgewalt einer Person über ihn. Die Verfügungsmacht ist nicht verletzt, wenn ihr Träger in den Eingriff in seinen Bereich gewilligt hat. Dann liegt eine Verletzung des Schutzobjekts überhaupt nicht vor, es fehlt an einer Rechtsgutsverletzung.“149 Denn das Rechtsgut sei nicht nur aus dem einzelnen Strafgesetz, sondern aus der gesamten Rechtsordnung zu gewinnen.150 Es sei das Gesamtgeschehen von Rechtsgutsverletzung, Art und Modalitäten der Handlung, das eine unwerterfüllte Einheit bilde.151 Die Gesichtspunkte Schmidhäusers und Nowakowskis befürwortet Kientzy. Kientzy spricht von der „psychologischen Identität“ der Einwilligung mit dem Einverständnis, obwohl er auf der rechtlichen Unterscheidung der beiden Rechtsinstitute beharrt.152 Wenn eine wirksame Einwilligung des Rechtsgutsträgers vorliegt, fehlt es Kientzy zufolge trotz eines „Eingriffs“ des Einwilligungsempfängers in den vom Grundtatbestand geschützten Bereich an einer Rechtsgutsverletzung. Es erscheine deshalb „einzig und allein sachgerecht, bei erteilter und wirksamer Einwilligung einen Mangel am Straftatbestand mit der Folge des Tatbestandsausschlusses anzunehmen“.153 Kientzy ist auch der Auffassung, dass sich bei Vorliegen der Einwilligung keine Güterkollision ergebe, die im Bereich der Rechtswidrigkeit behandelt wird, weil die freie und autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers eine derartige Güterkollision gerade ausschließe. Die Einwilligung sei daher als Unrechtsausschließungsgrund mit Tatbestandswirkung zu begreifen.154 147 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 1982, 5/120. Zur Kritik vgl. Schwartz, Die hypothetische Einwilligung im Strafrecht, S. 87. 148 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 1982, 5/119. 149 Nowakowski, Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit, ZStW 63 (1951), S. 328. 150 Nowakowski, ZStW 63 (1951), 327. 151 Nowakowski, ZStW 63 (1951), 321. Bemerkenswert ist aber, dass Nowakowski die Unterscheidung der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit für notwendig hält; bei der letzteren handele es sich um Wertungskollision; a.a.O., S. 329. 152 Kientzy, Der Mangel am Straftatbestand infolge Einwilligung des Rechtsgutsträgers, S. 2. 153 Kientzy, Einwilligung des Rechtsgutsträgers, S. 82 f. 154 Kientzy, Einwilligung des Rechtsgutsträgers, S. 84.

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Die von Maiwald vertretene Auffassung der Subjektivierung der Verletzung bei den Vermögensdelikten geht ebenfalls vom „personalen Rechtsgutsbegriff“ aus. Bei Maiwald ist der Unrechtsbegriff mit dem Willen des Verletzten enger verbunden, d. h. die Rechtsgutsverletzung, zumal die Eigentumsverletzung, setzt einen Widerspruch gegen den individuellen Willen voraus. Das strafrechtliche Unrecht ist nämlich für Maiwald die Willenswidrigkeit.155 Dieser Ansicht liegt der Gedanke zugrunde, dass „der Mensch als sittlich autonome Person auch einer äußeren Sphäre bedarf, in der allein sein Wille bestimmt, um sich selbst verwirklichen zu können“.156 Geht es um Vermögensdelikte, z. B. Sachbeschädigung, sei der Sachwert oder die Brauchbarkeit der Sache „nicht nur [durch] den primären Verwendungszweck, sondern auch durch die vom Eigentümer gewollte ästhetische Gestaltung bestimmt“.157 Der Eigentümerwille bzw. sein ästhetisches Interesse spiele bei Werturteilen über die Sache eine entscheidende Rolle. Das Interessante dabei ist, dass Maiwald zwei Einschränkungen für die Feststellung der Strafbarkeit von Sachbeschädigung vorträgt, die sich „aus der allgemeinen Funktion strafrechtlicher Normen ergeben“:158 1) Schädigung, die keinen gewissen Erheblichkeitsgrad erreicht habe, sei nicht strafbar; 2) in Fällen, in denen es an einem vernünftigen Interesse des Eigentümers an der Beibehaltung des vorherigen Zustands fehlt, entfällt die Beeinträchtigung und die betroffene Handlung sollte straffrei bleiben. Bei Delikten gegen hohe Persönlichkeitswerte hat Maiwald dieses Kriterium nicht weiterentwickelt. Würde aber dasselbe Kriterium angewandt, sollte auch bei Tötung oder Körperverletzung eines Einwilligenden nur der Verletzte berechtigt sein, nach seinen subjektiven Maßstäben über die Werte seines eigenen Lebens oder seiner Gesundheit zu entscheiden.159 Die von Maiwald vertretene Auffassung, dass die Interpretation des Inhalts des Rechtsguts sich nach der subjektiven Empfindung bzw. nach den „ästhetischen Gesichtspunkten“160 des Rechtsgutsinhabers zu richten habe, erscheint ähnlich wie die alte Interessentheorie. Ihr Mangel liegt aber, wie die oben dargelegte Kritik gegen die Autoren der Interessentheorie zeigt, nicht zuletzt darin, dass damit die Selbstbestimmungsfreiheit des Menschen auf seine reine subjektive Begierde reduziert werden könnte. Darüber hinaus würde zwar das objektive Unrecht der Handlung beim Vorliegen einer Einwilligung des Verletzten nach solcher Auslegungsweise schneller ausgeschlossen, weil die Subjektivierung des Rechtsguts die Einwilligung auf die Tatbestandsebene bzw. das nach h.M. verstandene Einverständnis umsetzen 155

Maiwald, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, S. 91. Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 89. 157 Maiwald, ZStW 91 (1979), 936; ders., JZ 1980, 258. 158 Maiwald, JZ 1980, 259. 159 Allerdings wird der Legitimation der Tötung auf Verlangen und der eingewilligten Körperverletzung als eines Verstoßes gegen objektive Sittlichkeit im Lehrbuch von Maurach/ Schroeder/Maiwald nicht gestritten. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 9. Aufl., § 2 Rn. 60 ff., § 8 Rn. 12 ff. 160 Maiwald, JZ 1980, 257. 156

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würde; in dem Fall, in dem nur der Betroffene selbst den Erfolg der Handlung als Schaden wahrnimmt, der Täter jedoch nicht, könnte sich aber der Umfang des objektiven Unrechts übermäßig ausweiten. Kargl hat die Gefahr der Subjektivierung des Verbrechensbegriffs wie folgt erläutert:161 Ein solcher Gesichtspunkt schwäche die Objektivität der Normen und die Verallgemeinerungsfähigkeit des Friedenszustands und reduziere den Konflikt auf die Auseinandersetzung zwischen dem Täter und dem konkreten Opfer. Das Gesetzlichkeitsprinzip würde dadurch zu Bruch gehen, dass subjektive Interessen den Maßstab der Auslegung objektiver Tatbestandsmerkmale bilden. Im Jahr 1970 hat Arzt in seinem Aufsatz „Willensmängel bei der Einwilligung“ das von Noll vertretene Abwägungsmodell dahingehend kritisiert, dass dadurch eine totale Kontrolle des Einzelnen erreicht werde, ob seine Selbstbestimmung „in einer falschen Wertung“ begründet sei oder nicht, insoweit man die Einwilligung als ein dem Rechtsgut entgegenstehendes Gut qualifizieren wollte. Gegen das Modell sprächen auch konstruktive Bedenken; es scheint nämlich so, als ob in jedem Schutzgegenstand zwei Rechtsgüter bestehen würden, von denen eines stets die Freiheit der Selbstbestimmung wäre; dabei bleibe dann unerklärt, wieso bei Vorliegen der Einwilligung trotz der Verletzung eines anderen Rechtsguts die Strafbarkeit entfallen solle.162 Arzt trägt vor, dass die Rechtsgutsbezogenheit der Einwilligung berücksichtigt werden sollte, um die Einschränkung der Sittlichkeitsdelikte zu ergänzen und den Schutz neuer Persönlichkeitsrechte, bei denen die Einwilligung relevant ist, vor der Gefahr des Missbrauchs zum Schutz wirtschaftlicher Interessen zu bewahren.163 Dementsprechend sei die Verfügungsfreiheit in das Rechtsgut einzubeziehen. Damit sei das Objekt des strafrechtlichen Eigentumsschutzes nicht nur der Gegenstand als solcher, sondern auch die Verfügungsbefugnis: „Eigentum ist (auch) Verfügungsfreiheit.“164 Dazu ergänzt er, dass „das Verlangen“ erst die Normalform der Einwilligung sei und die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund in der Realität nahezu „inexistent“ sei. Ausgehend vom Zusammenhang der Einwilligung mit der Selbstverantwortung weist er die Einwilligung als „Mitwirkung an Selbstverletzung“ der Tatbestandsebene zu.165 Die Einwilligung sei also ein Rechtsinstitut, das dem Ausgleich zwischen Interessen des Opfers und des Täters diene.166 In dieser Vorstellung von Einwilligung spiegelt sich auch Arzts Hervorhebung der Opferrolle im ganzen Strafsystem.167

161

Kargl, Die Freiheitsberaubung nach dem 6. Gesetz Reform des Strafrechts, JZ 2/1999,

162

Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 43. Arzt, Willensmängel, S. 51 f. Arzt, Willensmängel, S. 46 (Herv. im Orig.). Arzt, Einwilligungsdoktrin und Teilnahmelehre, in: FS Geppert, S. 2. Arzt, in: FS Geppert, S. 6. Arzt, in: FS Geppert, S. 20.

78. 163 164 165 166 167

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

Rudolphi stimmt ebenfalls der Ansicht zu, dass die Einwilligung als „konstitutives Element des in dem jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsgutes“168 betrachtet werden müsse und bereits die Rechtsgutsverletzung entfallen lasse. Dazu trägt er in seiner Bemerkung zu Arzts Buch von 1970 noch weiter vor, dass Rechtsgut und Verfügungsbefugnis nicht nur eine Einheit bilden, sondern Verfügungsgegenstand und Verfügungsbefugnis in ihrem Aufeinanderbezogensein selbst das im Tatbestand geschützte Rechtsgut seien;169 z. B. sei das Schutzobjekt bei den Eigentumsdelikten nicht die einzelne Sache als solche, sondern allein die ausschließliche Nutzungs- und Verfügungsbefugnis des jeweiligen Eigentümers über die konkrete Sache bzw. die Freiheit des Eigentümers, die ihm durch die Sache eröffneten Verwendungsmöglichkeiten nach seinem Belieben zu nutzen.170 Das von Rönnau bevorzugte Basismodell kommt der Auffassung Rudolphis sehr nahe.171 Rönnau definiert die Individualrechtsgüter als Basis für die personale Entfaltung des Rechtsgutsinhabers.172 Die Einwilligung stellt sich vor diesem Hintergrund „als eine Möglichkeit dar, von den im Individualrechtsgut gespeicherten Handlungschancen nach selbst gesetzten Zwecken Gebrauch zu machen“173 und ist daher als Tatbestandsausschließungsgrund einzustufen.174 Liegt eine mangelfreie Einwilligung vor, ist die betreffende Handlung, z. B. der Heileingriff, ungeachtet der Verletzung des Rechtsguts im Ergebnis tatbestandslos.175 Des Weiteren schreibt Zipf:176 „Bei der Einwilligung geht es […] um die Anerkennung des Willens des Betroffenen. […] Gerechtfertigt wird tatbestandsmäßiges Verhalten, weil es im konkreten Fall sozial wertvoll ist. […] Jeder Tatbestand, bei dem die Einwilligung erteilt werden kann, setzt ein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutsträgers voraus. Die – wirksame – Rechtsgutspreisgabe schließt eine strafrechtlich relevante Rechtsgutsverletzung aus und verhindert damit die Tatbestandserfüllung.“ Mit anderen Worten bedeutet die Einwilligung nicht lediglich ein Verzicht auf den Rechtsschutz, sondern schon einen Verzicht auf das Rechtsgut.177 Kühne schließlich behauptet Ende der 1970er Jahre im Hinblick auf die dargelegten Auffassungen die Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung abzuschaffen, indem er beide als Darstellung eines „tatbestandsausschließenden (partiellen) Rechtsgutsverzichts“ behandelt. Für Kühne sind die Begriffe lediglich ein dogmatisch irrelevanter Hinweis auf „stilistische Eigenheiten des Gesetzestex168 169 170 171 172 173 174 175 176 177

Rudolphi, ZStW 86 (1974), 88. Rudolphi, ZStW 86 (1974), 87. Rudolphi, ZStW 86 (1974), 87. Rönnau, Willensmängel, S. 88 ff.; vgl. auch LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 156. Rönnau, Willensmängel, S. 453. Rönnau, Willensmängel, S. 453. Rönnau, Willensmängel, S. 453. Rönnau, Willensmängel, S. 107. Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 28 ff., 30. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, 6 Aufl., § 10, Rn. 6.

C. Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen

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tes“. Das subjektiv verfügbare Strafgesetz stehe aber immer unter dem Vorbehalt der Dispositionsfreiheit des Gutsinhabers, ob der Tatbestand selbst ausdrücklich einen der Handlung entgegenstehenden Willen des Verletzten fordere oder diesen nur implizit voraussetze. Im Wesentlichen sei es immer der berechtigte Rechtsgutsträger, der über das betroffene Rechtsgut und damit über die Grenze des ihm zukommenden strafrechtlichen Schutzes verfüge. Kühne hat deutlich darauf hingewiesen, dass die Einwilligung ausnahmslos als Tatbestandsausschließungsgrund wirksam sei.178 Es fällt noch auf, dass Kühne bei den Voraussetzungen und der Wirksamkeit der Einwilligung eine niedrige Schwelle annimmt. Die Einwilligung sei trotz Motivirrtum oder Inhalts- und Erklärungsirrtum grundsätzlich wirksam, es sei denn, dass der Einwilligungsempfänger wegen Kenntnis oder Bewusstsein des Willensmangels rechtsmissbräuchlich gehandelt habe.179 2. Selbstbestimmung als das einzige Rechtsgut? Obwohl das sogenannte Integrationsmodell die Autonomie des Opfers in den Mittelpunkt des strafrechtlichen Schutzes stellt, ist ein solches Verständnis der Einwilligung wesentlich mit dem Kerngedanken der Rechtsgutslehre – dem Rechtsgüterschutz – unvereinbar. Denn wenn die Autonomie des Opfers das einzige Rechtsgut wäre, das es zu schützen gilt, dann wären der in der modernen Zeit bestehende Rechtsgutsbegriff selbst und die Unterscheidung verschiedener Rechtsgutstypen nicht mehr sinnvoll. Es ist hier auch darauf aufmerksam zu machen, dass niemand von den Vertreter der Integrationslösung die Auffassung vertritt, die strafrechtlichen Tatbestände schützten „nur“ die Willensfreiheit des Betroffenen; denn damit würde einerseits die Tragweite des strafrechtlichen Schutz zu weit ausgedehnt, andererseits würde die aus den unterschiedlichen Tatbestände resultierende Typisierung des Delikts sinnlos. Auch spricht niemand von einem unbegrenzten Wirkungsbereich der Einwilligung; die rechtlichen Schranken der Einwilligung bei Delikten wie Körperverletzung oder Tötung auf Verlangen werden umfassend anerkannt. Wenn die Selbstbestimmung hingegen als ein nicht in den Strafrechtsvorschriften dargestelltes, eigenständiges Rechtsgut gilt, bedeutet dies, dass bei allen Straftaten gegen den Willen des Opfers immer zumindest zwei Rechtsgüter verletzt werden. Dies spiegelt sich jedoch weder in irgendeiner Namensgebung oder Tatbestandsdefinition des Strafdelikts noch in den Gründen der Verurteilung wider. Eine solche Vorannahme bzw. Konstruktion „doppelter Rechtsgüter“ bestätigt darüber hinaus nochmals den Befund, dass die Selbstbestimmung des Betroffenen und das rechtlich geschützte Rechtsgut, etwa Leben und körperliche Unversehrtheit, von Anfang an entkoppelt sind. Infolgedessen haben die sogenannten Individualrechtsgüter tat178 Kühne, Die strafrechtliche Relevanz eines auf Fehlvorstellungen gegründeten Rechtsgutsverzichts, JZ 1979, 241 f. 179 Kühne, JZ 1979, 244.

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§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung

sächlich ihren gesetzlich bezeichneten Charakter bereits verloren: Die Gesetze, die den Individualrechtsgüter dienen, schützen keine Güter des Individuums als einer selbstbestimmten Person, sondern lediglich Güter einer abstrakten Menschheit oder der menschlichen Gattung. Die Individualrechtsgüter in diesem Verständnis unterscheiden sich insoweit letztlich wenig von Kollektivrechtsgütern.

D. Fazit Bei der Erörterung der Einwilligung ist der Hintergrund der gegenwärtigen Weltanschauung sowie des Menschenbildes stets zu berücksichtigen. Genauer gesagt entfaltet sich alle Darlegung und Verankerung der Einwilligung immer vor diesem politisch-philosophischen Hintergrund. Zwar haben fast alle gegenwärtigen Lehren einschließlich der Lehrbücher und Kommentare bereits eindeutig anerkannt, dass die Einwilligung des Verletzten als einer der übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe umfassend gelten soll. Allerdings besteht der in diesem Beitrag in Frage zu stellende Hauptpunkt gerade darin, dass die herkömmliche Meinung einerseits die Allgemeingültigkeit der Einwilligung des Verletzten als Rechtfertigungsgrund anerkennt, andererseits aber die althergebrachte Denkweise seit dem 19. Jahrhundert nicht völlig abgeschüttelt hat, dass die Zulässigkeit der Einwilligung (oder in der Formulierung der Rechtsgutslehre: die Dispositionsbefugnis über ein bestimmtes Rechtsgut) allein durch positives Recht bestimmt werden müsse. Die oben vorgestellten Darlegungen lassen erkennen, dass neben den alten Lehren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die eine starke kollektivistische Tendenz zum Ausdruck brachten, ein Großteil der nach dem Krieg entwickelten Auslegungsmodi der Einwilligung – etwa die Abwägungslehre, die Orientierung an den Grundrechten und das aus dem sogenannten liberalen Rechtsgutsbegriff abgeleitete Integrationsmodell – immer noch den Charakter der Abwägungslösung bewahrt und letztlich die Wirksamkeit der Einwilligung durch kollektive Interessen beschränkt. Mit einem solchen Ansatz wird nicht nur die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen vom Allgemeininteresse getrennt und ihm entgegenstellt, sondern auch das Interesse der Gemeinschaft nach wie vor dem des Individuums übergeordnet. Daher ist der auf diesem Verständnis beruhende Einwilligungsbegriff noch immer mit dem kollektivistischen Denken verbunden. Wenn man wirklich das Fundament der Einwilligung aus der Selbstbestimmung bzw. Autonomie aufbauen und damit eine Alternative für die Definition der Einwilligung finden will, muss man die Straftheorie, die aus dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes hervorgeht, näher erörtern. Im Folgenden wird daher zuerst das Defizit des Rechtsgutsdenkens gezeigt, und im Anschluss daran wird eine andere Möglichkeit der Definition der Einwilligung vorgelegt.

§ 2 Die Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes Die Erörterung der Position der Einwilligung im Strafrechtssystem stützt sich in der Regel auf das Ziel des Strafrechts und den materialen Verbrechensbegriff.180 In der deutschen Strafrechtswissenschaft muss das Thema stets in einem bestimmten Kontext diskutiert werden, und zwar im Paradigma des Rechtsgüterschutzes. Die Einwilligung wird vor diesem Hintergrund entweder als „Preisgabe/Disposition über ein der eigenen Verfügung unterstehendes Rechtsgut“181 oder als „Verzicht auf Rechtsgüterschutz“ oder als „das dem Rechtsgut vorrangige oder zumindest gleichgestellte Selbstbestimmungsrecht“ bezeichnet. Die Einwilligung des Betroffenen kann die Strafbarkeit nur dann beseitigen, wenn dem Betroffenen Dispositionsbefugnisse im Hinblick „auf die Art des betroffenen Gegenstandes zugebilligt werden“.182 Die Dispositionsbefugnis bzw. die Verfügbarkeit des Rechtsguts oder das überwiegende Gewicht des Selbstbestimmungsrechts gilt daher als die Voraussetzung der rechtlichen Anwendbarkeit der Einwilligung. Dispositionsbefugnis bzw. Verfügbarkeit des Rechtsguts hängen immer eng mit der Interpretation der Aufgabe des Strafrechts zusammen: Wenn das Strafrecht „umfassende soziale Funktionen zu schützen sucht“, d. h. „Sozialinteressen dient“, dann „müssen auch die konzeptionell aus diesen komplexen Funktionen herausdifferenzierten Rechtsgüter prinzipiell Güter der Allgemeinheit sein“.183 In diesen Fällen kann der Einzelne über diese Güter nicht wirksam verfügen.184 An dieser Stelle lässt sich ein kurzer Blick auf die Problematik der Rechtsgutslehre werfen, um weiter zu verdeutlichen, worin der Mangel des Rechtsgutsbegriffs liegt. Es wird gezeigt, dass die Antwort auf die Hauptfrage der Einwilligungsproblematik eng mit dem aus dem Rechtsgutsgedanken abgeleiteten Verbrechensbegriff verbunden ist. Um Lösungen hierfür zu finden, muss man sich zuerst die Entwicklung des Rechtsgutsbegriffs vergegenwärtigen, weil der wesentliche Mangel dieses Begriffs gerade aus seiner Geschichte hervorgeht. 180 Vgl. Weigend, ZStW 98 (1986), 54, 57; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 111. 181 Roxin, GA 2012, 661. 182 Weigend, ZStW 98 (1986), 44. 183 Weigend, ZStW 98 (1986), 54. 184 Weigend, ZStW 98 (1986), 57. Nach Weigend muss man noch bei denjenigen Rechtsgütern, die gemeinhin als Individualrechtsgüter bezeichnet werden, weiter fragen, in welcher Hinsicht es sich um unabdingbare Voraussetzungen des sozialen Zusammenlebens handelt und daher der Einzelne über diese Güter keine Dispositionsbefugnis haben darf.

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§ 2 Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes

A. Die Entstehung der Rechtsgutslehre im deutschen Strafrechtskontext Die Entstehung des Gedankens des Rechtsgüterschutzes steht der Rechtsverletzungslehre Feuerbachs entgegen. Der Gedanke des Rechtsguts stellt daher die Ablehnung einer Definition des Verbrechens dar, die allein auf subjektiven Rechten – entweder denen der Person oder denen des Staats – beruht.185 Hingegen könnten die gesellschaftlichen Institutionen, die nicht als selbständiges Subjekt angesehen wurden, keine Rechte besitzen, die als Verletzungsobjekt vom Strafrecht geschützt werden dürften. Birnbaum schlägt deshalb den Begriff der Güterverletzung vor, um die „Nichtrechtsverletzung“ unter Strafe zu stellen. Die Güter sollen entweder bestimmten Personen oder der Gesamtheit zustehen.186 Das Rechtssubjekt wird durch den Gutsträger ersetzt, und die subjektiven Rechte durch das „Gut“. Daraus ist die Gegenüberstellung von Schutzobjekt und Gutsinhaber in der Verbrechenstheorie hervorgegangen. Das Strafrecht wird somit als ein Schutzgesetz verstanden, dessen Aufgabe die Absicherung des Schutzobjekts durch die staatlich monopolisierte Gewalt sein soll. Damit „wird eine Summe religiöser und sittlicher Vorstellungen als ein unter die allgemeine Garantie zu stellendes Gemeingut des Volkes angesehen“,187 die nach Feuerbachs Straftheorie aus dem Bereich des Strafrechts ausgeschlossen gewesen wäre. Als Birnbaum seine Lehre vom Verbrechen als Güterverletzung gegen Feuerbachs Lehre der Rechtsverletzung setzte, fragte er also nicht nach der Legitimität einer Straftheorie, sondern nach der Möglichkeit, alle kollektiven Belange in die Tragweite des Strafrechts einzuführen. Die ursprüngliche Funktion oder der ursprüngliche Zweck des Rechtsgutsbegriffs besteht nicht in der Reduktion der Strafe, sondern umgekehrt in einer Ausweitung. In Bindings Rechtsgutslehre gibt es einige bemerkenswerte Punkte, die bis heute noch in Diskussionen über Rechtsgüter auftauchen und über die noch keine Übereinstimmung erreicht wurde. Zum ersten geht es um das Verhältnis der Rechtsgüter zum Einzelnen, der heute Rechtsgutsträger genannt wird. Für Binding sind Rechtsgüter ein Gut der Gesamtheit. Dieses Gut der Gesamtheit bezieht sich auf die Bedingungen eines gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft, die hierdurch erst zu Objekten der Norm werden. Die Rechtsquelle muss die so charakterisierten Gegenstände, die Rechtsgüter genannt werden, in der Beschränkung „durch ihre eigene Erwägung und durch die Logik“188 definieren und auf dieser Grundlage eine die Rechtsgüter schützende Normen aufstellen. Der Rechtsgutsbegriff Bindings ist von vornherein nicht an das Individuum, sondern an die Gemeinschaft gebunden. Binding hat den sozialen Wert der Güter bereits hervorgehoben: „Auf ihre [dieser 185

Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, 11. Aufl., 1832, § 21. Birnbaum, Ueber das Erfordernis einer Rechtsverletzung zum Begriff des Verbrechens, Archiv des Criminalrechts, N. F., 1834, S. 149 ff. 187 Birnbaum, Rechtsverletzung, S. 178; Hervorhebung im Original. 188 Binding, Die Normen und ihre Uebertretung, Band 1, S. 340. 186

A. Entstehung der Rechtsgutslehre im deutschen Strafrechtskontext

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Güter] Unverletztheit muss nicht lediglich dieser oder jener, sondern das ganze lebendige Gemeinwesen Gewicht legen. Deshalb allein finden sie den Sozial-Schutz. Nichts ist falscher als hier eine individualistische Betrachtungsart anwenden und etwa Güter des Einzelnen von denen der Gesellschaft und des Staates scharf trennen zu wollen. […] Das Rechtsgut ist ein Begriff der Wissenschaft des öffentlichen, nicht des Privatrechts.“189 – Binding legt also Wert auf die Feststellung, dass die Normen, um die es hier geht, dem öffentlichen Recht zugehörig sind, obgleich es (auch) Normen zum Schutz der Privatrechtsverhältnisse gibt. Binding hat die Normen klar vom Gesetz getrennt. Während er ausgehend von den ersteren den Verbrechensbegriff definiert, überlässt er es einfach dem Gesetzgeber, über das letztere zu entscheiden. Die Rechtsgüter beziehen sich auf die Gegenstände, die vom Gesetzgeber als schutzwürdig ausgewählt werden.190 Außer „eigener Erwägung und der Logik“ gibt es für den Spielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl der Rechtsgüter keine andere Beschränkung mehr. Das „Güterkapitel der Rechtsordnung“ kann sich auf irgendwelche Gegenstände beziehen, sogar auf das, „was nicht verletzt oder vernichtet werden kann“:191 vom Leben des Menschen bis zur geschlechtlichen Sittlichkeit, vom religiösen Gefühl bis zur Freude des Menschen an den Singvögeln und ihren Eiern.192 Aus einer solchen mit dem Rechtspositivismus eng verbundenen Rechtsgutslehre lässt sich kein wirklicher materieller Verbrechensbegriff entwickeln, weil sie dem Rechtsgut lediglich eine rein dogmatische Funktion zuweist.193 Der Begriff des Rechtsguts ist seit seiner Entstehung von vorherein eine rein formelle Konzeption. Daraus folgt dann eine hundertjährige Untersuchung – oder vielmehr Suche – in der Strafrechtswissenschaft nach dem Umfang des Rechtsgutsbegriffs. Bislang ist der Versuch einer Abgrenzung des Begriffs allerdings kaum gelungen. Als Binding seine Rechtsgutslehre entwickelte, wurden er und seine Lehre bereits durch den Trend des Positivismus am Ende des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Die Flexibilität und Unklarheit seines Rechtsgutsbegriffs bilden eine perfekte Kombination mit seiner Normentheorie. Und aufgrund seiner Tendenz zum Rechtspositivismus wird Bindings Normenkonzept schließlich durch das Gesetz aufgehoben.194 Alle Verbrechen können daher als Verletzung des dem Gesetzgeber wichtig erscheinenden Rechtsguts beschrieben werden. Der konkrete Inhalt des Rechtsguts, wie oben gezeigt, ist für Binding immer „das Gut der Gesamtheit“. In der strafrechtlichen Dogmatik zeigt sich also ein kollektivistischer Gedanke. Das Interesse 189

Binding, Normen, S. 340 f. Allerdings lässt sich der Normbegriff bei Binding wegen seiner Neigung zum Positivismus schließlich nicht klar von dem des Gesetzes unterscheiden. Die Objekte, die vom Gesetzgeber für schutzwürdig ausgewählt werden, werden auch zu Objekten der Norm, ihre Verletzung wird zur Straftat gestempelt. Binding, Normen, S. 340. 191 Binding, Normen, S. 340 f. Kritik: Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 77 ff. 192 Binding, Normen, S. 346 f. 193 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 129. 194 Vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 47. 190

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§ 2 Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes

der Gemeinschaft bzw. des Staates kann sich immer gegenüber dem Willen des Individuums durchsetzen. Dieser Rechtsgutsbegriff hat in der anschließenden, mehr als hundert Jahren dauernden Entwicklung der Rechtsgutslehre sowie der Straftheorie großen Einfluss ausgeübt. Die Entwicklung der Rechtsgutslehre nach dem Krieg stellt einerseits eine Reaktion auf den Schlag gegen den Rechtsgutsgedanken in der Zeit des Nationalsozialismus dar;195 parallel dazu lässt sich auch ein Wiederaufstieg der Positivierung des Rechts beobachten, der ebenfalls eine Reaktion auf die starke Politisierung des Strafrechts in der nationalsozialistischen Zeit (infolge deren die Auslegung des Strafrechts nicht nach positiven Rechten, sondern politisch entschieden wurde) darstellt. Der sog. systemkritische oder materielle Rechtsgutsbegriff taucht gleichfalls erst nach dem Krieg auf.196 Trotz dieser schnellen Entwicklung der Rechtsgutslehre in der Nachkriegszeit bleibt die Struktur jedoch grundsätzlich unverändert: Das Verbrechen wird als Rechtsgutsverletzung und die Aufgabe des Strafrechts als Rechtsgüterschutz verstanden. Und das seit der Entstehung des Rechtsgutsbegriff bestehende Problem bleibt ebenfalls unlösbar: Der Begriff ist an sich intensional leer und bezeichnet lediglich eine Hypostasierung des legislativen Ziels.197 Die konkreten Inhalte der Rechtsgüter lehnen sich an die positiven Gesetze und die strafrechtliche Dogmatik an, d. h. es fehlt eine einheitliche, allgemeine Definition des Rechtsguts.198 „[E]in Begriff beliebigen Inhalts ist kein Begriff mehr.“199 Der Rechtsgutsbegriff kann, wie der Begriff selbst zeigt, alle möglichen Entscheidungen des Gesetzgebers in sich unterbringen. Zutreffend ist Jakobs Meinung: „Der Erfolg der Lehre vom Rechtsgüterschutz beruht nicht auf ihrer fixen Richtung, sondern auf ihrer chamäleonhaften Wandbarkeit.“200 Der Rechtsgutsbegriff impliziert ontologisch eine kollektive Überlegung.

B. Die kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens I. Die Isolierung des Rechtsguts von seinem „Träger“ Die ontologische kollektivistische Tendenz der Rechtsgutslehre zeigt sich insbesondere darin, dass mit dem Rechtsgutsbegriff das rechtliche Subjekt von dem 195 196 197 198 199 200

Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, 216 ff. Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 273 ff.; Roxin, in: FS Hassemer, S. 573 ff. Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 357. Vgl. Stratenwerth, zum Begriff des „Rechtsguts“, in: FS Lenckner, S. 377 ff. Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 357 Anm. 54. Jakobs, Rechtsgüterschutz? Zur Legitimation des Strafrechts, S. 16.

B. Kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens

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Rechtsgut gelöst wurde, dessen Träger das Subjekt ist. Denn im Zentrum des Rechtsgutsgedankens steht stets der geschützte Gegenstand, d. h. das Rechtsgut. Infolgedessen wird die Einwilligung, die als Darstellung der Selbstbestimmung des Rechtssubjekts gilt, auch streng von dem im einzelnen Tatbestand zu schützenden Rechtsgut getrennt und ihm entgegengesetzt.201 Die Einwilligung muss daher in diesem Verständnis nach einer eigenen Schutzbegründung suchen, etwa dem Art. 2 Abs. 1 GG.202 In dieser Isolierung spiegelt sich das antiindividualistische Wesen der Rechtsgutslehre. Dieses Problem lässt sich auch an Bindings Rechtsgutslehre deutlich machen. Das geschützte Rechtsgut ist in Bindings Rechtsgutsbegriff stets streng von seinem Träger isoliert. Diese Trennung hat zur Folge, dass die Freiheitsbelange des rechtlichen Subjekts in hohem Maße vernachlässigt werden und „die komplexe Problematik der Legitimation von Strafnormen auf die Frage reduziert [wird], ob einem Straftatbestand ein schutzwürdiges Substrat (,Rechtsgut‘) zugrunde liege“.203 Der Mensch als eine freie einheitliche Rechtsperson ist auf einen reinen Gegenstand des Rechtsschutzes reduziert. Das Verhältnis zwischen interaktiven Subjekten, nämlich dem Verletzenden und dem Verletzten, verkürzt sich zudem auf ihre Anknüpfung an das betroffene Rechtsgut. Das bedeutet nicht nur, dass die eigenen Handlungen sowie die Selbstentscheidungen des Rechtsgutsträgers keinen Einfluss mehr darauf haben können, ob die in Frage stehende Handlung strafrechtlich als Verbrechen anzusehen ist und ob somit der Staat den Täter mit Strafe bedrohen darf; es deutet auch an, dass in einem Rechtsverhältnis die Rechtsposition des Rechtsgutsträgers als einer Rechtsperson für das Strafrecht irrelevant sei. Das Rechtsverhältnis der Rechtspersonen, das der Kern der Normen sein sollte, wird im Gedanken des Rechtsgüterschutzes verdeckt. Der Rechtsgutsbegriff kann daher kaum eine befriedigende Antwort auf die Frage nach der Freiheitsgrenze zwischen Subjekten bieten. Er geht nicht vom Subjekt, sondern vom Gegenstand aus. Wenn es an der reflexiven Erkenntnis der Gegenstände fehlt, man empirische Gegenstände direkt begrifflich erhöht und damit das Subjekt-Objekt-Verhältnis fixiert, wird das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt zu einer bloß zufälligen Gegebenheit.

II. Verlust des sozialen Kontextes im konkreten Rechtsverhältnis Diese Trennung zwischen Subjekt und Objekt führt dazu, dass durch das Rechtsgut als abstrahierten Begriff der komplexe Kontext des intersubjektiven Verhältnisses nicht richtig erfasst werden kann. Was im Namen des Rechtsguts geschützt wird, ist nur ein abstrahierter Freiheitsrahmen, anhand dessen nicht beurteilt werden kann, ob eine bestimmte Handlung strafrechtlich vorwerfbar ist. Die 201 202 203

Vgl. Amelung, Einwilligung, S. 13. Amelung, Einwilligung, S. 31. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 137.

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§ 2 Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes

Inhalte einer solchen aus Rechtsgütern bestehenden „Schutzliste“ werden entweder von der Gesetzgebung festgelegt oder (nach dem Verständnis der Interessentheorie) als subjektive Präferenz der einzelnen Person204 interpretiert. Will man den sozialen Kontext in die Erwägung des Rechtsgutsbegriff einführen, führt dies unweigerlich zum Zerbrechen des Rechtsgutsbegriffs selbst. Ottos Auslegung der Einwilligung zeigt deutlich, welcher Widerspruch sich ergeben könnte, wenn man einerseits auf dem Standpunkt des Rechtsgüterschutzes beharrt, andererseits jedoch das Defizit des Rechtsgutsgedankens, nämlich die mangelhafte Berücksichtigung der Gemeinschaftsbezogenheit, beheben will. Er formuliert das Verhältnis der Rechtsgemeinschaft zum einzelnen Betroffenen folgendermaßen: „Zu beachten ist dabei aber, daß auch die sog. individuellen Rechtsgüter durchaus noch soziale Bezüge haben, denn die Rechtsgesellschaft gewährt dem Einzelnen den Schutz der als Rechtsgut anerkannten personalen Beziehung, weil auch sie ein eigenes Interesse daran hat, daß sich der Einzelne in dieser Wertbeziehung entfaltet. Umgekehrt legitimiert sich der Schutz sozialer Rechtsgüter aus der Tatsache, daß der Einzelne ein Interesse an der durch diese Rechtsgüter gewährten Entwicklung der Gesellschaft hat.“205 Einer solchen Auslegung zufolge wäre die Unterscheidung der individuellen von den überindividuellen Rechtsgütern nicht mehr von Bedeutung: Jedes typisierte individuelle Rechtsgut verweise nämlich über sich selbst hinaus auf ein zu schützendes überindividuelles Interesse. Einwilligung gilt in diesem Sinne als eine „Störung“ aus der Selbstbestimmung des einzelnen Rechtssubjekts, und zwar in dem Sinne, dass er entscheidet, auf den Schutz seiner „(realen Beziehung) zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten/sozialen Funktionseinheiten/Gegebenheiten/Objekten“,206 in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet, zu verzichten; diese rechtlichen Schutzgegenstände (Rechtsgüter) unterscheiden sich aber immerhin von dem sie „störenden“ Selbstbestimmungsrecht. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und seine Sozialbezogenheit bilden mit anderen Worten nicht eine Einheit, sondern stellen jeweils eigenständige Interessen dar. Liegt eine mangelfreie Einwilligung vor, müsse man daher weiter feststellen, wie viel (mit der Beziehung mitgeschütztes) soziales Interesse noch verbleibt und ob sich mit diesem sozialen Interesse die Strafbarkeit der betroffenen Handlung noch begründen lässt. Da dieses potenzielle soziale Interesse sich regelmäßig nicht in der äußerlichen Erscheinung des jeweiligen Rechtsguts zeigt, können weder für die Feststellung des verbleibenden Interesses noch für die folgende Interessenabwägung207 konkrete Kriterien angegeben werden.

204

Maiwald, ZStW 91 (1979), S. 936; ders., JZ 1980, 258. Otto, Einverständnis, Einwilligung und eigenverantwortliche Selbstgefährdung, in: FS Geerds, 1995, S. 611. Kritik daran, Rönnau, Willensmängel, S. 114 ff. 206 Otto, in: FS Geerds, S. 610. 207 Otto, in: FS Geerds, S. 620. 205

B. Kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens

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Ein anderes Beispiel für die Konfusion von Individualrechtsgütern mit ihren sozialen Bezügen zeigt sich in den Auslegungen der rechtlichen Schranken der Einwilligung. Es gibt kaum Vertreter des liberalen Rechtsgutsdenkens, die Einwände gegen die Schranken der Einwilligung erheben. Darin deutet sich schon an, dass auch die Individualrechtsgüter unabhängig vom Willen ihres Trägers geschützt sind. Was aber noch auffällt, ist, dass die meisten Begründungen von Einwilligungsschranken wenig „individualistisch“ erscheinen, insbesondere bei der Einwilligungssperre, die das Rechtsgut des Lebens betrifft. Hassemer hat das in seinem frühen Werk unter dem Schlagwort „Tabu“ ausführlich erörtert;208 Roxin spricht sogar gleichzeitig von dem Schutz des Opfers vor sich selbst und dem Schutz der Tabuisierung,209 ohne den Unterschied zwischen den Gedankengängen hinter diesen beiden Lösungen zu verdeutlichen oder die Verhältnisse zwischen Rechtspersonen bzw. zwischen dem Staat und seinem Bürger weiter zu erörtern. Welche Rolle die „sozialen Bezüge“ der Rechtsgüter gegenüber der Dispositionsfreiheit der Individualrechtsgüter spielen, lässt sich willkürlich interpretieren. Unter dem Rechtsgutsbegriff sollte es aber nur zwei Gruppen geben: Individualrechtsgüter und überindividuelle Rechtsgüter. Wenn man mitttels der sozialen Bezüge die Dispositionsfreiheit der individuellen Rechtsgüter außer Kraft setzen kann, bedeutet dies schließlich nichts anderes, als dass das Rechtsgut „stets Rechtsgut der Gesamtheit“210 ist. Letztlich dienen dann alle Rechtsgüter einem präventionstheoretischen Zweck, der aber einer freiheitlich begründeten Rechtsgemeinschaft zweifelhaft erscheinen muss.

III. Die Zersplitterung des Strafrechtssystems Eigentlich hat Roxin schon auf diesen Punkt hingewiesen, indem er die dogmatische Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs mit der Lehre der objektiven Zurechnung verknüpft hat. Das bedeutet, dass der Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts „legislatorisch nur dadurch bewirkt werden [kann], dass die Schaffung eines unerlaubten Risikos für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter mit Strafe bedroht und die Verwirklichung eines solchen Risikos dem Täter als tatbestandsmäßige Handlung zugerechnet wird“.211 Die bloße Überprüfung der Rechtsgutsverletzung ist nicht ausreichend, um unterschiedliche Konstellationen in einzelnen Fällen richtig zu behandeln. Bei Roxin bilden daher diese zwei Lehren – die Rechtsgüterschutzlehre und die Lehre der objektiven Zurechnung – eine systematische Einheit. Zuerst muss festgestellt werden, ob es eine Rechtsgutsverletzung gibt. Liegt eine Rechtsgutsverletzung vor, wird bestimmt, ob die Rechtsgutsverletzung durch ein unerlaubtes, vom Täter verursachtes Risiko verwirklicht wurde. Ist dies der Fall, kommt die Handlung der Ebene der Rechtswidrigkeit zu, also jener nächsten Ebene (nach 208 209 210 211

Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 160 ff. Roxin, Strafrecht AT, § 13 Rn. 37. Binding, Die Normen, Bd. 1, S. 358. Roxin, Zur neueren Entwicklung der Rechtsgutsdebatte, in: FS Hassemer, 2010, S. 586.

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§ 2 Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes

derjenigen der Tatbestandsmäßigkeit), auf der das Rechtsinstitut der Einwilligung funktioniert. Diese Rechtsfiguren sind in der strafrechtlichen Dogmatik weitgehend akzeptiert. Die Zersplitterung des Konzeptes als solchen führt aber zur Leere der beiden Lehren. Bei der Bestätigung der Rechtsgutsverletzung kommt das Verhältnis zwischen dem Täter und dem Opfer nicht in Betracht. Das Rechtsgut ist vom Rechtsgutsinhaber unabhängig und allein mit den jeweiligen Tatbeständen verbunden. Die Handlung des Täters wird lediglich als die Ursache der Rechtsgutsverletzung betrachtet. Der Wille des Rechtsgutsträger stellt dementsprechend einen anderen sozialen Wert dar und gilt lediglich als rechtlich eingeordnete Verfügungsbefugnis gegenüber einem bestimmten Rechtsgut. Wie kann man aber die Inhalte der Rechtsgüter bestimmen, wenn man den gesamten Kontext des konkreten Rechtsverhältnisses nicht berücksichtigt? Interpersonelle Interaktion ist ein dynamischer Prozess. Die konkreten Rechte und Pflichten der beiden Rechtssubjekte gegeneinander ändern sich mit der Fortentwicklung des intersubjektiven Verhältnisses immer weiter. Der abstrakte, vom konkreten intersubjektiven Kontext abgetrennte Rechtsgutsbegriff kann sich nur auf ein bestimmtes äußeres, statisches Objekt oder einen Zustand beziehen, aber den unterschiedlichen interpersonalen Interaktionsmustern, die dieses Objekt oder diesen Zustand betreffen, nicht gerecht werden. Anhand eines solchen abstrakten Begriffs ist es daher unmöglich zu bestimmen, welche konkrete, von einer freiheitlichen Rechtsordnung geforderte Verpflichtung der Einzelne in dem Verhältnis hat und ob der Einzelne im betroffenen Fall gegen die Verpflichtung verstoßen hat. Die Lehre von der objektiven Zurechnung als einem unabhängigen Überprüfungsinstitut auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit ist wie eine Behebungsmaßnahme, mit der man versucht, die zu abstrakte Rechtsgutsverletzung nach den Umständen des einzelnen Falles zu konkretisieren. Einem solchen Rechtsinstitut fehlt aber sowohl sein eigener Zweck als auch systematische Integrität. Die einzelnen Prinzipien in der Lehre reagieren entweder auf die Kausalitätsmodelle im Deliktsaufbau oder versuchen zu erklären, welche die Handlungen begleitenden Risiken im alltäglichen Leben oder in den bestimmten Fallgruppen rechtlich erlaubt sind, oder sie definieren den Zuständigkeitsbereich neu nach dem Eigenverantwortungsprinzip. In diesen separat funktionierenden Prinzipien lässt sich jedoch kein einheitliches Oberkonzept finden. Die sogenannte objektive Zurechnung ist lediglich eine allgemeine Bezeichnung, die diese Prinzipien lose miteinander verknüpft.212 Vereinfacht dargestellt: Die Trennung von Rechtsgutsverletzung und objektiver Zurechnung stimmt mit dem Systembegriff nicht überein. Ihr fehlt ein „konsistenter Zusammenhang von Urteilen“.213 212

Zaczyk weist zutreffend darauf hin, dass die Erfassung solcher Phänomene wie Selbstverletzung oder Selbstgefährdung über Begrifflichkeiten wie „Schutzzweck der Norm“, „objektive Zurechnung“ usw. lediglich Reflex eines tieferliegenden Begründungszusammenhangs sein können. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 29. 213 Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 16.

B. Kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens

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Auf die Problematik der Lehre zur objektiven Zurechnung wird hier nicht eingegangen; die Erörterung beschränkt sich hier auf die Problematik des Rechtsgutsbegriffs und sein Verhältnis zur Einwilligung. Man kann freilich den Einwand dagegenstellen, dass die Differenzierung bzw. die Verfeinerung des Deliktsaufbaus eine gewöhnliche Tendenz der Strafrechtswissenschaft ist. Versteht man den Rechtsgutsbegriff als ein Instrument, mit dem man den jeweiligen Gesetzeszweck schnell begreifen kann, ist der Begriff in der strafrechtlichen Dogmatik von Bedeutung. Allerdings ist der so verstandene Rechtsgutsbegriff lediglich etwas Formelles oder Systemimmanentes,214 „der vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte Zweck in seiner kürzesten Formel“.215 Man kann weder den Umfang und Gehalt des Rechtsguts überpositiv bestimmen noch den Begriff als Richtschnur des Gesetzgebers verwenden.216 Dann würde „die Idee gesetzgebungskritischen Rechtsgutsdenkens“ hinfällig werden. Lehnt man einen solchen Rechtsgutsbegriff ab und will man einen materiellen Rechtsgutsbegriff finden, der es erlaubt, den materiellen Verbrechensbegriff als „Rechtsgutsverletzung“ und die Aufgabe des Strafrechts als „Rechtsgüterschutz“ zu definieren, begegnet man offenbar immer Schwierigkeiten, eine befriedigende Antwort zu erhalten. Denn je mehr man sich darum bemüht, dem Rechtsgutsbegriff „liberale Inhalt“ zu geben, desto leichter könnte die Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs, ein bestimmtes Rechtsgut von den diversen Tatbeständen eines Verbrechens zu abstrahieren, verloren gehen.

IV. Funktion des Objekts statt Rechtsverhältnis zwischen Subjekten Der materielle Rechtsgutsbegriff wirft außerdem noch ein anderes schwerwiegendes Problem auf. Dieses Problem besteht in der Materialität des Begriffs selbst. Wenn man dem Rechtsgutsbegriff materielle Inhalte geben will, muss der Rechtsgutsbegriff sich auf äußere Dinge beziehen. Für eine Rechtslehre, die auf materielle Freiheit beruht, ist zwar diese Bezogenheit des Einzelnen auf die äußerliche Welt notwendig; in einer solchen Rechtslehre wird aber vorausgesetzt, dass die Beurteilungsmaßstäbe menschlicher Handlungen von der Möglichkeit der Freiheitsverwirklichung ausgehen und der Beurteilungsgegenstand das Rechtsverhältnis als ein Ganzes ist. Die Rechtsgutslehre kann diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Denn der Begriff des Rechtsguts ist als solcher nicht imstande, das Rechtsverhältnis zwischen den Rechtssubjekten zu erfassen. Rechtsgüter beziehen sich allein auf äußere Dinge, nämlich Funktionen äußerer Objekte. Durch den Gedanken des Rechtsgüterschutzes wird das Rechtsverhältnis zwischen Rechtspersonen mit dem Rechtsverhältnis zwischen Person und Gegen214 215 216

Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 349. Honig, Einwilligung des Verletzten, S. 94. Vgl. Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 358 ff.

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ständen verwechselt. Es wird von vornherein kein Verhältnis zwischen Subjekten, sondern ein Verhältnis zwischen bestimmten Gütern und ihrem Träger thematisiert. Unabhängig davon, ob man die Interessentheorie oder die Zustandstheorie vertritt,217 und auch davon, ob man das Rechtsgüter als „strafrechtlich schutzbedürftiges menschliches Interesse“218 oder „werthafte Zustände“219 definiert, als „soziale[ ] Funktionseinheiten“220 oder als reale Gegebenheiten, die die äußeren Voraussetzungen der Verwirklichung personaler Entfaltung des Menschen221 sind, geht es beim Rechtsgüterschutz immer um das Verfügungsverhältnis zwischen rechtlich geschütztem Objekt und seinem Träger. Wie Welzels Kritik zeigt,222 wird das materiale Substrat, das vom Rechtsgutsinhaber entweder als gegebener Bestand behandelt oder als Vermögen genutzt werden sollte,223 auf den Status von „Museumsstücken“ reduziert, die vom wirklichen sozialen Lebensraum abgetrennt und „sorgfältig vor schädlichen Einflüssen in Vitrinen verwahrt“ sind. Ein solches Rechtsgüterschutzdenken könnte schließlich dazu führen, dass das intersubjektive Rechtsverhältnis von äußeren Zielen bestimmt wird. Es wäre egal, in welcher Breite die Sozialbezogenheit der Person durch den abstrakten Rechtsgutsbegriff bewahrt werden kann; geht es um konkrete Rechtsgüter, muss das geschützte Objekt immer in einen einzelnen Gegenstand zerlegt werden. Auch wenn man versucht, die Verfügungsbefugnis mit Begriffen wie Menschenrechte oder Menschenwürde zu verbinden, erschöpft sich das Rechtsverhältnis daher in der Verfügbarkeit der Gegenstände, wenn vom Rechtsgutsgedanken ausgegangen wird. Unabhängig davon, ob man das geschützte Objekt vom Rechtsgutsbegriff unterscheidet oder nicht, bezieht sich der Begriff selbst auf sinnliche, erlebbare Gegenstände in der realen Welt. Dieses Subjekt-GegenstandVerhältnis entspricht tatsächlich einer empiristischen Weltanschauung.224 Infolgedessen sind Freiheit und Recht letztlich Gegenstände, die nach Kriterien der Nützlichkeit und Glückseligkeit abzuwägen sind. Das Selbst des Menschen in diesem Sinne ist einerseits von anderen isoliert (da er schon als eine selbständige Entität mit vollen Rechten angenommen wird); seine Persönlichkeit richtet sich andererseits aber immer nach veränderlichen, wechselhaften Gegenständen. Dieses am Rechtsgut orientierte Verständnis des Rechtsverhältnisses beeinflusst also das Verständnis der Handlung aus dem freien Willen des Subjekts bzw. die 217

Vgl. dazu Rudolphi, in: FS Honig, 1970, S. 162. Hassemer, AK-StGB, Vor § 1, Rn. 287; ders., Grundlinien einer personalen Rechtsgutslehre, in: Jenseits des Funktionalismus, S. 91. Vgl. auch von Liszt, ZStW 8 (1888), S. 133. 219 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 13. 220 Otto, Grundkurs Strafrecht, § 1, Rn. 32. Rudolphi, in: FS Honig, S. 163. 221 Marx, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“, S. 60. Auch Hohmann, GA 1992, 77. Roxin, Strafrecht AT C § 2, Rn. 7. 222 Welzel, Abhandlungen, S. 140. 223 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 235 Anm. 492. 224 Siehe unten § 2 C.III. 218

B. Kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens

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Einordnung der Einwilligung. Nach diesem Verständnis ist die Einwilligung eine Verfügungsbefugnis des Subjekts über bestimmte Objekte. Der entscheidende Faktor ist hier jedoch immer die Verfügbarkeit der Objekte selbst. Das führt dazu, dass sich die Änderung des Status des Objekts direkt auf die Bewertung der über es disponierenden Handlung auswirken wird. Eines der typischsten Beispielen dafür ist, dass es nach herkömmlicher Ansicht unterschiedliche Bewertungen für die Zustimmung zum Diebstahl und zur Sachbeschädigung gibt: Im Fall der Sachbeschädigung wird die Handlung zuerst als Rechtsgutsverletzung gekennzeichnet, weil sie am Objekt in der empirischen Welt schon eine physische Veränderung hervorgebracht hat. Die Verringerung der Verwendbarkeit der Dinge muss, da sie das Schutzobjekt ist, zuerst beurteilt werden. Die Einwilligung des Sachinhabers kann erst durch Abwägung auf der Rechtswidrigkeitsebene ihre Unrechtsausschließungswirkung entfalten.225 Beim Diebstahl ergibt sich dagegen keine physische Funktionsbeeinträchtigung. Der Fokus liegt daher nur auf der Eigentumsrechtsbeziehung zwischen Menschen und Dingen. Der Mensch kann also durch seinen Willen die Beziehung ändern und lässt es zu, dass eine neue Verbindung zwischen dem Objekt und einem anderen Subjekt hergestellt wird. Die Zustimmung zur Handlung des anderen wirkt deshalb schon in der Beurteilung der Rechtsgutsverletzung und schließt die objektive Tatbestandsmäßigkeit aus. Die Umgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Personen hängt also vom Unterschied der Änderungsweise des äußeren Gegenstandes ab.

V. Fazit Wird der Wert des Subjekts als eine Sammlung verschiedener Güter: Leben, Körper, Freiheit, Eigentum usw. betrachtet, wird der Fokus unvermeidlich von den intersubjektiven Verhältnissen auf die Frage verschoben, welche Gegenstände für das Recht schutzwürdig oder für das Subjekt verfügbar sind. Auch bei den Vertretern der personalen bzw. monistischen Rechtsgutslehre oder des liberalen Rechtsgutsbegriffs bleibt diese grundlegende Ansicht unverändert. Der Wille bzw. die Freiheit des Rechtsgutsinhabers und das Rechtsgut bleiben in einer solchen Auffassung jedoch stets getrennt und einander entgegengesetzt. Wenn die Verfechter der Rechtsgutslehre die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund betrachten,226 bedeutet dies tatsächlich, dass die Dispositionsfreiheit bzw. Verfügungsbefugnis des Individuums „neben“ dem Handlungs- bzw. Tatobjekt ein konstitutiver Bestandteil des Rechtsguts ist.227 Dem Rechtsgutsdenken bleiben die Zuständigkeitserwägungen stets äußerlich.228 Denn die folgende Frage bleibt immer unbeantwortet: Wenn je225

Gegenansicht vgl. Maiwald, Der Zueignungsbegriff, S. 92; ders., JZ 1980, 259; ders., ZStW 91 (1979), 936. 226 Andere Verfechter dieses „Integrationsmodells“ verweisen auf Rönnau, Willensmängel, S. 16 f. Anm. 21. 227 Rönnau, Willensmängel, S. 16 f. 228 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 127.

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mand als Träger des Rechtsguts, etwa des Lebens, verstanden wird, was ist dann vorhanden, wenn das Rechtsgut Leben nicht mehr da ist, wer ist dieses „Ich“? Die Hauptproblematik des Gedankens des Rechtsgüterschutzes, die Anlass zu viel Kritik gegeben hat, liegt in der Beliebigkeit der Auswahl des schutzwürdigen Rechtsguts und in der Trennung des Rechtsgutes von seinem rechtlichen „Träger“. Die beiden Mängel sind eigentlich ein und derselbe, nämlich dass der Begriff der Rechtsgüter letztlich eine inhaltsleere Hülse geworden ist, weil durch den Begriff selbst von vorherein der einheitliche Verhältniskontext zwischen Rechtspersonen in Stücke zersplittert wird. Der moderne Rechtsgutsbegriff kann die Trennung des Rechtsguts von seinem Inhaber ebenfalls nicht überwinden. Dies liegt daran, dass der bei Birnbaum und Binding schon vorliegende Fehler stets unkorrigiert geblieben ist: Das Rechtsgut steht immer noch im Kern des Verbrechensbegriffs, und das Verbrechen wird als Rechtsgutsverletzung angesehen. Will man einmal versuchen, aus der Norm ein eigenständiges Rechtsgut zu abstrahieren, wird der Gesamtzusammenhang der einzelnen Tatbestandsmerkmale, die das konkrete Rechtsverhältnis beschreiben, von dem gesetzlichen Schutzobjekt unterschieden und allein als Mittel zur Rechtsgutsverletzung betrachtet. Zugleich wird damit der „Rechtsgutsträger“ als isoliertes Individuum verstanden, das einen vom Gesetz geschützten Wert an sich trägt, während sein freier Wille bzw. seine Dispositionsfreiheit als ein anderer eigenständiger Wert betrachtet wird. Der Wille des einzelnen Rechtsgutsträgers, dem das Rechtsgut dient, wird lediglich als Willkürgebrauch oder Freiheitsausübung eines empirischen Subjekts aufgefasst, die für das Rechtsgut etwas Äußerliches ist. Die betroffenen Subjekte sowie der sie umgebende soziale Kontext werden vom Rechtsgut von vornherein getrennt und in eine andere Stufe des Deliktsaufbaus (etwa in die objektive Zurechnung) versetzt. Der rechtliche Status als eine Rechtsperson wird somit unterschätzt, sofern man in der Grundstruktur des Rechtsgutsgedankens bleibt.

C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens? Wie dargetan, impliziert das Rechtsgutsdenken von vornherein inhaltliche Entleerung des Begriffs und kollektivistisches Denken. Unter den Bedingungen des Rechtsgutsdenkens kann die Einwilligung weder als ein grundlegendes Institut ins Strafrecht integriert noch richtig bewertet werden. Kann man aber durch Ergänzungen und Konkretisierungen des Rechtsgutsbegriffs unter Hinzunahme liberaler Wertungsprinzipien die Aussagekraft der Rechtsgutslehre erhöhen?229 Das heißt, wenn man den Rechtsgutsbegriff „von unten materialisieren“230 könnte, gäbe es dann die Möglichkeit, das Verständnis von Einwilligung als „Disposition oder Preisgabe des Rechtsguts“ aufrechtzuerhalten? 229 230

Vgl. Swoboda, ZStW 122 (2010), 33 ff., 37 ff. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 18 f.; Hefendehl, GA 2002, 22 ff.

C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens?

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I. Die Interessentheorie bei Liszt Eine solche Bemühung befand sich bereits in Liszts Verbrechensbegriff. Liszt kritisiert die vom Rechtsgutsdenken herbeigeführte Bedrohung des Formalismus231 für das Strafrecht und bezeichnet den Rechtsgutsbegriff als den „Grenzbegriff der abstrahierenden juristischen Logik“.232 Er versteht strafrechtliches Verbrechen als Interessenverletzung. Sein Rechtsgutsbegriff knüpft also an das „rechtlich geschützte Interesse“233 an. Diese Interessen sind solche, die (entweder durch den Einzelnen oder das Gemeinwesen) subjektiv bestimmt sind: „Das Wesen des Rechts im subjektiven Sinne ist stets ein bestimmtes Interesse, welches ein Mensch oder ein Gemeinwesen thatsächlich hegt, und für welches diesem die objektive Rechtsordnung durch ihre Gebote und Verbote Schutz und Garantie ausspricht, wodurch eben jenes Interesse zum rechtlich geschützten, rechtlich garantierten Interesse, Recht im subjektiven Sinne wird.“234 Mit dieser Interessentheorie versucht Liszt, liberalisierte Inhalte in das Rechtsgutsdenken einzuführen. Der berühmte Satz lautet: „Alles Recht ist der Menschen willen da.“235 Alle ihre Interessen sollen durch Satzungen des Rechts geschützt und gefördert werden. Die rechtlich geschützten Interessen werden Rechtsgüter genannt.236 Der Rechtsgutsbegriff hängt deshalb nicht lediglich von den positiven Gesetzen ab, sondern hat transpositiven Inhalt: Es handelt sich um das konkrete Interesse der Subjekte. Allerdings ist das Subjekt der zu schützenden Interessen nach Liszt nicht nur der Einzelne, sondern auch die Gemeinschaft. Rechtsgüter sind geschützte Interessen der Einzelnen und der Gesamtheit.237 Dieser Gedanke entspricht Iherings Lehre vom „Zweck im Recht“238, wonach jeder Rechtssatz sich durch seine Zweckmäßigkeit für ein bestimmtes Zwecksubjekt, einen Träger subjektiver Interessen, ausweisen müsse.239 Der Kreis der anerkannten Subjekte schließt jedoch neben dem Individuum auch Kollektivsubjekte wie den Staat und die Gesellschaft ein.240 Dies führt unvermeidlich zu Konflikten zwischen Individual- und Kollektivinteressen. Wie diese Konflikte gelöst werden sollen und welches die Rangfolge dieser Interessen ist, lässt Liszt die Kriminalpolitik entscheiden.241 Auf dieser Weise ist die „rechtliche Anerkennung“ der zu schützenden Interessen kaum etwas anderes als Bindings ge231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241

Liszt, ZStW 8 (1888), 138. Liszt, ZStW 8 (1888), 138. Liszt, ZStW 8 (1888), 134. Liszt, ZStW 8 (1888), 135. Liszt, ZStW 8 (1888), 138. Liszt, ZStW 8 (1888), 138 f. v. Liszt, ZStW 8 (1888), 138. Ihering, Der Zweck im Recht, Bd. I und II, 4. Aufl., 1904/1905. Swoboda, ZStW 122 (2010), 31. Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 67. Vgl. Ihering, Der Zweck im Recht, Bd. I, 436 f. v. Liszt, ZStW 13 (1893), 357.

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setzgeberisches Werturteil.242 Liszts Interessentheorie ist letztlich eine positive Theorie,243 die trotz ihrer vorpositiven Ausrichtung keinerlei gesetzgebungskritische Potenz gegenüber dem positiven Recht hat.244

II. Ist ein systemkritischer Rechtsgutsbegriff möglich? Ein anderer Versuch zur Ergänzung der materiellen Inhalte des Rechtsgutskonzepts findet sich in den modernen liberalen Rechtsgutslehren, unter denen die personale Rechtsgutslehre von M. Marx245 und Hassemer246 und der liberale Rechtsgutsbegriff von Sax247 und Roxin248 besonders repräsentativ sind. Ihre Rechtsgutskonzeptionen nehmen Rückgriff auf das Grundgesetz als Begründung. Der historische Hintergrund hierfür ist die Liberalisierung des modernen Strafrechts. Der in den 1970er Jahren sich entwickelnde ideologische Trend ging dahin, die starke kollektivistische Prägung des Rechtsgutsbegriffs aus der Zeit seiner Entstehung abzustreifen und das Konzept an die Idee des liberalen Konstitutionalismus zu binden.249 Es scheint irrelevant, ob der Rechtsgutsbegriff von vornherein mit dem Individualismus vereinbar ist, „da der Rechtsgutsbegriff jedenfalls in der neueren Reformdiskussion, an die eine gegenwärtige Erörterung anknüpfen muss, diese Funktion übernommen hat“.250 Die von M. Marx und Hassemer vertretene personale Rechtsgutslehre spiegelt die Bemühungen wider, aus liberalen Grundsätzen den Begriff des Rechtsgüterschutzes abzuleiten und seinen Inhalt auf einen bestimmten Rahmen einzuschränken, damit die Rechtsgutslehre dem Gesetzgeber eine systemkritische Kraft liefern kann. Danach können nur Rechtsgüter, die „sich als – vermittelte – Interessen des Individuums nachweisen lassen“251, legitimiert werden. Marx bezeichnet Rechtsgüter als „diejenigen Gegenstände, die der Mensch zu seiner freien Selbstverwirklichung braucht“, und Hassemer fordert, dass alle Rechtsgüter „von der Einzelperson (bzw.

242

Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 109. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 133. 244 Swoboda, ZStW 122 (2010), 32. 245 Marx, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“, 1972. 246 Hassemer, in: FS Arthur Kaufmann, S. 85 ff. 247 Sax, JZ 1976, 9 ff. 248 Roxin, Strafrecht AT § 2 Rn. 8. 249 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 258 ff.; Rudolphi, in: FS Honig, S. 158.; Sax, JZ 1976, 432; Neuere Auffassungen wie Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 47 f.; Roxin, GA 2013, 451 und Kasper, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 242 bringen das Rechtsgutsdenken mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip in Verbindung. 250 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 6. 251 Hassemer, in: FS Arthur Kaufmann, 1989, S. 85 ff. 243

C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens?

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einer Menge von Einzelpersonen) her funktionalisiert werden“ müssen.252 Hiervon ausgehend wird der Willensverwirklichung des Rechtsgutsinhabers bzw. die individuelle Dispositionsfreiheit als „konstitutiver Bestandteil des Rechtsguts“ angesehen. Die gleiche Forderung ergibt sich in Roxins „liberalem Rechtsgutsbegriff“. Die Bemühung um eine Liberalisierung der Rechtsgutslehre entspricht dem Integrationsmodell der Einwilligung. Eine Rechtgutslehre wie diese enthält aber einen inneren Widerspruch. Einerseits hält Roxin, genauso wie Hassemer, seinen Rechtsgutsbegriff für „systemkritisch“253, d. h. er dient dazu, dem Gesetzgeber eine Grenze zu ziehen – in seinen Worten: „Die Idee gesetzgebungskritischen Rechtsgutsdenkens lebt!“254 Andererseits räumt er aber auch die Subsidiarität des Rechtsgüterschutzes ein, d. h. wegen des Ultimaratio-Prinzips des Strafrechts kann dieses nur einen Teil der Rechtsgüter schützen. Welche Belange als Rechtsgüter durch Strafe geschützt und welche Handlungen hingegen als reine Ordnungswidrigkeiten bezeichnet werden sollen, kann nur der Gesetzgeber abwägen und entscheiden.255 Mit anderen Worten, die Rechtgutslehre kann ihren Umfang bzw. ihren Inhalt nicht aus der Lehre selbst ableiten. Die von der Einwilligung dargestellte Selbstbestimmung einzelner Person hat im Integrationsmodell nur einen scheinbaren Vorrang. Den Rechtsgutsbegriff an die verfassungsrechtlichen Grundrechte anzuknüpfen, kann nicht erklären, warum die verfassungsrechtliche Anforderung den Rechtsgutsbegriff als Bezugspunkt, mithin den Rechtsgüterschutz als „ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz“ voraussetzen müsse256, nicht aber durch die Handlungsfreiheit des Subjekts, durch klare Gesetzestexte und durch Interpretation der Konnotation der individuellen Freiheit konkretisiert werden kann. Die Wertentscheidungen im Grundgesetz müssen in der Tat durch Interpretation konkretisiert werden; es zeigt sich aber keine Begründung dafür, warum man diese Konkretisierung durch ein Rechtsgutsdenken erreichen muss.257 Aus der dogmatischen Interpretation ist es außerdem schwierig zu beweisen, dass das Rechtsgutsdenken tatsächlich die Funktion der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Prinzipien hat. Bei der Erörterung der Legitimationsproblematik des neuen § 217 StGB weist z. B. Roxin zuerst darauf hin, dass in § 217 StGB eine 252

Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 233. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 12; Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 17. In GA 2013 zählt Roxin auch Schünemann, Steinberg, M. Heinrich, Frister und Kaspar als Befürworter für den systemkritischen Rechtsgutsbegriff. 254 Roxin, Zur neueren Entwicklung der Rechtsgutsdebatte, in: Festschrift für Hassemer, 2010, S. 573. 255 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 95 f., 97. 256 Vgl. Hassemer, FS für Androulakis, S. 217; Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, 5. Aufl., Vor § 1 Rn. 119d; Hefendehl, GA 2007, 1 f.; Rudolphi/Jäger, in: SK-StGB, 2014, Vor § 1 Rn. 11. Kritik vgl. Engländer, ZStW 127 (2015), 627 ff. 257 Vgl. auch oben § 3 C.IV.2. 253

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§ 2 Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes

greifbare Rechtgutsverletzung fehle;258 danach spricht er aber von weichem Paternalismus, der allein an das Wollen des Gesetzgebers anknüpfe;259 anschließend werden die Gründe, warum Roxin die Legitimität der Vorschrift ablehnt, daraus abgeleitet, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung „unverhältnismäßig und damit auch verfassungsrechtlich kontraindiziert erschein[t]“260 sowie dass der Tatbestand der Geschäftsmäßigkeit die Anforderung der Klarheit des Kriteriums und der Kausalität einer Anreizwirkung zum Suizid nicht erfüllen könne.261 Ein solcher Begründungsansatz geht weder von der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen zur Lebensbeendigung noch von einer aus dem sogenannten systemkritischen Rechtsgutsbegriff resultierenden Kontur der Normgeltung aus, da er selbst keine schärfere Kontur erkennen lässt. Das Rechtsgutsdenken ist also nicht imstande, eine Strafvorschrift davor zu schützen, dass sie ein unangemessener, übermäßiger und damit unverhältnismäßiger Eingriff wird,262 sondern das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist – wie sich in diesem Fall zeigt – selbst erst das Kriterium, mit dem der Autor die Legitimation der Strafvorschrift überprüft. Rechtsgüter sind „ex post-Verdinglichungen normativer Wertentscheidungen, welches sozialschädliche Verhalten mit Strafe unterdrückt werden soll“.263 Alle Rechtsnormen sind in der Tat Wertentscheidungen. Ob die einzelne Norm als begründbares und sachgerechtes Kriterium für die Handlung einzelner Person sowie für interpersonale Kommunikation gelten kann, muss man im Einzelfall erörtern. Der Rekurs auf den Rechtsgutsbegriff als Vermittlung ist jedoch unnötig und fehlerträchtig.264 Die für Kriminalisierungen erforderlichen Überlegungen können sinnvoll formuliert werden, ohne auch nur einmal das Wort Rechtsgut zu benutzen.265 Zutreffend ist Stuckenbergs Kritik: Jeder legislative Zweck kann mit ein bisschen sprachlichem Geschick in einer Gütermetapher ausgedrückt werden.266 Der Begriff des Rechtsguts ist daher nicht imstande, eine gesetzgebungskritische Kraft zu haben. Hinter der Rede vom Gemeingut oder einer allgemeinen Garantie verbirgt sich ein starkes kollektivistisches Denken. Wenn die Rechtsgutslehre die Einwilligung als Dispositionsbefugnis über ein bestimmtes Rechtsgut auffasst, manifestiert sie sich nicht als systemtranszendent oder systemkritisch, sondern als systemimmanent.267 Denn sie lässt von vornherein das positive Recht darüber entscheiden, welches Rechtsgut disponierbar ist. Der 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267

Roxin, NStZ 4/2016, 188. Roxin, NStZ 4/2016, 188. Roxin, NStZ 4/2016, 188. Roxin, NStZ 4/2016, 189. Gegenmeinung, Roxin, GA 2013, 451. Stuckenberg, ZStW, 129 (2017), 360. Stuckenberg, ZStW, 129 (2017), 360. Hörnle, Anstößiges Verhalten, S. 19. Stuckenberg, ZStW129 (2017), S. 361. Diese Beschreibungen sind aus Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 349 zitiert.

C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens?

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Rechtsgutsbegriff stellt mithin ein antisubjektives Denken dar. Die Willensäußerung des Subjekts zur Disponierung des Rechtsguts könnte stets aufgrund der Hochschätzung und Schutznotwendigkeit des Rechtsguts auf den zweiten Platz verwiesen werden. Dieser Gedankengang hat letztlich immer die Entgegenstellung und Abwägung zwischen der durch die erteilte Einwilligung dargestellten allgemeinen Handlungsfreiheit und dem sich im gesetzlich geschützten Rechtsgut spiegelnden Wert zur Folge. Unter der alten Rechtsschutz-/Interessenverzichtstheorie wäre die Unrechtsausschließungswirkung der Einwilligung ein dem Einwilligenden gesetzlich gewährtes Privileg, das ihm nach den jeweiligen Erwägungen des Gesetzgebers über das Allgemeininteresse gesetzlich auch wieder entzogen werden könnte. Nach der Abwägungslehre wird die Einwilligung bzw. die Selbstbestimmung des Verletzten zunächst als ein eigenständiger Wert angesehen, dann mit dem gesetzlich geschützten Rechtsgut verglichen und schließlich anhand des Prinzips des überwiegenden Interesses abgewogen, um zu entscheiden, ob das Rechtsgut zugunsten der Verwirklichung der Selbstbestimmungsfreiheit des Betroffenen verzichtbar ist. Allerdings gibt diese Lehre dem Rechtsgutsinhaber lediglich auf der Oberfläche die Möglichkeit, das Rechtsgut von vornherein nach seinem Willkürgebrauch zu disponieren. Ob das Rechtsgut rechtlich disponierbar ist, hängt immer noch von dem Ergebnis der Abwägung mit kollektiven Interessen ab. Die individuelle Handlungsfreiheit hat mit anderen Worten gerade keinen Vorrang. Sie steht stets im Konflikt mit kollektiven Interessen. Ein solches Abwägungsmodell wird von fast dem gesamten Schrifttum angenommen. Unabhängig davon, ob es auf den verfassungsrechtlichen Grundrechten oder dem liberalen Rechtsgutsbegriff beruht, und ungeachtet dessen, dass viele Autoren den Abwägungsmodus kritisieren,268 wird der Konflikt zwischen Rechtsgut und Selbstbestimmungsfreiheit letztlich immer noch mittels Abwägung behandelt. Zusätzlich beruhen die für dieses Modell vorgebrachten Argumente oft auf einem kollektivistischen Leitgedanken. Dieses untergründige kollektivistische Denken bleibt in der Dogmatik der Einwilligung stets wirksam. Die Rechtsgutslehre, die sich weder begrifflich klar abzugrenzen noch sich selbst ausreichend zu begründen vermag, ist insoweit nicht imstande, den wirklichen Geist des Individualismus und Liberalismus zu repräsentieren. Der Rechtsgutsbegriff kann allenfalls in der Dogmatik in gewissem Umfang dabei helfen, Normenzwecke schneller zu begreifen.269 Letztlich entspricht die Rechtsgutslehre aber nur dem Denken des Rechtspositivismus. Die antiindividualistische Eigenschaft des Rechtsgutsbegriffs hat zur Folge, dass die Zulässigkeit der Einwilligung immer im Namen des Gesamtinteresses beschränkt werden kann, auch wenn man die Selbstbestimmungsfreiheit als Bestandteil des Rechtsgutsbegriffs behauptet und ihren Zusammenhang betont. Denn in dieser 268 Vgl. Roxin, Strafrecht AT § 13 Rn. 22; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 293. 269 Honig, Einwilligung des Verletzten, S. 94.

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§ 2 Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes

Behauptung wird die Trennung des Rechtsguts von dem Willen des Individuums stets bereits vorausgesetzt. Insoweit erweist sich die Rechtsgutlehre immer als Antiindividualismus. Alle Bemühungen um die Fortentwicklung der Rechtsgutslehre nach dem Krieg haben nur so weit wie möglich den durch das Rechtsgutsdenken herbeigeführten Verlust minimiert. Auch wenn der Rechtsgutsbegriff viel Diskussionsmaterial für die Entwicklung der deutschen Strafrechtsdogmatik sowie für das Nachdenken über Verbrechensbegriff und Straftheorie geliefert hat, hat er zugleich einen blinden Fleck des Denkens mit sich gebracht: Er führt nämlich dazu, dass in strafrechtlichen Fragen das Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Personen nicht mehr als Ausgangspunkt genommen werden kann.

III. Ergänzung mit der Gesellschaftsvertragstheorie? Es gibt noch einen weiteren möglichen Weg, das Defizit des Rechtsgutsbegriffs zu beheben: auf das liberale Gedankengut der Aufklärungszeit zurückzugreifen, vor allem auf die Gesellschaftsvertragstheorie.270 Schünemann ist z. B. der Auffassung, dass der Grund des modernen Strafrechts in der Idee des Gesellschaftsvertrages und damit in dem normativen Prinzip des Konsenses liege.271 „Über das damit janusköpfig verbundene Prinzip der Volkssouveränität ist also die Beschränkung des Strafrechts auf den alleinigen Zweck der Verhütung von Sozialschäden in den Prämissen jeder demokratischen Staatsverfassung verankert und liegt damit allen positiven Verfassungen demokratischer Staaten als impliziter Bestandteil notwendig voraus.“272 Jene Autonomie, die als Grundlage der Einwilligung gilt, wird für Schünemann ebenfalls durch die Gesellschaftsvertragstheorie begründet:273 „[A]us der Idee des Gesellschaftsvertrages als allein möglicher Legitimation von Staatsgewalt folgt die Anerkennung der Autonomie und dadurch Würde des Menschen, die unabhängig von einer Positivierung wie in Art 1 GG zu den impliziten Fundamenten jeder demokratischen Staatsverfassung zählt.“ Können die Mängel der Rechtsgutstheorie aber durch die moderne Gesellschaftsvertragstheorie behoben werden? Im Folgenden wird gezeigt, dass es aufgrund der ontologischen Struktur des Rechtsgutsdenkens nicht leicht ist, dieses Ziel zu erreichen. 270

Vgl. Schünemann, ZIS 10/2016, 657, 659 ff.; ders., GA 2016, 511; ders., in: Hilgendorf/ Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, S. 223, 232 f.; früher schon Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 7. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 38, 310; Hassemer, Grundlinien einer personalen Rechtsgutslehre, in: Scholler/Philipps (Hrsg.), Jenseits des Funktionalismus, S. 91; ders., ZRP 1992, 379; ders., in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 57 ff.; ders., in: NK/Hassemer/Neumann/Paeffgen, 4. Aufl., Vor § 1 Rn. 133 (= AK/Hassemer, Vor § 1, Rn. 275); Rudolphi, in: FS Honig, S. 154. Kuhlen, ZStW 105 (1993), 702. Roxin, Zur neuen Entwicklung der Rechtsgutsdebatte, in: FS Hassemer 2010, S. 577. 271 Schünemann, ZIS 10/2016, 657. 272 Schünemann, ZIS 10/2016, 657. 273 Schünemann, ZIS 10/2016, 659.

C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens?

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1. Das liberalistische Denken ausgehend von der Lockeschen Gesellschaftsvertragstheorie Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bemühung der modernen Strafrechtswissenschaft um die Materialisierung und Liberalisierung des Rechtsgutsbegriffs außer auf die verfassungsrechtlichen Grundrechte oft auf die Freiheitsidee zurückgreift, die sich aus dem von Mill und Feinberg entwickelten Störungsprinzip (harm principle) entwickelt hat.274 Diese Freiheitsidee entspricht grundsätzlich einer abstrakten, formalen Freiheit. Solche Freiheit lässt sich in zwei Ansätzen denken: transzendental und empirisch. Der mit dem Rechtsgüterschutz verbundene Freiheitsbegriff ist der letztere. Dahinter verbirgt sich also eine Weltanschauung, die auf der Tradition des Empirismus basiert und in engem Zusammenhang mit der Gesellschaftsvertragstheorie von John Locke steht.275 Eine solche empirische Weltanschauung bildet auch den Grund, weshalb sich das Rechtsgüterschutzdenken mit der Lockeschen Sozialvertragstheorie verglichen lässt: In der Lockeschen Rechtslehre wird es weder nach dem transzendentalen Subjekt als Rechtsperson noch nach der sittlichen Einheit zwischen Staat und Bürger weiter gefragt (siehe unten). Zwar werden die äußeren Gegenstände bei der Lockeschen Sozialvertragstheorie nicht vom Rechtssubjekt getrennt, wie dies bei der Rechtsgutslehre der Fall ist; die Verhältnisse zwischen Einzelnen sowie zwischen Staat und Bürger basieren aber sowohl beim Rechtsgutsdenken als auch bei der Lockeschen Sozialvertragstheorie allein auf bestimmten praktischen Bedürfnisse. Wir können daher durch den Vergleich der Vertragstheorie (zumal Lockes Vertragstheorie276) mit der Rechtsgutslehre insbesondere die offensichtlich von Liberalismus und Individualismus gefärbte personale Rechtsgutslehre, die Verbindung zwischen beiden sowie die daraus entstehende Problematik im Einzelnen veranschaulichen. Wie dargetan, versuchen die Vertreter der Rechtsgutslehre, durch andere theoretische Grundlagen die Begründung sowie die Inhalte des Rechtsgutskonzepts zu 274 Vgl. Hirsch, Der Rechtsgutsbegriff und das „Harm Principle“, in: Hefendehl/Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 13 ff.; Seher, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 45 ff.; vgl. auch Roxin, FS Hassemer, S. 574 ff. 275 Vgl. Schünemann, ZIS 10/2016, 662. Zwar hat Schünemann mehrfach von Kant gesprochen (ZIS 10/2016, 656 und passim. Auch vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 31 f.); Kants Gesellschaftsvertragstheorie, die von der Subjektivität und nicht von den Gegenständen ausgeht, lässt sich mit einem Rechtsgutsdenken wohl nicht vereinbaren. Der kantische Begründungsansatz der Einwilligung sowie seine Problematik werden später in § 3 erörtert. 276 Um Missverständnisse und den möglichen Einwand zu vermeiden, es gebe keine Beweise dafür, dass diesen Sichtweisen die Locke’sche Philosophie zugrunde liegt, ist zuerst darauf hinzuweisen, dass sich die hier gesagte Verbindung nicht auf eine historisch direkte Vererbung bezieht, sondern auf eine inhaltliche Relevanz. Obwohl die meisten dieser Interpreten behaupten, dass sie die liberale Tradition seit der Aufklärung beerbt haben oder dass sie Kants Philosophie vertreten, zeigt die Untersuchung der Inhalte dieser Lehrtheorien, dass die von ihnen angenommene Sichtweise einem empirischen Menschenbild entspricht, in dem sich eher der Gesichtspunkt der Locke’schen Philosophie spiegelt.

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ergänzen, weil die Lehre selbst nicht imstande ist, dem „Ich“, dem die Rechtsgüter dienen, eine theoretische Begründung zu liefern. Aus der Grundstruktur des Rechtsgutsbegriffs lässt sich nicht festlegen, ob das über das Rechtsgut verfügende Subjekt ein autonomes, freies, selbstbestimmtes Subjekt sein soll. Tatsächlich haben die Vertreter der Rechtsgutslehre seit deren Entstehung immer eingeräumt, dass nicht nur der Einzelne, sondern auch die Gemeinschaft der Rechtsgutsinhaber sein kann.277 Was ist jedoch das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsgutsinhabern? Die Antwort lässt sich allein vom Rechtsgutsbegriff her nicht geben. Kann die Gesellschaftsvertragstheorie eine befriedigende Interpretation des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft liefern und der Rechtsgutslehre helfen, ihren Kern auf das Rechtssubjekt (mit seiner Freiheit zur Selbstbestimmung) umzustellen? Wird die Verbindung der modernen Rechtsgutslehre mit der Locke’schen Gesellschaftsvertragstheorie betrachtet, kann die Antwort nicht positiv sein. Der Staat ist nach der Locke’schen Vertragstheorie lediglich eine abgeleitete Institution. Die ganze Herrschafts- bzw. Rechtsordnung leitet sich nicht aus einer übergeordneten teleologischen Orientierung her, wie frühere Denker des Naturrechts behaupteten, sondern aus der Vereinbarung der Betroffenen, und zwar aus dem Gesellschaftsvertrag. Das heißt, der Staat ist ein vertraglicher Zusammenschluss der Menschen und rechtfertigt sich mit dem Ziel, den Bürgern ein behagliches, sicheres und friedliches Zusammenleben zu bewahren, im sicheren Genuss ihres Eigentums und in größerer Sicherheit gegenüber allen, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehören.278 Mit dieser Erkenntnis wird der Staat als eine Institution unter der Person verstanden, als Mittel zur Sicherung der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung. Die Ableitung des Staates aus der Person stellt ein rein funktionales Verhältnis zwischen Staat und Bürger dar. Das heißt, der Staat ist ein rein instrumentales Wesen, welches nicht aus Anforderungen des Rechts, sondern aus einem bestimmten praktischen Bedürfnis entsteht. Denn für Locke hat jeder Mensch ursprünglich schon eine Trias von Rechten (Leben, Freiheit, Vermögen, welche insgesamt Eigentum genannt werden), und zwar vor Entstehung der Gemeinschaft. Die vertraglich gegründete politische Gemeinschaft tritt lediglich gleichsam „die Rechtsnachfolge der unverbundenen Naturzustandsbewohner“279 an. Locke selbst formuliert: „Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums.“280 Die Gemeinschaft bzw. der Staat gelten allein als ein instrumentales Wesen zum Schutz des Eigentums seiner Mitglieder. Weder übernimmt der Staat die Rechte der einzelnen Menschen, noch gilt er als eine selbstzweckhafte herr277 Nach Binding sind alle Rechtsgüter solche der Gemeinschaft; eine Rechtsgutsverletzung sei „stets eine Verletzung des Interesses der Rechtsgemeinschaft am Gut“ (Binding, Die Normen und ihre Übertretung, S. 359); Liszt hält sowohl den Einzelnen als auch die Gemeinschaft für mögliche Rechtsgutsträger (v. Liszt, ZStW 8, 1888, S. 142 f.). 278 Vgl. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, 8. Kapitel, § 95. 279 Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 132. 280 Locke, Zwei Abhandlungen, 9. Kapitel, § 124.

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schaftsausübende Instanz. Die Rechte bleiben Rechte der einzelnen Menschen. Die politische Regierung überträgt nur „die Wahrnehmung dieser Rechte aus pragmatischen Gründen an geeignete, von ihr zu diesem Zweck eingerichtete Institutionen der Legislative und der Justiz und der Polizei“.281 Die Aufgabe des Staates muss sich in der Freiheitsverzichtsgrenze erschöpfen.282 Dieses Verständnis der Staatsfunktion findet sich auch in den modernen rechtsgutsorientierten Straftheorien.283 Die Aufgabe der Staat besteht darin, die Bürger als Teilnehmer am Gesellschaftsvertrag im Rechtszustand miteinander existieren zu lassen und ihre größtmögliche Freiheit zu sichern.284 Der Staat wird vom Bürger funktionalisiert, nicht aber der Bürger vom Staat.285 Aus diesem politischen Gedankengang kann in der Tat weder die Geltung des Sozialstaatsprinzip legitimiert286 noch ein positives Verhältnis zwischen Volk und Staat abgeleitet werden. Denn die staatliche Gewalt darf zu nichts anderem mehr dienen als zur Sicherung des bereits vorhandenen Eigentums des Einzelnen. In der grundsätzlichen Annahme der Gesellschaftsvertragstheorie besteht die Grundlage der staatlichen Eingriffe in Handlungen des Einzelnen in einer abstrakten Zustimmungsstruktur. Ohne (offen erteilte oder stillschweigend gegebene) Zustimmung der Individuen hat der Staat keine Legitimation; solche politische Herrschaft muss mit Widerstand seitens der Individuen rechnen.287 Zwischen Staat und Volk gibt es nur „eine Art Treuhänderschaft“, nicht aber ein wechselseitiges Verhältnis von Recht und Pflicht.288 Diese Struktur bleibt auch im Anlass und in der Funktionsweise der staatlichen Gewalt erhalten. Ohne Zustimmung des Einzelnen könnte der Staat nicht in dessen Handlungswahl eingreifen; Eingriffe ohne Zustimmung würden als Missachtung der individuellen Freiheit angesehen. Dieser Zustimmungsanspruch ist allerdings eine völlig abstrakte Annahme. Es wird nicht nur angenommen, dass jedes Individuum ein freies, rationales Entscheidungssubjekt ist; vielmehr soll auch das Verhältnis zwischen Staat und Volk als 281

Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 132. Vgl. Hassemer, ZRP 1992, 379. 283 Hassemer, ZRP 1992, 379. Hassemer spricht davon im Kontext des „klassischen Strafrechts“; seine personale Rechtsgutslehre leitet sich aber ebenfalls daraus her. Vgl. auch Rudolphi, in: FS Honig, S. 154. 284 Hassemer, ZRP 1992, 379; Rudolphi, FS Honig, S. 154. 285 Hassemer, ZRP 1992, 379. Vgl. auch ders., NK-StGB Hassemer/Neumann/Paeffgen, Vor § 1, Rn. 133. 286 Dieses Sozialstaatsproblem tritt nicht nur in der Locke’schen Vertragstheorie auf; es gilt eigentlich als ein allgemeines Problem in allen Gesellschaftsvertragstheorien. im kontraktualistischen Liberalismus impliziert der Wohlfahrtsstaatsgedanke selbst ein „Gerechtigkeitsrisiko“ (vgl. Kersting, Politik und Recht, S. 48; ders., Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 378 ff.). Wohlfahrtsrechte sind in diesem Sinne lediglich reflexive Rechte und soziale Leistungsansprüche sind notwendigerweise sekundär (Kersting, Politik und Recht, S. 50 f.). 287 Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 133. 288 Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 132. 282

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ein auf wechselseitiger Zustimmung beruhendes Vertragsverhältnis zwischen Privatpersonen verstanden werden und entsprechend funktionieren. Dies könnte zu zwei Wegen führen. Der eine ist ein extremer Individualismus, der die Befugnisse und Pflichten des Staates minimiert. Dem entspricht der Gedanke der negativen Freiheit, gegen den später weitere Kritik vorgetragen wird.289 Der andere Weg ist, untergründig das Konzept Willens des Individuums durch das Konzept des Willens der Mehrheit zu ersetzen. Durch das Mehrheitsprinzip, dem die lose Kombination der Einzelwillen der Individuen zugrunde liegt, werden jene bestimmten Interessen geschaffen, die den Willen der Mehrheit (oder des Gesetzgebers, der institutionell den Willen der Mehrheit vertritt) ausdrücken. Und der Staat wird ermächtigt, in den bestimmten Handlungsbereich des Einzelnen einzugreifen, um diese Interessen zu schützen. Das durch den Mehrheitswillen bestimmte Interesse ist jedoch stets unabhängig von den subjektiven Interessen, die der Einzelne zu einem bestimmten Zeitpunkt nach seiner Präferenz wählt. Wenn man das Mehrheitsinteresse nicht als ein objektives Interesse ansieht, das zugleich objektives Interesse des Einzelnen wäre (und dann freilich immer noch von der subjektiven Präferenz des Einzelnen unabhängig wäre), sondern im Mehrheitsinteresse lediglich eine Verbindung der subjektiven Präferenzen anderer Einzelner in der Gesellschaft sieht, ergibt sich unvermeidlich ein Konflikt zwischen der Mehrheit der Individuen und dem eventuell betroffenen Einzelnen. Eine solche Lösung gibt dem Individuum nicht wirklich seine Sozialität, weil sie die individuelle Freiheit nicht im sozialen Kontext betrachtet, sondern ein anderes soziales Interesse schafft, es der individuellen Freiheit gegenüberstellt und Konflikte zwischen den beiden herbeiführt. Letztendlich kann die Lösung nicht wirklich als „individualistisch“ bezeichnet werden. Das gleiche Problem wie bei der Locke’schen Begründung des Staates tritt auch hier beim Denken des Rechtsgüterschutzes auf. Zwar betonen Verfechter der personalen Rechtsgutslehre wie Marx stets, dass „wir mit der Bestimmung des Menschen als Person nicht diesen als ein isoliertes Selbst meinen, sondern als ein Selbst in der Sozialität, als ,soziales Individuum‘; und weiter, daß dieser so verstandene Mensch sich stets nur in der Gesellschaft und mit Hilfe der Gesellschaft entfaltet“.290 Die Gesellschaft sei daher nicht dem Individuum wesensmäßig fremd, sondern als „die Summe anderer personaler Individuen“291 zu begreifen, die nicht identisch mit dem Staat und dem Individuum gegenübergestellt ist, sondern eine von der Vielzahl der einzelnen Personen gebildete Gemeinschaft ist, die in gleicher Beziehung zum Staat wie jede einzelne Person steht. Aber für das Individuum, das von vornherein selbständig und mit vollen Rechten ausgestattet ist, stellt jeder staatliche Eingriff, der auf der Grundlage eines dem Individuum externen Interesses erfolgt, einen gegen das Individuum gerichteten ungerechten Eingriff dar. Das Interesse der Gesellschaft 289

Siehe unten § 4 C.II.2. Marx, Rechtsgut, S. 53. Obwohl Marx hier die Einsichten des existentialistischen Philosophen Maihofer zitiert, beziehen sich seine späteren Behauptungen nicht auf diese Grundlage, sondern auf die Philosophie Kants. 291 Marx, Rechtsgut, S. 54. 290

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kann an dieser Stelle nicht als mit dem Interesse der Person identisch aufgefasst werden. Für Locke beruht die politische Institution der bürgerlichen Gesellschaft auf der pragmatischen Basis des effizienzsichernden Mehrheitsprinzips.292 Daraus entsteht das Bedenken, dass es letztlich nur die Problematik des Mehrheitsprinzips anzeigt, wenn Marx erklärt, dass das Recht „die Freiheit eines Einzelnen nicht im Interesse einer überpersonalen Gemeinschaft, gar des Staates selbst, ein[schränkt], sondern eben in Konsequenz seiner Aufgabe, den Freiheitsraum aller Personen zu schützen und zu garantieren“.293 Denn es wird letztlich nicht erörtert, was „Freiheitsraum aller Personen“ oder „größtmögliche Freiheit aller“294 bedeutet. Wenn das Interesse einer Person nicht mit dem der anderen Personen bzw. der Gesellschaft identisch ist und man trotzdem eine Locke’sche individualistische Perspektive einnimmt, führt das unvermeidlich zu einer Kritik eines insularen Individualismus;295 wenn man umgekehrt behauptet, das Interesse der Vielzahl von Personen sei letztlich (objektiv) auch das Interesse jeder einzelnen Person, gelangt man hingegen zuletzt zu einer Art von Kollektivismus.

2. Die Verwirklichung der materiellen Freiheit kann nicht der höchste Maßstab des Rechtsgüterschutzes sein Durch die Gesellschaftsvertragstheorie, vor allem durch Lockes Gesellschaftsvertragstheorie, kann man das Ziel nicht erreichen, das die Vertreter der liberalen Rechtsgutslehre erreichen wollen: die Verwirklichung der personalen Freiheit als höchster Zweck des Rechtsgüterschutzes. Denn Freiheit ist nicht der höchste Zweck des durch die Locke’sche Gesellschaftsvertragstheorie begründeten Staates. Laut Lockes Annahme besteht das letztendliche Ziel des Staats nicht darin, die individuelle Freiheit zu bewahren, sondern – wie bei Hobbes296 – die Selbsterhaltung und Selbstentwicklung von Individuen zu gewährleisten. Die Freiheit in diesem Sinne ist „Freiheit von absoluter oder willkürlicher Gewalt“ und also kein Selbstzweck, sondern sie ist so „eng mit der Erhaltung des Menschen verbunden, daß er sie nicht aufgeben kann, ohne dabei gleichzeitig seine Erhaltung und sein Leben zu verwirken“.297 Tatsächlich lassen sich bereits in der Erläuterung des Rechtsgutsdenkens Hinweise darauf finden, dass die Selbsterhaltung der Menschheit in den Zweck des 292 293 294 295 296

XXI.

Kersting, Gesellschaftsvertrag, 132. Marx, Rechtsgut, S. 54. Marx, Rechtsgut, S. 55. Vgl. Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 53. Vgl. Kersting, Thomas Hobbes zur Einführung, S. 170; Hobbes, Leviathan, Kapitel

297 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, § 23 (S. 214); vgl. auch Brandt, Locke und Kant, in: Thompson (Hrsg.), John Locke und/and Immanuel Kant, S. 106.

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Rechtsgüterschutzes eingeschlossen ist. Das Verhältnis der verwandten Begriffe Freiheit, Selbsterhaltung, Selbstentfaltung bzw. Selbstverwirklichung scheint in Darstellungen der Vertreter der Rechtsgutslehre stets unklar. In den meisten Fällen treten diese Wörter zusammen auf. Marx versteht die Freiheit als „personal […] funktional, als Voraussetzung und Bedingung der Selbstentfaltung“.298 Nach Roxin dienen die Rechtsgüter „der freien Entfaltung des Einzelnen“.299 In seiner Erörterung der Einwilligung argumentiert er, dass es von vornherein keine Rechtsgutsverletzung geben kann, wenn „eine Handlung auf einer Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, die seine freie Entfaltung nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil deren Ausdruck ist“.300 Die Freiheit zur Disposition des Rechtsguts gilt ihrerseits also als „Ausdruck der freien Entfaltung des Rechtsgutsträgers“. Ausgehend von der Verbindung mit der Selbstentfaltung ließe sich der Freiheitsbegriff zu einem Begriff von positiver Freiheit fortentwickeln; in den meisten Schriften gibt es allerdings entweder keine weitere Erklärung oder man beruft sich wieder auf die verfassungsrechtlichen Grundrechte.301 Die Freiheit in diesem Sinne erschöpft sich also in äußeren Handlungsmöglichkeiten und erscheint selbst als ein Mittel zur Selbstentfaltung. Spricht man von „Freiheitsraum“ und „größtmöglicher Freiheit“, bezieht sich der Begriff der Freiheit auf äußere Handlungsmöglichkeiten, d. h. auf die äußerliche Handlungsfreiheit. Und meint man mit der Selbstentfaltung des Menschen hier die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und interpretiert das Konzept der Persönlichkeit als „Konzeption der Individualität in ihrer Spontaneität aus dem Horizont aller personalen Aspekte und Dimensionen der Person“,302 so handelt sich um das Recht des Art. 2 Abs. 1 GG.303 Die freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG bezieht sich jedoch schon auf die allgemeine Handlungsfreiheit. Wenn mit freier Selbstentfaltung eine solche abstrakte Verhaltensmöglichkeit gemeint ist, ist die Selbstentfaltung letztlich mit der äußerlichen Freiheit identisch. Wie aber könnte Freiheit selbst die Bedingung für Freiheit sein? Der Begriff der Selbstentfaltung muss sich daher auf etwas anderes beziehen, das die allgemeine Handlungsfreiheit transzendiert. Marx ist einer der wenigen, die sich mit dem Konzept ausführlich auseinandersetzen. Die Selbstentfaltung wird für ihn jedoch nicht als Unterbegriff der Freiheit verstanden, sondern steht in engem Zusammenhang mit der Selbsterhaltung.304 Marx hat in seinem Buch die Auffassung von Maihofer zitiert, dass sich Freiheit als Voraussetzung der Selbstentfaltung und Sicherheit als Voraussetzung der Selbster298

Marx, Rechtsgut, S. 58. Roxin, Strafrecht AT B § 13 Rn. 12. Auch Rönnau, Willensmängel, S. 85 ff. 300 Roxin, Strafrecht AT B § 13 Rn. 12. 301 Dieser Verweis auf die Verfassung lässt sich in fast allen Schriften der Anhänger der modernen Rechtsgutslehre finden. 302 Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 54. 303 Maihofer, Rechtsstaat, S. 55. 304 Marx, Rechtsgut, S. 59. 299

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haltung nicht trennen lassen.305 Wirft man einen näheren Blick darauf, scheint die Selbstentfaltung Vorrang zu haben. Die drei Konzepte Freiheit, Sicherheit und Selbstentfaltung scheinen somit in einer hierarchischen Beziehung zu stehen: Sicherheit sei als Bedingung und als Mittel zum Zwecke der Freiheit zu begreifen, Freiheit sodann als Bedingung der Selbstentfaltung.306 Die Selbstentfaltung enthält hier schon die Selbsterhaltung.307 Infolgedessen würde der Status der Freiheit relativiert. Selbsterhaltung weist immer auf einen kollektiven Zweck hin. 3. Der ontologische Fehler der Rechtsgutslehre und der unlösbare Konflikt zwischen den auf Empirismus beruhenden individuellen Freiheiten Wenn nicht anzunehmen ist, dass die Selbsterhaltung als der höchste Zweck der Rechtsordnung gilt, muss man der Selbstentfaltung eine andere Definition geben. Ein solcher veränderter Selbstentfaltungsbegriff hätte weiterhin mit der Definition und der Erörterung der materiellen Freiheit verbunden werden können. Die Grundstruktur der Rechtsgutslehre macht diesen Fortschritt jedoch unmöglich. Das heißt, die Abgrenzung des Rechtsgutsbegriffs selbst hat bereits den Weg zu einer Theorie wirklicher materieller Freiheit versperrt. Die Interpretation der Selbstentfaltung und ihrer Bedingungen hängt im Rechtsgutsdenken letztlich von der Bestimmung des äußeren Objekts bzw. Rechtsguts ab. Wie bereits oben mehrfach betont, können, sobald äußere Dinge im Mittelpunkt stehen, personale Freiheit und interpersonales Rechtsverhältnis nicht richtig und ausreichend betrachtet werden. Der Begriff der Freiheit wäre nur ein abstrakter Rahmen. Die Ausübung der Freiheit stellte nur die Wahl des einzelnen Subjekts nach seiner subjektiven Präferenz (dem von ihm definierten Glück) dar.308 Dies führt aber zu einem unlösbaren Konflikt zwischen unterschiedlichen Belangen der Individuen, weil man im Paradigma des Interesses für das Glück keine objektive, konkrete Bestimmung finden kann.309 Es lassen sich daraus keine allgemeingültigen Kriterien für freies Handeln ableiten. Bereits Kant kritisiert zutreffend: „Da nun […] ein Prinzip, das sich nur auf die subjective Bedingung der Empfänglichkeit einer Lust 305 Marx, Rechtsgut, S. 58 f., Anm. 205. Maihofer hat in seinem Buch aber schon die entscheidende Fragen in dieser Beziehung herausgestellt: „Der Gehorsam gegenüber dem Staat hat mit anderen Worten so seinen ontologisch-anthropologischen Grund in der Selbsterhaltung des Menschen in eben dem, was ihn vom Tier unterscheidet […] seiner sittlichen Selbsterhaltung.“ Maihofer, Rechtsstaat, S. 108, Hervorhebung im Original. 306 Marx, Rechtsgut, S. 59, 119 f. 307 Dass die Freiheit die Bedingung der Selbsterhaltung ist, erinnert erneut an den Locke’schen Freiheitsbegriff. 308 Vgl. unten § 4 B.II.4. 309 Es ist also verständlich, warum sowohl Hobbes als auch Locke die Selbsterhaltung als einen normativen höchsten Zweck betrachten. Denn wenn man die Selbsterhaltung nicht als objektiv höchsten Zweck betrachtet, können die Willkürentscheidungen der Einzelnen, die zunächst nur als empirische Wünsche und Begier gelten und sich voneinander unterscheiden, nicht miteinander verträglich sein.

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oder Unlust (die jederzeit nur empirisch erkannt und nicht für alle vernünftige Wesen in gleicher Art gültig sein kann) gründet, zwar wohl für das Subject, das sie besitzt, zu ihrer Maxime, aber auch für diese selbst (weil es ihm an objectiver Nothwendigkeit, die a priori erkannt werden muß, mangelt) nicht zum Gesetze dienen kann, so kann ein solches Princip niemals ein praktisches Gesetz abgeben.“310 Darüber hinaus ergeben sich auch Konflikte zwischen der individuellen subjektiven Präferenzwahl und der objektiven Bewertung der Funktion des äußerlichen Objekts. Letztlich müssen Interessenkonflikte im Rahmen des Abwägungsmodells durch eine Kosten-Nutzen-Analyse behandelt werden. Die meisten oben erörterten Auseinandersetzungen um die Einwilligung stehen, obwohl sie auf verschiedene Argumente ausweichen, vor diesem theoretischen Hintergrund. Wie schon oben kritisiert, ist die Abwägungslösung immer noch antiindividualistisch. Denn dadurch würde der Wert des Individuums selbst auf eine der vielen Interessen reduziert. Mit anderen Worten verlöre das Individuum seine Eigentümlichkeit und wäre ein reiner „Träger“ des Interesses (oder: des Rechtsguts) und Gegenstand der Abwägung geworden.311 Hier würde also ein Maßstab wirksam, der sich nicht an Freiheit und dem darauf beruhenden Recht, sondern am besten Interesse orientiert. Zwar erscheint das Streben der verschiedenen Individuen nach individuellen Belangen als ein äußeres Recht. Die eigenen Belange des Individuums müssen jedoch stets dem insgesamt maximalen Nutzen, der in diesem Sinne von der Mehrheit entschieden wird und daher nur das subjektive Interesse der Mehrheit sein kann, Konzessionen machen. Am Ende würde sowohl der Schutz des „Freiheitsraum aller Personen“ als auch die Sicherung „der größtmöglichen Freiheit aller“312 leerlaufen, weil die Freiheit selbst in der Tat nicht als Maßstab gilt. Die Selbstbestimmung ist kein Selbstzweck, sondern allenfalls ein – wichtiges – Mittel zur Glückseligkeit der größten Zahl der Menschen. Das Institut der Einwilligung lässt also unter diesem Menschenbild, auch wenn es sich auf verfassungsrechtliche Grundrechte oder die Aufklärungstradition beruft, nicht zu, dass der Anspruch des Individualismus tatsächlich erfüllt wird. Die Schlussfolgerung geht dahin, dass die Gesellschaftsvertragstheorie, vor allem Lockes Gesellschaftsvertragstheorie, die eng mit dem in der heutigen Rechtsgutslehre häufig erwähnten Störungsprinzip zusammenhängt, den liberalisierten Rechtsgutsbegriff nicht „retten“ kann. Stuckenberg hat zutreffend kritisiert, dass das Denken in Gütern „einem naiven Begriffsrealismus Vorschub leistet, der abstrakte Inhalte mit konkreten Trägern zu juristischen Substanzen verschmilzt mit der unerfreulichen Folge, dass statt über die zugrundeliegenden normativen Fragen nur noch über die scheinbar konkret-dinghafte Hypostase geredet wird“.313 Und eine Freiheitsidee, die lediglich mit der empirischen Dimension verbunden ist, kann die grundlegende Stelle der das Autonomieprinzip verkörpernden Einwilligung im 310 311 312 313

Kant, KpV, A 38 f = AA V, 21 f. Vgl. oben § 2 B.I. Marx, Rechtsgut, S. 55. Stuckenberg, ZStW 2017, S. 359.

D. Zwischenergebnis

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Strafrechtssystem nicht wirklich festlegen. Das durch die Locke’sche Gesellschaftsvertragstheorie begründete Staat-Bürger-Verhältnis kann daher die fehlende Berücksichtigung des konkreten interpersonalen Kontextes in der Rechtsgutslehre nicht ausgleichen.

IV. Fazit Das von der Rechtsgutslehre ausgehende Strafrechtssystem kann ein auf die Freiheit des Subjekts beruhendes Einwilligungsinstitut theoretisch nicht wirklich unterstützen. Auch der personale sowie der sogenannte liberalen Rechtsgutsbegriff, von dem seine Vertreter behaupten, er sei eng mit dem liberalen Konstitutionalismus und modernen Individualismus verbunden, vermag nicht zu verhindern, dass das freie Rechtssubjekt im Rechtsgutsdenken zu einem leeren Begriff bzw. auf die Aggregation von zufälligen empirischen Interessen reduziert wird. Dieser Fehler kann auch nicht durch den Rückgriff auf die Gesellschaftsvertragstheorie der Aufklärung behoben werden. Denn aus der inhärenten Struktur des Rechtsgutsbegriffs kann sich allenfalls eine Locke’sche Vertragstheorie herleiten. Lockes Vertragstheorie, wie auch das in seiner Philosophie entwickelte utilitaristische Denken, findet ihre Grundlage jedoch zu sehr in empirischer Zufälligkeit. Die Bedeutung empirischer Beweise ist zwar gewiss nicht zu leugnen. Der hier vertretene Ansatz stützt sich, wie bei der Erörterung über die Einwilligungsschranken zum Schutz vor der übereilten Entscheidung dargelegt wird, in einem gewissen Maße ebenfalls auf empirische Realitäten. Es muss jedoch eine starke, genuin theoretische Argumentationsbasis für die Einbeziehung empirischer Realität als Argument der Rechtsgutslehre entwickelt werden. Diese theoretische Argumentationsbasis muss vom Subjekt ausgehen und das einzelne Subjekt als Rechtsperson und als aktiven Selbstgesetzgeber anerkennen. Der rechtliche Status des einzelnen Subjekts – des Subjekts als Rechtsperson – kann nicht direkt aus empirischen Interessen oder rein subjektiven Empfindungen abgeleitet werden. Der Zusammenhang des abstrakten Rechts mit empirischen Erfahrungen und substantiellen Inhalten des Handelns muss sich in der inneren Logik der Idee des Subjekts begründen lassen.

D. Zwischenergebnis: Einwilligung ist keine Befugnis zur Disposition über ein bestimmtes Rechtsgut Wie in der Diskussion in diesem Kapitel ausgeführt, wird das Individuum weder in der personalen Rechtsgutslehre noch im liberalen Rechtsgutsbegriff wirklich als Kernbegriff angenommen. Denn hat man den Rechtsgutsgedanken als Ausgangspunkt gewählt, wird das Individuum als selbstbestimmtes Subjekt bereits aus dem

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Rechtsgutsbegriff abgezogen und allein als ein „Träger“ des Rechtsgutes verstanden. Die Behauptung, dass jedes geschützte Rechtsgut die Willensfreiheit des Rechtsgutsinhabers enthalte oder dass die Willensfreiheit und damit die Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsinhabers zu den essentiellen Bestandteilen des Rechtsguts gehöre, scheint zwar die Bedeutsamkeit der Willensfreiheit und des Selbstbestimmungsrechts zu erhöhen; in Wahrheit wird der Wille des Individuums jedoch immer dem davon unabhängig geschützten Rechtsgut beigefügt. Ohne dieses Rechtsgut verlöre der Wille des Rechtsgutsträgers seine Richtung und Bedeutung. Unter einem solchen Rechtsgutsbegriff wird nun freilich die Willensfreiheit des Individuums lediglich für etwas gehalten, das aus dem Subjekt selbst entfernt werden könnte. Sie ist an den Rechtsgutsbegriff gebunden wie eine Weihnachtsbaumdekoration, um die Legitimität des Rechtsgutes selbst zu verstärken. Wenn die Willensrichtung des Rechtsgutsinhabers und das Rechtsgut, das der Gesetzgeber wirklich schützen will, in einen ernsthaften Konflikt geraten – wenn es etwa um Lebensverzicht oder schwere körperliche Verletzung geht –, soll dieser an das Rechtsgut gebundene Wille jedoch ignoriert werden können. Das selbstbestimmte Subjekt und das gesetzlich geschützte Rechtsgut stehen insoweit immer an entgegengesetzten, nicht zueinander gehörenden Polen. Ein solcher Ansatz ist nicht individualistisch, sondern impliziert immer noch eine kollektivistische Überlegung. Nach der oben dargestellten Erörterung führen alle Ansätze einer Begründung der Einwilligung, die auf dem Rechtsgutsdenken basieren, letztlich zu einer Abwägungslösung. Diese kollektivistische Abwägungslösung ist stets mit dem ontologischen Defizit des Rechtsgutsgedankens verbunden. Denn sind die vom Strafrecht zu schützenden Gegenstände eigenständige Rechtsgüter, muss man bei der Beurteilung des Anwendungsbereichs der Einwilligung stets von der Disponibilität der Rechtsgüter selbst ausgehen. Das heißt, die Rechtsgüter müssen zunächst in verfügbare und unverfügbare unterteilt werden, wobei nur erstere den Bereich bilden, in dem die Einwilligung wirken darf. Solange das Verbrechen als Rechtsgutsverletzung verstanden wird, kommt die Einwilligung lediglich als Dispositionsbefugnis über disponible Rechtsgüter in Betracht. Die Problematik dieses Ansatzes liegt aber gerade in der Abgrenzung der Dispositionsbefugnis. Dies ist bereits aus der Definition sowie den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung ersichtlich: Da die Einwilligung als Dispositionsverfügung über ein bestimmtes Rechtsgut aufzufassen sei, müsse die Wirksamkeit der Einwilligung die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers über das betreffende Gut voraussetzen.314 Auch wenn man von der Situation der unzulässigen Rechtsgutsvertauschung315 absieht, da Leben und Körper Individualrechtsgüter sind, stellt sich die Frage: Warum hat der Einzelne keine Dispositionsbefugnis über eigenes Leben und Körper? Solange die Einwilligung als Dispositionsbefugnis über bestimmte Rechtsgüter definiert ist, ist es begründungsbedürftig, warum die Dis314 315

Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 37. Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 512 ff., 562 ff.

D. Zwischenergebnis

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positionsbefugnis des Einzelnen sich auf bestimmte Rechtsgüter beschränkt, wieso sie also in bestimmter Weise begrenzt ist. Die bestehenden Argumente zu dieser Frage sind nicht zufriedenstellend. Wenn man versucht, durch kollektivistische Erwägungen bzw. ein verfassungsrechtliches öffentliches Interesse die Dispositionsbefugnis über Individualrechtsgüter zu begrenzen, entsteht – neben Bedenken hinsichtlich einer möglichen Unterminierung der Unterscheidung zwischen Individual- und Überindividualrechtsgütern – die Gefahr, dass das kollektive Interesse einen Vorrangstatus gegenüber der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen einnimmt. Der Schutz der Selbstbestimmung und das Rechtsgutsdenken können also nicht wirklich in Einklang gebracht werden, da die Rechtsgutslehre von vornherein ein vom Selbstbestimmungssubjekt unabhängiges Schutzobjekt voraussetzt: das Rechtsgut. Sobald die Voraussetzung angenommen wird, die Aufgabe des Strafrechts sei der Rechtsgüterschutz, fallen das Rechtsgut, das in den einzelnen Gesetzen jeweils als Schutzgegenstand gilt, und die konkrete Selbstentscheidung des Opfers in unterschiedliche Kategorien; in der Wertbewertungsphase tritt dann unvermeidlich ein Konflikt zwischen beiden Kategorien auf. Deshalb verwendet das Integrationsmodell am Ende häufig das von seinen Vertretern kritisierte Abwägungsmodell, um den Umfang der Einwilligungswirksamkeit des Verletzten zu beurteilen. Die Autorin vertritt daher die Auffassung, dass die Einwilligung begrifflich nicht als Dispositionsbefugnis über ein bestimmtes Rechtsgut zu fassen ist.

§ 3 Die Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip A. Dogmatische Funktion und Struktur des Selbstbestimmungsgedankens Wenn man bei der Definition des Einwilligungsbegriffs vom Rechtsgutsdenken ausgeht, führt dies, wie dargetan, letztlich zu einer fragwürdigen kollektivistischen Auslegung der Einwilligung. In dieser Dissertation wird argumentiert, dass, wenn das Konzept der Freiheit die Grundlage der Einwilligung sein soll, die Selbstbestimmung bzw. Autonomie des Einzelnen umfassender in das System der Strafrechtstheorie integriert werden muss; d. h. das Autonomieprinzip muss systematisch tiefer in das Strafrecht und in die gesamte freiheitliche Rechtsordnung eingebunden werden. Die Einwilligung ist die Darstellung der Selbstbestimmung des Verletzten. Die Selbstbestimmung bzw. Autonomie ist nicht nur die Legitimationsgrundlage der strafrechtlichen Einwilligung, sondern auch die Grundlage für die Strafe selbst. Erst wenn man festgelegt hat, dass dem gesamten Strafrecht die individuelle Freiheit zugrunde liegt und die strafrechtliche Zurechnungstheorie durch das Autonomieprinzip begründet wird, kann man auf die Frage antworten, warum die Einwilligung eine allgemeine Anwendbarkeit im Strafrecht haben soll und es für ihre Anwendung nicht auf die Erlaubnis durch einzelne Rechtsvorschriften ankommen soll. Aber wie muss man diese Selbstbestimmung bzw. das Autonomieprinzip verstehen? Offenbar existieren unterschiedliche Verständnisse der Selbstbestimmung und des Rechtsverhältnisses zwischen autonomen Personen. Die Definition der Selbstbestimmung hängt daher immer mit dem kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Hintergrund der Rechtsgemeinschaft zusammen. Bei der Erörterung des Autonomiebegriffs im Sinne von Selbstbestimmung muss man jeweils diese Gesamtstruktur und den Kontext berücksichtigen, der das sich selbst bestimmende Subjekt angehört.316 Selbst in westlichen Gesellschaften erweisen sich die Menschenbilder, die der Rede von Autonomie oder Selbstbestimmung in verschiedenen Rechtsgemeinschaften jeweils implizit zugrunde liegen, als verschieden. Nach Maßgabe dieser unterschiedlichen Menschenbilder ergeben sich also abweichende 316

Vgl. Wiesemann, Autonomie als Bezugspunkt einer universalen Medizinethik, Ethik Med 24 (2012), 294; über die unterschiedlichen Möglichkeiten von Beziehung zwischen Autonomie und Gesellschaft vgl. Miller, Verträgt sich Gemeinschaft mit Autonomie?, in: Edelstein (Hrsg.), Moral im sozialen Kontext, S. 337 ff., 346 ff.; vgl. auch Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 44 ff.

A. Dogmatische Funktion und Struktur des Selbstbestimmungsgedankens

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Verständnisse des Autonomiebegriffs. Ob eine Rechtsgemeinschaft Autonomie rein prozedural als „Wille zu wollen“ auffasst oder vielmehr „substantiell gehaltvoll, als wahrhaft freie Entscheidung, die den eigenen lebensgeschichtlich begründeten Interessen entspricht“, hat offenbar Konsequenzen insbesondere für den Umfang der Autonomie, also für die Reichweite und Relevanz des Begriffs in der jeweiligen Gemeinschaft.317 Der unendliche Streit über den Autonomiebegriff auf ontologischer Ebene lässt sich hier gleichwohl ausklammern. Rechtlich hat der Begriff der Autonomie eine eigenständige Bedeutung. Die Autonomie bzw. Selbstbestimmung in diesem Sinne ist ein normatives Konstrukt.318 Sie muss institutionell abgegrenzt, garantiert sowie eingeschränkt werden. Im rechtlichen Bereich und in verwandten Gebieten wie der Medizinethik wird der Autonomiebegriff als ein Schwellenkonzept verwendet.319 Bei dem Begriff geht es nämlich „um die Frage, ob einem Menschen die Kompetenz und v. a. das Recht zugeschrieben werden kann, eine Entscheidung für sich zu treffen“.320 Autonomie als die normative Kompetenz, innerhalb der dem Menschen zugewiesenen Freiheitssphäre selbstbestimmt zu entscheiden, ist also unabhängig davon, inwieweit der Betroffene Idealvorstellungen autonomen Lebens verwirklicht.321 Zutreffend formuliert Fateh-Moghadam: „Rechtliche Autonomie von Entscheidungen ist nicht wesensmäßig vorfindbar, empirisch messbar oder psychologisch diagnostizierbar, sondern bezeichnet ein kontingentes normatives Konstrukt, das festlegt, wem bestimmte Handlungserfolge im Sinne rechtlicher Verantwortlichkeit zugerechnet werden sollen.“322 Im Hinblick auf die Einwilligung ist demnach nicht herauszufinden oder zu beweisen, ob es ontologisch eine autonome Einwilligung gibt oder nicht; es ist vielmehr zu bewerten, welche Einwilligung aufgrund welchen Merkmals normativ als autonom bezeichnet werden soll.323 Erforderlich ist mit anderen Worten immer eine normative Beurteilung, die es ermöglicht, autonome und nicht autonome Entscheidung zu unterscheiden. Ihre dogmatische Funktion zeigt sich in der Antwort auf die Frage: Welche Entscheidung kann normativ die Zuständigkeitsänderung veranlassen und welche nicht? Genauer, wann ist die Zuständigkeitsverlagerung auf den Verletzten gerechtfertigt? Bei dieser Bewertung muss man einerseits die andere Bedeutung der Autonomie, nämlich die Selbstverantwortung, andererseits den sozialen Kontext, in dem das Entscheidungssubjekt steht, in Betracht ziehen. 317

Wiesemann, Ethik Med (2012) 24, 294. Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 27; Gutwald, Autonomie, Rationalität und Perfektionismus, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 77; vgl. auch Rönnau, Willensmängel, S. 9. 319 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 80. 320 A.a.O. (Herv. im Original). 321 Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 42. 322 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 27. 323 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 205. 318

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§ 3 Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip

Das Autonomieprinzip verkörpert sich im interpersonalen Rechtsverhältnis in Gestalt zweier Prinzipien, die zwei Seiten derselben Medaille sind: Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.324 Die Begriffe der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung verkörpern sich im Strafrechtssystem nämlich als ein Institut der Zurechnung bzw. Zuständigkeitsverteilung.325 Durch die klare Willensäußerung des Opfers wird der ursprünglich im Zuständigkeitsbereich des Außenstehenden liegende Handlungserfolg in die Zuständigkeit des Opfers überführt und der Außenstehende wird von seiner Verantwortung entlastet. Durch eine wirksame Einwilligung wird mit anderen Worten rechtlich die vorrangige Zuständigkeit des Verletzten erzeugt.326 Da die rechtliche Behandlung der die Selbstbestimmung darstellenden Einwilligung darin liegt, die neue Zuständigkeitsverteilung und die daraus folgende Verantwortungsübernahme zu veranlassen, bedeutet diese Willensäußerung für den Einwilligenden nicht nur einfach, dass er die durch Selbstbestimmung hervorgerufene Verwirklichung der Freiheit genießen kann, sondern sie bedeutet vielmehr zugleich, dass er auch den Nachteil tragen muss, der der Ausübung der Freiheit folgt. Eigenverantwortung stellt die Kehrseite der Selbstbestimmung dar.327 Die Einordnung einer Entscheidung als selbstbestimmt hat daher „nicht nur eine freiheitssichernde Funktion für diejenigen, die sich darauf berufen, sondern auch eine Entlastungsfunktion für andere Bürger und für den Staat“.328 Der Grund, warum in dieser Dissertation die Konkretheit der Selbstbestimmung bei der Definition der Einwilligung immer wieder hervorgehoben wird, ist der, dass die einzelne Person, nachdem sie eine Entscheidung gemäß ihren aktuellen subjektiven Prämissen getroffen hat, die strafrechtliche Zuständigkeitsveränderung auf sich ziehen muss. In der Tat findet man heutzutage die Anforderung einer Zustimmung des Betroffenen in fast allen Rechtsverhältnissen: Beim Kauf mit einem Online-Zahlungsmittel muss der Ver324

Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 22, 63. 325 Die Begriffe Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als die beiden Seiten des Freiheitsbegriffs spielen eine entscheidende Rolle in der Zurechnungstheorie des modernen Strafrechts. Denn die rechtlichen Bewertungen konzentrieren sich stets auf Interaktionen und die Zuschreibung von Verantwortungssphären (Hörnle, ZStW 2015, 858.), denen das Autonomieprinzip zugrunde liegt. Die strafrechtliche Zurechnung als Anwendung allgemeiner Zuständigkeitserwägungskriterien (vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 217) bzw. als „kommunikativ vermittelte Handlungsdeutung vor den Koordinaten allgemein garantierter Verantwortungssphären“ (Müssig, ZStW 115 (2003), 232) kennzeichnet, was als Rechtsverletzung in wessen Verantwortung fällt. Im Zurechnungssystem tritt das Autonomieprinzip, nämlich das Prinzip der Selbstbestimmung/Selbstverantwortung, als Begründung und als Begrenzung in Erscheinung (vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 216; Hörnle, ZStW 2015, 858). Das Institut der Einwilligung ist immer als Teil des umfassenden Zurechnungssystem aufzufassen. 326 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 219 ff. 327 Arzt, Willensmängel, S. 50; Geilen, Einwilligung, S. 29; Hörnle, ZStW 127 (2015), S. 858; Jakobs, in: FS Hirsch, S. 48; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 219, 234; Rönnau, Willensmängel, S. 205 f., 208 f.; Schlehofer, Einwilligung, S. 58. 328 Hörnle, ZStW 127 (2015), 858 (Herv. im Original).

A. Dogmatische Funktion und Struktur des Selbstbestimmungsgedankens

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braucher den allgemeinen Bedingungen zustimmen, um die Zahlung auszuführen; beim Surfen im Internet bedarf es der Zustimmung des Benutzers, wenn der Webplattformanbieter private Informationen des Benutzers erhalten soll; es ist auch erforderlich, die Einwilligung des Patienten einzuholen, bevor irgendeine medizinische Maßnahme eingeleitet wird. Das Autonomieprinzip scheint sich zu einem übergeordneten Prinzip im Rechtsbereich zu entwickeln. Der starke Nachdruck auf die Autonomie in der modernen Gesellschaft kann aber zu einer bestimmten Atmosphäre, nämlich der Illusion führen, dass mit der Zustimmung des Betroffenen alle Handlungen des Außenstehenden legitimiert werden könnten, ohne die interne und externe Begrenztheit der einzelnen Entscheidung zu betrachten. Diese Begrenztheit scheint nur in Ausnahmefällen nicht gegeben zu sein. Vor diesem Hintergrund scheint die Rechtswirkung der individuellen Selbstbestimmung über das hinauszugehen, was eine endliche Einzelperson voraussehen und übernehmen kann: Klickt man einfach auf ein „Ja“, ist der Webplattformanbieter oder Händler der mobilen App berechtigt, auf die privaten Informationen des Benutzers zuzugreifen; solange sich der Patient für eine bestimmte medizinische Behandlung entscheidet (oder sie ablehnt), werden die positiven und negativen Folgen dieser medizinischen Behandlung mit der „Ausrede“ des Respekts vor seiner Selbstentscheidung auf den Patienten übertragen. Die Hochschätzung der individuellen Autonomie kann also nicht nur auf dem normativen Vorrang des einzelnen Subjekt im Rechtsbereich, sondern auch auf einer anderen Überlegung beruhen, und zwar dem Faktum begrenzter staatlicher Ressourcen sowie ihrer Allokation in der politischen Realität.329 Ist die „Autonomie“ des Einzelnen überfordert? An dem Streit über die aktive Sterbehilfe für Minderjährige in Belgien lassen sich diese Bedenken konkretisieren:330 Ist ein neunjähriges Kind imstande, die Entscheidung fürs Sterben zu treffen, auch wenn seine Schmerzwahrnehmung ganz real ist? Oder umgekehrt: Ist ein 89jähriger Erwachsener reifer und rationaler in seiner Entscheidung zum Sterben als ein 9-jähriges Kind? Ist es gerechtfertigt, das Selbstbestimmungsrecht in einem dieser beiden Fälle rechtlich zu verneinen, im anderen Fall aber zu bestätigen? Auf der anderen Seite: Wenn wir dieses Selbstbestimmungsrecht umfassend bekräftigen, wird dann die Autonomie des Einzelnen wirklich respektiert? Oder fungiert hier das Autonomieprinzip lediglich als eine Ausrede, um die Kosten für die Langzeitpflege zu senken oder die Belastung der Pflegeperson zu verringern, indem die sozialen Kosten und die psychische Belastung an den Entscheidenden übertragen werden? Hat die Selbstbestimmung normativ keine Grenze, bedeutet dies, dass es normativ 329

Hörnle, ZStW 2015, S. 858. Vgl. Winde, Michel: „In Belgien haben drei Kinder Sterbehilfe bekommen“, unter: http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/belgien-seit-fuenf-jahren-duerfen-auch-kinder-ster behilfe-in-anspruch-nehmen-a-1252812.html [abgerufen am 15. 9. 2019]. Zur Entwicklung der Sterbehilfe in Belgien vgl. Jacob, Aktive Sterbehilfe, S. 141 ff.; Schreiber, in: FS Rudolphi, 2004, S. 548 ff. 330

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§ 3 Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip

auch keine Einschränkung für die Selbstverantwortung des Einzelnen gibt; dies könnte den Einzelnen überlasten. Vor diesem Hintergrund sind hinsichtlich des hier thematisierten Begriffs der Selbstbestimmung zwei Punkte zu beachten: Erstens ist Selbstbestimmung ein normatives Konzept, durch welches die Zuständigkeit im Strafrecht beurteilt und verteilt wird; zweitens muss die andere Seite der Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung, bei der begrifflichen Fixierung des normativen Autonomiebegriffs ebenfalls berücksichtigt werden. Jeder Begriff der Selbstbestimmung, der dogmatisch operabel sein soll, muss diese Funktion erfüllen. Gemäß den weiteren Erörterungen in dieser Arbeit können der Autonomiebegriff sowie die Umgestaltung des Rechtsverhältnisses durch Selbstbestimmung des Betroffenen abstrakt oder konkret verstanden werden. Dieser Unterschied ist rechtlich relevant, weil aus ihm die unterschiedlichen Kriterien für die Feststellung des Akts der Einwilligung hergeleitet werden. Für die Entscheidung, welche konkreten Umstände bzw. Informationen man im Fallkontext bei der Feststellung der Selbstbestimmung einbeziehen darf, kommt es nämlich auf das Verständnis des Selbstbestimmungsbegriffs an. Im Folgenden wird zunächst eine Einführung in das abstrakte Verständnis des Selbstbestimmungsprinzips gegeben und die Kritik an diesem Verständnis dargestellt. Im Anschluss wird eine positive Bestimmung der Einwilligung (wie sie in dieser Arbeit vertreten wird) formuliert: Die Einwilligung ist als konkrete Selbstbestimmung zu begreifen.

B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung I. Der Rechtsbegriff Kants als Vorbild eines abstrakten Begriffs rechtlicher Selbstbestimmung Bei der Erörterung der Grundlage der Einwilligung führt die herkömmliche Meinung häufig das verfassungsrechtliche Konzept der allgemeinen Handlungsfreiheit bzw. das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) an.331 Hinter der Einwilligung verbirgt sich jedoch noch eine tiefere Wertbasis, die untrennbar mit dem Autonomiebegriff als dem zentralen Wert der heutigen modernen (zumindest abendländischen) Welt verbunden ist. Da dem Einwilligungsbegriff die Autonomie zugrunde liegt, ist in Hinblick auf die Auswahl des Begründungsmodells für die Einwilligung die Interpretation der Autonomie von entscheidender Bedeutung.

331 So etwa Amelung, Einwilligung, S. 29; ders./Eymann, JuS 2001, 939; Göbel, Einwilligung, S. 22; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 377; Kühl, AT § 9 Rn. 20, 23; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 42; Roxin, Strafrecht AT § 13 Rn. 3; Rönnau, Jura, 2002, S. 595; SternbergLieben, Schranken, S. 18; Zipf, Einwilligung, S. 32.

B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung

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Wie dargetan, lässt sich der Autonomiebegriff unterschiedlich interpretieren. Kant zweifellos einer der einflussreichsten Interpreten dieses Begriffs seit Beginn der Neuzeit. Seine Interpretation der Autonomie gilt auch als Vorbild für den Ansatz der Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung. Kant zufolge besteht die Wurzel des Prinzips der Autonomie als des Prinzips, das die Gesetzgebung des moralischen Subjekts für sich selbst ermöglicht, im kategorischen Imperativ, durch den die vernünftige Selbstbestimmung begründet wird: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“332 Im Rechtsbereich von Bedeutung ist jedoch nicht der „originale“ kategorische Imperativ, der von Kant als „Grundgesetz der praktischen Vernunft“333 bezeichnet und in seiner Moralphilosophie erörtert wird, sondern die „spezialisierte Version des kategorischen Imperativs“334, nämlich das allgemeine Gesetz, das im interpersonalen Verhältnis gilt. Kants Rechtsbegriff enthält eine dreifache Bestimmung:335 Äußerlichkeit, Bezüglichkeit zur Willkür und Unabhängigkeit von der Materie. Äußerlichkeit ist das allgemeine Merkmal des Rechtsverhältnisses. In Kants Rechtslehre besteht die Rechtspflicht grundsätzlich in einem fremdbezüglichen Verhältnis, während die Tugendpflicht in einem selbstbezüglichen Verhältnis besteht. Der äußere Rechtszwang kann ausschließlich im fremdbezüglichen bzw. interpersonalen Rechtsverhältnis gerechtfertigt werden.336 Das Recht „betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Fakta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können“.337 Der Begriff des Faktums (lat. factum) in diesem Sinne ist mit freier, selbstverursachter Handlung zu übersetzen.338 Diese freie Handlung wird von Kant als Handlung aus der Willkür bezeichnet, die sich von dem Wunsch und dem Bedürfnis unterscheidet. Das Rechtsverhältnis ist also allein das „wechselseitige Verhältnis der Willkür“.339 Für Kant kommt nur der Willkür die Fähigkeit zu, das Begehrte aus eigener Kraft zu erreichen: „[I]m Wunsch offenbart die menschliche Begierde ihre Ohnmacht, als Willkür ist sie handlungsmächtig.“340 Da Wünsche und Bedürfnisse rechtlich irrelevant sind, ist die auf diesem 332

Kant, AA IV, 421. Kant, AA V, 30. 334 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 104. Bei dem rechtlichen allgemeinen Gesetz geht es um den rechtlichen Zwang, während der kategorische Imperativ im Rahmen der Moralphilosophie unabhängig vom Zwang ist; vgl. Tang, Eigentum und Staat bei Immanuel Kant, S. 24 f. 335 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 97 ff. 336 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß, S. 220; Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 162. 337 Kant, AA VI, 630. 338 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 97. 339 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 98. 340 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 98. 333

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§ 3 Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip

Rechtsbegriff beruhende Gemeinschaft keine Solidargemeinschaft der Bedürftigen, sondern eine Selbstschutzgemeinschaft der Handlungsmächtigen.341 Die Unterscheidung der Willkür von Wünschen und Bedürfnissen bedeutet auch, dass in diesem wechselseitigen Verhältnis der Willkür die Materie der Willkür nicht in Betracht kommt.342 Das Recht, das auf der Freiheit der Willkür beruht und dem allgemeinen Gesetz unterliegt, ist also nur ein formales Kriterium. Allein das formale Verhältnis der Handlung des Individuums zu der Handlungsfreiheit der anderen ist rechtlich relevant.343 Denn nur ein formales Kriterium kann die Anforderung der Allgemeinheit erfüllen. Zur Beurteilung der Rechtsqualität einer Handlung ist nur zu fragen, ob sie sich mit der Freiheit des anderen nach allgemeinen Gesetz zusammen vereinigen lasse.344 „Der Begriff aber eines äußeren Rechts überhaupt geht gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit im äußeren Verhältnisse der Menschen zu einander hervor und hat gar nichts mit dem Zwecke, den alle Menschen natürlicher Weise haben (der Absicht auf Glückseligkeit), und der Vorschrift der Mittel dazu zu gelangen zu thun.“345 Das Individuum kann seinen Zweck beliebig setzen. Für das Recht ist die Natur des Zwecks belanglos.346 Kants Rechtsbegriff erfordert den Begriff der gesetzlichen Freiheit; bei diesem Freiheitsbegriff handelt sich um die „Verträglichkeit des einen mit der Freiheit des anderen nach einem allgemeinen Gesetz“, d. h. um die „Verträglichkeit der gesetzlichen Freiheit des anderen, mit der Freiheit, die ihm nach dem Gesetz zusteht, auf die er ein Recht hat“347. Das Recht in diesem Sinne ist also „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.348 Der Freiheitsgebrauch des Individuums beschränkt sich somit auf die Bedingungen der Allgemeinheit, Gleichheit und Wechselseitigkeit mit anderen.349 Das Unrecht bzw. der Pflichtverstoß in diesem Sinne bestehen daher ihrem Wesen nach in „nichts 341 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 98. Ob der daraus abgeleitete Rechtsstaat dem Sozialstaatsprinzip entsprechen kann, scheint allerdings zweifelhaft. 342 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 98. 343 Tang, Eigentum und Staat bei Immanuel Kant, S. 23. 344 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 99. 345 Kant, AA VIII, 289. 346 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 99. 347 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 99. 348 Kant, AA VI, 230. 349 Kersting Wohlgeordnete, Freiheit, S. 99. Eine solche auf verträglicher Freiheit beruhende Rechtslehre wird eigentlich durch das moralische Subjektbegriff begründet und legitimiert. Dies entspricht wieder dem Subjektbegriff bei Kant. Die Subjektivität bei Kant ist wesentlich Reflexivität; das Subjekt muss seiner Maximen innewerden und leistet deren Aufhebung zum allgemeinen Gesetz (Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 53). In Höffes Formulierung: „Dem moralischen Recht des einen korrespondiert eine moralische Pflicht aller anderen, da dem eigenen Recht auf die allgemein verträgliche Freiheit die fremde Pflicht entspricht, sich mit der allgemein verträglichen Freiheit zufrieden zu geben.“ Höffe, Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 232.

B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung

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anderem als in einem Hindernis der legitimen Handlungsfreiheit“.350 Zwar entsteht die Maxime aus dem jeweiligen Willen des einzelnen Subjekts; in Hinblick auf die Verträglichkeit mit einem (bzw. jedem) anderen subjektiven Willen muss sie jedoch mit dem Allgemeinheitsprinzip übereinstimmen. Diese Allgemeinheit und die damit verbundene Abstraktheit spiegelt sich im Autonomiebegriff der kantischen Rechtslehre: Auf der einen Seite ist der Inhalt der Maxime, die als das eigene Handlungsprinzip einer Person gilt, durch den subjektiven Willen des einzelnen Subjekts gegeben; auf der anderen Seite muss sie aber mit den anderen subjektiven Prinzipien kompatibel sein und muss daher allgemein (nämlich verallgemeinerbar) sein. Zwar muss die Rechtslehre, sobald sie in der realen Welt gilt, immer ihre Anwendungsbedingungen, die sich aus der Conditio humana ergeben, berücksichtigen;351 jedoch sind diese Bedingungen nur dann von Bedeutung, wenn sie in die inhärente Logik des kategorischen Imperativs integriert werden können. Die Erörterung dieser Bedingungen bleiben deshalb stets auf der Ebene des abstrakten Rechtsprinzips. Mit anderen Worten: Das Pflichtsubjekt der Zurechnung in einer bestimmten Situation kann nur aus dem abstrakten Autonomieprinzip sowie seinen inhärenten Einschränkungen (immer noch eine abstrakte Beschreibung) abgeleitet werden. Der Ansatz, Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung zu definieren, entspricht dem oben vorgestellten allgemeinen Prinzip des Rechts.352 In diesem Verständnis ist die Selbstbestimmung dadurch gegeben, dass „in einem Recht, in dem sich Freiheit unter Gleichen verwirklicht“, als „dem Bestand der Regeln, unter denen die Willkürfreiheit der Vielen kompatibel ist, immer bereits die Möglichkeit der Beteiligten mit gedacht [ist], die konkreten Bedingungen der Rechtlichkeit im jeweiligen Anerkennungsverhältnis zu definieren“.353 Der Umfang der Selbstbestimmung und damit der Einwilligung hängt daher vom allgemeinen Rechtsgesetz ab. Dem Selbstbestimmungsbegriff liegt also der formale Rechtsbegriff Kants zugrunde. Aus der Abstraktheit des kantischen Rechtsbegriffs ergibt sich auch die Problematik ihrer Anwendung in der Rechtsdogmatik (siehe unten).

350 351 352 353

Höffe, Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 233. Vgl. Höffe, Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 220 ff. Vgl. Kant, AA IV, S. 421. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 201.

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§ 3 Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip

II. Dogmatische Ansätze zur Begründung der Einwilligung aus der abstrakten Selbstbestimmung Die Vertreter eines solchen Ansatzes, sieht man von Unterschieden im Detail ab, sind u. a. Köhler,354 Zaczyk355 und Murmann.356 Nach Köhler gründen die im interpersonalen Rechts- und Pflichtenverhältnis bestehenden Rechtfertigungsgründe im allgemeinen Prinzip rechtsgesetzlicher Selbstbestimmung.357 Das Selbstbestimmungsprinzip liegt dem primären Verbot/ Gebot zugrunde und es vermag sich daher in den konkreten interpersonalen Handlungsbezügen aus sich heraus zu beschränken.358 Die daraus sich ergebenden Rechtfertigungsgründe gelten nach Köhler schon im unmittelbar interpersonalen Verhältnis,359 nicht erst in einer verfassten und institutionalisierten Rechtsgemeinschaft. Die Rechtsgemeinschaft bzw. rechtliche Institution bleibt stets an die Selbstbestimmung der Subjekte in konkreten Anerkennungsverhältnissen rückgebunden.360 Im Strafrecht als öffentlichem Recht kann der an sich verbotene Eingriff in das Recht einer Person daher durch das Prinzip des Verbots/Gebots, den autonombesonderen Willen der Person, nämlich ihre freie Einwilligung, gerechtfertigt sein.361 In diesem Sinne ist Einwilligung „die Selbstbestimmung des besonderen Willens“362 im interpersonalen Verhältnis und findet ihre Grundlage gerade in diesem selbstbestimmt besonderen Regelungswillen der Person oder einer repräsentierten Personengesamtheit.363 Das heißt, für den Außenstehenden gilt zunächst das allgemeine Verletzungsverbot gegenüber der anderen Person, ihre subjektiven Rechte zu selbstbestimmtem Handeln in ihrer abstrakten Absolutheit nicht zurechenbar zu beeinträchtigen;364 aus diesem Verbot ergibt sich die Rechtspflicht gegenüber anderen, gegen die durch den Eingriff in die Rechtssphäre des anderen verstoßen wird. Liegt eine freie Einwilligung vor, wird das Verbot durch das Autonomieprinzip aufgehoben und damit ändert sich die Beurteilung der betreffenden Handlung. Denn in diesem Fall verletzt der Außenstehende nicht den tatsächlichen Willen des Opfers, sondern respektiert ihn gerade.365 Der Täter gestaltet mit anderen Worten das ge354 Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 243 ff.; ders., Recht und Gerechtigkeit, S. 284 ff.; ders., Die Rechtspflicht gegen sich selbst, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 425 ff.; auch Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß, S. 57 ff. 355 Vgl. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 19 ff. 356 Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, 159 ff. 357 Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 284; vgl. auch ders., Strafrecht AT, S. 207 ff. 358 A.a.O. 359 Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 285. 360 Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 106. 361 Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 285. 362 Köhler, Strafrecht AT, S. 243. 363 Köhler, Strafrecht AT, S. 243. 364 Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 277; vgl. auch Zaczyk, Selbstverantwortung, S, 31. 365 Gierhake, GA 2012, 296.

B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung

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genseitige Rechtsverhältnis nicht eigenmächtig zu Lasten des anderen; vielmehr wird der besondere Wille des Opfers gerade durch die Kooperation des Außenstehenden realisiert.366 Eine ähnliche Auffassung wird in Murmanns Ansatz vertreten. Murmann definiert die Einwilligung als die Rechtsmacht, das rechtliche Verhältnis des Einwilligenden zum Außenstehenden so umzugestalten, dass eine sonst verbotene Risikoschaffung erlaubt ist.367 Dieses Recht gründet auf Autonomie und beschränkt sich auf die Herstellung von Verhältnissen der Willkürfreiheit unter Gleichen, definiert also nur den Raum eigener Gestaltung, den die Beteiligten einander immer schon lassen müssen.368 Bezogen auf das konkrete Rechtsverhältnis suspendiert die Einwilligung eine zum Schutz des Opfers bestehende Verhaltensnorm.369 Die in der Einwilligung sich widerspiegelnde Selbstbestimmungsfreiheit ist also nicht Ausübung einer Dispositionsbefugnis, die lediglich vom Recht eingeräumt wird, sondern in einem Recht, in dem sich Freiheit unter Gleichen verwirklicht, gerade angelegt.370 Dieses Selbstbestimmungsrecht gehört daher bereits zu der Wirklichkeit, die das Recht im konkreten Verhältnis wechselseitiger Anerkennung hat.371 In Zaczyks Ansatz zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Für Zaczyk ist mit dem Begriff „Selbstverantwortung“ das Vermögen des Menschen zu vernünftiger Selbstbestimmung bezeichnet und damit seine Freiheit.372 Die Selbstverantwortung bedeutet grundsätzlich, dass eine Person „in ihrem Dasein nicht als getrieben und restlos determiniert verstanden wird, sondern als die entscheidende Instanz befragt werden kann und in der Antwort sich als entscheidende Instanz auch begreift“.373 Selbstverantwortung und Autonomie stehen daher in einem direkten Zusammenhang.374 Autonomie bedeutet Selbstbestimmung, und der Einzelne erfährt über die Selbstbestimmung Freiheit.375 Zaczyks strikte Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdverletzung376 verhindert nicht, dass das gesamte Selbstbestimmung-/Selbstverantwortungssystem Zaczyks als abstraktes Rechtsverhältnis zu verstehen ist. Ob in Hinsicht auf das Rechtsverhältnis bzw. das Verhältnis zu anderen Personen zwischen diesen zwei 366

Gierhake, GA 2012, 296. Murmann, Selbstverantwortung, S. 201; ders., FS Puppe, 2011, S. 777. 368 Murmann, Selbstverantwortung, S. 201; Rönnau, Willensmängel, S. 53. 369 Murmann, FS Puppe, S. 776 f. 370 Murmann, Selbstverantwortung, S. 201. 371 Murmann, Selbstverantwortung, S. 202. 372 Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 23, 63; Rönnau, Willensmängel, S. 52. 373 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 20. 374 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 20. 375 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 20. 376 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 17, 29, 35 ff., 51 f. 367

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§ 3 Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip

Fallgruppen ein normativ relevanter Unterschied besteht, scheint zweifelhaft.377 Rechtlich schließen beide Fallgruppen eine Sozialbeziehung ein.378 Solange die Selbstverletzung rechtliche Relevanz hat, muss die Handlung der anderen Person einbezogen werden. Wie dargetan, weist Zaczyk selbst deutlich darauf hin, dass sich die Selbstverantwortung im Rechtssinn auf ein interpersonales Verhältnis bezieht.379 Das heißt, wenn man von Selbstverletzung im Rechtssinn spricht, ist „eine Gewichtung der wechselseitigen Handlungsbeiträge“ notwendig.380 Jakobs zeigt zutreffend, dass freilich auch die Beteiligung an einer Selbstverletzung ein Akt zwischen mehreren, zumindest zwei Personen ist.381 Umgekehrt vermag die Art und Weise, wie ein Außenstehender in die selbstverfügende Entscheidung bzw. Einwilligung einbezogen wird, deren Charakter als Ausprägung des selbstverantwortlichen Umgangs mit eigenen Gütern nicht zu verändern.382 Die Einwilligung kann ja auch als besondere Form der Selbstverletzung/-gefährdung interpretiert werden.383 Es ist daher begründungsbedürftig, dass die Sozialbeziehung bei der Selbstverletzung anders bewertet werden sollte als jene bei der eingewilligten Fremdverletzung.384 Bisherige Argumente beschränken sich meistens jedoch auf Fälle der Verletzung bestimmter Güter, nämlich des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, und versuchen, durch Hervorhebung der besonderen Bedeutung von Leben und Leib die zusätzliche Einschränkung der einverständlichen Fremdverletzung zu begründen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung/-schädigung, einverständlicher Fremdgefährdung/-schädigung und Einwilligung geht über die Thematik dieser Dissertation hinaus. Auf die Besonderheit des Guts Leben wird später in der Erörterung der Grenzen der Einwilligung bzw. der Begründung dieser Grenzen eingegangen.385 Hier ist nur auf einen Punkt in Bezug auf die Grundlage der Einwilligung hinzuweisen: Selbst wenn wir den Unterschied zwischen eigenverantwortlicher Selbstverletzung und Einwilligung nicht bestreiten, sollte es keinen Zweifel geben, dass sowohl dem selbstverantworteten Eigenverhalten als auch der eingewilligten Handlung eines anderen in Zaczyks Ansatz das Autonomieprinzip zugrunde liegt. Zwar nimmt Zaczyk an, dass die allgemeine Verhaltensnorm bezüglich der Einwilligung, etwa § 216 StGB, grundsätzlich unabhängig von der subjektiven Einschätzung der Beteiligten ist; diese Verhaltensnorm 377 Vgl. Otto, FS Tröndle, 1989, S. 170; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung, S. 87 ff., 149 f., 169 ff., 182; Timpe, ZJS 2/2009, 175. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 220 f. Anm. 428. 378 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 63. 379 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 22. 380 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 29. 381 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 15. 382 Murmann, FS Puppe, S. 781. 383 Murmann, FS Puppe, S. 778. 384 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 15; Murmann, FS Puppe, S. 778. 385 Siehe unten § 4 B.IV.

B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung

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hat jedoch die materielle Basis, dass sie gerade vor dem Hintergrund des Gegebenseins eines zweiten Handlungszentrums gewürdigt werden muss, das ein eigenes, selbstbezügliches Handlungsprojekt entwirft.386 Das heißt, einerseits ist die Norm allgemeines Gesetz, das unabhängig von aller subjektiven Willkür gilt; andererseits kann die Norm nicht vom Interaktionszusammenhang isoliert werden. Die Norm soll also als allgemein auch in dem Sinne verstanden werden, dass sie eine Mitte zwischen den einzelnen Personen bildet. Dadurch kann erst ein mit ihr im Zusammenhang stehender Grund dafür angegeben werden, dass die selbstbezügliche Handlung der einen Person von Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Handlung einer anderen Person ist.387 Gleichgültig, ob zwischen eingewilligter Fremdverletzung und eigenverantwortlicher Selbstverletzung ein grundlegender Unterschied vorliegt, spielt die Selbstbestimmung darin eine konstitutive Rolle. Sowohl Selbstverantwortung als auch Einwilligung stellen den grundlegenden Status des Autonomieprinzips sowie der Freiheit des Einzelnen im Rechtsverhältnis dar: Durch die Handlung, die als Verwirklichung der Selbstbestimmung der freien einzelnen Person gilt, wird der im interpersonalen Verhältnis bestehende konkrete Inhalt der Verhaltensnorm geändert.388 Das Institut der Einwilligung, das vor diesem Hintergrund steht, wird abstrakt gedacht. Der Vorteil dieses Gedankengangs ist, dass er logisch schlüssig ist, die Grenzen zwischen Rechten und Pflichten klar sind und die Priorität der subjektiven Rechte des Einzelnen aus ihm abgeleitet werden kann, um das Eindringen der Abwägungslösung zu verhindern. Dies zeigt sich deutlich in der Kritik am utilitaristischen Denken.389 Darüber hinaus kann dieser Gedankengang – ganz im Gegensatz zum Ansatz des Rechtsgüterschutzes – für sich selbst eine interne theoretische Grundlage liefern. Die Rechtsgutslehre verkennt das Rechtsverhältnis zwischen Rechtspersonen und konzipiert es falsch als ein Verhältnis zwischen äußeren Objekten und Schutznorm. Die Verhaltensnorm sollte auf der Autonomie bzw. jenem Vermögen des Einzelnen beruhen, das den Einzelnen befähigt, dem Gesetz zu folgen. Mit einer solchen Verhaltensnorm lassen sich also Maßstäbe für die Interaktion zwischen Rechtspersonen gewinnen. Im Rechtsgutsdenken wird die Norm hingegen als einseitiger Schutz bestimmter äußerer Objekte verstanden. Das davon ausgehende Strafrecht 386

Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 29. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 29. 388 Kindhäuser, GA 2010, 501 ff.; ders., FS Maiwald, S. 412 ff. Kindhäuser ist der Auffassung, dass die tatbestandsausschließende Selbstverantwortung die Zurechnungsregel ist, während die Einwilligung ein Unrechtsausschluss eigener Art (GA 2010, 493), und zwar ein Normaufhebungsgrund ist (501). Solche Unterscheidung ist aber oberflächlich. Denn das Strafrecht als Verhaltensnorm befasst sich gerade mit der Frage nach der Zurechnung in einzelnen Fällen; die Verlagerung der Zuständigkeit, welche das Zurechnungsergebnis bestimmt, spiegelt auch die Änderung des konkreten Inhalts der Verhaltenspflicht bzw. der Normen wider. 389 Vgl. Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 78 ff., 97 ff.; Maatsch, Selbstverfügung, S. 43, 68 f., 75. 387

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versteht sich nicht mehr als Verhaltensmaßstab, sondern lediglich als Mittel zum Rechtsgüterschutz.390 Die Rechtsgutslehre kann daher das sich selbst bestimmende Rechtssubjekt nicht in die Einwilligungsgrundlage integrieren. Im Gegensatz dazu steht in der Verhaltensnorm, die aus dem Autonomieprinzip abgeleitet wird, das einzelne Subjekt mit seiner Selbstbestimmungsfreiheit im Mittelpunkt. Das einzelne Rechtssubjekt ist somit von vornherein konstruktiv in die grundlegende Struktur der Verhaltensnorm eingebunden.

III. Die Problematik der Abstraktheit der Selbstbestimmung 1. Abstraktheit und Formalität des allgemeinen Rechtsprinzips Die Selbstbestimmung, die sich aus dem Autonomieprinzip als allgemeinem Rechtsprinzip ableitet, bleibt freilich immer noch in einem abstrakten Verständnis befangen, auch wenn ihre Vertreter dies bestreiten und betonen, dass die Verhaltensnorm, die im interpersonalen Rechtsverhältnis allgemein gilt, nicht abstrakt und leer, sondern konkret sei und materielle Inhalte habe.391 Die Annahme, dass rechtliche Freiheit bedeute, „nach eigenem pragmatischem und moralischem Gutdünken zweckorientiert [zu] handeln“392, impliziert schon die Allgemeinheit und Abstraktheit der freien Selbstbestimmung.393 Ein solcher auf dem allgemeinen Rechtsprinzip beruhender Selbstbestimmungsbegriff kann die oben in § 3 A. dargelegte dogmatische Funktion, die rechtlichen Zuständigkeiten zwischen dem Handelnden und dem Verletzten nach Maßgabe der konkreten Konstellation und nach dem Unterschied ihrer jeweiligen Fähigkeiten zur Willensdurchsetzung zu verteilen, nicht erfüllen. Denn aus dem allgemeinen Gesetz lässt sich nur die abstrakte Rechtsinhaberschaft herleiten; es berücksichtigt weder die konkreten Gegenstände, auf die diese Rechtsinhaberschaft bezogen ist, noch die unterschiedlichen Gewichtungen, die diese Gegenstände rechtlich haben.394 Vor diesem Hintergrund wäre es zusätzlich zum Allgemeinheitsprinzip nicht möglich, normativ objektive Beurteilungskriterien für den kon390 Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 48 ff.; Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 123; Vogel, StV 1996, 111. 391 Vgl. Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 46, 51; Maatsch, Selbstverfügung, S. 189 ff.; Köhler, Recht und Gerechtigkeit, 2017; Köhler fordert „die gerechte, ein selbstbestimmtes Leben ermöglichende Teilhabe aller Bürger am gesellschaftlichen Vermögen“, die „von einem Recht auf Bildung bis zu einem Recht auf Arbeit und einem Verbot prekärer und miserabel entlohnter Beschäftigungsverhältnisse“ fast alles umfasst (Rezensionen von Pawlik, Mit Interessenpolitik lässt sich kein Staat machen, in: FAZ, 28. 04. 2017). 392 Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 285. 393 Dies bedeutet nicht, dass die daraus entstehende Selbstbestimmung keinen Inhalt hat, sondern dass die vernünftige Selbstbestimmung selbst bzw. das Wollen nicht durch den Inhalt bedingt ist. Vgl. Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 51. 394 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 149.

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kreten Inhalt der Maxime festzulegen. Mit anderen Worten: Die Informationen, die bei der Feststellung eines Aktes der Selbstbestimmung einbezogen werden dürfen, sind ziemlich begrenzt. Wie oben erörtert, sollte der Selbstbestimmungsbegriff als normatives Konstrukt auf die Frage antworten, wann die Zuständigkeitsverlagerung auf den Verletzten gerechtfertigt ist. Für diese Antwort stehen jedoch in dem abstrakten Ansatz nur wenige Informationen zur Verfügung. Aus dem abstrakten allgemeinen Gesetz lässt sich nämlich nur das Gebot „Respektiere die anderen als Personen“ herleiten. Damit ist jedoch nicht die Frage beantwortet, ob und warum der Schwellenwert dieser Verpflichtung, andere zu respektieren, sich in Bezug auf verschiedene Objekte unterscheiden sollte. Das heißt, es kann nicht erklärt werden, wieso in bestimmten Konstellationen und bei bestimmten Gegenständen (wie dem Leben oder der Sexualität), auch wenn der Betroffene seine Einwilligung zu einer bestimmten Handlung erteilt hat und der Einwilligende selbst abstrakt als ein vernünftiges, entscheidungsfähiges Rechtssubjekt anerkannt ist, er durch den Taterfolg trotzdem überlastet sein könnte. Infolgedessen könnte in diesem abstrakten Ansatz der Eigenverantwortungsbereich gleichsam zu schwer wiegen. Durch die Überschätzung der (auf rein abstrakter Freiheit beruhenden) Autonomie wird der Einzelne überfordert. Sobald die Vertreter des Ansatzes abstrakter Selbstbestimmung versuchen, mehr konkrete Informationen erst bei der Feststellung des Tatbestands einzuführen, überschreiten sie die Grenze der Begründungskraft ihres Ansatzes und verstricken sich in einen Widerspruch. Um den zu tragenden Eigenverantwortungsbereich des Einzelnen einzuschränken, muss man sich an eine andere Begründungsquelle wenden als den Kontext und die Situation, in denen sich das entscheidende Subjekt befindet. Da der Verhaltensnorm im Rechtsverhältnis die Allgemeinheit einzelner Rechtsprinzipien zugrunde liegt, müssen konkrete Rechte und Pflichte auch allein aus einzelnen, isolierten Rechtssätzen abgeleitet werden und gegenüber jeder einzelnen Person allgemein gelten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Köhler versucht, die Einschränkung der Einwilligung durch den Übergang von der Moralpflicht zur Rechtspflicht zu begründen, und zwar indem er das aus der Selbstzweckformel hergeleitete Selbstverfügungsverbot als Rechtspflicht interpretiert.395 Dem Selbstverfügungsverbot wird daher allein der kategorische Rechtsimperativ zugrunde gelegt, der sowohl als Moralpflicht wie auch als Rechtspflicht allgemein gelte.396 Infolgedessen können jedoch die verschiedenen Konstellationen in der Realität die wesentliche Struktur der Rechte und Pflichten im Rechtsbereich nicht mehr beeinflussen. Das heißt, wenn es logisch konsistent ist, kann weder die ursprünglich vorliegende abstrakte Rechtspflicht aufgrund eines Unterschieds der objektiven 395

Die ausführliche Erörterung Köhlers Ansatz für Einwilligungsschranken, siehe unten § 4 C.I. 396 Vgl. Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), 436; ders., Recht und Gerechtigkeit, S. 268; Maatsch, Selbstverfügung, S. 213 ff.

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Bedingungen oder betroffenen Gegenstände außer Kraft gesetzt werden noch das abstrakte subjektive Recht relativiert werden, aufgrund dessen der Staat berechtigt wäre, in die Rechtsausübung des Einzelnen einzugreifen. Jede Bewertung des Inhalts der Selbstbestimmung wäre als Eindringen in die subjektive Freiheit zur Selbstbestimmung zu betrachten und würde damit unter die Kritik des Vormundschaftsstaates, Paternalismus oder „Legal Moralism“ fallen.397 Diese Problematik kommt aber in Köhlers Thematisierung der Ausnahme vom Selbstverfügungsverbot gar nicht erst in den Blick. 2. Inkonsistenz der Argumentation beim Ansatz der abstrakten Selbstbestimmung In den obigen Argumenten zu den einzelnen Fragen der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zeigt sich das Defizit des abstrakten Ansatzes bereits eindeutig: Entweder müssen die situativen Umstände, unter denen die Handlungsentscheidung getroffen wird, bei der Beurteilung der Selbstbestimmtheit ausgeschlossen werden, oder der Ansatz der abstrakten Selbstbestimmung lässt sich nicht durchhalten. In der abstrakten Begründungsweise Köhlers, der zufolge die Grenze der Selbstbestimmung aus der allgemeingültigen Selbstzweckformel herzuleiten ist,398 zeigt sich die Problematik des Ansatzes. Wenn der Ansatz durchgeführt wird, wäre nicht nur die Tötung auf Verlangen, sondern auch jede Art der Beihilfe zur Selbsttötung wegen des Unrechtswesens der Selbsttötung als rechtswidrig anzusehen. Infolgedessen würde es zu einer inhärenten Einschränkung aller Selbstverfügungsentscheidung kommen und der Anwendungsbereich der Einwilligung würde von vornherein stark verengt. Wenn sowohl Köhler als auch Maatsch einräumen,399 dass das von der Selbstzweckformel herleitete Selbstverfügungsverbot seine Grenze hat, und zur Begründung dieser Verbotsausnahme auf die konkreten Konstellationen zurückgreifen, in denen das Opfer tatsächlich steht (z. B. bei besonders starken Schmerzen), halten sie ihren abstrakten Ansatz nicht durch. Darüber hinaus bleibt der Autonomiebegriff in diesem Sinne trotz solcher extremen Ausnahmen der Zulässigkeit der Selbstverfügung immer noch anspruchsvoll; die Begrenztheit der Tragweite der rechtlichen Auswirkung der individuellen Selbstbestimmung wird nicht wesentlich gelockert. Mit anderen Worten: Die Zahl der individuellen Selbstentscheidungen, die die Schwelle des Vernunftanspruches überschreiten können, ist jedenfalls sehr gering.400

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v. Hirsch/Neumann, GA 2007, 673 ff.; vgl. auch Köhler, Rechts und Gerechtigkeit, S. 564 ff.; Murmann, FS Yamanaka, S. 291. 398 Ausführliche Erörterung siehe unten § 4 C.I. 399 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 225 ff., 228; Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 444. 400 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 223, 182.

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Maatsch versucht, auch dann noch von dem abstrakten rechtlichen Prinzip der Selbstzweckformel auszugehen, wenn es darum geht, die Befreiung von der Pflicht gegen sich selbst zu begründen:401 Wenn „die schmerzbedingte Freiheitsbeeinträchtigung den von ihr Betroffenen in eine dilemmaartige Situation führt, in der er seine Vernunftexistenz nur bewahren kann, indem er sie einem anders begründeten Risiko des Untergangs aussetzt“, und das moralische Subjekt insofern „mit sich selbst zugleich die Negation seiner selbst als Zweck an sich behandeln“ müsste, sei die Entscheidung zur Selbstnegation nicht pflichtwidrig. Wenn die Selbstzweckformel aber als Rechtsgesetz und die daraus sich ergebende Selbsterhaltungspflicht stets in Geltung stehen, wäre dann nicht die Situation, in der der Leidende keine andere Möglichkeit mehr hat, als sich selbst zu töten oder töten zu lassen, lediglich als ein Schuldminderungsgrund zu betrachten? Wenn der Betroffene in einer solchen Situation die Pflicht gegen sich selbst nur dadurch erfüllen kann, dass er die Selbstnegierung als Zweck an sich selbst behandelt, verstieße dann der Patient, der aus einem pragmatischen Motiv sein nur noch kurzes, schmerzhaftes Leben verlängern lassen will (beispielsweise weil er als alter Mensch so lange wie möglich eine Rente beziehen möchte, um die Lebensqualität seiner Familien zu verbessern), umgekehrt gegen die Rechtspflicht? In diesem Zusammenhang scheint es in Frage zu stehen, ob es möglich ist, eine inhärente Rechtspflicht allein aus der abstrakten Selbstzweckformel abzuleiten und damit den Wirkungsbereich der individuellen Selbstbestimmung zu begrenzen. Ein ähnliches Problem zeigt sich in Murmanns Begründung der Einwilligungsschranken, wenn er hinsichtlich der defizitären Opferentscheidung von einem „eigenen Rationalitätsanspruch“402 spricht. Zwar werden die Materie bzw. der Inhalt der Selbstbestimmung in Murmanns Ansatz stärker berücksichtigt; bei seiner Erörterung des weichen Paternalismus erwähnt er auch deutlich „das Interesse an einer Verwirklichung der ,wahren‘ Freiheit der Person“403 und versucht, durch die „Berücksichtigung des Gewichts der bewilligten Eingriffe“404 die (weiche) paternalistische Maßnahme zu begründen. Allerdings lehnt Murmann explizit einen objektiven Maßstab für den Inhalt der freien Selbstentscheidung ab405 und beschränkt die rechtliche Freiheit auf das Verhältnis zwischen mit gleicher Freiheit ausgestatteten einzelnen Personen,406 was eigentlich dem abstrakten Freiheitsbegriff entspricht. Es scheint fragwürdig, unter Rückgriff auf diese materiellen Umstände Kriterien für die Beurteilung der Wirksamkeit der Selbstbestimmung festzulegen. Die Schwierigkeit besteht nämlich darin, in welcher Weise die Berücksichtigung der realen Materie an das vorher erwähnte abstrakte Rechtsprinzip logisch anknüpfen soll. 401 402 403 404 405 406

Maatsch, Selbstverfügung, S. 229 ff. Murmann, FS Yamanaka, S. 299; auch unten § 3 B.III.2. Murmann, a.a.O., S. 300. Zur Erörterung des Paternalismus siehe unten § 4 C.II.1. Murmann, a.a.O., S. 306. Murmann, a.a.O., S. 298. Murmann, a.a.O., S. 293; vgl. auch ders., Selbstverantwortung, S. 198 ff.

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Das führt nun zu der Fragestellung: Wie kann man ohne Verweis auf irgendeinen objektiven Maßstab zu der Feststellung kommen, dass das Opfer sich bei einer Entscheidung der Schwäche seiner Entscheidung nicht bewusst ist und damit seinen eigenen Rationalitätsanspruch nicht einlöst? Es lässt sich noch eine weitere Frage stellen: Ist die Entscheidung, die den eigenen Rationalitätsanspruch des Entscheidenden nicht erfüllen kann, trotzdem als Darstellung einer freien Selbstbestimmung aufzufassen? Wenn man eine positive Antwort auf diese Frage gibt, sollte es theoretisch dem Opfer überlassen bleiben, über die Bedeutung des Gegenstandes zu entscheiden, auf das sich die Entscheidung bezieht; mit anderen Worten, wenn der Schwellenwert für die Freiwilligkeit der Entscheidung durch das Ermitteln der Besonderheit des betroffenen Gegenstandes (wie z. B. des Lebens) angehoben wird, wäre diese Lösung letztlich Murmanns eigener Kritik am Eingriff in die freie individuelle Selbstbestimmung ausgesetzt.407 Wenn dagegen eine negative Antwort gegeben wird, wird, wie oben erwähnt, der Umfang des Freiheitsbegriffs von Anfang an durch den abstrakten Schwellenwert der Vernunft eingeschränkt. Kurz gesagt: Wie die Definition der abstrakten Selbstbestimmung mit der Erwägung der ,wahren Freiheit‘ in Einklang gebracht werden soll, bleibt bei Murmann begründungsbedürftig. Ausgehend von dem Grundsatz, dass das Recht (und das Unrecht) nur im interpersonalen Verhältnis zum Tragen kommt, ist Zaczyk der Ansicht, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen Selbstverletzung und Fremdverletzung gibt. Der Mangel an den inneren Voraussetzungen der Selbstbestimmung (Willensmangel) oder die Nichterfüllung einer besonderen gesetzlichen Anforderung an den einzelnen Willen (etwa des Tatbestandsmerkmals Ernstlichkeit in § 216 StGB) ist erst dann von Bedeutung, wenn das Opfer sich fremder Tatherrschaft unterwirft und es auf die Beachtlichkeit dieser Übertragung ankommt.408 Dagegen bleibt im Fall der Selbstverletzung die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Betroffenen sowie der des Außenstehenden unberührt, auch wenn ein Willensmangel vorliegt, da das Opfer noch den Kausalverlauf beherrscht und auch darum weiß.409 Es geht jedoch in der tatsächlichen Interaktion zwischen Personen eigentlich oft sowohl um Selbstbezüglichkeit als auch um Fremdbezüglichkeit.410 Die sog. Tatherrschaft ändert sich häufig mit dem zeitlichen Verlauf des ganzen Geschehens.411 Außerdem ist zu er407

Murmann, FS Yamanaka, S. 298: „Die Bestimmung des Maßstabes der defektfreien Entscheidung muss die Präferenz des Betroffenen akzeptieren, […]. Andernfalls bestünde schon auf dieser Ebene die Gefahr, die Entscheidungsfreiheit unter Hinweis auf ein Defizit zu unterlaufen.“ 408 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 36. 409 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 38. 410 Überblick vgl. Roxin, GA 2012, 655 f.; Murmann, FS Puppe, 2011, S. 767 f. 411 Im Vergleich dazu geht Murmann bei der Frage nach Selbst- oder Fremdbeschädigung von der Perspektive des allgemeinen erlaubten Risikos aus, vgl. Murmann, FS Puppe, S. 775. Eine solche Auffassung impliziert eigentlich schon das Anliegen, konkrete Inhalte der Verhaltenspflicht zu bestimmen. Die Frage ist jedoch: Kann dieses Anliegen aus dem Prinzip der Verträglichkeit der Willkürfreiheit ableitet werden?

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kennen, dass die Tatherrschaftsverteilung bzw. die Abgrenzung zwischen der Selbstgefährdung/-verletzung und Fremdgefährdung/-verletzung bzw. Verletzung mit Einwilligung selbst das Resultat einer normativen Beurteilung ist.412 Die entscheidende Frage ist, wie man normativ feststellt, wo die Tatherrschaft liegt. Hinsichtlich der Feststellung betont Zaczyk einerseits die besondere Bedeutung der faktisch selbst vollzogenen Handlung, nämlich dass der Handelnde bei der Selbstverletzung kraft der Herrschaft über den Handlungsvollzug trotz gröbsten Irrtumes die entscheidende Instanz bleibe und bleiben müsse;413 andererseits ist für Zaczyk aber das bloße „Darreichen des Körpers“ offenbar nicht hinreichend, um von Handlungsherrschaft zu sprechen.414 Liegen beim Handelnden (d. h. beim Opfer) Mängel bezüglich der Fähigkeit zur Stiftung eines selbstverantworteten Handlungsund Erfolgszusammenhangs vor, etwa die konstitutionellen Mängel von §§ 19, 20 StGB, wird beim Opfer der Zusammenhang von Wille, Handlung und Erfolg aufgelöst.415 Zaczyk hebt auch hervor, dass diese Auflösung der Einheit von Wille, Handlung und Erfolg beim Opfer nicht bedeutet, dass einem anderen die Handlungsherrschaft gleichsam automatisch zuwächst.416 Wenn Zaczyk die Frage stellt, wann ein Außenstehender die Herrschaft über das Geschehen übernehmen kann,417 handelt es sich eigentlich schon um die Frage der Zurechnung bzw. der Zuständigkeitsverteilung. Die Unterscheidung zwischen Selbstverletzung und Fremdverletzung stellt nicht das letzte Ergebnis der Zuständigkeitsverteilung dar. Eigentlich ist der typische Fall der Einwilligung die Fremdverletzung, und für dessen Lösung sollte Zaczyk zufolge eine eigenständige Gedankenfolge entwickelt werden.418 Die allgemeine rechtliche Behandlung der Einwilligung bezieht sich aber auf die vorrangige Zuständigkeit des Verletzten. Für Zaczyk ist die Unterscheidung zwischen Selbstverletzung und Fremdverletzung deshalb erforderlich, weil sie unterschiedlichen Kriterien der Recht-UnrechtBeurteilung unterliegen.419 Willensmängel wie Irrtum und Zwang sind besonders bei der Fremdverletzung von Bedeutung. Wenn Zaczyk jedoch bei dieser Unterscheidung den konkreten Willensmangel bereits berücksichtigt hat, erscheint es zweifelhaft, ob sein Kriterium für die Unterscheidung zwischen den beiden Fällen seinem Ansatz der Rechtslehre entspricht. Zaczyk erklärt nämlich nicht, warum bei der Unterscheidung zwischen selbstbezogenem Verhältnis und fremdbezogenem Verhältnis die konstitutionellen Gründe, die die Handlungsherrschaft des Opfers be412 413 414 415 416 417 418 419

Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 40; vgl. auch Grünewald, GA 2012, 365. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 39. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 43. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 38, 43. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 44. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 38. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 52. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 63.

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einflussen können, einbezogen werden müssen. Aus dem abstrakten Rechtsbegriff lässt sich die normative Grundlage dieser Erwägung nicht herleiten.

IV. Fazit Insgesamt ist der Ansatz, die Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung zu konzipieren, für die dogmatische Beurteilung sowie Begründung der Zuständigkeitsverlagerung unzureichend. Die vom abstrakten Ansatz ausgehenden Argumentationen weisen stets Inkonsistenzen auf. Betrachtet man die Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung, entsteht gerade das gegenteilige Problem desjenigen, das sich in der Rechtsgutslehre zeigte. Die Rechtsgutslehre richtet sich zu sehr auf den Schutz von Objekten in der Realität aus, integriert aber nicht das selbstbestimmte Subjekt in das strafrechtliche Zurechnungssystem, betrachtet also Schutzobjekt und Handlungssubjekt nicht als eine Einheit. Der Ansatz der abstrakten Selbstbestimmung geht jedoch in das anderen Extrem: Es wird nicht nur durch das abstrakte Autonomieprinzip das rechtliche Institut der Einwilligung begründet, sondern darüber hinaus versucht, den ganzen Anwendungsbereich der Einwilligung aus dem abstrakten kategorischen Rechtsimperativ abzuleiten. Auch wenn der erste Punkt bejahungswürdig ist, übersieht der zweite Teil jedoch, dass die geltenden Verhaltensnormen, wenn die Autonomie wirklich werden soll, mehr als nur denjenigen Inhalt haben müssen, der dem Allgemeinheitsprinzip entspricht; erforderlich ist also ein normatives Beurteilungskriterium für den konkreten Inhalt.

C. Einwilligung als konkrete Selbstbestimmung I. Hegels Gedankengang als Vorbild des Ansatzes der konkreten Selbstbestimmung 1. Hegels Kritik an Kants Rechtsbegriff Wie oben gezeigt, ist Kants Rechtsbegriff das Vorbild für die Ansätze der abstrakten Selbstbestimmung. In Kants Rechtsbegriff können aber, solange er aus dem strengsten allgemeinen Gesetz hergeleitet wird, die hinreichenden Informationen, die zur Berechtigung der Zuständigkeitsverlagerung erforderlich sind, nicht einbezogen werden. Die Mängel der einzelnen Ansätze sind schon in B.III. erörtert worden. Für den Selbstbestimmungsbegriff braucht es also inhaltliche Zusatzangaben, die nicht durch den rein formalen Begriff bereits ausgewiesen sind. Diese inhaltliche Dimension muss ein angemessener Rechtsbegriff mitreflektieren, und dies erfordert einen Übergang vom abstrakten zum konkreten Selbstbestimmungsbegriff. Für einen solchen Selbstbestimmungsbegriff kann man auf Hegel als Vorbild zurückgreifen.

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Es ist zunächst ein Blick auf Hegels Kritik an Kants Rechtsbegriff zu werfen. Diese Kritik stellt sich als „eine Kritik der Verabsolutierung des Standpunktes des abstrakten Rechts“ dar: Hegel erkennt, dass das Prinzip der formellen Gleichheit eines Korrektivs bedarf, das die Selbstverwirklichung der Einzelnen berücksichtigt; hingegen postuliert Kant einen prinzipiellen Vorrang der rechtlichen Autonomie gegenüber jeder Form individueller Authentizität.420 Kants Rechtsbegriff ist die zunächst negativ definierte Freiheit:421 Die Freiheit im äußeren Gebrauch der Willkür wird nur durch den freien äußeren Gebrauch der Willkür des anderen beschränkt. Aus dieser Beschränkung entsteht eine Ermöglichung durch Übereinstimmung, welche als der positive Aspekt des kantischen Rechtsbegriffs zu charakterisieren ist.422 Auch der rechtmäßige Zwang, sofern er nur als gleiche und wechselseitige Freiheitsbeschränkung aufgefasst wird, hat in der Tat die Ermöglichung der äußeren Freiheit eines jeden zum Ziel.423 Diese Schritte vom Negativen (der möglichen Beschränkung der Freiheit) zum Positiven (der Ermöglichung dieser Freiheit) laufen, so Hegel kritisch, auf die „bekannte formelle Identität und den Satz des Widerspruchs hinaus“.424 Das liegt daran, dass die negative und positive Bestimmung der Freiheit letztlich dasselbe sind: ein allgemeingesetzlich geordneter Rechtszustand.425 Beide haben die äußere Freiheit zum Ziel; deswegen sind die beiden Bestimmungen in ihrem Gehalt letztlich identisch.426 Kants Rechtsbegriff ist daher für Hegel stets unbestimmt, da dem Recht kein bestimmter Inhalt notwendig ist. „Ich kann alles Mögliche wollen, nichts Bestimmtes muß ich wollen.“427 Das allgemeine Rechtsgesetz Kants „ist also nicht in der Lage, die Beliebigkeit der Willkür zu zähmen“.428 Das abstrakte Rechtsgesetz darf bei Kant nicht durch konkrete Gegenstände oder Zweckbetrachtungen relativiert werden. Die Rolle des aus solchem Rechtsbegriff hergeleiteten Strafrechts ist lediglich „die eines Stabilisators, nicht die eines Schöpfers von Freiheit“.429 Das Problem des formellen Freiheitsbegriffes rührt ursprünglich von Kants Dichotomie zwischen Subjekt und äußerem Ding her. Die Eigenschaften des Rechtsverhältnisses betreffen, wie Kant anhand des Begriffs des angeborenen Rechts bzw. 420 Müller, Wille und Gegenstand, S. 72. Als Nachweis spricht Müller von der Befugnis zum Notstandseingriff: Kant kennt kein Notrecht, während bei Hegel das Notrecht als „Recht gegen das abstrakte Recht“ durch die normative Beachtlichkeit des Wohls gerechtfertigt werden kann. 421 Hartdegen, Recht und Freiheit: Hegels Kritik am Rechtsbegriff Kants, S. 111. 422 Hartdegen, Recht und Freiheit, S. 112. 423 Hartdegen, Recht und Freiheit, S. 112. 424 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 29, S. 80; Hartdegen, Recht und Freiheit, S. 112. 425 Hartdegen, Recht und Freiheit, S. 113. 426 Hartdegen, Recht und Freiheit, S. 113. 427 Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 182. 428 Stein, Die Logik von Recht und Zwang in Hegels Rechtsphilosophie, in: Hegel-Jahrbuch, 2014, S. 309. 429 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 146.

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inneren Mein und Dein zeigt, wesentlich das Verhältnis zweier Rechtssubjekte. Im Mittelpunkt des Rechtsverhältnisses steht die Subjektivität. Diese Subjektivität wird unabhängig von äußeren Gegenständen, nämlich schon auf transzendentaler Ebene begründet. Die rechtliche Willkür und ihre Gegenstände fallen daher nicht in eins, sondern die Gegenstände stehen dem Willen äußerlich, fremd und undurchdringlich gegenüber.430 Die Gegenstände der Willkür außerhalb des Leibes werden, wie Kant am Begriff des äußeren Mein und Dein expliziert, vom Subjekt unterschieden. Hingegen versucht Hegel diese Trennung zwischen innerem und äußerem Mein zu überbrücken und den Gegenstandsbezug der Willkür als Aspekt des inneren Mein zu konstruieren.431 2. Die begrifflich-konkrete Bestimmtheit des Rechts bei Hegel In der Tat lässt sich der abstrakte Rechtsbegriff auch in Hegels Rechtsphilosophie wiederfinden, nämlich im ersten Systemteil seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts, den er als das abstrakte Recht bezeichnet. Wie in Kants Rechtsbegriff sei, so Hegel, das Recht in diesem Sinne ein Zustand der „Gleichheit, worin Alle als Jede, als Personen gelten“.432 Im abstrakten Recht ist das Subjekt Person und der Wille freie Persönlichkeit; diese „enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechtes aus“.433 Das Rechtsgebot ist daher nur ein formelles: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.“434 Die Besonderheit spielt beim abstrakten Recht keine Rolle: „Im formellen Rechte kommt es nicht auf das besondere Interesse, meinen Nutzen oder mein Wohl an – ebenso wenig auf den besonderen Bestimmungsgrund meines Willens, auf die Einsicht und Absicht.“435 Bis hierher scheinen der Rechtsbegriff Kants und das abstrakte Recht bei Hegel gleich zu sein. Für Hegel soll der Wille aber nicht im Allgemeinen und in der Abstraktheit verbleiben. Gemäß seiner spekulativen Methode ist im abstrakten Recht Hegels die Synthese zwischen Wille (Form) und Willensobjekt (Materie) immer schon vorausgesetzt, während die kantische Rechtskonzeption zwischen beiden Willenselementen trennt.436 Im Abstraktionsverfahren sieht Hegel die prinzipielle Defizienz des 430

Müller, Wille und Gegenstand, S. 78. Diese Subjektivität ist nur an einem begrenzten Punkt mit äußeren Gegenständen vereint, nämlich im Leib des Subjekts. Diese Verbindung mit äußeren Dingen offenbart aber tatsächlich schon den tiefen Mangel der Rechtslehre Kants: In Kants Rechtslehre soll sich die äußere Willkür schließlich auf äußere Gegenstände erstrecken; durch seinen allgemeinen Rechtsbegriff kann jedoch nicht aufgezeigt werden, wie dies möglich ist. Müller, Wille und Gegenstand, S. 140. 431 Müller, Wille und Gegenstand, S. 84. 432 Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 355. 433 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36, S. 95. 434 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36, S. 95. 435 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 37, S. 96. 436 Müller, Wille und Gegenstand, S. 53.

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formellen Rechts: „Das abstrakte Recht ist also nur erst bloße Möglichkeit und insofern gegen den ganzen Umfang des Verhältnisses etwas Formelles. Deshalb gibt die rechtliche Bestimmung eine Befugnis, aber es ist nicht absolut notwendig, daß ich mein Recht verfolge, weil es nur eine Seite des ganzen Verhältnisses ist.“437 Für Hegel ist daher der Übergang vom abstrakten Recht zum Moment der Besonderheit des Willens notwendig. In dem Moment handelt es sich nicht mehr nur um Recht als abstraktes Allgemeines, sondern um das „Recht des Wohls“438, das sich in bestimmten Inhalten der Subjektivität konkretisiert, im „natürlichen subjektiven Dasein, Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Meinungen, Einfällen usf.“.439 Durch die Berufung auf das Wohl kann erst der Inhalt des Rechts bestimmt werden. Das Problem des abstrakten Rechts besteht also in seiner Einseitigkeit. In bestimmten Fällen muss der Maßstab formeller Gleichheit durch die Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des Einzelnen modifiziert werden.440 Nach Hegel ist die Trennung von Subjekt und Objekt schließlich aufzuheben. Die Innerlichkeit (Ich als Person) muss „sich eine äußere Sphäre geben, […] und diese Subjectivität muß sich zur Objectivität aufheben“.441 Der Personenbegriff ist mit den Gegenständen sowie mit seinen Verwirklichungsbedingungen zusammen zu denken. Der Rechtsbegriff ist also in gesellschaftlichen Institutionen und Praktiken konkret manifest und trotzdem Ausdruck und Moment der Freiheit, da sie Teil der von Freiheit bestimmten Begriffsstruktur sind.442 Mit anderen Worten: Wir können nicht absolut von den Institutionen unterschieden werden, in denen wir existieren; die institutionsimmanenten Rechtsnormen schaffen uns, wie wir sie schaffen.443 Anders als bei Kant, dem zufolge wir die Normen aufgrund unserer moralischen Entscheidungen in die Welt bringen, sind wir für Hegel als normlos ebenso wenig denkbar wie die Normen ohne uns.444 Dieser Gedankengang eröffnet die Möglichkeit, einen anderen Ansatz für die Selbstbestimmungsdefinition zu entwickeln.

II. Die normative Bestimmung der Autonomie und ihre Verwirklichungsbedingungen Nach dem hier vertretenen Ansatz ist die Einwilligung als Ausprägung konkreter Selbstbestimmung zu verstehen. Einwilligung in diesem Verständnis ist ja ebenfalls Selbstbestimmung (und nicht lediglich die Dispositionsbefugnis gegenüber be437 438 439 440 441 442 443 444

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 37 Zusatz, S. 96. Müller, Wille und Gegenstand, S. 70. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 123, S. 230. Müller, Wille und Gegenstand, S. 71. Hegel, Philosophie des Rechts, S. 204. Stein, in: Hegel Jahrbuch, 2014, S. 310. Stein, in: Hegel Jahrbuch, 2014, S. 310. Stein, in: Hegel Jahrbuch, 2014, S. 310.

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stimmten Objekten), impliziert die vom Willen des einzelnen Rechtssubjekts veranlasste Umgestaltung des interpersonalen Verhältnisses. Diese Umgestaltung muss jedoch in konkreten Situationen erwogen werden. Die Erwägung orientiert sich an der Verwirklichung konkreter, substanzieller Freiheit. Die durch die Selbstbestimmung des Einzelnen ausgelöste Umgestaltung des interpersonalen Verhältnisses betrifft nicht nur das abstrakte Gebot oder die Rechtspflicht in einem Rechtsverhältnis zwischen Täter und Opfer wie „Respektiere die andere als Personen“ oder „neminem laede“; es handelt sich hier vielmehr um die Frage nach der allgemeinen Zuständigkeitsverteilung im konkreten Rechtskontext. Man muss die Materie (Inhalte), die von der Selbstbestimmung betroffen sind, erwägen, um normativ die konkreten Maßstäbe herzustellen, welchen Umfang und welche rechtliche Auswirkung auf die Zuständigkeitsverteilung die Selbstbestimmung der einzelnen Person haben soll. Kants mit der Vernunft eng verbundener Selbstbestimmungsbegriff spielt heute nur noch eine geringe Rolle. Der kantische Ansatz, die Rechtspflicht durch den auf praktischer Vernunft beruhenden Rechtsimperativ zu begründen und damit den Umfang der Selbstbestimmung festzustellen, wird, wie oben gezeigt, vielfältig kritisiert. Die Entkopplung von Selbstbestimmung und Vernunft bedeutet aber nicht, dass einfach die Tatsache, dass ein Mensch etwas will, schon ausreicht, um dies zu einer Handlung der Selbstbestimmung zu machen.445 Sowohl im positiven Recht als auch in den theoretischen Auslegungen lässt sich finden, dass die Selbstbestimmung Voraussetzungen sowie Grenzen hat. Da die Verbindung zur Vernunft gebrochen wurde, ist es nötig, nach neuen Plausibilitätsschranken für die Selbstbestimmung zu suchen. Wie oben erläutert, ist der Rekurs auf den Rechtsgutsbegriff nicht vertretbar; der Rückgriff auf die kantische Grundlage erscheint ebenfalls nicht gelungen. Diese Arbeit geht davon aus, dass man zunächst die normative Kontur des Selbstbestimmungssubjekts feststellen muss, bevor die normative Kontur der Selbstbestimmung festgestellt werden kann. Das Selbstbestimmungssubjekt ist die im konkreten kulturellen und sozialen Kontext lebende Rechtsperson. In Anbetracht dieser Kontextabhängigkeit der einzelnen Person ist es unvermeidlich, dass normativ stets die Frage nach der Feststellung der Grenzen der Selbstbestimmung begegnet. Durch das Ergebnis dieser Feststellung wird strafrechtlich die Zuständigkeit zwischen Personen neu verteilt. Die Einschränkungen in der einzelnen Person (wie Alter, Geisteszustand, Irrtum, Zwang usw.) führen in bestimmten Situationen tatsächlich zum Verlust oder zur Schwächung der Eigenverantwortlichkeit einer Person, sodass ihre Entscheidung normativ nicht als autonom zu bezeichnen ist. An dieser Stelle sind also zwei Ebenen begrifflich voneinander zu unterscheiden: das Ausmaß, in dem faktisch die Willensbildung sowie die Rationalität der Entscheidung des Individuums von den empirischen Bedingungen beeinflusst werden, und die normative Bestimmung der Selbstbestimmung. Wenn eine Person eine Entscheidung trifft, wird sie in der Realität natürlich von verschiedenen Faktoren 445

Dies lässt sich in vielen Aspekten belegen. Vgl. Müller, Tötung auf Verlangen, S. 151.

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beeinflusst, so dass ihre Entscheidung die Anforderungen vollständiger Rationalität nur noch sehr eingeschränkt zu erfüllen vermag. Wie bereits erörtert, hängt die Definition von Autonomie jedoch nicht von vollständiger Rationalität ab. Mit anderen Worten: Das Defizit an Rationalität ist mit dem Defizit an normativer Selbstbestimmung nicht identisch. Es ist aber eine normative Frage, bis zu welchem Ausmaß äußere Einflüsse auf die Handlungsentscheidung wirken müssen, dass man zu dem Beurteilungsergebnis kommt, die Entscheidung sei als rechtlich nicht autonom zu qualifizieren. In verschiedenen Rechtsgemeinschaften gibt es möglicherweise unterschiedliche Antworten auf diese Frage.446 Im Hinblick auf die Bedingungen, die sich auf die rationalen Entscheidungen des Einzelnen in der Realität auswirken, ist es nötig, normativ zu beurteilen, welche Bedingungen für die Definition der Selbstbestimmung relevant sind. Aber wie unterschiedlich diese normativen Feststellungen der Selbstbestimmung auch sein mögen, eines ist sicher: Die Beurteilung der Selbstbestimmung bedeutet nicht die endlose Suche nach dem empirischen psychologischen Zustand des Individuums. Eine Pflicht, sich der tatsächlichen Kompetenzen jeglicher einzelnen Person zu vergewissern, wäre für den Staat ebenso wie für den Mitbürger, auch wenn sie nicht prinzipiell unerfüllbar wäre, eine Überforderung.447 Die Interpretation der Autonomie wird immer von strukturellen Faktoren beeinflusst. Dementsprechend muss bei der normativen Bestimmung der Selbstbestimmung immer auch noch die reale Fähigkeit des Entscheidenden berücksichtigt werden, dem die rechtlichen Konsequenzen seiner Entscheidung zukommen. Deswegen ist die Schuldunfähigkeit des Kindes (§ 19 StGB) sowie die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB) im Strafrecht eindeutig vorgeschrieben. Auch wenn nach h.M. die Einwilligungsfähigkeit unabhängig von den vorstehenden Schuldfähigkeitsvorschriften bestimmt werden sollte, ist gleichwohl die Feststellung zutreffend, dass diese Bestimmungen eine gemeinsame theoretische Grundlage haben, nämlich die Konkretheit bzw. Wirklichkeit der Selbstbestimmung/ Selbstverantwortung. Bei der normativen Beurteilung der Wirksamkeit der Selbstbestimmung ist es daher notwendig, nicht nur das Alter und den psychischen Zustand des sich selbst Bestimmenden zu berücksichtigen, sondern auch die Irrtümer, Wil446 Bei der Betrachtung des positiven Rechts lassen sich ganz unterschiedliche Bestimmungen des Umfangs der Selbstbestimmung finden. Im Hinblick auf die Einwilligung in die medizinische Therapie oder Verweigerung der erforderlichen Behandlung wird z. B. in Großbritannien Jugendlichen oder gar Kindern Entscheidungsautonomie eingeräumt, während in der USA die Mehrheit der Bundesstaaten grundsätzlich die Autonomie von unter 18-Jährigen in Gesundheitsfragen ablehnt (Wiesemann, Ethik Med (2012) 24, S. 292). Darüber hinaus wird, wie Wiesemann bemerkt, in allen Ländern mit einem nationalen Gesundheitswesen aus ökonomischen Gründen das Angebot medizinischer Leistungen begrenzt und so die freie Wahl des Patienten im Vorhinein eingeschränkt, oft sogar ohne dessen Wissen (Wiesemann, Ethik Med (2012) 24, S. 293; vgl. auch Hörnle, ZStW 2015, S. 858). Die Ausdeutung des Autonomieprinzips erfolgt stets in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren (Wiesemann, Ethik Med (2012) 24, S. 294). 447 Hörnle, a.a.O.

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lensmängel und alle konkreten Faktoren, die die Entscheidung beeinflussen können. In der Dogmatik der Wirksamkeitsbedingungen von Einwilligung sind daher Irrtum und Zwang wichtige Themen. Denn Irrtümer und Zwang können das autonome Rechtssubjekt daran hindern, gemäß eigenen Gründen, eigener Interessenabwägung und Zwecksetzung seine Entscheidung zu treffen, was als Voraussetzung normativ autonomer Selbstbestimmung betrachtet wird. Eine Entscheidung, die auf Irrtum oder Zwang beruht, wird also als nicht autonom qualifiziert448 und ist rechtlich unwirksam.449 Hier bedarf es einer Klarstellung: Die Feststellung, dass die Einwilligung in bestimmten Fällen für unwirksam erklärt werden muss, bedeutet nicht, dass der Einwilligende selbst nicht als selbstbestimmtes Subjekt gilt. Vielmehr wird nach der Gesamterwägung festgelegt, dass der (durch die vereinbarten Willen der beiden Seiten verwirklichte) Taterfolg nicht in die Zuständigkeit des Verletzten übertragen werden soll, wenn diese Übertragung für den Verletzten eine übermäßige Belastung bedeutet und dem Außenstehenden ein hohes Maß an Zuständigkeitsverfügung zukommt. Auf der abstrakten Ebene wird der Status der einzelnen Person als Rechtssubjekt immer vorausgesetzt und anerkannt – andernfalls würde von Anfang an seine Entscheidung nicht im Rechtsbereich betrachtet. In bestimmten Fällen spiegeln sich jedoch die inhärenten bedingten Einschränkungen, die bei der Ausübung der Freiheit bestehen, in den externen rechtlichen Wirkungen wider, weshalb die Selbstbestimmung für unwirksam erklärt wird und die Verantwortlichkeit des Entscheidenden für den Taterfolg aufgehoben wird. Dieses Verständnis von Selbstbestimmung entspricht einer positiven bzw. materiellen Auffassung von Freiheit; und der Umfang der normativen Selbstbestimmung entspricht dem Umfang der materiellen Freiheit.450 An diesem Punkt können freilich Einwände erhoben werden: Die Freiheitsausübung des Einzelnen unterliege stets mehr oder weniger internen und externen Einschränkungen; für die einzelne Person sei es unmöglich, völlige Freiheit zu haben. Nur Gott habe solche Freiheit. Bei einem endlichen Wesen sind die meisten Entscheidungen der einzelnen Person, wenn man den strengsten Maßstab annimmt, nicht als frei zu kennzeichnen. Wenn man den Anteil der fehlerhaften oder mangelhaften Entscheidungen an seinem Handeln nicht als frei ansieht, hätte der Einzelne keinen Raum mehr zur Selbstbestimmung – es gäbe für einen Einzelnen überhaupt keine Selbstbestimmung. Man müsse daher annehmen, dass volljährige Menschen – auch wenn sich aus einer realistischen Perspektive feststellen lässt, dass die Fähigkeit zu autonomem Handeln individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt ist – grundsätzlich eigenverantwortlich handeln und entscheiden können. Diesem möglichen Einwand liegt eigentlich ein naturalistischer Freiheitsbegriff zugrunde. Freiheit in diesem Sinne würde verstanden als alles, was ich faktisch tun 448 449 450

Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 205 Anm. 108. Vgl. Amelung, Willensmängel, S. 41 ff. Siehe unten § 4 C.I.3., C.II.3.

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kann. Und alles, was in das eingreift, was ich gegenwärtig tun will, sei als Beschränkung bzw. Hindernis der Freiheit anzusehen. Wie oben erklärt, ist allerdings die Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung begrifflich nicht in dieser Weise zu erfassen. In Bezug auf rechtliche Autonomie geht es nicht um den ontologischen Umfang des Freiheitsbegriffs. Wie oben mehrmals betont wird, ist die Selbstbestimmung ein normatives Konstrukt und nicht mehr unbedingt an die (kantisch gedachte) Vernunft, also das Vermögen, nach der Vorstellung von Gesetzen zu handeln, gebunden. Auch die unvernünftige Entscheidung kann normativ als autonome Entscheidung anerkannt werden. Eine freiheitliche Rechtsordnung muss im ersten Schritt sogar die Freiheitsausübung in größtmöglichem Umfang anerkennen, so dass die einzelne Person ihre Subjektivität nicht im Zusammenleben mit anderen Personen bzw. in der Gemeinschaft verliert. Durch den rechtlichen Autonomiebegriff wird die Schwelle der Rahmenbedingungen für die einzelne Entscheidung abgesichert.451 Solange diese Schwelle nicht überschritten wird, ist gerade auch die unvernünftige Entscheidung als frei anzuerkennen.452

III. Konkrete Inhalte der Selbstbestimmung und die Abstufung der Anforderungen an die Einwilligungswirksamkeit Bei der Festlegung des Umfangs der Selbstbestimmung muss die konkrete Situation, in der sich der selbstbestimmte Einzelne befindet, erwogen werden. Im Hinblick auf die autonome Selbstbestimmung liegt die Aufgabe der Rechtsnorm daher zuerst darin, zu entscheiden, welche empirischen Faktoren für die Freiwilligkeit normativ relevant sind, die die rechtliche Wirkung der Selbstentscheidung erschüttern könnten; die zweite Aufgabe besteht darin, die Grenze für den Umfang der freien Selbstbestimmung durch die Zuständigkeitsverteilung darzustellen. Um diese Beurteilung vollziehen zu können, sind die Materie bzw. der Inhalt der Entscheidung unweigerlich in Betracht zu ziehen. 1. Normative Abstufung nach verschiedenen betroffenen Rechtskreisen Die Selbstbestimmung muss Konkretheit und Wirklichkeit haben. Reine Einsicht in die „soziale Dimension des Rechtsverhältnisses“453 oder in die „Anwendungsbedingungen“454 der Vernunft ist noch nicht ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen. Denn die hier thematisierte Wirklichkeit besteht nicht im „denkende[n] Selbstvollzug“455 oder in „intellektuelle[r] Faktizität, woran sich Vernunft erkennt“,456 oder 451 452 453 454 455

Fateh-Moghadam, in: Grenzen des weichen Paternalismus, S. 34. Fateh-Moghadam, in: Grenzen des weichen Paternalismus, S. 34. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 63. Höffe, Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 218. Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 32.

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im Selbstbewusstsein des Willens als auf „objektiv allgemeine Sollenssätze (Gesetz) reflektierender Pol der Wirklichkeitsgestaltung“,457 was immer noch Formulierungen eines ganz abstrakten Menschenbildes wären. Sie kann auch nicht als allgemeines Prinzip, etwa im Sinne der Selbstzweckformel, abstrahiert werden. Der Anspruch auf Allgemeinheit kann der Besonderheit in der Realität nicht genügen. Um dieser Besonderheit Rechnung zu tragen, ist es nötig, einerseits den spezifischen Kontext zu berücksichtigen, der zur Begrenztheit des einzelnen Subjekts führt, und andererseits an äußeres Dasein anzuknüpfen, aber ohne diese Anknüpfung auf die Schutzwürdigkeit des Gegenstandes zu reduzieren (siehe unten). Im Konkreten sollen die äußere Situation, in denen die Entscheidung getroffen wird, der Entscheidungszweck, die Motivation und der Entscheidungsinhalt gleichzeitig erwogen werden, damit der normative Umfang der Selbstentscheidungswirksamkeit festgelegt werden kann. Das heißt, auf die Frage, ob durch die Selbstbestimmung eine Zuständigkeitsveränderung bewirkt werden kann, werden je nach Einzelfall unterschiedliche Kriterien angewendet.458 Die Schwellenwerte für die Einwilligungswirksamkeit müssen also abgestuft werden. Wie sich im positiven Recht zeigt, gelten beispielsweise für die Einwilligung in die Eigentumsverletzung, für die körperliche Verletzung und für die Lebensverletzung abweichende Schwellen der Einwilligungswirksamkeit. Bei der Eigentumsverletzung kann, sofern es eine Einwilligung gibt, die Handlung des Außenstehenden grundsätzlich dadurch rechtfertigt werden, auch wenn die Einwilligung aus einer fehlerhaften Motivation oder einem vorschnellen Denken hervorgegangen ist; die Wirksamkeit einer solchen Einwilligung ist nur im Ausnahmefall – wenn die Einwilligung aus einer Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder erheblicher Willensschwäche hervorgegangen ist (§ 291 StGB) – eingeschränkt. Bei der körperlichen Verletzung wird eine Einwilligung, die „gegen die guten Sitten verstößt“ (§ 228 StGB), für unwirksam erklärt. Bei den sexuellen Missbrauchshandlungen wird die formale Einwilligung des Verletzten in verschiedenen Fallgruppen (§§ 174 – 176b, ähnlich auch §§ 180, 182) ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber dem Verletzten in diesen Fällen im Wege einer unwiderleglichen Vermutung die Fähigkeit zur freien und verantwortlichen Entscheidung von vornherein abspricht.459 Bei der Beschädigung des Lebens kann sogar das Verlangen, das als stärkere Willensäußerung als Einwilligung gilt, das Unrecht der dritten Person nicht ausschließen (§ 216 StGB). Darüber hinaus müssen bei der Interpretation einer solchen Abstufung auch die einer Fallgruppe zukommenden einzelnen strafrechtlichen Normen als Ganzes betrachtet werden. Zum Beispiel schließt bei der oben erwähnten Einwilligung in Bezug auf sexuelle Handlungen das Vorliegen einer formalen Einwilligung die Erfüllung eines 456

Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 32. Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 33. 458 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 218. 459 Roxin, AT § 13, Rn. 36.; ferner Eisele, in: Sch/Sch StGB, § 174a Rn. 10, § 174b Rn. 7; zu § 174c I StGB BGHSt 56, 226, 229 ff. 457

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bestimmten Tatbestands (etwa nach § 177 StGB) aus;460 das Unrecht anderer Arten von Straftaten (sexueller Missbrauch) wird jedoch nicht durch die formelle Zustimmung des Verletzten ausgeschlossen. Wenn wir uns darin einig sind, dass es gerechtfertigt ist, abweichende Einwilligungsschwellen bei inhaltlich unterschiedlichen Einwilligungsgegenständen zu setzen, genauso wie Verbrechen unterschiedlicher Schwere und gegen unterschiedliche Gegenstände rechtlich unterschiedlich behandelt werden sollen, haben wir eigentlich schon die Annahme der materiellen Freiheit anerkannt. Dieser normative Freiheitsbegriff hängt nicht von den subjektiven Präferenzen des einzelnen Betroffenen ab – für jemanden, dem sein Eigentum wichtiger ist als sein Leben, gilt gleichwohl bei der Einwilligung in die Eigentumsverletzung keine strengere Schwelle. Der Begriff erschöpft sich jedoch auch nicht im Rahmen der Allgemeinheit oder Universalität. Will man die Besonderheit einzelner Person erwägen, muss man über die Grenze der Allgemeinheit hinausgehen. Wenn man einerseits am Allgemeinheitsprinzip festhält, andererseits jedoch unterschiedliche Schwellenwerte für verschiedene Einwilligungsobjekte festlegt, gerät man unvermeidlich in einen Widerspruch.461 2. Die herkömmliche Unterscheidung der Einwilligungsarten als Beweis für die Abstufung Eigentlich impliziert bereits die der herrschenden Meinung folgende traditionelle Unterscheidung zwischen Einwilligung und Einverständnis,462 unabhängig davon, ob das eigenständige Konzept des Einverständnisses überflüssig ist oder nicht,463 den normativen Freiheitsbegriff. Nach herkömmlicher Meinung gelten für die Wirksamkeit von Einwilligung und Einverständnis unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen: Die Voraussetzungen des Einverständnisses ergeben sich aus der Funk460 In der neusten Debatte um die Gesetzgebung bezüglich der Sexualdelikte stehen die Vertreter des Ja-heißt-Ja-Modells (vgl. Hörnle, GA 2015, 313 ff.; dies., ZStW 2015, S. 851 ff.; dies., KriPoZ 1, 2016, S. 19 ff.) und des Nein-heißt-Nein-Modells (vgl. Frommel, FS Ostendorf, 2015, S. 321 ff.; Renzikowski, NJW 2016, S. 3553 ff.) einander gegenüber; der Unterschied zwischen beiden Modellen ist aber eigentlich nur ein Unterschied der Beweismethode der Einwilligung. 461 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 149. 462 Nach dieser von Geerds (Geerds, Einwilligung und Einverständnis S. 105 ff.; ders., GA 1954, S. 262) herausgearbeiteten Unterscheidung nennt man die Zustimmung des Verletzten „Einverständnis“, wenn der deliktische Charakter der Tathandlungen darauf beruht, dass sie gegen den Willen oder ohne Zustimmung des Betroffenen erfolgen müssen. Dagegen kommt bei allen anderen Tatbeständen nur eine „Einwilligung“ in Betracht. In diesen Gruppen wird das geschützte Rechtsgut, trotz der Zustimmung des Verletzten, beeinträchtigt. 463 Zum Streit über die Trennung zwischen Einverständnis und Einwilligung vgl. Brammsen, Einverständnis und Einwilligung, FS Yamanaka, S. 3 ff.; Braun-Hülsmann, Die Einwilligung als Zurechnungsfrage, 2012, S. 170 ff.; Dörr, Dogmatische Aspekte der Rechtfertigung bei Binnenkollision von Rechtsgütern, 2016, S. 168 ff.

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tion des jeweiligen Tatbestands, wobei der Tatbestand an die Verletzung der natürlichen Handlungs- oder Entschließungsfreiheit oder eines faktischen Herrschaftsverhältnisses anknüpft;464 für die Wirksamkeit des Einverständnisses ist nur natürliche Willensfähigkeit erforderlich.465 Hingegen ist zur Wirksamkeit der Einwilligung zusätzlich die Einwilligungsfähigkeit erforderlich; der Einwilligende muss eine tatsächliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit haben, die es ihm erlaubt, die Bedeutung und die Tragweite seiner Entscheidung zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen.466 Außerdem muss die Einwilligung grundsätzlich vor der Tat nach außen hin zum Ausdruck gekommen sein, während es beim Einverständnis je nach den einzelnen Strafvorschriften unterschiedliche Anforderungen gibt.467 Wenn man vorläufig von der Frage absieht, ob der Grund und das Kriterium dieser Unterscheidung sachgerecht sind, spiegelt sich jedenfalls in einer solchen Unterscheidung bis zu einem gewissen Grad die Tatsache wider, dass es normativ bereits unterschiedliche Maßstäbe hinsichtlich der rechtlichen Wirkung der Zustimmung des Verletzten gibt. In Jakobs’ Darstellung der Unterscheidung verschiedener Einwilligungsarten468 offenbart sich dieser materielle Freiheitsbegriff noch deutlicher. Neben der aus der formellen Tatbestandsstruktur resultierenden Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung entwickelt Jakobs weiter die Abgrenzung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Einwilligung. Bei der tatbestandsausschließenden Einwilligung richtet sich der Tatbestand zwar nicht direkt nach dem Willen des Verletzten, aber es hängt tatsächlich vom Willen des Betroffenen ab, welcher Umgang mit den Gütern ein Verlust oder neutral oder gar ein Gewinn ist.469 Das Vorliegen einer solchen Einwilligung schließt daher bereits die Erfüllung des Tatbestands aus. Nach Jakobs liegt die Unterscheidung zwischen der tatbestandsausschließenden und der rechtfertigenden Einwilligung darin, dass es sich bei der ersteren um den Bereich „tauschbarer Güter“ bzw. „Entfaltungsmittel“470 handelt, über die der Einwilligende allein nach seinem Willen, ohne Blick auf seine Gründe, verfügen kann.471 Typische Beispiele sind geringfügige körperliche Verletzungen (wie Haarschnitte) und Sachbeschädigung (wie das Fällen eines Baums).472 Bei der rechtfertigenden Einwilligung muss hingegen darüber hinaus die gesamte (eingewilligte) Verletzung beurteilt werden, und die Einwilligung wird nur wirksam, 464

Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 32. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 32a. 466 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 39; Wessels/Beulke/ Satzger, Strafrecht AT, § 11 Rn. 522. 467 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 32c, 35. 468 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 7/104 ff., 14/1 ff. 469 Jakobs, AT, 7/111. 470 Jakobs, AT, 7/111. 471 Jakobs, AT, 7/112. 472 Jakobs, AT, 7/111. 465

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wenn die Verletzung im konkreten Kontext als vernünftig begründbar ist,473 z. B. eine Organtransplantation. Das heißt, der Zweck sowie die objektive Nachvollziehbarkeit der betroffenen Handlung müssen ebenfalls in Betracht gezogen werden. Eine Körperverletzung, die als gegen die guten Sitten verstoßend gilt, ist nach Jakobs eine Verletzung ohne vernünftigen Zweck. Die Sittenwidrigkeit in diesem Sinne wird daher als „rechtliche Mißbilligung des Handlungsanlasses“474 interpretiert. Aus demselben Grund ist für Jakobs nur solche Tötung auf Verlangen wegen § 216 StGB strafbar, in der das Verlangen nicht als objektiv vernünftig feststeht.475 Dies muss, wie Jakobs schon zutreffend bemerkt, dahingehend verstanden werden, dass es in Abhängigkeit von den betroffenen Gegenständen der Einwilligung unterschiedliche Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung gibt. Die Betrachtung der Besonderheit bzw. die Verbindung mit einer konkreten Materie kann aber nicht mit dem Ansatz der Rechtsgutslehre verwechselt werden, die Bedeutsamkeit der Selbstbestimmung des einzelnen Subjekts durch die Schutzwürdigkeit der Güter zu ersetzen. Die Problematik der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung besteht erstens darin, dass diese Unterscheidung nur auf der formalen Bestimmung des Gesetzgebers über den einzelnen Tatbestand beruht, ohne dass die Abstufung der Einwilligung systematisch interpretiert wird; zweitens wird in Frage gestellt, dass aufgrund der ontologischen Logik der Rechtsgutslehre eine solche Unterscheidung lediglich der Dispositionsbefugnis bzw. Disponibilität unterschiedlicher Rechtsgüter entspricht. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass, wenn nur die Übertragung eines bestimmten beweglichen Vermögens betroffen ist, nur eine formelle Einwilligung erforderlich ist, und wenn die betreffende Handlung zu einer Beschädigung des Nutzungswertes eines bestimmten beweglichen Vermögens führt, zunächst der Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt wird und danach erst in Betracht kommt, die Handlung durch Einwilligung zu rechtfertigen. Mit anderen Worten: Es wird nur die Art und Weise sowie das Ausmaß betrachtet, in denen das äußere Objekt als eigenständiger Schutzgegenstand betroffen ist. Nach einer solchen Interpretation würde die Wirksamkeit der Einwilligung allein an die Schutzwürdigkeit des Rechtsguts selbst geknüpft. Die herrschende Meinung bezüglich Irrtum und Zwang ist von dem Missverständnis geprägt, dass nur rechtsgutsbezogene Irrtümer die Wirksamkeit der Einwilligung entfallen lassen könnten.476 Dabei wird nicht berücksichtigt, dass eine 473

Jakobs, AT, 7/112, 14/12. Jakobs, AT, 14/9. Allerdings hält Jakobs in FS Schroeder, S. 518, § 228 StGB nicht für ein Delikt gegen die konkrete Person, sondern als eines gegen die Interessen der Allgemeinheit an Sittlichkeit oder Verständigkeit. 475 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 29, 32. 476 Vgl. Arzt, Willensmängel, S. 15 ff., 20 ff.; Heinrich, Strafrecht AT, 6. Aufl. Rn. 468 ff.; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch, Vor §§ 32 ff. Rn. 46. Zur Kritik siehe Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 235 Anm. 492. Auf die Frage des Irrtums wird hier nicht ausführlicher eingegangen. 474

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Person ihre Entscheidung in einem realen sozialen Lebensraum trifft, in dem verschiedene Faktoren sich verflechten und gegenseitig beeinflussen. Die Rechtsgutslehre berücksichtigt nur einen Teil der Konkretheit des Rechtsverhältnisses, und zwar das von der Selbstbestimmung betroffene äußere Objekt. Die Wirklichkeit des Rechtsverhältnisses betrifft jedoch nicht nur ein äußeres Objekt bzw. einen zu schützenden statischen Bestand, sondern den gesamten Kontext einschließlich des Gegenstands, der dynamischen Beziehung zwischen Person und Objekt und der Art und Weise, wie Personen miteinander interagieren.

3. Wille des Verletzten, Handlung des Eingreifenden und konkrete Situation als eine Einheit Demgegenüber sollte der Fokus auf die Selbstbestimmung des Rechtssubjekts gelegt werden. Das heißt, die normative Relevanz der äußeren Gegenstände besteht eigentlich in ihrer Verbindung mit dem Willen des Rechtskreisinhabers. Wie Pawlik zutreffend bemerkt, ist „der dynamische Einsatz der eigenen Güter“477 „ein […] bedeutsamer […] Persönlichkeitsausdruck“.478 Bei der Beurteilung eines solchen dynamischen Einsatzes sind verschiedene Fragen zu beantworten: Aus welcher konkreten Situation sowie aus welchem Grund und zu welchem Zweck ergibt sich die Entscheidung des Betroffenen, über ein bestimmtes materiales Substrat in seinem Rechtskreis zu disponieren. Der oben erläuterte Begriff der rechtfertigenden Einwilligung bei Jakobs sowie die Voraussetzung seiner Wirksamkeit sollen ebenfalls vor diesem Hintergrund interpretiert werden, sodass die normative Bedeutung der Einwilligung als Teil des einheitlichen Systems der Zuständigkeitsverteilung richtig erfasst werden kann. In der Dogmatik der Einwilligung ist die wesentliche Frage also weder die, ob die betreffende Handlung eine Verletzung eines bestimmten Gegenstands (Rechtsguts) darstellt, noch die, ob ein überwiegendes Interesse vorliegt, das vorrangig zu schützen ist; die Frage ist vielmehr die, wie der Geschehensablauf, in den der Verletzte und der Eingreifende involviert sind, als eines Ganzes verstanden werden muss, um die wahre Freiheit des Betroffenen so weit wie möglich zu garantieren und die Zuständigkeit im interpersonalen Rechtsverhältnis angemessen zuzuordnen. Das Einwilligungssubjekt sowie die inneren und äußeren Umstände zum Zeitpunkt der Einwilligung müssen daher bei der Zuständigkeitsverteilung immer zusammen betrachtet werden. Ein typisches Beispiel ist die normative Einschränkung der Einwilligung in die Lebensverletzung. Sie geht nicht darauf zurück, dass das Leben selbst (als ein Rechtsgut) absoluten Vorrang habe.479 Die normative Einschränkung reflektiert vielmehr die inhärente Begrenztheit der Einwilligung:480 Es handelt sich 477 478 479 480

Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 235 Anm. 492. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 235 Anm. 492. Die Kritik an diesem Argument, siehe unten § B.IV. Siehe unten § 3 C.II.

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sowohl um die Voraussetzung der Freiheitsausübung als auch um die mögliche Notlage, der der Einwilligende ausgesetzt wird. Darüber hinaus spielt auch der Täter bzw. der Eingreifende in der Beurteilung der Zuständigkeitszuschreibung eine Rolle. Bei der Beurteilung des Einflusses der von der anderen Person hervorgebrachten Faktoren auf die Wirksamkeit der Einwilligung steht nicht die sog. Rechtsgutsbezogenheit im Vordergrund, sondern ob die andere Person den Willen des Verletzten in vernünftiger bzw. nachvollziehbarer Weise beeinflusst hat. Hinsichtlich der konkreten Kriterien lässt sich auf die beiden von Pawlik vorgeschlagenen Punkte verweisen:481 1) Die andere Person muss den eigentlichen Umfang der Selbstentscheidung des Verletzten „in rechtlich relevanter Weise“ eingeschränkt haben, d. h. sie muss diesen durch seine physische oder psychische Überlegenheit beeinflusst haben. Entweder wird der Verletzte „einem nichtsozialadäquaten Zwang“ ausgesetzt oder seine Informationsausstattung wird von dem anderen pflichtwidrig beeinträchtigt. Betrug (§ 263 StGB) stellt ein typisches Beispiel hiervon dar. Hingegen bleibt die Zuständigkeit bei dem Verletzten, wenn die andere Person für den Irrtum der vom Verletzten getroffenen Entscheidung nicht zuständig ist.482 2) Die daraufhin erfolgende Entscheidung des Verletzten muss mit seiner dem anderen anzulastenden selbstverantwortungsunfähigen Lage in einem „objektiv nachvollziehbaren Umfang“ verbunden sein. Erst unter diesen zwei Voraussetzungen kommt es in Betracht, trotz der getroffenen Entscheidung die Zuständigkeit nicht dem Zurechnungsbereich des Verletzten zuzuordnen, sondern auf eine andere Person zu verlagern. Erscheint z. B. die getroffene Entscheidung nachvollziehbar, wenn man die von der anderen Person vermittelte falsche Information in Betracht zieht, wohingegen ohne diese Information die Entscheidung nicht mehr vernünftig wäre, muss der anderen Person die Zuständigkeit zugeschrieben und somit der Handlungserfolg ihr zugerechnet werden.483 Zusammengefasst: Nach dem hier vertretenen Ansatz müssen das Einwilligungssubjekt, die Situation, in der die Einwilligung erteilt wird, sowie der betroffene Gegenstand bei der normativen Zuständigkeitsverteilung als eine Einheit erwogen werden. Das Abstellen auf eine Betrachtung des gesamten konkreten Geschehensverlaufs spiegelt den Begriff der materiellen Freiheit wider. Die zugrunde liegende Logik ist also nicht die, das Individuum verfüge über vollständige, abstrakte Freiheit und sei lediglich durch seine reale Bedingungen begrenzt; vielmehr existiert die Freiheit von Anfang an in einem konkreten, komplexen Netzwerk sozialer Institutionen sowie im interpersonalen Verhältnis und kann auch nur darin verwirklicht werden.

481 482 483

Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 234 f. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 234 Anm. 491. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 236.

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IV. Fazit Freiheit bzw. Selbstbestimmung ist kein rein abstrakter oder transzendentaler Begriff. Denn der daraus abgeleitete Selbstbestimmungsbegriff ist entweder zu eng oder mit seiner eigenen inneren Logik nicht vereinbar. Selbstbestimmung ist vielmehr normativ zu bestimmen. Anders formuliert: Die Einwilligung stellt die Selbstbestimmung dar. Diese Selbstbestimmung ist wesentlich ein normatives Konzept. Die Bestimmung der Autonomie hängt immer vom bestimmten kulturellen und institutionellen Kontext ab. In einer modernen freiheitlichen Rechtsordnung, namentlich in der modernen deutschen Gesellschaft, ist die Selbstbestimmung in den Rang eines obersten Prinzips aufgestiegen. Ihre Kehrseite, die Selbstverantwortung, bildet die Grundlage der strafrechtlichen Zurechnung. Die Bedeutung der Einwilligung im Zurechnungssystem besteht darin, dass sie die auf dem Autonomieprinzip beruhende vorrangige Zuständigkeit des Verletzten auslösen kann. Hinsichtlich der Einwilligung ist also nicht die Frage zu beantworten, ob in einem bestimmten Fall der Rechtsgutsinhaber aufgrund der Einwilligung über das Rechtsgut disponieren darf, sondern vielmehr, ob die Einwilligung zu einer veränderten Verteilung der Zuständigkeit bzw. zur vorrangigen Zuständigkeit des Verletzten führen kann. Diese Frage kann nur richtig beantwortet werden, indem man vom konkreten Kontext des Einwilligenden ausgeht. Wenn eine Person, die die Einwilligung erteilt, durch Faktoren aus ihr selbst oder aus der sozialen, institutionellen Struktur dergestalt beeinflusst wird, dass sie zwar immer noch als ein selbstbestimmtes Subjekt anerkannt wird, jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht imstande ist, die Konsequenz ihrer Entscheidung zu übernehmen, dann muss überdacht werden, ob normativ durch seine Einwilligung in die Verletzung eine Zuständigkeitsübertragung entstehen kann. Die rein auf dem abstrakten allgemeinen Rechtsgesetz beruhende Autonomie ist unabhängig von der Materie der getroffenen Entscheidung. Die unterschiedlichen realen Bedingungen, die der selbstbestimmten Lebensführung dienen, lassen sich in einem solchen Ansatz nicht einbeziehen. Dass die Autorin in dieser Arbeit einen anderen Ansatz als den der abstrakten Selbstbestimmung vertritt, hat den Grund, dass Selbstbestimmung Inhalte haben muss, um konkret und wirklich zu sein. Dass die Selbstbestimmung einen Inhalt haben muss, bedeutet freilich weder einfach, dass die Selbstbestimmung sich in einem realistischen Rechtsverhältnis verwirklichen muss, noch dass der Einzelne gemäß seinem pragmatischen Motiv oder seiner subjektiven Prämisse eine Entscheidung treffen kann; vielmehr muss man sich darüber hinaus vergegenwärtigen, welche normative Bedeutung die Akte der Selbstbestimmung jeweils haben, die in unterschiedlichen Situationen vorgenommen werden und unterschiedliche Gegenstände betreffen. Die Autorin vertritt also die Auffassung, dass die Einwilligung als konkrete Selbstbestimmung der einzelnen Person zu verstehen ist. Dies ist auch der einzige mit der Idee der Autonomie sowie dem Begriff der materiellen Freiheit zu vereinbarende

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Standpunkt. Daher ist anzuerkennen, dass man neben dem subjektiven Recht des Einzelnen auch nach dem Ziel streben muss, dass jedes Individuum seine wahre Freiheit vollständig verwirklichen kann. Ein solches Ziel gilt auch als einziger Legitimationsgrund der Schranken der Einwilligung. Bei der Festlegung des Anwendungsbereichs ist es daher nötig, nach Maßgabe verschiedener Motivationen, Situationen und Tatobjekte unterschiedliche Schwellenwerte für die Einwilligungswirksamkeit zur Geltung zu bringen. Die Bestätigung dieser unterschiedlichen Schwellenwerte kann nur von Fall zu Fall erfolgen und muss zugleich die Frage nach der Einschränkung der Einwilligung beantworten. Dies ist das Thema des nächsten Kapitels.

§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze A. Externe und interne Begründungen der Einwilligungsgrenze Die Grenze der Einwilligung ist eigentlich selbst ein Teil der Definition der Einwilligung. Die Definition des Begriffs hängt immer von der Begrenzung des Begriffs ab. Die Erörterung der Begrenzung bzw. der Einschränkung der Einwilligung ist daher nicht nur untrennbar mit der obigen Diskussion verbunden, sondern man kann sogar sagen, dass sie selbst nur eine Fortsetzung der obigen Darlegungen ist. Durch die Untersuchung der Gründe der Einwilligungsschranken zeigt sich die Verankerung des Einwilligungsbegriffs in unterschiedlichen Argumenten. Der Begriff der Grenzbegründung bezieht sich hier auf die objektiven Schranken der Einwilligung, die sich von den sog. subjektiven Schranken der Einwilligung wie Fehlen der Einwilligungsfähigkeit484 oder Vorhandensein von Willensmängeln485 unterscheiden.486 Auf subjektive Einschränkungen der Einwilligung wird hier nicht näher eingegangen. Die Erörterung der objektiven Schranken setzt demgegenüber eine willensmangelfrei im einwilligungsfähigen Zustand erteilte Einwilligung voraus. Es wird bei den folgenden Diskussionen also immer von willensmangelfreier Einwilligung ausgegangen. Das heißt, der Einwilligende muss über tatsächliche („natürliche“) Einsichts- und Urteilsfähigkeit zuzüglich der entsprechenden Steuerungsfähigkeit487 verfügen, damit er Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs voll zu erfassen und seinen Willen danach zu bestimmen imstande ist.488 Die Wirksamkeit der Einwilligung kann aber trotzdem aus unterschiedlichen „objektiven“ Gründen eingeschränkt sein. Nach herrschender Meinung handelt es sich in diesen Situationen um die Dispositionsbefugnis bzw. die Verfügbarkeit der betroffenen Rechtsgüter – eine Auffassung, gegen die die Autorin Einwände erheben wird. Im folgenden Text werden die Argumentationsweisen bei der Begründung objektiver Einwilligungsgrenzen in zwei Gruppen unterteilt: externe Begründungen 484 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525 ff., 821 ff.; ders., Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger in Grenzbereichen medizinischer Intervention, S. 8 ff. 485 Über Willensmängel vgl. Oldenburg NJW 66, 2133; BGH NJW 64, 1177; Rönnau, Willensmängel, 176 ff.; Küper, JZ 1986, 226. 486 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 9. 487 Rönnau LK-StGB, 12. Aufl., Vor §§ 32 Rn. 193. 488 Sch/Sch-StGB, 29. Aufl. Vor §§ 32 ff. Rn. 40. Diese Fähigkeit ist nach h.M. unabhängig von der Geschäftsfähigkeit und auch mit der Schuld- oder Deliktsfähigkeit nicht identisch.

A. Externe und interne Begründungen der Einwilligungsgrenze

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und interne Begründungen. Externe Begründungen sind solche, die sich nicht aus dem Begriff der Einwilligung bzw. der individuellen Selbstbestimmung ableiten, z. B. Argumente, die auf überindividuelle Interessen (untern B.I. und B.II.) oder einen absoluten, von dem Autonomieprinzip unabhängigen Wert (unten B.III.1.) abstellen; im Gegensatz dazu gehen interne Begründungen vom Einwilligungsbegriff aus, um seine Schranken zu begründen (B.III.2. und C.II.). Dass die thematisierten Begründungsweisen als extern und intern statt (wie oben) als kollektivistisch und individualistisch bezeichnet werden, liegt daran, dass das Argument für den absoluten Schutz des Lebens zwar als individualistischer Ansatz erscheint, aber eine externe Begründungsweise sein könnte. Die zu stellende Frage soll daher folgendermaßen lauten: Sollen der Grund und die Einschränkung der Einwilligung aus einer einheitlichen Wurzel wie dem Einwilligungsbegriff selbst hergeleitet werden, oder darf sich die Begrenzung der Einwilligung auf Gründe stützen, die der Einwilligung äußerlich sind? Das Verhältnis der Verwirklichung der Freiheit zum Leben des Menschen oder zu seiner greifbaren Existenz in der Welt – als apriorischer Voraussetzung der praktischen Freiheit und wichtigstem Material im Dasein des Vernunftwesens – ist der zentrale Gegenstand bei der Erörterung der Einwilligungsschranken. In der Erörterung der Einwilligung zeigt sich, dass, egal um welche Ansätze es sich handelt, der Einwilligung in die Verletzung des Lebens von jeher besondere Einschränkungen auferlegt werden. Als typisches Beispiel im positiven Recht verweist man häufig auf § 216 und § 228 StGB, insbesondere § 216. Die folgende Erörterung wird sich ebenfalls auf die dogmatischen Auslegungen dieser beiden Vorschriften, zumal von § 216 StGB, fokussieren, um die systematischen Ideen hinter den Auslegungen zu untersuchen. Es sollte hier im Voraus darauf hingewiesen werden, dass es, wenn man die Erhaltung des Lebens als eine Pflicht des Menschen zu begründen versucht, nicht nur um die Frage nach dem äußeren Verhältnis zum Dritten bzw. nach der Wirksamkeit der Einwilligung geht, sondern auch um die Frage nach dem Recht auf Suizid und der damit verbundenen Zulässigkeit der Sterbehilfe.489 Solange es um Selbstbestimmung 489 Tatsächlich ist die Erörterung der Tötung eines Einwilligenden oder Tötung auf Verlangen von jeher mit der Straflosigkeit des Selbstmordes eng verbunden. Dies kann aus dem Verhältnis beider Delikte in der Entwicklung des Strafrechts beobachtet werden. Zum historischen Zusammenhang der Tötung auf Verlangen mit der Selbsttötung vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 5 ff. Obwohl Selbstmord schon seit dem Mittelalter nicht mehr als Verbrechen angesehen ist, weil der Täter kein Recht des anderen verletzt, sei sie aber für „eine unsittliche Handlung“ zu halten, welche die öffentliche Sittlichkeit bedroht und insoweit staatliche Interessen berührt (Berner, Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes, S. 98). Demgegenüber wird Tötung auf Verlangen, anders als Selbstmord, Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord als strafbares Verbrechen behandelt, weil sie eine „Verletzung des allgemeinen Willens“ sei. (Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechtes, S. 99). Das PStGB von 1851 stellte die Tötung eines Einwilligenden sowie die Tötung auf Verlangen jeder strafbaren Tötung gleich, während es in der Praxis eine Neigung gab, sie als Teilnahme am Selbstmord aufzufassen und daher straflos zu lassen. In manchen Ländern galt Tötung eines Einwilligenden als ein eigenartiges,

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

geht, die an Leben als Verbindungspunkt anknüpft, betrifft die Diskussion stets auch die Frage der Selbstentleibung durch eigene oder fremde Hand. Daher wird in den folgenden Abschnitten auch das Selbsttötungsverbot behandelt.

B. Externe Grenzbegründungen I. Kollektivinteresse an Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen 1. Entwicklung der Argumente Die typische externe Begründung der Einwilligungsgrenzen stellt auf Argumente ab, die nicht von der einzelnen Person, sondern von Allgemeininteressen ausgehen. Der hier thematisierte Ansatz der Begründung von Einwilligungsgrenzen ist ein kollektivistischer Ansatz, der die einzelne Person als integralen Bestandteil des Ganzen490 ansieht und den Wert des Individuums nach Maßgabe des Selbsterhaltungsinteresses der Gemeinschaft und des daraus abgeleiteten Kollektivinteresses am Leben und der körperlichen Unversehrtheit beurteilt. Darin, dass die Gründe, die Zulässigkeit sowie der Anwendungsbereich der Einwilligung einfach in Form von empirischen Rechtsvorschriften bestimmt wurden, somit die Einwilligung im strafrechtlichen besonderen Teil statt im allgemeinen Teil behandelt werden sollte,491 spiegeln sich die Strömungen des Szientismus und Rechtspositivismus vom Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunmilder zu strafendes Verbrechen. Dem folgte das RStGB und stellte den Tatbestand des § 216 fest. Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechtes, S. 99. 490 Der Gedanke, dass der Einzelne ein Teil des Ganzen ist, gehört eigentlich nicht nur zu einem dem modernen liberalistischen Denken entgegengesetzten Absolutismus. Seine Wurzel lässt sich auf die Weltanschauung der Antike zurückführen, der zufolge das Individuum als Teil mit dem Gemeinwesen als Ganzen eine harmonische Einheit bildet. Platon, Politeia, 368e369a: „Die Seele erkennt sich im Staat und der Saat in die Seele; der Staat wird zu einem großen Menschen und die Seele zu einem kleinen Gemeinwesen.“ Vgl. auch Kersting, Politik und Recht, S. 113. Doch stehen das Einzelne und das Allgemeine theoretisch nicht in Konflikt, sondern in einer Beziehung gegenseitiger Bildung und Formung. Steht jeder Teil der menschlichen Seele im Einklang mit der natürlichen Seelenordnung, die „die Unterstützung der Vernunftherrschaft zur Aufgabe macht“, dann „befindet sich die Seele in Übereinstimmung mit sich selbst, dann bildet sie eine Einheit, dann ist der Mensch in sich selbst zu Hause und in Übereinstimmung mit sich selbst“. Die Heiligkeit des Gemeinwesens wurde im Mittelalter durch Gott ersetzt und verwandelte sich dann in das Interesse der sozialen Gemeinschaft und des Staats. Ein früher Naturrechtler wie Pufendorf hält die Selbsttötung für einen Sozialschaden, weil der Gemeinschaft ein ihr zugehöriges Glied entzogen werde. Die Selbsttötung sei als Sozialschaden anzusehen, es sei denn, dass sich der Selbstmörder mit seinem Tod „in größerem Ausmaß für andere einsetze“ (Pufendorf, über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, S. 60) und somit der Beitrag seines Todes zum Allgemeininteresse den Schaden quantitativ überwiege. Kubiciel, JA 2011, 87. 491 Oben § 1 C.II.

B. Externe Grenzbegründungen

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derts.492 Und dass die Argumente bei der Grenzbegründung der Einwilligung, die die Einwilligungsschranken aus der Nützlichkeit der einzelnen Person für das Ganze493 zu begründen versuchten, repräsentierte im Weiteren die damaligen Einflüsse aus Romantik und Historismus auf die Rechtswissenschaft.494 Es wurde argumentiert, dass keine Gemeinschaft ohne Existenz ihrer Mitglieder funktionieren könne. Das freiwillige Sterben einer großen Zahl von Individuen würde die Existenz der Gemeinschaft gefährden. Ein solcher Gedanke entspricht auch einem kollektiven Verbrechensbegriff, der im 19. Jahrhundert die Strafrechtswissenschaft beherrschte.495 Damit wurde verbrecherisches Verhalten als Verletzung des Rechts des Staats verstanden,496 und zwar unabhängig vom Willen des verletzten Einzelnen. Diese Sichtweise erschien nicht nur in den Argumenten eines einzelnen Wissenschaftlers, auch beschränkte sie sich nicht auf jene Schulen, die ohnehin für die Staatsmacht eintraten oder zum Absolutismus neigten. Auch Feuerbach hält – trotz der engen Verbindung seiner Rechtslehre mit dem liberalen Denken des subjektiven Rechts – Selbstmord klar für rechtswidrig,497 denn „wer in den Staat eintritt, verpflichtet dem Staat seine Kräfte“, und der Selbstmörder raube diese dem Staat eigenmächtig.498 In der frühen Nachkriegszeit fanden sich im Schrifttum noch oft Spuren dieses Ansatzes. Sauer definiert als Schutzgut des Tötungsdelikts „das menschliche Leben als das Zusammenwirken der organischen, leiblichen und seelischen Kräfte und Funktionen des Menschen“.499 Das menschliche Leben sei daher „zugleich ein Wesens- und Wert-Element des Volkslebens“.500 Kein einzelner Mensch habe die Dispositionsbefugnis über sein eigenes Leben. Jedes Individuum habe sein Leben

492

Vgl. Braun, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 14 ff. Verteten wurde etwa die folgende Auffassung: Da jede Gemeinschaft der Beförderung des gemeinsamen Bestehens diene, seien die einzelnen Gesellschaftsmitglieder in ihrer Summe als eine Gesamtperson zu betrachten und hätten demnach ein gemeinschaftliches Interesse. Wolff, Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit, S. 68 f., 172 ff. Durch die Störung der Wohlfahrt und Sicherheit des Bürgers werde der Staat auch mittelbar beschädigt. Gmelin, Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen, 1786, S. 22. Die Menschen als Bürger seien also lediglich als Glieder des Staatsganzen zu schützen. Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 93. 494 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 38 ff. 495 Vgl. oben § 1 C.I. 496 Hälschner, Preußisches Strafrecht Teil 2, S. 216. Vgl. auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 110. 497 Feuerbachs Begründung verweist auf Christian Wolff, nach dessen Lehre jeder Mensch zur Mitwirkung im „gemeinen Wesen“ verpflichtet sein soll. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 6. 498 Feuerbach, Lehrbuch, § 241. Vgl. auch oben, §1 C.II.1. Kersting, a.a.O., S. 116. 499 Sauer, System des Strafrechts BT, 1954, S. 253. 500 Sauer, System des Strafrechts BT, 1954, S. 253. 493

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

„zur Verfügung des Volksganzen zu halten, in dem es selbst nur ein Glied ist“.501 Nach diesem Verständnis wäre nicht nur die Tötung eines Einwilligenden, sondern auch Selbstmord „rechtswidrig, sozial- und kulturwidrig“.502 Nach Engisch503 lässt sich zur Begründung des § 216 StGB nur auf „das allgemeine Interesse der Rechtsordnung an der Erhaltung des Lebens der Rechtsgenossen“504 zurückgreifen. Schmidhäuser spricht bei der Erörterung der Strafbarkeit der Beteiligung am Selbstmord von einer Weiterlebenspflicht gegenüber der Gemeinschaft.505 Nach dieser Auffassung ist – folgerichtig durchgeführt – Selbsttötung ebenfalls unrecht.506 Eser507 spricht beim „Recht auf Tötung“ vom „fundamentale[n] Rang des Lebens […] in seiner konstitutiven Funktion für die menschliche Sozietät“ und hält den Lebensschutz für die Abwehr einer tendenziellen Selbstaufgabe der Gesellschaft.508 Heute scheinen diese Erörterungen der Einwilligung überholt zu sein, weil ihr geschichtlicher Hintergrund, dem diese kollektivistischen Argumente entstammten, nicht mehr gegeben ist. Der Ansatz als solcher ist jedoch nicht vollständig verschwunden, auch wenn das Argument nicht mehr in gleicher Schärfe wie im 19. oder beginnenden 20. Jahrhundert erscheint. Hirsch ordnet die Körperverletzungsdelikte als Verletzung der „Universalrechtsgüter“509 ein. Weigend vertritt die Auffassung, dass es beim generellen Verbot der eingewilligten Fremdtötung um „das Interesse an der Fortsetzung des sozialen Lebens“ gehe:510 „Da die Gesellschaft für ihre Existenz darauf angewiesen ist, daß ihre einzelnen Mitglieder physisch vorhanden sind, kann es sie nicht gleichgültig lassen, wenn sich einzelne ohne weiteres ins Jenseits verabschieden.“ Dieses Interesse der Gesellschaft an ihrem Fortbestand, auch wenn aus ihm eine Pflicht des Individuums zum Weiterleben nicht notwendig abzuleiten ist, „markiert aber immerhin den Ansatzpunkt, von dem aus sich strafrechtliche Beschränkungen ge-

501

Sauer, System des Strafrechts BT, 1954, S. 254. Sauer, System des Strafrechts BT, 1954, S. 254 (Herv. im Original). 503 Engisch, FS Mayer, S. 399 ff. 504 Engisch, FS Mayer, S. 412. Engisch spricht aber später auch von der Unantastbarkeit (dem Tabu) des fremden Menschen (S. 415). 505 Schmidhäuser, FS Welzel, S. 817: „wird eine solche Pflicht zum Weiterleben innerhalb der Gesellschaft auch ständig vorausgesetzt“, denn „[e]in Gemeinwesen, das sich selbst ernst nimmt, wird seine Existenz nicht in das Belieben aller einzelnen stellen können, sondern die Achtung vor dem Leben aller seiner Glieder auch gegenüber der Versuchung zum Selbstmord fordern müssen“. 506 Schmidhäuser, FS Welzel, S. 819. 507 Eser, Neues Recht des Sterbens?, 1976, S. 397. Dort wird aber auch von der individuellen Einmaligkeit für den betreffenden Menschen und der Tabuisierung des Lebens gesprochen. 508 Auch Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht, S. 133. 509 Hirsch, LK-StGB, Vor § 32 Rn. 105. 510 Weigend, ZStW 98 (1986), 66. 502

B. Externe Grenzbegründungen

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genüber dem dispositiven Aspekt des Rechtsguts Leben“511 begründen lassen. Noch viele Autoren betonen die „Einzigartigkeit des Rechtsguts Leben“, weil das menschliche Leben neben seiner besonderen Bedeutung für das Individuum auch „als Voraussetzung […] indirekt zugleich aller gemeinschaftlichen Rechtsgüter zu verstehen, da jede Menschengesellschaft per definitionem aus lebenden Menschen besteht“.512 Über das Individualinteresse eines jeden Einzelnen am Schutz seines Lebens hinaus bestehe also ein allgemeines Interesse der Rechtsgemeinschaft an der „Sicherung der Gesamtheit der Menschenleben“513 oder, mit Labers Worten, „der Achtung des Lebens aller Mitmenschen, das sich aus dem Selbsterhaltungsinteresse einer Gesellschaft ergibt, die sich selbst als überindividuelle Einheit definiert“.514 Arzt hält das „öffentliche Interesse“515 bei der Erörterung der Einwilligungsschranken vor Augen, obwohl er zugleich die Auffassung vertritt, dass der Wille des Opfers im Strafrecht eine umfassende Rolle spielen solle.516 Die gleiche Argumentationsweise ergibt sich auch in der Auslegung der „guten Sitten“ in § 228 StGB, nach der es ein gesamtgesellschaftliches Interesse an der Gesundheit des einzelnen Bürgers gibt.517 2. Kritik Der Rückgriff auf den kollektiven Wert bzw. die Fortexistenz des Gemeinwesens, um den Selbstbestimmungsraum bzw. die Dispositionsfreiheit des Einzelnen zu beschränken, ist von Anfang an auf Kritik gestoßen.518 Schon Berner lehnte ausdrücklich die Pflicht zum Weiterleben ab:519 „Das Individuum ist dem Staate und Anderen verpflichtet, solange es lebt; es ist ihnen aber nicht verpflichtet zu leben.“ Nach der Logik des Arguments, dass der Mensch sich gegenüber der Gemeinschaft zur Selbstaufrechterhaltung verpflichte, ist für die Schutzwürdigkeit von Leib und Leben letztlich ihre Funktion für die Bestandssicherung der Gemeinschaft maß-

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Weigend, ZStW 98 (1986), 66. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie, S. 173 f. 513 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 195. 514 Laber, Schutz des Lebens, S. 133. Vgl. auch Neumann, in: NK-StGB, § 216 Rn. 2. 515 Arzt, FS Geppert, 2011, S. 15. Dort scheint sich das Argument mehr aus kriminalpolitischer Perspektive zu ergeben. 516 Arzt, FS Geppert, S. 20; vgl. auch oben § 1 C.V.1. 517 Vgl. Jescheck/Weigend, AT § 34 III 2; Otto, FS Trödle, S. 169; Weigend, ZStW 98 (1986), 65; Sternberg-lieben, Die objektiven Schranken, S. 123 Anm. 256. 518 Vgl. Gallas, JZ 1960, 654; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 114 f.; Roxin, FS Dreher, S. 338; Maatsch, Selbstverfügung, S. 43 ff. 519 Berner, Lehrbuch, S. 98. Auch A. Kaufmann, in: FS Roxin, S. 851; vgl. auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 188 f., 522; Jakobs, GA 2003, 65; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 295. 512

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

geblich.520 Das heißt, jede Nutzung der Güter durch den Einzelnen stünde unter dem Vorbehalt, dass sie dem Bestandsinteresse der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Wenn man dieser Überlegung folgt, könnte die Konsequenz sein, dass ein Verbot der Auswanderung521 und gesundheitsgefährdender Verhaltensweisen und sogar eine sanktionsbewehrte Zeugungspflicht einzuführen wären, weil auch in diesen Fällen das Interesse der Gemeinschaft unmittelbar oder mittelbar durch die Entscheidung des Einzelnen bedroht ist.522 Darüber hinaus ist wohl noch zu bedenken, dass eine Argumentation, die den Wert des Lebens vom Nutzen des Individuums für das Ganze abhängig macht, umgekehrt zu dem Schluss führen könnte, dass das für die Gemeinschaft nutzlose Leben kein Lebensrecht mehr hätte.523 Eine der möglichen Konsequenz dieses Gedankens, nämlich dass der Staatsapparat das „wertlose“ Leben524 im großen Umfang vernichten dürfe, ist bereits in der Zeit des Nationalsozialismus wahr geworden. Es gibt auch Kritik aus verfassungsrechtlicher Perspektive. Die externe Begründung der Einwilligungsgrenzen könnte, wenn man dem herrschenden Rechts520

Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 133. Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 133. Vgl. auch Merkel, Früheuthanasie, S. 417. 522 Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 132 f. 523 Eigentlich liegt die Auffassung, dass der Wert individuellen Lebens nach dem Kriterium des Nutzens zu bewerten sei, bereits im Schrifttum der Antike vor. Platon spricht in seiner Politeia davon, dass ein Mensch, der „siech am Körper“ ist, nicht mehr behandelt werden sollte, man ihn also sterben lassen sollte, und dass der Staat einen Menschen, der „an der Seele missraten und unheilbar“ sei, sogar töten dürfe, weil die Bürger sowie die auf sie angewandte medizinische Behandlung nicht um des Menschen oder um des Einzelinteresses willen existieren, sondern nur im Dienst eines wohlgeordneten Staates stehen. Auch Aristoteles hält die Selbsttötung für „ein Unrecht“ gegen den Staat. Vgl. Platon, Politea, 409e/410a; Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1138a. 524 Das Wort findet sich in Binding/Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Leben, S. 26 f. In dem Aufsatz sprach Binding von „unwerte[m] Leben“ und sogar „Leben negativen Wertes“. Bei der Erörterung des „lebensunwerten Lebens“ folgt Binding einem normtheoretisch-dogmatischen Ansatz : Die Aufgabe der Norm bestehe im Rechtsgüterschutz; die Rechtsgüter hätten einen für ihren Träger und für die Gemeinschaft gesetzlich schutzwürdigen Wert; diese Werte könnten aber auch – und grundsätzlich abhängig vom Willen ihres Trägers – sowohl für ihren Träger als auch für die Gemeinschaft verlorengehen. Daher gebe es selbstverständlich lebende Menschen, „deren Tod für sie eine Erlösung und zugleich für die Gesellschaft und den Staat insbesondere eine Befreiung von einer Last ist, deren Tragung außer dem einen, ein Vorbild größter Selbstlosigkeit zu sein, nicht den kleinsten Nutzen stiftet“. Allerdings ist zu bemerken, dass der Aufsatz vor dem Hintergrund des Endes des Ersten Weltkriegs stand. Binding hatte die verletzten und verkrüppelten Opfer des Kriegs vor Augen. Deshalb betonte er zugleich, dass der Lebenswillen aller, auch der kränksten und gequältesten und nutzlosen Menschen, berücksichtigt werden sollte, was allerdings zu seiner eigenen Ansicht der scharfen Trennung des Rechtsguts von subjektiven Rechten im Widerspruch zu stehen scheint. Für Binding muss jede freie Fremdtötung als Erlösung des Opfers mindestens für das Opfer selbst empfunden werden. Wenn das Opfer, auch bei geistigen Behinderten oder Menschen, deren Leben Binding für „nutzlos“ hält, sich bei seinem Leben glücklich fühlt, könne von Freigabe seiner Tötung nie die Rede sein. 521

B. Externe Grenzbegründungen

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gutsdenken folgt, dem von Sternberg-Lieben vorgetragenen Einwand einer unzulässigen Rechtsgutsvertauschung525 begegnen, welche gegen das verfassungsrechtliche Prinzip des Parlamentsvorbehalt sowie den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) verstößt. Dieses Problem kann jedoch, wenn auch in der Praxis nicht so einfach wie in der Theorie, durch die Änderung des positiven Gesetzes gelöst werden. Denn die externe Argumentationsweise bestreitet nicht, dass zum Schutz von Drittinteressen die Einwilligung auch beim Delikt gegen Individualrechtsgüter eingeschränkt werden kann. Nach diesem Argument soll lediglich die Rechtsgutsvertauschung verboten werden, in der ein vom Gesetzgeber in das betroffene Delikt nicht einbezogene Gegenstand durch Belieben des Rechtsanwenders in die Vorschrift eingeführt wird; solange das Drittinteresse durch eine Parlamentsentscheidung oder formal widerspruchsfreie Interpretation als Schutzgegenstand in die Tatbestände der Vorschrift einbezogen wird, wie Sternberg-Lieben es bei § 216 StGB tut, liegen keine Bedenken mehr vor. Der wahre Grund für die Ablehnung dieser Argumentationsmethode ist letztlich der systematische Widerspruch sowohl zwischen dem von ihm befürworteten kollektiven Wert und seiner Argumentationsweise als auch zwischen ihr und der gesamten modernen freiheitlichen Rechtsordnung. Es ist nicht nur formale, sondern auch substantielle systematische Widerspruchsfreiheit gefordert. Maatsch526 weist zutreffend auf die Unklarheit des „moralische[n] Prä des Kollektivs vor dem Individuum“ hin: Entweder hieße dies (da auf den Erhalt der Gemeinschaft nur rekurrieren wird, wer nicht bereits das einzelne Subjekt für absolut werthaft hält), der Summe aus mehreren gleichartigen, für sich nur relativ bedeutenden Entitäten absoluten Wert zuzusprechen, was nicht ohne Weiteres einleuchtet; oder die Selbsterhaltungspflicht gegen das Gemeinwesen wird bloß unter der Voraussetzung behauptet, es dürfe sich niemand einer faktisch fortexistierenden Gesellschaft durch Selbsttötung entziehen; damit würde das Selbstverfügungsverbot vom auf Erhaltung des Kollektivs gerichteten Willen aller oder der meisten seiner Mitglieder abhängen und bliebe daher unklar. Mit den Prinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft bzw. eines freiheitlich-liberalen Rechtsverständnisses, das die Freiheiten ihrer Bürger gerade auch dort schützt, wo sich ihre Ausübung nicht als sozialnützlich erweist, ist die Ansicht, dass gegenüber dem Leben des Einzelnen das Staats- oder Gemeinschaftsinteresse im Vordergrund steht und sich daraus die Weiterlebenspflicht des Einzelnen herleitet, durchaus nicht vereinbar.527 Auch wenn wir anerkennen, dass das Menschenbild des Grundgesetzes „das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig ver525 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 512 ff.; ders., ZIS 7/2011, 595 ff.; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch, StGB, 29 Aufl., Vor § 32 Rn. 38a. Bei § 216 StGB befürwortet Sternberg-Lieben jedoch, dass die Vorschrift durch den Schutz von Drittinteressen legitimierbar sei. Ders., Die objektiven Schranken, S. 114 ff. 526 Maatsch, Selbstverfügung, S. 44. 527 Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 133; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 294; Merkel, Früheuthanasie, S. 413 f.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

pflichteten Persönlichkeit“528 ist, kann eine Pflicht zum Weiterleben oder sogar zur Lebensbeendung nicht gerechtfertigt werden. In der Tat braucht die Gemeinschaft ihre Mitglieder, um sich selbst zu konstituieren und funktionieren. Was eine Gemeinschaft ausmacht, ist jedoch nicht nur die physische Existenz ihrer Mitglieder, sondern die Einheit ihrer Verbindung mit dem selbstbestimmten Selbst.529 Dass die einzelne Person eine gemeinschaftsbezogene Identität hat und ihre freie Personalität erst in einer vom Staat garantierten Rechtsordnung verwirklichen kann, setzt immer voraus, dass der Staat sie auch als eine eigenständige Person anerkennt und ihr Selbstbestimmungsrecht respektiert. Diese Anerkennung der Autonomie bzw. der allgemeinen Freiheit ist gerade die Voraussetzung und Grundlage der Einschränkung der Freiheit. Erst aus der Herstellung allgemeiner Freiheit kann deren Einschränkung im Gegenseitigkeitsverhältnis legitimiert werden.530 Im Gegensatz dazu kann die auf den Erhalt der Gesellschaft bezogene Lebenserhaltungspflicht als Einschränkungsgrund selbstbestimmter Freiheit überhaupt nicht – auch nicht als ein Abwägungsfaktor – legitimiert werden.531

II. Das Tabuargument 1. Tötung als Tabu: Historischer Hintergrund Einem anderen oft vorgetragenen externen Argument liegt das Tötungstabu532 zugrunde, das eine tiefe geschichtliche und religiöse Wurzel hat. Das Tabu entstammt dem christlichen Gebot „Du sollst nicht töten“533 und bezieht sich nicht nur auf das Verbot der Fremdtötung, sondern auch auf das der Selbsttötung. Die jüdisch-christliche Tradition, in der das menschliche Leben Gott gehört, prägte über viele Jahrhunderte die Werte der westlichen Kultur und wirkte sich auch stark auf die Bildung der Weltanschauung der europäischen Rechtsgemeinschaft aus; sie kann auch in einem säkularen modernen Verfassungsstaat nicht ohne Weiteres aufgelöst werden.534 In dieser religiösen Tradition besitzt nur Gott die Verfü-

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Hirsch, in: FS Welzel, S. 786. BVerfGE 12 45 [51]; 28, 175 [189]. Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 115. 530 Murmann, Selbstverantwortung, S. 523. 531 Murmann, Selbstverantwortung, S. 522 f. 532 Vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 940; Dölling, GA 1984, S. 86; ders., FS Laufs, 2006, S. 767 ff.; Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 160 ff.; Herzberg, NJW 1996, 3047; Neumann/Saliger, in: NK-StGB, Bd. 2, 5. Aufl., § 216 Rn. 3; Roxin, AT 4. Aufl., § 13 Rn. 37; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 114 ff. 533 Ex. 20, 13; Dtn. 5, 17; das Tötungsverbot (Mordverbot) wird von Juden, Anglikanern und Reformierten als 6. Gebote, und von Katholiken und Lutheranern als 5. Gebote gezählt. 534 Göbel, Einwilligung, S. 40. 529

B. Externe Grenzbegründungen

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gungsbefugnis über das von ihm geschaffene menschliche Leben.535 Augustinus hat Stellung gegen die Selbsttötung bezogen und behauptet, „daß niemand freiwillig den Tod suchen darf, um zeitlicher Pein zu entgehen, er würde sonst der ewigen anheimfallen“.536 Die gleiche Meinung findet sich in den Werken Thomas von Aquins. Der Mensch lebt im Dienst Gottes, und seine Selbsttötung wird als „Sünde wider Gott“ verstanden, da „das Leben ein gewisses Geschenk ist, das göttlicherseits dem Menschen angewiesen und der Gewalt dessen untertan ist, der tötet und lebendig macht“.537 In der Neuzeit bleibt das Tötungstabu weiterhin erhalten, sein Inhalt hat sich jedoch allmählich verändert. Der überlieferte religiöse Objektivismus als Leitidee hat sich in einen rationalen und säkularen Subjektivismus verwandelt,538 worin sich auch eine Verwandlung der Weltanschauung widerspiegelt.539 Der Verstoß gegen das Selbsttötungsverbot, der früher als Sünde wider Gott angesehen wurde, ist als Beschädigung der Gemeinschaft und als Verletzung der Pflicht gegen sich selbst angesehen worden.540 Wie auch immer sich die Begründungsweise ändert – das christliche Tabu der Selbst- und Fremdtötung bleibt jedenfalls einflussreich.541 Bemerkenswert ist jedoch, dass trotz des Vorliegens des Tötungsverbots und anderer Formen der Sanktion542 die Selbsttötung von jeher straflos543 ist, während das 535 Obwohl die Selbsttötung zum Zweck des Martyriums in der Anfangszeit des Christentums nicht nur erlaubt war, sondern sogar hochgeschätzt wurde (vgl. Minois, History of Suicide: Voluntary Death in Western Culture, 54), hat sich die Bewertung der Selbsttötung im Christentum seit Augustinus geändert. 536 Augustinus, Vom Gottesstaat, Buch 1, Kap. 26, S. 46; vgl. auch a.a.O., Kap.17 ff. 537 Thomas von Aquin, Summe der Theologie III, Der Mensch und das Heil, Untersuchung, 5, Artikel, J. Bernhart (Hrsg.), 1985, S. 306. 538 Kubiciel, JA 2/2011, 87. 539 Vgl. Taylor, Quellen des Selbst, S. 235 ff., 262 ff. 540 Kubiciel, JA 2/2011, S. 87 f. 541 Vgl. Gallas, JZ 1960, S. 653; Dreher, MDR 52, S. 712. 542 Sanktionen für Selbsttötung befinden sich schon im 6. Jahrhundert im Kirchenrecht: Einem Selbstmörder war ein ehrenhaftes christliches Begräbnis zu verweigern. Auch keine Seelenmesse durfte für ihn gelesen werden und er musste ohne Fürbitten an einem unehrenhaften Orten beerdigt werden, d. h. ihm wurde das Begräbnis in geweihter Erde versagt. Im deutschen Recht z. B. der Carolina, der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. (1532), zeigt sich bei der Behandlung gegenüber der Selbsttötung die Tendenz, dass die Selbsttötung selbst zwar nicht als Straftat angesehen, das Vermögen des Selbstmörders aber konfisziert wurde, wenn der Selbstmörder „auß forcht solcher verschuldter straff sich selbst ertödt“ hatte (Art 135). Der Versuch der Selbsttötung blieb in der Strafpraxis bis ins 18. Jahrhundert hinein mit geringerem Gefängnis oder Verurteilung zu öffentlichen Arbeiten auf kurze Zeit sanktioniert; der Leichnam des Selbstmörders wurde durch ein sog. „Eselsbegräbnis“ entehrt. Siehe Lind, Selbstmord in der frühen Zeit, S. 26 ff.; Laskowski, Vom Sterben und Tod im Mittelalter. Über Selbstmörder, ungetaufte Totgeburten, Sterbehospize und Leprakranke, in: Moser/Sieprath (Hrsg.), Zwischen Leben und Tod, S. 73 ff., 76; Schlüter, Der „Algierer-Sklave“ und „Die Judenbuche“, S. 99; Schroeder (Hrsg.), Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V., S. 85 f.; Feuerbach, Lehrbuch, § 243.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

Verbot der eingewilligten Fremdtötung bzw. der Tötung auf Verlangen früh in das positive Recht aufgenommen wird.544 Das spannende Verhältnis zwischen der Straffreiheit der Selbsttötung und der Strafbarkeit der eingewilligten Fremdtötung lässt die Überzeugungskraft des Tabuarguments von vornherein nicht unproblematisch erscheinen.545 2. Das moderne Verständnis des Tötungstabus Das religiöse Motiv hat in einem modernen säkularen Staat keine hinreichende Begründungskraft mehr, um das Tötungstabu allein zu legitimieren.546 In der Begründungsweise wurde, wie dargelegt, das objektive religiöse Gebot von einer auf menschlicher Vernünftigkeit beruhenden subjektiven Überzeugung abgelöst. Einerseits hat sich die Behauptung, dass Gott der wirkliche Inhaber menschlichen Lebens sei und der Mensch auf sein Leben als Geschenk Gottes nicht verzichten könne, in die Idee der „Ehrfurcht vor dem Leben“547 oder der „das Tötungsverbot stabilisierenden allgemeinen Achtung des menschlichen Lebens“548 gewandelt; andererseits wird angesichts der differenzierenden Behandlung der Selbsttötung und Fremdtötung immer mehr auf die Präventionsfunktion des Tabus der Fremdtötung fokussiert (siehe unten § 4 B.III.). Das Tötungsverbot spiegelt sich heute positivrechtlich in § 216 StGB. Nach herrschender Meinung kommt in der Vorschrift das Prinzip der Unantastbarkeit fremden Lebens zum Ausdruck,549 und zwar der Bestandsschutz eines generellen Fremdtötungsverbots als Mittel zur Sicherung des Lebens aller Bürger vor ungewollter Fremdtötung.550 Aber wenn das Tötungstabu nicht mehr durch ein religiöses Motiv legitimiert werden kann, woraus wird diese Unantastbarkeit fremden Lebens oder diese Überzeugung des Fremdtötungsverbots dann hergeleitet? Eine Antwort auf diese Frage ist auf zweierlei Weise denkbar: Das Tötungstabu kann sich auf eine gemeinsame Überzeugung aller oder zumindest der meisten Mitglieder einer Gemeinschaft beziehen, dass etwas Schreckliches nicht geschehen soll, dass niemand ein Menschenleben auslöschen soll;551 es kann sich auch auf einen pragmatischen 543

Fischer, StGB, 65 Aufl., Vor §§ 211 – 217 Rn. 19. Seit Inkrafttreten im Jahr 1871 ist die Vorschrift § 216 inhaltlich grundsätzlich nicht verändert worden (bis auf den Strafrahmen und die Einführung der Versuchsstrafbarkeit am 29. 5. 1943). Heutiger Wortlaut und Strafrahmen stammen aus dem Jahr 1969. SSW-StGB/ Momsen, 3. Aufl., § 216 Rn. 1. 545 Vgl. Fischer, StGB § 211 – 217 Rn. 23 ff., 26; Eser/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, 29. Aufl., § 216 Rn. 1a. 546 Vgl. Neumann, FS Kühl, 2014, S. 576. 547 Engisch, FS Mayer, S. 412. 548 Neumann/Saliger, in: NK-StGB, Bd. 2, 5. Aufl., § 216 Rn. 1, 3. 549 Rengier, Strafrecht BT/2, Aufl., § 6 Rn. 1. 550 Eser/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, 29. Aufl., § 216 Rn. 1a. 551 Herzberg, NJW 1996, 3047. 544

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Zweck beziehen, d. h. das Tabu soll den Schutz des Lebens der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft vor einem Missbrauch der Selbstbestimmung verstärken. Der erste Fall wird zuerst erörtert. Hassemer definiert das Tabu als „normative gesellschaftliche Verständigung“:552 Eine rechtswirksame Einwilligung in den eigenen Tod dürfte in unserer derzeitigen Gesellschaft auf der Basis ihrer dargestellten normativen Verständigung nicht akzeptabel sein.553 Herzberg hält das Tötungstabu deutlich für „ein rein emotionales Interesse“554, das im deutschen Kulturkreis vorliege. Dieses Interesse an der Respektierung eines Tabus, selbst wenn die Tötung aus Mitleid und zur Erlösung eines hoffnungslos Leidenden auf dessen Verlangen hin erfolge, sei ein „reales und starkes“.555 Nach Duttge556 handelt es sich bei dem Tötungsverbot um „eine in Jahrtausenden gewachsene und gefestigte kulturelle Errungenschaft“, so dass der gezielte Verstoß gegen dieses Verbot „ganz elementar die Grundlagen eines jeden gesellschaftlichen Zusammenlebens“ berühre.557 3. Legitimationsdefizit des Tabuarguments Allein durch die subjektiven Prämissen der Mehrheit kann die Legitimität eines bestimmten Arguments für eine Verbotsnorm nicht begründet werden. Das allgemeine Interesse einer Gemeinschaft ist nicht einfach mit den subjektiven Präferenzen der Mitglieder der Gemeinschaft als identisch zu betrachten. Denn eine solche subjektive Präferenz kann sich aus rein irrationalem Grund ergeben.558 Auch Herzberg selbst räumt ein, ein solches Interesse sei „kaum überprüfbar“ und könnte bloß in „irrationalen Wünschen und Interessen“ bestehen.559 Zwar dürfen die Präferenzen sowie Emotionen der Gemeinschaftsmitglieder ihre konkreten Handlungen und damit mittelbar die Funktion der Gemeinschaft beeinflussen, da die Gemeinschaft sich durch ihre Mitglieder realisieren und reproduzieren muss; die subjektiven Prämissen der Mitglieder der Gemeinschaft sind jedoch allgemeinen Interessen nicht gleichgestellt, sondern sind höchstens Reflexionen anderer Interessen. Andernfalls würden die allgemeinen Interessen von subjektiven Vorlieben oder Abneigungen der

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Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 160 ff. Hassemer, a.a.O., S. 188 f. Hassemer spricht dort aber auch von der „Verhülltheit des Todes“, weil niemand die Bedeutung und Tragweite seines Todes voll erfassen können solle. Dieser Gesichtspunkt neigt dem paternalistischen Argument zu. Ähnliche Auffassung: Göbel, Einwilligung, S. 39 ff. 554 Herzberg, NJW 1996, 3047. 555 Herzberg, NJW 1996, 3047. 556 Duttge, GA 2001, 173. 557 Duttge, GA 2001, 173. 558 Engisch, FS Mayer, S. 412. 559 Herzberg, NJW 1996, 3047. 553

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einzelnen Mitglieder abhängen und damit einen Zustand der Unsicherheit konstituieren.560 Letztlich könnte es die Gefahr geben, ein Passepartout für die Inkriminierung jeglichen unerwünschten Verhaltens in der Hand zu halten.561 Mit einer solchen Interpretation des Tabus könnte die Mehrheitsentscheidung zu einem Kriterium für allgemeine Interessen erhöht werden oder einige andere herkömmliche Gewohnheiten könnten nach demselben Begründungsmuster als selbstverständlich akzeptiert werden, so dass der Einzelne seiner Handlungsfreiheit ohne Weiteres beraubt werden könnte. Für eine sich an Freiheit orientierende Rechtslehre und für eine dem Prinzip der weltanschaulichen Neutralität verpflichtete Rechtsordnung ist eine Argumentationsweise, die allein aus den Prämissen der Mehrheit, eventuell aus religiösen Motiven, die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens zu begründen versucht, nicht akzeptabel.562 Eine mögliche Verteidigung des Tabuarguments lautet: Das Tabu soll nicht rein subjektive Prämissen oder Überzeugungen der meisten Mitglieder einer Gemeinschaft schützen, sondern den objektiven Zustand einer Gesellschaft, der auf den sich aus solchen Überzeugungen ergebenden sozialen Normen563 beruht. Diese sozialen Normen ergeben sich aus der stabilen selbstbestimmten Verhaltenspraxis jedes Mitglieds der Gesellschaft. Die Stabilität der normativen Praxis einer Gesellschaft kann tatsächlich ein allgemeines Interesse sein. Im Tötungstabu zeigt sich in diesem Sinne die Norm der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, was heißt, dass andere Personen als der Einwilligende vor einer Abwertung ihres Lebens564 bzw. davor, dass die Wertschätzung des Lebens in der sozialethischen Anschauung der Bevölkerung insgesamt abnimmt,565 geschützt werden sollen. Eigentlich gilt, wie Hoerster zeigt, in jeder bislang bekannten menschlichen Gesellschaft ein mit massiven Sanktionen bewehrtes generelles Tötungsverbot, das jedenfalls im Innenbereich der Gesellschaft gilt und von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Prägung unabhängig ist.566 Aus einer pragmatischen Perspektive kann eine solche auf Tabu beruhende soziale Norm für die Gemeinschaft und jede Person darin vorteilhaft sein.567 Vor dem Hintergrund des staatlichen Massenmordes wird das Tabuargument ebenfalls in 560

Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 519. Rönnau, Willensmängel, S. 164. 562 Vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 23; Neumann, FS Kühl, 2014, S. 576. 563 Tötungstabu als soziale Normen, vgl. Hoerster, Moralbegründung ohne Metaphysik, in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft 7/2003, S. 30. 564 Amelung/Eymann, JuS 2001, 940. 565 Dölling, GA 1984, 87. 566 Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 25. 567 Hoerster, Moralbegründung ohne Metaphysik, in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft 7/ 2003, S. 25; ders., Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 24 f. Zweifel daran bei Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 296. 561

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gewisser Weise plausibel.568 Hier geht es aber nicht um das Legitimitätsproblem staatlicher Maßnahmen, sondern um Handlungen des einzelnen Bürgers, die sich gegen ihn selbst richten. Soll das Tötungstabu dabei noch eine Rolle spielen? Oder vielmehr ist die Frage zu stellen: Verstößt jede Art der Tötung ausnahmslos gegen das Tötungstabu? Zu dieser Frage lässt sich in der sozialen Praxis bereits feststellen, dass nicht alle Tötungen nach sozialem Konsens unerlaubt sind. Unter bestimmten Voraussetzungen, z. B. Notwehr (§ 32 StGB),569 kann die Tötung gerechtfertigt sein. Im Strafrecht wird nach h.M. selten die Straflosigkeit der einverständlichen Selbstgefährdung bestritten. Auch die Selbsttötung sowie die Beteiligung570 daran bleiben von jeher tatbestandslos. Begleitet von der Zulässigkeit der schmerzlindernden Behandlung mit tödlicher Nebenwirkung und davon, dass die freie Verfügung der Patienten (vgl. § 1901a BGB) zunehmend hochgeschätzt wird,571 ist die Grenze, die die erlaubte indirekt-aktive von der verbotenen direkt-aktiven Sterbehilfe trennt, eigentlich dünner als sie scheint.572 Weshalb in diesen Fällen das Tötungstabu unberührt bleibt und bei der Tötung auf Verlangen hingegen erschüttert wird, erscheint nicht nachvollziehbar.573 Gegen die Einwände lässt sich zur Verteidigung vorbringen, dass es im verfassungsrechtlich erlaubten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt, zu entscheiden, ab wann und in welchen Fallgruppen er das Fremdtötungstabu als besonders schutzwürdig ansieht und einer strafrechtlichen Sanktion unterziehen möchte.574 Murmann formuliert:575 „Der bloße Umstand, dass man mit rationalen Argumenten auch zu einer anderen Einschätzung hätte kommen können, besagt nichts gegen die Zulässigkeit einer getroffenen Regelung, wenn die ihr zugrundeliegenden Einschätzungen und Wertungen nicht unvertretbar sind.“ Durch eine 568 Auch die grundlegende Berücksichtigung des Lebenswillens wurde in der Zeit des Nationalsozialismus suspendiert. In der bekannten „Aktion T4“ wurden mehr als 70.000 körperlich oder geistig behinderte Menschen ermordet. Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 109 ff. 569 Vgl. Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 136; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 226. 570 Der Legitimationsgrund des im Jahr 2015 in Kraft getretenen § 217 StGB ist immer noch umstritten. Vgl. Berghäuser, ZStW 128, 2016, 741 ff.; Kubiciel, ZIS 2016, 396 ff.; Kuli, ZStW 129 (2017), 691 ff.; Roxin, NStZ 2016, 185 ff.; Weigend/Hoven, ZIS 2016, 681 ff. 571 Die Anforderung an die strikte Beachtung der Patientenautonomie bei ärztlichen Behandlungen steht auch vor dem Hintergrund der Dunkelzeit der Menschenrechte im Dritten Reich. Vgl. Schöne-Seiffert, Einführung in die Medizinethik, S. 15 ff.; Kubiciel, JA 2/2011, S. 89. 572 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 228. Vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 41 ff. 573 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 226. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19. 574 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 298; vgl. auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 120; Herzberg, NJW 1996, 3047. 575 Murmann, Selbstverantwortung, S. 521.

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solche Verteidigung wird der Streit jedoch lediglich in die Diskussion de lege ferenda verschoben.576 Ob das Tötungstabu wirklich durch Tötung auf Verlangen oder aktive Sterbehilfe berührt wird, bleibt unklar. Auch wenn sich erweist, dass die Sozialordnung durch das Tötungstabu wesentlich stabilisiert wird und durch Enttabuisierung erschüttert werden könnte, ist noch eine weitere Frage zu stellen: Ist diese Sozialordnung begründbar oder überhaupt legitimierbar? Wie oben erörtert, kann eine solche Ordnung jedenfalls nicht allein dadurch legitimiert werden, dass sie auf den subjektiven Prämissen der meisten Mitglieder der Gemeinschaft basiert. Das heißt, auch wenn sich wirklich ein ethisches Tötungsverbot feststellen ließe, könnte dieses als bloß ethisch und nicht strikt rechtlich zu begründende Pflicht ohnehin keine Relevanz für die Bestimmung des (Ausmaßes des) Unrechts haben.577 Derselbe Zweifel trifft auch die Rechtsbegründung des § 228 StGB. Da die schwere Körperverletzung als konkrete Gefahr des Lebens anzusehen ist, steht die Beschränkung der Einwilligung in § 228 StGB ebenfalls in gewisser Weise im Zusammenhang mit dem Tötungstabu. Für eine freiheitlich verfasste Rechtsordnung lässt sich das Körpertabu nicht durch die Anforderung der Kulturstaaten578 begründen, dass nicht in jede Körperverletzung, sei sie noch so schwerwiegend, strafbefreiend eingewilligt werden könne. Eine ethisch-sittliche Pflicht muss durch eine an das einzelne Rechtssubjekt gebundene Idee, nämlich durch die Idee der Freiheit, begründet werden. Diese Bemühung zeigt sich in Jakobs’ Auslegung der sittenwidrigen Körperverletzung, insofern er § 228 StGB als ein Delikt gegen die allgemein bestimmten Interessen bzw. die Interessen der Allgemeinheit an Sittlichkeit oder Verständigkeit579 versteht. Interesse oder Sittlichkeit bedeuten für ihn Folgendes: Die Freiheit, über seine Rechte zu verfügen, solle nicht wegen der möglichen Extreme dieser Freiheit in Frage gestellt werden können, und deshalb würden die Extreme als abstrakt freiheitsbedrohend verboten.580 Es gebe nämlich die abstrakte Gefahr, dass der nur-subjektive Verstand die an objektive Verständigkeit gebundene Freiheit in Misskredit bringe.581 Diese Überlegung leitet zu einer anderen Begründungsweise des Tabuarguments hin, die auf die Gefahr des Missbrauchs und des „Dammbruchs“ abstellt (siehe unten). Diese Argumentation muss ernst genommen werden.

576 577 578 579 580 581

Murmann, Selbstverantwortung, S. 521. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 296. Hirsch, FS Welzel, S. 798. Jakobs, FS Schroeder, 2006, S. 518. Krit. Hirsch, FS Amelung, 2009, S. 187 ff., 191. Jakobs, FS Schroeder, S. 518. Jakobs, FS Schroeder, S. 519.

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III. Die Gefahr des Missbrauchs und das Dammbruchargument 1. Der Hintergrund des Arguments Dieses ursprünglich auch aus dem Tötungstabu entwickelte Argument der Einwilligungsschranken zielt auf eine generalpräventive Funktion. Es hat den Zweck, objektive Gefahren zu vermeiden, die damit verbunden sind, dass die einzelne Person über ihr Leben oder ihren Körper willkürlich verfügt. Diese Gefahren sind unter zwei Aspekten gegeben. Zum einen gibt es das Risiko eines Missbrauchs bzw. Beweisschwierigkeiten, insbesondere besteht die Gefahr, dass Menschen unter dem Deckmantel einer scheinbaren Einwilligung in Wirklichkeit ohne ihre Zustimmung getötet oder schwer verletzt werden.582 Das zweite Argument ist das Dammbruchargument und bezieht sich auf das „Risiko des nächsten Schrittes“.583 Denkbar sei nämlich, dass bei zunehmender Zahl der Fälle aktiver Sterbehilfe die Einwilligung des Sterbenden ersetzt werde, sei es durch die Einwilligung der Eltern, sei es durch die staatlicher Organe.584 Dieses Argument lässt sich nicht einfach beiseitelegen. Denn das Argument geht zwar vom Tötungstabu aus und scheint einen pragmatischen Zweck zu haben; ihm liegt aber der Schutz der freien Entscheidung des Betroffenen zugrunde. Könnte diese Argumentation also eine interne Begründung sein? Das erste Argument scheint auf den ersten Blick nicht überzeugend; denn das Tötungsverbot scheint lediglich in eher vordergründig-pragmatischen Erwägungen zu gründen.585 Das Argument ist tatsächlich auch bereits auf viel Kritik gestoßen. Zuerst scheint es, dass es in der Praxis selten vorkommt, dass sich die Verteidigung gegen eine Anklage wegen Mordes oder Totschlags auf ein Verlangen des Verletzten als beruft.586 Zweitens sind die Missbrauchsgefahren und Schwierigkeiten der Beweisführung eher ein allgemeines Problem, das oftmals mit rechtlichen Regelungen einhergeht.587 Dies kann als inhärentes Risiko des strafprozessrechtlichen Grundsatzes In dubio pro reo angesehen werden. Es wird auch oft argumentiert, dass durch die Tatbestandsmerkmale des § 216 StGB, und zwar „das ausdrückliche und ernstliche Verlangen“, die Missbrauchsmöglichkeit schon berücksichtigt sei.588 Weshalb diese Gefahr bei der Tötung auf Verlangen trotzdem von besonderer Be582 Engländer, Grund und Grenze der Nothilfe, S. 134 f.; Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 378; Schroeder, ZStW 106 (1994), 570. Vgl. auch Wilhelm v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 154. 583 Hirsch, FS Welzel, S. 790 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 118. 584 Hirsch, FS Welzel, S. 790 f. 585 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 298. 586 Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 135. Diesem Einwand ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Tötung auf Verlangen laut § 216 StGB nicht erst bestraft wird, wenn der Täter sich zu Unrecht auf ein Verlangen des Opfers beruft, sondern schon strafbar ist, wenn der Täter sich in tatbestandsmäßiger Weise verhalten hat. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 524. 587 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 297. 588 v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 677 f.

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deutung ist, während sie bei anderen Umständen, vor allem bei Selbstgefährdung, akzeptabel erscheint, ist erklärungsbedürftig. Die Einzigartigkeit des menschlichen Lebens und ihre Begründung wird im nächsten Abschnitt erörtert. Hier wird zunächst die potenzielle Gefahr des Missbrauchs thematisiert. Berücksichtigt man das obige zweite Argument, und zwar das Schiefe-Ebene-Argument, erscheint die Gefahr tatsächlich beachtenswert. Hier kann der Entwicklungstrend in anderen Ländern,589 insbesondere den Niederlanden und Belgien, nicht ignoriert werden. In den Niederlanden, wo die Sterbehilfe seit 2002 durch Art. 293 des Strafgesetzbuches590 geregelt ist, hat sich die Anzahl der gemeldeten Sterbehilfefälle in 15 Jahren mehr als verdreifacht591 und beträgt mehr als 6.000.592 Die meisten Sterbehilfemeldungen betrafen Patienten im Alter von 70 bis 80 Jahren (1.831 Fälle, 30,1 %), gefolgt von den Alterskategorien 80 bis 90 Jahre (1487 Fälle, 24,4 %) und 60 bis 70 Jahre (1408 Fälle, 23,1 %).593 Mehr als 80 % bzw. 4.000 davon litten an einer unheilbaren Krebserkrankung.594 Auffallend ist das Verhältnis der Lebensbeendigung auf Verlangen zur Hilfe bei der Selbsttötung: In 5856 Fällen (gut 96 %) ging es um Lebensbeendigung auf Verlangen, in 216 Fällen (3,5 %) um Hilfe bei der Selbsttötung und in 19 Fällen (0,3 %) um eine Kombination aus beiden.595 Die Situation in Belgien ist ähnlich wie in den Niederlanden.596 Nach der Gesetzesänderung im Jahr 2005 ist die Sterbehilfe seitens des Arztes nicht mehr strafbar. Die Anzahl der Fälle aktiver Sterbehilfe ist auch in den vergangenen Jahren gestiegen.597 Den Angaben der Föderalen Kontroll- und Evaluationskommission Sterbehilfe (FCEE) zufolge erhielten drei Minderjährige mit 9, 11 bzw. 17 Jahren in den Jahren 2016 und 2017 aktive Sterbehilfe.598 589

Zur Regelung der Sterbehilfe in Italien, vgl. Donini, ZStW, 2016, S. 3 ff.; zur Regelung im Vereinigten Königreich vgl. Sanders., ZStW 128 (2016), S. 49 ff.; zur Regelung in Österreich vgl. Bruckmüller, ZStW 128 (2016), S. 89 ff. 590 Für eine detaillierte Einführung in den Inhalt des Gesetzes vgl. Jacob, Aktive Sterbehilfe, S. 86 ff.; Mackor, Sterbehilfe in den Niederlanden, ZStW 128 (2016), S. 25 ff.; Schreiber, FS Rudolphi, S. 546 ff.; LK-Jähnke, Vor § 211 Rn. 14. 591 Jahresberichte der Regionalen Kontrollkommissionen für Sterbehilfe, Fallzahlen bei Eurostat und eigene Berechnungen. 592 Im Jahr 2017 ist die Zahl der Fälle aktiver Sterbehilfe um 8 Prozent auf 6.585 angestiegen. 593 Jahresbericht 2016 der Regionalen Kommissionen zur Sterbehilfe-Kontrolle (RTE), S. 15. 594 A.a.O., S. 12. 595 A.a.O., S. 11. 596 Die detaillierteren Regelungen im belgischen Gesetz vgl. Jacob, Aktive Sterbehilfe, S. 141 ff.; Schreiber, FS Rudolphi, S. 548 f. 597 2017 hatten 2.309 Menschen aktive Sterbehilfe in Anspruch genommen. Siehe: https:// www.sterbehilfe-debatte.de/neues/aktuell-2018/27-07-18-kommissionsbericht-sterbehilfe-zah len-belgien-2016-2017/. 598 Verwandter Bericht: „27.07.18: Neuer Kommissionsbericht: Steigende SterbehilfeZahlen in Belgien 2016/2017“, unter: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/belgien-seit-

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2. Die Gründe des Dammbrucharguments Die obigen Daten, insbesondere die über den Anstieg der Fallzahlen bei der aktiven Sterbehilfe, müssen freilich mit Vorsicht interpretiert werden. Voreilig wäre jedenfalls der Schluss, dass der Anstieg in Belgien und in den Niederlanden selbstverständlich mit der Entkriminalisierung der Lebensbeendigung auf Verlangen zusammenhängen müsse. Dieser Trend einer zunehmenden Häufigkeit der Sterbehilfe spiegelt jedoch mittelbar wider, dass die Bedenken der Vertreter des Dammbrucharguments nicht völlig grundlos sind. Die Bedenken bestehen darin, dass der Einwilligende übermäßig gedrängt und damit Entscheidungen unter externem Druck herbeigeführt werden könnten.599 Es könnten sich sogar Fälle ergeben, in denen den Betroffenen, zumal alten und kranken Menschen, keine Alternative bleibe, als die Tötung zu verlangen, obwohl sie eigentlich weiterleben wollen. Für sie könnte die umfassende rechtliche Zulässigkeit der Lebensbeendigung auf Verlangen einen „Einladungseffekt“600 haben. Die Einwilligungsgrenze sei daher zur Stabilisierung des Tötungsverbots erforderlich, um andere als den Einwilligenden vor „einer Abwertung ihres Lebens“601 zu schützen. Denn wenn der Tod eines Menschen nicht so ernst genommen werde und damit die Sterbehilfe zu einem „Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung“ geworden wäre, könnten alte und/oder kranke Menschen sich dadurch zu einem assistierten Suizid verleitet oder gar direkt oder indirekt gedrängt fühlen.602 Auf der anderen Seite ist es auch ein zu berücksichtigendes Problem, dass für Alte und Kranken eine billige Lösung durch Sterbehilfe angeboten werden dürfte, wenn die medizinische Pflege und soziale Betreuung älterer Menschen in der Gesellschaft nicht ausreichend ist. Die 2015 verabschiedete strafrechtliche Regelung zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Sterbehilfe (§ 217 StGB)603 könnte teilweise auch als Reaktion auf dieses Bedenken angesehen werden. Selbst wenn wir alle möglichen Hintergründe des Trends berücksichtigen,604 ist die Möglichkeit des Missbrauchs immerhin gegeben, nämlich in dem Sinne, dass alle Hintergründe eine soziale Atmosphäre bilden, die zu einer Verselbständigung eines Prozesses führen, in dem der Wert menschlichen Lebens nach und nach zu einem Faktor bloß wirtschaftlicher Erwägungen wird. Nach dieser Überlegung muss sich fuenf-jahren-duerfen-auch-kinder-sterbehilfe-in-anspruch-nehmen-a-1252812.html [abgerufen am 15. 9. 2019]. 599 Vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, S. 20; auch Pawlik, Unrecht des Bürgers, S. 228. 600 Hirsch, FS Lackner, S. 617 f.; vgl. auch Tröndle, ZStW 99 (1987), 39 f. 601 Vgl. Amelung/Eymann, Jus 2001, 940. 602 Vgl. BT-Dr. 18/5373, S. 2. 603 Ausführliche Erörterungen über § 217 StGB, vgl. Eibach, ZfL 2016, 16 ff.; ders., ZStW 129 (2017), 448 ff.; Kubiciel, ZIS 2016, 369 ff.; Kuhli, ZStW129 (2017), 691 ff.; Roxin, NStZ 2016, 185. 604 Vgl. Jahresbericht 2016 der Regionalen Kommissionen zur Sterbehilfe-Kontrolle (RTE), S. 5.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

die Einschränkung der Selbstbestimmung des Verletzten auf eine generalpräventive Erwägung stützen.605 Es ist denkbar, dass solche Zweifel zu einer fortdauernden Diskussion über die Frage aktiver Sterbehilfe auf rechtspolitischer Ebene führen werden. 3. Legitimationsdefizit des Dammbrucharguments Zwar ist das Dammbruch- bzw. Schiefe- Ebene-Argument für die Diskussion de lege ferenda von Bedeutung; um die strafrechtliche Einschränkung der Einwilligung des Verletzten zu begründen, reicht es jedoch nicht aus. Die Frage ist nun, ob das Argument ein hinreichender Grund dafür ist, die abstrakte Gefahr durch eine rechtliche Einschränkung der Einwilligung abzuwenden. Die Missbrauchsmöglichkeit kann man gewiss nicht übersehen; auch das SchiefeEbene-Argument lässt sich nicht ohne Weiteres als unbegründet abweisen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob man dieses Risiko durch die strafrechtliche Beschränkung der individuellen Selbstbestimmung zur eigenen Lebensbeendigung oder schweren Körperverletzung verringern darf, während in der gegenwärtigen Praxis die Schmerzlinderung mit tödlicher Nebenwirkung akzeptabel erscheint. Auch der vom Patienten gewollte Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung, einschließlich der „passiven Sterbehilfe durch aktives Tun“, ist seit dem Fuldaer Fall606 vom BGH als gerechtfertigt anerkannt. Tatsächlich verändern sich in der sozialen Praxis Inhalte, Umfang und Bedeutsamkeit der Tabus. Keine strafrechtliche Regelung kann diese Veränderung aufhalten. Das Tötungsverbot als ein Tabu wird, sofern es überhaupt fortexistiert, keineswegs durch irgendeine Strafe oder Sanktion begründet oder gebildet; und wenn das Tötungsverbot heute schon nicht mehr als unzerbrechliches Tabu erscheint, ist das Strafrecht auch nicht in der Lage, das Tabu weiter zu bewahren oder wiederherzustellen. Ein strafrechtliches Verbot zum Schutz eines Tabus, das der an die Gegenwart anknüpfenden sozialen Wirklichkeit zuwiderläuft, kann kaum Erfolg haben.607 Ein solches Verbot wird „am Ende auch nur wollen“.608 Darüber hinaus bleibt die durch ein so interpretiertes Tötungstabu und mit Blick auf eine abstrakte Gefahr begründete rechtliche Einschränkung der Einwilligung eine externe Begründung, da sie sich stets auf ein öffentliches Interesse stützt, das außerhalb der Selbstbestimmung der betroffenen Person steht und von ihrer Freiheit abgelöst ist. Das Tötungs- oder Körperverletzungsverbot schütze mithin nicht die konkrete Person, die die Selbstentscheidung trifft (weil die Person schon in die Verletzung eingewilligt hat),609 sondern das „Leben der Mitmenschen“,610 was un605 606 607 608 609 610

Fischer, StGB, 65. Aufl., § 216 Rn. 3. BGH 2 StR 454/09. Kubiciel, JZ 12/2009, 602. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 229. Jakobs, FS Schroeder, S. 518. Hirsch, FS Lackner, S. 612.

B. Externe Grenzbegründungen

131

abhängig vom Verletzungseinverständnis ist. Es stützt sich also auf eine abstrakte soziale Verbindlichkeit. Die Selbstentscheidung bzw. die Einwilligung des Verletzten würden für die Strafbarkeit des Verhaltens lediglich als kontingente Bedingungen611 erscheinen. In einer freiheitlich begründeten Rechtsordnung, in der die einzelne Person als freies, auf sich gestelltes Rechtssubjekt612 konstitutiv vorausgesetzt ist, steht jeder Person aber grundsätzlich offen, ihr Rechtsverhältnis zum Außenstehenden autonom umzugestalten,613 auch wenn dies ungewöhnlich scheint oder der willkürlichen Zweckverfolgung614 dient. Die rechtliche Verbindlichkeit, die der Einzelne gegenüber der Gemeinschaft hat, muss durch ihren Bezug auf die Freiheitssphäre des Einzelnen begründet werden615 und lässt sich nicht auf die reine Aufrechterhaltung des sozialen Tabus ausdehnen. Kurz zusammengefasst: Zwar ist die einzelne Person immer sozialen Bindungen unterworfen; diese Bindungen dürfen aber nicht so weit reichen, dass man dem Einzelnen die Kosten der Tabuisierung auferlegt. Die rechtliche Einschränkung der Einwilligung ist daher allein durch die Tabuisierung nicht begründbar.

IV. Absolute Schutzwürdigkeit des Rechtsguts Leben? Der Ansatz des absoluten Schutzes des Lebens besagt, dass das Leben selbst unabhängig sowohl von dem Lebensgefühl und Lebensinteresse des Einzelnen als auch von der Wertschätzung, welche die Gemeinschaft dem Leben des Einzelnen als sozialer Funktion entgegenbringt, absolut geschützt werden sollte.616 Dieses Argument erscheint prima facie wie eine interne Begründung, weil es nicht direkt von Drittinteressen, sondern von der notwendigen Bedingung für die Existenz des Einwilligenden, dem Leben, ausgeht. Analysiert man jedoch weiter den Inhalt des Arguments, lässt sich feststellen, dass die meisten Argumente für den absoluten Schutz des Lebens auf äußerlichen Gründen beruhen und daher externe Begründungen bleiben.

611

Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 42. Über das Menschenbild in der heutigen Rechtsordnung, zumal in der Verfassung, vgl. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 58 f. 613 Murmann, Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 200 f.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 296. 614 Vgl. Jakobs, FS Schroeder, S. 514. 615 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 113. 616 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 1 Rn. 5 ff.; vgl. auch Wessels/ Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 2; Laber, Schutz des Lebens, S. 115 ff., 135. 612

132

§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

1. Heiligkeit menschlichen Lebens? Einer der einfachsten Gründe für den absoluten Schutz menschlichen Lebens ist der Rekurs auf die Absolutheit oder die „Heiligkeit“ des Lebens.617 Die sog. Heiligkeit ist jedoch nur eine leere Behauptung oder ein austauschbares Wort für Unverletzlichkeit,618 welche ihrerseits weiter begründet werden muss. Wenn man diese Heiligkeit oder Unverzichtbarkeit menschlichen Lebens nicht weiter begründet, wird es auch misslingen, daraus den Umfang und die Grenzen der Selbstverfügungsbefugnis des Einzelnen abzuleiten. Wie das Tötungstabu hat die Heiligkeit des Lebens religiösen Ursprung und dementsprechend Gnadencharakter in dem Sinne, dass menschliches Leben eine „Gabe der Liebe Gottes“ sei.619 Nach jüdisch-christlicher Tradition komme dem Menschen Gottebenbildlichkeit zu,620 d. h. Gott habe den Menschen nach seinem Bilde erschaffen, so dass jedes einzelne menschliche Wesen ein Abbild Gottes sei.621 In der Gabe des Lebens und nur in ihr liege seine „wahre Würde“.622 Die Gabe des Lebens sei „ein bleibendes Ja Gottes zum Menschen“, und daher stehe nur Gott selbst die Entscheidung zu, ob sein Ja zum Leben revidiert wird.623 Der Mensch als „Träger“ der Würde dürfe sich nicht selbst zum Gott, zum Herrn über Leben und Tod überhöhen.624 Obwohl die Grundlage dieser religiösen Weltanschauung sich im Spätmittelalter allmählich aufzulösen begann,625 hinterließ die Unverzichtbarkeit menschlichen Lebens ihre Spuren noch in der Naturrechtslehre. Die Menschenwürde wird in diesem Sinne als Element des Naturrechts angesehen und hat immer noch eine starke religiöse Färbung.626 Für den Naturrechtler Pufendorf ist Selbsterhaltung daher die wichtigste von Gott vorgesehene Pflicht des Einzelnen gegen sich selbst.627 Gleich dem Tabuargument hat diese religiöse Überzeugung in einem modernen säkularen Staat ihre Begründungskraft verloren. Es braucht also andere Ansätze, um jene „Unverletzlichkeit“ menschlichen Lebens, die die frühere „Heiligkeit“ ersetzt, zu begründen. Geht man aber von dem Glauben an die Unverletzlichkeit des Lebens aus,628 und zwar von dem Gedanken, dass die Mehrheit der Mitglieder einer Ge617

Rilinger, GA 1997, 420 ff. Vgl. Dworkin, Die Grenzen des Lebens, S. 108. 619 Rilinger, GA 1997, 420; Hauck, GA 2012, 209. 620 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 91 ff. 621 Vgl. Dworkin, Die Grenzen des Lebens, S. 119; Antoine, Sterbehilfe, S. 93. 622 Rilinger, GA 1997, 420 f. 623 Rilinger, GA 1997, 421. 624 Rilinger, GA 1997, 420. 625 Vlg. Kubiciel, JA 2/2011, 87. 626 Rilinger, GA 1997, 420. Es ist jedoch erwähnenswert, dass in dieser Zeit die höchste, heilige Position Gottes allmählich auf die Gemeinschaft überging. Vgl. Kubiciel, JA 2/2011, 87. 627 Vgl. Pufendorf, Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, hrsg. v. Klaus Luik, 1991, S. 61. 628 Vgl. Dworkin, Die Grenzen des Lebens, S. 146. 618

B. Externe Grenzbegründungen

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meinschaft, egal aus welchem Grund, das menschliche Leben für unantastbar oder unverzichtbar halten, ähnelt das Argument dem Tabuisierungsargument und wäre entsprechend zu problematisieren.629 Im Folgenden beschränkt sich die Erörterung daher auf andere Begründungsweisen. 2. Verfassungsrechtlicher Schutz des Lebens? Der Rekurs auf das Grundgesetz ist ein verbreiteter Ansatz, nach dem das Leben das wichtigste Grundrecht sei.630 Im Grundgesetz wird jedoch weder die Absolutheit menschlichen Lebens ausdrücklich geregelt noch das Verhältnis zwischen Leben und Selbstbestimmung deutlich erklärt. Wie man aus den Grundrechten die Unveräußerlichkeit des eigenen Lebens ableiten könnte, erscheint fraglich. Schroeder631 führt direkt Art. 2 Abs. 2 GG bzw. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit an und hält dieses für ein unverletzliches und unveräußerliches Menschenrechte nach Art. 1 Abs. 2 GG. Rilinger632 und Antoine633 verbinden den Wert menschlichen Lebens mit der Möglichkeit zur Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG und interpretieren den Verzicht auf das eigene Leben als Verstoß gegen die Menschenwürde in Art. 1 GG. Nach dieser Meinung wäre nicht nur die Tötung auf Verlangen oder die Tötung eines Einwilligenden, sondern auch die Selbsttötung sowie jede Beteiligung daran unrecht.634 Ein solcher Ansatz missversteht allerdings wohl sowohl die Konnotation des Rechts auf Leben als auch die der Menschenwürde. Zuerst ist der Begriff der Menschenwürde selbst weiter zu interpretieren635. Es ist gefährlich, einen so abstrakten Begriff wie Menschenwürde direkt als Begründung für die Bewahrung eines konkreten Gegenstandes wie des menschlichen Lebens anzuführen. Ansonst könnte man diesen abstrakten Begriff beliebig mit Gegenständen verbinden, die man als wichtig schützen möchte. Es ist also nicht verwunderlich, dass sowohl die Befürworter als auch die Gegner von lebensverkürzenden Maßnahmen gleichermaßen auf Menschenwürde und Humanität zurückgreifen.636 Auch erscheint es fragwürdig, mit dem Recht auf Leben in Art. 2 Abs. 2 GG die Unverfügbarkeit des eigenen Lebens zu 629

Siehe oben § 4 B.III. Vgl. BVerfGE 39, 1, 39: „Jedes menschliche Leben“ ist „als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden“; BVerfGE 115, 118, 158: „Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz.“ 631 Schroeder, ZStW 1994, S. 573 f.; vgl. auch Arthur Kaufmann, FS Roxin, 2001, S. 841. 632 Rilinger, GA 1997, 419. 633 Antoine, Sterbehilfe, S. 232 ff. 634 Antoine, Sterbehilfe, S. 233. 635 Zur Geschichte und zum Begriffswandel des Menschenwürdekonzepts vgl. Czeguhn, in: Hilgendorf (Hrsg.), Menschenwürde und Demütigung, S. 9 ff. 636 Ähnliche Kritik, vgl. Duttge, GA 2001, 159 f. 630

134

§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

begründen. Zwar begründen die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach herrschender Meinung nicht nur Abwehrrechte637 gegen die Beeinträchtigung durch staatliche Maßnahmen, sondern auch Schutzpflichten638 des Staates, Leben und Leib der Bürgers vor rechtswidrigen Angriffen Dritter zu schützen; es ist aber zweifelhaft, ob durch dieses Recht die rechtliche, zumal strafrechtliche Pflicht des Einzelnen gegen sich selbst zu begründen ist.639 Der Ansatz übersieht, wie Grünewald zutreffend bemerkt hat,640 dass die einzelne Person vielmehr lediglich im äußeren Verhältnis zu anderen Personen verpflichtet ist, sich rechtens zu verhalten, mehr nicht. Da der Staat „um des Menschen willen da“641 ist, muss, wenn man behauptet, dass die verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates auch den einzelnen Bürger vor sich selbst schützen müsse (ob die Behauptung begründbar ist oder nicht), diese Schutzpflicht zumindest von der konkreten persönlichen Freiheit oder der langfristigen Wohlfahrt des Einzelnen ausgehen, darf aber nicht auf den abstrakten Wert menschlichen Lebens zurückgreifen, der vom Rechtssubjekt abgelöst ist. Mit anderen Worten: Das Leben oder die körperliche Unversehrtheit selbst, die von dem Einzelnen unabhängig sind, können nicht Gegenstand der Schutzpflicht des Staats sein.642 Wenn der sog. Schutz des Einzelnen vor sich selbst aber nicht den absoluten Schutz des Lebens bedeutet, sondern sich auf den Schutz der Freiwilligkeit oder Wohlfahrt des Einzelnen bezieht, d. h. darauf abzielt, den Einzelnen vor der irreversiblen Verletzung durch seine eigene irrationale Entscheidung zu schützen, ist das Kernargument des Ansatzes nicht mehr das Argument des absoluten Lebensschutzes, sondern das Argument des Schutzes vor falschen/übereilten Entscheidung. Dieser Ansatz wird später in der folgenden Erörterung der internen Begründung der Einwilligungsgrenzen behandelt. Außerdem besteht das Problem dieser Auffassung darin, dass die Einwilligung und das Prinzip der Autonomie dahinter auf eines der Grundrechte (allgemeine Handlungsfreiheit) reduziert würde und nicht in die Grundlage aller Grundrechte eingebunden wäre. Demzufolge wären die Grundrechte nicht mehr eng mit dem geschützten Rechtssubjekt verbunden, sondern würden in einzelne, isolierte Güter zerlegt, die unabhängig von seinem Subjekt abgewogen werden dürften. Außerdem enthält die Verfassung eigentlich keine Rangordnung der Grundrechte.643 Das Grundgesetz setzt vielmehr nur einen abstrakten Rahmen für staatliche Maßnahmen.

637

Vgl. Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 312. Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflicht, S. 231. 639 Vgl. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 147. 640 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 295. 641 Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 4; ders., ZStW 6 (1886), 673; ders., ZStW 8 (1888), 138 ff. 642 Dagegen Laber, Schutz des Lebens, S. 116. 643 Vgl. Kubiciel, JA 2011, 89; Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe, S. 118. 638

B. Externe Grenzbegründungen

135

Das vage humanistische Menschenbild im Grundgesetz644 kann kein Kriterium für Einzelfragen im Strafrecht liefern. Konzeptionen wie Menschenwürde und Menschenrechte können als Argumente sowohl für als auch gegen lebensverkürzende Maßnahmen in Anspruch genommen werden. Die Auslegung der Grundrechte muss jedenfalls immer das Rechtssubjekt als Einheit in den Vordergrund stellen. Das Rechtssubjekt in einer freien Verfassung ist in erster Linie ein freies, vernünftiges Subjekt, und seine Freiheit ist in seiner Autonomie verkörpert. Will das Subjekt seine Selbstbestimmung verwirklichen, muss es sich zwar auf seine physische Existenz in der Realität verlassen; aber diese Existenz ist kein reines Objekt, das seinem Willen entgegengesetzt und damit abgewogen werden kann. Der freie Wille und seine physische Existenz sind eine untrennbare Einheit, also gibt es keine Reihenfolge zwischen den beiden. 3. Die Einzigartigkeit menschlichen Lebens? Neben dem Versuch, den absoluten Charakter des Lebensschutzes aus religiösen Quellen oder verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu begründen, gibt es auch Ansichten, die von der sachlichen Natur des Lebens, und zwar von dessen Einzigartigkeit auszugehen versuchen, um den absoluten Lebensschutzes zu begründen. Ein oft vorgetragener Gesichtspunkt ist, dass das Leben „die biologische Basis der Existenz als Rechtssubjekt, seine Erhaltung damit die notwendige Voraussetzung für die Zuordnung von Rechtsgütern überhaupt“645 darstelle; seine Verletzung sei mit der Beschädigung anderer Rechtsgüter nicht vergleichbar, weil mit seiner Vernichtung zugleich die Basis für jeden weiteren Freiheitsgebrauch vernichtet werde.646 Die Interessenverletzung durch Tötung sei daher einzigartig gravierend.647 Dass das Leben die logische Voraussetzung des Genusses sämtlicher sonstigen individuellen Rechtsgüter und Befriedigungen ist, kann die Bedeutsamkeit des Lebens in gewisser Hinsicht erklären; allerdings ist diese Bedeutsamkeit nicht als mit Unverletzlichkeit oder Unveräußerlichkeit identisch zu betrachten. Dass das Leben das wichtigste Recht ist, erklärt nicht, weshalb das Leben nicht durch die Zustimmung des Rechtsinhabers aufgegeben werden darf; dass die Lebensverletzung die gravierendste Verletzung gegen Menschen ist, beantwortet auch nicht die Frage, ob es bei Tötung auf Verlangen überhaupt eine Verletzung des Lebensinteresses gibt. Hier fehlt nämlich ein wichtiger Argumentationsschritt, der theoretisch bzw. logisch die Verbindung zwischen der physischen Existenz als notwendiger Bedingung des einzelnen Subjekts und ihrer Unverletzlichkeit herstellt. Zu diesem Punkt ist die 644

Über das Menschenbild im Grundgesetz vgl. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 58 ff. 645 Neumann, FS Kühl 2014, S. 571; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 173; Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 30. 646 Antoine, Sterbehilfe, S. 289. 647 Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 30 f.

136

§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

Argumentation Köhlers648 die vollständigste und schlüssigste. Köhlers Argumentation beruht jedoch eigentlich nicht so sehr auf der Natur des Lebens, sondern vielmehr auf den Bedingungen des Freiheitsgebrauchs.649 Daher handelt es sich hier tatsächlich um eine Argumentationsweise unter der Leitung der Freiheitsidee, die den Versuch unternimmt, die Einschränkung der Selbstbestimmung des Einzelnen auf die Anwendungsbedingungen der Freiheit zu gründen. Nach dem oben aufgestellten Einstufungskriterium ist dies eine interne Grenzbegründung. Dementsprechend wird sie erst im nächsten Abschnitt besprochen. Eine ähnliche Argumentationsweise mit Bezugnahme auf die Einzigartigkeit menschlichen Lebens ist der Rekurs auf die Irreversibilität650 des Lebensverlusts. Anders als im Falle solcher Individualgüter wie beweglichen Eigentums oder Teilen von Körperorganen, deren Verlust auf die eine oder andere Weise bzw. bis zu einem gewissen Grade kompensiert werden kann, gibt es im Fall einer Tötung keine Gelegenheit zur Widerherstellung.651 Die Beeinträchtigung des Lebens ist „schlechthin irreversibel und auch nicht ansatzweise kompensierbar“.652 Außerdem sei das Leben aufgrund der „Verhülltheit des Todes“653 von anderen Individualgütern unterschieden. Weil das Leben uns nur so wenig seiner Geheimnisse enthülle,654 werde „niemand Bedeutung und Tragweite seines Todes voll erfassen können“;655 für die Rechtsordnung sei daher eine Verzichtsentscheidung nicht akzeptabel, „wenn das Gut, auf das verzichtet wird, dem Verzichtenden in seiner Bedeutung ungreifbar und unverstehbar geblieben ist“.656 Allerdings kann weder die Unwiderruflichkeit des Lebensverlusts noch die Verhülltheit des Lebens mit der Absolutheit oder Unveräußerlichkeit des Lebens gleichgesetzt werden. Der Verlust der Keuschheit ist ebenfalls irreversibel,657 in einer freiheitlich begründeten Rechtsgemeinschaft hält sie aber heute niemand für unverzichtbar. Auch hat die einzelne Person, die ihre Entscheidung trifft, niemals wirklich genügend Informationen in der Hand. Wir können immer nur Entschei648

Ausführlich siehe unten § 4 C.I. Vgl. Höffe, Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 220. 650 Antoine, Sternehilfe; Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte, S. 132 f.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 174; Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 30 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 412; früher schon Dürig, AöR 81, S. 153. 651 Vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 30 f. 652 Neumann, FS Kühl, S. 571. 653 Vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 186; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 174. 654 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 174. 655 Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 186. 656 Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 186. 657 Selbst wenn das Jungfernhäutchen heute durch medizinische Technologie rekonstruiert werden kann, sollten diejenigen, die sexuelle Erfahrungen gemacht haben, die Bedeutung der Keuschheit in den Köpfen mancher Konservativen nicht mehr befriedigen können. 649

B. Externe Grenzbegründungen

137

dungen mit begrenzten Informationen treffen.658 Ein die rechtliche Wirksamkeit einer Entscheidung beeinträchtigender Mangel besteht aber nur, wenn notwendige Informationen für die Entscheidungsbildung fehlen.659 Man darf seine Ersparnisse ausgeben und einen Kaufvertrag für ein Haus abschließen, auch wenn man die zukünftige Ausrichtung des Immobilienmarktes nicht versteht; man darf sich entscheiden, an einem gefährlichen Autorennen teilzunehmen oder als Beifahrer mitzufahren;660 ein Patient darf auch eine lebensverlängernde Behandlung ablehnen; man darf rechtlich sogar sich selbst töten, auch wenn der Tod stets ein „verhülltes Phänomen“ bleibt. Wenn eine Person die alltägliche Bedeutung des Todes versteht und auch die Unwiderruflichkeit des Todes kennt, wie könnte man dann in einem säkularen Staat behaupten, der Einzelne habe kein Verständnis von dem Phänomen Tod und seine Entscheidung, sein eigenes Leben zu beenden, sei daher unwirksam? Freilich lassen sich Einwände vorbringen: Die Wirksamkeit der Selbstbestimmung bei einer Fremdgefährdung ist noch umstritten;661 im Fall der Selbsttötung besteht eine natürliche Hemmung als lebensschützende Sperre, sodass die Selbsttötung von der Fremdtötung unterschieden werden kann;662 gerade wegen des fundamentalen Charakters menschlichen Lebens für allen anderen Freiheitsgebrauch und wegen der Unumkehrbarkeit der Entscheidung, das Leben aufzugeben, ist „die Verhülltheit des Todes“ für die Entscheidung zur Lebensbeendigung von Bedeutung. Vereinfacht dargestellt hat die Entscheidung, das eigene Leben aufzugeben, eine höhere Schwelle als andere Entscheidungen. Nach dieser Interpretation liegt der Grund der Unveräußerlichkeit des Lebens eigentlich darin, dass der Entscheidende wegen der Irreversibilität des Lebensverzichts nicht mehr umkehren kann und auch jede Möglichkeit zu anderen freien Entscheidungen verlieren wird. Der Verzicht auf das Leben ist wie das Aufgeben der Möglichkeit allen Freiheitsgebrauchs in der Zukunft und führt dadurch eine irreversible Verletzung der Selbstentscheidungsfreiheit herbei. Durch die Entscheidung zur Lebensbeendigung setzt der Einzelne also „in Freiheit seiner Freiheit ein Ende“.663 Dieses Argument betont die Bedeutung des Lebens für die persönliche Freiheit und ist eigentlich eine interne Begründungsweise. Mit anderen Worten: Es ist nicht als Argument des absoluten Lebensschutzes zu betrachten, sondern als Argument der Anwendungsbedingungen der persönlichen Freiheit.

658

Vgl. Murmann, FS Yamanaka, S. 297. Zum Beispiel benötigt ein Patient für die Entscheidung, ob er eine bestimmte Operation vornehmen lässt, Informationen über das konkrete Risiko der Behandlung sowie die Existenz von Behandlungsalternativen. Vgl. Abrecht, Die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht, S. 542 f. 660 Vgl. BGH VRS 17, 277; aber BGHSt 53, 55 (62 f.). 661 Vgl. BGHSt 53, 55 (62 f.); Hauck, GA 2012, 202 ff., 214 ff. 662 Engisch, FS Mayer, S. 412. 663 Höffe, Kritik der Freiheit, S. 69. 659

138

§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

4. Vermeidung der Instrumentalisierung des Lebens? Es gibt auch eine Auffassung, in welcher versucht wird, den absoluten Lebensschutz dadurch zu begründen, dass die Anerkennung des Eigenwerts des Lebens helfen kann, die Instrumentalisierung des Lebens zu vermeiden.664 Bei der Abschaffung der Todesstrafe, dem Verbot einer Vernichtung von lebensunwertem Leben sowie der Verhinderung einer differenzierenden Beurteilung menschlichen Lebens nach eugenischen, politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Kriterien spielt die Hervorhebung des Lebenswerts ebenfalls eine wichtige Rolle.665 Durch die pragmatische Funktion des Lebensschutzes im politischen Bereich oder eine Diskussion de lege ferenda den absoluten Charakter des Lebens zu fundieren, erscheint aber nicht überzeugend. Es ist ein circulus vitiosus, wenn man einerseits mit dem Argument des absoluten Lebensschutzes die Abschaffung der Todesstrafe oder das Unrecht der Vernichtung lebensunwerten Lebens fundiert, andererseits aber durch diese kriminalpolitischen Änderungen den absoluten Lebensschutz begründen will. Warum das Leben absolut ist, bleibt unerklärt. Und es ist auch widersprüchlich, den unabhängigen Eigenwert des Lebens hervorzuheben, um einen bestimmten Zweck, z. B. die Abschaffung von Folter oder Todesstrafe, zu erreichen. Denn wenn die Betonung der Absolutheit des Lebens nur darauf gerichtet ist, bestimmte Zwecke zu erreichen, ist dies gerade eine Relativierung und Instrumentalisierung des Lebens. Wenn man für den Nutzen aller die „Kosten“ der Einwilligungssperre dem einzelnen Sterbenden auferlegt, wird das Argument des absoluten Lebensschutzes, ähnlich wie das Tötungstabu und das Dammbruchargument, ein utilitaristisches Argument, das die Grenze zur Unmenschlichkeit überschreitet.666 Die Lebensgarantie im Grundgesetz repräsentiert ja ein nicht-utilitaristisches, menschenorientiertes Denken,667 dem zufolge das Menschenleben unabhängig von religiöser Sozialisation oder ethnischer Zugehörigkeit, politischen Überzeugungen und dem Geistes- und Gesundheitszustand zu schützen ist.668 Dieses Denken kann den einzelnen Menschen vor staatlichen Eingriffen oder Lebensbedrohungen seitens eines Dritten schützen. Aber hier ist die Frage zu stellen, ob man durch diese Hervorhebung menschlichen Lebens die Entscheidung des Einzelnen zum Verzicht auf 664

Vgl. Rilinger, GA 1997, 421. Antoine, Sterbehilfe, S. 166; vgl. auch Laber, Schutz des Lebens, S. 115. 666 Merkel, FS Schroeder, S. 321. 667 Was hingegen die Heiligkeit oder Absolutheit des Lebens als ein utilitaristisches Argument angeht (Rilinger, GA 1997, S. 423; vgl. auch Hoerster, in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft 7/2003, S. 28 ff.), ist dieses Argument nicht nur widersprüchlich, sondern auch ein Begründungsversuch, der scheitern muss. Würde sich eines Tages erweisen, dass die Menschheit nicht vom absoluten Lebensschutz, sondern von der Relativierung des Lebens profitiert und dadurch die Zukunft der Gattung garantiert (und vor dem Hintergrund der Entwicklung der Eugenik und der Explosion der Erdbevölkerung scheint diese Hypothese nicht ganz unsinnig), würde nicht nur der Grundsatz des absoluten Lebensschutzes nicht mehr gelten, sondern sogar ins Gegenteil gehen: Das lebensunwerte Leben sollte vernichtet werden. 668 Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 235. 665

C. Interne Grenzbegründung

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sein eigenes Leben einschränken darf. Das Argument des Lebensschutzes kann darauf wohl keine zufriedenstellende Antwort geben. 5. Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der absolute Lebensschutz oder die Unverletzlichkeit des Lebens die Einwilligungsschranken nicht zu begründen vermögen. Denn alle Argumente, die sich auf den Lebensschutz berufen, weisen entweder argumentative Defizite auf oder sind tatsächlich in eine andere Begründungsweise einzustufen, die nicht von der Unverletzlichkeit des Lebens ausgeht. Empirisch gesprochen hat es einen absoluten rechtlichen Lebensschutz nie gegeben.669 In der Rechtsordnung gibt es bereits zahlreiche Ausnahmen vom Lebensschutz.670 Theoretisch gesprochen legt der Ansatz irrtümlich den Akzent auf die physische Existenz der Person und übersieht, dass diese physische Existenz mit der einzelnen Person als Subjekt verbunden werden muss. Die Einzigartigkeit des Menschen besteht nicht in seiner natürlichen Existenz, auch wenn diese natürliche Existenz einen Platz auf der Erde und die Gewährleistung der eigenen Fortexistenz bis zu ihrem natürlichen Ende fordert.671 Diese Einzigartigkeit besteht vielmehr darin, dass der Mensch ein Rechtssubjekt ist, welches das Vermögen hat, Rechte zu genießen und Pflichten zu erfüllen. Mit anderen Worten, wenn etwas, das dem Menschen innewohnt, absolut schutzwürdig ist, dann kommt es weder aus der Heiligkeit des physischen Lebens noch sollte es nur aus „unser aller Glaube an die Heiligkeit des Lebens“672 selbst kommen, noch aus der kulturellen Praxis dieses Glaubens in der langen menschlichen Geschichte, sondern es kommt vielmehr aus der Subjektivität des Menschen, durch die der Mensch als Subjekt fähig ist, an die Heiligkeit des Lebens zu glauben und sie in seinem kulturellen Leben zu praktizieren. Diese Fähigkeit spiegelt sich im äußeren Verhalten einzelner Subjekte wider und bildet sowohl die Grundlage der Einwilligung als auch ihre Grenzen.

C. Interne Grenzbegründung Wie oben erwähnt, sind die externen Grenzbegründungen für die Selbstbestimmung entweder unhaltbar oder sie sind in Wirklichkeit interne Grenzbegründungen. Die interne Begründung ist diejenige Begründungsweise, die vom Einwilligungsbegriff selbst ausgeht, um dessen Reichweite festzustellen. Dabei ist auf die oben erläuterten Rechtsgründe der Einwilligung zurückzugreifen. Um die rechtliche 669 Arthur Kaufmann, FS Roxin, 2001, S. 852; Neumann, FS Kühl, 2014, S. 583; früher bereits Stratenwerth, Sterbehilfe, ZStrR 95 (1978), 77 f. 670 Kaufmann, FS Roxin, S. 843 ff. 671 Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 30 f. 672 Dworkin, Die Grenzen des Lebens, S. 146.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

Einwilligungsgrenze intern begründen zu können, muss man zuerst die Grundlage der Einwilligung ebenfalls intern begründen. Der Ausgangspunkt der internen Begründung der Einwilligung kann kein anderer sein als die auf dem einzelnen Willen beruhende individuelle Selbstbestimmung. Denn es geht bei der Einwilligung immer um den Willen des Einwilligenden; durch Einwilligung wird eine „Einheit des verletzenden und verletzten Willens“673 gebildet. Ein Wille, der zum Ausdruck gebracht wird, entspricht immer einem Subjekt, dem dieser Wille zukommt. Dies ist die freie einzelne Person. Sprechen wir von dem Einwilligungsbegriff, wird tatsächlich bereits das Subjekt, das die Einwilligung erteilt, vorausgesetzt. Erst wenn man weder von Interessen des Ganzen noch von abstrakten Tabus noch von Gegenständen wie Leib oder Leben, die vom autonomen Subjekt abgetrennt wären, sondern gerade von diesem autonomen Subjekt ausgeht, das nach seinem Willen eine Einwilligung erteilen kann, kann man die Grundlage sowie die Einschränkung der Einwilligung intern begründen. Die Einwilligung ist eine Art äußerlichen Ausdrucks der Selbstbestimmung des besonderen Willens.674 Die Schranken der Einwilligung stellen auch die Schranken der Selbstbestimmung dar. Versteht man die durch Einwilligung dargestellte Selbstbestimmung als das Recht zur Umgestaltung des rechtlichen Verhältnisses zwischen Einwilligendem und Außenstehendem, bezieht das Selbstbestimmungsrecht seine Legitimation allein aus seiner freiheitssichernden Leistung und ist folglich auch in seiner Ordnungsfunktion durch diese begrenzt.675

I. Köhlers Ansatz: Selbstverfügungsverbot aufgrund der Selbstzweckformel als Rechtspflicht gegen sich selbst 1. Pflicht gegen sich selbst aus Gründen der Vernunft Die Selbstentleibung als Verletzung der Pflicht gegen sich selbst entsteht ursprünglich aus dem naturrechtlichen Denken des späten Mittelalters,676 das sich auf einem jüdisch-christlichen Hintergrund entfaltet. In der Neuzeit versuchten die Aufklärungsphilosophen zunächst, für diese Pflicht gegen sich selbst eine vernünftige Grundlage zu finden. So lässt sich das Selbstverfügungsverbot in der Tugendlehre Kants finden.677 Zwar geht dieser Gedanke ebenfalls von der Besonderheit 673

Klee, GA 1901, S. 179. Köhler, Strafrecht AT, S. 243. 675 Murmann, Selbstverantwortung, S. 201. 676 Vgl. Pufendorf, Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, hrsg. v. Klaus Luik, 1991, S. 61; auch oben § 4 B.IV.2. 677 Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 423: „Das Subject der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponiren, heißt die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) abwürdigen, der noch der Mensch (homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertrauet war.“ Vgl. auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 9 ff. 674

C. Interne Grenzbegründung

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des Lebens aus, und die Selbstpflicht zur Selbsterhaltung hat noch eine religiöse Färbung;678 tatsächlich hat Kant aber schon das religiöse Gebot, das sich ursprünglich an Gott orientiert, in ein Gesetz verwandelt, das auf dem Individuum beruht. Kant hat mit anderen Worten die Pflicht gegen sich selbst vernünftig begründet. Allerdings scheint es zuerst schwierig, allein durch diese Selbstpflicht das Selbstverfügungsverbot oder die Einschränkung der Zustimmung in die Verletzung des Lebens zu begründen. Denn die Pflicht ist Kant zufolge eine Tugendpflicht, nicht aber eine Rechtspflicht. Sie sollte sich nur auf das Verhältnis zu sich selbst beschränken und nicht auf das Verhältnis zu einer dritten Person. Der Selbstmord ist mithin nicht unrecht, weil es kein Rechtsverhältnis zwischen dem Menschen und sich selbst gibt.679 Der Verstoß gegen die Pflicht betrifft ausschließlich ihn selbst.680 Das intersubjektive Verhältnis basiert hingegen im Prinzip nur auf der Verallgemeinerbarkeit der Maximen:681 „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz werde.“ Das Recht ist „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.682 Warum und wie diese Pflicht auch als Rechtspflicht angenommen werden kann, ist begründungsbedürftig. Eine erfolgreiche Übertragung von Kants philosophischem Gedankengang in eine strafrechtswissenschaftliche Darlegung stellt Köhlers Ansatz dar. Anders als viele Theoretiker, die sich auf dogmatische Begründungen konzentrieren, versucht Köhler, auf der Basis von Kants allgemeinem Rechtsgesetz eine Begründung der Einwilligungsgrenzen zu entwickeln, die in dieser Hinsicht folgerichtig widerspruchsfrei erscheint und in Einklang mit der Grundlage des Einwilligungsbegriffs selbst steht. Köhler683 bemüht sich nämlich darum, die Frage nach dem Übergang von der Tugendpflicht zur Rechtspflicht zu klären und damit die Schranken der Einwilligung zu begründen. Auch wenn das Leben im Vergleich zu anderen Rechten noch einen besonderen Status hat, liegt dies nicht in der Natur menschlichen Lebens, sondern begründet sich aus der immanenten Verbindung zwischen Leben und Rechtssubjekt. Nicht am Leben selbst, sondern am lebenden, selbstbestimmten Subjekt konstituiert sich die Grenze der Selbstbestimmung. Dieses Argument ist daher eine interne Grenzbegründung und als solche erwähnenswert. 678

Vgl. Kubiciel, JZ 12/2009, 604. Dieselbe Ansicht findet sich auch in den Darlegungen von Hegelianern im 19. Jahrhundert. Vgl. Berner, Lehrbuch, S. 98; Hälschner, Preußisches Strafrecht Teil 2, S. 241; ders., Preußisches Strafrecht Teil 3, S. 65; Köstlin, System des deutschen Strafrechts, S. 99, 104; Abegg, Untersuchungen aus dem Gebiete der Strafrechtswissenschaft, S. 72 ff.; ders., Lehrbuch der Strafrechts-Wissenschaft, S. 162. Vgl. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 295. 680 Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß, S. 162. 681 Kant, Metaphysik der Sitten, AA IV, 421. 682 Kant, AA VI, 230. 683 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 425 ff., 436. Maatsch, Selbstverfügung, S. 145 ff. 679

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

In seiner Erörterung der Einschränkung der Selbstverfügung über das eigene Leben hebt Köhler auch den Unterschied zwischen der Pflicht gegen sich selbst und der Pflicht gegen andere Person hervor.684 Wie dargetan, unterscheidet Köhler gemäß Kants Rechtslehre Rechtspflicht und Moralpflicht. Will man die Pflicht gegen sich selbst auch als eine Rechtspflicht erweisen, sind zwei Arbeitsschritte zu vollziehen. Erstens muss man eine Brücke zwischen Moral und Recht herstellen, sodass die Selbstzweckhaftigkeit nicht nur als Inhalt einer Tugendpflicht, sondern auch einer Rechtspflicht gelten kann.685 Bei dieser Frage handelt es sich um die Legitimation der Selbstzweckformel, nämlich um die Frage danach, ob in den kategorischen Imperativ ein Zweck als ein Gegenstand der Willkür aufgenommen werden darf. Diese Frage hat Maatsch686 nach Maßgabe von Kants Gedankengang ausführlich erörtert. Er geht davon aus, dass Moral und Recht nicht völlig voneinander unabhängig sind. Der Legitimität des Rechts liegt das moralische Subjekt zugrunde.687 Der kategorische Imperativ ist allein aus der gesetzgebenden oder gesetzgebungsmächtigen Vernunft des Subjekts legitimierbar688 und spielt auch eine entscheidende Rolle im Rechtsverhältnis. Nach Maatschs Interpretation ist Wollen nur vorstellbar in Bezug auf eine Materie des Wollens, also einen Zweck.689 Da der Wille lediglich als das Vermögen gedacht werde, sich nach der Vorstellung von Gesetzen zum Handeln zu bestimmen, bleibe er leer, wenn er nicht mit einem (selbstgesetzten) Zweck verbunden sei.690 Die Selbstbestimmung bezüglich des Selbstzwecks des Menschen ist nämlich der Schlüsselpunkt dieses Übergangs. Beim Übergang von der Moralpflicht zur Rechtspflicht wird die letztere durch die Selbstzweckformel bzw. die (sowohl moralische als auch rechtliche) Pflicht gegen sich selbst begründet: Der Mensch als vernünftiges Wesen steht unter dem Gesetz, „dass jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“.691 Dementsprechend gilt die Selbstzweckformel als eine aus dem kategorischen Imperativ abgeleitete Rechtspflicht.692 Im Rahmen dieser Pflicht wird der willkürliche Freiheitsgebrauch des Einzelnen bzw. die Einwilligungswirkung eingeschränkt. Eine Selbstentscheidung, die gegen die Selbstzweckformel verstößt,

684 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 442 f.; ders., Recht und Gerechtigkeit, S. 265, 277; Maatsch, Selbstverfügung, S. 216 ff. 685 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 439; auch Maatsch, Selbstverfügung, S. 195. 686 Maatsch, Selbstverfügung, S. 189 ff. 687 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 207. 688 Maatsch, Selbstverfügung, S. 207. 689 Maatsch, Selbstverfügung, S. 190. 690 Maatsch, Selbstverfügung, S. 190. 691 Kant, AA IV, 433. 692 Maatsch, Selbstverfügung, S. 210.

C. Interne Grenzbegründung

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läuft nicht nur der Moralpflicht gegen sich selbst zuwider, sondern stellt auch eine Verletzung der rechtlichen Pflicht dar.693 Zweitens ist auf die Frage zu antworten, ob Selbsttötung und Tötung auf Verlangen gegen diese Selbstzweckformel verstoßen. Nach der Interpretation von Köhler und Maatsch könnte das objektive Recht ohne das unbedingte Vernunftdasein selbstbestimmter Subjekte nicht begründet werden.694 Denn die „immanente Rechtswelt im Ganzen würde sonst abgründig substanz- und maßstabslos, hinge sie hinsichtlich der Selbstkonstitution der Subjekte rechtens bloß von deren durch Lebenslagen und das Belieben anderer beeinflussbaren Willkür ab“.695 Wollen sei in diesem Sinne wesentlich Selbstbestimmung der Vernunft, eben die Bestimmung über mein künftiges Selbst.696 Sich selbst zu erhalten sei vernünftigem Wollen daher bereits vorausgesetzt: Indem der Mensch will, will er für sich, und das heißt stets zunächst sich selbst.697 Selbsterhaltungsrecht und -pflicht bilden daher sowohl im Selbstvollzug als auch im interpersonalen Verhältnis eine ursprüngliche Einheit.698 Mit anderen Worten: Das Rechtsverhältnis des Subjekts sollte sich nicht erst als Rechtsverhältnis zu anderen Personen, sondern bereits als Rechtsverhältnis zu sich selbst konstituieren. Das immanente Vernunftdasein des Subjekts sei ethisch und rechtlich unveräußerlich. Die Aufhebung der Existenz des Subjekts verstoße deshalb nicht nur gegen die innere ethische Pflicht der Selbsterhaltung, sondern zugleich gegen die Rechtspflicht im Selbstverhältnis, die ausschließlich in diesem Punkt mit der ethischen Pflicht verbunden sei.699 Hier setzt Köhler die Grenze der individuellen Selbstbestimmung an: Selbstbestimmung (Autonomie) als Selbstgesetzgebung im Handeln sei nicht anders denkbar als unter Voraussetzung ihres leiblich-geistigen Potentials in menschlicher Individualität; sich dagegen zu wenden, sei deshalb als Akt erlaubter Selbstbestimmung ausgeschlossen.700 Letztlich müssen Köhler und sein Schüler Maatsch noch auf die Frage antworten, warum beim Verstoß gegen die Selbstzweckformel als Rechtspflicht nur die Handlung seitens der dritten Person bzw. die eingewilligte Tötung oder Tötung auf Verlangen strafbar ist, während die Selbsttötung straffrei bleiben soll. Köhler und Maatsch gehen bei dieser Frage von der Äußerlichkeit des Rechtszwangs aus. Das Unrecht im reinen Selbstverhältnis darf nicht durch äußeren Zwang negiert werden, 693 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 145 ff., 189 ff.; Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 436. 694 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 436. Ähnlich Noll, Einwilligung, S. 79. Vgl. auch Gierhake, GA 2012, 298. 695 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 437. 696 Maatsch, Selbstverfügung, S. 193. 697 Maatsch, Selbstverfügung, S. 193. 698 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 437. 699 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 438, 440, 442; Maatsch, Selbstverfügung, S. 195 ff., 213 ff.; vgl. auch Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 30 f.; Gierhake, GA 2012, 296 ff. 700 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 439.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

weil die Zwangsbefugnis sich auf das äußere Verhältnis beschränken muss: Im bloßen Selbstverhältnis existiert noch kein Recht, also auch kein Unrecht.701 Die Willensäußerung gegen die Rechtspflicht ist jedoch rechtlich unwirksam und kann die Handlung des Dritten nicht mehr rechtfertigen.702 Die dritte Person wird daher nicht wegen ihres Beitrags zum Verstoß gegen die Selbstzweckformel des Verletzten, sondern wegen ihres Verstoßes gegen die allgemeine Rechtspflicht „Respektiere die anderen als Personen“ bestraft.703 Dementsprechend würde die Einwilligung ihre Grenze in der abstrakten Rechtspflicht gegen sich selbst finden. Die Einwilligungsschranken würden somit durch eine interne Begründung legitimiert.

2. Keine zwingende Verbindung zwischen Selbstzweckhaftigkeit und physischer Existenz des Menschen Dieser Ansatz löst das Problem des Übergangs vom Sittengesetz zum Rechtsgesetz zu einem gewissen Grad und gibt dem formalen Rechtsgesetz einen materiellen Inhalt unter Berücksichtigung der Bedingungen der Freiheitsverwirklichung des vernünftigen Rechtssubjekts. Es ist auch ein Argument, das die Grenzen der individuellen Selbstbestimmung intern zu begründen vermag: Aus der Selbstzweckformel wird die Rechtspflicht gebildet, dass die Person sich nicht zum bloßen Objekt oder Mittel machen darf. Allerdings erscheint es nicht ganz einleuchtend, dass aus der Selbstzweckformel schon die Unverfügbarkeit des Einzelnen über sein eigenes Leben und damit die Anwendungsgrenze der Einwilligung hergeleitet werden kann. Die Selbstbestimmung ist zwar in der Tat „die Bestimmung über mein künftiges Selbst“;704 ein solches Verständnis schließt jedoch nicht unbedingt die Entscheidung aus, meine physische Existenz in der Zukunft aufzugeben. Meine physische Existenz ist die Voraussetzung meiner „gegenwärtigen“ Entscheidung. Solange meine physische Existenz im Moment meiner Entscheidungsfindung noch gegeben ist, ergibt sich kein Widerspruch zur Voraussetzung der Selbstzweckhaftigkeit. Die Existenz des Selbst bildet wohl die Voraussetzung der Selbstzwecksetzungstätigkeit, liefert aber keine Einschränkung des Inhalts der Zwecksetzung. Andernfalls hätte meine physische Existenz eigentlich Vorrang vor mir als zwecksetzendem Subjekt. Mit anderen Worten: Der Verzicht auf die eigene physische Existenz stellt nicht unbedingt einen Verstoß gegen die Selbstzweckformel dar. Die Entscheidung zur Beendigung des eigenen Lebens unterscheidet sich von dem Fall der Selbstversklavung. Der Grund des Verbots der freiwilligen Selbst701

Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 272. Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 442; Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß, S. 219. 703 Vgl. Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 425 ff., 436; ders., Recht und Gerechtigkeit, S. 265 ff.; Maatsch, Selbstverfügung, S. 145 ff., 225. 704 Maatsch, Selbstverfügung, S. 193. 702

C. Interne Grenzbegründung

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versklavung liegt nicht darin, dass die Entscheidung, Sklave zu sein, das biologische Dasein des Subjekts auflöst – ein Versklavungsvertrag beraubt den sich Versklavenden nicht unmittelbar seiner biologischen Existenz –, sondern darin, dass die Sklaverei die Subjektivität eines Menschen, genauer gesagt den einem Menschen zukommenden Rechtswert705 auflöst. Der Sklave lebt noch als ein Mensch, aber sein Leben wird als rein tierische, objektivierbare Existenz betrachtet und nicht mehr als eine Person respektiert. Durch den Versklavungsvertrag wird also gegen die Selbstzweckformel verstoßen, der zufolge der Mensch sich niemals bloß als Mittel706 gebrauchen darf. Wenn sich ein Mensch mittels seiner Selbstbestimmung entschließt, sein biologisches Leben zu beenden, ist dies aber ein anderer Fall. Das in dieser Weise sich selbst bestimmende Subjekt gibt seine Subjektivität nicht auf. Im Gegenteil kann sich in einer solchen Entscheidung zum Verzicht auf das biologische Dasein gerade das subjektive Recht manifestieren. Diejenigen, die ihren eigenen Tod wählen, das Verfahren arrangieren, Zeit, Ort und Weise des eigenen Todes planen und sich unter Zuhilfenahme eines anderen das Leben nehmen, machen sich gerade nicht zum Mittel des anderen, sondern realisieren mittels seiner ihre eigenen Zwecke.707 Durch ihre Selbstbestimmung zum Sterben werden sie weder ihrer menschlichen Würde noch ihrer Selbstzweckhaftigkeit beraubt;708 im Gegenteil spiegelt sich in der Entscheidung gerade ihre Würde wider. Sie wollen eigentlich ein „menschenwürdiges Sterben“709 eher als ein rein biologisches Leben, das an schweren Krankheiten leidet, allein vom tierischen Überlebensinstinkt dominiert ist oder allein durch äußerliche Kraft verlängert wird. Der Verzicht auf die eigene physische Fortexistenz ist daher nicht identisch mit der Negierung des Selbst als Zweck an sich selbst; er könnte sogar umgekehrt Bejahung der Selbstzweckhaftigkeit sein. Die Selbstbestimmung zum eigenen Tod ist ein freier Rechtsgebrauch, der zwar unwiederholbar, aber noch nicht widersprüchlich ist, solange der Selbstbestimmende weiß, dass seine Entscheidung ein finaler Rechtsgebrauch ist.710 Die Selbstzweckformel scheint, obgleich sie als eine Rechtspflicht gelten kann, nicht direkt die Unveräußerlichkeit des physischen Lebens zu begründen. Darüber hinaus würde dieses Argument für das Selbstverfügungsverbot, wenn es allgemeingültig wäre, ein abstraktes Verbot begründen, das alle Formen der Disposition über das Leben verbietet. Mit anderen Worten: Jeglicher Verzicht auf das eigene Leben würde dann gegen die Selbstzweckformel verstoßen, unabhängig von

705 706 707 708 709 710

Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 223 Anm. 438. Kant, AA IV, 429. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 223 Anm. 438. Dagegen Kuchenbauer, ZfL 1/2007, 106. Vgl. Küng, in: Jens/Küng, Menschenwürdig Sterben, S. 55. Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 124.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

der konkreten Lebenssituation, in der sich die einzelne Person befindet.711 Dass die Selbsttötung nicht strafbar ist, würde dann weder daran liegen, dass der Einzelne das Recht zur Lebensbeendigung hat, noch daran, dass es bei der Selbsttötung noch die Möglichkeit eines letzten Entschließungsvorbehaltes des Betroffenen gibt, sondern lediglich daran, dass die Erfüllung der Selbsterhaltungspflicht nicht erzwingbar ist, weil der Rechtszwang sich auf Verhaltensweisen beschränken muss, die im äußeren Verhältnis zu anderen bestehen.712 Die Selbsttötung wäre also stets unrecht, wenn es ein umfassendes Verbot gäbe, die Aufhebung seiner eigenen Vernunftexistenz zu bezwecken.713 Damit wird aber ein ganz anspruchsvoller Autonomiebegriff gefasst, sodass es eine große Zahl von Entscheidungen des Einzelnen geben kann, die den so umschriebenen Schwellenwert nicht erreichen und daher unter formell vollständiger Achtung des Selbstbestimmungsgedankens zum Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Verbote gemacht werden dürfen.714 3. Der Weg zur Wirklichkeit des Freiheitsgebrauchs Tatsächlich erörtern die Vertreter dieses Ansatzes auch die unterschiedlichen Konstellationen in einzelnen Fällen des Rechtsgebrauches. Maatsch zieht die Sterbehilfe oder sogenannte indirekte Euthanasie bei ganz erheblichen Schmerzen in Betracht, weil „sich solche außerordentlichen Leiden bis zu einem Zustand steigern können, der einer Überwältigung des Geistes durch den Körper gleichkommt und in dem der Betroffene gleichsam nur noch aus Schmerz besteht“,715 sodass das moralische Subjekt mit sich selbst zugleich die Negation seiner selbst als Zweck an sich behandeln müsste.716 Köhler erkennt auch eine konsentierte schmerzlindernde Behandlung mit möglicherweise lebensverkürzender Nebenwirkung an, wenn es zweifelhaft ist, ob überhaupt noch eine menschenwürdige Existenz zumal im leiblichen Dasein bewahrt werden kann.717 In diesen Fällen könne der Pflicht gegen sich selbst die Wahl einer würdigen Lebensalternative in Gestalt des Sterbens entsprechen.718

711

Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 226. Es sei jede Zwecksetzung zu verbieten, die jedenfalls auch eine solche gegen die eigene Selbstzweckhaftigkeit ist. Daher müsse auch eine Zwecktätigkeit, die die Menschheit in meiner Person nur im Sinne einer notwendigen oder vorhersehbaren Nebenfolge meinen relativen Interessen opfert, nach der Selbstzweckformel als Selbstobjektivierung verboten sein. 712 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 441. Vgl. auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 294. 713 Maatsch, Selbstverfügung, S. 195. 714 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 223 Anm. 438; ders., FS Kargl, S. 414. 715 Maatsch, Selbstverfügung, S. 228. 716 Maatsch, Selbstverfügung, S. 230. 717 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 444. 718 Köhler, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 14 (2006), S. 444.

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Die Vertreter dieser Ansicht haben in der Tat zugegeben, dass die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen als Subjekt und die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens eigentlich nicht untrennbar sind. Bei der Beurteilung, ob die Zwecksetzung des Einzelnen mit der Selbstzweckformel übereinstimmt, ist die (biologische) Selbsterhaltung nicht der einzige Maßstab. Zutreffend ist Jakobs’ Kommentar:719 „Wenn es also vernünftig ist, als Person zu sein, muß es nicht deshalb auch vernünftig sein, überhaupt zu leben oder weiterzuleben.“ Die Frage ist also nicht die, ob der Einzelne pflichtmäßig die physische Voraussetzung des Vernunftwesens bewahrt; entscheidend ist vielmehr zu beurteilen, ob für den freien Rechtsgebrauch des Einzelnen die notwendigen Bedingungen gegeben sind, die eine der menschlichen Würde entsprechende Entscheidung ermöglichen. Diese Anforderungen an die Voraussetzungen der Selbstbestimmung knüpfen aber nicht allein an die Rechtspflicht zur Selbsterhaltung an, sondern hängen vielmehr mit der Schwere und Endgültigkeit der jeweils in Rede stehenden konkreten Handlung zusammen. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich darauf, die Bedingungen von Sittlichkeit zu schaffen.720 Insofern man bei der Begründung der Selbstbestimmungsgrenzen auf unterschiedliche Lebenssituationen und reale Hintergründe der Entscheidungen achtet, wird der Weg zur Wirklichkeit der Freiheit eröffnet.

II. Begründung aus der gesellschaftlich realen Freiheit: Antwort auf die Frage nach dem Paternalismus 1. Zweifel am Schutz vor sich selbst und Formen des Paternalismus Spricht man von der Verwirklichung der realen Freiheit, geht es unvermeidlich um Ergebnisse der Freiheitsverwirklichung. Die Ergebnisse der Freiheitsverwirklichung verkörpern sich in den konkreten Gestaltungen und Planungen des Einzelnen für sich selbst, im alltäglichen Leben nach seinem eigenen Willkürgebrauch. Diese Lebensgestaltungen und Lebensplanungen hängen grundsätzlich allein von subjektiven Präferenzen des Einzelnen ab. Solche Zwecksetzung wird, in der üblichen utilitaristischen Formulierung, als Streben nach eigener Glückseligkeit bzw. dem eigenen Wohlergehen verstanden. Wenn eine Person jedoch wegen bestimmter realer Bedingungen nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, die ihrem eigenen Wohlergehen am besten entspricht, kommt die Frage des Paternalismus721 ins Spiel, 719

Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 464. Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 465 Anm. 22. 721 Es ist bemerkenswert, dass der hier thematisierte Paternalismus eine andere Wurzel und Bedeutung hat als der Paternalismus in der Antike, der mit dem Begriff „Haus“ (Oikos) eng verbunden war und dem Begriff „Burg/Stadt/Staat“ (Polis) gegenüberstand. Der heute geläufige staatliche Paternalismus lässt sich auf Christian Wolff zurückführen (vgl. Gutmann, Paternalismus – eine Tradition deutschen Rechtsdenken?, S. 155). Der moderne Antipaternalismus entsteht dann aus den im englischen Sprachbereich entwickelten Kriminalisierungstheorien und steht im Zusammenhang mit dem Utilitarismus. Zur Entwicklung des Antipaternalismus siehe 720

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

genauer gesagt die Frage nach der Legitimation des paternalistischen Schutzes des Einzelnen vor sich selbst,722 eines Schutzes, der häufig auch als Argument für die Einwilligungsbegrenzung herangezogen wird. Auf den ersten Blick scheint das paternalistische Argument zweifellos eine externe Begründung für Einwilligungsgrenzen zu sein, weil durch staatliche Verbote die rechtliche Wirkung individueller Selbstbestimmung gegen den Willen des Betroffenen ausgeschlossen wird. Diese Begründungsweise des Schutzes vor sich selbst hat zahlreiche Kritiker gefunden.723 Die Problematik des Arguments, dass im Interesse des Einzelnen objektive Werte wie Leben oder körperliche Unversehrtheit vor ihm selbst zu schützen seien, wurde bereits im obigen Abschnitt über den absoluten Lebensschutz erörtert;724 darauf wird hier daher nicht eingegangen. Die Erörterung konzentriert sich also auf die paternalistischen Argumenten, die von (wahren oder langfristigen) Interessen des Einzelnen ausgehen. Das führt dann zu der Frage: Darf der Staat den Einzelnen mittels rechtlichen Zwangs zu seinem Besten vor sich selbst schützen? Oder umgekehrt formuliert: Ist erst der einzelne Mensch der souveräne Herrscher über seinen eigenen Körper und Geist, sodass jeder seine eigenen Interessen am besten selbst schützen kann und immer die Freiheit haben muss, sein eigenes Wohl auf seine eigene Weise zu erreichen?725 Oder macht der Mensch wegen „systematische[r] Rationalitätsdefizite“726 immer Fehler bei seinen Entscheidungen und benötigt deswegen die Hilfestellung des Rechts? Nach der Art und Weise staatlicher Interventionen lässt sich der Paternalismus systematisch in unterschiedliche Kategorien unterteilen.727 Was davon für die LeRigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 27 ff.; vgl. auch Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 3 ff.; ders., Harmless Wrongdoing, 1988. Dworkin, Paternalism, in: Sartorius (Hrsg.), Paternalism, 1983, S. 20. Vgl. auch Mill, Über die Freiheit, S. 35. Aus dem deutschen Schrifttum, in dem utilitaristische Gedanken angeführt werden, um den Paternalismus zu erörtern, vgl. Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, Preprints of the Centre for Advanced Study in Bioethics, Münster 2011/17, S. 26 ff.; Murmann, FS Yamanaka, 2017, S. 289 ff.; A. v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 671 ff.; Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 20 ff. 722 Vgl. BVerfG (NJW 2008, 2409 [2414]); BVerfG GewArch 2010, 495 f. 723 Vgl. Gkountis, Paternalismus, S. 19; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 220; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 84; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 33 ff. 724 Oben § 4 B.IV. 725 Mill, Freiheit, S, 35, 43. 726 Eidenmüller, JZ 17/2011, 816 f. 727 Vgl. Gkountis, Paternalismus, S. 20 ff.; Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 28; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S, 26 ff. Andere Erscheinungsformen (Gkountis, Paternalismus, S. 19) des staatlichen Paternalismus sind etwa die folgenden: Wenn die paternalistische Maßnahme durch rechtliches Gebot als positive Pflicht seinen Adressaten auferlegt wird, gilt sie als aktiver Paternalismus, z. B. die Anschnallpflicht und Kindersitzpflicht (§ 21 Abs. 1, § 21 Abs. 1a StVO); im Gegensatz dazu wird die Maßnahme als passive Pflicht verstanden, wenn sie sich als rechtliches Verbot darstellt. Ein direkter Paternalismus bezieht sich auf Regelungen, die die Handlungsmöglichkeiten desjenigen einschränken, dessen

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gitimationsgrundlage der Einwilligungsschranken relevant ist, ist aber nur die Unterscheidung zwischen hartem und weichem Paternalismus. Wenn der Staat durch die paternalistische Regelung den Menschen zu seinem Wohl bevormundet, ohne den Willen des Betroffenen zu berücksichtigen, handelt es sich um harten oder starken Paternalismus; wenn die Regelung hingegen darauf zielt, die Autonomie bzw. freie Selbstbestimmung des Betroffen zu schützen, wird sie als weicher oder schwacher Paternalismus728 verstanden. Während der harte Paternalismus wegen seiner Affinität zur sozialen Kontrolle729 sowie zum Kollektivismus730 rechtstheoretisch zumeist kritisiert und abgelehnt wird, scheint der weiche Paternalismus731 (der auch als normativer Individualismus bzw. als liberaler oder autonomieorientierter Paternalismus bezeichnet wird) akzeptabel und mit der persönlichen Autonomie vereinbar zu sein.732 Im Folgenden wird allerdings versucht, darauf hinzuweisen, dass die Unterscheidung zwischen den beiden nicht so absolut ist wie es scheint; die Einräumung von auf weichem Paternalismus basierenden Interventionen geht unausweichlich mit einer gewissen Akzeptanz des harten Paternalismus einher. 2. Der negative Freiheitsbegriff und der Antipaternalismus Die Frage nach dem Paternalismus hängt sowohl mit der Beziehung zwischen Interessen und Recht733 als auch mit verschiedenen Auffassungen der Freiheitsidee zusammen. Die Kritik am Paternalismus ergibt sich zuerst aus dem utilitaristischen Freiheitsbegriff. Die Freiheit oder Autonomie wird in diesem Sinne als Inbegriff dessen aufgefasst, was eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich will.734 Freiheit in diesem Sinne bedeutet, „mich in allen Angelegenheiten nach meinem eigenen Willen zu richten, wo jene Regel [d. h. das legitime positive Recht] Wohlfahrt die Regelung gerade schützen will, z. B. die Helmpflicht (§ 21a Abs. 2 StVO); ein indirekter Paternalismus bezieht sich hingegen auf Regelungen, die nicht die Handlungsmöglichkeiten des unmittelbar durch sie geschützten Einzelnen, sondern die eines Dritten begrenzen, z. B. das Verkehrsverbot der Betäubungsmittel (§ 29 BtMG). Im Strafrecht geht es demnach grundsätzlich um passiven und indirekten Paternalismus, exemplarisch hier thematisiert an §§ 216, 228 StGB. 728 Gkountis, Paternalismus, S. 22; Hilgendorf/Joerden (Hrsg.), Handbuch Rechtsphilosophie, S. 411. 729 Gkountis, Paternalismus, S. 19. 730 Vgl. Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 27. 731 Vgl. Feinberg, Harm to Self, S. 26, 61. Die Unterscheidung zwischen hartem und weichem Paternalismus hält aber Kirste, JZ 17/2011, 805 ff., für überflüssig. 732 Vgl. v. Pfordten, ZPhF 54, S. 500; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 27 ff.; Gkountis, Paternalismus, S. 135 f., 217 ff.; Eidenmüller, JZ 17/ 2011, S. 814 ff.; Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 32 ff.; Murmann, FS Yamanaka, S. 295 ff.; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 230. 733 Zur Beziehung zwischen Interesse, Recht und Gut im politisch-philosophischen Denken vgl. Kersting, Politik und Recht, S. 153 ff. 734 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 223.

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nichts vorschreibt“.735 Dieser Freiheits- bzw. Autonomiebegriff leitet sich nicht aus dem kantischen kategorischen Imperativ oder Moralgesetz ab, sondern beruht auf einer empirischen, durch Erfahrung begründeten konkreten Lebensführung und stellt ebenfalls die Idee des Strebens nach einem glücklichen Leben736 dar. Zwar knüpft dieses Autonomieverständnis einerseits an das ganz konkrete, subjektiv definierte Wohl (oder in utilitaristischer Formulierung: die Maximierung/ Vermehrung der Menge an Glück737) an; andererseits lässt sich ein solcher Autonomiebegriff aber auch mit dem abstraktesten subjektiven Recht oder einer negativen Freiheit vereinbaren, die vom Moralgesetz völlig getrennt ist und allein von der Willkür des Individuums abhängt. Hinter diesem Freiheitsbegriff steht ein Bild vom Menschen, nach dem der Mensch ein freies einzelnes Individuum ist,738 das seine Bestimmung stets selbst suchen und wählen darf und grundsätzlich alles tun kann, was einem anderen nicht schadet.739 Gemäß diesem Menschenbild werden die Grundrechte zuerst als Abwehrrechte zum Schutz der negativen Freiheit verstanden. Die staatlichen Maßnahmen gegenüber dem Einzelnen werden dementsprechend ursprünglich als Begrenzung und Verletzung der menschlichen Rechte angesehen. Der Staat darf weder den freien Rechtsgebrauch aufgrund kollektiver Interessen einschränken noch darf er gegen den gegenwärtigen Wunsch des Einzelnen an seiner Stelle entscheiden, was für ihn am besten ist. Es sei keinerlei staatlicher Zwang zur Besserung des Bürgers mehr zulässig.740 Jeder hat das Recht, seine eigene Wohlfahrt sowohl auf eigene Weise zu erreichen als auch zu gefährden, auch wenn seine Wahl von außen als unvernünftig oder objektiv nicht nachvollziehbar erscheint. Vereinfacht dargestellt: Obwohl sich die utilitaristisch gefasste Freiheit am konkreten Wohl des Einzelnen orientiert, ist sie rechtlich als abstrakteste und formellste Freiheit ausgedrückt.741 Kraft solchen Freiheitsverständnisses wird der staatliche Paterna-

735

Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 214. Vgl. auch Hobbes, Leviathan, 2. Teil, Kapitel XXI. 736 Dies hängt natürlich mit dem Konzept eines glücklichen Lebens in der Antike zusammen. In der Neuzeit hat sich die Definition dieses glücklichen Lebens jedoch von einer objektiven zu einer subjektiven gewandelt. Das glückliche Leben bezieht sich weder auf eine objektive Weltordnung noch auf ein Ziel, das vom Staat verfolgt werden sollte, sondern es ist das, was vom Individuum subjektiv definiert und erstrebt wird. Zur Entwicklung des Konzepts in der Neuzeit vgl. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 27 ff. 737 Vgl. Bentham, Introduction to the Principles of Morals and Legislation, IV S. 31 ff. Geht man von der Maximierung menschlicher Freiheit aus, weicht man aber schon von dem liberalindividualistischen Ansatz ab. 738 Über das Bild vom Menschen in der modernen Rechtsordnung vgl. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 58 ff. 739 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, Art. 4; vgl. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 59 f. 740 Vgl. Mill, Freiheit, S 35. 741 Vgl. Kirste, JZ 17/2011, 806.

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lismus von vornherein abgelehnt.742 Denn rechtlicher Schutz des Einzelnen vor sich selbst durch staatlichen Zwang, zumal durch Strafrecht, wird immer als Eingriff in den individuellen Freiheitsraum angesehen und löst dann alle Kritik an staatlicher Bevormundung743 aus. Beharrte man hier auf dem negativen Freiheitsbegriff und begriffe die Freiheit als reine Abwesenheit von externen physischen oder gesetzlichen Hindernissen,744 gäbe es kaum noch Raum für die Legitimität der §§ 216, 228 StGB. Denn mit diesem Freiheitsverständnis werden alle konkreten Umstände der Einwilligungsbildung aus den bei der Beurteilung der Freiwilligkeit zu betrachtenden Faktoren ausgeschlossen. Aus einer solchen extrem antipaternalistischen Position lässt sich die Gewährleistung der Bedingungen der Freiheitsverwirklichung in Frage stellen. Denn der Rechtsstaat in diesem klassischen Liberalismus darf nur die formale Freiheit des Individuums, nämlich den Freiheitsgebrauch selbst, schützen, nicht aber die Verwirklichungsbedingungen der Freiheit. Eine solche Position scheint jedoch weder aus empirischer noch aus theoretischer Perspektive durchsetzbar (siehe unten). 3. Der reale Freiheitsbegriff und die rechtliche Zulässigkeit des Paternalismus Empirisch erweist sich sowohl in positiven Gesetzen als auch in der Rechtsprechung, dass die Freiheit, die der moderne freiheitlich begründete Staat schützen soll, eine reale und positive Freiheit745 ist. Dieser Freiheitsbegriff geht bereits über die negative Freiheitsdefinition hinaus, die allein auf dem traditionellen, klassisch-liberalen Menschenbild beruht. In Art. 20 Abs. 1 GG deutet sich das Sozialstaatsprinzip an;746 im Zivilrecht gibt es Vorschriften zum Verbraucherschutz sowie Verfahrensanforderungen für die Patientenverfügung (§§ 1901a – 1904 BGB); im Strafrecht sind die Straftatbestände des Wuchers (§ 291 StGB), der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) sowie Strafvorschriften des Transplantationsgesetzes (TPG) enthalten;747 in 742 Eidenmüller, JZ 17/2011, 814 f.; Schroth, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, S. 35. 743 Gosepath/Hinsch/Rössler (Hrsg.), Handbuch der politischen Philosophie und Sozialphilosophie, S. 963; Kirste, JZ 17/2011, S. 805; Murmann, FS Yamanaka, S. 293. 744 Vgl. Taylor, Negative Freiheit?, S. 119. 745 Vgl. Oben § 3 B.III. Darin zeigt sich, dass alle Ansätze, die auf formeller Freiheit und dem abstrakten Rechtsgesetz beruhen, in den dogmatischen Interpretationen letztlich die Wirklichkeit der Freiheit berücksichtigen müssen. 746 In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es schon im Jahr 1972, „das Freiheitsrecht wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos“. BVerfGE 33, 303 (331); vgl. auch BVerfGE 125, 175. Zu unterschiedlichen Interpretationen des Sozialstaatsprinzips vgl. Kersting, Rechtsphilosophische Probleme des Sozialstaats. 747 Vgl. Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 233 ff.

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den Verwaltungsvorschriften kann man noch mehr paternalistische Regelungen finden, von der Anschnallpflicht (§ 21 Abs. 1 StVO) bis zur Schulpflicht (z. B. §§ 73 – 76 SchG). Daraus lässt sich entnehmen, dass in der heutigen Rechtsordnung, zumindest der in Deutschland, nicht nur formale Freiheit, sondern auch reale Freiheit geschützt wird. Darüber hinaus wird kaum jemand, auch keiner der Autoren, die einen negativen Freiheitsbegriff vertreten, Einwand gegen Folgendes erheben: Wenn der Einzelne aufgrund seines Alters oder Geisteszustands nicht in der Lage ist, rationale Entscheidungen für sich selbst zu treffen und die Folgen der Entscheidung selbst zu tragen, hat der Staat das Recht und sogar die Verpflichtung, in die Entscheidungswirksamkeit des Einzelnen zu intervenieren, um den Einzelnen zu schützen. Exemplarisch dafür sind die Vorschriften über die Schuldunfähigkeit im Strafrecht (§§ 19, 20 StGB). Solche Interventionen sind aber durchaus Maßnahmen des harten Paternalismus. Es ist mit anderen Worten Konsens, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein harter Paternalismus erlaubt ist. Anders ausgedrückt: Wenn bereits anerkannt ist, dass Alter und Geisteszustand die Ausübung der Freiheit beeinflussen können und deswegen staatspaternalistische Maßnahmen in die eventuell fehlerhafte Entscheidung des Einzelnen eingreifen dürfen, ist damit auch die folgende Auffassung indirekt anerkannt: Die individuelle Freiheitsverwirklichung setzt realistische Bedingungen voraus; der Staat ist berechtigt, oder sogar verpflichtet, diese Bedingungen zu gewährleisten. Um diese Aufgabe zu erfüllen, darf der rein subjektive Willkürgebrauch des Einzelnen unter bestimmten Umständen eingeschränkt werden. Auf den ersten Blick scheint es bei dieser Erfüllung der Bedingungen der Freiheitsverwirklichung lediglich um die subjektiven Schranken der Selbstbestimmung des Einzelnen, und zwar die sog. Willensmängel748 zu gehen. Sobald man den normativen Inhalt näher betrachten, lässt sich aber feststellen, dass die subjektiven und objektiven Grenzen der Selbstbestimmung nicht völlig verschieden sind; vielmehr erscheint die Unterscheidung als ein graduelles Spektrum.749 Die realen Bedingungen der Freiheitsverwirklichung beschränken sich nicht auf Alter und Geisteszustand des Betroffenen, sondern schließen darüber hinaus verschiedene systematische Gründen ein, die „Rationalitätsdefizite“750 des Einzelnen herbeiführen könnten. Der Mensch als endliches und unvollkommenes Wesen lässt sich leicht von äußerem Druck sowie Informationen, die er erhält, beeinflussen, und neigt deshalb dazu, gravierende Fehler zu machen, die gelegentlich schwere, irreversible Folgen nach sich ziehen.751 Mit anderen Worten: Der Mensch kann nicht immer die (sub748

Zur Erörterung strafrechtlicher Willensmängel vgl. Rönnau, Willensmängel, 176 ff. Bei der Erörterung der Unverfügbarkeit des Lebens vertritt z. B. Hassemer die Auffassung, dass der Einzelne niemals Bedeutung und Tragweite seines Todes voll erfassen könne (Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 189). 750 Eidenmüller, JZ 17/2011, S. 816 ff. 751 Gkountis, Paternalismus, S. 135. 749

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jektiv oder objektiv) beste Entscheidung für sich selbst treffen. Die Ergebnisse, die damit einhergehen, können von seiner eigenen Wohlfahrt weit entfernt sein. Und die Entscheidung selbst ist ebenfalls schwerlich als freie Entscheidung anzusehen. Die naturwissenschaftliche Forschung kann niemals die exakten Grenzen der menschlichen Vernunft feststellen. Der Staat kann also den Maßstab für „die Vernunftgrenzen“ nur durch ständig aktualisierte Forschungsdaten ändern, um seine Schutzpflicht zu erfüllen. Und eine solche Pflicht lässt sich keineswegs nur aus dem negativen Freiheitsbegriff herleiten, sondern muss sich auf die positive, materielle Freiheitsdefinition stützen. Theoretisch kann unter der Annahme eines rein negativen, formalen Freiheitsbegriffs das höchste Ziel, sei es wahre Freiheit oder das Wohlergehen des Individuums, nicht systematisch folgerichtig erreicht werden. Wenn Mill behauptet, dass das Individuum keine Freiheit haben sollte, nicht frei zu sein,752 widerspricht er bereits seiner eigenen Freiheitsdefinition. Stellen wir uns Freiheit – wie bei Hobbes – noch extremer als bloße Abwesenheit äußerer Hindernisse vor, dann könnten wir keinen Unterschied zwischen Hindernissen mehr machen, die mehr oder weniger schwerwiegende Eingriffe in unseren Freiheitsbereich darstellen.753 Wir tun dies aber, und zwar deshalb, weil wir den Freiheitsbegriff eigentlich vor einem Hintergrundverständnis entfalten, dem zufolge bestimmte Ziele und Aktivitäten bedeutsamer sind als andere.754 Ein rein negativer Freiheitsbegriff ist daher nicht plausibel. Wenn wir die Freiheit hingegen als einen „Verwirklichungsbegriff“755 auffassen, und zwar als „Freiheit der Selbsterfüllung“ oder als „eine unseren eigenen Vorstellungen folgende Selbstverwirklichung“,756 wie sie sich auch in Art 2. Abs. 1 GG zeigt, dann müssen wir sie als etwas begreifen, das „sowohl aus inneren Gründen wie an äußeren Hindernissen scheitern kann“.757 Die Freiheit ist daher nicht einfach als Abwesenheit äußerer Hindernisse zu interpretieren.758 Wir müssen anerkennen, dass das Handeln aus bestimmten Motivationen heraus nicht Freiheit ist, sondern seinerseits das Gegenteil von Freiheit sein könnte.759 Dementsprechend ist der extreme Antipaternalismus sowohl „empirisch implausibel“760 als auch theoretisch widersprüchlich. Es ist anzuerkennen, dass Paternalismus unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Die zu stellende Frage ist daher nicht, ob der staatliche Paternalismus erlaubt ist, sondern vielmehr, wann, unter

752 753 754 755 756 757 758 759 760

Vgl. Mill, Über die Freiheit, S. 141. Taylor, Negative Freiheit?, S. 127 f. Taylor, Negative Freiheit?, S. 128. Taylor, Negative Freiheit?, S. 121. Taylor, Negative Freiheit?, S. 120. Taylor, Negative Freiheit?, S. 120. Taylor, Negative Freiheit?, S. 134. Taylor, Negative Freiheit?, S. 134. Feinberg, Harm to Self, S. 61.

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welchen Voraussetzungen und inwieweit der Paternalismus in Entscheidungen des Einzelnen eingreifen darf. 4. Wohlfahrt und Freiheit Bevor es um konkrete Einwilligungsgrenzen geht, ist noch eine letzte Frage zu beantworten, nämlich die nach dem Zusammenhang zwischen persönlicher Freiheit und Wohlfahrt. In der obigen Definition761 scheint es, dass der harte Paternalismus seine Zweckbestimmung im Wohl oder Wohlergehen des Einzelnen findet, während weicher Paternalismus sich an der Autonomie bzw. Freiheitsverwirklichung des Einzelnen orientiert. Ist es aber möglich, diese beiden Standards unzweideutig voneinander zu unterscheiden? Im heutigen Deutschland ist die Rechtsordnung freiheitlich begründet und verfasst. Das heißt, die Erwägung des objektiven Wohlergehens darf grundsätzlich nicht die Freiheit als den höchsten Maßstab der Handlungsbewertung des Einzelnen ersetzen. Auch wenn es begrifflich so scheint, als könnten die Maßstäbe der Freiheit und des Wohls klar unterschieden werden – besteht auf praktischer Ebene, insbesondere bei der Gestaltung normativer Institutionen, wirklich die Möglichkeit, die beiden so klar zu trennen, dass nur der auf dem Maßstab der Freiheit beruhende weiche Paternalismus legitimiert werden kann? Diese Frage lässt sich wohl nicht bejahen. Die Antwort lässt sich in zwei Richtungen konkreter begründen und erläutern: (1) Es gibt unterschiedliche Freiwilligkeitsmaßstäbe für Handlungen unterschiedlicher Gewichtung; je gewichtiger die Handlung ist, desto höher sind demnach die Anforderungen an ihre Selbstbestimmtheit.762 Bei der Bewertung der Gewichtung handelt es sich unvermeidlich um eine substantielle Beurteilung der Handlungskonsequenzen. Die Entscheidung, das Leben aufzugeben, und die Entscheidung, das Eigentum aufzugeben, haben in dieser Hinsicht objektiv unterschiedliche Bedeutung. (2) Die Nachvollziehbarkeit und die Freiwilligkeit lassen sich auf praktischer Ebene nicht ohne Weiteres trennen. Sobald die konkrete Freiheit in Betracht gezogen wird, sind bei der Feststellung der Freiwilligkeit unweigerlich in gewissem Umfang objektive Kriterien einzuführen763 und ist zugleich die Vernünftigkeit des Handlungsanlasses zu bewerten. Wie bereits erwähnt, sind die Erkenntnisse der menschlichen Psychologie immer begrenzt. Bestimmte Faktoren wie Alter und Geisteszustand als rechtliche Maßstäbe für die rechtliche Willensfähigkeit zu setzen, stellt eine objektive normative Bestimmung dar, d. h. es kann auch normativ anders bestimmt werden. Die als Autorisationsprinzip geltende Selbstbestimmung stellt letztlich nichts anderes als ein

761 762 763

Oben § 4 C.II.1. Pawlik, FS Kargl, S. 414. Dagegen Murmann, FS Yamanaka, S. 298.

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kontingentes normatives Konstrukt dar.764 Gerade für die Einwilligungsfähigkeit soll nach h.M. im Strafrecht generell die von Geschäftsfähigkeit und bestimmten Altersgrenzen unabhängige tatsächliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit genügen,765 aufgrund deren der Einwilligende Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs voll zu erfassen und seinen Willen danach zu bestimmen imstande ist.766 Allerdings stützt sich die Beurteilung dieses Erfassens von „Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs“ nicht allein auf den echten psychischen Zustand des Betroffenen. Sie enthält immer eine gewisse Normativität. Im normativen Urteil wird unvermeidlich die Erwägung des Wohls als Beurteilungsmaßstab hinzugefügt. Der hier thematisierte Begriff des Wohls bezieht sich jedoch nicht allein auf subjektives Wohl oder subjektiv entschiedenes Interesse, sondern vielmehr auf ein objektives Gut. Denn wir können nur anhand objektiver Kriterien – der objektiven Rationalität und der Nachvollziehbarkeit von Verhalten767 – beurteilen, ob ein Akteur frei entschieden hat. Die Beurteilung der sog. Rationalität und Nachvollziehbarkeit zusätzlich zu der Situation, in der sich der Entscheidende befindet, schließt unausweichlich auch eine Bewertung des Ergebnisses der Entscheidung ein.768 Vereinfacht dargestellt: Will man die Freiheitsverwirklichung in der Realität gewährleisten, ist es fast unmöglich, bei der konkreten Gestaltung der Gesetze zwischen Kriterien abstrakter Autonomie und solchen des inhaltlich Guten oder Vernünftigen klar zu unterscheiden. Wenn eine solche klare Unterscheidung getroffen worden ist, kann nur ein abstraktester Freiheits- und Rechtsbegriff akzeptiert werden; dann kommt allerdings wieder die obige Kritik an formaler Freiheit zum Tragen.769 Setzt sich ein solchen rein abstrakter und subjektiver Rechtsbegriff durch, sollte eine Gewichtung von Verbrechenstypen nach Art und Schwere ebenfalls ausgeschlossen werden. Da die konkreten Präferenzen einzelner Subjekte so unterschiedlich sind, ist schließlich nur die abstrakte Rechtsposition (ich als Person) verallgemeinerbar.770 Wir gewichten jedoch verschiedene Straftaten, weil wir davon ausgehen, dass einige Belange objektiv wichtiger für die einzelne Person sind als andere. Je wichtiger der Rechtskreis ist, desto schwerer wiegt strafrechtlich die sie verletzende Handlung. Demnach lässt sich als Zwischenergebnis folgern: Die formale Freiheit und das materielle Wohlergehen dürfen bzw. müssen stets zusammen die Kriterien für die Beurteilung der Handlungen des Einzelnen festlegen. 764 Fateh-Moghadam, in; Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 27. Siehe oben § 3 3 – 1. 765 Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, Vor § 32 ff. Rn. 39. 766 Sternberg-Lieben, a.a.O., Rn. 40. 767 Vgl. Jakobs, AT, S. 438; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 232; ders., FS Kargl, S. 415. 768 Jakobs, AT, S. 438; Kubiciel, JA 2/2011, S. 90. 769 Siehe oben § 3 B. 770 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 149.

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Dies entspricht auch der oben erörterten normativen Bestimmung der Autonomie.771 Angesichts der Abtrennung der Selbstbestimmung von Kants Vernunftbegriff muss eine Plausibilitätsprüfung aus objektiver Perspektive eingeführt werden. Die Feststellung der normativen Selbstbestimmung setzt immer eine Verständlichkeit der Entscheidung für andere voraus. Denn in ihrer Qualität als Persönlichkeitsausdruck ist eine Handlung zugleich auch ein kommunikatives und damit ein soziales Ereignis.772 Um zum Gegenstand eines Urteils gemacht werden zu können, muss das Individuum von anderen an etwas anderem – nämlich dem Ihrigen – gemessen werden.773 In Hinblick auf diese Verständlichmachung für dritte Personen lassen sich Autonomie und inhaltliche Nachvollziehbarkeit zwar begrifflich voneinander unterscheiden; bei der Feststellung eines konkreten Maßstabs für die autonome Entscheidung kann ihre Abgrenzung jedoch kaum trennscharf vollzogen werden. Daraus ergibt sich ein fließender Übergang von der formellen Autonomie zur inhaltlichen Plausibilität der Selbstbestimmung.774 Wenn es schwierig ist, Wohl oder Wohlergehen als Verhaltensmaßstäbe abzulehnen, wie muss dann die Reihenfolge bzw. Rangfolge der Kriterien ,Freiheit‘ und ,Wohl‘ konzipiert werden? Wann ist Paternalismus zulässig und wann muss man im Gegenteil davon absehen, in den freien Rechtsgebrauch des Einzelnen durch staatliche Maßnahme einzugreifen? Diese Frage ist auf abstrakter Ebene schwer zu beantworten; die Antwort hängt vielmehr von der konkreten Fallkonstellation ab, d. h. sie ist kontextabhängig.775 Was festgestellt werden kann, ist: Prinzipiell ist der höchste Zweck und der Endanspruch der, den Menschen seine wahre Autonomie erreichen zu lassen.776 Wohlfahrt oder Wohlergehen zu erreichen, setzt die Anerkennung der Freiheit und somit des abstrakten Rechts voraus. Andernfalls würde sich die vom Staat vorgenommene Umverteilung der Kritik aussetzen, auf „Enteignung und ,Zwangsarbeit‘ der einen für die anderen“ hinauszulaufen.777 Der Staat darf nur im Extremfall in den konkreten Inhalt der Entscheidungen des Einzelnen eingreifen, wobei das (objektive) Wohl oder Gut als Maßstab gilt. Die ,extreme‘ Situation sollte umfassend nach der Dringlichkeit des Falls bzw. der Zwangslage des Entscheidenden, dem Grad sowie der Reversibilität der Verletzung und dem Umfang der möglichen Einflüsse aus äußeren Umständen auf das Urteilsvermögen des Einzelnen beurteilt werden. Da Freiheit eigentlich als der höchste Wert anerkannt ist, muss darüber hinaus der weiche oder schwache Paternalismus vor dem harten Paternalismus Vorrang haben. Man muss also jeweils zuerst weiche paternalistische Maßnahme in Betracht ziehen. 771 772 773 774 775 776 777

Siehe oben § 3 C.II. Pawlik, Normbestätigung und Identitätsbalance, S. 9. Pawlik, in: Strafrecht und Gesellschaft, S. 223 (Herv. im Original). Vgl. Fateh-Moghadam, in: Grenzen des weichen Paternalismus, S. 34. Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 222. Vgl. Gkountis, Paternalismus, S. 133 ff. Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 21 (Herv. im Original).

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Die rechtliche Beurteilung, bei der eine positive bzw. materielle Definition für Freiheit angewendet wird, muss sich daher so weit wie möglich auf die Entscheidungshandlung selbst beschränken und sollte nicht das Ergebnis der Entscheidung zum Gegenstand haben.778 Es ist mit anderen Worten festzustellen, ob es nachvollziehbare Gründe dafür gibt, dass der Einzelne unter den jeweiligen Umständen eine bestimmte Entscheidung getroffen hat,779 statt direkt zu bestimmen, ob das Entscheidungsergebnis dem Besten des Betroffenen entspricht oder nach ähnlichen Kriterien ,richtig‘ ist. In diesem Zusammenhang lässt sich schließlich die hier thematisierte Begründung der strafrechtlichen Einwilligungsschranken formulieren. 5. Der Schutz des Einzelnen vor Übereilung a) Begründung aus dem positiven Freiheitsbegriff Das letzte und auch hier vertretene Argument der Einwilligungsschranken, das von der Autonomie des Einzelnen ausgeht und daher als interne Grenzbegründung gilt, bezieht sich auf den Schutz des Einzelnen vor übereilten Entscheidungen.780 Der Grundgedanke dieses Arguments ist, dass in Rechtsbereichen, in denen es um wichtige Rechte wie das Leben geht, unter Berücksichtigung des möglichen übermäßigen Drucks, unter dem der Betroffene steht, und der Schwere oder Irreversibilität der Verletzung der Umfang der Einwilligung des Betroffenen ausnahmsweise begrenzt werden darf. Der Zweck dieser Beschränkung der Einwilligung besteht darin, die wahre Autonomie des Einwilligenden sicherzustellen. Diese Begründung der Einwilligungsgrenze entspricht der vorher dargelegten positiven Feststellung der Einwilligung als konkrete Selbstbestimmung. Dieses Argument geht von der konkreten Freiheitsverwirklichungsmöglichkeit aus und wird dementsprechend als paternalistischer Ansatz kategorisiert.781 Seine Auslegung und sein strittiger Punkt entsprechen grob der obigen Erörterung des Freiheitsbegriffs und des Paternalismus. Wird die Freiheitsverwirklichungsmöglichkeit in der Realität in Betracht gezogen, sind auch die konkreten Umstände zu 778

Vgl. Murmann, FS Yamanaka, S. 299. Vgl. Pawlik, FS Kargl, S. 414. 780 Vgl. Engländer, Nothilfe, 126 ff.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 299; Hoerster, NJW 1986, S. 1789; ders., Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 27 ff.; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 23; Kubiciel, JZ 12/2009, S. 605; Merkel, Früheuthanasie, S. 411 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 493 ff.; ders., FS Yamanaka, 295 ff.; Pawlik, FS Kargl, 2015, S. 412 ff.; ders., FS Wolter, 2013, 639 ff.; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 230; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, S. 153 ff., versteht den § 216 StGB aber als eine hart-paternalistische Vorschrift. Kritik am Ansatz des Schutzes vor der übereilten Entscheidung: Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 107 ff., mit dem Argument, dass § 216 StGB nur als Schutzvorschrift zugunsten von Drittinteressen legitimiert werden könne. Zur Kritik, die die Legitimität des § 216 in Frage stellt, vgl. v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 671 ff. 781 Murmann, FS Yamanaka, S. 295 ff. 779

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berücksichtigen, denen der Einzelne bei seiner Entscheidung begegnen könnte. Das heißt, man muss konkrete Fälle erörtern, die deutlich machen, mit welchen möglichen Notlagen eine Person konfrontiert sein könnte, wenn sie eine solche Entscheidung trifft, das Leben aufzugeben. Dies erfordert unvermeidlich, den Inhalt der Entscheidung zu berücksichtigen. Entscheidungen, die unterschiedliche Inhalte betreffen, können unterschiedliche Ergebnisse herbeiführen und können daher auch zu unterschiedlichen Anforderungen an die Gewichtung der Freiwilligkeit führen. Beim Lebensverzicht müssen angesichts der Irreversibilität des Lebensverlusts und der engen Verbindung zwischen menschlichem Dasein und Freiheitsgebrauch782 striktere Anforderungen an Freiwilligkeit gelten. Es sollte betont werden, dass hier nicht die Unverletzlichkeit oder die Absolutheit von Leben behauptet wird. Hier wird vielmehr vorgetragen, dass, da das Aufgeben des Lebens eine so gravierende Entscheidung für den Einzelnen ist, strengere Maßstäbe an die Freiwilligkeit der Entscheidung anzulegen sind. b) Grundlage des Arguments: Konkretes Risiko der mangelnden Vollzugsreife für die freie Selbstbestimmung und die Notwendigkeit der Intervention im Sinne eines weichen Paternalismus Einer der wichtigen Faktoren, die in der Praxis Einfluss auf Entscheidungen haben können, ähnelt dem oben beim Dammbruchargument erwähnten Risiko des nächsten Schrittes.783 Es ist nicht zu leugnen, dass in allen Gesellschaften, die mit der Alterung der Bevölkerung konfrontiert sind, langfristige Pflegekosten eine enorme finanzielle Belastung darstellen. In Deutschland beträgt die Zahl der pflegebedürftigen Personen ca. 2,9 Millionen (2015).784 Ein Pflegeheimplatz kostet durchschnittlich ca. 3.000 Euro pro Monat. Die durchschnittliche monatliche Vergütung für Pflege sowie Unterkunft und Verpflegung beträgt rund 3,165 Euro.785 Die einmaligen Kosten für die Suche nach einem „würdigen Tod“ in einer ausländischen Institution, z. B. Dignitas, betragen etwa 6.000 – 8.000 Euro. Solche Kostenvergleichsergebnisse können nicht ignoriert werden. Es besteht nämlich die Gefahr, dass „der […] dem Anspruch nach strikt am Patientenwillen ausgerichtete Autonomiediskurs […] eine untergründige Querverbindung zu wirtschaftlichen Interessen auf[weist]“.786 Diese Betrachtung hat nichts mit großen philosophischen Themen wie der Definition der Autonomie zu tun, sondern zeigt nur ein praktisches Risiko auf: Bei der Ausübung des Grundsatzes, dass „Selbstbestimmung eine normative Leitidee moderner Ge782

Siehe oben § 4 B.IV.3. Siehe oben § 4 B.III.2. 784 Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2015, Deutschlandergebnisse, S. 5. 785 Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2015, Deutschlandergebnisse, S. 18. Pflegebedürftige sind in 5 Klasse eingestuft. Die Datei bezieht sich auf das Kosten in der Pflegeklasse III. 786 Pawlik, Das Recht der Älteren im Strafrecht, in: Becker /Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, S. 135; vgl. auch ders., FS Kargl, S. 412. 783

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sellschaft“787 ist, können kollektivistische, utilitaristische Erwägungen ins Spiel kommen. Wenn der Begriff der Autonomie ernst genommen ist, kann man dieses Risiko nicht außer Acht lassen.788 Erneut ist darauf aufmerksam zu machen, dass das hier thematisierte Risiko weder in der Beeinflussung anderer Personen noch im Bruch des Tötungstabus besteht. Andernfalls würde es unter die externe Grenzbegründung und damit in ihre Problematik fallen. Es geht vielmehr um die Frage, ob eine solche Aussage und die daraus entstehende gesellschaftliche Atmosphäre, die an der Oberfläche als Hochschätzung des Autonomieprinzips erscheint, hintergründig jedoch die Angst vor einem zu hohen Verbrauch sozialer Ressourcen durch den Weiterlebenden impliziert, übermäßigen Druck auf den Entscheidenden ausübt und somit die Entscheidung beeinflusst. Künschner liefert eine ziemlich genaue Beschreibung dieser Gefahr:789 „Ein elendes Sein als Last für sich und andere schafft sich das Bewußtsein, das den Tod als Erlösung verlangt.“ Bei dem Rückgriff auf die als frei und selbstbestimmt erscheinende „erlösende Spritze“790 könnte es sich in Wahrheit um das „Alibi einer allzu bequemen Gesellschaft“791 handeln. Es geht also nicht um den Effekt der Beeinflussung anderer Personen, sondern um die Beeinflussung dieser Person, die eine Lebensbeendigungsentscheidung getroffen hat. Anders formuliert: Die empirische Statistik wird nicht zur Unterstützung des auf kollektiven Interessen basierenden Ansatzes (wie beim Dammbruchargument) angeführt, sondern auf das Anliegen der materiellen Freiheit des einzelnen Entscheidenden bezogen. Wenn zum Beispiel die Gesamtdaten zeigen, dass die meisten Menschen in der Gesellschaft die Kosten einer Langzeitpflege reduzieren möchten, welche Auswirkungen könnte dies auf einzelne Patienten haben, die vor der Entscheidung zur Lebensbeendigung stehen? Die zweite Erwägung betrifft den physischen und psychischen Zustand des Betroffenen. In dieser Hinsicht sind die Daten zum Suizid und zur Tötung auf Verlangen gewissermaßen vergleichbar. Empirische Forschungen zeigen, dass Suizidalität und Depression eng miteinander verbunden sind.792 In Deutschland versterben jährlich ca. 10.000 Menschen durch Suizid.793 In 98 % der Suizidfälle hat zumindest die Diagnose einer psychischen Erkrankung vorgelegen, in etwa einem Drittel der Suizidfälle war dies eine affektive Störung, vor allem Depression.794 Bei der Ent787

Krähnke, Selbstbestimmung, S. 82. Dagegen vgl. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 155 f. Mosbacher ist der Meinung, das Strafrecht habe nicht die Aufgabe, den Einzelnen vor den Folgen seiner eigenen Entscheidung zu bewahren. 789 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 153. 790 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 153. 791 Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, S. 30. 792 Scherr, Depression – Medien – Suizid, S. 92 ff. 793 Statistisches Bundesamt, Anzahl der Sterbefälle durch vorsätzliche Selbstbeschädigung bis 2015. 794 A.a.O., S. 92. 788

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scheidung zum Verlangen der Lebensbeendigung hingegen sind, den Statistiken des Nachbarlandes zufolge, die Entscheidungsträger hauptsächlich (über 85 %) Patienten, die an schweren Krebserkrankungen leiden.795 Auf den ersten Blick scheint die Situation der beiden Personengruppen unterschiedlich. Wenn man aber auf die empirischen Ergebnisse genauer betrachtet, lässt sich feststellen, dass Krebs seinerseits eine starke Relevanz für psychische Erkrankungen hat. Die Krebsdiagnose nimmt Einfluss auf die psychische Befindlichkeit der Betroffenen.796 Denn sie impliziert die Möglichkeit, dass der Patient mit seinem Tod, langanhaltendem Leiden, unstillbarem Schmerz und sozialer Isolation konfrontiert sein könnte.797 Dies führt jedenfalls einen „emotional outcome“ herbei.798 Depression ist eine der häufigsten komorbiden Störungen bzw. Reaktionen auf eine Krebserkrankung. Daraus lässt sich folgern, dass eine Person meistens in einem schwachen Zustand ist, wenn sie vor der Entscheidung steht, ihr Leben aufzugeben. Verknüpft man diese zwei Faktoren miteinander, lässt sich das Risiko einer fehlerhaften Entscheidung verdeutlichen. Exemplarisch zeigt sich ein solches Risiko bereits in der Anwendung der Patientenauswahl.799 Dies beinhaltet nicht nur die Patientenverfügung, die Behandlung abzubrechen, sondern auch andere Formen medizinischer Auswahl, z. B. Organtransplantation, welche auch im Zusammenhang mit dem Streit um § 228 StGB steht. Wenn Ärzte eine medizinische Beratung durchführen, könnten sie zu Vorschlägen neigen, die eine ökonomische Betrachtung ihnen nahelegt.800 Zwar darf der Patient aufgrund seines Selbstbestimmungsrechts grundsätzlich jede Behandlung ablehnen; doch sagt dies nichts darüber aus, ob er eine aufwendige Behandlung verlangen kann, wenn Ärzte sie mangels hinreichender Erfolgsaussicht und hohen Aufwands nicht für angezeigt halten.801 Dadurch entsteht die Gefahr, Allokationsentscheidungen unter dem Deckmantel vermeintlicher technisch-wissenschaftlicher Objektivität zu verbergen.802 Es ist denkbar, dass beim Verlangen der Fremdtötung der geistige Zustand des Patienten noch fragiler ist, was zu einem höheren Risiko für die freie Entscheidung führen kann. Es gibt daher die berechtigte Möglichkeit und Notwendigkeit paternalistischer Intervention.803 Um

795

S. 12.

Die Jahresbericht 2016 der Regionalen Kommissionen zur Sterbehilfe-Kontrolle (RTE),

796 Fuchs, Einfluss von eigener Krebserkrankung und Krankheitserfahrungen in der Familie auf Angst und Depression beim hereditären Mamma- und Ovarialkarzinom, S. 17. 797 A.a.O. 798 A.a.O. 799 Vgl. Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 111 ff., 155. 800 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 187, 98 ff. 801 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 154. 802 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 187. 803 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 230; ders., FS Kargl, S. 412.

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eine „Überforderung durch Autonomie“804 zu vermeiden, darf und muss der Staat nach den vorliegenden empirischen Daten die Entscheidung des Einzelnen einschränken, wenn sie über den vom Entscheidenden selbst zu verantwortenden Bereich hinausgehen könnte. Solche Einschränkung basiert nicht auf einem von Individualinteressen unabhängigen Wert, sondern entspricht der Grenze, die das verwirklichbare Selbstbestimmungsrecht unter seinen internen und externen Bedingungen erreichen kann. c) Gegenstand der paternalistischen Maßnahmen: Selbstentschiedene Lebensbeendigung durch einen Dritten – veränderte Zuständigkeitsverteilung Die nächste zu beantwortende Frage lautet: Wenn die Situationen der Entscheidenden im Fall von Suizid und im Fall von Tötung auf Verlangen vergleichbar sind, warum werden diese beiden Fälle im Strafrecht dann unterschiedlich behandelt? Die Aussage, dass der Selbsttötung die natürliche Hemmung entgegensteht, während sie bei der eingewilligten oder verlangten Fremdtötung fehlt, erscheint wenig überzeugend. Denn der empirischen Forschung zufolge handelt es sich bei der Selbsttötung oder dem Selbsttötungsversuch öfter um einen sog. Appellsuizid oder eine sonstige Kurzschlussreaktion805 und eher selten um einen „Bilanzsuizid“.806 Das Risiko für die freie Entscheidung ist daher bei der Beihilfe zur Selbsttötung (der obigen Erläuterung bezüglich dem ärztlichen Rat aus untergründig wirtschaftlicher Erwägung zufolge) nicht geringer als bei Tötung auf Verlangen. Oben bei der Erörterung des Tabuarguments wurde bereits gezeigt,807 dass die Grenze zwischen direkt-aktiver und indirekt-aktiver Sterbehilfe in der Tat sehr durchlässig ist. Es befriedigt auch nicht, die Selbstschädigung als rein private Entscheidung anzusehen. Eine verwirklichbare bzw. verwirklichte Selbstbestimmung setzt soziale Bedingungen voraus und hat auch soziale Auswirkungen. Sobald sich das Verhalten auf andere bezieht, ist es nicht rein privat, sondern hat in einem gewissen Maße sozialen Charakter.808 Überzeugender ist das Argument, dass, obwohl die einzelne Person in ihrem Verhalten in gewissem Umfang eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft hat, diese Verpflichtung nicht ohne Grenzen ist. Unter rechtlichen Gesichtspunkten hat der Einzelne jedenfalls keine Pflicht, weiterzuleben. Selbsttötung ist daher kein Unrecht. Wenn der Einzelne durch fehlende Bedingungen der Freiheitsausübung 804

Wiesemann, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 24; ders., Autonomie als Bezugspunkt einer universalen Medizinethik, Ethik Med (2012) 24, 294. 805 Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 168 ff. 806 Engländer, FS Schünemann, 2014, S. 588. 807 Oben § 4 B.II.3. 808 Pawlik, Das Recht der Älteren im Strafrecht, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, S. 132.

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bzw. durch seine innere Schwäche in seiner Entscheidung eingeschränkt ist und seine Entscheidung einer Plausibilitätsprüfung durch dritte Person daher nicht standhalten würde, kann er für die Ergebnisse seiner eigenen Entscheidungen nicht verantwortlich sein und kann sich daher in dieser Hinsicht nicht selbst bestimmen. Diese Beurteilung der im Handlungskontext bestehenden Einschränkung der Einwilligung unterscheidet sich von der Beurteilung der allgemeinen Schuldfähigkeit und ist auch unabhängig von der allgemeinen Einwilligungsfähigkeit; in den Tatbestandsmerkmalen von Ausdrücklichkeit und Ernstlichkeit in § 216 StGB zeigt sich, dass für die freie Selbstbestimmung zum Sterben eine höhere Schwelle gilt als für die Selbstbestimmung bezüglich anderer Gegenstände. Die Situation ist aber anders, wenn eine Entscheidung zum Verzicht eigenen Lebens unmittelbar die Handlung eines Dritten betrifft. Wenn die dritte Person nicht in einer Situation steht, in der ihre konkrete Freiheit so stark wie die des Entscheidenden eingeschränkt ist, sondern sich umgekehrt in einer Position des Informationsvorteils befindet, dann gibt es objektiv betrachtet logischerweise die Möglichkeit, ihr die Verpflichtung zur Erfüllung der oben genannten Bedingungen der wirklichen Freiheit aufzuerlegen. Den empirischen Daten aus den Nachbarländern, beispielsweise den Niederlanden, zufolge haben über 96 % derjenigen, die nach Sterbehilfe gesucht haben, die Lebensbeendigung auf Verlangen ausgewählt, während weniger als 3 % Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch genommen haben.809 Diese Daten müssen freilich vorsichtig interpretiert werden, weil es eine Verflechtung verschiedener Gründe geben könnte.810 Eine riskante Möglichkeit kann jedoch nicht ausgeschlossen werden: Wenn ein Mensch schwach ist, ist es für ihn durchaus eine relativ einfache Entscheidung, sein eigenes Schicksal anderen anzuvertrauen. In hochspezialisierten medizinischen Beziehungen, die auf das Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten angewiesen sind, neigen Patienten öfter dazu, die Auswahl ihrer Behandlung den Ärzten zur Entscheidung zu überlassen. Das Risiko könnte daher darin bestehen, dass sich die Patienten mit ihrem Wunsch nach Lebensbeendigung mit mehr Entschlossenheit an den Arzt wenden.811 Hier besteht mit anderen Worten möglicherweise ein höheres Autonomierisiko. Es ist jedoch noch zu erklären, warum die dritte Person die staatspaternalistischen Interventionsmaßnahmen tolerieren muss. Immerhin handelt sich bei den §§ 216, 228 StGB nach deren normativen Strukturen um indirekten Paternalismus. Das heißt, sie begrenzen die Handlungsmöglichkeiten eines Dritten, um dadurch mittelbar eine andere Partei vor den schädigenden Folgen ihrer eigenen Entscheidung zu bewah809 Die Jahresbericht 2016 der Regionalen Kommissionen zur Sterbehilfe-Kontrolle (RTE), S. 10. Im Jahr 2016 sind bei den Kontrollkommissionen 5856 Meldungen über Lebensbeendigung auf Verlangen, 216 über Hilfe bei der Selbsttötung und 19 über eine Kombination aus beiden eingegangen. 810 Vgl. Jahresbericht 2016 der Regionalen Kommissionen zur Sterbehilfe-Kontrolle (RTE), S. 5. 811 A.a.O.

C. Interne Grenzbegründung

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ren.812 Die Verpflichtungen Dritter allein aus abstrakten Rechten zu begründen, scheint der Autorin nicht als der beste Weg. Wählt man die Lösung der Selbstzweckformel, wie Köhler und Maatsch,813 um die Entscheidung zur eigenen Lebensbeendigung für unwirksam zu erklären und das Unrecht des Dritten mithin aus dem allgemeinen Rechtsgesetz bzw. dem äußeren Verletzungsverbot herzuleiten, müsste die Tötung auf Verlangen als Mord oder Totschlag bestraft werden. Dies läuft aber durchaus dem positiven Gesetz völlig zuwider. Auch de lege ferenda wäre es nicht akzeptabel. Es gibt positivrechtlich einen offensichtlichen Unterschied in der Bestrafung zwischen den beiden Deliktsgruppen.814 Selbst wenn nach herrschender Meinung § 216 StGB als eine Privilegierung bzw. Strafminderung verstanden wird, bleibt es unerklärt, weshalb eine solche Privilegierung gewährt werden könnte, ohne gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) und das Schuldprinzip zu verstoßen. Wenn man nicht anerkennt, dass die Willensäußerung des Verletzten hier immer noch von wesentlicher Bedeutung ist, scheint es unmöglich, dieser Privilegierung zu rechtfertigen. Aus demselben Grund lässt sich nicht vertreten, dass es dem Opfer, das sich für seinen eigenen Tod entschieden hat, an allgemeiner Einwilligungs- bzw. Willensfähigkeit mangele. Außerdem zeigen die Tatbestandsmerkmale Ernstlichkeit und Ausdrücklichkeit in § 216 StGB bereits an, dass sich die Einschränkung der Einwilligung in der Vorschrift nicht aus dem Mangel der überlieferten Willensfähigkeit ableitet. Mit anderen Worten: Es ist klar, dass sich der Gesetzgeber entschlossen hat, die Tötung auf Verlangen trotz des Vorliegens vollständiger allgemeiner Einwilligungsfähigkeit des Opfers strafrechtlich zu verbieten. Der Legitimationsgrund der Strafbarkeit der Handlung des Dritten bzw. seine Unterlassungspflicht beruht daher weder auf dem allgemeinen kategorischen Rechtsimperativ noch auf dem Mangel an Einwilligungsfähigkeit im allgemeinen Sinne. Der Grund liegt vielmehr darin, dass zwar der Verlangende die allgemeine Einwilligungsfähigkeit besitzt, aber er sich wegen seines derzeitigen physischen und psychischen Zustandes in einer Notlage befindet. Aufgrund der Mitwirkungspflicht des Bürgers815 zur gemeinsamen Aufrechterhaltung des substantiellen freiheitlichen Zustandes ist der Dritte verpflichtet, das Verlangen der Tötung zurückzuweisen und untätig zu bleiben. Das Unrecht des Dritten entsteht nicht aus einem Verstoß gegen das Verletzungsverbot in einem abstrakten Rechtsverhältnis. Die Pflicht, gegen die verstoßen wird, ist hier vielmehr eine Pflicht, die aus der allgemeinen Mitwirkungspflicht des Bürgers entsteht und sich im Einzelfall weiter als Unterlassungspflicht gegenüber der nicht-vollzugsreifen Entscheidung konkretisiert. Insbesondere 812

Gkountis, Paternalisms, S. 21. Vgl. auch oben Anm. 381. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht besonderer Teil I, 2/60; Eser/Sternberg-Lieben, in: Sch/Sch StGB, 29. Aufl., § 216 Rn. 1. 814 Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft (§ 211 Abs. 1). Totschlag wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft (§ 212 Abs. 1). Bei Tötung auf Verlangen ist dagegen auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen (§ 216 Abs. 1). 815 Vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 82 ff. 813

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

darf der Staat aufgrund des Öffentlichkeitscharakters der eingewilligten/verlangten Verletzung die jeweiligen Zuständigkeiten816 unter Berücksichtigung des gesamten Kontextes und der konkreten Situationen beider Parteien umverteilen. Diese an einem weichen Paternalismus orientierte Zuständigkeitsverteilung muss aber auf der wahren Autonomie des Betroffenen beruhen und stets sein Selbstinteresse schützen. d) Die Freiwilligkeitsbeurteilung mit Hilfe der Rationalität des Verhaltens und die teleologische Reduktion des § 216 StGB Nach dieser Festlegung der Grundlage paternalistischer Interventionsmaßnahmen muss als Nächstes die Frage nach den konkreten Beurteilungskriterien für das Freiwilligkeitsdefizit bei der Tötung auf Verlangen behandelt werden. Im Hinblick auf einen nur weichen Paternalismus sollten die Kriterien sich auf die prozedurale Überprüfung beschränken. Das heißt, der Eingriff in die Einwilligungswirkung darf nur auf einem Defizit der Freiwilligkeit der Einwilligung beruhen, nicht auf einer Beurteilung der Vernünftigkeit des Einwilligungsinhalts. Andernfalls „bestünde schon auf dieser Ebene die Gefahr, die Entscheidung unter Hinweis auf ein Defizit zu unterlaufen“.817 Wird dies folgerichtig durchgeführt, sollte diese Art der Risikokontrolle, die durch Einschränkung der Einwilligungswirkung das Entscheidungsdefizit zu vermeiden versucht, nur auf die Entscheidungsfindung selbst ausgerichtet werden, nicht aber in den Entscheidungsinhalt eingreifen. Bei der Erörterung, ob und wann der Staat in die defekte Entscheidung des Einzelnen eingreifen darf, geht Murmann – und gehen auch viele andere Autoren, die diesen Ansatz verfolgt haben – jedoch von den konkreten Inhalt des betroffenen Rechts aus, und zwar von der objektiven Bewertung der konkreten Entscheidung. In seiner Erörterung,818 welche Umstände es rechtfertigen, in den Konstellationen des § 216 StGB ein besonderes Risiko einer defizitären Entscheidung anzunehmen, spricht Murmann auch von der Berücksichtigung der „plausiblen“ Gründe der Entscheidung. Es stehe zum Beispiel dabei am Anfang die Annahme,819 dass schon angesichts des elementaren Werts, den der Einzelne im Regelfall dem Leben beimisst, eine mängelbehaftete Entscheidung nicht ganz fern liege, wenn der Einzelne seinem Leben ein Ende setzen will; jedoch könne es im Einzelfall auch gute Gründe geben, die die Entscheidung plausibel erscheinen lassen. In seinem dritten Punkt spricht Murmann820 wieder von plausiblen Gründen für Einwilligung in die Verletzung; er argumentiert, dass Eingriffe in die körperliche Integrität häufig reversibel sind; darüber hinaus nimmt Murmann unzweideutig an, dass „das Rechtsgut der kör-

816 817 818 819 820

Über die Zuständigkeiten des Bürgers siehe Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 157 ff. Murmann, FS Yamanaka, S. 298. Murmann, FS Yamanaka, S. 304. Murmann, FS Yamanaka, S. 304. Murmann, FS Yamanaka, S. 307.

C. Interne Grenzbegründung

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perlichen Integrität nicht von gleicher Wertigkeit wie das Rechtsgut Leben“ sei.821 Diese Merkmale beziehen sich aber bereits klar auf substantielle Bestimmungen. Dies entspricht im Wesentlichen der obigen Schlussfolgerung, dass abstrakte/ formale Freiheit und konkretes/materielles Wohlergehen zusammen als Verhaltensmaßstäbe gelten.822 Wie bereits erwähnt, können Freiheit und Wohlfahrt als Kriterien der Beurteilung des individuellen Verhaltens nicht vollständig voneinander getrennt werden. Da es bei der Gewährleistung der materiellen Freiheit ohnehin um die substantielle Autonomiedefinition geht, ist bei der Bewertung menschlichen Verhaltens unumgänglich die substantielle Rationalität des Verhaltens in Betracht zu ziehen. Als weiterer Beweis zeigt sich auch die Gesetzeslage, der zufolge dasjenige Maß an Selbstbestimmtheit, welches bei der Preisgabe weniger wichtiger Belange schon als ausreichend für einen Unrechtsausschluss betrachtet wird, im Fall des § 216 StGB nicht einmal dazu ausreicht, eine tatbestandsmäßige Strafminderung bzw. Privilegierung herbeizuführen.823 Gerade mit dieser Erwägung wahrer Freiheit eröffnet sich die Möglichkeit zur teleologischen Reduktion des § 216 StGB. Wenn es in einem zeitlich extrem begrenzten Leben nur große Schmerzen und Leiden gibt, ist das ausnahmslose Verbot, sein eigenes Leben aufgeben, nicht mehr ein Schutz der wahren Freiheit bzw. konkreten Selbstverwirklichung, sondern nur die Auferlegung einer abstrakten Pflicht zur Selbsterhaltung. Durch den aus der Regelung des rechtfertigenden Notstands abgeleiteten Gedanken,824 dass die Ermöglichung des eigenen Todes in Würde und Schmerzfreiheit der wahren Autonomie eher entspricht als die Aussicht, unter schwersten Leiden nur noch kurze Zeit länger zu leben, lässt sich auch die hier thematisierte teleologische Reduktion des § 216 StGB begründen. Wie oben dargetan, haben die Gesetzgeber durch die Tatbestandsmerkmale „Ausdrücklichkeit“ und „Ernstlichkeit“ des § 216 StGB jedoch schon den Weg versperrt, durch reine prozedurale Freiwilligkeit des Verletzten das Tötungsunrecht entfallen zu lassen. De lege lata kann die Reduktion daher nur durch eine substantielle Erwägung begründet werden. Der Verlangende muss also „gute, nachvollziehbare Gründe“825 für sein Handeln angeben können, damit seine Lebensverzichtsentscheidung sich als „sachgemäß“826 halten lässt.

821 822 823 824 825 826

Murmann, FS Yamanaka, S. 307. Oben § 4 C.II.4. Pawlik, FS Kargl, S. 414. Pawlik, FS Kargl, S. 413; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 230. Pawlik, FS Kargl, S. 414. Pawlik, FS Wolter, S. 634.

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§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze

e) Fazit Die Legitimität der Einschränkung der Einwilligung beruht auf einer substantiellen Freiheitsüberlegung. Die übereilte Entscheidung ist zu verbieten, weil, obwohl der Einwilligende die rechtliche Fähigkeit zur allgemeinen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung hat, ihm in bestimmten Fällen (wegen Übereilung im Sinne des Tatbestandsmerkmals) oft lediglich eine so begrenzte Freiheit zur Verfügung steht, dass rechtlich die Wirkung einer solchen Selbstentscheidung nicht anzuerkennen ist. Ansonsten würde der Einzelne mit einer übermäßigen Verantwortung belastet. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Freiheit im Einzelfall übermäßig begrenzt ist, sind zumindest schwach substantielle Kriterien anzuwenden.827 Bestimmte Rechte, wie das Leben, sind für den Einzelnen von besonderer Bedeutung. Bei Verzicht auf diese Rechte sind daher strengere Beurteilungsmaßstäbe anzunehmen. Diejenigen, die das eigene Leben aufzugeben gewillt sind, vor allem diejenigen, die sich entscheiden, ihr Leben durch fremde Hand zu beenden, müssen also nachvollziehbare Gründe dafür liefern, dass diese Entscheidung objektiv als frei zu beurteilen ist. Denn realistisch betrachtet können alle subjektiven Maßstäbe lediglich den aktuellen psychischen Zustand des Entscheidenden darstellen, der bereits von äußerlichen Bedingungen begrenzt worden ist, aber nicht die Begrenzung selbst. Die Bestimmung sowie Beseitigung dieser Einschränkung der Selbstentscheidung kann nur durch übersubjektive bzw. objektive Maßstäbe erreicht werden. Mit der Untersuchung wird eine neue Begründung der Auslegung von § 216 StGB geboten, mit der auch die Grenze der Einwilligung und ihre Grundlage in einen einheitlichen Freiheitsbegriff integriert werden können.

D. Forschungsergebnis: Die Einheit der Einwilligungsgrundlage und der Begründung ihrer Grenzen Grundlage und Begrenzung der Einwilligung werden hier theoretisch integriert; beides entspricht den Anforderungen des individualistischen Ansatzes in § 1. Die umfassende Anerkennung der Einwilligungsanwendung im Strafrecht kennzeichnet die entscheidende Bedeutung der Selbstbestimmung der freien Rechtsperson im Rechtsbereich. Ein Einwilligungsinstitut, das allgemeine Gültigkeit im Strafrecht hat, kann daher nur mit einer auf Autonomie beruhenden freiheitlichen Rechtsordnung vereinbar sein. Die Grundlage sowie die Grenze der Anwendbarkeit der Einwilligung lassen sich ebenfalls nur aus einer individualistischen Perspektive ableiten. Dementsprechend schwächen die Argumente, die die Einwilligung durch andere Werte als die Selbstbestimmung einschränken, nicht nur die Position der Einwilligung im Strafrechtssystem, sondern erschüttern auch die Position der Straftheorie als 827

Vgl. Pawlik, FS Kargl, S. 414.

D. Forschungsergebnis

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Teil der freiheitlichen Rechtsordnung, die sich an individueller Autonomie orientiert. Wie dargetan, gehören alle Begründungen der Einwilligungsgrenzen, die vom Rechtsgut „Leben“ ausgehen, zu dieser Klasse von Argumenten. Sie sind daher externe Grenzbegründungen. Aus der Rechtsgutslehre lässt sich keine legitimierte Einschränkung für die Einwilligung herleiten, genauso wie durch die Rechtsgutslehre keine freiheitliche Grundlage für die allgemeine Gültigkeit der Einwilligung geliefert wird. Vom Rechtsgutsbegriff kann weder das Selbstbestimmungsrecht noch eine liberale Begründung seiner Grenzen abgeleitet werden. Es zeigt sich schon oben in § 3, dass sich Einwilligung als ein normatives Konstrukt auf konkrete, nicht nur auf abstrakte Selbstbestimmung bezieht. Denn die allein aus der abstrakten Selbstbestimmung hergeleitete Einwilligung ist, solange sie folgerichtig durchgeführt wird, nur auf das abstrakte Rechtsverhältnis ausgerichtet. Infolgedessen können Einschränkungen der Einwilligung nur aus den abstrakten Rechtspflichten resultieren. Wenn die freie Selbstbestimmung allein als vernünftiges Verhalten gekennzeichnet wird, nämlich als diejenige Entscheidung, die einem allgemeinen Rechtsprinzip wie der Selbstzweckformel entspricht, wird der normative Umfang der Selbstbestimmung zu sehr verengt. Im Unterschied dazu entspricht die konkrete Selbstbestimmung einem materiellen Freiheitsbegriff, der im komplexen, kontextuellen Rechtsverhältnis wirksam wird. Diese Idee der materiellen Freiheit verkörpert sich zugleich im Strafrecht als die normative Anwendungsgrenze der Einwilligung. Das heißt: Da die materielle Freiheit des Einzelnen von Anfang an im wechselseitigen Verhältnis mit der Freiheit anderer, also in einem Sozialkontext steht, ist sie niemals abstrakt und grenzenlos. Sie ist immer mit bestimmten Entscheidungssituationen verknüpft. Normativ muss also der Umfang der Selbstbestimmung aufgrund der Erwägung dieser konkreten Situationen abgegrenzt werden. Die Begründung der Einwilligungsgrenzen, die auf die Verhinderung der übereilten Entscheidung abzielt, basiert gerade auf dieser Erwägung. Dass der Umfang der Selbstbestimmung unter der Voraussetzung nachvollziehbarer Gründe erweitert werden darf, entspricht auch dem in § 3 vorgelegten Maßstab für die positive Feststellung der Selbstbestimmung, nämlich dem Maßstab der Plausibilität gegenüber anderen. Das daraus abgeleitete Einwilligungskonzept wird durch den individualistischen Ansatz begründet, und ihm werden durch die Idee der materiellen Freiheit der einzelnen Person begrifflich seine inneren Grenzen gezogen. Auf diese Weise gelangen die Grundlage der Einwilligung, ihre rechtliche Einschränkung und die freiheitliche Rechtsordnung, die die Einwilligung als unrechtsausschließenden Grund allgemein anerkennt, zu einer systematischen Einheit.

Zusammenfassung Der Zweck dieser Arbeit ist es, die rechtlichen Grundlagen und die daraus abgeleiteten Grenzen bzw. internen Schranken des Einwilligungsbegriffs zu klären und damit die theoretischen Lücken der bestehenden Lehre zu schließen. Zu diesem Zweck widmet sich die Arbeit der Aufgabe, die herrschende Rechtsgutslehre sowie die Schranken der Einwilligung in der Dogmatik zu untersuchen. Die Feststellungen der gesamten Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen. 1. Ein Blick auf den Entwicklungstrend des Einwilligungskonzepts in den letzten 100 Jahren zeigt, dass im gesamten Strafrechtssystems die Bedeutsamkeit der Einwilligung allmählich zugenommen hat: Sie war zu Beginn lediglich eine Ausnahme von einzelnen strafrechtlichen Verbotsnormen; später ist sie als ein eigenständiges, rechtlich schutzwürdiges Interesse anerkannt worden und kann mit anderen Schutzgegenständen verglichen und abgewogen werden; in der Folge sind einige Wissenschaftler zu der Auffassung gelangt, dass die Selbstbestimmungsfreiheit hinter der Einwilligung der eigentlich zu schützende Gegenstand des Strafrechts sei. 2. Nach der in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchung lässt sich jedoch feststellen, dass auch die liberale Rechtsgutslehre, die unter allen Rechtsgutsansätzen dem liberalen Denken am nächsten kommt, die Selbstbestimmung dem von der einzelnen Strafvorschrift jeweils bestimmten Rechtsgut gegenüberstellt und letztlich den Konflikt zwischen beiden Werten mittels einer Abwägungslösung behandelt. Es zeigt sich, dass sich in diesen verschiedenen Begründungen der Einwilligung stets eine politisch-philosophische Position kollektivistischen Ursprungs manifestiert. Jede Lösung, die auf dem Rechtsgutsdenken beruht, hat Anteil an einem solchen kollektivistischen Ansatz. Dies ist das erste Ergebnis dieser Arbeit. 3. Diese Arbeit erhebt Einwände gegen die Auffassung, dass die Einwilligung als Dispositionsbefugnis über ein bestimmtes Rechtsgut zu definieren sei. Denn der ontologische Fehler des Rechtsgutsdenkens, die inhärente Voreinstellung des Rechtsgutskonzepts, führt ohnehin dazu, dass die Selbstbestimmung allenfalls eine sekundäre Position im Strafrecht haben kann. Der Zusammenhang von Selbstbestimmung und Rechtsgut bleibt letztlich kontingent. Das liegt daran, dass das inhärente Merkmal des Rechtsgutsbegriffs gerade seine hohe Flexibilität bzw. seine Inhaltsleere ist. Im Rechtsgutsbegriff ist kein zentraler Wert enthalten, der sich selbst theoretisch begründen kann. 4. In der Arbeit wird weiter darauf hingewiesen, dass auch das Wertsystem, auf das sich die Rechtsgutslehre beruft, nämlich die Gesellschaftsvertragstheorie, die

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inhärenten Mängel der Rechtsgutslehre nicht korrigieren kann. Solange man darauf beharrt, dass das Strafrecht ein Gesetz zum Rechtsgüterschutz sei, wird der Rechtsgutsinhaber, der als ein selbstbestimmtes Rechtssubjekt gelten sollte, zum „Träger“ des Rechtsguts reduziert. Sein Wille und seine Selbstbestimmung werden bei der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Rechtspersonen allenfalls als einer der Faktoren betrachtet, die nach pragmatischer Erwägung mit anderen Belangen verglichen werden können. Die Auffassung des materiellen Rechtsgutsbegriffs festigt eigentlich diese Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt, weil sie versucht, das Rechtsgut als eine vorpositivrechtliche Substanz zu fassen, ohne die dynamische Beziehung zwischen selbstbestimmtem Subjekt und äußeren Gegenständen zu berücksichtigen. In einem Rechtsgutsdenken, das auf den Locke’schen Liberalismus ausweicht, wird die Selbstbestimmung wie auch das Selbstbestimmungssubjekt letztlich unterschätzt. 5. Auf der anderen Seite kann im Rahmen des demokratischen Rechtsstaats nur ein von Individualismus ausgehender Einwilligungsbegriff akzeptiert werden. Mit den vorhandenen Begründungsmodellen kann diese Anforderung aber nicht erfüllt werden. Man sollte daher auf den Ausgangspunkt des kollektivistischen Gedankens verzichten und aus der Perspektive der Zuständigkeitsverteilung des Rechtskreises den Rechtsgrund sowie den Wirkungsbereich der Einwilligung erörtern. 6. Auf der anderen Seite hält diese Arbeit auch die andere Ansicht für fragwürdig, die dem Rechtsgutsgedanken gerade entgegengesetzt ist. Diese Ansicht geht von dem klassischen liberalistischen Gedanken aus und konzipiert die Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung: Die einzelne Person könne ihr Rechtsverhältnis mit anderen Person nach ihrer Willkürfreiheit umgestalten, sofern dies nicht gegen das allgemeine Rechtsprinzip verstoße. Obwohl dieser Ansatz das Selbstbestimmungssubjekt zutreffend in die Vision einbezieht, kann er die reale Lebenssituation des Einzelnen nicht ausreichend berücksichtigen und auch die Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und des Sozialstaats nicht in Betracht ziehen, ohne in Selbstwiderspruch zu geraten. 7. Im Verständnis des abstrakten Selbstbestimmungsbegriffs sind aufgrund der Anforderung des Allgemeinheitsprinzips die Informationen und Bedingungen, die bei der Beurteilung des Umfangs der Einwilligung einbezogen werden können, äußerst begrenzt. Die Ausprägung der Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung ist letztlich nicht in der Lage, ihre ursprüngliche Intention, die Freiheit des Subjekts zu gewährleisten, durchzusetzen. Wenn die Vertreter der abstrakten Selbstbestimmung bei der Beurteilung des Selbstbestimmungsumfangs die Erwägung des materiellen Inhalts sowie konkreter Bedingung der Entscheidung einführen, führt dies unweigerlich zu theoretischer Inkonsistenz. 8. Im Unterschied dazu vertritt diese Arbeit die Auffassung, dass die Einwilligung die konkrete Selbstbestimmung darstellt. Selbstbestimmung ist ein normatives Konzept, dessen Definition einen bestimmten kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext widerspiegelt. In der modernen Zeit wird Selbstbestimmung sehr

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geschätzt. Zum einen spiegelt sich darin die Anerkennung des einzelnen Subjekts wider, zum anderen besteht aber auch die Gefahr, dass der Staat sich von seiner Pflicht gegenüber seinen Bürgern durch den Rekurs auf Selbstbestimmung entlastet. Wenn man sich weiterhin an die Position des klassischen liberalistischen Denkens hält, bedeutet dies nichts anderes, als im Namen der Autonomie dem Einzelnen eine übermäßige Belastung aufzuerlegen, die zu tragen er eventuell nicht in der Lage ist. 9. Die moderne freiheitliche Rechtsordnung einschließlich des Strafrechts muss nicht nur das abstrakte Recht der einzelnen Person schützen, sondern auch die materielle Freiheit, die die Person im institutionellen Kontext, in dem sie mit anderen Personen zusammenlebt, verwirklichen kann. Diese Freiheit entspricht dem Verständnis eines Menschenbildes, das auf Konkretheit und Wirklichkeit beruht. Die Realität der Freiheit ist selbst das Wesen der Freiheit. Dementsprechend muss der Umfang der Selbstbestimmung der Person auch mit dem Umfang der Selbstverantwortung, die sie in der Realität leisten kann, übereinstimmen. Die Aufgabe des Strafrechts besteht also darin, die strafrechtliche Zuständigkeitsverteilung nach umfassender Erwägung der Bedingungen der Selbstbestimmung, der Zumutbarkeit der Selbstverantwortung und der von der Gesellschaft insgesamt gezeigten strukturellen Tendenz zu bestimmen. 10. Im Umgang mit der Wirklichkeit der Freiheit lässt sich ein gewisses Maß an inhaltlicher Beurteilung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht vermeiden. Angesichts der Erkenntnis, dass die Freiwilligkeit der Entscheidung ihrem Wesen nach nicht vollständig erforscht werden kann, kann die Frage, ob die Entscheidung des Einzelnen normativ als freiwillig zu bewerten ist, nur anhand der Nachvollziehbarkeit der Entscheidung beantwortet werden. Darüber hinaus ist es nur dann, wenn man vom materiellen Inhalt der Selbstbestimmung ausgeht, möglich, für verschiedene Konstellationen und Gegenstände unterschiedliche Schwellen der Wirksamkeit der Einwilligung zu definieren. Wenn man dagegen nur vom abstrakten Recht ausgeht, ist es nicht nur schwer zu erklären, warum der Staat eine erweiterte paternalistisch begründete Schutzpflicht gegenüber dem einzelnen Bürger hat (und damit die Zuständigkeit auf die andere Person bzw. den Täter überträgt), wenn es um die Verletzung bestimmter Gegenstände wie des Lebens oder wichtiger Körperfunktionen geht; vielmehr verlöre sogar die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Straftaten nach ihrer jeweiligen Gewichtung ihre Grundlage. 11. Bei der Erörterung der Grundlage der Einwilligung ist unweigerlich auch von der Grenze ihrer Wirksamkeit zu sprechen. Denn erst dadurch, dass bestimmt wird, wo die Grenzen der Wirksamkeit der Einwilligung erreicht werden, kann ihr Umfang festgestellt werden. Bei der Erörterung bezüglich der Begründung der Einwilligungsbegrenzung führt diese Arbeit § 216 StGB als konkretes Beispiel an, um verschiedene Begründungsansätze zu verdeutlichen. 12. In der Arbeit wird hinsichtlich der Begründung der Einwilligungsgrenze zwischen externen und internen Begründungsansätzen unterschieden. Die externe Begründungsweise zielt darauf ab, die Einschränkung der Einwilligung durch Re-

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kurs auf andere Werte als die in der Einwilligung reflektierte Selbstbestimmung zu begründen, etwa Stabilität der Gemeinschaft, Sicherheit oder Interessen dritter Personen oder die Heiligkeit eines bestimmten Objekts. Die interne Grenzbegründung ist hingegen auf den Umfang der Selbstbestimmung selbst angewiesen, um die Grenze der Einwilligung zu ziehen. Nach dem Untersuchungsergebnis dieser Arbeit sind die meisten herkömmlichen zum Legitimationsgrund des § 216 StGB angegebenen Grenzbegründungen der Einwilligung – sei es das Kollektivinteresse am Leben, das Tötungstabu oder die Heiligkeit des Lebens – externe Argumentationen. Infolgedessen wird der Status der Selbstbestimmung geschwächt. Solche Grenzbegründungen können keine theoretisch solide Grundlage für die die Selbstbestimmung darstellende Einwilligung liefern. Daher sind solche Begründungsansätze nicht hinzunehmen. 13. Die Autorin vertritt die Auffassung, dass zu einer Einschränkung der Wirksamkeit der Einwilligung ohne Abschwächung des Status der Selbstbestimmung die Annahme einer internen Begründung erforderlich ist, die auf dem Verwirklichungsumfang der konkreten Selbstbestimmung beruht. Die interne Argumentation lässt sich aus dem abstrakten oder dem konkreten Selbstbestimmungsbegriff ableiten. 14. Diejenige Begründung der Einschränkung der Einwilligung, die auf dem klassisch-liberalistischen Denken beruht, ist zwar eine interne Grenzbegründung, da sie vom Umfang des Selbstbestimmungsbegriffs ausgeht; die ihr zugrunde liegende Selbstbestimmungsdefinition ist aber abstrakt und unterliegt dem Allgemeinheitsprinzip. Die Einschränkung der Selbstverfügung lässt sich vor diesem Hintergrund nur von dem kategorischen Rechtsimperativ herleiten. Infolgedessen wäre es schwierig, verschiedene konkrete Situationen zu berücksichtigen, in denen die einzelne Entscheidung jeweils getroffen wird. Damit scheint ein zu strenger Maßstab für die freie Selbstbestimmung gesetzt zu sein. 15. Entsprechend der oben eingenommenen Haltung, Einwilligung als konkrete Selbstbestimmung zu definieren, vertritt die Autorin in Hinsicht auf die Einwilligungsschranken die Auffassung, dass die komplexen Lebenssituationen einzelner Person erwogen werden müssen, um die Grenzen der Selbstbestimmung bzw. die Wirksamkeit der Einwilligung zu beurteilen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, ob der Betroffene im konkreten Fall übermäßigem Druck ausgesetzt gewesen ist. Bei der Beurteilung müssen vielschichtige strukturelle Faktoren berücksichtigt werden. § 216 StGB ist in diesem Sinne als eine weiche paternalistische Maßnahme zur Gewährleistung der konkreten Selbstbestimmung zu verstehen. 16. Allerdings sind nicht alle Entscheidungen zum Verzicht auf das eigene Leben als nicht autonom zu bestimmen. Wenn man die konkrete Selbstbestimmung des Einzelnen wirklich berücksichtigen will, ist eine teleologische Reduktion von § 216 StGB vorzunehmen. Mit anderen Worten: Ein weicher Paternalismus, der die Konkretheit und Wirklichkeit der Selbstbestimmung in Betracht zieht, muss dem Einzelnen erlauben, seine Selbstbestimmung auch dann zu verwirklichen, wenn er

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unter bestimmten Voraussetzungen entscheidet, sein Leben zu beenden. Diese Schlussfolgerung kann nur dann abgeleitet werden, wenn der materielle Freiheitsbegriff den Ausgangspunkt bildet.

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Stichwortverzeichnis § 216 StGB – Legitimationsgrund des § 216 StGB 163, 171 – Teleologischen Reduktion des § 216 StGB 164 ff., 171 § 216 StGB als Strafminderungsgrund 163, 165

Abstrakte Gefahr 126, 130 Abstraktheit 85, 90 ff. – Kritik an Abstraktheit 98 Abwägung/Abwägungslehre/Abwägungslösung/Abwägungsmodell 12, 19 ff., 31 ff., 45, 54, 59, 65, 74 ff., 89, 102, 168 Abwehrrecht 150 Allgemeinheit 12, 22 ff., 32 f., 49, 84 f., 90 ff., 104 f., 126, 169, 171 Allgemeinheitsprinzip 85, 90, 96, 105 Anerkennung der Autonomie/Anerkennung der Freiheit 66, 120, 156 Anerkennungsverhältnis/wechselseitige Anerkennung 85, 87 Antipaternalismus 147, 149 ff. Aufklärung 13, 15, 67, 69, 124, 138 Ausdrücklichkeit 127, 162 f., 165 Autonomie – Überforderung des Einzelnen durch Autonomie 30, 81 f., 91, 101, 161 f. siehe auch Freiheit und Selbstbestimmung Autonomie als normative Kompetenz/Normative Bestimmung der Autonomie/ rechtliche Autonomie 82, 99 ff., 101 ff., 110 ff., 156 Autonomie als Selbstbestimmung/Selbstgesetzgebung 13, 20, 23, 47 ff., 66, 7, 78 ff., 82 ff. (abstrakt), 86 ff., 99 ff. (konkret), 143 ff. 149 ff., 154 ff., 157, 164 Autonomie und die Verfassung 35 ff., 134 Autonomieprinzip 14, 74, 78, 80 f., 85 f., 88 ff., 96, 110, 113, 159

Bedürfnis 22, 67 f., 83 f., 99 Begier 30, 44, 73, 83 Besonderheit 94, 98 f., 104 ff., 140 Bestimmtheit 98 ff., 119 Beteiligung am Selbstmord/Beteiligung an der Selbsttötung/Selbstverletzung 88, 116 siehe auch Sterbehilfe Bürger, Pflicht des Bürgers 101, 114 f., 117 f., 163 Bürger und Staat 30, 35, 55, 67 ff., 134, 150, 170 Dammbruchargument/Risiko des nächsten Schrittes 127 ff., 138, 158 f. Deliktsaufbau 16, 31, 34, 56 Dispositionsbefugnis 13, 44, 49, 64, 76 f., 87, 107, 112, 115, 168 Einladungseffekt 129 Einverständnis 23, 40 ff., 105 ff. Einwilligung – Begrenztheit der Einwilligung 81, 92, 104, 108 – Begründung der Einwilligungsgrenze/ Schranken der Einwilligung 14, 21, 39, 47, 55, 111, 112 ff., 139 ff., 157 ff. – Definition der Einwilligung 29, 36, 48, 80, 112, 167 – Fähigkeit der Einwilligung 101 ff., 112, 154 f., 162 f. – Rechtsgründe der Einwilligung 12, 15 ff., 25, 36 ff. – Selbstgefährdung/Fremdgefährdung und Einwilligung 88, 95 – Wirksamkeit der Einwilligung 13, 14, 23, 31 ff., 48, 76 f., 103 ff., 112 ff., 137, 152 – Zulässigkeit der Einwilligung 12 ff., 18 ff., 22 f. 25, 32, 35, 38, 42, 48, 65 Empirismus 13, 18 ff., 25, 32, 35, 42, 48, 65 siehe auch Freiheit und Selbstbestimmung

Stichwortverzeichnis Entscheidung – Bedingungen der Entscheidung 72 f., 85, 99 ff., 109 f., 136 ff., 147, 161 f. – Begrenztheit der einzelnen Entscheidung 81, 92, 108 – Defizitäre Entscheidung 93, 164 – Übereilte Entscheidung 75, 134, 157, 164 siehe auch Einwilligung, Freiheit und Selbstbestimmung Ernstlichkeit 94, 127, 162 f., 165 Euthanasie 146 Fähigkeit – Einwilligungsfähigkeit 101, 106, 155, 162 f. – Leistungsfähigkeit 28, 55 – Schuldfähigkeit/Schuldunfähigkeit 101, 152, 162 – Urteilsfähigkeit 104, 106, 112, 155, 156 Freiheit – Abstrakte Freiheit 73, 82 ff., 109 f., 150, 155 f., 165 – Formeller Freiheitsbegriff 97, 150 f. – Handlungsfreiheit 19 ff., 31 ff., 35 f., 41, 63, 65, 72, 82 ff., 124, 134 – Materielle Freiheit 14, 71 ff., 102, 105 f., 109 f., 153, 157, 159, 165, 167, 170 ff. – Negativer Freiheitsbegriff 14, 70, 97, 149 ff. – Positiver Freiheitsbegriff/realer Freiheitsbegriff 14, 72, 81, 97, 147, 151 ff., 157 – Rechtliche Freiheit 90, 93 – Utilitaristische Freiheit 149 f. – Voraussetzungen/Bedingungen des Freiheitsgebrauchs 109, 113, 136 f., 144 – Willkürfreiheit 85, 87, 94, 169 – Wirklichkeit der Freiheit 147, 157, 170 siehe auch Selbstbestimmung Freiwilligkeit 94, 103, 134, 151, 158, 164 f., 170 Fremdgefährdung 88, 95, 137 Fremdverletzung 87 ff., 94 f. Fuldaer Fall 130 Ganze/Volksganze 143 Gemeinwohl 28

28, 114 ff., 118, 140,

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Gesellschaftsvertragstheorie/Sozialvertragstheorie 66 ff., 70 f., 74 f., 168 Glück/Glückseligkeit 58, 73 f., 84, 147, 150 Grundgesetz 20 f. 31, 35 ff., 62 f., 83, 119, 133 ff. Grundrechte 19 f., 31 f., 35 ff., 62 ff., 67, 72, 74, 133 ff., 150 Gut/Güter 19, 24 f., 29, 36 ff., 42 f., 45, 49 ff., 58, 74, 76, 88, 106 ff., 118, 134, 136, 155 f. siehe auch Rechtsgut Herrschaft 68 f., 94 f. Herrschaftsverhältnis 106 Historische Rechtsschule 26 Historismus 115 Imperativ – Kategorischer Imperativ 83, 85, 142, 150 – Kategorischer Rechtsimperativ 91, 96, 100, 163, 171 Individualismus 21 ff., 35, 40, 62, 65, 67, 70 f., 74 f., 149, 169 Individualistischer Ansatz 23, 28 f., 37 f., 166 f. Individuum 22, 27 ff., 35, 39, 48, 50, 52, 59 f., 61 f., 66, 68 ff., 74 ff., 84, 100 f., 109, 111, 114 ff., 141, 150 f., 153, 156 Information 81 f., 91, 96, 109, 136 f., 152, 162, 169 Integrationsmodell/Integrationslösung 21, 40, 47 f., 63, 77 Interesse – Kollektivinteresse/Gemeinschaftsinteresse/Gesamtgesellschaftliches Interesse/ überindividuelles Interesse/Interesse der Allgemeinheit 19, 21, 25, 28, 33 f., 48, 54, 61, 70 f., 74, 113 f., 116 ff., 171 – Mangelndes Interesse 19, 21, 31 f., – Objektives Interesse 70 – Subjektives Interesse 45, 74 Interesse des Einzelnen/Interesse des Subjekts/Interesse der Selbstbestimmung 19, 33 f., 40, 61, 70 f., 131, 148 Interessentheorie 25, 28 f., 44, 54, 58, 61 f. Interpersonal/intersubjektiv 14, 53, 56, 58 f., 64, 73, 75, 80, 83, 86, 88 ff., 94, 100, 108 f., 141, 143

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Stichwortverzeichnis

Kantische Rechtslehre 85, 97 f. siehe auch Rechtsbegriff Kollektivismus 11, 21 f., 71, 149 Kollektivistischer Ansatz/kollektivistisches Denken/kollektivistische Position/kollektivistische Überlegung 12 f., 22 ff., 28, 30 f., 48, 51 f., 60, 62, 64 f., 76 ff., 114, 116, 159, 168 f. Konflikt 33 f., 45, 61, 65, 70, 73 f., 76 f., 168 Kontextabhängigkeit der einzelnen Person 100 Leben – Heiligkeit des Lebens 132, 138 f., 171 – Instrumentalisierung des Lebens 138 – Natur des Lebens 135 f. – Verzicht auf das Leben/Lebensbeendigung 64, 137 f., 144 f., 171 Leben als unveräußerliches Recht 12, 24, 26, 133 Liberalismus 14, 65, 67, 69, 151, 169 Maxime 74, 83 ff., 91, 141 Mehrheitsprinzip 70 f. Menschenbild 48, 67, 74, 78, 104, 119, 135, 150 f., 170 Menschenrecht 14, 58, 133, 135 Menschenwürde 14, 31, 58, 132 f., 135 Moral, das moralische Subjekt 83 f., 93, 142, 146 Moral v. Recht/Moralgesetz/Moralpflicht 91, 142 f., 150 Nachvollziehbarkeit 107, 154 ff., 170 Naturrecht 11, 68, 114, 132, 140 Normatives Konstrukt/normative Bestimmung der Selbstbestimmung 79, 82, 91, 99 ff., 110, 155 f., 158, 162, 167, 169 siehe auch Selbstbestimmung Paternalismus – Antipaternalismus 147, 149, 151, 153 – Autonomieorientierter Paternalismus/liberaler Paternalismus/schwacher Paternalismus/weicher Paternalismus 64, 93, 149, 154, 156 ff., 164, 171

– Harter Paternalismus/starker Paternalismus 149, 152, 154, 156 Paternalistische Maßnahme/paternalistische Intervention/paternalistische Regelungen/ paternalistischer Schutz 40, 93, 148 f., 152, 156, 160 ff., 171 Paternalistischer Ansatz/paternalistisches Argument 123, 148, 157 Persönlichkeitsausdruck 108, 156 Persönlichkeitsentfaltung 31, 35 f., 82, 133 Persönlichkeitsrechte/Persönlichkeit in der Verfassung 35, 40, 45, 72, 98, 120 Positivismus 24, 39, 51, 65, 114 Pragmatisch 69, 71, 90, 93, 110, 122, 124, 127, 138, 169 Prävention/Präventionstheorie 22, 55, 122 Rationalität/Rationalitätsanspruch 93, 94 f., 100 f., 155, 164 f. Rationalitätsdefizite 101, 148, 152 siehe auch Vernünftigkeit Realität 45, 75, 81, 91, 96, 100 f., 104, 135, 155, 157, 170 Rechtfertigungsgrund 12, 19, 23, 31, 33, 35 f., 38, 41, 45, 48, 86 Rechtsbegriff – Bestimmtheit des Rechtsbegriffs 98 ff. – Hegels Kritik am Kants Rechtsbegriff 96 ff. – Kants abstrakte Rechtsbegriff 82 ff., 155 Rechtsgesetz 14, 85 f., 93, 97, 110, 141, 144, 163 Rechtsgut – Liberaler/Materieller/Systemkritischer/ Gesetzgebungskritischer Rechtsgutsbegriff 20, 23, 40 f., 48, 55, 57, 60 ff., 67 ff., 70 f., 168 – Verzicht auf den Rechtsgüterschutzes/ Dispositionsbefugnis/Preisgabe/Verfügung des Rechtsguts 13, 46, 49, 56, 64, 72, 76 Rechtsgutsverletzung 34, 42 ff., 52, 55 ff., 59 f. Rechtsgutsvertauschung 76, 119 Rechtskreis 21, 24, 103, 108, 155, 169 Rechtsperson 11, 17, 21, 53, 55, 57, 60, 67, 75, 89, 100, 166, 169 siehe auch Rechtssubjekt

Stichwortverzeichnis Rechtspflicht 83, 86, 91, 93, 100, 140 ff., 147, 167 siehe auch Moral Rechtsschutzverzichtstheorie 12, 21, 35 f. Rechtssubjekt 50, 53 f., 56 f., 67 f. 75, 90 f., 98, 100, 102, 108, 126, 131, 134 f., 139, 141, 144, 169 siehe auch Rechtsperson Rechtsverhältnis 14, 17, 21 f., 36, 51, 53, 56 ff., 66, 73, 78, 80, 82 f., 87, 89 ff., 97 f., 100, 103, 108, 110, 131, 141 ff., 163, 167, 169 Rechtsverletzungslehre 50 Rechtswidrigkeit 16, 19 f., 24 f., 34, 38, 43, 55, 59 Risiko 55, 87, 93, 127, 130, 158 ff., 164 Romantik 115 Schiefe- Ebene-Argument 128, 130 Schuldfähigkeit/Schuldunfähigkeit 101, 152, 162 Schuldprinzip 23, 163 Schutzwürdig/Schutzwürdigkeit 28, 30, 32, 51, 53, 59 f., 104, 107, 117, 125, 131, 139, 168 Selbstbestimmung – Abstrakte Selbstbestimmung 14, 82 f., 85 ff., 91 ff., 167, 169 – Konkrete Selbstbestimmung/Konkretheit bzw. Wirklichkeit der Selbstbestimmung 14, 80, 82, 96, 99 ff., 103, 110, 147, 157, 161, 167, 169 ff. – Normative Bestimmung der Selbstbestimmung/Selbstbestimmung als normatives Konstrukt 79, 82, 91, 100, 102 f., 110, 158 – Schranken der Selbstbestimmung 140, 152 – Wirksamkeit der Selbstbestimmung 93, 101, 137, 152 siehe auch Autonomie, Einwilligung und Freiheit Selbstgefährdung 88, 95, 125, 128 Selbstmord/Selbsttötung/Suizid 25, 64, 92, 113 ff., 119 f., 121 f., 125, 128 f., 133, 137, 141, 143, 146, 151, 159, 161 f. Selbstverantwortung 17, 45, 79 f., 82, 87 ff., 101, 110, 166, 170 f.

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Selbstverfügung 91 f., 119, 132, 140 ff. Selbstverletzung 27, 45, 88 f., 94 f. Selbstzweck – Negation der selbst als Zweck 90, 142, 145 – Selbst als Zweck/Selbstzweckformel 91 ff., 104, 140, 142 ff., 163, 167 Sitten/Sittengesetz/Sittenwidrigkeit 38 f., 104, 107, 117, 126, 144 Sittlichkeit 45, 51, 126, 147 Staat – Demokratischer Staat 66, 169 – Rechtsstaat 14, 21, 38 f., 151, 169 – Säkularer Staat 120, 122, 132, 137 – Schutzpflicht des Staats 134, 153, 170 – Sozialstaat/Sozialstaatsprinzip 30, 69, 151, 169 – Verfassungsstaat 20, 120 – Vormundschaftsstaat 92 siehe auch Bürger und Staat unter Bürger Sterbehilfe 81, 113, 125 ff., 146, 161 f. Straftheorie/Strafrechtstheorie 15 ff., 22, 48, 50, 52, 66, 69, 78, 166 Subjektive Bewertung/subjektive Einschätzung/subjektive Maßstäbe 29, 33, 37, 44, 88, 166 Subjektive Empfindung/subjektive Wahrnehmung/subjektives Wohlbefinden/subjektive Gefühle 28, 30, 44, 75 Subjektive Prämisse/subjektive Präferenz/ subjektive Vorlieben 54, 70, 73 f., 80, 105, 110, 123 f., 126, 147 Subjektive Rechte/subjektive Interesse 30, 45, 50, 70, 86, 89, 92, 111, 115, 145, 150 Systemdenken 15 ff. Tabu/Tabuargument/Tabuisierung/Tabu des fremden Lebens/Tötungstabu 39, 55, 120 ff., 130 ff., 138, 140, 159, 161, 171 Tatbestandsausschließungsgrund 42 f., 46 f., 59 Tatbestandsmäßigkeit 16, 30, 40, 56, 59 Tod – Schmerzlinderung mit tödlicher Nebenwirkung 125, 130, 146 – Unwiderruflichkeit des Todes 137 – Verhülltheit des Todes 136 f. – Würdiger Tod

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Stichwortverzeichnis

Todesstrafe 138 Tötung auf Verlangen 21, 25, 29, 47, 92, 107, 122, 125 ff., 133, 135, 143, 151, 161, 163 f. Übereilung 157, 166 siehe auch überteilte Entscheidung Unrechtsausschließungsgrund /Unrechtsausschließungswirkung/Unrechtsauschluss 18, 43, 59, 65, 165, 167 Utilitaristisches Denken/utilitaristische Erwägung 75, 89, 138, 147, 149 f., 159 Verbrechen 16, 18, 22, 26 f., 29, 35, 41, 45, 49 ff., 57, 60 f., 66, 76, 105, 115, 155 Verhältnismäßigkeit 20, 39 Vernunft 83, 94, 100, 103, 140, 142 f., 153, 156 Vernünftigkeit 122, 154, 164 siehe auch Rationalität Verträglichkeit 68, 84 f. volenti non fit iniuria 14, 24, 26 ff., 37 wechselseitiges Verhältnis 69, 83 f., 167 Welt, äußere Welt/empirische Welt/reale Welt 11, 57 ff., 85 Weltanschauung 12, 48, 58, 67, 120 f., 124, 132

Willensfähigkeit 106, 154, 163 Willensfreiheit 20, 41, 47, 76 Willensmängel 45, 47, 94 f., 112, 152 Willkür/Willkürfreiheit/Willkürgebrauch 16, 60, 65, 83 ff., 87, 89, 97 f., 141 ff., 147, 150, 152, 169 Wohlfahrt 134, 150, 153 f., 156, 165 Wunsch 83 f., 123 f., 150, 162 Zurechnung – Objektive Zurechnung 55 ff., 60 – Strafrechtliche Zurechnung/Zurechnungstheorie 17 f., 78, 85, 96, 110 Zurechnung und Zuständigkeitsverteilung 23, 80, 95, 109 Zustand – Geisteszustand/Psychischer Zustand 100 f., 152, 154 f., 159, 163, 166 – Naturzustand 68 – Rechtszustand 69, 97 Zuständigkeit des Verletzten 17, 80, 95, 102, 110 Zuständigkeitsverteilung 23, 80, 95, 100, 103, 108 f., 161, 164, 169 f. Zustimmung 11, 59, 69 f., 80 f., 105 f., 127, 135, 141 siehe auch Einwilligung