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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 108
Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willensmängeln bei der Einwilligung des Verletzten Von
Knut Amelung
Duncker & Humblot · Berlin
KNUT AMELUNG
Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willensmängeln bei der Einwilligung des Verletzten
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg
und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 108
Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willensmängeln bei der Einwilligung des Verletzten
Von
Prof. Dr. Knut Amelung
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Amelung, Knut: Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willensmängeln bei der Einwilligung des Verletzten / von Knut Amelung. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 108) ISBN 3-428-09404-2
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-09404-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier
entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Arbeit dient der Konkretisierung der Überlegungen, die ich in ZStW Bd. 109 (1997) S. 490 ff. veröffentlicht habe. Deshalb werden zunächst die dort entwickelten Gedanken dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Behandlung konkreter Fälle in den Kapiteln über Irrtum, Täuschung und Dreiecksbeziehungen. Das Irrtumskapitel soll zugleich die Fruchtbarkeit des in ZStW Bd. 104 (1992) S. 525 ff. (544 ff.) entwickelten Ansatzes der Einwilligungslehre belegen, den ich - vielleicht etwas anspruchsvoll - als „ entscheidungstheoretisch" bezeichne. Die ersten Studien zu der hier vorgelegten Abhandlung gehen auf das Wintersemester 1992/93 zurück. Verschiedene Unterbrechungen führten dazu, daß die Arbeiten sich über fünf Jahre hinzogen. Deshalb habe ich vielen Helfern zu danken. Stellvertretend für alle nenne ich meine Sekretärinnen, Frau Kerstin Kahle und Frau Annerose Theinert, sowie meine Hilfskräfte, Herrn Peter Gänßle und Herrn Frieder Eymann, die für die Herstellung der Druckvorlage sorgten. Zugeeignet sei das Büchlein meiner ehemaligen Assistentin, Frau Gabriele Cirener, die mir in schwierigen Jahren des Aufbaus der Dresdener Juristenfakultät eine unersetzliche Stütze war.
Dresden, im Dezember 1997
Knut Amelung
Inhaltsverzeichnis Α. Einführung I. Das Problem Π. Die Stufen der Entwicklung des Problems
9 9 10
B. Die Unanwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB
13
C. Drei problematische Ansätze
18
I. Die Isolierung der Einwilligung vom Wertsystem der Einwilligenden bei Arzt.... 18 1. Darstellung
18
2. Kritik
20
Π. Die Vermengung von Schutzgegenstand und Verfügungsbefugnis in der Einwilligungslehre von Roxin
25
1. Darstellung
25
2. Kritik
28
ΙΠ. Die Vermengung von Opfer- und Täterinteressen in der Irrtumslehre Kühnes.... 31 1. Darstellung
31
2. Kritik
33
D. Der eigene Ansatz
36
I. Die Trennung von Unwirksamkeitsurteil und Zurechnungsfrage
36
Π. Autonomie der Entscheidung als Wirksamkeitsmaßstab
40
ΙΠ. Die Bedeutung der Einwilligungserklärung
42
IV. Zusammenfassung
44
E. Einfache Irrtümer
46
I. Erklärungsfehler
46
Π. Entscheidungsfehler
50
1. Fehler bei der Wertentscheidung
50
2. Prognosefehler
53
3. Fehlerhafte Konfliktentscheidungen
54
Inhaltsverzeichnis
8
ΠΙ. Sonderformen der Entscheidungsfehler
56
1. Nicht rechtsgutsbezogene Irrtümer
56
2. Der Irrtum über eine Gegenleistung
58
3. Irrtümer über die Begleitumstände eines Eingriffs
61
IV.Testfall 1 : Die Aufklärungspflicht des Arztes
65
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
72
I. Die erschlichene Einwilligung
72
Π. Die Täuschung über eine Gegenleistung
77
ΠΙ. Die Konkurrenz zu speziellen Straftatbeständen
80
IV. Testfall 2: Die erschlichene Aids-Untersuchung
83
G. Dreiecksbeziehungen
87
Literaturverzeichnis
90
Sachverzeichnis
94
Α. Einführung Ι . Das Problem Der Begriff der Willensmängel entstammt der Dogmatik des Zivilrechts. Dort gehört er in den ausgedehnten Bereich der Lehre von den Willenserklärungen.
Eine Willenserklärung ist eine Äußerung, mit der ei-
ne Person den Rechtsverkehr beeinflußt, wie etwa durch die Abgabe eines Vertragsangebots, die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder die Errichtung eines Testaments. M i t einem Willensmangel behaftet ist eine solche Erklärung, wenn sie auf einem Irrtum, einer Täuschung oder einer Drohung beruht. Mangelbehaftete Willenserklärungen sind zunächst einmal wirksam. Doch kann der Erklärende sie in vielen Fällen gemäß §§119 ff. BGB anfechten, d. h. sie unter Berufung auf ihre Fehlerhaftigkeit durch einen selbständigen Rechtsakt rückwirkend vernichten. Beruht ein Irrtum auf eigenem Verschulden, so muß der Erklärende dem Erklärungsgegner allerdings Schadensersatz leisten. Im Strafrecht
kommen Willensmängel in den Blick, wo es um die Beur-
teilung rechtfertigender Einwilligungen
geht. Eine Einwilligung ist eine
Erlaubnis zur Antastung eines rechtlich geschützten Gutes, die der Inhaber dieses Gutes erteilt. Hauptanwendungsfeld ist die vorherige Zustimmung zu einem ärztlichen Eingriff in die Körpersphäre. Weitere praktisch bedeutsame Anwendungsbereiche sind die Einwilligung in die Aufhebung eines strafrechtserheblichen Privatgeheimnisses, in das vorzeitige Verlassen des Unfallortes sowie das große Feld der Sachbeschädigungen. In all diesen Fällen führt
eine wirksame Einwilligung des Verletzten zur
Rechtfertigung und damit zur Straflosigkeit des Rechtsgutsverletzers.
Α. Einführung
10
Auch Einwilligungen können mit einem Willensmangel behaftet sein. Anfang der sechziger Jahre hatte der Bundesgerichtshof ζ. B. über die Frage zu entscheiden, ob Medizinalpraktikanten sich einer strafbaren Körperverletzung schuldig machen, wenn sie körperliche Eingriffe vornehmen, in die die Patienten einwilligen, weil sie irrig annehmen, sie hätten voll ausgebildete Ärzte vor sich.1 In neuerer Zeit treten mangelbehaftete Einwilligungen gehäuft im Zusammenhang mit der Sicherung vor Aids-Ansteckung auf. 2 Darf z.B. ein Arzt einen Homosexuellen zu einer Blutprobe überreden, indem er ihm vorspiegelt, er brauche das Blut zur Diagnose einer Lungenkrankheit, während er es in Wahrheit nur auf Aids-Viren untersuchen lassen will? Auch Täuschungen über Gegenleistungen sind denkbar. Kann ein Blutspender, der sich um das versprochene Entgelt geprellt sieht, den Täuschenden wegen einer Körperverletzung vor den Richter bringen, weil die Einwilligung in die Blutentnahme auf einem Irrtum beruhte? Und wie ist ein Autofahrer zu beurteilen, der sich die Zustimmung zum vorzeitigen Verlassen des Unfallortes dadurch erschleicht, daß er ohne Erfüllungswillen dem von ihm Geschädigten doppelten Schadensersatz verspricht? 3
I I . Die Stufen der Entwicklung des Problems Ursprünglich
hielt man Einwilligungen für einen Unterfall der Wil-
lenserklärungen. 4 Wäre dies richtig, so brauchte sich die Strafrechtslehre kaum um die Erarbeitung von Grundsätzen für die Behandlung mangelbehafteter Einwilligungen zu bemühen. Denn diese würden sich aus den §§ 119 ff. BGB ergeben.
1
BGHSt 16/309 ff. Zusammenfassend dazu Janker, Strafrechtliche Aspekte heimlicher Aids-Tests (1988). 3 Zu solchen Fällen vgl. Bernsmann, NZV 1989/49 (53 ff). 4 Zitelmann, AcP 99 ( 1906) S. 1ff. (47 ff); RGSt 25/375 (381 ); RGZ 68/431 (436). 2
Π. Die Stufen der Entwicklung des Problems
11
In einer zweiten Phase der Entwicklung rückten Rechtsprechung und Lehre im Straf- und Zivilrecht aber von der Einordnung der Einwilligung unter die Kategorie der Willenserklärung ab.5 Auf die Gründe wird später einzugehen sein. Hier interessieren zunächst nur die Folgen. Sie lagen darin, daß die §§ 119 ff. BGB unanwendbar wurden. Die Willensmängel einer Einwilligung mußten nach eigenständigen Grundsätzen beurteilt werden. Ohne lange darüber zu diskutieren, ging die Strafrechtslehre deshalb in dieser Phase davon aus. daß mangelbehaftete Einwilligungen grundsätzlich ohne besonderen Anfechtungsakt von Anfang an als nichtig anzusehen seien, und machte hiervon allenfalls bei „MotivirrtümenT Ausnahmen.6 Die Rechtsprechung der Straf- und der Zivilgerichte nahm hierauf allerdings kaum Bezug. Sie beschränkte sich auf die Feststellung, nicht jeder Willensmangel des Einwilligenden sei beachtlich, ohne zu generellen Aussagen vorzustoßen, wann das eine und wann das andere der Fall ist. 7 Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. 8 Eine dritte Phase leitete Anfang der siebziger Jahre ein Habilitationsvortrag von Arzt tin 9 Arzt akzeptierte zwar, daß Einwilligungen keine Willenserklärungen seien. Er griff aber die bis dahin herrschende Lehre an, jede mangelbehaftete Einwilligung sei von Anfang an nichtig. Dies widerspreche dem Prinzip der Selbstverantwortung
des Einwilligenden.
Nach Arzt
beseitigen deshalb
allenfalls
5 RGSt 41/392 (395 ff.); BGHZ 29/33 (36); Köhler, Deutsches Strafrecht (1917) S. 412 ff ; Mezger, Gerichtssaal 89 (1924) S. 207 ff. (271); weitere Nachweise bei Neven, Die Einwilligungsfahigkeit im Strafrecht (Diss. Trier 1991) S. 6 Fn. 8. 0 Mezger. Strafrecht (2. Aufl. 1933) S. 211 ff ; Welzel, Das Deutsche Strafrecht (11. Aufl. 1969) S. 95: Blei, Strafrecht AT (18. Aufl. 1983) S. 135 ff ; Zipf t Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht (1970) S. 44 ff ; weitere Nachweise bei Kußmarm. Einwilligung und Einverständnis bei Täuschung, Irrtum und Zwang (Diss. Bonn 1988) S. 4 Fn. 2. 7 Vgl. RGSt 41/392 (395); BGHSt 16/309 (310 ff); BGH(Z) NJW 1964/1177 ( 1178); OLG Stuttgart NJW 1962 / 62 (63). 8 Vgl. dazu zuletzt Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments (1993) S. 65. ° Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung (1970).
Α. Einführung
12
„rechtsgutsbezogene" Irrtümer die Wirksamkeit einer Einwilligung. Diese Auffassung hat seither viele Anhänger gefunden und kann daher zur Zeit als herrschend bezeichnet werden 10 - was Differenzen im Einzelnen und Einschränkungen des von Arzt aufgestellten Grundsatzes freilich nicht ausschließt.11 Vor einiger Zeit hat jedoch Mitsch die seit Arzt zur Herrschaft gelangten Ansichten einer Totalkritik
unterzogen, die im Ergebnis einer Wiederbelebung
der vor Arzt herrschenden Auffassung nahe kommt. 12 In diese Kerbe will auch die vorliegende Untersuchung schlagen. Ihre These ist, daß Grundlagen wie Ergebnisse der seit Arzt herrschenden Meinung nicht akzeptabel sind. Sie vernachlässigen systematisch die Interessen des Einwilligenden, um dem in dessen Güter eingreifenden Einwilligungsempfänger einen Schutz zu verschaffen, den dieser entweder nicht verdient oder auf andere Weise erlangen kann als durch die von Arzt angeregten Konstruktionen. Die Arbeit beginnt mit einer Untersuchung der Gründe für die Unanwendbarkeit der §§119 ff BGB (II); das hat den Sinn, vor dem Hintergrund der Regeln über die Willenserklärung die phänomenologischen und funktionalen Besonderheiten der Einwilligung hervortreten zu lassen. Danach geht es um die Auseinandersetzung mit den Auffassungen von Arzt, Roxin und Kühne, die seit der beschriebenen Wende die wichtigsten Beiträge zur Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung geliefert haben (III). Diese beiden Abschnitte schaffen eine Grundlage für die Entwicklung des eigenen Ansatzes (IV). Mit seiner Hilfe werden sodann die Probleme des einfachen Irrtums (V), der Täuschung des Einwilligenden (VI) und der Dreiecksbeziehungen (VII) bearbeitet.
10 Nachweise bei Jescheck/Weigend, Strafrecht AT (5. Aufl. 1996) S. 383 Fn. 53; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB (25. Aufl. 1997) Rn. 46 vor § 32. 11 Teilübereinstimmungen mit weitgehenden Abweichungen vor allem bei Kühne, JZ 1979/241 ff.; Roxin, Gedächtnisschrift für Noll (1984) S. 275 ff ; Jakobs, Strafrecht AT (2. Aufl. 1991) S. 246 ff. 12 Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten (ungedruckte Habilitationsschrift Tübingen 1991) S. 625 ff ; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, AT (10.Aufl. 1995) S. 353 ff; Hirsch , LK (11. Aufl. 1994) Rn. 119 vor § 32 StGB; Otto, Festschrift für Geerds (1995) S. 603 ff. (614 ff).
Β. Die Unanwendbarkeit der §§ 119 ff. B G B Wie schon angedeutet, würde die Behandlung der Willensmängel bei der Einwilligung keine besonderen Probleme aufwerfen, wenn die Einwilligung eine Willenserklärung im Sinne des Zivilrechts wäre; denn dann fänden die §§ 119 ff. BGB Anwendung. Die heute herrschende Auffassung sieht aber in der Einwilligung keine Willenserklärung,
13
Die Rechtsprechung begründet das in erster Linie damit, Einwilligungsobjekte wie Ehre, Leib und Leben gehörten zu den „ Rechtsgüterndie
nicht
Gegenstand eines Rechts seien und über die der Mensch daher nicht verfugen könne wie über Sachen, dingliche Rechte und Rechtsverhältnisse. 14 Die Begründung ist aber nicht tragfahig. 15 Die Anerkennung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit in den Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG zeigt, daß Ehre, Leib und Leben durchaus Gegenstand eines Rechts sein können, und wo die Rechtsprechung dem Inhaber solcher Rechte zubilligt, daß er in eine Beeinträchtigung der durch sie geschützten Rechtsgüter einwilligen kann, da spricht sie ihm auch die Verfugungsbefugnis zu. Daneben wird der sog.
Rechtsfolgewille
" als Kriterium zur Unterschei-
dung zwischen Willenserklärung und Einwilligung genannt. Die Willenser-
13
S. o. Fn. 5. Verbreitet ist die Einordnung der Einwilligung als Willenserklärung jedoch nach wie vor im Immaterialgüterrecht. Vgl. OLG München AfP 1983/276; Dasch, Die Einwilligung zum Eingriff in das Recht am eigenen Bild (1990) S. 36 ff; weitergehend BGHZ 90/96 (101 ff.); Kohte, AcP 185 (1985) S. 105 (120 ff), die aber nicht sämtliche Konsequenzen aus dieser Einordnung ziehen. Abgewogen dazu Gotting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte (1995) S. 147 ff, 165 ff 14 RGSt 41/392 (395 ff); BGHZ 29/33 (36 ff). 15 Vgl. dazu schon Amelung, ZStW 104 (1992) S. 525 (527 Fn. 7); kritisch auch Kohte (Fn. 13) S. 114 ff ; Neyen (Fn. 5) S. 6 ff m. w. N.
Β. Die Unanwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB
14
klärung sei auf einen rechtlichen, die Einwilligung dagegen nur auf einen tatsächlichen Erfolg ausgerichtet. 16 Dieser Ansatz hat vieles für sich. Er hat allerdings mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß z.T. die Bewirkung tatsächlicher Erfolge in den Begriff der Willenserklärung einbezogen17, z.T. aber gerade umgekehrt angenommen wird, selbst die Einwilligung ziele auf einen rechtlichen Erfolg in Gestalt eines subjektiven Rechts zum Eingriff. 18 Um hier über bloße Begriffsklaubereien hinwegzukommen, ist es nötig, Kriterien zu finden, die die unterschiedliche Behandlung von Willenserklärungen und Einwilligungen an Unterschieden in der Interessenlage festmachen. Die Differenz zwischen Willenserklärungen und Einwilligungen verdeutlicht man sich deshalb am besten, wenn man sich vor Augen hält, daß beide im Kontext unterschiedlicher Willenserklärungen
Normarten stehen.19
beziehen sich auf
konstitutive"
Normen. Das sind
„Spielregeln^, die ein System aufeinander aufbauender Handlungen schaffen wie die Regeln eines Schach- oder eines Kartenspiels. „Konstitutive 44 Regeln schreiben vor, was man tun muß, um in einem solchen Spiel die Handlungsvoraussetzungen von Mit- und Gegenspielern zu beeinflussen. Diese Wirkung kommt nur regelgerechten, „gültigen" Handlungen zu. Ein Schachspieler etwa braucht sich nur auf einen Zug seines Gegenübers einzustellen, der den Regeln des Schachspiels entspricht. Macht der Gegenspieler einen regelwidrigen Zug, so braucht er diesen nicht als Veränderung seiner Handlungsbedingungen im Schachspiel zu akzeptieren. Vergleichbares gilt von den Regeln des bürgerlichen Rechtsverkehrs. 20 Wer ein Grundstück kaufen will, muß die Regeln des
10
Nachweise bei Neyen (Fn. 5) S. 7 Fn. 17; Schöllhammer (Fn. 8) S. 42 Fn. 70. Schöllhammer (Yn. 8) S. 43 m. w. N. 18 Kohle (Fn. 13) S. 117; weitere Nachweise bei Neyen (Fn. 5) S. 7. 10 Vgl. zum Folgenden schon Amelung (Fn. 15) S. 527 im Anschluß an Searle , Sprechakte (6. Auflage 1994) S. 54 ff. und Philipps, Festschrift für Bockelmann (1979) S. 831 ff. (840). 20 So auch Hart, The Concept of Law (Reprint 1992) S. 9; Blankenburg, ARSP 63 (1977) S. 31 ff (36) m. w. N. χη
Β. Die Unanwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB § 313 BGB einhalten, sonst schließt er keinen rechtlich anerkannten GrundstückskaufVertrag. Willenserklärungen sind Erklärungen, mit denen der Erklärende am ..Spiel" des Rechtsverkehrs teilnimmt. Als solche bilden sie die Grundlage fur die Erzeugung (oder Vernichtung) rechtlicher Kunstgebilde wie des Vertrages oder des Testaments, an die sich bestimmte Erwartungen knüpfen - etwa die, daß der Vertrag erfüllt oder die testamentarisch erworbene Sache in Zukunft als Eigentum des Erben anerkannt wird. Das bürgerliche Verkehrsrecht stützt solche Erwartungen, indem es ihre Durchsetzung garantiert, wenn seine Regeln eingehalten werden. 21 Wer sich durch eine Willenserklärung am bürgerlichen Rechtsverkehr beteiligt, läßt sich auf diesen Mechanismus der Durchsetzung von Erwartungen künftigen Verhaltens ein und „bindet" sich insoweit. Damit schafft er eine Vertrauensgrundlage, die den Erklärungsempfängern als Ausgangspunkt weiterer Planungen dient. Einwilligungen
beziehen sich im Unterschied hierzu auf „ regulative " Nor-
men. Das sind Normen, die vorhandene Güter schützen, wie das Verbot, einen anderen am Körper zu verletzen. Einwilligungen setzen solche Normen dem Erklärungsempfänger gegenüber außer Kraft. Als bloßer Verzicht auf Schutznormen dienen sie nicht dem Aufbau von Erwartungen künftigen Verhaltens, sondern geben lediglich Auskunft darüber, daß der Einwilligende gegenwärtig auf die Erhaltung eines bestimmten Gutes keinen Wert legt. Eine Bindung des Einwilligenden für die Zukunft ist damit nicht beabsichtigt. Sie darf in zentralen Anwendungsbereichen auch gar nicht an eine Einwilligung geknüpft werden. sollen nicht fundamentale Voraussetzungen moderner Staatlichkeit ins Wanken geraten. Denn eine Bindung des Einwilligenden an seine Erklärung wäre nichts anderes als eine Ermächtigung an den Erklärungsempfanger, den Eingriff auch nach einem Sinneswandel des Einwilligenden - also gegen einen Widerstrebenden - vorzunehmen. Das aber wäre ζ. B. bei einem Angriff auf die körperliche Unversehrtheit eine Durchbrechung des staatlichen Gewalt21
Darin unterscheidet es sich von reinen Spielregeln.
Β. Die Unanwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB
16
monopois.22 Einwilligungen sind deshalb jederzeit frei widerruflich. Wegen dieser Widerruflichkeit taugt die Einwilligung nicht als Planungsgrundlage für künftige Dispositionen. Vielmehr ist sie nur ein rechtlich anerkanntes Informationsmittel, mit dem der Einwilligende seinen Partner über seine gegenwärtige Einstellung zu seinem Gut in Kenntnis setzt. Leicht vereinfacht kann man die skizzierten Unterschiede zwischen Willenserklärungen und Einwilligungen wie folgt zusammenfassen: Das Regelwerk der Willenserklärungen
ist auf die Probleme der Erzeugung enttäu-
schungsfester Erwartungen ausgerichtet, wie sie sich idealtypisch aus vertraglichen Bindungen ergeben. Die Einwilligung dient dagegen gerade umgekehrt ausschließlich der Beseitigung enttäuschungsfester Erwartungen, die der Gesetzgeber zum Schutz von Gütern rechtlich sanktioniert hat. Einwilligung und Willenserklärung unterscheiden sich deshalb sowohl aus der Sicht des Erklärenden als auch aus der des Erklärungsempfängers. Für den Erklärenden
stehen bei einer Einwilligung Güter, also ein gegenwärtiger Be-
stand wertvoller Gegenstände, auf dem Spiel, bei einer Willenserklärung dagegen normative Bindungen künftigen Verhaltens. Dem Erklärungsempfänger liefert die Einwilligung eine bloße Information, die Willenserklärung dagegen eine rechtlich garantierte Planungsgrundlage. Eine Anwendung der §§ 119 ff. BGB auf mangelhafte Einwilligungen würde den geschilderten Unterschieden nicht gerecht. Bei der Anfechtung von Willenserklärungen geht es um den Ausgleich zwischen dem Interesse des Erklärenden, sich nicht gegen seinen Willen binden zu lassen, und dem Interesse des Erklärungsempfangers an der Erhaltung seiner Planungsvoraussetzungen. Bei den Willensmängeln einer Einwilligung geht es dagegen um den Ausgleich zwischen dem Interesse des Erklärenden am Bestand seiner Güter und dem Interesse des Erklä-
22 Weber. Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht (1986) S. 70.
Β. Die Unanwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB rungsempfangers daran, daß er für eine Güterverletzung, die er auf eine mangelhafte Einwilligung stützt, nicht verantwortlich
gemacht wird. Die Rücksicht auf
das Planungsinteresse des Empfängers einer Willenserklärung spricht dafür, den Einfluß von Willensmängeln auf den Bestand eines Rechtsgeschäfts tunlichst zu begrenzen. Die Rücksicht auf das „Verantwortungsabwehr"-Interesse des Empfangers einer Einwilligung braucht dagegen nicht die gleichen Auswirkungen auf den Bestand der Einwilligungserklärung zu haben. Denn auch eine unwirksame Einwilligung übermittelt dem Erklärungsempfänger
eine Information, die die
(subjektive) Zurechnung seines Eingriffs verhindert, wenn er irrig von einer Übereinstimmung zwischen dem Willen des Erklärenden und dessen Äußerung ausging: Wer aufgrund einer Einwilligung in ein fremdes Rechtsgut eingreift und dabei die Erklärung irrtümlich für mangelfrei hält, handelt offenbar nicht wissentlich rechtswidrig, und selbst einen Fahrlässigkeitsvorwurf wird man ihm nur unter besonderen Umständen machen können.23 Damit wird das entscheidende Argument gegen einen Rückgriff auf die §§ 119 ff BGB sichtbar: Die Bewältigung des Interessenausgleichs, den bei der Willenserklärung das Anfechtungsrecht regelt, kann bei der Einwilligung der Lehre von der individuellen Zurechnung einer Rechtsgutsverletzung überlassen bleiben.
23
Ähnlich schon Bockelmann, JZ 1962/525 (527).
2 Amelung
C. Drei problematische Ansätze I. Die Isolierung der Einwilligung vom Wertsystem der Einwilligenden bei Arzt 1. Darstellung Wie schon erwähnt, stammt von Arzt die Formel, eine Einwilligung sei nur dann unwirksam, wenn sie auf einem „ rechtsgutsbezogenen " Willensmangel beruhe. Arzt entwickelt diese These in Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Einwilligung unwirksam ist, die durch eine Täuschung erlangt wurde. 24 Er meint, eine Einwilligung sei nur dann nichtig, wenn die Täuschung sich auf das preisgegebene Gut beziehe; dagegen bleibe sie beachtlich, wenn der Einwilligende nur über eine Gegenleistung getäuscht worden sei, die für die Einwilligung in Aussicht gestellt wurde. Unwirksam ist danach eine Einwilligung in die Entnahme einer Niere, wenn dem Einwilligenden wahrheitswidrig vorgespielt wurde, das Organ sei von Krebs befallen. Wirksam bleibt sie dagegen nach Arzt, wenn die Einwilligung in die Entnahme des Organs durch das betrügerische Versprechen erschlichen wurde, der Einwilligende erhalte für die Aufopferung der Niere eine bestimmte Summe Geldes, die der Entnehmende nicht aufbringen kann. Ansatzpunkt der Überlegungen Arzts ist dabei die Gegenüberstellung von „Bestandsschutz" und „ Tauschfreiheit"
(17). Strafnormen dienen nach ihm
generell nur dem Schutz des Bestandes der Rechtsgüter einer Person. Ihr Tauschwert werde dagegen lediglich in bestimmten Straftatbeständen wie dem Betrug (§ 263 StGB), der Nötigung (§ 240 StGB) und einigen speziellen
24 Arzt (Fn. 9) S. 15 ff., 17 ff. Eingeklammerte Zahlen im Text bezeichnen Seitenzahlen dieser Abhandlung.
19
I. Der rechtsgutsbezogene Ansatz von Arzt
Sexualstrafnormen geschützt. Würde man eine Einwilligung in eine Körperverletzung für nicht rechtfertigend erklären, weil sie durch eine Täuschung über eine Gegenleistung erlangt wurde, so würde der Tatbestand des § 223 StGB nach Arzt zu einer Schutznorm für den Tauschwert der körperlichen Unversehrtheit (19). Das aber habe Folgen, die Arzt für unangemessen hält. Einmal gerate die Anwendung des § 223 StGB auf den Schutz der Tauschfreiheit mit den Wertungen
des Betrugstatbestandes
im Sinne des
§ 263 StGB in Konflikt (18 ff). Zur Demonstration bildet Arzt das Beispiel, daß ein Täter Τ seinem Feind F 1.000,- D M dafür bietet, ihm eine Ohrfeige geben zu dürfen, aber nicht willens ist, ihm das versprochene Geld auch wirklich zu zahlen. Bestrafe man hier den Τ aus § 223 StGB wegen Unwirksamkeit der Einwilligung des F. so verschaffe dies dem F einen Schutz, den § 263 StGB ihm versage. Arzt denkt dabei offenbar daran, daß § 263 StGB nur das Vermögen, nicht aber den Körper vor einer Schädigung durch Täuschungen über Gegenleistungen schützt. Außerdem greift der Betrugstatbestand nur bei Bereicherungsabsicht des Täters, nicht aber bei einem reinen Schädigungswillen ein. Würde die Täuschung über eine Gegenleistung die Einwilligung in die Preisgabe eines Personenwertes unwirksam machen, so entstehe zudem eine Art „Generaltatbestand" zum Schutz des Tauschwertes von Persönlichkeitsgütern, der die Unterschiede zwischen diesen Gütern einebnen würde (20 ff.). Denn eigentliches Schutzobjekt des Strafrechts werde dann das Tauschinteresse. dessen Wert der Einwilligende definiert. Das Strafrecht aber solle überhaupt nicht dazu beitragen, daß höchstpersönliche Rechtsgüter zu Tauschobjekten werden. Anderenfalls könnten Ansprüche aus der Veräußerung höchstpersönlicher Rechtsgüter mit Hilfe des Strafrechts durchgesetzt werden, denen das Zivilrecht wegen der Sittenwidrigkeit solcher Geschäfte die Anerkennung versagt (20). Das Strafrecht könne im Rahmen des Betrugstatbestandes dem
2*
C. Drei problematische Ansätze
20
Trend zur Kommerzialisierung von Personenwerten folgen, soweit dieser im Zivilrechtsverkehr Anerkennung finde (21). Eine Bestrafung aus dem Tatbestand, der das aufgeopferte Persönlichkeitsgut schützt, sei dagegen nicht angezeigt. Die Täuschung eines Blutspenders über die Gegenleistung für das von ihm gespendete Blut führt danach zwar zur Strafbarkeit des Täuschenden aus Betrug, aber nicht aus Körperverletzung. Was Arzt anhand der Täuschung entwickelt hat, überträgt er auf den einfachen Irrtum (29 ff.). Auch eine Einwilligung, die auf einem solchen Willensmangel beruhe, könne allenfalls dann als unwirksam behandelt werden, wenn der Irrtum „rechtsgutsbezogen" sei. Arzt macht hier aber noch eine weitere Einschränkung für den sogenannten „Erklärungsirrtum" (30, 48 ff.). Dieser müsse stets zu Lasten des Einwilligenden gehen, weil die Erklärung einen Vertrauenstatbestand setze, auf den der Eingreifende sich verlassen können müsse. Schließlich überträgt Arzt seine Formel auch auf die durch eine Drohung erlangte Einwilligung. Eine Drohung sei immer „rechtsgutsbezogen", weil der wirkliche Wille des Bedrohten der Verletzung entgegenstehe (31). Daher sei die durch eine Drohung erwirkte Einwilligung grundsätzlich unwirksam. Allerdings müsse die Drohung die Stärke einer Nötigung i. S. d. § 240 StGB erreichen, denn Zwänge unterhalb dieser Schwelle beseitigten nach der Wertung des Strafrechts nicht die Eigenverantwortlichkeit des durch sie zum Handeln Veranlaßten (33).
2. Kritik Arzts These, Strafnormen schützten grundsätzlich nur den Bestand, nicht den Tauschwert von Rechtsgütern, ist nicht unwidersprochen geblieben. Otto wendet gegen sie ein, sie sei unvereinbar mit einem Rechtsgüterschutz, der als Rechtsgut
I. Der rechtsgutsbezogene Ansatz von Arzt
21
„die stets dynamische Beziehung der Person zu bestimmten Werten" ansehe.25 Otto spielt hierbei auf Einsichten an, die die deutsche Strafrechtslehre schon in den dreißiger Jahren gewann. Damals betonte Hellmuth Mayer, man dürfe sich die Welt der Rechtsgüter nicht wie einen „großen Physiklehrsaal" vorstellen 26 , und Welzel ergänzte, Rechtsgüter seien immer „ i n Funktion". 27 Damit sollte ausgedrückt werden, daß (Individual-) Rechtsgüter nicht bloßer Besitzstand sind, sondern auch Handlungsgrundlage ihres Inhabers sein können. Arzts Ansatz droht hinter diese Einsicht zurückzufallen. Denn wo Rechtsgüter zur Verfolgung von Handlungszielen eingesetzt werden, da geraten sie in Beziehung zu anderen Werten, auf die es dem Handelnden ankommt. Das zeigt sich gerade bei Einwilligungsentscheidungen. Ein Fußballspieler, der seinen Sport nur um den Preis einer Beinoperation weiterbetreiben kann, setzt den Wert seiner körperlichen Unversehrtheit zu dem Wert in Beziehung, den das Fußballspielen für ihn hat, wenn er überlegt, ob er in den chirurgischen Eingriff einwilligen soll. Arzts These, nur „rechtsgutsbezogene" Fehleinschätzungen seien beachtlich, läuft darauf hinaus, daß die Ziele, für die der Einwilligende sein Rechtsgut einsetzt, ohne Einfluß auf die Wirksamkeit der Einwilligung bleiben. Damit wird vielen Einwilligungen ohne weitere Erwägung rechtfertigende Kraft zugesprochen, obgleich das mit ihnen dargebrachte Opfer offensichtlich sinnlos ist: der Einwilligende muß diese Schadensfolge tragen, gleichgültig ob sein Gegenüber sie erkannt, verkannt oder gar planvoll herbeigeführt hat. Indem Arzt die Ziele, für die der Einwilligende sein Rechtsgut opfert, weitgehend für irrelevant erklärt, beurteilt er Einwilligungen, ohne den Wertzusammenhang zu berücksichtigen, aus dem sie ihren Sinn gewinnen. Diese Isolierung der 25 Otto, Grundkurs Strafrecht. Allgemeine Strafrechtslehre (5. Auflage 1996) S. 119; ähnlich Roxin (Fn. 11) S. 279 ff. Seinen ursprünglichen Standpunkt relativiert insoweit jetzt auch Arzt, Festschrift für Baumann (1992) S. 201 ff. (insbes. S. 210 ff.). 26 Hellmuth Mayer, Das Strafrecht des Deutschen Volkes (1936) S. 205. 27 Welzel, ZStW 58 (1939) S. 491 ff. (515).
C. Drei problematische Ansätze
22
Einwilligungsentscheidung vom Wertsystem des Einwilligenden ist so künstlich, daß Arzt sie selbst nicht durchhalten kann. Das zeigt seine Behandlung der Einwilligungen, die durch eine Drohung abgenötigt werden. Die Nötigung zu einer Einwilligung erfolgt in der Regel nach dem Prinzip „Geld oder Leben!" Das heißt, der Nötigende bedroht ein Rechtsgut seines Opfers, um dieses dadurch zu veranlassen, ein anderes Gut preiszugeben, das dem Opfer weniger wertvoll erscheint. Da die Drohung, die der Nötigende ausspricht, sich gegen ein anderes Rechtsgut richtet als dasjenige, das aufgeopfert werden soll, ist sie genauso wenig „rechtsgutsbezogen" wie eine Täuschung über den Wert, den der Einwilligende für die Preisgabe eines Gutes zu gewinnen trachtet. Dennoch soll nach Arzt - anders als bei der Täuschung über den Gegenwert - die durch eine Drohung abgenötigte Einwilligung grundsätzlich unwirksam sein. Arzt würde freilich leugnen, daß hierin ein Widerspruch liegt. Nach ihm ist eine Drohung immer „rechtsgutsbezogen", weil der Bedrohte die Verletzung des preisgegebenen Rechtsgutes nicht wirklich wolle. Damit gibt Arzt jedoch dem Begriff des „Rechtsgutsbezugs" einen anderen Sinn als bei der Täuschung. Eine Täuschung, die sich auf einen Gegenwert bezieht, soll nicht „rechtsgutsbezogen" sein, weil sie das preisgegebene Rechtsgut nicht direkt betrifft. Dann fragt man sich, weshalb für eine Drohung, die sich nicht direkt gegen das preisgegebene Gut richtet, etwas anderes gelten soll. 28 Wenn Arzt s Konzeption trotz solcher Undeutlichkeiten Anhänger findet, so dürfte dies vor allem daran liegen, daß sie geeignet erscheint, sog. „Rechts28
Schwierigkeiten bereitet das Abstellen auf den ,,Rechtsgutsbezug" auch im medizinischen Bereich. Leben und Gesundheit sind nach den Wertungen der §§ 211 ff., 223 ff StGB unterschiedliche Rechtsgüter. Irrt also „rechtsgutsbezogen", wer in einen körperlichen Eingriff einwilligt, ohne dessen lebensverkürzende Wirkung zu kennen? Hier einen nicht „rechtsgutsbezogenen" und daher unbeachtlichen Irrtum des Einwilligenden anzunehmen, wäre sicher ein absurdes Ergebnis. Doch kann Arzt dieses Ergebnis nur vermeiden, wenn er auf die Unkenntnis der vor dem Tod eintretenden Gesundheitsverschlechterung abstellt, was das Wesentliche an einem solchen Irrtum schwerlich trifft. Ebenfalls kritisch zur Unklarheit des Begriffs der Rechtsgutsbezogenheit Maiwald in Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3 (1991) S. 165 ff (183).
23
I. Der rechtsgutsbezogene Ansatz von Arzt
gutsvertauschungen " zu verhindern. 29 Erkläre man - so lautet dieser Gedanke - Einwilligungen für unwirksam, die nicht auf „rechtsgutsbezogenen" Fehlvorstellungen beruhen, dann mache man den Eingreifenden im Grunde nicht für die Verletzung des tatbestandlich geschützten Rechtsgutes haftbar. Vielmehr hafte er dafür, daß der Einwilligende die außertatbestandlichen Ziele nicht erreicht, die er mit seiner Einwilligung verfolgt. Man denke an den Blutspender, der in eine Blutentnahme nur deshalb einwilligt, weil ihm vorgespiegelt wird, daß er für seine „Spende" ein Entgelt erhält. Erklärt man seine Einwilligung für unwirksam und bestraft man den Entnehmenden deshalb wegen Körperverletzung, so wird der Täuschende nach der skizzierten Auffassung eigentlich nicht wegen der Verletzung des Körpers zur Verantwortung gezogen. Mit dessen Beeinträchtigung sei der Spendewillige ja einverstanden. Materieller Haftungsgrund sei vielmehr der Umstand, daß der Einwilligende um die erwartete Gegenleistung gebracht wurde. Damit aber werde § 223 StGB von einem Körperverletzungs- in ein Vermögensdelikt umfunktioniert. Doch ist es höchst angreifbar,
mit einer solchen Überlegung die Anwen-
dung des § 223 StGB auszuschließen. Im Beispiel des Blutspenders will dieser ja nicht in jedem Fall seine körperliche Integrität opfern, sondern nur um einen bestimmten Preis. Zuzugeben ist zwar, daß er damit den Wert seiner Körperintegrität relativiert. Aber dies ist noch kein hinreichender Grund, der Körperintegrität des Spendewilligen jeden Schutz abzusprechen. Das ist jedoch die Konsequenz der Lehre von der Rechtsgutsvertauschung. Dies zeigt sich, wenn man annimmt, daß der Täuschende im Beispielsfall keine Bereicherungsabsicht hat. In einem solchen Fall kann der Täuschende
nicht
„stellvertretend" wegen Betrugs bestraft werden, sondern bleibt nach der Lehre von der Rechtsgutsvertauschung straflos. Dieses Ergebnis macht die entschei-
29
Vgl. dazu vor allem Küper, JZ 1986/219 ff. (226); Sternberg-Lieben, GA 1990/289 ff (293); dersDie objektiven Schranken der Einwilligung (Tübingen 1997) S. 532 ff ; im Ansatz auch schon Maria-Katharina Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 174 ff.
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C. Drei problematische Ansätze
dende Schwäche jener Lehre deutlich: Wer zu erkennen gibt, daß das tatbestandlich geschützte Rechtsgut für ihn nur einen relativen
Wert besitzt, wird
von ihr so behandelt, als habe es überhaupt keinen Wert. Die Spannungen zu speziellen gesetzlichen Regelungen, die Arzt bei Anerkennung nicht „rechtsgutsbezogener" Einwilligungsmängel befurchtet, sind entweder hinnehmbar oder gar nicht existent. So steht es nicht im Widerspruch zur Wertung
des Betrugstatbestands,
wenn man denjenigen (auch) wegen Körperverletzung bestraft, der einen anderen über den Gegenwert eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit täuscht. Schließlich verletzt der Täuschende nicht nur eine ökonomische Erwartung, sondern verursacht auch eine Schädigung des Körpers, die nach allgemeinen Zurechnungskriterien ihm und nicht seinem Opfer zuzurechnen ist. Erst wer auch dies in Rechnung stellt, erfaßt das ganze Unrecht, das der Täuschende angerichtet hat. Fehlt dem über die Gegenleistung Täuschenden die Bereicherungsabsicht, so entsteht, wie gezeigt, sogar eine nicht unbedenkliche Strafbarkeitslücke; denn dann ist die von ihm verursachte Körperverletzung etwa eine Organspende - noch nicht einmal als Betrug strafbar. Ebensowenig entsteht ein konturenloser „ Generaltatbestand"
zum Schutz des
Tauschwertes von Persönlichkeitsgütern, wenn man den Irrtum über eine Gegenleistung auf die Wirksamkeit der irrtumsbedingten Einwilligung durchschlagen läßt. Die Preisgabe des Briefgeheimnisses, die durch eine Täuschung über den Gegenwert erreicht wird, ist nach § 202 StGB, eine Körperverletzung, die auf gleiche Weise zustande kommt, nach § 223 StGB strafbar. Nicht der Getäuschte, sondern das Gesetz bestimmt damit das Maß des in Anschlag zu bringenden Unrechts. Von zweifelhaftem Gewicht ist selbst Arzts Argument, bei Anerkennung des Tauschwertes höchstpersönlicher Rechtsgüter schaffe das Strafrecht Durchsetzungsmöglichkeiten fur sittenwidrige
Rechtsgeschäfte, die das Zivil-
recht nicht zulasse. Zunächst ist, wie Arzt selbst sieht, bei weitem nicht jedes
Π. Die Vermengung von Schutzgegenstand und Verfligungsbefugnis bei Roxin
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Geschäft über Persönlichkeitsgüter sittenwidrig. Wo aber der Einwilligende die Drohung mit einer Strafanzeige zur Erlangung eines sittenwidrig vereinbarten Gegenwertes nutzt, da gerät er in den Einzugsbereich des Erpressungstatbestands, droht er doch mit einem empfindlichen Übel zur Erlangung einer Leistung, auf die er keinen Anspruch hat. Fazit: Arzt hat das Verdienst, durch Anspielungen auf die Selbstverantwortung der Einwilligenden einen wichtigen Gedanken in die Diskussion um die Willensmängel bei der Einwilligung eingebracht zu haben. Aber Schliff bekäme dieser Gedanke erst, wenn er detailliert gegen die Verantwortung des eingreifenden Erklärungsempfängers abgewogen würde. Die Lehre von der ausschließlichen Relevanz „rechtsgutsbezogener" Irrtümer leistet das nicht. Sie läßt den Einwilligenden bei nicht „rechtsgutsbezogenen" Irrtümern auf den Folgen einer interessewidrigen Erklärung sitzen, ohne ernsthaft zu fragen, ob und inwieweit nicht (auch) der eingreifende Erklärungsempfänger zur Vermeidung eines solchen Schadens angehalten war - ζ. B. deshalb, weil er den Irrtum des Einwilligenden erkannte. Selbst derjenige, der die irrige Erklärung durch eine Täuschung verursachte, bleibt nach Arzt von der Verantwortung für den daraus entstehenden Schaden frei, wenn er ohne Bereicherungsabsicht i.S.d. § 263 StGB, also etwa aus reiner Gehässigkeit handelte. Beim Drohenden schließlich kommt Arzt nur deshalb zu einem angemessenen Ergebnis, weil er dem Begriff des „Rechtsgutsbezuges" unter der Hand einen neuen Inhalt gibt.
II. Die Vermengung von Schutzgegenstand und Verfügungsbefugnis in der Einwilligungslehre von Roxin 1. Darstellung Die Ausbreitung der Lehre Arzts ist dadurch befördert worden, daß sein wichtigstes Ergebnis eine unabhängige Bestätigung gefunden hat. In einer
C. Drei problematische Ansätze
26
Studie zur Beurteilung von Einwilligungen, die durch eine Täuschung erlangt wurden, stimmt Roxi η Arzt darin zu, daß ein rechtsgutsbezogener Irrtum des Einwilligenden das Zustandekommen einer wirksamen Einwilligung verhindere, aber eine Täuschung über eine Gegenleistung die Rechtswirksamkeit einer solchen Erklärung nicht berühre. 30 Der Ansatz, von dem aus Roxin zu diesem Ergebnis gelangt, ist jedoch ein völlig anderer als bèi Arzt. Ausgangspunkt Roxins ist, daß wirksame Einwilligungen Ausdruck der freien Selbstbestimmung des Menschen sind (275). Auch Rechtsgüter wie der menschliche Körper und das Sacheigentum werden aber für Roxin nicht als von der Person isolierte „Gegenstände", sondern als Möglichkeit personaler Selbstverwirklichung geschützt (275). Bilden Verfugungsgegenstand
und
Verfugungsbefugnis somit erst zusammen das Schutzobjekt der einschlägigen Strafrechtsnormen (279/280), so ergibt sich, daß überhaupt keine Rechtsgutsverletzung vorliegt, wenn eine Handlung durch eine wirksame Einwilligung erlaubt wird (275/276). Denn wenn eine Einwilligung Ausdruck freier Selbstbestimmung ist, läßt sie das Schutzobjekt des Straftatbestands entfallen (275). Von diesem dynamischen, handlungsbezogenen Rechtsgutsverständnis aus wendet sich Roxin gegen Arzts These, die Einwilligung diene dem bloßen „Bestand" von „statisch" gedachten Rechtsgütern (279). Der Eingriff in fremdes Sacheigentum oder in die Körpersphäre eines anderen verstoße nicht schon als solcher gegen das Strafrecht, sondern dies sei erst dann der Fall, wenn der Eingriff zugleich dem Willen des Rechtsgutsträgers widerspreche (279). Freilich bedeute dieser Einwand keine Rückkehr zur früher herrschenden Meinung, nach der jede Täuschung die Wirksamkeit der Einwilligung verhindere (279). Er zwinge lediglich dazu, genau zu untersuchen, wann eine täuschungsbedingte Einwilligung nicht mehr Ausdruck der Autonomie des Einwilligenden sei. Zu diesem Zweck bildet Roxin fünf Fallgruppen (281 ff, 283 ff). j0
Roxin (Fn. 11) S. 275 ff. (283 ff). Eingeklammerte Zahlen im Text bezeichnen Seitenzahlen dieser Abhandlung. Vgl. auch iters., Strafrecht AT, Bd. 1 (3. Aufl. 1997) S. 488 ff
Π. Die Vermengung von Schutzgegenstand und Verfungsbefugnis bei Roxin
27
In zwei von ihnen hält er eine Einwilligung selbst dann für wirksam, wenn sie auf einer Täuschung beruht. Es sind dies zum einen die auch von Arzt für unbeachtlich erklärten Täuschungen über eine Gegenleistung, zum anderen die Fälle, in denen nur über „motivationsrelevante Begleitumstände" oder über Erwartungen getäuscht wird, deren Eintritt nicht vom Täuschenden abhängt. In der ersten Fallgruppe müsse die Einwilligung als wirksam angesehen werden, um dem Getäuschten die Möglichkeit zu geben, an dem Vertrag festzuhalten und sich dadurch den zivilrechtlichen Anspruch auf das versprochene Entgelt zu sichern (283 ff.). In der zweiten Fallgruppe hält Roxin Täuschungen jedenfalls dann für unschädlich, wenn sie Begleitumstände oder Erwartungen betreffen, die keine erhöhten Gefahren für das Rechtsgut des Einwilligenden begründen (288 ff). Er verweist insoweit auf die Medizinalpraktikanten-Entscheidung des BGH 3 1 , die den Irrtum eines Patienten über die fehlende Arzteigenschaft der Praktikanten für unbeachtlich erklärte, sofern nur leichte, auch mit den Kenntnissen eines Nichtarztes zu bewältigende Eingriffe durchgeführt wurden. In drei weiteren Fallgruppen hält Roxin eine durch Täuschung erlangte Einwilligung für unwirksam.
Bei „rechtsgutsbezogenen" Täuschungen i.S. Arzts liegt
nach Roxin schon gar keine Einwilligung vor, weil der Einwilligende in diesem Fall das Maß der bevorstehenden Rechtsgutsverletzung gar nicht erfaßt (283); man denke daran, daß der Einwilligende einem Schlag mit der bloßen Faust zustimmt, aber darüber getäuscht wird, daß die Faust mit einem Schlagring bewehrt ist. Täuschungen über altruistische Ziele einer Einwilligung führen - etwa bei einer Organspende für ein vorgeblich erkranktes Kind - zur endgültigen Vereitelung des erstrebten Zwecks; deshalb müsse der Einwilligende vor den Folgen seines Irrtums geschützt werden (285/286). Die Täuschung über eine Notlage schließlich bringe den Getäuschten in eine Situation, die der eines Bedrohten gleiche; deshalb sei es angemessen, hier die anerkannten Regeln über die Unwirksamkeit abgenötigter Einwilligungen anzuwenden (286/287). 31
BGHSt 16/309 ff
C. Drei problematische Ansätze
28
2. Kritik Der skizzierte Ansatz unterscheidet sich von dem Ansatz Arzts darin, daß Roxin von einer anderen Zweckbestimmung des Strafitatbestands ausgeht. Nach Arzt zielen die meisten Strafnormen nur auf den „Bestand" von Rechtsgütern, nach Roxin sichern dagegen alle Straftatbestände mit individueller Schutzrichtung die menschliche Autonomie. Dieser Ansatz scheint besser geeignet, die Probleme mangelbehafteter Einwilligungen zu erfassen, entspricht es doch weit verbreiteter Auffassung, daß Einwilligungen Anerkennung verdienen, weil und wenn sie Ausdruck personaler Selbstbestimmung sind. Aber der Schein trügt. Denn in den wichtigsten Anwendungsbereichen der Einwilligung, den Tatbeständen der Körperverletzung und der Beeinträchtigung von Sacheigentum, widerspricht Roxins Zielbestimmung dem positiven Strafrecht
32
Der Tatbestand der Sachbeschädigung schützt das Sacheigentum
und nicht die Befugnis des Eigentümers, über seine Sache zu verfugen. Wäre es anders, so blieben Sachen strafrechtlich ungeschützt, die als res extra commercium, Gegenstände des Denkmalsschutzes, Bestandteile einer Konkursmasse etc. der Verfugungsbefugnis des Eigentümers entzogen sind. § 303 StGB nimmt aber solche Sachen nicht vom Schutz des Strafrechts aus, ja senkt noch nicht einmal den Strafrahmen, wenn sie beschädigt werden. Ebenso schützt § 223 StGB nur den Körper und nicht zugleich die Möglichkeit, ihn zu autonomer Selbstbestimmung zu gebrauchen. Wäre es anders, so bliebe das Bein eines Querschnittsgelähmten ohne (oder doch ohne vollen) strafrechtlichen Schutz, und man müßte sich fragen, ob derjenige (voll) bestraft werden kann, der ein willensunfähiges Baby schlägt. 33
32
Vgl. dazu schon Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes (1981) S. 26 ff. 33 Diesem Argument hält Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1 (3. Aufl. 1997) S. 464 jetzt entgegen, bei willensunföhigen Kleinkindern sei anstelle des fehlenden Willens des Kindes der Wille der Eltern geschützt, und wo ein Sorgeberechtigter überhaupt fehle, da könne „nur die Ausübung der Dispositionsbefugnis vorübergehend in der Schwebe
Π. Die Vermengung von Schutzgegenstand und Verfgungsbefugnis bei Roxin
29
Roxins Ausgangsthese hat zwar nicht wenig Anhänger 34 , aber sie ist eine von außen an das Gesetz herangetragene Theorie, die offenbar nie mit allen seinen Anwendungsfällen verglichen worden ist. Die autonome Selbstbestimmung ist nicht in allen, sondern nur in bestimmten Straftatbeständen mit Individualrechtsgut geschützt, und wo sie nicht geschützt wird, da bildet sie erst die Voraussetzung eines nach dem Tatbestand zu prüfenden Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung des Verletzten. Auch in den zuletzt genannten Tatbeständen kann zwar das Rechtsgut Grundlage der Handlungsfreiheit seines Trägers sein, doch hängt sein strafrechtlicher Schutz hier nicht von der Erfüllung dieser Voraussetzung ab. Die enge Verknüpfung der Verfügungsfreiheit mit dem Verfügungsgegenstand begründet die Gefahr, daß der Autonomiebegriff
verkümmert. Autono-
mie kommt im wesentlichen nur als Freiheit der Verfügung über den Schutzgegenstand eines speziellen Straftatbestandes in den Blick, nicht als Freiheit der Person, unter allen ihren Werten zu wählen. Insoweit begünstigt auch dieser Ansatz die Isolierung der Einwilligungsentscheidung von dem Wertsystem des Einwilligenden. Roxin erliegt dieser Gefahr allerdings in geringerem Maße als Arzt. Er betont ausdrücklich, daß dem „Rechtsgutsbezug" nicht die prinzipielle Bedeutung zukommt, die Arzt ihm bemißt (281), und erkennt an, daß es Täuschungen gibt, die trotz fehlenden „Rechtsgutsbezugs" die Unwirksamkeit einer hierdurch erlangten Einwilligung nach sich ziehen. Dafür bleibt Roxins Vorstellung von der gegen Mißbrauch zu schützenden Autonomie des Einwilligenden gänzlich unterentwickelt. Autonomie und
sein, nicht aber ihre substantielle Verletzung bestritten werden" Das überzeugt schwerlich. Nähme man an, daß § 223 StGB bei einem willensunfähigen Kleinkind den Willen seiner Eltern schützt, so hätte dies die einigermaßen bedenkliche Folge, daß das Kleinkind ungeschützt bliebe, wenn der Wille der Eltern dahin geht, es zu prügeln. Auch kann man sich nicht vorstellen, wie eine nicht vorhandene Dispositionsbefugnis „substantiell" soll verletzt werden können. 34 Wie Roxin jetzt auch Arzt (Fn. 25) S. 206, 209; weitere Nachweise bei Hirsch (Fn. 12) Rn. 98 vor § 32 StGB.
C. Drei problematische Ansätze
30
Selbstbestimmung werden nicht näher umschrieben. Sie sind für ihn nicht mehr als Undefinierte
Rahmenbegriffe
für kasuistische Billigkeitserwägungen,
die er zu den erwähnten fünf Fallgruppen anstellt (281). 35 Das führt zu einem befremdlichen Umgang mit diesen Begriffen. So soll eine Einwilligung, die durch eine Täuschung über Gegenleistungen erschlichen wurde, „Ausdruck der Selbstbestimmung" (!) des Einwilligenden sein (284), obgleich dieser doch offensichtlich wie eine Marionette des Täuschenden agiert. 36 Lassen sich aber die Grundbegriffe des Ansatzes auf solche Weise in ihr Gegenteil verkehren, so fehlt ihnen die juristische Begründungskraft. Es läßt sich aus ihnen alles und damit gar nichts ableiten. Fazit: Roxin kommt bei der Täuschung über eine Gegenleistung zwar zu ähnlichen Ergebnissen wie Arzt, hält sich aber aufs Ganze gesehen keineswegs an dessen Dogma von der Alleinbeachtlichkeit „rechtsgutsbezogener" Irrtümer. Insoweit ist sein Ansatz ein Beleg dafür, daß Arzts plakative Formel keineswegs jedermann befriedigt. Freilich gelingt es Roxin nicht, ein theoretisches Fundament zu erarbeiten, das an die Stelle der Lehre Arzts treten könnte. Ob Roxins Einzelergebnisse Zustimmung verdienen, muß daher von Grundlagen aus geklärt werden, die von seinem Ansatz unabhängig sind.
35 Ähnliche Einschätzung bei Hirsch (Fn. 12) Rn. 119 vor § 32 StGB; Paejfgen, NK (Stand 1997) § 226 a Rn. 11. 36 Ziel der problematischen These Roxins ist es, dem Getäuschten die Freiheit zu erhalten, nach der Einwilligung von einer Anfechtung abzusehen und die Gegenleistung einzuklagen. Dafür müsse das Erfüllungsgeschäft, das mit der Einwilligung vollzogen wurde, als wirksam behandelt werden. Diese Argumentation leidet daran, daß Roxin aus einem Entscheidungsspielraum, den er dem Getäuschten nach seiner Einwilligung erhalten will, auf dessen Autonomie bei der Erteilung der Einwilligung schließt. Fraglich ist außerdem, ob die Hilfe, die Roxin dem Getäuschten durch seine Konstruktion geben will, überhaupt nötig ist. Hat der Getäuschte seine Leistung erbracht, ζ. B. Blut gespendet, so kommt es für die Geltendmachung des Gegenleistungsanspruchs nicht in erster Linie auf die Wirksamkeit der dabei erteilten Einwilligung an, sondern darauf, daß der zugrunde liegende Vertrag wirksam bleibt. Weitere Kritik an Roxins Umgang mit dem Autonomiebegriff unten Ε. ΙΠ. 3., S. 63.
ΠΙ. Die Veiengung von Opfer- und Täterinteressen bei Kühne
31
I I I . Die Vermengung von Opfer- und Täterinteressen in der Irrtumslehre Kühnes 1. Darstellung Kühnes Konzept für den Umgang mit fehlerhaft erklärten Einwilligungen 37 geht von den gleichen Grundannahmen aus wie Roxin. Auch für Kühne schließt eine wirksame Einwilligung bereits
die Tatbestandsmä-
ßigkeit des zugelassenen Eingriffs aus (242). Kühne akzentuiert aber eine andere Konsequenz dieser Ausgangsthese. Er bezeichnet sie als ,,Fehlen zeitlicher Flexibilität"
des Strafrechts (243).
Was er damit meint, demonstriert er an einem Vergleich zwischen Zivil- und Strafrecht. Während im Zivilrecht die Anfechtung einer fehlerhaften Willenserklärung nachträglich deren Wirksamkeit entfallen lasse, sei eine vergleichbare Behandlung fehlerhafter Einwilligungen im Strafrecht unzulässig. Eine nachträgliche Beseitigung der Entscheidungsgrundlagen des Empfängers einer Einwilligung widerspreche sowohl dem Rückwirkungsverbot als auch dem Schuldprinzip, denn beide Grundsätze verlangten, daß dem Täter strafrechtlich nur ein solches Verhalten zugerechnet wird, das bereits zur Tatzeit verboten war. Das Wiederauflebenlassen eines strafrechtlichen Verbotes durch die nachträgliche Beseitigung einer ursprünglich vorliegenden Erlaubnis erscheint hiermit unvereinbar. Dieser Ansatz bestimmt Kühnes Umgang mit irrtumsbehafteten Einwilligungen. Als erstes behandelt er das, was er in Anlehnung an das Zivilrecht Inhalts- und Erklärungsirrtümer
nennt (243 ff.). Ihnen ist gemeinsam, daß ein tatsächlicher
Rechtsgutsverzicht ausgesprochen wurde, dem bestimmte faktische Eingrenzungen nicht zu entnehmen sind, obgleich sie gemeint waren (244). Man denke daran, daß der Einwilligende sich verspricht und deshalb den linken Zahn
37 Kühne (Fn. 11 ) S. 241 ff. Eingeklammerte Zahlen im Text bezeichnen Seitenzahlen dieses Aufsatzes.
C. Drei problematische Ansätze
32
als schmerzend bezeichnet, obwohl er den rechten meint (Erklärungsirrtum), oder daran, daß der Einwilligende sich mit einer Kugel bewerfen läßt, die er für hölzern hält, obgleich sie aus Eisen ist (Inhaltsirrtum, 243). Im zweiten Fall läge nach Arzt ein „rechtsgutsbezogener", weil über die Auswirkungen des Wurfs auf den Körper täuschender Irrtum vor, der die Wirksamkeit der Einwilligung beseitigen würde. 38 Im Gegensatz dazu gesteht Kühne Erklärungs- und Inhaltsirrtümern der von ihm bezeichneten Art grundsätzlich keinerlei Einfluß auf die Wirksamkeit einer Einwilligung zu. Sie gehörten zum Risikobereich des Einwilligenden, und der Empfänger der geäußerten Worte müsse sich auf diese verlassen können (244). Etwas anderes gelte nur, wenn der Erklärungsempfänger die Fehlerhaftigkeit erkenne, denn dann handele er rechtsmißbräuchlich, weil er seinem Gegenüber sehenden Auges einen Schaden zufüge, den der Einwilligende nicht wollte (244/245). Als zweites behandelt Kühne die sog. Motivirrtümer
(245 f f ) . Bei ih-
nen ist die Willensbildung defekt, weil die Realität fehlerhaft oder unvollständig wahrgenommen wird. Kühne unterscheidet zwei Fallgruppen: Irrtümer über zukünftige und Irrtümer über gegenwärtige Sachverhalte. Irrtümer über zukünftige Sachverhalte erklärt er von vornherein für unbeachtlich (245). Denn wenn man zukünftigen Ereignissen Einfluß auf die Wirksamkeit einer Einwilligung zugestehen würde, so würde diese gleichsam unter eine auflösende Bedingung gestellt; der Nichteintritt des erwarteten Ereignisses würde sie nachträglich entfallen lassen und damit rückwirkend denjenigen belasten, der auf ihren Bestand vertraute. Bei Irrtümern über gegenwärtige Sachverhalte bildet Kühne zwei weitere Untergruppen, die des entgeltlichen und die des unentgeltlichen gegenwartsbezogenden Motivirrtums (245). Der Irrtum über ein gegenwärtiges Entgelt - etwa über die Echtheit eines als Gegenleistung überreichten Geld-
38
Arzt (Fn. 9) S. 20.
ΠΙ. Die Verniengung von Opfer- und Täterinteressen bei Kühne
33
scheines - soll nach Kühne unbeachtlich sein, weil insoweit der Betrugstatbestand des § 263 StGB eine Sperrwirkung entfalte. Bei unentgeltlichen gegenwartsbezogenen Motivirrtümern, wie etwa beim Irrtum über die Arzteigenschaft eines Medizinalpraktikanten, greift dagegen die Sperrwirkung des § 263 StGB nicht ein. Dennoch w i l l Kühne auch hier die Einwilligung nur dann als unwirksam behandeln, wenn die Ausnutzung des Fehlers rechtsmißbräuchlich ist. Grund ist, daß wie beim entgeltlichen Motivirrtum die Begleitumstände einer Rechtsgutsverfügung außer Betracht zu bleiben hätten.
2. Kritik Kühne denkt der Irrtumslehre bei der Einwilligung eine doppelte Aufgabe zu. Sie soll sowohl auf die Interessen des fehlerhaft Einwilligenden als auch auf die des Empfängers seiner Erklärung
Rücksicht nehmen.
Daher fällt Kühne das Urteil der Unwirksamkeit einer Einwilligung erst dann, wenn er meint, dies auch dem Täter zumuten zu können. Was diesem zuzumuten ist. ergibt sich aus dem Rückwirkungsverbot und dem Schuldprinzip des Strafrechts. Das Vorbild für diesen Ansatz ist die Behandlung fehlerhafter Willenserklärungen durch das Zivilrecht. Dieses berücksichtigt das Anfechtungsinteresse des fehlerhaft Erklärenden von vornherein nur bei solchen Irrtümern. bei denen es meint, daß die Nichtigkeitsfolge den Erklärungsempfänger nicht unangemessen belastet. Aus diesem Grund schließt es den sogenannten Motivirrtum im Regelfall von vornherein aus der Anfechtung aus (Ausnahmen: §§ 119 Abs. 2, 2078 BGB). 3 9
30
Erst nach dieser doppelmotivierten Grundsatzentscheidung geht das bürgerliche Recht daran, den Erklärungsempianger durch den Schadenersatzanspruch nach § 122 BGB weiter zu entlasten, wenn ihn an der Entstehimg einer anfechtbaren Willenserklärung kein Verschulden tritìi. 3 Amelung
34
C. Drei problematische Ansätze Für die Beurteilung der Wirksamkeit fehlerhafter Einwilligungen
diese doppelte Interessenberücksichtigung jedoch unnötig.
ist
Denn wenn
man eine fehlerhafte Einwilligung für unwirksam erklärt, ergibt sich daraus allein für den Erklärungsempfänger noch kein entscheidender Nachteil. Der Umstand, daß ihm wegen der Unwirksamkeit der Einwilligung kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht, macht seinen Eingriff in das Rechtsgut des Einwilligenden zwar rechtswidrig, aber entgegen Kühne noch nicht strafbar. Ob der Eingreifende zu bestrafen ist, ergibt sich erst aus weiteren, vom Rechtswidrigkeitsurteil unabhängigen Gesichtspunkten. Hier, bei der Prüfung der individuellen Zurechenbarkeit
der rechtswidri-
gen Rechtsgutsbeeinträchtigung, ist noch genügend Raum, das Interesse des Einwilligungsempfängers zu berücksichtigen, nicht wegen einer Erklärung bestraft zu werden, auf die er glaubte, vertrauen zu dürfen. Die ganzen Kategorien des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit, des schuldausschließenden Irrtums etc. sind darauf zugeschnitten, daß der Erklärungsempfänger nicht nachträglich für ein Verhalten haftbar gemacht werden kann, für das ihn keine Verantwortung trifft. Die Antwort auf die Frage, ob eine fehlerhafte Einwilligung als unwirksam behandelt werden soll, braucht daher mit diesen Problemen nicht befrachtet zu werden. Berücksichtigung verdienen deshalb allenfalls solche Nachteile des Einwilligungsempfängers, die sich unmittelbar
daraus ergeben, daß sein
Rechtsgutseingriff als rechtswidrig gilt, wenn man eine fehlerhafte Einwilligung für unwirksam erklärt. Hier ist daran zu denken, daß derjenige, der rechtswidrig in ein Rechtsgut des Einwilligenden eingreift, sich dem Notwehrrecht des Angegriffenen aussetzt. Aber dieser Nachteil hat wenig Gewicht. Denn wenn der fehlerhaft Einwilligende seinen Fehler bemerkt, so darf er nur zu dem mildest geeigneten Abwehrmittel greifen, und das ist in aller Regel ein einfacher Widerruf der faktischen Erlaubnis. Trifft den Einwilligenden die Verantwortung für seinen Fehler, so ist seine
ΠΙ. Die Verengung von Opfer- und Täterinteressen bei Kühne Verteidigungsbefugnis
darüber hinaus nach allgemeinen
35
Grundsätzen
noch zusätzlich beschränkt. Auch das Notwehrrecht birgt deshalb so viele Möglichkeiten, die schutzwürdigen Interessen des Empfangers einer fehlerhaften Einwilligung zu berücksichtigen, daß die Rücksicht auf diese Interessen die Entscheidung über die (Un-)Wirksamkeit einer solchen Einwilligung nicht zu beeinflussen braucht. Im Ergebnis stellt also auch Kühnes Ansatz die Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung auf ein schiefes Gleis. Auch seine Einzellösungen bedürfen daher einer Würdigung, die von seinen theoretischen Grundannahmen unabhängig sind.
D. Der eigene Ansatz Nach dem Gesagten beruhen die wichtigsten der bisher vorgelegten Konzepte zur Beurteilung mangelbehafteter Einwilligungen auf brüchigen dogmatischen Grundannahmen. Arzts Ansatz leidet an einem uneingestandenen Widerspruch zwischen der Behandlung von Drohung und Täuschung sowie an einer Überschätzung der Sperrkraft des Betrugstatbestandes. Roxins Ausgangsthese zum Rechtsgut von Delikten gegen den Einzelnen widerspricht dem positiven Recht und arbeitet mit zu unbestimmten, widersprüchlich verwendbaren Grundbegriffen. Kühne geht von der unzutreffenden Vorstellung aus, das Urteil über die (Un-)Wirksamkeit einer Einwilligung entscheide zugleich über die Strafbarkeit desjenigen, der auf die Wirksamkeit einer solchen Erklärung vertraut. Dieser Befund legt es nahe, sich erneut um die Grundlagen der Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung zu bemühen.
I. Die Trennung von Unwirksamkeitsurteil und Zurechnungsfrage Bei dem Versuch, das Problem der Willensmängel einer Einwilligung dogmatisch in den Griff zu bekommen, setzt man am besten mit einem einfachen, zunächst noch wenig „dogmatischen" Gedanken an. Die Wirkungen der Einwilligung des Verletzten beruhen nach allgemeiner Meinung auf dem Grundsatz „volenti non fit iniuria". 4 0 Dieser Grundsatz wird heute so verstanden. daß der zustimmende Wille des Verfügungsberechtigten einer Rechtsgutsverletzung das Stigma der Rechtswidrigkeit nimmt, sie also rechtfertigt. Zugleich enthält das Prinzip eine Aussage über die Zurechnung dieser Güter40
Roxin (Fn. 33) S. 438; JeschechWeigend (Fn. 10) S. 376, jeweils m. w. N.
I. Die Trennung von Unwirksamkeitsurteil und Zurechnungsfrage
37
Verletzung: der Einwilligende hat sie „sich selbst zuzuschreiben" und kann den Eingreifenden deshalb nicht fur sie verantwortlich machen. Ein „Willens-Mangel" beseitigt die Grundlage dieser beiden Urteile. Fehlt der zustimmende Wille, so fallt er logischerweise als Basis der Rechtfertigung aus. Die Rechtsgutsverletzung erscheint daher als rechtswidrig,
wenn nicht
ausnahmsweise ein anderer Rechtfertigungsgrund eingreift. Ähnliches gilt für die Zurechnung. Mangelt es am zustimmenden Willen, so kann auf ihn nicht mehr das Urteil gestützt werden, der Einwilligende habe sich die Güterverletzung selbst zuzuschreiben. Es mag zwar sein, daß es nun andere Gründe gibt, dem Einwilligenden die Rechtsgutsverletzung zuzurechnen, etwa Unachtsamkeit bei der Erklärung seines Willens. Aber ebenso kann es Gründe geben, die Rechtsgutsbeeinträchtigung dem Eingreifenden zuzuschreiben, etwa weil er den Einwilligenden täuschte. Beruht eine Rechtsgutsverletzung auf einem Willensmangel, so ist die Zurechnungsfrage
also wieder offen.
Für die Rechtsanwendung ist dies ein entscheidender Punkt. Stellt sich heraus. daß eine Rechtsgutsverletzung nur scheinbar von dem Willen des Verfügungsberechtigten getragen war, so bedarf der Rechtsanwender eines begrifflichen Instruments, das ihm den Weg eröffnet, die Zurechnungsfrage neu zu stellen, ohne sie sich durch ein einseitiges Urteil gleich wieder zu vorstellen. Das einwilligungsdogmatische
Attribut, das diesen leistet, ist das der
„Unwirksamkeit" mangelbehafteter Einwilligungen - das hat die vor Arzt herrschende Meinung im Ansatz richtig erfaßt. Das Urteil der Unwirksamkeit stellt einerseits mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit klar, daß der Wille des Verfügungsberechtigten als Zurechnungsgrundlage nicht mehr in Betracht kommt. Andererseits präjudiziell es noch nicht die Entscheidung, wem nunmehr die Rechtsgutsverletzung zuzurechnen ist; denn dies ist eine neue, zusätzliche Frage, die sich - entgegen Kühne - von der Wirksamkeitsfrage abkoppeln läßt. Das Urteil der „ Unwirksamkeit" gen hat also nur die Funktion, festzuhalten,
mangelbehafteter
Einwilligun-
daß der Legitimation und Rechts-
D. Der eigene Ansatz
38 frieden
stiftende
Wille des Verfügungsberechtigten
als Zurechnungsgrundlage
nicht in Betracht kommt und daher die Frage, wem die Rechtsgutsverletzung zuzurechnen ist, neu gestellt werden muß. An einer Rechtsgutsverletzung, die auf einer Einwilligung beruht, sind zwei Personen beteiligt. Das gilt auch für mangelbehaftete Einwilligungen. Deshalb scheint es, daß die Frage, wem die Rechtsgutsverletzung bei einem Willensmangel zuzurechnen ist, sich von zwei Seiten aus beantworten läßt. Es liegt nahe zu sagen: beruht der Mangel auf einem Fehler des Einwilligenden, so ist die Güterschädigung dem Einwilligenden, beruht der Mangel auf einem Fehler des Eingreifenden, so ist sie diesem zuzurechnen. Die Beantwortung der Frage, was dem Einwilligenden als Fehler zuzurechnen ist, bereitet jedoch Schwierigkeiten. Es handelt sich hierbei um „Fehler gegen sich selbst", also um Obliegenheiten, für deren Beurteilung die Maßstäbe fehlen; eine Orientierung an den zivilrechtlichen Willenserklärungen wäre, wie gezeigt, ganz sachwidrig. Hinzu kommt ein praktischer Einwand. Wird festgestellt, daß der Einwilligende keinen Fehler beging, so heißt dies noch nicht, daß die Rechtsgutsverletzung nun automatisch dem Eingreifenden zuzurechnen ist. Dafür muß vielmehr bei diesem erst ein zurechnungsbegründender Sachverhalt festgestellt werden. Ist das nicht möglich, so bleibt der mangelhaft Einwilligende in jedem Fall auf seinem Schaden sitzen, ohne den Eingreifenden dafür strafoder schadenersatzrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können. Von der Frage, ob der Einwilligende einen „Fehler" beging, kann daher abgesehen werden. Bei der Beantwortung der Frage, ob er oder der Eingreifende die Lasten der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu tragen hat, genügt es im Prinzip, sich darauf zu konzentrieren, ob der Eingreifende
einen haftungsbegründenden
Tatbestand setzte. Wie schon erwähnt, steht hierfür die ganze bewährte Lehre von der individuellen Zurechnung eines deliktischen Erfolges zur Verfügung. Auch das war vor Arzt im Ansatz schon bekannt. 41
41
Vgl. Bockelmarm (Fn. 23) S. 527.
I. Die Trennung von Unwirksamkeitsurteil und Zurechnungsfrage
39
Damit soll nicht behauptet werden, daß die straf- und deliktsrechtlichen Zurechnungskriterien
ohne jede Umformung auf den Einwilligungsemp-
fänger anzuwenden sind. Es muß auf die besondere Situation desjenigen Rücksicht genommen werden, der eine Rechtsgutsbeeinträchtigung auf eine Einwilligungserklärung stützt. Ζ. B. verdient es Beachtung, daß der Einwilligungsempfänger es in aller Regel schwerer hat, sich über die Motive des Einwilligenden Klarheit zu verschaffen, als dieser selbst. Insoweit gibt es auch auf der Täterseite spezifische Probleme der Lehre von den Willensmängeln einer Einwilligung. Doch handelt es sich hierbei nicht um Probleme, die schon bei der Wirksamkeitsfrage
erörtert werden müssen, sondern um Konkretisie-
rungserfordernisse
der allgemeinen Lehre von der Zurechnung einer
rechtswidrigen Tat und ihrer Folgen. Die Trennung beider Fragenkreise ist rechtssystematisch geboten und eröffnet erst den Weg zu einer hinlänglich differenzierenden Interessenbewertung. Bei der Behandlung der Wirksamkeitsfrage kann ohne weiteres in Rechnung gestellt werden, daß grundsätzlich jede Bindung des Einwilligenden an eine mangelbehaftete Einwilligung dessen Interessen beeinträchtigt. Bei der Behandlung der Täterzurechnung kann dann aber ebenso unbedenklich der Umstand Berücksichtigung finden, daß man normalerweise auf die Mangelfreiheit der Erklärung eines anderen vertrauen darf. Das Gesagte gilt auch für den bereits angesprochenen Umstand, daß ein rechtswidriger Angriff i.S.d. § 32 StGB vorliegt, wenn ein Einwilligungsempfänger aufgrund einer unwirksamen Einwilligung ein Rechtsgut des Einwilligenden antastet. Wie erwähnt, ist die damit verbundene Eröffnung eines Notwehrrechts gegen den Einwilligungsempfanger zwar für diesen nachteilig, doch wiegt dieser Nachteil gering, weil in aller Regel der Widerruf der fehlerhaften Zustimmung das mildeste geeignete Mittel ist, um den Angriff zu beenden. Wo ausnahmsweise ein Widerruf nicht ausreicht oder nicht möglich ist,
D. Der eigene Ansatz
40
greifen wiederum allgemeine Grundsätze ein, die die Gewährung und das Ausmaß von Notwehrbefugnissen davon abhängig machen, wer für die Notwehrsituation verantwortlich ist. 42 So kann ζ. B. derjenige, der durch einen selbstverschuldeten Irrtum die Beeinträchtigung eines seiner Rechtsgüter durch den Einwilligungsempfänger „provoziert" hat, nicht alle Rechte für sich in Anspruch nehmen, die § 32 StGB normalerweise gewährt. Auch hier liegt also jenseits der Wirksamkeitsfrage ein ausgefeiltes Instrumentarium bereit, das gerechte Ergebnisse gewährleistet.
II. Autonomie der Entscheidung als Wirksamkeitsmaßstab Ist damit geklärt, daß bei der Frage, wann eine Einwilligung wegen eines Willensmangels unwirksam ist, auf die Interessen des Einwilligungsempfängers (noch) keine Rücksicht genommen zu werden braucht, so fragt es sich, welcher Maßstab dann für die Beurteilung der Wirksamkeit einer solchen Erklärung bereitsteht. Eine allgemein gehaltene Antwort auf diese Frage läßt sich leicht formulieren. Offenbar darf der Einwilligende nur an eine solche Erklärung gebunden werden, die dem Sinn des Instituts der Einwilligung des Verletzten entspricht. Das führt auf die Frage nach dem Sinn des Rechtfertigungsgrundes. Nach herrschender Auffassung enthält die Einwilligung einen Verzicht auf Rechtsschutz.43 Für eine Sinnbestimmung reicht diese Charakterisierung aber nicht aus, weil ihr nicht zu entnehmen ist, weshalb der Einwilligende auf den Schutz des objektiven Rechts verzichten darf. Deshalb wird heute die Einwilligung auf den Freiheitsgedanken zurückgeführt. Ihr Sinn liegt danach darin, dem Einwilligenden einen Spielraum für den autonomen Umgang mit seinen Gütern einzuräumen, wo ein hinreichendes Gegeninteresse der Allgemeinheit vom Gesetzgeber nicht anerkannt
42 43
Vgl. dazu Roxin (Fn. 33) S. 575 ff. Hirsch (Fn. 12) Rn. 104 vor § 32 StGB.
Π. Autonomie der Entscheidung als Wirksamkeitsmaßstab
41
wird. 44 Dem kann man mit der Maßgabe zustimmen, daß der Gesetzgeber bei der Anerkennung einwilligungsbeschränkender Gegeninteressen nicht völlig frei ist, weil die Einwilligungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG eine verfassungsrechtliche Grundlage besitzt. 45 Ein Problem der skizzierten Sinnbestimmung liegt darin, daß in der idealistischen Denktradition Deutschlands „Freiheit" und „Autonomie" leicht als zweckfreie Selbstwerte erscheinen, aus denen sich teleologisch handhabbare Wirksamkeitserfordernisse nicht ohne weiteres ableiten lassen. Aus der Sicht des Einwilligenden hat aber die Einwilligungsfreiheit gar nicht diese Qualität. 46 Ihm dient die Einwilligung vielmehr in aller Regel zur Verfolgung handfester Zwecke. Opfert er ein Gut auf, so geschieht dies regelmäßig, um ein anderes zu erhalten, ein neues zu gewinnen oder sich eines lästigen zu entledigen. Freiheit „als solche" ist allenfalls in dem seltenen Grenzfall im Spiel, in dem der Einwilligende ein Gut preisgibt, das ihm gleichgültig ist. Die Einwilligung ist also ein Instrument Rechtsgutspreisgabe.
47
der Interessenwahrnehmung durch
Dieser durchaus utilitären Funktion müssen sich alle
Wirksamkeitserfordernisse unterordnen, sollen sie gewährleisten, daß die juristische Handhabung dieses Rechtsinstituts seinen Zweck erreicht. Das gilt auch für den Begriff
der Autonomie, soweit er als Bestandteil der
herrschenden Sinnbestimmung für die Wirksamkeit einer Einwilligung Bedeutung gewinnt. Aus utilitärer Sicht erscheint eine Einwilligung als autonom erteilt, wenn der Einwilligende selbst bestimmen kann, was ihm nützt und was ihm schadet. Abstrakter formuliert: Als autonom erteilt muß eine Einwilligung gelten, bei der der Einwilligende
in Übereinstimmung mit seinem Wertsystem
entscheidet. Denn dann entscheidet er nach selbstgesetzten (Präferenz-) Regeln.
44
Jescheck/Weigend (Fn. 10) S. 377 m. w. N. ~ Amelung (Fn. 32) S. 29,31 ff. 40 Zum Folgenden vgl. schon Amelung (Fn. 15) S. 544 ff 4 Geilen, Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht (1963) S. 90. 4
D. Der eigene Ansatz
42
Wirksam ist daher eine Einwilligung, die der Einwilligende in Übereinstimmung mit seinem Wertsystem abgibt, unwirksam eine solche, die im Widerspruch
dazu steht. Ein Widerspruch zu dem Wertsystem des
Einwilligenden kann sich einmal daraus ergeben, daß der Einwilligende nicht überblickt, welche Folgen seine Erklärung für seine Werte hat. Das ist der Fall des Irrtums. Ein Widerspruch zu dem Wertsystem des Einwilligenden entsteht außerdem, wenn dieser gezwungen wird, anders zu werten, als er möchte. Dies ist bei einer Drohung der Fall, die den Bedrohten zwingt, einen Wert zu opfern, den er gern bewahren will.
I I I . Die Bedeutung der Einwilligungserklärung Nach dem Vorstehenden bildet der Umstand, daß der Einwilligende eine bestimmte Erklärung
in die Welt gesetzt hat, keinen Grund, den Einwilligenden an
ihr festzuhalten, wenn die Einwilligung seinen Interessen widerspricht. Die Erklärung gilt schlicht als unwirksam. Darin liegt eine gewisse Abwertung gegenüber der EinwiWigmgsentscheidung.
Doch ist diese Zurücksetzung sachgerecht.
Das zeigt ein Vergleich mit der Willenserklärung i.S.d. § 119 ff. BGB. Auf eine Willenserklärung kann man „bauen", weil der Erklärende sich an ihr festhalten lassen muß, sofern er keinen Anfechtungsgrund hat und von diesem Gebrauch macht. 48 Auf eine Einwilligung kann man dagegen nie „bauen", denn sie ist frei widerruflich, und zwar auch dann, wenn sie fehlerfrei erklärt wird. In diesem Gegensatz tritt zutage, daß die Einwilligungserklärung eine andere, eingeschränktere Funktion hat als die Willenserklärung: Wie gesagt, ist die Willenserklärung Planungsgrundlage, die Einwilligungserklärung dagegen bloßes Informationsmittel,
mit dem der Einwilligende
den Einwilligungsempfänger über seine Entscheidung in Kenntnis setzt. 49
48 49
S. o. B.,S. 15 f. S. o. B.,S. 15 f.
43
ΠΙ. Die Bedeutung der Einwilligungserklärung
Wegen dieser dienenden Funktion kommt der reinen Erklärung bei der Beurteilung der Wirksamkeitsfrage keine selbständige Bedeutung zu. Das zeigt sich deutlich, wenn der Erklärungsempfänger von der zugrunde liegenden Entscheidung und deren Voraussetzungen bessere Kenntnis hat, als ihm
die Erklärung
vermittelt.
Der
Hausschiachter
tötet
ζ.
B.
„weisungsgemäß" das Kalb, obgleich er genau weiß, daß der Bauer sich versprochen hat und in Wahrheit die Kuh meint. Wenn der Schlachter sich in einem solchen Fall darauf beruft, der Bauer habe aber doch „Kalb" gesagt, so verdient er keinen Schutz. Er hätte ja ohne weiteres von dem Eingriff Abstand nehmen oder nachfragen können. Keinen Schutz verdient aber selbst derjenige, der bessere Kenntnis haben muß, als ihm die Erklärung des Einwilligenden vermittelt. Man denke etwa an den Zahnarzt, der den dritten Zahn links zieht, ohne zu prüfen, ob dieser überhaupt erkrankt ist, und deshalb nicht erkennt, daß der Patient rechts und links verwechselte. Die fehlerhafte Erklärung kann den Zahnarzt schwerlich von dem Vorwurf befreien, den Patienten durch einen Verstoß gegen elementare Berufspflichten geschädigt zu haben. Ein solches Vorbeisehen an der irrtumsbehafteten Erklärung ist konstruktiv nur zu bewältigen, wenn man sie stets als unbeachtlich behandelt, also auch dann, wenn der Erklärungsempfänger als schutzwürdig erscheint. Ein Nachteil ist damit für diesen nicht verbunden. Denn auch eine unwirksame Einwilligungserklärung ist geeignet, den Vorsatz desjenigen zu beseitigen, der es nicht besser weiß, und den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen denjenigen zu unterdrücken, der sich auf das Gesagte verlassen darf, wie dies regelmäßig der Fall ist. Damit wird der sachliche Zusammenhang deutlich, in dem die Einwilligungserklärung steht. Sie ist ein Kriterium für die Beantwortung der Frage, was dem Täter zugerechnet werden kann.
D. Der eigene Ansatz
44
Eine Rückkehr zur sog. Willensrichtungstheorie 50 ist mit den skizzierten Möglichkeiten des Durchgriffs hinter die Einwilligungserklärung nicht verbunden. Es ist sinnvoll, mit der h. M. eine Willenskundgabe zu verlangen, wenn jemand sich auf eine Einwilligung des Verletzten beruft 51 ; denn eine solche Kundgabe ist die einzig sichere Informationsquelle, die - gegebenenfalls durch Nachfragen - genutzt werden muß, um das Risiko einer Willensverfehlung zu minimieren. Erst dort, wo eine Willenskundgabe des Betroffenen nicht mehr erreichbar ist, kann auf sie verzichtet werden. Aber dann bewegt man sich nicht mehr im Anwendungsbereich der Regeln über die Einwilligung des Verletzten, sondern auf dem Boden eines anderen Rechtsinstituts, der mutmaßlichen Einwilligung.
IV. Zusammenfassung Das Vorstehende läßt sich am besten zusammenfassen, wenn man weder bei dem Einwilligenden noch bei dem Eingreifenden ansetzt, sondern die Rechtsgutsverletzung
in den Mittelpunkt stellt, die aufgrund einer Einwilli-
gung vorgenommen wurde. Ist eine solche Rechtsgutsverletzung durch den Willen des Verfügungsberechtigten gedeckt, so kann sich die Rechtsordnung bei dem Grundsatz „volenti non fit inuiria" beruhigen. Entspricht die Einwilligung nicht dem Willen des Rechtsgutsträgers, so kann die Rechtsordnung bei diesem Grundsatz nicht stehen bleiben. Es muß die Frage gestellt werden, ob die von dem Einwilligenden nicht oder nicht so gewollte Güterverletzung dem Einwilligenden selbst oder dem Eingreifenden zuzurechnen ist. Das Urteil der „ Unwirksamkeit"
der Einwilligung hat die Funktion, den Weg dafür frei zu
machen, daß diese Frage gestellt werden kann.
50
Mezger (Fn. 6) S. 209; Schmidhäuser, Strafrecht AT (2. Aufl. 1975) S. 278 ff.; Jakobs {Yn. 11) S. 245 ff 51 Roxin (Fn. 33) S. 477; Jescheck Weigend (Fn. 10) S. 382, jeweils m. w. N.
IV. Zusammenfassung
45
Für ihre Beantwortung kann man auf die bewährten Grundsätze zurückgreifen, die im Straf- und Deliktsrecht entwickelt worden sind, um festzulegen, wann einem Rechtsgutsverletzer
die von ihm bewirkte Rechtsgutsverletzung
zuzurechnen ist. Dies ist deshalb angezeigt, weil die straf- und deliktsrechtlichen Zurechnungsregeln mit dem Ziel entwickelt worden sind, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Rechtsgutsträgers und denen des Rechtsgutsverletzers herzustellen. Ihre Konkretisierung für die besondere Situation der Rechtsgutsverletzung aufgrund einer mangelbehafteten Einwilligung verspricht daher gerechte Ergebnisse. Rechtstechnisch schiebt sich hierbei die Handlung des Eingreifenden
in den
Vordergrund der Beurteilung. Ist geklärt, daß der Einwilligende einem Willensmangel unterlag, so ist die Frage, ob er auf seinem Schaden sitzen bleibt, im Subtraktionswege zu entscheiden. Die Rechtsgutsverletzung ist dem Einwilligenden zuzurechnen, wenn sie nicht dem Eingreifenden angelastet werden kann. Im Ergebnis erfolgt die Zurechnung einer Rechtsgutsverletzung, die aus einer mangelhaften Einwilligung hervorgeht, daher in einem zweistufigen
Ver-
fahren. Auf der ersten Stufe ist zu fragen, ob die Einwilligung in Übereinstimmung mit dem Wertsystem des Einwilligenden abgegeben wurde. Ist die Antwort negativ, so ist eine Blickwende vom Einwilligenden zum Eingreifenden erforderlich, um zu fragen, ob er für die Rechtsgutsverletzung verantwortlich zu machen ist. Dieses Hin- und Herwenden des Blickes entspricht dem interaktionistischen Charakter von Rechtsgutsverletzungen, die auf einer Einwilligung beruhen.
E. Einfache Irrtümer Nach diesen Vorklärungen ist es möglich, sich einzelnen Willensmängeln zuzuwenden. Begonnen werden soll mit den einfachen, nicht durch eine Täuschung erzeugten Irrtümern.
Unter einem Irrtum wird dabei so-
wohl eine positive Fehlvorstellung als auch die Unkenntnis entscheidungsrelevanter Fakten verstanden 52 ; denn auch letztere kann dazu führen. daß der Einwilligende eine Entscheidung trifft, die seinen Werten widerspricht.
I. Erklärungsfehler Die Quellen einfacher Irrtümer ergeben sich aus der Handlungsstruktur einer Einwilligung. Die Einwilligung besteht aus der Entscheidungsfindung („Willensbildung") und der Kundgabe der gefundenen Entscheidung. Dies entspricht jedenfalls der heute herrschenden Auffassung, die wie gezeigt - die sogenannte „Willensrichtungstheorie" ablehnt, nach der es auf eine äußere Willenskundgabe nicht ankommen soll. 5 3 Eine erste Fehlerquelle entsteht daher bei der Überschreitung der Trennlinie zwischen der Entscheidung und ihrer Übermittlung an Dritte. Es kann einmal sein, daß der Einwilligende versehentlich etwas anderes sagt, als er sagen will. Er erklärt z. B., der dritte Zahn links solle aufgebohrt werden, obgleich er den dritten Zahn rechts meint. In diesem Fall spricht man
52
Wie hier M.K. Mever (Fn. 29) S. 4 ff.; Küper {Fn. 29); i.E. auch Roxin (Fn. 11) S. 283. 53 S. o. S. 44.
I. Erkläningsfehler im Zivilrecht von einem Erklärungsirrtum.
54
47
Es kann ferner vorkommen, daß
der Einwilligende ein Wort benutzt, dem üblicherweise eine andere Bedeutung zugeschrieben wird, als er meint. Er sagt z. B. „kidney" und glaubt, es handele sich dabei um die Leber. In diesem Fall spricht man im Zivilrecht von einem sog. Inhaltsirrtum.^ Im Zivilrecht
fuhren Erklärungs- und Inhaltsirrtümer gemäß § 119 Abs. 1
BGB zur Anfechtbarkeit einer Willenserklärung, mit der Folge, daß die Erklärung nach vollzogener Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig zu sehen ist. Können danach Erklärungs- und Inhaltsirrtümer schon zur Nichtigkeit von Vertragsbeziehungen führen, so liegt es nahe, dies erst recht anzunehmen, wenn es um die Zustimmung zur Beeinträchtigung eines Rechtsgutes, wie etwa des menschlichen Körpers, geht. Doch bietet ein solcher Erst-recht-Schluß nicht mehr als ein Indiz für eine angemessene Behandlung irrtumsbehafteter Einwilligungen. Denn er vernachlässigt zwei Schutzmechanismen, die bei der Vernichtung irrtumsbehafteter Willenserklärungen die Folgen für den Erklärungsempfänger mildern, bei der Einwilligung aber fehlen: Für fehlerhafte Einwilligungen ist nicht vorgeschrieben, daß der Irrende sie zur Herbeiführung der Nichtigkeit anfechten muß, und es trifft ihn im Falle eines Verschuldens auch keine Pflicht zum Schadensausgleich, wie sie § 122 BGB bei der Anfechtung einer Willenserklärung aufstellt. Eine solider begründete Lösung bietet daher das eingangs entwickelte Bewertungsmuster. Eine Einwilligung, die an einem Erklärungs- oder Inhaltsirrtum leidet, bildet die Ii er tent sehe idung des Einwilligenden nicht ab. Deshalb ist sie als unwirksam anzusehen. Die Einwände, die Arzt und im wesentlichen auch Kühne zum Schutz des Erklärungsempfängers hiergegen erheben, 56 schlagen nicht durch. Denn die
54
Medicus, Bürgerliches Recht (17. Auflage 1996) Rn. 132. ^ Medicus (Fn. 54) a.a.O. So Arzt (Fn. 9) S. 30, 48 ff.; Kühne (Fn. 11 ) S. 244.
E. Einfache Irrtümer
48
Schutzbedürftigkeit des Erklärungsempfängers ist nicht schon bei der Frage der Wirksamkeit der Einwilligung zu berücksichtigen, sondern erst bei der Frage, ob der auf die unrichtige Erklärung gestützte Eingriff dem Eingreifenden auch zuzurechnen ist.' Auf dieser zweiten Stufe erscheint das Anliegen von Arzt und Kühne im Prinzip berechtigt. Der Erklärungsempfänger muß sich grundsätzlich darauf verlassen können, daß der Einwilligende für die Kundgabe seiner Entscheidung die richtigen Worte wählt. Zur Erforschung der inneren Vorgänge, die zu einem Erklärungsirrtum fuhren, kann man den Einwilligungsempfänger in der Regel nicht verpflichten, sind sie für ihn doch meist kaum durchschaubar. Das gleiche gilt für die eher lebensgeschichtlichen Ursachen, auf denen Inhaltsirrtümer beruhen. Doch gibt es Ausnahmen. Der Zahnarzt, der den gesunden linken Zahn aufbohrt, obgleich er erkennt, daß sein Patient den kranken rechten meint, verdient keinen Schutz gegen eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Auch Kühne will hier eine Ausnahme von dem Prinzip der Unbeachtlichkeit eines Erklärungsirrtums machen, das er sonst verficht. 58 Der konstruktive Umweg, dies mit dem Rechtsmißbrauchsgedanken zu begründen, ist aber überflüssig. Er ist sogar irreführend. Denn es ist auch denkbar, daß derjenige, der einen Erklärungs- oder Inhaltsirrtum nicht erkennt, wegen Fahrlässigkeit
zu haften
hat. Dies ist überall dort anzunehmen, wo der Einwilligungsempfänger zu dem Einwilligenden in einem Sonderverhältnis steht, das ihn verpflichtet, nicht einfach auf die Erklärung zu vertrauen. Solche Sonderverhältnisse gibt es vor allem im medizinischen Bereich. 59 Wenn ein Patient sagt, daß ihn der dritte
^ S. o. C. m. 2., S. 34: s. o. D. I., S. 36. Kühne (Fn. 11) S. 244/245. 59 So auch Roxin (Fn. 33) S. 494, grundlegend zu Sonderpflichten, die in den Verantwortungsbereich eines anderen hineinreichen, Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortimg der Anderen ( 1986) S. 107 ff, 113 ff. 58
I. Erklärungsfehler
49
Zahn links schmerze, darf der Zahnarzt diesen nicht unbesehen ziehen, sondern ist aufgrund seines Behandlungsvertrages zur Prüfung verpflichtet, ob eine solche Maßnahme auch ärztlich indiziert ist. Im Falle eines Erklärungsirrtums stößt die Erfüllung dieser Prüfungspflicht den Zahnarzt auf die Diskrepanz zwischen der Erklärung des Patienten und dem medizinischen Befund. Das gibt dem Behandelnden Gelegenheit, durch eine Rückfrage den Irrtum aufzuklären. Nutzt der Zahnarzt diese Gelegenheit nicht, so handelt er unsorgfältig. 60 Konstruktiv liegt in einem solchen Fall beim Zahnarzt ein Irrtum über eine tatsächliche Voraussetzung des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung des Verletzten vor. Er handelt im Irrtum darüber, daß die Erklärung die von dem Einwilligenden getroffene Entscheidung richtig wiedergibt. Beruht dieser Irrtum auf mangelnder Sorgfalt, so haftet der Zahnarzt nach allgemeinen Grundsätzen wegen Fahrlässigkeit. Der skizzierte Gedankengang zeigt, worin die hier verfochtene Trennung der Wirksamkeitsfrage von der Täterverantwortung den seit Arzt zur Herrschaft gelangten Ansätzen überlegen ist. Berücksichtigt man das Interesse des Einwilligungsempfängers, sich auf eine Einwilligungserklärung verlassen zu können, schon auf der Wirksamkeitsebene, so verführt dies zu einer mehr oder minder pauschalen Rechtfertigung der auf fehlerhafte Einwilligungen gestützten Eingriffe. Das versperrt dann aber den Weg zu einer differenzierten Würdigung der Frage, ob das Empfängerinteresse in solchen Fällen auch wirklich immer schutzwürdig ist.
o0
S. dazu schon oben D. m., S. 43.
4 Amelung
E. Einfache Irrtümer
50
II. Entscheidungsfehler Fehler einer Einwilligung entstehen nicht nur bei der Übermittlung einer Einwilligungsentscheidung nach außen, sondern bereits bei der Entscheidungsfindung selbst. Die Fehlerquellen ergeben sich aus der Struktur Einwilligungsentscheidung.
61
der
Diese ist Wertentscheidung, meist auch Progno-
senentscheidung und oft Konfliktentscheidung.
1. Fehler bei der Wertentscheidung Mit der Kennzeichnung als Wertentscheidung
ist gemeint, daß eine Einwil-
ligung auf einer Nutzen-Kosten-Erwägung beruht. Der Einwilligende nimmt die Kosten der Aufopferung eines Gutes in aller Regel nur deshalb auf sich, weil er dadurch ein wertvolleres Gut erhalten oder gewinnen will. Im Grenzfall steht hinter der Einwilligung zumindest die Beurteilung des preisgegebenen Gutes als „wertlos". Maßgeblich ist in allen diesen Fällen das subjektive Werturteil des Einwilligenden, denn dessen Durchsetzung ist - wie gezeigt der Sinn der Einwilligung. 62 Eine erste Gruppe von Fehlern ergibt sich daraus, daß der Einwilligende seine Wertung als falsch empfindet. Er hat sich etwa aus einer Laune heraus einer Tätowierung unterzogen und ärgert sich später über die Zeichnung auf seiner Haut. Dies ändert freilich nichts daran, daß er im Augenblick seiner Einwilligung tätowierte Haut schöner oder doch interessanter fand als nichttätowierte, sonst hätte er der Tätowierung schließlich nicht zugestimmt. Der Fehler, den der Tätowierte später empfindet, beruht also nicht auf einem Irrtum bei der Einwilligung, sondern auf einer Änderung seiner Wertung nach deren Erteilung. Solche nachträglichen Wertungsänderungen können sich schwerlich auf den Bestand der einmal erteilten Einwilligung auswirken. Das Urteil der Unwirksamkeit würde dem eingangs auf61 02
Dazu ausführlich Amelung (Fn. 15) S. 545 ff. S. o. D. Π., S. 40 ff.
51
Π. 1. Fehler bei der Wertentscheidung
gestellten Grundsatz widersprechen, daß eine Einwilligung als wirksam anzusehen ist. wenn sie in Übereinstimmung mit dem Wertsystem des Einwilligenden abgegeben wird. 63 Das Mittel zur Berücksichtigung von Wertungsänderungen, das die Einwilligungsdogmatik bereitstellt, ist nicht die Unwirksamkeit, sondern der Widerruf der Einwilligung. Wo er nicht mehr möglich ist, wie in dem Tätowierungsbeispiel, da muß der Einwilligende die Folgen seiner ursprünglichen Wertung tragen. Für reine Wertungsfehler gilt also der Grundsatz, daß man über seine eigenen Werturteile nicht irren, sondern sie nur ändern kann. Beim
Einwilligenden
gibt es deshalb kein Gegenstück zum Verbotsirrtum eines Normbrechers. 64 Dagegen kann der Einwilligende über die tatsächlichen
Voraussetzungen
seiner Wertung irren. Man denke an den Patienten, der ein Körperorgan für wertlos hält, weil er irrig annimmt, es sei von einer unheilbaren Krankheit befallen. Willigt er deshalb in die Entfernung des Organs ein, so handelt er in einem Motivirrtum
6
'
Motivirrtümer gelten bei Willenserklärungen
als grundsätzlich unbeacht-
lich. Doch macht das BGB in § 119 Abs. 2 für den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft und in § 2078 Abs. 1 für letztwillige Verfügungen von dieser Regel eine Ausnahme. 66 Grund ist im ersten Fall die besondere Bedeutung der Tatsachen, über die der Erklärende irrt, im zweiten Fall der Umstand, daß das Vertrauen in letztwillige Verfügungen kaum schutzwürdig erscheint. 67 Beide Gründe streiten dafür, entgegen der h.M. auch die auf einem Motivirrtum beruhende Einwilligung
03
als unwirksam zu behandeln.68 Denn bei einer Einwilli-
S. o. D. n.,S.40ff. 1. E. ähnlich für den sich selbst Schädigenden Neumann, JA 1987/244 ff. (252). oS Lorenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts (7. Auflage 1989) S. 377 f. 00 Dazu Larenz (Fn. 65) S. 384. °7 Palandt-Edenhofer, BGB (56. Auflage 1997) § 2078 BGB Rn. 2. Vgl. dazu auch Geilen (Fn. 47) S. 96 ff. 102; Maiwald in Eser/Perron (Fn. 28) S. 165 ff (183). 04
4*
E. Einfache Irrtümer
52
gung geht es um den Schutz von Rechtsgütern, denen oft sogar höchste Bedeutung zukommt, und das Vertrauen in eine Einwilligung ist wegen ihrer Widerruflichkeit generell weniger schutzwürdig als das Vertrauen, das in eine normale Willenserklärung gesetzt wird. Schon deshalb ist es weniger sensationell, als es zunächst scheinen mag, wenn man Einwilligungen, die an einem Motivirrtum leiden, grundsätzlich für unbeachtlich erklärt, weil sie die Interessen des Einwilligenden verfehlen. Die Unbeachtlichkeit einer Einwilligung, die an einem Motivirrtum der beschriebenen Art leidet, ergibt sich aber auch aus immanenten, der Einwilligungslehre selbst zu entnehmenden Gründen. Wie gezeigt, wird eine Einwilligung nur dann autonom erteilt, wenn sie mit dem Wertsystem des Einwilligenden im Einklang steht. Wer bei der Kosten-Nutzen-Analyse von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, trifft zwangsläufig eine Entscheidung, deren Folgen seinem Wertsystem widersprechen. An dem oben genannten Beispiel des Irrtums über den Krebsbefall einer Niere, läßt sich das leicht demonstrieren. In der Lehre von der ärztlichen Aufklärungspflicht ist es daher eine Gemeinplatz, daß ein Patient vor der Erteilung einer Einwilligung über die tatsächlichen Voraussetzungen seiner Entscheidungen aufgeklärt werden muß. 69 Dem Arzt obliegt es, dies zu tun, um zu vermeiden, daß er für eine Güterverletzung haftet, die wegen eines Motivirrtums des Einwilligenden rechtswidrig ist! Es kennzeichnet das geringe Reflexionsniveau in der Lehre von den Willensmängeln, daß dieser Gemeinplatz in der allgemeinen Einwilligungsdogmatik selten beachtet wird. 70 Freilich stellt sich wiederum - und hier mit besonderer Schärfe - das Problem eines angemessenen Schutzes der Erklärungsempfänger.
Das Muster für
seine Bewältigung entspricht dem zu den Übermittlungsfehlern entwickelten. 71 00
S. dazu unten E. IV., S. 66 f. Arzt (Fn. 9) S. 15 ff, 20 ff; Roxin (Fn. 11) S. 283 ff; Kühne (Fn. 11) S. 245 f.; KühL Strafrecht AT (1994) 9/38; dagegen aber Mitsch in Baumann/Weber/Mitsch (Fn. 12) S. 353 f. 71 S. dazu oben E. I., S. 46 f. 10
Π. 2. Prognosefehler
53
Im Grundsatz braucht ein Einwilligungsempfänger sich nicht darum zu kümmern, ob der Einwilligende die bewertungsrelevanten Tatsachen richtig erfaßt hat; denn welche Tatsachen für ein Werturteil relevant sind, weiß normalerweise nur der Wertende selbst. Erkennt der Eingreifende aber, daß die Bewertung des preisgegebenen Rechtsgutes auf einer fehlerhaften Tatsachenerfassung beruht, so haftet er wegen Vorsatzes. Steht er - wie ein Arzt - in einem Sonderverhältnis zum Einwilligenden, das ihn. den Eingreifenden, zur Überprüfung der bewertungsrelevanten Tatsachen verpflichtet, so haftet er wegen Fahrlässigkeit, wenn er diese Überprüfung unterläßt. Weiß ein Arzt also, daß das preisgegebene Körperorgan entgegen der Vorstellung des Einwilligenden nicht krankheitsbefallen ist oder muß er dies wissen, so haftet er bei einer Entfernung des Organs wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung.
2
2. Prognosefehler Einwilligungen werden in der Regel erteilt, um drohenden Schaden, etwa den Tod, zu verhindern. In solchen Fällen handelt es sich darum, auf den Eintritt eines künftigen Ereignisses Einfluß zu nehmen. Einwilligungsentscheidungen beruhen daher typischerweise auf einer Prognose. Diese bildet eine weitere Quelle von Fehlentscheidungen. Es kann einmal sein, daß die Dinge sich anders entwickeln, als der Einwilligende sich vorstellte. Er willigt ζ. B. in eine kosmetische Operation ein, um seinen Erfolg beim anderen Geschlecht zu erhöhen, doch tritt diese Wirkung nicht ein. Die Unsicherheit, daß die Zukunft sich anders gestaltet, als man erwartet, ist aber ein Risiko, das jeder eingeht, der im Hinblick auf künftige Ereignisse eine Entscheidung fällt. Das gilt auch für
ni
- S. dazu auch unten E. IV., S. 66 bzw. Ε. I., S. 48 f.
E. Einfache Irrtümer
54
die Einwilligungsentscheidung. Deren Wirksamkeit kann daher schwerlich allein von dem Eintritt des erwarteten Ereignisses abhängen, soll sie doch Auskunft darüber geben, ob der Eingriff im Augenblick dem Willen des Betroffenen entspricht oder nicht.
seiner Vornahme
73
Wer eine Prognose aufstellt, stützt sich aber in aller Regel auf gegenwärtige Gegebenheiten, von denen er annimmt, daß sie sich in bestimmter Weise fortentwickeln. Er stützt etwa die Vorhersage seines baldigen Todes darauf, daß seine Leber von Krebs befallen ist. Über solche Prognosetatsachen kann man im engen Sinne dieses Wortes irren. Es handelt sich auch hier um eine Art von Motivirrtum,
die nach den gleichen Grundsätzen zu
behandeln ist wie der Irrtum über bewertungsrelevante Tatsachen. 74
3. Fehlerhafte Konfliktentscheidungen Einwilligungen beruhen schließlich oft auf einer Konfliktentscheidung. Der Einwilligende gibt dann widerstrebend ein Gut preis, weil er nur dadurch ein anderes retten kann, das ihm wertvoller erscheint. Er opfert etwa seine körperliche Unversehrtheit, um durch einen chirurgischen Eingriff sein Leben zu retten. Derartige Konfliktentscheidungen entsprechen nur dann dem Wertsystem des Einwilligenden, wenn sie erforderlich würde er beide Güter unversehrt lassen.
75
sind. Denn am liebsten
Erforderlich ist die Preisgabe
des minder wertvollen Gutes, wenn sie geeignet ist, den Verlust des wertvolleren zu verhindern, und wenn es kein Rettungsmittel gibt, das den von einem Rechtsgutsverlust Bedrohten weniger beeinträchtigt. 76
73
1. E. ebenso Roxin (Fn. 11 ) S. 291. S. O.E. Π. l.,S. 51 f. 75 Vgl. dazu Amelung (Fn. 15) S. 549 ff. ^Amelung ( Fn. 15) S. 525 (550). 74
Π. 3. Fehlerhafte Konfliktentscheidungeri
55
Kennt der Einwilligende die Tatsachen nicht, aus denen sich die Ungeeignetheit des von ihm zugelassenen Eingriffs ergibt, so ist dieser Irrtum nach den Regeln des Prognoseirrtums zu behandeln.77 Denn der Einwilligende täuscht sich über gegenwärtige Gegebenheiten, von denen er ein zukünftiges Ereignis, die Verhinderung des drohenden Schadens, erwartet. Schwieriger ist es, wenn der Einwilligende über die Erforderlichkeit eines Eingriffs irrt, weil er die mildere Alternative
zur Rettung des wertvollen Gutes
nicht kennt. Er glaubt etwa, eine Krankheit lasse sich nur durch eine Öffnung der Bauchhöhle heilen, obgleich die Einnahme eines bestimmten Medikaments ausreichen würde. Die Rechtsprechung zur Pflicht des Arztes, seinen Patienten über Behandlungsalternativen aufzuklären, zeigt, daß auch ein solcher Irrtum nicht einfach als unbeachtlich angesehen werden kann. 78 Will der Arzt vermeiden, daß er rechtswidrig handelt und deshalb bei hinzutretendem Verschulden haftbar gemacht wird, so muß er den Patienten über Behandlungsalternativen aufklären, die geringere oder auch nur andere Belastungen mit sich bringen als die vorgeschlagene Methode. Dieser Grundsatz impliziert, daß die in Unkenntnis der milderen Alternative erteilte Einwilligung als unwirksam zu behandeln ist. Auch hier sind Schäden, die aus der Unkenntnis des Einwilligenden erwachsen, dem Eingreifenden natürlich nur dann zuzurechnen, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Neben diesen subjektiven Zurechnungskriterien gewinnen bei einem Irrtum über Alternativen aber auch Gesichtspunkte der objektiven Zurechnung Gewicht. In der Rechtsprechung zur Aufklärung über Behandlungsalternativen ist anerkannt, daß eine Haftung des Arztes entfällt, wenn feststeht, daß der Patient auch bei Erteilung der erforderlichen Information nicht anders entschieden hätte, als er es tat. 7 9 Die Er-
S. ο. Ε. Π. 2.,S. 53 f. S. dazu unten E. IV., S. 69. 79 S. dazu unten E. IV., S. 69.
E. Einfache Irrtümer
56
folgszurechnung entfällt in diesem Fall unter dem Gesichtspunkt, daß rechtmäßiges Alternatiwerhalten zu dem gleichen Schaden geführt hätte.
I I I . Sonderformen der Entscheidungsfehler 1. Nicht rechtsgutsbezogene Irrtümer Die bisherigen Fallbeispiele betrafen im wesentlichen Irrtümer, di ζ Arzt als „rechtsgutsbezogen" bezeichnen würde. Deshalb bleibt die Frage, ob das bisher Gesagte auch für nicht „rechtsgutsbezogene" Irrtümer Geltung beanspruchen kann. Die Antwort kann an die Kritik der Lehre Arzts anknüpfen. 80 Arzts These, nur „rechtsgutsbezogene" Irrtümer führten zur Unwirksamkeit
einer
Einwilligung,
vernachlässigt - wie erwähnt - den Um-
stand, daß Rechtsgüter aus der Sicht ihres Trägers in einem Wertzusammenhang stehen. Dieser tritt hervor, wenn ein Gut nur durch den Einsatz eines anderen zu erhalten ist. In einem solchen Fall geraten die Güter in eine Art Tauschbeziehung, bei der der Rechtsgutsträger das ihm weniger wertvoll erscheinende Gut zum Zwecke des Erhalts des anderen aufs Spiel setzt.81 Der Rechtsgutsträger öffnet dem Arzt seine Intimsphäre, um sein körperliches Wohlbefinden zu erhalten oder zurückzugewinnen; er opfert dem Chirurgen seine körperliche Unversehrtheit, um sein Leben zu retten; er
80
S. dazu obenC. I. 2., S. 20 ff. Daß Einwilligungen typischerweise im Gütertausch bestehen, erkennt auch Jakobs (Fn. 11) S. 243 an, wenn er die Dispositionsfreiheit des Einwilligenden auf „tauschbare" Güter beschränkt. Nicht zuzugestehen ist Jakobs (Fn. 11) S. 244, 433 ff. freilich, daß es daneben eine Einwilligungsfonn gibt, die auf nicht tauschbare Güter ausgerichtet ist. Richtig ist zwar, daß es bestimmte Individualrechtsgüter gibt, die absolut oder in bestimmten Relationen nicht eintauschbar sind. Solche „Tauschverbote" bedürfen als Freiheitsbeschränkungen einer gesetzlichen Grundlage, wie sie ζ. B. in §§ 216, 226a StGB und § 40 AMG gegeben ist. Derartige Gesetze schaffen aber keine besondere Form der rechtfertigenden Einwilligung, sondern schließen schlicht die Rechtfertigungswirkung von Einwilligungen in den Tausch nicht tauschbarer Güter aus. 81
57
IH. 1. Nicht rechtsgutsbezogene Irrtümer
willigt in die Zerstörung einer veralteten Heizanlage ein, um durch die Installation einer neuen seine Gesundheit gegen Erkältungen zu schützen etc. Beruht der Einsatz des einen Gutes zum Erhalt des anderen auf einem Irrtum, so ist die Preisgabe des ersteren sinnlos. Das gilt auch und gerade dann, wenn der Irrtum nicht das preisgegebene Gut betrifft, also im Sinne Arzts nicht „rechtsgutsbezogen' k ist. Man denke daran, daß der Einwilligende völlig grundlos von einer Bedrohung seines Lebens ausgeht und deshalb einer Preisgabe seines Patientengeheimnisses zustimmt, oder daß er irrig annimmt, eine bestimmte Operation sei geeignet, sein Leben zu retten, obgleich die Untauglichkeit des Eingriffs von vornherein feststeht. Als sinnlose Entscheidungen entsprechen solche Einwilligungen nicht der autonomen Interessenbewertung des Einwilligenden; denn seinen Wertvorstellungen würde es in den geschilderten Fällen entsprechen, das preisgegebene Rechtsgut zu bewahren, weil dessen Aufopferung
ihm
„nichts bringt". Folglich ist die Einwilligung als unwirksam anzusehen. Der Vorzug dieser Lösung gegenüber Arzts Lehre zeigt sich dort, wo der Einwilligungsempfänger genau weiß, daß der Einwilligende sich irrt. Da Arzt dem nicht „rechtsgutsbezogenen" Irrtum keinerlei Einfluß auf die Wirksamkeit der Einwilligung einräumt, wäre der Chirurg, der eine von ihm als völlig sinnlos erkannte Operation durchführt, gerechtfertigt. Er könnte deshalb für die von ihm vollzogene Körperverletzung nicht verantwortlich gemacht werden, ja man dürfte ihm noch nicht einmal in den Arm fallen, wenn er das Skalpell ansetzt, um den bereits betäubten und deshalb widerrufsunfähigen Patienten sinnlosen Versehrungen zu überantworten. Arzts Lehre schwächt also den Güterschutz gegenüber Personen, die besonderes Entgegenkommen schwerlich verdienen. Dagegen benachteiligt die hier dargestellte Lösung niemanden, der berechtigterweise auf eine irrig erteilte Einwilligung vertraut.
58
E. Einfache Irrtümer Um Mißverständnissen über die Reichweite der hier verfochtenen Auf-
fassung vorzubeugen, seien zwei Präzisierungen angefügt. Einmal ist zu betonen, daß das Gesagte nur dann gilt, wenn zwischen der Aufopferung des einen und dem Erhalt des anderen Gutes ein wirklicher Bedingungszusammenhang besteht. 82 Er fehlt z.B., wenn der Einwilligende das Risiko des Scheiterns seines Rechtsgutseinsatzes auf sich nimmt, insbesondere dann, wenn er trotz Belehrung auf Vornahme des gewünschten Eingriffs besteht. Der Einwilligende „irrt" dann nicht, und seine Einwilligung bleibt wirksam. Der Arzt, der es besser weiß, sich aber den Wünschen seines Patienten unterwirft, handelt in diesem Fall nicht rechtswidrig, sondern verletzt allenfalls die Regeln seiner Standesethik. 83 Zu bedenken ist außerdem, daß es bei nicht „rechtsgutsbezogenen" Irrtümern häufig um Prognosen geht. Deshalb gilt auch hier, daß ein Irrtum, der die Wirksamkeit der Einwilligung berührt, nur dann anzunehmen ist, wenn er sich auf die gegenwärtigen
Grundlagen der Prognose bezieht. Es
muß also schon feststehen, daß die neue Heizanlage nicht mehr leistet als die alte, wenn die Einwilligung in die Beseitigung der alten als unwirksam gelten soll.
2. Der Irrtum über eine Gegenleistung Wer ein Rechtsgut für eine Gegenleistung hergibt, macht ebenfalls deutlich, daß für ihn ein Wertzusammenhang zwischen zwei Gütern existiert. Er besteht in diesem Fall nicht zwischen zwei eigenen, sondern zwischen einem eigenen und einem fremden Gut. Das weniger wertvolle eigene soll gegen das wertvollere fremde eingetauscht werden. Die innere Logik dieser Tauschbeziehung ist die gleiche wie beim Einsatz eines eigenen Gutes zur Erhaltung eines anderen
82 83
RGSt 41/392(395); Geilen (Fn. 47) S. 107. Vgl. dazu auch Roxin (Fn. 33) S. 495.
ΠΙ. 2. Der Irrtum über eine Gegenleistung
59
Gutes der eigenen Sphäre. Irrt der Einwilligende bei der Aufopferung über die Voraussetzungen des Erhalts der Gegenleistung, etwa über die Zahlungsfähigkeit des Gegenübers, so ist sein Opfer sinnlos und die Einwilligung nach den dargestellten Grundsätzen unwirksam. Der Erklärungsgegner, der einen solchen Irrtum kennt oder aufgrund einer Sonderpflicht kennen muß, haftet wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Schädigung des sinnlos geopferten Rechtsgutes. Hält man sich die Ähnlichkeit zwischen dem Einsatz eines Gutes zum Erwerb eines fremden und zur Rettung eines eigenen vor Augen, so lassen sich die Einwände, die Arzt gegen die Beachtung des Irrtums über eine Gegenleistung erhebt, 84 schrittweise widerlegen. Der Gedanke, das Strafrecht schütze Rechtsgüter nur als „statisch gedachten Bestand", verfehlt einen wesentlichen Aspekt des Rechtsgüterschutzes. Wie die Beispiele der Bewahrung eigener Güter durch den Einsatz anderer eigener Güter zeigen, erlangen Rechtsgüter aus der Sicht ihres Inhabers oft, ja in Einwilligungsfällen typischerweise, einen - internen - „Tauschwert"; denn irgendeinen Nutzen will der Einwilligende für die Rechtsgutspreisgabe fast immer eintauschen. Wenn bei einem Irrtum über eine Gegenleistung der - externe „Tauschwert" eines Gutes geschützt wird, so ist dies daher weniger exklusiv, als Arzt es glauben macht. Dies gilt umso mehr, als externer „Tauschwert", interner „Tauschwert" und „Bestandswert" eines Gutes sich oft gar nicht scharf trennen lassen. Die körperliche Unversehrtheit einer Frau hat einen Eigenwert (Bestandswert), dient aber auch der Erhaltung ihrer Widerstandskraft zum Überstehen lebensnotwendiger Operationen (interner Tauschwert) und gewährleistet, daß sie gegen Geld ein Aktphoto veröffentlichen lassen kann (externer Tauschwert), um Mittel zu erwerben, die zur Erhaltung ihrer Gesundheit einsetzbar sind (über den externen Tauschwert vermittelter Schutz eines Bestandswertes). Ein solches Beispiel zeigt, wo die Grundschwäche der These Arzts liegt. Wer den strafrechtlichen Güterschutz auf den „Bestand" von Gütern beschränken will, erkennt nur deren Eigenwert als
84
Arzt (Fn. 9) S. 17 ff , siehe zum folgenden auch oben C. I. 2., S. 20 f.
E. Einfache Irrtümer
60
schutzwürdig an. Wer in die Preisgabe eines Gutes einwilligt tut das aber typischerweise um eines Nutzens willen. Er operiert also gerade mit einem relativen Wert, dem „Tauschwert" zur Erlangung des erstrebten Vorteils. Indem Arzt diesen Wert für irrelevant erklärt, diskriminiert er von vornherein und systematisch die Interessen eines Einwilligenden. Der Umstand, daß der für eine Gegenleistung Einwilligende das preisgegebene Gut nicht zum Erhalt eines eigenen, sondern zum Erwerb eines fremden Gutes einsetzt, ist keine Besonderheit, die es rechtfertigt, einen solchen „externen" Tausch anders zu behandeln als einen „internen". Daß Arzts Hauptargument, die Ausschlußwirkung des Betrugstatbestands, die Unbeachtlichkeit eines Irrtums über eine Gegenleistung nicht zu begründen vermag, wurde schon gezeigt. 85 § 263 StGB schützt nur Vermögensgüter vor der Gefahr, ohne angemessene Gegenleistung eingetauscht zu werden, sagt aber über die Rechtsfolgen eines fehlgeschlagenen Tauschs anderer Rechtsgüter nichts aus. Daneben ist es vor allem die Abneigung gegen die „ Kommerzialisierung von Personenwerten
auf die Arzt die Diskriminierung des Irrtums über eine
Gegenleistung stützt. 86 Die Geringschätzung einer Frau, die gegen Geld in die Veröffentlichung ihres Aktphotos einwilligt, hat sicher zur Ausbreitung der Vorstellung beigetragen, eine solche Person verdiene keinen strafrechtlichen Schutz, wenn sich ihre Erwartung nicht erfüllt. Vergleicht man aber Opfer und Täter, so zeigt sich rasch die Fragwürdigkeit einer solchen Wertung. Das Kommerzialisierungsargument
entzieht
dem Opfer
den
strafrechtlichen
Schutz, weil es den Regeln einer bürgerlichen Hochmoral nicht Folge leistet, schützt aber selbst denjenigen Täter, der einen gegenleistungsbezogenen Irrtum des Einwilligenden bewußt ausnutzt und damit gegen das rechtsethische Minimalgebot verstößt, niemanden an seinen Rechtsgütern zu schädigen, ohne dafür einen Ausgleich zu leisten. 85 80
S. o. C. I. 2.,S. 20 f. Arzt (Fn. 9) S. 21 ff.; kritisch dazu Otto (Fn. 12) S. 617.
HI. 3. Irrtümer über die Begleitumstände eines Eingriffs
61
Schließlich dürfte sich die Lehre von der Unbeachtlichkeit des Irrtums über eine Gegenleistung auch auf die Vorstellung gründen, derjenige, der ein Rechtsgut zum Erwerb eines fremden eintauscht, lege letztlich auf den Erhalt seines Gutes „keinen Wert".
Aber eine solche Vorstellung ist schief. Sie be-
rücksichtigt nicht, daß aus der Sicht des Rechtsgutsträgers fast alle Güter, die einen Wert für ihn haben, nur einen relativen Wert besitzen. Der Rechtsgutsträger schätzt zwar seine körperliche Unversehrtheit, aber er ist bereit, sie aufzugeben, wenn es um einen für ihn höheren Wert geht, sei dies sein Leben, ein schöneres Gesicht oder eine bestimmte Summe Geldes. Wenn er also ein Gut preisgibt, besagt dies noch nicht, daß es „keinen" Wert für ihn hat, sondern nur, daß es für ihn einen geringeren Wert besitzt als der eingetauschte Nutzen. Fast immer ist also eine Relation, ein bestimmtes Wertverhältnis zum Nutzen, für die Entscheidung des Einwilligenden über die Preisgabe eines Rechtsgutes maßgeblich, und auch insoweit enthält daher dessen Aufopferung zugunsten einer Gegenleistung keine Besonderheit.
3. Irrtümer über die Begleitumstände eines Eingriffs Irrtümer des Einwilligenden beziehen sich nicht ausschließlich auf das „Ob" eines Eingriffs, sondern u. U. nur auf dessen Begleitumstände. Hauptbeispiel ist der Irrtum über die Person des Eingreifenden: Der Patient meint, er werde von einem berühmten Chirurgen operiert, erfährt aber später, daß die Operation von dessen Assistenzarzt durchgeführt wurde. Ein ähnliches Problem war Gegenstand der Medizinalpraktikantenentscheidung
des BGH* 1 In ihr ging es darum, daß famulie-
rende Medizinstudenten Eingriffe vornahmen, die die Patienten ihnen in der Annahme gestattet hatten, sie hätten es mit approbierten Ärzten zu tun. Die herrschende Auffassung kann man dahin zusammenfassen, daß der Eingreifende dann nicht haftbar gemacht werden kann, wenn der auf ihn sl
BGHSt 16/309 ff.
E. Einfache Irrtümer
62
bezogene Irrtum des Einwilligenden ..risikoneutrale" betrifft.
88
Begleitumstände
So wendet sich der BGH im ersten Teil der Medizinalprakti-
kantenentscheidung dagegen, die Medizinstudenten für einfache Eingriffe zur Verantwortung zu ziehen, die ohne weiteres auch von einem Nichtarzt vorgenommen werden können. 89 Jedoch läßt er sie im zweiten Teil für einen komplizierten Eingriff haften, für den sie noch nicht hinreichend ausgebildet waren. 90 Diese Unterscheidung ist ersichtlich von der Vorstellung getragen, daß die Eingreifenden bei einem Irrtum des Einwilligenden über ihre Person dann Strafe verdienen, wenn sie schuldhaft unerlaubte Risiken geschaffen haben. Dem kann man grundsätzlich zustimmen. Fraglich ist jedoch, wie die vom BGH getroffene Unterscheidung zu begründen ist. Wer ausschließlich von der Einwilligung her argumentiert, gerät in Schwierigkeiten. So meint der BGH. in Behandlungssituationen, in denen nach allgemeiner Auffassung die Frage der ärztlichen Approbation des Behandelnden ganz in den Hintergrund trete, umfasse die Einwilligung „ihrem objektiven Sinn nach" auch die Behandlung durch einen Nichtarzt; das gelte vor allem in Krankenhäusern. 91 Diese Formulierung erweckt den Anschein, als betrachte der BGH den risikoneutralen Irrtum der Patienten als Irrtum über den objektiven Erklärungswert ihrer Einwilligung, also als Erklärungsfehler in der Gestalt des Inhaltsirrtums. 92 Dann würde sich freilich die Frage stellen, ob nicht wenigstens derjenige zu bestrafen ist, der einen solchen Irrtum durchschaut oder durchschauen müßte. 93 Diese Frage stellt aber der BGH nicht. Der Irrtum soll offenbar generell die Verantwortlichkeit der Eingreifenden ausschließen.
88
Vgl. z. B. Arzt (Fn. 25) S. 208; Jakobs (Fn. 11 ) S. 246 ff.; Roxin (Fn. 33) S. 490. * 9BGHSt 16/309 (310 ff). ^BGHSt 16/309 (314 ff). 01 BGHSt 16/309 (311); krit. Bockelmann (Fn. 23) S. 525 ff. 92 S. o. E. I.,S. 47. 93 S. o. E. I., S. 48 f.
HI. 3. Irrtümer über die Begleitumstände eines Eingriffs
63
Roxin gibt dafür eine etwas andere Begründung als der BGH. Der Irrtum der Krankenhauspatienten könne die Wirksamkeit der Einwilligung nur ausschließen, wenn diese wegen der Fehlvorstellung nicht mehr „Ausdruck der Handlungsfreiheit" der Einwilligenden sei. Das könne man aber nicht sagen. „Denn da es nicht vom willkürlichen Belieben des Getäuschten, sondern von einer normativen Beurteilung abhängt, ob eine Fehlvorstellung des Einwilligenden die Rechtsgutspreisgabe noch als freie Verfügung erscheinen läßt oder nicht, müssen Irrtümer unbeachtlich sein, die für die Entschlußfassung irgendeines vernünftigen Patienten ohne Bedeutung sind". 9 4 Diese Begründung bietet ein weiteres Beispiel für den befremdlichen
Umgang
Roxins
mit
dem
Begriff
der
Autonomie.
„Handlungsfreiheit" kommt nach dem zitierten Satz nur in solchen Einwilligungen zum Ausdruck, die nicht Ausfluß „willkürlichen Beliebens" sind, sondern von „vernünftigen Patienten" nachvollzogen werden können. Auf „Freiheit" können sich damit nur jene berufen, die sich den Geboten einer von dritter Seite vorgegebenen Vernunft unterwerfen. Das ist eine Umdeutung des Freiheitsbegriffs, für die es in der europäischen Geschichte seit der Aufklärung zwar manches Vorbild gibt, doch sicher keines, mit dem Roxin identifiziert werden möchte. Man sollte daher nicht bestreiten, daß der Einwilligende die Freiheit besitzt, nach Belieben zu bestimmen, wer in seine Güter eingreifen darf. Davon zu trennen ist jedoch auch hier die Frage, ob derjenige, der eine solche Bestimmung mißachtet, für eine Güterverletzung haften soll, die der Einwilligende einem anderen in jedem Fall gestattet hätte. Ist der Einwilligende zur Preisgabe seines Gutes entschlossen, so fehlt dem Eingriff des persönlich nicht dazu Berechtigten der Erfolgsunwert. Ist der Unberechtigte in gleicher Weise qualifiziert wie der Berechtigte, so verstößt sein Tun auch nicht gegen das Gebot, keine unerlaubten Risiken zu schaffen. Damit fehlt seinem Eingriff 94
Roxin (Fn. 11) S. 289.
E. Einfache Irrtümer
64
auch der Handlungsunwert. Was bleibt, ist eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Einwilligenden. Aber die ist strafrechtlich nicht relevant. 95 Aus dem Gesagten folgt, daß die Rechtslage sich ändert, wenn dem unberechtigt Eingreifenden die risikobegrenzende
Qualifikation
fehlt, die der Einwilligende bei
dem von ihm Legitimierten voraussetzt. Mit Recht zieht deshalb der BGH die Medizinalpraktikanten für komplizierte Eingriffe zur Verantwortung, für die sie nicht ausgebildet waren 96 Wo der Eingriff gelingt, ist allerdings fraglich, ob eine Vollendungsstrafbarkeit anzunehmen ist. Denn es fehlt in einem solchen Fall der Erfolgsunwert, und was man dem Nichtlegitimierten vorwerfen kann, ist lediglich, daß er ein Risiko schuf, das von der Einwilligung nicht gedeckt war. Wie eingangs angedeutet, gilt das Vorstehende nicht nur für den Irrtum über die Person des Eingreifenden, sondern auch für andere Begleitumstände eines vom Einwilligenden zugelassenen Eingriffs. Wünscht der zu Operierende aus Aberglauben, daß der Operateur das gleiche Skalpell verwendet, mit dem schon die Ehefrau des Patienten erfolgreich operiert wurde, so ist dem Chirurgen keine Körperverletzung anzulasten, wenn er ein neues Skalpell benutzt. Etwas anderes gilt dagegen, wenn der Chirurg eine risikoreichere Operationsmethode anwendet, als der Patient zugelassen hat. Fazit: Auch ein Irrtum über die Begleitumstände eines Eingriffs schlägt auf die Wirksamkeit einer Einwilligung durch. Das kann hingenommen werden, weil auch hier die allgemeine Zurechnungslehre den Eingreifenden vor einer unangemessenen Haftung schützt. Eine gewisse Besonderheit liegt lediglich darin, daß es in diesem Falle keine subjektiven, sondern objektive Zurechnungskriterien sind, die dem Eingreifenden vor einer unangemessenen Inanspruchnahme bewahren.
95
Abw. Jakobs (Fn. 11) S. 247. BGHSt 16/309 (314 ff): vgl. auch BGH JR 1988/122 m. insoweit zustimmender Anmerkung von Sowada: Unbeachtlichkeit der Einwilligung in körperliche Eingriffe eines falschen Arztes, der noch nicht einmal die Heilpraktikerprüfung besaß. 90
65
IV. Die Aufklärungspflicht des Arztes
IV.Testfall 1: Die Aufklärungspflicht des Arztes Ein Prüfstein der bisher entwickelten Regeln für die Behandlung irrtumsbehafteter Einwilligungen ist die Lehre von den Außlärungspflichten
des
Arztes, wie sie sich in Rechtsprechung und Wissenschaft herausgebildet hat. 97 Das
gilt
jedenfalls
für
„Selbstbestimmungsaufklärung"
ihren ,
98
wichtigsten
Bereich,
die
sog.
Sie dient dazu, dem Patienten die Informa-
tionen zu verschaffen, die er braucht, um eine Einwilligungsentscheidung zu fällen, die mit seinem Weitsystem übereinstimmt. Ihre Funktion ist also, entscheidungsrelevante Irrtümer zu vermeiden. 99 Begünstigt wird hierdurch nicht nur der Patient, sondern auch der Arzt. Letzterer vermeidet durch die Selbstbestimmungsaufklärung, daß er einen rechtswidrigen, weil von der Einwilligung nicht (voll) gedeckten Eingriff unternimmt, für den er bei hinzutretendem Verschulden nach den Regeln des Straf- oder Deliktrechts verantwortlich gemacht werden könnte. Die Pflicht zur „Selbstbestimmungsaufklärung" ist also unselbständig: sie ist ein Derivat der allgemeinen Pflicht, rechtswidrige Rechtsgutsverletzungen zu unterlassen. 100 Darin liegt der besondere Bezug der Selbstbestimmungsaufklärung zur Einwilligungslehre und der Unterschied zu anderen Aufklärungspflichten, die nur auf dem Arztvertrag beruhen. 101
97
Übersichten bei Schönke/Schröder/Eser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 40ff; Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht (2. Aufl. 1991 ) S. 50 ff; Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht (1983). 98 Geilen (Fn. 47) S. 29, 80 ff 99 Diese Irrtümer beruhen meist nicht auf einer positiven Fehlvorstellung, sondern auf schlichter Unkenntnis („ignorantia") von entscheidungsrelevanten Tatsachen, insbesondere von unerwünschten Folgen. Da aber auch die „ignorantia" dazu führt, daß der Einwilligende eine Entscheidung trifft, deren Konsequenzen für seine Werte er nicht überblickt, ist diese Irrtumsform im vorliegenden Zusammenhang von Belang. Siehe dazu oben E., S. 46 ff. 100 Zu den Konstruktionsfragen vgl. Steindorff, JZ 1963/370; Geilen (Fn. 47) S. 29, 80 ÏL Bachmann, Med. Klinik 1977/1550. 101 Vgl. dazu Nüßgens. Festschrift für Hauß (1978) S. 287 ff; Deutsch (Fn. 97) S. 59 ff. 5 Amelung
E. Einfache Irrtümer
66
Die allgemeine Anerkennung der ärztlichen Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung zeigt, daß die Erklärung einer Einwilligung einem Arzt noch keine verläßliche Eingriffsgrundlage bietet. Kennt der Arzt Folgen und Risiken, von denen der Einwilligende nichts weiß, oder müßte er sie kennen, so werden sie dem Arzt und nicht dem Einwilligenden zugerechnet; für Rechtsgutsschädigungen, die der Arzt durch Weitergabe der ihm zugänglichen Informationen hätte verhindern können, wird er verantwortlich gemacht. Dies bestätigt den Grundsatz, daß der Erklärung als solcher kein Wert zukommt, wenn der Eingreifende informationell überlegen ist. 1 0 2 Entgegen Kühne gilt dies i m Bereich der Aufklärungspflichten nicht nur dort, wo der Arzt die Diskrepanz zwischen der Entscheidungsgrundlage und der Erklärung des Patienten positiv kennt. 1 0 3 sondern auch dann, wenn der Arzt wissen müßte, daß der Patient seine Entscheidung auf einer unzureichenden Informationsgrundlage fallt. Praktische Beispiele bieten Fälle, in denen der Arzt fahrlässig objektive Risiken einer Operationsmethode - etwa mangels hinreichenden Literaturstudiums - nicht zur Kenntnis genommen und deswegen den Patienten nicht über sie aufgeklärt hat. 1 0 4 Rechtsprechung und Literatur zur Selbstbestimmungsaufklärung darüber hinaus, daß sog. Motivirrtümer
zeigen
keineswegs allgemein als unbeachtlich
angesehen werden, wie dies in der Literatur zu den Willensmängeln immer wieder behauptet wird. 1 0 5 Deutlich wird das vor allem bei der Pflicht zur sog. „Diagnoseaufklärung". Es ist anerkannt, daß der Befund einer Untersuchung dem Patienten grundsätzlich mitgeteilt werden muß, wenn und soweit dies für seine Einwilligungsentscheidung von Bedeutung ist. 1 0 6 Für die Entscheidung
102
S. o. D. ΠΙ., S. 43 f. ; E. I., S. 48 f. Kühne (Fn. 11) S. 244/245. 104 Vgl. z. B. BG//NJW 1978/587. 105 S. ο. Ε. Π. l.,S. 51 f. 106 Schönke/Schröder/Eser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 41; OLG Stuttgart 1958/262. Ausnahmen aus dem sog. „Fürsorgeprinzip" oder „therapeutischen Privileg", die vor allem bei der Krebsdiagnose anerkannt werden, zwingen dazu, den in 103
NJW
IV. Die Aufklärungspflicht des Arztes
67
des Patienten von Bedeutung ist der Befund i. d. R. als tatsächliche Grundlage einer Wert- oder einer Prognoseentscheidung: Um zu entscheiden, ob er eine Niere opfern soll muß ein Patient wissen, ob sie noch etwas leistet (Information für ein Werturteil) bzw. von einer Krankheit befallen ist, die Ausgangspunkt weiterer Leiden werden kann (Information für ein Prognoseurteil). Muß der Arzt hierüber aufklären, so bedeutet dies, daß ihm die Verantwortung zugeschoben wird, wenn der einwilligende Patient bei der Bildung seines Willens von falschen Tatsachenvorstellungen ausgeht und daraus Schäden entstehen. Motivirrtümer werden aber als tatsächliche Fehlvorstellungen bei der Willensbildung definiert. 107 Daher zeigt die h. M. zur Diagnoseaufklärung, daß Motivirrtümer in einem praktisch wichtigen Bereich durchaus für beachtlich gehalten werden. Das Gleiche gilt für die ausgedehnte Rechtsprechung zur Aufklärung über die geringe Dringlichkeit eines Heileingriffs. 108 Die in Rechtsprechung und Literatur am häufigsten erörterte Frage ist die nach dem Umfang der Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung. Ganz im Vordergrund steht dabei das Problem, über welche körperlichen Folgen und Risiken der Einwilligende Patient aufgeklärt werden muß. 1 0 9 Dies könnte es nahe legen, die Grundsätze über die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung als Beleg dafür heranzuziehen, daß es bei den Willensmängeln einer Einwilligung nur um „rechtsgutsbezogene" Irrtümer geht. Freilich müßte man dann schon darüber hinwegsehen, daß Leben und körperliche Unversehrtheit nach den Wertungen des Strafrechts verschiedenartige Rechtsgüter sind 1 1 0 - geht es doch bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oft darum, den Patienten
Unkenntnis der Diagnose zugelassenen Eingriff auf rechtfertigenden Notstand oder mutmaßliche Einwilligung zu stützen, und sind daher im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang. Vgl. dazu Schönke/SchröderEser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 42. 107 Larenz (Fn. 65) S. 378. 108 Übersichten bei Kern/Laufi (Fn. 97) S. 72 ff; Schönke/Schröder/Eser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 40. 109 Nachweise oben Fn. 97. 110 S. dazu oben C. I. 2., S. 23 ff 5*
E. Einfache Irrtümer
68
über lebensbedrohliche Risiken aufzuklären. Vor allem aber wäre ein Schluß von der Handhabung der Aufklärungspflichten auf die Lehre vom „Rechtsgutsbezug" nur dann wirklich zwingend, wenn feststünde, daß ausschließlich über körperliche Folgen aufgeklärt werden muß. Das ist jedoch fraglich. Als Muster einer gesetzlichen Regelung der Selbstbestimmungsaufklärung wird in der Literatur § 3 Abs. 1 des Kastrationsgesetzes nannt.
112
von 1969U]
ge-
Das liegt offenbar daran, daß die Schöpfer dieser Regelung selbst
erklären, sie sprächen mit ihr einen Grundsatz aus, der für jede ärztliche Behandlung gelte. 113 § 3 Abs. 1 KastrG lautet: „Die Einwilligung ist unwirksam, wenn der Betroffene nicht vorher über Grund, Bedeutung und Nachwirkungen der Kastration, über andere in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeiten sowie über sonstige Umstände aufgeklärt worden ist, denen er erkennbar eine Bedeutung für die Einwilligung beimißt." Diese Formulierung kann schwerlich so verstanden werden, daß der Arzt den Patienten nur über die körperlichen Folgen des beabsichtigten Eingriffs aufklären muß. Vor allem der Hinweis darauf, daß auch „sonstige Umstände" aufklärungsbedürftig sind, denen der Kastrand „eine Bedeutung für die Einwilligung beimißt", zeigt deutlich, daß der Gesetzgeber grundsätzlich jeden Irrtum über subjektiv entscheidungserhebliche
Fakten für
beachtlich
hält;
die Einschränkung
auf deren
„Erkennbarkeit", die die Wirksamkeits- mit der Haftungsfrage vermengt, 114 ändert daran nichts.
1,1
BGBl. IS. 1143. Schönke/Schröder/Eser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 40; Kern/Laufs (Fn. 97) S. 7. 113 BT Drucksache V/3702 S. 16 (rechte Spalte). Die Begründung räumt allerdings aaO auf S. 10 (linke Spalte) und S. 16 (rechte Spalte) ein, daß im Unterschied zu gewöhnlichen Heileingriffen bei einer Kastration nach KastrG nicht wegen Bewußtlosigkeit des Patienten, Eile oder psychischen Schadenswirkungen der Mitteilung von einer Aufklärung abgesehen werden kann. Insoweit geht § 3 Abs. 1 KastrG also weiter als die allgemeine ärztliche Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung. Doch ist dies für die vorliegende Fragestellung oline Belang. 1,4 S. dazu oben D. I., S. 36 ff. und unten E. IV., S. 71. 112
IV. Die Aufklärungspflicht des Arztes
69
Die Formel, daß der Arzt den Patienten über alle erkennbar entscheidungserheblichen Gesichtspunkte aufklären müsse, findet sich auch in der Rechtsprechung und in der arztrechtlichen Literatur. 115 Deutsch wendet sie auf die Einwilligung in medizinische Experimente an und folgert, Probanden müßten deshalb gegebenenfalls auch über die (politischen) Zwecke eines Versuchs aufgeklärt werden, ζ. B. darüber, daß ein Experiment dem Zivilschutz diene. 1 1 6 Für das Dogma von der Alleinbeachtlichkeit „rechtsgutsbezogener" Irrtümer können daher die zur ärztlichen Aufklärungspflicht umlaufenden Lehren nicht als Beleg herangezogen werden. 117 Eine erhebliche Rolle spielt bei der Beurteilung unglücklich verlaufener Heileingriffe die Frage, inwieweit der Patient über Alternativen
zur vorge-
nommenen Behandlung aufgeklärt werden mußte. Die Rechtsprechung hält die Einwilligung grundsätzlich nur dann für rechtswirksam, wenn der Patient über Behandlungsalternativen aufgeklärt wurde, die geringere oder auch nur andere Belastungen und Risiken mit sich gebracht hätten. 118 Jedoch zieht sie den eingreifenden Arzt nicht zur Verantwortung, wenn feststeht, daß der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die tatsächlich vorgenommene Behandlung entschieden hätte. 119 Kern/Laufs
sehen darin eine Unterbre-
chung der Erfolgszurechnung unter dem Gesichtspunkt, daß rechtmäßiges Alternatiwerhalten zu dem gleichen Schaden geführt hätte. 1 2 0 Wie schon 115
ßG//NJW 1980/633 (635); Schönke/Schröder/Eser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 40; enger Kern/Laufs (Fn. 97) S. 9. 1,6 Deutsch (Fn. 97) S. 308; vgl. auch OLG Stuttgart VersR 1983/278 ff. 117 Kein Argument für die hier vertretene Position ergibt sich dagegen aus der (Zivil-) Rechtsprechung zur Haftung des Arztes für fehlende Aufklärung über die Behandlungskosten; vgl. BGH NJW 1983/2630; OLG Köln NJW 1987/2304; LG Köln VersR 1983/960; AG Düsseldorf MDR 1986/494. Es geht hierbei um eine vertragliche Pflicht des Arztes, die von der Selbstbestimmungsaufklärung unterschieden wird, vgl. Baden NJW 1988/746 ff; Deutsch (Fn. 97) S. 59. 118 BGH NJW 1988/765 (766); NJW 1992/2353 (2354); OLG Frankfurt NJW 1983/1382. 119 BGH NJW 1980/1333 (1334); NJW 1984/1397 (1399) m. Anm. v. Deutsch:, NJW 1990/2928 (2929): NJW 1991/2342 (2343). 120 Kern/Laufs (Fn. 97) S. 160 ff.
E. Einfache Irrtümer
70
angedeutet entspricht dies alles dem, was zum Irrtum bei der Konfliktentscheidung gesagt wurde. 121 Auch der Irrtum über die Begleitumstände eines Eingriffs wird in der Rechtsprechung zu den ärztlichen Aufklärungspflichten behandelt, vor allem der Irrtum über die Person des Operierenden. Bei der Behandlung in Krankenhäusern wird zwar grundsätzlich davon ausgegangen, daß der Patient seine Erlaubnis zum Eingriff nicht auf eine bestimmte Person begrenzt. 122 Das OLG München hat jedoch eine Verletzung der Aufklärungspflicht angenommen, als ein Privatpatient von einer Assistenzärztin narkotisiert wurde, obgleich er deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, er wünsche, daß die Chefärztin die Anästhesie übernähme. 123 Der Schaden, der dadurch entstand, daß die Assistenzärztin eine Komplikation während der Operation nicht beherrschen konnte, wurde dem für die Aufklärung verantwortlichen Operateur zugerechnet. Dies entspricht dem, was oben zum Irrtum über risikobegrenzende Qualifikationen des Eingreifenden gesagt wurde. 124 Bei mißlungenen Anfängeroperationen bevorzugt der BGH es freilich, den Verantwortlichen nicht wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht haftbar zu machen, sondern wegen eines Behandlungsfehlers, den das Gericht darin sieht, daß ein zur Operation nicht hinreichend Qualifizierter herangezogen wurde. 125 Auch dies setzt aber voraus, daß die Einwilligung im Hinblick auf den Eingriff des Minderqualifizierten als unwirksam angesehen wird. Nicht bestätigt wird durch den Blick auf die Aufklärungspflichten des Arztes die Ausgangsthese dieser Arbeit, daß die Wirksamkeit
121
einer Einwilligung
S. ο. Ε. Π. 3.,S. 55. Schönke/Schröder/Eser (Fn. 10) § 223 StGB Rn. 44; Kern/Laufs (Fn. 97) S. 14 ff. 123 OLG München NJW 1984/1412; aus arztvertraglichen Gründen einschränkend OLG Celle NJW 1982/796. 124 S. ο. Ε. ΠΙ. 3., S. 64 ff. 125 5G//NJW 1984/655 m.w.N. 122
71
IV. Die Aufklärungspflicht des Arztes unabhängig von Rücksichten auf Täterinteressen
zu bestimmen ist. 1 2 6 Wie
schon angedeutet steht hier jedenfalls die Formulierung des § 3 Abs. 1 KastrG im Wege, die die Wirksamkeit einer Einwilligung u. a. davon abhängig macht, daß der Einwilligende über „ erkennbar " entscheidungserhebliche Umstände aufgeklärt wurde. 127 Diese Formulierung will den eingreifenden Arzt ersichtlich davor bewahren, daß er für eine Kastration zur Verantwortung gezogen wird, weil sie auf einer Einwilligung beruht, die wegen unerkennbarer Willensmängel für unwirksam erklärt wurde. Es ist allerdings auch nicht zu erwarten, daß die analytischen Leistungen eines Gesetzgebers den von ihm vorgefundenen Stand der Wissenschaft hinter sich lassen. Dies wäre im vorliegenden Fall umso erstaunlicher, als § 2 Abs. 1 KastrG nicht die Rechtmäßigkeit einer Kastration, sondern die Strafbarkeit (!) des kastrierenden Arztes (!) zum Regelungsproblem des Gesetzes erhebt. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, daß sich auch die Formulierung der Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung in § 3 Abs. 1 KastrG an Täterinteressen ausrichtet. Regelungsgehalt der Vorschrift ist, daß der kastrierende
Arzt sich nur
dann auf die Einwilligung des Kastranden berufen kann, wenn dieser über alle erkennbar entscheidungserheblichen Gesichtspunkte aufgeklärt wurde. 128
126
S. o. C. ΠΙ. 2., S. 33 ff; D. I., S. 36 ff. S. o. S. 68. 128 Ähnlich wie § 3 Abs. 1 KastrG verfährt See. 2. 11. (3) (b) des amerikanischen Model Penal Code von 1962 (abgedruckt bei Markus, Die Einwilligungsfähigkeit im amerikanischen Recht (1995) S. 59), wenn er die Einwilligungsunfähigkeit davon abhängig macht, ob der Einwilligende „manifestly" oder „known by the actor" unfähig ist, vernünftig zu entscheiden. Kritisch zu dieser Vermengung von Merkmalen der Einwilligenden mit solchen, die die Wahrnehmung Dritter betreffen, Amelung, Recht und Psychiatrie 1995/20 ff. (27). 127
F. Täuschungsbedingte Willensmängel Die durch Täuschung erschlichene Einwilligung ist ein Unterfall der auf einem Irrtum beruhenden Einwilligung. Betrachtet man die erschlichene Einwilligung von der Seite des Einwilligenden,
so muß daher für sie grundsätzlich
alles gelten, was zur irrtümlich erteilten Einwilligung gesagt wurde. Bei der Frage, was dem Täuschenden zuzurechnen ist, muß dies dagegen nicht notwendig so sein. Deshalb ist es nötig, die durch eine Täuschung erschlichene Einwilligung gesondert zu behandeln. Außerdem ergeben sich Probleme der Konkurrenz zu Strafnormen, die das Erschleichen einer Rechtsgutsbeeinträchtigung unter spezielle Strafe stellen, wie insbesondere der Tatbestand des Betrugs i.S.d. § 263 StGB. Im Folgenden soll zunächst auf die allgemeinen Fragen der erschlichenen Einwilligung eingegangen werden (unten I.). Dann wird von der Täuschung über eine Gegenleistung die Rede sein (unten II.). Schließlich wird zu den Konkurrenzproblemen Stellung genommen (unten III.) und das Ganze am Testfall der erschlichenen Aids-Untersuchung überprüft (unten IV.).
I. Die erschlichene Einwilligung Die erschlichene Einwilligung unterscheidet sich von der auf einfachem Irrtum beruhenden dadurch, daß der Täuschende sich zum Herrn über die Einwilligung aufwirft. Ist eine Einwilligung durch einfachen Irrtum verursacht, so kann dem Eingreifenden letztlich allenfalls vorgehalten werden, daß er das Rechtsgut verletzte, indem er die Fehlvorstellungen des Einwilligenden bewußt ausnutzte oder fahrlässig nicht beseitigte. Der Täuschende beherrscht dagegen nicht erst den rechtsgutsverletzenden Eingriff, sondern bereits das Zustandekommen der Eingrifferlaubnis,
die ihm vorausgeht.
I. Die erschlichene
i n u n g
73
Dies geschieht dadurch, daß der Täuschende sich das Wertsystem des Einwilligenden zunutze macht. Die Werte, die der Einwilligende hat, sind Bestimmungsfaktoren seines Handelns: als Vorstellungen von dem, was sein soll, bilden sie die Grundlage für das. was er tun muß, um das, was sein soll, wirklich werden zu lassen. Die Verbindungen zwischen dem, was sein soll, und dem, was der Einwilligende tun oder wenigstens zulassen muß, um seine Wertvorstellungen zu realisieren, sind faktischer Natur: nur derjenige, der die einschlägigen Realitäten richtig wahrnimmt, kann so handeln, daß seine Werte wirklich werden. Der Täuschende manipuliert den Einwilligenden, indem er die Wahrnehmung der Realitäten verfälscht, die der Einwilligende richtig erfassen muß, um seine Werte zu verwirklichen. 129 Die Irrtümer, die der Täuschende auf diese Weise beim Einwilligenden hervorruft, führen im gleichen Umfang zur Unwirksamkeit der Einwilligung wie einfache Irrtümer. Die Erzeugung eines Erklärungsfehlers
dürfte allerdings nur in seltenen
Ausnahmefällen eine Rolle spielen. Denn ein solcher Vorgang setzt voraus, daß der Täuschende schon vor der Abgabe der Erklärung weiß, was der Einwilligende wirklich will, und ihn zu einem Fehler bei der Übermittlung seines Willens veranlaßt. Das ist fast nur in einer Dreiecksbeziehung vorstellbar. Man denke daran, daß ein zur Leberoperation durch einen Engländer Entschlossener seinen Bekannten fragt, was „Leber" auf Englisch heißt, und der Befragte bewußt wahrheitswidrig mit „kidney" antwortet. Übernimmt der Fragende dieses Wort in seiner Einwilligungserklärung, so leidet diese an einem täuschungsbedingten Inhaltsirrtum. Auf die Frage, wie der Täuschende haftet, wenn deshalb in das falsche Organ eingegriffen wird, kann erst bei der Erörterung von Willensmängeln in Dreiecksbeziehungen eingegangen werden. 120 Da nur die eigenen Werte des Einwilligenden dessen Handeln bestimmen, kommt es entgegen Jakobs (Fn. 11 ) S. 249 für die Beachtlichkeit der Täuschung nicht darauf an, ob die Entscheidung des Einwilligenden „allgemeinen" Wertmaßstäben entspricht oder nicht.
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
74
Der Schwerpunkt der durch Täuschung hervorgerufenen Irrtümer liegt im Bereich der Entscheidungsfehler.
Der Täter täuscht etwa seinem Nach-
barn vor, dessen Hund leide an einer unheilbaren Krankheit, um dadurch die Erlaubnis zur Tötung des verhaßten Tieres zu erhalten. 130 Er nennt dem von ihm durch einen Verkehrsunfall Geschädigten einen falschen Namen, um die Zustimmung zum Verlassen des Unfallortes zu erlangen. 1 3 1 Oder er redet einem Kranken ein, eine medikamentöse Behandlung seiner Krankheit sei nicht möglich, um diesen zu einer Operation zu bewegen, die mehr Geld bringt. Dies sind Einflußnahmen auf die Willensbildung, die die Einwilligung unwirksam machen, weil sie auf einem beachtlichen Fehler bei der Wert- bzw. Konfliktentscheidung des Einwilligenden beruht. Die Haftung des Täuschenden für eine vorsätzliche Sachbeschädigung, Unfallflucht oder Körperverletzung birgt keine besonderen Probleme, führt er die Schädigung doch bewußt herbei. Das Gleiche gilt für Sonderformen
von Entscheidungsfehlern wie etwa
die Hervorrufung eines nicht rechtsgutsbezogenen Irrtums. Roxin bildet den Fall, daß der Täter dem Einwilligenden vorspiegelt, er nehme an einem fortschrittsträchtigen Experiment teil, während es dem Täuschenden in Wahrheit nur darum geht, den Einwilligenden zu schädigen. 132 In diesem Fall irrt der Einwilligende nicht über Art und Ausmaß der von ihm zugelassenen Rechtsgutsverletzung, sondern über den Wert, dem zuliebe er sein Rechtsgut aufopfert. Mit Recht läßt Roxin den Täuschenden hier haften, weil dieser den Einwilligenden zu einer Entscheidung veranlasse, die nicht Ausdruck seiner Autonomie sei: Hätte der Einwilligende die Wahrheit gekannt, so hätte er seine körperliche Unversehrtheit nicht preisgegeben. Ähnlich entscheidet die Rechtsprechung bei der Einwilligung des Verletzten in seine Tötung. Das Reichsgericht
verweigerte die
Strafmilderung nach § 216 StGB einem Manne, der die Einwilligung sei-
130 131 132
Vgl. dazu Arzt (Fn. 9) S. 24 Fn. 32; Maiwald (Fn. 28) S. 183. OLG Stuttgart NJW 1982/2266 (2267). Roxin (Fn. 11) S. 285 ff.
I. Die erschlichene
75
i n u n g
ner Geliebten in ihre Tötung mit dem falschen Versprechen erschlichen hatte, er werde mit ihr in den Tod gehen. 133 Auch hier wurde die Einwilligende nicht darüber getäuscht, daß es um ihr Leben ging, wohl aber über einen Faktor, der für die Frage entscheidend war, ob sie ihr Leben opfern sollte. Der Rahmen, in dem der Täuschende haftet, ist nach dem Gesagten weit gesteckt. Dennoch muß man - vor allem älteren - Formulierungen widersprechen, die den Eindruck vermitteln, daß er wegen des Erschleichens der Einwilligung stets für die von ihm bewirkte Rechtsgutsverletzung verantwortlich zu machen ist. 1 3 4 Da der Täuschende sich den Weg zur Schädigung des Einwilligenden bewußt eröffnet, ergeben sich generalisierbare Haftungsbeschränkungen bei ihm allerdings nur auf der Ebene der objektiven Zurechnung. So ist schon stets genau zu prüfen, ob zwischen Täuschung und Einwilligung überhaupt Kausalität i.S. der Bedingungslehre besteht. Zweifel daran klingen z.B. in der Entscheidung des OLG Stuttgart
zum „Blaubart von Tü-
bingen" an. Dieser hatte Frauen vorgespiegelt, er benötige den Geschlechtsverkehr mit ihnen zur Erhaltung seiner Gesundheit. Das OLG, das die Wirksamkeit einer Einwilligung in eine tätliche Beleidigung durch den Geschlechtsverkehr zu prüfen hatte, empfahl dem Tatgericht, genau zu untersuchen, ob eine Frau, die sich mehrfach mit dem Angeklagen getroffen hatte,
133
RG JW 1933/961; ähnlich für die Verleitung zum Selbstmord BGH GA 1986/508; kritisch Charalambakis GA 1986/48 ff; zustimmend Brandts/Schlehofer JZ 1987/442 ff., vgl. auch Neumann (Fn. 64); Munoz-Conde ZStW 106 (1994) S. 547 ff. (insbes. S. 553 ff.). Auf die Frage, ob an die Wirksamkeit einer unrechtsmindernden Einwilligung i.S.d. § 216 StGB schärfere Anforderungen zu stellen sind, als an die unrechtsausschließende, kommt es nach den hier entwickelten Grundsätzen zur rechtfertigenden Einwilligung nicht an, denn wie gezeigt ist auch deren Wirksamkeit nach strengen Maßstäben zu beurteilen. Vgl. zu diesem Problem Μ Κ Meyer (Fn. 29) S. 216 ff; Küper {Fn. 29) S. 227 ff. 134 Vgl. BGH (Z) NJW 1964/1177 (1178); OLG Stuttgart NJW 1982/228 (2287); Mezger, LK (8. Aufl. 1957) Anm. 10e bb vor § 51 StGB; Welzel (Fn. 6) S. 95, die alle in der überkommenen Terminologie davon sprechen, daß die durch Täuschung erschlichene Einwilligung stets unbeachtlich ist. Kritisch dazu aber OLG Stuttgart NJW 1962/62 (63).
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
76
„wirklich bis zuletzt ein Opfer der Täuschungen geblieben war, oder ob sie etwa nachträglich auch ein eigenes Interesse an den Zusammenkünften gewonnen hatte". 135 Hier werden Zweifel angemeldet, ob die Einwilligungen im Fortgang der Beziehung überhaupt noch täuschungs- und damit irrtumsbedingt waren. Wie eine Entscheidung des OLG Hamm zeigt, kann in besonderen Konstellationen auch gerade der täuschungsbedingte Irrtum des Einwilligenden die Wirkung haben, daß eine Schädigung entfällt. Die wegen Betrugs und gefahrlicher Körperverletzung Angeklagte hatte ein Präparat vertrieben, das zum besseren Ertragen einer Diät diente, aber nach Meinung von Experten insoweit nur die psychologische Wirkkraft
eines Scheinpräparats (Placebos) besaß.
Obgleich das Präparat mit einer Spritze injiziert wurde, sprach das OLG die Angeklagte vom Vorwurf der Körperverletzung frei, weil die „heilsame Täuschung" die Einwilligung nicht entwertet habe. 136 Dem wird man zustimmen müssen, denn solange die Kunden der Angeklagten die Wirkung des von ihr vertriebenen Präparats zu verspüren glaubten, erfüllte die Injektion genau den Zweck, den die Einwilligenden mit ihrer Zustimmung zu diesem Eingriff verfolgten. Weitere Haftungsbeschränkungen ergeben sich aus normativen Aspekten der objektiven Zurechnung. Sie zeigen sich einmal bei der Täuschung über die Begleitumstände eines Eingriffs. Bildet man mit Roxin die Medizinalpraktikanten-Entscheidung des BGH in einen Täuschungsfall um 1 3 7 , so gilt das Gleiche wie das zum einfachen Irrtum Gesagte: Der Medizinalpraktikant, der dem Patienten die Innehabung der ärztlichen Approbation vortäuscht, macht sich keiner Körperverletzung strafbar, solange er nur Eingriffe vornimmt, die ein nicht Approbierter
135 136 137
OLG Stuttgart NJW 1962/62 (63). OLG Hamm NStZ 1988/556. Roxin (Fn. 11) S. 288 ff.
Π. Die Täuschung über eine Gegenleistung
77
ebenso beherrscht wie ein Arzt; denn er schafft kein Körperverletzungsrisiko, das über dasjenige hinausgeht, das der Einwilligende bewußt in Kauf nahm. Ähnliche Haftungsbeschränkungen ergeben sich, wenn der Täuschende eine irrtumsbehaftete Konfliktentscheidung
hervorruft. Man denke an ei-
nen Arzt, der seinem Patienten einredet, es gebe keine Alternative zu der in seinem Krankenhaus angewandten Operationsmethode und den Einwilligenden dadurch darüber täuscht, daß es andere Methoden gibt, die gleichartige Risiken mit sich bringen. Hier kann dem Täuschenden i m Hinblick auf die Folgen rechtmäßigen Alternatiwerhaltens keine Körperverletzung vorgeworfen werden.
II. Die Täuschung über eine Gegenleistung Mit dem Vorstehenden ist die Grundlage geschaffen, sich mit der Täuschung über eine Gegenleistung auseinanderzusetzen. Der Täter veranlaßt etwa eine Studentin zu einer Blutspende", indem er ihr vorspiegelt, sie erhalte dafür 400 DM, ist aber in Wahrheit weder willens noch in der Lage, die vesprochene Summe Geldes zu zahlen. Solche Fälle sind dogmatisch von besonderem Interesse, weil Arzt an ihnen seine hier bekämpfte Lehre entwickelt, nur „rechtsgutsbezogene" Irrtümer eines Einwilligenden seien beachtlich. 138 Von der Seite der Einwilligenden aus gesehen, liegt im Beispielsfall ein Entscheidungsfehler
vor. Die Einwilligende irrt über wertungsrelevante Tatsa-
chen, den Umstand, daß der Nutzen, den sie sich von der Preisgabe ihrer körperlichen Unversehrtheit verspricht, nicht eintreten kann. Es gilt daher alles, was zum einfachen Irrtum über eine Gegenleistung gesagt wurde, auch hier: die Einwilligung ist unbeachtlich. 139 Darauf, daß die Einwilligende sich nicht über die Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit, sondern über dem 139
Arzt (Fn. 9), insbes. S. 18 ff. S. ο. E. m.2.,S. 58 ff
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
78
ren „Tauschwert" irrt, kommt es nicht an. Fast jede Einwilligung dient einem „Tausch", weil fast jede Einwilligung um eines Nutzen willen erfolgt. Es kann deshalb nicht von Bedeutung sein, ob dieser Nutzen innerhalb ein und desselben Rechtsgutsbereichs liegt, wie bei der Preisgabe der körperlichen Unversehrtheit zum Zwecke der Heilung einer Krankheit, oder ob er im Erwerb eines anderen Gutes besteht, wie beim Erwerb von Geld. Wie künstlich es wäre, hier eine Grenze zu ziehen, zeigt sich am deutlichsten dort, wo das durch die Einwilligung in eine Körperverletzung erworbene Geld in gesundheitsfördernde Maßnahmen re-investiert werden soll. 1 4 0 Man denke daran, daß die Blutspenderin es auf das Geld abgesehen hat, um damit die Privatbehandlung eines Gelenkleidens zu finanzieren. Aber auch unabhängig von dieser speziellen Konstellation erscheint es widersinnig, bei der Täuschung über eine Gegenleistung die unnütze Einwilligung pauschal für beachtlich zu erklären, wie Arzt dies vorschlägt, und damit von vornherein die Tür für die Frage zu verschließen, ob nicht der Täuschende für den von ihm bewirkten Schaden verantwortlich zu machen ist. Denn gerade deijenige, der den Einwilligenden täuscht, erscheint wenig schutzwürdig, gibt er doch ein Musterbeispiel für eine bewußte und besonders gefahrliche Art der Schädigung. Wer einen anderen durch ein falsches Versprechen zu einer Blut- oder Organspende veranlaßt, macht sich daher der Körperverletzung strafbar. 141 Wie gezeigt, gibt es freilich objektive Zurechnungsgrenzen, die für denjenigen, der über eine Gegenleistung täuscht, genauso gelten, wie für andere, die den Einwilligenden in die Irre führen. Eine Rechtsgutsverletzung kann dem Täuschenden nur zugerechnet werden, wenn dieser sie durch seine Täuschung verursacht
140
hat. Daran fehlt es,
S. dazu oben Ε. ΠΙ. 2., S. 59. 1. E. ähnlich Jakobs (Fn. 11 ) S. 247; zu Jakobs' Konstruktion über die mittelbare Täterschaft s. u. G., S. 88 f.; zu seiner Beschränkung der (mittelbaren) Täterschaft auf Täuschungen über Gegenwerte, die „nach allgemeinen Wertmaßstäben" eine „vernünftige Umschichtung" darstellen s. o. F. I., S. 73. 141
Π. Die Täuschung über eine Gegenleistung
79
wenn der Einwilligende ohnehin zur Preisgabe seines Rechtsguts entschlossen war. Man denke daran, daß eine Blutspenderin zu einer kostenlosen Abgabe ihres Blutes entschlossen ist, aber bei der Blutentnahme an einen Arzt gerät, der glaubt, sie durch falsche Versprechungen motivieren zu müssen. In diesem Fall wird die Einwilligung nicht durch die Täuschung bewirkt. Zwar bewirkt der Versprechende im Beispielsfall die Rechtsgutsverletzung; doch ist diese nicht rechtswidrig, weil und sofern sie auf einer von der Täuschung unbeeinflußten Einwilligung beruht. Wichtiger sind Fälle, in denen ein falsches Versprechen zwar die Abgabe der Einwilligungserklärung verursacht, aber der daraus entstandene Schaden dem Täuschenden aus normativen Gründen nicht zuzurechnen ist. Ein Beispiel gibt eine Studentin, die gern ihr Blut verkaufen möchte, aber nach dem Meistbietenden sucht und hierbei an einen Betrüger gerät, der ihr wahrheitswidrig verspricht, das Doppelte von dem zu zahlen, was am „Spendermarkt" üblich ist. Hier wird man sagen müssen, daß die Studentin zunächst nur „einwilligungsgeneigt" ist und daher die konkrete Einwilligung, die sie dem Meistbietenden erklärt, durchaus durch dessen Täuschung verursacht wird. Aber diese Täuschung dient nicht dazu, die Studentin erst zur Preisgabe ihres Rechtsguts zu bewegen, sondern nur dazu, daß sie es gerade dem Täuschenden opfert. Das Verbot, die Studentin zu täuschen, hat in diesem Fall nicht den Sinn, ihre körperliche Unversehrtheit zu bewahren, sondern nur den, ihre ökonomischen Erwartungen zu schützen. Nach allgemeinen Zurechnungsregeln fallt in einem solchen Fall die Körperverletzung nicht in den Schutzbereich der Norm und kann daher dem Täuschenden nicht zugerechnet werden. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs wird dagegen durch diese Einschränkung nicht ausgeschlossen. Wo „Märkte " für die Preisgabe von Rechtsgütern bestehen, mögen Fälle der geschilderten Art gar nicht so selten sein. Das Gefühl, daß in solchen Konstellationen der Täuschende nicht für die Beeinträchtigung des preisgege-
80
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
benen Rechtsguts haftbar gemacht werden sollte, ist wahrscheinlich eine Grundlage für die verbreitete Anerkennung des Ansatzes von Arzt. Nach dem Gesagten ist ihm auch zuzugestehen, daß die vom Täuschenden bewirkte Einwilligung einen gewissen „Rechtsgutsbezug" aufweisen muß, wenn er für die dadurch veranlaßte Rechtsgutspreisgabe zur Verantwortung gezogen werden soll: Nur dann, wenn er über Fakten täuscht, die dafür maßgeblich sind, ob überhaupt das Rechtsgut aufgeopfert werden soll, ist ihm die Aufopferung zuzurechnen.
I I I . Die Konkurrenz zu speziellen Straftatbeständen Grenzen der Strafbarkeit des Täuschenden wegen des Erschleichens einer Einwilligung ergeben sich auch dort, wo das Tatunrecht schon durch einen speziellen Straftatbestand
des Besonderen Teils erfaßt wird. Im
Zentrum steht hier - worauf Arzt grundsätzlich mit Recht hingewiesen hat - der Tatbestand des Betruges i.S.d. § 263 StGB. 1 4 2 Daneben kommen vor allem Normen des Sexualstrafrechts in Betracht, die die durch Täuschung oder List bewirkte Verletzung sexueller Selbstbestimmung oder verwandter Rechtsgüter unter Strafe stellen. 143 In solchen Fällen gerät der Straftatbestand, der durch das Erschleichen einer Einwilligung verwirklicht wird, z.B. eine Körperverletzung, zu dem speziellen Tatbestand, der das Unrecht ebenfalls erfaßt, in ein Konkurrenzverhältnis.
Ist dieses Verhältnis als Tateinheit zu qualifizieren, so ist
der Täuschende nach den Regeln des § 52 StGB aus beiden Normen zu bestrafen. In Betracht zu ziehen ist aber auch das Vorliegen von Gesetzeseinheit, insbesondere in der Form der Spezialität. In diesem Fall tritt das
]42
Arzt (Fn. 9) S. 18 ff. Vgl. z.B. §§ 181 Abs. 1 Nr. 1, 181 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
143
ΠΙ. Die Konkurrenz zu speziellen Straftatbeständen
81
allgemeinere hinter das speziellere Delikt zurück. Das wird in aller Regel zu einem Zurücktreten des Delikts fuhren, das durch das Erschleichen einer Einwilligung verwirklicht wurde, wird doch das spezielle Unrecht der arglistigen Rechtsgutsverletzung gerade durch die Norm erfaßt, die dies im Besonderen Teil als selbständigen Straftatbestand umschreibt. Über die Abgrenzung von Tat- und Gesetzeseinheit entscheidet der Gedanke, daß die Strafsanktion den deliktischen Gehalt einer Tat erschöpfend erfassen muß. 1 4 4 Wird er bereits durch die Anwendung eines der beiden in Betracht kommenden Straftatbestände abgedeckt, so liegt ein Fall der Gesetzeseinheit oder „unechten" Konkurrenz vor. Reicht die Anwendung einer einzigen Strafnorm zur Erfassung des Deliktsgehalts nicht aus, so sind dagegen die Regeln der Tateinheit zur Anwendung zu bringen. Von praktischem Gewicht ist die Frage, inwieweit hiernach eine Strafbarkeit wegen des Erschleichens einer Einwilligung entfällt, wenn das dadurch verwirklichte Delikt mit einem Betrug zusammenfallt. Zu einem solchen Zusammentreffen kommt es regelmäßig bei Täuschungen über eine Gegenleistung. Der Täter bewegt mit Bereicherungsabsicht eine Studentin zu einer Blutspende", indem er ihr eine Summe Geldes verspricht, die er ihr nie zu zahlen gedenkt. Oder er erlangt durch eine Täuschung über das Entgelt die Erlaubnis eines Kiesgrubenunternehmers, unter Vorbehalt des Eigentums aus dessen Kiesbeständen 100 Tonnen Kies abholen zu dürfen. Im Fall der Blutspende begeht der Täuschende eine Körperverletzung, die durch die erschlichene Einwilligung nicht gerechtfertigt wird. Außerdem begeht er einen Betrug, weil er dem Opfer einen Vermögenswerten Gegenstand entzieht, ohne dafür den versprochenen Gegenwert bereitzustellen; so ist jedenfalls bei Anwendung des herrschenden rein wirtschaftlichen Ver-
i44
Lackner/Kühl,
6 Amelung
StGB (22. Aufl. 1997) Rn. 24 vor § 52 StGB.
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
82
mögensbegriffs zu entscheiden, der bei dem Rechtsgut des § 263 StGB keine normativen Einschränkungen vorsieht. 1 4 5 Die Strafe wegen Körperverletzung würde nicht das wirtschaftliche, die Strafe wegen Betrugs nicht das körperbezogene Unrecht erfassen. Deshalb ist von Tateinheit zwischen Betrug und Körperverletzung auszugehen. Diese Lösung gilt überall, wo ein Betrug mit der Erschleichung einer Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Persönlichkeitsguts zusammentrifft. 146 Im Kiesgrubenfall
stellt sich das altbekannte Problem der Abgrenzung von
Diebstahl, Unterschlagung und Betrug. Daß hier ein Betrug vorliegt, bedarf kaum besonderer Begründung; der Täter veranlaßt das Opfer zu einer Vermögensverfügung in Gestalt der Duldung einer Vermögensminderung. Ein Diebstahl ist dagegen tatbestandlich ausgeschlossen, weil das Einverständnis des Kiesgrubenbesitzers mit der Abholung der Ware einen Gewahrsamsbruch und damit die Wegnahme entfallen läßt. Fraglich ist das Vorliegen einer Unterschlagung. § 246 StGB ist tatbestandlich gegeben, wenn man mit der h.M. davon ausgeht, daß Zueignung und Gewahrsamserlangung zusammenfallen können 147 , und man - anders als die Rechtsprechung - mit der lange herrschenden Literaturmeinung annimmt, daß der gleichzeitig vorliegende Betrug den Tatbestand nicht entfallen läßt. 148 Die durch die Täuschung über die Gegenleistung erschlichene Einwilligung in die Zueignungshandlung rechtfertigt die tatbestandlich vorliegende Unterschlagung nicht, so daß sich die Frage stellt, wie das Zusammentreffen von Betrug und Unterschlagung auf der Konkurrenzebene zu behandeln ist. Hier ist von Gesetzeseinheit zwischen § 263 StGB
145
Krey, Strafrecht BT, Bd. 2 (10. Aufl. 1995) S. 189 m.w.N. Fehlt dem Täter die Bereicherungsabsicht, so macht er sich nur, aber immerhin noch wegen der Verletzung des Persönlichkeitsgutes strafbar. Hierin liegt ein weiterer wichtiger Unterschied zum Lösungsvorschlag Arzts. Er muß den Täter gänzlich straflos lassen, weil der Irrtum der über eine Gegenleistung Getäuschten nach ihm nicht „rechtsgutsbezogen" und die Einwilligung daher wirksam ist. Daß dieses Ergebnis nicht angemessen erscheint, wurde schon gesagt. S. dazu oben C. I. 2., S. 20 ff. 147 Vgl. dazu Krey (Fn. 145) S. 68 ff. m.w.N. 148 Vgl. dazu Krey (Fn. 145) S. 73 IT. m.w.N. 140
IV. Die erschlichene Aids-Untersuchung
83
und § 246 StGB mit Vorrang des Betruges auszugehen. Grund dafür ist, daß die Betrugsstrafbarkeit das volle Unrecht der durch die Täuschung bewirkten Vermögensverschiebung erfaßt und zusätzlich noch der arglistigen Angriffsweise Rechnung trägt. Wo der Tatbestand des Betruges mit einem Vermögensdelikt
zusammen-
trifft, das durch das Erschleichen unter Einwilligung begangen wird, tritt also Letzteres hinter den Betrug zurück. 149 Das gilt zunächst für Vermögensverschiebungsdelikle,
die gleichzeitig mit dem Betrug begangen werden. Unter
Konsumtionsgesichtspunkten wird man aber Gleiches für hinzutretende Sachbeschädigungen annehmen müssen; man denke daran, daß der Betrüger durch eine Täuschung über die Gegenleistung die Erlaubnis der Geschädigten zum Abernten eines Erdbeerfeldes erlangt.
IV. Testfall 2: Die erschlichene Aids-Untersuchung Ein Anwendungsfall des Vorstehenden ist die Beurteilung erschlichener Aids-Tests. An sich entstehen bei heimlichen Aids-Untersuchungen mancherlei Probleme, die den Fragenkreis der Willensmängel bei Einwilligungen berühren. 150 Im vorliegenden Zusammenhang soll jedoch nur von den Täuschungsfallen die Rede sein. Gemeint sind Konstellationen, in denen ein Arzt seinem Patienten vorspiegelt, er brauche eine Blutprobe zu einem bestimmten Diagnosezweck, etwa zur Bestimmung von Leberwerten, in Wirklichkeit aber plant, das entnommene Blut auf Aids zu untersuchen. Es dürfte allgemeiner Meinung entsprechen, daß in diesen Fällen die Einwilligung des Patienten unwirksam ist. 1 5 1 Wer dies „klassisch" begrün-
149
Für die Preisgabe vermögenswerter Objekte ebenso Otto (Fn. 12) S. 616. Übersichten bei Eberbach, NJW 1987/1470 ff.; Janker, NJW 1987/2897 ff ; Dreher/Tröndle, StGB (48. Aufl. 1997) § 223 Rn. 9w. 151 Vgl. ζ. B. Bruns, MDR 1987/353 (355); Eberbach (Fn. 150) S. 1471; Herzog, MedR 1988/298 (291); Hirsch, AIFO 1988/157 (159); Janker (Fn. 150) S. 2902; 150
6*
84
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
det, d. h. nicht nach dem Rechtsgutsbezug des beim Patienten bewirkten Irrtums fragt 1 5 2 , hat mit der Ableitung dieses Ergebnisses keine Schwierigkeiten; es entspricht der vor Arzt herrschenden Meinung, daß grundsätzlich jede irrtumsbehaftete Einwilligung unbeachtlich ist. 1 5 3 Weitaus größere
Probleme
hat
jedoch
derjenige,
der
mit
Arzt
nur
„rechtsgutsbezogene" Irrtümer auf die Wirksamkeit der Einwilligung durchschlagen läßt. Zunächst spricht viel dafür, in den geschilderten Konstellationen den Rechtsgutsbezug der Täuschung zu verneinen. Der Patient wird ja nicht darüber getäuscht, daß der Arzt seine körperliche Unversehrtheit antastet, sondern nur darüber, was nach dem körperlichen Eingriff mit dem entnommenen Blut geschehen soll. Als Gegenstand der Täuschung erscheint also nicht die Verletzung des in § 223 StGB geschützten Gutes, sondern ein außertatbestandlicher Zweck, die Aufklärung eines Geheimnisses, das der Körper birgt. Zu dem Ergebnis des fehlenden Rechtsgutsbezugs der Täuschung kommt auch Janker
154
.
Obgleich er grundsätzlich der Lehre Arzts folgt,
erklärt er in unserem Fall aber die Einwilligung für unwirksam 1 5 5 . Die Frage, ob die Blutentnahme erforderlich ist oder nicht, sei für die Entscheidung des Betroffenen von erheblicher Bedeutung; deshalb könne von einer Aufklärung über den Zweck des Eingriffs nicht abgesehen werden. Das ist richtig, ändert jedoch nichts daran, daß der Einwilligende vom Täuschenden über das Faktum einer Versehrung seines Körpers nicht im Unklaren gelassen wird. Das Erfordernis des Rechtsgutsbezugs wirksamLaufs/Laufs, NJW 1987/2261 (2263); Roxin (Fn. 33) S. 471; Sternberg-Lieben, GA 1990/289 (296 ff ). 152 Eberbach (Fn. 150) S. 1471; Herzog (Fn. 151) S. 291; Hirsch (Fn. 12) Rn. 119 vor § 32 StGB. 153 S. ο. A. n.,S. 11. 154 NJW 1987/2897 (2902). 155 Janker (Fn. 150) S. 2902 linke Spalte unten.
85
IV. Die erschlichene Aids-Untersuchung
keitsrelevanter Irrtümer, das Janker seiner Beurteilung von Willensmängeln bei Aids-Tests zugrunde legt, wird also von ihm in diesem speziellen Fall einfach beiseite geschoben. Anders verfahrt Roxin ]5 6.
Nach ihm ist der Irrtum des Einwilligenden
rechtsgutsbezogen; da das Opfer nicht wisse, was mit seiner Körpersubstanz gemacht werden solle, beziehe sich der Irrtum auf das Rechtsgut selbst. Das ist allerdings wenig überzeugend. Rechtsgut des § 223 StGB ist die körperliche Unversehrtheit des lebenden Menschen. Gegenstände, die endgültig vom Körper getrennt sind, werden durch § 223 StGB nicht mehr geschützt. 157 Wäre dies anders, so müßte derjenige wegen Körperverletzung bestraft werden, der ohne Einwilligung des Betroffenen einen gezogenen Zahn zerstört. Auch Roxin kann also in unserem Fall das Ergebnis der ganz herrschenden Lehre nicht begründen. Ähnliches gilt für die Argumentation von Sternberg-Lieben
15
*.
Nach
ihm muß die Einwilligung des Patienten unwirksam sein, weil der Täuschende von vornherein eine selbstbestimmte Entscheidung des Opfers über die Rechtsgutspreisgabe verhindere. Das Strafrecht schütze den Bestand eines Rechtsgutes, um dem Berechtigten die ungestörte Verfügung hierüber zu ermöglichen. Der genannte Schutzzweck werde aber verfehlt, wenn der Täter durch seine Täuschung verhindere, daß überhaupt eine autonome Entscheidung über das „Ob" der Beeinträchtigung des Rechtsguts
getroffen
wird.
Diese
Begründung
erschleicht
sich
den
„Rechtsgutsbezug" dadurch, daß sie das Schutzobjekt der körperlichen Unversehrtheit mit der Freiheit vermengt, über den Körper zu verfügen. Wie gezeigt ist aber die Verfügungsfreiheit nicht in § 223 StGB geschützt,
156
itocw(Fn. 33) S. 491. Otto, Jura 1996/219; Horn SK § 223 Rn. 5a; Eberbach (Fn. 150) S. 1471; Janker (Fn. 150) S. 2898; differenzierend Dreher/Tröndle (Fn. 150), § 223 Rn. 1; Freund/Heubel, MedR 1995/194. 158 Sternberg - Lieben (Fn. 151) S. 296 fT. 157
F. Täuschungsbedingte Willensmängel
86
sondern in dem Grundsatz der Einwilligungsdogmatik, gung nur dann wirksam ist, wenn sie autonom erfolgt.
daß eine Einwilli159
Weniger angreifbar erscheint die Argumentation von Michel
Nach ihm ist in
dem skizzierten Fall die Täuschung rechtsgutsbezogen, weil ein Patient, der einer diagnostischen Maßnahme zustimmt, sich von der Preisgabe seiner körperlichen Unversehrtheit einen Gewinn für dieses Rechtsgut verspricht. Er erhoffe sich eine Verbesserung seines körperlichen Zustands, und in dieser Erwartung werde er enttäuscht. Michel faßt damit den „Rechtsgutsbezug" der Ziele des Einwilligenden sehr weit, denn er schließt in diese Zielsetzung Eingriffe ein, die bloß der Vorbereitung gesundheitsfördernder Maßnahmen dienen sollen. Das mag man jedoch noch akzeptieren. Grenzen der Unwirksamkeit einer Einwilligung ergeben sich aus dem Ansatz von Michel aber dort, wo der Arzt dem Einwilligenden vortäuscht, er benötige die Blutprobe zu altruistische Zwecken. Man denke an einen Arzt, der dem Betroffenen vorspiegelt, er brauche sein Blut für ein wissenschaftliches Experiment, in Wirklichkeit aber plant, es auf Aids zu untersuchen. In einem solchen Fall zielt die Einwilligung nicht auf eine Verbesserung der Gesundheit des Einwilligenden, und Michel müßte daher mangels Rechtsgutsbezugs der Täuschung von der Wirksamkeit der Einwilligung ausgehen. Fazit: Es besteht zwar Einigkeit darüber, daß ein durch Täuschung erschlichener Aids-Test eine strafbare Körperverletzung darstellt, weil die Einwilligung in die Blutentnahme in diesem Falle unwirksam ist. Ohne Schwierigkeiten kann dieses Ergebnis aber nur der „klassische" Ansatz bei der Lehre von den
Willensmängeln
einer
Einwilligung
begründen.
Wer
lediglich
„rechtsgutsbezogene" Täuschungen für beachtlich hält, kann das Ergebnis der herrschenden Meinung allenfalls mit (unausgesprochenen) Einschränkungen rechtfertigen. Weitergehende Begründungsversuche dieser Lehre beleuchten eher deren Unsicherheiten und Unschärfen. 159 160
S. dazu oben C. Π. 2., S. 28 f. Michel, JuS 1988/8 (12).
G. Dreiecksbeziehungen Einwilligungen, die an einem irrtums- oder täuschungsbedingten Willensmangel leiden, können auch in Sozialbeziehungen erklärt werden, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind. Der Leiter eines Operationsteams klärt den Patienten nicht hinreichend auf, die Operation nimmt aber ein anderer vor. Der vom Hundegebell gestörte Hauseigentümer spiegelt seinem Nachbarn vor, dessen Dackel leide an einer gefährlichen Krankheit; darauf willigt der Nachbar ein, daß der Förster das Tier erschießt. Auch Fälle dieser Art sind nach der allgemeinen Regel zu lösen, daß Einwilligungen unbeachtlich sind, wenn sie dem Wertsystem des Einwilligenden widersprechen, der Eingreifende aber nur haftet, wenn ihm die Rechtsgutsverletzung nach allgemeinen Grundsätzen zurechenbar ist. 1 6 1 Die Anwendung dieser Formel auf die Fälle des einfachen Irrtums bereitet keine allzu großen Schwierigkeiten. Jeder, der sich an dem Eingriff beteiligt, haftet für das, was er über die Rechtsgutsverletzung weiß oder wissen muß. Weiß in dem Beispiel des Operationsteams der Aufklärende, daß seine Aufklärung unvollständig ist, weiß dies der Operierende aber nicht, so haftet der Aufklärende als mittelbarer Täter kraft Irrtumsherrschaft. Handelt umgekehrt der Aufklärende unsorgfaltig, weiß aber der Operierende von dem Willensmangel, so haftet letzterer als unmittelbarer Vorsatztäter, ersterer dagegen wegen Fahrlässigkeit. Handeln beide unsorgfältig, so haften sie grundsätzlich als fahrlässige Nebentäter. Für den unmittelbar Eingreifenden gilt dies freilich nur dann, wenn er nicht auf die ordnungsgemäße Aufklärung durch den Teamchef vertrauen durfte und er gehalten war, die Sachlage trotz der Erklärung des Patienten zu überprüfen. 161
S. o. D., S. 36 ff.
G. Dreiecksbeziehungen
88
Eine Einwilligung, die durch eine Täuschung verursacht wurde, ist nur ein Unterfall der auf einem Irrtum beruhenden. Ihre Besonderheit liegt lediglich darin, daß bei ihr nicht ein schon bestehender Irrtum ausgenutzt, sondern durch Einflußnahme auf die Entscheidung des Einwilligenden erst herbeigeführt wird. Daß der Täuschende deshalb für die Rechtsgutsverletzung haftet, wurde schon gezeigt.162 Für denjenigen, der sich als Dritter an dem durch die Täuschung ermöglichten Eingriff beteiligt, gilt das zum einfachen Irrtum Gesagte. Weiß also in dem oben genannten Beispiel der Förster, daß der belästigte Hauseigentümer den Hundebesitzer über das Vorliegen einer Krankheit seines Dackels getäuscht hat, so haftet der Förster als vorsätzlicher Täter einer Sachbeschädigung. Zu anderen Ergebnissen gelangt man, wenn man der Konstruktion
von Jakobs
folgt. Jakobs behandelt einfache Irrtümer und Täuschungsfälle nach unterschiedlichen Maßstäben.163 Bei einfachen Irrtümern folgt er der Auffassung von Arzt, nach der nur rechtsgutsbezogene Irrtümer die Einwilligung unwirksam machen. Wer den Einwilligenden dagegen täuscht, haftet nach Jakobs grundsätzlich als mittelbarer Täter, und zwar selbst dann, wenn die Täuschung nicht rechtsgutsbezogen ist. Der Einwilligende sei Werkzeug, der Täuschende mittelbarer Täter, weil er für den Einwilligungsdefekt zuständig sei. Dies führt zumindest bei nicht rechtsgutsbezogenen Täuschungen zu dem Ergebnis, daß man es mangels Rechtsgutsbezug beim Irrenden mit einer wirksamen Einwilligung, beim Täter aber mit mittelbarer Täterschaft zu tun hat. Das ist konstruktiv möglich, denn das Beispiel der mittelbaren Täterschaft kraft Beherrschung eines rechtmäßig handelnden Werkzeugs zeigt, daß mittelbare Täterschaft auch bei rechtswirksamen Akten des Werkzeugs denkbar ist. Ist die Einwilligung freilich wirksam, so hat dies die Folge, daß ein Dritter, der einen täuschungsbedingten Irrtum des Einwilligenden zu dessen Schädigung ausnutzt, nicht als Täter einer rechtswidrigen Rechtsgutsverletzung belangt werden kann.
162 m
S. o. F., S. 72 ff. Jakobs {Fn. 11) S. 246 ff.
G. Dreiecksbeziehungen Die Konstruktion von Jakobs ist jedoch abzulehnen. Wie oben gezeigt wurde, ist grundsätzlich jede irrtumsbedingte Einwilligung unbeachtlich, also auch diejenige, die auf einem nicht rechtsgutsbezogenen Irrtum beruht. 164 Da der Täuschende nichts anderes tut, als eine irrtumsbedingte Einwilligung zu erzeugen, ist jede so erzeugte Einwilligung als unbeachtlich anzusehen. Dies fuhrt dazu, daß derjenige, der zwar nicht an der Täuschung mitwirkt, aber auf Grund der täuschungsbedingten Einwilligung eingreift, als vorsätzlicher bzw. - bei Verletzung einer entsprechenden Sorgfaltspflicht - als fahrlässiger Täter der Rechtsgutsverletzung haftet. Dieses Ergebnis erscheint auch gerechter als das aus der Konstruktion von Jakobs abzuleitende. Denn wer auf Grund einer als fehlerhaft erkannten Einwilligung die Rechtsgüter des Einwilligenden verletzt, verdient keinen Schutz, und in den (Sonder-) Fällen in denen der Eingreifende die Fehlerhaftigkeit erkennen muß, gilt das Gleiche. Eine Hauptschwäche der Konstruktion von Jakobs liegt darin, daß auch er die Einwilligung als einen Rechtsakt behandelt, der einer Willenserklärung oder gar einem Verwaltungsakt ähnelt; nicht zufällig spricht er von der „Bestandskraft" einer Einwilligung. 1 6 5 Doch ist die Einwilligung kein Akt von rechtlich verselbstständigten! „Bestand", sondern nur eine Information, die den Empfanger darüber in Kenntnis setzt, was der Erklärende w i l l . 1 6 6 Wer erkennt oder erkennen muß, daß diese Information falsch ist, hat nichts in der Hand, auf das er sich bis zu einer förmlichen Anfechtung verlassen darf, sondern muß von der irrig zugelassenen Rechtsgutsverletzung schlicht Abstand nehmen oder zumindest nachfragen, ob die Erklärung, auch wirklich so gemeint war, wie sie lautete. Tut er das nicht, so hat er dafür einzustehen. Damit schließt sich der Kreis.
164 165 166
S. o.C. I. 2., S. 20ff.; E. ffl. 1., S. 56 ff. Jakobs (Fn. 11 ) S. 247 Anm. 186d. S. o. B.,S. 15 f.; D. m., S. 42.
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Sachverzeichnis Aids 10; 72; 83; 85 f. Alternative 55 f.; 69; 77 Anfechtung 11; 16 Γ.; 31; 33; 42; 47; 89 Arzteigenschaft 27; 33: 61 f.; 76 Aufklärungspflicht 52; 55; 65 ff; 70; 87 in Dreiecksbeziehungen 87 über Behandlungsalternative 55; 69 Autonomie 26; 28 f.; 40 f.; 52; 63; 74; 85 Begleitumstände 27; 33; 61 f.; 64; 70; 76 f. motivationsrelevante 27 risikoneutrale 62; 77 Behandlungsalternative 55 f.; 69; 77 Behandlungsvertrag 49 Bestandsschutz 18 Bestandswert 59 Betrug 18ff.; 24; 33; 36; 60; 72; 76; 79 ff Blaubart von Tübingen 75 Blutprobe 10; 83 f.; 86 Blutspende 10; 20; 23; 77; 79; 81 Diagnoseaufklärung 66 f. Dreiecksbeziehung 12; 73; 87 Drohung 9; 20; 22; 25; 36; 42 Eigenverantwortlichkeit 20 einfacher Irrtum 46; 87 Einwilligung 9 ff ; 16 ff ; 28; 30; 36 ff ; 44 f.; 57; 59; 71 f.; 74 f.; 80 ff ; 86; 89 erschlichene 18; 30; 72; 74 f.; 80 ff ; 88 f. liTtumsbedingte 89
mangelbehaftete 10 ff ; 28; 36 ff ; 45 mutmaßliche 44
Einwilligungsentscheidung 22; 29; 42; 50; 53 f.; 65 f. Einwilligungserklärung 17; 20; 39; 42 ff ; 49; 73; 79 Entscheidungsfehler 50; 56; 74; 77 Entscheidungskundgabe 46; 48 Erkennbarkeit 68 Erklärungsempfanger 12; 15 ff; 25; 32 ff; 39 f.; 42 f.; 47ff ; 52 f. Schutz der 48; 52 Erklärungsfehler 37; 46; 62; 73 Erklärungsirrtum 20; 31 f.; 47 ff ; Freiheit 18 f.; 29; 40 f.; 63; 85 bei der Bestimmung des Eingreifenden 63 Einwilligungsfreiheit 41 Handlungsfreiheit 29; 63 Tauschfreiheit 18 f. Verfügungsfreiheit 29; 85 Gegenleistung 10; 18 ff ; 23 f.; 26 f.; 30; 32; 41; 58ff ; 72; 77 f.; 81 ff. Irrtum über 24; 58 ff. Täuschung über 10; 18 ff; 24; 26 f.; 30; 72; 77 f.; 78; 81 ff. gegenwärtige Gegebenheiten 32; 54 f.; 58 bei Prognoseentscheidung 54 gegenwärtige Sachverhalte 32 Gesetzeseinheit 80 ff. Handlungsfreiheit 29; 63 Handlungsunwert 64 Handlungsziel 21 heilsame Täuschung 76
averzeichnis Informationsmittel 16 f.; 42 Inhaltsirrtum 32; 47 f.; 62; 73 täuschungsbedingter 73 Intimsphäre 56 Irrtum bei Kastration 68 bei Konfliktentscheidung 70; 77 einfacher 12; 20; 46; 72 f.; 76; 87 Erklärungsirrtum 20; 31 f.; 47 ff Inhaltsirrtum 32; 47 f.; 62; 73 Motivirrtum 11; 32 f.; 51 f.; 54; 66 f. nicht rechtsgutsbezogener 18; 23 ff; 56 ff; 74; 89 rechtsgutsbezogener 12; 20 f.; 25 f.; 30; 32; 56; 67; 69; 77; 84 f.; 88 risikoneutraler 62 schuldausschließender 34 selbstverschuldeter 40 täuschungsbedingter 73; 76; 88 über Alternative 55 über Arzteigenschaft 27; 33; 62 über Begleitumstände 61 f. ; 64; 70 über Erforderlichkeit des Eingriffs 55 über Gegenleistung 24; 58 ff. über gegenwärtige Gegebenheiten 32; 55 über gegenwärtige Sachverhalte 32 über objektiven Erklärungswert 62 über Person des Eingreifenden 61; 64; 70 über Rechtfertigungsgrund 49 über risikobegrenzende Qualifikation 70 über tatsächliche Voraussetzungen 51 über unerlaubtes Risiko 62 über Ungeeignetheit des Eingriffs 55 über verkehrswesentliche Eigenschaft 51 über wertungsrelevante Tatsachen 53 f.; 77 über Wertzusammenhang 57 über Wirksamkeit der Einwilligung 58 über zukünftige Gegebenheiten 32 über zukünftige Sachverhalte 32 Verbotsirrtum 51 wegen Wissensmangel 42 Irrtumsherrschaft 87
95
Kastrationsgesetz 68; 70 Kommerzialisierung 20; 60 Konfliktentscheidung 50; 54; 70; 74; 77 Konkurrenz 72; 80 ff Gesetzeseinheit 82 Konsumtion 83 Tateinheit 82 konstitutive Normen 14 kosmetische Operation 53 Kosten-Nutzen-Analyse 50; 52 Kundgabe 44; 46; 48 der Entscheidung 46; 48 des Willens 44; 46 mangelbehaftete Einwilligung 10 f.; 36 ff; 45 Medizinalpraktikant 10; 27; 33; 61 f.; 64; 76 medizinisches Experiment 69; 74; 86 mildere Alternative 55 mittelbarer Täter 87 f. Model Penal Code 71 Motivirrtum 11; 32 f.; 51 f.; 54; 66 f. Nebentäter 87 nicht rechtsgutsbezogener Irrtum 18; 23 ff ; 56 ff ; 74; 89 Nonnen 14 f. konstitutive 14 regulative 15 Nötigung 18; 20; 22 Notwehr 34 f.; 39 f. objektive Zurechnung 55; 64; 75 f.; 78 objektiver Erklärungswert 62 Obliegenheiten 38 Patientengeheimnis 57 Persönlichkeitsgut 20; 82 Placebo 76 Planungsgrundlage 15 ff; 42 Prognose 50; 53 ff ; 58; 67 Irrtum über 55
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Sachverzeichnis
Qualifikation des Eingreifenden 64; 70 Rechtfertigung 9; 34; 36 f.; 39 f.; 49; 52; 55; 58; 65; 79 bei Täuschung eines Entschlossenen 79 Rechtsfolgewille 13 Rechtsgütermarkt 79 rechtsgutsbezogener Irrtum 12; 20 f.; 25 f.; 30; 32; 56; 67; 69; 77; 84 f.; 88 Rechtsgutsbezug 20; 22; 25; 29; 68; 80; 84 ff.; 88 bei Drohung 20; 22 Rechtsgutsverletzung 44; 87 Rechtsgutsvertauschung 23 Rechtsmißbrauch 32 f.; 48 Rechtsverhältnis 13 regulative Normen 15 relativer Wert 24; 60 f. Risiko 64 unerlaubtes 62; 64 risikobegrenzende Qualifikation 64; 70 Risikobereich 32 risikoneutrale Begleitumstände 62 Rückwirkungsverbot 31; 33 schuldausschließender Irrtum 34 Schuldprinzip 31; 33 Schutzzweck 85 Selbstbestimmungsaufklärung 65 ff. Selbstverantwortung des Einwilligenden 11; 25 sittenwidrige Rechtsgeschäfte 19; 24 Sonderverhältnis 48; 53; 59 Tateinheit 80 ff. Täter 19; 31; 33; 39; 74; 82; 85 ff. mittelbarer 87 f. Nebentäter 87 Täterverantwortung 49 Tauschbeziehung 56; 58 Tauschfreiheit 18 f. Tauschobjekt 19 Täuschung 9 f.; 12; 18 ff; 22 ff; 29 f.; 36 f.; 46; 72; 74 ff ; 81 ff. bei erschlichenem Aids-Test 86
bei fest Entschlossenen 79 heilsame 76 Kausalität zwischen Einwilligung und Täuschung 75 nicht rechtsgutsbezogene 18; 88 rechtsgutsbezogene 22; 27; 86 Rechtsgutsbezug bei Aids -Test 84 über Begleitumstände 27; 76 über Gegenleistung 10; 18 ff ; 24; 26 f. ; 30; 72; 77 f.; 81 ff. täuschungsbedingter Irrtum 88 Tauschwert 19 f.; 24; 59 f.; 78 externer 59 f. intemer 59 f. Übermittlungsfehler 46; 50; 73 unerlaubtes Risiko 62 Unfallflucht 9 f.; 74 Unkenntnis 46; 55 der milderen Alternative 55 Unwirksamkeit der Einwilligung 19; 27; 29; 33 ff; 42; 44; 47; 50 f.; 55 ff; 59; 70 f.; 73 f.; 77; 83 f.; 86; 88 bei beachtlichem Fehler der Wertentscheidung 47; 74 bei durch Täuschung erlangter Einwilligung 73 bei fehlerhafter Wertentscheidung 50 bei Irrtum über die Gegenleistung 59 bei Irrtum über wertungsrelevante Tatsachen 77 bei Aids-Test 83 f.; 86 bei Eingriff des Minderqualifizierten 70 bei fehlender Aufklärung über Alternative 55 bei Irrtum über Begleitumstände 64 in Kastration 68; 71 bei rechtsgutsbezogenem Irrtum 56 nach Jakobs 88 wegen Irrtum über Wertzusammenhang 57 wegen Motivirrtum 51
averzeichnis Verbotsirrtum 51 Verfügungsbefugnis 13; 25 f.; 28 f.; 36 ff; 44, 85 Vermögensgüter 60 Verschulden 9; 47 bei Anfechtung 47 Vertrauenstatbestand 20 Verwaltungsakt 89 Verzicht auf Rechtsschutz 40 Vorsatz 34; 43; 53; 87 Wert, relativer 24; 60 f. Wertentscheidung 47; 50; 67 Wertsystem 18; 22; 29; 41 f.; 45; 51 f.; 54; 65; 73; 87 bei Konfliktentscheidung 54 Wertung 20; 50 f.; 53 Wertungsänderung 50 f. wertungsrelevante Tatsachen 53 f.; 77 Werturteil 67 subjektives 50 Wertvorstellungen bei Täuschung 73 Wertzusammenhang 21; 56; 58 Widerruf 16; 34; 39; 42; 51 f. bei Wertungsänderung 51 der Einwilligung 16; 42; 52 Widerspruch zum Wertsystem 42; 46 Willensbildung 32; 46; 67; 74 Willenserklärung 9 ff ; 31; 33; 38; 42; 47; 51 f.; 89 als Planungsgrundlage 16; 42 Anfechtung 16 Bezug auf konstitutive Normen 14 irrtumsbehaftete 47 mangelbehaftete 9; 17; 31; 33 Willenskundgabe 44; 46
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Willensmangel 9 ff; 16 ff; 20; 37 ff; 45 f.; 71 f.; 87 irrtumsbedingter 87 rechtsgutsbezogener 18 täuschungsbedingter 72; 87 unerkennbarer 71 wegen mangelnder Aufklärung 87 Willensrichtungstheorie 44; 46 Wirksamkeit der Einwilligung 12; 21; 24; 26; 31ff ; 37; 40 ff; 70 bei Intum über Gegenleistung 24 bei Täuschung 26 Einfluß der Einwilligungsmotive 21 Einfluß der Täterinteressen 70 Einfluß zukünftiger Sachverhalte 32 Wirksamkeitsfrage 39 f.; 43; 49; 68 Zivilrecht 9; 11; 13; 19 f.; 24; 27; 31; 33; 38; 47 Zukunft 15; 53 bei Prognoseentscheidung 53 zukünftige Gegebenheiten 32; 55 zukünftige Sachverhalte 32 Zurechnung 17; 34; 36 ff ; 43 ff ; 48; 55 f.; 64; 66; 69; 75 ff ; 87 bei Alternative 55 bei Dreiecksbeziehung 87 bei durch Irrtum über die Gegenleistung erteilter Einwilligung 78 bei erschlichener Einwilligung 75 f. bei fehlendem Rechtsgutsbezug 80 des Erfolges bei Behandlungsalternative 56; 69 objektive 55; 64; 75 f.; 78 Scheitern aus normativen Gründen 79 subjektive 17; 55 Zurechnungskriterien 24; 38 f.; 55